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German Pages 1503 Year 2011
Festschrift für Uwe H. Schneider
FESTSCHRIFT FÜR
UWE H. SCHNEIDER ZUM 70. GEBURTSTAG herausgegeben von
Ulrich Burgard Walther Hadding Peter O. Mülbert Michael Nietsch Reinhard Welter 2011
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln TeL 02 21/9 37 38-{}1, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-06046-6 ©2011 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist w:heberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen. Bearbeitungen, Obersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Jan P. Lichtenford, Mettmann Textfonnatierung: A Quednau, Haan Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Gennany
Geleitwort Mit dieser Festschrift zum 70. Geburtstag von Uwe H. Schneider würdigen Kollegen, Schüler, Freunde und Wegbegleiter einen herausragenden Gelehrten, großartigen akademischen Lehrer und vielgefragten Berater, dessen national und international hohes Ansehen in Wissenschaft und Praxis sowohl auf seiner außerordentlichen wissenschaftlichen Leistung als auch auf seiner Persönlichkeit beruht, die sich durch stets wache Neugier, ansteckende Begeisterungsfähigkeit und freundliche Verbindlichkeit auszeichnet. Diese Eigenschaften haben ihn zugleich wie kaum einen Zweiten befähigt, immer wieder neue, praxisorientierte Themen aufzugreifen und zu erforschen, womit er zuweilen der Diskussion um Jahre voraus war und sie geprägt hat. Uwe H. Schneider wurde am 29. Januar 1941 in Karlsruhe geboren. Sein Vater Dr. h.c. Herbert Schneider war Rechtsanwalt am Bundesgerichtshof und Honorarprofessor an der Universität Tübingen, sein Großvater Rechtsanwalt und Landtagsabgeordneter, ein Urgroßvater Ordinarius für Geschichte und Reichstagsabgeordneter. Zur Verwandtschaft gehörten ferner Dr. Walter Lewald, von 1947–1974 Mitbegründer und Herausgeber der NJW, sowie andere Professoren etwa für Staatsrecht oder Kirchenrecht. Das wissenschaftliche, insbesondere das rechtswissenschaftliche Interesse war Uwe Schneider also in die Wiege gelegt. Tatsächlich haben ihn die Gespräche mit seinem Vater und dessen Tätigkeit am Bundesgerichtshof von Kindesbeinen an geprägt. Geprägt hat ihn aber auch ein früher Auslandsaufenthalt: Die Not der Nachkriegsjahre war so groß, dass die Eltern ihn und seinen Bruder Volker 1947/48 für ein knappes Jahr zu einer befreundeten Familie nach Schweden gaben. 1960–1964 hat Uwe Schneider Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftlehre in Heidelberg, Kiel und Freiburg i. Br. studiert. Nach Ablegen des Zweiten juristischen Staatsexamens 1967 in Stuttgart wollte er zunächst Diplomat werden. Zum Erwerb fehlender Französischkenntnisse bewarb er sich u. a. bei der Ecole Nationale d’Administration (ENA) in Paris und wurde prompt angenommen. Die folgenden zwei Jahre waren ein großes Bildungserlebnis, führten aber auch zu der ernüchternden Erkenntnis, dass diplomatischer Dienst nicht sogleich nach Paris oder London, sondern womöglich zunächst nach Ruritanien oder Kriegistan führt. Die Folge war eine Neuorientierung, deren erstes Ergebnis 1969 die Promotion zum Doktor der Rechte an der Universität Freiburg i. Br. bei Thomas Würtenberger war, Thema der Dissertation: „Die Pflicht der Behörden zur Aktenvorlage im Strafprozeß“! Es folgte 1970 ein zehnmonatiger Aufenthalt als Stipendiat und Assistent am Center of European Governmental Studies der Universität Edinburgh zur Verbesserung der Englischkenntnisse. Noch im selben Jahr erfolgte die entscheidende Weichenstellung. Auf Empfehlung von Heinrich Kronstein sollte Uwe Schneider als Assistent bei Kurt Biedenkopf in Bochum tätig werden. Da dieser jedoch in die Geschäftsführung der Henkel GmbH wechselte, vermittelte er ihn an Marcus Lutter, dessen Wissenschaftlicher Assistent und erster Habilitand er bis zum V
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Jahr 1975 war und dem wir die gesellschafts- und konzernrechtliche Prägung von Uwe Schneider zu danken haben. Das Thema der Habilitationsschrift lautete: „Betriebsführungs- und Betriebspachtverträge“. Nach der Verleihung der venia legendi für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Arbeitsrecht und Rechtsvergleichung folgte alsbald die Ernennung zum Abteilungsvorsteher und Professor (H 3) am Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zum 1.1.1976 wurde er zudem zusammen mit Walther Hadding zum Direktor des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz bestellt, die damit dem Institutsgründer Johannes Bärmann (dem akademischen Lehrer von Marcus Lutter) nachfolgten. Noch im selben Jahr wurde er zum ordentlichen Professor (C 4) an der Technischen Hochschule Darmstadt, Fachgebiet: Zivilrecht, deutsches und internationales Wirtschaftsrecht und Arbeitsrecht ernannt. Der Universität Darmstadt ist Uwe Schneider trotz eines ehrenvollen Rufs an die Universität Trier (1986) über seine Emeritierung im Jahr 2009 hinaus treu geblieben. Mitbestimmend hierfür war gewiss das Mainzer Kreditrechtsinstitut, das er bis heute zusammen mit Peter O. Mülbert leitet; denn das Institut eröffnete ihm nicht nur ein neues wissenschaftliches Betätigungsfeld mit vielfältigen Kontakten zur Praxis, sondern entwickelte sich dank der 27-jährigen kongenialen Zusammenarbeit mit Walther Hadding zu einer der führenden bankrechtlichen Institutionen in Deutschland. Davon zeugt etwa die von den Direktoren herausgegebene Schriftenreihe des Instituts (Verlag Duncker & Humblot), die inzwischen auf 185 Bände angewachsen ist und in der – neben vielen anderen wissenschaftlichen Werken – die Ergebnisse zahlreicher Forschungsprojekte veröffentlicht sind, die das Institut zu praxisorientierten Themen meist unter Einbeziehung ausländischer Rechtsordnungen und Mitwirkung entsprechender Fachjuristen durchgeführt hat. Und davon zeugen die regelmäßigen Seminarveranstaltungen (im Laufe der Jahre rund 600), für die das Institut weithin bekannt ist. Die akademische Vita von Uwe Schneider weist ferner eine Vielzahl von internationalen Engagements auf: 1981 visiting professor an der Law School der State University of California in Berkeley; seit 1986 Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in mehreren Arbeitsgruppen der EG-Kommission; 1987–2007 Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in mehreren Arbeitsgruppen der United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL); 1990 visiting professor am College of Law der Georgia State University, Atlanta; 1992 visiting professor an der juristischen Fakultät der Chuo-Universität Tokio; 2000–2001 Dozent an der Deutschen Rechtsschule der juristischen Fakultät der Universität Warschau; 2001 visiting professor an der School of Law der Duke University in Durham, North Carolina; 2003 Mitglied der Steering Group on Corporate Governance der OECD, Paris; seit 2003 Kooperation mit der University of Business and Finance, St. Petersburg, die ihm jüngst die Ehrendoktorwürde verliehen hat. VI
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Auch im Inland ist Uwe Schneider in zahlreichen Ämtern und Gremien aktiv: 1983/84 war er Dekan des Fachbereichs Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an der Technischen Hochschule Darmstadt. Seit 1995 ist er Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Deutschen Aktieninstituts. Im Jahr 2000 war er zusammen mit Christian Strenger Sprecher der Deutschen Grundsatzkommission Corporate Governance. Im selben Jahr gründete er den Emittentenausschuss in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Aktieninstitut. Seit 2002 ist Uwe Schneider Mitglied des Deutschen Übernahmerates bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und seit 2009 außerdem Corporate Governance-Beauftragter der Deutschen Bundesbank. Ferner ist er Mitglied der Aufsichtsräte der ALTE LEIPZIGER Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit (seit 2002), der HALLESCHE Krankenversicherung auf Gegenseitigkeit (seit 1998) und der ALTE LEIPZIGER Holding AG (seit 1997). In diesen drei Gremien ist er zugleich stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender. Und damit nicht genug: Seit 2005 ist Uwe Schneider Vorsitzender des Vorstands des SCA Pensionsfonds e.V. und seit 2009 Mitglied des Vorstands der Deutschen Nierenstiftung. Schließlich ist er seit dem 1.1.2010 Of Counsel bei der Rechtsanwaltssozietät Schmitz & Partner. Alle diese Ämter belegen nicht nur das außerordentliche Engagement von Uwe Schneider, sondern auch seine starke Verbindung zu der Unternehmenspraxis. Diese starke Praxisverbindung hat schließlich auch das wissenschaftliche Œuvre von Uwe Schneider geprägt. Sein besonderes Interesse galt und gilt nämlich der rechtswissenschaftlichen Erforschung neuer bzw. noch nicht oder wenig beschriebener Sachverhalte und Normen. Hierfür stehen zum einen seine wegweisenden Arbeiten zur Inhaltskontrolle von Gesellschaftsverträgen, zum Sonderrecht der Publikumspersonengesellschaften, zum Konzernrecht im Allgemeinen und zum Konzernrecht der Personengesellschaften sowie zur Konzernfinanzierung im Besonderen, zur Entstehung eines Pensionskassenkorporatismus, zur Corporate Governance, zur Compliance sowie zu Private Equity. Hierfür steht zum anderen sein weiterer Forschungsschwerpunkt, nämlich das sich rasant entwickelnde Kapitalmarktrecht, das er von Beginn an sowohl in zahlreichen Aufsätzen als auch in den von ihm mitherausgegebenen und mitbearbeiteten Kommentaren zum WpHG und zum WpÜG begleitet und mitgeprägt hat. Und hierfür stehen schließlich auch seine vorbildlichen Erläuterungen der §§ 6, 19, 35–40, 43–44, 52, 86 GmbHG im „Scholz“, in denen er bei jeder Neuauflage nicht nur die Weiterentwicklung der Rechtsprechung und Literatur nachzeichnet, sondern stets auch neue Rechtsprobleme aufzeigt. Praxisnähe bedeutet bei Uwe Schneider allerdings niemals Praxishörigkeit. Vielmehr zeichnete ihn stets eine kritische Distanz aus, die zuweilen auch in deutlicher Kritik mündete. Praxisnähe bedeutete für ihn daher „nur“ Kenntnis und Erforschung der Lebenssachverhalte sowie Klarheit und Anschaulichkeit der Darstellung. Dogmatische Pirouetten sind seine Sache nicht. Vielmehr soll das Geschriebene auch für Praktiker und gebildete Laien verständlich sein. Dabei hat er eine besondere Gabe für die Findung einprägsamer Begriffe zur Beschreibung komplexer Sachverhalte (z. B. im Bereich der Konzernfinanzierung: „Pyramiden-, Tresor- und Metamorphoseneffekt“). Seine Beiträge sind VII
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daher als Gute Nacht-Lektüre nicht geeignet; denn zum Einschlafen sind sie viel zu spannend geschrieben. Obgleich Uwe Schneider mit vielen Beiträgen Neuland betritt, schreibt er beeindruckend viel. Das anhängende Veröffentlichungsverzeichnis zählt 421 Titel. Darüber hinaus fungiert er als Mitherausgeber zahlreicher Standardwerke. Außer den bereits genannten sehr erfolgreichen Kommentaren seien besonders das Handbuch der Konzernfinanzierung sowie das Handbuch Managerhaftung erwähnt, das gerade im vergangenen Jahr die zweite Auflage erlebt hat. Überdies ist Uwe Schneider seit dem Jahr 2002 Mitherausgeber der Zeitschrift „Die Aktiengesellschaft“. Uwe Schneider ist jedoch nicht nur ein herausragender Wissenschaftler und vielgefragter Berater, sondern auch ein großartiger Lehrer. Drei Schüler hat er zur Habilitation geführt, viele weitere (auch externe Doktoranden) zur Promotion. Kein Mitarbeiter hat seinen Lehrstuhl unpromoviert verlassen, nicht zuletzt wegen der mitreißenden Begeisterungsfähigkeit von Uwe Schneider und seiner Gabe, jedem jede Freiheit für seine wissenschaftliche Arbeit zu lassen. Natürlich müssen Mitarbeiter auch mitarbeiten. Der hoch motivierende Lohn war jedoch, dass die Arbeitsergebnisse nicht bis zur Unkenntlichkeit korrigiert und verändert, sondern vertrauensvoll weitgehend einbezogen wurden. Alle, die mit Uwe Schneider arbeiten durften, haben diese Zeit als außerordentlich anregend und bereichernd empfunden. Vielen hat er bei dem anschließenden Berufseinstieg geholfen, manche sind heute sehr erfolgreich. Und zu nahezu allen seinen Doktoranden hat er noch heute Kontakt. Seinen Erfolg als Lehrer belegen schließlich die nachhaltigen Proteste der Studierenden, mit denen sie verhindern wollten, dass seine Stelle in Darmstadt nicht wieder besetzt wird. All das ist umso bemerkenswerter als in Darmstadt keine Juristen, sondern überwiegend Wirtschaftsingenieure ausgebildet werden. Nur Wenige verfügen über eine so beeindruckende Schaffenskraft wie Uwe Schneider. Und noch seltener ist die Fähigkeit, ein derart erfülltes Berufsleben mit einem ebenso erfüllten Privatleben zu vereinbaren. Eine Würdigung von Uwe Schneider wäre daher ganz und gar unvollkommen, bliebe seine Rolle als Ehegatte und Vater unerwähnt; denn seine Familie bildete stets seinen wichtigsten Lebensmittelpunkt. 1973 heiratete er die Ärztin Dr. med. Barbara Peters, die als Fachärztin für Neurologie u. a. viele Jahre in der akademischen Lehre erfolgreich als Dozentin tätig war. 1975 kam der Sohn Sven, 1978 die Tochter Susanne zur Welt. Für sie nimmt sich der Vater stets jede Zeit. Hintanstellen gibt es nicht. Bei Anrufen der Familie lässt er alles stehen und liegen. Mittags fährt er oft und abends regelmäßig rechtzeitig zum heimischen Herd. Und dann wird ausgiebig „geschwatzt“. Belohnt wurden die tüchtigen Eltern durch prächtige Kinder. Sven ist inzwischen erfolgreicher Rechtsanwalt, promoviert, selbst wissenschaftlicher Autor (natürlich auch in dieser Festschrift) und geschäftsführender Mitherausgeber der Neuen Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (NZG). Und Susanne ist eine höchst erfolgreiche Ärztin. Sie wurde im Frühling 2009 mit nur 31 Jahren von der medizinischen Fakultät der Universität Lübeck habilitiert. VIII
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Diese Festschrift ist zu einem beträchtlichen Teil eine Freundesgabe. Allen, die zu ihr beigetragen haben, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Ohne die finanzielle Unterstützung durch die Allianz SE, den Deutschen Sparkassenund Giroverband e.V., den Sparkassen- und Giroverband Hessen-Thüringen, den Sparkassenverband Rheinland-Pfalz, die Stadt- und Kreis-Sparkasse Darmstadt, die ThyssenKrupp AG sowie die Wissenschaftsförderung der SparkassenFinanzgruppe e.V. wäre die Festschrift freilich nicht entstanden. Besonderer Dank gebührt ferner dem Verlag Dr. Otto Schmidt und seinen Mitarbeitern für die vorzügliche Betreuung. Im Januar 2011 Ulrich Burgard, Walther Hadding, Peter O. Mülbert, Michael Nietsch, Reinhard Welter
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Inhalt Seite
Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Holger Altmeppen Zur Rechtsstellung der Aufsichtsratsmitglieder einer kommunalen GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Heribert M. Anzinger Verdeckte Einlagenrückgewähr an den (un-)tätigen Kommanditisten . .
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Heinz-Dieter Assmann Das Verhältnis von Aufsichtsrecht und Zivilrecht im Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Klaus-Albert Bauer Gibt es Musikerjuristen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Walter Bayer Die Haftung des Beirats im Recht der GmbH und der GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
Heiko Beck Das Chamäleon Anlegerschutz oder „Worüber reden wir eigentlich?“ .
89
Gert A. Benkel Die freiwillige Beachtung des Deutschen Corporate Governance Kodex durch große Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit . . . . . . . .
113
Christoph von Bülow Angebotspflicht auf Grund Acting in Concert bei Aufsichtsratswahlen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
141
Hartwin Bungert / Gunnar Janson Im Spannungsfeld von Unternehmensvertrag und Squeeze-out: Gibt es einen zeitanteiligen Ausgleichsanspruch nach § 304 AktG? . . .
159
Ulrich Burgard Mitteilungspflichten nach einem Delisting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
177
Andreas Cahn / Henny Müchler Die Verantwortlichkeit der Organmitglieder einer Sparkasse für den Erwerb riskanter Wertpapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
197
Matthias Casper Islamische Aktienfonds – eine kapitalmarktrechtliche Herausforderung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt Seite
Carsten P. Claussen Kann der deutsche Gesetzgeber mehr gegen Finanzkrisen tun? . . . . . . .
247
Christian E. Decher Mitwirkungsrechte der Aktionäre beim Kauf von Unternehmen? . . . .
261
Tim Drygala Die neue Pflicht des Vorstands zur Bescheidenheit . . . . . . . . . . . . . . . .
275
Ernst Thomas Emde Gesamtverantwortung und Ressortverantwortung im Vorstand der AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
295
Volker Emmerich Anmerkungen zur Bewertung von Unternehmen im Aktienrecht . . . . .
323
Holger Fleischer Schwere Erkrankung des Vorstandsvorsitzenden und Ad-hocPublizität – Zum Spannungsverhältnis zwischen Markttransparenz und personenbedingten Geheimhaltungsinteressen im deutschen und US-amerikanischen Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
333
Wulf Goette Zur individualvertraglich vereinbarten entsprechenden Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes in organschaftlichen Anstellungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
353
Norbert Gross Zwölf Charakterköpfe: Die ersten Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
363
Wolfgang Groß Befreiung von der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach § 15 Abs. 3 WpHG . .
385
Barbara Grunewald Rechtsfolgen bei unterlassener Prüfung der Kreditwürdigkeit . . . . . . . .
401
Ulrich Haas / Anne Hoßfeld Schiedsvereinbarungen zwischen Gesellschaft und GmbH-Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
407
Mathias Habersack Die Legalitätspflicht des Vorstands der AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
429
Walther Hadding Zur „Kundenkennung“ im neuen Recht der Zahlungsvorgänge . . . . . .
443
Horst Hammen Öffentlichrechtliche Zahlungsansprüche von Börsen – Zur Rechtsfähigkeit der deutschen Börsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
455
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Inhalt Seite
Peter Hemeling Der nicht nachzuzahlende Vorzug und die rückzahlbare Aktie . . . . . . .
471
Joachim Hennrichs Zur Kapitalaufbringung und Existenzvernichtungshaftung in sog. Aschenputtel-Konstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
489
Hartwig Henze Optionsvereinbarungen der Aktiengesellschaft über den Erwerb eigener Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
507
Burkhard Hess / Christoph Leser „Räuberische“ Aktionäre – Ist das Prozessrecht hilflos? . . . . . . . . . . . .
519
Heribert Hirte Handels-, gesellschafts- und kapitalmarktrechtliche Publizitätspflichten in der Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
533
Peter Hommelhoff SPE-Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Sitzverlegungen nach dem schwedischen Verordnungsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
547
Uwe Hüffer Gewinnabführung und Verlustsaldierung unter Entnahme aus der gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB innervertraglich gebildeten Kapitalrücklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
559
Hans-Christoph Ihrig Zum Auskunftsanspruch bei Namensaktien nach § 67 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
573
Joachim Jahn Zwischen Elfenbeinturm und Boulevard – Rechtswissenschaftler in „allgemeinen Medien“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
593
Susanne Kalss Beratungsverträge und sonstige Geschäfte von Aufsichtsratsmitgliedern mit der Gesellschaft nach österreichischem Recht . . . . . .
601
Detlef Kleindiek Geschäftsführerhaftung in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
617
Lars Klöhn Grenzen des insiderrechtlichen Verbots selektiver Informationsweitergabe an professionelle Marktteilnehmer – Vermeidungsstrategien und ihre Behandlung im Lichte rechtsvergleichender Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
633
Ingo Koller Beratung und Dokumentation nach dem § 34 Abs. 2a WpHG . . . . . . . .
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Inhalt Seite
Hartmut Krause Die „kalte“ Übernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
669
Thomas Kremer Kooperation des Unternehmens mit der Staatsanwaltschaft im Compliance Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
701
Gerd Krieger Beweislastumkehr und Informationsanspruch des Vorstandsmitglieds bei Schadensersatzforderungen nach § 93 Abs. 2 AktG . . . . . . . . . . . . .
717
Joachim Lang Kapitalvermögen im Spannungsverhältnis der Steuerflucht zur Steuergerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
737
Katja Langenbucher Zur rechten Konkretisierung angemessener Vorstandsbezüge – Kapitalmarktrecht oder Verbandsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
751
Marcus Lutter Zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen Organmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
763
Reinhard Marsch-Barner Gedanken zum Public Corporate Governance Kodex . . . . . . . . . . . . . . .
771
Helmut Merkel Progrediente Entwertung der Kreditsicherheiten aufgrund der neueren Rechtsprechung des BGH zur Vorausabtretung kontokorrentgebundener Forderungen – Dominoeffekt für Bankkontokorrent und AGB-Pfandrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
787
Hanno Merkt Der Nacherwerb beim Squeeze-out und beim Sell-out (§§ 39a, 39c WpÜG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
811
Thomas M. J. Möllers / Sabrina Hailer Systembrüche bei der Anwendung strafrechtlicher Grundprinzipien auf das kapitalmarktrechtliche Marktmanipulationsverbot . . . . . . . . .
831
Peter O. Mülbert Systemrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
855
Michael Nietsch Die Flexibilisierung der Kapitalaufnahme bei der GmbH – Überlegungen zur Einführung des genehmigten Kapitals (§ 55a GmbHG) und der Kapitalerhöhung bis zum Höchstbetrag . . . . .
873
Ulrich Noack / Dirk Zetzsche Festgelegte Stimmen vor und in der Hauptversammlung . . . . . . . . . . .
895
XIV
Inhalt Seite
Jürgen Oechsler Die Existenzvernichtungshaftung und das Beweisrecht . . . . . . . . . . . . .
913
Walter G. Paefgen Die Gewinnverwendung in der GmbH & Co. KG und ihrer Unternehmensgruppe nach „Otto“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
929
Martin Peltzer Das Zulassungsverfahren nach § 148 AktG wird von der Praxis nicht angenommen! Warum? Was nun? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
953
Giuseppe B. Portale Neue Perspektiven des italienischen Handelsrechts . . . . . . . . . . . . . . .
969
Hans-Joachim Priester Gewinnverwendung durch Mehrheitsentscheid bei Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
985
Thomas Raiser Konflikte in Wirtschaftsunternehmen im Blickwinkel der rechtssoziologischen Konfliktforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Jochem Reichert / Kristin Ullrich Haftung von Aufsichtsrat und Vorstand nach dem VorstAG . . . . . . . . . 1017 Peter Reusch Die Versicherungsperiode nach § 12 VVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1039 Jochen Sanio Das IOSCO Multilateral Memorandum of Understanding – Fundament der internationalen Zusammenarbeit in der Wertpapieraufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1061 Carsten Schäfer Wodurch entsteht die Gesellschaft bei der Gründung? . . . . . . . . . . . . . 1085 Frank A. Schäfer Der Handel von Aktien insolventer, insb. US-amerikanischer Gesellschaften an deutschen Börsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1097 Maximilian Schiessl Sicherstellung und Bestätigung der Finanzierung von Übernahmeangeboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1107 Michael Schlitt / Thorsten Becker SEDA – Finanzierungssicherheit in schwierigem Marktumfeld durch Equity-Lines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1121 Karsten Schmidt Vom Sonderrecht der „führungslosen GmbH“ zur subsidiären Selbstorganschaft? – Überlegungen im Anschluss an das MoMiG . . . . . 1157 XV
Inhalt Seite
Sven H. Schneider (Mit-)Haftung des Geschäftsführers eines wegen Existenzvernichtung haftenden Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1177 Jan Schürnbrand Normadressat der Pflicht zur Abgabe einer Entsprechenserklärung . . . 1197 Ulrich Seibert Gute Aktionäre – Schlechte Aktionäre: Räuberische Aktionäre und die Interessenabwägung im Freigabeverfahren – Bericht aus dem Gesetzgebungsverfahren zum ARUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1211 Johannes Semler Das VorstAG – ein in weiten Teilen überflüssiges Gesetz . . . . . . . . . . . 1227 Rolf Sethe Die funktionale Auslegung des Bankaufsichtsrechts am Beispiel der Vermögensverwaltung im Treuhandmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1239 Bernd Singhof Aktionärsvereinbarungen bei Kapitalerhöhungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1261 Gerald Spindler Angemessenheit und Zuständigkeit für Vergütungsfragen der Geschäftsführung einer GmbH nach dem VorstAG . . . . . . . . . . . . . . . . 1287 Eckart Sünner Die Bestellung des Finanzexperten im Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . 1301 Rüdiger Veil Marktregulierung durch privates Recht am Beispiel des Entry Standard der Frankfurter Wertpapierbörse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1313 Dirk A. Verse Die actio pro socio im Personengesellschafts- und GmbH-Recht nach der Reform der derivativen Aktionärsklage – Ausstrahlungswirkungen des § 148 AktG auf das allgemeine Verbandsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . 1325 Eberhard Vetter Aufsichtsratswahlen durch die Hauptversammlung und § 161 AktG . . 1345 Jochen Vetter Öffentliche Umtauschangebote und ordentliche Kapitalerhöhung . . . . 1371 Manfred Wandt / David Sehrbrock Gedanken zu den Solvency II-Richtlinienzielen und ihre Bedeutung für das VAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1395 Reinhard Welter Vom Anerkennungsprinzip zur Vollharmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . 1407 XVI
Inhalt Seite
Harm Peter Westermann Wettbewerb zwischen haftungsbeschränkenden Gesellschaftsrechtsformen mit geringem Kapitaleinsatz – wirklich notwendig? . . . . 1437
Schriftenverzeichnis Professor Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider . . . . . . . . . 1455 Betreute Dissertationen von Professor Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider . . . 1476
XVII
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Verzeichnis der Autoren Altmeppen, Holger Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht I, Universität Passau Anzinger, Heribert M. Dr., Wirtschaftsjurist (Universität Bayreuth), Juniorprofessor für Steuerrecht am Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Technischen Universität Darmstadt Assmann, Heinz-Dieter Dr., LL. M. (U. Pennsylvania, Philadelphia), Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Rechtsvergleichung und Rechtstheorie sowie Prorektor der Eberhard Karls Universität Tübingen Bauer, Klaus-Albert Dr., LL. M. (Columbia), Attorney-at-Law (New York), Rechtsanwalt, Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Frankfurt am Main, Lehrbeauftragter am Institute for Law and Finance an der Goethe-Universität, Frankfurt am Main Bayer, Walter Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Privatversicherungsrecht und Internationales Privatrecht, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Direktor des Instituts für Rechtstatsachenforschung zum deutschen und europäischen Unternehmensrecht, Richter am Thüringer OLG a. D.; Mitglied des Thüringer Verfassungsgerichtshofs Beck, Heiko Dr., Rechtsanwalt, Mitglied der Geschäftsleitung Privat- und Geschäftskunden der Commerzbank AG, Frankfurt am Main Becker, Thorsten Dr., Rechtsanwalt, Willkie Farr & Gallagher LLP, Frankfurt am Main Benkel, Gert A. Dr., Rechtsanwalt, Generalbevollmächtigter/Chefsyndikus i. R. der ALTE LEIPZIGER Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit, ALTE LEIPZIGER Holding Aktiengesellschaft und ALTE LEIPZIGER Versicherung Aktiengesellschaft, Neu-Isenburg Bülow, Christoph von Dr., Rechtsanwalt, Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Frankfurt am Main, Lehrbeauftragter an der Bucerius Law School, Hamburg XIX
Verzeichnis der Autoren
Bungert, Hartwin Dr., LL. M. (Univ. Chicago), Rechtsanwalt, Hengeler Mueller, Düsseldorf Burgard, Ulrich Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Law and Economics, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Direktor des Forschungszentrums für Sparkassenentwicklung e.V. (FZSE) Cahn, Andreas Dr., LL. M. (Berkeley), Universitätsprofessor, Geschäftsführender Direktor des Institute for Law and Finance an der Goethe-Universität Frankfurt am Main Casper, Matthias Dr., Dipl.-Ök., Universitätsprofessor, Direktor des Instituts für Unternehmens- und Kapitalmarktrecht der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Claussen, Carsten Peter (1927 – 2010) Dr. Dr. h.c., Rechtsanwalt, Hoffmann, Liebs, Fritsch und Partner, Düsseldorf, Honorarprofessor an der Universität Hamburg Decher, Christian E. Dr., Rechtsanwalt, Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Frankfurt am Main Drygala, Tim Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Universität Leipzig Emde, Ernst Thomas Dr., Rechtsanwalt, Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Frankfurt am Main Emmerich, Volker Dr., Universitätsprofessor (em.) für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Universität Bayreuth, Richter am OLG Nürnberg a. D. Fleischer, Holger Dr., Dipl.-Kfm., LL. M. (Michigan), Professor, Direktor des Max-PlanckInstituts für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg Goette, Wulf Dr., Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a. D., Honorarprofessor der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Gross, Norbert Dr., Docteur en Droit (Univ. Grenoble), Honorarprofessor der Universität Karlsruhe (KIT), Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof, Präsident der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof XX
Verzeichnis der Autoren
Groß, Wolfgang Dr., Rechtsanwalt, Hengeler Mueller, Frankfurt am Main Grunewald, Barbara Dr., Universitätsprofessorin, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsund Anwaltsrecht, Direktorin des Instituts für Gesellschaftsrecht, Universität zu Köln Haas, Ulrich Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Zivilverfahrens- und Privatrecht, Universität Zürich Habersack, Mathias Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Rechtsvergleichung, Eberhard Karls Universität Tübingen Hadding, Walther Dr., Universitätsprofessor (em.), Johannes Gutenberg-Universität Mainz Hailer, Sabrina Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht, Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Augsburg Hammen, Horst Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Deutsches und Europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht an der Justus-Liebig-Universität Gießen Hemeling, Peter Dr., Rechtsanwalt, Chefsyndikus der Allianz SE, München Hennrichs, Joachim Dr., Universitätsprofessor, Direktor des Instituts für Gesellschaftsrecht und Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Bilanz- und Steuerrecht der Universität zu Köln Henze, Hartwig Dr., Richter am Bundesgerichtshof a. D., Honorarprofessor an der Universität Konstanz Hess, Burkhard Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, Internationales Privat- und Verfahrensrecht und Rechtsvergleichung, Geschäftsführender Direktor des Instituts für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Richter am OLG Karlsruhe
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Verzeichnis der Autoren
Hirte, Heribert Dr., LL. M. (Berkeley), Universitätsprofessor, Geschäftsführender Direktor des Seminars für Handels-, Schifffahrts- und Wirtschaftsrecht der Universität Hamburg Hommelhoff, Peter Dr. Dr. h.c. mult., Universitätsprofessor (em.), vormals Direktor des Instituts für deutsches und europäisches Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg sowie Richter am OLG Hamm und OLG Karlsruhe, Partner der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Hoßfeld, Anne Rechtsanwältin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Universität Zürich Hüffer, Uwe Dr., Rechtsanwalt, SZA Schilling, Zutt & Anschütz, Mannheim, Universitätsprofessor (em.) für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht an der Ruhruniversität Bochum, Richter am OLG Hamm a. D. Ihrig, Hans-Christoph Dr., Rechtsanwalt, Allen & Overy LLP, Mannheim Jahn, Joachim Dr., Wirtschaftsredakteur der F.A.Z. in Berlin, Honorarprofessor an der Universität Mannheim Janson, Gunnar Dr., Dipl.-Volksw., Rechtsanwalt, Hengeler Mueller, Düsseldorf Kalss, Susanne Dr., LL. M. (Florenz), Universitätsprofessorin, Institut für Zivil- und Unternehmensrecht, Wirtschaftsuniversität Wien Kleindiek, Detlef Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handelsrecht, deutsches und europäisches Wirtschaftsrecht, Universität Bielefeld Klöhn, Lars Dr., LL. M. (Harvard), Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Rechtsvergleichung und Rechtsökonomik an der Philipps-Universität Marburg Koller, Ingo Dr., Universitätsprofessor (em.), Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Rechtssoziologie sowie Handels-, Wirtschafts- und Arbeitsrecht an der Universität Regensburg, Richter am OLG München a. D. Krause, Hartmut Dr., Dipl.-Kfm., LL. M. (SMU), Attorney at Law (New York), Rechtsanwalt, Allen & Overy LLP, Frankfurt am Main XXII
Verzeichnis der Autoren
Kremer, Thomas Dr., Rechtsanwalt, Chefjustitiar und Chief Compliance Officer der ThyssenKrupp AG, Essen und Duisburg Krieger, Gerd Dr., Rechtsanwalt, Hengeler Mueller, Düsseldorf, Honorarprofessor an der Universität Düsseldorf Lang, Joachim Dr., Universitätsprofessor (em.), ehemals Direktor des Instituts für Steuerrecht der Universität zu Köln, Rechtsanwalt und Steuerberater Langenbucher, Katja Dr., Universitätsprofessorin, Inhaberin der Professur für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Bankrecht im House of Finance der Goethe-Universität Frankfurt am Main Leser, Christoph Richter am AG Ulm, ehem. Mitarbeiter am Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Lutter, Marcus Dr. Dr. h.c. mult., Universitätsprofessor (em.), Sprecher des Zentrums für Europäisches Wirtschaftsrecht an der Universität Bonn, Rechtsanwalt, WilmerHale, Berlin Marsch-Barner, Reinhard Dr., Rechtsanwalt, Linklaters LLP, Frankfurt am Main, Honorarprofessor an der Georg-August-Universität Göttingen Merkel, Helmut Dr., Rechtsanwalt, ehem. Chefsyndikus der Dresdner Bank AG, Frankfurt am Main Merkt, Hanno Dr., LL. M. (Univ. of Chicago), Universitätsprofessor, Direktor des Instituts für Ausländisches und Internationales Privatrecht, Albert-Ludwig-Universität Freiburg, Richter am OLG Karlsruhe Möllers, Thomas M. J. Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht, Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, Universität Augsburg, Jean-Monnet-Chair for European Business, Capital Markets an Competition Law, ad personam Jean-Monnet-Lehrstuhl Müchler, Henny LL. M. (Cambridge), Rechtsanwältin, Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Köln XXIII
Verzeichnis der Autoren
Mülbert, Peter O. Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Bankrecht, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Direktor des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Nietsch, Michael Dr., Privatdozent, Institut für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Noack, Ulrich Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Unternehmensrecht Oechsler, Jürgen Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handelsrecht, Deutsches und Europäisches Wirtschaftsrecht an der Johannes GutenbergUniversität Mainz Paefgen, Walter G. Dr., Universitätsprofessor, Eberhard Karls Universität Tübingen Peltzer, Martin Dr., Notar a. D., Rechtsanwalt in Frankfurt am Main Portale, Giuseppe B. Dr. Dr. h.c., o. Professor für Handelsrecht an der juristischen Fakultät der Università Cattolica di Milano Priester, Hans-Joachim Dr., Notar a. D., Honorarprofessor an der Universität Hamburg Raiser, Thomas Dr., Universitätsprofessor (em.), Lehrstuhl für deutsches und europäisches Unternehmens- und Wirtschaftsrecht, Rechtssoziologie und Bürgerliches Recht, Humboldt-Universität zu Berlin, Richter am OLG Frankfurt a. D. Reichert, Jochem Dr., Rechtsanwalt, SZA Schilling, Zutt & Anschütz, Mannheim, Honorarprofessor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Reusch, Peter Dr., Chefsyndikus Helvetia Versicherungen Deutschland, Lehrbeauftragter des Instituts für Versicherungsrecht am House of Finance der GoetheUniversität Frankfurt am Main Sanio, Jochen Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in Bonn/Frankfurt am Main XXIV
Verzeichnis der Autoren
Schäfer, Carsten Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht an der Universität Mannheim, Direktor des dortigen Instituts für Unternehmensrecht (IURUM) Schäfer, Frank A. Dr., LL. M. (UCLA), Rechtsanwalt, Sernetz Schäfer, Düsseldorf, Honorarprofessor der Ruhr-Universität Bochum Schiessl, Maximilian Dr., LL. M. (Harvard), Rechtsanwalt, Hengeler Mueller, Düsseldorf, Lehrbeauftragter an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Schlitt, Michael Dr., Rechtsanwalt, Willkie Farr & Gallagher LLP, Frankfurt am Main, Honorarprofessor der Universität zu Köln Schmidt, Karsten Dr. Dres. h.c., Universitätsprofessor (em.) der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn, Präsident der Bucerius Law School in Hamburg Schneider, Sven H. Dr., LL. M. (Berkeley), Attorney-at-Law (New York), Rechtsanwalt, Hengeler Mueller, Frankfurt am Main Schürnbrand, Jan Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Sehrbrock, David Rechtsanwalt, Institut für Versicherungsrecht, Goethe-Universität Frankfurt am Main Seibert, Ulrich Dr., Ministerialrat im Bundesministerium der Justiz, Honorarprofessor an der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Semler, Johannes Dr. Dr. h.c. (TU Tiflis), Rechtsanwalt in Kronberg, Honorarprofessor WU Wien Sethe, Rolf Dr., LL. M. (London), Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Privat-, Handelsund Wirtschaftsrecht, Universität Zürich Singhof, Bernd Dr., LL. M. (Cornell), Rechtsanwalt in Frankfurt am Main XXV
Verzeichnis der Autoren
Spindler, Gerald Dr., Universitätsprofessor, Institut für Wirtschaftsrecht, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Rechtsvergleichung, Multimedia- und Telekommunikationsrecht, Georg-August-Universität Göttingen Sünner, Eckart Dr., Rechtsanwalt, Chief Compliance Officer der BASF SE, Ludwigshafen, Vorsitzender des Rechtsausschusses des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e.V, Berlin Ullrich, Kristin Dr., Rechtsanwältin, SZA Schilling, Zutt & Anschütz, Mannheim Veil, Rüdiger Dr., Universitätsprofessor, Alfried-Krupp-Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches und Internationales Unternehmens- und Wirtschaftsrecht, Direktor des Instituts für Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, Bucerius Law School, Hamburg Verse, Dirk A. Dr., M. Jur. (Oxford), Universitätsprofessor, Institut für Handels- und Wirtschaftsrecht, Universität Osnabrück Vetter, Eberhard Dr., Rechtsanwalt, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Köln Vetter, Jochen Dr., Diplom-Ökonom, Rechtsanwalt, Hengeler Mueller, München, Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln Wandt, Manfred Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Versicherungsrecht, Internationales Privatrecht, Europäisches Recht und Rechtsvergleichung, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Versicherungsrecht, Vorstandsmitglied des Institute for Law and Finance (ILF), Goethe-Universität Frankfurt am Main Welter, Reinhard Dr., Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches und Internationales Wirtschaftsrecht, Direktor des Instituts für Deutsches und Internationales Bank- und Kapitalmarktrecht, Universität Leipzig Westermann, Harm Peter Dr. Dres. h.c., Universitätsprofessor (em.), Eberhard Karls Universität Tübingen Zetzsche, Dirk Dr., LL. M. (Toronto), Institut für Unternehmensrecht, Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf XXVI
Holger Altmeppen
Zur Rechtsstellung der Aufsichtsratsmitglieder einer kommunalen GmbH Inhaltsübersicht I. Einführung II. Zur Weisungsgebundenheit der Aufsichtsratsmitglieder einer kommunalen GmbH 1. Meinungsstand 2. Stellungnahme a) Die Situation in der AG b) Die Situation in der GmbH c) Auswirkungen für die Organwalter im fakultativen Aufsichtsrat der GmbH
3. Ergebnis zu II. III. Zur „Verschwiegenheitspflicht“ der Aufsichtsratsmitglieder einer kommunalen GmbH 1. Meinungsstand 2. Stellungnahme IV. Abweichungen in der mitbestimmten Einmann-GmbH? V. Ergebnisse
I. Einführung Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden die kommunalen Betriebe in atemberaubend steigendem Tempo privatisiert. Der bevorzugte Unternehmensträger ist die kommunale Einmann-GmbH. Sie beherrscht alle Bereiche der kommunalen Daseinsvorsorge (Energieversorgung, Abfallentsorgung, Wasserversorgung, Personennahverkehr, Gesundheitswesen, kulturelle und sportliche Einrichtungen etc.). Solche Unternehmensträger unterliegen in aller Regel nicht der Mitbestimmung. Gleichwohl hat die kommunale GmbH einen fakultativen Aufsichtsrat, weil das Kommunalrecht der Bundesländer vorschreibt, dass die Gemeinden sich nur unter der Voraussetzung „angemessenen Einflusses“ in einem solchen Organ an den Gesellschaften mbH beteiligen dürfen1. Immer wieder ist es in den letzten Jahren zum Streit darüber gekommen, welche Rechtsstellung die von der Gemeinde entsandten Mitglieder im Aufsichtsrat der kommunalen GmbH haben. Es geht dabei um die Kernfrage, ob solche
__________ 1 So Art. 92 Abs. 1 Nr. 2 BayGO, § 73 Abs. 1 Nr. 3 ThürKO, ähnlich § 103 Abs. 1 Nr. 3 BWGemO, § 102 Nr. 2 BbgGO, § 122 Abs. 1 Nr. 3 HGO, § 69 Abs. 1 Nr. 3 KV M-V, § 109 Abs. 1 Nr. 6 NGO, § 108 Abs. 1 Nr. 6 GO NRW, § 87 Abs. 1 Nr. 3 RhPfGO, § 110 Abs. 1 Nr. 3 SaarlKSVG, § 96 Abs. 1 Nr. 2 SächsGemO, § 117 Abs. 1 Nr. 3 GO LSA, § 102 Abs. 1 Nr. 3 SchlHGO.
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Aufsichtsratsmitglieder weisungsgebunden sind2, und wie es sich mit ihrer Verschwiegenheitspflicht verhält3. In einem in letzter Instanz vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof entschiedenen Rechtsstreit4 hatte das VG Regensburg erstinstanzlich argumentiert, die Aufsichtsräte in kommunalen GmbHs könnten sich nicht uneingeschränkt auf ihre Verschwiegenheitspflicht berufen, müssten auf Wunsch der Bürger ihre Sitzungen vielmehr öffentlicher Kontrolle unterziehen lassen. Denn für die Öffentlichkeit streite das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip. Die Kommune könne sich nicht durch Gründung einer GmbH öffentlich-rechtlichen Prinzipien entziehen5. Der Streit über die Rechtsstellung des Aufsichtsrats der kommunalen GmbH ist also nach wie vor brandaktuell, und da sich Gerichte und Parteien immer wieder auf den Jubilar berufen, wenn auch für ganz unterschiedliche Positionen, ist ihm zu Ehren der Versuch einer Klärung zu unternehmen.
II. Zur Weisungsgebundenheit der Aufsichtsratsmitglieder einer kommunalen GmbH 1. Meinungsstand Als Meinungsführer der Lehre, dass die Aufsichtsratsmitglieder im fakultativen Aufsichtsrat der kommunalen GmbH keinen Weisungen der Kommune
__________ 2 S. zum aktuellen Meinungsstand statt aller Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, § 20 Rz. 1428; OVG Münster, ZIP 2009, 1718, 1721. Die Kommunalordnungen sehen dies teilweise ausdrücklich vor, vgl. Art. 93 Abs. 2 Satz 3 BayGO, § 104 Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 BWGemO, § 125 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 HGO, § 104 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. Abs. 2 BbgGO, § 52 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Satz 3 VerfBrhf, § 71 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. Abs. 2 KV M-V, § 113 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GO NRW, § 88 Abs. 1 Satz 6 i. V. m. Abs. 3 RhPfGO, § 119 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. Abs. 2 GO LSA, § 104 Abs. 2 i. V. m. § 25 Abs. 1 SchlHGO. 3 Zum aktuellen Meinungsstand Lutter/Krieger (Fn. 2), § 20 Rz. 1433; Raiser/Heermann in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2006, § 52 Rz. 141; VG Regensburg, LKV 2005, 365, 369 ff.; BayVGH, NVwZ-RR 2007, 622 ff.; Wilhelm, DB 2009, 944 ff.; Zieglmeier, ZGR 2007, 144, 159 ff. jew. m. w. N. 4 BayVGH, NVwZ-RR 2007, 622 (die Frage der Öffentlichkeit der Sitzungen hatte sich in dieser Instanz erledigt). 5 VG Regensburg, LKV 2005, 365, 370: „Das Ausweichen auf privatrechtliche Formen darf die grundsätzlichen öffentlich-rechtlichen Bindungen einer Gemeinde nicht aushebeln. Sowohl das Demokratie- wie das Rechtsstaatsprinzip und damit auch das darin verankerte Öffentlichkeitsprinzip mit seinen konkreten Ausprägungen gelten für einen Träger öffentlicher Gewalt unabhängig von der verwendeten Rechtsform. … Aus dem vom Demokratieprinzip bzw. dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Öffentlichkeitsprinzip ergibt sich auch bei Privatisierung kommunaler Einrichtungen ein Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit, zumal die Kommune nicht der Verpflichtung unterliegt, ihre wirtschaftlichen Betätigungen vor der Öffentlichkeit möglichst geheim zu halten.“; zust. Ziegelmeier, LKV 2005, 338; entschieden ablehnend Wilhelm, DB 2009, 944 ff. Das Urteil liegt auf der Linie einer Bundestagsinitiative „gegen Geheimniskrämerei – Entscheidungen kommunaler Gesellschaften transparent gestalten“ (BT-Drucks. 16/395 v. 18.1.2006), nach der Änderungen des AktG und des GmbHG betreffs „Öffentlichkeit“ der Tätigkeit kommunaler Aufsichtsräte erwogen werden sollen.
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Zur Rechtsstellung der Aufsichtsratsmitglieder einer kommunalen GmbH
bzw. des Gemeinderates unterliegen sollen, wird immer wieder der Jubilar genannt6. Daraus wird geschlossen, dass die Bestimmungen in den Gemeindeordnungen der Bundesländer, die ein Weisungsrecht der Gemeinde gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern einer kommunalen GmbH vorsehen7, „gegen höherrangiges Bundesrecht, nämlich die gesellschaftsrechtlichen Regelungen des AktG und des GmbHG“ verstoßen8. Der Jubilar hat sich freilich mit dem Problem der kommunalen Einmann-GmbH gar nicht ausdrücklich befasst9, und deshalb kann man sich auf ihn auch nicht für den Spezialfall des fakultativen Aufsichtsrats der Einmann-GmbH einer Kommune berufen. Seit jeher leidet die Diskussion vielmehr darunter, dass nicht danach unterschieden wird, ob das kommunale Unternehmen eine AG, eine mehrgliedrige GmbH (mit nicht der Kommune zuzurechnenden Anteilseignern) oder – und nur der Fall interessiert hier – eine mitbestimmungsfreie Einmann-GmbH der Kommune ist10. Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, dass die Mitglieder im obligatorischen Aufsichtsrat einer mehrgliedrigen Kapitalgesellschaft gesetzliche Aufgaben haben, die sich mit einer Weisungsgebundenheit im Verhältnis zum entsendenden Gesellschafter nicht vertragen11. Die ganz überwiegend für richtig gehaltene Behauptung, dass dies auch für die mitbestimmungsfreie EinmannGesellschaft der Kommune gelte12, ist aber das thema probandum. Eine solche
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6 Vgl. nur Raiser/Heermann in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG (Fn. 3), § 52 Rz. 146 mit Fn. 349. 7 S. dazu die Nachw. o. Fn. 2. 8 Raiser/Heermann in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG (Fn. 3), § 52 Rz. 146 m. w. N. 9 Vgl. Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 52 Rz. 328. 10 S. zur Notwendigkeit dieser Unterscheidung eingehend Altmeppen, NJW 2003, 2561, 2563 ff.; vgl. dazu auch Lutter/Krieger (Fn. 2), § 20 Rz. 1428. 11 So schon BGHZ 36, 296, 306 = NJW 1962, 846 unter Hinweis auf RGZ 165, 68, 79; weitere Nachw. bei Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG (Fn. 9), § 52 Rz. 328. Soweit die h. M. sich dazu auch auf die „Veba“-Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1977 (BGHZ 69, 334 = NJW 1978, 104) beruft, ist freilich festzustellen, dass der BGH dort nichts über ein „Weisungsrecht“ gegenüber den Mitgliedern des Aufsichtsrats einer Kapitalgesellschaft der Gebietskörperschaft gesagt hat. Es ging dort allein um die Konzerneigenschaft der öffentlichen Hand (BGHZ 69, 334, 338 f.: „Dem lässt sich nicht entgegenhalten, die öffentliche Hand nehme, auch soweit sie sich privatwirtschaftlich betätige, wegen ihrer Bindungen an das Allgemeinwohl eine Sonderstellung ein … [340]. Vielmehr begründet gerade umgekehrt die Tatsache, dass sich die öffentliche Hand auf das Gebiet der Privatwirtschaft begibt, um dort ihre unter Umständen sehr vielfältigen Interessen zu verfolgen, erst recht die Notwendigkeit, es bei der Anwendung der Vorschriften zum Schutz abhängiger Unternehmen zu belassen.“). 12 S. dazu etwa Raiser/Heermann in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG (Fn. 3), § 52 Rz. 146: „Mit dem BGH und der h. L. ist davon auszugehen, dass sich eine Gemeinde gegenüber ihren Aufsichtsratsmitgliedern in einer kommunalen GmbH grundsätzlich keine Weisungsrechte vorbehalten kann …“; Püttner, DVBl. 1986, 748 (751): „Rechte und Pflichten der Gesellschaftsorgane und ihrer Mitglieder bestimmen sich ausschließlich nach Gesellschaftsrecht und der für das Kommunalrecht zuständige Gesetzgeber kann in diese Bereiche nicht eindringen …“; Möller, Die rechtliche Stellung und Funktion des Aufsichtsrats in öffentlichen Unternehmen der Kommunen, 1999, S. 224 ff.; Reichert, Die besondere Stellung der Vertreter der öffentlichen Hand im Aufsichtsrat einer GmbH, 1983, S. 87, 105 ff.; Schwintowski, NJW 1995, 1316,
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Differenzierung hinsichtlich des kommunalen Unternehmens trifft die offenbar immer noch ganz h. M. nicht13. Nach der Gegenauffassung sind Weisungsrechte gegenüber Aufsichtsratsmitgliedern jedenfalls in der mitbestimmungsfreien kommunalen Einmann-GmbH unter gesellschaftsrechtlichen Aspekten ohne weiteres zulässig, zumal da sie nach dem jeweiligen Kommunalrecht sogar geboten sind14. 2. Stellungnahme a) Die Situation in der AG Die eigenverantwortliche und weisungsfreie Amtsführung der Organwalter im Aufsichtsrat der AG ist eine Selbstverständlichkeit. Die Hauptversammlung kann seit 1937 noch nicht einmal dem Vorstand Weisungen erteilen (§ 70 Abs. 1 AktG 1937 = § 76 Abs. 1 AktG 1965)15. Aus dem Grundsatz der „höchstpersönlichen und weisungsfreien Amtsführung“ wird gefolgert, dass die in den Aufsichtsrat der AG entsandten Mitglieder sich auch nicht an die Weisungen des entsendenden Aktionärs binden lassen dürfen16. Das soll nach h. M. insbesondere auch dann gelten, wenn das entsandte Aufsichtsratsmitglied Beamter einer Gebietskörperschaft ist, welche die Anteile an der AG hält und zugleich Dienstherr des Beamten ist17. Die Gegenmeinung argumentiert, ein solcher entsandter Beamter dürfe zumindest Weisungen erhalten, deren Befolgung für die AG nicht nachteilig sei18.
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1318; ders., NJW 1990, 1009, 1013; Thümmel, DB 1999, 1891, 1892 f.; Kessler, GmbHR 2000, 71, 76 ff.; Harder/Ruter, GmbHR 1995, 813, 814 f.; zuletzt Banspach/Nowak, Der Konzern 2008, 195, 198 jew. m. w. N. S. die Nachw. o. Fn. 12. Altmeppen, NJW 2003, 2561, 2563 ff.; zust. OVG Münster, ZIP 2009, 1718, 1721; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 52 Rz. 130; eingeschränkt zust. auch Lutter/Krieger (Fn. 2), § 20 Rz. 1428: „Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats verträgt sich zwar nicht mit einer Weisungsbindung, d. h. aber nicht, dass eine statutarische Weisungsbindung unzulässig wäre, sondern nur, dass in einem solchen Fall das Organ den Namen Aufsichtsrat nicht verdient, sondern es sich insoweit um eine rechtlich folgenlose Fehlbezeichnung handelt“. S. zur Rechtslage vor 1937 auf der Grundlage des HGB von 1897 die Nachw. bei Schlegelberger/Quassowski, AktG, 3. Aufl. 1939, § 103 Rz. 1; Fleischer in Bayer/ Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, 2007, Kapitel 9 Rz. 6 ff.: Die Generalversammlung besaß damals – ähnlich wie die Gesellschafterversammlung der GmbH – allumfassende Zuständigkeit, soweit Gesetz oder Satzung diese nicht eingeschränkt hatten. Insbesondere war die Generalversammlung im Verhältnis zur Geschäftsleitung weisungsbefugt. S. bereits RGZ 165, 68, 79; BGHZ 36, 296, 306 f.; BGHZ 90, 381, 398; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 101 Rz. 10; Hoffmann-Becking in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2008, § 30 Rz. 25; Habersack in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 101 Rz. 51 jew. m. w. N. Hüffer, AktG (Fn. 16), § 101 Rz. 10; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 101 Rz. 77; Habersack in MünchKomm.AktG (Fn. 16), § 101 Rz. 51 jew. m. w. N. Kropff in FS Huber, 2006, S. 841, 849 f.; Hopt/Roth in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2006, § 101 Rz. 149 mit Rz. 147 f.; Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1996, § 101 Rz. 155 jew. m. w. N.
Zur Rechtsstellung der Aufsichtsratsmitglieder einer kommunalen GmbH
Die h. M. wird auch im Fall der mitbestimmungsfreien Einmann-AG – der nirgends besonders erwähnt wird – annehmen, dass Aufsichtsratsmitglieder keinen Weisungen unterliegen dürfen. Dafür spricht in formaler Hinsicht nicht nur § 23 Abs. 5 AktG, sondern in der Sache vor allem die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers von 1937, dass die Geschäfte der AG nicht mehr von der Hauptversammlung beherrscht oder zumindest beherrschend kontrolliert werden dürfen19. Gewiss vermutet der Gesetzgeber des AktG von 1965, dass der mehrfach unternehmerisch engagierte Alleinaktionär die Geschäfte der faktisch abhängigen AG beherrschen wird (§§ 18 Abs. 1 Satz 3, 17 Abs. 2, 16 AktG), und die Gebietskörperschaft ist in diesem konzernrechtlichen Sinne mehrfach engagiert20. Das Konzernrecht erlaubt zwar eine für die abhängige AG „nicht nachteilige“ Koordination der Geschäftsleitung verbundener Unternehmen (§§ 311 ff. AktG). Dieser konzernrechtliche Befund ändert aber nichts daran, dass die Organisationsverfassung auch im Falle der abhängigen Einmann-AG eine klare Kompetenzzuweisung an den Vorstand enthält, die Geschäfte der AG „eigenverantwortlich“ zu leiten (§ 76 AktG), das Organ Aufsichtsrat demgegenüber den gesetzlichen Auftrag hat, die Geschäftsleitung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Organwalters eines Aufsichtsorgans zu überwachen (§§ 111, 116 AktG). Eine Weisungsgebundenheit von Organwaltern im Aufsichtsrat, mögen sie entsandt oder aber – wie im Falle der mitbestimmungsfreien Einmann-Gesellschaft – ohnehin vom Alleinaktionär gewählt worden sein (§ 101 AktG), scheidet dann im Ansatz aus. Hintergrund ist die Vorstellung des Gesetzgebers, dass die Regelung der Struktur der Körperschaft AG – grundlegend anders als im Falle der Personengesellschaft – keineswegs die Angelegenheit der Gesellschafter sein kann. Auch in der Einmann-AG gibt es zunächst die Unverzichtbarkeit von Haftungsansprüchen gegen Organwalter im Vorstand und Aufsichtsrat, gegen das herrschende Unternehmen und seine Geschäftsleiter (arg. §§ 93 Abs. 4, 5 Satz 2 und 3, 116, 117 Abs. 5, 309 Abs. 4, 310 Abs. 4, 317 Abs. 4, 318 Abs. 4 AktG), ferner zwingende Regelungen zur persönlichen Eignung und Neutralität von Aufsichtsratsmitgliedern (§ 100 AktG). Dürfte der Alleinaktionär den Organwaltern im Aufsichtsrat Weisungen erteilen, hätte dies mit der Grundkonzeption der Organisationsverfassung nach dem AktG, derzufolge der Vorstand eigenverantwortlich und unabhängig die Geschäfte leitet und dabei im Interesse der Körperschaft AG von einem verantwortungsbewusst, eigenverantwortlich, unabhängig und sorgfältig handelnden Aufsichtsrat überwacht wird, nichts mehr zu tun. Im Zentrum stünde nicht mehr das Interesse der Körperschaft als solcher, sondern der Alleinaktionär, der seine Interessen auch gegen die Interessen der Körperschaft AG richten könnte, indem er über den weisungsgebundenen Aufsichtsrat Einfluss auf die Geschäfte der AG nimmt.
__________ 19 S. dazu die Nachw. o. Fn. 15. 20 Zur konzernrechtlichen Unternehmensqualität der Gebietskörperschaften s. zuletzt BGHZ 175, 365 = NJW 2008, 1583; Hüffer, AktG (Fn. 16), § 15 Rz. 13 mit reichen Nachw.
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Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass die Vorstellung einer Weisungsgebundenheit des Aufsichtsrats der AG mit dieser Körperschaft, wie sie seit 1937 existiert, nichts mehr zu tun hat21. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass die h. M. sehr zu Recht von einer Weisungsfreiheit von Aufsichtsratsmitgliedern der AG ausgeht. Nichts anderes gilt in der Einmann-AG, weil jede davon abweichende These mit der Grundordnung der Körperschaft AG unvereinbar ist. Wenn der Alleingesellschafter seinen Individualinteressen mehr Spielraum geben will, muss er eine andere als die Rechtsform der AG wählen, bei der nämlich ausschließlich und allein die Interessen der Körperschaft zu verfolgen sind22. Die Rechtsform der AG ist also für kommunale Unternehmen eher ungeeignet, wenn die Kommune über den Aufsichtsrat die Geschäftsleitung beherrschen und dabei ihre Interessen auch dann durchsetzen will, wenn diese mit dem Unternehmensinteresse der AG kollidieren23. b) Die Situation in der GmbH Die mangelnde Differenzierung zwischen AG und GmbH im Zusammenhang mit unserem Thema24 beruht darauf, dass die grundlegenden Unterschiede zwischen der Körperschaft AG und der juristischen Person GmbH, die man ebenfalls als „Körperschaft“ bezeichnet, in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend vergessen wurden. Man glaubt heute offenbar, es handele sich bei diesen Kapitalgesellschaften um in jeder Hinsicht gleich zu behandelnde Erscheinungen25.
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21 Treffend Flume, BGB AT I/2, Die juristische Person, 1983, S. 59: „Haben bei dem Personenunternehmen der Einzelkaufmann bzw. die Gesellschafter als Gruppe grundsätzlich die Verfügung über das Unternehmensinteresse, so daß dieses kein selbständiges Moment gegenüber den auf das Unternehmen bezogenen Interessen des Einzelkaufmanns oder der Gesellschafter ist, so haben bei der Aktiengesellschaft seit dem AktG von 1937 die Aktionäre nicht über das Unternehmensinteresse zu bestimmen, ja sie sind nicht einmal der unmittelbare Bezugspunkt für die Verfolgung des Unternehmensinteresses durch die Organe der Gesellschaft. Unternehmensinteresse und Gesellschaftsinteresse sind de lege lata bei der Aktiengesellschaft entsprechend der Identifikation von Unternehmen und juristischer Person bei der Aktiengesellschaft identisch. Dabei muß man beachten, daß das Gesellschaftsinteresse nicht mit dem Interesse der Aktionäre als der Gesellschafter gleichzusetzen ist.“ 22 Das Dividendeninteresse der Aktionäre dürfen die Organe Vorstand und Aufsichtsrat zwar zum Anlass nehmen, in den gesetzlichen Grenzen Vermögen der AG auszuschütten (§§ 57, 58, 60, 62 AktG). Bei genauer Betrachtung „beschränken“ diese Bestimmungen aber nicht „allumfassende Vermögensrechte“ der Aktionäre an „ihrer“ AG, sondern sie schaffen einen Erlaubnistatbestand dafür, dass Vorstand und Aufsichtsrat das Vermögensinteresse der AG im Dividendeninteresse der Aktionäre zurückstellen dürfen. 23 Das politisch motivierte Interesse der Kommune ist vielfach mit dem Unternehmensinteresse einer Handelsgesellschaft unvereinbar, vgl. Altmeppen, NJW 2003, 2561 ff. 24 S. dazu die Nachw. II. 1. 25 Letztes Beispiel dafür sind die identischen Neuregelungen, die der Gesetzgeber des MoMiG im Jahre 2008 zu „insolvenzbegründenden Zahlungen“ sowie zur Kapitalerhaltung und Kapitalaufbringung in AG und GmbH geschaffen hat (§§ 57 Abs. 1 Satz 3, 27 Abs. 3, 4, 92 Abs. 2 Satz 3 AktG; §§ 30 Abs. 1 Satz 2, 19 Abs. 4 und 5, 64
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In Wirklichkeit ist die GmbH – grundlegend anders als die AG – keine echte „Körperschaft“. Materiell ist die GmbH, die nur um der Haftungsbeschränkung willen als juristische Person konzipiert wurde, „Personengesellschaft“, was es ihren Gesellschaftern erlaubt, deren Geschäfte auch gegen die Interessen der Gesellschaft zu leiten26. Dem kann man nicht entgegenhalten, dass es auch unverzichtbaren Gläubigerschutz in der GmbH gibt (§§ 30, 31, 43 Abs. 3 GmbHG), den die Rechtsprechung um ungeschriebene Gläubigerschutzinstrumente wie etwa die Existenzvernichtungshaftung (heute: nach Maßgabe des § 826 BGB) ergänzt hat27. Denn der unverzichtbare Gläubigerschutz ist im Falle der GmbH ausschließlich dem Umstand gewidmet, dass die Gesellschafter den Gläubigern – anders als in der typischen Personengesellschaft – nicht unbeschränkt persönlich haften, und das ist auch der Grund für die Insolvenzantragspflicht, welche der Gesetzgeber im Jahre 1892 eingeführt hat (§ 64 Abs. 1 GmbHG a. F.). Der unverzichtbare Gläubigerschutz in der GmbH ändert aber nichts daran, dass es sich bei dieser Gesellschaftsform gerade nicht um eine der AG entsprechende „Körperschaft“ handelt, deren Interessen von denjenigen ihrer Mitglieder streng zu unterscheiden sind. Jenseits der Grenzen des zwingenden Gläubigerschutzrechtes können die Gesellschafter nämlich – ebenso wie in der Personengesellschaft – über das Unternehmensinteresse ihrer GmbH privatautonom disponieren. Die Gesellschafter sind der Bezugspunkt des Unternehmensinteresses ihrer GmbH, insofern nicht anders als in der Personengesellschaft. Dies bestätigt endlich die Tatsache, dass
__________ Satz 3 GmbHG). Gewiss ergeben sich hier Parallelen aus dem Gesichtspunkt der Haftungsbeschränkung, die das Gläubigerschutzinteresse betreffen. Wie misslungen die Neuregelungen aber sind, ist an andere Stelle dargestellt worden (Altmeppen in FS Hüffer, 2010, S. 1 ff.; ders., NZG 2010, 361 ff., 401 ff., 441 ff. jew. m. w. N.). 26 Treffend Flume, AT I/2 (Fn. 21), S. 61 f.: „Anders als bei der Aktiengesellschaft ist nach der gesetzlichen Regelung die Rechtslage bei der GmbH. Die Geschäftsführer der GmbH haben anders als der Vorstand der AG keine selbständige Position gegenüber den Gesellschaftern, sondern sind deren Weisungen unterworfen. Wenn auch das Unternehmen als Wirkungseinheit in der GmbH als juristischer Person verselbständigt ist, bestimmen doch wie bei der Personengesellschaft die Gesellschafter nach ihren Interessen über das Unternehmensinteresse. … Die sämtlichen Gesellschafter oder der Einmann-Gesellschafter können … bei der GmbH, soweit nicht besondere gesetzliche Regelungen entgegenstehen, … nach ihren Interessen selbst entgegen den Interessen der Gesellschaft, d. h. entgegen dem Unternehmensinteresse, die Geschäftsführung bestimmen. … Die personenmäßige Zuordnung des Unternehmens ist maßgeblich dafür, wem die Entscheidung über das Unternehmensinteresse zusteht. … Die GmbH ist materiell als Personengesellschaft zu verstehen, die nur um der Haftungsbeschränkung willen vermögensmäßig als juristische Person gegenüber den Gesellschaftern verselbständigt ist. Für die GmbH gilt deshalb unter dem Vorbehalt der Wahrung des Stammkapitals als Haftungskapital das Gleiche wie für die Personengesellschaft. Grundsätzlich anders ist es jedoch nach dem Aktienrecht bei der Aktiengesellschaft, indem Vorstand und Aufsichtsrat als Organe der juristischen Person unabhängig gegenüber den Aktionären in Eigenverantwortung über das Unternehmensinteresse nach pflichtgemäßem Ermessen befinden.“ 27 S. zum aktuellen Meinungsstand betreffs der Existenzvernichtungshaftung Roth/ Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 13 Rz. 72 ff.
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der unverzichtbare Gläubigerschutz heutzutage in der Personengesellschaft GmbH & Co. KG kein anderer ist als in der GmbH. Niemand behauptet aber, die GmbH & Co. KG sei eine der AG verwandte oder gar wesensgleiche „Körperschaft“, auch wenn in beiden Varianten die unbeschränkte Haftung natürlicher Personen ausgeschlossen ist. Kurzum: Die GmbH ist materiell eine „Personengesellschaft“, und deswegen können die Gesellschafter, auf die „das Unternehmensinteresse“ bezogen ist, die Organisationsregeln ihrer Gesellschaft weitgehend privatautonom bestimmen, die Geschäfte ihrer Gesellschaft sogar entgegen den Interessen ihres Unternehmens leiten. Aus Sicht des Gläubigerschutzes hat es sein Bewenden mit Regeln, die wegen der Haftungsbeschränkung auf das Vermögen der GmbH unerlässlich und deshalb nicht disponibel sind. c) Auswirkungen für die Organwalter im fakultativen Aufsichtsrat der GmbH Erkennt man den grundlegenden Unterschied zwischen den Kapitalgesellschaften AG und GmbH, soweit es um ihren körperschaftlichen Charakter geht28, wird evident, dass in der mitbestimmungsfreien GmbH Privatautonomie der Gesellschafter hinsichtlich der Errichtung eines fakultativen Organs Aufsichtsrat herrscht: In der AG kommt dies im Ansatz nicht in Betracht, nicht nur wegen des Prinzips der formellen Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 AktG), sondern in erster Linie wegen der Grundentscheidung des Gesetzgebers für die eigenverantwortliche Leitung und Überwachung der Geschäftsleitung durch die Organe Vorstand und Aufsichtsrat, die unabhängig von Individualinteressen des Aktionärs allein im Interesse der Körperschaft AG zu erfolgen haben29. Demgegenüber hat der Gesetzgeber des § 52 Abs. 1 GmbHG, indem er dort Satzungsautonomie der Gesellschafter hinsichtlich des fakultativen Aufsichtsrats angeordnet hat, nur die Konsequenz aus dem bezeichneten Unterschied zwischen AG und GmbH gezogen. In der GmbH bestimmen die Gesellschafter die Geschäfte, weil sie die übergeordnete Geschäftsführungskompetenz besitzen30. Sie werden dabei von niemandem „überwacht“, wie nicht näher erläutert werden muss. Ob die Gesellschafter den Geschäftsführer der GmbH überwachen lassen wollen, wer dies und wie er es zu tun hat, unterliegt ausschließlich der Privatautonomie der Anteilseigner der GmbH. Dies setzt § 52 Abs. 1 GmbHG als selbstverständlich voraus. Deshalb können die Gesellschafter in der Satzung anordnen, dass und in welchem Umfang die Organwalter im fakultativen Aufsichtsrat der GmbH den Weisungen der Gesellschafter oder den von diesen bestimmten Personen zu folgen haben. Der Umstand, dass die Aufsichtsratsmitglieder in der mehrgliedrigen GmbH nicht die Interessen einzelner, mit anderen rivalisierender Gesellschafter verfolgen dürfen, die sie entsandt haben, und insoweit deren Weisun-
__________ 28 Dazu II. 2. a), b). 29 Dazu eingehend II. 2. a). 30 Eingehend dazu Roth/Altmeppen, GmbHG (Fn. 27), § 37 Rz. 3 ff. mit reichen Nachw.
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gen auch nicht zu folgen haben31, ändert daran (selbstverständlich) nichts: Es geht bei der kommunalen Einmann-GmbH – ebenso wenig wie bei jeder anderen Einmann-GmbH – nicht darum, dass Aufsichtsratsmitglieder zum Schaden der (Mit)Gesellschafter handeln könnten, indem sie Weisungen des einzigen entsendenden Gesellschafters befolgen. Im Falle der Einmann-Gesellschaft schädigt sich der Gesellschafter allenfalls selbst, wenn er dem fakultativen Aufsichtsorgan Weisungen erteilt, die der Gesellschaft zum Nachteil gereichen, und das ist in der GmbH in den Grenzen, die der zwingende Gläubigerschutz gebietet, gerade zulässig32. Fehl geht insbesondere die Behauptung, der fakultative Aufsichtsrat der GmbH dürfe nicht an Weisungen der Gesellschafter gebunden werden, weil das Publikum anderes erwarte33. Denn das Publikum erwartet gar nicht, dass der fakultative Aufsichtsrat einer Einmann-GmbH „frei von Weisungen“ sei, und „das Publikum“ hat zu einer derartigen Erwartung auch nicht die geringste Veranlassung34: In der Einmann-GmbH darf der Rechtsverkehr stets und nur erwarten, dass die zwingenden Gläubigerschutzbestimmungen beachtet werden35. Dahingestellt bleibe, ob die Bezeichnung „Aufsichtsrat“ für die weisungsgebundenen Mitglieder des fakultativen Organs der GmbH eine solche ist, welche dieses Organ noch „verdient“. Denn wer dies verneint, kommt nicht umhin, festzustellen, dass „es sich insoweit um eine rechtlich folgenlose Fehlbezeichnung handelt“36.
Wie wenig hilfreich die Diskussion darüber ist, ob das fakultative Organ der GmbH bei Weisungsgebundenheit seiner Mitglieder noch die Bezeichnung „Aufsichtsrat“ verdient, bestätigt gerade der Fall der kommunalen EinmannGmbH in eindrucksvoller Weise: Das Publikum mag die jeweiligen Bestimmungen in den Gemeindeordnungen lesen, um festzustellen, dass das Kommunalrecht Weisungsgebundenheit der Organmitglieder im Aufsichtsrat der kommunalen GmbH ausdrücklich anordnet!37
__________ 31 So richtig bereits RGZ 165, 68, 79. 32 Dazu eingehend II. 2. b). 33 Juristisch nicht einzuordnen deshalb z. B. Kessler, GmbHR 2000, 71, 77: „Es widerspräche den Geboten einer funktionalen Unternehmenspublizität, durch die Einrichtung eines ‚Aufsichtsrats‘ den Anschein ausreichender Risikovorsorge bei der Überwachung der Leitungstätigkeit zu erwecken und andererseits die Mitglieder des Überwachungsorgans durch heteronome Weisungen der zentralen Funktionsbedingung ihrer Tätigkeit zu berauben“. 34 Altmeppen, NJW 2003, 2561, 2565; zust. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 14), § 52 Rz. 130 m. w. N. 35 S. dazu II. 2. b). 36 Lutter/Krieger (Fn. 2), § 20 Rz. 1428; s. dazu auch Roth/Altmeppen, GmbHG (Fn. 27), § 52 Rz. 2 f., 9, 20 jew. m. w. N. 37 S. dazu die Nachw. o. Fn. 2. Soweit geltend gemacht wurde, die Unabhängigkeit kommunaler Aufsichtsräte müsse sich schon aus den Organwalterhaftungstatbeständen ergeben (Wilhelm, DB 2009, 944 ff. mit Hinweis auf § 52 GmbHG, §§ 116, 93 AktG), stellt dies ein Schulbeispiel für die petitio principii dar: Soweit der Alleingesellschafter die Organwalter seiner GmbH, seien es die Geschäftsleiter oder die Mitglieder im fakultativen Aufsichtsrat, „anweist“, was aufgrund der Satzungsauto-
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3. Ergebnis zu II. Die Aufsichtsratsmitglieder der mitbestimmungsfreien kommunalen EinmannGmbH können ohne weiteres an Weisungen der Kommune bzw. des Gemeinderates oder anderer Kommunalorgane gebunden werden.
III. Zur „Verschwiegenheitspflicht“ der Aufsichtsratsmitglieder einer kommunalen GmbH 1. Meinungsstand Ein nicht disponibles Prinzip der Verschwiegenheit von Aufsichtsratsmitgliedern (§§ 116, 93 Abs. 1 Satz 3 AktG)38 soll nach verbreiteter Auffassung auch für die Organwalter im fakultativen Aufsichtsrat der kommunalen EinmannGesellschaft gelten39. Die vom VG Regensburg aufgestellte These, dass jedenfalls in der kommunalen Einmann-Gesellschaft mbH ein gesellschaftsrechtlicher Grundsatz der Verschwiegenheitspflicht von Aufsichtsratsmitgliedern aus staatsrechtlichen Gründen (Demokratieprinzip, Rechtsstaatsprinzip, Öffentlichkeitsprinzip) erheblich eingeschränkt sei40, ist im Schrifttum mit der Antithese verworfen worden, die „Vertraulichkeit“ von Sitzungen kommunaler Aufsichtsräte sei rechtlich „zwingend“41. Die Verschwiegenheitspflicht soll sogar gegenüber den
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nomie auch hinsichtlich der Aufsichtsratsmitglieder rechtlich gerade zulässig ist, scheidet eine Haftung der (abhängigen!) Organwalter gegenüber der GmbH (selbstverständlich) aus (vgl. Altmeppen, NJW 2003, 2561, 2564 re. Sp., 2567 l. Sp.). Die durch Art. 1 Nr. 10 TransPuG vom 19.7.2002 (BGBl. I, S. 2681) zur Verschwiegenheit der Aufsichtsratsmitglieder angefügte Bestimmung des § 116 Satz 2 AktG ist vollständig überflüssig und nur irreführend, da § 116 AktG durch den Verweis auf § 93 AktG seit jeher auch die Verschwiegenheitspflicht mit erfasst hatte. S. schon die Nachw. bei Altmeppen, NJW 2003, 2561, 2566; aus jüngerer Zeit Raiser/ Heermann in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG (Fn. 3), § 52 Rz. 141; Lutter/Krieger (Fn. 2), § 20 Rz. 1433; Wilhelm, DB 2009, 944 ff.; Zieglmeier, ZGR 2007, 144, 159 ff.; aus der Rspr. s. VG Regensburg, LKV 2005, 365, 369 ff.; BayVGH, NVwZ-RR 2007, 622 ff. jew. m. w. N. VG Regensburg, LKV 2005, 365, 369 ff. Wilhelm, DB 2009, 944 ff., der dazu Folgendes behauptet (S. 946): „Die Aufsichtsratsmitglieder müssen die in ihre Kompetenz fallenden Angelegenheiten offen und auf die Sache bezogen diskutieren und entscheiden können. Dies ist aber nicht, jedenfalls nicht in dem gebotenen ausschließlich sachbezogenen Maße möglich, wenn die Sitzungen öffentlich sind. … Es ist offenkundig, dass durch die NichtÖffentlichkeit der Aufsichtsratssitzungen ausgeschlossen werden muss, dass jedes Aufsichtsratsmitglied statt der ausschließlichen Sachberatung sich ständig überlegen muss, wie wohl seine – öffentlich verfolgbare – Meinungsbildung und Entscheidung auf seine politische Gruppe und Wählerklientel wirken wird und welchen Beitrag er um der öffentlichen Wirkung willen liefern sollte“ (sic!) … „Mit der Vertraulichkeit wäre insbesondere unvereinbar, wenn Mitglieder des Aufsichtsrats andere Mitglieder wegen deren Meinung und Abstimmung im Aufsichtsrat in der Öffentlichkeit abstempeln würden.“ Wilhelm möchte gegenüber seiner Sichtweise noch nicht einmal dem Gesetzgeber Spielraum zubilligen, da es nur um eine reine „Rechtsfrage“ gehe, a. a. O. S. 944: „Die Frage der Öffentlichkeit oder Nichtöffentlichkeit bei der Aufsichtsratstätigkeit in kommunalen Gesellschaften ist eine Frage, die der ‚Jurist als
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Mitgliedern des Kollektivorgans Gemeinderat bestehen, weil Geheimhaltung aufgrund der Größe und Zusammensetzung des Gemeinderats „nicht gewährleistet“ sei42. Nach der Gegenansicht ist es die autonome Entscheidung der Alleingesellschafterin (Kommune), die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder im fakultativen Aufsichtsrat nach ihrem Belieben aufzulockern bzw. – etwa im Verhältnis zu den Mitgliedern des Gemeinderats – vollständig aufzuheben43. 2. Stellungnahme Die Streitfrage zur „Verschwiegenheitspflicht“ und „Vertraulichkeit“ in kommunalen Aufsichtsräten erledigt sich mit der Einsicht, dass die Mitglieder sogar den Weisungen der Alleingesellschafterin bzw. derer Delegatare unterworfen sind44. Ohne entsprechende Aufhebung durch die Gesellschafterin besteht (selbstverständlich) eine Verschwiegenheitspflicht der Organwalter im fakultativen Organ Aufsichtsrat der GmbH (§ 52 Abs. 1 GmbHG, § 116 AktG). Doch es bedarf kaum des Hinweises, dass der Alleingesellschafter der GmbH jeden, sei es den Geschäftsleiter, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwalt, Organwalter im kommunalen Aufsichtsrat oder wen auch immer von der Verschwiegenheitspflicht, die im Verhältnis zur GmbH besteht, befreien kann, weil er der „Herr“ des „Geheimnisses“ ist45. Die Vorstellung, das Gesellschaftsrecht schütze die Interessen der kommunalen GmbH gegen den Willen der Kommune vor einem „unzuverlässigen“ Gemeinderat, der vertrauliche Informationen womöglich in die Öffentlichkeit bringe, wodurch dem kommunalen Unternehmen „… ein erheblicher materieller oder immaterieller Schaden“ entstehen könne46, stellt die Dinge geradezu auf den Kopf47. Wie fern die Annahme liegt, die kommunale GmbH müsse vor den „geschwätzigen“ Mitgliedern des Gemeinderats geschützt werden, weil sich dies aus „zwingendem“ Gesellschaftsrecht (§ 52 GmbHG, §§ 116, 93 AktG) ergebe, bestätigt das einfache Beispiel eines fakultativen Aufsichtsrats, der kraft Satzung der kommunalen GmbH aus sämtlichen Ratsmitgliedern besteht. Will jemand behaupten, dass eine Gemeinde nach geltendem Gesellschaftsrecht daran gehindert wäre,
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solcher‘ entscheiden soll und kann …“ (Wilhelm dürfte entgangen sein, dass Flume, der insoweit eine Unterscheidung Winscheids aufgegriffen hatte, mit dieser Anrufung des „Juristen als solchem“ den Entscheidungsspielraum des Richters – nicht etwa den des Gesetzgebers – beschränkt wissen wollte! Der Unterschied ist elementar: Der Gesetzgeber darf selbstverständlich – anders als der „Jurist als solcher“ – nach seinem politischen Ermessen entscheiden). Möller (Fn. 12), S. 160; Harder/Ruter, GmbHR 1995, 813, 816; aus jüngerer Zeit Raiser/ Heermann in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG (Fn. 3), § 52 Rz. 141; Lutter/Krieger (Fn. 2), § 20 Rz. 1433. Altmeppen, NJW 2003, 2561, 2566; zust. Zieglmeier, ZGR 2007, 144, 159 ff.; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 14), § 52 Rz. 67. Eingehend II. S. dazu bereits Altmeppen, NJW 2003, 2561, 2566. So statt aller Möller (Fn. 12), S. 160 m. w. N. S. bereits Altmeppen, NJW 2003, 2561, 2566; zust. Zieglmeier, ZGR 2007, 144, 159 ff.; wohl auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG (Fn. 14), § 52 Rz. 67.
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den fakultativen Aufsichtsrat ihrer GmbH jeweils mit allen Ratsmitgliedern zu besetzen? Ein bemerkenswertes Zeugnis mangelnden Verständnisses von der Privatautonomie ist auch die Vorstellung, die Gemeinde habe es nicht in der Hand, durch entsprechende Satzungsregelungen den fakultativen Aufsichtsrat von allen „Geheimnispflichten“ und „Vertraulichkeitsgeboten“ zu befreien, insbesondere anzuordnen, dass er „öffentlich“ tagen müsse48. Es ist zu wiederholen, dass die Gemeinde als Alleingesellschafterin der GmbH selbst bestimmen kann, wie „verschwiegen“ sie betreffs der kommunalen GmbH in der Öffentlichkeit sein will49. Der Hinweis auf Haftungstatbestände für Aufsichtsratsmitglieder (§ 52 GmbHG, §§ 116, 93 AktG)50 läuft in diesem Zusammenhang abermals auf eine petitio principii hinaus: Wenn und soweit der fakultative Aufsichtsrat nach der Anordnung der Alleingesellschafterin der kommunalen GmbH „öffentlich“ zu tagen hat, kommt eine Haftung der Aufsichtsratsmitglieder von vornherein nicht unter dem Aspekt in Betracht, dass dort „Geheimnisse“ preisgegeben würden: Die Gemeinde will in diesem Fall gerade keine unternehmensbezogenen Geheimnisse vor ihren Bürgern haben, und ein Kandidat, welcher sich einem „öffentlich verfolgbaren“ Wirken im Organamt nicht gewachsen sieht51, mag das Amt im fakultativen Aufsichtsrat der kommunalen GmbH unter Hinweis auf seine „mangelnde Zivilcourage in der Öffentlichkeit“ ablehnen. Selbstverständlich ist andererseits, dass die Bürger keinen rechtlichen Anspruch auf öffentliche Sitzungen des Aufsichtsrats der kommunalen GmbH haben52. Doch hat die Frage, welche Rechte der Bürger hinsichtlich der „Öffentlichkeit“ oder „Geheimhaltung“ von Angelegenheiten der kommunalen GmbH kraft öffentlichen Rechts hat, nicht das Geringste mit derjenigen zu tun, ob die Alleingesellschafterin der kommunalen GmbH berechtigt ist, im Interesse der Bürger „Öffentlichkeit“ der Tätigkeit von Organwaltern in der kommunalen GmbH herzustellen. Sie hat insoweit „alle Rechte“, weil sie die Herrin des Geheimnisses ist, welches gegen ihren Willen zu schützen gewiss nicht die Aufgabe der Organwalter im fakultativen Aufsichtsrat der kommunalen GmbH ist. Wer die Entscheidung der Kommune, die Organwalter des fakultativen Aufsichtsrats gegenüber allen Gemeinderatsmitgliedern oder gar gegenüber der gesamten Öffentlichkeit von „Verschwiegenheit“ und „Vertraulichkeit“ zu entbinden, mit immerhin erwägenswerten Gründen für unklug hält, hat damit bei weitem noch nicht die Rechtsgrundlage, seine Bewertungen zur „Vertraulichkeit“ kommunaler Aufsichtsräte für rechtlich „zwingend“ zu halten. Man höre dazu lieber auf einen großen Gelehrten:
__________ 48 So offenbar Wilhelm, DB 2009, 944 ff. (Fn. 41): „Nichtöffentlichkeit“ sei „rechtlich zwingend“. 49 Altmeppen, NJW 2003, 2561, 2566. 50 So Wilhelm, DB 2009, 944 ff., dazu bereits Fn. 37. 51 Vgl. dazu die überraschend fürsorglichen Bedenken von Wilhelm, DB 2009, 944, 946 (Fn. 41). 52 Tendenziell zu weitgehend also VG Regensburg, LKV 2005, 365, 369 ff.; wesentlich einschränkend denn auch BayVGH, NVwZ-RR 2007, 622 ff.
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IV. Abweichungen in der mitbestimmten Einmann-GmbH? Auch dann, wenn die kommunale Einmann-GmbH der Mitbestimmung unterliegt, ist die Geschäftsleitung weisungsgebunden. Der Aufsichtsrat der mitbestimmten GmbH hat sich damit abzufinden, dass eine als „endgültig“ erklärte Weisung der Gesellschafter stets Vorrang vor dem abweichenden Votum des Aufsichtsrats hat54. Daraus könnte sich ergeben, dass die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat der mitbestimmten GmbH aufgrund einer Satzungsbestimmung hinsichtlich der Geschäftsleitungsangelegenheiten ebenfalls den Weisungen der Gesellschafterversammlung unterworfen werden dürfen. Der Umstand, dass die Mitbestimmung im Organ Aufsichtsrat stattfindet, besagt nichts darüber, welchen rechtlichen Status die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat im Verhältnis zur Gesellschafterversammlung haben müssen. Insbesondere haben die Arbeitnehmer keinen Anspruch darauf, dass die Anteilseignervertreter „weisungsfrei“ und „unabhängig“ sind, weil das Verhältnis zwischen den Anteilseignern einer Kapitalgesellschaft und ihren Repräsentanten in einem Aufsichtsrat die Arbeitnehmer der Kapitalgesellschaft und deren Vertreter im Aufsichtsrat gar nichts angeht. Kann aber die Gesellschafterversammlung die Geschäftsleitung der mitbestimmten GmbH ohnehin aufgrund ihrer übergeordneten Geschäftsführungskompetenz bestimmen, spricht nichts dagegen, dass auch die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat der GmbH schon im Vorfeld dieser Entscheidungsfindung Weisungen der Gesellschafterversammlung beachten müssen. Es mag dahingestellt bleiben, ob sich die Mitbestimmung in der GmbH wegen des Weisungsrechts der Gesellschafter letztlich als „Farce“ erweist55. Denn der deutsche Gesetzgeber hat (sehr zu Recht) entschieden, dass die Gesellschafter auch in der mitbestimmten GmbH Bezugspunkt des Unternehmensinteresses sind und die übergeordnete Geschäftsführungskompetenz besitzen, das Geschäftsleitungsorgan insbesondere im Verhältnis zur Gesellschafterversammlung der GmbH keine eigenverantwortliche Stellung hat. Auf Wunsch der Gesellschafter sollte dies auch für Anteilseignervertreter in einem Organ gelten können, welches die weisungsgebundene Geschäftsleitung der GmbH nur kontrollieren soll. Lediglich die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der mitbestimmten GmbH haben unzweifelhaft eigenständige Rechte auch im Verhältnis zur Gesellschafterversammlung, die ihnen „Unabhängigkeit“ verschaffen. Auch die Disponibilität der Regelungen zur Verschwiegenheit im Aufsichtsrat, die sich für den fakultativen Aufsichtsrat der GmbH als richtig herausgestellt hat, könnte ohne Verstoß gegen Arbeitnehmerinteressen akzeptiert werden.
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53 Flume, BGB AT I/2 (Fn. 26), S. 212; ders., ZIP 1995, 161, 167. 54 S. nur BGHZ 135, 48, 55 f. = NJW 1997, 1985; weitere Nachw. bei Roth/Altmeppen, GmbHG (Fn. 27), § 52 Rz. 56. 55 So Koppensteiner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 37 Rz. 33.
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Das Mitbestimmungsrecht verweist zwar auf § 109 AktG (vgl. § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG; § 3 Abs. 2 MontanMitbestG; § 3 Abs. 1 MitbestErgG; § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG), der die Nichtöffentlichkeit von Aufsichtsratssitzungen voraussetzt. Das schließt aber die Information des gesamten Gemeinderates gewiss nicht aus, und die Alleingesellschafterin muss es ferner in der Hand haben, in einer ihr zweckmäßig erscheinenden Weise die Öffentlichkeit über die Entscheidungen im kommunalen Aufsichtsrat zu informieren. Auch die Arbeitnehmervertreter werden dies hinnehmen müssen, weil sie keinen originären Anspruch auf „Vertraulichkeit“ ihrer Organwaltertätigkeit haben56. Doch soll der Fall der mitbestimmten GmbH an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden, weil die kommunale GmbH in aller Regel mitbestimmungsfrei ist.
V. Ergebnisse 1. Entgegen nach wie vor herrschender Auffassung kann keine Rede davon sein, dass die Mitglieder im fakultativen Aufsichtsrat einer kommunalen Einmann-GmbH nicht an die Weisungen der Kommune bzw. ihrer Organe gebunden werden dürften. Zahlreiche Gemeindeordnungen schreiben eine solche Weisungsgebundenheit ausdrücklich vor, und das Bundesrecht in Gestalt des GmbHG (§ 52) steht dem gewiss nicht entgegen. 2. Die herrschende Meinung kennt heutzutage den Unterschied zwischen der Körperschaft AG und der juristischen Person GmbH, die materiell „Personengesellschaft“ ist, nicht mehr. Deshalb überträgt sie die Wertungen des AktG – sehr zu Unrecht – auf die GmbH, soweit es um die Weisungsfreiheit von Aufsichtsratsmitgliedern geht. 3. Dasselbe gilt für die „Verschwiegenheitspflicht“ oder „Vertraulichkeit“ kommunaler Aufsichtsräte. Auch diese gesetzlich fundierten Prinzipien (§ 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 116 AktG) sind in der Einmann-GmbH gerade disponibel. Die Gemeinde regelt privatautonom, wie viel „Publizität“ die Aufsichtsratstätigkeit haben soll, ob insbesondere der gesamte Gemeinderat oder sogar die gesamte Öffentlichkeit davon erfahren und verfolgen kann, wie der Aufsichtsrat arbeitet, was und wie er beschließt. 4. Viel spricht für die Annahme, dass die für den fakultativen Aufsichtsrat der GmbH geltende Privatautonomie der Gesellschafter betreffs einer Weisungsgebundenheit und Verschwiegenheit seiner Mitglieder auch für die mitbestimmte GmbH gilt, wobei eine Weisungsgebundenheit (selbstverständlich) nur für die Anteilseignervertreter in Betracht kommt. Nicht disponibel ist die Weisungsfreiheit (auch) der Anteilseignervertreter lediglich im Aufsichtsrat der Körperschaft AG, weil deren Anteilseigner noch nicht einmal Bezugspunkt des Unternehmensinteresses sind und deshalb auch kein Weisungsrecht gegenüber der unabhängigen Geschäftsleitung der Körperschaft haben.
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56 Vgl. dazu BGHZ 135, 48, 56 f.: Arbeitnehmervertreter sind nach § 26 MitbestG allein gegen Benachteiligungen wegen ihrer Tätigkeit im Aufsichtsrat geschützt.
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Verdeckte Einlagenrückgewähr an den (un-)tätigen Kommanditisten Inhaltsübersicht I. Einführung II. Gewinnvoraus- und Garantiezahlungen 1. Gewinn- und Verlustverteilung in der Kommanditgesellschaft 2. Gewinnauszahlungsanspruch a) Dispositive gesetzliche Regelung b) Vertragliche Gestaltungen 3. Gewinnvorauszahlung und Garantieausschüttung als Einlagenrückgewähr a) Gewinnvorauszahlung in Verlustjahren aa) Gewinnvorauszahlung als Gewinnentnahme i. S. d. § 172 Abs. 4 Satz 2 HGB? bb) Gewinnvorauszahlung als Einlagenrückgewähr i. S. d. § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB? b) Ergebnisunabhängige Garantiedividende c) Liquiditätsüberschussabhängiger Auszahlungsanspruch 4. Ergebnis
III. Tätigkeitsvergütungen zugunsten des geschäftsführenden Kommanditisten 1. Geschäftsführungsleistungen auf gesellschafts- oder schuldrechtlicher Grundlage 2. Feste und gewinnabhängige Tätigkeitsvergütung 3. Tätigkeitsvergütung als Einlagenrückgewähr i. S. d. § 172 Abs. 4 HGB 4. Tätigkeitsvergütungen im Interesse einzelner Gesellschafter a) Sonderrolle der Tätigkeitsvergütung bei Geschlossenen Fonds b) Vermögenszuwendungen der Gesellschaft im Interesse einzelner Gesellschafter c) Geschäftsführungsleistungen als Drittpflichten gegenüber anderen Gesellschaftern 5. Ergebnis IV. Zusammenfassung
I. Einführung Als Steuerparadoxon bezeichnet die Finanzwirtschaftslehre das Phänomen, dass Investitionen, die vor Berücksichtigung der steuerlichen Folgen unrentabel erscheinen, gleichwohl eine attraktive Nachsteuerrendite aufweisen können1. Das Geschäftsmodell der Abschreibungsgesellschaften der 70er und 80er Jahre baute darauf auf. Auch das Gesellschaftsrecht kennt dieses Steuerparadoxon: Vertragliche Gestaltungen, die ohne Kenntnis der steuerrechtlichen Zusammenhänge abwegig erscheinen, können sich unter Berücksichtigung der Steuerbelastungswirkungen als sinnvoll erweisen. Dieses zweite Steuerparadoxon hat tiefe Spuren im Gesellschaftsrecht hinterlassen. Insbesondere die ab
__________ 1 D. Schneider, Investition, Finanzierung und Besteuerung, 7. Aufl. 1992, S. 246–251.
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Mitte des 19. Jahrhunderts an Bedeutung gewinnenden Ertragsteuern hatten auf traditionsreiche gesellschaftsrechtliche Institute eine erhebliche gestaltende und weniger wertfrei formuliert, oft auch deformierende Wirkung. Das zeigt sich besonders am Beispiel der Kommanditgesellschaft. Die gesetzestypische Kommanditgesellschaft ist eine der ältesten Organisationsformen, um gemeinschaftlich den Zweck eines Handelsgewerbes zu verfolgen. Die Grundkonzeptionen aller ihrer Vorläufer sind uns bis heute vertraut. Bekannt ist der ursprüngliche Vertragstypus der Commenda, die mit den oberitalienischen Kaufleuten des Mittelalters verbunden wird2, in deren Vorläufer Qirad aber bereits die arabischen Kaufleute der Antike ihren Seehandel organisierten3. Wesenszug von Commenda und Qirad war die Arbeitsteilung zwischen Kapitalgebern und Geschäftsführern. In der Heimat verbleibende Kapitalgeber vertrauten bei der Commenda dem reisenden Commendator Waren, Geld oder Schiffe als Kapitaleinlage an, während dieser typischerweise (aktiv) seinen Gesellschafterbeitrag allein durch seine Arbeitsleistung erbrachte. Dies, indem er die Waren an den Bestimmungsort überführte und dort veräußerte oder auch aktiv das ihm anvertraute Geld zu mehren versuchte. Allein der Commendator trat nach außen gegenüber Dritten auf und nur er haftete gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft, während die Kapitalgeber ausschließlich mit ihrer Einlage an den Verlusten der Commenda beteiligt waren und ihre Mitwirkung sich darauf beschränkte, nach Abschluss jedes Geschäfts die Abrechnung des Commendators zu prüfen und die Kapitaleinlage vermehrt um die Gewinne und vermindert um die Verluste zurückzunehmen oder wiederanzulegen4. Dass die Kommanditgesellschaft sich in ihrer jahrhundertealten Tradition trotz mächtiger Konkurrenz durch jüngere Rechtsformen unveränderter Beliebtheit erfreut, verdankt sie zu einen Großteil der Rechtsformabhängigkeit der Unternehmensbesteuerung. Dies übrigens nicht nur in Deutschland, sondern etwa auch in Großbritannien und den USA, wo die Nachfahren der Commenda als Limited Partnership firmieren5. Ein besonders für Fondsgestaltungen bedeutsamer Vorzug der Kommanditgesellschaft besteht in allen drei Jurisdiktionen darin, die häufig angestrebte transparente Besteuerung6 eines Kapitalanlage-
__________ 2 Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, 3. Aufl. 1891, S. 258 Fn. 84; Gummert in MünchHdb. GesR II, 3. Aufl. 2009, § 1 Rz. 2. 3 Banaji, Historical Materialism 15 (2007), 47, 55 f. Erwähnt ist diese Gesellschaftsform bereits in den überlieferten Biographien des islamischen Propheten Mohammed (570– 632 n. Chr.) und eingehend beschrieben wird sie in einem teilweise ins deutsche übersetzten arabischen Handbuch der Handelswissenschaft von 1174 n. Chr. bei Ritter, Islam 7 (1917), 1, 16. 4 Banaji, Historical Materialism 15 (2007), 47, 55 f.; Goldschmidt (Fn. 2), S. 259 ff.; Gummert (Fn. 2), § 1 Rz. 2. 5 Vgl. Davies, Principles of Modern Company Law, 8th Ed. 2008, S. 5 f.; NATIONAL CONFERENCE OF COMMISSIONERS ON UNIFORM STATE LAWS, Uniform Limited Partnership Act (2001), Sec. 102 (11). Historisch: Koch, Die Gesellschaftsformen des englischen Rechts, Gruchots 68 (1927), S. 619, 626. 6 Davies, Principles of Tax Law, 6th Ed. 2008, S. 206; Lee, Revenue Law, 25th Ed. 2007, S. 1081; Repetti, Partnership Income Taxation, 4. Aufl. 2005, S. 1.
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vehikels mit einer Haftungsbeschränkung verbinden zu können7. Und auch wenn es heute nicht mehr ohne weiteres möglich ist, Abschreibungsgesellschaften allein auf das Geschäftsmodell zu gründen, den umworbenen Anlegern durch steuerliche Verlustzuweisungen eine attraktive Nachsteuerrendite zu vermitteln, werden Immobilien-, Schiffs-, Flugzeugleasing-, Solar-, Windenergie-, Geothermie-, Biomasse-, Wald-, Film-, Private Equity und andere Fonds weiterhin aus steuerlichen Gründen regelmäßig in der Rechtsform der Kommanditgesellschaft ausgestaltet8. Die damit heute überwiegend aus steuerrechtlichen Überlegungen gewählte Kommanditgesellschaft hat sich indessen weit von der gesetzestypischen KG entfernt. Das gilt ganz besonders für die als Kommanditgesellschaften ausgestalteten Geschlossenen Fonds. Verbreitet sind Garantiedividenden und Gewinnvorauszahlungen auch in solchen Jahren, in denen die Gesellschaft Verluste erzielt. Und wo sich in der Commenda der Commendatore durch seine aktive Rolle und unbeschränkte Haftung auszeichnete, finden wir heute in der Position des Komplementärs eine untätige haftungsbeschränkte Kapitalgesellschaft. Demgegenüber sind die ursprünglichen Aufgaben des Commendatore häufig verschoben auf einen Management-Kommanditisten, der seinen Beitrag nicht durch eine Kapitaleinlage, sondern vielmehr durch die faktische Führung der Geschäfte der Kommanditgesellschaft erbringt9. Der hierin exemplarisch erkennbare und niemals abgeschlossene Strukturwandel der Personengesellschaft durch Vertragsgestaltung10 fordert die Rechtswissenschaft stets aufs Neue heraus und zwingt sie ihre gesellschaftsrechtliche Dogmatik beständig fortzuentwickeln11. Uwe H. Schneider hat wesentlich auch zur Fortentwicklung des Rechts der Personengesellschaften beigetragen12. Und einer seiner ersten Beiträge (bereits im ersten Heft der ZGR!) ist der Kommanditgesellschaft gewidmet13. Vielleicht interessieren ihn noch die folgenden drei besonders mit Anlagegesellschaften verbundenen Fragenkreise: 1. Stellt es stets eine Einlagenrückgewähr dar, die die Außenhaftung wiederaufleben lässt, wenn der Kommanditist in gewinnlosen Jahren einen Vorschuss auf zukünftige Gewinne oder eine Garantieverzinsung seiner Einlage bekommt?
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7 Vgl. Blackett-Ord, Partnerships, 2002, S. 481 (Rz. 20.3); Bell/Howard, The Tax Journal, 14.1.2008, 23; Levin, Structuring Venture Capital, Private Equity and Entrepreneurial Transactions, 2007, § 1001.1; Spengel/Schaden/Werße, StuW 2010, 44 ff.; Anzinger/Jekerle, IStR 2008, 821, 826. 8 Lüdicke/Arndt, Geschlossene Fonds, 5. Aufl. 2009, S. 196 ff. 9 Vgl. K. Schmidt, JZ 2008, 425, 431 f. 10 Vgl. Plum in FS 100 Jahre DJT, Band II, 1960, S. 137, 139. 11 Vgl. Geiler, Die wirtschaftsrechtliche Methode im Gesellschaftsrecht, Gruchots 68 (1927), S. 593, 598 f. 12 Uwe H. Schneider, Die Änderung des Gesellschaftsvertrags einer Personengesellschaft durch Mehrheitsbeschluss, ZGR 1972, 358–394; ders., Sonderrecht für Publikumspersonengesellschaften, ZHR 142 (1978), 228–258. 13 Vgl. H. Schneider/Uwe H. Schneider, Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Kommanditgesellschaft, ZGR 1972, 52–75.
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2. Stellt die gewinnabhängige oder feste Vergütung, die der geschäftsführende Kommanditist von der Gesellschaft für seine Geschäftsführungsleistungen erhält, eine Einlagenrückgewähr an ihn selbst dar? 3. Und schließlich, stellt die Vergütung, die ein Kommanditist für die Geschäftsführung der Gesellschaft erhält, eine Einlagenrückgewähr an die anderen Kommanditisten dar, wenn er die Geschäftsführung in deren Interesse übernommen hat?
II. Gewinnvoraus- und Garantiezahlungen 1. Gewinn- und Verlustverteilung in der Kommanditgesellschaft Ausgangspunkt für die Gewinn- und Verlustverteilung in der Kommanditgesellschaft ist die Gesellschaftsbilanz. Gemäß §§ 120 Abs. 1, 167 Abs. 1 HGB wird der Gewinn und Verlust der Gesellschaft auf Grund der Bilanz ermittelt. Zwar sind diese Regeln über die gesellschaftsrechtliche Gewinnermittlung im Unterschied zu den handelsrechtlichen Buchführungspflichten (§§ 238 ff. HGB) gemäß §§ 109, 163 HGB dispositiv und die öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Erstellung eines Jahresabschlusses grundsätzlich von der gesellschaftsrechtlichen Pflicht zur Bilanzaufstellung zu unterscheiden14. Die Gesellschafter können aber wegen der insbesondere bei der Kommanditgesellschaft im Außenverhältnis erforderlichen und nur durch Bilanzierung möglichen Bestimmung der Kapitalanteile15 nicht gänzlich von dem der Bilanzierung zugrunde liegenden Konzept des Vermögensvergleichs abweichen und deshalb etwa nicht vereinbaren, den Gewinn allein durch Überschussrechnung ermitteln16. Deshalb ist die Gewinnermittlung nicht nur für gewerbliche, sondern auch für rein vermögensverwaltende Kommanditgesellschaften (vgl. § 161 Abs. 2 i. V. m. § 105 Abs. 2 HGB) nach den §§ 238 ff. i. V. m. § 6 Abs. 1 HGB durch Bilanzierung vorzunehmen. Ergibt sich aus der von den Gesellschaftern festgestellten Bilanz ein Gewinn, richtet sich die Verteilung dieses Gewinns zunächst nach den im Gesellschaftsvertrag niedergelegten Gewinnverteilungsregeln. Die subsidiären gesetzlichen Bestimmungen sehen gemäß § 121 Abs. 1, 2 i. V. m. § 168 Abs. 1 HGB eine (gewinnabhängige) Vorwegdividende an alle Gesellschafter i. H. v. 4 % des Kapitalanteils vor. Der danach noch verbleibende Anteil am Gewinn ist nach § 168 Abs. 2 HGB in angemessenem Verhältnis zu verteilen. Faktoren für die angemessene Gewinnverteilung sind das regelmäßig vom Komplementär übernommene aber auch für den Kommanditisten denkbare Haftungsrisiko (etwa
__________ 14 Schäfer in Staub, Großkomm.HGB, 5. Aufl. 2009, § 120 HGB Rz. 7. 15 Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, 1970, S. 228. 16 Deshalb ist auch im Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz davon abgesehen worden, die Befreiung von der Bilanzierungspflicht für Kleinunternehmer in § 241a HGB auf Handelsgesellschaften auszudehnen. Vgl. Kersting, BB 2008, 795; Schulze-Osterloh in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1447, 1451; ders., DStR 2008, 63, 72.
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wenn die Haftsumme höher ist als die Einlagenverpflichtung im Innenverhältnis), der aktive Einsatz für die Gesellschaft, etwa durch eine Geschäftsführungstätigkeit, ein die persönliche Erwerbschancen zugunsten der Gesellschaft beschränkendes Wettbewerbsverbot, die Überlassung von Know-how sowie Gebrauchsüberlassungen und schließlich auch die Höhe der Kapitalanteile17. 2. Gewinnauszahlungsanspruch a) Dispositive gesetzliche Regelung Nach § 169 HGB hat der Kommanditist kein Entnahmerecht, sondern nur einen Anspruch auf Gewinnauszahlung18. Dieser Anspruch erstreckt sich, soweit im Gesellschaftsvertrag nicht anders vereinbart, auf Auszahlung des gesamten dem Kommanditisten zukommenden Anteils am Jahresgewinn und er besteht unabhängig davon, ob dieser seine Einlage bereits geleistet hat. Die Gesellschaft kann den Anspruch auf Einlageleistung allenfalls gegen den Gewinnauszahlungsanspruch aufrechnen19. Nach der dispositiven gesetzlichen Regel des § 169 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 HGB kann der Kommanditist zwar keine Auszahlung seines Gewinnanteils fordern, solange sein Kapitalanteil durch Verlust unter den auf die bedungene Einlage geleisteten Betrag herabgemindert ist oder durch die Auszahlung unter diesen Betrag herabgemindert würde. Daraus folgt aber nicht, dass er Entnahmen nur dann vornehmen darf, wenn er seine Einlage voll geleistet und nicht zurückerhalten hat. Das Gesetz schließt den Auszahlungsanspruch nur im Fall einer durch Verluste der Gesellschaft entstandenen Unterdeckung aus20. b) Vertragliche Gestaltungen Der Gesellschaftsvertrag kann den Gewinnauszahlungsanspruch des Kommanditisten einschränken. Er kann dem Gesellschafter aber auch einen Anspruch auf Garantieausschüttungen einräumen. Solche Garantieausschüttungen finden sich häufig in den Gesellschaftsverträgen von Projektfinanzierungsgesellschaften21. Diese sind auf einen möglichst großen Anlegerkreis angewiesen. Um die Attraktivität der Beteiligung zu erhöhen, wird den Anlegern, die als Kommanditisten einem geschlossenen Fonds beitreten sollen, eine Gewinnvorauszahlung auch in Verlustjahren oder eine Quasi-Festverzinsung des eingezahlten Kapitals garantiert22.
__________ 17 Grunewald in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, § 168 HGB Rz. 3; v. Falkenhausen/ H. C. Schneider, MünchHdb. GesR II, 3. Aufl. 2009, § 23 Rz. 9 ff. 18 Grunewald in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, § 169 HGB Rz. 1. 19 Schilling in Staub, Großkomm.HGB, 4. Aufl. 2004, § 169 HGB Rz. 5. 20 von Gerkan/Haas in Röhricht/Graf von Westphalen, 3. Aufl. 2008, § 169 HGB Rz. 7. 21 Vgl. BGH v. 20.4.2009 – II ZR 88/08, DStR 2009, 1489; OLG Karlsruhe v. 6.8.2009 – 4 U 11/08, GWR 2009, 374; OLG München v. 17.6.2009 – 20 U 1823/09, juris. 22 Loritz, NZG 2008, 887, 888.
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3. Gewinnvorauszahlung und Garantieausschüttung als Einlagenrückgewähr a) Gewinnvorauszahlung in Verlustjahren Enthält der Gesellschaftsvertrag eine Regelung, die im Ergebnis dazu führt, dass auch für die Geschäftsjahre, für die die Gesellschaftsbilanz einen Verlust ausweist, ein beteiligungsabhängiger Gewinnauszahlungsanspruch als Vorschuss auf zukünftige Gewinne besteht, stellt sich die Frage, ob die Erfüllung dieses Anspruchs eine Einlagenrückgewähr darstellt, die die Außenhaftung des Kommanditisten wiederaufleben lässt. Angesprochen sind die Fälle, in denen, wie dies bei Projektfinanzierungsgesellschaften üblich ist, in den ersten Jahren Verluste entstehen und den Anlegern gleichwohl von Anfang an eine „Ausschüttung“ zugesagt wird23. aa) Gewinnvorauszahlung als Gewinnentnahme i. S. d. § 172 Abs. 4 Satz 2 HGB? Zu denken ist zunächst an § 172 Abs. 4 Satz 2 HGB. Danach gilt die Einlage eines Kommanditisten den Gläubigern gegenüber als nicht geleistet, soweit der Kommanditist Gewinnanteile entnimmt, während sein Kapitalanteil durch Verlust unter den Betrag der geleisteten Einlage herabgemindert ist oder wird. Je nach dem, von welcher Seite man § 172 Abs. 4 Satz 2 HGB betrachtet, mag man in ihm eine Kapitalerhaltungsregel, ein Thesaurierungsgebot oder wegen der trotz Einlagenleistung bei Gewinnauszahlung wiederauflebenden Haftung eine Nachschusspflicht sehen. Auf den richtigen Weg führt § 169 Abs. 2 HGB und das Bewusstsein für die Schwierigkeiten einer periodengerechten Ergebnisabgrenzung. Gemäß § 169 Abs. 2 HGB muss der Kommanditist den bezogenen Gewinn wegen späterer Verluste nicht zurückzahlen. Der Gesamterfolg eines Unternehmens lässt sich aber erst nach dessen Abschluss ermitteln, für die KG heißt das nach ihrer Liquidation und Verteilung des Liquidationsergebnisses. Gleichwohl findet jährlich eine Verteilung des zeitanteiligen und bezogen auf die Totalperiode insoweit noch vorläufigen Erfolges statt. Damit besteht die Gefahr, dass der Kommanditist bei starken Ergebnisschwankungen in der Summe über die Lebensdauer der Gesellschaft hinweg mehr erhält als seinen Anteil am Totalerfolg des Unternehmens. Das kann zu einem negativen Liquidationsergebnis führen. Gleichzeitig haftet der Kommanditist nach § 171 HGB für einen Verlust des Unternehmens bezogen auf dessen Gesamtlebensdauer nur in Höhe der Haftsumme. Insbesondere an einem Liquidationsverlust ist er nur bis zur Höhe der Haftsumme beteiligt. Dürfte der Kommanditist die Gewinne, die sich vielleicht nur als Ausreißer in einzelnen Perioden ergeben, stets abschöpfen, ohne durch spätere Verluste wirtschaftlich belastet zu sein, dann wirken diese Gewinnauszahlungen wie eine haftungsunschädliche Rückgewähr der (Haft-)Einlage. Wegen dieses Periodisierungsproblems
__________ 23 Exemplarisch die Tatbestände in BGH v. 20.4.2009 – II ZR 88/08, DStR 2009, 1489; OLG Karlsruhe v. 6.8.2009 – 4 U 11/08, GWR 2009, 374; OLG München v. 17.6.2009 – 20 U 1823/09, juris. Vgl. Lüdicke/Arndt (Fn. 8), A II 6 b.
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reicht § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB nicht aus. Er muss mit § 172 Abs. 4 Satz 2 HGB durch einen interperiodischen Verlustausgleich ergänzt werden. Im Zentrum der Diskussion stand bis zur Aufgabe der sogenannten umgekehrten Maßgeblichkeit durch das BilMoG24 die Frage, wie sich Kapital- und Verlustanteil i. S. d. § 172 Abs. 2 Satz 4 HGB berechnen. Insbesondere für die auf dem Steuerparadoxon aufbauenden Verlustzuweisungsgesellschaften wurde vertreten, dass nicht die der Handelsbilanz zu entnehmenden Buchwerte des Gesellschaftsvermögens, sondern das zu Marktwerten bewertete anteilige Vermögen der Gesellschaft dem Kapitalanteil gegenüberzustellen sei25. Hintergrund dieser Überlegungen war, dass die Wertansätze in der Handelsbilanz gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG a. F. den Wertansätzen der Steuerbilanz zu folgen hatten, soweit steuerlich Sonderabschreibungen geltend gemacht werden sollten, und gemäß § 254 HGB in diesem Fall diese Wertansätze in die Handelsbilanz auch übernommen werden konnten. Das führte in der Regel zu einer Verzerrung der Periodenabgrenzung des Gesamterfolgs der Gesellschaft und damit dazu, dass vor allem in der Anfangsphase einer Investition die Buchwerte weit unter den realen Werten lagen und im Bilanzergebnis hohe stille Reserven enthalten waren. Deshalb ist vorgeschlagen worden, entweder auf einen für jeden Auszahlungszeitpunkt zu fertigenden Vermögensstatus abzustellen26 oder dem Kommanditisten die Möglichkeit einzuräumen, nachzuweisen, dass sein Kapitalanteil in Höhe der Haftsumme nach realen Werten nicht gemindert worden ist27. Mit der Aufhebung der umgekehrten Maßgeblichkeit und Streichung des § 254 HGB durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz ist dieser Auffassung aber zumindest für alle nach dem 1.1.2010 beginnenden Geschäftsjahre28 die Grundlage entzogen. Maßgeblich für die Berechnung der Kapitalanteile der Gesellschafter sind die in der Handelsbilanz ausgewiesenen Werte29. Fraglich bleibt aber, ob unter dem „Gewinnanteil“ i. S. d. § 172 Abs. 4 Satz 2 HGB auch Anteile an zukünftigen Gewinnen zu verstehen sind. § 172 Abs. 4 Satz 2 HGB findet seine Entsprechung für das Innenverhältnis in § 169 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 HGB. Diese Regelung ist zwar dispositiv, bietet aber Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs Gewinnanteil in § 172 Abs. 4 Satz 2 HGB. Ein Anspruch auf Gewinnauszahlung besteht gemäß § 169 Abs. 1 Satz 2 HGB nur für den „zukommenden Gewinn“. Der Gewinnauszahlungsanspruch muss deshalb entstanden und fällig sein. Fällig ist der Gewinnauszahlungsanspruch aber erst, wenn die Höhe des Gewinns von den Gesellschaftern fest-
__________ 24 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts v. 25.5.2009, BGBl. I 2009, S. 1102. 25 Felix, NJW 1973, 491; Priester, BB 1976, 1004, 1007 f.; einschränkend Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 2. Aufl. 2008, § 172 HGB Rz. 23. 26 Binz, DStR 1991, 1253, 1255 f. 27 Priester, BB 1976, 1004, 1009. 28 Vgl. Art. 66 Abs. 5 EGHGB i. d. F. BilMoG. 29 BGH v. 11.12.1998 – II ZR 78/89, BGHZ 109, 334, 339; K. Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172 HGB Rz. 64; Scholz in Westermann, Handbuch PersG, § 51 Rz. 2979; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band II, 2004, S. 808 f.
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gestellt und die Gewinnverteilungsregeln angewendet worden sind30. Festgestellt werden kann aber nur ein entstandener Gewinn. Der Gewinnanteil des Kommanditisten entsteht daher frühestens mit Ablauf des Geschäftsjahrs, auf das er sich bezieht31. Ausgezahlte Vorschüsse auf zukünftige Gewinne können deshalb keine Gewinnentnahme i. S. d. § 172 Abs. 4 Satz 2 HGB sein, solange die Handelsbilanz keinen Gewinn ausweist. Die typischen Fälle der für Verlustjahre geleisteten Gewinnvorauszahlungen und Garantiedividenden fallen damit nicht unter § 172 Abs. 4 Satz 2 HGB. bb) Gewinnvorauszahlung als Einlagenrückgewähr i. S. d. § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB? Nach § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB gilt die Einlage den Gläubigern gegenüber als nicht geleistet, soweit sie zurückbezahlt wird. Im Folgenden soll hinterfragt werden, ob die Einlage stets auch dann i. S. d. § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB zurückbezahlt wird, wenn der Kommanditist einen Vorschuss auf zukünftig erwartete Gewinnauszahlungsansprüche erhält. Wird dem Kommanditisten im Gesellschaftsvertrag eine vom Jahresüberschuss unabhängige „Ausschüttung“ zugesagt, ist durch Auslegung des Gesellschaftsvertrages zu ermitteln, woraus und worauf diese „Ausschüttung“ gewährt wird. Typischerweise werden die Gesellschafter nicht wollen, dass ihnen durch die Ausschüttung ihre Einlage zurückbezahlt wird. Das zeigt sich deutlich in denjenigen Sachverhaltsgestaltungen, die die Rechtsprechung schließlich an § 172 Abs. 5 HGB misst32. Vielmehr werden sie, wenn sie gewinnunabhängige Ausschüttungen vereinbaren, an eine periodenübergreifenden Glättung ihrer Ausschüttungen denken. Sollen mit dieser Intention Gewinne „vorgezogen“ ausgeschüttet werden, stehen die Ausschüttungen unter dem Vorbehalt, dass spätere Gewinne auch anfallen. Es ist eine Frage der Auslegung des Gesellschaftsvertrags, bei der die Interessenlagen der Gesellschafter zu berücksichtigen sind, ob dieser Vorbehalt sich in einem echten Rückzahlungsvorbehalt manifestiert. Besteht nach Auslegung des Gesellschaftsvertrags ein solcher Rückzahlungsvorbehalt, kann eine auf zukünftige Gewinnauszahlungsansprüche geleistete Gewinnvorauszahlung Vorausleistung oder Darlehensgewährung sein. Ist die Ausschüttung nach der Auslegung des Gesellschaftsvertrages Vorausleistung, d. h. eine in Erfüllungsabsicht geleistete Vorauszahlung auf künftig entstehende Gewinnauszahlungsforderungen, werden Gewinnauszahlungsansprüche unmittelbar mit ihrem Entstehen getilgt33. Entstehen die Gewinnauszahlungsansprüche nicht in der erwarteten Höhe, dann ergibt sich ein Rückzahlungs-
__________ 30 31 32 33
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Aderhold in Westermann, Handbuch PersG, § 49 Rz. 2429. Weipert in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 2. Aufl. 2008, § 169 HGB Rz. 1, 3 f. Exemplarisch BGH v. 20.4.2009 – II ZR 88/08, DStR 2009, 1489. Olzen in Staudinger, Neubearb. 2006, § 362 BGB Rz. 22; Wenzel in MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2007, § 362 BGB Rz. 18.
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anspruch der Gesellschaft aus § 812 BGB34. Stellt sich die Gewinnvorauszahlung nach der Vertragsauslegung als Gewährung eines Darlehens dar, das durch Aufrechnung mit zukünftig fällig werdenden Gewinnauszahlungsansprüchen getilgt werden soll, dann kann im Innenverhältnis nur zugleich vereinbart sein, dass für den Fall, dass die erwarteten Gewinnauszahlungsansprüche nicht entstehen, der Vorschuss zurückzuzahlen ist. In beiden Fällen wird dem Kommanditisten Kredit gewährt. Deshalb geht es bei Gewinnvorauszahlungen im Kern um die Frage, ob die Ausreichung eines Darlehens an den Kommanditisten eine Einlagenrückgewähr i. S. d. § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB ist. Das ist umstritten. Der wohl überwiegende Teil des Schrifttums sieht in § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB in erster Linie eine Kapitalerhaltungsnorm und folgt der sogenannten Verrechnungstheorie35. Danach ist eine Rückzahlung der Einlage nur dann anzunehmen, wenn durch eine Zuwendung an den Kommanditisten dem Gesellschaftsvermögen ein Wert ohne eine entsprechende Gegenleistung entzogen wird36. Damit gibt die h. M. einer bilanziellen Betrachtung den Vorzug und folgert daraus, dass der Abzug von Liquidität nicht automatisch mit einer Einlagenrückgewähr gleichgesetzt werden kann. Die Gewährung eines Darlehens an den Kommanditisten ist danach als bloßer Aktivtausch grundsätzlich keine Rückzahlung der Einlage, weil sie das Vermögen der Gesellschaft unverändert lässt, jedenfalls solange der Rückzahlungsanspruch gegen den Kommanditisten vollwertig ist37. Eingeräumt wird, dass Konsequenz dieser Auffassung ist, dass der Kommanditist erst dann nach §§ 171 Satz 1, 172 Abs. 4 Satz 1 HGB zu haften beginnt, wenn er nicht mehr solvent ist38. Gegen diese bilanzielle Betrachtung wurde eingewandt, dass sie der Rechtsprechung zu § 30 GmbHG a. F. widerspreche, nach der Darlehen an Gesellschafter aus gebundenem Vermögen Einlagenrückgewähr seien39. Auf die Haftung des Kommanditisten konnte diese Rechtsprechung aber auch vor Inkrafttreten des
__________ 34 Olzen in Staudinger, Neubearb. 2006, § 362 BGB Rz. 23; Wenzel in MünchKomm. BGB, 5. Aufl. 2007, § 362 BGB Rz. 18. 35 Koller in Koller/Roth/Morck, 6. Aufl. 2007, § 172 HGB Anm. III 6 b aa); Neubauer/ Herchen, MünchHdb. GesR II, 3. Aufl. 2009, § 30 Rz. 51; K. Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172 HGB Rz. 63 (mit einer kumulativen Anwendung von Vertrags- und Verrechnungstheorie); ders., ZGR 1976, 307, 315, 334 f.; Scholz (Fn. 29), § 51 Rz. 2951, 2958; Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 2. Aufl. 2008, § 172 HGB Rz. 21; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band II, 2004, S. 807 f. 36 Neubauer/Herchen (Fn. 35), § 30 Rz. 50; K. Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172 HGB Rz. 66; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band 2, 2004, S. 809. 37 Koller in Koller/Roth/Morck, 6. Aufl. 2007, § 172 HGB Anm. III 6 b aa); Schilling in Staub, Großkomm.HGB, 4. Aufl. 2004, § 172 HGB Rz. 9; K. Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, § 172 HGB Rz. 69; Scholz (Fn. 29), § 51 Rz. 2988; Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 2. Aufl. 2008, § 172 HGB Rz. 26. 38 K. Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, § 172 HGB Rz. 69. 39 Vgl. BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, NJW 2004, 1111; OLG Hamburg v. 15.11. 1990 – 15 U 11/88, DStR 1990, 1196.
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MoMiG40 nicht ohne Weiteres übertragen werden. Denn die §§ 171 ff. HGB zwingen den Kommanditisten, anders als § 30 GmbHG den Gesellschafter, im Außenverhältnis nicht dazu, seine Einlage in der Gesellschaft zu belassen41. Die Einlagenrückgewähr hat nach § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB lediglich zur Folge, dass die Außenhaftung des Kommanditisten nach § 171 Satz 1 Halbs. 1 HGB wiederauflebt. Deshalb ist § 172 Abs. 4 HGB keine Kapitalerhaltungsnorm, auch wenn indirekt ein Anreiz zur Kapitalerhaltung gegeben wird42. Ein Gläubiger der Gesellschaft kann bei der Kommanditgesellschaft gerade nicht darauf vertrauen, dass die Einlage im Vermögen der Gesellschaft gebunden ist und bleibt. Deshalb tragen die Gesellschaftsgläubiger bei der KG immer das Insolvenzrisiko des Kommanditisten und können sich nicht darauf verlassen, dass eine Kapitaleinlage in Höhe der Haftsumme der KG zur Verfügung gestellt und nicht wieder entzogen wurde43. Mit dem MoMiG hat der Gesetzgeber nunmehr ohnedies auch für das Kapitalgesellschaftsrecht die bilanzielle Sichtweise angeordnet44. Danach ist ein Gewinnvorschuss dann keine Rückgewähr der Einlage, wenn mit seiner Auszahlung ein wertgleicher Rückforderungsanspruch entstanden und der Kommanditist im Auszahlungszeitpunkt als solvent einzustufen ist. Auf die Verzinslichkeit des Darlehens kommt es dabei nicht an, weil bei der bilanziellen Betrachtung auf die Wertdeckung, nicht auf die Fremdüblichkeit abzustellen ist45. Zu diskutieren ist indessen über den Zinsvorteil, der mit dem Vorschuss verbunden sein kann. Handelt es sich bei dem Vorschuss um eine zinslos gewährte Vorausleistung oder ein zinsloses Darlehen, wäre der sich ergebende Zinsvorteil, aber nur dieser, eine verdeckte Einlagenrückgewähr i. S. d. § 172 Abs. 4 Satz 2 HGB46. Allerdings kann sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben, dass der Vorschuss zu Lasten des Kommanditisten verzinslich, die Zinszahlung aber bis zur Gewinnverteilung gestundet und der Zinsanteil sodann den Gewinnanteil des Kommanditisten als Gewinnvorab erhöhen soll. Entsteht der Gewinnverteilungsanspruch bei einer in dieser Weise auszulegenden Vereinbarung nicht in der erwarteten Höhe, erhöht sich der Rückzahlungsanspruch der Gesellschaft um den Zinsanspruch. Das kann ausdrücklich im Gesellschaftsvertrag vereinbart sein oder sich durch Auslegung aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben.
__________ 40 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 23.10.2008, BGBl. I 2008, S. 2026. 41 K. Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172 HGB Rz. 62. 42 Koller in FS Heinsius, 1991, S. 357, 364 ff.; Scholz (Fn. 29), § 51 Rz. 2951. 43 Vgl. Scholz (Fn. 29), § 51 Rz. 2988a. 44 Für die GmbH in § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG n. F. 45 Zutreffend Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2009, § 30 Rz. 56; Drygala/Kremer, ZIP 2007, 1293; Brocker/Rockstroh, BB 2009, 730, 731; missverständlich Schilling in Staub, Großkomm.HGB, 4. Aufl. 2004, § 172 HGB Rz. 9; Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 2. Aufl. 2008, § 172 HGB Rz. 26. 46 K. Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, § 172 HGB Rz. 69.
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Zu einem anderen Ergebnis könnte man auf der Grundlage der Vertragstheorie kommen, die stärker auf die Einlagensicherung abstellt. Nach der Vertragstheorie hängt die Qualifikation einer Einlagenrückgewähr davon ab, ob ein „Vermögenswert aus der Bindung des Gesellschaftsvermögens gelöst und damit die durch die Leistung der Einlage eingetretene Konkretisierung des Haftungsobjekts wieder beseitigt“ wird47. Dahinter steckt der Gedanke, dass in der Kommanditgesellschaft stets auch der Kommanditist mit seinem Privatvermögen, summenmäßig begrenzt auf die eingetragene Einlage hafte. Mit der Einlagenleistung werde die Haftung des Kommanditisten lediglich auf den eingelegten Vermögensgegenstand hin konkretisiert. Nur dieser stehe den Gläubigern dann noch zur Befriedigung ihrer Forderungen gegen den Kommanditisten zur Verfügung. In dem Maße, in dem der Kommanditist diese Widmung zugunsten der Gesellschaft wieder aufhebt, lebe seine allgemeine Haftung wieder auf48. Nach dieser Auffassung liegt eine Einlagenrückgewähr zum Beispiel bereits dann vor, wenn die Einlage des Kommanditisten in Fremdkapital umgewandelt wird, die Darlehensvaluta aber in der Gesellschaft verbleibt49. Auch nach der Vertragstheorie liegt aber keine Einlagenrückgewähr vor, wenn die Einlage nicht in Bezug genommen wird und ein Kreditgeschäft mit dem Kommanditisten wirklich gewollt ist. Dann handelt es sich bei der Gewährung eines Darlehens an den Gesellschafter grundsätzlich um eine Vermögensverwendung der Gesellschaft und nicht um eine Vermögensdisposition des Gesellschafters. Ob die causa des Kreditgeschäfts überwiegt oder eine Einlagenrückgewähr causa societatis verdeckt werden soll, hängt für den Fall der Gewinnvorauszahlung wiederum davon ab, ob neben dem Bestehen einer Rückzahlungsverpflichtung zukünftige Gewinne ernsthaft wahrscheinlich sind und ob die Vorauszahlung zurückgefordert würde, wenn absehbar wird, dass zukünftige Gewinne nicht alsbald entstehen werden. Man mag die Frage stellen, was bei Bestehen einer solchen Rückzahlungsverpflichtung im Innenverhältnis gegenüber einer wiederauflebenden Außenhaftung für den Kommanditisten gewonnen wäre. In der Insolvenz der Gesellschaft würde der Kommanditist nicht besser dastehen. Der Insolvenzverwalter wird den Rückzahlungsanspruch ebenso geltend machen, wie gemäß § 171 Abs. 2 HGB nur er die Gläubigeransprüche aus §§ 128, 171 Abs. 1 HGB geltend machen kann. Der praxisrelevante Unterschied dürfte aber in der Anwendung der §§ 169 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2, 172 Abs. 4 Satz 2 HGB bestehen. Während ein Gewinnauszahlungsanspruch suspendiert ist und jede Gewinnauszahlung die Außenhaftung des Kommanditisten wiederaufleben lässt, wenn der Kapitalanteil durch Verluste unter die Haftsumme gemindert wird oder durch die Gewinnausschüttung gemindert würde, kann er einen Gewinnvorschuss auch in dieser Situation erhalten und behalten ohne befürchten zu müssen, von Gesellschaftsgläubigern unmittelbar wegen Verbindlichkeiten der Gesellschaft in Anspruch genommen zu werden.
__________ 47 Keuk, ZHR 135 (1971), 410, 420. 48 Keuk, ZHR 135 (1971), 410, 418. 49 Keuk, ZHR 135 (1971), 410, 420.
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b) Ergebnisunabhängige Garantiedividende Etliche geschlossene Fonds werden so konzipiert, dass Anleger unmittelbar nach Leistung der Einlage eine feste Dividende von 5–6 % des einbezahlten Kapitals gutgeschrieben oder ausbezahlt bekommen50. Damit sollen Anleger belohnt werden, die ihr Kapital frühzeitig, das heißt zu einem Zeitpunkt in die Gesellschaft einzahlen, in der diese noch keine Gewinne erwirtschaftet. Dieser Belohnungsfunktion würde es widersprechen, wenn eine Garantiedividende mit späteren Gewinnanteilen oder dem Anteil am Liquidationsgewinn verrechnet würde. Garantiedividenden können insofern nicht als Vorschuss auf einen späteren Gewinnauszahlungsanspruch interpretiert werden51. Ebenso wenig handelt es sich bei der ergebnisunabhängigen Garantiedividende um eine gesellschaftsvertragliche Nachbildung des § 122 Abs. 1 HGB, der nach der dispositiven Regelung in § 169 Abs. 1 Satz 1 HGB auf den Kommanditisten nicht Anwendung finden soll. Denn § 122 Abs. 1 HGB handelt nur vom Entnahmerecht, nicht von der Gewinnverteilung. Bei näherem Hinsehen lässt sich eine im Gesellschaftsvertrag geregelte Garantiedividende aber in einen Anspruch auf Vorausleistung und eine Gewinnverteilungsregel zerlegen. Danach ist die Garantiedividende einerseits ein Vorschuss auf den Schlussverteilungsanspruch bzw. den Anspruch auf Auszahlung eines Abfindungsguthabens. Zwar ist der Anspruch auf Auszahlung des Verteilungsguthabens nach § 155 Abs. 1 i. V. m. § 161 Abs. 2 HGB erst entstanden und fällig, wenn sämtliche Schulden berichtigt sind. Die Verteilungsregeln der §§ 145 ff. HGB und damit auch § 155 HGB sind aber dispositiv und entfalten insbesondere auch keine gläubigerschützende Wirkung52. Deshalb kann das „entbehrliche Geld“ nicht nur nach Eröffnung der Liquidation im Rahmen einer Vorabverteilung i. S. d. § 155 Abs. 2 HGB verteilt werden. Die Gesellschafter können auch vereinbaren, dass bereits vor Liquidation ein Vorab auf die Schlussverteilung ausgewiesen und als Vorschuss vor der Liquidation ausbezahlt wird. Der Schlussverteilungsanspruch selbst kann freilich erst nach Abschluss des Liquidationsverfahrens und Feststellung der Schlussbilanz entstehen. Deshalb ist der Vorab auf den Schlussverteilungsanspruch nur ein Vorschuss, der mit den bereits angestellten Überlegungen wiederum entweder als Vorausleistung oder als Darlehen zu qualifizieren ist53. Die Garantiedividende ist andererseits und zugleich eine materielle Regelung über den Verteilungsschlüssel für die Schlussverteilung. Das Gesetz geht in § 155 Abs. 1 HGB von einer Verteilung des Liquidationsüberschusses nach Kapitalanteilen aus. Diese Verteilungsregelung ist aber dispositiv. Das ergibt sich aus § 145 Abs. 1 HGB, der es den Gesellschaftern freistellt, im Gesellschaftsvertrag eine von den gesetzlichen Bestimmungen abweichende Art der Auseinandersetzung zu wählen. Hält man die Prämisse durch, dass die ausbe-
__________
50 Loritz, NZG 2008, 887, 889. 51 Loritz, a. a. O. 52 Habersack in Staub, Großkomm.HGB, 5. Aufl. 2009, § 145 HGB Rz. 4, § 155 HGB Rz. 16; K. Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, § 145 HGB Rz. 12. 53 Vgl. oben II. 3. a) bb).
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zahlten Garantieausschüttungen nicht auf den Schlussverteilungsanspruch angerechnet werden sollen, dann sind die Garantiedividenden als Vorabverteilungsanspruch von der Verteilungsmasse abzusetzen, soweit die Verteilungsmasse dafür reicht. Dieser Vorabgewinnanspruch ist dann mit dem Vorschuss zu verrechnen. Sind die vorab bezahlten Garantiedividenden höher als das zur Verteilung zur Verfügung stehende Vermögen, ergibt sich ein entsprechender Rückzahlungsanspruch gegen die Gesellschafter. Er besteht aber nur, das ist der Unterschied zur Rechtsfolge des § 172 Abs. 4 HGB, im Innen-, nicht im Außenverhältnis. c) Liquiditätsüberschussabhängiger Auszahlungsanspruch Häufig werden in den Gesellschaftsverträgen Geschlossener Fonds schließlich auch sogenannte Überschussbeteiligungen vereinbart. Danach soll der Kommanditist einen gewinnunabhängigen Anspruch auf Auszahlung der jährlichen Liquiditätsüberschüsse erhalten54. Das erinnert zunächst an § 155 Abs. 2 Satz 1 HGB. Danach kann das während der Liquidation der Gesellschaft entbehrliche Geld vorläufig verteilt werden. Entbehrlich i. S. d. § 155 Abs. 2 Satz 1 HGB ist aber nicht die Liquidität im Sinne des Überschusses aller liquiden Mittel über die fälligen Verbindlichkeiten. Entbehrlich ist, wie § 155 Abs. 2 Satz 2 HGB konkretisiert, was nicht zur Deckung fälliger, nicht fälliger und streitiger Verbindlichkeiten, sowie zur Sicherung der den Gesellschaftern bei der Schlussverteilung zukommenden Beträge erforderlich ist. Von dieser Einschränkung können die Gesellschafter aber, und zwar auch zu Lasten der Gläubiger, abweichen, weil § 155 Abs. 2 HGB keine gläubigerschützende Regelung ist55. Selbst wenn danach eine gesellschaftsvertragliche Regelung, die einen Auszahlungsanspruch auf Anteile der liquiden Mittel gewährt, an die Vorabverteilung i. S. d. § 155 Abs. 2 HGB erinnert, können die Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag doch nicht den Zeitpunkt der Schlussverteilung auf die Phase der werbenden Tätigkeit der Gesellschaft vorverlegen. Das würde dem Grundgedanken der Liquidation, den Abschluss der werbenden Tätigkeit der Gesellschaft zu bilden, widersprechen. Sind aber Gewinnvorauszahlungen grundsätzlich im Innenverhältnis möglich und bei einer validen Rückzahlungsverpflichtung auch im Außenverhältnis anzuerkennen, dann lassen sich diese auch auf den Schlussverteilungsanspruch beziehen. Das ist der Fall bei liquiditätsüberschussabhängigen Auszahlungen an den Kommanditisten. In der Liquidität der Gesellschaft drücken sich die verfügbaren Zahlungsmittel aus, die zur Begleichung bestehender oder zukünftiger Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung stehen. Erst nach Abschluss der Liquidation steht fest, in welchem Umfang die Gesellschaft diese liquiden Mittel zur Erfüllung gegenwärtiger oder zukünftiger Verbindlichkeiten benötigt. Damit stehen die liquiden Mittel bis zur Liquidation der Ge-
__________ 54 Vgl. OLG Frankfurt v. 25.6.2009 – 15 U 101/08 (n.rkr.), NZG 2010, 383. 55 Habersack in Staub, Großkomm.HGB, 5. Aufl. 2009, § 155 HGB Rz. 21; K. Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, § 155 HGB Rz. 6.
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sellschaft unter einem Verwendungsvorbehalt. Und nur mit diesem Vorbehalt können sie auch an die Gesellschafter weitergereicht werden. Der liquiditätsüberschussabhängige Auszahlungsanspruch ist deshalb ein Anspruch auf Auszahlung einer Vorleistung oder eines Vorschusses auf den Anteil am Schlussverteilungsanspruch. Damit ist er, wie die Gewinnvorauszahlung, eine Vorleistung, die, wenn ein Schlussverteilungsanspruch nicht in entsprechender Höhe entsteht, nach § 812 BGB zurückgefordert werden kann oder ein Darlehen der Gesellschaft an den Kommanditisten, das mit diesem Anspruch am Schlussverteilungsguthaben getilgt werden soll und, wenn dieses Guthaben nicht ausreicht, zurückbezahlt werden muss. Im Unterschied zur Garantiedividende ist mit der Überschussbeteiligung nicht automatisch eine Änderung am Verteilungsschlüssel der Schlussverteilung verbunden. Eine gesellschaftsvertraglich vereinbarte Überschussbeteiligung bewirkt nur eine vorgezogene Vorabverteilung des Liquidationsvermögens. 4. Ergebnis Während im Schrifttum einerseits weitgehend Einigkeit darüber besteht, dass § 172 Abs. 1 Satz 2 HGB nur für den Fall Anwendung findet, dass tatsächlich ein Gewinn entstanden ist und nach § 172 Abs. 1 Satz 1 HGB eine Einlagenrückgewähr nur dann vorliegt, wenn der Gesellschaft nicht nur Liquidität, sondern Vermögen entzogen worden ist, werden Gewinnvoraus- und Garantiedividenden mit der Rechtsprechung unhinterfragt als Einlagenrückgewähr i. S. d. dieser Regelungen qualifiziert. Je nach Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags kann es sich bei Gewinnvoraus-, Garantieausschüttungen und Überschussbeteiligungen aber um Vorleistungen oder Vorschüsse auf zukünftige Gewinnauszahlungs- oder Schlussverteilungsansprüche handeln, die unter einem Rückzahlungsvorbehalt stehen. Gewinnvoraus-, Garantieausschüttungen und Überschussbeteiligungen haben damit zumindest darlehensähnlichen Charakter. Die Einräumung eines Darlehens führt im Regelfall aber noch nicht zur Einlagenrückgewähr. Deshalb sind Gewinnvorauszahlungen, Garantieausschüttungen und Überschussbeteiligungen nicht zwangsläufig und stets als Einlagenrückgewähr i. S. d. § 172 Abs. 4 HGB zu qualifizieren.
III. Tätigkeitsvergütungen zugunsten des geschäftsführenden Kommanditisten 1. Geschäftsführungsleistungen auf gesellschafts- oder schuldrechtlicher Grundlage In der gesetzestypischen Kommanditgesellschaft sind die Kommanditisten nach § 164 HGB von der Führung der Geschäfte ausgeschlossen. Der Gesetzgeber hat sich, dem Urtyp der Commenda folgend, entschieden, die Organ- und Leitungsfunktion allein dem Komplementär zuzuweisen. In der Praxis kann aber aus wirtschaftlichen Überlegungen oder aus steuerlichen Gründen das Bedürfnis bestehen, einem Kommanditisten zumindest im Innenverhältnis Aufgaben der Geschäftsführung übertragen. Das ist wegen § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG regel28
Verdeckte Einlagenrückgewähr an den (un-)tätigen Kommanditisten
mäßig bei den als GmbH & Co. KG strukturierten vermögensverwaltenden Fonds der Fall, die steuerrechtlich keine gewerbliche Prägung erhalten sollen56. Ob dem Kommanditisten die Geschäftsführungsbefugnis im gleichen Umfang wie dem Komplementär erteilt und ob der Komplementär darüber hinaus auch von der Geschäftsführungsbefugnis ausgeschlossen werden kann, ist im Einzelnen streitig57. Einigkeit besteht aber darin, dass dem Kommanditisten zumindest im gleichen Umfang wie einem fremden Dritten Aufgaben der Geschäftsführung übertragen werden und ihm dafür auch wie einem fremden Dritten Vollmacht erteilt werden kann58. Die so verstandene Übertragung von Geschäftsführungsaufgaben auf den Kommanditisten ist auf zwei Wegen möglich. Zum einen kann bereits im Gesellschaftsvertrag vereinbart werden, dass dem Kommanditisten bestimmte Aufgaben der Geschäftsführung zugewiesen werden. Insoweit ist § 164 HGB gemäß § 163 HGB dispositiv. Zum anderen können dem Kommanditisten, wie einem fremden Dritten, in einem gesondert abgeschlossenen Dienstvertrag Geschäftsführungsaufgaben übertragen werden59. Damit stellt sich die Frage, ob die erbrachte Geschäftsführungsleistung ihren Rechtsgrund im Gesellschaftsverhältnis oder in einem hiervon zu unterscheidenden besonderen Schuldverhältnis hat. Das hängt von der Ausgestaltung der Vereinbarung ab. Dabei lassen sich freilich nicht allein aus der äußeren Form der Vereinbarung über die Übertragung von Geschäftsführungsaufgaben unterschiedliche Rechtsfolgen ableiten. Einerseits kann auch der Gesellschaftsvertrag schuldrechtlich wirkende Verpflichtungen enthalten60. Andererseits wird ein außerhalb des Gesellschaftsvertrags mit einem Gesellschafter geschlossener Dienstvertrag nicht losgelöst vom Gesellschaftsverhältnis ausgelegt werden können61. Die Kautelarpraxis orientiert sich gleichwohl regelmäßig an der Form der Vereinbarung62. Eine im Gesellschaftsvertrag geregelte Vergütung sei regelmäßig
__________ 56 Vgl. Eilers/Koffka/Mackensen, Private Equity, 2009, S. 289. 57 Vgl. Grunewald in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, § 164 HGB Rz. 23; Klingberg, Mitarbeitende Kommanditisten im Gesellschaftsrecht, 1990, S. 5; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band II, 2004, S. 776. 58 Bork, AcP 184 (1984), 465, 471; Mayen in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, § 114 HGB Rz. 17; Klingberg (Fn. 57), S. 4; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 1537; Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 2. Aufl. 2008, § 164 HGB Rz. 4, 21; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band II, 2004, S. 772. 59 Bork, AcP 184 (1984), 465, 472; Grunewald in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, § 164 HGB Rz. 25; Joost/Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 2. Aufl. 2008, § 164 HGB Rz. 22; Klingberg (Fn. 57), S. 44; Priester, DB 1975, 1878, 1879; Schilling in Staub, Großkomm.HGB, 4. Aufl. 2004, § 172 HGB Rz. 11; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Band II, 2004, S. 773; a. A. Riegger, DB 1983, 1909, 1910. 60 Vgl. BGH v. 28.11.1977, BGHZ 70, 61, 63; Fleischer, Finanzplankredite und Eigenkapitalersatz im Gesellschaftsrecht, 1995, S. 27; Grunewald in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, § 164 HGB Rz. 25; Klingberg (Fn. 57), S. 45. 61 Vgl. OLG Koblenz v. 20.9.1979, BB 1980, 855, 857; Hüttemann, Leistungsstörungen bei Personengesellschaften, 1998, S. 356 f. 62 Vgl. Binz, DStR 1991, 1253; Stützel, DStR 1996, 1596; Wohlschlegel, DStR 1997, 59.
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Teil der Gewinnverteilung. Fehle eine Vergütungsabrede, sei die Vergütung für die Geschäftsführung mit dem Gewinnanteil abgegolten63. Demgegenüber soll bei einer außerhalb des Gesellschaftsvertrags in einem gesonderten Dienstvertrag geregelten Geschäftsführung regelmäßig ein allein an schuldrechtlichen Maßstäben zu beurteilender Leistungsaustausch zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern stattfinden64. Wegen dieses in der Praxis verbreiteten rechtlichen Vorverständnisses ist die formale Verortung der Vereinbarung zumindest bei der Vertragsauslegung zu berücksichtigen, auch wenn die formale Ausgestaltung für die Einordnung der Geschäftsführungsleistung als Beitrag oder Dienstleistung nicht allein maßgeblich sein kann65. 2. Feste und gewinnabhängige Tätigkeitsvergütung Unabhängig von der gesellschafts- oder schuldrechtlichen Verortung der Übertragung von Geschäftsführungsbefugnissen auf den Kommanditisten kann die Geschäftsführungsvergütung als Sondervergütung in verschiedenen Varianten ausgestaltet sein. Die Vergütung kann zunächst als Festvergütung vereinbart werden, die unabhängig vom Gewinn zu zahlen ist. Eine Festvergütung kann weiter unter die Bedingung gestellt werden, dass ein Gewinn angefallen ist und dieser ausreicht, um die Festvergütung zu decken. Schließlich kann die Tätigkeitsvergütung auch vollständig gewinnabhängig ausgestaltet werden66. Es ist ohne weiteres möglich, auch in einem Dienstvertrag eine Vergütung zu vereinbaren, die abhängig vom Gewinn der Gesellschaft ist. Umgekehrt kann auch im Gesellschaftsvertrag eine gewinnunabhängige Festvergütung geregelt sein67. Die rechtliche Einordnung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses führt daher allenfalls zu Auslegungsregeln. Eine in einem separaten Dienstvertrag vereinbarte Festvergütung wird im Zweifel nicht unter dem Vorbehalt stehen, dass die Gesellschaft einen Gewinn erzielt hat68. Demgegenüber wird eine im Gesellschaftsvertrag im Abschnitt über die Gewinnverteilung vereinbarte Vorabvergütung im Zweifel unter einem solchen Gewinnvorbehalt stehen69. 3. Tätigkeitsvergütung als Einlagenrückgewähr i. S. d. § 172 Abs. 4 HGB Leistungen der Gesellschaft an den Kommanditisten, die ihren Rechtsgrund nicht im Gesellschaftsverhältnis haben, sondern auf Vertragsbeziehungen beruhen, wie sie auch zwischen fremden Dritten geschlossen werden und im Gegenseitigkeitsverhältnis mit einer Leistung des Kommanditisten stehen,
__________
63 Ebenso Grunewald in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, § 164 HGB Rz. 25; Klingberg (Fn. 57), S. 153. 64 Neubauer/Herchen (Fn. 35), § 30 Rz. 54. 65 Klingberg (Fn. 57), S. 46. 66 Vgl. Hüttemann (Fn. 61), S. 352 f.; Klingberg (Fn. 57), S. 154 ff.; Schilling in Staub, Großkomm.HGB, 4. Aufl. 2004, § 172 HGB Rz. 11. 67 Bork, AcP 184 (1984), 465, 478 f.; Priester, DB 1975, 1878, 1880. 68 v. Falkenhausen/Schneider (Fn. 17), § 23 Rz. 34. 69 Ebenda.
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fallen nicht unter § 172 Abs. 4 HGB, weil darin weder Gewinnentnahme noch Einlagenrückgewähr begründet sein kann70. Eine Tätigkeitsvergütung kann aber eine verdeckte Einlagenrückgewähr enthalten. Zur Qualifikation der durch eine Tätigkeitsvergütung verdeckten Einlagenrückgewähr differenziert ein Teil des Schrifttums, mit Blick auf das Kriterium der Veranlassung im Gesellschaftsverhältnis, zwischen jenen Vergütungsvereinbarungen im Gesellschaftsvertrag und solchen in einem separaten Dienstvertrag. Für Vergütungsvereinbarungen in einem gesonderten Dienstvertrag solle grundsätzlich nur § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB den Maßstab bilden71. Rückzahlung der Einlage i. S. d. § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB sei daher jede Zuwendung an den Kommanditisten, durch die dem Gesellschaftsvermögen Vermögenswerte ohne eine entsprechende Gegenleistung entzogen werden72. Beurteilungsmaßstab wäre danach bei dienstvertraglich vereinbarten Vergütungsansprüchen allein die Angemessenheit der Vergütung. Bei Vergütungsvereinbarungen im Gesellschaftsvertrag ist nach der gleichen Auffassung weiter zu differenzieren zwischen gewinnunabhängigen Festvergütungen und gewinnabhängigen Zusagen. Eine im Gesellschaftsvertrag vereinbarte Tätigkeitsvergütung, die ergebnisabhängig als Gewinnvorab zu zahlen ist, sei ebenfalls am Maßstab des § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB zu messen, wenn Zahlungen entgegen der Vereinbarung auch in gewinnlosen Jahren geleistet werden73. Im Übrigen greife § 174 Abs. 4 Satz 2 HGB74. Eine gewinnabhängige Tätigkeitsvergütung ist danach auch dann wie eine Einlagenrückgewähr zu behandeln, wenn sie zwar angemessen ist, die Vergütung aber gezahlt wird, obwohl der Kapitalanteil des Kommanditisten durch Verluste unter die Haftsumme gemindert wurde. Eine im Gesellschaftsvertrag vereinbarte gewinnunabhängige Festvergütung solle sich wiederum nur an § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB messen lassen75. Diese formale Differenzierung ist nicht überzeugend. Die danach vorzunehmende Unterscheidung zwischen der formalen Verankerung der Vergütungsabrede im Gesellschaftsvertrag oder in einem gesonderten Dienstvertrag erscheint bezogen auf die Anwendung des § 172 Abs. 4 HGB willkürlich. Wenn es darum geht, ob der Kommanditist seine auf die Haftsumme einbezahlte Einlage zurückerhalten hat, kann es nicht darauf ankommen, ob Leistungen auf schuldrechtlicher oder auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage erbracht wur-
__________ 70 K. Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172 HGB Rz. 67. 71 K. Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172 HGB Rz. 68; Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 2. Aufl. 2008, § 172 HGB Rz. 28; Stützel, DStR 1996, 1596. 72 BGH v. 9.5.1963 – II ZR 124/61, BGHZ 39, 319, 331; Schilling in Staub, Großkomm. HGB, 4. Aufl. 2004, § 172 Rz. 9; K. Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172 HGB Rz. 66. 73 Wohlschlegel, DStR 1997, 59. 74 Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 2. Aufl. 2008, § 172 HGB Rz. 29. 75 Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 2. Aufl. 2008, § 172 HGB Rz. 29; a. A. noch BGH v. 10.6.1965 – II ZR 6/63, BGHZ 44, 40, 42; OLG Hamm v. 15.11.1976 – 8 U 80/76, DB 1977, 717; OLG Celle v. 26.3.1973, OLGZ 1973, 343, 345.
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den76. Deshalb ist eine in einem separaten Dienstvertrag vereinbarte gewinnabhängige Vergütung für den Kommanditisten ebenso an § 172 Abs. 4 Satz 1 und 2 HGB zu messen wie die gewinnabhängige Vergütung, die im Gesellschaftsvertrag vereinbart wurde. Das bedeutet, dass in der Gewinnsituation der Gesellschaft, die Auszahlung einer gewinnabhängigen Vergütung die Haftung des Kommanditisten wiederaufleben lässt, wenn der Kapitalanteil des Gesellschafters unter die Haftsumme gemindert ist. Eine Festvergütung und eine gewinnabhängige Vergütung, die als Vorschuss auf zukünftige Gewinne gezahlt wird, ist dagegen allein an § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB zu messen77 und dementsprechend, gleich ob sie im Gesellschaftsvertrag oder einem gesonderten Dienstvertrag enthalten ist, nur auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen. 4. Tätigkeitsvergütungen im Interesse einzelner Gesellschafter a) Sonderrolle der Tätigkeitsvergütung bei Geschlossenen Fonds Geschlossene Fonds bilden eine häufige Sachverhaltskulisse für die Auslegung des § 172 Abs. 4 HGB78. Und bei diesen spielt die Tätigkeitsvergütung für den geschäftsführenden Kommanditisten oft eine Sonderrolle. Zu deren Verständnis muss man sich die Entwicklung und das Geschäftsmodell eines Geschlossenen Fonds grob vor Augen führen79. Der Initiator eines geplanten Fonds identifiziert ein einzelnes oder eine Gruppe von Investitionsobjekten. Er entwickelt ein Finanzierungskonzept und wirbt die Eigen- und Fremdkapitalgeber. Er bündelt das Kapital, typischerweise in einer GmbH & Co. KG. Und er führt sodann die Geschäfte dieser KG. Manchmal nimmt er eine Managementgesellschaft hinzu, an der er vielleicht auch selbst beteiligt ist. Die Anleger sind regelmäßig daran interessiert, dass der Initiator und auch das Fondsmanagement erfolgsabhängig vergütet werden, um einen Interessengleichklang sicherzustellen. Nun ist denkbar, dass die Anleger dem Initiator und dem Management unmittelbar eine Vergütung für die Verwaltung ihres Vermögens in der Fondsgesellschaft bezahlen. Das wäre für den Initiator jedoch vor allem steuerlich nicht besonders attraktiv. Denn die Einkünfte aus dieser Vergütung wären, wenn keine besonderen steuerlichen Subventionsvorschriften greifen, solche aus Gewerbebetrieb und damit in vollem Umfang einkommen-, gewerbe- und auch umsatzsteuerpflichtig. Um diese steuerlichen Folgen zu vermeiden, beteiligen sich die Initiatoren regelmäßig mit einem kleinen Kapitalanteil selbst an dem Fonds und erhalten dann als tätiger Kommanditist eine Tätigkeitsvergütung für ihre Geschäftsfüh-
__________ 76 Ebenso Bork, AcP 184 (1984), 465, 484; Huber, ZGR 1988, 1, 27 (Fn. 83); Priester, DB 1975, 1878, 1881; Wohlschlegel, DStR 1997, 59. 77 Binz, DStR 1991, 1253; Bork, AcP 184 (1984), 465, 482; Priester, DB 1975, 1878, 1881; K. Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, §§ 171, 172 HGB Rz. 68. 78 Exemplarisch OLG Frankfurt v. 25.6.2009 – 15 U 101/08 (n.rkr.), NZG 2010, 383; OLG München v. 23.6.2009 – 5 U 5492/08, NZG 2009, 1383; OLG Hamburg v. 19.6.2009 – 11 U 210/06, juris; LG Duisburg v. 14.8.2008 – 5 S 114/07, juris. 79 Eingehend Lüdicke/Arndt (Fn. 8), S. 1 ff.
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rungsleistungen80. Diese Vergütung ist üblicherweise zu einem kleinen Teil als Festvergütung, überwiegend aber als gewinnabhängige Vergütung ausgestaltet81. Der Initiator verfolgt damit das Ziel, die steuerrechtliche Qualifikation seiner Tätigkeitsvergütung als Anteil an dem Gewinn des Fonds zu erreichen. Dabei ist in der Praxis regelmäßig von geringer Relevanz, ob die Tätigkeitsvergütung beim tätigen Kommanditisten eine Einlagenrückgewähr darstellen könnte. Sind schon die Kapitalanteile der Initiatoren meist äußerst gering, fallen die typischerweise noch darunter liegenden Haftsummen wirtschaftlich überhaupt nicht mehr ins Gewicht. Deshalb ist es für den Initiator wirtschaftlich unbedeutsam, ob die Haftung wieder auflebt oder nicht. Anders ist das bei den Anlegern. Hier werden die Fremdkapitalgeber regelmäßig auf signifikanten Haftsummen bestehen82. Deshalb lohnt es sich, der Frage nachzugehen, ob die Tätigkeitsvergütung an den Initiator eine Einlagenrückgewähr an die passiven Anleger darstellen kann. Der Gedanke wird genährt durch eine in den USA vordringende Auffassung, die im sogenannten Carried Interest, das ist der erhöhte Gewinnanteil für den Initiator83, keine Vergütung der Gesellschaft an Initiator und Management, sondern eine mittelbare Vergütung der anderen Gesellschafter an den Mitgesellschafter sieht, der das Vermögen dieser Gesellschafter durch die Limited Partnership verwaltet84. Es geht also um die Frage, ob Vorteile, die die Gesellschaft im Interesse eines Gesellschafters einem anderen Gesellschafter gewährt, bei ersterem Einlagenrückgewähr darstellen können. b) Vermögenszuwendungen der Gesellschaft im Interesse einzelner Gesellschafter Anerkannt ist, dass die persönliche Haftung des Kommanditisten wiederaufleben kann, wenn er von einem Dritten eine Leistung erhält, die mittelbar das Gesellschaftsvermögen mindert85. Der Dritte kann dabei auch ein anderer Gesellschafter sein86. Dagegen soll eine Leistung der Gesellschaft für Rechnung eines Mitgesellschafters nicht zum Wiederaufleben der Haftung des leistungsempfangenden Kommanditisten, in unserem Fall also des passiven Anlegerkommanditisten führen, der eine Vermögensverwaltungsleistung erhält, die dem aktiven Kommanditisten von der Gesellschaft vergütet wird. Der BGH hat das damit begründet, dass der Gesellschaft gegen den leistungsempfangenden Gesellschaf-
__________ 80 Vgl. Rodin, Die Besteuerung kapital-disproportionaler Gewinnanteile, in: Verdient – unverdient, Symposion zum zehnjährigen Bestehen von P+P Pöllath + Partners, 2008, S. 101. 81 Anzinger/Jekerle, IStR 2008, 821, 823 m. w. N. 82 Vgl. Lüdicke/Arndt (Fn. 8), A II 6 a. 83 Vgl. Anzinger/Jekerle, IStR 2008, 821, 823. 84 Vgl. Fleischer, NYU Law Review 2008, S. 39 ff.; Lawton, Harvard Law Review 2008, 846, 847. 85 Strohn in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 2. Aufl. 2008, § 172 HGB Rz. 32. 86 Vgl. OLG Hamm v. 20.11.2000 – 8 U 22/00, NZG 2001, 359, 360.
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ter ein Aufwendungsersatzanspruch nach § 670 BGB zustünde. Die Frage, ob der Aufwendungsersatzanspruch geltend gemacht wird oder nicht, hat der BGH nicht gestellt87. Das wirkliche Problem liegt ohnedies an anderer Stelle. Es handelt von der Frage, ob die Vergütung, die der tätige Kommanditist von der Gesellschaft erhält, ihre rechtsgeschäftliche Grundlage nur in einer Rechtsbeziehung mit der Gesellschaft oder auch in einer außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses bestehenden Rechtsbeziehung mit den anderen Gesellschaftern haben kann. c) Geschäftsführungsleistungen als Drittpflichten gegenüber anderen Gesellschaftern Karsten Schmidt hat für die Unterscheidung der Ansprüche und Pflichten zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft die Begriffe Sozialpflichten, Individualpflichten und Drittpflichten geprägt. Sozialpflichten sind danach die Pflichten des Mitglieds gegenüber dem Verband und des Verbands gegenüber dem Mitglied aus der Mitgliedschaft. Demgegenüber sind Individualpflichten die mitgliedschaftlichen Pflichten der Mitglieder untereinander, während Drittpflichten die Pflichten sind, die ihre Rechtsgrundlage nicht in der Mitgliedschaft haben88. Hält man es für denkbar, dass die Geschäftsführungsleistung des tätigen Kommanditisten auch auf einer Rechtsbeziehung außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses beruhen kann, muss diese nicht zwangsläufig aufgrund einer Rechtsbeziehung mit der Gesellschaft erbracht werden. Erbringt ein Gesellschafter im Interesse einzelner Gesellschafter Managementleistungen an die Gesellschaft, ist deshalb zu prüfen, ob diese Leistungen aufgrund eines Dienstvertrages mit der Gesellschaft oder aufgrund eines Dienstvertrages mit den anderen Gesellschaftern erbracht werden. Wird etwa zwischen dem geschäftsführenden Kommanditisten und den bloß kapitalgebenden Kommanditisten ein Geschäftsbesorgungsvertrag geschlossen, der auch Managementleistungen an die Gesellschaft umfasst, spricht dies für einen Dienstvertrag mit den anderen Kommanditisten. Eine in diesem Geschäftsbesorgungsvertrag vereinbarte gewinnabhängige Managementvergütung durch die Gesellschaft wird dann ganz offensichtlich im Interesse der diesem Geschäftsbesorgungsvertrag beitretenden Gesellschafter erbracht. Hierfür kann die Gesellschaft einen Aufwendungsersatzanspruch gegen die untätigen Gesellschafter haben. Wird dieser aber, wie dies in der Praxis häufig der Fall ist, nicht geltend gemacht, dann liegt spätestens im Verzicht auf den Aufwendungsersatz eine Leistung der Gesellschaft an die untätigen Gesellschafter in Höhe der Geschäftsführungsvergütung an den tätigen Kommanditisten.
__________ 87 BGH v. 2.7.1990 – II ZR 139/89, BGHZ 112, 31, Rz. 12. 88 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 556.
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5. Ergebnis Eine Haftungsfalle ist die Tätigkeitsvergütung ausgerechnet für den untätigen Kommanditisten. Schließt er mit dem geschäftsführenden Kommanditisten einen Geschäftsbesorgungsvertrag, spricht dies zumindest dafür, dass die Tätigkeitsvergütung nicht im Interesse der Gesellschaft, sondern im Interesse des Auftraggebers geleistet wird. Dann ist bei einer gewinnabhängigen Vergütung zu fragen, ob das Kapitalkonto des untätigen Kommanditisten, in dessen Interesse die Vergütung bezahlt wird, durch Verluste soweit herabgemindert ist, dass es durch die Zahlung an den tätigen Kommanditisten unter die Haftsumme herabgemindert wird. Ist das der Fall, lebt die Haftung des untätigen Kommanditisten wieder auf, ohne dass er selbst etwas erlangt hätte.
IV. Zusammenfassung Die Kommanditgesellschaft lässt als „offener Gesellschaftstyp“89 der Gestaltungsfreiheit weiten Raum. Gewinnvorauszahlungen, Garantiedividenden und liquidationsabhängige Überschüsse sind ebenso wie Tätigkeitsvergütungen an den geschäftsführenden Kommanditisten zulässig, stehen aber in einem Spannungsverhältnis mit dem gesetzlich vorstrukturierten Haftungssystem. Zugleich kann die Kommanditgesellschaft sich vom gesetzlichen Leitbild lösen und in einer kapitalistischen Organisationsform ausgestaltet werden. Deswegen darf man aber nicht die für Kapitalgesellschaften geltenden Regeln der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung unbesehen auf die Kommanditgesellschaft übertragen. Die §§ 171 ff. HGB enthalten keine dem Kapitalgesellschaftsrecht vergleichbaren Regeln über die Kapitalerhaltung. Sie regeln allein die Beschränkung der Verlustbeteiligung des Kommanditisten auf seine im Außenverhältnis übernommene Einlageverpflichtung und stellen zugleich sicher, dass die eingegangene Verlustbeteiligung tatsächlich übernommen wird. Mit diesem Vorverständnis sind die Eingangs aufgeworfenen Fragen wie folgt zu beantworten: 1. Gewinnvorauszahlungen, Garantiedividenden und liquiditätsabhängige Ausschüttungen sind nicht zwangsläufig Einlagenrückgewähr i. S. d. § 172 Abs. 4 HGB. Ergibt die Auslegung des Gesellschaftsvertrages im Innenverhältnis eine Rückzahlungsverpflichtung für den Fall, dass Gewinne in der erwarteten Höhe nicht anfallen, tragen alle diese vom gesetzgeberischen Vorbild abweichenden Ausschüttungsvarianten den Charakter eines Vorschusses und zwar je nach Ausgestaltung auf zukünftige Gewinnvorauszahlungsansprüche oder auf den Schlussverteilungsanspruch. Mit ihnen können zugleich auch die Gewinn- oder Schussverteilungsregeln modifiziert werden. Ein Kredit an die Gesellschafter, der als ein Vorschuss zu qualifizieren wäre, stellt aber nicht notwendig eine Einlagenrückgewähr dar.
__________ 89 H. Schneider/Uwe H. Schneider, ZGR 1972, 52, 75.
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2. Eine gewinnunabhängige Tätigkeitsvergütung führt unabhängig von ihrer Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag oder in einem gesonderten Dienstvertrag nur dann zum Wiederaufleben der Haftung, wenn sie der Höhe nach unangemessen ist. Für eine gewinnabhängige Tätigkeitsvergütung gilt dies, wiederum unabhängig von der formalen Verortung, nur dann, wenn der Kapitalanteil des Kommanditisten die Haftsumme nicht mehr erreicht oder durch die Zahlung des gewinnabhängigen Teils der Tätigkeitsvergütung unter die Haftsumme herabgemindert würde. 3. Eine Tätigkeitsvergütung an einen geschäftsführenden Kommanditisten kann auch bei den anderen untätigen Kommanditisten nach den vorgenannten Regeln zu einer Einlagenrückgewähr i. S. d. § 172 Abs. 4 Sätze 1 und 2 HGB führen, wenn der geschäftsführende Kommanditist in ihrem besonderen, nicht mit dem Gesellschaftsinteresse übereinstimmenden, Interesse tätig ist.
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Das Verhältnis von Aufsichtsrecht und Zivilrecht im Kapitalmarktrecht Inhaltsübersicht I. Problemlage und Fragestellung II. Die Entstehung des Konflikts von Aufsichtsrecht und Zivilrecht als Folge der Europäisierung mitgliedstaatlichen Kapitalmarktrechts 1. Der Integrationsansatz 2. Von der Vollharmonisierung zur Mindestharmonisierung 3. Kompetenzen zur Rechtsangleichung und Dominanz des Aufsichtsrechts 4. Ursachen für den Konflikt von Aufsichtsrecht und Zivilrecht III. Konfliktfelder und Kollisionsnormen 1. Zur Orientierung: Ansatz und Grundthese 2. Einwirkung von Aufsichtsrecht auf zivilrechtliche Standards 3. Schutzgesetzeigenschaft aufsichtsrechtlicher Normen
a) Voraussetzungen der Bestimmung einer Norm als Schutzgesetz b) Kompetenzielle Aspekte bei der Beurteilung des an die MiFID angeglichenen mitgliedstaatlichen Rechts als Schutzgesetze c) Die Beurteilung der nach Maßgabe der MiFID angeglichenen Normen als Schutzgesetze 4. Aufsichtsrecht und das entsprechende Zivilrecht widersprechen sich a) Das Aufsichtsrecht ist weniger streng als das Zivilrecht b) Das Aufsichtsrecht ist strenger als das Zivilrecht c) Systemdivergenzen zwischen Aufsichtsrecht und Zivilrecht IV. Fazit und Ausblick
I. Problemlage und Fragestellung Bis zum Ende der neunzehnhundertsiebziger Jahre ist dem deutschen Recht ein Kapitalmarktrecht weitgehend unbekannt. Das Kapitalanlage und Unternehmensfinanzierung bestimmende Recht ist im Wesentlichen durch die Trias von Bankrecht, Börsenrecht und Aktienrecht geprägt1. Auch die im Zuge des Booms der steuerbegünstigten Kapitalanlagen aufkommende, bis in das Gesellschaftsrecht hineinreichende2 anlegerschützende Rechtsprechung3 ändert hieran nicht viel, lenkt die Perspektive aber immerhin auf die durch entsprechende rechtliche Regelungen zu sichernden Funktionen eines Kapitalmarkts. Die
__________
1 Grundlegend Hopt, Vom Aktien- und Börsenrecht zum Kapitalmarktrecht?, ZHR 140 (1976), 201 (I), ZHR 141 (1977), 389 (II). Im Zusammenhang mit der Entwicklung des Kapitalmarktrechts Assmann in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 3. Aufl. 2007, § 1 Rz. 5 ff.; Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Einl. Rz. 2 ff. 2 Uwe H. Schneider, Sonderrecht für Publikumspersonengesellschaften, ZHR 142 (1978), 228. 3 S. die Hinweise bei Assmann in Assmann/Schütze (Fn. 1), § 1 Rz. 13.
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Entwicklung eines Bank-, Börsen- und Aktienrecht übergreifenden Kapitalmarktrechts verdankt ihre wesentlichen Impulse vielmehr den Bemühungen der Europäischen Gemeinschaft zur Schaffung eines einheitlichen Europäischen Finanzmarkts4. Meilensteine auf dem Weg zur Schaffung eines deutschen Kapitalmarktrechts waren das Verkaufsprospektgesetz von 1990 und das Wertpapierhandelsgesetz von 1994, mit denen verschiedene europäische Rechtsakte in deutsches Recht umgesetzt wurden5. Zu den Rechtswissenschaftlern, die die Herausbildung des Kapitalmarktrechts maßgeblich begleitet haben, gehört der Jubilar. Schon zuvor in der einen oder anderen Sache kooperierend, war es denn auch die Arbeit am ersten (und lange Zeit konkurrenzlosen) Kommentar zum Wertpapierhandelsgesetz6, aus welcher eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen Jubilar und Verfasser hervorging7. Deshalb ist es naheliegend, den Jubilar mit einem kapitalmarktrechtlichen Beitrag zu ehren. Auf Grund der Entwicklungsgeschichte des deutschen Kapitalmarktrechts aus dem Bank-, Börsen- und Aktienrecht ist es wenig verwunderlich, dass das Kapitalmarktrecht zunächst weitgehend von Zivilrechtlern und zivilrechtlich geprägten Wirtschaftsrechtlern bearbeitet wird. Das hat sich relativiert, doch noch immer nicht grundsätzlich geändert, obschon der gesetzliche Normenbestand des Kapitalmarktrechts im Wesentlichen aus strafrechtlichen und öffentlichrechtlich-aufsichtsrechtlichen Vorschriften besteht. Das mag seinen Grund darin haben, dass das Kapitalmarktrecht, nicht anders als auch das Gesellschaftsrecht, vor allem die Randbedingungen des im Wesentlichen durch privatautonomes Handeln sowie durch Markt und Wettbewerb gesteuerten Zustandekommens von Finanzierungsbeziehungen abgibt. Dabei ist bislang kaum registriert worden, in welchem Umfange öffentlichrechtlich-aufsichtsrechtlich zu qualifizierendes Kapitalmarktrecht Regelungen enthält, die funktionelles Zivilrecht darstellen. Das wiederum ist – nachweisbar namentlich an den so genannten „Wohlverhaltensregeln“ der §§ 31 ff. WpHG in allen ihren Entwicklungsphasen – darauf zurückzuführen, dass Zivilrecht, namentlich in Gestalt eines europakommensurablen anlegerschutzbezogenen Richterrechts, bislang stets das öffentliches Recht darstellende Aufsichtsrecht und seine
__________ 4 Assmann in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl. 1997, § 1 Rz. 81 ff.; Assmann in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, Wertpapierprospektgesetz/Verkaufsprospektgesetz, 2010, Einl. VerkProspG Rz. 9. Zur Entwicklung des europäischen Kapitalmarktrechts s. die Nachw. unten Fn. 10. 5 Mit dem VerkProspG wurde die Richtlinie 89/298/EWG v. 17.4.1989 (sog. Emissionsprospektrichtlinie), ABl. EG Nr. L 124 v. 5.5.1989, S. 8, umgesetzt. Das WpHG war Bestandteil des 2. Finanzmarktförderungsgesetzes (2. FFG), BGBl. I 1994, S. 1749, das der Umsetzung von drei Richtlinien diente: der Richtlinie 88/627/EWG v. 12.12.1988 (sog. Transparenz-Richtlinie), ABl. EG Nr. L 348 v. 17.12.1988, S. 62, der Richtlinie 89/592/EWG v. 13.11.1989 (sog. Insider-Richtlinie), ABl. EG Nr. L 334 v. 18.11.1989, S. 30, und teilweise bereits auch der Richtlinie 93/22/EWG v. 10.5.1993 (sog. Wertpapierdienstleistungs-Richtlinie), ABl. EG Nr. L 141 v. 11.6.1993, S. 27. 6 Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 6. Aufl. 2009. Die erste Auflage des Kommentars erschien 1995. 7 Anzuführen ist etwa die Arbeit am Kommentar Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, und im Herausgeberkreis der AG.
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europäischen Grundlagen mitgeprägt hat, nicht ohne seinerseits von diesen beeinflusst zu werden. Dass vereinheitlichtes öffentlichrechtliches Aufsichtsrecht, das funktional zivilrechtliche Regelungen enthält, und zivilrechtliche Normen und Grundsätze, die überwiegend mangels entsprechender Kompetenzen der EU nicht vereinheitlicht sind, miteinander in Konflikt treten können, wird indes erst in jüngster Zeit wahrgenommen. Vor allem nach der Umsetzung der Finanzmarktrichtlinie (MiFID)8 sind Gegensätze zwischen angeglichenem Aufsichtsrecht und nicht angeglichenem, auf die Erbringung von Finanzdienstleistungen anzuwendendem Zivilrecht nach Art und Umfang gewachsen. Alle zur Beseitigung oder zumindest Entschärfung dieses Konflikts unterbreiteten Vorschläge unterschätzen die diesem zu Grunde liegende Problematik fehlender Kompetenzen der EU zur Rechtsangleichung im Zivilrecht. Diese Konflikte können – das Ergebnis der nachfolgenden Ausführungen vorwegnehmend – de lege lata nur dadurch ausgeglichen werden, dass von einem vorbehaltlosen Primat des Zivilrechts ausgegangen wird. Dessen ungeachtet offenbart der Konflikt von Aufsichtsrecht und Zivilrecht eine bislang kaum wahrgenommene Schwäche des Konzepts der Schaffung europäischer Finanzmärkte, das im Wesentlichen auf Aufsichtsrecht und strafrechtlich sanktioniertem Marktverhaltens- und Organisationsrecht basiert. Der Beitrag bewegt sich damit in einem kapitalmarktrechtlichen Problemfeld, das hinreichend breit und tief sowie neuartig und komplex ist, um auch das Interesse des Jubilars zu wecken, dessen Neugier, Schaffenskraft und Gestaltungswille der Verfasser bis heute bewundert.
II. Die Entstehung des Konflikts von Aufsichtsrecht und Zivilrecht als Folge der Europäisierung mitgliedstaatlichen Kapitalmarktrechts 1. Der Integrationsansatz Seit dem Segré-Bericht von 19669 über den Aufbau eines Europäischen Kapitalmarkts hat das Europäische Kapitalmarktrecht eine rasante und keineswegs immer geradlinige Entwicklung genommen10. Das gilt auch für die Maßnah-
__________ 8 Richtlinie 2004/39/EG über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinie 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie/EG und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates v. 21.4.2004, ABl. EG Nr. L 145 v. 30.4.2004, S. 1. 9 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (Kommission), Der Aufbau eines europäischen Kapitalmarkts: Bericht einer von der EWG-Kommission eingesetzten Sachverständigengruppe (Brüssel 1966). 10 Zur Herausbildung des Rechtsgebiets Assmann, Kapitalmarktrecht – Zur Formation eines Rechtsgebiets in der vierzigjährigen Rechtsentwicklung der Bundesrepublik Deutschland, in Nörr, 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland – 40 Jahre Rechtsentwicklung, 1990, S. 251; Assmann, Die rechtliche Ordnung des europäischen Kapitalmarkts, ORDO 44 (1993), 87; Assmann, Harmonisierung des Kapitalmarkt- und Börsenrechts in der EG, in Deutsches und Europäisches Bank- und Börsenrecht – Bankrechtstag 1993, 1994, S. 61; Assmann in Assmann/Schütze (Fn. 4), § 1 Rz. 81 ff.; Assmann/Buck, Europäisches Kapitalmarktrecht, EWS 1990, 110 (I), 190 (II), 220 (III);
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men zur Angleichung desjenigen Rechts der Mitgliedstaaten, dem für die Schaffung eines integrierten europäischen Finanzmarkts Bedeutung zugemessen wurde. Dem Vorhaben zur Rechtsangleichung lag die Vorstellung zu Grunde, ein integrierter europäischer Kapitalmarkt ließe sich am besten durch Maßnahmen der Markterweiterung und des Abbaus von Hindernissen der Marktdurchdringung verwirklichen. Und wenig verwunderlich wurden die Haupthindernisse – neben den seinerzeit noch erheblichen Kapitalverkehrsbeschränkungen – vor allem in der Unterschiedlichkeit einschlägiger mitgliedstaatlicher Rechtsnormen gesehen11. 2. Von der Vollharmonisierung zur Mindestharmonisierung Das ursprünglich verfolgte Konzept der Vollharmonisierung wurde recht schnell als nicht tragfähig erkannt und aufgegeben: nicht nur, weil spätestens mit dem Beitritt Großbritanniens, Dänemarks und Irlands zur EG die seinerzeit für diesbezügliche Beschlussfassungen des Rats noch erforderliche Einstimmigkeit nicht zu erreichen war, sondern auch wegen der nunmehr im EG-Raum repräsentierten unterschiedlichen Systeme der Finanzmarktregulierung. Der erste Fall, an dem sich die Unmöglichkeit einer konsensfähigen Superharmonisierung des Finanzmarktrechts aus einem Guss zeigte, war der Richtlinienentwurf 1972 über die Zulassung und Beaufsichtigung von Kreditinstituten12, der von der Vorstellung einer umfassenden Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet der Bankenregulierung ausging. Mit der Einheitlichen Europäischen Akte von 1986 ist dann an die Stelle des Vorhabens der Vollharmonisierung das Konzept der Mindestharmonisierung und gegenseitigen Anerkennung getreten13, welches später noch um den Gedanken der Subsidiarität (Art. 5 Abs. 2 EGV) und der Verhältnismäßigkeit (Art. 5 Abs. 3 EGV) ergänzt wurde (zuletzt Art. 5 Abs. 1 AEUV). Mit diesem Ansatz wurde zunächst die Vollendung des Europäischen Binnenmarkts zum 31.12.1992 in Angriff genommen, und er gab darüber hinaus auch die Grundlage für die weiteren Maßnahmen zur Verbesserung des Binnenmarkts für
__________ Stefan Weber, Kapitalmarktrecht, 1999, S. 81 ff. S. auch, jeweils mit weiteren Nachweisen, Assmann, Bank- und Kapitalmarktrecht, in Gebauer/Widmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2010, Kap. 19; Elster, Europäisches Kapitalmarktrecht – Recht des Sekundärmarktes, 2002; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004, S. 289 ff.; Heinze, Europäisches Kapitalmarktrecht – Recht des Primärmarktes, 1999; Horn, Europäisches Finanzmarktrecht. Entwicklungsstand und rechtspolitische Aufgabe, 2003; Jung, Finanzdienstleistungsrecht, in Schulze/Zuleeg, Europarecht, 2006, S. 726 ff.; Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht, Bd. I 2005, § 1 Rz. 33 ff.; Klöhn, Kapitalmarktrecht, in Langenbucher, Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 2. Aufl. 2008, S. 281 ff. 11 Assmann in Assmann/Schütze (Fn. 4), § 1 Rz. 86 ff. 12 Entwurf einer Richtlinie über zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Aufnahme und Ausübung der selbständigen Tätigkeit der Kreditinstitute, Dok. XIV/508/72. 13 Einheitliche Europäische Akte (EEA) v. 17./28.2.1986, Schlussakte Bulletin EG 1986, Beil. 2, EuR 1986, 175, in Kraft getreten am 1.7.1987.
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Finanzdienstleistungen sowie zur weiteren Integration der europäischen Finanzmärkte ab14. Nicht nur die Idee der Vollharmonisierung, sondern auch die der Mindestharmonisierung bei wechselseitiger Anerkennung wurde in erster Linie mit dem Instrument der Richtlinie (Art. 239 Abs. 3 EGV = Art. 288 Abs. 3 AEUV) umgesetzt. Anders als die Verordnung (Art. 239 Abs. 2 EGV = Art. 288 Abs. 2 AEUV) verlangt sie keine Einstimmigkeit. Und von der Vorgabe, die Richtlinie solle nur die zu erreichenden Harmonisierungsziele benennen, die Verwirklichung derselben aber den Mitgliedstaaten überlassen, hat man sich rasch verabschiedet. Die Richtlinien im Bereich der Finanzmarktharmonisierung haben längst einen Konkretionsgrad erreicht, der es erlaubt, sie kurzerhand als nationales Recht zu übernehmen. Das Komitologieverfahren (auch als LamfalussyVerfahren bekannt15) und die virtuose Kombination von Richtlinien und direkt wirkenden Verordnungen haben ein Übriges getan, um der Kommission – ungeachtet der Mitwirkungsbefugnisse des Europäischen Parlaments – eine gesetzgeberähnliche Funktion zukommen zu lassen. 3. Kompetenzen zur Rechtsangleichung und Dominanz des Aufsichtsrechts Weiter ist zu beobachten, dass sich die Schaffung eines integrierten europäischen Finanzmarkts in erster Linie über die Harmonisierung des Aufsichtsrechts vollzog. Die dahinter steckende Idee ist in erster Linie die der Angleichung der Wettbewerbsbedingungen für die tragenden Institutionen des Finanzmarkts – Schaffung eines level playing field – bei gleichzeitiger Gewährleistung von Anlegerschutz. Kundenschutz, von dem man nicht erwarten kann, er
__________ 14 Nach den Bemühungen zur Vollendung des Europäischen Binnenmarkts zum 31.12.1992 bestimmte bis 2005 die Umsetzung des Aktionsplans von 1999 zur Verbesserung des Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen [Kommission der Europäischen Gemeinschaften „Aktionsplan für den Finanzbinnenmarkt“ KOM (1999) 232 endg. v. 11.5.1999; Entschließung des Europäischen Rats v. 23.3.2001 über eine wirksame Regulierung der Wertpapiermärkte, ABl. EG Nr. C 138 v. 11.5.2001, S. 1] das Rechtsangleichungsgeschehen im europäischen Finanzmarktrecht. Nach der Abarbeitung dieses Aktionsplans hat die Europäische Kommission in einem Grünbuch zur Finanzdienstleistungspolitik vom Mai 2005 – COM (2005) 177 – einen neuen Aktionsplan für die Jahre 2005–2010 zur weiteren Integration der europäischen Finanzmärkte angestellt: Anstatt neue Rechtsvorschriften vorzuschlagen, gehe es nunmehr darum, die bestehenden und im Rahmen des Aktionsplans für Finanzdienstleistungen („Financial Services Action Plan“/FSAP) formulierten Bestimmungen in die Praxis umzusetzen und die Zusammenarbeit auszubauen. Am 30.4.2007 hat die Europäische Kommission in einem Grünbuch über die Finanzdienstleistungen für Privatkunden im Binnenmarkt (KOM [2007] 226 endg. v. 30.4.2007) ihre künftige Politik im Bereich der Privatkundendienstleistungen dargelegt. 15 Grundlage: Beschluss des Rates 1999/468/EG v. 28.6.1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, ABl. EG Nr. L 184 v. 17.7.1999, S. 23 ff. Übertragung auf die Regulierung der Wertpapiermärkte: Entschließung des Europäischen Rates v. 23.3.2001, ABl. EG Nr. C 138 v. 11.5.2001, S. 1. Zuletzt Richtlinie 2005/1/EG v. 9.3.2005 zur Schaffung einer neuen Ausschussstruktur im Finanzdienstleistungsbereich, ABl. EG Nr. L 79 v. 24.3. 2005, S. 9. Zum Lamfalussy-Verfahren etwa Schmolke, NZG 2005, 912.
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werde sich als Folge von Wettbewerb und individuellen vertraglichen Vereinbarungen von selbst einstellen und der deshalb im Interesse der Gewährleistung des Vertrauens der Kunden in die gute Ordnung der Finanzmärkte durch kollektive Entscheidung herzustellen ist. Solche kollektiven Entscheidungen zum Kundenschutz im Allgemeinen und zum Anlegerschutz16 im Besonderen nehmen im Recht üblicherweise die Form zwingenden Rechts an und finden sich vor allem im Zivilrecht, namentlich dem Schuldrecht. Der EG-Vertrag indes enthielt und enthält (in Gestalt des AEUV) bis heute keine allgemeine Ermächtigung zur Harmonisierung des mitgliedstaatlichen Zivilrechts. Die Möglichkeit zur Rechtsangleichung auf dem Gebiet des Zivilrechts war und ist deshalb nur über Einzelermächtigungen unter Beachtung des Subsidiaritäts- und des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu erreichen17. Solche Einzelermächtigungen fanden sich zunächst in Gestalt der Ermächtigungen zur Schaffung des Gemeinsamen Marktes (Artt. 2 und 3 EWGV) und sodann des Binnenmarkts (Art. 148 EGV). Noch heute würde die Ermächtigung zur Angleichung der Vorschriften für den Gemeinsamen Markt nahezu jede zivilrechtliche Angleichungsmaßnahme im Bereich des Schuldrechts erlauben, doch bedürfen Richtlinien zur Rechtsangleichung, welche sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren dieses Markts auswirken, nach Art. 115 AEUV (entsprechend dem früheren Art. 94 EGV) der Einstimmigkeit. Diese ist bei 27 Mitgliedstaaten für größere Aktivitäten auf dem Gebiet des Zivilrechts nur schwerlich zu erreichen. Für Rechtsangleichungsmaßnahmen zur Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts (Artt. 26, 114 Abs. 1, 294 AEUV, den früheren Artt. 95 Abs. 1, 251 EGV entsprechend) bedarf es lediglich einer qualifizierten Mehrheit, doch ist die Ermächtigung für weitere Maßnahmen zur Errichtung und für das Funktionieren des Binnenmarkts enger als die in Bezug auf den Gemeinsamen Markt und umfasst nach herrschender Ansicht nur Akte, die der Gewährleistung der Grundfreiheiten sowie der Beseitigung von Wettbewerbsverfälschungen dienen18. Gänzlich anders sähe es dagegen aus, würde man den Kundenschutz bei Finanzdienstleistungen und damit auch den Anlegerschutz generell dem Verbraucherschutz nach Art. 169 AEUV (früher Art. 153 EGV) zuschlagen. Diese Vorschrift verlangt nicht nur die Verwirklichung eines hohen Verbraucherschutz-
__________ 16 Vgl. Assmann, ZBB 1989, 49 ff. 17 Wiedmann/Gebauer in Wiedmann/Gebauer, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 1 Rz. 14 ff., 20 ff. Zur Privatrechtsangleichung in der EU s. Franzen, Privatrechtsangleichung durch die Europäische Gemeinschaft, 1999, und Gebauer, Grundfragen der Europäisierung des Privatrechts, 1998. Zur Bedeutung des Prinzips der beschränkten Einzelermächtigung als Grundlage der Verfassungsmäßigkeit von Verträgen zur Beteiligung und Entwicklung einer als Staatenverbund konzipierten Europäischen Union unter dem deutschen Grundgesetz s. BVerfG, NJW 2009, 2267, 2271 Rz. 233 ff. 18 Herrnfeld in Schwarze, EU-Kommentar, 2. Aufl. 2009, Art. 95 EGV Rz. 5; Wiedmann/ Gebauer in Wiedmann/Gebauer, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2005, Kap. 1 Rz. 21.
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niveaus, sondern macht die solchermaßen erforderlichen strengen Maßnahmen auch noch von einer lediglich qualifizierten Mehrheit abhängig. Diesen Weg ist die Kommission bislang jedoch noch nicht gegangen, obschon der EuGH schon waghalsigere Gedankengänge zur Begründung einer Ermächtigungsgrundlage für Kommissionshandeln angestellt hat. Das mag daran liegen, dass Maßnahmen zum Verbraucherschutz keine Vollharmonisierung und Schaffung eines level playing field erlauben, denn nach Art. 169 Abs. 4 AEUV (früher Art. 153 Abs. 5 EGV) dürfen strengere Schutzmaßnahmen des einzelnen Mitgliedstaats durch die Harmonisierungsmaßnahme nicht ausgeschlossen werden. Wenig verwunderlich hat sich die Kommission zur Verwirklichung eines integrierten europäischen Finanzmarkts anderer Maßnahmen als der Angleichung von Zivilrecht und im System der Einzelermächtigungen anderer Ermächtigungsgrundlagen als die angeführten bedient. Selbst die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie19 und die Finanzmarktrichtlinie (MiFID)20 wurden nicht allgemein als Akte der Rechtsvereinheitlichung zur Verwirklichung des Gemeinsamen Markts und des Binnenmarkts legitimiert, sondern als Maßnahme „über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten“21, das heißt – im Klartext – als Maßnahme zur Vereinheitlichung der Berufsausübung22. 4. Ursachen für den Konflikt von Aufsichtsrecht und Zivilrecht Das führt zu unserem Kernthema, dem Verhältnis von Aufsichtsrecht und Zivilrecht: Niemand wird bestreiten können, dass die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie und Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente MiFID auf die Regulierung der Berufsausübung im Finanzmarkt durch öffentliches Recht hinausläuft, in seinen Verhaltenspflichten für die erfassten Finanzdienstleister aber funktionelles Zivilrecht darstellt. Die von diesen Richtlinien aufgestellten Verhaltenspflichten sind funktionell Zivilrecht, weil sie die vorvertraglichen und vertraglichen Leistungs- und Verhaltenspflichten von Marktteilnehmern betreffen. Ein Harmonisierungskonzept, das Aufsichtsrecht auf zivilrechtlich zu regelnde Sachverhalte erstreckt, bringt es mit sich, dass Aufsichtsrecht und Zivilrecht miteinander kollidieren. Dass solche Kollisionen unter der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie nur wenig vorkamen oder zumindest nicht spürbar oder praktisch wurden, hat verschiedene Gründe: Zum einen – und das gilt zumindest für das deutsche Recht – zeichneten viele von der Richtlinie vorgeschriebenen und aufsichtsrechtlich kontrollierten Verhaltens- und Organisationspflichten nur das bereits geltende Zivilrecht nach, wie es sich unter dem Einfluss des angloamerikanischen
__________
19 Richtlinie 93/22/EWG v. 10.5.1993, ABl. EG Nr. L 141 v. 11.6.1993, S. 27. 20 S. oben Fn. 8. 21 Art. 57 EWGV, dann Art. 47 Abs. 2 EGV. Diesen Vorschriften entspricht heute Art. 53 Abs. 2 AEUV. 22 Ausweislich ihrer Präambel ist die MiFID „insbesondere auf Artikel 47 Absatz 2“ EGV und die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie „insbesondere auf Artikel 57 Absatz 2“ EWGV gestützt.
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Regelungsansatzes entwickelt hatte23. Des Weiteren haben die Aufsichtsbehörden, soweit ersichtlich, nirgends Aufsichtsrecht gegen anderweitiges Zivilrecht durchgesetzt, etwa im Wege aufsichtsrechtlicher Maßnahmen wie beispielsweise den Erlass einer Untersagungsverfügung, der Verhängung von Bußgeld oder gar dem Entzug einer Lizenz. Und schließlich war das einschlägige Aufsichtsrecht in seinen funktionell zivilrechtlichen Regelungsbereichen nie so explizit, dass es keine Auslegungsspielräume eröffnete, mit hin und her wanderndem Blick auch von den Richtern zu versöhnen war oder zu glasklaren Konflikten mit geltendem Zivilrecht führte. Das alles hat sich mit der MiFID freilich gewandelt. Der Teil der Richtlinie, der funktionelles Zivilrecht zum Gegenstand hat, hat sich gegenüber der früheren Wertpapierdienstleistungsrichtlinie nicht nur erheblich vermehrt, sondern ist auch expliziter und detailreicher geworden. Damit ist das Konfliktpotential zwischen Aufsichtsrecht und Zivilrecht beträchtlich gewachsen. Das wiederum hat zur Folge, dass sich das Verhältnis von angeglichenem Aufsichtsrecht und unangeglichenem Zivilrecht nicht mehr nur als beherrschbarer Einzelfallkonflikt darstellt, sondern wegen der Breite und der Vielzahl der Konfliktfelder, zu einem Problem des Systems und der Legitimität der Rechtsangleichung im Bereich des Finanzmarktrechts geworden ist. Wegen dieses speziellen Hintergrunds, zu dem auch Kompetenzfragen in Bezug auf die Rechtsangleichung gehören, helfen – das darf vorweggenommen werden – auch die Überlegungen zur Bestimmung des Verhältnisses von öffentlichem Recht und Zivilrecht nicht weiter, wie sie vor allem die Diskussion um das Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahren aufkommende Wirtschaftsrecht beherrschten24. Die hierzu angestellten Analysen beruhten auf der Idee eines in sich stimmigen Rechtssystems, das auf Recht aus einer Hand aufbaut. Sie spiegeln die Probleme wirtschaftsrechtlicher Regulierung wider, mit denen Kontinentaleuropa nach dem Ende des 2. Weltkriegs konfrontiert war, nicht aber die Probleme der Rechtsangleichung im Finanzmarktrecht unter Bedingungen angeglichenen nationalen Rechts und der weitgehenden Abtretung der Regelungsherrschaft im Bereich namentlich des Finanzmarktrechts an die EU. Aber auch die diesen gewidmeten Ansätze kranken daran, dass sie das systemische und kompetenzielle Konfliktpotential zwischen Aufsichtsrecht und Zivilrecht einebnen und unterschätzen.
__________ 23 Als Beispiel sei hier die Pflicht eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens zu anlegergerechter Beratung des Kunden nach § 31 Abs. 4 Satz 1 WpHG – dazu Koller in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 6), § 31 Rz. 54 – angeführt, das auf entsprechende Anforderungen nach dem US-amerikanischen Recht zurückgeht. Hierzu ausführlich Kübler, Müssen Anlageempfehlungen anlegergerecht sein? Zum Stellenwert der amerikanischen „suitability“-Doktrin im deutschen Recht, FS Coing, Bd. II, 1982, S. 193 ff. 24 Solche Überlegungen finden sich namentlich bei Rothenhöfer, Interaktion zwischen Aufsichts- und Zivilrecht, in Baum/Hellgardt/Fleckner/Roth, Perspektiven des Wirtschaftsrechts, 2008, S. 57 ff.
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III. Konfliktfelder und Kollisionsnormen 1. Zur Orientierung: Ansatz und Grundthese Doch anstelle der Versuchung zu unterliegen, sofort den verschiedenen Ansätzen im Umgang mit dem Konflikt von Aufsichtsrecht und Zivilrecht nachzugehen, wie sie vor allem die Umsetzung der MiFID gebracht hat, sollen zunächst die Felder betrachtet werden, auf denen es zu den Konflikten zwischen diesen Regelungsbereichen kommt. Und da es nicht nur eines, sondern viele solcher Konfliktfelder gibt, erscheint es auch fraglich, ob es die eine Lösung des Problems gibt. Um das Ergebnis vorwegzunehmen, es gibt sie. Im Gegensatz zu den bislang entwickelten Kollisionstheorien ist die Lösung in einem absoluten Vorrang des Zivilrechts vor dem Aufsichtsrecht zu sehen. Dem liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass der EU in dem hier in erster Linie interessierenden Bereich der Erbringung von Finanzdienstleistungen die Kompetenz zur Angleichung des einschlägigen Zivilrechts fehlt; eine Kompetenz, die ihr auch nicht über eine wie auch immer geartete Drittwirkung des Aufsichtsrechts verschafft werden darf. Mit Blick auf Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit darf das Aufsichtsrecht nicht gebieten oder verbieten, was Gesetz und Rechtsprechung zivilrechtlich der Privatautonomie anheimstellen oder erlauben25. Auf jeden Fall aber ermächtigt die Rechtsgrundlage, auf die die MiFID gestützt ist26, nicht zur Harmonisierung des Zivilrechts in Gestalt von Verhaltensanforderungen an Finanzdienstleister. Bei alledem ist schließlich zu beachten, dass das Kompetenzproblem auch das Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsgebot mit umfasst und dass es bei dem Hinweis auf die durch Einzelfallermächtigungen begrenzten Befugnisse zur Vereinheitlichung des Zivilrechts nicht um formale kleinkrämerische Fragen der Handlungskompetenzen der EU geht, sondern um solche der Rechtsverfassung Europas und seiner Mitgliedstaaten. Die marktgängigen Kollisionstheorien, also die Vorschläge über die Auflösung des Konflikts von Aufsichtsrecht und Zivilrecht, sind dementsprechend nur insoweit zu behandeln als dies zur Begründung des hier vertretenen Ansatzes des Vorrangs des Zivilrechts vor dem Aufsichtsrecht erforderlich ist, denn durchweg vernachlässigen oder ignorieren die gängigen Ansichten zum Verhältnis von Aufsichtsrecht und Zivilrecht das Kompetenzproblem: – Das gilt selbst für die noch wenig rigorose vorherrschende Ausstrahlungstheorie. In ihrer milden Form sieht sie Aufsichtsrecht lediglich als gesetzgeberische Wertung, die es im Rahmen der Auslegung zivilrechtlicher Nor-
__________ 25 Koller in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 6), Vor § 31 Rz. 3, 5: Richtlinien zur Harmonisierung des Aufsichtsrechts (wie etwa MiFID) berühren nicht die Vertragsfreiheit. 26 S. oben Fn. 22.
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men zu berücksichtigen gelte27; in ihrer strengsten Form betrachtet sie das Aufsichtsrecht als Konkretisierung des Zivilrechts28. So oder so soll Aufsichtsrecht aber nicht in der Lage sein, die im Zivilrecht bestehenden Schutzniveaus zu reduzieren29. – Am stärksten wird das Kompetenzproblem von der Theorie der Doppelnorm übergangen. Sie behauptet, Aufsichtsvorschriften, welche die Erbringung von Finanzdienstleistungen zum Gegenstand hätten, seien gleichzeitig Aufsichtsrecht und Zivilrecht, also „Doppelnormen“30. – Zwischen den Polen des Meinungsspektrums, aber in der Sache und allemal im Ergebnis der „Doppelnorm“-Theorie nahe, steht die Ansicht, die der Maximalharmonisierung dienenden Richtlinien verlangten mit der Harmonisierung des Aufsichtsrechts auch diejenige des mitgliedstaatlichen Zivilrechts31. Doch sind es, wie schon erwähnt, nicht Kollisionstheorien, die hier im Einzelnen zu diskutieren sind, sondern Problemfelder und die sich aus ihnen eröffnenden Konflikte. Dabei rekurriert der Verfasser mangels hinreichender Vertrautheit mit dem österreichischen Recht, weitgehend auf die sich nach dem deutschen Recht eröffnenden Problemlagen. 2. Einwirkung von Aufsichtsrecht auf zivilrechtliche Standards Ein erstes Problemfeld erwächst aus dem Umstand, dass das Zivilrecht zur Bestimmung sowohl vertraglicher Leistungs- und Nebenleistungspflichten als auch des Verschuldens bei Ansprüchen aus Leistungsstörungen oder bei unerlaubter Handlung auf Standards rekurriert. So sollen sich nach österreichischem Recht die Pflichten desjenigen, der eine Wertpapierdienstleistung zu erbringen hat, nach dem Maßstab eines „sorgfältigen und gewissenhaften Dienst-
__________ 27 Koller in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 6), Vor § 31 Rz. 3 vor Anmerkung 5 und Rz. 5: „Richtiger erscheint es … anzunehmen, dass das Aufsichtsrecht der §§ 31 ff. lediglich auf das Zivilrecht ausstrahlt“. Dazu ebd. in Anmerkung 5: „Den Begriff der Ausstrahlung sollte man in Parallele zur Rechtsvergleichung als Transfer eines Rechtsgedankens verstehen“. 28 Rothenhöfer (Fn. 24), S. 55, 70 ff., 73 ff., 83. 29 Koller, Die Abdingbarkeit des Anlegerschutzes durch Information im europäischen Kapitalmarktrecht, FS Huber, 2006, S. 821, 840; Rothenhöfer (Fn. 24), S. 75. 30 Gruber, Die Wohlverhaltensregeln, in Braunmüller/Ennöcke/Gruber/Raschauer, Von der MiFID zum WAG 2007, 2008, S. 153 f.; Lang, Doppelnormen im Recht der Finanzdienstleistungen, ZBB 2004, 289, 294; Möllers in KölnKomm.WpHG, 2007, § 31 Rz. 9, 317; Nikolaus/d’Oleire, Aufklärung über „Kick-backs“ in der Anlageberatung: Anmerkungen zum BGH-Urteil v. 19.12.2006 = WM 2007, 487, WM 2007, 2129, 2134. Ausführlich zur „Theorie der Doppelnorm“ Rothenhöfer (Fn. 24), S. 66 ff. 31 Mülbert, Auswirkungen der MiFID-Rechtsakte für Vertriebsvergütungen im Effektengeschäft der Kreditinstitute, ZHR 172 (2008), 170, 176 ff.; Mülbert, Anlegerschutz bei Zertifikaten: Beratungspflichten, Offenlegungspflichten bei Interessenkonflikten und die Änderungen durch das Finanzmarkt-Richtlinie-Umsetzungsgesetz (FRUG), WM 2007, 1149, 1157.
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leistungserbringers“ richten32; in Deutschland gilt für die Verantwortlichkeit des Schuldners die Regelung, dass dieser Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten hat, wobei es im Hinblick auf die Beurteilung fahrlässigen Verhaltens entscheidend darauf ankommt, ob der Schuldner die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) an den Tag gelegt hat. In beiden Fällen liegt es mangels speziellerer Regelungen nahe, die im Finanzdienstleistungsbereich gebotene Sorgfalt unter Rückgriff auf die einschlägigen Verhaltenspflichten der MiFID und des entsprechenden angeglichenen Rechts – nennen wir diese der Kürze halber „Wohlverhaltensregeln“ – zu bestimmen. Euphemistisch ausgedrückt, bedeutet dies, dass die aufsichtsrechtlichen Vorschriften ins Zivilrecht ausstrahlen. In der Sache und de facto geht es aber bereits auf dieser Ebene darum, dass das Aufsichtsrecht zum Vehikel der Rechtsangleichung im Zivilrecht wird. Immerhin liegt dem kein sachlicher Regelungskonflikt zwischen Zivilrecht und Aufsichtsrecht zu Grunde; und darüber hinaus sind die Gerichte frei zu entscheiden, inwieweit sie sich bei der Konkretisierung von Sorgfaltspflichten vom Aufsichtsrecht inspirieren lassen. Allein in diesem Sinne mag es angehen, von der Ausstrahlung des Aufsichtsrechts auf das Zivilrecht zu sprechen und darunter auch noch den Transfer eines Rechtsgedankens zu fassen33, doch geht selbst diese moderateste aller Ausstrahlungs-Deutungen noch zu weit. Gänzlich unvertretbar erscheint dagegen die auf der anderen Seite des Spektrums angesiedelte Ansicht, das in der Sache vertragliche Interessenwahrungspflichten betreffende Aufsichtsrecht „konkretisiere“ das entsprechende Zivilrecht34. Die von ihren Verfechtern sehenden Auges in Kauf genommene Konsequenz dieser Ansicht ist die, dass neben den Zivilgerichten auch den Aufsichtsbehörden „zumindest mittelbar eine zweite Institution mit der Konkretisierung der zivilrechtlichen Rechte und Pflichten befasst“ wird35. Diese Folge erscheint nicht nur erschreckend, sondern ist als Eingriff in die Gewaltenteilung schlicht verfassungswidrig. 3. Schutzgesetzeigenschaft aufsichtsrechtlicher Normen Komplizierter wird es aber bereits bei der Beantwortung der Frage, ob aufsichtsrechtliche Vorschriften Schutzgesetze darstellen. Hierbei geht es um die Anwendung einer aufsichtsrechtlichen Norm als zivilrechtliche und nicht um ihre Ausstrahlung auf richterlich zu konkretisierende schuldrechtliche Verhaltenspflichten.
__________ 32 Vgl. Brandl/Klausberger, „Ausstrahlungstheorie“ – Zum Verhältnis zwischen Aufsichtsrecht und Zivilrecht nach MiFID und WAG, ZFR 2009, 131. 33 Koller in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 6), Vor § 31 Rz. 3 in Fn. 5. 34 Rothenhöfer (Fn. 24), S. 75, 83. 35 Rothenhöfer (Fn. 24), S. 83.
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a) Voraussetzungen der Bestimmung einer Norm als Schutzgesetz Die Bestimmung der Schutzgesetzeigenschaft von Normen gehört zu den nicht nur im Kapitalmarktrecht meist diskutierten Rechtsfragen36. Der Ausgangspunkt der Rechtsprechung ist klar, trägt aber nicht sehr weit: Eine Norm kann nur Schutzgesetz sein, wenn sie unmittelbar auf den Schutz des Einzelnen abzielt und damit mehr als einen Allgemeinschutz bezweckt, als dessen Reflex sich auch ein Individualschutz einstellt37. Wie gering die Trennschärfe dieses Kriteriums ist, zeigen Interpretationen ein und derselben Norm, die teils zum Individualschutz- und teils zum Allgemeinschutzcharakter einer Norm gelangen. Deshalb kommen zwei weiteren Kriterien besondere Bedeutung zu, die in der Rechtsprechung mehr und mehr hervortreten: Das eine ist subjektiver Natur und erfordert, dass das Ziel des Individualschutzes deutlich zum Ausdruck gebracht wurde38. Das andere ist objektiver Natur und verlangt, dass die Schaffung des Individualschutzes in Gestalt eines Schadensersatzanspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen muss39. Da der Gesetzgeber den einzelnen Normen kein Schutzgesetzetikett aufklebt und die Frage nach der Schutzgesetzeigenschaft einer Norm, wenn er das Problem überhaupt erkennt, gern der flexiblen Handhabung durch die Rechtsprechung überantwortet, kommt dem objektiv-systematischen Kriterium heute die entscheidende Bedeutung zu. Gleichwohl darf man sich nicht darüber täuschen, dass auch dieses Kriterium zu rechtspolitischen Erwägungen zwingt. Es verlangt nämlich nicht mehr und nicht weniger als die umfassende Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, um so die Frage zu beantworten, „ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen könnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zu Gunsten des Geschädigtem gegebenen Beweiserleichterungen zu knüpfen“40. Dabei spielen zwei Grundentscheidungen eine Rolle: Zum einen die, dass ein deliktischer Vermögensschutz grundsätzlich nur unter der Voraussetzung einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gewährt werden soll. Deshalb ist vor allem zu erklären, weshalb es in Durchbrechung dieses Systems der Anerken-
__________ 36 Zur Schutzgesetzeigenschaft namentlich kapitalmarktrechtlicher Normen und unter diesen v. a. der §§ 31 ff. WpHG s. zuletzt Schäfer, Sind die §§ 31 ff. WpHG n. F. Schutzgesetze i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB?, WM 2007, 1872 ff.; Schäfer/Schäfer, (Anmerkung zu BGH, Urt. v. 19.12.2006 – XI ZR 56/05) BKR 2007, 163 ff.; Karsten Schmidt, Kapitalmarktrecht, Kartellrecht und deliktsrechtlicher Drittschutz – Wirtschaftsrechtliche Nagelproben des Schutzgesetzprinzips nach § 823 Abs. 2 BGB, FS Schwark, 2009, S. 753 ff. 37 BGHZ 66, 388, 390 = WM 1976, 1163; BGHZ 84, 312, 314 = WM 1982, 1030; BGHZ 100, 13, 14 f. = WM 1987, 587; BGHZ 122, 1, 4 = WM 1993, 1293; BGHZ 125, 366 = WM 1994, 896. 38 BGHZ 116, 7 = NJW 1992, 241. 39 BGHZ 66, 388, 390 = WM 1976, 1163. 40 BGHZ 175, 276, 281 Rz. 18 = NJW 2008, 1734, unter Berufung auf BGHZ 84, 312, 314 = NJW 1982, 2780; BGH, NJW 2005, 2923, 2924; BGH, NJW 2006, 2112 Rz. 17.
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nung eines individuellen Anspruchs auf Ersatz eines Vermögensschadens bedarf, um die Interessen des Betroffenen zu wahren41. Zum anderen ist zu beachten, dass die Haftung von Erfüllungsgehilfen, Vertretern und Sachwaltern ebenfalls nur unter sehr engen Voraussetzungen in Betracht kommt, nämlich unter den Voraussetzungen des § 311 Abs. 3 und § 826 BGB. Jede Haftung einer solchen Person wegen der Verletzung einer Norm, die ein Schutzgesetzgesetz zu Gunsten des Geschädigten darstellen soll, verlangt deshalb den zweifelsfreien Nachweis, dass die fragliche Hilfsperson Adressat der verletzten Norm ist und dass es über den eingerichteten Rechtsschutz hinaus eines besonderen Schutzes des Geschädigten bedarf. Das Rechtspolitische bei der Beantwortung der Frage nach der Schutzgesetzeigenschaft einer Norm besteht mithin darin, dass es – wenn sich ein Wille des Gesetzgebers zur Schaffung eines Schutzgesetzes nicht eindeutig ermitteln lässt – der Feststellung bedarf, ein über das bestehende Schutzsystem hinausgehender Schutz des Geschädigten sei geboten und nur durch Anerkennung einer Norm als Schutzgesetz und nicht auf andere Weise – etwa durch Auslegung einer der bestehenden Schutznormen – erreichbar. b) Kompetenzielle Aspekte bei der Beurteilung des an die MiFID angeglichenen mitgliedstaatlichen Rechts als Schutzgesetze Betrachtet man vor diesem Hintergrund die europaweit nahezu durchweg wortlautgetreu in mitgliedstaatliches Recht umgesetzten Wohlverhaltensregeln der MiFID, so hat jeder nationale Gesetzgeber damit in erster Linie seine Umsetzungspflichten, wie sie sich aus der Richtlinie ergeben, erfüllt. Dieses umgesetzte Recht ist Aufsichtsrecht und entbehrt jeglichen zivilrechtlichen Charakters. Wie auch immer man die Ermächtigungsgrundlage des seinerzeitigen Art. 47 Abs. 2 EGV (entsprechend heute Art. 53 Abs. 2 AEUV), der eine Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten zum Zwecke der Erleichterung der Aufnahme und Ausübung solcher Tätigkeiten erlaubte, im Hinblick auf die Rechtsangleichung zivilrechtlicher Bestimmungen der Produktgestaltung und der Erbringung von Dienstleistungen auch deuten mag42, keinesfalls ermächtigt sie dazu, allein zur Erleichterung der Berufsausübung von Wertpapierdienstleistern in den Mitgliedstaaten kurzerhand deren für das Handeln von Dienstleistern maßgebliches Zivilrecht in Teilen oder im Ganzen zu korrigieren und zu einem sonderprivatrechtlichen Torso zu verwandeln. Schon aus kompetentiellen Gründen verbietet es sich daher, den Wohlverhaltensregeln der MiFID auch nur die geringste zivilrechtliche Wirkung zuzusprechen. Weil Art. 47 Abs. 2 EGV (und nunmehr Art. 53 Abs. 2 AEUV) keine Kompetenz zur Vereinheitlichung vertragsrechtlicher Anforderungen an die von einem
__________ 41 Schäfer, WM 2007, 1872, 1873. 42 Zu den Möglichkeiten Schlag in Schwarze (Fn. 18), Art. 47 EGV Rz. 24.
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Berufsträger zu erbringenden Leistungen und die Art und Weise ihrer Erbringung gewähren43, spielen auch Überlegungen von Ausschüssen, deren Mitglieder zum Zeichen ihrer europarechtlichen Inkompetenz und Regelungshybris glauben sagen zu dürfen, die MiFID-Wohlverhaltensregeln sollten auch zivilrechtliche Wirkungen haben44, keine Rolle. Ganz im Gegenteil wird man sagen müssen, dass selbst ein aufsichtsrechtliches Verständnis der Wohlverhaltensregeln erhebliche Zweifel daran aufkommen lässt, ob sie von der Kompetenz zur Koordinierung mitgliedstaatlicher Rechts- und Verwaltungsvorschriften zur Erleichterung der Aufnahme und Ausübung solcher Tätigkeiten gedeckt sind, denn sie bewirken das genaue Gegenteil einer Erleichterung der Berufsaufnahme und -ausübung: Durch den Konflikt, den die Wohlverhaltensregeln mit zivilrechtlichen Regeln hervorrufen, wird die Berufsausübung von Wertpapierdienstleistern vielmehr in bestimmten Bereichen mit erheblichen Risiken belastet und nachgerade erschwert. In vielen Bereichen werden die Wertpapierdienstleister, wenn sie einem Verstoß gegen das Aufsichtsrecht und scharfen behördlichen Sanktionen entgehen wollen, zu einem Verhalten gezwungen, zu dem sie zivilrechtlich nicht verpflichtet sind. Darüber hinaus geht das Aufsichtsrecht zumeist über das hinaus, was in der bei weitem überwiegenden Zahl von Mitgliedstaaten durch zwingendes oder dispositives Recht an Anforderungen gestellt wird. Hier geht es mithin nicht mehr um die Schaffung eines level playing field zur Erleichterung der Berufsausübung, sondern um die Schaffung eines Anlegerschutzes auf hohem Niveau, wie es Art. 153 EGV und nunmehr Art. 169 AEUV im Hinblick auf den Verbraucherschutz im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit, der Sicherheit und der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher erlaubt und verlangt. Mit anderen Worten und auf den Punkt gebracht: Die Wohlverhaltensregeln stellen Anlegerschutzbestimmungen dar und keine Vorschriften zur Erleichterung der Aufnahme und Ausübung selbständiger Berufsausübung und sind durch Art. 47 Abs. 2 EGV und nunmehr Art. 53 Abs. 2 AEUV nicht gedeckt. Angesichts dessen wäre es ein Hohn verlangen zu wollen, die Mitgliedstaaten sollten zur Vermeidung oder Beseitigung von Konflikten zwischen angeblichem europarechtlichen Aufsichtsrecht und mitgliedstaatlichem Zivilrecht doch einfach ihr Zivilrecht dem Aufsichtsrecht anpassen. Deshalb ist auch die Ansicht unhaltbar, solche Konflikte seien in der Weise zu vermeiden, dass man die MiFID als einen Akt der Maximalharmonisierung betrachte, welche das Zivilrecht mit einschließe und mithin dessen Anpassung verlange45.
__________ 43 Assmann, Interessenkonflikte aufgrund von Zuwendungen, ZBB 2008, 21, 30; Rothenhöfer (Fn. 24), S. 68. Auch nach Honsell, Die Erosion des Privatrechts durch das Europarecht, ZIP 2008, 621, 624 f., lässt sich selbst „mit der größten Phantasie und der oberflächlichsten Assoziation“ aus Art. 47 EGV „keine Kompetenz für eine Regelung von Wertpapiergeschäften herleiten“. 44 Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments v. 4.9.2003, KOM (2002) 625 – C 5 – 0586/2002-2002/0269 (COD) zum Änderungsantrag Nr. 23. 45 Vor allem Mülbert, ZHR 172 (2008), 170, 176 ff.; Mülbert, WM 2007, 1149, 1157; Nikolaus/d’Oleire, WM 2007, 2129, 2134.
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c) Die Beurteilung der nach Maßgabe der MiFID angeglichenen Normen als Schutzgesetze Nicht in jeder Hinsicht mit den gleichen Argumenten, aber im Ergebnis weitgehend übereinstimmend wird deshalb den in nationalstaatliches Recht umgesetzten Wohlverhaltensregeln der MiFID der Schutzgesetzcharakter abgesprochen. In einer Formulierung einer gewichtigen Stimme aus dem Schrifttum hat das seinen Grund darin, „dass die aufsichtsrechtlichen Normen auch weiterhin nur das bereits bestehende differenzierte zivilrechtliche Haftungssystem überlagern und als Auslegungshilfen für Inhalt und Reichweite der (vor-)vertraglichen Pflichten auch ohne Gewährung eines zusätzlichen deliktischen Vermögensschutzes Bedeutung haben“46. Das entspricht in der Sache wiederum der Rechtsprechung, die auch für den Fall, dass man einer Wohlverhaltensregel anlegerschützende Funktion beimisst, die Wirkung dieser Norm nach Maßgabe des bestehenden Haftungssystems einschränkt. Habe eine Norm auch anlegerschützende Funktion, so heißt es in einem Urteil des BGH vom 19.12.200647, könne sie zwar für Inhalt und Reichweite vorvertraglicher oder vertraglicher Aufklärungs- und Beratungspflichten von Bedeutung sein, doch könne ihr zivilrechtlicher Schutzbereich nicht über diese vorvertraglichen oder vertraglichen Pflichten hinausgehen. Daraus folge, dass ihnen keine eigenständige, über die zivilrechtlichen Aufklärungs- und Beratungspflichten hinausgehende schadensersatzrechtliche Bedeutung zukomme48. Das sind starke Worte, denn sie geben dem gegenwärtigen zivilrechtlichen Haftungssystem wenn nicht eine Ewigkeitsgarantie so doch ein Primat, das nur vom Gesetzgeber mit zielgerichtetem Gestaltungswillen aufgehoben werden kann. 4. Aufsichtsrecht und das entsprechende Zivilrecht widersprechen sich Ein weiterer Konfliktfall kann daraus erwachsen, dass sich das angeglichene mitgliedstaatliche Aufsichtsrecht und das entsprechende Zivilrecht widersprechen. a) Das Aufsichtsrecht ist weniger streng als das Zivilrecht Ein solcher Widerspruch kann zunächst darin bestehen, dass das Aufsichtsrecht weniger streng ist als das Zivilrecht oder Ausnahmen aufweist, die das Zivilrecht nicht kennt. Ein solcher Fall scheint einfach zu handhaben, ist es aber keineswegs. Das lässt sich an folgendem Sachverhalt belegen: Der größte
__________ 46 Schäfer, WM 2007, 1872, 1876. 47 BGHZ 170, 226, 232 Rz. 18 = ZIP 2007, 518, 519 f. Zu der Entscheidung s. Elixmann, BB 2007, 904; Lang/Balzer, ZIP 2007, 521; Nikolaus/d’Oleire, WM 2007, 487; Schäfer/Schäfer, BKR 2007, 163. 48 Vgl. Nobbe, Aufklärungs- und Beratungspflichten bei Wertpapieranlagen, in Horn/ Schimansky, Bankrecht, 1998, S. 235, 250 f.
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Teil von Wohlverhaltenspflichten findet nach der MiFID und nach mitgliedstaatlichem Aufsichtsrecht auf Geschäfte mit geeigneten Gegenparteien (im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der MiFID und nach den angeglichenen Vorschriften in § 31b WpHG und § 60 Abs. 1 des österreichischen WAG) keine Anwendung. Dem mitgliedstaatlichen Zivilrecht ist der Begriff der geeigneten Gegenpartei jedoch nicht bekannt, weshalb es auch Geschäfte mit Personen, die nach der Richtlinie „geeignete Gegenparteien“ sind, den Wohlverhaltensregeln ähnlichen Anforderungen unterwirft: im österreichischen Recht etwa Pflichten aus §§ 1009, 1013 ABGB und § 384 Abs. 2 UBG und im deutschen Recht etwa den Anforderungen aus § 384 Abs. 2 HGB49. Das Spektrum der Ansichten, wie mit diesem Konflikt umzugehen sei, ist groß, doch sind aus diesem nur zwei extreme Ansichten herauszugreifen: Nach einer ersten, vor allem von Mülbert50 vertretenen Ansicht soll die MiFID eine Maximalharmonisierung zum Gegenstand haben, die weder strengeres nationales Aufsichtsrecht noch strengeres Zivilrecht erlaube. Strengeres Zivilrecht wäre mithin richtlinienwidrig und damit nicht anzuwenden. Dieser Ansatz wird ganz überwiegend abgelehnt51 und zwar schon deshalb zu Recht, weil er eine Befugnis zur Angleichung des Zivilrechts unterstellt, die in diesem Bereich von der Kommission weder in Anspruch genommen wurde noch tatsächlich besteht. Spindler/Kasten52 geben dagegen zu erwägen, man könne in der aufsichtsrechtlichen Umsetzung der MiFID auch ohne Änderung des Zivilrechts die zivilrechtlich maßgeblichen Pflichten umschrieben sehen, räumen aber ein, „selbstverständlich“ sei dies nicht. Ungeachtet dieses Vorbehalts gehört dieser Vorschlag in den Bereich methodischer Anarchie. Gleichwohl stimmen Brandl/ Klausberger diesem Angriff auf die juristische Methodenlehre prinzipiell zu und behaupten, es sei davon auszugehen, der Gesetzgeber habe mit der Erlassung dieses Normenwerks die Absicht verfolgt, dieses im WAG festgelegte Schutzniveau in der gesamten Rechtsordnung zu etablieren53. Abgesehen davon, dass es hierfür nicht den geringsten Beleg gibt, wäre dies eine Abkehr von der Rechtsstaatlichkeit: Jedes beliebige Recht ginge als lex posterior früherem gegenteiligen Recht vor, ohne dass es den Normadressaten, denen sich der Wille des Gesetzgebers weniger leicht erschließt als diesen Autoren, erkennbar wäre. Begründet wird dies nicht minder befremdlich mit dem Hinweis, hierbei handele es sich um eine „teilweise materielle Derogation“54. In der Sache hätte diese Ansicht zur Folge, dass das Aufsichtsrecht dem Zivilrecht stets vor-
__________ 49 S. dazu schon Brandl/Klausberger, ZFR 2009, 131, 133 f. m. w. N. 50 Mülbert, ZHR 172 (2008), 170, 176 ff.; Mülbert, WM 2007, 1149, 1157. 51 Etwa Koller in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 6), Vor § 31 Rz. 4 f.; Rothenhöfer (Fn. 24), S. 68 f. 52 Spindler/Kasten, Organisationsverpflichtungen nach der MiFID und ihre Umsetzung, WM 2006, 1797, 1798. 53 Brandl/Klausberger, ZFR 2009, 131, 133. 54 Brandl/Klausberger, ZFR 2009, 131, 133.
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ginge55, wobei eine umgekehrte Beeinflussung offenbar gar nicht für möglich gehalten wird. Vermittelnde Meinungen führen in diesem Konflikt widersprüchlichen Rechts zu keinen handhabbaren Ergebnissen. Das gilt vor allem für die gerade in diesem Bereich diffuse Ausstrahlungstheorie56. Nach der hier vertretenen Ansicht geht das Zivilrecht vielmehr ihm widersprechendem Aufsichtsrecht vor. Wer seinen zivilrechtlichen Pflichten genügt, kann sich ohne gesetzliche Anpassung des Zivilrechts und solange diese nicht erfolgt ist weder auf aufsichtsrechtliche Privilegierungen berufen noch kann er, bei strengerem Aufsichtsrecht, aufsichtsrechtlich belangt werden. Und das gilt auch dann, wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht nicht davon ausgehen wollte, dem vorliegend in Frage stehenden Aufsichtsrecht fehle die Rechtsgrundlage im europäischen Recht. Jedenfalls kann aufsichtsrechtlich nicht rechts- und pflichtwidrig sein und mit Bußgeld oder anderen Sanktionen belegt werden, was zivilrechtlich zulässig und rechtmäßig ist. Es ist der Gesetzgeber, der diesen Normenkonflikt schafft und ihn deshalb auch zu beseitigen hat. Er kann in der Anpassung des Zivilrechts bestehen, doch ist der Gesetzgeber dazu nicht verpflichtet, schon gar nicht durch die MiFID57. b) Das Aufsichtsrecht ist strenger als das Zivilrecht Die vorstehenden Überlegungen müssen erst recht für den Fall strengeren Aufsichtsrechts gelten. Dabei ist zu beachten, dass es zu Konflikten nur in solchen Fällen kommt, in denen es um Aufsichtsrecht geht, das funktional zivilrechtliche Sachverhalte behandelt, wie die von einer Partei zu beachtenden Verhaltenspflichten und auf die Leistungserbringung zugeschnittenen Organisationspflichten. Man denke etwa an die Aufklärungspflichten eines Finanzdienstleisters oder an die Pflicht eines Wertpapierdienstleistungsinstituts, für anlegergerechte Empfehlungen Sorge zu tragen. In diesen Fällen kann es schlechterdings nicht angehen, dass zivilrechtlich rechtmäßiges Verhalten aufsichtsrechtliche Sanktionen nach sich zieht. c) Systemdivergenzen zwischen Aufsichtsrecht und Zivilrecht Nicht anders verhält es sich in den nicht gerade wenigen Fällen, in denen es nicht um einzelne Normen oder Verhaltenspflichten geht, sondern um komplexe Regelungszusammenhänge, in denen es Systemdivergenzen zwischen Aufsichtsrecht und Zivilrecht gibt, und sei es auch nur in der Weise, dass das Aufsichtsrecht teils strenger teils weniger streng ist als das Zivilrecht. Ein solcher Beispielsfall ist etwa die Regelung von kick backs, Retrozessionen, internen Provisionszahlungen, inducements oder Anreizen beim Anlagevertrieb, wie sie sich in Deutschland unter dem Titel der „Zuwendungen“ in § 31d
__________ 55 Brandl/Klausberger, ZFR 2009, 131, 133. 56 S. oben III. 1. mit Fn. 27 ff. 57 Koller in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 6), Vor § 31 Rz. 5.
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WpHG und in Österreich unter dem Titel der „Gewährung und Annahme von Vorteilen“ in § 39 WAG findet58. Dabei interessieren hier weder die Details des Rechts der Innenprovisionen bei Kapitalanlagen noch damit verbundene Folgeprobleme wie etwa Pflichten zur Herausgabe pflichtwidrig erlangter Provisionen an den Kunden. Das Regelungsfeld verdient unsere Aufmerksamkeit im vorliegenden Zusammenhang vielmehr nur im Hinblick auf den Konflikt zwischen Zivilrecht und Aufsichtsrecht. Abweichend von der MiFID und ihren Annexen findet sich im deutschen, von Richterrecht geprägten Zivilrecht eine eigenwillige Behandlung von Innenprovisionszahlungen, die nach Dienstleistern einerseits und Schutzzwecken andererseits differenziert: Im Hinblick auf die von Innenprovisionen verursachten Interessenkonflikte des Empfängers und Vertragspartners des Kunden verlangt die Rechtsprechung allein von anlageberatenden Banken eine Aufklärung über den Erhalt und die Höhe von Provisionen, die ihr etwa der Emittent der empfohlenen Anlage zahlt59. Die Übertragbarkeit dieser Pflicht auf andere, so genannte freie Anlageberater ist umstritten, aber wohl vom BGH nicht intendiert60. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung eine Aufklärungspflicht über Innenprovisionen begründet, welche sich am Schutz der Vorstellungen des Anlegers über die Werthaltigkeit seiner Anlage ausrichtet. Wann immer die Innenprovisionen mehr als 15 % des Erwerbspreises der Anlage ausmachen, müssen der Emittent und der Vermittler der Anlage hierüber aufklären61. Diese Rechtsprechung ist mit der Vorschrift des § 31d WpHG, welche der Umsetzung der MiFID dient, nicht vereinbar62. Es finden sich zwar Überschneidungen im Publizitätsansatz, nicht aber in den Details und dem vom europäischen Sekundärrecht vorgesehenen Regel/Ausnahme-Verhältnis. Die Rechtsprechung – und das gilt für alle Ebenen – hat sich bislang jedoch in keinem Fall an diesem Konflikt gestoßen und entwickelt den zivilrechtlichen Ansatz gänzlich unbeeinflusst vom Aufsichtsrecht und Europarecht. Nicht einmal eine Ausstrahlungswirkung des Aufsichtsrechts des § 31d WpHG auf die Weiterentwicklung des einschlägigen Zivilrechts ist von den Gerichten bislang angedeutet, geschweige denn thematisiert worden. Auch wenn die Rechtsprechung dies nicht begründet und man ihren Ansatz kritisieren mag, so tut sie im Hinblick auf den Konflikt von Zivilrecht und Aufsichtsrecht genau das
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58 Zum Gesamtkomplex unter Einbeziehung der Rechtsharmonisierung in diesem Bereich aus deutscher Sicht Assmann, Interessenkonflikte und „Inducements“ im Lichte der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente, ÖBA 2007, 40; Assmann, ZBB 2008, 21; Assmann, Die Pflicht von anlageberatern und Anlagevermittlern zur Offenlegung von Innenprovisionen, ZIP 2009, 2125. Aus österreichischer Sicht etwa Brandl/Klausberger in Brandl/Saria (Hrsg.), Wertpapieraufsichtsgesetz, 2008, § 39 Rz. 1 ff.; Zahradni/Gutmann, Inducements und best execution, in Braumüller/ Ennöckl/Gruber/Raschauer, Von der MiFID zum WAG 2007, 2008, S. 155, 162 ff. 59 BGH, ZIP 2001, 230; BGH, BGHZ 170, 226 = ZIP 2007, 518; BGH, ZIP 2009, 455. 60 Dazu ausführlich und m. w. N. Assmann, ZIP 2009, 2125. 61 BGH, BGHZ 158, 110, 121 = ZIP 2004, 1055, 1059; BGH, ZIP 2005, 1599, 1602; BGH, ZIP 2006, 568, 569; BGH, ZIP 2007, 871; BGH, BKR 2008, 199 Rz. 14. 62 S. schon Assmann, ZIP 2009, 2125, 2134.
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Richtige: Sie sieht offenbar keinen solchen Konflikt, jedenfalls aber löst sie ihn implizit im Sinne eines Primats des Zivilrechts.
IV. Fazit und Ausblick Damit ist am Ende dieses Beitrags das Zauberwort des vorliegend vorgetragenen Ansatzes zur Behandlung des Verhältnisses von angeglichenem Aufsichtsrecht zu nicht angeglichenem Zivilrecht gefallen: Primat des Zivilrechts. Primat des Zivilrechts gegenüber einem angeglichenen Aufsichtsrecht, das zwar funktionelles Zivilrecht darstellt, das aber ohne jede Kompetenz der EU zur Regelung der fraglichen zivilrechtlichen Bereiche erlassen wurde. Dieser Ansatz hat Folgewirkungen zumindest im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des von nicht angeglichenem nationalem Zivilrecht abweichenden Aufsichtsrechts. Sie bestehen vor allem darin, dass Aufsichtsrecht nicht gegen anderweitiges unangeglichenes Zivilrecht eines Mitgliedstaats durchgesetzt und damit entgegen den beschränkten Kompetenzen der EU zur Vereinheitlichung des Zivilrechts als zivilrechtlich bindende Verhaltensvorschrift durchgesetzt werden darf. Die hieraus entstehende Konfliktlage lässt sich entweder dadurch beheben, dass europäisches Sekundärrecht auf die Harmonisierung von Aufsichtsrecht verzichtet, das funktional seinem Einwirkungsbereich entzogenes Zivilrecht darstellt, oder in der Weise, dass der jeweilige mitgliedstaatliche Gesetzgeber das betroffene Zivilrecht dem harmonisierten Aufsichtsrecht anpasst. Eine Verpflichtung hierzu besteht allerdings nicht. Durchaus denkbar, aber europarechtlich in keiner Weise geboten, ist auch die richterliche Fortbildung von Zivilrecht im Lichte des EU-Aufsichtsrechts im Rahmen jeweils zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung. Eine letzte Perspektive zur Behebung des fraglichen Konflikts ist in der Ausweitung der Kompetenzen der EU zur Regelung zivilrechtlicher Verhaltenspflichten auf Finanzmärkten zu sehen. Sie ist indes ebenso wenig absehbar wie erstrebenswert.
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Gibt es Musikerjuristen? Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Dichterjuristen und Musikerjuristen bei Eugen Wohlhaupter III. Musikerjuristen auf der Spur IV. Vom Recht zur Musik – vier Skizzen 1. Der Ausdauernde: Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788)
2. Der Zerrissene: Robert Schumann (1810–1856) 3. Der Edle: Peter Iljitsch Tschaikowski (1840–1893) 4. Der Aktivist: Luigi Nono (1924–1990) V. Parallele Leben – fünf Richter VI. Schlussbemerkung
I. Einleitung Die Anregung zu diesen Zeilen kam von dem – musikbegeisterten – Jubilar. Mit gewohntem Überblick über die Szene und erprobtem Sinn fürs Unerforschte1 riet er: Schreiben Sie etwas über Musikerjuristen, dazu gibt es nichts. Den Beweis dafür zu führen, dass etwas nicht existiert, ist bekanntlich schwierig. Immerhin: elektronische Suchdienste versprechen den Zugang zum Wissen der Welt. Eine Probe aufs Exempel im März 2010 ergibt bei Google 34 Einträge für den Begriff des Musikerjuristen. Zum Vergleich: In 0,13 Sekunden findet mein digitales Gegenüber 31.100 Nennungen für „Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz“. Bei Eingabe des Begriffs „Juristen“ hört der Apparat bei 1.830.000 zu zählen auf. Der Jubilar hat wieder einmal Recht: Im Vergleich dazu ist 34 tatsächlich – fast – nichts. Zudem wirkt die Maschine merkwürdig unsicher. „Meinten Sie ‚Musiker Juristen‘?“ lautet die nach 0,34 Sekunden gestellte Gegenfrage. Eine genauere Auswertung der Fundstellen fördert denn auch nur eine Handvoll Belege für „Musikerjuristen“ zutage, darunter Eugen Wohlhaupters Magnum Opus über Dichterjuristen2 und einen von Hermann Weber herausgegebenen Tagungsband3. Im Folgenden wollen wir die Kategorie des Musikerjuristen etwas näher in Augenschein nehmen und uns auf die Suche nach Vertretern dieser Species begeben.
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1 Vgl. zuletzt Uwe H. Schneider, Ethik im Bank- und Kapitalmarktrecht, ZIP 2010, 601. 2 Eugen Wohlhaupter, Dichterjuristen, 3 Bände, Tübingen 1953–1957 (im Folgenden: „Wohlhaupter, Band I-III“). Wohlhaupters Werk enthält u. a. Lebensbeschreibungen der Dichterjuristen Goethe, Grillparzer, Kleist, E.T.A. Hoffmann, Eichendorff, Uhland, Heinrich Heine, Friedrich Hebbel, Theodor Storm und Gottfried Keller. 3 Hermann Weber (Hrsg.), Literatur, Recht und Musik, 2007.
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II. Dichterjuristen und Musikerjuristen bei Eugen Wohlhaupter Wenn wir dies richtig sehen, ist der Begriff des Musikerjuristen ein Nebenprodukt der Forschungen des Rechtshistorikers Eugen Wohlhaupter über Dichter mit juristischem Hintergrund. Dort taucht der Begriff „Dichterjurist“, soweit ersichtlich, erstmals in der Überschrift einer Veröffentlichung aus dem Jahre 19434 auf. Eine Reihe weiterer Manuskripte des Autors zum Thema „Dichterjuristen“, die in den Kriegsjahren entstanden, blieben zunächst unveröffentlicht. Wohlhaupter hatte ursprünglich die Absicht, seine Arbeiten unter dem Titel „Juristen und Künstler, Persönlichkeiten und Begegnungen“ zu veröffentlichen5. Die von Horst Georg Seifert nach Wohlhaupters Tod besorgte Ausgabe erhielt schließlich den Titel „Dichterjuristen“. Am Ende dieses Werks findet sich ein Abschnitt über „Juristen als Künstler“, der die uns interessierenden Definitionen enthält. Wohlhaupter versteht den Dichterjuristen als „geborenen Poeten, der sich mit seinem Juristenberuf mehr oder minder gut abfindet“6, wobei er ausdrücklich einen Studienabschluss nicht voraussetzt. Vom Dichterjuristen unterscheidet er den Juristendichter, einen „bedeutenden Juristen, der auch noch nennenswerte Gedichte macht“. Wohlhaupter lässt sodann Dichterjuristen aus fünf Jahrhunderten Revue passieren, um sich anschließend anderen Künstlerjuristen zu widmen. Nachdem Malerjuristen nur kurz gestreift werden7, wendet sich Wohlhaupter den Musikern zu: „Weit seltener als Dichterjuristen sind auch Musikerjuristen, wenn wir uns nämlich nicht genügen lassen an der Begeisterung für Musik und an talentvoller Wiedergabe fremder Kompositionen – was sich in Juristenkreisen bis auf den heutigen Tag sehr häufig findet, – sondern eigene Schöpfung fordern“8.
Hier wird deutlich, dass Wohlhaupter den Begriff des Musikerjuristen nicht so klar vom Juristenmusiker abgrenzt, wie er dies bei dem Begriffspaar Dichterjurist/Juristendichter tut. Tatsächlich erwähnt er zwar musizierende Juristen9, verwendet jedoch nicht den Begriff der Juristenmusiker. Konsequent zu Ende formuliert wird Wohlhaupters Begrifflichkeit von Hermann Weber: „Natürlich gibt es die ‚Musikerjuristen‘ (Musiker, die den
__________ 4 Eugen Wohlhaupter, Timm Kröger als Dichterjurist, Kieler Zeitung vom 25. Februar 1943 (zitiert nach „Übersicht über die gesamte literarische und dozentische Tätigkeit von Prof. Wohlhaupter“, in Hans Hattenhauer (Hrsg.), Rechtswissenschaft im NSStaat: Der Fall Eugen Wohlhaupter, 1987, S. 134). Der von tiefer Vaterlandsliebe erfüllte Wohlhaupter war – auch religiös motiviert – Gegner des NS-Regimes. 5 S. Wohlhaupter, Vom tätigen Leben, Bilder der Erinnerung, in Hattenhauer (Fn. 4), S. 43, 116. 6 Wohlhaupter, Band III, S. 406. 7 Wohlhaupter konzentriert sich auf Dichterjuristen mit „Doppelbegabung“; der Herausgeber weist auf Kandinsky, Matisse und Cézanne hin, s. Wohlhaupter, Band III, S. 434. 8 Ebd., S. 435. 9 Ebd., Fn. 1 mit Beispielen musizierender Kollegen aus der Referendarzeit des Autors in München.
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juristischen Beruf erlernt haben und ihn vielleicht sogar ausüben), und die ‚Juristenmusiker‘ (Juristen, die sich neben ihrem Beruf als Komponisten oder – sicher häufiger – als Interpreten musikalisch betätigen)“10. Noch eine Spur nuancierter könnte man dann den Musikerjuristen im engeren Sinne (den Komponisten oder ausübenden Musiker mit abgeschlossenem juristischen Studium) und den Musikerjuristen im weiteren Sinne (Musiker, der sein Jurastudium abgebrochen hat) unterscheiden11. Diesen Musikerjuristen, im engeren oder weiteren Sinne verstanden, wollen wir uns nun zuwenden, wobei wir uns im folgenden auf die Komponisten beschränken12.
III. Musikerjuristen auf der Spur „Reclams Komponistenlexikon“13 enthält über 700 Kurzbiografien von Komponisten vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart. Eine Auswertung der hier enthaltenen Daten ergibt, dass jeder sechste Komponist eine außermusikalische Berufsausbildung zumindest begonnen hat. Die Spannbreite ist weit. Wir finden Gehilfen und Lehrlinge bei Anwaltskanzleien und Banken (Thomas Arne, Edward Elgar, Arnold Schönberg), Handwerker (Albinoni), Offiziere (Nikolai Rimski-Korsakow, Modest Mussorgski, Albert Roussel), Lehrer (Johann Nepomuk David, Anton Bruckner, Leos Janácek), Theologen, Philosophen, viele Geistliche (darunter Antonio Vivaldi), einen Biologen (Aram Chatschaturjan) und einen Chemieprofessor, der auch als Mediziner tätig war (Alexander Borodin). Im 20. Jahrhundert begegnen uns Mathematikstudenten (u. a. Frank Martin, Boris Blacher, Henk Badings, Witold Lutoslawski, Milton Babbitt und Juan Allende-Blin) und – vor allem in den USA – mehrere Kaufleute (John Carpenter, Charles Ives, Morton Feldman).
__________ 10 Hermann Weber, Recht, Literatur und Musik – Aspekte eines Themas, in Weber (Fn. 3), S. 1, 2. Als „Juristenmusiker“ – landläufig: Hobbymusiker – würden heute etwa die Kollegen anzusehen sein, die dem 2002 gegründeten Bundesjuristenorchester angehören. Auch die musizierenden Mitglieder der 2001 gegründeten Freshfields Sinfonietta, eines Orchesters, das sich aus Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten der Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer LLP zusammensetzt, sollen hier – nicht ohne Augenzwinkern – Erwähnung finden. 11 Vergleiche die Definition von „Dichterjurist“ bei Wikipedia, abrufbar unter http:// de.wikipedia.org/wiki/dichterjurist. 12 Damit bleiben Dirigenten und ausübende Musiker außer Betracht. Bekanntestes Beispiel eines dirigierenden Musikerjuristen dürfte Karl Böhm (1894 bis 1981) sein, der im Jahr 1919 zum Dr. jur. promoviert wurde (Biografie abrufbar unter http:// www.klassikakzente.de/Karlboehm/biografie/). In einem Beitrag für Voice of Russia vom Dezember 2009 wird der lyrische Tenor Leonid Sobinow (1872 – 1934) als herausragender Musikerjurist benannt. Sobinow war nicht nur Absolvent der Juristischen Fakultät der Moskauer Universität (1894), sondern hatte auch begonnen, als Strafverteidiger erste Erfahrungen zu sammeln, bevor er seine Karriere am BolschoiTheater begann, s. Olga Fjodorowa, „Lawyers-turned-musicians“, abrufbar unter http://english.ruvr.ru/radio_broadcast/2248383/3038827/. 13 Melanie Unseld (Hrsg.), Reclams Komponistenlexikon, 2009 (im folgenden: „Reclams Komponistenlexikon“).
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Eine Gruppe ragt – rein zahlenmäßig – heraus: ein knappes Drittel der 140 aufgeführten Komponisten mit (zumindest begonnener) fachfremder Ausbildung hat, wie kurz auch immer, eine Bekanntschaft mit der Welt des Rechts gemacht. Hier sind unsere Musikerjuristen, chronologisch geordnet nach Geburtsjahr14: – Guillaume Du Fay (1397 Beersel bei Brüssel – 1474 Cambrai), 1428 zum Priester geweiht, möglicherweise Jurastudien nach 1437, Grabstein weist ihn aus als „baccalaurius in decretis“. – Heinrich Schütz (1585 Köstritz – 1672 Dresden), Jurastudium in Marburg15. – Johann Hermann Schein (1586 Grünhain – 1630 Leipzig), 1608 bis 1612 Jurastudium an der Universität Leipzig16. – Heinrich Albert (1604 Lobenstein – 1651 Königsberg), ab 1623 Jurastudium in Leipzig17. – Johann Kuhnau (1660 Geising – 1722 Leipzig), Vorgänger Johann Sebastian Bachs als Thomas-Kantor in Leipzig, 1682 bis 1688 Jurastudium an der Universität Leipzig. – Friedrich Erhard Niedt (1674 Jena – 1708 Kopenhagen), Notar in Jena18. – Johann Mattheson (1681 Hamburg – 1764 ebd.), im Alter von neun Jahren (!) zwei Collegia in Jura belegt, 1706 Sekretär des englischen Gesandten, nachdem er zuvor „Rechte und Staatskunde“ studiert hatte19. – Georg Philipp Telemann (1681 Magdeburg – 1767 Hamburg), 1701 Jurastudium an der Universität Leipzig20. – Johann David Heinichen (1683 Krössuln – 1729 Dresden), ab 1702 Jurastudium an der Universität Leipzig, Biografien berichten von Advokatentätigkeit in Weißenfels.
__________ 14 Die biografischen Angaben wurden in der Regel Reclams Komponistenlexikon entnommen; Abweichungen und Ergänzungen sind jeweils vermerkt. 15 Die genauen Studiendaten lassen sich nur schwer rekonstruieren; vgl. Stiens, Vom Recht zur Kunst, 14 Porträts unvergänglicher Künstler, die zuvor Juristen waren, 2. Aufl. 2003, S. 34 ff. 16 Angaben zum Jurastudium aus Wikipedia. 17 Dieser Liederkomponist (Ännchen von Tharau) ist in Reclams Komponistenlexikon nicht erwähnt; Angaben aus Wikipedia. 18 Nicht in Reclams Komponistenlexikon enthalten. Niedt, den auch Wohlhaupter (Band III, S. 436) als Musikerjuristen erwähnt, soll Jura in Jena studiert haben. Angaben aus www.thueringer-komponistenlexikon.de. 19 Reclams Komponistenlexikon führt Mattheson nicht auf; biographische Angaben aus: Diez Eichler, Die spitze Feder des Johann Mattheson, Vortrag 12.4.2008, abgerufen unter www.clavichord.info/Vortrag_Mattheson.com. Ob man den Hamburger Opernkomponisten und Musiktheoretiker, der keine höhere Schule besuchte, wirklich als Juristen bezeichnen sollte, sei dahingestellt. In der Musikgeschichte brachte er es zu Ruhm durch das (folgenlose) Duell mit seinem Freund Händel. 20 S. unten Fn. 38.
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– Georg Friedrich Händel (1685 Halle [Saale] – 1759 London), 1702 vorübergehend immatrikuliert an der Universität Halle21. – Benedetto Marcello (1686 Venedig – 1739 Brescia), Sohn eines Advokaten, nach einem Jurastudium 1711 in den venezianischen Rat der Vierzig, ein Berufungsgericht, gewählt, wo er 14 Jahre lang tätig war, 1730 Provveditore (Gouverneur) in Pola, 1738 Kanzler und Schatzmeister in Brescia22. – Johann Friedrich Fasch (1688 Buttelstedt – 1758 Zerbst), 1708 Beginn eines Jurastudiums in Leipzig, 1715 „Sekretair und Cammerschreiber“ in Gera, 1719 bis 1721 Stadtschreiber in Greiz23. – Giuseppe Tartini (1692 Pirano [Istrien] – 1770 Padua), Jurastudium in Padua, auch geweihter Priester. – Wilhelm Friedemann Bach (1710 Weimar – 1784 Berlin), ab 1729 u. a. Jurastudium in Leipzig. – Carl Philipp Emanuel Bach (1714 Weimar – 1788 Hamburg), Jurastudium in Leipzig und Frankfurt (Oder)24. – Leopold Mozart (1719 Augsburg – 1787 Salzburg) 1737 Immatrikulation an der Salzburger Benediktiner-Universität für Jura und Philosophie, 1738 Baccalaureus der Philosophie, 1739 von der Universität verwiesen wegen schlechten Benehmens, mangelnden Fleißes und unregelmäßigen Kollegbesuches. – Johann Adam Hiller (1728 Wendisch-Ossig bei Görlitz – 1804 Leipzig), Jurastudium in Leipzig. – Johann Christoph Friedrich Bach (1732 Leipzig – 1795 Bückeburg), 1749 Jurastudium in Leipzig. – Christian Gottlob Neefe (1748 Chemnitz – 1798 Dessau), bekannt als Lehrer Ludwig van Beethovens, Jurastudium in Leipzig 1767 bis 177125. – Franz Anton Hoffmeister (1754 Rottenburg am Neckar – 1812 Wien), Jurastudium in Wien. – Adalbert Gyrowetz (1763 Budweis – 1850 Wien), Jurastudium in Prag, ab 1793 Beamter im Kriegsministerium in Wien, kaiserlicher Legationssekretär an mehreren deutschen Höfen26. – Vaclav Jan Tomášek (1774 Skute… – 1850 Prag), ab 1794 u. a. Jurastudium in Prag.
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21 Ob Händel wirklich Vorlesungen bei Christian Thomasius gehört hat, ist nicht belegt, vgl. Stiens (Fn. 15), S. 75 f. 22 Nicht in Reclams Komponistenlexikon enthalten, Angaben aus Wikipedia; s. auch nachstehend unter V. 23 Angaben zu Studium und Werdegang aus der Biografie der Internationalen FaschGesellschaft, abrufbar unter http://www.fasch.net/Deutsch/biographie.htm. 24 S. nachstehend unter IV. 25 Nicht in Reclams Komponistenlexikon enthalten, Angaben aus Wikipedia. 26 Angaben zu Jurastudium und Werdegang aus Operone, Bühnenwerke mit Musik, abrufbar unter www.operone.de/komponist/gyrowetz.html.
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– E. T. A. Hoffmann (1776 Königsberg – 1822 Berlin), Jurastudium in Königsberg, 1796 bis 1807 und ab 1814 bis zu seinem Tod im preußischen Staatsdienst, zuletzt als Rat am höchsten preußischen Gericht27. – Ignaz Ritter von Seyfried (1776 Wien – 1841 ebd.), Jurastudium in Prag und Wien (auch Studium der Philosophie). – Conradin Kreutzer (1780 Meßkirch – 1849 Riga), 1799/1800 Jurastudium an der Universität Freiburg. – Jan Vorisek (1791 Vamberk [Böhmen] – 1825 Wien), drei Jahre Studium (u. a.) der Philosophie und Mathematik in Prag, danach bis 1821 Jurastudium in Wien; anschließend Tätigkeit für das Militärgericht28. – Anselm Hüttenbrenner (1794 Graz – 1868 ebd.), Jurastudium in Graz und Wien 1814 – 1818. – Heinrich August Marschner (1795 Zittau – 1861 Hannover), Jurastudium in Leipzig begonnen. – Johann Vesque von Püttlingen (1803 Opole, Galizien – 1883 Wien), bedeutender österreichischer Liedkomponist, ab 1822 Jurastudium, 1827 Promotion zum Dr. jur., von 1827 bis 1872 im österreichischen Staatsdienst, zuletzt im Rang eines Geheimen Rats29. – Johann Peter Hartmann (1805 Kopenhagen – 1900 ebd.), 1828 Abschluss des Jurastudiums an der Universität Kopenhagen, bis 1870 Sekretärsstelle in der Regierung. – Robert Schumann (1810 Zwickau – 1856 Endenich), 1828 bis 1830 Jurastudium in Leipzig und Heidelberg30. – Franz von Suppé (1819 Split – 1895 Wien), Jurastudium in Padua, 1835 kurzes Medizinstudium in Wien. – Alexander Serow (1820 St. Petersburg – 1871 ebd.), Jurastudium in St. Petersburg ab 1835. – Hans von Bülow (1830 Dresden – 1894 Kairo), 1848 bis 1850 Jurastudium in Leipzig. – Peter Iljitsch Tschaikowski (1840 Wotkinsk – 1893 St. Petersburg), Jurastudium in St. Petersburg, anschließend Beamter im Justizministerium31. – Alexis Emmanuel Chabrier (1841 Ambert – 1894 Paris), Jurastudium in Paris, anschließend Stelle als „attaché au secrétariat“ im französischen Innenministerium, dort tätig bis 1880.
__________ 27 S. auch nachstehend unter V. 28 Angaben zur juristischen Laufbahn aus Wikipedia. 29 Nicht in Reclams Komponistenlexikon enthalten; Angaben aus Wikipedia sowie aus Wiemer, Johann Vesque von Püttlingen (1803–1883) – Ein Nachtrag zum 200. Geburtstag eines heute vergessenen bedeutenden Liederkomponisten und Juristen, NJW 2004, 573. 30 S. nachstehend unter IV. 31 S. nachstehend unter IV.
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– Carl Zeller (1842 St. Peter a. d. Au – 1898 Baden bei Wien), Operettenkomponist („Der Vogelhändler“), Jurastudium in Wien, Promotion zum Dr. jur. in Graz, seit 1869 bis kurz vor seinem Tod im Staatsdienst, zuletzt als Ministerialrat. – Heinrich von Herzogenberg (1843 Graz – 1900 Wiesbaden), zwei Semester Jurastudium in Wien. – Sir Charles Hubert Parry (1848 Bournemouth – 1918 Rustington [Sussex]), Studium der Musik und Rechtswissenschaften in Eton und Oxford, seit 1870 Anstellung bei Lloyds of London. – Amédée Ernest Chausson (1855 Paris – 1899 Limay), ab 1875 Jurastudium und Promotion, 1877 Advokat an der Cour d’Appel de Paris. – Jean Sibelius (1865 Hämeenlinna – 1957 Järvenpää), 1885 Beginn eines Jurastudiums. – Vitezslav Novák (1870 Kamenice nad Lípou – 1949 Skute…), ab 1889 Rechtsund Philosophiestudium in Prag. – Nikolai Tscherepnin (1873 St. Petersburg – 1945 Issy-les-Moulineaux bei Paris), Jurastudium in St. Petersburg. – Igor Strawinski (1882 Oranienbaum – 1971 New York), Jurastudium in St. Petersburg, abgeschlossen 190532. – Cole Porter (1891 Peru – 1964 Santa Monica), Jurastudium in Yale und Harvard, abgebrochen 1915. – Viktor Josef Ullmann (1898 Teschen [Tschechien] – 1944 Auschwitz), 1918 bis 1919 Jurastudium in Wien. – Alejandro García Caturla (1906 Remedios – 1940 Havanna), ein führender kubanischer Komponist, studierte Jura und Musik an der Universität von Havanna, als Richter von einem Angeklagten erschossen33. – Rolf Liebermann (1910 Zürich – 1999 Paris), Jurastudium in Zürich, 1959– 73 und 1985–88 Intendant der Hamburgischen Staatsoper. – Richard Owen (geb. 1922 New York), Komponist von acht Opern, 1950 LL.B. Harvard Law School, 1950 bis 1953 Anwalt (Litigator) bei Willkie Owen Farr Gallagher, seit 1974 Richter am U.S. District Court for the Southern District of New York34. – Luigi Nono (1924 Venedig – 1990 ebd.), Jurastudium 1941 bis 1946 in Padua35.
__________ 32 Nur wenig ist über diese Studien bekannt, vgl. Stiens (Fn. 15), S. 186 ff. 33 Nicht in Reclams Komponistenlexikon enthalten; Angaben aus Wikipedia; s. auch nachstehend unter V. 34 Nicht in Reclams Komponistenlexikon enthalten; biografische Angaben abrufbar unter http://pview.findlaw.com/view/2505749_1?channel=LP; s. auch nachstehend unter V. 35 S. nachstehend unter IV.
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– George Palmer (geb. 1947 in Ägypten), 1970 Abschluss in Arts and Law an der Sydney University, danach Praxis als Anwalt im Bereich Wirtschaftsrecht, 1986 Queens Counsel, seit 2001 Richter am Supreme Court von New South Wales36. – Ruben Blades (geb. 1948 Panama City), Salsa-Sänger und -Komponist, Latin Jazz Musiker, 1974 Abschluss eines Jurastudiums an der Universidad Nacional de Panama, 1985 Master in International Law, Harvard Law School, 1994 Präsidentschaftskandidat in Panama, 2004 bis 2009 Tourismusminister in Panama37. – Peter Ruzicka (geb. 1948 Düsseldorf), studierte Rechts- und Musikwissenschaft in München, Hamburg und Berlin und promovierte 1977 zum Dr. jur. mit einer Dissertation zum ewigen Urheberpersönlichkeitsrecht, 1988 bis 1997 Intendant der Hamburgischen Staatsoper, 2001 bis 2006 Intendant der Salzburger Festspiele. – Ivo Josipovic (geb. 1957 Zagreb), Jurastudium an der Universität Zagreb und Kompositionsstudium an der Musikakademie Zagreb, Abschluss 1980, Professur für Strafprozessrecht und internationales Strafrecht, von 1987–2004 Dozent an der Musikakademie Zagreb, seit 1991 Präsident der Zagreber Musikbiennale, seit Februar 2010 Präsident Kroatiens. Viele der aufgeführten Komponisten dürften einem großen Publikum unbekannt sein. Doch finden wir auch eine ganze Reihe von Namen, die im heutigen Konzertbetrieb allgegenwärtig sind, wie etwa Heinrich Schütz, Telemann, Händel, C. P. E. Bach, Schumann, Tschaikowski, Sibelius, Strawinski und Luigi Nono. Wir wollen nun einige ausgewählte Lebensläufe von Musikerjuristen näher betrachten.
IV. Vom Recht zur Musik – vier Skizzen 1. Der Ausdauernde: Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788) Unter den Bachsöhnen ist Carl Philipp Emanuel der Bekannteste. Mehr als das: Zu Lebzeiten überstieg der Ruhm des „Berliner Bach“, später dann des „Hamburger Bach“ den des Vaters. Wie passt hierzu ein Jurastudium? In der Tat wuchs auch dieses Mitglied der Familie Bach in einer völlig von Musik geprägten Umgebung auf. Immerhin: Patenonkel war Georg Friedrich Telemann, den wir in unserer Liste der Musikerjuristen finden. Zum Zeitpunkt von Carl Philipp Emanuels Taufe liegen allerdings Telemanns eigene Erfahrungen mit der Juristerei schon zwölf Jahre zurück und dürften keine
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36 Nicht in Reclams Komponistenlexikon enthalten; Angaben aus www.georgepalmer. com.au; s. auch nachstehend unter V. 37 Nicht in Reclams Komponistenlexikon enthalten; Angaben aus Wikipedia und http:// www.salsa-in-cuba.com/deu/artists_ruben_blades.html; s. auch nachstehend unter V.
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Rolle bei der Auswahl des Paten gespielt haben38. Carl Philipp Emanuel Bachs Kindheit verläuft nach Plan: Vater Bach selbst unterrichtet den Leipziger Thomas-Schüler in der Technik von Komposition, Klavier- und Orgelspiel. Im Jahr 1731 finden wir den Siebzehnjährigen in Leipzig als angehenden Komponisten – und frischgebackenen Rechtsstudenten. Was Carl Philipp Emanuels Pläne damals genau waren, wissen wir nicht. Jedenfalls bewarb er sich zwei Jahre nach Beginn seines Studiums vergeblich um eine Organistenstelle in Naumburg. Es folgt ein Ortswechsel in die musikalische Provinz, nach Frankfurt an der Oder. Hier setzt Carl Philipp Emanuel an der Viadrina-Universität seine juristischen Studien fort, die er 1738 abschließt. Zwei Jahre später steht der Bachsohn als Cembalist im Dienste Friedrichs des Großen, eine Position, die er bis zum Beginn des Siebenjährigen Kriegs innehat. In dieser Zeit entstehen jene Klaviersonaten, die später Joseph Haydn beeindruckten. Doch Carl Philipp Emanuel ist mit seinem Wirkungskreis – und seinem Gehalt – nicht zufrieden. Immer wieder sucht er nach Möglichkeiten für eine andere Anstellung, schreibt Bewerbungen, scheitert – so bleibt ihm etwa die Stelle des Nachfolgers seines Vaters als Thomaskantor in Leipzig wiederholt versagt. Dann endlich der große Erfolg: Carl Philipp Emanuel Bach wird Nachfolger Telemanns in Hamburg, wo er die beiden letzten Lebensjahrzehnte verbringt. Eine Vielzahl von Briefen sind erhalten, die uns Einblick in das Leben von Carl Philipp Emanuel Bach geben39. Wir sehen vor uns einerseits den Untertan und Diener seines Fürsten, andererseits aber auch einen „modernen“ Menschen, einen Unternehmer, der seine Werke selbst verlegt, der als Intellektueller Persönlichkeiten seiner Zeit um sich schart. Neben seinem kompositorischen Schaffen gibt es weitere Zeugnisse aus seiner Feder, am wichtigsten darunter das Lehrbuch: „Versuch über die wahre Art, Klavier zu spielen“. Dieser mehrere hundert Seiten lange Text wird zum Standardwerk. Nüchtern, immer dem Resultat, d. h. hier: dem Hörer verpflichtet, gibt Carl Phillip Emanuel detaillierte technische Spielanweisungen, beschreibt Haltung, Vortrag, innere Einstellung und Verhältnis zum Instrument. Während er musikalisch innovativ ist (Stichwort: Wegbereiter der Wiener Klassik, Sturm und Drang), zeigt ihn der „Versuch“ als organisierten, besonnenen, der Methode verpflichteten Musiklehrer. Gepriesen wird das „mittlere Maß“, die Ordnung. In der musikwissenschaftlichen Literatur ist kontrovers diskutiert worden, ob Carl Philipp Emanuels Rechtsstudium als Beginn einer Juristenlaufbahn ge-
__________ 38 Über Telemanns juristische Studien ist wenig bekannt. Seiner von Mattheson herausgegebenen Autobiografie ist zu entnehmen, dass Telemann die Rechte auf Wunsch der Mutter studierte und alsbald um Erlaubnis bat, sich ganz der Musik widmen zu dürfen, s. http://de.wikisource.org/wiki/Georg_Philipp_Telemann/Auto biografie_1740, sowie Stiens (Fn. 15), S. 59 ff. In einem Brief ermutigt der Studienabbrecher Telemann seinen Freund Händel zu einer musikalischen Laufbahn: „Bin selbst ein Jurist wie Er. Hab auch zuhause versprochen, ein frommer Jurist zu bleiben. Aber ist Er ein Musiker, so kann Er auch auf was pfeifen!“, zitiert nach Händel, eine Spurensuche, http://www.mdr.de/mdr-figaro/haendel/6249459.html. 39 Ernst Suchalla (Hrsg.), Carl Philipp Emanuel Bach: Briefe und Dokumente – Kritische Gesamtausgabe, Göttingen 1994.
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plant war oder ob es lediglich eine Art „Grundausbildung“ für den ansonsten ohnehin in Richtung Musik gepolten Bach-Sohn darstellt. Unmittelbare Belege, etwa in der Form von Briefen, die Aufschluss über die Motivation von Vater und Sohn Bach in der fraglichen Zeit geben würden, sind nicht vorhanden. Es gibt jedoch Indizien. So scheint Carl Philipp Emanuel sein Jurastudium durchaus ernst genommen zu haben. Ein Brief aus späterer Zeit ist erhalten, in dem er einem jungen Mann vorhält, dass Universitätsstudien nicht nebenbei absolviert werden könnten, sondern einen Menschen ganz forderten, er, Bach, wisse dies, er habe schließlich auf zwei Akademien studiert (gemeint sind Leipzig und Frankfurt an der Oder)40. Einen anderen Hinweis gibt der Lebensweg des ältesten Sohnes von Carl Philipp Emanuel, der – sicherlich nicht ohne Zutun des Vaters – Jura studierte und als Advokat in Hamburg tätig war. Das passt nicht zu der Annahme, Jura sei für Carl Philipp Emanuel eine aufoktroyierte Durchgangsstation gewesen. Plausibler ist folgendes Szenario: Carl Philipp Emanuel verfuhr zweigleisig, hatte mehrere Eisen im Feuer, eine juristische Laufbahn war nicht von vornherein ausgeschlossen. War das Jurastudium von Carl Philipp Emanuel – im Nachhinein betrachtet – eine Fehlinvestition? Auch hier gibt es in der musikwissenschaftlichen Literatur eine Meinung: Otto Vrieslander schreibt, dass Carl Philipp Emanuel durch sein Jurastudium den Grund gelegt habe „zu einer völligen, literarisch – fachmännischen Beherrschung von Sprache und Stil … Indem er die lateinische Sprache in allen Stilnuancen verstehen und handhaben lernte, ergab sich ihm hieraus die glänzend beherrschte, nüchtern-sachliche Ausdrucksgewalt in seiner Muttersprache, die ihn befähigte, das bedeutendste didaktische Buch seiner Zeit zu schreiben“41. Dies überzeugt. So sehr wir uns vergeblich mühen müssten, rechtliche Spuren in Carl Philipp Emanuels kompositorischem Schaffen zu entdecken, so sehr liegt auf der Hand, dass die langjährige Beschäftigung mit der Rechtswissenschaft und ihren Texten dem Buchautor und Verleger Carl Philipp Emanuel Bach den Boden bereitet hat. 2. Der Zerrissene: Robert Schumann (1810–1856) Einem kultivierten Lesepublikum die Vita Robert Schumanns darzubieten erscheint – bestenfalls – überflüssig. Dennoch hier einige Daten, aus der Perspektive unseres Themas: Robert Schumann war Sohn eines Zwickauer Buchhändlers und Byron-Übersetzers. Eine künstlerische Laufbahn, einstmals auch eigene Aspiration des Vaters, lag nahe. Doch es kam zunächst anders. Der Vater starb, die Mutter sah die Begabung des Sohnes – er war schon in jungen Jahren erfolgreicher Pianist – und erträumte für ihn eine sichere Position im Leben. Dies schien das Studium der Rechte zu verheißen. Der achtzehnjährige
__________ 40 Schreiben an Georg Michael Telemann, einen Enkel von Georg Philipp Telemann, vom 31. Januar 1771, in Suchalla (Fn. 39), S. 208. Vrieslander berichtet darüber hinaus (ohne nähere Quellenangaben), dass Carl Philipp Emanuel stolz auf seine guten Zeugnisse gewesen sei und diese gerne herum gezeigt habe, Otto Vrieslander, Carl Philipp Emanuel Bach, 1923, S. 6. 41 Vrieslander (Fn. 40), S. 6.
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Robert wurde ins benachbarte Leipzig geschickt, wo er sich im März 1828 an der juristischen Fakultät immatrikulierte. Schon im ersten Brief an die Mutter geht Schumann auf Distanz: „Die kalte Jurisprudenz, die einen bei dem Anfang niederschmettert durch ihre eiskalten Definitionen, kann mir nicht gefallen …. Und doch – es geht nicht anders. Ich muss an die Jurisprudenz; so kalt, so trocken sie auch sein mag, ich will überwinden …“42. Wenige Monate später fasst er den Entschluss, nach Heidelberg zu wechseln. Wohlhaupter, der der Begegnung von Robert Schumann und Justus Thibaut eine feinsinnige Studie gewidmet hat, zeigt gewisses Verständnis für die Orientierungsschwierigkeiten des jungen Schumann: Die juristische Fakultät Leipzig habe ihren Studenten zu jener Zeit „keine wissenschaftlichen Sterne erster Größe“ leuchten lassen43. In Heidelberg hingegen wartet mit Thibaut einer der großen Gelehrten des Landes. In der Tat besucht Schumann nun fleißiger die Vorlesungen. Er schreibt: „Das Jus schmeckt mir bei Thibaut und Mittermeier exzellent, und ich fühle jetzt erst die wahre Würde der Jurisprudenz, wie sie alle heiligen Interessen der Menschheit fördert“44. Dabei war es wohl nicht primär die juristische Seite des Lehrers Thibaut, die Schumann faszinierte: „Thibaut ist ein herrlicher, göttlicher Mann, bei dem ich meine genussreichen Stunden verlebe. Wenn er so ein Händel’sches Oratorium bei sich singen lässt (jeden Donnerstag sind über 70 Sänger da) und so begeistert am Klavier akkompagniert und dann am Ende zwei große Tränen aus den schönen, großen Augen rollen, über denen ein schönes, silberweißes Haar steht, und dann so entzückt und heiter zu mir kommt und die Hand drückt und kein Wort spricht vor lauter Herz und Empfindung, so weiß ich oft nicht, wie ich Lump zu der Ehre komme, in einem solchen heiligen Hause zu sein und zu hören“45. Wir sehen: Hier spricht nicht der Jurastudent, hier spricht der Musiker, der vielleicht schon sein Opus 1, die Abegg-Variationen, im Kopf hat. Schumann bekennt denn auch, er sei ein „mechanischer, getriebener Jurist ohne Liebe dazu“46. Am 30. Juli 1830 erbittet er von der Mutter die Zustimmung zum Kurswechsel: „Mein ganzes Leben war ein zwanzigjähriger Kampf zwischen Poesie und Prosa oder nenn’ es Musik und Jus. Im praktischen Leben stand für mich ein ebenso hohes Ideal da wie in der Kunst. Das Ideal war eben das praktische Wirken und die Hoffnung, mit einem großen Wirkungskreise ringen zu müssen – aber was sind überhaupt für Aussichten da, zumal in Sachsen, für einen Unadeligen ohne große Protektion und Vermögen, ohne eigentliche Liebe zu juristischen Betteleien und Pfennigstreitigkeiten! … Jetzt stehe ich an dem Kreuzwege und ich erschrecke bei der Frage: Wohin? Folg’ ich meinem Genius, so weist er mich zur Kunst und ich glaube, zum rechten Weg“47.
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Brief an die Mutter vom 21. Mai 1828, zitiert nach Wohlhaupter, Band I, S. 143. Wohlhaupter, Band I, S. 145. Brief an die Mutter vom 17. Juli 1829, zitiert nach Wohlhaupter, Band I, S. 149. Brief an die Mutter vom 24. Februar 1830, zitiert nach Wohlhaupter, Band I, S. 152. Zitiert nach Wohlhaupter, Band I, S. 155. Zitiert nach Wohlhaupter, Band I, S. 156.
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Der Ausgang der Geschichte ist bekannt. Die Mutter hatte ein Einsehen, Schumann lebte fortan der Kunst. Welche Spuren haben die fünf Semester Jurastudium hinterlassen? Wohlhaupter ist der Frage nachgegangen und vermeldet Fehlanzeige48. In der Tat, die unfreiwillige Befassung des minderjährigen Robert mit dem Recht erscheint als eine für sein kompositorisches Werk folgenlose Episode49. Bleibt Robert Schumann, der Musikschriftsteller und Herausgeber der Neuen Zeitschrift für Musik (ab 1834). Gibt es hier, im Bereich des Worts, Bezüge zum erlernten Brotberuf? Anders gefragt: War das Studium in Leipzig und Heidelberg hilfreich für den Literaten Schumann? Auch dies können wir getrost verneinen. Schumann bedurfte nicht des römischen Rechts und des Universitätsbetriebs, um schreiben zu lernen. Schon in jungen Jahren war er im Haus seines Vaters mit Literatur aufgewachsen, hinzu kam eine fundierte Ausbildung am Zwickauer Gymnasium. Der Fünfzehnjährige machte erste literarische Versuche und gründete einen Literaturkreis. Und wenn der Leipziger Student Jean Pauliaden verfasst, dann sicher nicht, weil er sich das Rüstzeug an der Universität besorgt hätte, sondern weil er, statt ins Kolleg zu gehen, lieber zuhause bleibt und schreibt. 3. Der Edle: Peter Iljitsch Tschaikowski (1840–1893) Als Peter Iljitsch Tschaikowski im Jahre 1840 in Wotkinsk, tief in der russischen Provinz, das Licht der Welt erblickte, sprach wenig dafür, dass aus dem Sohn eines Bauingenieurs und Bergwerkdirektors im Zarendienst einmal einer der größten Komponisten des Jahrhunderts werden sollte. Weder die Eltern Tschaikowski noch ihre Vorfahren hatten nähere Beziehung zur Musik50. Wenn auf dem Gutshof gelegentlich musiziert wurde, waren zumeist Gäste am Werk. Immerhin: die Mutter spielte ein wenig Klavier und für den kleinen Peter kam eine Klavierlehrerin ins Haus51. Sucht man nach frühen Anzeichen des Künstlers Tschaikowski, so stößt man auf seine große Sensibilität: dermaßen zart und zerbrechlich war der kleine Peter, dass sich seine Amme später an ihn als „Porzellankind“ erinnerte52.
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48 Wohlhaupter, Band I, S. 159 f. 49 Im Privatleben hatte Schumann Berührung mit deutschen Gerichten. Es ist oft berichtet worden, dass er den späteren Schwiegervater Wieck erfolgreich auf Zustimmung zur Eheschließung mit Clara verklagte und zudem eine Gefängnisstrafe wegen Verleumdung erwirkte, s. Martin Geck, Robert Schumann, Mensch und Musiker der Romantik, 2010, S. 124. 50 Rückblickend schrieb Tschaikowski an seine Mäzenin Nadjeschda von Meck: „Merkwürdig ist, dass ich, ein geborener Musiker, untauglich zu allem anderen außer Musik, in eine Familie geboren wurde, der jeder Sinn für Musik vollständig abgeht …“. Zitat aus Pahlen, Tschaikowsky, Ein Lebensbild, 1959, S. 37. 51 Contantin Floros, Peter Tschaikowsky, 2006, S. 14. 52 Die Beschreibung des Menschen Tschaikowski, die wir seinem Freund Laroche verdanken, lässt ahnen, um welch reines Kind, „nicht von dieser Welt“, es sich bei dem kleinen Tschaikowski gehandelt haben mag: „Seine Güte war unermesslich“, s. Laroche, Einige Worte über Peter Ilyitsch Tschaikowsky, in: Laroche, Peter Tschaikowsky, Aufsätze und Erinnerungen, hrsg. von Ernst Kuhn, Berlin 1993, S. 173.
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Im Jahre 1850 wurde beschlossen, den Zehnjährigen (!) nach Petersburg zum juristischen Vorbereitungsdienst zu schicken, zwei Jahre später begann das Studium der Rechte. Zwar gibt es Berührung mit der Musik während des Rechtsstudiums: Teil des Curriculums an der Petersburger Rechtsschule waren obligatorische Chor- und Orchesterübungen; Peter war Solist im Knabenchor53. Doch deutet zunächst wenig hin auf die Kehrtwendung, die Tschaikowski später vollzog. Sein privater Klavierlehrer rät von einer musikalischen Laufbahn ab54. Nach erfolgreichem Abschluss der juristischen Studien tritt der Aristokratensohn im Jahr 1859 eine Beamtenstelle im Justizministerium an. Sein Schicksal scheint besiegelt. Dann, zwei Jahre später, beginnt die Wende. Es ist der Vater, der das Talent des Sohnes erkennt und ihn fördert: „Papa besteht darauf, es sei noch nicht zu spät, Künstler zu werden. Wie schön wäre es, wenn er recht hätte. Die Sache ist aber die: Selbst wenn ich Talent besitzen sollte, fürchte ich, dass es kaum noch entwicklungsfähig sein dürfte. Man hat einen Beamten aus mir gemacht …“ schreibt Tschaikowski im März 1861. Tschaikowski besucht Kurse für Musiktheorie in Anton Rubinstein’s Musikschule und schreibt sich 1862 als einer der ersten Schüler in dem neu gegründeten kaiserlichen Konservatorium ein. Die Musik ergreift Besitz von ihm. Er schreibt der Schwester: „Im vorigen Jahr habe ich mich, wie Du weißt, viel mit der Theorie der Musik beschäftigt und bin zu der Überzeugung gekommen, dass ich früher oder später meinen Dienst mit der Musik vertauschen werde. Glaube nicht, dass ich mir einbilde, jemals ein größer Künstler zu werden; ich möchte nur das tun, wozu ich Beruf in mir fühle … Meine Stellung werde ich freilich so lange nicht aufgeben, bis ich die Versicherung erlange, dass ich kein Beamter, sondern ein Künstler bin“55. Im Alter von 23 Jahren quittiert Tschaikowski den Staatsdienst und konzentriert sich auf sein Musikstudium. Wenige Jahre danach erhält er in Moskau eine Stelle als Lehrer für Musiktheorie, beginnt mit dem Schreiben von Musikkritiken. 1874 schreibt er sein erstes Klavierkonzert, das in den USA uraufgeführt wird. Tschaikowski beginnt, die Konzertsäle der Welt zu erobern. Wenige Tage nach Uraufführung seiner 6. Symphonie, der Pathetischen, stirbt Tschaikowski im Jahre 1893. Nach Spuren seines früheren Lebens sucht man bei dem Komponisten Tschaikowski vergebens. Der mit Tschaikowski eng befreundete Hermann Laroche schreibt: „Weder in seinen Jugendjahren noch späterhin ließ er – soweit ich das bemerken konnte – auch nur andeutungsweise erkennen, dass seine eigentliche Fachausbildung die eines Juristen war. (Es) deutete auch in seiner gesamten Mentalität und Kultur nichts auf einen Juristen hin …“56. Laroche geht dann den Gedanken nach, was aus Tschaikowski geworden wäre, hätte er den
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Pahlen (Fn. 50), S. 28. Floros (Fn. 51), S. 16. Floros (Fn. 51), S. 18. Hermann Laroche, Aus meinen Erinnerungen an Peter Tschaikowsky, in Laroche (Fn. 52), S. 189, 199.
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Justizdienst nicht quittiert: „Die ständige Pflichterfüllung in einem Dienst, der ihm gedanklich und emotionell nicht berührte – das gewöhnliche Schicksal der meisten Menschen – wäre für ihn eine langsame Hinrichtung gewesen; und zwar deshalb, weil es für ihn etwas anderes gab, das er mit der ganzen Kraft seiner energischen Natur anstrebte. Bei Ausübung der ihm verhassten Beamtentätigkeit wäre dieses Ziel für ihn unerreichbar gewesen“57. Immerhin dürfen wir vermuten, dass der ausgebildete Jurist Tschaikowski professionelles Schreiben gelernt hatte – das Verfassen von Musikkritiken und die Vorbereitung seiner musiktheoretischen Vorlesungen mögen ihm leicht gefallen sein. 4. Der Aktivist: Luigi Nono (1924–1990) Luigi Nono ist einer der großen Komponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ebenso wie Boulez, Henze und Stockhausen steht er nicht nur für die Sprengung musikalischer Konvention, sondern für ein Hinaustragen der Musik aus den Konzertsälen in das Leben. 1952 in die kommunistische Partei Italiens eingetreten, ist er vielleicht der politischste unter allen AvantgardeKomponisten – seine Stücke, die auf die Erfahrung des faschistischen und von Nazi-Deutschland besetzten Italien reagieren, lauten etwa „Intolleranza“, „Sul Ponte di Hiroshima“ und „Ricorda cosa ti hanno fatto in Auschwitz“, sein Bühnenwerk „Al gran sole carico d’amore“ reiht Szenen aus der Pariser Kommune von 1871 und der russischen Revolution von 1905 aneinander. Später erst, in der letzten Schaffensphase, die man als Nonos „metaphysische Wende“ bezeichnen möchte, lässt der Furor nach, werden die Töne leiser, intimer, wird revolutionäre Sprache durch asymptotische Annäherung ans Schweigen komplementiert. In jungen Jahren begegnet uns Luigi Nono, der Spross einer arrivierten venezianischen Künstlerfamilie, als eine Art Anti-Schumann: Klavierüben war ihm ein Graus, an das Rechtsstudium, das er auf Wunsch des Vaters absolvierte, dachte er später gerne zurück: „An jene Studienjahre an der Universität Padua bewahre ich eine gute Erinnerung, weil es eine intellektuell sehr stimulierende Atmosphäre gab: denken Sie daran, dass ich Rechtsphilosopie bei Norberto Bobbio studiert habe. Bei ihm wollte ich auch eine Diplomarbeit schreiben; ich habe ihm eine Arbeit über Berdjajew vorgeschlagen, aber er hat abgelehnt.“58 Für Luigi Nono war das Recht die geschriebene Gesellschaft, doch anders als Schumann verzweifelte er nicht daran, nichts ändern zu können, sondern glaubte – politisch wie künstlerisch – an das heraufziehende Zeitalter der Utopie. Nach dem Tod Luigi Nonos wurde dank des Einsatzes seiner Witwe, Nuria Schönberg-Nono (der Tochter Arnold Schönbergs) in Venedig das Luigi Nono-
__________ 57 Laroche (Fn. 52), S. 199. 58 Zitat aus der Chronologie der Luigi Nono-Stiftung, abrufbar unter http://www.luigi nono.it/de/luigi-nono/chronologie (Übers. d. Verf.).
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Archiv eingerichtet. Eröffnet wurde es von Giorgio Napolitano, dem heutigen Staatspräsidenten Italiens und juristischen Studienfreund Nonos aus dem Padua der vierziger Jahre. Wieder unsere Frage: Welche Spuren hat das Recht in Leben und Werk von Luigi Nono hinterlassen? Hört man Werke von Nono, die die Grenzen klassischer Musikästhetik hinter sich lassen, so erscheint schon die Frage nach einem „Einfluss“ einer juristischen Ausbildung absurd. Aber: Der Revolutionär Nono hat – mit künstlerischen Mitteln – für ein anderes Gesellschaftssystem, für Gerechtigkeit und Menschenrechte gekämpft. Sein musikalisches Werk ist untrennbar verbunden mit seinem gesellschaftspolitischen Wirken. Seine Musik ist niemals „l’art pour l’art“; auch wenn sich die Sprache bei ihm auflöst, bleibt die Botschaft. Wir dürfen annehmen, dass die Sozialisation, die Nono außerhalb des musikalischen Kosmos erfahren hat, mitprägend war für die Ausrichtung seines Kompasses. Zur Abfassung seiner Arbeit über den spirituellen Marxisten Nikolaj Berdjajew kam Luigi Nono nicht; es blieb beim Wunsch. Doch der Name Berdjajew steht für jenes Sowohl-als-Auch, Befreiung des Individuums und Schaffung einer neuen sozialen Ordnung, das sich als roter Faden durch Nonos Werk zieht. Die juristischen Studien, die Begegnung mit Staatsrecht und Rechtsphilosophie haben Luigi Nono wenn nicht ein Fundament, so doch einen Bezugsrahmen für sein Denken und die nach außen gerichtete Seite seines Wirkens geliefert.
V. Parallele Leben – fünf Richter Bei allen Unterschieden haben die zuvor skizzierten Lebensbilder von Musikerjuristen einige Gemeinsamkeiten. Alle vier haben auf Wunsch der Eltern Rechtswissenschaft studiert. Motiv war in jedem Fall die Hoffnung auf sichere materielle Existenz. Jeder einzelne hat dann der Juristerei den Rücken gekehrt, Schumann nach fünf Semestern, C. P. E. Bach und Nono nach Abschluss des Studiums, Tschaikowski nach einigen Jahren im Beamtenberuf. Die Beschäftigung mit dem Recht hinterließ keine Spuren im kompositorischen Werk. Diesem Muster – Jura als Ausbildungsabschnitt ohne größere Nachwirkung – folgen, wenn wir dies richtig sehen, die meisten Lebensläufe der oben unter III. aufgeführten Musikerjuristen. Wo der Komponist auf Dauer seinen Lebensunterhalt nicht sicherstellen kann, verdient er das nötige Geld mit Tätigkeiten im näheren oder weiteren Umfeld der Musik, er führt eigene Werke auf und verlegt sie, gibt Unterricht, schreibt Kritiken und Lehrbücher, organisiert. Ist also das Recht nur ein Korsett, das der Musikerjurist früher oder später sprengt, um zur Entfaltung zu gelangen? Ist Jura das Reich der Notwendigkeit, Musik das Reich der Freiheit? Siegt am Ende der Musiker über den Juristen, Selbstbestimmung über Fremdbestimmung? Ganz so einfach liegen die Dinge nicht, jedenfalls nicht immer. Vereinzelt begegnen uns Personen, die zwischen den Welten stehen oder in beiden Welten zuhause sind. Benedetto Marcello, E. T. A. Hoffmann, Alejandro García Caturla, Richard Owen, George Palmer – fünf Richter finden wir in unserem kleinen Musiker71
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juristen-Almanach. Die Quarantia Civil Vecchia (oberstes Gericht in Zivilsachen der Republik Venedig), das Berliner Kammergericht, das Bundesgericht für den Southern District von New York, das Bezirksgericht Remedios und der Supreme Court von New South Wales waren (bzw., im Fall der Richter Owen und Palmer, sind) ihre Wirkungsstätte. Jeder der fünf Richter ist erfolgreich als Komponist: Marcello hat mit seiner Vertonung von 50 Psalmen (L’Estro Poetico-Armonico) musikalische Weltliteratur geschrieben, E. T. A. Hoffmanns Oper „Undine“ wurde im Berliner Schauspielhaus zur Feier des Geburtstags von Friedrich Wilhelm III. uraufgeführt59, Caturlas Werke wurden vom Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Leopold Stokowski gespielt60, Richard Owens Oper „A Fisherman Called Peter“ wurde mehr als 100 mal gegeben61, und Palmer’s „Benedictus Qui Venit“ erklang beim Besuch von Papst Benedikt in Australien vor 300.000 Zuhörern. Und doch hat keiner der Fünf den Trennungsstrich gezogen und die Juristerei an den Nagel gehängt, im Gegenteil: Marcello hört Mitte Vierzig mit dem Komponieren auf und widmet sich ganz den Staatsgeschäften und Owen, ein Nixon-Ernannter, übt sein Richteramt noch lange nach Erreichen der Pensionsgrenze mit Begeisterung aus und komponiert die jeweils nächste Oper in der U-Bahn und am Wochenende. Mindestens Hoffmann, Caturla und Owen verstehen ihr Richteramt politisch, sei es im Dienste der Restauration nach 1815, als fortschrittlicher Richter im korrupten Kuba der Zwischenkriegszeit, oder als Hüter traditioneller amerikanischer Werte im Süden Manhattans. Hier geht es nicht (nur) um den „Job“, hier wird für Anliegen gekämpft. Die fünf Richter haben ein künstlerisches und ein soziales Credo. Es sind Menschen des Geistes und Menschen der Tat. Sie sind beides: Kreative und Entscheider. Man ist versucht noch einen Schritt weiter zu gehen. Spüren wir da nicht – leise klingend – eine Distanz zum „reinen“ Künstler? Marcello hat sich, wie wir nachlesen können, gerne als „nobile Veneto dilettante di contrappunto“ apostrophiert, also sich in Gegensatz zu den „professionellen“ Musikerkollegen gestellt; seine berühmte Schrift „Il teatro alla moda“ ist reine Satire. Palmer, der seine späte Entdeckung als Komponist einem Zufall verdankt, berichtet seinen Juristenkollegen verschmitzt und voller (Selbst-)Ironie von seinen musikalischen Abenteuern.62 Und was treibt E. T. A. Hoffmann, wenn er nach den ersten Jahren im Regierungsdienst und kurz vor Antritt seiner Bamberger Kapellmeisterstelle schreibt: „Vorzüglich … glaube ich dadurch, dass ich außer
__________ 59 E. T. A. Hoffmann verstand sich damals selbst eher als Musiker denn als Dichter, vgl. Wohlhaupter, Band II, S. 63 f. 60 Vgl. biografische Angaben bei www.monografias.com/trabajos78/labor-juridicaalejandro-garcia-caturla/labor-juridica-alejandro-garcia-carturla2.shtml. 61 Music Associates of America, Encounters by George Sturm, abrufbar unter www.musicassociatesofamerica.com/madamina/encounter/owen/html; vgl. auch das Profil im Harvard Law Bulletin, abrufbar unter http://www.law.harvard.edu/news/ bulletin/2006/summer/cn_01.php. 62 S. Speech for University of Queensland Law Graduates Dinner, 13 October 2006, abrufbar unter http://lawlink.nsw.gov.au/lawlink/supreme_court/ll_sc.nsf/pages/ SCO_palmer131006. Dieser After-Dinner Speech verdanke ich den Hinweis auf die Komponisten Caturla und Owen.
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der Kunst meinem öffentlichen Amte vorstehen musste, eine allgemeine Ansicht der Dinge gewonnen und mich von dem Egoismus entfernt zu haben, der, wenn ich so sagen darf, die Künstler von Profession ungenießbar macht“63? Wir brechen hier ab, nicht ohne ein gewisses Erstaunen. Erstaunen weniger darüber, dass wir Musikerjuristen begegnet sind, sondern über den Blickwinkel, unter dem sie uns erschienen sind. Wir glauben nicht, rechtsgeschichtliche Erkenntnisse gewonnen zu haben. Wohlhaupters Frage nach dem Beitrag der Dichter- und Musikerjuristen zum künstlerischen Gesamtwerk der – deutschen – Nation64 ist uns fremd geblieben. Sein Pathos berührt noch, wenn auch auf eher peinliche Art. Die Personen aber, die er ins Blickfeld gerückt hat, haben uns fasziniert. Sie geben – jeder auf seine Weise – Zeugnis vom Kampf um die Meisterung menschlicher Existenz.
VI. Schlussbemerkung Wir können dem Jubilar Folgendes berichten: 1. Auf Grundlage unserer Definition (Musikerjuristen sind Musiker mit juristischer Ausbildung) gilt: Es gibt überraschend viele Musikerjuristen. 2. Die Beziehung der Musikerjuristen zum Recht ist vielfältigster Natur, reicht von der Ablehnung bis zu großem Interesse. Es sei aber nicht verschwiegen, dass die wenigsten der aufgespürten Personen sich mit dem Begriff des Musikerjuristen identifiziert hätten. 3. In der Regel wird das Studium der Rechte auf Wunsch der Eltern begonnen mit dem Ziel, eine gesicherte, bürgerliche (also: nicht-künstlerische) Existenz aufzubauen. Für die meisten Musikerjuristen bleibt Jura ein Ausbildungsabschnitt. Nur sehr wenige haben langfristig parallel gelebt. 4. Eine Beeinflussung des kompositorischen Schaffens durch rechtswissenschaftliches Studium oder Praxis mag es im Einzelfall geben; sie hat keine vergleichbare Bedeutung mit dem Einfluss des Rechts auf das Schaffen von Dichterjuristen.
__________ 63 Zitiert bei Wohlhaupter, Band II, S. 36. 64 Wohlhaupter, Band III, S. 403.
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Die Haftung des Beirats im Recht der GmbH und der GmbH & Co. KG Inhaltsübersicht I. Einleitung: Begriffsklärung, Erscheinungsformen, Abgrenzungen II. Haftung der Beiratsmitglieder 1. Rechtsgrundlage und Haftungsmaßstab a) Schuldrechtlicher Beirat b) Beirat als Gesellschaftsorgan c) Stellungnahme
2. Beispiele aus der Rechtsprechung III. Haftungseinschränkungen 1. Abweichender Haftungsmaßstab 2. Weitere Einschränkungen a) Weisung der Gesellschafter b) Verkürzung der Verjährung c) Verzicht, Entlastung IV. Geltendmachung der Haftung
Im großen Standardkommentar zum GmbH-Gesetz, dem Scholz, kommentiert unser Jubilar seit der 6. Auflage (1978/1983) neben zahlreichen weiteren Vorschriften auch den § 52 GmbHG, die einzige Vorschrift zum Aufsichtsrat der GmbH außerhalb der Mitbestimmungsgesetze. In der 10. Auflage finden sich unter Rz. 48 ff. auch Ausführungen zum Beirat. Allerdings wird die Haftungsfrage dort nur gestreift1, ganz im Gegensatz zur ausführlichen Kommentierung der Haftung der Mitglieder eines fakultativen Aufsichtsrats2. Der Beirat in der GmbH & Co. KG wird naturgemäß im Rahmen einer GmbHG-Kommentierung ebenfalls nur kurz angesprochen3. Doch hat Uwe H. Schneider sich der Frage nach der „Haftung von Mitgliedern des Beirats einer Personengesellschaft“ bereits vor 37 Jahren, noch zu Rechtsanwalts- und Assistentenzeiten, angenommen4, mithin weitsichtig vor den grundlegenden Entscheidungen des BGH zur Beiratshaftung in der Publikumspersonengesellschaft5. Nach verbreiteter Auffassung ist im Recht der GmbH „die Verantwortung und Haftung der Beiratsmitglieder … noch weitgehend ungeklärt“6. Der gleiche Befund gilt auch für den Beirat der Personengesellschaft und insbesondere auch für die GmbH & Co. KG7. Daher soll hier der Versuch einer weiteren Klärung unternommen werden.
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Siehe etwa Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 52 Rz. 52, 55, 59. Siehe Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 461–544. Siehe Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 8. Uwe H. Schneider, DB 1973, 953 ff. BGHZ 69, 207; BGHZ 87, 84; BGH, WM 1977, 1446; dazu auch Uwe H. Schneider, ZHR 142 (1978), 228 ff. und ZGR 1978, 1 ff. sowie näher unter II. 1. b) bb). 6 So Marsch-Barner/Diekmann in MünchHdb. GesR III, 3. Aufl. 2009, § 49 Rz. 27; ähnlich Ulmer/Raiser/Heermann, GmbHG, 2006, § 52 Rz. 367. 7 Siehe nur Reichert in Sudhoff, GmbH & Co. KG, 6. Aufl. 2005, § 18 Rz. 111: „Die Rechtsgrundlagen, auf die sich [die Haftung der Beiratsmitglieder] stützen lässt, sind sehr umstritten.“
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I. Einleitung: Begriffsklärung, Erscheinungsformen, Abgrenzungen Die im Schrifttum angesprochenen Unklarheiten beruhen zum Teil darauf, dass sich weder im Personen- noch im Kapitalgesellschaftsrecht eine Definition des Beirats finden lässt; allein in der Vorschrift des § 285 Nr. 9 HGB, mithin in einer Regelung zu den Pflichtangaben im Anhang des Jahresabschlusses für Kapitalgesellschaften, findet sich der Begriff des Beirats im Zusammenhang mit der Pflicht zur Offenlegung von Bezügen und Krediten8. Zum anderen sind aber auch rechtstatsächlich die Erscheinungsformen des Beirats extrem vielfältig, und zwar sowohl im Hinblick auf ihre Rechts- und Aufgabenstellung als auch hinsichtlich ihrer Bezeichnung. So werden Beiräte häufig auch als Aufsichts- oder Verwaltungsrat oder auch als Gesellschafterausschuss bezeichnet, doch finden sich auch die Begriffe Gesellschafterrat, Familienrat, Verwaltungsausschuss, Sachverständigenrat, Schieds- oder Schlichtungsausschuss9. Die Bedeutung all dieser Bezeichnungen ist relativ unbestimmt und daher in der Praxis weitgehend austauschbar. Rechtliche Konsequenzen lassen sich daher aus der konkreten Bezeichnung im Einzelfall kaum ableiten10. Entscheidend ist vielmehr die Funktion des Beirats, aber auch die Rechtsgrundlage, auf der er errichtet wurde. Strukturell können Beiräte von ihrer Funktion her wie folgt unterschieden werden11: Beiräte mit Geschäftsführungsaufgaben (unternehmensleitender Beirat), Beiräte mit Überwachungsaufgaben (überwachender Beirat), Beiräte mit Beratungsaufgaben (beratender Beirat), Beirat mit Schlichtungsaufgaben (streitschlichtender Beirat), Beiräte zur Wahrnehmung von Anlegerinteressen (Anleger-Beirat) oder Gläubigerinteressen (Gläubiger-Beirat), etwa von Banken oder sonstigen Gläubigern in Sanierungsfällen. Rechtsgrundlage für die Errichtung von Beiräten kann entweder der Gesellschaftsvertrag oder lediglich eine schuldrechtliche Vereinbarung sein. In der Praxis überwiegt ganz eindeutig die Einrichtung des Beirats auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage12. In diesem Fall erlangt der Beirat – gleichermaßen in der GmbH13 wie in der GmbH & Co. KG14 – den Status eines Gesellschaftsorgans, das in aller Regel eigenständig an der Willensbildung innerhalb der Gesellschaft teilnimmt und über Beratungsaufgaben hinaus auch organ-
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8 Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 285 Rz. 9. Die Regelung geht auf § 128 Abs. 1 Nr. 7 AktG 1937 zurück; vgl. Mellerowicz in Großkomm.AktG, 2. Aufl. 1961, § 128 Anm. 15. 9 Aufzählung bei Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 308; siehe noch Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 52 Rz. 109; vgl. weiter Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 5 ff., 48. 10 So auch Reichert (Fn. 7), § 18 Rz. 28. 11 Nach Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 6 ff. 12 So für Personengesellschaften Grunewald in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, § 161 Rz. 147; Reichert (Fn. 7), § 18 Rz. 43; für die GmbH Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 316. 13 Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 54; vgl. weiter Lutter in Lutter/ Hommelhoff (Fn. 9), § 52 Rz. 110; Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 316, 320. 14 Riegger in MünchHdb. GesR II, 3. Aufl. 2009, § 8 Rz. 6, 7, 10.
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schaftliche Befugnisse – wie etwa die Überwachung der Geschäftsführung oder die Erteilung von Weisungen – wahrnimmt15. Umstritten ist, ob dies auch für den Fall gilt, dass die Beiratsmitglieder lediglich Sachwalter einzelner Gesellschafter oder von Gesellschaftergruppen sind. Zu denken ist etwa an einen Familienrat, der verschiedene Familienstämme repräsentiert16. Die Abgrenzung im Einzelfall ist häufig problematisch, gleichfalls die genaue Pflichtenstellung. Festzuhalten ist jedoch: Auch wenn im Falle einer solchen Gruppenvertretung die einzelnen Beiratsmitglieder in erster Linie der von ihr repräsentierten Gruppe verantwortlich sind, so haben sie dennoch in gleicher Weise das Wohl der Gesellschaft im Ganzen im Auge zu behalten17; dies gilt insbesondere für Weisungen an die Geschäftsführung18 und erst recht bei Übertragung der Geschäftsführung auf den Beirat19. Schweigt der Gesellschaftsvertrag und beruht die Einsetzung des Beirats nur auf einem Beschluss der Gesellschafter oder einer Vereinbarung mit der Geschäftsführung, dann ist dieser Beirat der Gesellschaft nur schuldrechtlich verbunden; organschaftliche Befugnisse darf und kann ein solcher Beirat nicht ausüben; im Vordergrund steht hier die Beratungsfunktion20. Problematisch kann im Einzelfall die Abgrenzung zum fakultativen Aufsichtsrat i. S. v. § 52 GmbHG sein. Der fakultative Aufsichtsrat wird in seiner Existenz, seiner Zusammensetzung und seinen Kompetenzen ausschließlich durch die Satzung einer nicht mitbestimmungspflichtigen und daher nicht bereits gesetzlich zur Bildung eines Aufsichtsrats verpflichteten GmbH festgelegt. Ungeachtet seiner Bezeichnung ist ein Beirat immer dann als Aufsichtsrat i. S. v. § 52 GmbHG zu qualifizieren, wenn zu seinen Aufgaben die Überwachung der Geschäftsführung zählt; fehlt es hingegen an dieser Funktion, so macht auch die Fehlbezeichnung Aufsichtsrat dieses Gremium nicht zu einem Aufsichtsrat i. S. d. § 52 GmbHG, sondern lediglich zu einem Beirat, dem eine andere Rechts- und Aufgabenstellung zukommt21. Auch bei der mitbestimmten GmbH mit obligatorischem Aufsichtsrat kann zusätzlich ein Beirat eingerichtet werden22. Diesem dürfen auch Überwachungs-
__________ 15 Streitig ist, ob dies auch für den rein beratenden Beirat gilt; vgl. dazu nur Reichert (Fn. 7), § 18 Rz. 43 m. w. N. zum Streitstand. 16 Lutter in Lutter/Hommelhoff (Fn. 9), § 52 Rz. 109; ausf. Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 322 ff. 17 So Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 325; teilw. abw. Riegger in MünchHdb. GesR II (Fn. 14), § 8 Rz. 3, 9. 18 Insoweit auch Riegger in MünchHdb. GesR II (Fn. 14), § 8 Rz. 24. 19 Riegger in MünchHdb. GesR II (Fn. 14), § 8 Rz. 25. 20 So auch Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 49; vgl. weiter Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl. 2009, § 52 Rz. 63; Lutter in Lutter/Hommelhoff (Fn. 9), § 52 Rz. 111; Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 318; Marsch-Barner/ Diekmann (Fn. 6), § 49 Rz. 20; Reichert (Fn. 7), § 18 Rz. 44; grundlegend Wiedemann in FS Schilling, 1973, S. 105, 107 m. w. N. 21 So zutreffend Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 55 m. w. N.; a. A. Reuter in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 631, 632 ff. 22 Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 60 m. w. N.
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aufgaben übertragen werden23. Streitig ist allerdings, ob und inwieweit einem solchen Beirat Weisungsrechte gegenüber der Geschäftsführung eingeräumt werden dürfen24 und ob in diesem Fall auch Nichtgesellschafter Beiratsmitglieder sein dürfen25. In einer KG, deren Komplementärin eine mitbestimmte GmbH ist, stellen sich die identischen Fragen26. Im Übrigen eröffnet die Satzungsfreiheit in der GmbH alle Gestaltungsfreiheiten, soweit nicht in die zwingenden Kompetenzen der Geschäftsführung oder der Gesellschafterversammlung eingegriffen wird27. Besonderheiten sind bei der GmbH & Co. KG zu beachten, speziell bei der Publikumspersonengesellschaft, bei der strukturell der Anlegerschutz im Vordergrund steht28 und deren Beirat daher funktionell ähnliche Aufgaben wie der Aufsichtsrat in der Aktiengesellschaft wahrzunehmen hat29. Doch auch bei der personalistischen GmbH & Co. KG gibt es Besonderheiten zu beachten. So ist etwa vor dem Hintergrund des Prinzips der Selbstorganschaft umstritten, inwieweit einem Beirat Vertretungs- und Geschäftsführungsaufgaben übertragen werden können30. Ungeklärt ist weiterhin, inwieweit dem Beirat Nichtgesellschafter angehören dürfen31. Und schließlich ist streitig, ob dem (überwachenden) Beirat der KG auch Geschäftsführer der Komplementär-GmbH angehören dürfen32. Im Übrigen gilt jedoch auch in der GmbH & Co. KG weitgehende Vertragsfreiheit33.
II. Haftung der Beiratsmitglieder 1. Rechtsgrundlage und Haftungsmaßstab a) Schuldrechtlicher Beirat Die Haftung der Mitglieder eines schuldrechtlichen Beirats einer GmbH oder GmbH & Co. KG richtet sich nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsät-
__________ 23 Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 61 m. w. N. 24 Dafür Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 62, 163; dagegen Ulmer/Raiser/ Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 361 f. 25 Dafür Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 58; dagegen etwa Voormann, Die Stellung des Beirats im Gesellschaftsrecht, Abhandlungen zum deutschen und europäischen Handels- und Wirtschaftsrecht, 1980, S. 110 ff. 26 Ausf. Riegger in MünchHdb. GesR II (Fn. 14), § 8 Rz. 15. 27 Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 61; vgl. weiter Marsch-Barner/Diekmann (Fn. 6), § 49 Rz. 14 ff. mit zahlreichen Einzelheiten. 28 So bereits Uwe H. Schneider, ZHR 142 (1978), 228 ff. 29 Reichert (Fn. 7), § 18 Rz. 30. 30 Dazu Riegger in MünchHdb. GesR II (Fn. 14), § 8 Rz. 25; Grunewald in MünchKomm.HGB (Fn. 12), § 161 Rz. 151; vgl. auch Wälzholz, DStR 2003, 511, 512 f. 31 Dazu Riegger in MünchHdb. GesR II (Fn. 14), § 8 Rz. 24; Grunewald in MünchKomm.HGB (Fn. 12), § 161 Rz. 151. 32 Dafür Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 256; dagegen Riegger in MünchHdb. GesR II (Fn. 14), § 8 Rz. 47. 33 Reichert (Fn. 7), § 18 Rz. 47 ff. mit weiteren Einzelheiten und Nachweisen.
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zen34. Regelmäßig wird bei Unentgeltlichkeit ein Auftrag, ansonsten ein Geschäftsbesorgungsvertrag vorliegen. Es gelten somit die allgemeinen Haftungsvorschriften gemäß §§ 280 ff. BGB mit § 276 BGB als Sorgfalts- und Haftungsmaßstab. Jedes Beiratsmitglied haftet danach, wenn es bei objektiv-abstrakter Betrachtungsweise die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet hat. Besitzt ein Beiratsmitglied jedoch spezielle Kenntnisse und Erfahrungen, derentwegen es in den Beirat berufen wurde, so ist es über den objektiven Haftungsmaßstab hinaus verpflichtet, auch diese speziellen Fähigkeiten in seine Tätigkeit einzubringen; insoweit greift zusätzlich ein subjektiver Maßstab Platz35. Die Haftungsmilderung der diligentia quam in suis kommt hingegen auch in der GmbH & Co. KG für den schuldrechtlichen Beirat nicht in Betracht. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um Gesellschafter oder Nichtgesellschafter handelt36. Der Anwendungsbereich des § 708 BGB ist vielmehr von vornherein auf Schädigungen beschränkt, die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben, findet daher auf andere Rechtsverhältnisse wie Auftrag und Geschäftsbesorgung auch dann keine Anwendung, wenn die Gesellschaft durch einen Gesellschafter geschädigt wurde37. b) Beirat als Gesellschaftsorgan aa) Überwiegend wird für das Recht der GmbH vertreten, dass als Haftungsgrundlage eine Gesamtanalogie zu §§ 43, 52 Abs. 1 GmbHG, §§ 93, 116 AktG in Betracht kommt38, und zwar einschließlich der Beweislast- und Verjährungsregelungen und ungeachtet der konkreten Struktur und Ausgestaltung des Beirats. Nach dieser Auffassung haben Beiratsmitglieder ihr Amt generell im Interesse der Gesellschaft auszuüben und dabei die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Beiratsmitglieds anzuwenden39. Ihre konkrete Pflichtenstellung folgt aus den ihnen zugewiesenen Aufgaben und den ihnen übertragenen Kompetenzen40. Die Haftung von Mitgliedern eines Beirats ist nach dieser Auffassung im Ausgangspunkt der Haftung von Mitgliedern eines fakultativen
__________ 34 Für GmbH: Lutter in Lutter/Hommelhoff (Fn. 9), § 52 Rz. 111; Marsch-Barner/Diekmann (Fn. 6), § 49 Rz. 28; Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 318; für GmbH & Co. KG: Riegger in MünchHdb. GesR II (Fn. 14), § 8 Rz. 83 i. V. m. Rz. 90. 35 So für fakultativen Aufsichtsrat in GmbH auch Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 517; vgl. weiter LG Hamburg, ZIP 1981, 194, 195; Lutter, ZHR 145 (1981), 224, 227 ff.; Altmeppen, ZGR 2004, 388, 409 ff.; aus der Kommentarliteratur etwa Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 130; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbH-Gesetz, 19. Aufl. 2010, § 52 Rz. 72. 36 Riegger in MünchHdb. GesR II (Fn. 14), § 8 Rz. 83 i. V. m. Rz. 90. 37 Ulmer/Schäfer in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2009, § 708 Rz. 7. 38 So Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 369; ebenso oder ähnlich Lutter in Lutter/Hommelhoff (Fn. 9), § 52 Rz. 123; Altmeppen in Roth/Altmeppen (Fn. 20), § 52 Rz. 75; Marsch-Barner/Diekmann (Fn. 6), § 49 Rz. 28. 39 So Lutter in Lutter/Hommelhoff (Fn. 9), § 52 Rz. 123; ebenso Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 369; Marsch-Barner/Diekmann (Fn. 6), § 49 Rz. 28. 40 Lutter in Lutter/Hommelhoff (Fn. 9), § 52 Rz. 123 mit Verweis auf § 52 Rz. 66; Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 369, 372; Altmeppen in Roth/Altmeppen (Fn. 20), § 52 Rz. 75.
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Aufsichtsrats vergleichbar41. Gehaftet wird somit für Vorsatz und für jede Form der Fahrlässigkeit; § 708 BGB kommt nicht zur Anwendung42. Bei speziellen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten gilt jedoch auch hier ein erhöhter subjektiver Maßstab43. Nur vereinzelt wird hingegen danach unterschieden, ob der Beirat eher Gesellschafterfunktionen oder Geschäftsführungsfunktionen wahrnimmt44. bb) Für Beiratsmitglieder in einer GmbH & Co. KG hat die Rechtsprechung unter Zustimmung des Schrifttums bei Publikumsgesellschaften ebenfalls die Haftungsmaßstäbe der §§ 93, 116 AktG entsprechend für anwendbar erklärt45, und zwar einschließlich der Verjährungs-46 und Beweislastregeln47. Hingegen ist bei der personalistischen GmbH & Co. KG die Haftungsgrundlage höchst streitig; insbesondere wird kontrovers diskutiert, ob Gesellschafter und Dritte als Beiratsmitglieder gleich oder verschieden zu behandeln sind und inwieweit der Sorgfaltsmaßstab des § 708 BGB anzuwenden ist48. Der Meinungsstand ist nur schwer überschaubar, was zum Teil auch daran liegt, dass nicht immer exakt zwischen dem schuldrechtlichen Beirat und dem Beirat mit Organqualität unterschieden wird: Traditionell wird ein Gesellschafter, der Beiratsmitglied ist, der gesellschaftsvertraglichen Haftung unterstellt, wobei auf ihn die Haftungsprivilegierung des § 708 BGB zur Anwendung kommen soll49. Nichtgesellschafter sollen hingegen nach Auftrags- bzw. Geschäftsbesorgungsrecht unter Anwendung von § 276 BGB haften50. Teilweise wird aber auch innerhalb der Gesellschafter noch danach unterschieden, ob der Gesellschafter durch den Gesellschaftsver-
__________ 41 Explizit Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 370; ebenso Lutter in Lutter/ Hommelhoff (Fn. 9), § 52 Rz. 123; Altmeppen in Roth/Altmeppen (Fn. 20), § 52 Rz. 75. 42 So für den fakultativen Aufsichtsrat auch Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 523 m. w. N. 43 Siehe bereits Fn. 35. 44 Mertens in FS Stimpel, 1985, S. 417, 418 f.; vgl. bereits Hölters, BB 1977, 105, 110. 45 Grundlegend BGHZ 69, 207 (LS 1); vgl. weiter BGHZ 87, 84, 87; BGH, WM 1977, 1446, 1447; OLG Düsseldorf, WM 1984, 1080, 1083; zusammenfassend Kellermann in FS Stimpel, 1985, S. 295 ff. 46 BGHZ 87, 84 (LS); OLG Düsseldorf, WM 1984, 1080, 1084; Kellermann (Fn. 45), S. 295, 299. 47 BGH, WM 1977, 1446, 1448; BGH, WM 1979, 1425, 1428; BGHZ 87, 84, 87; OLG Düsseldorf, WM 1984, 1080, 1084; Kellermann (Fn. 45), S. 295, 299. 48 Dafür Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 163 Rz. 15 (im Zweifel); zwischen Gesellschaftern und Dritten differenzierend hingegen Oetker, HGB, 2009, § 161 Rz. 59. 49 So Uwe H. Schneider, DB 1973, 953, 956, 957; vgl. weiter Riegger in MünchHdb. GesR II (Fn. 14), § 8 Rz. 83; Schäfer in Großkomm.HGB, 5. Aufl. 2009, § 109 Rz. 57; Grunewald in MünchKomm.HGB (Fn. 12), § 161 Rz. 159. 50 Schilling in Großkomm.HGB, 4. Aufl. 2004, § 163 Rz. 23; Rinze, NJW 1992, 2790, 2794 ff.; wohl auch Schäfer in Großkomm.HGB (Fn. 49), § 109 Rz. 58 durch Verweis auf Schilling (Fn. 50), § 163 Rz. 23.
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trag zum Beiratsmitglied bestimmt wurde oder durch Gesellschafterbeschluss gewählt wurde51. Eine andere Auffassung folgt hingegen einer funktionsbezogenen Betrachtung und unterstellt die Beiratshaftung auch in der personalistischen GmbH & Co. KG einheitlich den §§ 93, 116 AktG, §§ 43, 52 GmbHG analog52. c) Stellungnahme Wie wir gesehen haben, kann der Beirat auf Beratungsaufgaben beschränkt sein; es können ihm jedoch auch weitreichende Aufsichts- und Kontrollbefugnisse eingeräumt sein, bis hin zur Mitwirkung an der Geschäftsführung einschließlich der Befugnis, Weisungen zu erteilen. aa) Erfüllen Beiräte eine reine Beratungsfunktion, so kommen relevante Haftungsrisiken nur in Ausnahmefällen in Betracht. Ungeachtet der Haftungsgrundlage im Einzelfall, kommt jedenfalls eine analoge Anwendung der §§ 93, 116 AktG, §§ 43, 52 GmbHG hier nicht in Betracht53; die Haftung richtet sich vielmehr nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen. bb) Anders ist dies, wenn dem Beirat im Gesellschaftsvertrag Aufsichts- und Kontrollbefugnisse eingeräumt sind. In diesem Fall entsprechen die dem Beirat zugewiesenen Aufgaben weitgehend denen eines fakultativen Aufsichtsrats in der GmbH. Daher sprechen gute Gründe dafür, auch auf Mitglieder eines GmbH-Beirats die Sorgfalts- und Haftungsmaßstäbe der §§ 93, 116 AktG entsprechend anzuwenden, und zwar einschließlich der Beweislast- und Verjährungsregelungen. Dies gilt erst Recht, wenn dem Beirat zusätzlich Weisungs- oder Geschäftsführungsbefugnisse eingeräumt wurden. Notwendige Feinabstimmungen, die aus der unterschiedlichen Organisationsverfassung zwischen GmbH und AG resultieren, sind im Rahmen der konkreten Aufgabenund Pflichtenstellung vorzunehmen54. Hingegen kann die Verantwortlichkeit mangels geeigneter Trennschärfe nicht danach aufgespalten werden, ob der Beirat eher Gesellschafter- oder Geschäftsführungsaufgaben wahrnimmt55. cc) Ist der Beirat durch den Gesellschaftsvertrag zum Organ einer GmbH & Co. KG bestimmt, so kann in der Sache nichts anderes gelten: Nicht nur in der Publikumsgesellschaft56, sondern auch in der personalistischen GmbH & Co. KG überzeugt in diesem Fall als gesetzliche Haftungsgrundlage allein die ent-
__________ 51 In diesem Sinne Rinze, NJW 1992, 2790, 2793 f. im Anschluss an Schilling in Großkomm.HGB (Fn. 50), § 163 Rz. 23; a. A. Schäfer in Großkomm.HGB (Fn. 49), § 109 Rz. 57 m. Fn. 122. 52 Schlegelberger/Martens, HGB, III/2, 5. Aufl. 1986, § 161 Rz. 120 i. V. m. § 164 Rz. 26; Binz/Sorg, GmbH & Co. KG, 10. Aufl. 2005, § 10 Rz. 37; Huber, Beirat, 2004, Rz. 351; ausf. Voormann (Fn. 25), S. 201 ff.; zust. auch Reichert (Fn. 7), § 18 Rz. 112. 53 So bereits Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 52, 55. 54 Dazu bereits oben Fn. 40. 55 So auch Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 368; a. A. etwa Hölters, BB 1977, 105, 110; ders., Der Beirat der GmbH und der GmbH & Co. KG, 1979, S. 48 (GmbH), S. 64 (GmbH & Co. KG). 56 Dazu oben II. 1. b) bb).
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sprechende Anwendung der §§ 93, 116 AktG, und zwar gleichermaßen für Gesellschafter wie für Nichtgesellschafter57. Denn gerade die Tatsache, dass die Gesellschafter von der regulären Rechts- und Pflichtenstellung des Gesetzes abweichen und neben die Gesellschafter einen Beirat mit Überwachungs- und Kontrollbefugnissen einrichten, zeigt, dass sie von diesem Beirat eine verantwortungsvolle Aufgabenwahrnehmung erwarten. Mehr verlangt aber auch die Haftungsgrundlage entsprechend §§ 93, 116 AktG nicht. Auch hier erfolgt die Feinabstimmung anhand der konkreten Aufgabenstellung58. dd) Dies bedeutet zum einen, dass nicht nur für den GmbH-Beirat59, sondern auch für den KG-Beirat die Haftungsprivilegierung des § 708 BGB nicht bereits von Gesetzes wegen zur Anwendung kommt60. Nicht sachgerecht, ja geradezu unerträglich erscheint die im Schrifttum vielfach vertretene Differenzierung zwischen Gesellschaftern und Nichtgesellschaftern innerhalb eines einheitlichen Organs mit dem Ergebnis, dass gerade die Nichtgesellschafter einer strengeren Haftung unterworfen sein sollen61. Die Gründe, die für eine Ablehnung der diligentia quam in suis für die Publikumsgesellschaft geltend gemacht werden62, treffen zwar für die personalistische GmbH & Co. KG nicht zu. Andererseits ist es hier für die Gesellschafter umso leichter, den Haftungsmaßstab oder auch weitere Haftungseinschränkungen im Gesellschaftsvertrag zu bestimmen, falls dies gewünscht ist. Andernfalls ist die Anwendung des Haftungsmaßstabes gemäß §§ 93, 116 AktG überzeugender, eine gesetzliche Haftungsprivilegierung gemäß § 708 BGB daher auch für Gesellschafter-Beiräte abzulehnen63. ee) Zum anderen kommen auch die Beweislast-64 und Verjährungsregeln65 des Aktien- und GmbH-Rechts zur Anwendung, hingegen nicht die allgemeinen Beweis-66 und Verjährungsregeln67. Für dieses Ergebnis bietet sich eine Parallele zur Haftung des geschäftsführenden OHG-Gesellschafters bzw. Komplemen-
__________ 57 Siehe in diesem Sinne bereits die Nachweise in Fn. 55. 58 So auch Reichert (Fn. 7), § 18 Rz. 114; Binz/Sorg (Fn. 52), § 10 Rz. 37; Mussaeus in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, GmbH & Co. KG, 20. Aufl. 2009, § 4 Rz. 206. 59 Für fakultativen Aufsichtsrat auch Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 523 m. w. N. 60 Ähnlich Voormann (Fn. 25), S. 205 ff. Nicht gefolgt werden kann hingegen der Differenzierung von Reichert (Fn. 7), § 18 Rz. 118: grundsätzlich Anwendung von § 708 BGB auf Gesellschafter-Beiräte, aber nicht „wenn der Beirat eingesetzt wird, um die Gesellschafterkontrolle besonders sachverständig auszuüben“. 61 So aber im Ansatz auch Reichert (Fn. 7), § 18 Rz. 118. 62 Grundlegend BGHZ 69, 207; vgl. weiter oben II. 1. c) cc). 63 Zur Restriktion des § 708 BGB allgemein auch Schäfer in Großkomm.HGB (Fn. 49), § 114 Rz. 63. 64 Wie hier Grunewald in MünchKomm.HGB (Fn. 12), § 161 Rz. 159; Reichert (Fn. 7), § 18 Rz. 120; Voormann (Fn. 25), S. 207 f. 65 Wie hier Voormann (Fn. 25), S. 210 f. 66 So aber Riegger in MünchHdb. GesR II (Fn. 14), § 8 Rz. 84. 67 So aber Riegger in MünchHdb. GesR II (Fn. 14), § 8 Rz. 84; diff. Reichert (Fn. 7), § 18 Rz. 122; Binz/Sorg (Fn. 52), § 10 Rz. 47.
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tärs an: Auf diesen werden gleichfalls die einschlägigen aktienrechtlichen Vorschriften entsprechend angewendet68. ff) Relativiert wird diese (strenge) Haftung jedoch einerseits durch die konkrete Aufgaben- und Pflichtenstellung im Einzelfall, andererseits bei unternehmerischen Entscheidungen durch die Anwendung der business judgement rule analog § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG69. Und selbstverständlich kann auch für Beiratsmitglieder das Haftungsrisiko durch eine D&O-Versicherung wirtschaftlich weitgehend ausgeschlossen werden70. gg) Die Tatsache, dass die Mitglieder eines fakultativen Aufsichtsrats ehrenamtlich tätig wurden und nur eine geringe Aufwandsentschädigung erhielten – im konkreten Fall handelte es sich um Gemeindevertreter im Aufsichtsrat einer insolventen Stadtwerke-GmbH –, soll nach Auffassung des OLG Brandenburg zu keiner Haftungseinschränkung führen, wobei allerdings im Wesentlichen darauf abgestellt wird, dass nach den Vorschriften der einschlägigen Kommunalverfassung die Schadensersatzleistungen letztendlich von der entsendenden Gemeinde getragen werden71. Noch offen ist, inwieweit sich diese Rechtsprechung auf den Beirat übertragen lässt. 2. Beispiele aus der Rechtsprechung In der Rechtsprechung finden sich Haftungsfälle insbesondere zum Beirat in der Publikums-GmbH & Co. KG: So hat der BGH beispielsweise die Haftung eines Beiratsmitglieds in Betracht gezogen, das sich an einer Gesellschaftsgründung in dem Bewusstsein beteiligte, dass der Gründer die von den Anlegern geleisteten Einlagen zur Tilgung von Verbindlichkeiten aus vorangegangenen Gesellschaftsgründungen verwenden und hierdurch die neuen Kommanditisten schädigen werden72. Weitere Beispiele finden sich in der Rechtsprechung zur Aufsichtsratshaftung, die auch auf die Haftung von Beiräten angewendet werden könnten: So ist pflichtwidrig etwa die Nichtverhinderung von (unzulässigen) Gewinnvorauszahlungen73, die unzulängliche Überwachung der Geschäftsführung im Hinblick auf (angeblich durchgeführte) Investitionen im Nahen Osten74, die (sorglose) Genehmigung eines riskanten Beteiligungserwerbs75, die Nichtverhinderung ungesicherter Darlehenszahlungen an den Hauptgesellschafter aus der
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68 Schäfer in Großkomm.HGB (Fn. 49), § 114 Rz. 64, 66; ebenso für Beweislast: Rawert in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2006, § 114 Rz. 69, anders ders. für Verjährung (Rz. 70). 69 Zur Anwendung auf den Aufsichtsrat der AG: Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 1. Aufl. 2008, § 116 Rz. 10 ff.; ausf. Hopt/Roth in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2005, § 116 Rz. 69 ff., 105 m. w. N.; für fakultativen Aufsichtsrat ausf. Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 477 ff. m. w. N. 70 Dazu Huber, GmbHR 2004, 772, 777; Lange, GmbHR 2006, 897, 904 m. w. N. 71 OLG Brandenburg, ZIP 2009, 866, 867. 72 BGH, NJW 1985, 1900 (Publikums-KG). 73 BGHZ 64, 238 und BGH, WM 1977, 1446 (Publikums-KG, dieselbe Sache). 74 OLG Düsseldorf, WM 1984, 1080 (Publikums-KG). 75 BGHZ 69, 207 (Publikums-KG).
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Gesellschaftskasse, sofern nicht dessen Bonität und damit die Vollwertigkeit des Rückgewähranspruchs zweifelsfrei feststeht76, weiterhin die Zustimmung zu nachteiligen Geschäften, sofern diese ohne die gebotene Information und einer darauf aufbauenden Chancen- und Risikoabschätzung erfolgte77. Pflichtwidrig kann auch die Nichteinberufung einer beantragten Beiratssitzung sein78. Gleiches gilt, wenn der Aufsichtsrat dem Verkauf eines der Gesellschaft gehörenden Grundstückes zustimmt, das unter Wert verkauft werden soll. Seine Überwachungspflicht erstreckt sich nämlich auch auf die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung, so dass er verpflichtet ist, jeden erkennbaren Schaden von der Gesellschaft abzuwenden79. Darüber hinaus muss der Aufsichtsrat gegen Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands sofort einschreiten, beispielsweise durch die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG ad hoc, wenn er erkennt, dass sich aus dieser Maßnahme für die Gesellschaft besondere Risiken ergeben80. Besonders risikoträchtig ist die Beiratstätigkeit in der Krise des Familienunternehmens81: Bereits mehrfach wurde entschieden, dass das Nichthinwirken auf die Stellung eines Insolvenzantrags jedenfalls dann pflichtwidrig ist, wenn der Aufsichtsrat Kenntnis vom Insolvenzgrund hat82. Ein weiteres Haftungsrisiko liegt nach der grundlegenden ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung83 aber auch darin begründet, dass der Beirat – sofern hierfür zuständig – Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen eine pflichtwidrig handelnde Geschäftsführung nicht geltend macht bzw. es unterlässt, der Gesellschafterversammlung dies vorzuschlagen. Diesem Haftungsrisiko kommt in der Praxis insbesondere deshalb große Bedeutung zu, weil die Mitglieder eines Beirats im Familienunternehmen der Geschäftsführung noch viel enger und persönlicher verbunden sind als in der großen Aktiengesellschaft. Die Pflichtwidrigkeit des Beirats kann aber auch darin liegen, dass er die (ihm übertragene) Abberufung einer pflichtwidrig handelnden Geschäftsführung unterlässt bzw. es nicht verhindert, dass Pflichtwidrigkeiten begangen werden84. Erst recht gilt dies für Beiratsmitglieder, die strafbares oder sittenwidriges Verhalten der Geschäftsführung veranlassen oder aktiv unterstützen85.
__________ 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85
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BGHZ 179, 71 (AG) – MPS; vgl. auch LG Hamburg, ZIP 1981, 194. BGH, NZG 2007, 187 (fakultativer Aufsichtsrat GmbH). OLG München, AG 2008, 638 (AG) – Kloster Andechs (aber Schaden verneint). LG Stuttgart, AG 2000, 237, 238 (AG) – ASS. LG Bielefeld, ZIP 2000, 20 (AG) – Balsam. In diesem Sinne auch Handelsblatt v. 20.1.2010, S. 30: „Kreist der Pleitegeier, sind Beiräte oft überfordert“. BGH, ZIP 2009, 860 (AG); OLG Brandenburg, ZIP 2009, 866, 867 (GmbH). BGHZ 135, 244 (AG) – ARAG/Garmenbeck. OLG Karlsruhe, WM 2009, 1147 (AG). Siehe hierzu zum Beispielsfall von Kartellverstößen etwa Bayer in FS K. Schmidt, 2009, S. 85 ff. OLG Düsseldorf, ZIP 2008, 1922 (Anstiftung bzw. Beihilfe zum Kapitalerhöhungsbetrug).
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III. Haftungseinschränkungen Haftungseinschränkungen sind sinnvoll und in der Praxis die Regel86. Ausgenommen hiervon sind jedoch generell die Beiratsmitglieder in der PublikumsGmbH & Co. KG87, da in dieser Konstellation eine große Nähe der Publikumspersonengesellschaft zur Aktiengesellschaft besteht und hier wie dort ein Bedürfnis für den Schutz der Anleger-Gesellschafter vorhanden ist88. Ebenso wie Aufsichtsratsmitglieder in der AG haften somit Beiratsmitglieder in der Publikums-GmbH & Co. KG generell zwingend89. Im Übrigen muss allerdings differenziert werden: 1. Abweichender Haftungsmaßstab In Abweichung zum allgemeinen Haftungsmaßstab gemäß §§ 93, 116 AktG analog kann – ebenso wie für den fakultativen Aufsichtsrat90 – für den Beirat der GmbH die Satzung – aber nur diese (!) – einen anderen Maßstab festlegen, etwa auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit oder auf die diligentia quam in suis (§ 708 BGB) beschränken91. Dies gilt jedoch nicht, soweit der Beirat Geschäftsführungsaufgaben wahrnimmt; hier kann eine Haftungsprivilegierung nicht weitergehen, als sie auch einem Geschäftsführer zugute kommen könnte92 (die Einzelheiten hierzu sind jedoch heftig umstritten93). Für den KG-Beirat sind darüber hinaus noch weiterreichende Haftungseinschränkungen möglich94. 2. Weitere Einschränkungen a) Weisung der Gesellschafter Nach allgemeiner Ansicht haften Beiratsmitglieder nicht bei einer rechtmäßigen Weisung der Gesellschafter. Dies gilt sowohl für den Beirat in der GmbH95
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86 So auch Lange, GmbHR 2006, 897, 903 (für GmbH); allgemein Wälzholz, DStR 2003, 511, 515. 87 BGHZ 69, 207 (LS 1); ebenso OLG Düsseldorf, WM 1984, 1080, 1084. 88 Dazu ausf. Voormann (Fn. 25), S. 212 f. 89 Heute unstreitig; vgl. nur Reichert (Fn. 7), § 18 Rz. 127 m. w. N.; anders noch Uwe H. Schneider, DB 1973, 953, 958. 90 Dazu ausf. Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 524; vgl. weiter Baumbach/ Hueck/Zöllner/Noack (Fn. 35), § 52 Rz. 72. 91 Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 375; Lutter in Lutter/Hommelhoff (Fn. 9), § 52 Rz. 123 i. V. m. Rz. 32; Reichert (Fn. 7), § 18 Rz. 123. 92 So Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 524; vgl. weiter Lutter in Lutter/ Hommelhoff (Fn. 9), § 52 Rz. 123; Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 375; offen gelassen von OLG Brandenburg, ZIP 2009, 866, 867. 93 Aktueller Überblick bei Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 43 Rz. 51 ff. m. w. N. 94 Grunewald in MünchKomm.HGB (Fn. 12), § 161 Rz. 159; ausf. Voormann (Fn. 25), S. 211 ff. (aber mit rechtspolitischer Kritik). 95 Altmeppen in Roth/Altmeppen (Fn. 20), § 52 Rz. 75; Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 374 (str.); ebenso für fakultativen Aufsichtsrat in GmbH: Lutter in Lutter/Hommelhoff (Fn. 9), § 52 Rz. 32; Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 528; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack (Fn. 35), § 52 Rz. 77.
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als auch für den Beirat in der GmbH & Co. KG96. Eine Ausnahme wird allein dann gemacht, wenn die Pflichtverletzung gerade in der Nichtverhinderung dieses Beschlusses besteht97. b) Verkürzung der Verjährung Weiterhin kann im Gesellschaftsvertrag auch eine Verkürzung der Verjährung vorgesehen werden98, bei Übertragung von Geschäftsführungsaufgaben in der GmbH jedoch nur in den Grenzen des § 43 Abs. 3 GmbHG analog99. c) Verzicht, Entlastung Die Haftung entfällt, sofern die Gesellschafter auf die Geltendmachung von Ersatzansprüchen verzichten. Dieser Verzicht kann auch in einer Entlastung liegen, die erteilt wird, sofern den Gesellschaftern zu diesem Zeitpunkt die Tatsachen bekannt sind, die eine Haftung begründen100. Die aktienrechtliche Karenzzeit von 3 Jahren (§ 93 Abs. 4 Satz 3 AktG) gilt für die GmbH nicht101. Die Entlastungswirkungen treten allerdings nicht ein, wenn der Beschluss – weil pflichtwidrig – angefochten und durch Urteil für nichtig erklärt wurde102.
IV. Geltendmachung der Haftung Der mögliche Schadensersatzanspruch gegen Beiratsmitglieder, die gesamtschuldnerisch haften103, steht grundsätzlich der Gesellschaft zu104, nicht den Gesellschaftern. Zur Geltendmachung ist in der GmbH ein Gesellschafter-
__________ 96 Enzinger in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2006, § 119 Rz. 59; Baumbach/Hopt (Fn. 8), Anh § 177a Rz. 75 (für Publikumspersonengesellschaft). 97 Für die Publikumspersonengesellschaft: BGHZ 69, 207, 217; vgl. auch BGH, WM 1977, 1446, 1448 (Nichtverhinderung unzulässiger Gewinnvorauszahlungen auf Vorschlag der Geschäftsführung durch Beschluss der Gesellschafter). 98 Zulässig für fakultativen Aufsichtsrat: Rowedder/Schmidt-Leithoff/Koppensteiner, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 52 Rz. 17; Lutter in Lutter/Hommelhoff (Fn. 9), § 52 Rz. 35; Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 153; Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 527; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack (Fn. 35), § 52 Rz. 78; teilw. abw. Altmeppen in Roth/Altmeppen (Fn. 20), § 52 Rz. 38; a. A. BGHZ 64, 238, 245 (obiter). 99 Ähnlich Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 524. 100 Riegger in MünchHdb. GesR II (Fn. 14), § 8 Rz. 85 (für KG); Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 525 (für GmbH); generell für GmbH & Co. KG: Reichert (Fn. 7), § 18 Rz. 123 m. w. N. 101 Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 375; Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 1), § 52 Rz. 524. 102 Ausf. hierzu Graff, Die Anfechtbarkeit der Entlastung im Kapitalgesellschaftsrecht, 2007, S. 165 ff. m. w. N. 103 Für fakultativen Aufsichtsrat: Lutter in Lutter/Hommelhoff (Fn. 9), § 52 Rz. 35. 104 Für Personengesellschaft: BGH, NJW 1975, 1318, 1319 (Klage Konkursverwalter); BGH, NJW 1985, 1900 (Klage Kommanditist); Enzinger in MünchKomm.HGB (Fn. 96), § 119 Rz. 59; Baumbach/Hopt (Fn. 8), § 163 Rz. 15; vgl. weiter OLG Düsseldorf, WM 1984, 1080, 1083; für GmbH: Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 375.
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beschluss analog § 46 Nr. 8 GmbHG erforderlich105, es sei denn, dass die Satzung hierauf verzichtet hat. Ist in der GmbH & Co. KG der Beirat bei der GmbH eingerichtet, so ist dennoch auch die KG zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen befugt106. Einzelne Gesellschafter haben grundsätzlich kein Klagerecht; sie können aber im Wege der actio pro socio auf Leistung an die Gesellschaft klagen, sofern Schadensersatzansprüche pflichtwidrig nicht geltend gemacht werden107. Zu keinem anderen Ergebnis kommt die einschränkende Auffassung, wonach gegen Beiratsmitglieder, die Nichtgesellschafter sind, die actio pro socio nur dann zulässig sein soll, wenn die Berufung in den Beirat Schutzwirkungen auch für Gesellschafter entfaltet108; dies ist nämlich regelmäßig der Fall109. Im Insolvenzfall werden Schadensersatzansprüche gegen Beiratsmitglieder vom Insolvenzverwalter geltend gemacht; eine Beschlussfassung gemäß § 46 Nr. 8 GmbHG ist in dieser Konstellation nicht erforderlich110.
__________ 105 Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 46 Rz. 35 m. w. N.; für fakultativen Aufsichtsrat: Lutter in Lutter/Hommelhoff (Fn. 9), § 52 Rz. 34. 106 Riegger in MünchHdb. GesR II (Fn. 14), § 8 Rz. 92; Reichert (Fn. 7), § 18 Rz. 124 m. w. N. 107 Für KG: Hüffer, ZGR 1980, 353, 354; Uwe H. Schneider, DB 1973, 953, 956; Reichert (Fn. 7), § 18 Rz. 125 m. w. N.; ausf. Voormann (Fn. 25), S. 213 ff.; für GmbH: Ulmer/Raiser/Heermann (Fn. 6), § 52 Rz. 375 i. V. m. Raiser a. a. O. § 14 Rz. 57 f. 108 Für Publikums-KG: BGH, NJW 1985, 1900 = WM 1984, 1640, 1641; Baumbach/ Hopt (Fn. 8), § 163 Rz. 15; generell auch hier für Zulässigkeit der actio pro socio Hüffer, ZGR 1980, 353, 354; Reichert (Fn. 7), § 18 Rz. 125; generell abl. Rinze, NJW 1992, 2790, 2795; Huber (Fn. 52), Rz. 357. 109 Riegger in MünchHdb. GesR II (Fn. 14), § 8 Rz. 86. 110 Bayer in Lutter/Hommelhoff (Fn. 105), § 46 Rz. 38; Ulmer/Hüffer, GmbHG, 2006, § 47 Rz. 92.
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Das Chamäleon Anlegerschutz oder „Worüber reden wir eigentlich?“ Inhaltsübersicht I. Einführung und Fragestellung 1. Ausgangslage 2. Ursachen der Finanzkrise 2008/2009 und Wirkungen für den Privatanleger II. Das Anlegerschutzkonzept des WpHG und dessen Entwicklung 1. Problemstellung 2. Anlegerschutz und Anlegerdefinition nach dem WpHG a) Schutz der Privatanleger als Rechtsgut und Regelungsgegenstand des WpHG b) Verhältnis zum Verbraucherschutzrecht c) Anlegerschutzkonzeption d) Folgen für die Bankpraxis 3. Zusammenfassung und Würdigung aus Sicht der Bankpraxis
III. Gelebter Anlegerschutz in der Bankpraxis 1. Überblick 2. Umsetzung in der Bankpraxis a) Kennen und Verstehen des Kunden b) Produktqualität und Kundeninformation c) Beratungsqualität 3. Aktuelle Initiativen zur Verbesserung des Anlegerschutzes a) Produktinformationsblatt b) Beratungsmodelle – Honorarberatung c) Strukturierung der Vermögensanlage als Grundsicherung gegen übermäßige Anlagerisiken d) Einbeziehung aller Marktteilnehmer IV. Fazit
I. Einführung und Fragestellung Uwe H. Schneider hat sich in seinem wissenschaftlichen und praktischen Wirken in vielfacher Weise mit den kapitalmarktrechtlichen Regelungen befasst, die dem Anlegerschutz gewidmet sind1. Zugleich ist mit der in den Jahren 2008/2009 ausgebrochenen Finanz- und Wirtschaftskrise, für die die Insolvenz der Investmentbank Lehmann Brothers zum Synonym wurde, national wie international erneut die Diskussion um eine Stärkung des Anlegerschutzes ausgebrochen, die unverändert anhält2. Grund hierfür waren die in den Kundendepots zu verzeichnenden erheblichen Verluste der Anleger und die
__________ 1 Siehe u. a. Assmann/Uwe H. Schneider, Kommentar zum WpHG, 5. Aufl. 2009; Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Kommentar zum WpÜG, 2005; Uwe H. Schneider, ZIP 2010, 601 ff. 2 Vgl. „Kaum Fortschritte im Anlegerschutz“, Jahresrückblick 2009, www.zeit.de; „Anlegerschutz – Wie viel Staat brauchen wir?“, BVI-Asset Management Konferenz, 29/30.10.2009; www.bvi.de; „Hürden für Spekulanten“ v. 3.5.2010, www.süd deutsche.de.
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damit einhergehende Diskussion um die Verantwortung der Banken, die ihren Kunden die entsprechenden Anlageprodukte verkauft hatten; in Deutschland ist das Thema z. B. an der Frage zu verorten, ob und inwieweit Banken Ihre Kunden richtig beraten haben, die seinerzeit in von der Lehmann Bank emittierte Zertifikate investiert hatten3. Der nachstehende Beitrag will diese Diskussion aufgreifen und erörtern, ob sie mit den richtigen Fragen geführt wird und ob die bislang gefundenen oder zur Entscheidung anstehenden Maßnahmen aus Sicht der Anleger sowie der Anbieter von Wertpapierdienstleistungen, insbesondere betreffend die Anlageberatung, die Antworten geben, die den Interessen der Beteiligten und dem Finanzplatz gerecht werden. 1. Ausgangslage Zunächst ist festzuhalten, dass die derzeitige Entwicklung nicht ohne Vorbilder aus der jüngeren Vergangenheit ist, allerdings einige Besonderheiten aufweist. So haben der Zusammenbruch der Wiedervereinigungshausse Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts und ebenso das Platzen der New Economy-Blase ab 2001 und die damit einhergegangenen Vermögensverluste der Anleger ebenfalls zu einer intensiven Diskussion um eine Verbesserung des Anlegerschutzes und im Nachgang zu gesetzgeberischen Maßnahmen geführt. Auch in diesen Fällen hatten die Anleger in einem allgemeinen Marktaufschwung Anlageprodukte, z. B. geschlossene Immobilienfonds mit Schwerpunkt Ostdeutschland oder Neuer Markt-/Telekommunikationsinvestmentfonds erworben, die es zuvor nicht gegeben hatte und bei denen es sich um Produkte handelte, die ursprünglich nicht für die breite Anlegerschaft konzipiert waren, dann aber in erheblichem Umfang an selbige vertrieben worden sind. Neben der dann jeweils geführten Diskussion, wer die entstandenen Verluste am Ende zu tragen hatte, Anleger, Vertriebsstellen oder Produktgeber, kam es stets zu entsprechenden rechtspolitischen Schritten, um (angebliche) Fehler der Vergangenheit für die Zukunft auszuschließen4. Im Vordergrund standen hierbei regelmäßig konkrete Einzelmaßnahmen, weniger die Frage nach dem Gesamtkonzept oder wie sich bestimmte Neuregelungen in selbiges einfügen5. Zwei Phänomene unterscheiden die aktuelle Diskussion von früheren: Zum Ersten ihre Breite und Intensität; zum Zweiten wird den Kreditinstituten mehr oder weniger deutlich vorgeworfen, sie hätten die Verluste Ihrer Kunden maßgeblich mit zu verantworten. Bevor diese rechtspolitische Diskussion aufge-
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3 Siehe statt vieler „Teufelszeug für Ahnungslose“ v. 11.9.2009, www.spiegel.de; „Geldverlust durch falsche Bankberatung“ v. 11.10.2008, www.anwalt.de. 4 Siehe das 2. FMFG mit der Schaffung des WpHG 1994, das 4. FMFG 2002 sowie das AnsVG 2004, Überblick bei Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Einl. Rz. 12 ff. 5 Vgl. exemplarisch die zum 1.1.2010 erfolgte Einführung des Beratungsprotokolls in der Anlageberatung nach § 34 Abs. 2a WpHG, eingeführt durch das Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung, v. 31.7.2009, BGBl. I 2009, S. 2512.
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griffen werden kann, sind einige Rechtstatsachen zu beleuchten, da nur mit deren Verständnis sachgerechte Lösungen gelingen können. 2. Ursachen der Finanzkrise 2008/2009 und Wirkungen für den Privatanleger Zunächst noch einmal zu den Ursachen der Finanzkrise: Diesbezüglich werden gelegentlich Sachverhalte miteinander vermischt, die nicht zusammengehören. Die Verbriefung von unzulänglich besicherten Immobilienkrediten, die angebliche Falschberatung von Anlegern, hohe und unberechtigte Bonuszahlungen, Kreditklemme, Insolvenz von Autobauern sowie die allgemeine Rezession in 2008/2009 wurden in der Berichterstattung häufig vermengt. Der Ausgangspunkt lag indes im US-amerikanischen Immobilienmarkt, in dem die sogenannten „Subprime-Kredite“ vergeben wurden. Es handelte sich dabei um Kredite, die wissentlich an Kreditnehmer mit geringer Bonität vergeben wurden. Diese Kredite wurden in großer Anzahl kontrahiert, obwohl den Kreditgebern bewusst sein musste, dass sie mit hohen Ausfallraten zu rechnen hatten. Die Verbriefung dieser Kredite, deren positives Rating und die anschließende Platzierung bei internationalen Anlegern, führte dazu, dass das Risiko dieser Kredite kein auf den amerikanischen Immobilienmarkt beschränktes Phänomen blieb. Als sich die Kreditrisiken realisierten, weil die ursprünglichen Kreditnehmer ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen konnten, setzte sich eine Spirale in Gang: Mehrere US-Banken und Versicherungen wurden insolvent. Auch viele Investoren außerhalb der USA, die entsprechende Wertpapiere erworben hatten, mussten erhebliche Abwertungen auf ihre Bestände vornehmen, was bei etlichen europäischen Banken zu Bonitäts- und Liquiditätsproblemen führte. Dies machte wiederum in erheblichem Umfang staatliche Interventionen und Rettungsmaßnahmen für Banken und Finanzdienstleister erforderlich. Die Probleme der einzelnen Häuser hatten ihre Ursache demnach in der fehlenden Überprüfung bzw. falschen Risikoeinschätzung von Wertpapieren, die man in hoher Anzahl auf die eigenen Bücher genommen hatte. Der hieraus resultierende Vertrauensverlust zwischen den Kapitalmarktteilnehmern führte sodann zu massiven Verwerfungen auf den Geld- und Kreditmärkten und schließlich zu einer Krise der Realwirtschaft. Diese wurde im Extrem mit der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts verglichen6. Auch wenn zwischenzeitlich eine positivere Erwartungshaltung Platz gegriffen hat, ist unstrittig, dass in Europa und den USA weite Bereiche der Finanz- und Realwirtschaft massiv eingebrochen sind und ohne die staatlichen Stützungsmaßnahmen in 2008–2010 ein Zusammenbruch des Finanzsystems zu befürchten war7. Auch die Geld- und Vermögensanlagen der Privatanleger wurden dementsprechend von der Finanzkrise getroffen. Die aktuellen Forderungen nach mehr Anlegerschutz stehen nach dem Vorgesagten gleichwohl in
__________ 6 Dr. Gerhard Wahlers, „Die Finanzmarktkrise – Internationale Perspektiven“, www. kas.de, 2008 November, Konrad Adenauer Stiftung, 24.11.2008, http://www.kas.de/ wf/doc/kas_14952-544-1-30.pdf. 7 Siehe die Rede von Bundesbankpräsident Axel Weber am 25.5.2009 – Ende der Finanzkrise – Wende der Konjunktur, www.bundesbank.de.
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keinem inhaltlichen Zusammenhang mit der eigentlichen Ursachen der Finanzkrise; vielmehr haben sich deren Folgen auch in den Depots der Anleger niedergeschlagen. Gleichwohl ist nicht verwunderlich, dass nach Schuldigen gesucht wird, die hierfür verantwortlich sind und schnell waren die Banken in den Blickpunkt geraten. Ihnen wurde vorgeworfen, dass sie ihren Kunden Anlageprodukte verkauft hätten, die diese entweder nicht verstanden hatten oder die schlicht ungeeignet gewesen wären; kurz gesagt, die Kundeninteressen seien nicht ausreichend beachtet worden. Mithin wird der Kreditwirtschaft von Teilen der Öffentlichkeit und Politik eine besondere Verantwortlichkeit für die Verluste ihrer Kunden zuerkannt und der Fokus der aktuell in Rede stehenden Maßnahmen liegt darauf sicherzustellen, dass die Kunden angemessen beraten werden, dies ausreichend dokumentiert wird und die Banken in ihren internen Vertriebsprozessen keine Impulse setzen, die strukturell zu einem Handeln gegen das Kundeninteresse führen8. Es geht letztlich um die Fragen nach systemischen Defiziten betreffend die Beratung und den Vertrieb der Finanzprodukte, mit denen die Anleger schlechte Erfahrungen gemacht haben. In diesem Zusammenhang soll insbesondere auf folgende Fragen eingegangen werden: 1. Hält die Rechtsordnung derzeit ein stimmiges Anlegerschutzkonzept bereit? Zwischen welchen Anlegertypen ist zu unterscheiden? 2. Vor welchen Risiken will die Rechtsordnung die Anleger schützen? 3. Wer sind eigentlich die Beteiligten und wer ist zu berücksichtigen? Auch wenn die öffentliche Diskussion manchmal einen gegenteiligen Eindruck erweckt, bewegen wir uns bei diesen Fragen in einem bereits erheblich geregelten Umfeld und haben insbesondere im WpHG für den relevanten Bereich der Wertpapierdienstleistungen de lege lata einen umfangreichen Regelungskanon, auf den jeweils zurückzukommen ist. Nachfolgend wird daher nur am Rande auf die aus der Vertragsbeziehung zwischen Bank und Kunden resultierenden (gleichlautenden oder andersartigen) Pflichten eingegangen9.
II. Das Anlegerschutzkonzept des WpHG und dessen Entwicklung 1. Problemstellung In der aktuellen Diskussion ist häufig pauschal vom „(Privat)Anleger“ die Rede, der besser geschützt werden müsse; unklar bleibt allerdings häufig, wer damit genau gemeint ist und wovor der Anleger genau geschützt werden soll bzw. was das Ziel einer ihn schützenden Maßnahme sein soll. Dies erschwert
__________ 8 Siehe den Diskussionsentwurf des BMF eines Gesetzes zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes v. 3.5.2010, www.bmf.de. 9 Zum Verhältnis von Aufsichtsrecht und bankvertraglichen Pflichten Fuchs, WpHG, 2009, vor § 31 Rz. 63 ff.
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die sachgerechte Beurteilung neuer Vorschläge zur Verbesserung des Anlegerschutzes und verdeckt teilweise auch, ob eine Thematik nicht schon abschließend geregelt ist. Als konkretes Beispiel kann die jüngste Diskussion um das sogenannte Produktinformationsblatt (PIB) gelten. Schon nach bisheriger Rechtslage haben die Kreditinstitute ihre Kunden über Inhalt und Risiken einer Anlage im Allgemeinen wie betreffend das konkrete Finanzprodukt aufzuklären; welchen zusätzlichen Nutzen soll dann ein PIB entfalten? Welche Rolle spielt es in der konkret-individuellen Beratung des einzelnen Kunden? Hierzu bedarf es klarer Antworten, sonst verschwimmt der Nutzen einer solchen Maßnahme. In der Bankpraxis gibt es den Einheitstypus des Privatkunden nicht. So wie schon lange zwischen privaten und institutionellen Anlegern unterschieden wird, können auch bei den Privatanlegern Gruppen gebildet werden; dies sind im Wesentlichen vier: erstens, die sogenannten Selbstentscheider, die häufig Kunden bei Direkt- und Onlinebanken sind. Diese Kunden nehmen keine Beratung in Anspruch, treffen ihre Anlageentscheidungen eigenständig und nutzen nur die Bankinfrastruktur, um ihre Anlagegeschäfte abzuwickeln. Im Beratungsgeschäft gibt es zweitens die einfachen und drittens die gehobenen Privatkunden sowie schließlich viertens die vermögenden, häufig sehr wertpapieraffinen Wealth Management (WM) Kunden. Fast alle Banken unterscheiden zwischen diesen Gruppen, da deren Bedürfnisse teilweise auseinander gehen. Stehen bei den beiden Privatkundengruppen typischerweise Vermögensaufbau und Vorsorge im Mittelpunkt, kommen bei WM-Kunden Themen wie Beteiligungsverwaltung, Erhalt großer Vermögen und Wertpapierhandelsaktivitäten hinzu. Dementsprechend ist diese Klientel mit den Inhalten des Bank- und Wertpapiergeschäfts regelmäßig deutlich vertrauter als der normale Privatanleger. Zudem zeigt sich auch innerhalb der Anlegergruppen eine große Heterogenität, was Anlageerfahrungen und -kenntnisse betrifft, ganz zu schweigen von den individuellen Anlagezielen und finanziellen Verhältnissen. Dementsprechend stellt sich die Frage, ob nicht auch innerhalb der Gruppe der Privatanleger deren Schutzbedürftigkeit differenziert zu sehen ist, ob und wie sich dies de lege lata bereits in der Rechtsordnung niederschlägt, oder was de lege ferenda anzustreben ist. Ausgangspunkt hierfür sind die anlegerschützenden Normen des WpHG als dem deutschen Kapitalmarktgrundgesetz10. 2. Anlegerschutz und Anlegerdefinition nach dem WpHG a) Schutz der Privatanleger als Rechtsgut und Regelungsgegenstand des WpHG Der Anlegerschutz ist neben der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes eines der beiden Rechtsgüter, die durch das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) vom 26. Juli 1994 geschützt werden sollen11. Nur so ist sicher-
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10 In diesem Sinne auch Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Einl. Rz. 10 f. 11 Vgl. Koller in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 4. Aufl. 2006, vor § 31 Rz. 8 ff.
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gestellt, dass der Kapitalmarkt dauerhaft das notwendige Maß an Vertrauen erfährt, um die Bedürfnisse aller Marktteilnehmer zu befriedigen, zu denen auch die Privatanleger gehören. Letztere wurden schon bei Erlass des Gesetzes für besonders schutzwürdig gehalten, da sie in der Regel nicht das fachliche Wissen und praktische Erfahrungen am Kapitalmarkt haben, wie dies für die professionellen Marktteilnehmer und insbesondere die institutionellen Anleger typisch ist12. Dementsprechend enthielt das WpHG von Anfang an die sog. Wohlverhaltensregeln nach den §§ 31 ff., die seit Inkrafttreten des Gesetzes mehrfach erweitert und modifiziert wurden13. Die Wertpapierdienstleistungsunternehmen, d. h. insbesondere die Banken und Sparkassen wurden danach verpflichtet, ihre Leistungen gegenüber dem Kunden in dessen Interesse mit der nötigen Sachkunde und Sorgfalt zu erbringen und ein angemessenes Management von Interessenkonflikten einzurichten14. Insbesondere wurde normiert, dass sich die Institute ein Bild über das bisherige Anlageverhalten der Kunden, ihre Vermögensverhältnisse und Anlagebedürfnisse verschaffen und ihnen alle zweckdienlichen Informationen mitteilen, soweit dies zur Wahrung des Kundeninteresses und im Hinblick auf Art und Umfang der beabsichtigten Geschäfte erforderlich war, vgl. § 31 Abs. 2 WpHG a. F.15. Ziel ist also, dass die Bank ihren Kunden einschätzen kann und der Anleger seinerseits alle Informationen hat, um eine bewusste und eigene Entscheidung treffen zu können; damit geht es zugleich um den individuellen Anlegerschutz und nicht nur einen Reflex als Ausprägung des Funktionsschutzes16. Die rechtstatsächliche Wechselbeziehung zwischen den Anbietern auf dem Kapitalmarkt und den Anlegern als den Investoren wird auf diese Weise im WpHG abgebildet. Damit kommt der fundierten und auf exakten Informationen beruhenden Anlageentscheidung als Grundlage der Risikoeinschätzung eine maßgebliche Bedeutung zu. Ist der Anleger, etwa wegen zu hoher Kosten oder einer fehlenden Risikodarstellung nicht in der Lage, die Informationsasymmetrie zwischen der Anbieterseite und der Anlegerseite auszugleichen, kommt es zu Misstrauen, Marktabwanderung in sichere, aber wenig rentierliche Anlageformen und damit letztlich zu Marktversagen. Somit schließt sich wieder der Kreis zur Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes. Deutschland war dabei in den 90er Jahren keineswegs Vorreiter im Anlegerschutz; die Regelungen des WpHG beruhten weitgehend auf EU-Richtlinien, die in nationales Recht umzusetzen waren; hierzu gehörte insbesondere die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie (WpDRiL) von 199317. Mit dem Anleger-
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12 Siehe die Regierungsbegründung zum 2. FMFG, BT-Drucks. 12/7918, S. 95. 13 Überblick bei Hirte/Möllers, KölnKomm. WpHG, 2007, § 31 Rz. 25 ff. 14 Vgl. zur alten Rechtslage Koller in Assmann/Uwe H. Schneider, 4. Aufl. 2006, § 31 Rz. 1 ff. 15 Einzelheiten bei Koller in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 4. Aufl. 2006, § 31 Rz. 90 ff.; Hirte/Möllers, KölnKomm. WpHG, 2007, § 31 Rz. 151 ff. 16 Hirte/Möllers, KölnKomm. WpHG, 2007, § 31 Rz. 154; Lang, Informationspflichten bei Wertpapierdienstleistungen, 2002, § 9 Rz. 2; Regierungsbegründung zum 2. FMFG, BT-Drucks. 12/7918, S. 103. 17 Richtlinie 93/22/EWG über Wertpapierdienstleistungen v. 10.5.1993, ABl EG Nr. L 141/27 v. 1.6.1993.
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schutzverbesserungsgesetz (AnsVG) erfolgte 2004 die Ausdehnung der Prospektpflicht und der börsenrechtlichen Prospekthaftung für nicht wertpapiermäßig verbriefte Beteiligungen nach Maßgabe des Verkaufsprospektgesetzes; wesentliches Regelungsziel war auch hier der Schutz der Privatanleger18. Auch bei der letzten umfassenden Novellierung des WpHG durch das Finanzmarkt-Richtlinie-Umsetzungsgesetz (FRUG)19 zum 1.11.2007 bildete der Anlegerschutz einen Schwerpunkt, wobei wiederum EU-rechtliche Vorgaben, konkret die MiFID der Auslöser waren20. Die wesentlichen Neuregelungen betrafen dabei: – die Konkretisierungen betreffend eindeutige und nicht irreführende Informationen und Werbemitteilungen sowie rechtzeitige und verständliche Informationen, bevor der Kunde eine Anlageentscheidung trifft (§ 31 Abs. 2 und 3 WpHG); – die Einführung des sog. Suitability-Tests (Geeignetheit) bei der Anlageberatung und Portfolioverwaltung nach § 31 Abs. 4 WpHG, d. h. die Bank muss prüfen, ob die beabsichtigte Anlage für den jeweiligen Kunden geeignet ist; – Appropriateness-Test (Angemessenheit) bei sonstigen Wertpapierdienstleistungen nach § 31 Abs. 5 WpHG, d. h. die Bank muss erfragen, ob der Kunde ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen besitzt, um die Risiken einer bestimmten Anlage einschätzen zu können und ihn ggf. aufklären; – Einschränkungen und Offenlegungspflichten betreffend die Annahme von Zuwendungen Dritter, z. B. von Produktgebern an Banken gezahlte Rückvergütungen, vgl. § 31d WpHG und – die Best-Execution Verpflichtung nach § 31c WpHG21. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass das WpHG heute einen vollständigen Kanon aller für die Wahrung der Anlegerinteressen notwendigen Regelungen enthält, die sicherstellen sollen, dass der Kunden eine informierte, überlegte und vernünftige eigenständige Anlageentscheidung treffen kann (zur bankpraktischen Umsetzung vgl. unten III.). b) Verhältnis zum Verbraucherschutzrecht Weder durch den Wortlaut des WpHG noch der WpDRiL und der MiFID eindeutig beantwortet ist allerdings die Frage, ob die Regelungen zum Anleger-
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18 Siehe BGBl. I 2004, S. 2630; Überblick dazu bei Bürgers, BKR 2004, 424 ff. 19 BGBl. I 2007, S. 1330; Überblick zum FRUG im Allgemeinen und den Wohlverhaltensregeln im Besonderen bei Fleischer, BKR 2006, 389 ff.; Mülbert, WM 2007, 1149 ff.; Teuber, BKR 2006, 429 ff. 20 Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und Rates über Märkte für Finanzinstrumente, guter Überblick dazu bei Kühne, BKR 2005, 275 ff. 21 Gute Zusammenfassung der Neuregelungen bei Fuchs, WpHG, 2009, vor § 31 Rz. 31 ff.; nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 UKlaG sind die Vorschriften des 6. Abschnittes des WpHG Verbraucherschutzgesetze i. S. dieser Norm und berechtigt damit zu Unterlassungsansprüchen nach § 2 Abs. 1 UKlaG; hieraus kann indes keine verallgemeinernde Aussage abgeleitet werden, vgl. Palandt, 67. Aufl. 2008, § 2 UKlaG Rz. 2 f.
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schutz auch verbraucherschützenden Charakter haben. Typisch für den Verbraucherschutz ist, dass neben der Beseitigung einer Informationsasymmetrie zwischen Anbietern und Nachfragern ein Schutz des Kunden vor nicht rationalen oder unüberlegten Entscheidungen erfolgen soll22. Hier zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen dem nationalen und dem europäischen Gesetzgeber: Die Entstehungsgeschichte des WpHG spricht eher gegen einen verbraucherschützenden Charakter; der BT-Finanzausschuss erwähnte seinerzeit nur das Macht- und Informationsdefizit der Anleger23. Dies legt nahe, von einem Schutzkonzept auf Basis des rational vernünftig und überlegt handelnden Anlegers auszugehen, der die notwendigen Informationen erhalten muss, um eine eigene Entscheidung treffen zu können. Auch die Rechtsprechung des BGH folgt seit der „Bond“-Entscheidung dieser Grundrichtung24. Die WpDRiL und ihre Materialien enthalten hingegen einige Hinweise, dass aus Sicht des Gemeinschaftsrechts der Verbraucherschutz Regelungszweck sein könnte. So adressiert Erwägungsgrund 30 der Richtlinie ausdrücklich, dass den unterschiedlichen Schutzbedürfnissen der Anlegergruppen und ihren unterschiedlichen fachlichen Erfahrungen Rechnung zu tragen sei; auch der Wirtschafts- und Sozialausschuss hatte die Wohlverhaltensregeln auf den Verbraucherschutz bezogen25. Der Ausschuss für Recht und Bürgerrechte des EP hatte die WpDRiL ebenfalls als verbraucherschützend angesehen. Beide Organe haben dies indes mit keinen konkreten Aussagen verbunden. Auch die Erwägungsgründe Nr. 31 und 41 der MiFID könnten so verstanden werden, dass es um mehr als den Ausgleich von Informationsasymmetrien geht, da dort von Vorkehrungen zum Schutz der Anleger nach den Eigenheiten jeder Anlegergruppe die Rede ist und zudem von „am dringendsten“ schutzbedürftigen Anlegern gesprochen wird. Dies kann allerdings auch schlicht auf die Kundentypisierung der MiFID bezogen werden, die zwischen professionellen Anlegern und Privatkunden unterscheidet. § 31 Abs. 4 und 5 WpHG begründen allerdings erstmals Empfehlungsverbote bzw. Warnhinweispflichten, wenn sich der Kunde weigert, die nach § 31 WpHG vorgesehenen Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen zu machen. Dies geht in die Richtung eines Schutzes des Kunden vor unsinnigen oder unvernünftigen Entscheidungen; es fehlt indes eine klare Aussage. Mithin ist in Summe davon auszugehen, dass die Verhaltensregeln primär die Beseitigung von Informationsungleichgewichten bezwecken und dem Kunden Transparenz über mögliche Interessenkonflikte und sonstige Kriterien geben sollen, die einem Handeln seines Instituts im Kundeninteresse entgegenstehen können. Nur ausnahmsweise und in engen Grenzen soll der Kunde vor unvernünftigen oder nicht überlegten Entscheidungen geschützt werden; nicht gewollt ist eine Bevormundung des Anlegers. Dieser soll weiterhin seine Entscheidungen treffen und umsetzen können, mögen Sie im Einzelfall auch sach-
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Dazu Koller in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, vor § 31 Rz. 13 ff. Bericht des BT-Finanzausschusses zum 2. FMFG; BT-Drucks. 12/7918, S. 97. Vgl. BGH, WM 1993, 1455; BGH, BB 2001, 1865. Nachweis bei Koller in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 11).
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lich unvernünftig oder emotional getroffen werden26. Dieser Ansatz ist unverändert richtig und zielführend, da damit zugleich die notwendige Balance zwischen Anbieter- und Kundeninteressen gewahrt wird, worauf noch einzugehen ist. Folglich sind auch Forderungen nach einer Verankerung des Verbraucherschutzes als Aufsichtsziel abzulehnen. c) Anlegerschutzkonzeption Vor dem Hintergrund des oben beschriebenen Anlegerschutzauftrags ist zu skizzieren, mit welchem System WpHG und MiFID als gemeinschaftsrechtliche Grundlage den Anlegerschutz verfolgen und wie sich die (nationalen) Initiativen der jüngeren Zeit in selbiges einfügen. Grundsätzlich kommen hierbei zwei Ausrichtungen in Betracht: zum einen das Abstellen auf den rational agierenden Anleger (homo oeoconomicus), zum anderen der Focus auf den unerfahrenen oder strukturell unterlegenen Anleger (homo inferior), welcher der umfassenden Fürsorge durch die Rechtsordnung bedarf. Empirisch bewiesen ist, dass es den ersten Typus in der Lebenswirklichkeit ebenso wenig gibt wie der zweite Typus als Regelfall bezeichnet werden kann27. Dementsprechend stellt sich die Frage, wie Gesetzgeber und Rechtsprechung damit bislang umgegangen sind und welches Zielbild anzustreben ist. Betrachtet man die Normensystematik der §§ 31 ff. WpHG, fällt auf, dass aktuell ein relativ starres System der Anlegerkategorisierung mit der formalen Unterscheidung zwischen Privatkunden, professionellen Kunden und geeigneten Gegenparteien (vgl. § 31a WpHG) existiert, dem ein mal auf einen verständigen typisierten Anleger, mal auf den einzelnen Anleger abstellender Pflichtenkatalog gegenübersteht, vgl. die Informations- und Erkundigungspflichten oder die Geeignetheitsprüfung nach § 31 Abs. 2–4 WpHG. Die beiden letztgenannten Anlegergruppen werden wiederum vom Anwendungsbereich der Wohlverhaltensregeln ganz oder teilweise ausgenommen. Auf den ersten Blick ergibt sich daher ein diffuses Bild, welches Anlegerschutzkonzept gilt. Dies soll nachfolgend insbesondere aus Sicht der Erfordernisse der Bankpraxis betrachtet werden. Eine Definition des Anlegerbegriffs, insbesondere des Privatanlegers erfolgte im WpHG ursprünglich nicht, sondern es wurde formal ein einheitlicher Anlegerbegriff verwandt. Die Vorschriften zeichneten sich sodann materiell dadurch aus, dass bestimmte Normen entweder implizit auf einen nicht näher definierten Durchschnittsanleger abstellten, z. B. bei der standardisierten Information über die Charakteristika einzelner Finanzinstrumente nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 WpHG a. F., oder das Eingehen auf den einzelnen Anleger vorsahen, z. B. bei der Abfrage des bisherigen Anlageverhaltens, der Anlageziele und der finanziellen Verhältnisse nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 WpHG a. F., wobei § 31 Abs. 2 Satz 2 WpHG a. F. auf die Entscheidungsfreiheit im Einzelfall ab-
__________ 26 Koller in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 31 Rz. 15; BGH, BB 2001, 1865, 1866; BGH, WM 2004, 24. 27 Instruktiv Fuchs, WpHG, 2009, vor § 31 Rz. 66 f.
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stellte. Der Gesetzgeber nahm damit die „Bond“-Rechtsprechung des BGH auf, wonach eine Anlageempfehlung im Rahmen eines Beratungsvertrages, der konkludent durch die Aufnahme eines Beratungsgespräches entstehen kann, sowohl anleger- als auch objektgerecht sein muss28. Das bedeutet, dass der Wissensstand des Kunden, seine Kenntnisse, Erfahrungen und Anlageziele festgestellt und dann mit den Anlageprodukten abgeglichen werden müssen. Die Eigenschaften und Risiken der empfohlenen Anlage müssen zudem vollständig, richtig und verständlich erklärt werden29. Der BGH stellte hierbei im Grundsatz auf den verständigen Anleger ab, der kein Experte in Finanz- und Anlagethemen war, aber doch ein Grundverständnis und -kenntnisse besaß30. Auch aus der jedenfalls im Rahmen der Anlageberatung oder Portfolioverwaltung regelmäßig bestehenden Vertragsbeziehung zwischen Anleger und Wertpapierdienstleistungsunternehmen folgt mithin bereits die Notwendigkeit einer individuellen Betrachtung des einzelnen Kunden. Art. 11 WpDRiL als wesentliche Grundlage der ursprünglichen Wohlverhaltensregeln des WpHG normierte neben den beiden Grundsätzen der Wahrung des Kundeninteresses und Transparenz für den Kunden keine Anlegerkategorisierung. Allerdings bezeichnete Erwägungsgrund 31 der WpDRiL ein Vorgehen entsprechend den Eigenarten der jeweiligen Anlegerkategorie als zulässig und Art. 11 Abs. 1 Satz 2 WpDRiL ermächtigte zur Abbedingung der Erkundigungspflicht in Bezug auf professionelle Anleger. Für die Bankpraxis im Privatkundengeschäft bedeutete dies, dass (1) zur Erfüllung der Erkundigungs- und Informationspflichten nicht an einer formalen Kundenkategorisierung angeknüpft werden konnte, jedoch (2) von verständigen Durchschnittsanlegern ausgegangen werden konnte und die gleichwohl erforderliche Einzelbetrachtung des Kunden auf Basis standardisierter Befragungsbögen, Risikoklassen und Informationsbroschüren erfolgen konnte; im Hinblick auf die Mengengerüste im Privatkundengeschäft war dies unerlässlich; (3) blieb der Vorrang der Kundenweisung und der Kundenverantwortlichkeit unangetastet. Die gesetzlichen Anforderungen betrafen zugleich die Kriterien, die für eine qualitativ hochwertige Kundenberatung essentiell sind: Erstens den Kunden und seine Bedürfnisse zu kennen, ihm zweitens die dazu passenden Anlagelösungen zu vermitteln und drittens im Zweifel dem Kundeninteresse den Vorrang vor eigenen Interessen des Wertpapierdienstleisters zu geben. Insofern löste das WpHG erhebliche Investitionen in die Qualität und Infrastruktur der Bankberatung aus und führt in den Instituten zu einer deutlichen Steigerung des Bewusstseins für die Kundenbelange und auch die Compliance-Abteilungen. Wirtschaftsprüfer und BaFin legen seitdem einen Schwerpunkt ihrer jeweiligen Tätigkeit in diesen Bereich.
__________ 28 BGH, WM 1993, 1455, 1456; der Verweis des Gesetzgebers findet sich in BT-Drucks. 12/7918, S. 103; auch Horn, WM 1999, 1, 5. 29 BGH, WM 1993, 1455, 1456; vgl. auch Koller in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 4. Aufl. 2006, § 31 Rz. 147 zu den Anforderungen an die Verständlichkeit der Kundeninformation. 30 BGH, ZIP 2004, 111; schöne Zusammenfassung bei Kosten, BKR 2007, 261, 262; ferner Schwark in Schwark, KMRK, 3. Aufl. 2004, § 31 WpHG Rz. 43.
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Durch die MiFID kam es im Hinblick auf das o. g. System Ende 2007 zu einigen Änderungen. So erfolgte in § 31a Abs. 2 WpHG die Definition der professionellen Kunden. Bei diesen Kunden gilt nach § 31 Abs. 9 WpHG, dass keine Erkundigung über die persönlichen Verhältnisse und Ziele erforderlich ist und es besteht die gesetzliche Vermutung, dass diese Kunden über den notwendigen Sachverstand verfügen und sie die finanziellen Risiken tragen können31. Auch die Angemessenheitsprüfung nach § 31 Abs. 5 WpHG gilt nicht, wohingegen die Anforderungen an Werbemitteilungen und die allgemeinen Informationspflichten grundsätzlich gelten32. Sie können allerdings nach § 31a Abs. 6 WpHG mit dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Einstufung als Privatkunde vereinbaren, worauf die Schutzvorschriften dann wieder uneingeschränkt gelten. Weiterhin enthält § 31a Abs. 3 WpHG eine formale Definition des Privatkunden; dies ist jeder Kunde, der nicht professioneller Anleger ist. Eine materielle Definition erfolgt nicht; Absatz 7 enthält weiterhin drei Kriterien, nach denen ein Privatanleger als professioneller Kunde eingestuft werden kann, sofern er zwei davon erfüllt: (1) mind. 10 Transaktionen in Finanzinstrumenten von erheblichem Umfang im letzten Jahr oder (2) ein frei verfügbares Vermögen von 500 Tsd. Euro (3) oder umfassende fachliche und praktische Kenntnisse im Wertpapiergeschäft aufgrund einer entsprechenden beruflichen Betätigung. Bereits aus den Kriterien folgt, dass nur ein kleiner Teil der Privatanleger hierfür in Frage kommt. Inhaltlich haben die Wohlverhaltensregeln des WpHG durch die MiFID einige Elemente erhalten, die stärker in Richtung eines Schutzes des Anlegers vor nicht sinnvollen Entscheidungen weisen, ohne allerdings das Primat der eigenverantwortlichen Kundenentscheidung in Frage zu stellen. Verweigert der Kunde beispielsweise in einer Anlageberatung nach § 31 Abs. 4 WpHG die erforderlichen Angaben über seine Erfahrungen, Kenntnisse, Anlageziele und finanzielle Verhältnisse, darf die beratende Bank nach Abs. 4 Satz 3 keine Empfehlung zu einem Finanzinstrument abgeben. Tut Sie es trotzdem, hat Sie neben dem aufsichtsrechtlichen Verstoß ein Haftungsrisiko, da dann regelmäßig die im Rahmen des Beratungsvertrages geschuldete anleger- und anlagegerechte Beratung kaum gewährleistet werden kann33. Kein Novum ist die Geeignetheitsprüfung nach § 31 Abs. 4 WpHG; dahinter verbirgt sich die Verpflichtung zur anleger- und objektgerechten Beratung, d. h. die Anlage muss den Anlagezielen, Kenntnissen, Erfahrungen und finanziellen Möglichkeiten des Kunden entsprechen34. Im beratungsfreien Geschäft hat die Bank nach Abs. 5 Satz 4 immerhin noch einen Warnhinweis zu geben, dass ihr eine Beurteilung der Angemessenheit des Geschäfts nicht möglich ist. Anschließend kann das Geschäft trotzdem getätigt werden, wobei die Angemessenheits-
__________ 31 Vgl. Regierungsbegründung BT-Drucks. 16/4028, S. 66; umfassende Darstellung bei Kosten, BKR 2007, 261, 263 ff. 32 Einzelheiten bei Fuchs, WpHG, 2009, § 31a Rz. 46a f. 33 Fuchs, WpHG, 2009, § 31 Rz. 207. 34 Statt vieler Ellenberger/Schäfer, Fehlgeschlagene Wertpapieranlagen, 2006, S. 65 ff.
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prüfung inhaltlich bedeutet, ob der Kunde die Risiken des jeweils in Rede stehenden Finanzinstruments angemessen beurteilen kann35. Es geht also wieder um dessen informierte und eigenverantwortliche Transaktionsentscheidung. In der Bankpraxis ist dies seit vielen Jahren durch die WpHG-Erfassungsbögen vorweg genommen worden, in denen die Kenntnisse und Erfahrungen der Kunden erfragt und dokumentiert werden. Der Kunde wird sodann in eine bestimme Risikoklasse eingestuft. Aufträge in höheren Risikoklassen werden nur nach einem entsprechenden Warnhinweis und einer zusätzlichen Aufklärung ausgeführt36. Ebenfalls wenig Neues enthält § 31 Abs. 2 und 3 WpHG mit dem Gebot redlicher, eindeutiger und nicht irreführender Informationsunterlagen und der Verpflichtung, alle für eine informierte Anlageentscheidung notwendigen Informationen rechtzeitig und in verständlicher Form zur Verfügung zu stellen, wobei nunmehr unstreitig ist, das letztere Verpflichtung durch die abstrakte Information über die Arten von Finanzinstrumenten erfolgen kann. Die Bankpraxis hat dies in der Basisinformation für Wertpapiergeschäfte umgesetzt; erst im Rahmen konkreter Dienstleistungen nach Abs. 4 oder 5 ist eine individuelle Produktaufklärung erforderlich. Damit ist folgendes Zwischenfazit zu ziehen: Durch die MiFID ist es zwar zu einer formalen, nicht jedoch einer materiellen Definition des Privatkunden gekommen. Somit ist keine systematische Differenzierung zwischen Privatanlegern unterschiedlicher Bedarfs- und Kenntnisstufen möglich; dies geht nur im Rahmen der individuellen Beratung. Inhaltlich zeichnen sich auch die mit dem FRUG eingefügten Vorschriften dadurch aus, dass sie entweder wie bei den Regelungen zur Werbung und zur Information über Produktarten deren Durchführung (weiterhin) in standardisierter Form zulassen und im Hinblick auf den Empfängerhorizont auf einen „vernünftigen“ Anleger (vgl. § 31 Abs. 3 WpHG) abstellen, oder wie bislang konkret-individuelle Verhaltenspflichten normieren, z. B. bei der Prüfung der Geeignetheit oder Angemessenheit einer Anlage nach § 31 Abs. 4 und 5 WpHG. Inhaltlich stellen die beiden letztgenannten Anforderungen wiederum keine Neuigkeiten für die Bankpraxis dar. Das Empfehlungsverbot des § 31 Abs. 4 WpHG sowie die Warnhinweispflicht nach § 31 Abs. 5 WpHG, aber auch die vielfach sehr detaillierten Durchführungsbestimmungen zur MiFID und zum FRUG zeigen die Tendenz hin zu einer eher fürsorglichen Anlegerschutzkonzeption. In Summe hat indes auch die MiFID nichts am bisherigen Bild geändert: Die Wohlverhaltensregeln dienen einerseits der Beseitigung von Informationsasymmetrien und der Regelung von Interessenkonflikten zwischen Anlegern und Wertpapierdienstleistern, andererseits versuchen sie unter dem Gesichtspunkt des Anlegerschutzes den in der Lebenswirklichkeit typischerweise zu erwartenden Abweichungen im Verhalten des Durchschnittsanlegers vom rationalen Vorgehen zu begegnen37.
__________ 35 Clouth/Lang, MiFID-Praktikerhandbuch, 2007, Rz. 196. 36 Gute Beschreibung des Systems bei Lang, Informationspflichten bei Wertpapierdienstleistungen, 2002, § 17 Rz. 63 ff. 37 Fuchs, WpHG, 2009, vor § 31 Rz. 69 m. w. N.
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Nicht gewollt ist dagegen die mit der Privatautonomie nicht vereinbare Beschränkung oder Bevormundung des Anlegers im Sinne eines Schutzes vor unvernünftigen Entscheidung. Unverändert gilt insoweit die Letztverantwortung des Anlegers für seine Anlageentscheidung; ist er ordnungsgemäß beraten worden und damit in der Lage, die Chancen und Risiken einer Anlage einzuschätzen, muss er jede Entscheidung treffen dürfen, auch eine wirtschaftlich Unvernünftige38. d) Folgen für die Bankpraxis Ein gutes Beispiel für die mit dem ambivalenten Anlegerleitbild des WpHG einhergehenden Probleme liefert die zum 1.1.2010 eingeführte Verpflichtung zur Erstellung eines Beratungsprotokolls bei der Anlageberatung nach § 34 Abs. 2a WpHG. Dies war eine erste Reaktion des Gesetzgebers auf die im Zuge der Finanzkrise entstandene Diskussion über die Beratungsqualität der Finanzdienstleister, mit welcher selbige und insbesondere die Beweislage der Kunden gegenüber den Instituten verbessert werden sollte39. Danach müssen künftig – der Anlass der Anlageberatung, – die Dauer des Beratungsgesprächs, – Informationen zur „persönlichen Situation des Kunden“ (meint insbesondere die Angaben aus dem WpHG-Bogen), – Informationen über die Wertpapiere und Dienstleistungen, die Gegenstand der protokollierten Anlageberatung waren sowie – „die vom Kunden im Zusammenhang mit der Anlageberatung geäußerten wesentlichen Anliegen und deren Gewichtung“, – Empfehlungen und die wesentlichen Gründe für diese Empfehlungen dokumentiert sowie vom Berater unterschrieben und an die Kunden übergeben werden. Bei der telefonischen Anlageberatung gilt ferner ein Rücktrittsrecht von einer Woche nach Zugang des Protokolls beim Anleger für ein aufgrund der Anlageberatung getätigtes Wertpapiergeschäft, vgl. § 34a Abs. 2a Satz 4 WpHG. Im Gesetzgebungsverfahren war unter anderem diskutiert worden, zwischen den Privatanlegern zu unterscheiden, bei denen eine Schutzbedürftigkeit zu vermuten ist, die das Protokoll sinnvoll erscheinen lässt, und jenen Anlegern, die umfassende Erfahrungen im Wertpapiergeschäft haben, so dass sie die Protokollierung eher als Bürokratie ohne Nutzen empfinden; hierzu zählen z. B. aktive Wertpapierkunden. Weiterhin erwogen wurde, den Instituten das Recht zu geben, die Protokollierungspflicht durch individuelle oder standardisierte Vereinbarung mit den Kunden abzubedingen, so dass der Kunde ein Wahlrecht
__________ 38 Ebenso die h. M., vgl. BGH, BB 2001, 1865, 1866; eine Grenze liegt bei einer Verleitung zur Selbstschädigung durch das beratende Institut, vgl. BGH, ZIP 2004, 111. 39 Siehe Regierungsbegründung, BT-Drucks. 16/12814, S. 43.
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gehabt hätte, ob er eine Protokollierung wünscht oder nicht. Keiner dieser Ansätze fand indes die Akzeptanz des Gesetzgebers. Die ersten Erfahrungen mit dem Beratungsprotokoll bestätigen die im Gesetzgebungsverfahren gemachten Einwendungen gegen den schematischen Regulierungsansatz des Gesetzgebers. Insbesondere die nicht kleine Gruppe der Kunden mit hoher Affinität zum Wertpapiergeschäft empfindet die umfassende Protokollierung der Anlageberatung häufig als Bürokratie und Zeitverschwendung. So kann das jährliche Strategiegespräch, indem alle Depotpositionen durchgegangen werden, durch die Protokollierung gut ein Drittel mehr Zeit beanspruchen, ohne dass der Kunde dabei einen Mehrwert spürt. Da die Protokollierungspflicht für alle Anleger und alle Finanzinstrumente gilt, musste der zugrunde liegende Prozess als standardisierter Massenprozess ausgestaltet werden, mit wenig Individualisierungsmöglichkeiten im Hinblick auf Einzelkunden. Der Gesetzgeber hat den Instituten insoweit keine Wahl gelassen, was nun wiederum Gegenstand der Kritik von Medien und Verbraucherberatungen ist40. Von einem ähnlich schematischen Ansatz ist die Diskussion um das so genannte Produktinformationsblatt geprägt. Der Gedanke, dem Kunden in kurzer und übersichtlicher Form eine Darstellung von Gegenstand, Chancen, Risiken und Kosten des jeweiligen Finanzproduktes zu geben, ist sinnvoll41. Gleichwohl stellt sich erstens wiederum die Frage, welcher Anlegertyp (erfahren/unerfahren/durchschnittlich verständig) dabei zugrunde zu legen ist und zweitens ist die Eignung eines Produktes für den einzelnen Kunden nicht aufgrund eines solchen Informationsblattes zu beurteilen, sondern – wie in § 31 Abs. 4 WpHG normiert – nach seinen Erfahrungen, finanziellen Verhältnissen und Anlagezielen. 3. Zusammenfassung und Würdigung aus Sicht der Bankpraxis Das WpHG war in seiner ursprünglichen Konzeption durch ein bewegliches Anlegerschutzkonzept gekennzeichnet, dass in Anlehnung an die langjährige Rechtsprechung des BGH implizit – allerdings ohne eindeutige Regelung – von einem verständigen Durchschnittsanleger ausging und sodann z. B. bei den Explorations- und Informationspflichten der Institute auf die Situation des jeweiligen Anlegers abstellte. Der Fokus lag hierbei auf der ordnungsgemäßen Offenlegung und Handhabung von Interessenkonflikten und der Beseitigung von Informationsungleichgewichten zwischen Anlegern und Instituten. Der Anleger sollte auf dieser Grundlage eine eigenverantwortliche Entscheidung treffen können, deren ökonomische Folgen er dann auch zu tragen hat. Auf dieser Basis erfolgte in der Bankpraxis eine Einteilung in Kundengruppen, die
__________ 40 Siehe Bericht der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg v. 11.3.2010, www. ernaehrungsportal-bw.de; Cash-Online v. 22.2.2010 „Beratungsprotokoll stößt auf breite Zustimmung“, www.cash-online.de. 41 Vgl. das Muster des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz, abrufbar unter www.bmlev.de.
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mit unterschiedlichen Beratungsansätzen und Produkten bedient werden (dazu unten III.). Durch die MiFID und die jüngsten Änderungen des WpHG hat dieser vergleichsweise stringente Ansatz gelitten. Die rein formale Unterteilung zwischen Privatanlegern und professionellen Kunden und die sich daran anknüpfenden Rechtsfolgen entsprechen nicht der Wirklichkeit des Bankgeschäfts; als echtes Defizit ist die fehlende Möglichkeit zur systematischen Differenzierung zwischen unterschiedlichen Privatanlegergruppen zu sehen, was die rechtlichen Anforderungen an Information, Aufklärung und Dokumentation betrifft. Gleichzeitig ist eine Tendenz zu einem Schutz des Kunden vor den wirtschaftlichen Risiken seiner Anlageentscheidungen zu erkennen, mit der nochmals erweiterte Informations- und Dokumentationspflichten einhergehen. Bevor darauf eingegangen wird, ob dieser Weg zielführend ist, soll der heutige Stand des Anlegerschutzes in der Bankpraxis beispielhaft deutlich gemacht werden.
III. Gelebter Anlegerschutz in der Bankpraxis 1. Überblick Wie vorstehend erläutert, muss sich das Institut die notwendigen Informationen über seinen Kunden verschaffen, um ihn entsprechend seinen Kenntnissen, Verhältnissen und Anlagezielen beraten zu können. Weiterhin soll der Anleger alle notwendigen Informationen erhalten, um eine eigenständige Anlageentscheidung zu treffen. Dies ist verbunden mit einer nur beschränkten Hinweis- und Warnverpflichtung vor objektiv unvernünftigen oder sinnlosen Anlageentscheidungen; es gibt grundsätzlich keinen Schutz des Anlegers vor „sich selbst“42. Wenig transparent ist – auch in der aktuellen Diskussion – häufig, mit welchen Instrumenten diese Vorgaben in der Bankpraxis umgesetzt werden. In diesem Zusammenhang sind auch die Rahmenbedingungen aus Anlegersicht zu skizzieren: – Den Kunden steht heute eine Vielfalt von Finanzprodukten für die unterschiedlichsten Anlageziele und -zwecke gegenüber. Dementsprechend gilt es, dem Anleger Hilfestellung bei der Auswahl der für seine Bedürfnisse geeigneten Produkte zu geben. Zugleich ist eine hohe Produktqualität durch geeignete Prüf- und Auswahlprozesse sicherzustellen. – Kapitalmarktanlagen werden nicht mehr nur von einer relativ kleinen Anzahl erfahrener Investoren gehalten. Zunehmend investieren breite Kreise aus allen Bevölkerungsschichten ihr Vermögen in sehr unterschiedliche Anlageprodukte und Anlageklassen. Die gewollte Bildung von Privatvermögen, nicht zuletzt zur Altersvorsorge, kollidiert aber damit, dass das erforderliche
__________ 42 So Hirte/Möllers, KölnKomm. WpHG, 2007, § 31 Rz. 157; Lang, Informationspflichten bei Wertpapierdienstleistungen, 2002, § 10 Rz. 19; es gilt der Grundsatz des „sacred right of everybody to make a fool of oneself“, vgl. Fleischer, Gutachten F zum DJT 2002, F 29.
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Fachwissen und die notwendige Erfahrung nicht oder nur beschränkt vorhanden sind. Zugleich sind die Kunden gerade durch negative Erfahrungen der vergangenen Krisen vorsichtiger geworden und wünschen eine umfassendere Aufklärung über Produkte und Kosten. Hier gilt es, die Kunden durch qualifizierte Berater und geeignete Informationen zu vernünftigen Auswahlentscheidungen zu befähigen. – Die Anlageziele der Anleger sind heterogener geworden; stand früher das Sparen für bestimmte Investitionen und der allgemeine Vermögensaufbau im Vordergrund, spielen heute Fragen der Altersvorsorge sowie des Vermögenserhalts eine wesentliche Rolle. – Dem Anleger steht eine wachsende Zahl unterschiedlich strukturierter Dienstleister gegenüber, die Finanzprodukte und damit verbundene Dienstleistungen anbieten. Neben Banken und Sparkassen bieten schon seit längerem Versicherungsgesellschaften, Fondsvermittler und sog. Freie Vermittler eine breite Palette von Finanz- und Versicherungsprodukten an43. Für die Anbieter gelten aber nach wie vor unterschiedliche Regelungen in Bezug auf die Anforderungen an die Beratung der Kunden. Die Wohlverhaltensregeln der §§ 31 ff. WpHG gelten im Ergebnis nur für die Banken und Sparkassen als Wertpapierdienstleister, wohingegen Fondsvermittler, freie Vertriebe und Versicherungen lediglich sektor- oder produktspezifischen Regelungen nach dem Prospektrecht oder dem VAG unterfallen44. Dementsprechend kann der Kunde derzeit nicht erwarten, in vergleichbaren Anlagethemen eine gleichwertige Beratungsqualität zu bekommen. 2. Umsetzung in der Bankpraxis a) Kennen und Verstehen des Kunden In allen Instituten findet eine umfassende und zumeist DV-gestützte Exploration des Kunden statt, in denen er nach seinen Kenntnissen, finanziellen Verhältnissen und Anlagezielen befragt wird; dies erfolgt zu Beginn der Kundenbeziehung und sodann regelmäßig, bei einer aktiven Kundenbeziehung idealerweise jährlich. In diesem Kontext wird auch das Chance-/Risikoprofil des Kunden erstellt, d. h. geklärt, welche Anlagerisiken der Kunde tragen kann/möchte. Auf dieser Grundlage wird eine Musterdepotstruktur für den Kunden erstellt45. Hier ist bereits die erste Sollbruchstelle in der Anlageberatung: Sind die Angaben des Kunden unrichtig bzw. unvollständig oder überschätzt er seine Anlagekenntnisse und Risikoneigung, wird dies regelmäßig erst im Lauf der Kundenbeziehung deutlich, zumeist, nachdem es bereits zu Enttäuschungen gekommen ist. Der Kundenberater kann den Kunden nur zu einer realen Selbst-
__________ 43 Vgl. Übersicht in FTD v. 27.5.2010, S. A3. 44 Dazu Hirte/Möllers, KölnKomm. WpHG, 2007, § 2a Rz. 20 ff., 28 ff. 45 Siehe Hirte/Möllers, KölnKomm. WpHG, 2007, § 31 Rz. 181.
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einschätzung und Darstellung seiner Verhältnisse anhalten; bei offensichtlichen Zweifeln an der Kundendarstellung reagiert die Bank ohnehin46. b) Produktqualität und Kundeninformation Alle größeren Banken verfügen über Produktentwicklungs-, prüf- und -auswahlprozesse, mit denen sichergestellt werden soll, dass nur Produkte mit einem belastbaren Leistungsversprechen und klar identifizierten Chancen und Risiken in den Vertrieb kommen. Weiterhin erfolgt die ständige Marktbeobachtung durch Spezialisten, die sodann Research, Prognosen und Produktvotierungen als Grundlage für die Kundenberatung in den Filialen erstellen. Basierend hierauf erfolgen dann die konkreten Produktempfehlungen. Den immer wieder geforderten „Finanz-TÜV“ haben die meisten Institute intern längst etabliert, zugeschnitten auf ihr Geschäftsmodell und ihre Kundengruppen. Eine gesetzliche Regelung wäre insofern wenig hilfreich, da die Prozesse bei einer international tätigen Universalbank mit breitem Privatkundengeschäft anders aussehen als bei einer Regionalbank. Ebenfalls etabliert ist die Zuordnung der Produkte zur jeweiligen Musterdepotstruktur des Kunden, d. h. nach seiner Risikoneigung. Im Ergebnis werden damit bestimmte Produkte auch nur für definierte Kundengruppen empfohlen. Damit soll zum einen die Produktkenntnis der Berater sichergestellt, zum anderen die Produktauswahl entsprechend dem Chance-/Risikoprofil der Kunden erleichtert werden. Letztlich geht es um eine generelle Vorselektion von Produkten zu Kundengruppen, mittels derer erreicht wird, dass bestimmten Kundengruppen, z. B. konservativen Kunden ohne Aktienquote, nicht völlig ungeeignete Produkte angeboten werden. Sofern ein Kunde im Einzelfall gleichwohl in ein solches Produkt investieren will, kann er dies nach ordnungsgemäßer Aufklärung oder Beratung tun, da seine Weisung Vorrang hat. Mit der MiFID hinzugekommen und umgesetzt sind einige weitere Anforderungen47: – Die Best Execution-Verpflichtung nach § 33a WpHG normiert, jene Ausführungsplätze auszuwählen, auf denen für die Kunden das gleich bleibend beste Ergebnis hinsichtlich der Kosten, der Ausführungswahrscheinlichkeit und der Schnelligkeit der Ausführung darstellbar ist; dies hat primär für Geschäfte in Einzeltiteln Relevanz. Die Geschäfte müssen dabei so dokumentiert und archiviert werden, dass die Einhaltung der Best Execution und anderer MiFID-Bestimmungen gegenüber den Aufsichtsbehörden nachgewiesen werden kann. – Die Kunden sind nach § 31d Abs. 1 Nr. 2 WpHG über Zuwendungen nach Abs. 2 zu informieren. Betroffen sind in erster Linie Bestandsprovisionen und Retrozessionen (Kick-backs) beim Produktvertrieb.
__________ 46 Dazu auch Lang, Informationspflichten bei Wertpapierdienstleistungen, 2002, § 17 Rz. 31; Nobbe, Bankrecht 1998, S. 235, 253. 47 Überblick bei Fleischer, BKR 2006, 386; Spindler/Kasten, WM 2007, 1245; Weichert/ Wenninger, WM 2007, 627; zu Rückvergütungen Rozok, BKR 2007, 469; zur Best Execution Zingel, BKR 2007, 173.
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c) Beratungsqualität Diese wird maßgeblich durch die Qualifikation der Berater, die Gestaltung der Beratungsprozesse und deren technische Unterstützung beeinflusst. Aufgrund des sich ständig fortentwickelnden Marktumfeldes handelt es sich um eine Daueraufgabe für alle Marktteilnehmer. Gleichwohl gibt es einige aktuelle Entwicklungslinien: (1) die Beratungsansätze werden stärker auf eine gesamthafte Beratung des Kunden zur Identifikation und Abdeckung aller Kundenbedürfnisse ausgelegt, d. h. die Altersvorsorge und Finanzierungsthemen werden ergänzend zur Vermögensanlage betrachtet. (2) Hinzu kommt eine für Kunden und Berater möglichst komfortable und einfache EDV-Unterstützung des Beratungsprozesses. (3) Weiterhin werden die Beratungsaufträge für die einzelnen Beratergruppen noch stärker auf die von ihnen betreuten Kundengruppen ausgerichtet und (4) die Unterstützung der Berater durch Beratungsspezialisten, z. B. für Vorsorge und Wertpapiergeschäft, verstärkt. 3. Aktuelle Initiativen zur Verbesserung des Anlegerschutzes a) Produktinformationsblatt Auf EU-Ebene (im Rahmen der Novelle der Prospekt- und OGAW-Richtlinie) als auch national wird, ausgelöst durch einen Vorstoß des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz (BMLeV), an einem sogenannten Produktinformationsblatt (Key Information Document) gearbeitet48. Das PIB (auch Beipackzettel genannt) soll den Anlegern auf einen Blick die wesentlichen Eigenschaften, Chancen/Risiken und Kosten von Finanzprodukten erläutern und den Vergleich verschiedener Anlageprodukte erleichtern. Die Kreditwirtschaft hat auf Basis eines vom BMLeV veröffentlichten Musters, ein PIB entwickelt. Das Blatt untergliedert sich folgende Kategorien: Produktbezeichnung, Produktart, Anbieter/Emittent, Produktbeschreibung, Risiken, Rendite, Kosten, Verfügbarkeit, Besteuerung, Sonstiges. Das PIB findet bereits Verwendung, wobei jedoch folgende Rahmenbedingungen zu bedenken sind: Es entbindet nicht von der Aufgabe, dem Kunden das für seine spezifische Situation geeignete Produkt zu empfehlen; aus dem PIB lässt sich mithin keine allgemeine Vermutung ableiten, dass ein Produkt für bestimmte Kunden per se geeignet oder ungeeignet ist49. Insofern sollte der Kunde stets die Beratung in Anspruch nehmen. Auch wenn dies das Ziel ist, aber nicht jedes Produkt lässt sich für Jeden verständlich und in Kürze darstellen; insoweit ist wiederum die Beratung wichtig. Es macht weiterhin unter Aufwandsgesichtspunkten keinen Sinn, für jedes Produkt, dass bei einer Bank oder Sparkasse erworben werden kann, ein PIB zu erstellen. Dies ist nur bei den aktiv vertriebenen Produkten geboten, weil auf diese das Gros der Geschäfte entfällt. Ferner gibt es bereits
__________ 48 Siehe den Bericht der EU-Kommission v. 8.7.2009, abrufbar unter www.ec-europa.eu/ internal_market/investor_information_en; CESR Feedback Statement v. 19.4.2010, CESR/09-995, www.cesr.org; das Muster des BMLeV ist unter www.bmlev.de abrufbar. 49 Siehe auch FTD v. 27.5.2010, S. A3.
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eine Diskussion über eine Erweiterung des PIB auf andere Produkte wie z. B. geschlossene Fonds; diesbezüglich ist Vorsicht angeraten, da der Ansatz der PIB schon aufgrund der Produktkomplexität an seine Grenzen gerät50. b) Beratungsmodelle – Honorarberatung Im Nachgang der durch die Finanzkrise ausgelösten Diskussion um die Beratungsqualität und die Vertriebspraxis der Banken, wird immer wieder die sog. Honorarberatung als Lösung ins Feld geführt51. Sie zeichnet sich durch folgende Merkmale aus: (1) Der Grundsatz der Unabhängigkeit des Beraters wird in der Weise erfüllt, dass die Leistungserstellung nicht durch Eigeninteressen oder Interessen Dritter beeinträchtigt wird; Produktverkauf und Beratung werden klar getrennt. (2) Die Leistungen des Beraters bzw. des Beratungsunternehmens werden ausschließlich durch ein – vorab vereinbartes – Honorar vergütet, das der Kunde an den Berater bzw. das Beratungsunternehmen zahlt. (3) Leistungen Dritter, z. B. Provisionen, sind nicht Teil der Vergütung des Beraters bzw. des Beratungsunternehmens für die Leistungen für seinen Kunden. (4) Solche Leistungen Dritter werden – kommen sie in den Einflussbereich des Beraters oder Beratungsunternehmen – dem Kunden der Art und Höhe nach ausgewiesen und in geeigneter Weise rückvergütet. (5) Die Art und Höhe des Honorars erfüllt das Prinzip der Neutralität der Entlohnungshöhe vom Beratungsergebnis; dazu gibt es verschiedene Berechnungsmodelle: nach Beratungsumfang/Leistung, X-Prozent vom Volumen, monatliche/jährliche Pauschalen, erfolgsabhängige Provision (gemessen an Rendite- oder Risikokennziffern). Hinter dieser Diskussion steht die Vermutung, dass die Banken bestimmte Produkte nicht im Kundeninteresse, sondern primär im Eigeninteresse vertrieben haben, um ihre Erträge zu maximieren, mithin vorstehend erörterte Wohlverhaltensregeln mit dem Vorrang des Kundeninteresses in ihrer Vertriebspraxis nicht beachten würden. In dieser Diskussion ist indes Differenzierung geboten: (1) Zunächst gilt für Banken und Sparkassen wie für jedes andere Unternehmen, dass sich nur mit langfristig zufriedenen Kunden stabile und befriedigende Erträge erwirtschaften lassen. Daher sind Unterstellungen, dass Banken strukturell gegen ihre Kunden arbeiten, nicht seriös. (2) Die Diskussion zeigt gleichwohl ein Spannungsfeld auf, in dem sich die Banken bei der Anlageberatung befinden: der Kunde will einerseits eine professionelle, auf ihn persönlich zugeschnittene Beratung, die möglichst kostengünstig sein soll. Andererseits gibt es das legitime Interesse der Bank, aus der Kundenberatung Erträge zu erwirtschaften. Wie jedes andere Unternehmen auch, kann eine Bank ihre Leistungen nicht verschenken. In Deutschland hat sich daher über die Jahrzehnte hinweg ein System entwickelt, in welchem direkt gezahlte Be-
__________ 50 Insofern zu weitgehend der Diskussionsentwurf des BMF v. 3.5.2010, der die Verwendung eines PIB über alle Produktkategorien und alle Vertriebskanäle vorsah, abrufbar unter www.bmf.de. 51 Vgl. „Unabhängige Berater gehen in die Offensive“, Handelsblatt v. 15.6.2009, www. handelsblatt.com; „Die Vorzüge der Honorarberatung“, FAZ v. 24.7.2008, www.faz. net.
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ratungshonorare bei Banken kaum vorkommen. Vielmehr wird die Beratungsleistung durch Vertriebsprovisionen oder Rückvergütungen aus den Verwaltungsvergütungen der vertriebenen Produkte finanziert, was auch in anderen Branchen üblich ist, vgl. z. B. Versicherungen; dies wird dem Kunden umfassend transparent gemacht52. Vergütungsmodelle, die eine direkte Bezahlung der Berater bzw. Banken vorsehen, sind am Markt bislang nicht etabliert und es bleibt abzuwarten, ob sich solche Modelle durchsetzen werden. Selbst die direkt nach der Finanzkrise und mit entsprechender Öffentlichkeit an den Markt gebrachten Modelle zeigen bisher keinen Erfolg. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass sich eine Honorarberatung für den Kunden erst ab einer bestimmten Depotgröße und einer bestimmten Häufigkeit an Anlagegeschäften rechnen wird. Einem Privatkunden mit einem Wertpapierdepot von 50.000 Euro und zwei Anlagegeschäften jährlich wird kaum ein Honorar von 2 % seines Depotvolumens per anno zu vermitteln sein. Vielmehr ist unabhängig vom Vergütungsmodell das qualitativ hochwertige Beratungsgespräch und der Kundendialog von zentraler Bedeutung. Nur so kann das Vertrauensverhältnis zwischen Kunde und Bank langfristig gepflegt werden53. Dies erfordert die regelmäßige und aktive Ansprache des Kunden und ein gutes Beratungsgespräch im Einzelfall; dieses muss so strukturiert und geführt werden, dass der Kunde im Hinblick auf seinen konkreten Bedarf wie auch das dazu in Betracht kommende Bankprodukt so beraten wird, dass er versteht, warum eine bestimmte Anlageentscheidung sinnvoll ist und worin deren Chancen und Risiken liegen. Ein weiteres von vielen Banken bislang nicht ausreichend genutztes Instrument ist der regelmäßige Kundendialog außerhalb der individuellen Kundenbeziehungen. Hierbei können fest installierte Foren wie etwa ein Kundenbeirat wertvolle Einblicke und Hinweise aus der Kundenperspektive geben. Zugleich muss in der laufenden rechtspolitischen Diskussion aber beachtet werden, dass der Bankkunde genauso eigenverantwortlich handelt wie etwa der Erwerber einer Immobilie oder eines Autos. So wie er sich in diesen Fällen häufig der Hilfe eines Beraters, z. B. eine Maklers, bedient, wendet sich der Bankkunde bewusst an einen Anlageberater, um entsprechende professionelle Anlageempfehlungen zu erhalten. Unbeschadet dessen trifft jedoch immer der Kunde die Anlageentscheidung und nicht der Berater, was diesen allerdings nicht von seiner Verpflichtung zur bestmöglichen Beratung im Kundeninteresse befreit. Gleichwohl sollte ein Kunde ein Produkt, dass er nicht versteht oder
__________ 52 Siehe zu den Anforderungen nach § 31d WpHG, Fuchs, WpHG, 2009, § 31d Rz. 35 ff.; Rozok, BKR 2007, 217 ff., wobei § 31d Abs. 4 WpHG eine Regelvermutung begründet, dass Zuwendungen im Kontext der Anlageberatung deren Qualität strukturell verbessern, sofern letztere trotz erfolgender Zuwendung unvoreingenommen erbracht wird. In den von vielen Banken mittlerweile eingesetzten PIBs gibt es einen separaten Abschnitt zu den Kosten, vgl. das Muster-PIB des BdB, abrufbar unter www.bdb.de. 53 „Rechnen hilft“, FTD v. 27.5.2010, S. A1.
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dessen Risiken er nicht abschätzen kann, nicht erwerben. Der Anleger sollte seinem Berater in diesem Fall mitteilen, dass er ein Produkt nicht nachvollziehen kann; gibt er seinem Berater keinen Hinweis, so kann dieser auch nicht entsprechend aufklären. Zudem gibt es Fälle, in denen die Kunden keine wirkliche Beratung suchen, sondern sich gezielt für eine Anlageform entscheiden, weil diese profitabel erscheint. Mögliche Risiken werden ausgeblendet und alleiniges Entscheidungskriterium ist die mögliche Rendite. Man denke nur an den Fall der KaupthingBank; eine große Anzahl von Anlegern hatte dieser Bank ihr Tagesgeld anvertraut, obwohl diese im deutschen Markt völlig unbekannt war, wenige Prozentpunkte mehr an Rendite versprach und bekannt war, dass der Einlagensicherungsfonds im – dann eingetretenen – Notfall nicht greifen würde. Ein anderes prominentes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist der Fall Madoff. Unzählige wohlhabende Anleger hatten in der Vergangenheit ihm und seinem Unternehmen große Summen anvertraut, weil er ihnen sehr hohe Renditen versprach. Auch hier war die Gier nach Mehrrendite der entscheidende Treiber, obwohl es genug Anzeichen gab, dass es sich hierbei um kein seriöses Investment handeln konnte. So hatte bereits 1999 Harry Markopolos eindringlich vor Madoff gewarnt und seit 2001 erschienen in verschiedenen Fachzeitschriften kritische Artikel zu Madoff. Dennoch wurden ihm weiterhin Gelder anvertraut, weil die Aussicht auf hohe Gewinne berechtigte Zweifel unterdrückte54. Oder man denke an die Zeit der Dot-Com-Blase Ende der 90er Jahre und den Neuen Markt. Damals brauchte ein Unternehmen nur zu behaupten, dass es ein beliebiges Geschäftsmodell im Zusammenhang mit Dienstleistungen im Internet hat und schon stieg der Aktienkurs. Die Aussicht auf immense Kursgewinne trübte den Blick auf Risiken und Substanz des Investments55. Es zeigt sich, dass dies keine Einzelfälle sind, derlei schon immer passiert ist und wahrscheinlich auch in Zukunft vorkommen wird. Gesetzliche Bestimmungen sind nicht geeignet, die Anleger vor ihrem eigenen Gewinnstreben und dessen Risiken zu schützen. Auch noch umfassendere Aufklärungs-, Beratungs- und Dokumentationspflichten können dies nicht leisten. Neben der Beratung sind indes noch andere Handlungsfelder von Bedeutung. c) Strukturierung der Vermögensanlage als Grundsicherung gegen übermäßige Anlagerisiken Die Verluste, die die Finanzkrise in den Anlegerdepots verursacht, haben wieder einmal ein bekanntes Phänomen deutlich gemacht, nämlich dass der häufig
__________ 54 Vgl. „US-Behörden lösen Madoffs Wall-Street Firma auf“, Spiegel v. 16.12.2008, www.spiegel-online.de; „Fall Madoff: Todesstoß für Hedge-Fonds“, Handelsblatt v. 9.1.2009, www.handelsblatt.com; „Die Lehren aus dem Fall Madoff“, FAZ v. 30.6. 2009, www.faz.net. 55 Statt vieler Beck/Schäfer in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 1. Aufl. 2005, § 23 Rz. 104; Managar-Magazin v. 1.6.2003, „Chronik einer Kapitalvernichtung“, www.manager-magazin.de.
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unzureichenden Depotstrukturierung. Es ist nach wie vor zu beobachten, dass gerade Anleger mit kleineren Depots nur in einzelne oder wenige Wertpapiere investiert sind. Dementsprechend hängt die Wertentwicklung des Depots von wenigen Einzelprodukten ab, die womöglich noch alle in eine Risikoklasse fallen. Dem kann nur durch eine am Chance-Risikoprofil des einzelnen Anlegers orientierte Depotstruktur, die im Beratungsgespräch zu erarbeiten ist, begegnet werden. Ideale Basisbausteine hierfür sind Dachfonds und fondsgebundene Vermögensverwaltungen. Gerade bei kleineren und mittleren Depots stellen sie eine stabile Vermögensstruktur zu vertretbaren Kosten sicher. Diese Anlagen können dann durch das gezielte Hinzufügen weiterer Einzelbausteine, z. B. in Anlageklassen wie Rohstoffe, geschlossene Fonds, ergänzt werden. Damit gilt wieder das Qualitätsargument; gute Beratung kann nicht durch Gesetz verfügt werden, sondern muss das Leistungsversprechen des Wertpapierdienstleisters sein. d) Einbeziehung aller Marktteilnehmer Die aktuellen rechtspolitischen Forderungen betreffen das weite Feld der Wertpapierdienstleistungen und insbesondere der Anlageberatung nach § 2 Abs. 3 Nr. 9 WpHG. Persönliche Adressaten sind bislang aber nur die Banken und Sparkassen als Wertpapierdienstleister, wohingegen Fondsvermittler sowie gebundene Vermittler nach § 2a Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 WpHG ausgenommen sind56. Auch diese Anbieter bieten jedoch die Anlageberatung in für Privatkunden besonders relevanten Produkten wie Investmentfonds an. Gleichwohl unterliegen sie in Bezug auf Sachkunde, Interessenkonflikthandhabung, Explorationsund Informationspflichten keinen oder nur deutlich niedrigeren Standards als Wertpapierdienstleister57. Eine schlüssige Begründung hierfür ist nicht ersichtlich58; dementsprechend ist es nur konsequent, wenn der EU-Gesetzgeber für den Vertrieb sog. Packaged Retail Products gleiche Anforderungen an alle Anbieter solcher Produkte normieren will59. Ebenfalls positiv anzumerken ist in diesem Kontext, dass der Gesetzgeber nunmehr den Vertrieb geschlossener Beteiligungen dem WpHG unterstellen will60. Damit wird ein wesentlicher Teil des sog. Grauen Kapitalmarktes, der im Privatkundengeschäft eine erhebliche Rolle spielt, unter Aufsicht gestellt. Der Vertrieb dieser Produkte erfordert beim Anleger die gleiche Exploration und Information sowie Prüfung auf Geeignetheit wie bei Finanzinstrumenten, zu mal es sich regelmäßig um Beteiligungen mit unternehmerischen Risiken inkl. Kapitalnachschusspflichten handelt61.
__________ 56 Dazu Fuchs, WpHG, 2009, § 2a Rz. 19 f., 40 f. 57 Fuchs (Fn. 56). 58 Der Gesetzgeber begründete die Ausnahme primär mit dem standardisierten Charakter der Investment-fonds, so dass kaum schutzwürdige Anlegerinteressen berührt würden, vgl. Regierungsbegründung, BT-Drucks. 13/7142, S. 71 f. 59 Vgl. die Bekanntmachung der EU-Kommission v. 8.7.2009 (Fn. 48). 60 Börsen-Zeitung v. 6.5.2010, S. 2. 61 Vgl. Fuchs, WpHG, 2009, Einl. Rz. 8.
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IV. Fazit – Das europäische und nationale Aufsichtsrecht enthält ein umfangreiches, aber kein stimmiges Anlegerschutzregime; die formale Differenzierung zwischen Privatkunden und professionellen Kunden und der hieran jeweils anschließende Pflichtenkanon der Wertpapierdienstleister ist zu schematisch und entspricht nicht der Rechtswirklichkeit; hier besteht Handlungsbedarf. Erforderlich ist eine stärkere Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Gruppen von Privatanlegern, vor allem bei den Informations- und Dokumentationspflichten. Ferner fehlt ein stringentes Anlegerleitbild; ist innerhalb der jeweiligen Anlegergruppe von einem durchschnittlich verständigen und eigenverantwortlich handelnden Anleger auszugehen, oder ist der völlig unerfahrene und unselbständige Anleger die „Benchmark“? Ansatzpunkt für eine Lösung könnte eine stärkere Rückbesinnung auf die Grundsätze der „Bond“-Rechtsprechung sein, die einen sinnvollen und in der Bankpraxis umsetzbaren Rahmen für die Anlageberatung gesetzt hat. – Der zumindest auf nationaler Ebene bislang bestehende Konsens, dass die Anlageberatung so zu gestalten ist, dass der Kunde zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung in der Lage ist, sollte beibehalten werden. Tendenzen zu einer Bevormundung des Kunden durch Handlungsgebote oder -verbote gegen den erklärten Kundenwillen, ist entgegen zu wirken. Ist der Kunde aufgeklärt und hat er das konkrete Produkt verstanden, muss es ihm frei stehen, jedwede Anlageentscheidung zu treffen. Es kann keine Verpflichtung zum Schutz des Kunden vor den wirtschaftlichen Folgen eigener Entscheidungen geben. – Der Anlegerschutz hat durch die Wohlverhaltensregeln und insbesondere die Vorgaben des § 31 WpHG mittlerweile ein hohes Niveau erreicht. Es ist eine Vielzahl von Strukturen und Prozessen in den Instituten vorhanden, die der Wahrung der Kundeninteressen dienen; dies kommt in der rechtspolitischen Diskussion häufig zu kurz, da immer wieder aus Einzelfällen ein genereller Handlungsbedarf abgeleitet wird. Solche Fälle wird es in einem Mengengeschäft wie dem Wertpapiergeschäft mit Millionen von Kunden und Vorgängen indes immer wieder geben. – Immer weiter gehende Informations- und Dokumentationspflichten führen nicht zwingend zu weiterem Nutzen, da häufig der Aufnahmewille der Kunden nicht mehr gegeben ist. Auch stellt sich die Frage des objektiv erzielbaren Zusatznutzens im Einzelfall; in gleicher Weise ist die Verhältnismäßigkeit der Kosten des Anlegerschutzes zu beachten. – Von entscheidender Bedeutung für den Anlegerschutz ist die Qualität der Kundenberatung; hier hat der Gesetzgeber umfassende Vorgaben normiert. Entscheidend ist die Umsetzung in der Bankpraxis; hier haben viele Institute aus der Finanzkrise ihre Lehren gezogen und arbeiten an weitreichenden Verbesserungen. – In diesem Zusammenhang ist auf die Gleichbehandlung der Anbieter zu achten, alle Dienstleister, die Finanzinstrumente nach dem WpHG vertreiben, sollten auch dessen Standards unterliegen. 111
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Die freiwillige Beachtung des Deutschen Corporate Governance Kodex durch große Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit Inhaltsübersicht I. Einführung II. Freiwillige Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG 1. Praxisbeispiel 2. Abgabe der Entsprechenserklärung 3. Unterjährige Abweichung von der Entsprechenserklärung 4. Unterjährige Änderung des Kodex III. Rechtsformspezifische Anwendbarkeit der Vorschriften des Kodex 1. Präambel 2. Aktionäre und Hauptversammlung 3. Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat
4. Vorstand 5. Aufsichtsrat 6. Transparenz 7. Rechnungslegung und Abschlussprüfung IV. Rechtsfolgen unrichtiger Entsprechenserklärungen 1. Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat 2. Anfechtbarkeit von Beschlüssen der obersten Vertretung V. Ausblick
I. Einführung Nach Vorarbeiten auch des Jubilars1 ist es seit dem 26. Februar 2002 den Unternehmen möglich, vom Inhalt des Deutschen Corporate Governance Kodex2 Kenntnis zu nehmen, sich mit seinen Vorschlägen auseinander zu setzen und sich hierauf einzustellen3. Der Kodex hat mit dem Inkrafttreten des § 161 AktG am 26. Juli 2002 gesetzliche Anerkennung gefunden4. Er erfährt in der
__________ 1 Vgl. Uwe H. Schneider/Strenger, Die „Corporate Governance-Grundsätze“ der Grundsatzkommission Corporate Governance (German Panel on Corporate Governance), AG 2000, 106; Uwe H. Schneider, Kapitalmarktorientierte Corporate GovernanceGrundsätze, DB 2000, 2413. 2 Nachfolgend auch als „Kodex“ bezeichnet. 3 Ringleb in Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 3. Aufl. 2008, S. 334, Rz. 1501. 4 Müller-Reichart, Dynamische Verfeinerung linearer Hypothesen: Corporate Governance Kodex verlangt auch von Versicherern ein verbessertes Risikomanagement, VW 2003, 318.
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Unternehmenspraxis weiterhin eine positive Resonanz5, muss aber von den Organen auch gelebt werden6. Seine rechtliche Bedeutung und Wirkung wurde und wird intensiv aus verschiedenen Blickwinkeln diskutiert7. Der Kodex, dessen Empfehlungen kein förmliches Gesetz darstellen8, wurde mehrfach geändert, wobei auch kritische Stimmen hierzu im Vorfeld beigetragen haben9. Diesem Beitrag liegt die Fassung des Kodex vom 18. Juni 2009 zugrunde, die am 5. August 2009 im elektronischen Bundesanzeiger10 bekannt gemacht wurde11. Mit Blick darauf, dass der Kodex im amtlichen Teil des elektronischen Bundesanzeigers bekannt gemacht wird, erhalten seine Empfehlungen zwar nicht quasi-gesetzliche Verbindlichkeit12, aber offiziösen Charakter13. Ausweislich der Präambel richtet sich der Kodex in erster Linie an börsennotierte Gesellschaften. Es wird aber zugleich auch nicht börsennotierten Gesellschaften die Beachtung des Kodex empfohlen14. Als nicht börsennotierte Gesellschaften müssen die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit den Kodex nicht anwen-
__________ 5 Vgl. v. Werder/Talaulicar, Kodex Report 2009: Die Akzeptanz der Empfehlungen und Anregungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, DB 2009, 689, 696; siehe ferner v. Werder/Talaulicar/Kolat, Kodex Report 2004: Die Akzeptanz der Empfehlungen und Anregungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, DB 2004, 1377; Oser/Orth/Wader, Beachtung der Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex: Erste Ergebnisse einer empirischen Folgeuntersuchung der Entsprechenserklärungen börsennotierter Unternehmen, BB 2004, 1121; v. Werder/Talaulicar, Kodex Report 2008: Die Akzeptanz der Empfehlungen und Anregungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, DB 2008, 825. 6 Scheffler, Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, AG 2005, R 362, R 363. 7 Siehe Förster, Europäische Corporate Governance – Tatsächliche Konvergenz der neuen Kodizes, ZIP 2006, 162; Heintzen, Der Deutsche Corporate Governance Kodex aus der Sicht des deutschen Verfassungsrechts, ZIP 2004, 1933; Uwe H. Schneider, Gute Corporate Governance für Staatsunternehmen – Eine kritische Bewertung der OECD-Grundsätze der Corporate Governance für Staatsunternehmen, AG 2005, 493; Seidel, Der Deutsche Corporate Governance Kodex – eine private oder doch eine staatliche Regelung?, ZIP 2004, 285. 8 OLG München, Urt. v. 23.1.2008 – 7 U 3668/07, WM 2008, 645, 648 = BB 2008, 692, 693 m. Anm. Born. 9 Vgl. nur die kritischen Anmerkungen bei Bernhardt, Der Deutsche Corporate Governance Kodex: Zuwahl (comply) oder Abwahl (explain)? – Unternehmensführung zwischen „muss“, „soll“, „sollte“ und „kann“ –, DB 2002, 1841, 1843 ff. 10 Fundstelle: eBAnz AT79 2009 B 1. 11 Ausführlich dazu Hecker, Die aktuellen Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex im Überblick, BB 2009, 1654; van Kann/Keiluweit, Die aktuellen Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex, DB 2009, 2699; Scheffler, Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex, AG 2009, R 439; WeberRey, Änderungen des Deutschen Corporate Governance Kodex 2009, WM 2009, 2255. 12 So aber Schünemann, Corporate Governance in der Diskussion: Das Verhältnis von Unternehmensverfassung und Unternehmensgegenstand und die Besonderheiten der Versicherung, VW 2003, 26. 13 Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 161 AktG Rz. 7. 14 Ablehnend Bernhardt, Sechs Jahre Deutscher Corporate Governance Kodex – Eine Erfolgsgeschichte, BB 2008, 1686, 1691.
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Die freiwillige Beachtung des DCGK durch große VVaG
den15. § 161 AktG findet weder direkt noch analog Anwendung16. Gegen eine freiwillige Beachtung des Kodex haben sich Hoenen/Eberhardt ausgesprochen17. Demgegenüber hat sich der Jubilar in seiner Zeit als stellv. Vorsitzender der Aufsichtsräte der ALTE LEIPZIGER Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit18 und der HALLESCHE Krankenversicherung auf Gegenseitigkeit19 um die freiwillige Anwendung des Kodex bei diesen großen Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit verdient gemacht. Der Jubilar hat damit einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Corporate Governance bei Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit geleistet20.
II. Freiwillige Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG 1. Praxisbeispiel Vorstand und Aufsichtsrat der ALTE LEIPZIGER und der HALLESCHE haben die freiwillige Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG erstmals im Geschäftsjahr 2004 abgegeben und hieran auch in der Folgezeit festgehalten21. Im Geschäftsjahr 2009 wurde die freiwillige Entsprechenserklärung der ALTE LEIPZIGER wie folgt verlautbart: „Berichterstattung des Vorstands und des Aufsichtsrats zur Corporate Governance § 161 AktG verpflichtet den Vorstand und den Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften jährlich zu erklären, dass den vom Bundesministerium der Justiz im amtlichen Teil des elektronischen Bundesanzeigers bekannt gemachten Empfehlungen der „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“ entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden und warum nicht. Die Erklärung nach § 161 AktG ist auf der Internetseite der Gesellschaft dauerhaft öffentlich zugänglich zu machen. Zugleich ist diese Erklärung Bestandteil der Erklärung zur Unternehmensführung nach Maßgabe des § 289a HGB. Als nicht börsennotierte Gesellschaft und mit Blick darauf, dass die für Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit geltenden Vorschriften keine Anwendung des § 161 AktG und des § 289a HGB statuieren, ist die ALTE LEIPZIGER Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit nicht zur Abgabe der so genannten Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG und auch nicht zur Abgabe der Erklärung zur Unternehmensführung nach § 289a
__________ 15 Laakmann, Dem Gegenseitigkeitsverein verhilft der „Kodex“ zu einem modernen Selbstbild: Die Compliance-Erklärung zum Corporate Governance Kodex (CGK) – Nutzen und Notwendigkeit für VVaG und nicht börsennotierte Versicherungs-AG, VW 2002, 990. 16 Ausführlich dazu Hoenen/Eberhardt, Der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit im Lichte des Deutschen Corporate Governance Kodex, in FS Lorenz, 2004, S. 305, 314. 17 Hoenen/Eberhardt in FS Lorenz (Fn. 16), S. 305, 314; a. A. Weigel in Prölss, VAG, 12. Aufl. 2005, Vor § 15 VAG Rz. 174. 18 Nachfolgend auch als „ALTE LEIPZIGER“ bezeichnet. 19 Nachfolgend auch „HALLESCHE“ genannt. 20 Zum Zeichen außerordentlich hoher Wertschätzung und des Dankes für jahrzehntelange Verbundenheit ist dem Jubilar dieser Beitrag gewidmet. 21 Siehe www.alte-leipziger.de und www.hallesche.de.
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Gert A. Benkel HGB verpflichtet. Der Deutsche Corporate Governance Kodex (der „Kodex“) empfiehlt jedoch auch nicht börsennotierten Gesellschaften die Beachtung des Kodex. Vorstand und Aufsichtsrat haben festgestellt, dass die im Kodex dargestellten wesentlichen gesetzlichen Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften sowie die dort aufgezeigten international und national anerkannten Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung mit den Unternehmensführungsgrundsätzen der ALTE LEIPZIGER Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit weitgehend übereinstimmen. Vorstand und Aufsichtsrat der ALTE LEIPZIGER Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit erklären hiermit, dass den vom Bundesministerium der Justiz im amtlichen Teil des elektronischen Bundesanzeigers bekannt gemachten Empfehlungen des Kodex in der Fassung vom 6. Juni 2008 gemäß unserer Erklärung vom 3. Dezember 2008/4. Dezember 2008 bis zur Neufassung des Kodex am 5. August 2009 entsprochen wurde. Ab Neufassung des Kodex wurde und wird den vom Bundesministerium der Justiz im amtlichen Teil des elektronischen Bundesanzeigers bekannt gemachten Empfehlungen des Kodex in der Fassung vom 5. August 2009 entsprochen, soweit nicht rechtsformspezifische Gründe der Anwendung entgegenstehen oder eine modifizierte Anwendung verlangen. Die folgenden Empfehlungen des Kodex in der am 5. August 2009 in Kraft getretenen Fassung wurden und werden nicht angewendet: 1. Die bestehende D&O-Versicherung (Vermögensschadenhaftpflicht-Versicherung von Vorständen und Aufsichtsräten) sieht mit Blick auf die Gesetzeslage einen Selbstbehalt für die Mitglieder des Vorstands, nicht aber für die Mitglieder des Aufsichtsrats mit Wirkung ab 1. Juli 2010 vor (Ziffer 3.8 Absatz 2 und Absatz 3). 2. Einen individualisierten Ausweis der Vergütung der Vorstandsmitglieder und der Art der von der Gesellschaft erbrachten Nebenleistungen (Ziffer 4.2.4) und deren Offenlegung (Ziffer 4.2.5) nehmen wir nicht vor, um die vereinbarte Vertraulichkeit zu wahren. 3. Die Bildung eines Nominierungsausschusses (Ziffer 5.3.3) und die Einrichtung eines Prüfungsausschusses (Ziffer 5.3.2 Satz 1) sind aufgrund der überschaubaren Zahl der Mitglieder unseres Aufsichtsrats nicht geboten. Die Aufgaben des Prüfungsausschusses (§ 107 Abs. 3 AktG) nimmt ein im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrats mit Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung/Abschlussprüfung wahr. 4. Eine besondere Vergütung für die Mitgliedschaft in einem Ausschuss sowie den Ausschussvorsitz leisten wir nicht (Ziffer 5.4.6 Absatz 1 Satz 3). Zur Vermeidung von möglichen Interessenkollisionen erhalten die Mitglieder des Aufsichtsrats neben der festen Vergütung keine erfolgsorientierte Vergütung (Ziffer 5.4.6 Absatz 2). Eine individualisierte Offenlegung der Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder oder von gewährten Vorteilen für persönlich erbrachte Leistungen nehmen wir mit Blick auf die Gesetzeslage nicht vor (Ziffer 5.4.6 Absatz 3). 5. Halbjahresfinanzberichte, Zwischenmitteilungen oder Quartalsfinanzberichte sowie einen verkürzten Konzernabschluss veröffentlichen wir als nicht börsennotierte Gesellschaft nicht. Der Konzernabschluss entspricht dem geltenden nationalen Recht (HGB). Eine Umstellung auf internationale Rechnungslegung (IAS/IFRS) erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt (Ziffer 7.1.1 Satz 1 bis 3, Ziffer 7.1.2 Satz 2). 6. Wir stellen den Konzernabschluss innerhalb von drei Monaten, spätestens aber innerhalb der gesetzlichen Frist von fünf Monaten auf; Zwischenberichte werden nicht er-
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Die freiwillige Beachtung des DCGK durch große VVaG stattet. Als nicht börsennotierte Gesellschaft erachten wir dies für ausreichend (Ziffer 7.1.2 Satz 4). Oberursel (Taunus), den 30. November 2009 Der Vorstand Dr. Botermann Vorsitzender
Oberursel (Taunus), den 2. Dezember 2009 Der Aufsichtsrat Stertenbrink Vorsitzender“
Von der Wiedergabe der freiwilligen Entsprechenserklärung der HALLESCHE wird abgesehen, da sie lediglich mit Blick darauf, dass die HALLESCHE keinen Konzernabschluss aufstellt, entsprechend adjustiert ist. 2. Abgabe der Entsprechenserklärung Die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG ist eine Stichtagserklärung, die auf der Basis der zum jeweiligen Erklärungszeitpunkt geltenden Fassung des Kodex erfolgt und nur einmal im Laufe des Geschäftsjahres abzugeben ist22. Wegen der Nähe der Entsprechenserklärung zum Jahresabschluss bietet sich eine Abgabe der Entsprechenserklärung zum Ende des Geschäftsjahres an23. Im Falle der freiwilligen Entsprechenserklärung haben Vorstand und Aufsichtsrat in Anwendung des § 161 Abs. 1 Satz 1 AktG zu erklären, ob dem Kodex entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden und warum nicht. Bei der Abgabe der Erklärung ist zu berücksichtigen, dass der Kodex in einigen Teilen auf VVaG nicht anwendbar ist, da im Kodex das Recht der börsennotierten Aktiengesellschaften behandelt wird, das aber nicht allenthalben auf VVaG Anwendung findet. Es ist aber nicht die Aufgabe von Vorstand und Aufsichtsrat des VVaG, den Kodex einer rechtlichen Überprüfung zu unterziehen und sich zur Richtigkeit des gesetzesdarstellenden Teils des Kodex zu erklären24. Dies gilt natürlich insbesondere im Falle der freiwilligen Anwendung des Kodex auf den VVaG. Im Sinne einer Grenzziehung ist daher in der Entsprechenserklärung lediglich klarzustellen, dass den Empfehlungen des Kodex entsprochen wurde und wird, soweit nicht rechtsformspezifische Gründe der Anwendung entgegenstehen oder eine modifizierte Anwendung verlangen. Die Kodexempfehlungen, die von Aufsichtsrat und Vorstand nicht angewendet wurden oder werden, sind konkret anzugeben25. Die Abweichungen von den Empfehlungen des Kodex sind zu begründen und die vorgeschriebene Governancepublizität kann als Gelegenheit zur proaktiven Kommunikation genutzt werden26. In allen diesen Fällen geht es
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22 E. Vetter, Update des Deutschen Corporate Governance Kodex, BB 2005, 1689, 1694. 23 Kirschbaum, Deutscher Corporate Governance Kodex überarbeitet – Welche (Erklärungs-)Pflichten ergeben sich für Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Aktiengesellschaften? –, DB 2005, 1473, 1474. 24 Krieger, Interne Voraussetzungen für die Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG, in FS Ulmer, 2003, S. 365, 367. 25 Ringleb in Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 3. Aufl. 2008, S. 346, Rz. 1556. 26 Vgl. v. Werder/Talaulicar/Pissarczyk, Das Kommentierungsverhalten bei Abweichungen vom Deutschen Corporate Governance Kodex – Ergebnisse einer empirischen Erhebung bei DAX-, TecDAX-, MDAX- und SDAX-Unternehmen, AG 2010, 62, 72.
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natürlich nur um die Empfehlungen, die auf VVaG anwendbar sind, weil rechtsformspezifische Gründe nicht entgegenstehen. 3. Unterjährige Abweichung von der Entsprechenserklärung Vorstand und Aufsichtsrat sind berechtigt, jederzeit von den Empfehlungen des Kodex oder einer bestimmten Kodex-Empfehlung abzuweichen, die zu befolgen sie in ihrer letzten Entsprechenserklärung noch angegeben haben27. Diesem Sinneswandel ist allerdings durch eine unterjährig korrigierte Entsprechenserklärung Rechnung zu tragen28, die der Öffentlichkeit zugänglich zu machen ist29. Wird die Entsprechenserklärung ins Internet eingestellt und erlangt sie dadurch den Charakter einer „sich repetierenden Dauererklärung“, gebietet zudem die sich aus § 161 AktG ergebende Wahrheitspflicht, die unterjährige Abweichung von der Absichtserklärung mit der unterjährigen Korrektur dieser Erklärung zu verbinden30. Geschieht dies nicht oder entspricht die Entsprechenserklärung von vornherein in einem nicht unwesentlichen Punkt nicht der tatsächlichen Praxis der Gesellschaft, liegt darin ein Gesetzesverstoß31. 4. Unterjährige Änderung des Kodex Unterjährige Änderungen des Kodex lösen keinen unterjährigen Korrekturbedarf aus, weil sich die Kodexerklärung nur auf die jeweils bei Abgabe geltende Kodexfassung bezieht und nicht im Sinne einer dynamischen Verweisung auf
__________ 27 OLG München, Urt. v. 6.8.2008 – 7 U 5628/07, WM 2009, 658, 659 = AG 2009, 294, 295 = BB 2009, 232, 233; Semler in Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 1 Rz. 85; Gelhausen/Hönsch, Deutscher Corporate Governance Kodex und Abschlussprüfung, AG 2002, 529, 534; Kirschbaum (Fn. 23), DB 2005, 1473, 1474; Goslar/von der Linden, Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen aufgrund fehlerhafter Entsprechenserklärungen zum Deutschen Corporate Governance Kodex – Zugleich Besprechung des BGH-Urteils v. 16.2.2009 – II ZR 185/07 – Kirch/Deutsche Bank, DB 2009, 500 –, DB 2009, 1691, 1694. 28 Lutter, Die Erklärung zum Corporate Governance Kodex gemäß § 161 AktG – Pflichtverstöße und Binnenhaftung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern, ZHR 166 (2002), 523, 534; ebenso Peltzer, Handlungsbedarf in Sachen Corporate Governance, NZG 2002, 593, 595; Seibert, Im Blickpunkt: Der Deutsche Corporate Governance Kodex, BB 2002, 581, 583; Wieland-Blöse, Verabschiedung des Transparenz- und Publizitätsgesetzes – TransPuG, GmbHR 2002, R 277; Kirschbaum (Fn. 23), DB 2005, 1473, 1475; Strieder/Kuhn, Die Offenlegung der jährlichen Entsprechenserklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex sowie die zukünftigen Änderungen durch das EHUG, DB 2006, 2247, 2248; a. A. Seibt, Deutscher Corporate Governance Kodex und Entsprechens-Erklärung (§ 161 AktG-E), AG 2002, 249, 254. 29 OLG München, Urt. v. 6.8.2008 – 7 U 5628/07, WM 2009, 658, 660 = AG 2009, 294, 295 = BB 2009, 232, 233; Gelhausen/Hönsch (Fn. 27), AG 2002, 529, 534; Kirschbaum (Fn. 23), DB 2005, 1473, 1475. 30 Lutter (Fn. 28), ZHR 166 (2002), 523, 534; Ihrig, Pflicht zur umgehenden Abgabe einer Entsprechenserklärung mit Inkrafttreten des BilMoG?, ZIP 2009, 853, 854. 31 BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BB 2009, 796, 798; BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, BB 2009, 2725, 2727 = DB 2009, 2422, 2425.
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Die freiwillige Beachtung des DCGK durch große VVaG
spätere Änderungen des Kodex, die vor Abgabe der nächsten turnusgemäßen Erklärung in Kraft gesetzt werden32.
III. Rechtsformspezifische Anwendbarkeit der Vorschriften des Kodex 1. Präambel Der Kodex stellt wesentliche gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften (Unternehmensführung) dar und enthält international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung (Ziffer 1 Abs. 1 Satz 1)33. Er wiederholt deutsche Rechtsgrundsätze des Aktiengesetzes, ohne die rechtliche Wirkung dieser gesetzlichen Vorschriften herabzumindern oder überhöhen zu wollen34. Soweit der Kodex sich am Modell der Aktiengesellschaft (AG) ausrichtet, deren Unternehmensführung aufgeteilt ist in Aktionäre (Eigentümer), Aufsichtsrat (Aufsichtsorgan) und Vorstand (Geschäftsführung), passt er mehr oder weniger gut auch für andere Unternehmen mit vergleichbarer Funktionseinteilung35. Beim VVaG sind diese Voraussetzungen mit Vorstand und Aufsichtsrat gegeben36. Das unternehmerische Risiko wird allerdings beim VVaG von den Mitgliedern des Vereins, den Versicherten, getragen37. Sie sind zum einen die wirtschaftlichen Träger und zum anderen die Kunden des VVaG38. Folgen VVaG der Empfehlung, als nicht börsennotierte Gesellschaft den Kodex zu beachten (Ziffer 1 vorletzter Absatz), werden sie den Empfehlungen des Kodex entsprechen, soweit nicht rechtsformspezifische Gründe der Anwendung entgegenstehen oder eine modifizierte Anwendung verlangen. Bei der Abgabe der freiwilligen Entsprechenserklärung ist vom VVaG zu berücksichtigen, dass in Regelungen des Kodex, die nicht nur die Gesellschaft selbst, sondern auch ihre Konzernunternehmen betreffen, der Begriff „Unternehmen“ statt „Gesellschaft“ verwendet wird.
__________ 32 Kirschbaum (Fn. 23), DB 2005, 1473, 1476; E. Vetter (Fn. 22), BB 2005, 1689, 1694; Ihrig (Fn. 30), ZIP 2009, 853, 854; ebenso Heckelmann, Drum prüfe, wer sich ewig bindet – Zeitliche Grenzen der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG und des Deutschen Corporate Governance Kodex, WM 2008, 2146, 2148; Mock, Entsprechenserklärungen zum DCGK in Krise und Insolvenz, ZIP 2010, 15, 16. 33 Siehe hierzu Seibert, OECD Principles of Corporate Governance – Grundsätze der Unternehmensführung und -kontrolle für die Welt, AG 1999, 337. 34 Claussen, Corporate Governance – eine Standortbestimmung, in FS Priester, 2007, S. 41, 44, 45. 35 Pöllath, Corporate Governance und Unternehmenskauf, in FS Lüer, 2008, S. 571, 572. 36 Vgl. Lüer, Corporate Governance im VVaG und im VVaG-Konzern, VersR 2000, 407 ff.; Weigel in Prölss, VAG, 12. Aufl. 2005, Vor § 15 VAG Rz. 171. 37 Hübner, Der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit als Konzernspitze bei internen Strukturmaßnahmen, in FS Wiedemann, 2002, S. 1033, 1035. 38 Müller-Wiedenhorn, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit im Unternehmensverbund: Eine Untersuchung zum Recht und zu konzentrationsrechtlichen Fragen des Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit, 1993, S. 12.
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Gert A. Benkel
2. Aktionäre und Hauptversammlung Der Anwendung der Ziffer 2 des Kodex auf VVaG stehen teilweise rechtsformspezifische Gründe entgegen. a) Kodex Ziffer 2.1. Diese Regelung findet auf den VVaG keine Anwendung, da es bei dieser Rechtsform weder Aktien noch Aktionäre gibt. Beim VVaG nehmen die Mitglieder der obersten Vertretung die Rechte in der Mitgliederversammlung bzw. in der Mitgliedervertreterversammlung wahr und üben dort ihr Stimmrecht aus. b) Kodex Ziffer 2.2. Die Ziffer 2.2 behandelt die Hauptversammlung, die mit Blick auf die Kompetenzen mit der obersten Vertretung beim VVaG verglichen werden kann39. Manche Satzungen von VVaG bezeichnen sogar die Mitgliederversammlung bzw. Mitgliedervertreterversammlung als Hauptversammlung. Ziffer 2.2.1 Abs. 1 Satz 1 findet auf den VVaG Anwendung, weil auch beim VVaG der Vorstand der obersten Vertretung den Jahresabschluss und den Konzernabschluss vorlegt. Ziffer 2.2.1 Abs. 1 Satz 2 ist nur teilweise auf den VVaG übertragbar. Die oberste Vertretung entscheidet nämlich über die Gewinnverwendung nur dann, wenn überhaupt ein verteilungsfähiger Überschuss gemäß § 38 VAG gegeben ist. Die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat fällt wie bei der Hauptversammlung in die Kompetenz der obersten Vertretung, die auch die „Anteilseignervertreter“ im Aufsichtsrat wählt. Der Abschlussprüfer wird allerdings vom Aufsichtsrat und nicht von der obersten Vertretung bestellt. Dies gilt auch für Versicherungsaktiengesellschaften. Ziffer 2.2.1 Abs. 2 findet auf VVaG keine Anwendung, soweit von der Ausgabe von neuen Aktien und von Wandel-Optionsschuldverschreibungen sowie von der Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien gesprochen wird. Ziffer 2.2.2 mit der Aussage, dass die Aktionäre bei der Ausgabe neuer Aktien grundsätzlich ein ihrem Anteil am Grundkapital entsprechendes Bezugsrecht haben, findet auf den VVaG keine Anwendung. Ziffer 2.2.3 findet in der Weise Anwendung, dass das Mitglied der obersten Vertretung berechtigt ist, an der Sitzung der obersten Vertretung teilzunehmen, dort das Wort zu Gegenständen der Tagesordnung zu ergreifen und sachbezogene Fragen und Anträge zu stellen. Nach Ziffer 2.2.4 Satz 1 sorgt der Versammlungsleiter für eine zügige Abwicklung der Hauptversammlung. Dabei sollte er sich davon leiten lassen, dass eine ordentliche Hauptversammlung spätestens nach 4 bis 6 Stunden beendet ist (Ziffer 2.2.4 Satz 1). Diese Regelungen lassen sich auf die oberste Vertretung des VVaG übertragen. c) Kodex Ziffer 2.3. Auch beim VVaG ist die oberste Vertretung vom Vorstand mindestens einmal jährlich unter Angabe der Tagesordnung einzuberufen
__________
39 Siehe hierzu Benkel, Das Verhältnis von Entscheidung, Information und Kontrolle beim großen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, in FS Lüer, 2008, S. 141 f.
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Die freiwillige Beachtung des DCGK durch große VVaG
(Ziffer 2.3.1 Satz 1) und Minderheiten können die Einberufung der obersten Vertretung und die Erweiterung der Tagesordnung verlangen (Ziffer 2.3.1 Satz 2). Nach der Empfehlung in Ziffer 2.3.1 Satz 3 soll der Vorstand die vom Gesetz für die Hauptversammlung verlangten Berichte und Unterlagen einschließlich des Geschäftsberichts leicht zugänglich auf der Internet-Seite der Gesellschaft zusammen mit der Tagesordnung veröffentlichen. Rechtsformspezifisch ist diese Empfehlung nur auf den VVaG mit Mitgliederversammlung anwendbar. Bei VVaG mit Mitgliedervertreterversammlung kommt die Empfehlung nicht zum Tragen, denn alle Mitglieder der Mitgliedervertreterversammlung erhalten vor der Mitgliedervertreterversammlung die in Ziffer 2.3.1. Satz 3 angesprochenen Dokumente. Die Nichtanwendung der Vorschrift muss daher vom VVaG mit Mitgliedervertreterversammlung nicht erwähnt und begründet werden. Zur Erhöhung der Außenwirkung kommt allerdings eine freiwillige Umsetzung der Empfehlung in Betracht. Gemäß Ziffer 2.3.2 soll die Gesellschaft allen in- und ausländischen Finanzdienstleistern, Aktionären und Aktionärsvereinigungen die Einberufung der Hauptversammlung mitsamt den Einberufungsunterlagen auf elektronischem Wege übermitteln, wenn die Zustimmungserfordernisse erfüllt sind. Diese Vorschrift findet rechtsformspezifisch auf den VVaG keine Anwendung. Rechtsformspezifisch findet auch Ziffer 2.3.3 keine Anwendung. Zwar wird der VVaG dem Mitgliedervertreter bzw. dem Mitglied im Falle der Mitgliederversammlung die persönliche Wahrnehmung seiner Rechte erleichtern (Ziffer 2.3.3. Satz 1), nicht jedoch die Stimmrechtsvertretung unterstützen (Ziffer 2.3.3 Satz 2) und für die Bestellung eines Vertreters für die weisungsgebundene Ausübung des Stimmrechts sorgen, der auch während der Hauptversammlung erreichbar sein sollte (Ziffer 2.3.3 Satz 3)40. Stimmrechtsvertretung ist bei VVaG in der Regel nicht vorgesehen. Auch wenn es für Mitgliedervertreter gewählte Vertreter gibt, passt die Kodexregelung nicht. Die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte ist grundsätzlich an die durch Wahl legitimierte Person gebunden, die ihre Stimmrechte nicht übertragen kann. Ziffer 2.3.4 enthält die Anregung, den Aktionären die Verfolgung der Hauptversammlung über moderne Kommunikationsmedien (z. B. Internet) zu ermöglichen. Diese Anregung kommt für VVaG nicht in Betracht, sondern allenfalls für kleine VVaG, bei denen noch die Mitgliederversammlung anzutreffen ist. Von den Anregungen des Kodex können Vorstand und Aufsichtsrat ohne Offenlegung abweichen41.
__________ 40 Zur Stimmrechtsberatung und Stimmrechtsvertretung bei deutschen und ausländischen Aktiengesellschaften siehe Uwe H. Schneider/Anzinger, Institutionelle Stimmrechtsberatung und Stimmrechtsvertretung – „A quiet guru’s enormous clout“, NZG 2007, 88. 41 Schlitt, Die strafrechtliche Relevanz des Corporate Governance Kodexes, DB 2007, 326.
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Gert A. Benkel
3. Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat Die Regelungen zum Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat in Ziffer 3 des Kodex lassen sich weitgehend auf den VVaG anwenden. Es ist hierzu jedoch folgendes anzumerken: a) Kodex Ziffer 3.6. Ziffer 3.6 Abs. 1 enthält die Anregung, dass getrennte Vorbesprechungen der Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner und der Arbeitnehmervertreter zur Vorbereitung der Aufsichtsratssitzung ggf. mit Mitgliedern des Vorstands durchgeführt werden sollten. Die Regelung greift eine Praxis auf, die vor allem auf Unternehmen mit Montan-Mitbestimmung zurückgeht42. Bei VVaG, die der Mitbestimmung nach dem Drittelbeteiligungsgesetz unterliegen, besteht für eine institutionelle Umsetzung der Anregung des Kodex keine Veranlassung. Das richtige Forum für den Informationsaustausch über die in der Aufsichtsratssitzung zu behandelnden Themen ist die Aufsichtsratssitzung. Mit der Anregung in Ziffer 3.6 Abs. 2, der Aufsichtsrat sollte bei Bedarf ohne den Vorstand tagen, spricht der Kodex die in der Praxis wichtige Frage an, wann erstens die Teilnahme des Vorstands an Sitzungen des Aufsichtsrats rechtlich zulässig ist, zweitens der Vorstand einen Anspruch auf Teilnahme hat und drittens der Vorstand zur Teilnahme verpflichtet ist43. Die Fragestellung ist für VVaG von besonderer Bedeutung, weil nach einer Verlautbarung der Aufsichtsbehörde Satzungsbestimmungen, die den Vorstandsmitgliedern eine regelmäßige Teilnahme an den Sitzungen des Aufsichtsrats ermöglichen, nicht mehr genehmigungsfähig sind44. Der Jubilar hat hierzu überzeugend dargelegt, dass die Auffassung der Aufsichtsbehörde praxisfern ist und nicht „best practice“ entspricht45. b) Kodex Ziffer 3.7. Die Regelung findet rechtsformspezifisch keine Anwendung, da ein Übernahmeangebot46 bei einem VVaG nicht abgegeben werden kann. Die Finanzverfassung des VVaG sieht, wenn man vom zurückzuzahlenden Gründungsstock einmal absieht, keine Außenfinanzierung vor, die einen Einfluss auf die Entscheidungsorganisation des VVaG eröffnen könnte47. Oder anders gesagt: Der VVaG kann über die Börse nicht „aufgekauft“ werden48. Dies gehört zum gesetzlichen Leitbild des VVaG49.
__________ 42 E. Vetter, Gruppenvorbesprechungen im Aufsichtsrat – Ausdruck einer Good Corporate Governance?, in FS Hüffer, 2010, S. 1017. 43 Ausführlich hierzu Uwe H. Schneider, Die Teilnahme von Vorstandsmitgliedern an Aufsichtsratssitzungen, ZIP 2002, 873. 44 VerBAV 2002, 67. 45 Uwe H. Schneider (Fn. 43), ZIP 2002, 873, 876. 46 Zur Verteidigung gegen feindliche Übernahmen siehe von Falkenhausen, Übernahmeprophylaxe – Die Pflichten des Vorstands der Zielgesellschaft, NZG 2007, 97. 47 Benkel, Der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit – Das Gesellschaftsrecht der großen konzernfreien VVaG, 2. Aufl. 2002, S. 73/74. 48 Hübner in FS Wiedemann (Fn. 37), S. 1033, 1034. 49 Benkel, Der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (Fn. 47), S. 74.
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Die freiwillige Beachtung des DCGK durch große VVaG
c) Kodex Ziffer 3.10. Nach Ziffer 3.10 Satz 2 ist der Corporate Governance Bericht Bestandteil der Erklärung zur Unternehmensführung der Gesellschaft. Hierzu gehört auch die Erläuterung eventueller Abweichungen von den Empfehlungen dieses Kodex (Ziffer 3.10 Satz 3). Dabei kann auch zu den Kodexanregungen Stellung genommen werden (Ziffer 3.10 Satz 4). Diese Regelungen greifen aber nur dann, wenn der VVaG freiwillig die Erklärung zur Unternehmensführung der Gesellschaft abgibt. Hat sich der VVaG freiwillig dem Kodex unterworfen, folgt hieraus nicht, dass der VVaG verpflichtet ist, die Erklärung zur Unternehmensführung abzugeben. Dies bedarf vielmehr einer eigenständigen freiwilligen Erklärung. Hat der VVaG diese Erklärung nicht abgegeben, muss hierauf in der freiwilligen Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG nicht eingegangen werden. 4. Vorstand Im Kodex bilden die Regelungen zum Vorstand einen Schwerpunkt, deren Anwendung auf VVaG weitgehend keine rechtsformspezifischen Gründe entgegen stehen, insbesondere soweit es um die Vergütung des Vorstands geht, die nach Aufzeigen des Reformbedarfs50 durch das VorstAG51 reformiert wurde und unverändert breiten Raum im Schrifttum einnimmt52. Besondere Vergütungsregelungen sind darüber hinaus für den Finanzbereich zu erwarten53. Im Zuge der
__________ 50 Vgl. Schwark, Zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, in FS Raiser, 2005, S. 377, 396 ff. 51 Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) v. 31.7.2009, BGBl. I 2009, S. 2509; BT-Drucks. 16/12278 v. 17.3.2009 (Gesetzentwurf); dazu Hanau, Der (sehr vorsichtige) Entwurf eines Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, NJW 2009, 1652; Gaul/Janz, Wahlkampfgetöse im Aktienrecht: Gesetzliche Begrenzung der Vorstandsvergütung und Änderungen der Aufsichtsratstätigkeit, NZA 2009, 809; Hohaus/Weber, Die Angemessenheit der Vorstandsvergütung gem. § 87 AktG nach dem VorstAG, DB 2009, 1515; v. Rosen, Vorstandsvergütung als Krisenursache?, BB v. 27.4.2009, M1; Lingemann, Angemessenheit der Vorstandsvergütung – Das VorstAG ist in Kraft, BB 2009, 1918; Noack, Vorstandsvergütung – eine endlose Geschichte, BB v. 3.8.2009, M1; v. Rosen, Vorstandsvergütung als Krisenursache?, BB v. 27.4.2009, M1; Seibert, Das VorstAG – Regelungen zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung und zum Aufsichtsrat, WM 2009, 1489; ders., Die Koalitionsarbeitsgruppe „Managervergütungen“: Rechtspolitische Überlegungen zur Beschränkung der Vorstandsvergütung (Ende 2007 bis März 2009), in FS Hüffer, 2010, S. 955; Wagner/Wittgens, Corporate Governance als dauernde Reformanstrengung: Der Entwurf des Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, BB 2009, 906; Weber-Rey (Fn. 11), WM 2009, 2255, 2257 ff. 52 Vgl. Koch, Die Herabsetzung der Vorstandsbezüge gemäß § 87 Abs. 2 AktG nach dem VorstAG, WM 2010, 49; Weller, Die Systemkohärenz des § 87 II AktG – Eingeschränkte Vertragstreue beim Vorstandsvertrag auf Grund Fremdinteressenwahrung, NZG 2010, 7. Zur Geltung des VorstAG für die GmbH siehe Feddersen/v. Cube, Vorstand wider Willen? Auswirkungen des Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung auf GmbHs, NJW 2010, 576. 53 Vgl. WM 2010, 382 zu dem von der Bundesregierung am 9.2.2010 beschlossenen Entwurf des Gesetzes über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungssysteme von Instituten und Versicherungsunternehmen, abrufbar über www.bundesfinanzministerium.de.
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freiwilligen Anwendung der Regelungen der Ziffer 4 des Kodex auf VVaG ist folgendes zu beachten: a) Kodex Ziffer 4.1.1. Nach dieser Regelung leitet der Vorstand das Unternehmen mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung in eigener Verantwortung und im Unternehmensinteresse, also unter Berücksichtigung der Belange der Aktionäre, seiner Arbeitnehmer und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder)54. Beim VVaG geht es jedoch nicht um die Belange der Aktionäre sondern der Mitglieder. b) Kodex Ziffer 4.1.3. Im Zuge der Neufassung des Kodex im Jahre 2007 wurde Ziffer 4.1.3 überarbeitet und erstmals erwähnt der Kodex den Terminus „Compliance“55. Gemäß der neu gefassten Ziffer 4.1.3 hat der Vorstand für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hin (Compliance)56. Mit dieser Regelung wird die Verpflichtung des Vorstands zur Errichtung einer Compliance Organisation angesprochen57, die der Vorstand nach seinem Ermessen ausgestalten kann58 und ggf. zunächst nur aus dem Compliance-Officer59 besteht, aber im Bereich der Versicherungswirtschaft den Anforderungen des Art. 46 der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II)60 genügt. Art. 46 Abs. 1 Satz 2 und Art. 46 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2009/138/EG definieren die Compliance-Funktion und Art. 46 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2009/138/EG beschreibt das Compliance-Risiko61. Auf jeden
__________ 54 Zum Kreis der Stakeholder siehe v. Werder, Zur Stakeholderbalance des Rechts der Corporate Governance, in FS Schwark, 2009, S. 285, 287 f. 55 Bürkle, Corporate Compliance als Standard guter Unternehmensführung des Deutschen Corporate Governance Kodex, BB 2007, 1797, 1798. 56 Siehe hierzu Fett/Gebauer, Compliance-Strukturen im faktischen Bankkonzern, in FS Schwark, 2009, S. 375. 57 Mutter, Compliance im Corporate Governance Kodex, AG 2007, R 352. Zustimmend für besonders beaufsichtigte Wirtschaftsbereiche Dreher, Die Vorstandsverantwortung im Geflecht von Risikomanagement, Compliance und interner Revision, in FS Hüffer, 2010, S. 161. 58 Immenga, Compliance als Rechtspflicht nach Aktienrecht und Sarbanes-Oxley-Act, in FS Schwark, 2009, S. 199, 203. 59 Zu seiner Funktion aus zivil- und strafrechtlicher Sicht siehe Favoccia/Richter, Rechte, Pflichten und Haftung des Compliance Officers aus zivilrechtlicher Sicht, AG 2010, 137; Ransiek, Zur strafrechtlichen Verantwortung des Compliance Officers, AG 2010, 147; Rönnau/Schneider, Der Compliance-Beauftragte als strafrechtlicher Garant – Überlegungen zum BGH-Urteil v. 17.7.2009 – 5 StR 394/08, ZIP 2009, 1867 –, ZIP 2010, 53. 60 ABl. EG L 335 v. 17.12.2009, S. 1. 61 Art. 46 Abs. 1 und 2 mit der Überschrift „Interne Kontrolle“ lauten wie folgt: „(1) Die Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen verfügen über ein wirksames internes Kontrollsystem. Dieses System umfasst zumindest Verwaltungs- und Rechnungslegungsverfahren, einen internen Kontrollrahmen, angemessene Melderegelungen auf allen Unternehmensebenen und eine Funktion der Überwachung der Einhaltung der Anforderungen („Compliance-Funktion“).
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Fall muss der Vorstand im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten durch organisatorische Leitungsmaßnahmen auch auf ein rechtskonformes Verhalten der Konzernunternehmen hinwirken62. Dies setzt zum einen die Einsicht voraus, dass moderne, hoch arbeitsteilig organisierte Gesellschaften auf Expertensysteme angewiesen sind, auf welche sie vertrauen müssen, wenn sie die Komplexität dieser Gesellschaften beherrschen wollen63. Zum anderen kommt es auf die Grundhaltung im Unternehmen an. Wird rechtskonformes Handeln nur dann akzeptiert, wenn der Nutzen die Kosten übersteigt („immoral calculations“) oder wird rechtskonformes Handeln nur dann akzeptiert, wenn Gesetze als legitim oder sinnvoll eingestuft werden oder werden Gesetzesverletzungen lediglich als bedauerliche Organisationspannen eingestuft64, die für die Gesellschaft ggf. Sanktionen gemäß § 30 OWiG zur Folge haben65. Als Instrument zur Kommunikation der Unternehmensgrundeinstellung kommt eine Erklärung zu den Compliance-Standards nach dem Vorbild des § 161 AktG in Betracht. Mit dieser Maßnahme kann das Haftungsrisiko des Managements minimiert werden66. Der Jubilar hat auch hier wegweisend gewirkt. In seiner Zeit als Vorsitzender der Aufsichtsräte des ALTE LEIPZIGER – HALLESCHE Konzerns wurde folgende Erklärung verlautbart: „Erklärung zu den Compliance-Standards Vorstand und Aufsichtsrat halten sich bei der Leitung der Gesellschaft an Gesetz, Satzung, Geschäftsordnungen und an die Regeln guter, verantwortungsbewusster Unternehmensleitung. Den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex wird nach Maßgabe der jährlichen Erklärung gemäß § 161 AktG entsprochen. Durch organisatorische Maßnahmen sorgt der Vorstand dafür, dass sich das Unternehmen und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rechtmäßig und regelgemäß verhalten und Rechtsverletzungen mit dem Ziel aufgedeckt werden, strafrechtliches Verhalten durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und das Unternehmen sowie Vermögensnachteile der Gesellschaft, die bei Rechts- und Regelverletzungen drohen, abzuwehren. Gesetzmäßiges und verantwortungsbewusstes Handeln wird durch Compliance-Standards gewährleistet, die auf unsere Geschäftstätigkeit ausgerichtet sind. Über den erreichten Stand wird der Aufsichtsrat jährlich auf der Grundlage des Berichts des ComplianceBeauftragten unterrichtet.
__________
62 63 64 65 66
(2) Zur Compliance-Funktion zählt auch die Beratung des Verwaltungs-, Management- oder Aufsichtsorgans in Bezug auf die Einhaltung der in Übereinstimmung mit dieser Richtlinie erlassenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Sie umfasst ebenfalls eine Beurteilung der möglichen Auswirkungen von Änderungen des Rechtsumfelds auf die Tätigkeit des betreffenden Unternehmens sowie die Identifizierung und Beurteilung des mit der Nichteinhaltung der rechtlichen Vorgaben verbundenen Risikos („Compliance-Risiko“).“. Bürkle (Fn. 55), BB 2007, 1797, 1799; Lutter, Aufsichtsrat und Sicherung der Legalität im Unternehmen, in FS Hüffer, 2010, S. 617, 618; Winter, Die Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats für „Corporate Compliance“, in FS Hüffer, 2010, S. 1103, 1106. Hommerich, Professionals in Organisations – oder: Vom Sinn des Syndikus, AnwBl. 2009, 406. Hommerich (Fn. 63), AnwBl. 2009, 406, 407. Siehe hierzu Wegner, Ist § 30 OWiG tatsächlich der „Königsweg“ in den BankenStrafverfahren?, NJW 2001, 1979. Benkel, WM 2008, 1139, 1140.
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Gert A. Benkel Vorstand und Aufsichtsrat sind sich einig, dass Compliance-Standards rechtmäßiges und regelgemäßes Verhalten vor allem in den Bereichen Kartellrecht, Aufsichtsrecht, Geldwäsche, Datenschutz, Insiderwissen, Außenwirtschaftsrecht, Arbeits- und Anlagensicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz gewährleisten. Ein Verhaltenskodex regelt insbesondere das Verbot jeglicher Diskriminierung sowie den Umgang mit unseren Geschäftspartnern, Vertretern staatlicher Stellen und dem Unternehmenseigentum. Oberursel (Taunus), den 7. April 2008 Der Vorstand Stertenbrink Vorsitzender
Oberursel (Taunus), den 8. Mai 2008 Der Aufsichtsrat Prof. Dr. Uwe H. Schneider Vorsitzender“
Die Erklärung zu den Compliance-Standards beruht auf einem grundlegenden Beitrag des Jubilars aus dem Jahre 200367. c) Kodex Ziffer 4.1.4. Nach dieser Regelung sorgt der Vorstand für ein angemessenes Risikomanagement und Risikocontrolling im Unternehmen. Der Kodex konkretisiert insoweit § 91 Abs. 2 AktG68 und greift europarechtliche Vorgaben auf, die über die Regelung in § 91 Abs. 2 AktG hinausgehen69. Nach § 91 Abs. 2 AktG hat der Vorstand geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Bestandsgefährdend im Sinne des § 91 Abs. 2 AktG sind solche Risiken, die ein Insolvenzrisiko erheblich steigern oder hervorrufen70. Bei Konzernmutterunternehmen ist das Überwachungssystem so einzurichten, dass für das Mutterunternehmen bestandsgefährdende Entwicklungen im Konzern frühzeitig erkannt werden71. § 91 Abs. 2 AktG gilt gemäß § 34 Satz 2 VAG für den Vorstand des VVaG, der aber auch § 64a VAG beachten muss. § 64a VAG betont die Gesamtverantwortung der Geschäftsleiter für eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation und insbesondere für ein angemessenes Risikomanagement72. Dies gilt aus Sicht der Aufsichtsbehörde unabhängig von der geschäftsleitungsinternen Zustän-
__________ 67 Uwe H. Schneider, Compliance als Aufgabe der Unternehmensleitung, ZIP 2003, 645. Siehe ferner Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, Konzern-Compliance als Aufgabe der Konzernleitung, ZIP 2007, 2061. 68 Preußner, Deutscher Corporate Governance Kodex und Risikomanagement, NZG 2004, 303, 305. 69 Vgl. Spindler, Von der Früherkennung von Risiken zum umfassenden Risikomanagement – zum Wandel des § 91 AktG unter europäischem Einfluss, in FS Hüffer, 2010, S. 985, 992. 70 Redeke, Zu den Organpflichten bei bestandsgefährdenden Risiken, ZIP 2010, 159, 161. 71 Arbeitskreis „Externe und Interne Überwachung der Unternehmung“ der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V., Auswirkungen des KonTraG auf die Unternehmensüberwachung, Beilage Nr. 11/2000 zu DB Heft Nr. 37 v. 15.9.2000, S. 1, 2. 72 Ausführlich hierzu Dreher/Schaaf, Versicherungsunternehmensrecht und Risikomanagement – Gesamtverantwortung der Geschäftsleitung, Outsourcing des Risikomanagements und konzernweites versicherungsaufsichtsrechtliches Risikomanagement –, WM 2008, 1765; Gabel/Steinhauer, Neue aufsichtsrechtliche Anforderungen für das Outsourcing durch Versicherungsunternehmen, VersR 2010, 177.
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digkeitsverteilung73. Dies ist zutreffend, da die Funktionsfähigkeit des Risikomanagements zu den Aufgaben des Gesamtvorstands zählt74. § 64a VAG ist unter Berücksichtigung des Art. 44 der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II)75 anzuwenden76. Art. 44 der Richtlinie 2009/138/EG enthält ausführliche Regelungen zum Risikomanagement, die sich in § 64a VAG bereits finden. Ein Abgleich des Art. 44 der Richtlinie 2009/138/EG mit § 64a VAG ist gleichwohl erforderlich, hier aber nicht angezeigt. d) Kodex Ziffer 4.2.3. Als variable Vergütungsteile kommen beim VVaG auf das Unternehmen bezogene aktienbasierte Vergütungselemente rechtsformspezifisch nicht in Betracht (Ziffer 4.2.3 Abs. 3 Satz 1). Eine Zusage für Leistungen aus Anlass der vorzeitigen Beendigung der Vorstandstätigkeit infolge eines Kontrollwechsels (Change of Control) soll 150 % des Abfindungs-Caps nicht übersteigen (Ziffer 4.2.3 Abs. 5)77. Die Klausel richtet sich in erster Linie an den Aufsichtsrat und soll ihn vor Großzügigkeit und leichter Hand schützen78. Eine entsprechende Klausel wird sich aus rechtsformspezifischen Gründen in Vorstandsverträgen von VVaG normalerweise nicht finden lassen. Die Klausel kann aber für den Fall Sinn machen, dass im Falle der Bildung eines Gleichordnungskonzerns die Besetzung der Vorstände von einem VVaG so dominiert wird, dass Vorstandsmitglieder des anderen VVaG sich in der Situation eines Kontrollwechsels befinden. Die Information über die Grundzüge des Vergütungssystems und deren Veränderung (Ziffer 4.2.3 Abs. 6) sowie die Beschlussfassung über die Nichtoffenlegung (Ziffer 4.2.4 Satz 3) betreffen beim VVaG die oberste Vertretung. § 120 Abs. 4 AktG, wonach die Hauptversammlung der börsennotierten Gesellschaft über die Billigung des Systems zur Vergütung der Vorstandsmitglieder beschlie-
__________ 73 Vgl. Ziffer 6.1 des Rundschreibens 3/2009 – Aufsichtsrechtliche Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk VA); dazu Michael, Rechts- und Außenwirkungen sowie richterliche Kontrolle der MaRisk VA, VersR 2010, 141. 74 Preußner/Zimmermann, Risikomanagement als Gesamtaufgabe des Vorstandes – Zugleich Besprechung des Urteils des LG Berlin vom 3.7.2002 – 2 O 358/01, AG 2002, 657, 661; Schäfer/Zeller, Finanzkrise, Risikomodelle und Organhaftung, BB 2009, 1706, 1707. 75 ABl. EG L 335 v. 17.12.2009, S. 1. 76 Weiterführend Gödeke, Das (neue) Governance-System nach Solvency II, VersR 2010, 10, 12 ff. 77 Dazu Bernhardt, Vorstände an der kurzen Abfindungs-Leine der Aufsichtsräte?, BB 2007, I; Bauer/Arnold, Abfindungs-Caps in Vorstandsverträgen – gute Corporate Governance?, BB 2007, 1793; Bittmann/Schwarz, Offenlegung von „Change of Control-Klauseln“ – Wie intransparente Gesetze für mehr Transparenz sorgen sollen –, BB 2009, 1014; Korts, Die Vereinbarung von Kontrollwechselklauseln in Vorstandsverträgen, BB 2009, 1876; Martens, Rechtliche Rahmenbedingungen der Vorstandsvergütung, in FS Hüffer, 2010, S. 647, 654 ff. 78 Lutter, Das Abfindungs-Cap in Ziff. 4.2.3 Abs. 3 und 4 des Deutschen Corporate Governance-Kodex, BB 2009, 1874.
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ßen kann79, findet rechtsformspezifisch auf VVaG keine Anwendung. Gegenwärtig ist offen, ob die Regierungskommission im Kodex die Einholung des Vergütungsvotums empfehlen wird80. Erfolgt dies, setzt die freiwillige Anwendung dieser Empfehlung voraus, dass § 120 Abs. 4 AktG in der Satzung des VVaG abgebildet wird. Denn allein über die freiwillige Entsprechenserklärung kann der obersten Vertretung durch Vorstand und Aufsichtsrat weder die Kompetenz übertragen werden, über die Billigung des Systems zur Vergütung der Vorstandsmitglieder zu beschließen, noch kann eine Erklärung über die Beachtung und Nichtbeachtung von Empfehlungen abgegeben werden, die nicht Vorstand und Aufsichtsrat betreffen. 5. Aufsichtsrat Die Regelungen zum Aufsichtsrat in Ziffer 5 des Kodex, insbesondere auch zur Vergütung81, sind im Falle der freiwilligen Anwendung des Kodex uneingeschränkt zu beachten. Wird von Empfehlungen aus unternehmensspezifischen Gründen abgewichen, ist dies – wie im Praxisfall erfolgt – zu begründen. Auf folgende Empfehlungen ist im Einzelnen einzugehen: a) Kodex Ziffer 5.3.2. Nach Satz 1 dieser Regelung soll der Aufsichtsrat einen Prüfungsausschuss (Audit Committee) einrichten, der sich insbesondere mit Fragen der Rechnungslegung, des Risikomanagements und der Compliance, der erforderlichen Unabhängigkeit des Abschlussprüfers, der Erteilung des Prüfungsauftrags an den Abschlussprüfer, der Bestimmung von Prüfungsschwerpunkten und der Honorarvereinbarung befasst82. Mit der Einrichtung eines Prüfungsausschusses soll die Effizienz der Überwachung des Vorstandes im Bereich der Rechnungslegung, der Risikofrüherkennung und der Risikosteuerung verbessert werden83. In besonderen Ausnahmefällen ist der Aufsichtsrat berechtigt, sich ohne vorherige Absprache mit dem Vorstand von Mitarbeitern des Unternehmens informieren zu lassen84. Geht man von der Organisationstheorie aus, agiert der Prüfungsausschuss als Legitimitäts- und Rechenschaftsorgan85 und trägt zur institutionellen Sicherung einer Gesellschaft unabhängig von ihrer Rechtsform bei. Ob ein Prüfungsausschuss eingerichtet wird, ist un-
__________ 79 Hierzu näher Drinhausen/Keinath, BB-Rechtsprechungs- und Gesetzgebungsreport zum Hauptversammlungsrecht 2009: Vorbereitung der Hauptversammlungssaison 2010, BB 2010, 3, 7 f. 80 Döll, Das Votum zum Vergütungssystem nach § 120 Abs. 4 AktG, WM 2010, 103, 107. 81 Im Einzelnen dazu Kort, Rechtsfragen der Höhe und Zusammensetzung der Vergütung von Mitgliedern des Aufsichtsrats einer AG, in FS Hüffer, 2010, S. 483. 82 Ausführlich hierzu Nonnenmacher/Pohle/v. Werder, Aktuelle Anforderungen an Prüfungsausschüsse – Leitfaden für Prüfungsausschüsse (Audit Committees) unter Berücksichtigung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) –, DB 2009, 1447. 83 E. Vetter (Fn. 22), BB 2005, 1689. 84 Marsch-Barner, Zur Information des Aufsichtsrates durch Mitarbeiter des Unternehmens, in FS Schwark, 2009, S. 219, 221. 85 Böcking, Prüfungsausschuss und Corporate Governance, in FS von Rosen, 2008, S. 357, 361.
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ternehmensspezifisch zu entscheiden. Die Annahme von Peltzer86, der Kodexempfehlung zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses sei schon deshalb unbedingt zu folgen, weil das Plenum mit den dem Prüfungsausschuss zugeordneten Fragestellungen in der Regel überfordert sei, reicht als Entscheidungsgrundlage nicht aus. Sieht der VVaG von der Einrichtung eines Prüfungsausschusses ab, ist dies nachvollziehbar, wenn der Aufsichtsrat überschaubar ist und durch die Einrichtung eines Prüfungsausschusses keine Effizienzsteigerung zu erwarten ist87. Allerdings entspricht es den Grundsätzen des Kodex, wenn die oberste Vertretung und der Aufsichtsrat des VVaG freiwillig dafür Sorge tragen, dass mindestens ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrats über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügt (§ 100 Abs. 5 AktG). Zwar verweist § 35 Abs. 3 Satz 1 VAG auf § 100 Abs. 5 AktG, aber nur „entsprechend“, d. h. Vorschriften des AktG, die ausdrücklich nur für kapitalmarktorientierte Aktiengesellschaften gelten, gelten grundsätzlich für VVaG nicht88, es sei denn, sie werden im Kodex behandelt und finden über die freiwillige Entsprechenserklärung Anwendung. Der letzte Fall liegt aber nicht vor. b) Kodex Ziffer 5.3.3. Gemäß Ziffer 5.3.3 soll der Aufsichtsrat einen Nominierungsausschuss bilden, der ausschließlich mit Vertretern der Anteilseigner besetzt ist und dem Aufsichtsrat für dessen Wahlvorschläge an die Hauptversammlung geeignete Kandidaten vorschlägt. Mit der Einrichtung eines Nominierungsauschusses soll erreicht werden, dass die Nachfolgeplanung für den Aufsichtsrat auch von Aufsichtsratsmitgliedern geleistet wird89. Auf den VVaG übertragen bedeutet diese Ausgangslage, dass in den Nominierungsausschuss Mitglieder des Aufsichtsrats zu entsenden sind, die von der obersten Vertretung in den Aufsichtsrat gewählt worden sind. c) Kodex Ziffer 5.4.3. Soweit in Ziffer 5.4.3 Satz 2 empfohlen wird, dass ein Antrag auf gerichtliche Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds bis zur nächsten Hauptversammlung befristet sein soll, ist bei VVaG mit der „Hauptversammlung“ die oberste Vertretung gemeint. Nach Ziffer 5.4.3 Satz 3 sollen Kandidatenvorschläge für den Aufsichtsratsvorsitz den Aktionären bekannt gegeben werden90. Für VVaG bedeutet dies, dass den Mitgliedern der obersten Vertretung diese Vorschläge zur Kenntnis zu geben sind, wenn jemand zur Wahl in den Aufsichtsrat vorgeschlagen ist und
__________ 86 Peltzer (Fn. 28), NZG 2002, 593, 599. 87 Nach Untersuchungen von Towers Perrin ein Standpunkt vieler Gesellschaften des DAX und des MDAX, vgl. die Nachweise bei Huwer, Der Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats: Aufgaben, Anforderungen und Arbeitsweise in der Aktiengesellschaft und im Aktienkonzern, 2008, S. 60. 88 A. A. offenbar Fahl, Corporate Governance im Versicherungsverein a.G.: Die Auswirkungen der Aktienrechtsreformen auf das System der Unternehmensführung und -kontrolle im VVaG, 2005, S. 210. 89 Meder, Der Nominierungsausschuss in der AG – Zur Änderung des Deutschen Corporate Governance Kodex 2007, ZIP 2007, 1538, 1540. 90 Hoffmann-Becking, Deutscher Corporate Governance Kodex – Anmerkungen zu Zulässigkeit, Inhalt und Verfahren, in FS Hüffer, 2010, S. 337, 350 f.
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bereits eine abgestimmte Absicht des Aufsichtsrats besteht, ihn anschließend zum Aufsichtsratsvorsitzenden zu wählen91. d) Kodex Ziffer 5.4.4. Gemäß Ziffer 5.4.4 Satz 1 dürfen Vorstandsmitglieder vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Ende ihrer Bestellung nicht Mitglied des Aufsichtsrats der Gesellschaft werden, es sei denn ihre Wahl erfolgt auf Vorschlag von Aktionären, die mehr als 25 % der Stimmrechte an der Gesellschaft halten (Ziffer 5.4.4 Satz 1). In letzterem Fall soll der Wechsel in den Aufsichtsratsvorsitz eine der Hauptversammlung zu begründende Ausnahme sein (Ziffer 5.4.4 Satz 2). Mit Ziffer 5.4.4. Satz 1 bildet der Kodex den durch das VorstAG geschaffenen § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG ab, der in die durch Art. 12 GG garantierte Berufsfreiheit eingreift92. Rechtssystematisch gesehen hätte der Gesetzgeber in § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG allerdings besser auf ein „Verlangen“ statt auf einen „Vorschlag“ von Aktionären abstellen sollen, die mehr als 25 % der Stimmrechte an der Gesellschaft halten93. Die Karenzzeit („cooling-off period“) soll verhindern, dass das ehemalige Vorstandsmitglied den neuen Vorstand behindert und die Bereinigung strategischer Fehler oder die Beseitigung von Unregelmäßigkeiten aus der eigenen Vorstandszeit unterbindet94. Wenn man aber hohe Kompetenz in den Aufsichtsrat bringen will, müssen langjährig erfolgreiche Vorstandsmitglieder bei der Nachfolgeplanung des Aufsichtsrats Berücksichtigung finden können. Sie sind geradezu für ein Aufsichtsratsmandat prädestiniert95, auch wenn sie in der neuen Funktion die Recht- und Zweckmäßigkeit von Entscheidungen zu beurteilen haben, die sie mindestens mitverantwortet haben96. Will sich die Gesellschaft das Know-how einer mit den Unternehmensinterna bestens vertrauten Person aus dem Vorstand für den Aufsichtsrat sichern, wird der Aufsichtsrat dies Aktionären vermitteln können, die einen entsprechenden Wahlvorschlag mit dem erforderlichen Quorum von 25 % der Stimmen in die Hauptversammlung einbringen können. Dem Aufsichtsrat steht insoweit ein Initiativrecht zu, nicht aber dem Vorstand97. Beim VVaG ist Ziffer 5.4.4 Satz 1 im Falle der freiwilligen Anwendung des Kodex mit der Maßgabe anwendbar, dass das Vorschlagsrecht für die Zuwahl von Vorstandsmitgliedern bei Mitgliedern der obersten Vertretung liegt, die allerdings für diesen Vorschlag mehr als 25 Prozent der Stimmrechte auf sich vereinigen müssen. Durch das ihnen übertragene Vorschlagsrecht werden die
__________ 91 Kremer in Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 3. Aufl. 2008, S. 272, Rz. 1055. 92 Sünner, Die Wahl von ausscheidenden Vorstandsmitgliedern in den Aufsichtsrat, AG 2010, 111, 114. 93 Vgl. Bosse, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) – Überblick und Handlungsbedarf, BB 2009, 1650, 1653. 94 BT-Drucks. 16/13433, S. 17; Lingemann (Fn. 51), BB 2009, 1918, 1923/1924. 95 Weber-Rey, „Kompetenz ehemaliger Vorstände nicht ignorieren“, Platow Recht Nr. 146 v. 18.12.2009, S. 7. 96 Jaspers, Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Unabhängigkeit eines Aufsichtsratsmitgliedes nach dem BilMoG, AG 2009, 607. 97 Sünner (Fn. 92), AG 2010, 111, 119.
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Mitglieder der obersten Vertretung gezwungen, eine bewusste Auswahlentscheidung zu treffen und sich selbst die Frage zu stellen, ob im Falle der Zuwahl des Vorstandmitglieds in den Aufsichtsrat Interessenkonflikte drohen98. Wird dem Aufsichtsrat der Wahlvorschlag im Sinne des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG frühzeitig mitgeteilt, kann der Aufsichtsrat diesen Vorschlag bei seinen Vorschlägen berücksichtigen und sich ihm ggf. anschließen99. Bei der Berücksichtigung des Wahlvorschlags hat sich der Aufsichtsrat zu vergewissern, dass ein ordnungsgemäßer Wahlvorschlag im Sinne des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG vorliegt, da ein Verstoß gegen § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG zur Nichtigkeit der Wahl führt100. Erfolgt der Wahlvorschlag der Mitglieder der obersten Vertretung nicht rechtzeitig, kann sich der Aufsichtsrat diesem Wahlvorschlag noch vor dem Wahlakt in der Versammlung der obersten Vertretung unter Neufassung seines eigenen Wahlvorschlags anschließen, da die Verwaltung an ihre eigenen Beschlussvorschläge nicht gebunden ist, solange die von der obersten Vertretung zu fassenden Beschlüsse vom Beschlussgegenstand der Tagesordnung gedeckt sind101. Haben Initiativen des Aufsichtsrats im Vorfeld der Sitzung der obersten Vertretung nicht zu einem Wahlvorschlag im Sinne des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG geführt, will der Aufsichtsrat aber an seinen Vorstellungen zur personellen Ergänzung des Aufsichtsrats festhalten, ist es mit Sinn und Zweck des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG zu vereinbaren, wenn der Aufsichtsrat das der Karenzzeit unterliegende Vorstandsmitglied der obersten Vertretung mit der Maßgabe zur Wahl vorschlägt, dass aus der Mitte der obersten Vertretung hierzu ein den Anforderungen des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG entsprechender Wahlvorschlag unterbreitet wird102. Da der Aufsichtsrat auf die vollständige Besetzung des Aufsichtsrats gemäß Satzung hinzuwirken hat, wird der Aufsichtsrat allerdings zugleich einen Wahlvorschlag für den Fall unterbreiten müssen, dass ein Wahlvorschlag gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG trotz seiner Initiative nicht zustande kommt103. Besteht nach pflichtmäßiger Beurteilung des Aufsichtsrats auf Grund der ihm bekannten Sachlage die realistische Möglichkeit, dass sich bis zum Wahltag doch noch das Quorum für einen Wahlvorschlag nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG finden lässt, liegt es im Ermessen des Aufsichtsrats, ob er vorsorglich sogleich einen anderen Kandi-
__________ 98 Thüsing, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, AG 2009, 517, 528. 99 BT-Drucks. 16/13433, S. 18; Inwinkl/Schneider, Überblick über das neue Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, WPg 2009, 971, 976; Nikolay, Die neuen Vorschriften zur Vorstandsvergütung – Detaillierte Regelungen und offene Fragen, NJW 2009, 2640, 2645. 100 Grobecker, Beachtenswertes zur Hauptversammlungssaison, NZG 2010, 165, 169. 101 Vgl. Wieneke, Beschlussfassung der Hauptversammlung in Abweichung von den Vorschlägen der Verwaltung, in FS Schwark, 2009, S. 305, 312. 102 Vgl. Hoffmann-Becking/Krieger, Leitfaden zur Anwendung des Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), Beil. zu NZG Heft 26/2009, S. 1, 8. 103 Musterwahlvorschläge für die Tagesordnung finden sich bei Krieger, Der Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat, in FS Hüffer, 2010, S. 521, 535 f.
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daten vorschlägt104. Bei dieser Entscheidung darf der Aufsichtsrat berücksichtigen, ob das an sich der Karenzzeit unterliegende Vorstandsmitglied nur unter besonderen Bedingungen, die sich auch auf den Wahlvorgang beziehen, für das Aufsichtsratsmandat zur Verfügung steht. Ziffer 5.4.4 Satz 2, wonach der Wechsel in den Aufsichtsratsvorsitz eine zu begründende Ausnahme sein soll, ist auf den VVaG anwendbar. Soll der Kandidat nach erfolgter Zuwahl in den Aufsichtsrat Aufsichtsratsvorsitzender werden, ist dies spätestens vor der anstehenden Wahl zum Aufsichtsrat der obersten Vertretung offen zu legen und zu begründen. Der Kodex schweigt allerdings dazu, wer den beabsichtigten Wechsel in den Aufsichtsratsvorsitz mitzuteilen und zu begründen hat. Hierfür kommt nur der Aufsichtsrat in Frage, da er die Nachfolge für den Aufsichtsratsvorsitz plant und umsetzt. Wer den Kandidaten für die Wahl in den Aufsichtsrat aus der Mitte der obersten Vertretung gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG vorschlägt, kann mit dem Wahlvorschlag nur die Erwartung vermitteln, dass der vorgeschlagene Kandidat anschließend vom Aufsichtsrat zum Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt wird, kann diese Wahl aber nicht durchsetzen. Die Kodexempfehlung gemäß Ziffer 5.4.4 Satz 2 wird daher nicht bezwecken wollen, dass lediglich die Erwartungshaltung der Vorschlagsberechtigten kommuniziert wird. Die Mitglieder der obersten Vertretung interessiert im Rahmen der Entscheidung über den Wahlvorschlag, was der Aufsichtsrat vorhat, nicht, was die Vorschlagsberechtigten möchten. Ist daher vom Aufsichtsrat konkret beabsichtigt, das zur Wahl anstehende Vorstandsmitglied nach erfolgter Zuwahl in den Aufsichtsrat zum Aufsichtsratsvorsitzenden zu wählen, so ist dies vom Aufsichtsrat spätestens in der Mitgliederversammlung bzw. Mitgliedervertreterversammlung vor der Wahl des Vorstandsmitglieds mitzuteilen und zu begründen (vgl. auch Ziffer 5.4.3 Satz 3). Wird der Informations- und Begründungspflicht nicht genügt, ist die Wahl anfechtbar105. e) Kodex Ziffer 5.4.5. Wer dem Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft angehört, soll insgesamt nicht mehr als drei Aufsichtsratsmandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften wahrnehmen (Ziffer 5.4.5 Satz 2). Vorstandsmitglieder von VVaG dürfen demzufolge bei freiwilliger Anwendung des Kodex nicht mehr als drei konzernexterne Aufsichtsratsmandate bei börsennotierten Gesellschaften innehaben. Aufsichtsratsmandate bei VVaG bleiben unberücksichtigt. f) Kodex Ziffer 5.6. Gemäß Ziffer 5.6 soll der Aufsichtsrat regelmäßig die Effizienz seiner Tätigkeit überprüfen. Die Effizienzprüfungen sollen die unternehmensspezifische Situation berücksichtigen106. Zu unterscheiden sind die Effizienzfelder der Überwachungseffizienz und der Partizipationseffizienz107.
__________ 104 Krieger in FS Hüffer (Fn. 103), S. 521, 534. 105 Vgl. Goette, „Zu den Rechtsfolgen unrichtiger Entsprechenserklärungen“, in FS Hüffer, 2010, S. 225, 235. 106 Schwalbach, Effizienz des Aufsichtsrats, AG 2004, 186, 188. 107 Ausführlich hierzu v. Werder, Überwachungseffizienz und Unternehmensmitbestimmung, AG 2004, 166, 168.
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Dabei macht es wenig Sinn, wenn sich der Aufsichtsrat mit endlosen Fragebögen beschäftigt108 und diese Punkt für Punkt bearbeitet109. Da VVaG nicht der paritätischen Mitbestimmung unterliegen, steht im Mittelpunkt der Überprüfung beim VVaG die Überwachungseffizienz des Aufsichtsrats110. Sie misst das Ausmaß, in dem Aufsichtsräte ihre Aufgabe der Bestellung, Beratung und Kontrolle des Vorstands im Unternehmensinteresse erfüllen111. Unabdingbare Voraussetzung dafür, dass Aufsichtsratsmitglieder ihre Überwachungsaufgaben kompetent wahrnehmen können, ist eine hohe fachliche Qualifikation112, zumindest Sachkunde, die vom ersten Tag der Mitgliedschaft an im Aufsichtsrat vorliegen sollte113, spätestens unmittelbar danach114. Mit Urteil vom 15. November 1982 hat der BGH entschieden, dass ein Aufsichtsratsmitglied diejenigen Mindestkenntnisse und Fähigkeiten besitzen oder sich aneignen muss, die es braucht, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können115. Damit hat der BGH ausdrücklich festgelegt, dass jedes Aufsichtsratsmitglied eine solche Mindestqualifikation aufweisen muss116, die im Finanzbereich auch durch nachzuweisende Fortbildung innerhalb von sechs Monaten erworben werden kann117. Die Mindestqualifikation müssen auch die Arbeitnehmervertreter erfüllen118. Sie verfügen in der Regel über wichtige Kenntnisse unternehmensinterner Vorgänge und Abläufe, die für einen leistungsfähigen Aufsichtsrat von
__________ 108 Siehe beispielhaft die Checkliste bei Seibt, Effizienzprüfung der Aufsichtsratstätigkeit – Hinweise zur Anwendung von Ziff. 5.6 Deutscher Corporate Governance Kodex –, DB 2003, 2107, 2111. 109 Bernhardt, BB-Forum: Notenkonferenz für Aufsichtsräte?, BB 2004, 457, 458. 110 Ausführlich hierzu Semler, Die Effizienzprüfung des Aufsichtsrats, in FS Raiser, 2005, S. 399, 409 ff. 111 Vgl. v. Werder (Fn. 107), AG 2004, 166, 168. 112 Vgl. v. Werder/Wieczorek, Anforderungen an Aufsichtsratsmitglieder und ihre Nominierung, DB 2007, 297, 298. 113 Hasse, Auswirkungen des Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarkt- und Versicherungsaufsicht auf die Corporate Governance von Versicherungsunternehmen, VersR 2010, 18, 24. 114 Vgl. Dreher, Die Qualifikation der Aufsichtsratsmitglieder – Rechtliche Anforderungen und Folgerungen unter besonderer Berücksichtigung der Aufsichtsratsausschüsse bei der Aktiengesellschaft –, in FS Boujong, 1996, S. 71, 76; Berger, Die neue Aufsicht über Aufsichtsräte nach dem VAG, VersR 2010, 422, 424; ebenso der Finanzausschuss des Deutschen Bundestags, vgl. Beschlussempfehlung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags zum Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktund der Versicherungsaufsicht, BT-Drucks. 16/13684 v. 1.7.2009, S. 41; dazu WeberRey, Professionalisierung von Aufsichtsräten innerhalb und außerhalb des Finanzsektors, AG 2009, R 353, R 354. 115 BGHZ 85, 293, 295 f. 116 Semler, Anforderungen an die Befähigung eines Aufsichtsratsmitglieds, in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1489, 1491. 117 Vgl. Ziffer I.1.c) des BaFin-Merkblatts zur Kontrolle von Mitgliedern von Verwaltungs- und Aufsichtsorganen gemäß KWG und VAG v. 22.2.2010, abrufbar über www.bafin.de. 118 Hafke, Anmerkungen zur Corporate Governance in der Kreditwirtschaft, in FS Hadding, 2004, S. 863, 871.
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großer Bedeutung sind119, so dass bei den Arbeitnehmervertretern die erforderliche Sachkenntnis in der Regel vorliegen wird120. Mangelnde Ausrichtung der Arbeitnehmervertreter auf das Unternehmensinteresse wird oft behauptet121, muss aber mit der Unternehmenswirklichkeit nicht allenthalben übereinstimmen. Alle Aufsichtsratsmitglieder nehmen gleichmäßig dem Unternehmensinteresse verpflichtet alle Aufsichtsratsaufgaben wahr122. Reformbedarf in Sachen Mitbestimmung wird allerdings unverändert gesehen123. 6. Transparenz Die Regelungen der Ziffern 6.1 bis 6.7 des Kodex finden rechtsformspezifisch auf VVaG weitgehend keine Anwendung. Allerdings hat der VVaG im Falle der freiwilligen Anwendung des Kodex die Mitglieder der obersten Vertretung bei Informationen gleich zu behandeln (Ziffer 6.3 Satz 1). Ferner ist die Empfehlung zu beachten, dass die Gesellschaft sämtliche neuen Tatsachen, die Finanzanalysten und vergleichbaren Adressaten mitgeteilt worden sind, unverzüglich der obersten Vertretung zur Verfügung stellt (Ziffer 6.3 Satz 2). Zur zeitnahen und gleichmäßigen Information der obersten Vertretung soll die Gesellschaft, also der VVaG, geeignete Informationsmedien, wie etwa das Internet, nutzen (Ziffer 6.4). Zu beachten ist schließlich Ziffer 6.8 Satz 1 und 2 des Kodex. Nach dieser Regelung sollen von der Gesellschaft veröffentlichte Informationen über das Unternehmen auch über die Internetseite der Gesellschaft zugänglich sein. Die Internetseite soll übersichtlich gegliedert sein. Diesen Vorgaben wird von VVaG im Allgemeinen entsprochen, auch wenn sie den Kodex nicht freiwillig beachten. Nicht von Interesse ist für national aufgestellte VVaG die Anregung in Ziffer 6.8 Satz 3 des Kodex, wonach Veröffentlichungen auch in englischer Sprache erfolgen sollten. 7. Rechnungslegung und Abschlussprüfung a) Kodex Ziffer 7.1.1. Veröffentlicht der VVaG als nicht börsennotierte Gesellschaft keine Halbjahresberichte, Zwischenmitteilungen oder Quartalsfinanzberichte sowie keinen verkürzten Konzernabschluss, ist hierauf in der Entspre-
__________ 119 Kirsten, Deutscher Corporate Governance Kodex: Die rechtmäßige Besetzung von Aufsichtsratsausschüssen am Beispiel des Prüfungsausschusses, BB 2004, 173, 175. 120 Fischer/Lepper, Krisenbedingte Verschärfung der Befugnisse der BaFin – Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarkt- und Versicherungsaufsicht, BB 2009, 962, 963. 121 Vgl. Sünner, Effizienz von Unternehmensorganen als Grundsatz der Corporate Governance, AG 2000, 492, 497; Peltzer, Die Unvereinbarkeit des Mitbestimmungsgesetzes 76 mit guter Corporate Governance und darauf zielende Verbesserungsvorschläge: Versuch einer Evaluierung, in FS Schwark, 2009, S. 707, 720. 122 Windbichler, Die Rolle von Amtsträgern der Betriebsverfassung im Aufsichtsrat, in FS Schwark, 2009, S. 805, 813. 123 Einzelheiten bei v. Rosen, Kapitalmarkt und Mitbestimmung, in FS Schwark, 2009, S. 789.
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chenserklärung einzugehen. Dies gilt gleichermaßen, wenn der Konzernabschluss zwar dem geltenden nationalen Recht (HGB) entspricht, nicht aber unter Beachtung der einschlägigen internationalen Rechnungslegungsgrundsätze aufgestellt ist, weil eine Umstellung auf internationale Rechnung (IAS/IFRS) zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen soll. b) Kodex Ziffer 7.1.2. Halbjahres- und etwaige Quartalsfinanzberichte sollen vom Aufsichtsrat oder seinem Prüfungsausschuss vor der Veröffentlichung mit dem Vorstand erörtert werden (Ziffer 7.1.2 Satz 2). Werden diese Berichte nicht veröffentlicht, entfällt die Erörterungspflicht. Die Nichtanwendung der Vorschrift ist in der Entsprechenserklärung zu verdeutlichen. In Ziffer 7.1.2 Satz 3 wird auf die Befugnis der Prüfstelle für Rechnungslegung hingewiesen, die Übereinstimmung des Konzernabschlusses mit den maßgeblichen Rechnungsvorschriften zu überprüfen. Das Enforcementverfahren dient dem Ziel, das durch vorausgegangene nationale und internationale Bilanzmanipulationen und Unternehmensskandale erschütterte Vertrauen der Anleger am Kapitalmarkt in die Richtigkeit von Unternehmensabschlüssen zu stärken und die Integrität und Stabilität des Kapitalmarktes zu fördern124. Geprüft werden gemäß § 342b Abs. 2 Satz 2 HGB Abschlüsse und Berichte von Unternehmen, deren Wertpapiere im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 WpHG an einer inländischen Börse zum Handel im regulieren Markt zugelassen sind. Bedeutung entfaltet diese Vorschrift für VVaG, die Genussscheine emittiert haben, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 a) WpHG125. Gemäß § 290 Abs. 1 Satz 1 HGB ist der Konzernabschluss in den ersten fünf Monaten des Konzerngeschäftsjahrs für das vergangene Konzerngeschäftsjahr aufzustellen. Der Kodex sieht demgegenüber vor, dass der Konzernabschluss binnen 90 Tagen nach Geschäftsjahresende öffentlich zugänglich sein soll (Ziffer 7.1.2 Satz 4). Mit dieser Empfehlung geht der Kodex über die gesetzlichen Vorgaben hinaus. Wird diese Empfehlung nicht umgesetzt, reicht es für die Abweichungsbegründung aus, wenn darauf hingewiesen wird, dass für den VVaG als nicht börsennotierte Gesellschaft die Einhaltung der gesetzlichen Frist als ausreichend erachtet wird. Zwischenberichte sollen binnen 45 Tagen nach Ende des Berichtszeitraums öffentlich zugänglich sein (Ziffer 7.1.2 Satz 4). Werden Zwischenberichte nicht erstattet, ist der Hinweis auf die fehlende Börsennotierung ausreichend, um die Abweichung von der Empfehlung zu begründen. c) Kodex Ziffer 7.1.3. Der Corporate Governance Bericht soll konkrete Angaben über Aktienoptionsprogramme und ähnliche wertpapierorientierte Anreiz-
__________ 124 OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 24.11.2009 – WpÜG 11 und 12/09, NZG 2010, 63, 64 = AG 2010, 79, 81; dazu Favoccia/Stoll, Der vorläufige Rechtsschutz beim Rechnungslegungs-Enforcement, NZG 2010, 125; Merkner/Schmidt-Versteyl, Völliger Verzicht auf Prognoseberichterstattung im (Konzern-)Lagebericht als im Enforcementverfahren zu beanstandender Fehler, NZG 2010, 175. 125 Laakmann, Freiwillige Bindung gut für’s Rating: TransPuG und Corporate Governance-Kodex bei Gegenseitigkeitsvereinen, VW 2002, 381, 382.
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systeme der Gesellschaft enthalten. Rechtsformspezifisch findet diese Empfehlung keine Anwendung. d) Kodex Ziffer 7.1.4. Die Gesellschaft soll eine Liste von Drittunternehmen veröffentlichen, an denen sie eine Beteiligung von für das Unternehmen nicht untergeordneter Bedeutung hält. Weicht der VVaG hiervon ab, muss er die Gründe in der Entsprechenserklärung erläutern. e) Kodex Ziffer 7.1.5. Im Konzernabschluss sollen Beziehungen zu Aktionären erläutert werden, die im Sinne der anwendbaren Rechnungslegungsvorschriften als nahe stehende Personen zu qualifizieren sind. Diese Empfehlung findet rechtsformspezifisch keine Anwendung. f) Kodex Ziffer 7.2. Der Anwendung der Regelungen der Ziffer 7.2 zur Abschlussprüfung stehen rechsformspezifisch keine Gründe entgegen. Es entspricht auch beim VVaG guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung die Empfehlungen zum Abschlussprüfer zu beachten. Wird der Kodex freiwillig angewendet, sind die Grundsätze des einschlägigen IDW Prüfungsstandards126 unter Berücksichtigung ggf. bestehender rechtsformspezifischer Besonderheiten bei der Prüfung des Jahres- bzw. Konzernabschlusses entsprechend anzuwenden127. Hinzuweisen ist lediglich auf Folgendes: Gemäß Ziffer 7.2.3 Abs. 1 soll der Aufsichtsrat vereinbaren, dass der Abschlussprüfer über alle für die Aufgaben des Aufsichtsrats wesentlichen Feststellungen und Vorkommnisse unverzüglich berichtet, die sich bei der Durchführung der Abschlussprüfung ergeben. Eine solche unverzügliche Information des Aufsichtsrats kommt insbesondere für solche Feststellungen und Vorkommnisse in Betracht, deren kurzfristige Kenntnis z. B. aus Gründen der Eilbedürftigkeit erforderlicher Gegenmaßnahmen eine zeitnahe Information des Aufsichtsrats erfordert oder die die Integrität des Vorstands betreffen128. Ferner soll der Aufsichtsrat vereinbaren, dass der Abschlussprüfer ihn informiert bzw. im Prüfungsbericht vermerkt, wenn er bei Durchführung der Abschlussprüfung Tatsachen feststellt, die eine Unrichtigkeit der von Vorstand und Aufsichtsrat abgegebenen Erklärung zum Kodex ergeben (Ziffer 7.2.3 Abs. 2). Der Inhalt der Entsprechenserklärung ist allerdings nicht Gegenstand der Abschlussprüfung129. Der Abschlussprüfer prüft nicht die materielle Richtigkeit der Kodexerklärung130. Ziffer 7.2.4 geht auf die auch für den VVaG geltende Gesetzeslage ein. Danach nimmt der Abschlussprüfer an den Beratungen des Aufsichtsrats über den
__________ 126 IDW PS 345 – Auswirkungen des Deutschen Corporate-Governance-Kodex auf die Abschlussprüfung (Stand: 1.7.2003), WPg 2003, 1002. 127 IDW PS 345 Tz. 6, (Fn. 126), WPg 2003, 1002, 1003. 128 IDW PS 345 Tz. 58, (Fn. 126), WPg 2003, 1002, 1009. 129 IDW PS 345 Tz. 3, (Fn. 126), WPg 2003, 1002, 1003 u. Anhang 1, WPg 2003, 1002, 1009. 130 Gelhausen/Hönsch (Fn. 27), AG 2002, 529, 535; Wieland-Blöse (Fn. 28), GmbHR 2002, R 277, R 278; Melcher/Mattheus, Zum Referentenentwurf des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG): Lageberichterstattung, Risikomanagement-Bericht und Corporate Governance-Statement, DB 2008, 52, 55.
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Jahres- und Konzernabschluss teil und berichtet über die wesentlichen Ergebnisse seiner Prüfung. Hält der Prüfer Verbesserungsmaßnahmen zum Risikoüberwachungssystem der Gesellschaft für nötig, ist er gehalten, den Aufsichtsrat von sich aus darauf hinzuweisen131. Wenn der Aufsichtsrat bei der Beauftragung des Prüfers besondere Prüfungsschwerpunkte bezeichnet hat, muss der Bericht des Abschlussprüfers hierzu Aussagen enthalten132.
IV. Rechtsfolgen unrichtiger Entsprechenserklärungen 1. Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat Die allgemeine Sorgfaltspflicht des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG führt bei Abgabe der Entsprechenserklärung zu einer Pflicht der Organmitglieder, den eigenen Beschluss zur Entsprechenserklärung zu befolgen und darüber hinaus zu einer internen Organisations- und Überwachungspflicht hinsichtlich der Umsetzung der Organbeschlüsse zum Kodex133. Dies gilt gleichermaßen, wenn die Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG freiwillig abgegeben wird. Wird gegen die Erklärungspflicht aus § 161 AktG verstoßen, der eine so genannte „gebundene Entscheidung“ zugrunde liegt134, so liegt hierin eine Pflichtverletzung im Sinne des § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG, die einen Schadensersatzanspruch der Gesellschaft auslösen kann135. Allerdings wird sich ein Schadensersatzanspruch kaum realisieren lassen. In der Regel werden sich die Organmitglieder darauf berufen können, dass die Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG vom Hausjuristen als verlässlicher Auskunftsperson sachkundig vorbereitet worden ist136. Außerdem wird ein kausaler Schaden der Gesellschaft in der Regel nicht nachweisbar sein137. Von daher wird die Abgabe einer unrichtigen oder unvollständigen Entsprechenserklärung nur in seltenen Ausnahmefällen zur Abberufung eines Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieds nach § 84 Abs. 3 bzw. § 103 Abs. 3 AktG Anlass geben138. Eine Außenhaftung bei einem Verstoß gegen § 161 AktG kommt zwar gemäß § 826 BGB in Betracht. Eine vorsätzliche sit-
__________ 131 Kropff, Der Abschlussprüfer in der Bilanzsitzung des Aufsichtsrats, in FS Müller, 2001, S. 481, 486. 132 Kropff in FS Müller (Fn. 131), S. 481, 486. 133 Lutter (Fn. 28), ZHR 166 (2002), 523, 541. 134 Vgl. Uwe H. Schneider, Die Haftung von Mitgliedern des Vorstands und der Geschäftsführer bei Vertragsverletzungen der Gesellschaft, in FS Hüffer, 2010, S. 905, 908. 135 Lutter (Fn. 28), ZHR 166 (2002), 523, 543; Berg/Stöcker, Anwendungs- und Haftungsfragen zum Deutschen Corporate Governance Kodex, WM 2002, 1569, 1575, 1577; Körner, Comply or disclose: Erklärung nach § 161 AktG und Außenhaftung des Vorstands, NZG 2004, 1148, 1149; Fleischer in Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 7 Rz. 35; Kort, Corporate Governance-Grundsätze als haftungsrechtlich relevante Verhaltensstandards?, in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 945, 947. 136 Vgl. Fleischer, Rechtsrat und Organwalterhaftung im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, in FS Hüffer, 2010, S. 187, 192. 137 Bachmann, Der „Deutsche Corporate Governance Kodex“: Rechtswirkungen und Haftungsrisiken, WM 2002, 2137, 2142. 138 Goette in FS Hüffer (Fn. 105), S. 225, 231.
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tenwidrige Schädigung bei der Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG scheidet aber im Allgemeinen aus139. 2. Anfechtbarkeit von Beschlüssen der obersten Vertretung Ist die Entsprechenserklärung gemäß § 161 Satz 1 AktG von vornherein in einem nicht unwesentlichen Punkt unrichtig oder wird sie bei einer später eintretenden Abweichung von den Kodex-Empfehlungen in einem solchen Punkt nicht umgehend berichtigt, so liegt darin ein Gesetzesverstoß, der dem Verstoß zuwider gefasste Beschlüsse anfechtbar macht (§ 243 Abs. 1 AktG)140. Die unrichtige oder unvollständige Erteilung von Informationen im Wege der Entsprechenserklärung ist aber nach der in diesem Zusammenhang zu beachtenden Wertung in § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG nur von Bedeutung, wenn die Informationserteilung als Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung der Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte anzusehen ist141. Wird die Empfehlung gemäß Ziffer 5.5.3 Satz 1 nicht befolgt, sind die Entlastungsbeschlüsse für Vorstand und Aufsichtsrat für nichtig zu erklären, wenn die Entsprechenserklärung hinsichtlich der Einhaltung der Empfehlung Ziffer 5.5.3 Satz 1 unrichtig geworden und nicht berichtigt worden ist142. Denn die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG stellt eine gewichtige Beurteilungsgrundlage für die Entscheidung zur Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat dar143. Entsprechendes gilt bei den Wahlen zum Aufsichtsrat, wenn gegen Ziffer 5.4.3 bis Ziffer 5.4.5 verstoßen wird144. Diese Rechtsgrundsätze finden auf den VVaG Anwendung, wenn Vorstand und Aufsichtsrat die Entsprechenserklärung freiwillig abgeben. Denn spätestens im Zuge der Entgegennahme des festgestellten Jahresabschlusses und des Lageberichts nehmen die Mitglieder der obersten Vertretung von der freiwilligen Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG Kenntnis und treffen über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat eine sachgerechte Entscheidung auch auf der Grundlage dieser Entsprechenserklärung. Zum einen entscheiden sie an dieser Stelle indirekt über die Befugnis zur Abgabe der freiwilligen Entsprechenserklärung durch Vorstand und Aufsichtsrat und zum anderen, ob diese Organe sich entsprechend der freiwilligen Selbstbindung verhalten haben. Dies rechtfertigt die Anwendung des § 243 Abs. 1 AktG, selbst wenn die freiwillige Abgabe der Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG nicht in der Satzung und/oder den Geschäftsordnungen für den Vorstand und den Aufsichtsrat verankert ist145.
__________
139 Kort, Die Außenhaftung des Vorstands bei der Abgabe von Erklärungen nach § 161 AktG, in FS Raiser, 2005, S. 203, 215, 216. 140 Vgl. Goette in FS Hüffer (Fn. 105), S. 225, 235. 141 Vgl. BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, BB 2009, 2725, 2727 m. Anm. Schulz = DB 2009, 2422, 2425 (Axel Springer AG). 142 Vgl. BGH, Urt. v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BB 2009, 796, 799 = DB 2009, 500 (Kirch ./. Deutsche Bank); BGH, Urt. v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, BB 2009, 2725, 2727 m. Anm. Schulz = DB 2009, 2422, 2425 (Axel Springer AG). 143 OLG München, Urt. v. 19.11.2008 – 7 U 2405/08, AG 2009, 450, 452. 144 Vgl. Goette in FS Hüffer (Fn. 105), S. 225, 235. 145 Zu diesen Möglichkeiten vgl. Ringleb in Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 3. Aufl. 2008, S. 344, Rz. 1543.
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V. Ausblick Der Kodex kann den Besonderheiten der Versicherungsbranche nicht Rechnung tragen, weil er Geltung für alle Unternehmensbranchen beansprucht. Als Besonderheiten, die auch Eingang in die Verfassung der Versicherungsunternehmen gefunden haben, sind zu nennen: Erstens die Rechtsformoptionen, die nur der Versicherungsbranche offen stehen, zweitens die besonderen Funktionsträger, die das Gesetz nur für die Versicherungsbranche normiert hat, und drittens die völlig unterschiedlichen Typen, in denen Versicherung begrifflich organisiert sein kann146. Bei den besonderen Funktionsträgern handelt es sich um den Verantwortlichen Aktuar, den Treuhänder für das Sicherungsvermögen sowie den Prämien- und Bedingungstreuhänder, die von Schünemann als Sonderorgane bezeichnet werden147. Eine Abbildung der Besonderheiten der Versicherungsbranche bzw. der VVaG in einem eigenen Kodex könnte zum Verständnis des Geschäftsmodells der Versicherer und insbesondere der VVaG148 einen wertvollen Beitrag leisten. Wird der Kodex unternehmenseigen ausgestaltet, kann er sogar der eigenen Imagepflege dienen149.
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Vgl. Schünemann (Fn. 12), VW 2003, 26, 27. Schünemann (Fn. 12), VW 2003, 26, 28. So schon Weigel in Prölss, VAG, 12. Aufl. 2005, Vor § 15 VAG Rz. 176. Vgl. Hütten, Unternehmenseigener Corporate-Governance-Kodex – Zulässigkeit und Sinnhaftigkeit in Zeiten von TransPuG und Deutschem Kodex, BB 2002, 1740, 1742.
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Angebotspflicht auf Grund Acting in Concert bei Aufsichtsratswahlen? Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Acting in Concert nach § 30 Abs. 2 WpÜG 1. Überblick 2. Die Änderungen durch das Risikobegrenzungsgesetz 3. Europarechtliche Vorgaben III. Fallgruppen 1. Gegenstand und Ziel der Abstimmung a) Verständigung über Stimmrechtsausübung b) Zusammenwirken in sonstiger Weise 2. Art der Abstimmung a) Vereinbarung
b) Abstimmung in sonstiger Weise 3. Abstimmung im Einzelfall 4. Stimmrechtskoordination im Aufsichtsrat IV. Rechtsfolgen 1. Herrschende Lehre und Verwaltungspraxis 2. Keine Zurechnung ohne Einflusspotential V. Acting in Concert nach § 22 Abs. 2 WpHG 1. Gleichlauf der Stimmrechtsanteile? 2. Irritationen am Kapitalmarkt? VI. Ergebnisse
I. Einleitung Die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft werden durch die Hauptversammlung grundsätzlich mit einfacher Stimmenmehrheit gewählt (§ 133 Abs. 1 AktG). Ein Aktionär, der über eine Hauptversammlungsmehrheit verfügt, kann daher sämtliche auf die Anteilseignerseite entfallenden Aufsichtsratssitze besetzen. Ein institutionalisierter Minderheitenschutz besteht nicht. Dessen ungeachtet entspricht es bei börsennotierten Gesellschaften langjähriger (und guter) Praxis, im Vorfeld von Aufsichtsratswahlen Absprachen zwischen den Großaktionären zu treffen. Dadurch soll gewährleistet werden, dass bei der Wahl auch Kandidaten berücksichtigt werden, die das besondere Vertrauen der betreffenden Großaktionäre genießen. Seit Inkrafttreten des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes Anfang 2002 ist die Frage, ob entsprechende Stimmrechtskoordinationen einen Fall des Acting in Concert nach § 30 Abs. 2 WpÜG darstellen, heftig umstritten1. Die
__________ 1 Vgl. dazu BGHZ 169, 98 ff.; OLG Frankfurt/M., ZIP 2004, 1309 ff.; OLG München, ZIP 2005, 856 f.; LG Hamburg, ZIP 2007, 427 ff. sowie die Darstellungen beispielsweise bei von Bülow in KölnKomm.WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 30 WpÜG Rz. 272 ff.; Casper in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 55; Diekmann in
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Christoph von Bülow
Thematik ist deshalb von besonderer Brisanz, weil nach § 35 Abs. 1 WpÜG die Kontrolle über eine Zielgesellschaft schon infolge einer bloßen Stimmrechtszurechnung nach § 30 WpÜG erlangt werden kann2. Der Kontrollerwerber wäre dann zur Abgabe eines Pflichtangebots nach § 35 Abs. 2 WpÜG verpflichtet. Entsprechende Diskussionen gibt es auch zu der seit Anfang 2002 mit § 30 Abs. 2 WpÜG nahezu wortlautidentisch gefassten Zurechnungsnorm des § 22 Abs. 2 WpHG. Eine Stimmrechtszurechnung auf Grund Acting in Concert nach § 22 Abs. 2 WpHG kann zwar nur Mitteilungspflichten nach §§ 21 Abs. 1, 25 Abs. 1 sowie § 27a Abs. 1 WpHG auslösen. Die schuldhafte Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 21 Abs. 1 WpHG ist jedoch durch den für diesen Fall in § 28 WpHG angeordneten Rechtsverlust3 scharf sanktioniert. Angebliche Rechtsverluste nach § 28 WpHG werden insbesondere von sog. Berufsklägern gern als juristischer Hebel bemüht. Die insoweit bestehenden wesentlichen Streitfragen werden nachfolgend am Beispiel der Abstimmung bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern erörtert, wobei Schwerpunkt der Betrachtung die Zurechnungsnorm des § 30 Abs. 2 WpÜG ist. Uwe H. Schneider hat vielfältig auf die Gefahr der Umgehung kapitalmarktrechtlicher Pflichten hingewiesen4. § 30 Abs. 2 WpÜG dient zweifelsohne auch dem Zweck, Vermeidungsstrategien zu erschweren. Dennoch besteht – wie zu zeigen sein wird – für eine grundsätzlich extensive Auslegung der Zurechnungsnorm keine Veranlassung5.
II. Acting in Concert nach § 30 Abs. 2 WpÜG 1. Überblick Nach § 35 Abs. 1 und 2 WpÜG muss jeder, der unmittelbar oder mittelbar die Kontrolle über eine Zielgesellschaft mit satzungsmäßigem Sitz in der Bundesrepublik Deutschland6 erlangt, dies veröffentlichen und im Anschluss daran ein sog. Pflichtangebot abgeben. Nach § 29 Abs. 2 WpÜG ist „Kontrolle“ das Halten eines Stimmrechtsanteils von mindestens 30 %. Um auch tatsächlich oder potentiell bestehende Einflussmöglichkeiten des Bieters auf Stimmrechte Dritter zu erfassen, ordnet § 30 WpÜG an, dass dem Bieter unter bestimmten
__________
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Baums/Thoma, WpÜG, 2004 § 30 WpÜG Rz. 79; Uwe H. Schneider in Assmann/ Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 30 WpÜG Rz. 111; ders., WM 2006, 1321 ff.; ders., ZGR 2007, 440 ff.; Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 21 f. von Bülow (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 243; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 35 WpÜG Rz. 103. Vgl. dazu z. B. Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 28 WpHG Rz. 23 ff. Vgl. etwa Uwe H. Schneider/Anzinger, ZIP 2009, 1. Ebenso OLG Frankfurt/M., ZIP 2004, 1309, 1312. Vgl. die Regelungen zum sachlichen Anwendungsbereich des WpÜG in § 1 Abs. 1 und 2 WpÜG i. V. m. § 1 WpÜG-Anwendbarkeitsverordnung.
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Voraussetzungen Stimmrechte aus Aktien Dritter zugerechnet werden7. Ähnlich wie andere Normen des Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrechts erfasst § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG das bewusste Zusammenwirken von Aktionären mit dem Ziel einer Einflussbündelung. Danach werden einem Bieter die Stimmrechte jedes Dritten zugerechnet, mit dem der Bieter sein Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft unmittelbar oder – z. B. durch ein Tochterunternehmen – mittelbar abstimmt. Es erfolgt eine personenbezogene Stimmrechtszurechnung. Jedoch ist nach § 30 Abs. 2 Sätze 1 und 3 WpÜG nur derjenige Stimmrechtsanteil des Dritten zuzurechnen, der sich aus der Summe der von dem Dritten unmittelbar gehaltenen zuzüglich der ihm nach § 30 Abs. 1 WpÜG zugerechneten Stimmrechten ergibt. Nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG führt jede Verhaltensabstimmung in Bezug auf eine Zielgesellschaft zur Stimmrechtszurechnung, sofern diese nicht nur im Einzelfall erfolgt. § 30 Abs. 2 Satz 2 WpÜG engt diesen sehr weit gefassten Gesetzeswortlaut jedoch ein. Danach setzt ein abgestimmtes Verhalten voraus, dass der Bieter oder sein Tochterunternehmen und der Dritte sich entweder über die Ausübung von Stimmrechten bei der Zielgesellschaft verständigen (Alt. 1) oder mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft in sonstiger Weise zusammenwirken (Alt. 2). Nach Vorstellung des Gesetzgebers handelt es sich bei § 30 Abs. 2 Satz 2 WpÜG um eine Legaldefinition des Begriffs des „abgestimmten Verhaltens“8. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich hingegen, dass diese lediglich bestimmte Mindestvoraussetzungen für eine Stimmrechtszurechnung auf Grund Acting in Concert normiert. Dass ein abgestimmtes Verhalten i. S. d. § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG stets vorliegt, wenn eine der Tatbestandsalternativen des § 30 Abs. 2 Satz 2 WpÜG erfüllt ist, besagt diese nicht. Dies weist den Weg zu der unter teleologischen Gesichtspunkten gebotenen einschränkenden Auslegung der Vorschrift. 2. Die Änderungen durch das Risikobegrenzungsgesetz In seinem WMF-Urteil vom 18. September 20069 entschied der BGH, dass die Zurechnungsnorm des § 30 Abs. 2 WpÜG a. F. ausschließlich Abstimmungen über die Stimmrechtsausübung in Hauptversammlungen, nicht aber ein sonstiges koordiniertes Vorgehen erfasst. In der Praxis üben Investoren jedoch oft gemeinsam Druck auf die Verwaltung aus, ohne sich zugleich über die Ausübung von Stimmrechten in der Hauptversammlung abzustimmen10. Dass solche koordinierten Versuche der Einflussnahme nicht von der Zurechnungs-
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7 Sonderregelungen bestehen im Fall von Aktien im Sondervermögen von Kapitalanlagegesellschaften, ausländischen Investmentvermögen und Investmentaktiengesellschaften nach § 32 Abs. 2 und 3 bzw. § 99 Abs. 3 und 5 InvG, vgl. dazu von Bülow (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 77 ff. 8 Bericht des Finanzausschusses zum RisikobegrenzungsG, BT-Drucks. 16/9821, S. 12 i. V. m. S. 13. 9 BGHZ 169, 98 ff. 10 Vgl. die etwa Presseerklärung der BaFin v. 19.10.2005 in Sachen Deutsche Börse AG / London Stock Exchange plc.
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vorschrift des § 30 Abs. 2 WpÜG a. F. erfasst waren, wurde verbreitet als unbefriedigend angesehen. Deshalb erweiterte der Gesetzgeber im Rahmen des sog. Risikobegrenzungsgesetzes11 den Tatbestand des Acting in Concert nach § 30 Abs. 2 WpÜG (sowie die Parallelvorschrift des § 22 Abs. 2 WpHG) um bestimmte Fälle eines koordinierten Zusammenwirkens von Aktionären außerhalb der Hauptversammlung. 3. Europarechtliche Vorgaben Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Übernahmerichtlinie12 müssen die Mitgliedstaaten jeden, der infolge des Erwerbs von Stammaktien einer börsennotierten Gesellschaft mit Sitz in dem Mitgliedstaat die Kontrolle über die Gesellschaft erlangt, zur Abgabe eines Angebots an die außenstehenden Aktionäre verpflichten. Der prozentuale Anteil der Stimmrechte, der eine „Kontrolle“ im vorgenannten Sinne begründet, und die Art der Berechnung dieses Anteils sind gemeinschaftsrechtlich nicht vorgegeben. Diese sind durch den zuständigen Mitgliedstaat zu bestimmen (Art. 5 Abs. 3 Übernahmerichtlinie). Andererseits schreibt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 lit. d) Übernahmerichtlinie vor, dass eine Angebotspflicht auch dann bestehen muss, wenn die Kontrolle in Folge des Beteiligungserwerbs durch eine gemeinsam handelnde Person erlangt wird. Mülbert sieht diese Regelung als verbindliche Vorgabe für die Ausgestaltung der Zurechnungsnorm des Acting in Concert an, der durch eine richtlinienkonforme Auslegung von § 30 Abs. 2 WpÜG Rechnung zu tragen sei13. Allerdings ist in Art. 5 Abs. 1 Übernahmerichtlinie lediglich festgelegt, dass eine Angebotspflicht auch für den Fall vorzusehen ist, dass die Kontrolle in Folge Zuerwerbs von Aktien durch eine i. S. d. Art. 2 Abs. 1 lit. d) Übernahmerichtlinie gemeinsam handelnde Person erlangt wird. Vorgaben für die Zurechnung von Stimmrechten für die Zwecke der Berechnung des relevanten Stimmrechtsanteils sind darin nicht enthalten14. Somit bestehen keine besonderen europarechtlichen Vorgaben für die Auslegung von § 30 Abs. 2 WpÜG.
III. Fallgruppen Abstimmungen zwischen Aktionären börsennotierter Gesellschaften über die Besetzung des Aufsichtsrats können auf verschiedenste Art und Weise, mit unterschiedlichen Zielen und einmalig oder langfristig erfolgen. Bei Beantwortung der Frage, ob eine Stimmrechtskoordination im Zusammenhang mit Aufsichtsratswahlen zu einer Stimmrechtszurechnung nach § 30 Abs. 2 WpÜG führt, ist deshalb entsprechend zu unterscheiden.
__________ 11 Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken v. 12.8. 2008, BGBl. I 2008, S. 1666. 12 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EU L 142/12 v. 30.4.2004. 13 Mülbert, NZG 2004, 633, 637 und 641; so auch Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 307 f. 14 Veil in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1661 ff.
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1. Gegenstand und Ziel der Abstimmung Eine Abstimmung nach § 30 Abs. 2 WpÜG kann durch eine Verständigung über die Ausübung von Stimmrechten oder in sonstiger Weise erfolgen. Ein bloßer Informations- oder Meinungsaustausch über Wahlen zur Besetzung von Aufsichtsratspositionen führt somit unter keinen Umständen zu einer Stimmrechtszurechnung, und zwar auch dann nicht, wenn dieser regelmäßig vor Aufsichtsratswahlen erfolgt15. Denn dabei kommt es nicht zwangsläufig auch zu einer entsprechenden Abstimmung zwischen den Parteien, die Voraussetzung für ein Acting in Concert nach § 30 Abs. 2 WpÜG ist16. a) Verständigung über Stimmrechtsausübung Bei börsennotierten Gesellschaften wird regelmäßig angestrebt, dass wesentlich beteiligte Aktionäre jeweils mit einer oder mehreren Personen ihres Vertrauens im Aufsichtsrat der Gesellschaft „repräsentiert“ sind. Zu diesem Zweck stimmen sich die Großaktionäre dahingehend ab, dass sie die von ihnen jeweils nominierten Kandidaten für vakante Aufsichtsratssitze wechselseitig unterstützen. Solche Absprachen erfolgen ohne strategische Zielsetzung, insbesondere nicht mit dem Ziel der Einflussnahme auf die Unternehmenspolitik der Zielgesellschaft. Ob eine entsprechende Abstimmung unter den Tatbestand des § 30 Abs. 2 WpÜG fällt, ist dennoch nicht unumstritten. Nach dem Wortlaut des § 30 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 WpÜG fällt jede Verständigung über die Ausübung von Stimmrechten bei der Zielgesellschaft unter die Norm. Die teleologische Auslegung der Vorschrift führt jedoch zu einem anderen Ergebnis. Die Regelungen des WpÜG zum Pflichtangebot sollen gewährleisten, dass die außenstehenden Aktionäre der Gesellschaft ein Austrittsrecht (in Form einer Desinvestitionsmöglichkeit an den Kontrollerwerber) im Fall einer wesentlichen, für die Unternehmenspolitik potentiell relevanten Änderung der gesellschaftsinternen „Machtverhältnisse“ haben. Versteht man § 35 WpÜG hingegen primär als Regelung zum sog. Konzerneingangsschutz17, soll den außenstehenden Aktionären die Möglichkeit gegeben werden, ihr Investment im Hinblick auf eine bereits eingetretene oder möglicherweise bevorstehende faktische Konzernierung der Zielgesellschaft zu beenden. In Erwägungsgrund (9) der Übernahmerichtlinie wird schließlich zur Begründung der Angebotspflicht auf das Schutzbedürfnis der außenstehenden Aktionäre der Zielgesellschaft abgestellt. Letztlich wird die Angebotspflicht stets mit der bereits erfolgten oder aber möglichen Änderung der innergesellschaftlichen Machtverhältnisse bei der Zielgesellschaft gerechtfertigt und begründet. Da nach § 35 Abs. 1 WpÜG auch derjenige, der nur mittelbar die Kontrolle über eine Zielgesellschaft erlangt, ein sog. Pflichtangebot für die Zielgesellschaft
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15 OLG Stuttgart, ZIP 2004, 2232, 2238 zu § 22 WpHG; von Bülow (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 217; Drinkuth in Hdb. börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 60 Rz. 206; Uwe H. Schneider, WM 2006, 1321, 1323 f. 16 Bericht des Finanzausschusses zum RisikobegrenzungsG (Fn. 8), S. 11 i. V. m. S. 13. 17 Statt aller Hasselbach in KölnKomm.WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 35 WpÜG Rz. 10 m. w. N.
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abgeben muss18, darf daher – spiegelbildlich – auch die Zurechnungsnorm des § 30 Abs. 2 WpÜG nur solche Stimmrechtsabsprachen erfassen, die eine Neuausrichtung der Unternehmenspolitik zur Folge haben können. Schon zu § 30 Abs. 2 WpÜG a. F. war es deshalb ganz h. M. in Rechtsprechung19 und Literatur20, dass eine Stimmrechtszurechnung nur dann in Betracht kommt, wenn die Abstimmung eine nachhaltige Einflussnahme auf die Gesellschaft bezweckte. Die Abstimmung musste Sachverhalte betreffen, die für die Verhältnisse bei der Zielgesellschaft von nicht nur völlig untergeordneter Bedeutung waren21. In seiner WMF-Entscheidung stellte auch der BGH fest, dass eine Stimmrechtszurechnung nach § 30 Abs. 2 WpÜG a. F. nur dann in Betracht kommt, wenn zwischen den an der Abstimmung Beteiligten eine Zielvereinbarung besteht, mit der weitreichende, konkret gefasste unternehmerische Absichten verfolgt werden und diese ein konkretes unternehmerisches Konzept für die Zielgesellschaft haben22. Auch Uwe H. Schneider stellt in seiner Kommentierung zu § 30 WpÜG darauf ab, dass die an der Abstimmung Beteiligten Einfluss auf die Unternehmensleitung der Zielgesellschaft gewinnen wollen23 und eine nachhaltige und dauerhafte Einflussnahme auf die Zielgesellschaft beabsichtigt ist24. Diese Grundsätze haben auch nach Änderung des § 30 Abs. 2 WpÜG durch das sog. Risikobegrenzungsgesetz vom 12. August 200825 Gültigkeit behalten26. Die Gesetzesänderung erfolgte seinerzeit ausdrücklich auch in Reaktion auf das WMF-Urteil des BGH27. Wenn der Gesetzgeber jede nicht nur im Einzelfall erfolgende Stimmrechtskoordination als tatbestandsgemäß hätte erfassen wollen, hätte es nahe gelegen, dies durch eine entsprechende Änderung des Wortlauts der Norm klarzustellen oder jedenfalls in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck zu bringen. Beides ist nicht erfolgt. In den Gesetzesberatungen wur-
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18 Vgl. dazu Hasselbach (Fn. 17), § 35 WpÜG Rz. 84; Harbarth, ZIP 2002, 321, 323; Krause/Pötzsch (Fn. 2), § 35 WpÜG Rz. 88. 19 OLG Frankfurt/M., ZIP 2004, 1309, 1312; OLG München, ZIP 2005, 856, 857; LG Hamburg, ZIP 2007, 427, 429. 20 von Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 699; Casper (Fn. 1), S. 55; Drinkuth (Fn. 15), § 60 Rz. 207; Liebscher, ZIP 2002, 1005, 1008; Saenger/Kessler, ZIP 2006, 837, 839 f.; Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 587 ff. Noch restriktiver („Qualität einer Kontrollausübung“) Gätsch/Schäfer, NZG 2008, 846, 850. 21 Noack in Schwark, 3. Aufl. 2004, § 30 WpÜG Rz. 24; Schockenhoff/Schumann, ZGR 2005, 568, 590. A. A. LG Hamburg, ZIP 2007, 427, 429; Diekmann (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 80; Saenger/Kessler, ZIP 2006, 837, 840. 22 BGHZ 169, 98, 108 Rz. 23 f.; zustimmend Diekmann, DStR 2007, 445, 446; Engert, ZIP 2006, 2105, 2112; Halász/Kloster, Der Konzern 2007, 344, 349. 23 Uwe H. Schneider (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 104. Ähnlich auch ders., WM 2006, 1321, 1326 sowie ders., ZGR 2007, 440, 452 f. und 455 („Der Inhalt der Vereinbarung oder der Abstimmung muss sich vielmehr darauf beziehen, die Kontrolle über die Zielgesellschaft auszüben.“). 24 Uwe H. Schneider (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 111. Ähnlich ders., WM 2006, 1321, 1324 ff. sowie ders., ZGR 2007, 440, 453 f. und 455 („breitflächiger und dauerhafter Gesamtplan“). 25 Vgl. oben Fn. 11. 26 A. A. wohl Hoppe/Michel, BaFinJournal 04/2010, S. 3 ff. 27 Begr RegE RisikobegrenzungsG, BT-Drucks. 16/7438, S. 11 i. V. m. S. 13.
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de vielmehr ausdrücklich klargestellt, dass der Geltungsbereich der Regelung des § 30 Abs. 2 WpÜG a. F. unverändert bestehen bleiben solle28. Dementgegenstehende Ausführungen in der Regierungsbegründung zum Risikobegrenzungsgesetz29 sind angesichts der erheblichen Modifizierungen, die der Regierungsentwurf im Laufe der Gesetzesberatungen hinsichtlich der Änderungen zu § 30 Abs. 2 WpÜG a. F. erfahren hatte, nunmehr unmaßgeblich. Auch § 30 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 WpÜG erfasst also nur solche Verständigungen über die Ausübung von Stimmrechten, die entweder umfassend sind, also für sämtliche Stimmrechtsausübungen aus den gepoolten Aktien gelten, oder aber einer langfristigen unternehmerischen Einflussnahme auf die Zielgesellschaft dienen. Dies gilt auch dann, wenn die Absprache nicht nur im Einzelfall erfolgt, sondern Gegenstand einer entsprechenden langfristigen Absprache ist. Anders können die Dinge hingegen dann liegen, wenn eine abgestimmte Besetzung des Aufsichtsrats Teil einer Gesamtstrategie ist, mit der die Beteiligten im Hinblick auf die Zielgesellschaft bestimmte unternehmerische Ziele verfolgen. Zwar ist die Besetzung des Aufsichtsrats per se kein taugliches Mittel zur Durchsetzung strategischer Zielsetzungen von Aktionären, da die Mitglieder des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 5 AktG allein dem Unternehmensinteresse verpflichtet sind und im Rahmen der ihnen persönlich obliegenden Amtsführung keinen Weisungen unterliegen30. Auf der anderen Seite wäre es wirklichkeitsfremd anzunehmen, dass dann, wenn Aktionäre ein gemeinsames unternehmerisches Konzept im Hinblick auf die Zielgesellschaft verfolgen, nicht auch die Besetzung des Aufsichtsrats als Mittel zu dessen Durchsetzung eingesetzt werden kann. Deshalb kann die Abstimmung in diesem Fall zu einer Stimmrechtszurechnung nach § 30 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 WpÜG führen. b) Zusammenwirken in sonstiger Weise Aktionäre nehmen aber auch außerhalb der Hauptversammlung der Zielgesellschaft Einfluss auf die Besetzung freiwerdender Aufsichtsratsposten. Dies erfolgt z. B. dadurch, dass sie abgestimmt versuchen, die entsprechenden Wahlvorschläge des Aufsichtsrats bzw. des von diesem mit der Erarbeitung von Wahlvorschlägen beauftragten Nominierungsausschusses31 zu beeinflussen. Darin könnte eine Abstimmung in sonstiger Weise i. S. d. § 30 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 WpÜG liegen. Als „Zusammenwirken in sonstiger Weise“ kommt jede Art der Interessenkoordination in Betracht, die nicht eine Abstimmung über die Ausübung von Stimmrechten betrifft. Da jedoch § 30 Abs. 2 WpÜG generell nur eine Koordination von Binneneinfluss erfasst32, ist weiterhin erforder-
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Bericht des Finanzausschusses zum RisikobegrenzungsG (Fn. 8), S. 11 i. V. m. S. 13. Begr. RegE RisikobegrenzungsG (Fn. 27), S. 11 i. V. m. S. 13. BGHZ 169, 98, 106 Rz. 18 m. w. N. Vgl. Ziff. 5.3.3 Deutscher Corporate Governance Kodex i. d. F. v. 26.5.2010. von Bülow (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 218.
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lich, dass das Zusammenwirken einen gesellschaftsrechtlichen Bezug hat33. Das bei der Einflussnahme geltend gemachte Machtpotential muss sich aus der unmittelbaren oder mittelbaren Aktionärsstellung der Zusammenwirkenden ergeben. Diese Voraussetzung ist im Fall eines koordinierten Vorgehens von Aktionären unproblematisch erfüllt. Das Zusammenwirken führt allerdings nur dann zur Stimmrechtszurechnung, wenn die Beteiligten damit auf eine dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft hinwirken wollen34. Die angestrebte Änderung muss für die Ausrichtung des Unternehmens von erheblicher Bedeutung und von einer gewissen Nachhaltigkeit geprägt sein35. Ist Ziel des Zusammenwirkens eine zwar zeitlich länger andauernde, aber nur geringfügige Änderung der Geschäftsausrichtung der Gesellschaft, ist dieses ebenso wenig von § 30 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 WpÜG erfasst wie eine Abstimmung mit dem Ziel, eine einzelne gravierende Maßnahme ohne längerfristige Auswirkung auf die Unternehmenspolitik herbeizuführen36. Eine Einflussnahme auf die Besetzung des Aufsichtsrats einer Zielgesellschaft kann für sich genommen nicht zu einer Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Gesellschaft führen. Auch hier können die Dinge aber anders liegen, wenn das Zusammenwirken Teil einer Gesamtstrategie ist, mit der die Beteiligten bestimmte unternehmerische Ziele verfolgen37. Deshalb kann auch ein Zusammenwirken in sonstiger Weise nach § 30 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 WpÜG mit dem Ziel der Einflussnahme auf die Besetzung des Aufsichtsrat zur Stimmrechtszurechnung führen, wenn dieses Teil einer längerfristigen Strategie der Beteiligten ist, mit der diese bestimmte unternehmerische Ziele im Hinblick auf die Zielgesellschaft verfolgen. 2. Art der Abstimmung Nach § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG kann eine Abstimmung auf Grund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise erfolgen. a) Vereinbarung Eine „Vereinbarung“ ist jeder rechtlich bindende Vertrag38, und zwar auch, wenn dieser ausländischem Recht unterliegt. Bereits der Abschluss des Vertrags führt zur Stimmrechtszurechnung. Ob er nachfolgend auch tatsächlich
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33 Bericht des Finanzausschusses zum RisikobegrenzungsG (Fn. 8), S. 12 i. V. m. S. 13; OLG Frankfurt/M., ZIP 2004, 1309, 1312; OLG München, ZIP 2005, 856, 857; Jahresbericht der BaFin 2006, S. 186; Drinkuth (Fn. 15), § 60 Rz. 208; Saenger/Kessler, ZIP 2006, 837, 839; Noack (Fn. 21), § 30 WpÜG Rz. 13. A. A. Berger/Filgut, AG 2004, 592, 596; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, 2003, § 30 WpÜG Rz. 23. 34 von Bülow in Veil (Hrsg.), Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 148. 35 von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1798; Zimmermann, ZIP 2009, 57, 58. 36 Bericht des Finanzausschusses zum RisikobegrenzungsG (Fn. 8), S. 12 i. V. m. S. 13. 37 Vgl. oben III.1.a). 38 von Bülow (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 213; Casper, ZIP 2003, 1469, 1475; Uwe H. Schneider, WM 2006, 1321, 1323.
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durchgeführt wird und zum gewünschten Erfolg führt, ist nicht maßgeblich. Diese Tatbestandsalternative ist insbesondere erfüllt, wenn Absprachen über die Besetzung des Aufsichtsrats Gegenstand einer Aktionärs- oder Poolingvereinbarung39 sind. b) Abstimmung in sonstiger Weise Eine Abstimmung „in sonstiger Weise“ liegt in allen anderen Fällen einer Stimmrechtskoordination vor. Unter diese Tatbestandsalternative fallen also nicht nur vertragliche Vereinbarungen, die ungeachtet des subjektiven Bindungswillens der Parteien unwirksam sind40, sondern auch alle sonstigen Abstimmungen (insbesondere sog. Gentlemen’s Agreements), bei denen die Abstimmungspartner keine rechtlichen Verpflichtungen eingehen. Auch in diesen Fällen erfolgt die Stimmrechtszurechnung bereits ab dem Zeitpunkt, in dem zwischen den Beteiligten ein entsprechendes Verständnis erzielt worden ist. Ob es tatsächlich zu einem entsprechenden koordinierten Vorgehen kommt und ob dieses zum Erfolg führt, ist ebenfalls unmaßgeblich. Abstimmungen „in sonstiger Weise“ sind beispielsweise informelle Absprachen zwischen Familienaktionären über die Vertretung einzelner Familienzweige im Aufsichtsrat. 3. Abstimmung im Einzelfall Abstimmungen über die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern, die ohne strategischen Hintergrund erfolgen, fallen auch dann nicht in den Anwendungsbereich des § 30 Abs. 2 WpÜG, wenn sich die Abstimmungspartner langfristig entsprechend verständigen bzw. verpflichten41. Erfolgt die koordinierte Einflussnahme auf Aufsichtsratswahlen hingegen durch Aktionäre, die darüber hinaus ein bestimmtes unternehmerisches Konzept im Hinblick auf die Zielgesellschaft verfolgen, liegt ein abgestimmtes Verhalten i. S. d. § 30 Abs. 2 WpÜG vor. Auch in diesem Fall kommt es aber nach § 30 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 WpÜG nur dann zur Stimmrechtszurechnung, wenn die Abstimmung nicht „im Einzelfall“ erfolgt. Diese Einschränkung gilt entgegen dem Wortlaut von § 30 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 WpÜG nicht nur für Abstimmungen auf Grund einer Vereinbarung, sondern auch für solche, die in sonstiger Weise (vgl. § 30 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 WpÜG) erfolgen42. Der Ausnahmetatbestand ist Reflex der Tatsache, dass § 30 Abs. 2 WpÜG nur Abstimmungshandlungen erfasst, die der beständigen und langfristigen Einflussnahme auf die Gesellschaft dienen43. Lediglich punktuelle, einen abgegrenzten Sachverhalt betreffende Abstim-
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Dazu Ulmer in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2009, Vor § 705 BGB Rz. 68. von Bülow (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 214 m. w. N. Dazu oben III.1.a). von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1799; Gätsch/Schäfer, NZG 2008, 846, 850. 43 Vgl. OLG Frankfurt/M., ZIP 2004, 1309, 1312; OLG München, ZIP 2005, 856, 857; von Bülow (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 224 und 234; Liebscher, ZIP 2002, 1005, 1008; Uwe H. Schneider (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 104; Saenger/Kessler, ZIP 2006, 837, 839 f.
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mungshandlungen rechtfertigen nach dem Normzweck der Abschnitte 4 und 5 des WpÜG44 eine Stimmrechtszurechnung nicht. Insoweit hat § 30 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 primär klarstellenden Charakter45. Ob eine – strategisch motivierte – Abstimmung bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern „im Einzelfall“ erfolgt, könnte insbesondere in den Fällen fraglich sein, in denen sich diese nur auf eine einzige Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern bezieht. Hier betrifft die Abstimmung nur einen einmaligen Akt, nämlich die Beschlussfassung der Hauptversammlung über die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder. Andererseits hat die Abstimmung eine gewisse Langzeitwirkung. Wenn auch der Aufsichtsrat kein Initiativ- oder gar Weisungsrecht gegenüber dem Vorstand hat, so verfügt er de facto doch über weitgehende Möglichkeiten, auf die Geschäftsführung Einfluss zu nehmen, und zwar nicht nur allein deshalb, weil ihm die Entscheidungskompetenz über die Besetzung des Vorstands zusteht. Durch die Möglichkeit bzw. Pflicht (§ 111 Abs. 4 AktG), Zustimmungsvorbehalte für bestimmte Arten von Geschäften festzulegen, kann er letztlich auch auf operative Entscheidungen des Vorstands Einfluss nehmen. Dies alles könnte dagegen sprechen, dass die Abstimmung über die Besetzung des Aufsichtsrats auch dann noch im „Einzelfall“ erfolgt, wenn sich diese nur auf eine einzige anstehende Wahl bezieht. Ob die Frage nach dem Vorliegen eines Einzelfalls anhand formaler oder materieller Kriterien zu beantworten ist, ist deshalb lebhaft umstritten46. Der BGH scheint einer formalen Bestimmung des Begriffs des Einzelfalls den Vorzug zu geben, hat die Frage jedoch letzten Endes offen gelassen47. Für ein formales Verständnis des Begriffs spricht zunächst der Wortlaut der Norm. Dieser knüpft allein an den Abstimmungsvorgang an sich an, nicht aber an dessen Auswirkungen. Für ein formales Verständnis spricht auch, dass eine Stimmrechtszurechnung nach § 30 Abs. 2 WpÜG ohnehin nur in Betracht kommt, wenn die Abstimmung im Rahmen einer längerfristig angelegten Strategie zur gemeinsamen Verfolgung unternehmerischer Ziele erfolgt und damit Auswirkungen auf die Herrschaftsverhältnisse bei der Zielgesellschaft hat48. Auch der Aspekt der Rechtssicherheit deutet in diese Richtung. Würde man eine lediglich punktuelle Abstimmung mit allerdings nachhaltigen Wirkungen nicht als „Einzelfall“ ansehen, wäre unklar, unter welchen Voraussetzungen die Folgen der Abstimmung hinreichend nachhaltig sind, um zu einer Stimmrechts-
__________ 44 Dazu oben III. 1. a). 45 Uwe H. Schneider, WM 2006, 1321, 1324. A. A. Anders/Filgut, ZIP 2010, 1115, 1117 f. 46 Für eine formale Betrachtungsweise z. B. von Bülow (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 236; Diekmann (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 75; Drinkuth (Fn. 15), § 60 Rz. 211; Kocher, Der Konzern 2010, 162, 164. Eine materielle Betrachtungsweise befürwortend z. B. OLG München, ZIP 2005, 856, 857; Anders/Filgut, ZIP 2010, 1115, 1117 f.; Hoppe/Michel, BaFinJournal 04/2010, 3, 4 f.; wohl auch Uwe H. Schneider (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 111. 47 BGHZ 169, 98, 107 Rz. 21. 48 Bericht des Finanzausschusses zum RisikobegrenzungsG (Fn. 8), S. 12 i. V. m. S. 13; Pluskat, DB 2009, 383, 385.
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zurechnung zu führen49. Die Frage nach dem Vorliegen eines Einzelfalls ist somit zutreffenderweise unter formalen Gesichtspunkten zu beantworten. Eine Abstimmung über die Besetzung vakanter Aufsichtsratsposten, die sich auf eine einzige Hauptversammlung bezieht, erfolgt somit stets im „Einzelfall“ und führt nicht zur Stimmrechtszurechnung nach § 30 Abs. 2 WpÜG50. Dies gilt auch, wenn eine entsprechende Abstimmung erneut vor weiteren Aufsichtsratswahlen auf nachfolgenden Hauptversammlungen erfolgt, soweit dies jeweils auf eine neue Entscheidung der Beteiligten zum abgestimmten Handeln zurückgeht. 4. Stimmrechtskoordination im Aufsichtsrat Abstimmungen innerhalb des Aufsichtsrats (etwa bei der Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden) führten schon nach § 30 Abs. 2 WpÜG a. F. nicht zu einer Stimmrechtszurechnung51. Die Bundesregierung hatte zwar als Teil des Regierungsentwurfs zum Risikobegrenzungsgesetz vorgeschlagen, dass ein koordiniertes Vorgehen innerhalb des Aufsichtsrats künftig unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Stimmrechtszurechnung führen sollte52. Der Gesetzgeber war diesem Vorschlag jedoch nicht gefolgt und hat in den Gesetzesmaterialien klargestellt, dass Koalitionen innerhalb des Aufsichtsrats unter keinen Umständen ein abgestimmtes Verhalten i. S. d. § 30 Abs. 2 WpÜG darstellen53. Dies gilt auch dann, wenn das betreffende Aufsichtsratsmitglied auf Vorschlag oder mit Unterstützung eines wesentlichen Aktionärs der Gesellschaft in den Aufsichtsrat gewählt oder sogar nach § 101 Abs. 2 AktG in den Aufsichtsrat entsandt wurde. Denn das Aufsichtsratsmandat ist ein persönliches Amt des gewählten Mitglieds. Es darf nicht Vertreter von Partikularinteressen sein, sondern muss sein Amt unabhängig und eigenverantwortlich ausüben54. Aufsichtsratsmitglieder sind allein auf die Wahrung des Unternehmensinteresses verpflichtet. Im Konfliktfall darf sich das Aufsichtsratsmitglied nicht an den Interessen des- oder derjenigen ausrichten, die ihn zum Aufsichtsratsmitglied gewählt oder in den Aufsichtsrat entsandt haben55. Absprachen unter Aufsichtsratsmitgliedern zu Aufsichtsratsangelegenheiten stellen somit keine Koordinierung gesellschaftsrechtlich vermittelter, d. h. mit dem Mitgliedschaftsrecht aus der Aktie verbundener Einflussmöglichkeiten dar und führen deshalb auch nicht zu einer Stimmrechtszurechnung.
__________ 49 BGHZ 169, 98, 107 Rz. 21. 50 Bericht des Finanzausschusses zum RisikobegrenzungsG (Fn. 8), S. 12 i. V. m. S. 13; von Bülow (Fn. 34), S. 144; Pluskat, DB 2009, 383, 386. 51 BGHZ 169, 98, 106 Rz. 18; von Bülow (Fn. 34), S. 157 f.; Drinkuth (Fn. 15), § 60 Rz. 209. 52 Begr. RegE RisikobegrenzungsG (Fn. 27), S. 11 i. V. m. S. 13. 53 Bericht des Finanzausschusses zum RisikobegrenzungsG (Fn. 8), S. 12 i. V. m. S. 13. 54 BGHZ 64, 325, 331; BGHZ 90, 381, 398; BGHZ 169, 98, 106 Rz. 18. 55 Hoffmann-Becking in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 33 Rz. 1; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 116 AktG Rz. 5.
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Christoph von Bülow
Im Gegensatz zur Rechtslage nach § 30 Abs. 2 WpÜG a. F.56 können jedoch nunmehr auch Absprachen zwischen Aktionären über Angelegenheiten, die in die ausschließliche Kompetenz des Aufsichtsrats fallen, ein abgestimmtes Verhalten darstellen. Voraussetzung dafür wäre jedoch nach § 30 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 WpÜG, dass die abgestimmte Einflussnahme auf die Beschlussfassung des Aufsichtsrats mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft erfolgt.
IV. Rechtsfolgen Nach § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG werden dem Bieter die jeweils nach § 30 Abs. 2 Sätze 1 und 3 WpÜG zu berechnenden Stimmrechtsanteile jedes Dritten zugerechnet, mit dem sich der Bieter in Bezug auf die Zielgesellschaft abstimmt, sofern die Abstimmung nicht lediglich im Einzelfall erfolgt. 1. Herrschende Lehre und Verwaltungspraxis Nach verbreiteter, insbesondere in der Verwaltungspraxis von der BaFin57 vertretener Auffassung sollen den Abstimmungspartnern die relevanten Stimmrechtsanteile stets jeweils wechselseitig zuzurechnen sein58. 2. Keine Zurechnung ohne Einflusspotential Ein Gebot wechselseitiger Zurechnung lässt sich aus § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG jedoch nicht ableiten59. Die Vorschrift ordnet ausweislich ihres insoweit unzweideutigen Wortlauts lediglich die Stimmrechtszurechnung beim „Bieter“ an. Anstelle einer pauschalen wechselseitigen Stimmrechtszurechnung ist also für jeden Beteiligten als potentiellen „Bieter“ zu prüfen, ob sich sein Abstimmungspartner mit ihm über dessen Verhalten (d. h. das Verhalten des Abstimmungspartners) abstimmt. Ebenso wie in allen Fällen des § 30 Abs. 1 WpÜG erfolgt also auch im Fall eines Acting in Concert nach § 30 Abs. 2 WpÜG eine Stimmrechtszurechnung nur einseitig bei dem jeweiligen „Bieter“, wobei als „Bieter“ alle an der Abstimmung Beteiligten in Betracht kommen60.
__________ 56 BGHZ 169, 98, 105 f. Rz. 17 f. 57 So Strunk/Salomon/Holst in Veil (Hrsg.), Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 32. Vgl. zu § 22 Abs. 2 WpHG auch den Emittentenleitfaden der BaFin (Stand: 28.4.2009), S. 147. 58 Braun, NZG 2008, 928, 930 f.; Lenz/Linke, AG 2002, 361, 368; Liebscher, ZIP 2002, 1005, 1007; Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 30 WpÜG Rz. 70. 59 Vgl. etwa von Bülow/Bücker, ZGR 2004, 669, 708; Diekmann (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 87; Noack (Fn. 21), § 30 WpÜG Rz. 12; Uwe H. Schneider (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 112 ff.; Veil (Fn. 14), S. 1653 ff. 60 Ähnlich Veil (Fn. 14), S. 1656: Eine einseitige Zurechung ist geboten, wenn eine Partei sich gegenüber der anderen Partei der Vereinbarung durchsetzen kann. A. A. vgl. die Nachweise in Fn. 58.
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Angebotspflicht auf Grund Acting in Concert bei Aufsichtsratswahlen?
Im Fall eines sog. „Binnenpools“ wären also den Mitgliedern des Binnenpools jeweils sowohl die Stimmrechtsanteile der anderen Parteien des „Binnenpools“ zuzurechnen wie auch die Stimmrechtsanteile aller anderen Poolparteien. Umgekehrt wären diesen anderen Poolmitgliedern die Stimmrechtsanteile der Mitglieder des „Binnenpools“ nicht zuzurechnen, wenn Letztere gemeinsam über eine Möglichkeit der Beherrschung der Poolversammlung verfügen. Denn dann stimmen sie sich gerade nicht mit den übrigen Mitgliedern des Stimmrechtspools ab, sondern geben diesen nach Maßgabe der Beschlussfassung im „Binnenpool“ vor, wie die gepoolten Stimmrechte – etwa bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern – auszuüben sind. Dieses Verständnis von § 30 Abs. 2 WpÜG ergibt sich aus dessen teleologischer Auslegung. Mit den Zurechnungstatbeständen des § 30 WpÜG soll tatsächliche oder vermutete Herrschaft auf gesellschaftsrechtlich vermitteltes Einflusspotential Dritter erfasst werden61. Besteht dieses – wie im obigen Beispielsfall – nicht, ist auch keine Stimmrechtszurechnung gerechtfertigt. Es wäre ein mit dem Normzweck des § 35 WpÜG nicht zu vereinbarendes Ergebnis, wenn jemand zur Abgabe eines Pflichtangebots verpflichtet wäre, dem Stimmrechte Dritter zugerechnet würden, auf deren Ausübung er keinen Einfluss nehmen kann. Auch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 lit. d) Übernahmerichtlinie verlangt keine wechselseitige Zurechnung von Stimmrechten im Fall des Acting in Concert62. Wie bereits oben dargelegt63 enthält die Übernahmerichtlinie keine Vorgaben zur Ausgestaltung von Zurechnungstatbeständen, sondern legt lediglich fest, dass eine Angebotspflicht auch im Fall eines Kontrollerwerbs in Folge des Zuerwerbs von Aktien durch gemeinsam handelnde Personen besteht. Der Ablehnung eines generellen Gebots wechselseitiger Stimmrechtszurechnungen kann auch nicht die Gefahr einer andernfalls bestehenden Schutzlücke entgegengehalten werden. Denn nach der hier vertretenen Auffassung ist sichergestellt, dass eine Stimmrechtszurechnung jeweils bei all denjenigen erfolgt, die jedenfalls potentiell Einflussmöglichkeiten auf das Handeln Dritter haben.
V. Acting in Concert nach § 22 Abs. 2 WpHG Die Berechnung des relevanten Stimmrechtsanteils für die Zwecke der Offenlegungspflichten hinsichtlich wesentlicher Stimmrechtsanteile an deutschen börsennotierten Gesellschaften basiert im Wesentlichen auf dem gleichen Konzept wie § 29 Abs. 2 i. V. m. § 30 WpÜG. Auch der für die Mitteilungspflichten nach §§ 21 ff. WpHG maßgebliche Stimmrechtsanteil setzt sich aus eigenen und zugerechneten Stimmrechten (§ 22 WpHG) zusammen. Im Ge-
__________ 61 von Bülow (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 5. 62 So zutreffend Veil (Fn. 14), S. 1659 ff. A. A. Mülbert, NZG 2004, 633, 637 und 641; Seibt/Heiser, ZGR 2005, 200, 214. 63 Dazu oben II.3.
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gensatz zu § 29 Abs. 2 WpÜG ist dies allerdings in § 21 Abs. 1 Satz 1 WpHG ausdrücklich klargestellt. 1. Gleichlauf der Stimmrechtsanteile? Maßgeblich hierfür war der wiederholt64 geäußerte Wunsch des Gesetzgebers nach einem „Gleichlauf“65 der Vorschriften. Dadurch sollten Irritationen am Kapitalmarkt vermieden werden, die für den Fall befürchtet wurden, dass die Berechnung der Stimmrechtsanteile für übernahmerechtliche Zwecke einerseits und zur Feststellung von Mitteilungspflichten nach § 21 f. WpHG andererseits nicht parallel erfolgte66. Deshalb enthält § 22 Abs. 2 WpHG eine mit § 30 Abs. 2 WpÜG nahezu wortlautidentische Vorschrift zur Zurechnung von Stimmrechten im Fall des Acting in Concert. Ob jedoch der vom Gesetzgeber gewünschte Gleichlauf der Vorschriften tatsächlich besteht, ist dennoch zweifelhaft. a) Die Transparenzvorschriften der §§ 21 ff. WpHG haben einen gänzlich anderen Normzweck als die Abschnitte 4 und 5 des WpÜG, zu denen auch die §§ 29 Abs. 2 sowie 30 WpÜG gehören. §§ 21 ff. WpHG sollen die Unterrichtung des Kapitalmarkts über wesentliche Stimmrechtseinflüsse (§§ 21 bis 23 WpHG), möglicherweise bevorstehende Beteiligungserwerbe (§ 25 WpHG) sowie die von wesentlichen Stimmrechtsinhabern verfolgten Ziele und die Art der Finanzierung der von diesen getätigten Geschäften (§ 27a WpHG) sicherstellen67. Transparenzgesichtspunkte spielen in den Abschnitten 4 und 5 des WpÜG hingegen nur eine völlig untergeordnete Rolle68. Mit den Regelungen zum Übernahme- und Pflichtangebot soll vielmehr den außenstehenden Aktionären der Zielgesellschaft eine Desinvestitionsmöglichkeit im Hinblick auf eine bereits eingetretene bzw. auf Grund eines abgegebenen Übernahmeangebots möglicherweise eintretende wesentliche Änderung der innergesellschaftlichen Machtverhältnisse gegeben werden69. Daher erfasst § 30 Abs. 2 WpÜG nur Abstimmungen, die zu einer Änderung der grundlegenden „Machtverhältnisse“ bei der Zielgesellschaft führen70. Denn nur in diesem Fall kann es in Folge dessen zu einer Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft kommen, die es rechtfertigt, den Kontrollerwerber mit den Kosten und Folgen eines Pflichtangebots nach § 35 WpÜG zu belasten. Diese Erwägungen gelten für § 22 Abs. 2 WpHG nicht. Die Norm soll tatsächliche oder
__________ 64 Vgl. z. B. Begr. RegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S. 53 sowie S. 70 und Begr. RegE RisikobegrenzungsG (Fn. 27), S. 11 und 13. 65 Begr. RegE RisikobegrenzungsG (Fn. 27), S. 13. 66 Begr. RegE WpÜG (Fn. 64), S. 53 sowie S. 70; Begr. RegE RisikobegrenzungsG (Fn. 27), S. 11 und S. 13. 67 Vgl. zu den Regelungszwecken der §§ 21 ff. WpHG Opitz in Schäfer/Hamann, 2. Aufl. 2006, Vor §§ 21–30 WpHG Rz. 1 ff. sowie Uwe H. Schneider (Fn. 3), Vor § 21 WpHG Rz. 18 ff. 68 So auch Seibt, ZIP 2005, 729, 733. A. A. Wackerbarth, ZIP 2005, 1217, 1218. 69 Begr. RegE WpÜG (Fn. 64), S. 30; Harbarth, ZIP 2002, 321 f.; Krause/Pötzsch (Fn. 2), § 35 WpÜG Rz. 8; Seibt, ZIP 2004, 1829, 1830 f. 70 Siehe oben III.1.
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Angebotspflicht auf Grund Acting in Concert bei Aufsichtsratswahlen?
potentielle Stimmrechtseinflüsse transparent machen, und zwar auch dann, wenn sie für die letztendlichen „Machtverhältnisse“ bei der Zielgesellschaft ohne Bedeutung sind. Denn im Gegensatz zur Zurechnungsnorm des § 30 WpÜG dient § 22 WpHG ausschließlich dem Zweck, Informationen über Einflussverhältnisse bei der betreffenden börsennotierten Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Im Hinblick auf lediglich zugerechnete Stimmrechte hat dies differenziert nach dem Zurechnungstatbestand zu erfolgen (vgl. §§ 17 ff. WpAIV), so dass sich der Kapitalmarkt – so jedenfalls die Theorie des Gesetzgebers – ein eigenes Bild über den Grad an materiellem Stimmrechtseinfluss bilden kann. b) Auch die weitaus weniger gravierenden möglichen Folgen der Erhöhung eines Stimmrechtsanteils nach §§ 21 und 22 WpHG sprechen gegen die Zwangsläufigkeit einer stets parallelen Auslegung der Vorschriften71. Das Erreichen oder Überschreiten einer relevanten Schwelle löst lediglich Mitteilungspflichten nach §§ 21 Abs. 1, 25 Abs. 1 bzw. 27a Abs. 1 WpHG aus. Die Erhöhung eines Stimmrechtsanteils nach § 29 Abs. 2 i. V. m. § 30 WpÜG hat ungleich gewichtigere Verpflichtungen zur Folge: der Kontrollerwerber ist nicht nur zur Publizität (§ 35 Abs. 1 WpÜG), sondern vielmehr zur Abgabe eines öffentlichen Angebots für sämtliche72 börsennotierten73 Aktien der Zielgesellschaft zu bestimmten Mindestbedingungen verpflichtet. Dies kann für den Kontrollerwerber strategisch sinnlos, finanziell nachteilig oder – weil die nach § 13 WpÜG erforderliche Finanzierung des Angebots nicht sichergestellt werden kann – sogar gänzlich unmöglich sein. Schon im Hinblick auf diese gravierenden Rechtsfolgen eines Kontrollerwerbs ist nach zutreffender Auffassung des sog. Übernahmesenats beim OLG Frankfurt/M. eine einschränkende Auslegung der Zurechnungsnorm des § 30 WpÜG erforderlich74. c) Hinzu kommt, dass § 21 i. V. m. § 22 WpHG der Umsetzung von Kapitel III der Transparenzrichtlinie 2004 dient und deshalb richtlinienkonform auszulegen ist75. Die Auslegung von § 29 Abs. 2 i. V. m. § 30 WpÜG muss demgegenüber den Vorgaben der Übernahmerichtlinie sowie dem Normzweck der Abschnitte 4 und 5 des WpÜG Rechnung tragen. Es wäre nicht sachgerecht, wenn die Auslegung der übernahmerechtlichen Vorschriften zur Sicherstellung einer Desinvestitionsmöglichkeit im Fall eines Kontrollerwerbs im Hinblick auf den angestrebten Gleichlauf von §§ 21 f. WpHG einerseits und §§ 29 f. WpÜG andererseits letztlich durch Vorgaben der Transparenzrichtlinie 2004 bestimmt
__________ 71 Casper, ZIP 2003, 1469, 1473; Fleischer, ZGR 2008, 185, 196 ff. A. A. Wackerbarth, ZIP 2007, 2340, 2341. 72 Von der Angebotspflicht sind nach § 35 Abs. 2 Satz 2 WpÜG lediglich eigene Aktien der Zielgesellschaft ausgenommen. 73 Das ergibt sich entgegen der h. M. aus § 1 Abs. 1 WpÜG, vgl. Ekkenga in Ehricke/ Ekkenga/Oechsler, WpÜG, 2003, § 32 WpÜG Rz. 9; Hasselbach (Fn. 18), § 32 WpÜG Rz. 8; Noack (Fn. 21), § 35 WpÜG Rz. 40. A. A. z. B. Krause/Pötzsch (Fn. 2), § 35 WpÜG Rz. 221; Baums/Hecker in Baums/Thoma, WpÜG, 2004, § 35 WpÜG Rz. 202; Vogel in Haarmann/Schüppen, WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 32 WpÜG Rz. 15. 74 OLG Frankfurt/M., ZIP 2004, 1309, 1312. 75 Uwe H. Schneider (Fn. 1), § 30 Rz. 8; ders. (Fn. 3), § 22 WpHG Rz. 12 f.
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würde. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass beide Richtlinien mit einem stark divergierenden Konzept der „gemeinsam handelnden Personen“ arbeiten, vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. d) Übernahmerichtlinie einerseits und Art. 10 lit. a) Transparenzrichtlinie 2004 andererseits. d) Schließlich hat der Gesetzgeber selbst nicht die gesetzlichen Voraussetzungen für eine stets parallele Berechnung von Stimmrechtsanteilen nach § 21 Abs. 1 WpHG einerseits und § 29 Abs. 2 i. V. m. § 30 WpÜG andererseits geschaffen76. Seit Inkrafttreten der seinerzeit noch weitestgehend wortlautidentisch gefassten Normen wurden diese wiederholt in inkongruenter Weise geändert. Beispielsweise wurde in Umsetzung von Art. 2 Abs. 1 lit. e) Nr. iii der Transparenzrichtlinie77 die Vorschrift des § 21 Abs. 1 Satz 2 WpHG, nach dem im Fall sog. Depositary Shares bzw. Depositary Receipts eine Stimmrechtserfassung bei der ausstellenden Depositary Bank als Eigentümerin der Aktie unterbleibt, in das WpHG aufgenommen, ohne dass eine entsprechende Regelung auch in § 29 Abs. 2 WpÜG eingefügt wurde. 2. Irritationen am Kapitalmarkt? Aus alldem ergibt sich, dass der gesetzgeberisch gewünschte „Gleichlauf“ der Berechnung der relevanten Stimmrechtsanteile nach §§ 21 f. WpHG einerseits sowie § 29 Abs. 2 i. V. m. § 30 WpÜG andererseits nicht zwangsläufig besteht78. Ein gesetzgeberisches Defizit kann darin jedoch nicht erblickt werden. Mitteilungen über Stimmrechtsanteile nach § 29 Abs. 2 i. V. m. § 30 WpÜG sind nur nach bereits erfolgter Kontrollerlangung (§ 35 Abs. 1 WpÜG) bzw. bei Angebotsverfahren nach § 2 Nr. 5 WpÜG-Angebotsverordnung sowie § 23 Abs. 1 WpÜG vorgeschrieben. Ein dem Kontrollerwerb bzw. Angebotsverfahren vorhergehender Erwerb von Stimmrechtseinfluss kann ausschließlich zu Mitteilungspflichten nach §§ 21 ff. WpHG führen. Eine Gefahr von „Irritationen“ am Kapitalmarkt aufgrund ggf. divergierender Stimmrechtsanteile nach WpHG bzw. WpÜG besteht deshalb nicht. Ein Blick über die Grenze bestätigt dies. Beispielsweise unterliegt im Vereinigten Königreich, dessen Kapitalmarktgesetzgebung wohl als eine der am weitesten entwickelten anzusehen ist, die Berechnung des relevanten Stimmrechtsanteils für übernahmerechtliche Zwecke völlig anderen Regelungen als denjenigen zur Offenlegung wesentlicher Stimmrechtsanteile79. Als besonderes Defizit ist dies im Vereinigten Königreich bislang soweit ersichtlich nicht beanstandet worden.
__________ 76 Dazu im Einzelnen von Bülow (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 21. 77 Begr. RegE Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/2498, S. 34. 78 Vgl. OLG Stuttgart, ZIP 2004, 2232, 2238 zu § 22 WpHG; von Bülow (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 19 ff.; Casper (Fn. 1), S. 48 f.; Uwe H. Schneider (Fn. 1), § 30 WpÜG Rz. 8 sowie ders. (Fn. 3), § 22 WpHG Rz. 12. A. A. z. B. Hoppe/Michel, BaFinJournal 04/2010, 3; Schüppen/Walz in Haarmann/Schüppen, WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 30 WpÜG Rz. 88; Wackerbarth, ZIP 2005, 1217, 1218. 79 Veil/Wundenberg, Englisches Kapitalmarktrecht, 2010, S. 132 f.
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Angebotspflicht auf Grund Acting in Concert bei Aufsichtsratswahlen?
VI. Ergebnisse 1. Die Abstimmung über die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern bei börsennotierten Gesellschaften kann nur dann ein Acting in Concert nach § 30 Abs. 2 WpÜG darstellen, wenn sie Teil darüber hinausgehender Absprachen der Beteiligten im Hinblick auf die Zielgesellschaft ist. Erfolgt sie ohne strategische Zielsetzung, ist sie auch dann nicht tatbestandsgemäß, wenn eine entsprechende Abstimmung langfristig erfolgt. 2. Eine Abstimmung über die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern führt nicht zur Stimmrechtszurechnung, wenn sie lediglich von Fall zu Fall erfolgt. Mit der herrschenden Auffassung ist der Begriff des „Einzelfalls“ in § 30 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 WpÜG formal zu verstehen. 3. Entgegen der herrschenden Lehre und Verwaltungspraxis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht führt ein Acting in Concert nach § 30 Abs. 2 WpÜG nicht stets zu einer wechselseitigen Zurechnung von Stimmrechten. Vielmehr ist für jeden an der Abstimmung Beteiligten gesondert zu prüfen, ob für diesen als „Bieter“ die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Stimmrechtszurechnung erfüllt sind. 4. Nach § 29 Abs. 2 i. V. m. § 30 WpÜG sowie §§ 21 f. WpHG berechnete Stimmrechtsanteile können, müssen aber nicht identisch sein. Dem gesetzgeberisch gewünschten Gleichlauf der Vorschriften kann im Einzelfall insbesondere der unterschiedliche Normzweck der Vorschriften entgegenstehen.
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Hartwin Bungert / Gunnar Janson
Im Spannungsfeld von Unternehmensvertrag und Squeeze-out: Gibt es einen zeitanteiligen Ausgleichsanspruch nach § 304 AktG? Inhaltsübersicht I. Einführung II. Rechtliche Würdigung 1. Klageart und Anspruchsgegner 2. Anteiliger Ausgleich aus der Zahlungsklausel i. V. m. der Fälligkeitsklausel? 3. Anteiliger Ausgleich aus der Kündigungsklausel? 4. Anteiliger Ausgleich aus ergänzender Vertragsauslegung der Kündigungsklausel?
5. Anteiliger Ausgleich aus § 327b Abs. 2 Halbs. 2 AktG? 6. Anteiliger Ausgleich aus § 101 Nr. 2 BGB? 7. Anteiliger Ausgleich aus § 101 Nr. 2 BGB analog? 8. Berücksichtigung des anteiligen Ausgleichs im Spruchverfahren? III. Ergebnis
I. Einführung „Ein Gewinnabführungsvertrag muss einen angemessenen Ausgleich für die außenstehenden Aktionäre durch eine auf die Anteile am Grundkapital bezogene wiederkehrende Geldleistung (Ausgleichszahlung) vorsehen“ (§ 304 Abs. 1 Satz 1 AktG). Diese auf den ersten Blick recht unscheinbar anmutende Formulierung hat in den vergangenen Monaten im Zusammenhang mit dem Institut des Squeeze-out in der Rechtspraxis eine bemerkenswerte Aufmerksamkeit erfahren und eine regelrechte Welle von Klagen ausgelöst1. Den Klagen, die von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sind, liegt im Regelfall folgender Sachverhalt zugrunde: Die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft beschließt die Zustimmung zu einem Beherrschungs-2 und Ge-
__________
1 Vgl. OLG Frankfurt/M. v. 26.8.2009 – 23 U 69/08 (n. rkr.; auszugsweise abgedruckt in NZG 2010, 389 f.); OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08 (n. rkr.); OLG Köln v. 8.10.2009 – 18 U 57/09 (n. rkr.), ZIP 2010, 519 ff.; OLG Köln v. 1.6.2010 – 18 U 183/09 (n. rkr.); OLG Hamm v. 19.7.2010 – I-8 U 126/09, BB 2010, 2199, mit zust. Anm. von Wilsing/Goslar; LG Essen v. 26.8.2009 – 41 O 108/08; zuvor bereits OLG München, ZIP 2007, 582 f. 2 Die Beherrschungskomponente ist für die Frage des Bestehens einer anteiligen Ausgleichspflicht nicht zwingend erforderlich. Für die Begründung einer Ausgleichspflicht genügt bereits der Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags, vgl. § 304 Abs. 1 Satz 1 AktG. Dennoch wird in der Praxis regelmäßig ein kombinierter Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen. Eine Erweiterung des Gewinnabführungsvertrags um die Beherrschungskomponente ist nämlich an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft und erhöht damit den Integrationsgrad der Untergesellschaft, ohne gegenüber dem Abschluss eines isolierten Gewinnabführungsvertrags weitere Kosten zu verursachen.
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winnabführungsvertrag (BGAV) sowie die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf den Hauptaktionär (Squeeze-out). Der BGAV enthält typischerweise folgende (oder ähnlich ausgestaltete) Klauseln: – Zahlungsklausel: „Die herrschende Gesellschaft garantiert den außenstehenden Aktionären der abhängigen Gesellschaft für die Dauer dieses Vertrags als angemessenen Ausgleich die Zahlung einer wiederkehrenden Geldleistung (Ausgleichszahlung).“ – Kündigungsklausel: „Falls der Vertrag während eines Geschäftsjahrs der abhängigen Gesellschaft endet oder die abhängige Gesellschaft während des Zeitraums, für den die Verpflichtung zur Gewinnabführung gilt, ein Rumpfgeschäftsjahr bildet, vermindert sich der Ausgleich zeitanteilig.“ – Fälligkeitsklausel: „Die Ausgleichszahlung ist jeweils am ersten Bankarbeitstag nach der ordentlichen Hauptversammlung der abhängigen Gesellschaft für das abgelaufene Geschäftsjahr fällig.“ Beide Hauptversammlungs-Beschlüsse können in verschiedenen Jahren (so z. B. im Fall des OLG Köln3: BGAV im Jahr 2006 und Übertragungsbeschluss im Jahr 2007) oder aber in derselben Hauptversammlung (so z. B. in einem Fall des OLG Frankfurt/M.4: beide Maßnahmen im Jahr 2007) gefasst werden. Eine Beschlussfassung über beide Maßnahmen in verschiedenen Jahren hat ihren Grund zumeist in einer stufenweisen Konzernierung der Untergesellschaft: Für den Abschluss eines BGAV genügt der Obergesellschaft eine Mehrheit von drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals (§ 293 Abs. 1 Satz 2 AktG), während ihr für die Initiierung eines Squeeze-out mindestens 95 % des Grundkapitals gehören müssen (§ 327a Abs. 1 AktG). Die Beherrschungskomponente des BGAV ermöglicht es dem herrschenden Unternehmen, den Vorstand des abhängigen Unternehmens unmittelbar anzuweisen, Geschäfte und Maßnahmen im Interesse des herrschenden Unternehmens vorzunehmen, selbst wenn diese für das abhängige Unternehmen nachteilig sein sollten (§ 308 AktG). Anders als im faktischen Konzernverhältnis ohne Beherrschungsvertrag müssen in einem solchen Fall die Nachteile nicht einzeln quantifiziert und innerhalb desselben Geschäftsjahrs ausgeglichen werden. Ebenso wenig muss im Vertragskonzern ein Abhängigkeitsbericht (§ 312 AktG) erstellt werden, so dass auch der mit diesem verbundene Aufwand entfällt. All das beschleunigt die Geschäftsabläufe bei der Zusammenarbeit der herrschenden und der abhängigen Gesellschaft und reduziert zum beiderseitigen Vorteil Kosten. Die Gewinnabführungskomponente des BGAV begründet ein körperschaftund gewerbesteuerliches Organschaftsverhältnis, wodurch das steuerpflichtige positive oder negative Einkommen der abhängigen Gesellschaft der herrschenden Gesellschaft zugerechnet und von dieser versteuert wird. Dies ermöglicht eine direkte Verrechnung der steuerlichen Ergebnisse der abhängigen Gesell-
__________ 3 Vgl. OLG Köln, ZIP 2010, 519 f. 4 Vgl. LG Frankfurt/M. v. 18.3.2008 – 3-5 O 211/07, S. 9 ff.
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Im Spannungsfeld von Unternehmensvertrag und Squeeze-out
schaft mit den steuerlichen Ergebnissen der übrigen zum Organkreis der herrschenden Gesellschaft gehörenden Unternehmen. Sobald die Obergesellschaft 95 % der Anteile an der abhängigen Gesellschaft hält, steht der Nutzen der Kapitalbeschaffung am Markt regelmäßig in keinem Verhältnis zu den Mehrkosten, die durch die Ausgestaltung der Gesellschaft als Publikumsgesellschaft verursacht werden. Die Konzernierung der Untergesellschaft wird dann durch einen Squeeze-out bei der abhängigen Gesellschaft vollendet5. Auf diese Weise lassen sich z. B. die Kosten einer Börsennotierung sowie kosten- und personalintensive doppelte Berichtspflichten vermeiden. Ebenso entfällt die Notwendigkeit zur Durchführung einer aufwendigen Publikums-Hauptversammlung, was neben der Einsparung von Kosten auch die Flexibilität und Rechtssicherheit bei der Durchführung von (z. B. Struktur- oder Kapital-)Maßnahmen erhöht. Auch die Beschlussfassung über den BGAV und den Squeeze-out in derselben Hauptversammlung kann für die beteiligten Unternehmen vorteilhaft sein. Insbesondere macht es oft keinen Sinn, mit dem Abschluss des BGAV zu warten, bis der Squeeze-out wirksam geworden ist. Zum einen nämlich verfolgen – wie bereits dargestellt – beide Maßnahmen unterschiedliche Zielsetzungen, so dass die Durchführung der einen Maßnahme nicht zugleich bereits die Vorteile der anderen umsetzt. Zum anderen ist zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht absehbar, wann der Squeeze-out in das Handelsregister eingetragen werden und damit eine vereinfachte Beschlussfassung über den BGAV mit lediglich der Obergesellschaft als Aktionärin erfolgen kann. Überdies ist der üblicherweise größte Aufwand im Rahmen beider Maßnahmen, nämlich die Bewertung der Untergesellschaft und deren Prüfung, zur Vorbereitung des Übertragungsbeschlusses nach § 327a AktG bereits geleistet6. Die Gutachten können regelmäßig ohne größeren Mehraufwand auch im Rahmen des Beschlusses über einen BGAV verwendet werden. Aus Sicht der beteiligten Gesellschaften hat die zeitgleiche Zustimmung zu beiden Maßnahmen zudem den Vorteil, dass der BGAV mit seinen positiven wirtschaftlichen Folgen bereits durch Eintragung wirksam wird, wenn sich das Wirksamwerden des Übertragungsbeschlusses – zumeist aufgrund von Anfechtungsklagen – noch verzögert. Aufgrund der Registersperre gemäß § 327e Abs. 2 AktG i. V. m. § 319 Abs. 5 AktG darf nämlich der Squeeze-out bis zur Beendigung eines etwaigen Klageverfahrens bzw. einer Freigabeentscheidung nach § 327e Abs. 2 AktG i. V. m. § 319 Abs. 6 AktG nicht eingetragen werden. Das Gesetz kennt eine solche Regelung für den Unternehmensvertrag nicht, vgl. § 294 AktG. Ohnehin ist das Risiko einer Anfechtung des Übertragungsbeschlusses regelmäßig höher als das der Anfechtung eines BGAV, da Minderheitsaktionäre den Verlust ihrer Aktionärseigenschaft als einschneidender und damit anfechtungswürdiger empfinden als den Abschluss eines Unternehmensvertrags. Für dessen Abschluss werden sie nämlich mit einem Wahlrecht zwi-
__________ 5 Vgl. z. B. Popp, AG 2010, 1, 14; Butzke in FS Hüffer, 2010, S. 97. 6 Dies gilt zumindest dann, wenn nicht aufgrund von § 305 Abs. 2 Nr. 1 AktG Aktien der Obergesellschaft gewährt werden müssen und somit auch eine Bewertung der Obergesellschaft nötig wird.
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schen Ausscheiden aus der Gesellschaft gegen angemessene Barabfindung (§ 305 AktG) und Verbleib in der Gesellschaft gegen Zahlung eines angemessenen Ausgleichs (§ 304 AktG) kompensiert. In beiden Fallkonstellationen, d. h. unabhängig davon, ob die Beschlüsse über die beiden Maßnahmen in derselben Hauptversammlung oder in verschiedenen Jahren gefasst werden, wird in der Praxis regelmäßig zuerst der BGAV und zeitlich später der Übertragungsbeschluss in das Handelsregister eingetragen. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob das herrschende Unternehmen auch dann noch zur Ausgleichszahlung verpflichtet sein kann, wenn die ehemaligen Minderheitsaktionäre durch Wirksamwerden des Squeeze-out vor der nächstfolgenden Hauptversammlung bereits aus der Gesellschaft ausgeschieden sind. Ein konkretes Beispiel mag dies illustrieren: Die Hauptversammlung einer Gesellschaft beschließt am 30. Juni 2009 über einen BGAV und einen Squeezeout. Der BGAV wird am 1. Juli 2009, der Squeeze-out erst am 31. März 2010 im Handelsregister eingetragen und damit wirksam. Die Hauptversammlung im Juni 2010 ist keine Publikumshauptversammlung mehr – die früheren Minderheitsaktionäre sind mit Wirksamwerden des Squeeze-out aus der Gesellschaft ausgeschieden. Können Minderheitsaktionäre in dieser Konstellation eine Ausgleichszahlung für die Zeit vom 1. Juli 20097 bis zum 31. März 2010 verlangen? Die große wirtschaftliche Bedeutung dieser Frage für die betroffenen Unternehmen lässt sich nachvollziehen, wenn man sich verdeutlicht, wie viele Aktien bei größeren Gesellschaften auch dann noch außenstehenden Aktionären gehören, wenn sie in der Summe weniger als 5 % des Grundkapitals ausmachen. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrags liegen Entscheidungen verschiedener Oberlandesgerichte8 vor, gegen deren Entscheidung jeweils, da die Revision nicht zugelassen wurde, Nichtzulassungsbeschwerde9 eingelegt wurde. Der BGH hat die grundsätzliche Bedeutung der streitentscheidenden Frage, ob auch nach Verlust der Aktionärsstellung durch Squeeze-out noch ein zeitanteiliger Anspruch auf Ausgleichszahlung besteht, bereits in einem früheren Fall verneint10.
__________ 7 Eine Ausgleichszahlung für die Zeit zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni 2009 entfällt schon deshalb, weil die Barabfindung die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung ihrer Hauptversammlung (Bewertungsstichtag) – gegebenenfalls durch „Aufzinsung“ – berücksichtigt, vgl. § 305 Abs. 3 Satz 2 AktG. 8 Siehe oben, Fn. 1. 9 So z. B. OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, beim BGH unter Az. II ZR 244/ 09; OLG Frankfurt/M. v. 26.8.2009 – 23 U 69/08, beim BGH unter Az. II ZR 232/09; OLG Köln v. 8.10.2009 – 18 U 57/09 (ZIP 2010, 519 ff.), beim BGH unter Az. II ZR 247/09. 10 Darauf weist z. B. das OLG Köln, ZIP 2010, 519, 522 unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG München, ZIP 2007, 582 f., hin.
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II. Rechtliche Würdigung 1. Klageart und Anspruchsgegner In jüngerer Vergangenheit haben Minderheitsaktionäre die Frage einer möglichen Zahlungspflicht auf anteiligen Ausgleich im Wege verschiedenster Klagearten gegen die herrschende und/oder die abhängige Gesellschaft gerichtet. Teilweise wurde im Rahmen von Anfechtungsklagen die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigungsklausel und der Fälligkeitsklausel (zuweilen hilfsweise) begehrt, teilweise wurden isolierte Feststellungs- und/oder Leistungsklagen erhoben. Grundsätzlich müssen Minderheitsaktionäre ihr Begehr auf anteiligen Ausgleich im Wege einer Leistungsklage geltend machen11, sei es im Zusammenhang mit einer Anfechtungsklage oder isoliert. Die Feststellungsklage ist nicht geeignet, das klägerische Ziel einer Zahlungsverpflichtung der Obergesellschaft zu erreichen, so dass es an einem Feststellungsinteresse i. S. d. § 256 Abs. 1 ZPO fehlen kann12. Sie ist gegenüber der Leistungsklage regelmäßig subsidiär13. Den Anspruch auf Zahlung des Ausgleichs (auch) von der abhängigen Gesellschaft zu verlangen, führt bereits mangels Passivlegitimation zur (teilweisen) Unbegründetheit der Klage. Es entspricht der ganz herrschenden Meinung, dass richtiger Beklagter allein die Obergesellschaft ist. Nur bei ihr fallen die Gewinne an, für die eine Ausgleichspflicht grundsätzlich besteht14. 2. Anteiliger Ausgleich aus der Zahlungsklausel i. V. m. der Fälligkeitsklausel? Regelmäßig versuchen Minderheitsaktionäre, einen Anspruch auf anteiligen Ausgleich aus dem BGAV selbst herzuleiten. Dabei stützen sie sich auf die – oben beispielhaft wiedergegebene – Zahlungsklausel. Es ist anerkannt, dass
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11 Zustimmend auch Dreier/Riedel, BB 2009, 1822, 1823; ebenso Meilicke, AG 2010, 561, 568 f.; teilweise einschränkend aber OLG Frankfurt/M. v. 26.8.2009 – 23 U 69/08, DB 2009, 2200 = AG 2010, 368. 12 Vgl. Greger in Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 256 Rz. 7a (m. w. N.) mit Hinweis darauf, dass ein Feststellungsinteresse besteht, wenn der anspruchsbegründende Sachverhalt sich noch „in der Fortentwicklung“ befindet; Foerste in Musielak, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 256 Rz. 14. Das Fehlen eines Feststellungsinteresses kommt insbesondere dann in Betracht, wenn Kläger behaupten, ihr Anspruch sei bereits fällig geworden; dazu siehe unten unter II. 2. 13 Vgl. Foerste in Musielak, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 256 Rz. 12; Greger in Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, Vor 253 Rz. 4 und § 256 Rz. 7a (m. w. N.). Dass es allerdings keine „allgemeine Subsidiarität“ der Feststellungsklage gibt, betont u. a. BGH, NJW 1996, 2725, 2726; insofern könne Feststellungsklage erhoben werden, wenn dies gegenüber der Leistungsklage „unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zur sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt“. 14 Vgl. nur OLG Frankfurt/M. v. 26.8.2009 – 23 U 69/08, AG 2010, 368; OLG Düsseldorf, AG 1992, 200, 201; LG Frankfurt/M. v. 18.3.2008 – 3-5 O 211/07, S. 50 f.; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 304 Rz. 4; Koppensteiner in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, § 304 Rz. 17; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, § 304 Rz. 23 (jeweils m. w. N.).
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die außenstehenden Aktionäre durch die Zahlungsklausel eigene Ansprüche gegen die Obergesellschaft erhalten. Beim BGAV handelt es sich um einen echten Vertrag zugunsten Dritter i. S. d. §§ 328 ff. BGB15. Fraglich ist allerdings, ob die Minderheitsaktionäre im Zeitpunkt des Entstehens und der Fälligkeit des Anspruchs überhaupt noch die Tatbestandsvoraussetzungen der Zahlungsklausel erfüllen. Dazu müssten sie zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Ausgleichsanspruchs noch „außenstehende Aktionäre“ sein. Über das Entstehen und die Fälligkeit des Ausgleichsanspruchs besteht Uneinigkeit. Vereinzelt finden sich Äußerungen, der Ausgleichsanspruch entstehe bereits im Zeitpunkt des Wirksamwerdens des BGAV, also mit seiner Eintragung in das Handelsregister gemäß § 294 AktG16. Richtigerweise wird man jedoch – parallel zum Dividendenanspruch17 – mit der herrschenden Ansicht davon ausgehen müssen, dass mit Eintragung des Vertrags in das Handelsregister lediglich das „abstrakte Stammrecht“ als „Quelle zukünftiger Ausgleichsansprüche“ entsteht18. Wann der konkrete Anspruch auf die einzelne Ausgleichszahlung entsteht, bleibt hiervon unberührt. Der einzelne Ausgleichsanspruch entsteht mangels anderweitiger Regelung vielmehr gemäß § 271 BGB mit Fälligkeit des Anspruchs19. Nach der Fälligkeitsklausel des BGAV und der ganz herrschenden Meinung20 handelt es sich
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15 Vgl. OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 408; Veil in Spindler/ Stilz, AktG, 1. Aufl. 2007, § 304 Rz. 7; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 304 Rz. 5 (m. w. N.); RGZ 147, 42, 47; kritisch Bilda in FS Hüffer, 2010, S. 50 ff. 16 Vgl. Hasselbach/Hirte in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2005, § 304 Rz. 41; ebenso LG Köln v. 13.3.2009 – 82 O 93/08, Juris-Rz. 34 (aufgehoben vom OLG Köln, ZIP 2010, 519 ff.). 17 Vgl. hierzu Henze in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2000, § 58 Rz. 92 ff.; Bayer in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 58 Rz. 96 ff.; Cahn/Senger in Spindler/Stilz, AktG, 1. Aufl. 2007, § 58 Rz. 91 ff.; Fleischer in K. Schmidt/Lutter, AktG, § 58 Rz. 43 ff.; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 58 Rz. 28. 18 Vgl. OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 408 unter Hinweis darauf, dass allein diese Sichtweise der Rechtsprechung des BGH entspricht, nach der die Entgegennahme der Ausgleichszahlung Fruchtziehung im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses ist; im Ergebnis so auch Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, § 304 Rz. 42; Stephan in K. Schmidt/ Lutter, AktG, 1. Aufl. 2008, § 304 Rz. 34 (m. w. N.); Tebben, AG 2003, 600, 601; Baldamus, ZGR 2007, 819, 834; Koppensteiner in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, § 304 Rz. 9 („dem Grunde nach“); ausführlich zur Fälligkeit des Ausgleichsanspruchs auch Mennicke/Leyendecker, BB 2010, 1426, 1427. 19 Vgl. nur Ellenberger in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 199 Rz. 3 (m. w. N.); Baldamus, ZGR 2007, 819, 834. 20 Vgl. – teilweise unabhängig vom Bestehen einer unternehmensvertraglichen Regelung – Stephan in K. Schmidt/Lutter, AktG, 1. Aufl. 2008, § 304 Rz. 34 f.; ebenso OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 408, wo die Fälligkeit zum Zeitpunkt der Hauptversammlung einerseits und die Fälligkeit zum Zeitpunkt am Tag nach der Hauptversammlung andererseits aus Praktikabilitätsgründen ausdrücklich gleichgestellt werden. Vgl. auch BGH v. 31.5.2010 – II ZR 6/09, ZIP 2010, 1287; OLG Frankfurt/M. v. 26.8.2009 – 23 U 69/08, AG 2010, 368; OLG Köln, ZIP 2010, 519, 520; Baldamus, ZGR 2007, 819, 834; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 304 Rz. 13; Paulsen in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 304 Rz. 106 ff.; Krieger in MünchHdb. GesR, Bd. 4, 3. Aufl. 2007, § 70 Rz. 85; Mennicke/Leyendecker,
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um den ersten Bankarbeitstag nach der Hauptversammlung, im Beispielsfall also um den 1. Juli 2010. Dieses von klagenden Minderheitsaktionären immer wieder in Zweifel gezogene Ergebnis ist rechtlich nicht zu beanstanden, da es für die Fälligkeit mangels besonderer gesetzlicher Regelung auf den Willen der Parteien ankommt21. Es ist darüber hinaus auch sachgerecht: Ohne einen BGAV sind Minderheitsaktionäre zwar dividendenberechtigt. Auch die Dividende wird aber erst am Tag nach der Hauptversammlung fällig, da zunächst ein Gewinnverwendungsbeschluss gefasst werden muss22. Würde ohne bestehenden BGAV ein Squeeze-out eingetragen, entstünde der Dividendenanspruch folglich nicht mehr in der Person des Minderheitsaktionärs, sondern in der Person des Hauptaktionärs. Die Minderheitsaktionäre erhielten ebenfalls keine Zahlung (dann: Dividende) mehr23. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Minderheitsaktionäre im Fall des Bestehens eines BGAV besser gestellt werden sollten als ohne einen solchen Vertrag. Es ging dem Gesetzgeber nämlich darum, die außenstehenden Aktionäre so zu stellen als sei kein Unternehmensvertrag geschlossen worden24. Beim Ausgleich handelt es sich nach ganz herrschender Ansicht um einen Ersatz für die Dividende25, die wie erläutert erst mit dem Gewinnverwendungs-
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BB 2010, 1426, 1427 (jeweils m. w. N.); Koppensteiner in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, § 304 Rz. 9; Veil in Spindler/Stilz, AktG, 1. Aufl. 2007, § 304 Rz. 34; inzwischen hat auch Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, § 304 Rz. 42a f. seine anders lautende Ansicht aufgegeben und stimmt ausdrücklich überein, „Bedenken dagegen [das Abstellen auf den ersten Bankarbeitstag nach der ordentlichen Hauptversammlung, die Verfasser] bestehen nicht“. A. A. Hasselbach/Hirte in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2005, § 304 Rz. 42, der auf die Feststellung des Jahresabschlusses der abhängigen Gesellschaft abstellt, andererseits den Termin der ordentlichen Hauptversammlung (dort: Fn. 85) als gleichwertig ansieht. Vgl. Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 304 Rz. 13. Vgl. auch OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 409; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 304 Rz. 13. Vgl. OLG Hamm v. 19.7.2010 – I-8 U 126/09, S. 7 u. 11; OLG Frankfurt/M. v. 5.11. 2007 – 5 W 22/07, Juris-Rz. 49; OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, JurisRz. 65 f., 71 und 83 (mit zutreffendem Hinweis darauf, dass die immer wieder von Klägern vorgebrachten Entscheidungen des OLG Stuttgart, AG 2006, 340, 343, des OLG Hamburg, NZG 2003, 978, 979 und des OLG Frankfurt/M. selbst (NZG 2008, 78) dem gerade nicht entgegenstehen, da sie sich auf noch nicht entstandene Ansprüche beziehen); OLG Stuttgart, AG 2006, 340, 343; OLG Köln, ZIP 2010, 519, 521; LG Essen v. 26.8.2009 – 41 O 108/08, Juris-Rz. 36; Bödeker/Fink, NZG 2010, 296, 297. Vgl. OLG Frankfurt/M. v. 26.8.2009 – 23 U 69/08, AG 2010 368; OLG Düsseldorf, AG 1977, 168, 171; OLG Köln v. 24.6.2010 – 18 U 183/09, ZIP 2010, 1797; OLG München, AG 2008, 28, 32; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 304 Rz. 8; Kropff in Begr. RegE AktG, 1965, S. 394 f.; Koppensteiner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2004, § 304, Rz. 50; a. A. Meilicke, AG 2010, 561, 570, der jedoch selbst daran zweifelt, ob seine Auslegung mit dem Gesetzeswortlaut vereinbar ist. Vgl. Kropff in Begr. RegE AktG, 1965, S. 394; BGHZ 156, 57, 61; BGHZ 166, 195, 197; BGH, WM 2008, 255, 256; OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 408; OLG Frankfurt/M. v. 26.8.2009 – 23 U 69/08, AG 2010, 368.
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beschluss fällig wird. Der Ersatzanspruch kann nicht weiterreichende Rechte gewähren als der durch ihn ersetzte Anspruch26. Insofern ist auch der Einwand verfehlt, durch die zwischen den Parteien des BGAV vereinbarte Fälligkeitsklausel wandele sich der BGAV von einem Vertrag zugunsten Dritter unzulässigerweise zu einem Vertrag zulasten Dritter27. Zum einen ist es das Recht der Parteien des Unternehmensvertrags, das Forderungsrecht der am Vertrag nicht beteiligten, sondern nur begünstigten Person, innerhalb des gesetzlichen Rahmens auszugestalten28. Zum anderen bildet der Unternehmensvertrag in der Fälligkeitsklausel nach ganz herrschender Meinung im Wesentlichen nur ab, was auch ohne BGAV geltendes Recht wäre29. Demgegenüber war das LG Köln30 in einem vom OLG Köln aufgehobenen Urteil der Ansicht, ein Anspruch auf anteiligen Ausgleich sei – offenbar aus dem Rechtsgedanken des § 162 BGB – geboten: Das herrschende Unternehmen habe das Fälligwerden des Ausgleichsanspruchs durch Eintragung des Squeezeout vor der Hauptversammlung „verhindert“. Dies dürfe ihm nicht zum Vorteil gereichen. Dabei verkennt das LG Köln, dass die Eintragung des Squeeze-out gerade kein rechtsmissbräuchliches „Verhindern“ des Fälligwerdens der Ausgleichzahlung durch das herrschende Unternehmen darstellt. Vielmehr macht das herrschende Unternehmen, dem immerhin mindestens 95 % des Grundkapitals gehören, von seinem durch das Aktiengesetz eingeräumten Recht Gebrauch, über die Übertragung der übrigen Aktien der Minderheitsaktionäre beschließen zu lassen. Dieses Recht hätte ihm auch ohne das Bestehen eines BGAV zugestanden, ohne dass anteilige Zahlungen – dann: der Dividende – erforderlich geworden wären31. Dem herrschenden Unternehmen geht es typischerweise nicht darum, die Eintragung des Squeeze-out zielgenau möglichst nah vor der nächsten Hauptversammlung der abhängigen Gesellschaft zu bewirken, um so die Pflicht zur Zahlung von Ausgleich zu verhindern, wie es offenbar das LG Köln vermutet. Zum einen ist die Obergesellschaft vielmehr an einer möglichst raschen Eintragung des Squeeze-out interessiert, und zwar nicht zur „Verhinderung“ von
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26 Vgl. nur Koppensteiner in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, § 304 Rz. 9 (m. w. N.). Ebenso BGHZ 166, 195, 200; BGHZ 174, 378, 381 („Überkompensation“); OLG Düsseldorf, AG 1977, 168, 171. Dem klägerischen Vortrag, der eine Differenzierung zwischen Dividende und Ausgleichszahlung zu begründen versucht, erteilt z. B. das OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 408 mit überzeugenden Gründen eine klare Absage. 27 Hierzu auch OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 408 sowie OLG Frankfurt/M. v. 26.8.2009 – 23 U 69/08, AG 2010, 368. Ausführlich hierzu auch Mennicke/Leyendecker, BB 2010, 1426, 1428 (m. w. N.). 28 Vgl. Gottwald in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2007, § 328 Rz. 25, 28, 32; Grüneberg in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 328 Rz. 1. 29 Siehe oben, Fn. 18 und 23. 30 LG Köln v. 13.3.2009 – 82 O 93/08, Juris-Rz. 42 ff. (aufgehoben vom OLG Köln, ZIP 2010, 519 ff.). 31 Siehe oben, Fn. 23.
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Ausgleichszahlungen, sondern zur Vollendung der Konzernierung der abhängigen Gesellschaft. Daran sieht sie sich aber (allein) durch die (in den meisten Fällen offensichtlich unbegründeten i. S. d. §§ 246a Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG) Anfechtungsklagen von Minderheitsaktionären gehindert. Zum anderen hat das herrschende Unternehmen sowohl auf die Eintragung im Handelsregister als auch auf die Terminierung der Hauptversammlung keinen unmittelbaren Einfluss. Die Eintragung nimmt das Handelsregister nach Prüfung der erforderlichen Unterlagen – u. U. erst deutlich nach deren Einreichung – vor. Die Hauptversammlung wird gemäß § 121 Abs. 2 Satz 1 AktG nicht vom herrschenden Unternehmen, sondern vom Vorstand der Untergesellschaft einberufen. Das herrschende Unternehmen ist nach richtiger Ansicht auch nicht gegenüber den Minderheitsaktionären verpflichtet, selbst eine Einberufung der Hauptversammlung zu verlangen32. Der Versuch des LG Köln, die Fälligkeit des Ausgleichsanspruchs über § 162 BGB vorzuverlagern, ist daher abzulehnen. Im Ergebnis kann ein Ausgleichsanspruch der Minderheitsaktionäre weder entstehen noch fällig werden, wenn der Squeeze-out vor dem Termin der Hauptversammlung wirksam wird33. Damit kommt im Beispielsfall ein Anspruch auf anteiligen Ausgleich aus der Zahlungsklausel in Verbindung mit der Fälligkeitsklausel nicht in Betracht. Zum Zeitpunkt der Entstehung und des Fälligwerdens der Ausgleichsansprüche sind die ehemaligen Minderheitsaktionäre nämlich gerade keine Aktionäre der Gesellschaft mehr und erfüllen somit nicht die Voraussetzungen der Zahlungsklausel34. 3. Anteiliger Ausgleich aus der Kündigungsklausel? Als weitere Anspruchsgrundlage aus dem BGAV käme zudem die – oben beispielhaft wiedergegebene – Kündigungsklausel in Betracht. So argumentieren Minderheitsaktionäre in Klageverfahren teilweise damit, der BGAV werde durch den Squeeze-out beendet35. Dem wird man entgegenhalten müssen, dass auch für die Kündigungsklausel die nach dem BGAV erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Die allein in Betracht kommende erste Variante der Kündigungsklausel gewährt einen Ausgleich pro rata temporis nur dann, wenn der BGAV während eines laufenden Geschäftsjahres endet. Dies ist aber gerade nicht der Fall. Der Squeeze-out berührt den konzernrechtlichen Status der Gesellschaft nach ganz
__________ 32 Zu alldem zutreffend OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 408. 33 Siehe oben, Fn. 20. 34 Vgl. OLG Frankfurt/M., ZIP 2008, 138, 141; OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 408; OLG Frankfurt/M. v. 26.8.2009, 23 U 69/08, AG 2010, 368; OLG Köln, ZIP 2010, 519, 520; LG Essen v. 26.8.2009 – 41 O 108/08, Juris-Rz. 29 und 34; OLG München, ZIP 2007, 582. 35 Für eine Beendigung des BGAV durch den Squeeze-out offenbar auch Dreier/Riedel, BB 2009, 1822, 1823 f.
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herrschender Meinung nicht36. Jedes andere Ergebnis würde zu Wertungswidersprüchen und von den beteiligten Unternehmen nicht gewünschten Konsequenzen führen: Zum einen würde die eingangs erläuterte steuerliche Organschaft (ggf. rückwirkend) beseitigt37. Zum anderen könnte die Leitungsmacht gegenüber der abhängigen Gesellschaft nicht in gleicher Weise wie vorher ausgeübt werden, obwohl die Untergesellschaft nunmehr vollständig von der Obergesellschaft gehalten würde. Dagegen lässt sich auch nicht mit dem von Minderheitsaktionären in Klageverfahren immer wieder als Vergleich herangezogenen Fall der Eingliederung bei DAT/Altana38 argumentieren. Denn die Eingliederung in das herrschende Unternehmen bewirkt die völlige Integration der Ober- in die Untergesellschaft, so dass für den Beherrschungsvertrag kein Raum mehr bleibt39. Deshalb erlischt der Beherrschungsvertrag zwischen der abhängigen Gesellschaft und dem herrschenden Unternehmen, während er beim Squeeze-out fortbesteht40. Nach alldem kommt auch ein Anspruch auf anteiligen Ausgleich aus der Kündigungsklausel nicht in Betracht. Der BGAV ist nämlich durch den Squeezeout gerade nicht vorzeitig beendet worden41. 4. Anteiliger Ausgleich aus ergänzender Vertragsauslegung der Kündigungsklausel? Nachdem ein Anspruch auf anteiligen Ausgleich aus dem BGAV direkt nicht in Betracht kommt, hat das LG Köln in dem mittlerweile vom OLG Köln aufgehobenen Urteil einen Anspruch auf anteiligen Ausgleich aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung der Kündigungsklausel erkannt. Dabei stützte es sich darauf, dass – selbst wenn der BGAV durch den Squeeze-out nicht beendet wird – die Wirkung gegenüber den Minderheitsaktionären die gleiche sei. Auch beim Squeeze-out ende für den Aktionär die Schutzfunktion des Unternehmensvertrags sowie die Ausgleichspflicht des herrschenden Unternehmens, so dass kein Unterschied zu einer Kündigung des BGAV bestehe42.
__________ 36 Vgl. OLG München, ZIP 2007, 582; OLG Frankfurt/M. v. 26.8.2009 – 23 U 69/08, AG 2010, 368; OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 408; OLG Köln, ZIP 2010, 519, 520; LG Essen v. 26.8.2009 – 41 O 108/08, Juris-Rz. 35; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, § 327e Rz. 11; Singhof in Spindler/Stilz, AktG, 1. Aufl. 2007, § 327e Rz. 10; Mennicke/ Leyendecker, BB 2010, 1426, 1428; Butzke in FS Hüffer, 2010, S. 100. 37 Vgl. nur Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 291 Rz. 38 ff.; Mennicke/Leyendecker, BB 2010, 1426, 1428. 38 BGHZ 147, 108. 39 Koppensteiner in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, § 297 Rz. 40; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, § 297 Rz. 34 (m. w. N.). 40 Zum Ganzen auch OLG Köln, ZIP 2010, 519, 520 (m. w. N.); OLG Hamm v. 19.7. 2010 – I-8 U 126/09, ZIP 2010, 1108. 41 Siehe oben, Fn. 36. 42 Vgl. LG Köln v. 13.3.2009 – 82 O 93/08, Juris-Rz. 29 ff. (aufgehoben durch OLG Köln, ZIP 2010, 519 ff.); ihm folgend: Dreier/Riedel, BB 2009, 1822, 1823 f.
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Dieser Argumentation sind die mit der Frage der anteiligen Ausgleichspflicht befassten Oberlandesgerichte zu Recht entgegen getreten. Für eine ergänzende Vertragsauslegung bedarf es zunächst einer (auf Basis des hypothetischen Parteiwillens zu schließenden) planwidrigen Regelungslücke43, und zwar in der Kündigungsklausel selbst. Die Kündigungsklausel weist eine solche planwidrige Regelungslücke aber gerade nicht auf. Zum einen bildet der BGAV die gesetzliche Regelung für die Konstellation ohne BGAV nach: Ohne BGAV erhielten die Minderheitsaktionäre bei Eintragung eines Squeeze-out vor der folgenden Hauptversammlung nämlich keine Dividende für das abgeschlossene Geschäftsjahr44. Zum anderen ist den Parteien eines Unternehmensvertrags im Allgemeinen bekannt, dass – wie oben dargestellt – der Unternehmensvertrag lediglich einen Schritt auf dem Weg zur vollständigen Konzernierung der Untergesellschaft darstellt. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie in den zuletzt entschiedenen Fällen – über den Squeeze-out relativ kurz nach (oder sogar parallel mit) dem Abschluss des BGAV beschlossen wird. Wenn die Parteien beim Abschluss des BGAV keine Regelung im BGAV bezüglich eines Squeezeout getroffen haben, so wird man davon auszugehen haben, dass sie keine derartige Regelung treffen wollten45. Selbst wenn eine planwidrige Regelung bestünde, käme eine ergänzende Vertragsauslegung wegen des fehlenden, eindeutigen hypothetischen Parteiwillens, der aber Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist46, nicht in Betracht. Näher als die Vermutung, die Parteien des BGAV hätten den Squeezeout der Kündigung des BGAV gleichstellen wollen, liegt nämlich die Vermutung, dass die Parteien (zu Recht47) davon ausgegangen sind, dass die Minderheitsaktionäre durch die Barabfindung vollständig kompensiert werden48. 5. Anteiliger Ausgleich aus § 327b Abs. 2 Halbs. 2 AktG? Ein Anspruch der Minderheitsaktionäre aus § 327b Abs. 2 Halbs. 2 AktG auf anteiligen Ausgleich kommt ebenfalls nicht in Betracht. § 327b Abs. 2 Halbs. 2 AktG, wonach die Geltendmachung eines weiteren Schadens – neben der Verzinsung der Barabfindung – nicht ausgeschlossen ist, setzt nämlich die Verwirklichung einer entsprechenden Anspruchsgrundlage voraus, etwa des § 280 Abs. 1 und 2 BGB i. V. m. § 286 BGB49. Für einen derartigen Anspruch ist jedoch
__________ 43 Vgl. Ellenberger in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 157 Rz. 2 ff.; BGH, NJW 1997, 652; BGH, NJW 2002, 2310; BGH, NJW-RR 2005, 1619, 1621 (jeweils m. w. N.). 44 Siehe oben, Fn. 23. 45 So auch OLG Köln, ZIP 2010, 519, 520; OLG Hamm v. 19.7.2010 – I-8 U 126/09, ZIP 2010, 1108; im Ergebnis ebenso OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 408; OLG Frankfurt/M. v. 26.8.2009 – 23 U 69/08, AG 2010, 368. 46 BGH, NJW 1997, 652; BGH, NJW 2002, 2310, 2311; BGH, NJW-RR 2005, 1619, 1621. 47 Dazu siehe unten, II. 7. 48 So auch OLG Köln, ZIP 2010, 519, 520. 49 Vgl. Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 327b Rz. 8; Grunewald in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 327b Rz. 14; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, § 327b Rz. 10.
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nichts ersichtlich. Folgerichtig lehnt die Rechtsprechung einen Anspruch auf anteiligen Ausgleich auch aus dieser Anspruchsgrundlage ausdrücklich ab50. 6. Anteiliger Ausgleich aus § 101 Nr. 2 BGB? Ebenso wenig in Betracht kommt ein Anspruch auf anteiligen Ausgleich aus § 101 Nr. 2 BGB, der allein die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen, aufeinander folgenden Fruchtziehungsberechtigten regelt, also die Frage, wem die Früchte gebühren (nicht: gehören)51. Die Voraussetzungen dieser Norm sind in mehrfacher Hinsicht nicht erfüllt. Zum einen liegt, worauf beispielsweise das OLG Köln, das OLG Hamm und das OLG Frankfurt/M.52 zu Recht hinweisen, bereits keine Fruchtziehung durch die herrschende Gesellschaft vor, die zwischen ihr und den Minderheitsaktionären aufgeteilt werden könnte. Für die Anwendbarkeit des § 101 Nr. 2 BGB ist aber zwingende Voraussetzung, dass die zwischen den Parteien aufzuteilenden Früchte auch tatsächlich gezogen worden sind53. Wenn die Norm jedoch bereits auf lediglich ziehbare (aber nicht tatsächlich gezogene) Fruchtziehungen keine Anwendung findet, so ist sie erst recht nicht anwendbar in Fällen, in denen wie beim aktienrechtlichen Ausgleichsanspruch nicht einmal ein derartiges Fruchtziehungsrecht besteht54. Der herrschenden Gesellschaft steht weder vor noch nach dem Squeeze-out ein Anspruch auf Ausgleich aus dem BGAV zu. Sie ist – wie dargestellt55 – im Gegenteil Schuldnerin des Anspruchs. Insbesondere rückt die herrschende Gesellschaft durch den Squeeze-out nicht in die Position der Minderheitsaktionäre als „außenstehende Aktionäre“ ein. Allein diese aber können unter bestimmten Voraussetzungen ausgleichsberechtigt sein. Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass die herrschende Gesellschaft den Gewinn bei der abhängigen Gesellschaft abschöpft. Es ist nämlich weder gesagt, dass die abhängige Gesellschaft überhaupt einen Gewinn an das herrschende Unternehmen abführt, noch dass dieser pro Aktie zufällig genau die Höhe der Ausgleichszahlung erreicht; Letzteres dürfte in der Praxis sogar so gut wie nie vorkommen. Schließlich ist § 101 Nr. 2 BGB für die Ausgleichszahlung auch aufgrund der gesetzlich angeordneten Subsidiarität nicht anwendbar. Es ist nämlich „ein anderes bestimmt“: So sieht der BGAV – wie dargestellt mit der ganz herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur: zulässigerweise – vor, unter
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50 LG Köln v. 13.3.2009 – 82 O 93/08, Juris-Rz. 27; zustimmend auch Dreier/Riedel, BB 2009, 1822, 1823. 51 Vgl. OLG Köln, ZIP 2010, 519, 521; ebenso: Jickeli/Stieper in Staudinger, BGB, 3. Aufl. 2004, § 101 Rz. 1; Holch in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 101 Rz. 3 ff. 52 Vgl. OLG Köln, ZIP 2010, 519, 521; OLG Hamm v. 19.7.2010 – I-8 U 126/09, ZIP 2010, 1108; OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 408; a. A. aber Altmeppen, ZIP 2010, 1773, 1778. 53 Vgl. RG, JW 1913, 193, 194; BGH, WM 1992, 516, 518; BGH, NJW 1995, 1027, 1029; OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 408; Ellenberger in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 101 Rz. 2. 54 So auch OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 408. 55 Siehe hierzu oben unter II. 1.
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welchen Voraussetzungen die volle Ausgleichszahlung fällig wird. Eine anteilige Ausgleichszahlung im Fall eines Squeeze-out soll gerade nicht erfolgen. 7. Anteiliger Ausgleich aus § 101 Nr. 2 BGB analog? Es besteht auch kein Grund, mit dem LG Frankfurt/M.56 aus „dem Rechtsgedanken des § 101 Nr. 2 Halbs. 2 BGB“ einen Anspruch der Minderheitsaktionäre auf anteilige Ausgleichszahlung zu bejahen. Folgerichtig wurde das dahingehende landgerichtliche Urteil mittlerweile vom OLG Frankfurt/M.57 aufgehoben. Das Landgericht Frankfurt/M. hatte den Rechtsgedanken des § 101 Nr. 2 Halbs. 2 BGB bemüht, weil es der Ansicht war, ohne einen anteiligen Ausgleichsanspruch bestünde zulasten der Minderheitsaktionäre ein „zinsfreier Zeitraum“. Im obigen Beispielsfall erstreckt sich dieser vom 1. Juli 2009 (Tag nach der Beschlussfassung über die Maßnahmen) bis zum 31. März 2010 (Eintragung und Wirksamwerden des Squeeze-out mit der unmittelbar danach einsetzenden Zinsfolge des § 327b Abs. 2 AktG). Würden die Minderheitsaktionäre die Barabfindung für den Squeeze-out unmittelbar nach dem Bewertungsstichtag (Hauptversammlung, die über den Squeeze-out beschließt) erhalten, könnten sie mit dem Geld in der Zwischenzeit Erträge erzielen. Die Argumentation des Landgerichts verkennt freilich, dass die von ihm als unbillig empfundene „Zinslücke“ eine Folge der ausdrücklichen gesetzgeberischen Wertung in § 327b AktG ist, den Minderheitsaktionären im Fall eines Squeeze-out erst ab Bekanntmachung der Eintragung des Übertragungsbeschlusses Zinsen zuzusprechen. Damit soll – was auch verfassungsgemäß58 ist – gerade keine Verzinsung für die Zeit zwischen der beschlussfassenden Hauptversammlung und der Eintragung des Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister gewährt werden59. Zudem – auch deshalb hob das OLG Frankfurt/M.
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56 LG Frankfurt/M. v. 18.3.2008 – 3-5 O 211/07, S. 52 f.; ihm folgend Dreier/Riedel, BB 2009, 1822, 1827; ähnlich Altmeppen, ZIP 2010, 1773 ff. 57 OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 408; zum Ganzen auch Mennicke/Leyendecker, BB 2010, 1426, 1430, die davor warnen „über einen angeblichen ‚Rechtsgedanken‘ aus dem allgemeinen Zivilrecht die spezielle, in sich konsistente Regelung und Balance des Aktienrechts entgegen der eindeutigen Entscheidung des Gesetzgebers contra legem aushebeln zu wollen.“ 58 Zur Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Squeeze-out-Regelung: BVerfG, BB 2007, 2427; BVerfG, NJW 2007, 3268; BVerfG, AG 2008, 27. Vgl. auch Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 327a Rz. 4; Koppensteiner in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, Vor § 327a Rz. 6 f.; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, § 327a Rz. 7; Grunewald in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 327a Rz. 6; dies übersieht Altmeppen, ZIP 2010, 1773, 1776 und ebenso Meilicke, AG 2010, 561, 569, wenn er meint, die Frage sei dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. 59 So auch OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 408; LG Essen v. 26.8.2009 – 41 O 108/08, Juris-Rz. 36, welches betont, „es handelt sich hierbei um eine gewollte gesetzgeberische Entscheidung, die nicht auf dem Umweg einer Analogie oder ergänzenden Vertragsauslegung korrigiert werden kann“. Ebenso OLG Stuttgart, AG 2006, 340, 343, nach dem „der Gesetzgeber […] in § 327b Abs. 2 Satz 2 AktG ausdrücklich geregelt [hat], dass die Barabfindung erst von der Bekanntmachung der Eintragung des Übertragungsbeschlusses mit Zinsen in Höhe von
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die Entscheidung des Landgerichts auf – würde die Sichtweise des Landgerichts Frankfurt/M. zu einer Bevorzugung von Aktionären einer Gesellschaft mit BGAV gegenüber einer solchen ohne BGAV führen, da letztere im Fall eines Squeeze-out keine anteilige Dividende erhalten60. Dies widerspräche dem Charakter des Ausgleichs als reinem „Ersatz“ für die Dividende, der nicht weiter reichen kann als das ersetzte Recht61. Darüber hinaus verkehrt die Entscheidung des Landgerichts Frankfurt/M. Ursache und Wirkung: Das Gericht ist der Ansicht, die unter bestimmten Umständen durch § 327b Abs. 2 AktG entstehende Zinslücke sei nur dann rechtfertigbar, wenn den Minderheitsaktionären für den zinsfreien Zeitraum anderweitige Zahlungen zuteil würden. Dabei übersieht es, dass gerade Minderheitsaktionäre selbst die zur Zinslücke führenden Umstände verursachen. Sie selbst verhindern durch (i. S. d. §§ 246a Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG offensichtlich unbegründete) Anfechtungsklagen die Auszahlung der Barabfindung unverzüglich nach Wirksamwerden des Squeeze-out. Demgegenüber kann es nach der Wertung, die § 327b AktG zugrunde liegt, zu einer relevanten Zinslücke überhaupt nicht kommen: Werden keine Anfechtungsklagen erhoben, erhalten die ehemaligen Aktionäre alsbald nach Ablauf der einmonatigen Anfechtungsfrist die angemessene Barabfindung. Werden dagegen erfolgreiche Anfechtungsklagen erhoben, entsteht schon deshalb keine Zinslücke, weil der Squeeze-out nicht wirksam wird. In diesem Fall bleiben die Minderheitsaktionäre weiter Anteilseigner der Gesellschaft und erhalten bei Fälligkeit die jährliche Ausgleichszahlung. Sind die Anfechtungsklagen dagegen erfolglos, haben die Minderheitsaktionäre den Grund für die Verzögerung der Auszahlung selbst gesetzt. In diesem Fall gibt es – insbesondere im Hinblick auf § 162 Abs. 1 BGB – keinen Grund, sie für die Vereitelung eines frühzeitigen Wirksamwerdens des Squeeze-out und trotz Zahlungswilligkeit der herrschenden Gesellschaft auch noch mit einer anteiligen Ausgleichszahlung zu „belohnen“62. Für den oben dargestellten Beispielsfall einer Doppelmaßnahme aus BGAV und Squeeze-out, die beispielsweise der Entscheidung des LG Frankfurt/M. zugrunde lag, stimmt überdies eine wesentliche Annahme des Landgerichts zur angeblichen „Zinslücke“ nicht: Das Landgericht geht offenbar davon aus,
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2 Prozentpunkten [durch das ARUG nunmehr sogar 5 Prozentpunkte, die Verfasser] über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen ist. Damit kann eine zeitliche Verzögerung bei der Verzinsung verbunden sein, wenn der Übertragungsbeschluss als solcher angefochten wird und eine Eintragung erst nach rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens oder aber nach einem Freigabeverfahren i. S. von §§ 327e Abs. 2, 319 Abs. 6 AktG erfolgt. Diese Folge hat der Gesetzgeber in Kauf genommen und in Anlehnung an §§ 305 Abs. 3 Satz 3, 320b Abs. 1 Satz 6 AktG eine Verzinsung erst ab Eintragung vorgesehen.“ Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, das OLG Stuttgart gehe von einer Pflicht zur Zahlung einer anteiligen Dividende bzw. einem anteiligen Ausgleich aus, da sich die dortigen Ausführungen – worauf das OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, Juris-Rz. 66 hinweist – sich nicht auf noch nicht entstandene Ansprüche bezieht. 60 Siehe oben, Fn. 23. 61 Hierzu siehe bereits oben unter Fn. 26. 62 Genau das aber wäre das Ergebnis der Beispielsrechnung des LG Köln v. 13.3.2009 – 82 O 93/08, Juris-Rz. 53 (aufgehoben durch OLG Köln, ZIP 2010, 519 ff.).
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die Aktionäre müssten auf die Eintragung des Squeeze-out warten, um in den Genuss der Barabfindung zu kommen und diese ertragbringend anlegen zu können63. Dies ist bei einer Doppelmaßnahme (und ebenso bei einem in der Praxis typischerweise noch laufenden Spruchverfahren zum BGAV, vgl. § 305 Abs. 4 Satz 3 AktG) gerade nicht der Fall. Hier können die Minderheitsaktionäre nämlich auch die – bei einer Doppelmaßnahme typischerweise gleich hohe – Barabfindung aus dem normalerweise deutlich früher eingetragenen BGAV wählen und gewinnbringend anlegen. In dem vom LG Frankfurt/M. entschiedenen Fall erfolgte die Eintragung des BGAV im Handelsregister nicht einmal eine Woche nach der Beschlussfassung durch die Hauptversammlung. Trotzdem wählten die Kläger in diesem Verfahren nicht die Barabfindung nach dem BGAV, sondern klagten auf anteiligen Ausgleich, obwohl ihnen das Risiko der Eintragung des Squeeze-out bekannt war. Offensichtlich ging es ihnen gerade nicht darum, die vom Gesetz in § 327b AktG vorgesehene, unter bestimmten – von den Minderheitsaktionären selbst verursachten – Umständen entstehende „Zinslücke“ durch Wahl der Barabfindung aus dem BGAV zu schließen, sondern darum, die vergleichsweise hohe Verzinsung des investierten Kapitals in Form der Ausgleichszahlung zu erhalten. Diese Spekulation erkennt auch das OLG Frankfurt/M. Es führt dazu aus, die Minderheitsaktionäre dürften grundsätzlich die Chance wahrnehmen, durch Klagen gegen den Übertragungsbeschluss ihre Eigenschaft als „außenstehende Aktionäre“ möglichst lange aufrecht zu erhalten und sich so die aufgrund der Ausgleichszahlung regelmäßig hohe Verzinsung ihrer Einlage zu sichern. Es handele sich aber um nicht mehr als eine Chance, bei der die Kläger damit rechnen müssten, dass ihr Kalkül aufgrund zwischenzeitlicher Eintragung des Squeeze-out vor der Hauptversammlung nicht aufgeht64. Dem lässt sich auch nicht das Argument des LG Frankfurt/M.65 entgegenhalten, es sei „wenig befriedigend“, die Ausgleichszahlungen davon abhängig zu machen, wann das Gericht im Freigabeverfahren entscheide. Zum einen spielt die Verfahrensdauer im Squeeze-out-Freigabeverfahren auch bei anderen Aktionärsrechten eine wichtige Rolle, z. B. bei der Frage, ob die Antragsgegner überhaupt noch Aktionäre und damit an der folgenden Hauptversammlung zur Teilnahme berechtigt sind. Zum anderen hat der Gesetzgeber die negativen Folgen einer Verzögerung des Wirksamwerdens von u. a. Übertragungsbeschlüssen schrittweise reduziert. Zunächst wurde im Rahmen des UMAG66 das Freigabeverfahren mit der Dreimonatsfrist des § 246a Abs. 3 Satz 5 AktG a. F. bzw. § 319 Abs. 6 Satz 4 AktG a. F. eingeführt. Zuletzt wurde zur weiteren Be-
__________ 63 LG Frankfurt/M. v. 18.3.2008 – 3-5 O 211/07, S. 53. 64 OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 408; ähnlich auch OLG Frankfurt/M. v. 30.3.2010 – 5 W 32/09, NZG 2010, 664; auch deshalb ist der Hinweis von Meilicke, AG 2010, 561, 567 unzutreffend, dass „die h. M. von Juristen gebildet wird, welchen die Grundlagen der Finanzmathematik nicht geläufig sind“. 65 LG Frankfurt/M. v. 18.3.2008 – 3-5 O 211/07, S. 53; ihm folgend Dreier/Riedel, BB 2009, 1822, 1826 f. 66 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts, BGBl. I 2005, S. 2802 ff.
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schleunigung des Verfahrens im Rahmen des ARUG67 gemäß § 246a Abs. 1 Satz 3 AktG bzw. § 319 Abs. 6 Satz 7 AktG das Freigabeverfahren bei den Oberlandesgerichten konzentriert. Mit dem derart verkürzten Freigabeverfahren verliert die vom LG Frankfurt/M. für problematisch empfundene „Zinslücke“ auch ihre wirtschaftliche Relevanz. Für die Richtigkeit der Ansicht der mit der Frage des anteiligen Ausgleichs befassten Oberlandesgerichte spricht auch noch die Parallele zur anderweitigen Beendigung der Stellung als außenstehender Aktionär. Wenn nämlich ein außenstehender Aktionär seine Aktien z. B. veräußert oder die Barabfindung wählt, ist anerkannt, dass damit die Ausgleichsberechtigung in seiner Person erlischt68. Nichts anderes gilt, wenn der Minderheitsaktionär nach §§ 327a ff. AktG ausgeschlossen wird. In diesem Fall bleiben die Ausgleichsansprüche, die bis zum Zeitpunkt der Eintragung des Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister entstanden sind, bestehen69. Der von den Klägern begehrte anteilige Ausgleich ist aber nach ganz herrschender Ansicht gerade noch nicht entstanden70. 8. Berücksichtigung des anteiligen Ausgleichs im Spruchverfahren? Das OLG Köln71 geht mit der herrschenden Ansicht davon aus, dass ein Anspruch auf anteiligen Ausgleich bei Eintragung des Squeeze-out vor Fälligwerden des Ausgleichsanspruchs nicht besteht. Anders als die übrigen mit der Frage befassten Oberlandesgerichte scheint es aber davon auszugehen, dass anteilige Ausgleichsansprüche bei der Bewertung geschätzt und dann im Rahmen der „angemessenen Barabfindung“ nach § 327a AktG zu berücksichtigen seien; damit seien sie gegebenenfalls auch im Rahmen eines Spruchverfahrens überprüfbar. Diese Vorgehensweise ist jedoch nicht nur unpraktikabel, sondern auch rechtlich nicht geboten. Folgerichtig wurde sie von den übrigen Oberlandesgerichten, die über die Frage des anteiligen Ausgleichs zu entscheiden hatten, nicht erwogen. Zunächst lässt sich nämlich bei der Bewertung ex-ante nicht sagen, wie lange die Eintragung des Squeeze-out dauern wird und in welcher Höhe damit der hypothetische Ausgleich bei der Ermittlung der Barabfindung zu berücksichtigen ist. Vor allem aber bedarf es einer Berücksichtigung von anteiligen Ausgleichszahlungen und deren Überprüfung im Spruchverfahren schon deshalb nicht, weil der Anspruch der Minderheitsaktionäre auf anteiligen Aus-
__________ 67 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie, BGBl. I 2009, S. 2479 ff. 68 Krieger in MünchHdb. GesR, Bd. 4, 3. Aufl. 2007, § 70 Rz. 80; Paulsen in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 304 Rz. 123 f. (jeweils m. w. N.); Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 304 Rz. 2. 69 Paulsen in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 304 Rz. 123 (m. w. N.); ebenso z. B. auch OLG Frankfurt/M. v. 15.2.2010 – 5 W 52/09, Juris – Rz. 22. Unzutreffend daher Meilicke, AG 2010, 561, der davon ausgeht, das Urteil widerspräche den oben in Fn. 1 genannten Entscheidungen. 70 Siehe oben, Fn. 20. 71 OLG Köln, ZIP 2010, 519, 521; ähnlich Tebben, AG 2003, 600, 607 f.
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gleich nach Wirksamwerden eines Squeeze-out per definitionem gleich Null ist. Wie bereits dargestellt72, vereiteln nämlich die Minderheitsaktionäre die Zahlung der Barabfindung mit ihren Anfechtungsklagen selbst. Eine Zinslücke zwischen Beschlussfassung über den Squeeze-out und Eintragung des Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister käme allenfalls dann in Betracht, wenn der Squeeze-out nach einem Rechtsstreit wirksam wird, die Anfechtungsklagen also erfolglos waren. In diesem Fall aber widerspräche es § 162 Abs. 1 BGB, die Kläger für die Vereitelung eines frühzeitigen Wirksamwerdens des Squeeze-out auch noch mit einer anteiligen Ausgleichszahlung zu belohnen. Die allenfalls verbleibende „Zinslücke“ für die Dauer von einem Monat (zwischen Beschlussfassung über den Squeeze-out und Eintragung im Handelsregister bei reibungslosem Verlauf, § 327e Abs. 2 AktG i. V. m. § 319 Abs. 5 AktG) ist – wie erläutert – vom Gesetzgeber in Kauf genommen und damit zu respektieren. Insofern hätte es des Hinweises der mit der Frage befassten Oberlandesgerichte73, dass in den jeweiligen Verfahren der Ausgleich zusätzlich ohnehin bereits in die Barabfindung eingepreist war, gar nicht mehr bedurft. Folgerichtig ist anerkannt, dass Spruchverfahren nur die „früheren Ausgleichsleistungen“74, also solche vor dem Wirksamwerden des Squeeze-out, betreffen können.
III. Ergebnis Nach alldem besteht ein Anspruch der Minderheitsaktionäre auf anteiligen Ausgleich im Fall eines zwischenzeitlich wirksam werdenden Squeeze-out nicht. Dass der Abfindungsanspruch für den Zeitraum, für den der Ausgleich nicht fällig wird, nicht verzinst wird, ist eine gesetzgeberische Entscheidung. Diese ist zu akzeptieren und nicht durch systemwidrige Schaffung eines pro-rataAusgleichsanspruchs zu umgehen. Insbesondere handelt es sich nicht um eine planwidrige „Zinslücke“. Während einige Landgerichte dies zunächst noch anders entschieden hatten, haben sich die bislang mit der Sache befassten Oberlandesgerichte einheitlich und mit überzeugenden Argumenten gegen die Zahlung des von den Minderheitsaktionären geltend gemachten Anspruchs auf anteiligen Ausgleich ausgesprochen. Zum einen fehlt es an einer Anspruchsgrundlage, aus der ein derartiger Anspruch der Minderheitsaktionäre erwachsen könnte. Insbesondere der BGAV selbst bietet eine solche Anspruchsgrundlage nicht. Zum anderen führt die
__________ 72 Hierzu siehe bereits oben unter II. 7. 73 OLG Frankfurt/M. v. 26.8.2009 – 23 U 69/08, AG 2010, 368; OLG Frankfurt/M. v. 29.9.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 408; OLG München, ZIP 2007, 582, 583. 74 So ausdrücklich Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, § 304 Rz. 21a. Dort zum Spruchverfahren bezüglich des BGAV; dieses kann jedoch im Fall einer Doppelmaßnahme nicht zu einem anderen Unternehmenswert kommen als das Spruchverfahren bezüglich des gleichzeitig beschlossenen Squeeze-out.
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Ansicht der Rechtsprechung zu konsistenten Ergebnissen mit Fällen, in denen die Stellung als außenstehender Aktionär aus anderen Gründen (z. B. der Veräußerung der Aktien oder der Wahl der Barabfindung) endet. Im Übrigen gebietet auch die Billigkeit kein anderes Ergebnis75. Die von einigen Landgerichten als unbillig76 empfundene angebliche „Zinslücke“ ist von Minderheitsaktionären durch Erhebung unbegründeter Anfechtungsklagen selbst verursacht, was dem herrschenden Unternehmen nicht zum Nachteil gereichen darf. Darüber hinaus soll der Ausgleich lediglich Ersatz für die Dividende sein, auf die die Aktionäre im Fall eines Squeeze-out auch nur insoweit einen Anspruch haben, als die Dividende durch Beschlussfassung über die Gewinnverwendung bereits fällig geworden ist. Der Ersatzanspruch kann aber nicht weiter reichen als der durch ihn ersetzte Anspruch. Auch hier zeigt sich die Konsistenz der herrschenden Ansicht, die im Fall eines Squeeze-out für noch nicht fällige Ausgleichsansprüche eine Zahlungspflicht pro rata temporis ablehnt: Es ist der eindeutige Wille des Gesetzgebers, die außenstehenden Aktionäre beim BGAV so zu stellen wie sie ohne BGAV stünden. Insofern ist der einhelligen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte77 zuzustimmen, die eine anteilige Ausgleichspflicht zugunsten der Minderheitsaktionäre verneint.
__________ 75 So z. B. auch OLG Frankfurt/M. v. 26.8.2009 – 23 U 69/08, AG 2010, 368; ebenso OLG Köln, ZIP 2010, 519, 521. 76 LG Frankfurt/M. v. 18.3.2008 – 3-5 O 211/07, S. 52 f. 77 OLG Frankfurt/M. v. 26.8.2009 – 23 U 69/08, AG 2010, 368; OLG Frankfurt/M. v. 29.3.2009 – 5 U 107/08, AG 2010, 408; OLG Köln, ZIP 2010, 519 ff.; OLG München, ZIP 2007, 582 f.; OLG Köln v. 24.6.2010 – 18 U 183/09, ZIP 2010, 1797; OLG Hamm v. 19.7.2010 – I-8 U 126/09, NZG 2010, 1108; ebenso Emmerich in Emmerich/ Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, § 304 Rz. 42a; Singhof in Spindler/Stilz, AktG, 1. Aufl. 2007, § 327e Rz. 10; Baldamus, ZGR 2007, 819, 835; Bredow/Tribulowsky, NZG 2002, 841, 845; Krieger in MünchHdb. GesR, Bd. 4, 3. Aufl. 2007, § 70 Rz. 80.
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Ulrich Burgard
Mitteilungspflichten nach einem Delisting Inhaltsübersicht I. Die Fragestellung II. Die Antwort der Rechtsprechung III. Verhältnis zwischen § 20 AktG und § 21 WpHG 1. § 20 Abs. 8 AktG 2. § 21 Abs. 1a WpHG 3. Zwischenergebnis: Ausschließlichkeitsverhältnis IV. Mitteilungspflicht aufgrund eines Delistings 1. Meinungsstand 2. Stellungnahme
V. Erfüllung der Mitteilungspflicht nach § 20 AktG durch eine dem Delisting vorangegangene Mitteilung nach § 21 WpHG? 1. Vergleich von § 20 AktG mit §§ 21 ff. WpHG a) Synopse b) Wesentliche Unterschiede c) Folgerungen d) Zwischenergebnis 2. Ausnahme? VI. Zusammenfassung der Ergebnisse
Bereits 1986 hat Uwe Schneider die Frage der Fortentwicklung des Handelsregisters zum Konzernregister aufgeworfen1. Seither hat ihn das Thema der Offenlegung von Beteiligungen nicht mehr losgelassen, zunächst im Rahmen der Betreuung der Dissertation des Verfassers2, dann als Sachverständiger im Gesetzgebungsverfahren zum Zweiten Finanzmarktförderungsgesetz, durch das die §§ 21 ff. WpHG eingeführt wurden, und schließlich als Kommentator dieser Vorschriften3 und der Parallelnormen des WpÜG4 sowie als Autor zahlreicher Beiträge5. Dem Jubilar eine „Blüte“ aus diesem Fragenstrauß zuzueignen, liegt daher gerade für den Verfasser besonders nahe.
I. Die Fragestellung Blickt man auf die Entwicklung der §§ 20 ff. AktG, §§ 21 ff. WpHG zurück6, so fällt auf, dass der Gesetzgeber im Laufe der Zeit einen erheblichen Lernfort-
__________ 1 WM 1996, 181 ff. 2 Burgard, Die Offenlegung von Beteiligungen, Abhängigkeits- und Konzernlagen bei der Aktiengesellschaft, 1990. 3 Die erste Auflage des Assmann/Uwe H. Schneider, Wertpapierhandelsgesetz, erschien 1995, die 5. Auflage 2009. 4 Insbesondere § 2 Abs. 5 und 6, §§ 30, 36, 59 WpÜG in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2005. 5 Zuletzt Uwe H. Schneider/Anzinger, ZIP 2009, 1 ff.; Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393 ff. 6 Für einen Überblick Fleischer/Schmolke, NZG 2009, 401, 402 f.
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schritt erzielt hat. Waren die Regelungen anfangs „mehr Loch als Käse“7, wurden die Löcher von Reform zu Reform zusehends gestopft. Freilich liegt bis heute kein geschlossenes Regelungssystem vor, das das Anschleichen an eine Gesellschaft zuverlässig verhindert und gewährleistet, dass die Machtverhältnisse in einer Gesellschaft und Konzernverflechtungen allzeit offen zu Tage treten. Vielmehr sind weiterhin Umgehungs- und Verschleierungsstrategien möglich und verbreitet, wofür der Fall Schaeffler/Continental nur das prominenteste Beispiel aus jüngster Zeit ist8. Nach wie vor unzureichend sind ferner die Durchsetzungsnormen. Dabei hat es nie an Vorschlägen gemangelt, um Lücken zu schließen9. Der Gesetzgeber hat jedoch selten eine aktive, vorausschauende, sondern meist eine reaktive, abwartende Haltung eingenommen. Und diese Haltung scheint auch auf die BaFin auszustrahlen. Zuweilen würde man sich wünschen, sie zum Jagen tragen zu können. Das Nachsehen haben die Aktionäre, die sich niemals sicher sein können, ob die offengelegten Beteiligungsverhältnisse tatsächlich den aktuellen Machtverhältnissen entsprechen. Vor diesem Hintergrund bleibt es Aufgabe der Rechtswissenschaft, Lücken in der Beteiligungstransparenz aufzuzeigen und nach Möglichkeit zu schließen. Dabei schreibt das Leben immer wieder Sachverhalte, die man kaum im Vorhinein bedenken kann und die die Frage aufwerfen, ob Mitteilungspflichten nur durch das Über- oder Unterschreiten der gesetzlichen Schwellenwerte oder auch durch die Veränderung anderer Tatsachen ausgelöst werden. Zu diesen Tatsachen gehört auch das Delisting. Hier stellt sich die Frage, ob der Inhaber einer Beteiligung, der seiner Meldepflicht nach §§ 21 ff. WpHG gegenüber der gelisteten Gesellschaft nachgekommen ist, zu einer Mitteilung nach § 20 AktG verpflichtet ist, nachdem die Gesellschaft vom Kurszettel genommen wurde, oder nicht. Unzweifelhaft ist allerdings, dass sich die Offenlegungspflicht des Inhabers grundsätzlich nach § 20 AktG richtet, wenn die Gesellschaft nicht (mehr) i. S. d. § 20 Abs. 8 AktG i. V. m. § 21 Abs. 2 WpHG börsennotiert ist (dazu III.). Die Frage ist jedoch erstens, ob die bloße Tatsache des Delistings eine Mitteilungspflicht nach § 20 AktG auslöst (dazu IV.), und zweitens, wenn man diese Frage bejaht, ob es auch dann einer Mitteilung nach § 20 AktG bedarf, wenn der Beteiligungsinhaber vor dem Delisting bereits seiner Meldepflicht nach §§ 21 ff. WpHG genügt hat (dazu V.). Bedeutung haben diese Fragen in jüngerer Zeit im Rahmen zweier Anfechtungsprozesse erlangt, in denen die Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen u. a. damit begründet wurde, dass der Inhaber einer bedeutenden Beteiligung nach § 20 Abs. 7 AktG vom Stimmrecht ausgeschlossen gewesen sei. Die angerufenen Gerichte haben dabei jeweils das Bestehen einer Mit-
__________ 7 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 1. Aufl. 1995, § 22 Rz. 2. 8 S. zu diesem Fall BaFin, Pressemitteilung vom 21.8.2008; Brandt, BKR 2008, 441, 444 ff.; Cascante/Topf, AG 2009, 53, 62 ff.; Fleischer/Schmolke, ZIP 2008, 1501; Fleischer/Schmolke, NZG 2009, 401, 404 ff.; Habersack, AG 2008, 817; Meyer/ Kiesewetter, WM 2009, 340; Schanz, DB 2008, 1899; Uwe H. Schneider/Anzinger, ZIP 2009, 1; Uwe H. Schneider/Brouwer, AG 2008, 557; Weber/Meckbach, BB 2008, 2022. 9 Für einen Überblick Fleischer/Schmolke, NZG 2009, 401, 404 ff.
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Mitteilungspflichten nach einem Delisting
teilungspflicht nach § 20 AktG verneint. Die Gründe hierfür gilt es nunmehr zunächst zu referieren.
II. Die Antwort der Rechtsprechung In einem Urteil von 28.8.2008 führt das Landgericht München I10 aus: „Eine Mitteilungspflicht ergab sich insbesondere nicht als Folge des Delisting. Dies beruht zum einen auf der Erwägung, dass mit dem Verlust der Börsennotierung kein Überschreiten der in § 20 Abs. 1 und Abs. 4 AktG bestimmten Schwellenwerte verbunden war. Der Wegfall der Börsennotiz lässt den Umfang des Aktienbesitzes der O. wie auch der anderen Aktionäre grundsätzlich unberührt. Zum anderen ergibt sich auch aus dem Normzweck von § 20 AktG keine Notwendigkeit zur Mitteilung. Die Beklagte war bis zum Vollzug des Delisting eine börsennotierte Gesellschaft, weshalb ihre Aktionäre auch die Mitteilungspflichten aus §§ 21 ff. WpHG erfüllen mussten. Diesen Pflichten kam O. unstreitig nach. Dann aber gebietet der Normzweck von § 20 AktG es nicht, nochmals entsprechende Mitteilungen an die Gesellschaft zu übermitteln. Diese Vorschrift zielt auf die Offenlegung von Beteiligungsverhältnissen; Aktionäre, Gläubiger und Öffentlichkeit sollen über entsprechende Konzernverbindungen unterrichtet werden (vgl. BGHZ 114, 203, 215; Hüffer, AktG, a. a. O., Rdn. 1 zu § 20; Nolte in: Bürgers/Körber, AktG, Rdn. 1 zu § 20). Diesem Normzweck wurde bereits durch die auf § 21 WpHG gestützten Mitteilungen in vollem Umfang genüge getan.“
Dem hat sich das LG Hannover in einer unveröffentlichten Entscheidung vom 11.8.2009 (Az.: 32 O 68/08) angeschlossen11, die jüngst durch das OLG Celle bestätigt wurde12. Alle drei Gerichte sind mithin der Ansicht, ein Delisting würde schon gar keine Mitteilungspflicht nach § 20 AktG auslösen, weil der Umfang des Aktienbesitzes dadurch nicht berührt werde (dazu IV.). Und außerdem gebiete der Normzweck des § 20 AktG keine (erneute) Mitteilung, wenn zuvor eine ordnungsgemäße Meldung nach §§ 21 ff. WpHG erfolgt sei (dazu V.). Bevor diesen Überlegungen nachgegangen werden kann, gilt es allerdings das Verhältnis zwischen § 20 AktG einerseits und §§ 21 ff. WpHG andererseits zu klären.
III. Verhältnis zwischen § 20 AktG und § 21 WpHG Das Verhältnis zwischen § 20 AktG einerseits und §§ 21 ff. WpHG andererseits wird vornehmlich durch § 20 Abs. 8 AktG bestimmt (dazu 1.). Im vorliegenden Zusammenhang erhellend ist ferner die Bestimmung des § 21 Abs. 1a WpHG (dazu 2.). Aus einer Zusammenschau dieser Vorschriften ergibt sich, dass die Bestimmungen der § 20 AktG, § 21 WpHG heutzutage in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander stehen (dazu 3.).
__________ 10 Az.: 5 HK O 2522/08, AG 2008, 904, 910. 11 S. 13 des Urteils. 12 Urt. v. 28.4.2010 – 9 U 92/09, S. 13. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist anhängig unter II ZR 83/10.
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1. § 20 Abs. 8 AktG § 20 Abs. 8 AktG bestimmt in der seit dem 20.1.2007 geltenden Fassung: „Die Absätze 1 bis 7 gelten nicht für Aktien eines Emittenten im Sinne des § 21 Abs. 2 des Wertpapierhandelsgesetzes.“ Diese Bestimmung (s. ferner § 21 Abs. 5 AktG) wurde erstmals durch Art. 15 Nr. 2 lit. b des 3. Finanzmarktförderungsgesetzes vom 24.3.1998 (BGBl. I S. 529) mit Wirkung zum 1.4.1998 in § 20 AktG eingefügt13. Zur Begründung hierfür heißt es im Regierungsentwurf14: „Bisher bestehen die nicht deckungsgleichen Pflichten nach §§ 20 ff. Aktiengesetz (AktG) und §§ 21 ff. WpHG nebeneinander. Um Unternehmen von ‚doppelten‘ Publizitätspflichten zu entlasten, sollen gemäß den neuen § 20 Abs. 8 und § 21 Abs. 5 AktG Beteiligungen an börsennotierten Aktiengesellschaften, deren Aktien zum amtlichen Handel zugelassen sind (§ 21 Abs. 2 WpHG), nicht mehr gemäß §§ 20 ff. AktG gemeldet und bekanntgemacht werden, sondern nur noch den Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten gemäß §§ 21 ff. WpHG unterfallen. Eine Anpassung der die Mitteilungspflichten begründenden Vorschriften im AktG und im WpHG durch eine vollständige Angleichung ihrer Voraussetzungen ist teilweise gar nicht möglich. Im übrigen erscheint sie nicht zweckmäßig. Eine Harmonisierung durch Änderungen der Vorschriften des WpHG scheidet schon wegen der zwingenden Vorgaben der Richtlinie 88/627/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 12. Dezember 1988 (Transparenz-Richtlinie – ABl. EG Nr. L 348 S. 62) aus. Eine Anpassung der aktienrechtlichen an die wertpapierhandelsrechtlichen Vorschriften, insbesondere der Normen über die zurechenbaren Aktien setzte eine grundlegende Änderung des Rechts der verbundenen Unternehmen voraus, die allenfalls im Rahmen einer künftigen europäischen Harmonisierung des Konzernrechts erfolgen sollte. Die unterschiedlichen Regelungen sollen also grundsätzlich nebeneinander bestehen bleiben. Durch die Neuregelung werden jedoch Überschneidungen bei der Anwendung vermieden. Die im Vergleich zur bisherigen Ausgestaltung mit der Neuregelung in gewissem Umfang verbundenen Transparenzlücken sind im Interesse der bezweckten Vereinfachung hinnehmbar. Transparenzlücken können vor allem in zwei Bereichen entstehen: Zum einen, wenn Stimmrechte und Kapitalanteile sich nicht entsprechen (Vorzugsaktien ohne Stimmrecht, Höchststimmrecht, Mehrstimmrecht). Eine Trennung der Anwendungsbereiche hat zur Folge, daß Kapitalbeteiligungen an börsennotierten Gesellschaften, die die Schwellenwerte der §§ 20, 21 AktG über- bzw. unterschreiten, teilweise nicht mehr bekannt werden, da nur noch die nicht notwendig parallel verlaufenden Stimmrechtsveränderungen publik zu machen sind. Die entstehenden Transparenzlücken sind jedoch im Hinblick auf den Normzweck der Beteiligungstransparenz als gering zu bewerten. Die Fälle eines Auseinanderfallens von Kapitalanteilen und Stimmrechten sind eher selten. Die Offenlegung der Stimmrechtsanteile vermittelt ein klare-
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13 Seither wurden durch Art. 13 Nr. 1 des sog. Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetzes (TUG) vom 5.1.2007 (BGBl. I 2007, S. 10) lediglich die Worte „einer börsennotierten Gesellschaft“ durch die Worte „eines Emittenten“ mit Wirkung zum 20.1.2007 ersetzt. Zur – vorliegend nicht entscheidungserheblichen – Begründung s. RegE BRDrucks. 579/06, S. 76, 133. 14 BT-Drucks. 13/8933 = BR-Drucks. 605/97, S. 147 f.
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Mitteilungspflichten nach einem Delisting res Bild der wahren ‚Machtverhältnisse‘ bei einem Unternehmen als die Offenlegung der Kapitalbeteiligung. Auch wegen der größeren Zahl von ‚Meldestufen‘ sind die Pflichten nach dem WpHG als die grundsätzlich wirksamere Regelung anzusehen. Der Wegfall der aktienrechtlichen Publizitätspflicht für Beteiligungen an börsennotierten Gesellschaften dürfte daher nicht zu einem wesentlichen Verlust an Transparenz führen. Zum anderen kann sich eine Transparenzlücke infolge der nach den Vorschriften des WpHG möglichen Befreiung bei der Zurechnung von Stimmrechten (§ 23 WpHG) bzw. bei den Veröffentlichungspflichten (§ 25 Abs. 4 WpHG) ergeben. Im Umfang einer solchen Befreiung werden bei einer Trennung der Anwendungsbereiche Beteiligungen an börsennotierten Gesellschaften nicht mehr publik. Da es sich insofern um besondere Ausnahmefälle handelt, ist diese Folge hinnehmbar“15.
2. § 21 Abs. 1a WpHG Mit der Bestimmung des § 20 Abs. 8 AktG korrespondiert der ebenfalls zunächst durch das 3. Finanzmarktförderungsgesetz eingefügte16 § 21 Abs. 1a Satz 1 WpHG. Danach hat derjenige, dem im Zeitpunkt der erstmaligen Zulassung der Aktien zum Handel an einem organisierten Markt 3 Prozent oder mehr der Stimmrechte an einem Emittenten zustehen, für den die Bundesrepublik Deutschland der Herkunftsstaat ist, diesem Emittenten sowie der Bundesanstalt eine Mitteilung entsprechend § 21 Abs. 1 Satz 1 WpHG zu machen. Zur Begründung dieser Bestimmung führte der Regierungsentwurf zum 3. Finanzmarktförderungsgesetz aus17: „Auch der neu eingefügte Absatz 1a dient der Klarstellung. Der Wortlaut des § 21 Abs. 1 Satz 1 knüpft hinsichtlich der Meldepflicht an Stimmrechte an, die an einer börsennotierten Gesellschaft bestehen. Absatz 1a stellt klar, daß eine Meldepflicht auch dann entsteht, wenn einer der Gesellschafter zu dem Zeitpunkt, zu dem Aktien der Gesellschaft erstmals zum amtlichen Handel zugelassen werden, bereits über 5 Prozent oder mehr der Stimmrechte an der Gesellschaft verfügt. Eine solche Pflicht ist zur Wahrung der Transparenz wesentlicher Stimmrechtsbeteiligungen im Bereich des amtlichen Handels nach Sinn und Zweck der §§ 21 ff. erforderlich. Erst aufgrund dieser Information ist es dem Anleger möglich, sich eine Übersicht über die maßgeblichen Stimmrechtsverhältnisse an der Gesellschaft zu verschaffen. Die Regelung stellt insoweit eine Parallele zur Vorschrift des § 41 Abs. 2 dar, die im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des WpHG eine erstmalige Bestandsaufnahme über die bestehenden Stimmrechtsverhältnisse ermöglichte. Die Mitteilung ist entsprechend § 21 Abs. 1 abzugeben. Hinsichtlich des Beginns der Frist zur Abgabe einer Meldung ist nicht auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung vom Erreichen, Überschreiten oder Unterschreiten der Schwellen
__________ 15 Hervorhebungen durch den Verfasser. 16 Seither geändert durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes v. 20.12.2001, BGBl. I 2001, S. 3822 (Ersetzung der Worte „zum amtlichen Handel an einer Börse“ durch die Worte „zum Handel an einem organisierten Markt“ zwecks Anpassung an das durch dieses Gesetz eingeführte WpÜG); ferner durch Art. 4 Nr. 17 des Gesetzes v. 22.4.2002, BGBl. I 2002, S. 1310 (Ersetzung des Wortes „Bundesaufsichtsamt“ durch das Wort „Bundesanstalt“ wegen Einführung der integrierten Finanzdienstleistungsaufsicht durch die BaFin); schließlich durch Art. 1 Nr. 10 lit. b des TUG (Fn. 13) (Absenkung der Meldeschwelle von 5 % auf 3 %). 17 BT-Drucks. 13/8933 = BR-Drucks. 605/97, S. 94 f.
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Ulrich Burgard abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der erstmaligen Zulassung der Aktien zum amtlichen Handel“18.
3. Zwischenergebnis: Ausschließlichkeitsverhältnis Aus einer Zusammenschau dieser Vorschriften ergibt sich: § 20 AktG und § 21 WpHG stehen in einem Ausschließlichkeitsverhältnis. Entweder besteht eine Mitteilungspflicht nach § 20 AktG oder nach § 21 WpHG. Ausschließlich nach § 20 AktG richtet sich die Mitteilungspflicht, solange und sobald die Aktiengesellschaft keine Emittentin i. S. d. § 21 Abs. 2 WpHG (mehr) ist. Ausschließlich nach § 21 WpHG richtet sich die Mitteilungspflicht, sobald und solange die Aktiengesellschaft Emittentin i. S. d. § 21 Abs. 2 WpHG ist19. Dementsprechend löst ein „Listing“, also die erstmalige Zulassung der Aktien zum Handel an einem organisierten Markt, gemäß § 21 Abs. 1a WpHG eine Mitteilungspflicht aus. Solange die Zulassung andauert, besteht gemäß § 20 Abs. 8 AktG keine Mitteilungspflicht nach § 20 AktG mehr, ohne dass es darauf ankommt, ob eine Mitteilungspflicht nach § 21 WpHG besteht oder ob der Mitteilungspflicht nach § 21 WpHG genügt wird20. Wird die Zulassung widerrufen (sog. „Delisting“), besteht umgekehrt keine Mitteilungspflicht nach § 21 WpHG mehr. Die Mitteilungspflichten richten sich danach vielmehr allein nach § 20 AktG. Damit stellt sich die weitere Frage, ob ein Delisting als solches eine Mitteilungspflicht nach § 20 AktG auslöst oder ob es hierfür einer mitteilungspflichtigen Veränderung des Anteilsbesitzes bedarf.
IV. Mitteilungspflicht aufgrund eines Delistings 1. Meinungsstand Welche Sachverhalte abseits des Erreichens bzw. des Über- oder Unterschreiten der gesetzlichen Schwellenwerte eine Mitteilungspflicht nach § 20 AktG bzw. nach § 21 WpHG auslösen, wird unterschiedlich beurteilt. Für den Fall eines regulären Delistings wird in den vorgenannten Entscheidungen (II.) eine Mitteilungspflicht nach § 20 AktG bei unveränderten Beteiligungsverhältnissen verneint. In der Literatur bejaht wird hingegen eine Mitteilungspflicht nach § 20 AktG im Falle eines sog. „Cold Delisting“ durch Kapitalherabsetzung auf
__________ 18 Hervorhebungen durch den Verfasser. 19 Vgl. Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Vor § 21 Rz. 67; Dehlinger/Zimmermann in Fuchs, WpHG, 2009, Vor § 21 Rz. 37; Hirte in Kölner Kommentar zum WpHG, 2007, § 21 Rz. 61; Hüffer, Aktiengesetz, 8. Aufl. 2008, § 20 Rz. 18; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 4. Aufl. 2005, § 20 AktG Rz. 3a, 20a; Koppensteiner in Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2004, § 20 Rz. 3 f., 92; Windbichler in Großkommentar zum AktG, 4. Aufl. 1998, § 20 Rz. 56, 93; Bayer in Münchener Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2008, § 20 Rz. 89, Anh. § 22 Überblick Rz. 4. 20 Windbichler in Großkomm.AktG (Fn. 19), § 20 Rz. 56, 93.
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Mitteilungspflichten nach einem Delisting
Null21 mit gleichzeitiger Kapitalerhöhung, wenn nicht zugleich eine Börsenzulassung der neuen Aktien erfolgt22. Für den Fall eines erstmaligen Listings stellt § 21 Abs. 1a WpHG ausdrücklich klar, dass eine Mitteilungspflicht besteht (III. 2.). Tatsächlich war dies bereits vor Inkrafttreten dieser Regelung von der herrschenden Meinung anerkannt23. Im Falle einer einfachen Umschichtung etwa zwischen Mutter- und Tochterunternehmen24, eines bloßen Formwechsels25 oder gar einer schlichten Namens- bzw. Firmenänderung26 lehnt die herrschende Meinung das Entstehen einer Mitteilungspflicht dagegen ab, weil sich hierdurch die Rechtszuständigkeit nicht ändere bzw. keine Schwellenwerte berührt werden. Gleichwohl wird nach herrschender Meinung eine Mitteilungspflicht gemäß § 20 AktG ausgelöst, wenn der Beteiligungsinhaber zum Unternehmen27 i. S. d. § 20 AktG wird28 und wenn die Aktiengesellschaft
__________ 21 Hierdurch werden alle bisher vorhandenen Aktien beseitigt, wodurch deren Börsenzulassung gegenstandslos, d. h. i. S. d. § 43 Abs. 2 VwVfG „erledigt“ wird und damit ipso iure erlischt, Reger/Stenzel, NZG 2009, 1210, 1213 m. w. N. 22 Reger/Stenzel, NZG 2009, 1210, 1213 f. mit Fn. 49. 23 Uwe H. Schneider (Fn. 7), § 21 Rz. 51 f.; Nottmeier/Schäfer, AG 1997, 87, 88 f.; dagegen aber Cahn, AG 1997, 504. 24 BaFin, Emittentenleitfaden 2009, VIII.2.5., S. 137; Uwe H. Schneider in Assmann/ Uwe H. Schneider (Fn. 19), § 21 Rz. 76; a. A. Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 19), Anh. § 22, §§ 21 ff. WpHG Rz. 22. 25 Zu § 21 WpHG etwa: BaFin, Emittentenleitfaden 2009, VIII.2.3.4.2.2, S. 132; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 19), § 21 Rz. 76; Cahn, AG 1997, 502, 503; Krieger in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4: Aktiengesellschaft, 3. Aufl. 2007, § 68 Rz. 149; Schnabel/Korff, ZBB 2007, 179, 181; Klein/ Theusinger, NZG 2009, 250, 252; zu § 20 AktG bspw.: Hüffer (Fn. 19), § 20 Rz. 3; Emmerich in Emmerich/Habersack (Fn. 19), § 20 Rz. 20; Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 19), § 20 Rz. 35. 26 Zu § 21 WpHG etwa: BaFin, Emittentenleitfaden 2009, VIII.2.3.4.2.2, S. 132; OLG Hamm, Urt. v. 4.3.2009 – I-8 U 59/01, AG 2009, 876, 878; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.9.2008 – 6 W 30/08, NZG 2009, 260; LG Krefeld, Urt. v. 20.8.2008 – 11 O 14/08, NZG 2009, 265; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 19), § 21 Rz. 77; Segna, AG 2008, 311, 312; Bedkowski/Widder, BB 2008, 245; Kirschner, DB 2008, 623; Opitz in Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, Stand Januar 2008, § 21 WpHG Rz. 23; auch zu § 20 AktG Klein/Theusinger, NZG 2009, 250, 251; a. A. zu § 21 WpHG LG Köln, Urt. v. 5.10.2007 – 82 O 114/06, AG 2008, 336; Heppe, WM 2002, 60, 70. 27 Wer als Unternehmen i. S. d. § 20 AktG zu qualifizieren ist, wird freilich unterschiedlich beurteilt. Die herrschende Meinung orientiert sich insofern an dem konzernrechtlichen Unternehmensbegriff, s. Hüffer (Fn. 19), § 20 Rz. 2; Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 19), § 20 Rz. 31; Windbichler in Großkomm.AktG (Fn. 19), § 20 Rz. 16; Krieger in MünchHdb. AG (Fn. 25), § 68 Rz. 112; Veil in K. Schmidt/ Lutter, AktG, 2008, § 20 Rz. 13; Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 19), § 20 Rz. 6. Das ist freilich zumindest teilweise zu eng, s. Burgard (Fn. 2), S. 45 ff.; ders., WuB II C § 13 GmbHG 2.94. 28 So ausdrücklich Windbichler in Großkomm.AktG (Fn. 19), § 20 Rz. 22; Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 19), § 20 Rz. 13 mit Fn. 30. Das gilt auch für den umgekehrten Fall eines Wegfalls der Unternehmenseigenschaft, Windbichler in Großkomm.AktG (Fn. 19), § 20 Rz. 39; Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 19), § 20 Rz. 21 mit Fn. 52.
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Ulrich Burgard
durch Neugründung29 oder Umwandlung30 entsteht. Wie passt all das zusammen? 2. Stellungnahme Die Antwort ist im Grunde einfach: § 20 AktG, § 21 WpHG haben mehrere Voraussetzungen. Dazu gehören neben dem Erreichen bzw. dem Über- oder Unterschreiten der Schwellenwerte bei § 20 AktG die Unternehmenseigenschaft des Mitteilungspflichtigen, die Qualifikation der Gesellschaft als Aktiengesellschaft sowie das Fehlen der Emittenteneigenschaft i. S. d. § 21 Abs. 2 WpHG. Normadressat von § 21 WpHG ist dagegen jedermann. Zudem muss es sich bei der Aktiengesellschaft um eine Emittentin i. S. d. § 21 Abs. 2 WpHG handeln. Sobald die Voraussetzungen des § 20 AktG bzw. des § 21 WpHG erstmals vollständig erfüllt werden, muss eine entsprechende Mitteilung erfolgen. Solange dies nicht der Fall ist, besteht keine Mitteilungspflicht. Nicht zu den Tatbestandsvoraussetzungen gehört die Identitätsausstattung des Beteiligungsinhabers. Ein bloßer Formwechsel oder eine schlichte Namensänderung löst daher keine Mitteilungspflicht aus. Vielmehr ist die (zutreffende) Mitteilung der Identität des Mitteilungspflichtigen lediglich Rechtsfolge der Mitteilungspflicht. Zwar ist es richtig, dass diesbezügliche Änderungen den Informationswert einer vorherigen Mitteilung mindern oder gar aufheben können und daher das Unterlassen einer wünschenswerten Änderungsmeldung schmerzliche Transparenzlücken reißen kann31. Deren Schließung muss aber dem Gesetz- bzw. – was im Blick auf § 21 Abs. 3 WpHG wohl auch ginge – dem Verordnungsgeber überlassen bleiben. Folgt man diesen Überlegungen, bedeutet das für die vorliegende Fragestellung: Die Emittenteneigenschaft i. S. d. § 21 Abs. 2 WpHG ist Voraussetzung der Mitteilungspflicht nach § 21 Abs. 1 WpHG. Ein erstmaliges Listing löst daher die Mitteilungspflicht aus, wenn die übrigen Voraussetzungen der Norm erfüllt sind, was § 21 Abs. 1a WpHG lediglich klarstellt. Auf eine Veränderung der Rechtszuständigkeit (durch Erwerb, Veräußerung oder in sonstiger Weise) oder des Stimmrechtsanteils kommt es insofern nicht an. Es muss nur eine Beteiligung in Höhe der Schwellenwerte bestehen. Umgekehrt ist das Fehlen der Emittenteneigenschaft i. S. d. § 21 Abs. 2 WpHG Voraussetzung der Mitteilungspflicht nach § 20 AktG, was Abs. 8 dieser Vorschrift bestimmt. Dementsprechend kann ein Delisting ebenfalls eine Mitteilungspflicht auslösen, ohne dass es auf eine Veränderung der Rechtszuständigkeit oder der Beteiligungshöhe ankommt. Erfüllt sein müssen nur auch die übrigen Voraussetzungen des
__________ 29 BGH v. 24.4.2006 – II ZR 30/05, BGHZ 167, 204, 208 f.; insofern ist lediglich streitig, ob bereits die Beteiligung an der Vor-AG eine Mitteilungspflicht auslöst, s. etwa Hüffer (Fn. 19), § 20 Rz. 2 einerseits und Emmerich in Emmerich/Habersack (Fn. 19), § 20 Rz. 20 andererseits. Zur Frage der Mitteilungspflichten nach §§ 21 ff. WpHG im Falle einer Verschmelzung durch Neugründung BaFin, Emittentenleitfaden 2009, VIII.2.3.4.2.1.2, S. 131 f. 30 Windbichler in Großkomm.AktG (Fn. 19), § 20 Rz. 52. 31 Insoweit zutreffend LG Köln, Urt. v. 5.10.2007 – 82 O 114/06, AG 2008, 336, 338.
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Mitteilungspflichten nach einem Delisting
§ 20 AktG (also insbesondere die Unternehmenseigenschaft des Mitteilungspflichtigen und das Bestehen einer Beteiligung in mitteilungspflichtiger Höhe). Die Ansicht des LG München und des LG Hannover, die dieses Ergebnis bezweifeln32, ist daher nicht haltbar. Das bestätigt überdies der Wortlaut von § 20 Abs. 1, 3 und 4 AktG. Das dort jeweils verwendete Wort „gehört“ ist statisch und setzt daher keine Veränderung der Rechtszuständigkeit oder der Beteiligungshöhe voraus. Die Veränderung, die das ebenfalls übereinstimmend verwendete Wort „sobald“ andeutet, bezieht sich mithin nicht nur auf die Rechtszuständigkeit und Beteiligungshöhe, sondern auch auf andere Tatbestandsmerkmale, insbesondere die Qualifikation des Beteiligungsinhabers als Unternehmen33 und die fehlende Emittenteneigenschaft i. S. d. § 21 Abs. 2 WpHG. „Sobald“ die Emittenteneigenschaft verloren geht, kann dies daher eine Mitteilungspflicht nach § 20 AktG auslösen, ohne dass es auf eine Veränderung der Rechtszuständigkeit oder der Beteiligungshöhe ankommt.
V. Erfüllung der Mitteilungspflicht nach § 20 AktG durch eine dem Delisting vorangegangene Mitteilung nach § 21 WpHG? Steht damit fest, dass ein Delisting grundsätzlich eine Mitteilungspflicht nach § 20 AktG auslöst bzw. auslösen kann, so bleibt die Frage zu beantworten, ob dies auch dann gilt, wenn das mitteilungspflichtige Unternehmen vor dem Delisting seiner Mitteilungspflicht nach § 21 Abs. 1 WpHG nachgekommen ist und sich die Beteiligungsverhältnisse zwischenzeitlich nicht geändert haben. Dem könnte nämlich entgegenstehen, dass das Gesetz mit dem beschriebenen Ausschließlichkeitsverhältnis (o. III.) ausweislich der zitierten Begründung des Regierungsentwurfs zu § 20 Abs. 8 AktG das Bestehen doppelter Mitteilungspflicht vermeiden will. Und eben eine solche – nach der Gesetzesbegründung unnötige34 und daher zu vermeidende – doppelte Mitteilungspflicht könnte man auch darin sehen, den Beteiligungsinhaber im Falle eines Delistings selbst dann zu einer Mitteilung nach § 20 AktG zu verpflichten, wenn sich die Beteiligungsverhältnisse nicht verändert haben und er zuvor bereits seiner Mitteilungspflicht nach § 21 WpHG nachgekommen ist. Allerdings kann aus der Regelung des § 21 Abs. 1a WpHG und der hierzu zitierten Begründung des Regierungsentwurfs entnommen werden, dass im Falle eines erstmaligen „Listings“ eine vorangegangene Mitteilung nach § 20 AktG nicht ausreicht, sondern nunmehr eine Mitteilung nach § 21 Abs. 1 Satz 1 WpHG erforderlich
__________ 32 S. o. II. 33 So ausdrücklich Windbichler in Großkomm.AktG (Fn. 19), § 20 Rz. 22; Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 19), § 20 Rz. 13 mit Fn. 30. 34 Zur Kritik an dem Wegfall doppelter Meldepflichten bzw. der mangelnden Harmonisierung der §§ 20 ff. AktG, §§ 21 ff. WpHG s. Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 19), Vor § 21 Rz. 68; Emmerich in Emmerich/Habersack (Fn. 19), § 20 Rz. 4; Windbichler in Großkomm.AktG (Fn. 19), § 20 Rz. 56, 93; Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 19), § 20 Rz. 90; Uwe H. Schneider, AG 1997, 81, 82; Witt, AG 1998, 171 ff.; ders., WM 1998, 1153, 1160 f.
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Ulrich Burgard
ist. Das zeigt: Dem Gesetz geht es nicht um eine generelle Vermeidung doppelter Meldepflichten, sondern um eine klare Abgrenzung zwischen § 20 AktG und § 21 WpHG. Anders gewendet soll lediglich vermieden werden, dass gleichzeitig eine Mitteilungspflicht sowohl nach § 20 AktG als auch nach § 21 WpHG besteht, wobei das Abgrenzungskriterium die Emittenteneigenschaft i. S. d. § 21 Abs. 2 WpHG ist. Ändert sich diese Qualifikation, steht dies mithin der Pflicht zu einer abermaligen Mitteilung nicht entgegen, sondern begründet sie, wie aufgezeigt wurde (o. IV.), wenn die übrigen Voraussetzungen der Mitteilungspflicht erfüllt sind. Allerdings ist auch nicht zu verkennen, dass eine § 21 Abs. 1a WpHG vergleichbare Bestimmung für den Fall des Delistings fehlt. Das ist nicht verwunderlich, da diese Fallgestaltung bis zu der Entscheidung des LG München (oben II.) nicht bedacht wurde. Deswegen kann aus dem Fehlen einer Regelung nicht auf das Nichtbestehen einer Mitteilungspflicht geschlossen werden. Ebenso wenig kann allerdings aus § 21 Abs. 1a WpHG im Wege eines „Umkehrschlusses“ gefolgert werden, dass auch im umgekehrten Falle eines Delistings stets eine Mitteilungspflicht bestünde. Vielmehr scheint das Argument des LG München, dem Normzweck des § 20 AktG sei durch eine vorangegangene Mitteilung nach § 21 WpHG genüge getan, auf den ersten Blick einige Überzeugungskraft zu besitzen. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, ist freilich auch diese Ansicht bei näherem Hinsehen nicht haltbar. Zu groß sind die Unterschiede zwischen § 20 AktG einerseits und den §§ 21 ff. WpHG andererseits. 1. Vergleich von § 20 AktG mit §§ 21 ff. WpHG a) Synopse Die folgende Synopse35 zeigt – unter Vernachlässigung von Einzelheiten – die wesentlichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Regelungen auf36. § 20 AktG
§§ 21 ff. WpHG
1. Rechtsgebiet
Gesellschaftsrecht, d. h. bloßes Privatrecht.
Kapitalmarktrecht, d. h. auch öffentliches Recht37.
2. Regelungsquelle
Nationales deutsches Recht.
Vornehmlich EG-Recht38.
__________ 35 Vgl. auch die Anlage zum Vorschlag des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins e.V. für eine Harmonisierung der gesetzlichen Pflichten zur Mitteilung von Beteiligungen nach Aktiengesetz und Wertpapierhandelsgesetz, 1995. 36 S. hierzu etwa auch Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 19), Vor § 21 Rz. 65; Dehlinger/Zimmermann in Fuchs (Fn. 19), Vor § 21 Rz. 37. 37 Näher Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 19), Vor § 21 Rz. 13 ff. 38 Ursprünglich setzten die §§ 21 ff. WpHG die auf Art. 54 EGV beruhende Richtlinie 88/627/EWG über die bei Erwerb und Veräußerung einer bedeutenden Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft zu veröffentlichenden Informationen vom 12.12. 1988 (ABl. EG Nr. L 348 v. 17.12.1988, S. 62) in das deutsche Recht um. Diese sog. Transparenzrichtlinie I wurde im Jahr 2001 aufgehoben und die einschlägigen Be-
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Mitteilungspflichten nach einem Delisting
§ 20 AktG
§§ 21 ff. WpHG
3. Gesetzeszweck
Bessere Unterrichtung von Aktionären, Gläubigern und Öffentlichkeit über geplante und bestehende Konzernverbindungen und Verdeutlichung der wahren Machtverhältnisse in der Gesellschaft. Verbesserung der Rechtssicherheit bei der Anwendung derjenigen Vorschriften, die an die Höhe der Beteiligung anknüpfen39.
Insbes. Anlegerschutz, Stärkung des Vertrauens in die Wertpapiermärkte, Förderung der Funktionstüchtigkeit dieser Märkte, Förderung des Finanzplatzes Deutschland, Vorbeugung gegen Missbrauch von Insiderinformation, Unterrichtung der Anleger, Gläubiger und Öffentlichkeit über Beteiligungs- und Beherrschungsverhältnisse sowie über mglw. bevorstehende Übernahmen40.
4. Normadressaten
§ 20 Abs. 1, 4, 5 AktG: Unternehmen41. § 20 Abs. 3, 5 AktG: Kapitalgesellschaften.
Jedermann; bei Zertifikaten, die Aktien vertreten, trifft die Mitteilungspflicht ausschließlich den Inhaber der Zertifikate.
5. Gegenstand der Mitteilungspflicht
§ 20 Abs. 1, 8 AktG: Aktien einer AG mit Sitz im Inland, die nicht Emittentin i. S. d. § 21 Abs. 2 WpHG ist.
Stimmrechte an Emittenten i. S. d. § 21 Abs. 2 WpHG; Finanzinstrumente i. S. d. § 25 Abs. 1 WpHG.
6. Meldeschwellen
§ 20 Abs. 1 AktG: Mehr als 25 % der Aktien mit Zurechnung nach § 20 Abs. 2 AktG. § 20 Abs. 3 AktG: Mehr als 25 % der Aktien ohne Zurechnung nach § 20 Abs. 2 AktG.
3 %, 5 %, 10 %, 15 %, 20 %, 25 %, 30 %, 50 % und 75 % der Stimmrechte; bei Finanzinstrumenten i. S. d. § 25 Abs. 1 WpHG gilt die Meldeschwelle von 3 % nicht.
__________ stimmungen in Art. 85 ff. der Richtlinie 2001/34/EG über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen vom 28.5.2001 (sog. Koordinierungsrichtlinie, ABl. EG Nr. L 184 v. 6.7.2001, S. 1 ff.) übernommen. Schließlich regelte die Richtlinie 2004/109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG v. 15.12.2004 (sog. Transparenzrichtlinie II, ABl. EG Nr. L 390 v. 31.12.2004, S. 38) in Art. 9 ff. die „Informationen über bedeutende Beteiligungen“ neu. 39 Begr. RegE zu §§ 20, 21 AktG bei Kropff; Aktiengesetz, 1965, S. 38. 40 Vgl. Begr. RegE zu § 21 Abs. 1 WpHG, BT-Drucks. 12/6679, S. 52; Begr. RegE zu Art. 2 (Änderung des WpHG) des Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen, BT-Drucks. 14/7034, S. 70; ausf. zum Regelungszweck der §§ 21 ff. WpHG Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 19), Vor § 21 Rz. 18 ff. 41 Zum Unternehmensbegriff i. S. d. § 20 AktG s. etwa Koppensteiner in KölnKomm. AktG (Fn. 19), § 20 Rz. 31 ff.; Emmerich in Emmerich/Habersack (Fn. 19), § 20 Rz. 13 ff.
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Ulrich Burgard § 20 AktG
§§ 21 ff. WpHG
§ 20 Abs. 4 i. V. m. § 16 AktG: Mehr als 50 % der (Kapital-)Anteile oder der Stimmrechte. 7. Auslösetatbestände
Überschreiten oder Unterschreiten einer Meldeschwelle.
Erreichen, Über- oder Unterschreiten einer Meldeschwelle durch Erwerb, Veräußerung oder in sonstiger Weise sowie Halten von 3 % oder mehr der Stimmrechte im Zeitpunkt erstmaliger Zulassung zum organisierten Handel.
8. Berechnung der Meldeschwellen
§ 20 Abs. 1 i. V. m. § 16 Abs. 2 Satz 1 AktG: Eigene Anteile sind von der Gesamtmenge (Nenner) nicht abzusetzen. § 20 Abs. 4 i. V. m. § 16 Abs. 2 und Abs. 3 AktG: Eigene Anteile und Stimmrechte aus eigenen Anteilen sowie diesen Gleichgestellte sind von der Gesamtmenge (Nenner) abzusetzen. Zudem kommt es für den Zähler nur auf die durch den Mitteilungspflichtigen ausübbaren Stimmrechte an42.
Stimmrechte aus eigenen Aktien sind bei der Berechnung der Gesamtzahl der Stimmrechte (Nenner) einzurechnen, also nicht abzusetzen43. Hinsichtlich des Zählers kommt es nicht darauf an, ob der Meldepflichtige die Stimmrechte ausüben kann44.
9. Zurechnungstatbestände
§ 20 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 i. V. m. § 16 Abs. 4 AktG: Anteile eines abhängigen Unternehmens i. S. d. § 17 AktG sowie für Rechnung gehaltene Anteile.
§ 22 Abs. 1 Satz 1 WpHG: Stimmrechte, die Nr. 1: einem Tochterunternehmen i. S. d. § 22 Abs. 3, 3a, 5 WpHG des Meldepflichtigen gehören; Nr. 2: einem Dritten gehören und von ihm für Rechnung des Meldepflichtigen gehalten werden;
§ 20 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 AktG: Erwerbsrechte. § 20 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 2 AktG: Erwerbsverpflichtungen45.
Nr. 3: der Meldepflichtige einem Dritten als Sicherheit übertragen hat, es sei denn, der Dritte ist zur Ausübung der
__________ 42 Die Bedeutung dieser Vorschrift ist im Einzelnen streitig, s. etwa Hüffer (Fn. 19), § 16 Rz. 11; Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 19), § 16 Rz. 45 ff.; Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 19), § 16 Rz. 39 ff., jew. m. w. N. 43 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 19), § 21 Rz. 59 m. w. N. 44 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 19), § 21 Rz. 35 m. w. N. 45 Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der aktienrechtlichen Zurechnungstatbestände mit bzw. zu § 22 WpHG sind bisher wenig untersucht und hängen im star-
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Mitteilungspflichten nach einem Delisting
§ 20 AktG
§§ 21 ff. WpHG Stimmrechte aus diesen Aktien befugt und bekundet die Absicht, die Stimmrechte unabhängig von den Weisungen des Meldepflichtigen auszuüben; Nr. 4: an denen zugunsten des Meldepflichtigen ein Nießbrauch bestellt ist; Nr. 5: der Meldepflichtige durch eine Willenserklärung erwerben kann; Nr. 6 i. V. m. § 22 Abs. 4 WpHG: dem Meldepflichtigen anvertraut sind oder aus denen er die Stimmrechte als Bevollmächtigter ausüben kann, sofern er die Stimmrechte aus diesen Aktien nach eigenem Ermessen ausüben kann, wenn keine besonderen Weisungen des Aktionärs vorliegen. § 22 Abs. 1 Satz 2 WpHG: Für die Zurechnung nach Satz 1 Nr. 2 bis 6 stehen dem Meldepflichtigen Tochterunternehmen des Meldepflichtigen gleich. § 22 Abs. 2 WpHG: Stimmrechte eines Dritten, mit dem der Meldepflichtige oder sein Tochterunternehmen sein Verhalten in Bezug auf den Emittenten nicht nur in Einzelfällen abstimmt.
__________ ken Maße davon ab, wie weit oder eng die jeweiligen Zurechnungstatbestände ausgelegt werden, was bei jeder einzelnen Norm höchst streitig ist. Hinzukommt, dass § 22 WpHG erheblich eingehender untersucht ist als die aktienrechtlichen Möglichkeiten einer Zurechnung. Es würde daher den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, den Versuch einer genauen Darstellung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu unternehmen. Allgemein wird jedoch davon ausgegangen, dass § 22 WpHG insgesamt weiter geht als die aktienrechtlichen Zurechnungsmöglichkeiten. Bei einzelnen Zurechnungsnormen kann dies jedoch – je nach Auslegung – auch umgekehrt sein. So soll § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG nach wohl herrschender, aber jedenfalls verbreiteter Auffassung anders als § 20 Abs. 2 Nr. 1 AktG keine schuldrechtlichen Ansprüche auf Übereignung von Aktien erfassen, s. u. Fn. 47. Für die Zwecke dieser Untersuchung genügt daher die wohl unstreitige Feststellung, dass Unterschiede bei der Zurechnung bestehen.
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Ulrich Burgard § 20 AktG
§§ 21 ff. WpHG § 25 Abs. 1, 2 WpHG: Finanzinstrumente i. S. dieser Vorschrift.
10. Abrechnungstatbestände (Nichtberücksichtigung von Stimmrechten)
§ 24 Abs. 4 i. V. m. § 16 Abs. 3 Satz 1 AktG: Nicht ausübbare Stimmrechte, s. o. Nr. 8.
§ 23 WpHG: Handelsbestände in bestimmten Fällen. Auf die Ausübbarkeit von Stimmrechten kommt es grds. nicht an.
11. Empfänger der Mitteilung
AG
AG und BaFin, § 21 Abs. 1 Satz 1 WpHG.
12. Form der Mitteilung
Schriftlich
Schriftlich oder per Fax, § 21 Abs. 3 WpHG, § 18 WpAIV.
13. Mitteilungsfrist
Unverzüglich
Unverzüglich, spätestens innerhalb von 4 Handelstagen seit Kenntnis oder Kennenmüssen des Auslösetatbestands.
14. Inhalt der Mitteilung
Bezeichnung des Mitteilungspflichtigen und des Auslösetatbestandes.
S. detaillierte Auflistung der erforderlichen Angaben in § 17 WpAIV46.
15. Erfüllung der Mitteilungspflicht
Alle Mitteilungspflichtigen.
§ 24 WpHG: Bei Konzernunternehmen kann das Mutterunternehmen Mitteilungspflicht für den Meldepflichtigen erfüllen.
16. Nachweispflichten
§ 22 AktG: Mitteilungspflichtiger gegenüber AG auf deren Verlangen.
§ 27 WpHG: Meldepflichtiger auf Verlangen gegenüber Emittent oder BaFin.
17. Rechtsfolgen unterlassener Mitteilung
Zeitweiliger Rechtsverlust nach § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG sowie Ruhen von Rechten nach § 20 Abs. 7 Satz 2 AktG. Anfechtbarkeit eines HV-Beschlusses nach § 243 Abs. 1 AktG, wenn Stimmen entgegen § 20 Abs. 7 AktG mitgezählt wurden und Beschluss hierauf beruht. Bußgeld bis zu 25.000 Euro bei Ausübung des Stimmrechts trotz unterlassener Mitteilung, § 405 Abs. 3 Nr. 5, Abs. 4 AktG.
Zeitweiliger Rechtsverlust nach § 28 Satz 1, 3, 4 WpHG sowie Ruhen von Rechten nach § 28 Satz 2 WpHG. Anfechtbarkeit eines HV-Beschlusses nach § 243 Abs. 1 AktG, wenn Stimmen entgegen § 28 WpHG mitgezählt wurden und Beschluss hierauf beruht. Bußgeld bis zu 200.000 Euro bei Unterlassen der Mitteilung, § 39 Abs. 2 Nr. 2 lit. e, f, Abs. 4 WpHG.
__________ 46 Zur Rechtslage vor Inkrafttreten dieser Vorschrift s. Uwe H. Schneider in Assmann/ Uwe H. Schneider, WpHG, 4. Aufl. 2006, § 20 Rz. 73 ff. (mit Muster in Rz. 82); Hirte in KölnKomm.WpHG (Fn. 19), § 21 Rz. 142 ff.
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Mitteilungspflichten nach einem Delisting
18. Veröffentlichungspflichtiger
§ 20 AktG
§§ 21 ff. WpHG
AG, § 20 Abs. 6 AktG
Emittent, § 26 Abs. 1 Satz 1 WpHG
19. Gegenstand der Inhalt der Mitteilung und Veröffentlichung Aktionär, § 20 Abs. 6 AktG.
Inhalt der Mitteilung und Meldepflichtiger, § 26 Abs. 1 Satz 1 WpHG, § 19 WpAIV.
20. Publikationsorgane
Nach § 26 WpHG i. V. m. § 3a WpAIV in Medien, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass sie die Information in der gesamten EU und in den übrigen Vertragsstaaten des EWR verbreiten; zudem Übermittlung an Unternehmensregister und Mitteilung der Veröffentlichung an die BaFin (§ 26 Abs. 2 WpHG, § 3c WpAIV).
Elektronischer Bundesanzeiger sowie nach Satzung andere Blätter oder elektronische Informationsmedien, § 20 Abs. 6 Satz 1 i. V. m. § 25 AktG.
21. Befreiung von der Veröffentlichungspflicht
Durch BaFin für Inlandsemittenten mit Sitz in Drittstaat möglich, § 29a WpHG.
22. Durchsetzbarkeit der Veröffentlichungspflicht
Bußgeld bis zu 200.000 Euro, § 39 Abs. 2 Nr. 2 lit. g, h, Abs. 4 WpHG. Ersatzvornahme durch die BaFin, § 4 Abs. 6 WpHG.
23. Behördliche Kontrollbefugnisse
BaFin gemäß § 4 WpHG.
b) Wesentliche Unterschiede Aus der vorstehenden Synopse ergibt sich mit Deutlichkeit, dass zwischen den Regelungen des § 20 AktG und der §§ 21 ff. WpHG wesentliche Unterschiede bestehen, und zwar noch erheblich größere Unterschiede als nach der vorstehend zitierten Begründung des Regierungsentwurfs zu § 20 Abs. 8 AktG (s. o. III. 1.). Zwar gibt es auch etliche Gemeinsamkeiten. In den meisten Fällen handelt es sich jedoch nur um eine Teilkongruenz. So stimmen etwa die Gesetzeszwecke, die Normadressaten, die Meldeschwellen, die Auslöse- und Zurechnungstatbestände nur teilweise überein. Dabei sind die Unterschiede so groß, dass – würde nicht ohnehin das beschriebene Ausschließlichkeitsverhältnis bestehen (s. o. III. 3.) – eine Mitteilungspflicht nach § 21 WpHG, nicht aber nach § 20 AktG und umgekehrt eine Mitteilungspflicht nach § 20 AktG, nicht aber nach § 21 WpHG bestehen könnte. Auch ohne die Regelung des § 20 Abs. 8 AktG bestünden also keineswegs immer doppelte Meldepflichten. Anders gewendet: Käme es auf die Frage, ob die Aktiengesellschaft ein Emittent i. S. d. § 21 Abs. 2 WpHG ist, nicht an, so bestünde ausschließlich eine Mitteilungs191
Ulrich Burgard
pflicht nach § 21 WpHG, wenn der Meldepflichtige beispielsweise kein Unternehmen i. S. d. § 20 AktG ist oder wenn die Meldeschwelle des § 20 Abs. 1 AktG nicht erreicht wird; umgekehrt würde nur eine Mitteilungspflicht nach § 20 Abs. 1 AktG bestehen, wenn die Beteiligung vornehmlich in stimmrechtslosen Vorzugsaktien besteht oder der Betreffende einen schuldrechtlichen Anspruch auf Übereignung einer maßgeblichen Beteiligung hat, die ihm nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 AktG, nach verbreiteter, wenn nicht sogar herrschender Meinung jedoch nicht nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG zuzurechnen ist47. Aufgrund der bestehenden Unterschiede können dementsprechend erst recht erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Höhe der mitzuteilenden Beteiligung bestehen. So kann eine Mehrheitsbeteiligung i. S. d. § 20 Abs. 4 AktG bestehen, ohne dass zugleich die Meldeschwelle von 50 % der Stimmrechte erreicht wird. Das gilt nicht nur hinsichtlich des Kapitalanteils, der nach § 21 WpHG überhaupt keine Mitteilungspflicht auslöst, sondern etwa auch im Blick auf die unterschiedliche Berechnung des Stimmrechtsanteils. c) Folgerungen Aufgrund dieser erheblichen Unterschiede kann aus einer Mitteilung nach § 20 AktG grundsätzlich nicht auf das Bestehen einer entsprechenden Mitteilungspflicht nach §§ 21 ff. WpHG geschlossen werden. Allein schon deswegen ist es sachgerecht, dass § 21 Abs. 1a WpHG bei einem erstmaligen Listing ungeachtet einer vorangegangenen Mitteilung nach § 20 AktG eine Mitteilung nach § 21 Abs. 1 WpHG verlangt. Und noch weniger kann im Allgemeinen nach einem Delisting aus einer vorangegangenen Mitteilung nach §§ 21 ff. WpHG auf das Bestehen einer Mitteilungspflicht nach § 20 AktG bzw. deren zutreffenden Inhalt geschlossen werden. Vielmehr kann es ohne weiteres sein, dass zwar eine Mitteilungspflicht nach § 21 WpHG bestand, nach dem Delisting aber keine Mitteilungspflicht nach § 20 AktG besteht, weil die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfüllt sind. Außerdem kann die nach § 20 AktG erforderliche Mitteilung einen im Blick auf die Beteiligungshöhe wesentlich anderen Inhalt haben als die vorangegangene Mitteilung nach § 21 WpHG. Zwar mag es im Einzelfall sein, dass die vorangegangene Mitteilung nach § 21 WpHG den Schluss nahelegt, es bestehe auch eine Mitteilungspflicht nach § 20 AktG. Die Tatbestände sind jedoch derart unterschiedlich, dass keineswegs im Allgemeinen davon ausgegangen werden kann, dass durch eine vorangegangene Mitteilung nach § 21 WpHG zugleich einer nachfolgenden Mitteilungspflicht nach § 20 AktG genügt wird. Vielmehr zeigen diese Überlegungen, dass das dargestellte Ausschließlichkeitsverhältnis (s. o. IV. 3. c) zwischen § 20 AktG einerseits und § 21 WpHG andererseits nicht nur mit der Vermeidung doppelter Mitteilungspflichten, sondern auch mit der
__________ 47 Dehlinger/Zimmermann in Fuchs (Fn. 19), § 22 Rz. 65 m. umfassenden N. zum Meinungsstand; a. A. etwa Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 19), § 22 Rz. 104 ff. Ob bzw. unter welchen Voraussetzungen § 25 WpHG schuldrechtliche Erwerbsrechte erfasst, ist ebenfalls streitig, s. Uwe H. Schneider, ebd., § 22 Rz. 108, 111, § 25 Rz. 9 ff.; Dehlinger/Zimmermann, ebd., § 25 Rz. 11 m. w. N.
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Mitteilungspflichten nach einem Delisting
Unterschiedlichkeit der Tatbestandsvoraussetzungen sachlich gerechtfertigt werden kann. Anders gewendet mag man zwar darüber streiten, ob die Abschaffung doppelter Mitteilungspflichten ohne vollständige oder wenigstens weitgehende Angleichung der Tatbestände im Sinne einer sowohl gesellschaftsrechtlich als auch kapitalmarktrechtlich optimalen Beteiligungspublizität die beste aller denkbaren Lösungen war48. Gerade aber wenn man diese gesetzliche Lösung für hinreichend hält, so besteht wegen der fehlenden Angleichung der Tatbestände umso mehr das Bedürfnis, das Ausschließlichkeitsprinzip konsequent durchzuführen, d. h. insbesondere auch dann auf der Erfüllung der Mitteilungspflicht nach § 20 AktG zu bestehen, wenn der Gesellschaft, ihren Aktionären und der Öffentlichkeit bereits aufgrund einer vorangegangenen Mitteilung nach § 21 WpHG die „Machtverhältnisse in der Gesellschaft“ bekannt sein könnten oder sollten. Dementsprechend ist es sowohl bei § 21 WpHG49 als auch heute bei § 20 AktG50 allgemein anerkannt, dass die Mitteilungspflicht nicht deswegen entfällt, weil der Gesellschaft die Beteiligungsverhältnisse bereits anderweitig – z. B. aufgrund der Erfüllung anderer gesetzlicher Pflichten (etwa nach § 15 WpHG)51 – bekannt sind oder sein müssten. d) Zwischenergebnis Die Unterschiedlichkeit der Tatbestände des § 21 Abs. 1 WpHG einerseits und des § 20 AktG andererseits gebietet, an dem oben (III. 3.) beschriebenen gesetzlichen Ausschließlichkeitsverhältnis beider Regelungen und damit an der Erfüllung der Mitteilungspflicht nach § 20 AktG auch dann festzuhalten, wenn der Gesellschaft, ihren Aktionären und der Öffentlichkeit bereits aufgrund einer vorangegangenen Mitteilung nach § 21 WpHG die „Machtverhältnisse in der Gesellschaft“ bekannt sind oder sein könnten; denn die Voraussetzungen der §§ 20 AktG, 21 WpHG sind derart unterschiedlich, dass sich die nach § 20 AktG mitzuteilenden Beteiligungsverhältnisse ganz anders darstellen können
__________ 48 S. oben Fn. 34. 49 Vgl. OLG Schleswig, Urt. v. 8.12.2005 – 5 U 57/04, DB 2006, 146, 147; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 19), § 28 Rz. 14; Schwark in Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 3. Aufl. 2004, § 28 WpHG Rz. 4; Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 19), Anh. § 22, § 28 WpHG Rz. 4; Hirte in KölnKomm.WpHG (Fn. 19), § 28 Rz. 24 m. w. N.; Burgard, WM 2000, 611, 615, Fn. 30. 50 BGH, Urt. v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, BGHZ 114, 203, 213; KG Berlin, Urt. v. 14.6.1990 – 2 W 1088/90, AG 1990, 500, 501; LG Berlin, Beschl. v. 11.9.1978 – 98 T 18/78, AG 1979, 109; LG Oldenburg, Urt. v. 21.10.1993 – 11 O 4033/92, AG 1994, 137; Hüffer (Fn. 19), § 20 Rz. 2, 8 (entgegen dem dortigen Fehlzitat auch Burgard [Fn. 2], S. 53); Bayer in MünchKomm.AktG (Fn. 19), § 20 Rz. 10; Emmerich in Emmerich/Habersack (Fn. 19), § 20 Rz. 32; Koppensteiner in KölnKomm.AktG (Fn. 19), § 20 Rz. 22 f.; Windbichler in Großkomm.AktG (Fn. 19), § 20 Rz. 54; a. A. noch Würdinger in Großkommentar zum AktG, 3. Aufl. 1970 ff., § 20 Anm. 8; a. A. im Blick auf den Inhalt des notariellen Gründungsprotokolls Priester, AG 1974, 212, 213 f. 51 S. hierzu Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 19), § 21 Rz. 56 ff. m. w. N.
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als die nach § 21 WpHG mitzuteilenden Stimmrechtsverhältnisse. Denkbar ist nicht nur, dass gemäß § 20 AktG anders als nach § 21 WpHG gar keine Mitteilungspflicht besteht. Denkbar ist auch, dass die nach einem Delisting gemäß § 20 AktG mitzuteilenden Beteiligungsverhältnisse trotz eines im Übrigen unveränderten Sachverhalts wesentlich geringer oder wesentlich höher ausfallen als die zuvor nach § 21 WpHG mitgeteilten Stimmrechtsverhältnisse. Eine nach § 20 AktG bestehende Mitteilungspflicht wird daher grundsätzlich nicht durch eine vorangegangene Mitteilung nach § 21 Abs. 1 WpHG erfüllt. 2. Ausnahme? Somit bleibt nur noch zu klären, ob eine Durchbrechung dieses Grundsatzes im konkreten Einzelfall dann ausnahmsweise gerechtfertigt erscheint, wenn der Inhalt der nach einem Delisting gemäß § 20 AktG erforderlichen Mitteilung in keiner Weise über die nach § 21 WpHG bereits erfolgte Mitteilung hinausgeht, wenn also das Verlangen der Erfüllung der Mitteilungspflicht nach § 20 AktG als bloßer Formalismus ohne zusätzlichen Informationswert erscheint. Bei einer solchen Sachverhaltsgestaltung, die möglicherweise auch den vom LG München und LG Hannover entschiedenen Fällen zugrunde liegt, könnte man argumentieren, dass das Bestehen einer Mitteilungspflicht nach § 20 AktG bzw. ihre Sanktionierung nach § 20 Abs. 7 AktG gemessen an dem Gesetzeszweck unverhältnismäßig und daher eine teleologische Reduktion erforderlich ist. Dagegen sprechen indes folgende Gründe: Erstens würde durch eine solche Ausnahme die klare Unterscheidung, die § 20 Abs. 8 AktG trifft, aufgegeben. Folge wäre das Entstehen von erheblicher Rechtsunsicherheit; denn in Fällen eines Delistings wäre fürderhin nicht mehr klar, ob eine Mitteilungspflicht nach § 20 AktG besteht oder nicht. Gerade angesichts der einschneidenden Rechtsfolgen des § 20 Abs. 7 AktG ist das Entstehen einer solchen Rechtsunsicherheit jedoch zu vermeiden. Zweitens wäre aus Sicht der Gesellschaft, ihrer Aktionäre und der Öffentlichkeit nicht klar, was das Unterlassen einer Mitteilung nach § 20 AktG zu bedeuten hat. Bedeutet es, dass die nach § 21 WpHG mitgeteilten Stimmrechtsverhältnisse den nach § 20 AktG mitzuteilenden Beteiligungsverhältnissen entsprechen? Oder bedeutet das Unterlassen, dass nach der rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts durch den möglicherweise Mitteilungspflichtigen nach § 20 AktG anders als zuvor nach § 21 WpHG keine Mitteilungspflicht besteht? Oder bedeutet das Unterlassen, dass sich mit dem Delisting auch die Beteiligungsverhältnisse geändert haben? Hat etwa der zuvor nach § 21 WpHG mitteilungspflichtige Aktionär Dritten ein durch das Delisting aufschiebend bedingtes Erwerbsrecht eingeräumt, von dem die Dritten durch das Delisting aufschiebend bedingt dergestalt Gebrauch machen, dass weder der bisherige Aktionär noch die Dritten gemäß § 20 AktG mitteilungspflichtig sind52? Oder
__________
52 In diesem Fall besteht nach dem Wortlaut des Gesetzes keine Mitteilungspflicht nach § 21 WpHG wegen Unterschreitens der Meldeschwellen, weil die Gesellschaft nach dem Delisting keine Emittentin i. S. d. § 21 Abs. 2 WpHG mehr ist. Zugleich
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Mitteilungspflichten nach einem Delisting
kommt dieser Aktionär oder kommen Dritte schlicht ihrer Mitteilungspflicht nicht nach? Eine solche Ungewissheit gilt es nach dem Sinn und Zweck von § 20 AktG soweit als möglich zu vermeiden. Sie darf daher nicht durch die Annahme der beschriebenen Ausnahme befördert werden. Schließlich, drittens, besteht für eine solche Ausnahme auch aus Sicht des Mitteilungspflichtigen kein Bedürfnis. Weder besteht ein anerkennenswertes Geheimhaltungsinteresse noch fallen die Kosten einer ordnungsgemäßen Mitteilung nach § 20 AktG ins Gewicht. Vielmehr kann durch eine ordnungsgemäße Erfüllung der Mitteilungspflicht das Eingreifen der Sanktionen des § 20 Abs. 7 AktG auf einfache Weise vermieden werden. Anders gewendet ist die Erfüllung der Mitteilungspflicht für den Beteiligungsinhaber weniger belastend als das Entstehen zusätzlicher Unsicherheit hinsichtlich des Bestehens einer Mitteilungspflicht für die Gesellschaft und ihre Aktionäre. Auch im Einzelfall ist daher keine Ausnahme von der gesetzlich zwingenden Mitteilungspflicht nach § 20 AktG nach einem Delisting zu machen. Freilich: Erfolgt nach einem Delisting keine Mitteilung nach § 20 AktG durch eine Person, die zuvor das Bestehen einer Beteiligung von mehr als 25 % nach §§ 21 ff. WpHG gemeldet hat, wird sich aus Sicht der Gesellschaft oft die Frage stellen, ob das Unterlassen der Mitteilung auf Unkenntnis bzw. Nachlässigkeit oder auf Rechtsgründen, etwa der mangelnden Qualifikation als Unternehmen, beruht. Dabei haben die Gesellschaft und ihre Aktionäre im Blick auf die Rechtsfolgen des § 20 Abs. 7 AktG ein berechtigtes Interesse zu erfahren, ob das Unterlassen der Mitteilung zu Recht oder zu Unrecht erfolgte. Die Gesellschaft kann und sollte daher den Betreffenden auf die Mitteilungspflicht hinweisen und nachfragen, warum er eine Mitteilung unterlassen hat53. Diese Frage kann auch in die Form eines Nachweisverlangens i. S. d. § 22 AktG, § 27 WpHG gekleidet werden. Der Betreffende ist sodann aufgrund dieser Vorschriften bzw. der gesellschaftsrechtlichen Treupflicht54 gehalten, der Gesellschaft wahr-
__________ sind die Dritten nach § 21 WpHG nicht mitteilungspflichtig, weil § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 WpHG ein bedingtes Erwerbsrecht nicht erfasst, Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 19), § 22 Rz. 112. Schließlich kann das Erwerbsrecht derart auf verschiedene Erwerber aufgeteilt sein, dass keiner von ihnen die Meldeschwelle des § 20 Abs. 1 AktG erreicht. Außerdem könnte ein Erwerber bloßer Privataktionär und damit nicht als Unternehmen i. S. d. § 20 AktG zu qualifizieren sein. 53 Zur Frage eines Auskunftsanspruchs der Gesellschaft Uwe H. Schneider in Assmann/ Uwe H. Schneider (Fn. 19), § 21 Rz. 145, § 27 Rz. 4 ff. m. w. N. auch zur Gegenansicht; zur Frage einer Informationsbeschaffungspflicht der Gesellschaft Uwe H. Schneider, ebd., § 26 Rz. 13 ff.; dagegen OLG Stuttgart, Urt. v. 15.10.2008 – 20 U 19/07, AG 2009, 124, 128 m. w. N. 54 Die gesellschaftsrechtliche Treupflicht gilt auch für Aktionäre, BGH, Urt. v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184, 194; BGH, Urt. v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 142. Das gilt bei der hier in Rede stehenden Größenordnung der Beteiligung auch für bloß mittelbar Beteiligte, Uwe H. Schneider/Burgard in FS Peter Ulmer, 2003, S. 579, 582 ff.
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Ulrich Burgard
heitsgemäß Auskunft zu geben55. Auch Mitaktionären wird man auf Grundlage der Treupflicht einen Auskunftsanspruch zubilligen können.
VI. Zusammenfassung der Ergebnisse Die Ergebnisse der vorstehenden Untersuchung lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Aus einer Zusammenschau von § 20 Abs. 8 AktG und § 21 Abs. 1a WpHG ergibt sich, dass § 20 AktG einerseits und § 21 WpHG andererseits in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander stehen: Ausschließlich nach § 21 WpHG richtet sich die Mitteilungspflicht, sobald und solange die Aktiengesellschaft Emittentin i. S. d. § 21 Abs. 2 WpHG ist. Ausschließlich nach § 20 AktG richtet sich die Mitteilungspflicht, solange und sobald die Aktiengesellschaft keine Emittentin i. S. d. § 21 Abs. 2 WpHG (mehr) ist (oben III.). 2. Die bloße Tatsache eines Delisting löst daher eine Mitteilungspflicht nach § 20 AktG aus, ohne dass es auf eine Veränderung der Rechtszuständigkeit oder der Beteiligungshöhe ankommt, wenn auch die übrigen Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind (oben IV.). 3. Die Unterschiede zwischen § 20 AktG einerseits und § 21 WpHG andererseits sind so groß, dass aus einer vorangegangenen Mitteilung nach §§ 21 ff. WpHG nicht auf das Bestehen einer Mitteilungspflicht nach § 20 AktG bzw. deren zutreffenden Inhalt geschlossen werden kann. Dementsprechend rechtfertigt eine vorangegangene Mitteilung nach §§ 21 ff. WpHG nicht das Unterlassen einer nach § 20 AktG gebotenen Mitteilung. Dafür spricht auch, dass nach heute einhelliger Ansicht weder die Mitteilungspflichten nach § 20 AktG noch die Mitteilungspflichten nach § 21 WpHG deswegen entfallen, weil der Gesellschaft die Beteiligungsverhältnisse bereits anderweitig bekannt sind. Das gilt auch, wenn die Kenntnis auf der Erfüllung anderer gesetzlicher Pflichten beruht (V.1.). 4. Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes im konkreten Einzelfall ist auch dann nicht gerechtfertigt, wenn der Inhalt der nach einem Delisting gemäß § 20 AktG erforderlichen Mitteilung in keiner Weise über die nach § 21 WpHG bereits erfolgte Mitteilung hinausgeht; denn eine solche Ausnahme würde Rechtsunsicherheit befördern. Außerdem besteht dafür kein anerkennenswertes Bedürfnis (V. 2.).
__________ 55 Für das Bestehen von über §§ 20 f. AktG, §§ 21 ff. WpHG hinausgehenden Mitteilungspflichten aufgrund der Treupflicht Burgard (Fn. 2), S. 64 ff.; ders., AG 1992, 41, 47 ff.; Emmerich in Emmerich/Habersack (Fn. 19), § 20 Rz. 10 f.; ders. in Emmerich/Habersack, Konzernrecht, 9. Aufl. 2008, § 6 Rz. 12 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 593, 799; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 19), Vor § 21 Rz. 69.
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Andreas Cahn / Henny Müchler
Die Verantwortlichkeit der Organmitglieder einer Sparkasse für den Erwerb riskanter Wertpapiere Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Geschäftstätigkeit und Organisationsverfassung der Sparkassen 1. Rechtsform und Aufsicht 2. Aufgaben der Sparkasse 3. Sparkassenorgane a) Der Vorstand b) Der Verwaltungsrat III. Die Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder gegenüber der Sparkasse 1. Haftungsgrundlagen a) Besondere gesetzliche Haftungsgrundlagen b) Haftungsgrundlage bei Fehlen einer besonderen gesetzlichen Regelung aa) Haftung nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften bb) Haftung wegen Verletzung des Anstellungsvertrags cc) Organhaftung 2. Haftungsvoraussetzungen a) Sorgfaltsmaßstab b) Pflichtverletzung aa) Verletzung der Pflicht zur Beachtung von Recht und Gesetz (1) Verstoß gegen Gesetz, Rechtsverordnung oder Satzung (2) Handeln außerhalb des öffentlichen Auftrags der Sparkasse bb) Verletzung der Grenzen des unternehmerischen Ermessens (1) Ermessensspielraum und Sorgfaltsmaßstab bei unternehmerischen Entscheidungen
(2) Voraussetzung: Handeln auf der Grundlage angemessener Information (3) Grenzen des unternehmerischen Ermessens c) Verschulden d) Schaden und Kausalität e) Gesamtschuldnerische Haftung und individuelle Verantwortlichkeit f) Verzichtswirkung des Entlastungsbeschlusses g) Verjährung 3. Deliktsrechtliche Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder IV. Die Verantwortlichkeit der Mitglieder des Verwaltungsrates gegenüber der Sparkasse 1. Haftungsgrundlagen a) Besondere gesetzliche Haftungsgrundlagen b) Haftungsgrundlage bei Fehlen einer besonderen gesetzlichen Regelung 2. Haftungsvoraussetzungen a) Sorgfaltsmaßstab b) Pflichtverletzung aa) Verletzung der Überwachungspflicht (1) Unterlassenes Einschreiten trotz Kenntnis von Pflichtwidrigkeiten des Vorstands (2) Verletzung der Informationspflicht bb) Pflichtwidrige Entlastung cc) Ausdrückliche Zustimmung c) Verschulden d) Schaden und Kausalität e) Gesamtschuldnerische Haftung und individuelle Verantwortlichkeit
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Andreas Cahn / Henny Müchler f) Verzichtswirkung des Entlastungsbeschlusses g) Verjährung 3. Deliktsrechtliche Haftung der Mitglieder des Verwaltungsrates
V. Durchsetzung der Ansprüche der Sparkasse gegen die Organmitglieder VI. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Organmitglieder einer Sparkasse VII. Ausblick
I. Einleitung Die Auswirkungen der Finanzmarktkrise haben nicht nur große Kreditinstitute getroffen. Nicht zuletzt auch kleinere Institute des Sparkassensektors haben in dem Streben nach attraktiven Renditen teilweise in verhältnismäßig großem Stil strukturierte Wertpapiere erworben, die mit einem Pool von zweitklassigen U.S.-amerikanischen Hypothekenkrediten unterlegt sind. Viele dieser CDO-Tranchen hatten von externen Ratingagenturen eine positive Bonitätsbeurteilung („Investment Grade“) erhalten. Spätestens mit dem Platzen der Blase auf dem U.S.-Immobilienmarkt und dem massenhaften Ausfall der Kreditnehmer wurde offenbar, dass diese Bonitätsbeurteilungen nicht zutreffend waren. Durch den drastischen Preisverfall der Papiere ist den betroffenen Sparkassen ein Abschreibungsbedarf in bislang unbekannter Höhe entstanden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Verantwortlichkeit für daraus resultierende Verluste1. Der Beitrag untersucht die möglichen haftungsrechtlichen Konsequenzen für die Mitglieder von Vorstand und Verwaltungsrat der Sparkasse aufgrund eines Erwerbs riskanter forderungsbesicherter Wertpapiere. Zu diesem Zweck werden zunächst die für das Thema wesentlichen rechtlichen Grundlagen der Geschäftstätigkeit von Sparkassen und ihrer Organisationsverfassung dargestellt (sogleich, II.). Anschließend wird untersucht, unter welchen Voraussetzungen Mitglieder von Vorstand (III.) und Verwaltungsrat (IV.) für Geschäftsführungs- bzw. Aufsichtsfehler gegenüber der Sparkasse haftbar sein können und wer zur Durchsetzung etwaiger Schadensersatzansprüche gegen die Organmitglieder berufen ist (V.). Der Beitrag wird durch einen Ausblick auf etwaige strafrechtliche Folgen abgerundet (VI.). Uwe H. Schneider ist seit vielen Jahren Direktor des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens; er hat sich als Kommentator eingehend mit Fragen der Organhaftung befasst und sehr frühzeitig dezidiert und kritisch zu den Entwicklungen Stellung bezogen, die zu der gegenwärtigen Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise geführt haben. Die Verfasser hoffen daher, dass die folgenden Zeilen das Interesse des Jubilars finden werden.
__________ 1 Vgl. zur Frage der Verantwortlichkeit der Geschäftsleiter von Instituten des Bankensektors für Risikogeschäfte aus jüngerer Zeit OLG Düsseldorf, ZIP 2010, 27 ff.; Lutter, ZIP 2009, 197 ff.; Böttcher, NZG 2009, 1047 ff.; Fleischer, NJW 2010, 1504 ff.; Florstedt, AG 2010, 315 ff.; aus strafrechtlicher Sicht Brüning/Samson, ZIP 2009, 1089 ff.; Ransiek, WM 2010, 809 ff.; Schröder, NJW 2010, 1169 ff.
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Verantwortlichkeit von Sparkassenorganen für den Erwerb riskanter Wertpapiere
II. Geschäftstätigkeit und Organisationsverfassung der Sparkassen 1. Rechtsform und Aufsicht Das Sparkassenorganisationsrecht ist Ländersache2. Die hier interessierenden Vorschriften über die Organisationsverfassung der Sparkasse sind in den Sparkassengesetzen der Bundesländer enthalten. Ergänzende Bestimmungen finden sich in den aufgrund der Sparkassengesetze erlassenen Rechtsverordnungen sowie in den Satzungen der Sparkassen. Nach den Sparkassengesetzen sind die Sparkassen ausnahmslos rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts3. Von den kommunalen Sparkassen zu unterscheiden sind die sog. freien Sparkassen, die typischerweise in der Rechtsform der Aktiengesellschaft errichtet werden4. Die privatrechtlich organisierten Sparkassen sind zwar nicht Gegenstand dieses Beitrags; die Ausführungen gelten für sie im Grundsatz aber gleichermaßen. Als Unternehmen, die gewerbsmäßig Bankgeschäfte betreiben, sind Sparkassen Kreditinstitute im Sinne von § 1 Abs. 1 KWG. Die Vorschriften des Kreditwesengesetzes finden daher uneingeschränkt auf sie Anwendung. Nach § 6 Abs. 1 KWG werden die Sparkassen von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beaufsichtigt. Als kommunale Wirtschaftsunternehmen unterstehen sie zudem der Staatsaufsicht in Gestalt einer besonderen Sparkassenaufsicht5. 2. Aufgaben der Sparkasse Als öffentlich-rechtliche Anstalten dienen Sparkassen der Verfolgung eines öffentlichen Zwecks. Der öffentliche Auftrag der Sparkassen, der im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge liegt6, wird in den Landesgesetzen näher
__________ 2 Zur Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern vgl. Schlierbach/Püttner, Das Sparkassenrecht in der Bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl. 2003, S. 31 ff. 3 Vgl. § 1 Sparkassengesetz für Baden-Württemberg (SpG BW); Art. 3 Gesetz über die öffentlichen Sparkassen Bayern (Bay. SpkG); § 1 Abs. 1 Satz 2 Brandenburgisches Sparkassengesetz (BbgSpkG); § 1 Abs. 1 Hessisches Sparkassengesetz (Hess. SpkG); § 1 Abs. 1 Sparkassengesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern (SpkG MV); § 3 Niedersächsisches Sparkassengesetz (NSpG); Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Sparkassengesetz Nordrhein-Westfalen (SpkG NW); § 1 Abs. 1 Sparkassengesetz Rheinland-Pfalz (SpkG Rh.-Pf.); § 1 Abs. 1 Satz 1 Saarländisches Sparkassengesetz (SSpG), § 1 Abs. 1 Satz 2 Gesetz über die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute im Freistaat Sachsen und die Sachsen-Finanzgruppe (SächsSparkG); § 1 Abs. 2 Sparkassengesetz des Landes Sachsen-Anhalt (SpkG-LSA); § 1 Abs. 1 Sparkassengesetz für das Land Schleswig-Holstein (SpkG SH); § 1 Abs. 1 Thüringer Sparkassengesetz (ThürSparkG). Nach § 3 des Berliner Sparkassengesetzes (SpkG Bln.) ist die Sparkasse Berlin eine teilrechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts. 4 Beispiele sind die Hamburger Sparkasse AG (Haspa) und die Sparkasse Bremen AG. Die früher ebenfalls in dieser Rechtsform organisierte Frankfurter Sparkasse AG wurde mit Wirkung zum 1. Juli 2007 in eine Anstalt des öffentlichen Rechts umgewandelt. 5 Vgl. Schlierbach/Püttner, Sparkassenrecht (Fn. 2), S. 65. Nach § 52 KWG besteht die staatliche Aufsicht neben der Aufsicht der BaFin. 6 Vgl. BVerfG, NVwZ 1995, 370, 371; BVerfGE 75, 192, 197 ff. = NVwZ 1987, 879, 880 f.
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beschrieben7. Hiernach sollen Sparkassen vor allem eine ausreichende Versorgung aller Bevölkerungskreise, der Wirtschaft und der öffentlichen Hand mit geld- und kreditwirtschaftlichen Leistungen gewährleisten (sog. Gewährleistungsfunktion). Weitere Funktionen der Sparkasse sind die Förderungs-, die Struktursicherungs-, die Hausbank- sowie die Wettbewerbssicherungsfunktion8. Die letztgenannte Funktion, die die Aufgabe der Sparkasse zur Stärkung des Wettbewerbs im Kreditgewerbe umschreibt, hat im Laufe der Jahre zunehmend an Gewicht gewonnen9. Der Wettbewerbsgedanke impliziert bereits, dass der Geschäftsbetrieb der Sparkassen nicht auf das Einlagen- und Kreditgeschäft beschränkt sein kann. Tatsächlich gestatten die meisten Sparkassengesetze den Sparkassen das Betreiben aller „banküblichen“ Geschäfte, soweit das Gesetz, die aufgrund des Gesetzes erlassene Rechtsverordnung oder die Satzung der Sparkasse keine Einschränkungen vorsehen10. Als Universalbanken treten die Sparkassen den privatwirtschaftlichen Kreditinstituten als echte Wettbewerber entgegen. 3. Sparkassenorgane Nach den Landesgesetzen sind der Vorstand und der Verwaltungsrat notwendige Organe der Sparkasse11. Vorbild für diesen Dualismus ist das Aktienrecht, das als Verwaltungsgremien der Aktiengesellschaft den Vorstand und den Aufsichtsrat kennt12. Während die Aktiengesellschaft aber in Gestalt der Hauptversammlung über ein drittes Organ verfügt, ist der Organaufbau der Sparkasse in der Regel zweigliedrig. Dies erklärt sich daraus, dass Sparkassen regelmäßig nur einen Träger haben (z. B. kreisfreie Stadt, Gemeinde, Landkreis), dessen Einfluss durch den Verwaltungsrat gesichert wird.
__________ 7 Vgl. § 6 SpG BW; Art. 2 Bay. SpkG; § 2 Abs. 1 SpkG Bln.; § 2 BbgSpkG; § 2 Hess. SpkG; § 2 SpkG MV; § 4 NSpG; § 2 SpkG NW; § 2 SpkG Rh.-Pf.; § 2 SSpG; § 2 SächsSparkG; § 2 SpkG-LSA; § 2 SpkG SH; § 2 ThürSparkG. 8 Vgl. Völter, Aufgaben und Pflichten von Verwaltungsräten, 6. Aufl. 2009, S. 23 f.; grundlegend D. Schmidt, ZfgK 1968, 1024 ff. 9 Vgl. Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 24; Lutter, Pflichten und Haftung von Sparkassenorganen, 1991, S. 9 f.; Schlierbach/Püttner, Sparkassenrecht (Fn. 2), S. 62 f. 10 Das sog. Enumerationsprinzip, das gesetzlich nicht ausdrücklich erlaubte Geschäfte nur mit aufsichtsbehördlicher Genehmigung zuließ, gehört damit weitgehend der Vergangenheit an. Vgl. zu dieser Entwicklung Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 29 f. 11 Nach § 11 SpG BW ist der Kreditausschuss ein weiteres Organ der Sparkasse. § 5 SpkG Bln. sieht den Vorstand und den Sparkassenbeirat als Organe vor. 12 Vgl. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen: ein Handbuch zu Verfassungs- und Rechtsfragen der öffentlichen Wirtschaft, 2. Aufl. 1985, S. 225, 228; ders. in Kontrolle öffentlicher Unternehmen, Bd. 1, 1. Aufl. 1980, S. 137; Rümker in FS Werner, 1984, S. 745 f.; Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 10.
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a) Der Vorstand Der Vorstand ist das Geschäftsführungsorgan der Sparkasse. Ihm obliegt die Leitung der Sparkasse in eigener Verantwortung13. Der Vorstand führt die Geschäfte und vertritt die Sparkasse gerichtlich und außergerichtlich. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KWG muss der Vorstand aus mindestens zwei nicht nur ehrenamtlich tätigen Mitgliedern bestehen (sog. Vier-Augen-Prinzip)14. Als Geschäftsleiter im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KWG müssen die Vorstandsmitglieder zuverlässig sein und die zur Leitung der Sparkasse erforderliche fachliche Eignung haben15. Letzteres setzt voraus, dass sie in ausreichendem Maße über theoretische und praktische Kenntnisse in den betreffenden Geschäften der Sparkasse sowie über Leitungserfahrung verfügen16. Die Vorstandsmitglieder werden in der Regel vom Verwaltungsrat bestellt und abberufen17. Im Ergebnis unterscheidet sich der Vorstand der Sparkasse hinsichtlich seiner Zusammensetzung und seines Aufgabenbereichs kaum von der Geschäftsleitung eines privatwirtschaftlichen Kreditinstituts. b) Der Verwaltungsrat Der Verwaltungsrat wird als „oberstes Organ“ der Sparkasse bezeichnet18. Seine Aufgaben sind im Wesentlichen mit den Aufgaben des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft vergleichbar. Ebenso wie diesem19 obliegt dem Verwaltungsrat vor allem die Überwachung der Geschäftsführung des Vorstands20. Vergleichbar der Geschäftsordnungskompetenz des Aufsichtsrats21 steht dem Verwaltungs-
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13 Vgl. § 23 Abs. 1 Satz 1 SpG BW; § 18 Abs. 1 Satz 1 BbgSpkG; § 7 Abs. 1 Satz 2 Hess. SpkG; § 18 Abs. 1 Satz 1 SpkG MV; § 10 Abs. 1 Satz 1 NSpG; § 20 Abs. 1 Satz 1 SpkG NW; § 14 Abs. 1 Satz 1 SpkG Rh.-Pf.; § 16 Abs. 1 SSpG; § 18 Abs. 1 Satz 1 SächsSparkG; § 18 Abs. 1 Satz 1 SpkG-LSA; § 14 Abs. 2 Satz 1 SpkG SH; § 15 Abs. 1 Satz 1 ThürSparkG. 14 Die Sparkassengesetze enthalten entsprechende Bestimmungen, vgl. nur § 24 Abs. 1 Satz 1 SpG BW; Art. 5 Abs. 4 Satz 1 Bay. SpkG; § 7 Abs. 2 Satz 1 Hess. SpkG. 15 § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 4 KWG. Entsprechende Bestimmungen finden sich in den meisten Sparkassengesetzen, vgl. nur § 25 Abs. 1 Satz 1 SpG BW; § 19 Abs. 2 Satz 1 BbgSpkG; § 19 Abs. 2 Satz 1 SpkG MV; § 12 Abs. 2 Satz 1 SpkG Rh.-Pf.; § 15 Abs. 2 SSpG; § 19 Abs. 2 Satz 1 SächsSparkG; § 19 Abs. 2 Satz 1 SpkG-LSA; § 13 Abs. 3 SpkG SH. 16 § 33 Abs. 2 Satz 1 KWG. 17 Schlierbach/Püttner, Sparkassenrecht (Fn. 2), S. 199 f.; Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 48. 18 Vgl. § 5 Satz 1 Hess. SpkG; § 8 Abs. 1 Satz 1 ThürSparkG; Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 37. Im Aktienrecht ist diese Bezeichnung gemeinhin für die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft reserviert. Kritisch hierzu angesichts der begrenzten Kompetenzen dieses Organs Kubis in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 118 Rz. 10; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 118 Rz. 4. 19 § 111 Abs. 1 AktG. 20 Vgl. § 12 Abs. 1 Satz 2 SpG BW; Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Bay. SpkG; § 8 Abs. 1 BbgSpkG; § 5 Satz 2 Hess. SpkG; § 8 Abs. 1 SpkG MV; § 16 Abs. 1 NSpG; § 15 Abs. 1 SpkG NW; § 8 Abs. 1 Satz 1 SpkG Rh.-Pf.; § 12 Abs. 1 Satz 1 SSpG; § 8 Abs. 1 Satz 1 SächsSparkG; § 8 Abs. 1 SpkG-LSA; § 10 Abs. 1 Satz 2 SpkG SH; § 8 Abs. 1 Satz 2 ThürSparkG. 21 § 77 Abs. 2 AktG.
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rat das Recht zu, Geschäftsanweisungen für den Vorstand zu erlassen22. Entsprechend § 112 AktG vertritt der Verwaltungsrat die Sparkasse gegenüber den Vorstandsmitgliedern gerichtlich und außergerichtlich. Ebenso wie das Aktienrecht23 sehen auch die Sparkassengesetze vor, dass bestimmte Geschäfte nur mit Zustimmung des Verwaltungsrats vorgenommen werden dürfen24. Teilweise wird dem Verwaltungsrat in bestimmten Fragen der Geschäftsführung sogar eine eigene Beschlusskompetenz eingeräumt25. Die Stellung des Verwaltungsrats als „oberstes Organ“ der Sparkasse ergibt sich vor allem daraus, dass der Verwaltungsrat die Richtlinien der Geschäftspolitik der Sparkasse bestimmt26. Hierin liegt ein grundlegender Unterschied zum Aktienrecht, das die Festlegung des strategischen Rahmens der Unternehmenspolitik dem Kernbereich der Leitungsverantwortung des Vorstands (vgl. § 76 Abs. 1 AktG) zuordnet27. Darüber hinaus beschließt der Verwaltungsrat in Angelegenheiten, die aktienrechtlich der Hauptversammlung zugewiesen sind (z. B. Verwendung des Bilanzgewinns, Entlastung des Vorstands28). Der Verwaltungsrat ist im Regelfall mit einem geborenen Vorsitzenden und weiteren gewählten Mitgliedern besetzt29. Der Vorsitzende wird vom Anstaltsträger gestellt und ist in der Regel mit der an der Spitze des Hauptorgans des Trägers stehenden Person identisch. Üblicherweise wird ein Drittel der Verwaltungsratsmitglieder von den Beschäftigten der Sparkasse gewählt30. Die Wahl der übrigen Mitglieder obliegt dem Anstaltsträger. Die Wählbarkeit der Verwaltungsratsmitglieder ist nach den Sparkassengesetzen an bestimmte Vorausset-
__________ 22 Vgl. § 12 Abs. 1 Satz 2 SpG BW; Art. 5 Abs. 3 Satz 2 Bay. SpkG; § 8 Abs. 2 Nr. 5 BbgSpkG; § 8 Abs. 2 Nr. 5 SpkG MV; § 16 Abs. 4 Nr. 1 NSpG; § 15 Abs. 2 lit. c SpkG NW; § 8 Abs. 2 Nr. 5 SpkG Rh.-Pf.; § 12 Abs. 3 Nr. 1 SSpG; § 8 Abs. 2 Nr. 5 SächsSparkG; § 8 Abs. 2 Nr. 5 SpkG-LSA; § 10 Abs. 2 Nr. 6 SpkG SH. 23 § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG. 24 Vgl. § 17 Abs. 2 Verordnung über die Organisation und den Geschäftsbetrieb der Sparkassen (Bay. SpkO); § 8 Abs. 3 BbgSpkG; § 8 Abs. 3 SpkG MV; § 8 Abs. 3 SpkG Rh.-Pf.; § 12 Abs. 4 SSpG; § 8 Abs. 3 SächsSparkG; § 8 Abs. 3 SpkG-LSA. 25 Vgl. z. B. § 16 Abs. 4 NSpG; § 15 Abs. 4 SpkG NW. Materiell werden diese Zuständigkeiten als bloße Zustimmungskompetenzen verstanden, da die Geschäftsführung nach dem Kreditwesengesetz dem Vorstand vorbehalten ist, vgl. Schlierbach/ Püttner, Sparkassenrecht (Fn. 2), S. 191; Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 45; Rümker in FS Werner, 1984, S. 745, 763. 26 Vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 SpG BW; Art. 5 Abs. 3 Satz 2 Bay. SpkG; § 8 Abs. 1 BbgSpkG; § 5 Abs. 1 Satz 2 Hess. SpkG; § 8 Abs. 1 SpkG MV; § 16 Abs. 4 Nr. 2 NSpG; § 15 Abs. 1 SpkG NW; § 8 Abs. 1 Satz 1 SpkG Rh.-Pf.; § 8 Abs. 1 Satz 1 SächsSparkG; § 8 Abs. 1 SpkG-LSA; § 10 Abs. 1 Satz 2 SpkG SH; § 8 Abs. 1 Satz 2 ThürSparkG. 27 Vgl. dazu Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1996, § 111 Rz. 68; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 76 Rz. 4, 45 ff.; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 76 Rz. 17, 19. 28 Vgl. z. B. § 8 Abs. 2 Nr. 6 und 7 BbgSpkG; § 8 Abs. 2 Nr. 6 und 7 SpkG MV; § 16 Abs. 4 Nr. 8 NSpG; § 8 Abs. 2 Nr. 8 SpkG Rh.-Pf.; § 12 Abs. 3 Nr. 9 und 10 SSpG; § 8 Abs. 2 Nr. 6 und 7 SpkG-LSA; § 10 Abs. 2 Nr. 9 und 10 SpkG SH. 29 Vgl. Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 31, 36; Schlierbach/Püttner, Sparkassenrecht (Fn. 2), S. 161. Eine Ausnahme bildet das nordrhein-westfälische Sparkassengesetz: Nach § 11 Abs. 1 SpkG NW wird der Vorsitzende des Verwaltungsrats von der Vertretung des Trägers gewählt. 30 Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 31.
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Verantwortlichkeit von Sparkassenorganen für den Erwerb riskanter Wertpapiere
zungen gebunden, zu denen namentlich wirtschaftliche Erfahrung und Sachkunde gehören31. Seit dem Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht vom 29. Juli 200932 verlangt auch das Kreditwesengesetz eine besondere Sachkunde der Mitglieder der Kontrollorgane von Instituten33, deren Vorliegen durch spezielle Eingriffsbefugnisse der BaFin gesichert wird34. Anders als die Vorstandsmitglieder der Sparkasse werden die Mitglieder des Verwaltungsrats ehrenamtlich tätig.
III. Die Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder gegenüber der Sparkasse 1. Haftungsgrundlagen a) Besondere gesetzliche Haftungsgrundlagen Einige Sparkassengesetze enthalten eigenständige Haftungsgrundlagen. Die betreffenden Vorschriften sehen vor, dass „Mitglieder des Vorstands, die ihre Pflichten verletzen, der Sparkasse zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet“ sind35. Eine Sonderstellung nimmt das bayerische Sparkassengesetz ein, das die Vorschriften über die Haftung kommunaler Wahlbeamter für entsprechend anwendbar erklärt36. b) Haftungsgrundlage bei Fehlen einer besonderen gesetzlichen Regelung Andere Sparkassengesetze enthalten hingegen keine eigenständige Haftungsgrundlage. In diesen Fällen stellt sich die Frage, nach welchen Regeln sich die Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder richtet. aa) Haftung nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften Aufgrund der Rechtsform der Sparkasse als kommunale Anstalt des öffentlichen Rechts liegt es auf den ersten Blick nahe, die Haftungsregeln des Kommunalrechts auf die Vorstandsmitglieder der Sparkasse zu erstrecken37. Aller-
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31 Vgl. § 13 Abs. 3 Satz 2 SpG BW; Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Bay. SpkG; § 9 Abs. 3 Satz 2 BbgSpkG; § 9 Abs. 3 Satz 2 SpkG MV; § 13 Abs. 1 Satz 1 NSpG; § 12 Abs. 1 SpkG NW; § 5 Abs. 2 Satz 1 SpkG Rh.-Pf.; § 8 Abs. 3 Satz 2 SSpG; § 9 Abs. 3 Satz 2 SächsSparkG; § 9 Abs. 3 Satz 2 SpkG-LSA; § 9 Abs. 2 Satz 2 ThürSparkG. 32 BGBl. I 2009, S. 2305. 33 § 36 Abs. 3 Satz 1 KWG; vgl. hierzu Hingst/Himmelreich/Krawinkel, WM 2009, 2016, 2018 ff. 34 Vgl. § 36 Abs. 3 Satz 3 und 4 KWG. 35 Vgl. § 25 Abs. 5 SpG BW; § 20 Abs. 4 BbgSpkG; § 20 Abs. 3 SpkG MV; § 10 Abs. 1 Satz 4 NSpG; § 20 Abs. 3 SächsSparkG; § 20 Abs. 3 SpkG-LSA. 36 Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Bay. SpkG i. V. m. Art. 49 Abs. 1 Gesetz über kommunale Wahlbeamte (KWBG). Ausführlich hierzu Berg, BayVBl. 2000, 385 ff. 37 I. d. S. Schlierbach/Püttner, Sparkassenrecht (Fn. 2), S. 30: „Da das Sparkassenrecht zum öffentlichen Recht gehört, ist folgerichtig die Lösung sparkassenrechtlicher Zweifelsfragen grundsätzlich unter Heranziehung öffentlich-rechtlicher, vornehmlich kommunalrechtlicher Grundsätze […] zu suchen“.
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dings hat sich das Sparkassenrecht im Laufe der Jahre zu einem eigenständigen, aus dem Kommunalrecht ausgegliederten Organisationsrecht entwickelt38. Die Sparkasse ist einem privatwirtschaftlichen Kreditinstitut weitgehend angenähert39. Ihr Vorstand ist weder weisungsgebundenes Ausführungsorgan im Rahmen einer Behördenhierarchie noch politischer Wahlbeamter, sondern Geschäftsleiter mit unternehmerischen Aufgaben, die sich von denjenigen der Geschäftsleiter privater Institute in der Sache nicht unterscheiden. Die Anwendung der Haftungsregeln für kommunale Beamte würde dem nicht gerecht. bb) Haftung wegen Verletzung des Anstellungsvertrags Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, in Ermangelung einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung sei allein der Anstellungsvertrag die Grundlage für die Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder gegenüber der Sparkasse40. Ein rein vertragliches Haftungsregime wäre indessen der Stellung des Sparkassenvorstands als Leitungsorgan der Sparkasse nicht angemessen. Sparkassen ist durch Gesetz ein öffentlicher Auftrag zugewiesen, dessen Erfüllung ihren Organen obliegt. Die Binnenorganisation, insbesondere die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Sparkassenorganen und der damit korrespondierenden Verantwortlichkeiten, ist durch die Sparkassengesetze nach aktienrechtlichem Vorbild weitgehend zwingend geregelt. Mit diesen Vorgaben wäre es noch weniger als bei der privatnützigen Aktiengesellschaft zu vereinbaren, das Haftungsregime und die damit verbundene Kompensations- und Steuerungsfunktion vertraglichen Vereinbarungen zu überantworten, damit einer Beeinflussung durch die Interessen der von solchen Vereinbarungen betroffenen Organmitglieder auszusetzen und die einheitliche gesetzliche Aufgabenzuweisung durch individuelle Abreden über die Verantwortlichkeit zu unterlaufen41. Eine Ausgestaltung der Haftungsgrundsätze für Sparkassenvorstände, die von den allgemeinen Grundsätzen des Kapitalgesellschaftsrechts abwiche, würde überdies nicht dem Umstand gerecht, dass Sparkassen als Universalbanken mit Kreditinstituten des privaten Sektors in Wettbewerb stehen. Auch ordnungspolitische Gesichtspunkte sprechen daher für einen Gleichlauf der Geschäftsleiterhaftung. Dass eine Haftung auf vertraglicher Grundlage nicht angemessen wäre, zeigen schließlich die Konsequenzen bei Unwirksamkeit des Anstellungsvertrages. Hier plädieren selbst Befürworter einer anstellungsvertraglichen Haftung für einen Rückgriff auf die aktienrechtlichen Haftungs-
__________ 38 Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 6; Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 108; Rümker in FS Werner, 1984, S. 745, 748 f. 39 Vgl. BVerfGE 64, 229, 241 ff. = NJW 1983, 2811 f.; BVerfGE 75, 192, 197 ff. = NVwZ 1987, 879, 881. 40 Hauschka, Die Dienstrechtsstellung der Vorstandsmitglieder der öffentlich-rechtlichen Sparkassen, 1981, S. 116 und Fn. 53; Großfeld/Noelle, AG 1986, 275, 276 für die Vorstandsmitglieder der Genossenschaftsbank; differenzierend Rümker in FS Werner, 1984, S. 745, 775: sofern Gesetz, Satzung oder Anstellungsvertrag keine Verweisung auf § 93 AktG enthalten. 41 I. d. S. auch Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 13.
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grundsätze42. Die Folge wäre aber, dass ohne wirksamen Vertrag regelmäßig strenger gehaftet würde als bei Handeln auf wirksamer vertraglicher Grundlage. Nicht zuletzt aus diesen Gründen hat sich auch im Sparkassenrecht die Auffassung durchgesetzt, dass, ebenso wie im Recht der Kapitalgesellschaften43, hinsichtlich der Rechtsbeziehung des Vorstandsmitglieds zur Sparkasse zwischen dem vertraglichen Anstellungsverhältnis und dem organisationsrechtlichen Bestellungsverhältnis zu unterscheiden ist44. Aktienrechtlich ist aber anerkannt, dass die Vorschriften und Grundsätze über die Organhaftung Ansprüche aus Vertragspflichtverletzung verdrängen45. Für die Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder einer Sparkasse kann vernünftigerweise nichts anderes gelten. Der Anstellungsvertrag kann daher als Haftungsgrundlage allenfalls Ergänzungs- und Konkretisierungsfunktion haben46. Für eine Haftung nach Vertragsgrundsätzen kann schließlich nicht ein Vergleich des Vorstands der Sparkasse mit dem Vorstand der ebenfalls mitgliedslosen47 Stiftung bemüht werden. Zunächst fehlt in den Sparkassengesetzen eine §§ 86 Satz 1, 27 Abs. 3 BGB entsprechende Verweisung auf die Vorschriften des Auftragsrechts, die in Verbindung mit § 280 Abs. 1 BGB Grundlage für die Innenhaftung der Vorstandsmitglieder der Stiftung ist48. Zudem ist die Sparkasse ein Wirtschaftsunternehmen, das im Wettbewerb mit privatwirtschaftlich organisierten Kreditinstituten steht und dessen Wirken in gleichem Maße die Belange eines großen und besonders schutzbedürftigen Gläubigerkreises betrifft. Dementsprechend haben die Bundesländer die Organisationsverfassung der Sparkassen bewusst an das Konzept des Aktiengesetzes angelehnt49. cc) Organhaftung Nach zutreffender h. M. beruht die Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder auf ihrer Organstellung, die mit der Bestellung zum Vorstandsmitglied der
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42 Rümker in FS Werner, 1984, S. 745, 775. 43 Vgl. etwa BGHZ 78, 82, 84 = NJW 1980, 2415 f.; BGHZ 79, 38, 41 = AG 1981, 73, 74; BGH, NJW 1989, 2683; BGH, NJW 1995, 2850; BGH, NJW 2003, 351; OLG Schleswig, AG 2001, 651, 653; BAG, NJW 1998, 260; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 84 Rz. 4; Kort in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2006, § 84 Rz. 16 ff.; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 84 Rz. 7; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 84 Rz. 5; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 84 Rz. 2; Beiner, Der Vorstandsvertrag, 2005, Rz. 25 f. 44 Vgl. Rümker in FS Werner, 1984, S. 745, 770; Berg, BayVBl. 2000, 385, 387. 45 Vgl. Fleischer in Fleischer, Hdb. VorstandsR, 2006, § 11 Rz. 3; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 93 Rz. 11. 46 I. d. S. Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 13. Vgl. auch OLG Nürnberg, WM 2009, 68, 70: „Ein Rückgriff auf das Anstellungsverhältnis zwischen dem einzelnen Vorstandsmitglied und dem Gewährträger käme allenfalls dann in Betracht, wenn das Bestellungsverhältnis Grundlage und Maßstab der Haftung nicht bestimmen würde“. 47 Vgl. Burgard in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 6 Rz. 153. 48 Vgl. Burgard in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 6 Rz. 156, 8 m. w. N. 49 Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 106; Rümker in FS Werner, 1984, S. 745, 746.
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Sparkasse begründet wird. Verletzt das Vorstandsmitglied die ihm aufgrund seiner Organstellung obliegenden Pflichten, ist es gegenüber der Sparkasse zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet50. Die Verantwortlichkeit ergibt sich als selbstverständliche Folge aus der Pflichtenstellung des Organwalters51. Soweit das Landesrecht keine Regelung über die Pflichten und die Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder enthält oder diese Regelung lückenhaft ist, ist auf § 93 AktG und die hierzu in Rechtsprechung und Lehre entwickelten Grundsätze zurückzugreifen. § 93 AktG regelt die Sorgfaltspflichten, die den Vorstandsmitgliedern aufgrund ihrer Organstellung gegenüber der Aktiengesellschaft obliegen, sowie die hiermit korrespondierende Verantwortlichkeit52. Die Vorschrift enthält die gesetzliche Formulierung eines allgemeinen Rechtsgedankens, der auch in § 43 GmbHG und § 34 GenG Ausdruck findet53. Aus diesen Gründen und in Anbetracht der Leitbildfunktion des Aktiengesetzes für die Organisationsverfassung der Sparkasse sind gesetzliche Lücken in der Binnenhaftung des Sparkassenvorstands durch entsprechende Anwendung des § 93 AktG zu schließen54. 2. Haftungsvoraussetzungen a) Sorgfaltsmaßstab Die Vorstandsmitglieder der Sparkasse haben daher bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden55. In einigen Sparkassengesetzen ist dieser Sorgfaltsmaßstab ausdrücklich festgeschrieben56. Im Übrigen ergibt sich die über die allgemeine Kaufmannssorgfalt57 hinausgehende Sorgfaltspflicht daraus, dass der Vorstand Treuhänder fremden Vermögens ist, der nicht nur das ihm anvertraute Vermögen der Sparkasse selbst verwaltet, sondern auch für die Einlagen der Sparer Verantwortung trägt58.
__________ 50 Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 11 f.; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen (Fn. 12), S. 231; R. Fischer, DStR 2007, 1083. 51 Vgl. Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 11. 52 Vgl. Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 93 Rz. 1; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rz. 10; Hopt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rz. 20. 53 Vgl. Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 104; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen (Fn. 12), S. 231; Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 11; für den Vorstand der Landesbanken Grimm, Organisationsrecht der Landesbanken im Spannungsfeld zwischen öffentlichrechtlichem Organisationsrecht und Aktienrecht, 1988, S. 113 f. 54 Rümker in FS Werner, 1984, S. 745, 753 ff.; Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 12; ders., ZIP 2009, 197, 198, Fn. 2; Preußner, NZG 2005, 575, 577; vorsichtiger Schlierbach/Püttner, Sparkassenrecht (Fn. 2), S. 30 f.; a. A. Berg, BayVBl. 2000, 385, 389. 55 Rümker in FS Werner, 1984, S. 745, 772; Kiethe, BKR 2005, 177, 180. 56 § 25 Abs. 4 Satz 1 SpG BW; § 20 Abs. 3 Satz 1 BbgSpkG; § 20 Abs. 2 Satz 1 SpkG MV; § 10 Abs. 1 Satz 3 NSpG; § 20 Abs. 2 Satz 1 SächsSparkG; § 20 Abs. 2 Satz 1 SpkGLSA; § 15 Abs. 1 Satz 3 ThürSparkG. 57 § 347 Abs. 1 HGB. 58 Vgl. Rümker in FS Werner, 1984, S. 745, 767 für die Verwaltungsratsmitglieder; ähnlich Böttcher, NZG 2009, 1047, 1049 für die Mitglieder des Bankvorstands.
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b) Pflichtverletzung aa) Verletzung der Pflicht zur Beachtung von Recht und Gesetz (1) Verstoß gegen Gesetz, Rechtsverordnung oder Satzung Absolute Grenzen werden der Handlungsbefugnis des Vorstands insbesondere durch das Sparkassengesetz, die aufgrund des Gesetzes erlassene Rechtsverordnung, die Satzung der Sparkasse sowie die verbindlichen Entscheidungen des Verwaltungsrats gezogen59. Sofern der Erwerb strukturierter Wertpapiere eine dieser Grenzen überschreiten würde, wäre er ohne Weiteres pflichtwidrig. Der Erwerb von Wertpapieren für den Eigenhandel ist zwar ein nach den Sparkassengesetzen grundsätzlich erlaubtes „bankübliches“ Geschäft. Denkbar ist allerdings ein Verstoß gegen die Bestimmungen der Sparkassenverordnung60 oder der Satzung, die Inhalt und Grenzen der zulässigen Geschäfte konkretisieren. Insofern können sowohl hinsichtlich der Art der erwerbbaren Wertpapiere als auch hinsichtlich des zulässigen Anlagevolumens Beschränkungen bestehen. Angesichts der Vielfalt der landesrechtlichen Anlagevorschriften ist dies eine Frage des Einzelfalls, der im Rahmen dieses Beitrags nicht nachgegangen werden kann. (2) Handeln außerhalb des öffentlichen Auftrags der Sparkasse Ein Erwerb strukturierter Wertpapiere würde auch dann einen Verstoß gegen die dem Vorstand obliegenden Pflichten darstellen, wenn er jenseits der Grenzen läge, die der öffentliche Auftrag der Geschäftstätigkeit von Sparkassen zieht. Zwar muss nicht jedes Geschäft der Sparkasse einen unmittelbaren Zusammenhang zu ihrem gemeinnützigen Zweck aufweisen61. Sparkassen dürfen vielmehr auch Geschäfte zum Zweck der Gewinnerzielung abschließen (näher dazu unten bb) (3)). Ein Sorgfaltspflichtverstoß des Vorstands wegen Verletzung des öffentlichen Auftrags ist aber jedenfalls dann anzunehmen, wenn allein durch Gewinnstreben motivierte Geschäfte ein derartiges Ausmaß erreichen, dass die Gewährleistungsfunktion der Sparkasse dahinter zurücktritt. bb) Verletzung der Grenzen des unternehmerischen Ermessens (1) Ermessensspielraum und Sorgfaltsmaßstab bei unternehmerischen Entscheidungen Sofern der Erwerb riskanter forderungsbesicherter Wertpapiere nicht bereits gegen gesetzliche Bestimmungen oder den öffentlichen Auftrag der Sparkasse verstößt, entscheidet der Vorstand nach eigenem Ermessen über die Vornahme
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59 Vgl. Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 17 f.; Rümker in FS Werner, 1984, S. 745, 772; für die Aktiengesellschaft Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rz. 66. 60 Vgl. etwa § 4 Abs. 3 Bay. SpkO, wonach Sparkassen keine Geschäfte betreiben dürfen, bei denen die mit dem jeweiligen Geschäft verbundenen Risiken für die Sparkassen nicht tragbar oder von ihr nicht steuerbar sind (Spekulationsverbot). 61 Vgl. Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 19.
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eines solchen Geschäfts. Ebenso wie dem Vorstand einer Aktiengesellschaft62 steht ihm hierbei ein weiter Spielraum zu, denn dies ist keine spezifisch aktienrechtliche Besonderheit, sondern Voraussetzung für jedes unternehmerische Handeln63. Soweit keine ausdrücklichen Vorgaben bestehen, über welche Geschäfte der Vorstand selbst zu entscheiden hat, liegt auch die Delegation von Geschäftsführungsmaßnahmen in seinem pflichtgemäßen, auf seine ordnungsmäßige Ausübung hin überprüfbaren, unternehmerischen Ermessen. Eine solche Delegation wird namentlich bei wirtschaftlich unbedeutenden Geschäften nicht pflichtwidrig sein, denn der Vorstand kann und muss nicht alles selbst entscheiden. Maßstab für die Ausübung des Vorstandsermessens in Geschäftsführungsangelegenheiten ist die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Im Streitfall tragen die Vorstandsmitglieder entsprechend § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG die Beweislast für die Einhaltung dieser Sorgfalt64. Für den Vorstand der Aktiengesellschaft sieht § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG einen „sicheren Hafen“ vor (sog. Business Judgment Rule). Danach ist eine unternehmerische Entscheidung pflichtgemäß, wenn das Vorstandsmitglied vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Diese Rechtsvermutung65 wird von der Rechtsprechung auch für den GmbH-Geschäftsführer66 und den Vorstand der Genossenschaft67 angewandt. Das Niedersächsische Sparkassengesetz enthält eine mit § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nahezu wortgleiche Formulierung68. Für die Vorstandsmitglieder von Sparkassen, deren Landesgesetze keine entsprechende Bestimmung enthalten, findet die Vermutung des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, durch die lediglich ein bereits zuvor von der Rechtsprechung formulierter69 und auch in anderen Rechtsordnungen anerkannter70 allgemeiner Rechtsgedanke kodifiziert worden ist, gleichermaßen Anwendung71.
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62 Vgl. BGHZ 135, 244, 253 = NJW 1997, 1926, 1927 – ARAG/Garmenbeck. 63 Vgl. BGHZ 135, 244, 253 = NJW 1997, 1926, 1927 – ARAG/Garmenbeck; Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 16 f.; Rümker in FS Werner, 1984, S. 745, 772. 64 Berger, Niedersächsisches Sparkassengesetz (NSpG), Kommentar, 2. Aufl. 2006, § 10 Rz. 19; Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 60; Rümker in FS Werner, 1984, S. 745, 766; R. Fischer, DStR 2007, 1083, 1088. 65 Vgl. dazu etwa Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 93 Rz. 4c. 66 Vgl. BGH, NZG 2008, 751, 752; Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 43 Rz. 53 ff. 67 Vgl. BGH, ZIP 2009, 223; Lutter, ZIP 2007, 841, 848. 68 Vgl. § 10 Abs. 1 Satz 5 NSpG. Aus der Ersetzung des Tatbestandsmerkmals „vernünftigerweise“ durch das Merkmal „ohne grobe Fahrlässigkeit“ ergeben sich in der Sache keine Unterschiede, vgl. Berger, Niedersächsisches Sparkassengesetz (NSpG), Kommentar, 2. Aufl. 2006, § 10 Rz. 16 f. 69 BGHZ 135, 244 ff. = NJW 1997, 1926 ff. – ARAG/Garmenbeck. 70 Vgl. für die USA In re The Walt Disney Company Derivative Litigation, 2005 WL 2056651 (Del. Ch.). 71 Vgl. Kiethe, BKR 2005, 177, 180 f.; Lutter, ZIP 2007, 841, 848. Vgl. auch Begr. RegE zum Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), BT-Drucks. 15/5092, S. 12 li. Sp., wonach das Regelungsmuster des § 93 AktG auch für andere Formen unternehmerischer Betätigung als Anknüpfungs- und Ausgangspunkt für die weitere Rechtsentwicklung dienen kann.
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(2) Voraussetzung: Handeln auf der Grundlage angemessener Information Eine unternehmerische Entscheidung ist nur dann sorgfaltsgemäß, wenn sie auf der Grundlage ausreichender Informationen getroffen wird72. Auch der erfahrene Unternehmer darf nicht intuitive Entscheidungen ohne angemessene Information treffen, soweit er in fremden Angelegenheiten tätig wird. Das gilt für den Sparkassenvorstand nicht weniger als für den Vorstand der Aktiengesellschaft. Im Gegenteil haben die Geschäftsleiter eines Kreditinstituts bei der Ermittlung der entscheidungsrelevanten Tatsachen eine gesteigerte Sorgfalt walten zu lassen73. § 25a Abs. 1 KWG erlegt den Kreditinstituten besondere organisatorische Pflichten auf, zu denen namentlich geeignete Vorkehrungen zur Steuerung, Überwachung und Kontrolle der übernommenen Risiken gehören. Voraussetzung eines wirksamen Risikomanagements ist die sorgfältige Ermittlung des Risikogehalts der Geschäfte, in denen sich das Unternehmen engagiert. Hierbei handelt es sich um eine zentrale Vorstandspflicht74. Für den Erwerb forderungsbesicherter Wertpapiere können diese Grundsätze wie folgt konkretisiert werden: (2a) Maßgebend für Umfang und Intensität der erforderlichen Informationsbeschaffung sind vor allem die Komplexität des Finanzprodukts und die Bedeutung der jeweiligen Investitionsentscheidung75. Je komplexer das erworbene Produkt, je bedeutsamer das Geschäft für die Verhältnisse der Sparkasse und je höher dementsprechend der potentielle Schaden bei einem Fehlschlag ist, desto eingehender sind die Erkenntnismöglichkeiten zur Einschätzung des Risikos auszuschöpfen76. Der Vorstand kann die Informationsbeschaffung und -analyse zwar an Mitarbeiter delegieren77. Sofern es aber um Geschäfte geht, die entweder im Einzelfall oder, bei einer Mehrzahl ähnlicher Geschäfte, in ihrer Aggregation ein für die Sparkasse bedeutsames Volumen erreichen, darf er die Entscheidung nicht nachgeordneten Mitarbeitern überlassen, sondern muss sich selbst ein Bild über die Transaktion(en) machen. Reichen die internen Informationen dafür nicht aus, muss der Vorstand auf externe Analysen und Gutachten zurückgreifen78. Das kann insbesondere bei besonders komplexen Produkten, wie CDOs es sind, geboten sein, wenn die internen Informa-
__________ 72 Vgl. jüngst BGH, ZIP 2009, 223 für den Vorstand einer Genossenschaftsbank; Lutter, ZIP 2009, 197, 198 Fn. 6; ders., ZIP 2007, 841, 844; Hopt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rz. 84; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rz. 47; Krieger/Sailer in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 93 Rz. 13. 73 Ebenso Böttcher, NZG 2009, 1047, 1051. 74 Vgl. Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rz. 86. 75 Allgemein zu den Anforderungen an die Informationsermittlung Begr. RegE zum UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 12 li. Sp. Vgl. auch Böttcher, NZG 2009, 1047, 1048 f., wonach die Anforderungen an eine angemessene Informationsbeschaffung im Bereich strukturierter Finanzprodukte sehr hoch sind. 76 Vgl. Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 38. 77 Vgl. ausführlich Fleischer, ZIP 2009, 1397 ff. 78 Vgl. Begr. RegE zum UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 12 li. Sp.; Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 39 f.; Berger, Niedersächsisches Sparkassengesetz (NSpG), Kommentar, 2. Aufl. 2006, § 10 Rz. 18.
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tionsmöglichkeiten nicht zu einem befriedigenden Ergebnis führen79. Keinesfalls darf sich der Vorstand unter Hinweis auf die Komplexität des Finanzprodukts und den Aufwand, der mit einer hinreichenden Informationsbeschaffung verbunden wäre, in nicht nur ganz unerheblichem Ausmaß auf Geschäfte einlassen, über die er sich kein fundiertes Bild gemacht hat. Gegebenenfalls muss er von einem solchen Geschäft Abstand nehmen. (2b) Eine Einschätzung der Risiken einer Investition in forderungsbesicherte Wertpapiere setzt ein Verständnis des zugrunde liegenden Geschäftsmodells voraus. Dafür reicht es nicht aus, dass Klarheit über das Prinzip besteht, auf dem die Zusammenfassung einer Vielzahl von Forderungen zu einem Portfolio, die Übertragung auf eine Zweckgesellschaft und die Veräußerung verschiedener Tranchen von Wertpapieren mit abgestuftem Zugriff auf die als Sicherheit dienenden Forderungen besteht. Da der Wert forderungsbesicherter Wertpapiere von der Entwicklung des zugrunde liegenden Forderungsportfolios abhängt, ist vielmehr darüber hinaus eine Analyse der Basiswerte erforderlich80. Stammen die Wertpapiere von verschiedenen Emittenten, muss sich der Vorstand zumindest mit den bei allen Papieren ähnlichen Risiken vertraut machen. Sofern die Papiere zur Weiterveräußerung bestimmt sind, muss er sich schließlich über den Absatzmarkt informieren, um beurteilen zu können, ob es voraussichtlich eine ausreichende Zahl von Abnehmern für die Papiere geben wird81. (2c) Bei Geschäften, die im Einzelfall oder in ihrer Aggregation ein für die Sparkasse erhebliches Volumen erreichen, muss der Vorstand auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Informationen eine eigene Risikobeurteilung vornehmen (s. oben [2a]). Dabei stellt sich im vorliegenden Zusammenhang die Frage, inwieweit sich der Vorstand auf die Einschätzung unternehmensexterner Dritter stützen darf. Eine allgemeine Anlagestimmung oder ein Markttrend scheidet dabei als Basis für eine hinreichend informierte Entscheidung von vornherein aus. Das Anlageverhalten Dritter kann die eigene angemessene Information schon deswegen nicht ersetzen, weil kein Erfahrungssatz des Inhalts existiert, dass die Mehrheit der Anleger nur auf der Grundlage sorgfältiger Prüfung investiert82. Im Gegenteil zeigt das bereits vor der gegenwärtigen Krise bekannte Phänomen der Blasenbildung an den Kapitalmärkten, dass besondere Vorsicht gegenüber Investitionen in Produkte angebracht ist, die gerade im Trend liegen. Näherer Erörterung bedarf hingegen die Frage, inwieweit der Vorstand sich auf die Beurteilung durch besonders qualifizierte Dritte, namentlich auf das Rating
__________ 79 Deutlich OLG Düsseldorf, ZIP 2010, 28, 31 f., das feststellt, die übermäßige Komplexität und Intransparenz des Verbriefungssegments bedinge „nahezu die Unmöglichkeit“ eines Vorstandshandelns auf ausreichender Informationsgrundlage. 80 Zur Bedeutung der Basiswerte für CDO-Transaktionen Zahn/Lemke, FB 2003, 37, 40. 81 Vgl. Lutter, ZIP 2009, 197, 198 f. 82 Ähnlich Böttcher, NZG 2009, 1047, 1052; Fleischer, NJW 2010, 1504, 1506; anders Balthasar/Hamelmann, WM 2010, 589, 590.
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externer Agenturen83 verlassen darf. Nach den Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk)84 in ihrer aktuellen Fassung vom 14. August 2009 dürfen Banken zwar bei der Kreditvergabe Bonitätsbewertungen externer Agenturen heranziehen85. Dies setzt freilich zunächst voraus, dass sich die Geschäftsleiter mit den Ratingkriterien vertraut machen und die Unterschiede zwischen einem CDO-Rating und einem traditionellen Emissionsrating erkennen86. Bei Investitionen, die je für sich oder in der Aggregation gleichartiger Geschäfte eine für die Sparkasse erhebliche Größenordnung erreichen, darf der Vorstand sich darüber hinaus nicht blindlings auf die Ratings solcher Produkte verlassen87. Ebenso wie auch sonst kann die Einschätzung Dritter in solchen Fällen die eigene Beurteilung des Geschäftsleiters nicht ersetzen, sondern nur als zusätzliche Informationsquelle dienen88. Ratings können hier insbesondere insoweit hilfreich sein, als es um die Bewertung der Basiswerte und anderer Details einer spezifischen Transaktion geht, über die ein Vorstand sich im Einzelnen kein Bild machen kann, wie etwa Lage und Zustand der Immobilien, die letztlich als Sicherheit für die Verbriefung von Hypothekenkrediten dienen. Dagegen kann ein Rating den Vorstand nicht der Pflicht entheben, sich bei insgesamt erheblichen Investitionen in strukturierte Wertpapiere selbst über das derartigen Transaktionen zugrunde liegende Geschäftsmodell und die ihm zugrunde liegenden Annahmen zu informieren und auf dieser Grundlage zu einer eigenen Einschätzung des ökonomischen Gehalts solcher Geschäfte und der daraus folgenden Risiken zu gelangen89. Bezogen auf den Erwerb verbriefter U.S.-Hypothekenkredite hätte bei einer solchen Analyse auffallen müssen, dass das Geschäftsmodell einer vollständigen oder sogar zu mehr als 100 %igen Fremdfinanzierung auf der Annahme ständig steigender Immobilienpreise beruhte. Dabei hätte auch berücksichtigt werden müssen, dass die Haftung der Kreditnehmer nach dem Recht einiger U.S.-
__________ 83 Zur Rolle der Ratingagenturen in der Finanzmarktkrise vgl. Rudolph, zfbf 2008, 713, 737 f. 84 BaFin, Rundschreiben 15/2009, BA 54-FR 2210-2008/0001, „Mindestanforderungen an das Risikomanagement – MaRisk“ vom 14.8.2009. 85 Vgl. BaFin, Rundschreiben 15/2009, BTO 1.2. Tz. 4. 86 Ebenso Lutter, ZIP 2009, 197, 199; Florstedt, AG 2010, 315, 318. Zu den Unterschieden zwischen dem traditionellen Rating und dem CDO-Rating Schiefer, Collateralized Debt Obligations (CDOs): eine empirische Analyse der Bonitätsrisikoprämie auf Finanzmärkten, 2008, S. 250 f.; Rudolph, zfbf 2008, 713, 720. 87 Fleischer, NJW 2009, 2337, 2342; ders., NJW 2010, 1504, 1505; Lutter, ZIP 2009, 197, 199. 88 OLG Düsseldorf, ZIP 2010, 28, 32. 89 OLG Düsseldorf, ZIP 2010, 28, 32; Florstedt, AG 2010, 315, 318. Anders Brüning/ Samson, ZIP 2009, 1089, 1092, die auf die marktbeherrschende Position der Ratingagenturen und deren Vertrauensstellung verweisen und annehmen, dass die Beteiligten jedenfalls dann auf der Grundlage angemessener Information gehandelt haben, wenn sie sich auf eine „anerkannte Ratingagentur“ verlassen haben; ähnlich Balthasar/Hamelmann, WM 2010, 589, 592. In ähnlicher Weise beschränken Schäfer/Zeller, BB 2009, 1706, 1710 die Haftung der Organmitglieder für mangelhaftes Risikomanagement auf den Fall, dass die unzureichende Abbildung der Risiken in den verwendeten Risikomodellen erkannt wurde oder hätte erkannt werden können.
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Staaten auf die mit der Hypothek belastete Immobilie beschränkt ist90 und im Übrigen das U.S.-Insolvenzrecht es dem Schuldner ermöglicht, seine Einstandspflicht auf das bei Insolvenz vorhandene Vermögen – bei fremdfinanzierten Eigenheimen häufig allein die Immobilie – zu beschränken. Wären diese – nicht fernliegenden und auch ohne Befassung mit Details der U.S.Immobilienmärkte erkennbaren – Umstände in die Beurteilung einbezogen worden, wäre ersichtlich gewesen, dass durchaus erhebliche Ausfallrisiken bestanden, bei deren Realisierung beträchtliche Verluste eintreten konnten. Die Erkenntnis, dass Geschäftsleiter sich bei ihren Entscheidungen nicht ausschließlich auf die Einschätzungen Dritter verlassen dürfen, sondern sich aufgrund eigener Information ein Bild über die mit einem Geschäft verbundenen Risiken machen müssen, scheint sich nunmehr auch in der Aufsichtspraxis der BaFin durchzusetzen. Nach den überarbeiteten MaRisk in der Fassung vom 14. August 2009 werden die Geschäftsleiter durch die Verwendung externer Bonitätseinschätzungen nicht von ihrer Verpflichtung entbunden, sich ein eigenes Urteil über das Ausfallrisiko des Kreditengagements zu bilden91. Eine Verschärfung der Anforderungen an die Entscheidungsfindung von Geschäftsleitern ist damit nicht verbunden, denn das Rundschreiben formuliert lediglich eine bereits nach geltendem Recht bestehende Pflicht. (3) Grenzen des unternehmerischen Ermessens Selbst wenn kein Verstoß gegen die Pflicht zur sorgfältigen Informationsermittlung vorliegt, kann die Entscheidung zum Erwerb strukturierter Wertpapiere pflichtwidrig sein, weil sie die Grenzen des unternehmerisch Vertretbaren überschreitet. Ob sich ein derartiges Geschäft im Rahmen des noch Vertretbaren hält, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Zu berücksichtigen sind insbesondere die finanzielle Verfassung sowie die Marktlage der Sparkasse, der Umfang des Geschäftsrisikos sowie die Wahrscheinlichkeit seiner Verwirklichung92. Für die Aktiengesellschaft hat der BGH in der grundlegenden „ARAG/Garmenbeck“-Entscheidung einen Sorgfaltspflichtverstoß der Vorstandsmitglieder angenommen, wenn die Bereitschaft zum Eingehen unternehmerischer Risiken „in unverantwortlicher Weise überspannt“ wird93. Dem Vorstand einer Sparkasse steht zwar im Grundsatz ein ähnlich weiter Handlungsspielraum zu (vgl. bereits oben [1]). Allerdings ergeben sich gewisse engere Grenzen für Risikogeschäfte aus dem öffentlichen Auftrag der Sparkasse.
__________ 90 Lutter, ZIP 2009, 197, 198; Brüning/Samson, ZIP 2009, 1089, 1090. 91 BaFin, Rundschreiben 15/2009, BTO 1.2. Tz. 4. 92 Für die Aktiengesellschaft Kock/Dinkel, NZG 2004, 441, 442. Für eine gesteigerte Sorgfaltspflicht der Vorstände systemrelevanter Banken Böttcher, NZG 2009, 1047, 1050 f. Zur Vertretbarkeit unternehmerischer Risiken unter Heranziehung betriebswirtschaftlicher Erkenntnisse Becker/Walla/Endert, WM 2010, 875, 878 ff. 93 BGHZ 135, 244, 253 = NJW 1997, 1926, 1928 – ARAG/Garmenbeck.
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Der Erwerb strukturierter Wertpapiere als Eigengeschäft der Sparkasse ist durch die Aussicht auf eine attraktive Rendite zur Erhöhung ihres Gesamtgewinns motiviert. Der Umstand, dass die Gewinnerzielung das primäre oder einzige Ziel einer Transaktion ist, begründet zwar für sich genommen keine Verletzung der Grenzen, die der öffentliche Auftrag der Sparkasse dem geschäftspolitischen Ermessen des Vorstands zieht. Wie jedes Wirtschaftsunternehmen ist auch die Sparkasse darauf angewiesen, angemessene Erträge zu erwirtschaften, um ihren Aufwand zu decken und eine Sicherheitsrücklage zu bilden94. Spätestens seit dem Wegfall von Gewährträgerhaftung und Anstaltslast kann dies nicht mehr zweifelhaft sein, denn ohne die Erzielung von Gewinnen lassen sich die gemeinnützigen Aufgaben der Sparkasse nicht erfüllen. Gewinnerzielung ist daher auch für Sparkassen ein legitimer Zweck95, wenngleich sie bei Sparkassen nur eine Hilfsfunktion zur Unterstützung ihres öffentlichen Auftrags erfüllt. Dementsprechend sind Wertpapiergeschäfte nicht allein deswegen pflichtwidrig, weil sie der Gewinnerzielung dienen96. Anders als bei privaten Verbänden, bei denen Gewinnerzielung der Hauptzweck der Geschäftstätigkeit ist, ist Gewinnerzielung bei Sparkassen aber kein Selbstzweck, sondern nur ein Mittel, um ihnen die Erfüllung ihres öffentlichen Auftrags zu ermöglichen. Mit dieser durch die Sparkassengesetze vorgegebenen Hierarchie der Unternehmensziele wäre es unvereinbar, wenn die Gewinnerzielung zum Hauptzweck des Geschäftsbetriebs würde97. Die betriebenen Bankgeschäfte müssen sich daher dem öffentlichen Zweck der Sparkasse unterordnen und zumindest mittelbar der Zweckerfüllung dienen98. Eine unzulässige Gleich- oder Überordnung des Gewinnerzielungszwecks über den öffentlichen Förderzweck liegt objektiv dann vor, wenn die zum Zweck der Gewinnerzielung eingegangenen Geschäfte einen erheblichen Teil des Gesamtvolumens ausmachen99 sowie dann, wenn die Gewinnerzielung ohne angemessene Rücksicht auf die Auswirkungen betrieben wird, die dies auf die Fähigkeit der Sparkasse zur Erfüllung ihres öffentlichen Auftrags haben kann. Bezogen auf Eigengeschäfte in strukturierten Wertpapieren liegt danach eine Pflichtverletzung des Vorstands jedenfalls dann vor, wenn die mit dem Erwerb solcher Wertpapiere verbundenen Risiken so groß sind, dass im Falle ihrer Realisierung die Liquidität oder die Solvenz der Sparkasse ernsthaft gefährdet wäre. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn CDOs in einem Umfang einge-
__________ 94 Vgl. Klüpfel/Gaberdiel/Gnamm/Höppel, Kommentar zum Sparkassengesetz: Das Sparkassenrecht in Baden-Württemberg, 7. Aufl. 2006, § 6 Anm. IV, 1. 95 Ähnlich Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 24. 96 I. d. S. aber Lutter, BB 2009, 786, 789 f. zu risikoreichen Wertpapiergeschäften der Landesbanken. 97 Vgl. BVerfGE 75, 192 = NVwZ 1987, 879, 881; ausdrücklich § 2 Abs. 6 Satz 2 Hess. SpkG; § 2 Abs. 3 Satz 2 SpkG NW; § 2 Abs. 3 2. Hs. ThürSparkG. 98 Vgl. OLG Düsseldorf, ZIP 2010, 28, 30 f. Das Gericht hält die von der IKB betriebenen Wertpapiergeschäfte für unvereinbar mit ihrem auf die Förderung und Finanzierung der gewerblichen Wirtschaft gerichteten Unternehmensgegenstand. 99 Vgl. OLG Düsseldorf, ZIP 2010, 28, 31 für das Engagement der IKB im Verbriefungssektor, das sich im Geschäftsjahr 2006/2007 auf ca. 46 % des Gesamtvolumens ihres Geschäftsfelds belief.
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kauft worden sind, der ein erhebliches Klumpenrisiko für die Sparkasse bedeutet100. Ein solches Geschäft ist mit der Versorgungsaufgabe der Sparkassen unvereinbar. Der unternehmerische Ermessensspielraum kann aber bereits unterhalb der Schwelle zur möglichen Existenzgefährdung überschritten sein. So darf der Vorstand etwa keine Geschäfte eingehen, bei denen die Wahrscheinlichkeit eines Fehlschlags deutlich überwiegt oder das Geschäftsrisiko außer Verhältnis zu den Gewinnaussichten steht101. Selbst wenn aber mit großer Wahrscheinlichkeit ein günstiger Ausgang zu erwarten ist, sind Risikogeschäfte unzulässig, wenn ein wider Erwarten negatives Ergebnis einschneidende Folgen für das Gesamtergebnis des Unternehmens haben kann102. Diese für den Vorstand der Aktiengesellschaft formulierten Grenzen gelten erst recht für den Vorstand einer in erster Linie ihrem öffentlichen Auftrag verpflichteten Sparkasse. c) Verschulden Die Organhaftung setzt voraus, dass das Vorstandsmitglied seine Pflichten schuldhaft verletzt hat. Dabei ist heute praktisch unstreitig, dass die Vorstandsmitglieder der Sparkasse – wie die Organmitglieder der Aktiengesellschaft – bereits für leichte Fahrlässigkeit haften103. Eine Ausnahme bildet das bayerische Sparkassengesetz, das die Haftung der Organmitglieder der Sparkasse entsprechend den Haftungsregeln für kommunale Wahlbeamte auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt104. d) Schaden und Kausalität Die Ersatzpflicht des Vorstandsmitglieds setzt voraus, dass der Sparkasse durch den Pflichtverstoß ein Schaden entstanden ist. Nach § 249 Abs. 1 BGB ist der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre, einschließlich des Ersatzes entgangenen Gewinns (§ 252 BGB)105. Ersatzfähig ist daher der Wertverlust des
__________ 100 OLG Düsseldorf, ZIP 2010, 28, 32; vgl. auch Lutter, ZIP 2009, 197, 199; differenzierend Florstedt, AG 2010, 315, 320; ausführlich zu Klumpenrisiken im Bankaufsichts-, Investment- und Aktienrecht Fleischer/Schmolke, ZHR 173 (2009), 649 ff. 101 Vgl. Fleischer in Fleischer, Hdb. VorstandsR, 2006, § 7 Rz. 64 m. w. N. 102 OLG Düsseldorf, ZIP 2010, 28, 32; Lutter, ZIP 2009, 197, 199; einschränkend Schäfer/Zeller, BB 2009, 1706, 1708; für die Aktiengesellschaft Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rz. 87. 103 Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 5; Rümker in FS Werner, 1984, S. 745, 775; R. Fischer, DStR 2007, 1083 f.; vgl. für die Aktiengesellschaft Fleischer in Fleischer, Hdb. VorstandsR, 2006, § 11 Rz. 56; Hopt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rz. 253. 104 Vgl. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Bay. SpkG i. V. m. Art. 49 Abs. 1 Satz 1 KWBG; vgl. hierzu Berg, BayVBl. 2000, 385, 391 f. 105 Vgl. für die Aktiengesellschaft Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rz. 154; Hopt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rz. 264.
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Vermögens, der unmittelbar durch die negative Wertentwicklung der CDOs entstanden ist. In die Schadensberechnung einzustellen ist außerdem eine etwaige Erhöhung der Anforderungen an die Eigenkapitalunterlegung, die den Spielraum für die Kreditvergabe und für sonstige Bankgeschäfte einschränkt. Hierdurch entstehende Gewinnausfälle der Sparkasse sind, soweit sie sich beziffern lassen, ebenfalls ersatzfähig. Dagegen zu rechnen sind etwaige höhere Zinserträge, die der Sparkasse bei ordnungsgemäßen, weniger riskanten Anlagen nicht zugeflossen wären. Das Vorstandsmitglied könnte einwenden, dass das Vermögen im Falle pflichtgemäßen Verhaltens zum Erwerb anderer Papiere eingesetzt worden und der Vermögensschaden angesichts der Turbulenzen an den Finanzmärkten ebenfalls entstanden wäre. Dieser sog. Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens ist dem Vorstandsmitglied zumindest bei fehlerhaften Entscheidungen eröffnet, die sich innerhalb der Grenzen von Gesetz, Rechtsverordnung und Satzung halten106. Die haftungsbegründende Kausalität entfällt aber nur dann, wenn das Vorstandsmitglied darlegen und gegebenenfalls beweisen kann, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßer Anlage des Vermögens eingetreten wäre107. Dieser Nachweis dürfte kaum gelingen. e) Gesamtschuldnerische Haftung und individuelle Verantwortlichkeit Soweit die Sparkassengesetze keine abweichende Regelung enthalten, haften die Vorstandsmitglieder der Sparkasse entsprechend § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG als Gesamtschuldner. Das gilt auch dann, wenn nur einzelne Vorstandsmitglieder die konkrete schadensstiftende Handlung vorgenommen, andere dagegen lediglich ihre aus der Gesamtverantwortung des Vorstands folgenden Kontrollpflichten verletzt haben108. Diese Pflichten können es im Einzelfall auch gebieten, sich nicht auf einen vorstandsinternen Widerspruch zu beschränken, sondern bei gravierenden Verletzungen der Grenzen der ordnungsgemäßen Ermessensausübung den Verwaltungsrat einzuschalten. Unterschiedliche Verantwortungsbeiträge können aber im Rahmen des internen Gesamtschuldnerausgleichs zu berücksichtigen sein.
__________ 106 Bei der Verletzung von Organisations-, Kompetenz- oder Verfahrensregeln wird der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens dagegen nicht zugelassen, vgl. für die Aktiengesellschaft Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rz. 156; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rz. 55; Hopt in GroßkommAktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rz. 267. 107 Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 59; Hopt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rz. 268; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rz. 55. 108 Vgl. für den Vorstand der Aktiengesellschaft Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rz. 50.
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f) Verzichtswirkung des Entlastungsbeschlusses Nach den meisten Sparkassengesetzen beschließt der Verwaltungsrat der Sparkasse über die Entlastung der Vorstandsmitglieder109. Die Entlastung ist teilweise an die Bestätigung der Rechtsaufsichtsbehörde gebunden, dass die Jahresabschlussprüfung keine erheblichen Verstöße ergeben hat und alle wesentlichen Prüfungsfeststellungen erledigt sind110. Mit der Entlastung wird die Geschäftsführung für das abgelaufene Geschäftsjahr gebilligt und das Vertrauen in den Vorstand zum Ausdruck gebracht111. Fraglich ist, ob die Entlastung der Vorstandsmitglieder einen Verzicht auf etwaige Ersatzansprüche der Sparkasse enthält. Einige Sparkassengesetze schließen dies ausdrücklich aus112. Das entspricht der Regelung in § 120 Abs. 2 Satz 2 AktG für den Entlastungsbeschluss der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft. Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift für diejenigen Bundesländer, deren Sparkassengesetze die Wirkung des Entlastungsbeschlusses offen lassen, wird zu Recht abgelehnt113. § 120 Abs. 2 Satz 2 AktG ist im Zusammenhang mit § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG zu sehen, wonach die Gesellschaft frühestens nach Ablauf von drei Jahren und nur dann auf Ersatzansprüche verzichten kann, wenn die Hauptversammlung zustimmt und kein Widerspruch von Aktionären mit einer Kapitalbeteiligung von insgesamt wenigstens 10 Prozent des Grundkapitals erfolgt114. Da der gesetzliche Ausschluss der Verzichtswirkung auch bei einstimmiger Entlastung gilt115 und nach § 93 Abs. 5 Satz 3 AktG ein Verzicht durch die Hauptversammlung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern ohnehin keine Wirkung entfaltet, besteht der Zweck der Vorschrift allein darin, die Einhaltung der, ihrerseits rechtspolitisch zweifelhaften116, Sperrfrist des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG zu gewährleisten,
__________ 109 Vgl. § 30 Abs. 3 Satz 2 SpG BW; §§ 8 Abs. 2 Nr. 6, 26 Abs. 3 Satz 3 BbgSpkG; §§ 8 Abs. 2 Nr. 6, 26 Abs. 3 Satz 3 SpkG MV; §§ 16 Abs. 4 Nr. 8, 23 Abs. 3 Satz 4 NSpG; §§ 8 Abs. 2 Nr. 8, 19 Abs. 5 Satz 1 SpkG Rh.-Pf.; §§ 12 Abs. 3 Nr. 9, 24 Abs. 5 Satz 1 SSpG; §§ 8 Abs. 2 Nr. 6, 26 Abs. 3 Satz 3 SächsSparkG; §§ 8 Abs. 2 Nr. 6, 26 Abs. 4 Satz 1 SpkG-LSA; § 10 Abs. 2 Nr. 10 SpkG SH; § 20 Abs. 4 ThürSparkG. Anders: § 8 Abs. 2 lit. f Satz 1 SpkG NW, wonach die Vertretung des Trägers über die Entlastung der Sparkassenorgane beschließt. 110 Vgl. § 30 Abs. 3 Satz 3 SpG BW; § 26 Abs. 3 Satz 4 SpkG MV; § 24 Abs. 5 Satz 3 SSpG; § 26 Abs. 3 Satz 4 SächsSparkG; § 26 Abs. 4 Satz 2 SpkG-LSA. § 19 Abs. 5 Satz 3 SpkG Rh.-Pf. bestimmt umgekehrt, dass die Entlastung nur dann abgelehnt werden kann, wenn die Prüfung zu erheblichen Beanstandungen geführt hat. 111 BGHZ 94, 324, 326 = NJW 1986, 129; Klüpfel/Gaberdiel/Gnamm/Höppel, Kommentar zum Sparkassengesetz: Das Sparkassenrecht in Baden-Württemberg, 7. Aufl. 2006, § 30 Anm. III, 9; R. Fischer, WM 2007, 1005. 112 Vgl. § 26 Abs. 3 Satz 4 BbgSpkG; § 19 Abs. 5 Satz 2 SpkG Rh.-Pf.; § 24 Abs. 5 Satz 2 SSpG; § 8 Abs. 2 lit. f Satz 3 SpkG NW. 113 Vgl. Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 155 f.; Kiethe, BKR 2005, 177, 183 f. 114 Vgl. Begr. RegE zu § 102 Abs. 2 AktG bei Kropff, Textausgabe des Aktiengesetzes vom 6.9.1965 mit Begründung des Regierungsentwurfs und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, 1965, S. 167. 115 Mülbert in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 120 Rz. 35, 37; Kubis in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 120 Rz. 28; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 120 Rz. 13. 116 Vgl. dazu Cahn, Vergleichsverbote im Gesellschaftsrecht, 1996, S. 143.
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die – in allzu schematischer Weise – verhindern soll, dass ein Verzicht oder Vergleich zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem sich noch kein abschließendes Bild über die schädigende Handlung gewinnen lässt117. Für die Entlastung des Geschäftsführers der GmbH durch die Gesellschafterversammlung118 und des Vorstands durch die Generalversammlung der Genossenschaft119 wendet die Rechtsprechung § 120 Abs. 2 Satz 2 AktG nicht entsprechend an, sondern bejaht eine Verzichtswirkung des Entlastungsbeschlusses, die sich allerdings auf Ansprüche beschränkt, die dem entlastenden Organ bekannt sind oder bei sorgfältiger Prüfung bekannt sein konnten. Der spezifisch aktienrechtliche Normzweck des Verzichtsausschlusses nach § 120 Abs. 2 Satz 2 AktG, der für Sparkassen in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts keine Geltung beansprucht, sowie die Ablehnung einer Analogie zu dieser Vorschrift für die Entlastung in anderen privatrechtlichen Verbänden spricht dafür, mit der h. L. auch dem sparkassenrechtlichen Entlastungsbeschluss Verzichtswirkung beizumessen, soweit der Verwaltungsrat die Voraussetzungen der Ersatzpflicht kannte oder bei sorgfältiger Prüfung aller ihm unterbreiteten Vorlagen und erstatteten Berichte erkennen konnte120. g) Verjährung Die meisten Sparkassengesetze enthalten keine Bestimmungen über die Verjährung von Ersatzansprüchen gegen Organmitglieder121. Die Rechtslücke könnte unter Rückgriff auf die allgemeinen zivilrechtlichen Verjährungsvorschriften geschlossen werden122. Nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB verjähren Schadenersatzansprüche grundsätzlich innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren, deren Lauf mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen musste. Das Aktiengesetz enthält allerdings mit § 93 Abs. 6 AktG eine Sonderbestimmung, nach der die Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen die Organmitglieder in fünf Jahren seit ihrer Entstehung123 verjähren. Das GmbH-
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117 Zur Entstehungsgeschichte Cahn, Vergleichsverbote im Gesellschaftsrecht, 1996, S. 35 m. N. 118 S. etwa BGHZ 94, 324, 326; BGHZ 97, 382, 384; OLG Köln, NZG 2000, 1135, 1136. 119 Vgl. BGH, NZG 2002, 195, 196; offen gelassen aber BGH, NZG 2005, 562, 563. 120 I. d. S. Klüpfel/Gaberdiel/Gnamm/Höppel, Kommentar zum Sparkassengesetz: Das Sparkassenrecht in Baden-Württemberg, 7. Aufl. 2006, § 30 Anm. III, 9; Berger, Niedersächsisches Sparkassengesetz (NSpG), Kommentar, 2. Aufl. 2006, § 23 Rz. 22; Schlierbach/Püttner, Sparkassenrecht (Fn. 2), S. 260 f.; Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 156; Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 118 f.; R. Fischer, WM 2007, 1005; Kiethe, BKR 2005, 177, 183 f.; a. A. Berg, BayVBl. 2000, 385, 390. 121 Eine Ausnahme bildet das bayerische Sparkassengesetz: Nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Bay. SpkG i. V. m. Art. 49 Abs. 2 Satz 1 KWBG verjähren Ersatzansprüche gegen die Organmitglieder der Sparkasse binnen drei Jahren seit Kenntnis des Schadens und der Person des Ersatzpflichtigen. 122 I. d. S. Klüpfel/Gaberdiel/Gnamm/Höppel, Kommentar zum Sparkassengesetz: Das Sparkassenrecht in Baden-Württemberg, 7. Aufl. 2006, § 25 Anm. V, 6; Berg, BayVBl. 2000, 385, 391. 123 Vgl. Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 93 Rz. 37.
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Recht und das Genossenschaftsrecht sehen entsprechende Fristen vor (vgl. § 43 Abs. 4 GmbHG, § 34 Abs. 6 GenG). Es handelt sich also insoweit um eine allgemeine Verjährungsregel für Organhaftungsansprüche. Da die organschaftliche Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder einer Sparkasse auf einer Analogie zu § 93 AktG beruht (vgl. oben, III. 1. b) cc)), muss konsequenterweise auch die fünfjährige Verjährungsfrist Anwendung finden124. 3. Deliktsrechtliche Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder Eine Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder nach dem allgemeinen Deliktsrecht könnte sich aus der Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 BGB ergeben. Als Schutzgesetz kommt vor allem der Straftatbestand der Untreue in Betracht (§ 266 StGB). Insofern sei auf die Ausführungen unter V. verwiesen. Denkbar ist auch eine Schadensersatzpflicht wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB. Dieser Anspruch wird aber regelmäßig daran scheitern, dass dem Vorstandsmitglied kein Vorsatz nachgewiesen werden kann.
IV. Die Verantwortlichkeit der Mitglieder des Verwaltungsrates gegenüber der Sparkasse 1. Haftungsgrundlagen a) Besondere gesetzliche Haftungsgrundlagen Auch hinsichtlich der Verantwortlichkeit der Verwaltungsratsmitglieder der Sparkasse ergeben die Sparkassengesetze kein einheitliches Bild. Einige Sparkassengesetze verweisen auf die Haftungsregeln der Landesbeamtengesetze125. Vereinzelt enthalten die Sparkassengesetze eigenständige Haftungsgrundlagen126. Überwiegend wird die Frage der Verantwortlichkeit der Verwaltungsratsmitglieder aber offen gelassen. Da dies nicht Ausdruck eines Haftungsverzichts des Gesetzgebers ist127, muss die Regelungslücke durch Rückgriff auf allgemeine Haftungsgrundsätze geschlossen werden. b) Haftungsgrundlage bei Fehlen einer besonderen gesetzlichen Regelung Eine Haftung aus Vertragspflichtverletzung kommt dabei von vornherein nicht in Betracht. Zwischen der Sparkasse und den Verwaltungsratsmitgliedern be-
__________ 124 Für die Mitglieder des Verwaltungsrats Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 117 f.; a. A. Klüpfel/Gaberdiel/Gnamm/Höppel, Kommentar zum Sparkassengesetz: Das Sparkassenrecht in Baden-Württemberg, 7. Aufl. 2006, § 25 Anm. V, 6. 125 § 19 Abs. 6 SpG BW; § 5d Abs. 3 Satz 2 Hess. SpkG; § 15 Abs. 8 SpkG NW; § 7 Abs. 3 SpkG Rh.-Pf.; § 20 SpkG SH. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 SpkG verweist auf die kommunalrechtlichen Vorschriften. 126 § 16 Abs. 6 i. V. m. § 10 Abs. 1 Satz 4 NSpG; § 12 Abs. 8 Satz 1 SSpG; § 8 Abs. 2 Satz 3 ThürSparkG. 127 Vgl. Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 103 f.
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steht kein Anstellungs- oder sonstiger Dienstvertrag128. Die Mitglieder des Verwaltungsrats werden vielmehr ehrenamtlich für die Sparkasse tätig. Vor diesem Hintergrund wird im Schrifttum vereinzelt die analoge Anwendung der Haftungsregeln des Landesrechts für Ehrenbeamte befürwortet129. Die Organstellung der Verwaltungsratsmitglieder ist indessen mit dem Beamtenverhältnis nicht vergleichbar130. Während Beamte an Aufträge und Weisungen ihres Dienstherrn gebunden sind, handeln die Mitglieder des Verwaltungsrats der Sparkasse nach ihrer freien, nur durch die Rücksicht auf das öffentliche Wohl und die Aufgaben der Sparkasse bestimmten Überzeugung und sind an Weisungen nicht gebunden131. Angesichts dieser unabhängigen Stellung der Verwaltungsratsmitglieder liegt es nahe, die Verantwortlichkeit ebenso wie bei den Vorstandsmitgliedern (vgl. oben III. 1. b) cc)) an ihre Organstellung zu knüpfen. Davon geht auch die h. L. aus. Danach haften die Verwaltungsratsmitglieder der Sparkasse für die schuldhafte Verletzung ihrer Organpflichten132. Zur Schließung von Rechtslücken ist auf die aktienrechtliche Regelung der Sorgfaltspflicht und der Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats nach § 116 Satz 1 i. V. m. § 93 AktG und die hierzu entwickelten Grundsätze zurückzugreifen. Dafür spricht im Übrigen auch, dass nach den meisten Sparkassengesetzen die Mitglieder des Verwaltungsrats ihre Tätigkeit mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns auszuüben haben (vgl. dazu sogleich 2. a)) und die damit angestrebte Steuerungsfunktion ohne das ernst zu nehmende Risiko einer Sanktionierung von Pflichtverletzungen verfehlt würde. Dass dem Verwaltungsrat der Sparkasse weitergehende Kompetenzen zustehen, kann jedenfalls keine mildere Beurteilung der Verantwortlichkeit seiner Mitglieder im Vergleich zu den Mitgliedern des aktienrechtlichen Aufsichtsrats rechtfertigen. 2. Haftungsvoraussetzungen a) Sorgfaltsmaßstab Die meisten Sparkassengesetze bestimmen, dass die Mitglieder des Verwaltungsrats ihre Tätigkeit mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns auszu-
__________ 128 Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 75; vgl. auch Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 116 Rz. 1 für die Aufsichtsratsmitglieder der Aktiengesellschaft. 129 Schlierbach/Püttner, Sparkassenrecht (Fn. 2), S. 180 ff. 130 Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 107; Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 75. 131 Vgl. § 14 Abs. 2 BbgSpkG; § 5d Abs. 8 Satz 2 Hess. SpkG; § 14 Abs. 2 SpkG MV; § 11 Abs. 2 Satz 2 NSpG; § 15 Abs. 6 SpkG NW; § 7 Abs. 1 Satz 2 und 3 SpkG Rh.-Pf.; § 12 Abs. 6 SSpG; § 14 Abs. 3 SächsSparkG; § 14 Abs. 2 SpkG-LSA; § 10 Abs. 4 SpkG SH; § 8 Abs. 2 Satz 2 ThürSparkG. 132 Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 11 ff., 76 f.; Püttner, Die öffentlichen Unternehmen (Fn. 12), S. 231; Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 104 ff.; Rümker in FS Werner, 1984, S. 745, 766.
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üben haben133. Dieser Sorgfaltsmaßstab entspricht dem der §§ 116, 93 Abs. 1 Satz 1 AktG134 und findet auch dann Anwendung, wenn eine sparkassenrechtliche Regelung nicht besteht135. Er ist durch Heranziehung der für die Mitglieder des Aufsichtsrats geltenden Grundsätze zu konkretisieren. b) Pflichtverletzung aa) Verletzung der Überwachungspflicht Ist der Sparkasse aus einer pflichtwidrigen Handlung des Vorstands ein Schaden entstanden, kommt auch eine Verantwortlichkeit der Verwaltungsratsmitglieder wegen Verletzung ihrer Überwachungspflicht in Betracht. Im Hinblick auf den Erwerb strukturierter Wertpapiere sind dabei folgende Ansatzpunkte für eine Verantwortlichkeit der Verwaltungsratsmitglieder denkbar. (1) Unterlassenes Einschreiten trotz Kenntnis von Pflichtwidrigkeiten des Vorstands Kommt der Verwaltungsrat zu dem Schluss, dass – geplante oder bereits ausgeführte – Wertpapiergeschäfte gegen Recht oder Gesetz verstoßen oder die Grenzen des Geschäftsleiterermessens des Vorstands überschritten sind, ist er zum Einschreiten verpflichtet136. Bei der Auswahl des geeigneten Mittels steht ihm ein Ermessensspielraum zu137. Bei Anhaltspunkten für eine Verletzung der Geschäftsführungspflicht muss das einzelne Verwaltungsratsmitglied dafür sorgen, dass sich das Gremium mit der Angelegenheit befasst138. Der Verwaltungsrat muss den Vorstand auf den Pflichtverstoß hinweisen und ihn um die Aufhebung oder Abänderung der pflichtwidrigen Maßnahme ersuchen. Dies kann informell im Gespräch mit dem Vorstand oder in Form von Beanstandungen geschehen139. Geboten sein kann auch die Anpassung der Geschäftsanweisungen oder der Richtlinien für die Geschäftspolitik, um künftige Zweifel über die Rechts- und Pflichtwidrigkeit des Vorstandshandelns auszuschließen. Kommt der Vorstand den Aufforderungen des Verwaltungsrats zur Fehlerkorrektur nicht nach, kommt als ultima ratio die Abberufung pflichtwidrig
__________ 133 Vgl. § 19 Abs. 1 Satz 2 SpG BW; § 14 Abs. 1 Satz 2 BbgSpkG; § 14 Abs. 1 Satz 2 SpkG MV; § 14 Abs. 2 Satz 1 SächsSparkG; § 14 Abs. 1 Satz 2 SpkG-LSA; § 5d Abs. 8 Satz 1 Hess. SpkG: Sorgfalt eines ordentlichen Verwaltungsratsmitglieds; § 8 Abs. 2 Satz 2 ThürSparkG: Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Verwaltungsratsmitglieds; ebenso § 16 Abs. 6 i. V. m. § 10 Abs. 1 Satz 2 NSpG. 134 Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 91. 135 Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 91; Grimm, Organisationsrecht (Fn. 55), S. 146 f.; Rümker in FS Werner, 1984, S. 745, 764 f. 136 Ebenso für den Aufsichtsrat OLG Düsseldorf, ZIP 2010, 28, 31. 137 Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 73. 138 Vgl. für die Aktiengesellschaft Habersack in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 116 Rz. 33; Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1996, § 116 Rz. 16. 139 Vgl. für die Aktiengesellschaft Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 111 Rz. 30.
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handelnder Vorstandsmitglieder oder eine Anzeige an die Aufsichtsbehörde in Betracht140. (2) Verletzung der Informationspflicht Regelmäßig wird unterlassenes Einschreiten des Verwaltungsrats darauf beruhen, dass er Pflichtverletzungen des Vorstands nicht erkannt hat. In diesen Fällen kann eine Verletzung der Überwachungspflicht darin zu sehen sein, dass der Verwaltungsrat sich nicht hinreichend über die Aktivitäten des Vorstands informiert hat. Zwar kann von den Mitgliedern des Verwaltungsrats nicht verlangt werden kann, die gesamte Geschäftsführungstätigkeit des Vorstands in allen Einzelheiten zu überwachen141. Die Überwachungspflicht des Verwaltungsrats erstreckt sich aber auf solche Geschäftsführungsmaßnahmen, die für die Sparkasse von nicht unerheblicher Bedeutung sind. Dazu gehören jedenfalls diejenigen Angelegenheiten, über die in der Aktiengesellschaft der Vorstand dem Aufsichtsrat nach § 90 Abs. 1 AktG von sich aus zu berichten hat. Dementsprechend sehen die Sparkassengesetze einiger Bundesländer Berichtspflichten des Vorstands gegenüber dem Verwaltungsrat vor, die § 90 AktG nachempfunden sind142. Auch im Übrigen ist entsprechend § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AktG eine Berichtspflicht des Vorstands anzunehmen, wenn ein in Aussicht genommenes Geschäft besondere Bedeutung für die Sparkasse haben könnte. Schließlich ergeben sich besondere aufsichtsrechtliche Berichtspflichten des Vorstands gegenüber dem Verwaltungsrat aus AT 4.2. Tz. 3 und AT 4.3.2 Tz. 9 der MaRisk143. Kommt der Vorstand seiner Berichtspflicht nicht nach, etwa weil er ein Geschäft im Hinblick auf seine Risiken nicht als bedeutsam für die Entwicklung der Sparkasse einstuft, muss der Verwaltungsrat von sich aus Informationen einfordern, sobald er aus anderen Quellen von einem solchen Geschäft erfährt und Anhaltspunkte für dessen besondere Trageweite hat144. Gegebenenfalls muss der Aufsichtsrat durch Erlass einer Informationsordnung145, dafür Sorge tragen, dass der Vorstand ihm zeitnah Bericht erstattet. Im Interesse einer präventiven Überwachung, die sicherstellt, dass der Vorstand keine unvertretbaren Risiken eingeht, die sich auch durch nachträgliche Überwachungsmaßnahmen nicht mehr beherrschen lassen, kann der Verwaltungsrat schließlich verpflichtet sein, Zustimmungsvorbehalte für Geschäfte festzulegen, die je für sich oder in der Aggregation ähnlicher Trans-
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140 Vgl. Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 73; Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 106; Schlierbach/Püttner, Sparkassenrecht (Fn. 2), S. 187 f.; vgl. für die Aktiengesellschaft Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1996, § 116 Rz. 17. 141 Vgl. Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 92; für die Aktiengesellschaft Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1996, § 111 Rz. 12. 142 Vgl. § 26 SpG BW; § 21 BbgSpkG; § 21 SpkG MV; § 10 Abs. 2 bis 4 NSpG; § 21 SächsSparkG; § 21 SpkG-LSA. 143 Vgl. hierzu Langen, BKR 2009, 309, 314 f. 144 Vgl. OLG Düsseldorf, ZIP 2010, 28, 32 f. Zur Ermittlungspflicht des Aufsichtsrats bei Hinweisen auf mögliche Geschäftsführungsverletzungen Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1996, § 111 Rz. 17; Habersack in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 111 Rz. 46, 50. 145 Vgl. Ziff. 3.4 Abs. 3 Deutscher Corporate Governance Kodex.
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aktionen eine bestimmte Größenordnung erreichen oder eine bestimmte Risikoschwelle überschreiten. Die vom Vorstand erteilten Informationen muss der Verwaltungsrat sorgfältig prüfen. Gegenstand der Prüfung ist zunächst, ob das betreffende Geschäft mit dem geltenden Recht und dem öffentlichen Auftrag der Sparkasse vereinbar ist. Nach zutreffender Ansicht erstreckt sich die Beurteilung des Verwaltungsrats aber auch auf die Zweckmäßigkeit der Vorstandsentscheidung146. Der Verwaltungsrat muss daher prüfen, ob die Entscheidung des Vorstands auf informierter Grundlage getroffen wurde und ob sie sich innerhalb der Grenzen des unternehmerisch Vertretbaren hält. Im Hinblick auf den Erwerb forderungsbesicherter Wertpapiere ergibt sich für die Informationspflicht des Verwaltungsrats Folgendes: Angesichts der Komplexität von CDOs und des Umstands, dass derartige Geschäfte nicht in das traditionelle Geschäftsfeld einer Sparkasse fallen, erfasst die Pflicht zur Information des Verwaltungsrats derartige Geschäfte jedenfalls dann, wenn sie je für sich oder in der Aggregation gleichartiger Transaktionen ein für die Verhältnisse der Sparkasse nicht ganz unerhebliches Ausmaß überschreiten147. Die vom Vorstand erstatteten Berichte muss der Verwaltungsrat sorgfältig prüfen und mit dem Vorstand erörtern. Eine solche Prüfung und Erörterung setzt voraus, dass der Verwaltungsrat sich zunächst über die Gründe und über die Risikoabwägung informiert, auf der die Entscheidung des Vorstands beruht, in derartige Papiere zu investieren. Dabei darf der Verwaltungsrat sich bei Geschäften erheblichen Umfangs nicht mit summarischen Erklärungen begnügen. Die Behauptung des Vorstands, eine solche Investition berge keinerlei Risiken für die Sparkasse, ist daher nicht ausreichend, wenn es sich offensichtlich um hochkomplexe Finanzprodukte handelt, die durch umfangreiche Verträge dokumentiert sind. Der Verwaltungsrat darf auch nicht die Einschätzungen des Vorstands unreflektiert übernehmen. Er muss sich vielmehr ein eigenes Urteil über die Chancen und Risiken der fraglichen Geschäfte bilden148. Dafür wird er sich zumindest selbst ein Bild über das Geschäftsmodell machen müssen, das den Verbriefungsstrukturen zugrunde liegt. Reichen die Angaben im Bericht des Vorstands oder die Sachkunde des Verwaltungsrats hierfür nicht aus, muss der Verwaltungsrat nachfragen und gegebenenfalls auf externen Sachverstand zurückgreifen. bb) Pflichtwidrige Entlastung Die Entlastung des Vorstands hat die Wirkung eines Verzichts auf Ersatzansprüche, deren Voraussetzungen der Verwaltungsrat bei sorgfältiger Prüfung aller ihm unterbreiteten Vorlagen und erstatteten Berichte erkennen konnte
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146 Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 96 ff.; Rümker in FS Werner, 1984, S. 745, 759 f.; im Ergebnis auch Schlierbach/Püttner, Sparkassenrecht (Fn. 2), S. 185 ff.; für die Aktiengesellschaft etwa Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1996, § 111 Rz. 11. 147 Vgl. OLG Düsseldorf, ZIP 2010, 28, 32 f. 148 Vgl. Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 96.
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(vgl. oben III. 2. f)). Da der Verwaltungsrat grundsätzlich zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen den Vorstand aus fehlerhafter Geschäftsführung verpflichtet ist149, stellt die Entlastung trotz des Bestehens solcher Ansprüche regelmäßig eine Pflichtverletzung dar, wenn nicht ausnahmsweise überwiegende Gründe dafür sprechen, den Vorstand von seiner Ersatzpflicht gegenüber der Sparkasse zu befreien150. cc) Ausdrückliche Zustimmung Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass eine zum Schadensersatz verpflichtende Pflichtverletzung des Verwaltungsrats selbstverständlich in der Vorgabe von dem öffentlichen Auftrag der Sparkasse zuwiderlaufenden Richtlinien der Geschäftspolitik oder einer pflichtwidrigen Zustimmung zu pflichtwidrigen Geschäftsführungsmaßnahmen liegt. c) Verschulden Diejenigen Sparkassengesetze, die eine Regelung über die Haftung der Verwaltungsratsmitglieder enthalten, sehen in der Regel eine Haftungsbeschränkung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit vor151. Soweit die Frage des Haftungsmaßstabs der Verwaltungsratsmitglieder offen gelassen wird, besteht kein Grund, von dem allgemeinen, auch leichte Fahrlässigkeit einschließenden Sorgfaltsmaßstab des § 276 BGB abzuweichen152. Im Schrifttum wird dies vereinzelt anders gesehen153. Maßgebliches Argument ist der Umstand, dass die Verwaltungsratsmitglieder als ehrenamtlich Tätige nur eine Aufwandsentschädigung erhalten, die keinen adäquaten Ausgleich für den strengen Haftungsmaßstab des § 276 BGB biete154. Die Höhe der Vergütung kann aber nicht über den Maßstab der Verantwortlichkeit entscheiden; hierfür ist vielmehr die Bedeutung der Aufgaben des Verwaltungsrats ausschlaggebend155. Die hervorgehobene Stellung des Verwaltungsrats als „oberstes Organ“ der Sparkasse und die Bedeutung seiner Pflichten für das ordnungsgemäße Funktionieren der Sparkasse sprechen dafür, die Einhaltung der Sorgfaltspflichten durch einen
__________ 149 Vgl. für die Aktiengesellschaft BGHZ 135, 244, 253 = NJW 1997, 1926, 1927 – ARAG/Garmenbeck. 150 Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 159; R. Fischer, WM 2007, 1005, 1006. 151 Vgl. § 19 Abs. 6 SpG BW i. V. m. § 96 Abs. 1 Landesbeamtengesetz (LBG); Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Bay. SpkG i. V. m. Art. 49 Abs. 1 Satz 1 KWBG; § 5d Abs. 3 Satz 2 Hess. SpkG; § 15 Abs. 8 Satz 1 SpkG NW; § 7 Abs. 3 Satz 1 SpkG Rh.-Pf.; § 12 Abs. 8 Satz 1 SSpG; § 8 Abs. 2 Satz 3 ThürSparkG. 152 Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 112 ff.; Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 142 ff.; Wulf, Der Verwaltungsrat öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute, 1992, S. 87 ff.; für die Verwaltungsratsmitglieder der Landesbanken Grimm, Organisationsrecht (Fn. 53), S. 142 ff.; Rümker in FS Werner, 1984, S. 745, 766 f. 153 Schlierbach/Püttner, Sparkassenrecht (Fn. 2), S. 180; Berger, Niedersächsisches Sparkassengesetz (NSpG), Kommentar, 2. Aufl. 2006, § 16 Rz. 57. 154 Berger, Niedersächsisches Sparkassengesetz (NSpG), Kommentar, 2. Aufl. 2006, § 16 Rz. 57. 155 Wulf, Der Verwaltungsrat (Fn. 152), S. 91, 94.
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strengen Haftungsmaßstab zu sichern (vgl. auch oben 1. b)). Der Gedanke einer Begrenzung der Haftungsrisiken auf ein für die Verwaltungsratsmitglieder angesichts ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit zumutbares Maß, der auch der jüngst eingeführten Haftungsbegrenzung der Vorstandsmitglieder eines Vereins nach § 31a Abs. 1 BGB156 zugrunde liegt157, muss daher hinter dem Anliegen zurücktreten, die Erfüllung des öffentlichen Auftrags der Sparkasse durch ein strenges Haftungsregime zu sichern. d) Schaden und Kausalität Die Verwaltungsratsmitglieder sind zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der der Sparkasse aufgrund der unterlassenen oder unzureichenden Überwachung des Vorstands entsteht. Der Einwand, der Vorstand hätte die risikoreichen Wertpapiere möglicherweise auch bei pflichtgemäßer Überwachung erworben, lässt den Kausalzusammenhang nicht entfallen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass ein ordnungsgemäßes Eingreifen des Verwaltungsrats den Pflichtverstoß des Vorstands verhindert hätte158. e) Gesamtschuldnerische Haftung und individuelle Verantwortlichkeit Hinsichtlich der gesamtschuldnerischen Haftung, die auch bei Verletzung von Kontrollpflichten eingreift, gelten für Mitglieder des Verwaltungsrats die gleichen Grundsätze wie für Vorstandsmitglieder (vgl. oben III. 2. e)). Sofern Gegenvorstellungen eines Verwaltungsratsmitglieds nicht zum Ziel führen, kann in gravierenden Fällen auch die Anrufung der Aufsichtsbehörde geboten sein. f) Verzichtswirkung des Entlastungsbeschlusses Die Sparkassengesetze einiger Bundesländer sehen die Entlastung des Verwaltungsrats durch die Vertretung des Trägers der Sparkasse vor159. Wie für die Entlastung des Vorstands durch den Verwaltungsrat (vgl. oben III. 2. f)) gilt auch hier, dass der Entlastungsbeschluss des Trägers Verzichtswirkung hat, sofern die entlastende Stelle den haftungsbegründenden Sachverhalt kannte oder aufgrund der ihr vorgelegten Unterlagen erkennen konnte. Da die dem Träger zuzuleitenden Unterlagen (Jahresabschluss, Lagebericht) in der Regel keine Anhaltspunkte für ein solches Verhalten enthalten, kommt dem Entlastungsbeschluss nur ausnahmsweise Verzichtswirkung zu, wenn nämlich das
__________ 156 Eingeführt durch Art. 1 des Gesetzes zur Begrenzung der Haftung von ehrenamtlich tätigen Vereinsvorständen vom 28.9.2009, BGBl. I 2009, S. 3161. 157 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/10120, S. 6; kritisch hierzu Reuter, NZG 2009, 1368, 1369 f. 158 LG Hamburg, AG 1982, 51, 52 f.; Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1996, § 116 Rz. 60; Habersack in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 1995, § 116 Rz. 69. 159 Vgl. § 26 Abs. 4 Satz 1 BbgSpkG; § 26 Abs. 4 SpkG MV; § 23 Abs. 3 Satz 5 NSpG; § 26 Abs. 4 SächsSparkG; § 26 Abs. 5 SpkG-LSA; § 20 Abs. 5 ThürSparkG.
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pflichtwidrige Verhalten der für den Träger handelnden Personen aus anderen Quellen bekannt war160. g) Verjährung Sofern die Sparkassengesetze keine abweichende Regelung enthalten161, verjähren die Schadensersatzansprüche der Sparkasse gegen die Verwaltungsratsmitglieder entsprechend §§ 116, 96 Abs. 6 AktG in fünf Jahren seit ihrer Entstehung (vgl. oben III. 2. g))162. 3. Deliktsrechtliche Haftung der Mitglieder des Verwaltungsrates Eine Haftung der Mitglieder des Verwaltungsrates wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB wegen einer Verletzung der Überwachungspflicht wird in Anbetracht des Vorsatzerfordernisses kaum in Betracht kommen. Auch eine Verletzung von § 266 StGB (vgl. unten VI.) als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ist allenfalls in Ausnahmefällen denkbar.
V. Durchsetzung der Ansprüche der Sparkasse gegen die Organmitglieder Die Mitglieder von Vorstand und Verwaltungsrat sind gegenüber der Sparkasse für die Verletzung ihrer Organpflichten verantwortlich163. Bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder wird die Sparkasse durch den Verwaltungsrat vertreten164. Gegenüber dem Verwaltungsrat vertritt in den meisten Bundesländern der Vorstand die Sparkasse165. Sofern eine Interessenkollision besteht, weil der Vorstand befürchten muss, aus dem zugrunde liegenden Sachverhalt selbst in Anspruch genommen zu werden, soll die Bankaufsichtsbehörde zum Eingreifen verpflichtet sein. Sie kann gegebe-
__________ 160 Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 118 f.; Lutter, Pflichten und Haftung (Fn. 9), S. 159, 156 ff.; Schlierbach/Püttner, Sparkassenrecht (Fn. 2), S. 260 f. 161 Vgl. bspw. § 19 Abs. 6 SpG BW i. V. m. § 96 Abs. 2 LBG; Art. 20 Abs. 2 Satz 1 Bay. SpkG i. V. m. Art. 49 Abs. 2 KWBG; § 12 Abs. 8 Satz 2 SSpG. 162 Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 117 f. 163 Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 116; Püttner in Kontrolle öffentlicher Unternehmen, Bd. 1, 1. Aufl. 1980, S. 139; Berg, BayVBl. 2000, 395, 390. 164 Vgl. Schlierbach/Püttner, Sparkassenrecht (Fn. 2), S. 222; Klüpfel/Gaberdiel/ Gnamm/Höppel, Kommentar zum Sparkassengesetz: Das Sparkassenrecht in BadenWürttemberg, 7. Aufl. 2006, § 25 Anm. V, 7; Berger, Niedersächsisches Sparkassengesetz (NSpG), Kommentar, 2. Aufl. 2006, § 10 Rz. 33; R. Fischer, WM 2007, 1005, 1006. 165 Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 116; Schlierbach/Püttner, Sparkassenrecht (Fn. 2), S. 183. In Schleswig-Holstein liegt die Entscheidung über die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die Verwaltungsratsmitglieder in den Händen der Vertretung des Trägers, §§ 5 Abs. 2 Nr. 7, 20 Satz 2 SpkG SH.
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nenfalls einen staatlichen Beauftragten zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs einsetzen166.
VI. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Organmitglieder einer Sparkasse Sofern die Organmitglieder der Sparkasse aufgrund des Erwerbs riskanter Wertpapiere bzw. der fehlerhaften Beaufsichtigung des Vorstands ihre Sorgfaltspflichten verletzt haben, ist eine strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen Untreue nach § 266 StGB denkbar. Für die Vorstandsmitglieder ist in erster Linie der Missbrauchstatbestand (§ 266 Abs. 1 1. Alt. StGB) einschlägig, bei dem es sich um einen Spezialfall des umfassenderen Treuebruchtatbestands handelt167. Der objektive Tatbestand ist erfüllt, wenn das betreffende Vorstandsmitglied seine Befugnis, über das Vermögen der Sparkasse zu verfügen oder die Sparkasse zu solchen Verfügungen zu verpflichten168, missbraucht und der Sparkasse hierdurch einen Nachteil zugefügt hat. Eine Missbrauchshandlung liegt vor, wenn der Täter im Rahmen des rechtlichen Könnens im Außenverhältnis zu Dritten die im Innenverhältnis gezogenen Grenzen des rechtlichen Dürfens überschreitet169. Insofern ist allerdings zu berücksichtigen, dass nicht jede Sorgfaltspflichtverletzung zugleich eine tatbestandsmäßige Handlung im Sinne von § 266 StGB darstellt170. Die Voraussetzungen, unter denen die sorgfaltswidrige Vornahme eines Risikogeschäfts im Sinne von § 266 StGB pflichtwidrig ist, sind nicht endgültig geklärt171. Bislang verlangte der BGH über die bloße Verletzung gesellschaftsrechtlicher Normen hinaus regelmäßig einen gravierenden Pflichtverstoß172, was sich aus einer Gesamtschau insbesondere der gesellschaftsrechtlichen Kriterien ergeben sollte173. In neueren Entscheidungen ist der BGH allerdings in bedenklicher Weise von dem Erfordernis
__________ 166 Völter, Aufgaben und Pflichten (Fn. 8), S. 117; Schlierbach/Püttner, Sparkassenrecht (Fn. 2), S. 183. 167 BGHSt 47, 187, 192 = NJW 2002, 1585; BGHSt 50, 331, 342 = NJW 2006, 522, 525. 168 Vgl. BGHSt 47, 148, 149 = NJW 2002, 1211, 1213; vgl. auch Seibt/Schwarz, AG 2010, 301, 302 für den Vorstand der Aktiengesellschaft. 169 BGHSt 47, 148, 149 = NJW 2002, 1211, 1213; Dierlamm in MünchKomm.StGB, 1. Aufl. 2006, § 266 Rz. 22. 170 BGHSt 50, 331, 344 = NJW 2006, 522, 526; Dierlamm in MünchKomm.StGB, 1. Aufl. 2006, § 266 Rz. 154; Brammsen, wistra 2009, 85, 86; Brüning/Samson, ZIP 2009, 1089, 1091; Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 227. 171 Vgl. hierzu jüngst Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 227 ff.; v. Werder, ZIP 2009, 500, 506; Brammsen, wistra 2009, 85, 86 ff. 172 BGHSt 47, 148, 149 = NJW 2002, 1211, 1213 f. zur Untreue wegen pflichtwidriger Kreditvergabe; BGHSt 47, 187, 197 = NJW 2002, 1585, 1587 zur Untreue durch Unternehmensspenden; BGH, NJW 2006, 453 – Kinowelt, zur Untreue bei Zahlungen bei beabsichtigter Übernahme eines Unternehmens; ebenso Kiethe, BKR 2005, 177, 185; Brüning/Samson, ZIP 2009, 1089, 1093 f. 173 BGHSt 47, 187, 197 = NJW 2002, 1585, 1587; zustimmend Dierlamm in MünchKomm.StGB, 1. Aufl. 2006, § 266 Rz. 155.
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Verantwortlichkeit von Sparkassenorganen für den Erwerb riskanter Wertpapiere
einer gravierenden Pflichtverletzung abgerückt174, da hierdurch lediglich der weite Ermessensspielraum bei risikobehafteten unternehmerischen Entscheidungen anerkannt werde175. Ein Missbrauch im Sinne von § 266 StGB ist danach jedenfalls anzunehmen, wenn der Erwerb der CDOs gegen Recht und Gesetz verstößt. Auch dann, wenn die Vorstandsmitglieder die Chancen und Risiken des Geschäfts nicht auf der Grundlage umfassender Informationen sorgfältig abgewogen haben176 oder die Grenzen des unternehmerischen Ermessens überschritten worden sind177, kann nach der neueren Rechtsprechung eine Pflichtwidrigkeit im Sinne von § 266 StGB bejaht werden. Die Untreue setzt allerdings weiterhin voraus, dass die Vorstandsmitglieder hinsichtlich des Pflichtverstoßes und des Vermögensnachteils zumindest mit bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) gehandelt haben. Die Strafbarkeit nach § 266 StGB hängt somit insbesondere davon ab, ob die Vorstandsmitglieder den Eintritt des Nachteils zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. Handelten die Vorstandsmitglieder in Unkenntnis der Ausfallrisiken, fehlt bereits das Wissenselement des Eventualvorsatzes. Waren die Vorstandsmitglieder über die Risiken der CDOs informiert, kann dies jedenfalls dann nicht für den subjektiven Tatbestand des § 266 StGB genügen, wenn die Wertpapiere zum Erwerbszeitpunkt ohne Kursabschlag veräußert werden konnten178. Es kann auch nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Vorstandsmitglieder den Ausfall der Forderungen billigend in Kauf genommen haben. Es ist vielmehr anzunehmen, dass sie (pflichtwidrig) darauf vertraut haben, die kalkulierte Rendite zu erwirtschaften. Allerdings ist dann, wenn die Vorstandsmitglieder erkannt haben, dass der Erwerb der riskanten Wertpapiere die Existenz der Sparkasse gefährden könnte, nach der Rechtsprechung des BGH von einer Billigung der Vermögensschädigung auszugehen179. Im Regelfall wird der Straftatbestand der Untreue nicht erfüllt sein180.
__________ 174 BGHSt 50, 331, 343 ff. = NJW 2006, 522, 526 – Mannesmann/Vodafone; ohne Erwähnung des Erfordernisses einer gravierenden Pflichtverletzung jüngst BGH, ZIP 2009, 1854, 1857; ausf. zum Diskussionsstand Seibt/Schwarz, AG 2010, 302, 311. 175 BGHSt 50, 331, 344 = NJW 2006, 522, 526; ähnlich Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 235. 176 Vgl. zur Untreue wegen pflichtwidriger Kreditvergabe BGHSt 46, 30, 34 = NJW 2000, 2364, 2365; BGHSt 47, 148, 149 f. = NJW 2002, 1211, 1213; BGH, ZIP 2009, 1854, 1857; Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 233 f.; Brammsen, wistra 2009, 85, 90. 177 Vgl. BGH, ZIP 2009, 1854, 1857; BGH, NJW 2006, 453, 454 f.; Dierlamm in MünchKomm.StGB, 1. Aufl. 2006, § 266 Rz. 152, 204; Brammsen, wistra 2009, 85, 89 m. N. 178 Brüning/Samson, ZIP 2009, 1089, 1094. Vgl. zum Vorsatz bei pflichtwidriger Kreditvergabe in Kenntnis der Minderwertigkeit der Rückzahlungsforderung BGHSt 47, 148, 157 = NJW 2002, 1211, 1216; BGH, ZIP 2009, 1854, 1856; T. Fischer, StGB, 57. Aufl. 2010, § 266 Rz. 177 ff.; Kiethe, BKR 2005, 177, 185; Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 228, 236 f. 179 Vgl. BGHSt 47, 148, 157 = NJW 2002, 1211, 1216 zur pflichtwidrigen Kreditvergabe; Schröder, NJW 2010, 1169, 1174; ablehnend Dierlamm in MünchKomm.StGB, 1. Aufl. 2006, § 266 Rz. 240. 180 I. d. S. auch Brüning/Samson, ZIP 2009, 1089, 1094; Schröder, NHW 2010, 1169, 1174.
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Andreas Cahn / Henny Müchler
Auch die Verwaltungsratsmitglieder der Sparkasse sind Träger von Vermögensbetreuungspflichten181. Ihre strafrechtliche Verantwortlichkeit wegen Untreue aufgrund unzureichender oder unterbliebener Überwachung des Vorstands wird aus ähnlichen Gründen regelmäßig ausscheiden. Abgesehen von Fällen pflichtwidriger Entlastung (vgl. dazu oben IV. 2. b) bb)) kommt lediglich eine Verletzung des Treuebruchtatbestands (§ 266 Abs. 1 2. Alt. StGB) in Betracht, da der Missbrauchstatbestand ein wirksames Rechtsgeschäft voraussetzt182, während der Treuebruchstatbestand durch jedes (pflichtwidrige) Tun oder Unterlassen verwirklicht sein kann. Bereits die Feststellung des objektiven Tatbestands bereitet hier Schwierigkeiten, da nicht jeder Pflichtverstoß eine strafbewehrte Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht begründet183 und sich die Ursächlichkeit des unterlassenen Einschreitens des Verwaltungsrats für den Vermögensnachteil der Sparkasse nicht durchweg nachweisen lassen wird. Jedenfalls fehlt aber der Vorsatz hinsichtlich der Nachteilszufügung, wenn die Mitglieder des Verwaltungsrats untätig geblieben sind, weil sie nicht oder nicht hinreichend über die Risiken der Wertpapiere informiert waren oder in Kenntnis vermeintlich nicht existenzgefährdender Risiken auf ein verlustfreies Geschäft vertraut haben.
VII. Ausblick Die Gerichte beginnen gerade erst damit, die zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen pflichtwidrigen Verwaltungshandelns im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise aufzuarbeiten. Wie die vorstehenden Ausführen gezeigt haben, können Sparkassen, denen durch Investitionen in strukturierte Wertpapiere, die mit U.S.-amerikanischen Hypothekenkrediten unterlegt waren, Verluste entstanden sind, Schadensersatzansprüche gegen ihre Organmitglieder zustehen. Soweit die Sparkassengesetze keine Anspruchsgrundlage enthalten, folgt die Verantwortlichkeit der Mitglieder von Vorstand und Verwaltungsrat den aktienrechtlichen Regeln über die Organhaftung (§§ 93, 116 AktG) und den hierzu entwickelten Grundsätzen. Der Tatbestand der Untreue (§ 266 StGB) wird dagegen nur in Ausnahmefällen erfüllt sein.
__________ 181 Vgl. für den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft BGHSt 47, 187, 201 = NJW 2002, 1585, 1588; T. Fischer, StGB, 57. Aufl. 2010, § 266 Rz. 105; Brammsen, ZIP 2009, 1504, 1505. 182 Vgl. Dierlamm in MünchKomm.StGB, 1. Aufl. 2006, § 266 Rz. 123. 183 Vgl. die N. in Fn. 172.
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Matthias Casper
Islamische Aktienfonds – eine kapitalmarktrechtliche Herausforderung?* Inhaltsübersicht I. Fragestellung II. Charakteristika islamischer Aktienfonds 1. Grundformen islamischer Aktienfonds 2. Kennzeichen einer islamkonformen Anlagepolitik 3. Typen islamischer Aktienfonds hinsichtlich der Bestimmung der Shariakonformität 4. Abgrenzung zur Sukuk III. Bestimmung der Anlagegrundsätze in den Vertragsbedingungen
IV. Einfluss von Sharia Boards und die Unabhängigkeit des Fondsmanagements V. Haftung für eine fehlende Vereinbarkeit mit dem islamischen Recht 1. Fragestellung 2. Fehleinschätzung durch Fonds und Sharia Board 3. Wegfall der Zertifizierung durch den Sharia Board 4. Verstoß gegen die eigene, shariakonforme Anlagepolitik VI. Fazit und Zusammenfassung
I. Fragestellung Der Prophet hat gesagt: „Gold gegen Gold, Silber gegen Silber, Weizen gegen Weizen, Gerste gegen Gerste, Datteln gegen Datteln, Salz gegen Salz, gleiche [Mengen] gegen gleiche [Mengen], Zug um Zug. Wer mehr nimmt oder aufschlägt, macht ein ribâ-Geschäft – derjenige, der nimmt, genauso wie der, der gibt“1. Auf dieses Hadith2 sowie auf mehrere Stellen im Koran3, stützen gläubige Muslime bis heute das koranische Zinsverbot, da sie das ribâ-Verbot mit einem absoluten Zinsverbot und nicht nur mit einem Wucherverbot in unse-
__________ * Verf. dankt dem Exzellenzcluster (212) „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne“ für die Förderung des Projekts „Religiös motivierte Geldanlage: Vom Zinsverbot bis zum Islamic Finance“ in dessen Rahmen dieser Beitrag entstand. Er versteht sich als erste Skizze für die weitere Diskussion um die Etablierung von islamischen Banken in Deutschland. Verf. dankt weiterhin Herrn Osman Sacarcelik für die Hilfe bei der Aufbereitung des Materials und für die Übersetzung arabischer Originalquellen. 1 Standardsammlung der Hadithe von Muslim, Abu Dawud, an-Nasa’i, Ibn Hanbal und ad-Darimi, deutsche Übersetzung bei Lohlker, Das islamische Recht im Wandel. Riba, Zins und Wucher in Vergangenheit und Gegenwart, Münster 1999, S. 30. 2 Allg. zum Hadith (dt. Erzählung, Bericht) als Bestandteil der Sunna und somit einer der Rechtsquellen des islamischen Rechts, vgl. etwa Rohe, Das islamische Recht, 2009, S. 52 ff. 3 Vgl. etwa Sure 2:275-278; 3:130; 4:161; 30:39.
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Matthias Casper
rem Verständnis gleichsetzen4. Pragmatische Lösungen, wie die von Martin Luther, der in Relativierung seiner Kritik am Zinsnehmen in seinem großen Sermon über den Wucher von 15205 in einem Brief an den Fürsten von Sachsen betonte, dass ein „Wücherlein“ von vier bis fünf Prozent nicht notwendigerweise unrecht sei6, werden weitgehend verworfen. Auch Umgehungsgeschäfte, mit denen die christliche Welt das kanonische Zinsverbot bereits lange vor seiner offiziellen Aufgabe durch Papst Pius VIII. im Jahre 1830 zu Fall gebracht hatte, sind gläubigen Muslimen fremd. Anders als im Mittelalter wird die Achtung des Zinsverbots nämlich nicht von der weltlichen Obrigkeit aufoktroyiert7. Vielmehr basiert seine Beachtung ganz überwiegend auf Freiwilligkeit. Selbst in konservativen Staaten des islamischen Rechtskreises findet sich im staatlichen Recht meist kein explizites Zinsverbot. So gibt es etwa in SaudiArabien oder in Bahrain ganz normale Geschäftsbanken, die verzinsliche Einlagen entgegennehmen oder Kredite gegen Zinsen ausleihen8. Denn das Zinsverbot basiert allein auf dem göttlichen Recht, der sog. Sharia9. Um gläubige Muslime gleichwohl als Bankkunden zu gewinnen, hat sich seit Beginn der 1970er Jahre in vielen Ländern ein islamisches Bankwesen (Islamic Banking) herausgebildet, das nur – oder zumindest auch – solche Bankgeschäfte anbietet, die mit der Sharia im Einklang stehen. Dabei gibt es neben Banken, die ausschließlich islamkonforme Bankgeschäfte anbieten und deren gesamtes Geschäftsgebaren im Einklang mit dem religiösen Recht stehen muss (sog. islamische Vollbanken), auch konventionelle Geschäftsbanken, die in ihre Produktpalette auch shariakonforme Produkte aufgenommen haben (sog. Islamic Windows oder islamische Teilbanken)10. Im folgenden Beitrag, der Bestandteil eines größeren Forschungsprojekts zum Islamic Banking ist, soll eine spezielle Anlageform, der islamkonformen Aktien-
__________ 4 Vgl. aus dem deutschsprachigen Schrifttum nur Amereller, Hintergründe des „Islamic Banking“, 1995, S. 86; Ghaussy, Das Wirtschaftsdenken im Islam, 1986, S. 6; ein sehr lesenswerter Überblick über die unterschiedlichen Meinungen und Interpretationen zum ribâ-Verbot findet sich etwa bei Saeed Islamic Banking and Interest: A Study of the Prohibition of Riba and its Contemporary Interpretation, 1999, S. 41 ff. 5 Vgl. Luther, Eyn Sermon von dem Wucher, Jobst Gutknecht, 1520; Abdruck u. a. in Böhlhaus, Luther: Werke, kritische Gesamtausgabe, Bd. 6, 1883, S. 36–60. 6 Vgl. Prien, Luthers Wirtschaftsethik, 1992, S. 134 f. 7 Vgl. dazu statt Vieler die weiterhin lesenswerte Schrift von Le Goff, La bourse et la vie. Économie et religion au Moyen Age, 1986; deutsch Le Goff, Wucherzins und Höllenqualen – Ökonomie und Religion im Mittelalter, 12. Aufl. 2008, S. 98 ff. 8 Vgl. Vogel/Hayes, Islamic Law and Finance, 2006, S. 11 f. 9 Ausnahmen bilden u. a. die Vereinigten Arabischen Emirate bei Verträgen mit Nichtkaufleuten, vgl. dazu Krüger, Vermögensrechtliches Privatrecht und Shari’a am Beispiel der Vereinigten Arabischen Emirate, ZVglRWiss 1998, 360, 382. Allein Iran, Sudan und Pakistan haben ihr Finanzsystem weitestgehend islamischen Regeln unterworfen, vgl. Vogel/Hayes (Fn. 8), S. 11. 10 Zum Islamic Banking vgl. etwa Gassner/Wackerbeck, Islamic Finance: Islamgerechte Finanzanlagen und Finanzierungen, 2. Aufl. 2010; Mahlknecht, Islamic Finance: Einführung in Theorie und Praxis, 2009. Aus der englischsprachigen Literatur Ayub, Understanding Islamic Finance, 2007; Vogel/Hayes, Islamic Law and Finance, 2006.
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Islamische Aktienfonds – eine kapitalmarktrechtliche Herausforderung?
fonds im Vordergrund stehen11. Dabei werden zunächst im Wege einer kurzen Bestandsaufnahme die Konzeption von islamischen Aktienfonds und deren besondere Charakteristika darzustellen sein. Auch wenn Deutschland noch ein weitgehend weißer Fleck auf der Landkarte des Islamic Bankings darstellt12, soll anschließend untersucht werden, welche kapitalmarktrechtlichen Anforderungen aus deutscher Sicht an islamische Aktienfonds, die eine gewisse Ähnlichkeit mit sog. Ethik-Investmentfonds aufweisen, zu stellen wären13. Dabei werden vor allem die Bestimmung der Anlagegrundsätze gemäß § 43 Abs. 4 InvG, der Einfluss sog. Sharia Boards auf die Anlagepolitik des Fonds, die Werbung mit der Shariakonformität sowie insbesondere die Folgen eines Verstoßes gegen eine islamkonforme Anlagepolitik – gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung – näher in Augenschein zu nehmen sein.
II. Charakteristika islamischer Aktienfonds 1. Grundformen islamischer Aktienfonds Islamkonforme Fonds können unter Zuhilfenahme verschiedener Vertragskonstruktionen aufgelegt werden14. Dabei stehen sich im Wesentlichen zwei Grundtypen gegenüber, nämlich solchen Fonds die – zumindest auch – auf einer Ijâra-Konstruktion (Leasing-Konstruktion) basieren, und Fonds, denen eine murâbaha (Partnerschaft) zugrunde liegt. Ijâra-Gestaltungen bieten den Vorteil, dass dem Anleger im Wesentlichen gleichbleibende Erträge in Aussicht gestellt werden können. Dazu wird von der islamischen Fondsgesellschaft eine islamische Zweckgesellschaft15 gegründet, die Vermögensgegenstände von einem Dritten least und sodann an den eigentlichen Leasingnehmer weiterverleast. Damit verfügt die Zweckgesellschaft über feste Erträge, die sich aus der Differenz zwischen den beiden Leasingraten ergeben. In komplexeren Struktu-
__________ 11 Ebenfalls in die Untersuchung mit einbezogen werden sog. Mischfonds, die außer in Aktien auch in andere shariakonforme Produkte investieren, wie islamische Anleihen (Sukuk) oder islamkonforme Derivate. 12 Zu aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen und zur Frage der Erlaubnispflicht für islamkonforme Produkte ausführlich Casper, ZBB 2010, 345–363; zum Marktpotential in Deutschland vgl. die Studie des Institute for Islamic Banking and Finance (IFIBAF) in Frankfurt, wiedergegeben in Börsenzeitung v. 16.3.2010, S. 2. 13 Vgl. dazu vor allem Dürr, ZIP 1991, 286 ff.; Kuntze, WM 1991, 929 f. 14 Vgl. die überblicksartigen Darstellungen bei Schoon, Islamic Banking and Finance, 2009, S. 117 ff. (Assetfonds); Elfakhani/Hassan/Sidani, Islamic mutual funds, in Handbook of Islamic Banking, Hassan/Lewis (ed.), Handbook of Islamic Banking, 2007, S. 256 ff.; El-Gamal, Islamic Finance, 2006, S. 123 ff.; Al-Rifai, Trends and performance monitoring of Islamic equity funds, in Jaffer (ed.), Islamic Retail Banking and Finance, 2006, S. 156 ff.; mit graphischen Verdeutlichungen auch Shah, Overview of Islamic asset management, in Islamic Finance: A Practical Guide, 2008, S. 15 ff., vgl. ferner den deutschsprachigen Beitrag von Mahlknecht (Fn. 10), S. 125 ff. mit vielen rechtstatsächlichen Details. 15 Mit dem Begriff islamische Zweckgesellschaft bzw. islamische Fondsgesellschaft ist gemeint, dass sich die Gesellschaften sharia-konform verhalten, ihre Binnenstruktur richtet sich hingegen nicht nach dem religiösen islamischen Recht, sondern nach dem staatlichen Recht des Sitzstaates.
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ren kauft eine weitere, konventionelle Zweckgesellschaft – meist unter Aufnahme verzinslicher Kredite – Vermögensgegenstände an, die sie sodann gegen eine Beteiligung an die islamische Zweckgesellschaft verleast, die wiederum den Leasingvertrag mit dem eigentlichen Leasingnehmer schließt16. Die Fondsgesellschaft stattet die Zweckgesellschaft mit Kapital aus und erhält dafür die Erträge weitergereicht, die schlussendlich an die Anleger der Fondsgesellschaft ausgeschüttet werden. Eine Umgehung des ribâ-Verbots wird in solchen Assetfonds-Konstruktionen ganz überwiegend nicht gesehen. Demgegenüber liegt den hier interessierenden Aktien- oder Mischfonds meist eine – oft mehrstöckige – mudâraba-Konstruktion zugrunde17. Unter einer mudâraba versteht man im klassischen islamischen Recht die Einlage eines Anlegers (rabb al-mâl) in ein Unternehmen (mudârib), dass aus deutscher Sicht am ehesten mit einer Kommanditbeteiligung oder mit der Einlage eines stillen Gesellschafters verglichen werden kann18. Der Anleger erhält einen Anspruch auf einen Anteil des Gewinns. Eine mudâraba ist unter dem Gesichtspunkt des ribâ-Verbots in jeder Hinsicht unverdächtig. Der Anleger beteiligt sich gerade an dem unternehmerischen Risiko und lässt sein Geld nicht nur durch zeitweilige Überlassung für sich arbeiten. Während der klassische Darlehensgeber also nur das allgemeine Ausfall- bzw. Insolvenzrisiko des Darlehensnehmers trägt, soll es gerade diese Partizipation am unternehmerischen Risiko sein, die die Anlage aus Sicht des islamischen Rechts ethisch legitimiert. Bei einem Investmentfonds der nach dem mudâraba-Konzept strukturiert ist, erbringen die Anleger Einlagen in die mudâraba (in unserem Verständnis in den Fonds bzw. das Sondervermögen) ein und erhalten dafür Kapitalanteile, während die Fondsgesellschaft die Verwaltung des Fondsvermögens und die Auswahl der Unternehmen, in die das Fondsvermögen investiert werden soll, übernimmt19. Dabei wird sie durch einen Sharia Board überwacht und beraten. Es soll an dieser Stelle nicht die theoretische Frage vertieft werden, ob eine Kapitalanlagegesellschaft, die nach deutschem Recht gegründet wurde, im Wege der Rechtswahl ein Sondervermögen als mudâraba nach islamischem Recht auflegen könnte. Hiergegen spricht prima vista freilich, dass die Rechtswahl religiösen, nicht-staatlichen Binnenrechts für unzulässig gehalten wird20;
__________ 16 Anschaulicher Überblick auch zu weiteren Strukturen, bei denen die Vermögensgegenstände im Wege einer mushâraka (islamische Form des Joint-Ventures), einer mudâraba (Partnerschaft) oder murâbaha (Kombination von Kauf- und Wiederverkaufsrecht) angeschafft, dann aber von der islamischen Zweckgesellschaft stets weiterverleast werden, bei Shah, Overview of Islamic asset management, in Islamic Finance: A Practical Guide, 2008, S. 15, 18 ff. 17 Vgl. dazu bereits Bälz, WM 1999, 2443, 2449, Wegen/Wichard, RIW 1995, 526, 527. 18 Allg. zu mudâraba vgl. nur Vogel/Hayes (Fn. 8), S. 109 f. 19 Vgl. statt Vieler Gassner/Wackerbeck, Islamic Finance, 2. Aufl. 2010, S. 171 f. mit graphischer Verdeutlichung. 20 Bälz, Das islamische Recht als Vertragsstatut?, IPRax 2005, S. 44, 45; ders., in Kronke, Islamisches und Arabisches Recht als Problem der Rechtsanwendung, 2001, S. 63, 68; Junius, Islamic Finance: Issues Surrounding Islamic Law as a Choice of Law under German Conflicts of Laws Principles, Chicago Journal of International Law, 2006/2007, S. 537, 546 ff.
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Islamische Aktienfonds – eine kapitalmarktrechtliche Herausforderung?
eine Ausnahme wird allenfalls dann anerkannt, sofern Streitigkeiten ausschließlich vor einem Schiedsgericht ausgetragen werden21. Selbst wenn man Letzteres so sieht, dürften die im deutschen Investmentgesetz vorgesehenen Gestaltungsformen abschließender Natur sein. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass ein shariakonformer Aktienfonds in Deutschland nicht aufgelegt werden kann. Wie in vielen anderen Ländern, insbesondere innerhalb Europas, werden islamische Fonds nach den jeweiligen Organisationsformen der nationalen Jurisdiktion, in Deutschland also unter der Beachtung der Vorgaben des InvG, aufgelegt. Auch in Ländern des islamischen Rechtskreises wird der Fonds in aller Regel als eine Kapitalgesellschaft der jeweiligen Rechtsordnung organisiert und nicht als mudâraba ausgestaltet. Der islamische Charakter des Fonds ergibt sich dann vor allem aus den bei der Auswahl der Aktien zu beachtenden Restriktionen sowie der Mitwirkung eines Sharia Boards und ggf. zusätzlich eines Shariaberaters bei der Bestimmung der Anlagepolitik. Bei den in Deutschland in jüngerer Zeit vertriebenen islamischen Fonds handelt es sich überwiegend um Fonds, die als Société d’Investissement à Capital Variable nach luxemburgischem Recht aufgelegt sind22. 2. Kennzeichen einer islamkonformen Anlagepolitik Islamic Banking kennzeichnet außer der Beachtung des ribâ-Verbots weiterhin auch noch die Einhaltung des Spekulationsverbots (gharar), des Verbots des Glückspiels (maysir oder qimar), einer Grenze, die bei manchen Derivaten schnell überschritten ist, sowie das Erfordernis, nicht in Unternehmen zu investieren, die einen nicht shariakonformen Unternehmensgegenstand verfolgen (harâm). Das Verbot des harâm (arab. für Tabu, Verbot) geht deutlich über den hiesigen Kontext hinaus und verbietet gläubigen Muslimen sämtliche Handlungen, die mit der Lehre des Islam nicht im Einklang stehen. Das islamische Recht geht aber davon aus, dass wirtschaftliche Handlungen grundsätzlich erlaubt sind (halâl), sofern sich nicht ausdrücklich aus den Rechtsquellen des islamischen Rechts ein Verbot ergibt23. Nach einhelligem oder zumindest ganz überwiegendem Verständnis, zählen hierzu etwa die Herstellung von oder der Handel mit Alkohol bzw. Schweinefleisch, Investitionen in Unternehmen, die konventionelle Finanzdienstleistungen anbieten, also das ribâ-Verbot nicht beachten, Unternehmen, die die Pornographie oder gar Prostitution fördern oder begünstigen, wozu auch bei enger Auslegung auch die Kino- und Filmbranche zählt oder Unternehmen, die dem Glückspiel oder Wettgeschäft nachgehen, um nur einige Beispiele zu nennen. Zu Letzterem zählt nach islamischem Verständnis auch das konventionelle Versicherungsgeschäft, da dieses
__________
21 Dazu Bälz (Fn. 20), S. 63, 67; vgl. auch Adolphsen/Schmalenberg, Islamisches Recht als materielles Recht in der Schiedsgerichtsbarkeit?, SchiedsVZ 2007, 57 ff. 22 Meridio Islamic Funds – Meridio Global Islamic Multi Asset (2010); Allianz Global Investors Islamic Fund (2009); BNP Paribas Islamic Fund – Equity Optimiser (2006). Vgl. zum Meridio Funds auch die Presseberichte in F.A.Z. v. 11.3.2010, Nr. 59, S. 22; Börsenzeitung v. 16.3.2010, S. 2. 23 Vgl. näher zum Ganzen, auch zu der dazwischen befindlichen Grauzone (makruh) sowie zu jenseitsbezogenen Geboten, Rohe (Fn. 2), S. 10 f.
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gegen das islamische Spekulationsverbot verstößt24. Zu den zwar nicht verbotenen, aber zumindest unerwünschten Branchen wird auch die Herstellung von Waffen oder anderen Rüstungsgütern gezählt. Innerhalb des Islams ist es umstritten, ob die Herstellung oder der Vertrieb von Tabak ebenfalls unzulässig oder zumindest unerwünscht ist. Ebenfalls Uneinigkeit besteht darüber, ob bereits die geringfügige Aktivität eines Unternehmens in den vorstehend exemplarisch genannten Bereichen ein Investment unzulässig werden lässt. Überwiegend plädieren die islamischen Rechtsgelehrten heute wohl dazu, eine Anlage zuzulassen, wenn der Umsatz aus unzulässigen Geschäften nicht mehr als 5 % des Gesamtumsatzes beträgt25. Exemplarisch mag man an ein Hotel denken, in dem auch durch Alkoholausschank Umsatz erwirtschaftet wird. Oftmals verpflichtet sich der Fonds dann aber quasi als Ausgleich für sein sündhaftes Verhalten dazu, einen entsprechenden Prozentsatz der Dividende, die er von diesem Unternehmen erhält, zu „Reinigungszwecken“ an wohltätige Einrichtungen zu spenden26. Neben dieser eher branchenspezifischen Bestimmung der Anlagegrundsätze, die sich am Unternehmensgegenstand orientiert, werden auch finanzwissenschaftliche Kennzahlen herangezogen, die ein Ausschlusskriterium für eine islamkonforme Anlage enthalten. So darf zum Beispiel der Fremdkapitalanteil der Aktiengesellschaft, in die investiert werden soll, nicht mehr als 33 % betragen27. Damit dürfte zum einem die Vorstellung verbunden sein, dass anderenfalls zu viele (verzinsliche) Darlehen in Anspruch genommen werden28, zum anderen aber vor allem, dass nur bei einer hinreichenden Eigenkapitalquote durch den Fonds ein wirkliches unternehmerisches Risiko übernommen wird. 3. Typen islamischer Aktienfonds hinsichtlich der Bestimmung der Shariakonformität Bereits dieser exemplarische Überblick zeigt, dass die Bestimmung der islamkonformen Aktienanlage im Einzelfall mit großen Unsicherheiten verbunden ist, da die Anforderung an shariakonforme Anlagevehikel nirgendwo verbindlich kodifiziert sind, sondern je nach Rechtsschule oder Ansicht des jeweiligen Sharia Boards nicht unerheblich divergieren. Einige islamkonforme Fondsgesellschaften orientieren sich deshalb an den bekannten Indizes, wie dem Standard&Poor’s 500 Sharia Index bzw. dem Dow Jones Islamic Market Index,
__________ 24 Vgl. dazu weiterhin grundlegend Bälz, Versicherungsvertragsrecht in den arabischen Staaten, 1997, S. 50 ff. einschließlich der Folgerungen für ein islamkonformes Versicherungswesen (takaful). 25 Gassner/Wackerbeck, Islamic Finance, 2. Aufl. 2010, S. 163 f. 26 Vgl. exemplarisch Verkaufsprospekt des Meridio Islamic Funds – Meridio Global Islamic Multi Asset v. Januar 2010, S. 9; vereinfachter Verkaufsprospekt des Allianz Global Investors Islamic Fund v. 17.1.2009, S. 33. 27 So z. B. vereinfachter Verkaufsprospekt des Allianz Global Investors Islamic Fund v. 17.1.2009, S. 32; Gassner/Wackerbeck, Islamic Finance, 2. Aufl. 2010, S. 163. 28 Dies zeigt sich auch an einer weiteren Kennzahl. Die Quote aus der Summe der Barmittel plus das zinstragende Fremdkapital und dem Eigenkapital soll ebenfalls nicht mehr als 33 % Prozent betragen.
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der inzwischen in verschiedenen Varianten existiert29. Die Fondsgesellschaft darf dann nur in die Aktiengesellschaften investieren, die in diesem Index gelistet sind. Scheidet eine Aktiengesellschaft aus dem Index aus, muss auch der Fonds diese Aktien zeitnah abstoßen. Mustert man einige Prospekte von islamischen Fonds durch, die auch in Deutschland vertrieben worden sind, lassen sich hinsichtlich der Bestimmung der shariakonformen Anlagepolitik drei Modelle ausmachen. Erstens ist es möglich, die Anlagegrundsätze im Prospekt zumindest in ihren Grundzügen zu benennen, etwa in dem eine Liste der verbotenen Branchen und entsprechende Finanzkennzahlen im obigen Sinne explizit festgelegt werden und im Übrigen auf die Vorgaben durch den Sharia Board verwiesen wird. Man kann insoweit von einem generalisierenden Modell mit weitgehender Transparenz sprechen. Zweitens ist es möglich, auf die Grundsätze einer anerkannten Organisation wie der AAIOFI oder der IFSB bzw. den Korb eines anerkannten islamischen Aktienindex zu verweisen. Man kann insoweit von einem Verweisungsmodell sprechen. Drittens lässt sich schließlich ein Black-Box-Modell beschreiben, das dadurch gekennzeichnet ist, dass die Anlagegrundsätze im Prospekt überhaupt nicht näher beschrieben werden, sondern allein die Shariakonformität betont wird, die in concreto im Benehmen mit dem Sharia Board und/oder dem Shariaberater ex post festgelegt wird. Gemeinsames Kennzeichen aller drei Typen islamischer Fonds ist es jedoch, dass die Fondsgesellschaft keine Gewähr dafür übernimmt, dass die von ihr vorgenommene Anlagepolitik auch wirklich shariakonform ist. Soweit dem zu Rate gezogenen Sharia Board oder dem Verantwortlichen des islamischen Index, auf den verwiesen wird, ein Fehler bei der Qualifikation als islamkonform unterläuft, ist eine Haftungsfreizeichnung des Fonds zu beobachten. Nach diesem rechtstatsächlichen Problemaufriss ist im Folgenden nach der Maßgabe des Investmentgesetzes zu untersuchen, inwieweit die Bestimmung der Anlagegrundsätze sowie der Einfluss des Sharia Boards Schwierigkeit bereiten und, ob bei Verfehlung der Shariakonformität nicht doch eine Prospekthaftung oder zumindest ein Exitrecht des Anlegers in Betracht kommt. 4. Abgrenzung zur Sukuk Die Abgrenzung der islamischen Fonds zu einigen Sukuk-Strukturen, den sog. islamischen Anleihen, ist schwierig, da gewisse strukturelle Ähnlichkeiten nicht von der Hand zu weisen sind. Insbesondere aus aufsichtsrechtlicher Sicht ist jedoch eine Abgrenzung wichtig, sind an die aufsichtsrechtliche Qualifikation eines Produktes etwa als Anleihe oder Fonds doch jeweils andere Rechtsfolgen geknüpft. Die Frage, ob beispielsweise Sukuk als Collective Investment Scheme oder als Bond zu qualifizieren sei, hat jüngst auch die Finan-
__________ 29 Exemplarisch sei auf den BNP Paribas Islamic Fund – Equity Optimiser von 2006 verwiesen, der nur in die 100 im Dow Jones Islamic Market Titans 100-Index gelisteten Unternehmen investieren kann.
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cial Services Authority beschäftigt30. Bei der Abgrenzung hilft letztlich nur eine wirtschaftliche Betrachtung weiter. Dabei ist maßgeblich darauf abzustellen, ob bei dem betreffenden islamkonformen Produkt eine fremdkapital- oder eigenkapitalbasierte Anlage im Vordergrund steht. Beispielsweise werden dem Anleger sowohl bei Ijâra-Sukuk als auch bei Ijâra-basierten Assetfonds feste Erträge weitergereicht. Bei einer Ijâra-Sukuk, die einer sell-and-lease-back Transaktion ähnelt und bei der wie bei Asset Backed Securities eigene Vermögenswerte in eine Zweckgesellschaft eingebracht werden, wird durch die Vereinbarung einer Rückkaufverpflichtung (purchase undertaking), eine faktische Kapitalgarantie gewährleistet31. Durch diese Rückkaufverpflichtung des Schuldners wird das vermögenswertbasierte Risiko in ein Bonitätsrisiko umgewandelt32. Bei Ijâra-basierten Assetfonds hingegen kann sich der Rücknahmepreis auch negativ entwickeln, wenn die dem Fonds zugrundeliegenden Vermögenswerte an Wert verlieren. Angesichts der vielfältigen Strukturierungsmöglichkeiten von Sukuk und islamkonformen Fonds wird die Beurteilung nach ihrer rechtlichen Einordnung letztlich im Wege einer Einzelfallbetrachtung zu erfolgen haben33.
III. Bestimmung der Anlagegrundsätze in den Vertragsbedingungen Nach § 43 Abs. 4 Nr. 1 InvG müssen die Vertragsbedingungen u. a. angeben, nach welchen Grundsätzen die Auswahl der zu beschaffenden Vermögensgegenstände erfolgt. Die Vertragsbedingungen sind trotz ihrer gesetzlichen Ausgestaltung durch das Investmentgesetz Bestandteil des Investmentvertrages zwischen der Kapitalanlagegesellschaft und dem Anleger, der als besondere Ausprägung des Geschäftsbesorgungsvertrages34 oder als Vertrag sui generis mit geschäftsbesorgungsrechtlichen Elementen verstanden wird35. Nach überwiegender Ansicht handelt es sich bei den Vertragsbedingungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die der Einbeziehung in den Anlagevertrag bedürfen36.
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30 H. M. Treasury/FSA UK, Legislative framework for the regulation of alternative finance investment bonds (sukuk): summary of responses, Oktober 2009, www.hmtreasury.gov.uk/d/consult_sukuk141009.pdf (zuletzt abgerufen am 25.3.2010). 31 Voraussetzung dafür ist, dass der Rückkaufpreis, der am Ende der Laufzeit fällig ist, dem Ausgabepreis der Sukukanteile entspricht. 32 Müller, Grundlagen, Dokumentation und rechtliche Einordnung islamischer Zertifikate (Sukuk), WM 2008, 102, 107. Die Risikostruktur eines Sukuk hat auch unmittelbare Auswirkungen auf das Rating. Dazu vgl. Standard and Poor’s approach to rating Sukuk: http://www.gcc.standardandpoors.com/islamic_finance/criteria_re search/sp_approach_to_sukuk_17-sep-2007.pdf (zuletzt aufgerufen am 25.3.2010). 33 So auch der Tenor der Financial Services Authority (Fn. 30). Vgl. näher zum Ganzen Sacarcelik, Trends and Challenges in Islamic Finance: A case study of Switzerland, SZW/RSDA 2010, 10, 17 f. 34 In diesem Sinne etwa Beckmann in Beckmann/Scholtz, Investment, Bd. 2, Loseblattsammlung Stand 4/2008, § 43 InvG Rz. 4.; Canaris in Großkommentar zum HGB, Bankvertragsrecht, 3. Aufl. (2. Bearb.) 1981, Rz. 2352. 35 Köndgen/Schmies in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2007, § 113 Rz. 115. 36 Köndgen/Schmies (Fn. 35), § 113 Rz. 116, 118; Beckmann in Beckmann/Scholtz (Fn. 34), § 43 InvG Rz. 16 f.
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Islamische Aktienfonds – eine kapitalmarktrechtliche Herausforderung?
Vor dem Hintergrund der hier zu untersuchenden Fragestellung, inwieweit die Shariakonformität des Fonds einer Präzisierung in den Anlagegrundsätzen bedarf, ist vor allem der Normzweck des § 43 Abs. 4 InvG von Interesse. In den wenigen Stellungnahmen besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Anlagegrundsätze in den Vertragsbedingungen ähnlich wie der Verkaufsprospekt der Information des Anlegers dienen37. Darüber hinaus ist es aber gerade auch veranlasst, den Fonds im Verhältnis zum Anleger an diese Anlagegrundsätze zu binden. In der Diskussion um sog. Ethik- und Ökofonds wird darauf verwiesen, dass objektive und jederzeit reversible Auswahlkriterien und -verfahren in die Vertragsbedingungen aufgenommen werden müssten. Die aus dieser Beschränkung der Anlagepolitik mögliche geringere Wertentwicklung ist in den Vertragsbedingungen hervorzuheben38. Auf dieser Linie liegt auch das Schreiben des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen vom 8. Juni 1989 zu den „Anforderungen an die Umschreibung der Anlagegrundsätze, Funktion von Anlageausschüssen“39. Dort wird eine Anlagepolitik gerügt, die unbestimmten „kirchlichen Grundsätzen“ genügen muss, deren Einhaltung durch einen Anlageausschuss kontrolliert werden soll. Allerdings wies der dem Schreiben zugrunde liegende Sachverhalt die Besonderheit auf, dass in den Anlagebedingungen eine Beschränkung der Auswahl der Anlagegegenstände nach kirchlichen Grundsätzen nicht vorgesehen war, sondern erst nachträglich durch den Anlageausschuss eingeführt wurde. Auch wurde in dem damaligen Sachverhalt nicht klargestellt, dass die Entscheidungen des gesetzlich nicht vorgesehenen Anlageausschusses keine bindende Wirkung haben darf. Demgegenüber kennzeichnen islamische Aktienfonds, dass das Erfordernis der Shariakonformität und die Mitwirkung des Sharia Boards bereits in den Vertragsbedingungen vorgesehen werden und nicht quasi durch die Hintertür erst eingeführt werden. Aber auch wenn von Anfang an auf das Erfordernis einer Vereinbarkeit der Anlagepolitik mit der Sharia hingewiesen wird, bleibt die Gretchenfrage zu beantworten, inwieweit dieser Umstand bereits nachprüfbar in den Vertragsbedingungen enthalten sein muss. Im Zusammenhang mit Ethikfonds ist sogar die Forderung erhoben worden, dass die ethischen Kriterien so formuliert sein müssten, dass ein Außenstehender sie aufgrund öffentlich zugänglicher Informationen nachvollziehen kann40. Damit wäre zumindest das oben (sub II. 3.) skizzierte Black-Box-Modell, wonach die Beurteilung der Shariakonformität
__________ 37 Ähnlich Beckmann in Beckmann/Scholtz (Fn. 34), § 43 InvG Rz. 15, 17; im Ergeb. wohl auch Köndgen/Schmies (Fn. 35), § 113 Rz. 116 f. 38 Schreiben des BAKred vom 8. Juni 1989 (Az. V 4/51) zu den „Anforderungen an die Umschreibung der Anlagegrundsätze, Funktion von Anlageausschüssen“, abgedruckt bei Beckmann/Scholtz (Fn. 34), Kz 438 Nr. 46 sowie ebenfalls verfügbar unter http:// beck-online.beck.de/?vpath=bibdata%2Fges%2FKWG_10_44%2Fcont%2FKWG_10_ 44.htm (zuletzt aufgerufen am 22.3.2010); Beckmann in Beckmann/Scholtz (Fn. 34), § 43 InvG Rz. 30. 39 Nachw. vgl. oben Fn. 38. 40 In diesem Sinne vor allem Dürr, ZIP 1991, 286, 289 ff.; vgl. ferner Bälz, BKR 2002, 447, 450, der die Frage aber letztlich offen lässt.
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allein durch – dem Anleger nicht transparente Richtlinien des Sharia Boards – sichergestellt wird, nicht vereinbar. Prima vista könnte man geneigt sein, dass Black-Box-Modell damit zu rechtfertigen, dass es einheitliche Kriterien für ein islamkonformes Investment nicht gibt. Bekanntlich fehlt dem Islam eine allseits anerkannte religiöse Instanz, die – dem Vatikan für die römisch-katholische Kirche vergleichbar – eine verbindliche Auslegung vornehmen könnte. Die vier Rechtsschulen im sunnitischen Islam kommen in Einzelfragen der Interpretation des ribâ- sowie des gharar-Verbots und damit für die Beantwortung, was eine erlaubte Anlageform ist, zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen, von Divergenzen zu der schiitischen Interpretation einmal ganz abgesehen. Das islamische Recht ist durch eine Interpretationsvielfalt gekennzeichnet. Vor diesem Hintergrund könnte man meinen, dass eine Bestimmung der Konformität mit dem islamischen Recht durch einen Sharia Board genügt, soweit diesem Gremium anerkannte Rechtsgelehrte angehören, da eine letztverbindliche, objektiv überprüfbare Entscheidung ohnehin nicht möglich ist. Indes kann eine derartige liberale Ansicht aus mehreren Gründen im Ergebnis nicht überzeugen. Aus dem Schreiben des BAKred, das auch unter der Ägide des InvG und nach Schaffung der BAFin weiterhin Gültigkeit beansprucht, folgt deutlich, dass es nicht einem im Investmentgesetz überhaupt nicht vorgesehenen Anlageausschuss überlassen bleiben kann, die Richtlinien der Anlagepolitik letztverbindlich festzulegen. Diese Aussage lässt sich aber auch unmittelbar durch das Investmentgesetz normativ untermauern. Nach § 27 Abs. 1 Nr. 5 InvG ist es Aufgabe der Depotbank41, die Einhaltung der für das jeweilige Sondervermögen geltenden gesetzlichen und in den Vertragsbedingungen festgelegten Anlagegrenzen zu überprüfen. Dieses Vier-Augen-Prinzip ist nach § 20 Abs. 3 InvG wiederum durch einen Wirtschaftsprüfer einmal jährlich zu testieren. Bereits diese Kontrollfunktion der Depotbank spricht dafür, dass religiös motivierten Anlagebeschränkungen sich objektiv überprüfbar aus den Anlagebedingungen selbst ergeben müssen. Zwei weitere Gesichtspunkte kommen hinzu. Einerseits ist zu bedenken, dass für den durchschnittlichen Anleger allein das Markenzeichen „Islamische Fonds“ ein maßgeblicher Faktor für seine Anlageentscheidung darstellt. Es muss deshalb sichergestellt werden, dass ein Fonds, der für sich durch seine Bezeichnung eine Konformität mit dem islamischen Recht in Anspruch nimmt, zumindest die allseitig anerkannten Anlagegrundsätze beachtet, wie etwa das Verbot der Investition in verzinsliche Anleihen (Rentenpapiere). Andererseits
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41 Barpositionen dürfen nicht verzinslich sein und müssen auf nicht verzinslichen Konten bei der Depotbank gehalten werden. Werden Barmittel auf einem shariakonformen Einlagenkonto gehalten, gelten alle mit diesen Barmitteln generierten Erträge als zulässig. Beispielsweise sieht der Allianz Global Investors Islamic Fund weiterhin vor, dass falls der Fonds aus aufsichtsrechtlichen Gründen überschüssige liquide Mittel, die er bei der Depotbank hält, auf einem verzinslichen Konto anlegen muss, alle vereinnahmten Zinsen an eine benannte wohltätige Organisation gespendet werden müssen, um die Erträge der Anleger zu „reinigen“, vgl. dessen vereinfachten Verkaufsprospekt vom 17.1.2009, S. 46.
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Islamische Aktienfonds – eine kapitalmarktrechtliche Herausforderung?
muss man sich vor Augen führen, dass weder die Depotbank, noch die BaFin überprüfen können, ob die in den Vertragsbedingungen enthaltenen Restriktionen wirklich mit den Vorgaben des islamischen Rechts vereinbar sind. Folglich muss der Fonds in seinen Vertragsbedingungen objektiv überprüfbare Kriterien festsetzen, mit denen er aus seiner Sicht sicherstellt, dass seine Investmentpolitik den religiösen Vorgaben genügt. Hierzu kann er sich im Wege der Zertifizierung und/oder Beratung im Vorfeld der Mitwirkung eines Sharia Boards bedienen, zwingend ist dies aus der Sicht des Investmentrechts jedoch nicht. Letztlich obliegt es dem Anleger zu beurteilen, ob sich das in den Anlagebedingungen dargelegte Verständnis der Shariakonformität mit seinen religiösen Vorstellungen und seinem Verständnis von einer islamgerechten Anlage deckt. Zweitens spricht gegen eine verbindliche Bestimmung der Shariakonformität durch einen Sharia Board, dass es auch keine verbindliche Qualifikation eines islamischen Rechtsgelehrten (Shari’ah scholars, arabisch ulama) gibt42. Es fehlt an einer einheitlichen Ausbildung. Die verschiedenen muslimischen Länder haben insoweit unterschiedliche Traditionen entwickelt. Übergreifend lässt sich jedoch immerhin festhalten, dass ein Studienabschluss im islamischen Recht nicht genügt, um den Titel eines Rechtsgelehrten zu erlangen, sondern ein langwieriger Prozess von Nöten ist, der oft ca. 20 Jahre dauert. Weiterhin lässt sich festhalten, dass für einen islamischen Rechtsgelehrten kennzeichnend ist, dass er ein nach dem islamischen Recht anerkanntes Rechtsgutachten (Fatwa) aussprechen kann. Bindungswirkung bzw. eine Verbindlichkeit kommt diesen Rechtsgutachten indes nicht zu, vielmehr richtet sich die Akzeptanz der Fatwa nach der Autorität des jeweiligen Rechtsgelehrten43. Auch dieser Umstand spricht dagegen, die Bestimmung der Shariakonformität ohne Offenlegung für den Anleger durch einen Sharia Board bestimmen zu lassen. Das Black-Box-Modell ist also nicht haltbar. Im konkretisierenden Zugriff bedeutet dies, dass die wesentlichen Grundsätze einer shariakonformen Anlagepolitik in den Vertragsbedingungen näher durch Negativlisten von Unternehmen bzw. Branchen sowie Finanzkennzahlen beschrieben werden müssen, deren Vorliegen eine Anlage in eine entsprechende Aktiengesellschaft unzulässig macht44. Weiterhin muss beschrieben werden, ob im Einzelfall Zinserträge verbucht werden dürfen und wie mit diesen zu verfahren ist. Soweit die Islamkonformität durch einen Sharia Board bestätigt wird, sind deren Mitglieder namentlich zu benennen, damit sich der Anleger selbständig über deren Reputation und deren Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rechtsschule informieren kann. Außerdem sollten die Aufgaben und Be-
__________ 42 Vgl. dazu etwa Thomas/Cox/Kraty, Structuring Islamic Finance Transactions, 2005, S. 33 sowie Abd Jabbar, Company Lawyer 2009, 243, der darauf hinweist, dass in einigen Sharia Boards auch Mitglieder akzeptiert werden, die nur über fundierte Kenntnisse im islamischen Wirtschaftsrecht und einschlägige Berufserfahrung verfügen, ohne zugleich Rechtsgelehrte zu sein; vgl. ebenso AAOIFI (Accounting and Auditing Organization for Islamic Financial Institutions) Governance Standard for Islamic Financial Institutions, No. 1 sec. 2, n. V. 43 Vgl. den Überblick bei Rohe (Fn. 2), S. 74 f. 44 Ebenso Bälz, BKR 2002, 447, 450.
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fugnisse des Sharia Boards klargestellt werden. Dabei ist hervorzuheben, dass die letztverbindliche Anlageentscheidung beim Fondsmanagement liegt und dieses sich in Konfliktfällen an den Vertragsbedingungen orientieren muss. Stattdessen können die Vertragsbedingungen auch vorsehen, dass die Auswahl aus einem bestimmten Korb von Aktien erfolgt, der in einem der verschiedenen islamischen Aktienindizes abgebildet ist45. In diesem Fall sind weiterhin Regelungen aufzunehmen, die klären, ob der Fonds gehaltene Aktien zwingend abstoßen muss, wenn diese aus dem Referenzindex ausscheiden. Schlussendlich ist zu regeln, was bei Wegfall des Indexes an dessen Stelle tritt.
IV. Einfluss von Sharia Boards und die Unabhängigkeit des Fondsmanagements Sharia Boards gehören in Zusammenhang mit islamischen Finanzierungsgeschäften und sonstigen shariakonformen Bankgeschäften heute zum üblichen Standard. Zur Problematik von Sharia Boards unter dem Gesichtspunkt von Corporate Governance bei islamischen Voll- und Teilbanken hat sich Verf. an anderer Stelle bereits ausführlich geäußert46. Im vorliegenden Zusammenhang ist die Untersuchung auf die Aufgaben und die Einflussnahme des Sharia Boards auf die Anlagepolitik eines Investmentfonds zu begrenzen. Ausgangspunkt ist dabei die Feststellung des BAKred in seinem Schreiben vom 8. Juni 1989, das sich mit einem Anlageausschuss bei einem kirchlich orientierten Fonds auseinandergesetzt hatte47. Dort wurde zu Recht hervorgehoben, dass das Fondsmanagement die Letztentscheidungskompetenz behalten muss und dem Anlageausschuss nur beratende Funktion zukommen kann. Diese Aussage ergibt sich zumindest auch mittelbar aus §§ 9, 9a, 16 InvG und kann auch auf Sharia Boards übertragen werden48. Sharia Boards sind bei Fondsgesellschaften typischerweise nicht als Anlageausschuss im Sinne des BAKred-Schreibens ausgestaltet, sondern als externes Gremium mit Beratungs- und Zertifizierungs- bzw. Akkreditierungsfunktion. Die Aufgabe eines Sharia Boards besteht zum einen darin, den Fondsgesellschaften bei der Auflegung des Fonds – namentlich der Ausgestaltung der Vertragsbedingungen und der darin enthaltenen Anlagepolitik – zu beraten. Teilweise wird diese Aufgabe aber auch von einem internen, also innerhalb des Fonds angesiedelten, Shariaberater ausgeübt. Weiterhin kommt dem Sharia Board die Aufgabe zu, die Shariakonformität der im Vorfeld aufgestellten Anlagegrundsätze zu bestätigen (Zertifizierungs- oder Akkreditierungsfunktion). Schließlich obliegt dem Sharia Board eine Überwachungsfunktion. Regelmäßig ist er auch dafür zuständig, die Einhaltung der so durch die Anlagegrundsätze entwickelten Vorgaben für ein islamkonformes Verhalten in regelmäßigen Ab-
__________ 45 46 47 48
Bälz, BKR 2002, 447, 450. Vgl. Casper in FS Hopt, 2010, S. 457–477. Vgl. den Nachw. oben in Fn. 38. So zum alten Recht der Sache nach auch bereits Bälz, BKR 2002, 447, 450.
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Islamische Aktienfonds – eine kapitalmarktrechtliche Herausforderung?
ständen, meist in einem jährlichen Rhythmus, zu überwachen49. Typischerweise handelt es sich bei einem Sharia Board also nicht um einen Anlageausschuss im Sinne des Schreibens des BAKred, da eine fortlaufende Einbeziehung in die Auswahl der nach den abstrakten Richtlinien erwerbbaren Aktien bzw. sonstigen Wertpapiere unterbleibt. Eine letztverbindliche Entscheidung oder ein Weisungsrecht des Sharia Boards gegenüber der Geschäftsleitung des Fonds ist mit den investmentrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar. Wird beispielsweise eine nach den Vertragsbedingungen erforderliche Streuung nur durch eine nicht-islamkonforme Anlage erreicht, sind auch solche Aktien zu erwerben. Eine weitergehende Einbindung des Sharia Boards wäre allenfalls über ein Outsourcing in den durch § 16 InvG gesetzten Grenzen möglich. Dann müsste es sich wegen § 16 Abs. 2 InvG bei dem Sharia Board allerdings seinerseits um ein Finanzdienstleistungsunternehmen handeln, was in der Praxis jedoch durchweg nicht der Fall ist und auch nicht der Konzeption eines Sharia Boards entspricht50. Weiterhin ist es unverzichtbar, dass die Shariagelehrten und somit der Sharia Board insgesamt, eine gegenüber der Geschäftsleitung des Fonds unabhängige Stellung einnimmt. Anderenfalls wäre der Fonds durch entsprechende Weisungen in der Lage, selbst zu bestimmen, was shariakonform ist. Demgegenüber hat der regelmäßig in der Kapitalanlagegesellschaft angesiedelte Shariaberater, der meist kein islamischer Rechtsgelehrter, aber gleichwohl ein Experte in Islamic Finance ist, keine unabhängige Stellung gegenüber der Geschäftsleitung des Fonds. Dies ist auch nicht erforderlich, da seine Aufgabe vielmehr in der laufenden Beratung des Fondsmanagements besteht, das oftmals nicht über vertiefte Kenntnisse im islamischen Recht verfügt. Entsprechendes gilt auch, wenn der Shariaberater der Fondsgesellschaft nur im Wege eines freien Mitarbeiter- oder Beratervertrages verbunden ist51. Der entscheidende Unterschied zwischen Shariaberater und Sharia Board besteht neben der Frequenz der Beratung vor allem darin, dass dem Berater keine Zertifizierungsfunktion zukommt.
__________ 49 Vgl. z. B. geprüfter Jahresbericht des Allianz Global Investors Islamic Fund v. 30.9.2009, S. 23, bei dem neben dem jährlichen Bericht allerdings eine vierteljährliche Überprüfung durch den Sharia Board stattfindet. 50 Zu einem eventuellen Anwendungsbeispiel im Zusammenhang mit islamischen Hedgefonds vgl. Mahlknecht (Fn. 10), S. 224. 51 So fungiert beispielsweise beim Allianz Global Investors Islamic Fund die BMB Islamic UK Limited, also eine auf islamische Finanzgeschäfte spezialisierte Beratungsgesellschaft, als Shariaberater, vgl. dessen vereinfachten Verkaufsprospekt v. 17.1.2009, S. 56.
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V. Haftung für eine fehlende Vereinbarkeit mit dem islamischen Recht 1. Fragestellung Ein bisher wenig ausgeleuchtetes Feld ist die Haftung eines islamischen Fonds, wenn seine Shariakonformität von Anfang an oder aber im Laufe seines Lebenszyklus in Wirklichkeit gar nicht vorgelegen hat, der Fonds aber unter diesem Label am Markt aufgetreten ist. Als Anspruchsgrundlage kommt neben der in § 127 InvG geregelten Prospekthaftung auch noch eine Vertragsverletzung des Anlagevertrages (§ 280 Abs. 1 BGB) in Betracht, wenn nach Abschluss des Vertriebs auf Grundlage eines zutreffenden Prospekts die in den Vertragsbedingungen festgelegte Anlagepolitik verletzt wird. Der nachfolgende Überblick, der nur eine erste Näherung an diese noch offene Thematik sein kann, soll drei Fallgruppen in den Mittelpunkt stellen. In der ersten Fallgruppe soll von einem Prospekt ausgegangen werden, der in Verbindung mit den Vertragsbedingungen allgemeine Grundsätze für eine shariakonforme Anlagepolitik aufgestellt hat, die auch von einem Sharia Board genehmigt und in der Folgezeit auch eingehalten wurden. Allerdings – so sei weiterhin angenommen – stellt sich in der Folgezeit heraus, dass diese Anlagepolitik der ganz überwiegenden Auffassung innerhalb des Islams zuwider läuft. In der zweiten Konstellation soll unterstellt werden, dass der Sharia Board des Fonds die Anlagepolitik zunächst zertifiziert, sodann aber seine Einstufung als islamkonform widerruft, da er nunmehr zu dem Ergebnis gelangt, dass die ursprüngliche genehmigte Anlagestrategie doch nicht den islamischen Regeln entspricht, etwa da der ursprünglich gebilligte Einsatz von Derivaten nunmehr doch unter islamischen Rechtsgelehrten zunehmend kritisch gesehen wird. Schließlich soll drittens die Fallgruppe beleuchtet werden, dass shariakonforme Anlagegrundsätze im Prospekt aufgestellt und vom Sharia Board genehmigt wurden, der Fonds dann aber im laufenden Geschäft fortlaufend dagegen verstößt. Mit Blick auf § 127 Abs. 1 InvG, wonach nur solche Angaben, die für die Beurteilung der Anteile von wesentlicher Bedeutung sind, die Prospekthaftung auslösen, soll die Frage, ob die Shariakonformität überhaupt eine solche wesentliche Angabe ist, vor die Klammer gezogen werden. Prima vista könnte man auf den Gedanken verfallen, dass es sich insoweit nur um ein unbeachtliches, immaterielles Affektionsinteresse handelt, da es sich hierbei nicht um einen wertbildenden Faktor handele. Einer derartigen Interpretation ist bei näherem Hinsehen jedoch zu widersprechen. Zum einen lässt sich § 127 InvG nicht entnehmen, dass es sich bei den wesentlichen Angaben zwingend um wirtschaftliche Faktoren handeln muss. Es ist vor allem zu bedenken, dass viele gläubige Muslime sich gerade nur deshalb zu einer Anlage in einem islamischen Fonds entschließen, da dieser mit der Shariakonformität wirbt. Mittelbar kann dieser Einordnung aber durchaus auch ein wertbildender Faktor zukommen. Denn der Entzug der Akkreditierung kann zum Wertverlust für den Anleger führen. Zwar sinkt mit dem Verlust der Akkreditierung nicht auto242
Islamische Aktienfonds – eine kapitalmarktrechtliche Herausforderung?
matisch der Wert des Sondervermögens als solches, wohl aber der der Fondsanteile, da diese nicht mehr so häufig gekauft werden und somit der Ausgabebzw. Börsenpreis sinkt52. 2. Fehleinschätzung durch Fonds und Sharia Board Hält sich der Fonds an die von ihm vorgelegte Definition, die obendrein auch noch von dem Sharia Board gebilligt wurde, aber entspricht diese Sichtweise von islamischer Erlaubtheit nicht dem, was sich überwiegend als common opinion durchgesetzt hat, stellt sich die Frage nach dem Beurteilungsmaßstab. Viele der neueren islamischen Fonds zeichnen sich für solche Fälle einer Haftung in den Vertragsbedingungen bzw. im Prospekt frei. Sie verweisen darauf, dass die Beurteilung der Shariakonformität letztlich dem Anleger bzw. dessen Shariaberater obliegt53. Der Fonds verspricht also nur, sich an das von ihm vorgegebene Verständnis eines shariakonformen Verhaltens zu halten, nicht aber, dass dies auch allseitig akzeptiert wird. Angesichts der Vielfalt der Interpretationen und mangels einer Instanz, die letztverbindlich die Vereinbarkeit von verschiedenen Anlageformen beurteilen kann, sprechen die besseren Gründe dafür, eine Haftung in dieser Fallgestaltung zu verneinen54. Dies zeigt sich auch daran, dass ein staatliches Gericht, vor dem der Prospekthaftungsanspruch durchgesetzt werden müsste, ohne ausführliches Gutachten gar nicht prüfen kann, was wirklich oder zumindest überwiegend als islamkonform gilt. Dabei muss man sich vergegenwärtigen, dass es regelmäßig nur bei streitigen Grenzfällen zu Auseinandersetzungen kommen dürfte, bei denen besonders schwierig festzustellen ist, was wirklich mehrheitlich oder überwiegend als mit den Islam für vereinbar erachtet wird. Dem Sharia Board ist also eine Einschätzungsprärogative zuzubilligen. Von dem bisher gefundenen Ergebnis sind zwei Ausnahmen denkbar. Zum einen in der Konstellation der sog. Black-Box, bei der der Fonds sein Verständnis von einer islamkonformen Anlagepolitik nicht offengelegt hat und pauschal mit Islamkonformität seines Fonds wirbt. Zum anderen ist eine Haftung denkbar, wenn die zwar offengelegte und als shariakonform gepriesene Anlagepolitik evident nicht mit den Grundstrukturen des islamischen Rechts vereinbar ist, der Sharia Board bei seiner Zertifizierung seine Einschätzungsprärogative also eindeutig überschreitet55. Denkbar wäre eine Haftung gegebenenfalls auch dann, wenn der Fonds in seinem Prospekt nicht darauf hinweist, dass sich seine Anlagegrundsätze nicht mit den
__________ 52 Bälz, WM 1999, 2443, 2450; ders., BKR 2002, 447, 450. 53 Verkaufsprospekt Meridio Islamic Funds – Meridio Global Islamic Multi Asset –, Stand Januar 2010, S. 11; vereinfachter Verkaufsprospekt des Allianz Global Investors Islamic Fund v. 17.1.2009, S. 6 f. 54 A. A. Bälz, WM 1999, 2443, 2450, der auf das unter den üblichen Verkehrskreisen vorherrschende Verständnis abstellen will. 55 Ob in diesen Fällen der Sharia Board als Prospektverantwortlicher oder Sachverständiger wie ein Wirtschaftsprüfer aus der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung in Anspruch genommen werden kann, kann an dieser Stelle nicht vertieft werden, vgl. allg. dazu etwa Assmann in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 3. Aufl. 2007, § 6 Rz. 155 ff.
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Anforderungen der beiden großen Nichtregierungsorganisationen im Bereich des Islamic Finance, der Accounting and Auditing Organization for Islamic Financial Institutions (AAOIFI)56 in Bahrain bzw. dem Islamic Financial Services Board (IFSB) mit Sitz in Malaysia57 übereinstimmen. Zumindest einstweilen scheint mir eine Haftung in dieser Konstellation aber noch nicht zwingend, da die beiden Organisationen noch nicht allgemein anerkannt sind und die Grundsätze des IFSB zu islamkonformen Fonds gerade hinsichtlich der zulässigen Anlagepolitik wenig aussagekräftig sind58. 3. Wegfall der Zertifizierung durch den Sharia Board Auch beim späteren Widerruf der Zertifizierung der Anlagepolitik durch den Sharia Board kommt es nicht automatisch zu einer Haftung, da sich der Fonds an die von ihm als shariakonform erachtete Anlagepolitik gehalten und der Vereinbarung mit dem islamischen Recht auch zunächst bestätigt bekommen hat. Blendet man einmal die Konstellationen aus, in denen die ursprüngliche Zertifizierung evident unvertretbar war, kann sich eine Haftung nur dann ergeben, wenn der Fonds die Anleger nicht informiert und die beanstandete Anlagepolitik unvermindert fortsetzt. Aber auch insoweit liegt jedoch kein Haftungsautomatismus vor. Grundsätzlich ist – wie oben unter V. 2. dargelegt – die Einschätzung durch den Sharia Board nicht verbindlich. Gleichwohl wird man aufgrund der Bedeutung der Zertifizierung durch den Sharia Board für den Anleger eine Informationspflicht annehmen müssen. Dieser kann durch die jährliche Berichtserstattung genügt werden. Soweit der Fonds börsennotiert ist, wird jedoch regelmäßig § 15 WpHG eingreifen. Eine automatische, gar haftungsbewehrte Anpassungspflicht der Anlagepolitik besteht allerdings nicht. Ein solcher Anpassungsautomatismus muss vielmehr in den Anlagebedingen vorgesehen sein, etwa dergestalt, dass sich der Fonds – vorbehaltlich der Vereinbarkeit mit den sonstigen Vorgaben im Investmentgesetz bzw. der Vertragsbedingungen – zur Neuausrichtung seiner Anlagepolitik verpflichtet, um erneut eine Vereinbarkeit mit den Vorgaben des islamischen Rechts sicherzustellen. Nur diesem Fall käme dann eine Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des Investmentvertrages in Betracht. Aber auch bei einer Anpassungspflicht bleibt die Geschäftsleitung des Fonds frei, wie sie im Einzelnen eine Vereinbarkeit mit den religiösen Vorgaben herstellt. Ein Weisungsrecht des Sharia Boards, das über seine Beratungsfunktion hinausgeht, ist auch insoweit nicht zulässig.
__________ 56 Vgl. näher http://www.aaoifi.com/overview.html (zuletzt besucht am 25.3.2010). 57 Malaysia mit seiner Hauptstadt Kuala Lumpur ist neben Bahrain eines der führenden Zentren des Islamic Banking, vgl. etwa Venardos, Islamic Banking and Finance in South-East Asia: Its development and future, 2. Aufl. 2006, S. 144 ff. 58 Vgl. IFSB-6: Guiding Principles on Governance for Islamic Collective Investment Schemes, abrufbar unter http://www.ifsb.org/ (zuletzt aufgerufen am 26.3.2010).
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Islamische Aktienfonds – eine kapitalmarktrechtliche Herausforderung?
4. Verstoß gegen die eigene, shariakonforme Anlagepolitik Unproblematisch ist schließlich die letzte Fallgruppe, in der der Fonds sich nicht an die von ihm selbst in den Anlagebedingungen aufgestellte Anlagepolitik hält, mit der man eine Vereinbarkeit mit den religiösen Vorgaben zu erreichen sucht. Hierin liegt zumindest ein Verstoß gegen die Vertragsbedingungen und somit gegen den Investmentvertrag, was wiederum eine Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB auslöst. Schwieriger ist es, in diesen Fällen den Schaden des Anlegers zu bestimmen. Eine Rückabwicklung des Vertrages wird regelmäßig nicht in Betracht kommen, da der spätere Verstoß nicht für die Kaufentscheidung kausal war. Insoweit ist es aus Sicht des Anlegers hilfreich, wenn zugleich auch ein Anspruch aus § 127 InvG vorliegt, da dessen Rechtsfolge auf die Übernahme der Anteile gegen Erstattung des ursprünglich gezahlten Betrages gerichtet ist. Eine Prospekthaftung dürfte jedoch regelmäßig ausscheiden, da der Prospekt im Zeitpunkt des Vertriebs noch nicht fehlerhaft ist, sofern nicht von Anfang an gegen die Vertragsbedingungen verstoßen wird bzw. verstoßen werden sollte. Die Einzelheiten können vorliegend aus Raumgründen jedoch nicht mehr vertieft werden.
VI. Fazit und Zusammenfassung Auch wenn Deutschland für islamische Banken und islamkonforme Anlageprodukte noch weitgehend terra incognito darstellt, hat die vorstehende Untersuchung doch gezeigt, dass mit den Vorgaben der Sharia kompatible Aktienfonds auch unter Geltung des Investmentgesetzes aufgelegt werden können. Angesichts der noch sehr jungen Diskussion bleiben jedoch noch eine Vielzahl von Fragen zu klären. Es bleibt zu hoffen, dass Uwe H. Schneider als einer der deutschen Visionäre für ein international vernetztes Kapitalmarktrecht diese Diskussion noch lange begleiten möge. Die wesentlichen Ergebnisse der bisherigen Diskussion seien in sechs Thesen nochmals zusammengefasst: 1. Islamische Aktienfonds kennzeichnet, dass sie nur in solche Aktiengesellschaften investieren dürfen, deren Geschäftsgebaren mit den Vorgaben des islamischen Rechts (der Sharia) kompatibel sind, und dass die Fonds auch die sonstigen Vorgaben eines islamkonformen Bankwesens beachten. 2. Es gelten weltweit keine verbindlichen Vorgaben für eine shariakonforme Anlagepolitik. Innerhalb des Islam fehlt insoweit eine zentrale Instanz mit Bindungswirkung. Deshalb erlangen bei den Fondsgesellschaften angesiedelte, mit islamischen Rechtsgelehrten besetzte Sharia Boards eine wichtige Bedeutung. Ihre Aufgabe besteht darin, den Fonds bei einer islamkonformen Anlagepolitik zu beraten und die Vereinbarkeit mit den Vorgaben der Sharia zu zertifizieren. 3. Mangels einer verbindlichen Definition einer shariakonformen Anlagepolitik lassen sich drei idealtypische Modelle ausmachen, um die Islamkompatibilität der Anlagepolitik zu definieren. Eine Möglichkeit besteht darin, das eigene Verständnis in den Vertragsbedingungen abstrakt zu definieren, in 245
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dem beispielsweise Negativlisten von Unternehmen aufgenommen werden, in die der Fonds nicht investieren darf. Daneben wird zweitens die Anlagepolitik an dem Portfolio eines islamischen Aktienindexes ausgerichtet. Schließlich findet sich drittens das sog. Black-Box-Modell, indem die shariakompatible Anlagepolitik nur mittels interner mit dem Sharia Board abgestimmter Richtlinien festgelegt wird, die dem Anleger nicht transparent gemacht werden. 4. Dieses sog. Black-Box-Modell ist mit den Vorgaben des Investmentgesetzes nicht vereinbar. Vielmehr ist das eigene Verständnis einer shariakonformen Anlagepolitik in den Vertragsbedingungen offen zu legen. 5. Dem Sharia Board darf hinsichtlich der Anlagepolitik kein Letztentscheidungsrecht zukommen. Dieses muss vielmehr ausschließlich beim Fondsmanagement liegen. Umgekehrt muss der Sharia Board gegenüber dem Fondsmanagement unabhängig sein, sofern der Fonds mit einer Zertifizierung durch einen Sharia Board wirbt. 6. Der islamische Aktienfonds haftet nur dann für eine mangelnde shariakonforme Anlagepolitik, wenn er gegen die von ihm aufgestellten Anlagegrundsätze verstößt, mit denen er sein Verständnis einer Islamkonformität dargelegt hat. Widerruft der Sharia Board später die Zertifizierung als islamkonform bzw. stellt sich heraus, dass der Board entgegen der überwiegenden Praxis im islamischen Recht eine Vereinbarkeit mit dem islamischen Recht erklärt hat, haftet der Fonds grundsätzlich nicht, sofern er sich an seine Anlagegrundsätze gehalten hat.
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Carsten P. Claussen*
Kann der deutsche Gesetzgeber mehr gegen Finanzkrisen tun? Inhaltsübersicht I. Einleitung 1. Die „subprime loans“ nach USamerikanischem Recht 2. Abtretung vom ersten Gläubiger an weitere Gläubiger
3. Die Bündelung und Verbriefung von Einzelforderungen 4. Verkauf der Wertpapiere 5. Aufarbeitung der Folgen II. Schlusssatz
I. Einleitung Unser Jubilar befasst sich in seiner Doppelfunktion als Ordinarius an zwei deutschen Universitäten mit einem Schwerpunkt: Kapitalmarktrecht. Hierzu hat er das Standardwerk zum WpHG in 5 Auflagen seit den frühen 90er Jahren herausgegeben und daran als wesentlicher Autor mitgewirkt. Damit ist sein kapitalmarktrechtliches Wirken aber noch nicht voll umschrieben: Er ist unter anderem Mitglied des wissenschaftlichen Beraterkreises des Deutschen Aktieninstitutes, er ist bei der DVFA – Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset-Management – engagiert. Bei dieser Interessenausrichtung musste sich unser Jubilar eingehend und sachkundig auch mit der seit dem Jahr 2007 unglücklicherweise anhaltenden Finanzkrise befassen. Der Ursprung dieser Finanzkrise lag in den USA und nahm dort mit der Gewährung von „subprime loans“ seinen ersten Anfang. Diese „subprime loans“ haben später ihre Einzelschicksale aufgegeben und sich zu großen Bündeln vereinigt. Dieser Vorgang kam unter dem Namen „Verbriefungsgeschäft“ in aller Munde und wurde weltweit bekannt. Die nächste Stufe in der Genealogie der Finanzkrise ist nach der Verbriefung der Verkauf dieser Pakete oder Bündel von tausenden von Einzelkrediten in Form von Wertpapieren an Banken, Finanzinstitutionen und sonstige Investoren, die diese Pakete wegen ihres vermeintlich günstigen Zinses erwarben und Wege fanden, diese in ihrem Rechenwerk nicht auszuweisen. Sodann löschte der Markt, auf dem diese Wertpapiere gehandelt wurden, sein Lebenslicht aus, es traten Vermögensverluste in astronomischem Ausmaß ein. Diese Abläufe unserem Jubilar mit seinem juristischen Temperament erneut zu präsentieren, um die Ursachen dieser Finanz-
__________ * Mit großer Trauer haben Herausgeber, Autoren und Verlag die Nachricht aufgenommen, dass Carsten Peter Claussen am 29. Juni 2010 verstorben ist. Kurz zuvor hatte er diesen Beitrag fertiggestellt, aber keine Gelegenheit mehr, den Umbruch zu korrigieren.
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krise noch besser zu erkennen und für die Zukunft zu verhindern ist der Sinn dieses Beitrages, obwohl dieses Thema nicht zu einem Jubeltag – dem Gipfelpunkt seines Berufslebens – passen will. Dieser Beitrag folgt der Genealogie der Finanzkrise, also den folgenden Abläufen: 1) Zunächst wird die Immobilienkrise aus notleidenden Hypothekendarlehen, entstanden vor allen Dingen im amerikanischen Süden und Westen, behandelt. 2) Die dort gewährten „subprime loans“ wurden vom ersten Gläubiger, nämlich der kreditgewährenden Bank, an weitere Gläubiger abgetreten. 3) Hernach wurden von Investmentbanken und anderen Institutionen diese Kredite gebündelt und/oder zusammengefasst, um diese Kreditpakete handelbar zu machen und aus ihnen verbriefte Wertpapiere herzustellen. 4) Sodann wurden diese Wertpapiere verkauft und zwar mit Schwerpunkt USA, Großbritannien, Schweiz und Deutschland. 5) Nach dem Zusammenbruch des OTC-Marktes waren die Folgen aufzuarbeiten. Die hier in diesem Beitrag verfolgte Linie besteht darin, zu hinterfragen, ob es möglich ist, durch in diese Abfolge einwirkende Einzelverbote des Gesetzgebers möglicherweise solche Krisen in Zukunft zu verhindern, aber die soziale Marktwirtschaft dennoch aufrecht zu erhalten1. Der Beitrag geht aus von der Erkenntnis, dass durch gutes Zureden und moralische Appelle eine Wiederholung der Krise nicht erreichbar ist, was nicht näher begründet werden muss. Ohne einschneidende Gesetze gibt es keine dauerhafte Lösung. Wo der Gesetzgeber ansetzen sollte ist die hier gestellte Frage. Dies ist die Ausgangsposition dieses Beitrages. Es ist auch klar, dass die hier gelieferte Entwicklungsgeschichte der Finanzkrise seit 2007 bis in viele, nicht absehbare Folgejahre holzschnittartig ausfallen muss und im Rahmen eines Festschriftbeitrages nicht auf jedes Detail eingegangen werden kann2.
__________ 1 Übersicht über andere Krisenvermeidungs- und Verbesserungsvorschläge vgl. Hopt, Auf dem Wege zu einer neuen europäischen und internationalen Finanzarchitektur, WfG 36/2009, S. 1401 ff.; Rudolph, Die Internationale Finanzkrise, ZGR 2010, 26 ff., präsentiert einen eigenen Vorschlag und liefert eine breite Übersicht über alle ihm bekannten Lösungs- und Reformvorschläge. 2 Weiterführende Literatur zur Finanzkrise: 79. Jahresbericht der Bank für internationalen Zahlungsausgleich vom 1.4.2008 bis 31.3.2009, Basel; Basel-Committee und Banking Supervision, Consultive Document Report and Recommendations of the Cross Border Bank Resolution Group, September 2009; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Die Finanzkrise meistern – Wachstumskräfte stärken, Jahresgutachten 2008/2009, Kapitel IV, 2008; Bayrischer Finanzgipfel, Neuausrichtung der Regulierung – Lehren aus der Finanzkrise München 3.11.2009; 63. Deutscher Betriebswirtschaftertag Frankfurt, Oktober 2009. Ausgewählte Einzelbeiträge: Sinn, Kasino-Kapitalismus, 2009; Henkel, Die Abwracker, 2009; Schäfer/Zeller, Finanzkrise, Risikomodelle, BB 2009, 1706; Berens/Blome, Agie-
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1. Die „subprime loans“ nach US-amerikanischem Recht Der politische Hintergrund dieser Kreditgewährung liegt in der Seele der Demokratischen Partei der Vereinigten Staaten. Die Demokratische Partei verfolgt seit jeher den Ansatz, dass es für jeden Bürger der USA einen Anspruch auf ein Eigenheim gibt und die Gesellschaft die Verpflichtung habe, diesen Anspruch zu erfüllen. Die Demokratischen Präsidenten seit Carter über Clinton bis zu Obama haben ihre politische Karriere von ihren Anfängen – meistens als Anwälte – mit diesen Versprechen unterlegt, dass auch mittellose Bürger einen Anspruch auf ein Eigenheim haben. Dies zu verweigern wäre diskriminierend und gegen die Minderheitenförderungspolitik. Deshalb haben in den USA Personen ohne Vermögen und ohne Einkommen – die sogenannten NI/NA3 – ein Recht auf Eigenheim. Wenn dieser politische Ansatz zusammentrifft mit dem schlichten Profitdenken der kreditgewährenden ersten Gläubigerbank, die diesen Kredit herausgibt und unverzüglich die Forderung an einen Dritten abtritt, also sie kein nennenswertes Risiko trifft aber politischen Beifall erntet, dann ist für einen deutschen Juristen dieser Ansatz nicht einfach nachzuvollziehen. Das deutsche Pfandbrief-Gesetz von 2005 sieht die Stellung von Krediten bis zur maximalen Höhe von 80 % des Beleihungswertes vor. Das deutsche Pfandbriefgesetz kennt keine „without recourse“-Klauseln. Die deutsche Rechtskultur sieht in dem Eigentum eines Eigenheimes die Frucht eines erfolgreichen Arbeitslebens und nicht als ein Minderheiten- oder gar als ein allgemeines Menschenrecht. Die Kluft zwischen den beiden Rechtssystemen ist insoweit unüberbrückbar. Weder können die Deutschen das deutsche Pfandbrief-Gesetz und seine Regelungen in der praktischen Rechtsanwendung den Amerikanern zur Rezeption ernsthaft andienen, noch erscheint es rechtlich möglich, in einer freien Wirtschaft den deutschen Finanzinstitutionen den Kauf von „subprime loans“ zu verbieten. Denn ein solches Verbot würde als Einschränkung der freien Berufsausübung gesehen werden, was nur im Rahmen des KWG möglich ist, und das KWG kennt in der Regel nicht den Begriff des Kreditverbotes, sondern schränkt zu hohe Kredite (Klumpenrisiken) ein durch die Herstellung eines Verhältnisses von Eigenkapital zum Kreditvolumen und gebietet verschiedene Meldepflichten4. Diese bankaufsichtsrechtlichen regulativen Vorgaben sollen verändert, nämlich erhöht werden, insbesondere eine höhere Unterlegung durch Eigenkapital wird von allen Gremien und Gipfeltreffen vorgeschlagen5. Diese Überlegungen
__________ ren – nicht reagieren, AG-Report 2009, 62–63; Peltzer, Aufsichtsrathaftung in Zeiten der Finanzkrise, Der Aufsichtsrat 2009, 65; Claussen, Wege aus der Finanzkrise, DB 2009, 999; Rudolph, Die Internationale Finanzkrise, ZGR 2010, 1–47. 3 Citizen with No income and No assets. 4 Siehe §§ 10–22 KWG; danach hat das Kernkapital 4 % und das Gesamtkapital mindestens 8 % der risikogewichteten Aktiva, also vornehmlich der Kredite, zu betragen. Ergänzungskapital ist nur bis zur Höhe des Kernkapitals erlaubt. 5 So schon vom G7 der Finanzminister vom 11.10.2008, dem G20 Gipfel in Washington vom 12.11.2008 + 2.4.2009; Group of Thirty, G30 vom 15.1.2009; „Ordnungsrahmen der Finanzwirtschaft“ Punkt 3 vom 18.3.2010. Speziell über die angedachten Aufsichtssysteme Hopt, NZG 2009, 1401, 1405.
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befinden sich sowohl auf nationaler wie auf europäischer und internationaler Basis in der Diskussion. Zielführende präzise Vertiefungen zu diesem Komplex – etwa ausgereifte Gesetzesvorschläge – sind noch nicht erkennbar. Inwieweit diese Kapitalmehranforderungen mit den konjunkturbedingten Anregungen an Banken zu Kreditausweitungen im Streit liegen und es angeraten sein lassen, die gewünschten erhöhten Kapitalquoten erst zu einem späteren Zeitpunkt wirksam werden zu lassen, ist anzunehmen, aber nicht zu beweisen. Für die in diesem Beitrag vertretene Linie danach zu suchen, wo es ein Einsatzfeld für den deutschen Gesetzgeber gibt, Finanzkrisen nach dem Muster von 2007 ff. zu vermeiden, bieten die „subprime loans“ keinen Ansatz. 2. Abtretung vom ersten Gläubiger an weitere Gläubiger Die Übertragung von Forderungen aus einer Hypothekengewährung ist in den USA in der Regel vertragsrechtlich gelöst worden und zwar zwischen dem alten und dem neuen Gläubiger. Die Zustimmung des Schuldners war dazu in der Regel nicht erforderlich. Dass den amerikanischen ersten HypothekenGläubigern heute der Vorhalt gemacht wird, sie hätten in dem Zielkonflikt zwischen öffentlicher und politischer Hypothekengewährungs“verpflichtung“ und dem herkömmlichen Risikobewusstsein für die eigenen Kredite den Ausweg gesucht, die Subprime-Kredite zwar zu gewähren, aber unverzüglich an einen anderen abzutreten, um von dem Risiko befreit zu werden, ist eine, die Zulässigkeit der Forderungsabtretung nicht ändernde Argumentation. Diese Freizügigkeit im Auswechseln von Gläubigern ist nicht nur für das amerikanische Recht kennzeichnend, sondern auch für das deutsche Recht. Nach deutschem Recht ist die Abtretung einer Forderung von einem Gläubiger auf den nächsten Gläubiger zulässig. Sie bedarf keiner Form, kann sogar stillschweigend abgeschlossen werden6. Diese Übertragung von Forderungen nach §§ 398 ff. BGB ist ein traditionelles Rechtsgut, das es zu bewahren gilt. So sind auch hier keine Ansatzpunkte erkennbar, wie man auf diesem Felde zukünftiger Finanzkrisen durch gesetzliche Maßnahmen in der Zukunft Herr werden könnte. 3. Die Bündelung und Verbriefung von Einzelforderungen Die Bündelung einer Fülle von tausenden von Hypothekendarlehensforderungen durch Investmentbanken oder andere Finanzinstitutionen ist eine Erfindung der amerikanischen Bank- und Rechtspraxis7. Diese Vielzahl von Hypothekendarlehensforderungen wurde durch Investmentbanken oder andere Finanzinstitutionen gebündelt und sodann verbrieft. Es wurden auf diesem Wege handelbare Wertpapiere hergestellt. Will man diese Methodik rechtswissenschaftlich nach deutschem Recht analysieren, so ist wohl am ersten an
__________ 6 BGH in NJW 1997, 729. 7 Lutter hat als Erfinden den amerikanischen Salomonbanker Lewis Ranieri identifiziert, ZIP 2009, 197.
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das Recht der Übertragung von Forderungen nach §§ 398 ff. BGB zu denken. Dieses Rechtsinstitut ist nach seiner ursprünglichen Sinngebung darauf ausgerichtet, einen alten Gläubiger gegen einen neuen Gläubiger auszutauschen. Die Idee, dass anstelle eines ersten Gläubigers ein Kollektiv von neuen Gläubigern tritt und eine Einzelforderung durch Fülle von Einzelforderungen mit nicht mehr identifizierbaren Einzelschicksalen ersetzt wird, verstößt zunächst nicht gegen deutsches Gesetzesrecht, sondern bewegt sich im Rahmen der zulässigen freien Vertragsgestaltung8. Zu fragen ist, ob die Bündelung von amerikanischen Krediten in diesen Körben an der deutschen Rechtsidee der §§ 398 ff. BGB ausgerichtet ist, oder ob eine Neuerfindung hierfür Pate gestanden hat, also um ein juristisches „Unikat“. Jedenfalls ist nach hiesiger Kenntnis nur selten in den über die Bündelung von Hypothekendarlehen und Verbriefungen in Europa geschlossenen Verträgen deutsches Recht für anwendbar erklärt worden, sondern wohl überwiegend englisches Recht. Man muss überdies immer im Auge haben, dass es sich bei der Bündelung um eine rechtliche Novität handelt, die in den USA ihre Heimat hat und in Deutschland zwar unbekannt war, aber nicht von vornherein für unzulässig erklärt werden kann, weil der Grundsatz der Kapitalverkehrsfreiheit gilt. Deshalb folgt aus dieser Ableitung aus §§ 398 ff. BGB für die dieser Arbeit zugrunde liegende Idee durch Verbot eines Gliedes aus der Genealogie der Entstehung der jetzigen Finanzkrise Wiederholungen von Finanzkrisen auszuschließen, dass dieser Gedanke bei der Bündelung der Forderungen nicht zum gewünschten Ziel führt9, durch Verbote der Bündelung neue Krisen zu verhindern. Auf die Bündelung erfolgte die Verbriefung. Dieses Verbriefungsgeschäft nahm gigantische Ausmaße an: 2001 waren es noch 6 % von „subprime loans“ und diesen artverwandte alte „A“-Kredite, die verbrieft wurden. Bis zum Ausbruch der Krise in 2006 machten die Verbriefungen schon mehr als 40 % dieser in Amerika ausstehenden Kredite10 aus. Diese Verbriefung, also die Schaffung von Wertpapieren, erfolgten grundsätzlich nach Vertragsrecht11. Über diesem Vertragsrecht muss eine rechtliche Ordnung eines Staates schweben, der über die Legitimität, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit der vertraglichen Regeln entscheidet. Für das insoweit anwendbare Gesetzesrecht galt nach hiesigem Eindruck das Recht des Landes, das die stärkste Placierung der aus den Verbriefungen hervorgegangenen Wertpapiere versprach, also eines der angelsächsischen Rechte.
__________ 8 Positiv äußert sich Stürmer, ZHR 173 (2009), 369 zur Abtretbarkeit von Darlehensforderungen und sagt, die „Abtretbarkeit als Grundsatz ist für Darlehensforderungen einer Bank unbedingt aufrecht zu erhalten“. 9 Vgl. zum Ganzen Stürmer, ZHR 173 (2009), 363; Weilinger, Zur Bündelung und Vertreibung von Forderungen in Anleihen, FS Loitlsberger, 1991, S. 475–499. 10 Quelle: Inside Mortgage Finance, The 2007 Mortgage Market Statistical Annual. Zitiert nach Ashcraft und Fürmann, Understanding of the Securitization of Subprime Mortgage Credit, Federal Reserve Bank of New York 2008, Staff Report 318, März 2008. 11 Hierbei handelt es sich um voluminöse Vertragswerke in Juristen-Englisch, bis zu 700 Seiten.
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Deshalb brauchen wir hier auf die deutschen Wertpapierbegriffe nicht weiter einzugehen, weil deutsches Recht mit seinen Begrifflichkeiten, die das deutsche Wertpapierrecht zur Analyse dieses Begriffes geschaffen hat – wie Transport- und Legitimationsfunktion12 auch Liberationsfunktion – nicht einschlägig sind. Hinzu kommt, dass neben den genannten Voraussetzungen, unter denen Wertpapiere nach deutschem Recht geschaffen werden, auch die Zulassungsvoraussetzung zum regulierten Markt gem. §§ 32 Abs. 1 ff. BörsG13 nach deutschem Recht bei diesen Verbriefungen ausgeschlossen sind. Denn in den hier bekannten Fällen wurden die aus der Verbriefung von Subprime-loan-Bündeln u. a. hervorgegangenen Wertpapiere dem außerbörslichen Auftragshandel „Over The Counter“ (OTC-Handel) zugeführt. Dieser außerbörsliche Handel fand am Telefon oder Internet oder über ähnliche Kommunikationsmittel statt. Das außerbörsliche Massengeschäft erfolgte teilweise auch über ein multilaterales Handelssystem, das in § 2 Abs. 2 Ziffer 8 WpHG als Wertpapierdienstleistung im deutschen Recht verankert ist und im aufsichtsrechtlichen Sinne von § 1 Abs. 1a, Satz 2 Ziffer 1b KWG geordnet ist. Die hier behandelten Wertpapiere – genannt Asset-Backed-Securities oder auch Mortgage-Backed-Securities – wurden international, also über die Grenzen gehandelt, oder nur im Ausland. So kam deutsches Recht weder für eine Zulassung dieser Wertpapiere zum deutschen regulierten Handel, noch für den Handel der Asset-Backed-Securities zur Anwendung, weil weder die Zulassung zum Börsenhandel, noch die Einführung in den Börsenhandel gewollt war. Hieraus sind keine negativen Schlussfolgerungen zu ziehen14. Denn nach § 9a Depot-Gesetz war es auch nach deutschem Recht – und ist es weiterhin – zulässig, Global-Urkunden, in denen mehrere Rechte verbrieft sind, in einem Wertpapier zusammenfassend zu dokumentieren. Die Bündelung und Verbriefung, für die sich die Amerikaner als Erfinder ausgeben, war schon in Deutschland lange bekannt und Gegenstand von gesetzlicher Regelung15. Auch aus unternehmerischer Sicht ist die Verbriefung und die spätere Handelbarkeit von Asset-Backed-Securities nicht nur negativ zu sehen, sondern ein nützliches Instrument, das geeignet ist, das unternehmerische Risiko aufzuteilen und die Risikobasis auf viele Schultern zu verteilen. Dieses Prinzip der Risikominderung durch erhebliche Vergrößerung der Risikoträger ist positiv zu werten. Dies entspricht dem Prinzip des Versicherungsgeschäftes16, also
__________ 12 Ekkenga in MünchKomm.HGB, Band 5, 2. Aufl. 2009, Abteilung Effektengeschäft Rz. 26, 27 bis 36. 13 Einzelheiten hierzu siehe Bröcker in Claussen, Bank- und Börsenrecht, 4. Aufl. 2008, § 6 Rz. 47 ff. 14 Zust. Stürner, ZHR 173 (2009), 365, der aber zutreffend mit Zurückhaltung auf True Sale-Modelle reagiert, bei denen nur die emittierende Zweckgesellschaft für die Bonität der Darlehensbündel haftet und nicht der „Originator“. 15 Die Geschichte der Global- und Sammelurkunde referiert Than, FS Heinsius schon 1991, S. 812; vgl. auch Einsele in MünchKomm.HGB, Band 5, 1. Aufl. 2001, Depotgeschäft Rz. 49 ff. 16 Sinn, Kasino-Kapitalismus, 2009, S. 129.
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einer hochbedeutsamen Dienstleistungsbranche in allen westlichen Industriestaaten. Voraussetzung für eine solche positive Bewertung der Verbriefung ist der Originator, nämlich der eigentliche Emittent der Asset-Backed-Securities, weil Chancen und Risiken bei ihm liegen, so § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB17, der also die Verantwortung für die Emission trägt. Dieser Originator sollte von seriöser Statur sein und seiner Verantwortung entsprechendes Kapital zur Verfügung haben. Daran hat es gemangelt. In die Finanzkrise führten Zweckgesellschaften, die als Emittenten – also als Originatoren – wenig Kapital und wenig Reputation aufzubieten hatten mit der Folge, dass die Emittenten beim ersten Ansturm von Verkaufsorders den Markt sich selbst überließen, d. h., dass Verkaufsorders ohne Nachfrage blieben. Dies wieder hatte zum Ergebnis, dass weltweit Verluste in Höhe von angeblichen gesamtwirtschaftlichen 100 Billionen $ entstanden, und zwar 4,1 Billionen hiervon als ursprüngliche Aktienverluste18. Zusammenfassend gilt: Da deutsches Recht in diesem Verbriefungs- und Platzierungsgeschäft nicht angesprochen ist, besteht für den deutschen Gesetzgeber keine Möglichkeit durch Gesetzesänderungen, Verbote oder neue Regulierungen, auf dieses Rechtsfeld einzuwirken. Dies gilt insbesondere für die in den USA, in London oder sonst wo praktizierten Verbriefungskaskaden rund um die amerikanischen Hypothekenbanken, wie z. B. Fannie Mac und Freddie Mac. Da ein Einschreiten des deutschen Gesetzgebers oder des Europäischen Gesetzgebers in diesem Feld keine Möglichkeit ist, brauchen wir hier auf die weiteren Einzelheiten der Verbriefung, z. B. durch „collateralized debt obligations“ und „spezial purpose vehicles“ nicht weiter einzugehen. Hierzu kann auf die weiterführende Literatur verwiesen werden19. Auch stellt sich nicht die Frage, ob eine Neuordnung des deutschen Rechtes der Forderungsabtretung und der Verbriefung erwünscht und vorstellbar wäre. 4. Verkauf der Wertpapiere Diese neuen Wertpapiere – die ABS (Asset-Backed-Securities) und MBS (Mortgage-Backed-Securities) – bestehend aus den geschilderten Forderungsgesamtheiten, angereichert durch eine Kreditausfallversicherung – den Credit Default Swaps, CDS – durch den Prozess der Verbriefung, auch Collateral Debt Obligations genannt20, sollten vertrieben werden. Zu diesem Zweck wurden sie einem offenen unregulierten Markt zugeführt. Dies war ein extrem erfolgreiches Going Public: In nur 13 Jahren wurde von Null ein Markt weltweit in CDO-
__________ 17 HGB in der Fassung des BilMoG v. Mai 2009, BGBl. I 2009, S. 1102; vgl. unten Abschnitt 4. 18 Internationaler Währungsfond Schätzung von April 2009. Die Angaben schwanken. 19 Z. B. Sinn, Kasino-Kapitalismus, 2009, S. 132–133. 20 Die Inhalte dieser CDO-Papiere wurden in Tranchen unterteilt und zwar vertikal und horizontal in einer Fülle von Spielarten, die die unterschiedliche Bonität der Basiswerte reflektieren sollten – für den Ansatz dieses Beitrages kein entscheidendes Thema.
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Papieren von 2024 Milliarden US-Dollar aufgebaut21. Deutsche Banken waren nicht zu knapp an diesen Käufen beteiligt22. Dass diese Wertpapiere einen solch gigantischen Markt erreichten und aufbauten, erklärt sich im Wesentlichen aus drei Gründen: Erstens, weil dieser Ankauf große Beträge mobilisierte, die einen hohen Zins einbrachten. Diese hohe Rentabilität brachte zugleich eine hohe Bonifikation für die Geschäftsbetreiber. Zweitens, weil diese Titel durch die Rating-Agenturen hoch bewertet wurden und zwar in der Regel mit AAA. Im Einzelnen ist hier auf diese Rating-Agenturen und deren Problematik nicht näher einzugehen, weil es hierüber ausreichend Literatur gibt und nicht im Fokus dieses Beitrages liegt. Auch sind die Rating-Agenturen Rechtsänderungen unterworfen durch staatliche Reglementierung und ausgeweitete Aufsicht. Dieses Rechtsfeld scheint in den USA fortgeschrittener als andere, der Reform harrenden Rechtsfelder. Ob das Ratingthema und die Rating-Agenturen eine neue reformierte Ausrichtung erfahren durch eine neue wettbewerbtreibende europäische Agentur, die von den Emittenten nicht bezahlt wird und den US-amerikanischen Rating-Agenturen an die Seite gestellt wird23, ob dieses Reformvorhaben sich realisieren lässt, steht dahin. Drittens: Die Ankäufe von ABS oder MBS hatten den „Vorteil“ für Finanzinstitute, dass diese Wertpapierkäufe nicht bilanzwirksam wurden, weil die Zweckgesellschaften oder Spezial Units oder Conduits nicht in das Rechenwerk der Muttergesellschaften aufzunehmen waren. Das ist hier das zentrale Thema. Zu 1.: Die hohe Rentabilität dieser CDOs war für die kaufenden Finanzhäuser24 eine Kaufattraktion. Neben der hohen Rentabilität sprach für Ankauf die großen Volumina, die mit kleinem personellen Apparat bearbeitet werden konnten. Wenn die kaufenden Banken an Stelle der CDOs selbst hätten Hypothekendarlehen gewähren wollen, hätten sie viel größere und andere Organisationen benötigt. Diese hohe Rentabilität der CDOs hatte personelle Konsequenzen, sie regulierte nämlich die Managervergütung. Die Managergehälter wurden schon vor der Krise als teilweise sehr hoch angesehen und jedenfalls in der sozialpolitischen Betrachtung als problematisch. Da für solche personenbezogenen Fragestellungen immer mehr und viel breiteres Interesse in der Bevölkerung herrscht als für sachbezogene Probleme, ist die Beschäftigung mit den überhöhten Managervergütungen ein emotionsbelastetes Thema und viel diskutiert. So
__________ 21 Securities Industry and Financial Markets Association SIFMA Global CDO, mit Fortschreibung durch das Info-Institut, online verfügbar. 22 Best/Brennan/Semder, German Banks Subprime Mortgages, Vehicles, Standard Poors Ratings Divert, 2007. 23 Vgl. Claussen in FS DVFA, Frankfurt/M. 2010, S. 363 ff.; Claussen in FS Hopt, Bd. 2, 2010, S. 1695 ff. 24 Von deutschen Banken sind insgesamt für 300 Milliarden Euro diese CDOs gekauft worden; die deutschen Landesbanken haben für mehr als 100 Milliarden Euro diese Papiere gekauft.
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schuf deutsche Corporate Governance im Jahr 2008 mit den Regelungen 4.2.1 bis 4.2.5 und den Ergebnissen der Beschlusssitzung vom 29.6.2009 einen auf Nachhaltigkeit der variablen Gehaltsbestandteile, die in Aktienoptionen gewährt werden, einen die Rechtsideen des VorstAG aufgreifenden Rahmen25. Die Europäische Kommission ist bereits 2005 mit Vorschlägen zur Höhe der Managervergütung hervorgetreten26. Auch ECOFIN und das Financial Stabillity Forum (FSF)27 machten Vorschläge. Der Gipfel G20, das European Corporate Governance Forum28 beschäftigen sich mit dem Thema „Managervergütung in Deutschland“. Zum vorläufigen Abschluss kam die Debatte durch den Gesetzgeber: Es gibt seit dem 31.7.2009 das „Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung“, wie bereits erwähnt. Dieses Gesetz sieht keine Deckelung der Managervergütung vor, auch keine Deckelung der Bonifikationen. Aber das Gesetz bricht mit Verhaltensanreizen, nämlich dass die Manager für die Erreichung von kurzfristigen Zielen im Ertrag hohe Bonifikationen erhalten, und, um diese hohen Erträge zu erwirtschaften, hohe Risiken eingehen, z. B. in großem Umfang CDOs und andere schwächelnde Wertpapiere kaufen. Dabei wird die Nachhaltigkeit der Ertragserzielung vernachlässigt und der längerfristige Aspekt des Unternehmenswohls aus dem Blick verloren. Darüber ist eine breite Diskussion in Gange29. Ob die Vorgaben dieses Gesetzes, nämlich die langfristige Orientierung bei den Bonifikationen, Ergänzung des Bonussystems durch ein Malussystem und der Anknüpfung an eine mehrjährige Gesamtkapitalrendite30 und der Ausdehnung der Wartefristen von zwei auf vier Jahre in § 194 Abs. 2 Nr. 3 AktG bei den Stock-Optionen, Erfolg haben oder nicht, bleibt abzuwarten. Überzogene Erwartungen werden möglicherweise enttäuscht werden. Denn es scheint so zu sein, dass die Fixgehälter zu Lasten des variablen Teils steigen, dass die Gesamtvergütungen von DAX-Vorständen im nicht sehr günstigen Geschäftsjahr 2009 bei über 2 Mio. Euro bleiben, mit etwa 12 Spitzen für die Vorstandsvorsitzenden, die nahezu zweistellige Millionenbeträge verdienten. Dass von dieser Neuregelung der Managergehälter eine dämpfende Wirkung auf das Eingehen von Risiken im Wertpapier- und Kreditgeschäft ausgeht, ist zu hoffen, verlangt aber eine rechtzeitige Kenntnis über die in CDOs enthaltenen Risiken, woran es in der gegenwärtigen Krise gefehlt hat. Jedenfalls sind zu diesem Aspekt der Managervergütung keine neuen Vorschläge zu machen, ob überhaupt, und wenn ja, wie der deutsche Gesetzgeber operieren sollte. Dieses Rechtsfeld muss der Aufsichtsrat verantwortlich regeln, der Gesetzgeber ist hierzu nur in engsten Grenzen berufen.
__________ 25 Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), BGBl. I 2009, S. 2509. 26 Commission Recommendations, completing Recommendations 2005/162/EC und vom 30.4.2009 und Empfehlungen für den Finanzdienstleistungssektor vom 30.4.2009. 27 FSF Principles for Sound Renumeration Practice vom 2.4.2009. 28 Forum European Corporate Governance Director Renumeration vom 15.3.2009. 29 Seibert, DB 2009, 1168, mit Hinweis auf die amtl. Begründung des VorstAG und mit umfangreichen Literaturhinweisen; Thüsing, AG 2009, 517; Fleischer, AG 2009, 677. 30 So praktiziert für 2009 von der BASF.
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Zu 2.: Die Rating-Agenturen übten eine starke verkaufsfördernde Wirkung als nahezu staatlich autorisierte Wertfeststeller aus. Viele, nach Literaturstimmen nur manche, meinen beinahe, alle CDOs wurden anfangs mit AAA bewertet. Diese Bewertungen stellten sich in vielen Fällen als Irrtum heraus. Hierüber ist viel geschrieben worden31, die Reorganisation liegt in den USA. Für den Ansatz dieses Beitrages ist dieses Thema ungeeignet. Zu 3.: Wichtig, aber in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt, ist, dass die vermeintliche Attraktion des Kaufs von CDOs oder sonstigen Kreditbündeln, die in Zweckgesellschaften zusammengefasst sind, durch deutsche und andere Kreditinstitute darin bestand, dass die Eventualschuld nicht zu konsolidieren war. Vehikel zu dieser Zielerreichung war eine ausländische Rechtsperson, eine Zweckgesellschaft. Diese Zweckgesellschaften gaben Credit Linked Notes aus, bestehend aus tausenden von Darlehen, die in einem Referenz-Portfolio zusammengefasst und mit einem Kreditsicherungs-Swap in eine „Spezial Purpose Corporation“ – ein anderer Ausdruck für Zweckgesellschaft – eingebracht wurden, wie wir hier kurz, holzschnittartig und vereinfacht darstellen wollen, wie für einen Festschrift-Beitrag angemessen. Dieses Produkt der freien Rechtschöpfung nannte man neben dem Ausdruck „Zweckgesellschaft“ „Spezial Purpose Companies“ auch „Single Purpose Corporation“ oder „Conduits“. Obgleich eine greifbare juristische Bindung zu einer Muttergesellschaft, die in jedem Fall einklagbar wäre, nicht erkennbar war, konnten die Zweckgesellschaften sich am offenen Kapitalmarkt am Over-theCounter-Markt refinanzieren. Den Wunsch nach Nicht-Konsolidierung der Verbindlichkeiten dieser Zweckgesellschaften im Rechenwerk der Muttergesellschaften – nicht im Sinn des Konzernrechts, aber bei wirtschaftlicher Betrachtung – wurde in Deutschland damit erklärt, dass §§ 290 ff. HGB a. F. die Aufstellung einer Konzernbilanz nur bei einer einheitlichen Leitung der Unternehmen im Konzern – so § 290 Abs. 1 HGB a. F. – vorsah oder bei einem Beteiligungsbesitz der Mehrheit der Stimmrechte, bei Erfüllung des ControlPrinzips nach § 290 Abs. 2 HGB a. F. Beides lag anfangs nach verbreiteter Meinung nicht vor32, was sich hernach als Teil der „Finanzkrise“ erwies. Dabei hätte sowohl eine Konsolidierungspflicht nach dem Control-Prinzip und dem Konzept der einheitlichen Leitung nach § 290 Abs. 1 HGB a. F., sowie die Generalklauseln in § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB und in § 297 Abs. 2 Satz 2 HGB und nicht auch nach Sondervorschriften über die Rechnungslegung von Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten ein Nachdenken über die Konsolidierung nahegelegt. Denn ist es nicht der Sinn die Rechnungslegung, dem Bilanzleser alle Schulden des Unternehmens klar zu machen? Diese Argu-
__________ 31 Z. B. in Sinn, Kasino-Kapitalismus, 2009, S. 61, auch S. 306–308; Andrien, Ratingagenturen in der Krise, 2010. Claussen in FS DVFH, Frankfurt/M. 2010, S. 363 ff. 32 Vgl. Hoyos/Ritter-Thiele in Beck BilKom., 6. Aufl. 2006, § 290 Rz. 31; Findeisen/ Ross, DB 1999, 2224; Schroff/Rothenburger, WPg 2002, 756; Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl., thematisiert die Zweckgesellschaften noch nicht; für Konsolidierungspflicht Claussen, DB 2009, 999.
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mente hätten für eine Sensibilität in der Konsolidierungsfrage angeführt werden können. Das ist nicht geschehen. Die Konsolidierung der Zweckgesellschaften unterblieb, was kritisch vermerkt wurde33. Diese Nicht-Konsolidierung war Teil des überraschten Erwachens der Aufsichtsbehörden, der Aufsichtsräte, aber auch der Öffentlichkeit, welche Risiken bei den Kreditinstituten schlummerten und weder den Eigentümern noch den Aufsichtsbehörden zur Kenntnis gebracht wurden. Weitere Folge der Nicht-Konsolidierung war, dass die das Kreditvolumen steuernden Richtsätze des KWG auf diese Weise ausgehebelt wurden. Nun ist die Nicht-Konsolidierung nicht unmittelbar ein alleiniges schadenstiftendes Ereignis, das eine Krise hervorruft. Aber eine Mit-Ursache für die Verluste der Finanzkrise ist dieser fehlenden Transparenz zuzuschreiben. Denn hätte diese Transparenz schon seit Anfang des Jahrhunderts gegolten34, wären die Aufsichtsräte und Aufsichtsbehörden der Problematik gewahr geworden und hätten den Managern der Banken Restriktionen im Ankauf von CDOs und in der Bildung von Zweckgesellschaften auferlegen können. Die Aufsichtsbehörden hätten ähnliche aufsichtsrechtliche Maßnahmen ergreifen können und dadurch den Verlust aus der Finanzkrise vermindern können. 5. Aufarbeitung der Folgen Dies alles ist längst Geschichte: Nur die Vermögensverluste, die die Krise bescherte, sind geblieben. Solche Verluste für die Zukunft zu verhindern, hat der Deutsche Bundestag sich mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz vom 25.4.200935 auf seine Fahnen geschrieben. Dieser Ansatz war weder im Referentenentwurf noch im Regierungsentwurf zu einem BilMoG enthalten, sondern kam erst in den parlamentarischen Beratungen, insbesondere durch den Rechtsausschuss des Bundestages in das Gesetz. § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB wurde neu geschrieben mit dem Ziel, so weit wie möglich die Zweckgesellschaften in den Konsolidierungskreis einzubeziehen. Dies war keine sonderlich publikumswirksame Tat des Gesetzgebers, aber verdienstvoll und würdig, deutlicher in der Öffentlichkeit als ein großer Rechtsfortschritt anerkannt zu werden. Im Einzelnen gilt seit Mai 2009 Folgendes: Die Auslagerung von Risiken des Konzerns aus dem handelsrechtlichen Jahres- und Konzernabschluss soll so weit als möglich eingeschränkt werden36. Dies geschieht in der Weise, dass Muttergesellschaften im konzernrechtlichen Sinn auch Zweckgesellschaften
__________ 33 Hoyos/Ritter-Thiele in Beck BilKom., 6. Aufl. 2006, § 290 Rz. 32 und 33; im Ergebnis wohl zust. Scheffler, AG-Report 2009, R 222; auch Velbert, DB 2009, 1167; Claussen, DB 2009, 999. 34 Damals traten die Schadensfälle Enron und WorldCom ein, die weltweit diskutiert wurden, aus denen zum Thema Konsolidierung aber keine Folgerungen gezogen wurden. 35 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (BilMoG), BGBl. I 2009, S. 1102. 36 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 16/12407, S. 187.
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sein können. Nach der Definition von § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB in der Fassung vom Mai 2009 ist ein Unternehmen als Zweckgesellschaft zu klassifizieren, wenn sein Geschäftsbetrieb zur Erreichung eines eng begrenzten und genau definierten Ziels des Mutterunternehmens dient und die Mehrheit der Risiken und Chancen dem Mutterunternehmen überlässt. Ob diese Definition auf ein Mutterunternehmen und sein Tochterunternehmen zutrifft, ergibt eine „wirtschaftliche Betrachtung“. Für ein solches genau definiertes Ziel, was das Mutterunternehmen will und die Zweckgesellschaft soll, geben die Satzung, schuldrechtliche Verträge und auch mündliche Abreden Auskunft37. Das konzernrechtliche Argument für die Einbeziehung in einen Konzernabschluss ist, dass ein Mutterunternehmen auf ein anderes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Ob das Mutterunternehmen diesen Einfluss ausübt oder nicht, ist nicht mehr relevant38. Vielmehr ist nach § 290 Abs. 1 Satz 1 HGB und Artikel 1 Abs. 2 lit. a der Konzernbilanzrichtlinie dieser Einfluss dann als gegeben anzusehen, wenn ein Unternehmen die Möglichkeit hat, die Finanz- und Geschäftspolitik eines anderen Unternehmens – nämlich der Zweckgesellschaft – zu bestimmen, um aus deren Tätigkeit Nutzen zu ziehen39. Weiteres Tatbestandsmerkmal ist, wie schon erwähnt, die „wirtschaftliche Betrachtung“. Dies ist ein Tatbestandsmerkmal, das sich nicht unmittelbar erschließt, auch nicht objektiv feststellbar ist und nachprüfbar ist, nämlich ein unbestimmter Rechtsbegriff. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff ist nach dem Willen des Gesetzgebers darauf gerichtet, in einen „weitest möglichen Umfang auch Zweckgesellschaften in den Konsolidierungskreis einzubeziehen“40. Konkret wird die Vorschrift dadurch, dass „die Mehrheit“ der Risiken und Chancen bei dem Mutterunternehmen liegen oder ihm zugerechnet werden soll. Bei dieser Zurechnung ist § 290 Abs. 3 HGB zu beachten. Wichtig und das bisher Vorgetragene zusammenfassend ist, dass die Kernvorschrift der seit Mai 2009 geltenden neuen Partien des HGB, nämlich § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB ist. Diese Vorschrift definiert die Zweckgesellschaften und verlangt deren Konsolidierung mit der Muttergesellschaft, ob sie dies will oder nicht, ist unerheblich. Verlangt wird nur die Unternehmensqualität sowohl der Zweckgesellschaft als auch der Muttergesellschaft. Zweckgesellschaften können also Unternehmen und sonstige juristische Personen des Privatrechtes oder selbstständige Sondervermögen des Privatrechtes, z. B. eingetragene Vereine nach § 21 BGB oder rechtsfähige Stiftungen nach § 80 BGB und Investmentkapitalgesellschaften nach § 96 Investitionsgesetz41 sein, aber keine Privatpersonen, die keine Bilanz erstellen, also nicht konsolidierungsfähig sind.
__________ 37 Der Fachausdruck für solche Verpflichtungen ist „Autopilot“, vgl. Gelhausen/Fey/ Kämpfer, Rechnungslegung und Prüfung nach dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, 2009, Rz. 961. 38 Küting/Koch in Küting/Pfitzner/Weber, Das neue Bilanzrecht, 2. Aufl. 2009, S. 384. 39 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/12407, S. 89. 40 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (Fn. 39). 41 Zum Ganzen Gelhausen/Fey/Kämpfer, Rechnungslegung und Prüfung nach dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, 2009, Rz. Q 81–Q 90 ff., S. 484–487.
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Kann der deutsche Gesetzgeber mehr gegen Finanzkrisen tun?
Diese Einbeziehung der Zweckgesellschaften in den Konsolidierungskreis der gesetzlich definierten Muttergesellschaft ist eine Großtat des Gesetzgebers, weil er damit juristisches Neuland betrat, weil er damit das Rechnungslegungsrecht auf eine rechtsgestaltende Ebene hob und damit diesem häufig geschmähten Rechtsgebiet einen nachhaltigen Dienst erwies. Notabene: Der Gesetzgeber bewies schließlich mit diesem § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB erheblichen Mut, weil er dem einen oder anderen Teilnehmer am Rechts- und Geschäftsleben und seinen Beratern – die beide lange Arme in der Beeinflussung von Politik haben – Geschäftsmöglichkeiten verbietet, an die er sich in der Vorkrisenzeit angenehm gewöhnt hatte. Summa summarum: § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB ist – wie vieles in diesem BilMoG – eine Glanzleistung des deutschen Gesetzgebers! Allerdings bleibt eine offene Flanke: Durch dieses Abstellen des § 290 Abs. 2 Nr. 4 HGB auf die „wirtschaftliche Betrachtungsweise“ ergeben sich Auslegungsspielräume, die nicht nur durch quantitatives Zusammen- oder Auseinanderrechnen zu füllen sind, sondern durch die qualitative Gesamtschau aller Fakten des Einzelfalles42. Mag sein, dass dies ein Ansatzpunkt ist für die Kautelarjurisprudenz, ihre Phantasie auf den Prüfstand zu stellen, um auf diesem Wege der Konsolidierung zu entgehen. Aber ebenso überzeugend ist, dass hier dem deutschen Gesetzgeber eine praktikable Lösung nicht nur eingefallen ist, sondern er diese auch umgesetzt hat, für die es keine bessere und wirksamere und rechtsstaatlich vertretbare Lösung gab. Immerhin geht es hier darum, Strukturfehler unserer Wirtschaftsordnung, nämlich die Nicht-Einbeziehung von Risiken und Schulden, die evident und durchschlagend sein können, in der Konzernbilanz nicht auszumerzen, aber doch jedenfalls transparent zu machen. Das ist schon eine Leistung „to begin with“. Wie sagte doch der Supreme Court Judge Brandís schon vor nahezu 80 Jahren: „Nothing kills bacteries better than sunlight“. Um zur Frage dieses Beitrages zurückzukehren, was der deutsche Gesetzgeber tun kann, um Wiederholungen der Finanzkrise unwahrscheinlich zu machen, lautet die Antwort, dass der Gesetzgeber die Einrichtung von Zweckgesellschaften unattraktiver, weil konsolidierungspflichtig, gemacht hat. Die Gesetzlichkeiten des Marktes haben den Markt für ABS- und CDO-Papiere so schwer belastet, dass dieser Markt nicht mehr existiert. So gesehen hat der deutsche Gesetzgeber zunächst seine Pflicht getan. Die Reformen der Bankenaufsicht, der Kapitalausstattung der Banken mit mehr Eigenmitteln sind überregional zu ordnen, also von der EU oder in Kreise der G-20-Staaten.
II. Schlusssatz So viel zur bruchstückhaften Analyse, was uns die Finanzkrise lehrt und welche Folgerungen wir aus ihr zu ziehen haben. Die Juristen und die Kaufleute
__________ 42 Zustimmend Küting/Koch in Küting/Pfitzner/Weber, Das neue Bilanzrecht, 2. Aufl. 2009, S. 396; Lüdenbach/Heiberg, DB 2009, 1233.
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kommender Generationen werden noch mit diesem überkommenen Erbe ihre fortdauernden Probleme haben. Aber wir wünschen Uwe H. Schneider in den kommenden Jahrzehnten, dass sich ihm ein Ausblick auf ein seriöses und geordnetes Bankwesen und Kapitalmarktwesen eröffnet, wie Moses auf dem Berge Nebo seinem Volk den Blick auf das Gelobte Land eröffnete43.
__________ 43 5. Buch Moses, 34. Kapitel.
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Mitwirkungsrechte der Aktionäre beim Kauf von Unternehmen? Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Mitwirkungsrechte der Aktionäre bei Überschreitung des Unternehmensgegenstandes III. Mitwirkungsrechte der Aktionäre nach den Holzmüller/Gelatine-Grundsätzen? 1. Grundlagen der Holzmüller/ Gelatine-Rechtsprechung 2. Meinungsstand in instanzgerichtlicher Rechtsprechung und Literatur
3. Stellungnahme a) Unternehmenserwerb durch eine konzernleitende Holding b) Erwerb durch eine operativ tätige Gesellschaft aa) Erwerb gegen Aktien (1) Ordentliche Kapitalerhöhung (2) Genehmigtes Kapital bb) Erwerb gegen Aktien und bar cc) Erwerb gegen bar c) Ergebnis
I. Einleitung Die Holzmüller-Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1982, wonach bei grundlegenden Geschäftsführungsentscheidungen, die tief in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre eingreifen, eine ungeschriebene Kompetenz der Hauptversammlung bestehen kann1, hat in der Praxis lange für Unsicherheit gesorgt. In ihrer Folge wurden vielfach wesentliche Ausgliederungsmaßnahmen, Verkaufsfälle oder sonstige grundlegende Maßnahmen wie der Abschluss eines Vertrages über die Zusammenarbeit mit einem neuen Großaktionär zur Zustimmung der Hauptversammlung gestellt. Der Kauf von Unternehmensbeteiligungen wurde dagegen in der Praxis auch bei bedeutenden Unternehmenserwerben regelmäßig nicht zur Zustimmung der Aktionäre gestellt, etwa beim Erwerb vom Hertie durch Karstadt, von Orange durch Mannesmann oder der Dresdner Bank durch die Allianz. Lediglich in Fällen, in denen gleichzeitig eine Satzungsänderung (Änderung der Firma oder des Unternehmensgegenstandes) erfolgte und die Hauptversammlung dementsprechend ohnehin mit dem Vorgang zu befassen war, wurde gleichzeitig die Zustimmung der Hauptversammlung auch zum Unternehmenserwerb eingeholt (vgl. die Erwerbsfälle Tarkett/Bodenbelagsgeschäft Sommer Allibert; Adidas/Salomon).
__________ 1 BGHZ 83, 122, 131, 136, 138 unter Hinweis auf Lutter in FS H. Westermann, 1974, S. 347, 351; Timm, Die AG als Konzernspitze, 1980, S. 135; ebenso bereits zur GmbH vgl. Uwe H. Schneider in Der GmbH-Konzern, 1976, S. 78, 95; für die Personengesellschaft vgl. Uwe H. Schneider in FS Bärmann, 1975, S. 873, 881.
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In den Gelatine-Entscheidungen aus dem Jahre 2004 stellte der BGH klar, dass eine ungeschriebene Mitwirkungskompetenz der Hauptversammlung bei wesentlichen Geschäftsführungsmaßnahmen nur in engen Ausnahmefällen in Betracht kommt2. Im Jahre 2006 entschied der BGH im Rahmen eines Nichtzulassungsbeschlusses, dass die Beteiligungsveräußerung unterhalb der Grenze des § 179a AktG mangels Mediatisierungseffektes keine ungeschriebene Mitwirkungskompetenz der Hauptversammlung auslöse3. Infolge dieser Entscheidungen ist die Befassung der Hauptversammlung börsennotierter Aktiengesellschaften mit wesentlichen Geschäftsführungsmaßnahmen in der Praxis deutlich zurückgegangen. Allerdings besteht in der Praxis immer noch eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der Frage, ob der Erwerb wesentlicher Unternehmen im Einzelfall der Zustimmung der Hauptversammlung bedarf. Die Praxis blieb zwar bei ihrer zurückhaltenden Linie: Beispielsweise wurde weder für den Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung an VW durch Porsche noch für den Erwerb von debitel durch freenet oder den Erwerb der Dresdner Bank durch die Commerzbank die Zustimmung der Hauptversammlung eingeholt. In der Literatur ist das Meinungsbild aber uneinheitlich. Höchstrichterliche Rechtsprechung liegt zu dieser Frage nicht vor. Unlängst hat das Landgericht Frankfurt/M. im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat für den Erwerb der Dresdner Bank durch die Commerzbank die Notwendigkeit einer Befassung der Hauptversammlung bejaht4. Der nachfolgende Beitrag geht der Frage nach, ob der Kauf von Unternehmen eine hauptversammlungspflichtige Maßnahme sein kann. Dabei ist zu unterscheiden zwischen einer Notwendigkeit der Befassung der Hauptversammlung zur Vermeidung einer faktischen Satzungsänderung wegen einer mit dem Erwerb verbundenen Überschreitung des Unternehmensgegenstandes (nachfolgend II.) und dem durch die Satzung der Gesellschaft gedeckten Erwerb wesentlicher Unternehmen nach den Grundsätzen der Holzmüller/Gelatine Rechtsprechung (nachfolgend III.).
II. Mitwirkungsrechte der Aktionäre bei Überschreitung des Unternehmensgegenstandes Der Vorstand ist im Rahmen seiner Geschäftsführung an den statutarischen Unternehmensgegenstand gebunden. Dieser begrenzt im Innenverhältnis die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands, § 82 Abs. 2 AktG. Dementsprechend darf der Vorstand keinen Unternehmenserwerb tätigen, wenn dieser dazu führen würde, dass sich die Gesellschaft außerhalb des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstandes bewegt. Das wäre etwa der Fall beim Erwerb eines branchenfremden Unternehmens, dessen Geschäftstätigkeit nicht durch die Satzung der Erwerbergesellschaft gedeckt ist. Der Erwerb eines solchen Unter-
__________
2 BGHZ 159, 30: Gelatine I; BGH, NZG 2004, 575: Gelatine II. 3 BGH, ZIP 2007, 24. 4 LG Frankfurt/M., BeckRS 2010, 02351 S. 9.
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nehmens führte zu einer Überschreitung des Unternehmensgegenstandes, und damit zu einer unerlaubten, faktischen Satzungsänderung5. Zur Vermeidung eines pflichtwidrigen Verhaltens muss der Vorstand in einem solchen Fall der Hauptversammlung eine Erweiterung des Unternehmensgegenstandes vorschlagen; er wird in diesem Zusammenhang entweder den Unternehmenserwerb gleichzeitig zur Zustimmung der Aktionäre stellen oder die Änderung des Unternehmensgegenstandes mit dem geplanten Unternehmenserwerb begründen. In der Praxis wird es unter dem Aspekt einer Überschreitung des Unternehmensgegenstandes nur selten zu einer Befassung der Hauptversammlung mit dem Unternehmenserwerb kommen. Typischerweise ist der Unternehmensgegenstand weit gefasst und wird daher regelmäßig einen Unternehmenserwerb decken. Dass sich ein Unternehmen mit einem wesentlichen Unternehmenserwerb auf ein ganz neues Betätigungsfeld begibt, ist ohnehin die Ausnahme. Zusätzlich wird verlangt, dass der Unternehmensgegenstand auch die mit dem Erwerb eines Unternehmens verbundene Aufnahme von Konzernleitung abdecken muss6. Derartige Konzernklauseln stellen eine Standardregelung in der Satzung einer Aktiengesellschaft dar. In der Praxis führt die Notwendigkeit einer statutarischen Konzernklausel deshalb ebenfalls nicht zur Befassung der Hauptversammlung mit einem Unternehmenserwerb.
III. Mitwirkungsrechte der Aktionäre nach den Holzmüller/GelatineGrundsätzen? Die Frage, ob der Unternehmenserwerb auch dann, wenn er durch die Satzung der Gesellschaft gedeckt ist, eine ungeschriebene Mitwirkungskompetenz der Hauptversammlung nach den Grundsätzen der Holzmüller/Gelatine-Rechtsprechung des BGH auslösen kann, ist vom BGH bislang nicht entschieden worden. Deshalb bedarf es zunächst einer näheren Betrachtung der Grundsätze der Holzmüller/Gelatine-Rechtsprechung (nachfolgend 1.). Alsdann wird das Meinungsbild in Rechtsprechung und Literatur behandelt (nachfolgend 2.). Die eigene Stellungnahme untersucht die Fragestellung zunächst unter Berücksichtigung des Umstandes, ob der Unternehmenserwerb durch eine rein konzernleitende Holding erfolgt oder durch eine (auch) operativ tätige Gesellschaft (nachfolgend 3. a) und b)). Im letzteren Fall erscheint es für eine Beurteilung
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5 Vgl. BGHZ 83, 122, 130; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, 6. Aufl. 2010, Vor § 311 Rz. 37; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 179 Rz. 9; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 82 Rz. 35, 36. 6 Vgl. BGHZ 159, 30, 46; OLG Stuttgart, DB 2001, 854, 856; OLG Frankfurt/M., AG 2008, 862; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, Vor § 311 Rz. 31; Wiedemann in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1995, § 179 Rz. 64; abweichend Henze in FS Ulmer, 2003, S. 211, 217; Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 1995, S. 380; Seydel, Konzernbildungskontrolle bei der Aktiengesellschaft, 1995, S. 415; H. P. Westermann, ZGR 1984, 352, 362.
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weiter notwendig, die Gegenleistung für den Erwerb des Unternehmens (Kauf gegen Aktien, Barkauf oder Kauf gegen Aktien/bar) ins Blickfeld zu nehmen. 1. Grundlagen der Holzmüller/Gelatine-Rechtsprechung Sowohl die Holzmüller-Entscheidung als auch die Gelatine-Entscheidungen des BGH betrafen den Fall einer Ausgliederung wesentlichen unternehmerischen Vermögens in Tochter- bzw. Enkelgesellschaften. In der Holzmüller-Entscheidung führte der BGH aus, es bestehe eine ungeschriebene Zuständigkeit der Hauptversammlung bei grundlegenden Entscheidungen, die zwar formal von der Außenvertretungsmacht des Vorstands, seiner Geschäftsführungsbefugnis und dem Wortlaut der Satzung noch gedeckt sind, gleichwohl aber so tief in die Mitgliedsrechte der Aktionäre und deren im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse eingreifen, dass der Vorstand vernünftigerweise nicht annehmen kann, er dürfe sie in ausschließlich eigener Verantwortung treffen, ohne die Hauptversammlung zu beteiligen7. Der BGH bejahte einen Eingriff in die Mitgliedsrechte bei einer Ausgliederung des wertvollsten Betriebszweigs der Gesellschaft, weil die Ausgliederung für die Rechtsstellung der Aktionäre von einschneidender Bedeutung war. Der tiefe Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre ergab sich aus der mit der Ausgliederung einhergehenden Mediatisierung der Aktionärsrechte, also der Tatsache, dass die Aktionäre infolge der Ausgliederung die Möglichkeit verloren, im Rahmen der der Hauptversammlung vorbehaltenen Befugnisse den Einsatz des abgespaltenen Betriebsteils, das Risiko seines Verlusts und die Verwendung seiner Erträge unmittelbar zu beeinflussen8. In den Gelatine-Entscheidungen hat der BGH klargestellt, dass ungeschriebene Mitwirkungsbefugnisse der Hauptversammlungen bei Maßnahmen, die das Gesetz dem Vorstand als Leistungsaufgabe zuweist, nur ausnahmsweise und in engen Grenzen anzuerkennen sind. Sie kommen allein dann in Betracht, wenn eine von dem Vorstand in Aussicht genommene Umstrukturierung der Gesellschaft an die Kernkompetenz der Hauptversammlung, über die Verfassung der Aktiengesellschaft zu bestimmen, rührt, weil sie Veränderungen nach sich zieht, die denjenigen zumindest nahe kommen, welche allein durch eine Satzungsänderung herbeigeführt werden können9. Der BGH betont den Mediatisierungseffekt als maßgeblichen Aspekt für die notwendige Mitwirkung der Hauptversammlung10. Zugleich soll der Schutz der Anteilseigner vor einer durch grundlegende Entscheidungen des Vorstands eintretenden nachhaltigen Schwächung des Werts ihrer Beteiligung gewährleistet werden11.
__________ 7 8 9 10
BGHZ 83, 122, 131. BGHZ 83, 122, 136 f. BGHZ 159, 30; BGH, NZG 2004, 575, jeweils erster Leitsatz. BGHZ 159, 30, 40 f.; BGH, NZG 2004, 575, 577, 578, jeweils unter Hinweis auf Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 3. Aufl. 2003, Vor § 311 Rz. 34; Liebscher, Konzernbildungskontrolle, 1995, S. 65, 74; Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht, 1988, S. 53. 11 BGHZ 159, 30, 40; BGH, NZG 2004, 575, 577.
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Zur Frage, ob ein Beteiligungserwerb nach diesen Grundsätzen ausnahmsweise eine Befassung der Hauptversammlung erforderlich machen kann, hat sich der BGH bislang nicht geäußert. In der Holzmüller-Entscheidung wird zwar ausgeführt, dass Gründung und Erwerb einer Tochtergesellschaft und deren Ausstattung mit dem notwendigen Kapital gemeinhin zu den Handlungen der Geschäftsführung gezählt werden12. Daraus kann aber weder entnommen werden, dass der BGH einen Beteiligungserwerb grundsätzlich für nicht zustimmungspflichtig hält, noch kann daraus umgekehrt die Gleichbehandlung von Beteiligungserwerb und Ausgliederung abgeleitet werden. In den Gelatine-Entscheidungen erwähnt der BGH nur die Ausgliederung und Umstrukturierungen des Beteiligungsbesitzes als in Ausnahmefällen beteiligungspflichtige Maßnahmen. Er enthält sich aber einer abschließenden Entscheidung darüber, bei welchen einzelnen Geschäftsführungsmaßnahmen der Vorstand die Zustimmung der Hauptversammlung einzuholen hat13. 2. Meinungsstand in instanzgerichtlicher Rechtsprechung und Literatur In der Rechtsprechung finden sich nur wenige instanzgerichtliche Entscheidungen zur Frage der Hauptversammlungspflichtigkeit von Beteiligungserwerben. Nach Auffassung des OLG Frankfurt/M. stellt der Erwerb einer Beteiligung keine hauptversammlungspflichtige Maßnahme dar. Es handele sich beim Erwerb einer Unternehmensbeteiligung um eine in die Geschäftsführungskompetenz fallende Maßnahme der Mittelverwendung, die sich nicht grundsätzlich von sonstigen Investitionsentscheidungen unterscheide. Dies gelte auch im Falle einer Fremdfinanzierung des Beteiligungserwerbs, da die Hauptversammlung keine Befugnis habe, über die Aufnahme selbst erheblicher Verbindlichkeiten zu entscheiden14. Demgegenüber hat das Landgericht Frankfurt/M. kürzlich im Rahmen einer gerichtlichen Überprüfung der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat den Erwerb der Dresdner Bank durch die Commerzbank als einen der ungeschriebenen Zuständigkeit der Hauptversammlung unterliegenden Vorgang angesehen. Entscheidend sei, ob der Unternehmenserwerb als Geschäftsführungsmaßnahme ein solches Gewicht für die Aktionäre besitze, dass sie in ihren Auswirkungen an die Notwendigkeit einer Satzungsänderung heranreiche, also den Bereich berühre, in dem die Hauptversammlung zur Entscheidung aufgerufen sei, weil es um die „Richtlinien der Politik“ und nicht mehr allein um deren Umsetzung gehe. Durch einen Beteiligungserwerb könne es zu einer wesentlichen Veränderung der Unternehmensstruktur kommen, nämlich zu
__________ 12 BGHZ 83, 122, 132. 13 BGHZ 159, 30, 40 f.; BGH, NZG 2004, 575, 577. 14 OLG Frankfurt/M., AG 2008, 862, 864: Drillisch; ebenso OLG Schleswig v. 19.3.2009 – 5 U 90/08, DB 0363900: freenet ./. debitel; tendenziell auch OLG Frankfurt/M., NZG 2005, 558, 560.
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einer wesentlichen Änderung der Kapitalstruktur durch Erhöhung des Verschuldungsgrades15. Auch im Schrifttum ist die Frage umstritten, ob der Beteiligungserwerb bei Erreichung einer bestimmten Wesentlichkeitsschwelle eine hauptversammlungspflichtige Maßnahme sein kann. Das wird unter Hinweis darauf bejaht, dass der Beteiligungserwerb aus Sicht der Aktionäre mit einem der Ausgliederung ähnlichen Mediatisierungseffekt verbunden sei. Durch den Erwerb werde Vermögen der Gesellschaft dem direkten Zugriff der Aktionäre entzogen und im Ergebnis in das Vermögen der erworbenen Beteiligung verlagert16. Nach der Gegenauffassung fehlt es an einem Mediatisierungseffekt, der nur vorliege, wenn die Struktur der Gesellschaft verändert und dadurch der Einfluss der Aktionäre verringert werde. Durch einen Unternehmenserwerb komme es nicht zu einem Verlust von unternehmerischen Befugnissen und einen Abfluss unternehmerischen Vermögens, sondern zu einem Zufluss an unternehmerischer Substanz17.
__________
15 LG Frankfurt/M., BeckRS 2010, 02351 S. 9, unter Hinweis u. a. auf Goette, AG 2006, 522, 525, 527 (mit abl. Anm. Gubitz/Nikoleyczyk, NZG 2010, 539, 541; Wilsing/ Goslar, EWIR § 119 AktG 1/10, 201, 202 ; ebenso (obiter dictum) LG Stuttgart, AG 1992, 236, 237. 16 Vgl. hierzu vor der Gelatine-Entscheidung: Geßler in FS Stimpel, 1985, S. 771, 786 f.; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 3. Aufl. 2003, Vor § 311 Rz. 38; Heinsius, ZGR 1984, 383, 393, 402; Henze in FS Ulmer, 2003, S. 211, 229; Hirte, Bezugsrechtsausschluss und Konzernbildung, 1986, S. 162, 180 f.; Liebscher, Konzernbildungskontrolle, 1995, S. 65, 86; Lutter in FS Stimpel, 1985, S. 825, 850 f.; ders./Leinekugel, ZIP 1998, 805, 806; Wahlers, Konzernbildungskontrolle durch die Hauptversammlung der Obergesellschaft, 1995, S. 94, 138 f.; Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht, 1988, S. 55; Zimmermann/Pentz in FS Welf Müller, 2000, S. 151, 155. Vgl. hierzu nach der Gelatine-Entscheidung: Bayer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 202 Rz. 56 f.; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, 6. Aufl. 2010, vor § 311 Rz. 42; Hoffmann in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 119 Rz. 30; Hofmeister, NZG 2008, 47, 50; Kiesewetter/Spengler, Der Konzern 2009, 451, 455; Liebscher, ZGR 2005, 1, 23 f.; Spindler in K. Schmidt/ Lutter, AktG, 2008, § 119 Rz. 33; Lorenz/Pospiech, DB 2010, 1925, 1928; vgl. auch Goette, AG 2006, 522, 527 (unter Hinweis auf Röhricht in VGR [Hrsg.], Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2004, 2005, S. 1, 11; vgl. insoweit aber Fn. 17, 32). 17 Vgl. hierzu vor der Gelatine-Entscheidung: Busch, AG 2002, 145, 148; Ebenroth/ Daum, DB 1991, 1105, 1108 ff.; Götz, AG 1984, 85, 92; Groß, AG 1994, 266, 273; Joost, ZHR 163 (1999), 164, 183; Kubis in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 119 Rz. 67; Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1988, § 76 Rz. 51; Renner, NZG 2002, 1091, 1092; Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, 1980, S. 103, 142; Timm, ZIP 1993, 114, 117; Wagner, DStR 2004, 141, 142; wohl auch Westermann, ZGR 1984, 352 ff.; Wollburg/Gehling in FS Lieberknecht, 1997, S. 133, 153 f. Vgl. hierzu nach der Gelatine-Entscheidung: Arnold, ZIP 2005, 1573, 1577, 1579; Bungert, BB 2004, 1345, 1350; Götze, NZG 2004, 585, 588; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 69 Rz. 10; Marsch-Barner in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 31 Rz. 34; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 76 Rz. 61, 63, 64; Paefgen, ZHR 172 (2008), 42, 72; Reichert, AG 2005, 150, 156 f.; vgl. auch Röhricht in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2004, 2005, S. 1, 10 f.; ferner F. J. Semler in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 34 Rz. 38: Zustimmungspflicht lediglich in extremen Sonderfällen denkbar. Insgesamt ablehnend vgl. Hoffmann-Becking, ZHR 172 (2008), 231, 232.
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3. Stellungnahme Eine Stellungnahme macht es erforderlich, zunächst genauer die Struktur des Erwerberunternehmens danach zu betrachten, ob es sich um eine rein konzernleitende Holdinggesellschaft (nachfolgend a)) oder ein (auch) operativ tätiges Unternehmen handelt (nachfolgend b)). Im letzteren Fall ist zudem die Gegenleistung für den Unternehmenserwerb ins Blickfeld zu nehmen, also ob der Erwerb gegen Aktien, in bar oder gegen Aktien und bar erfolgt (nachfolgend b) aa)–cc)). a) Unternehmenserwerb durch eine konzernleitende Holding Erfolgt der Unternehmenserwerb durch eine ausschließlich als konzernleitende Holdinggesellschaft tätige Gesellschaft, so werden die Mittel der Unternehmensgruppe durch die operativen Tochtergesellschaften erwirtschaftet. Die Entscheidung über die Verwendung dieser Mittel durch die Konzernleitung ist damit von vornherein dem unmittelbaren Mitspracherecht der Aktionäre der Obergesellschaft entzogen. Zwar kann sich die Geschäftsführung der Obergesellschaft dazu entschließen, eine Ausschüttung der Mittel von der operativen Tochtergesellschaft an die Holding als Dividende zu veranlassen oder die Tochtergesellschaft zur Einlage der Mittel in einen bei der Obergesellschaft organisierten cash pool veranlassen. Sie kann die Mittel jedoch auch zur Stärkung der Tochtergesellschaft ganz oder teilweise bei dieser belassen. Die Beurteilung des Vorliegens eines Mediatisierungseffektes kann nicht von den jeweiligen Entscheidungen der Konzernspitze über die Verwendung der bei Tochtergesellschaften erwirtschafteten Mittel abhängen. Maßgeblich ist vielmehr der Umstand, dass die Konzernleitung zunächst auf Ebene der Tochtergesellschaft über die Mittelverwendung entscheidet und dass diese Entscheidung nicht der Mitsprache der Aktionäre der Obergesellschaft untersteht. Ist eine Muttergesellschaft ausschließlich konzernleitend tätig, fehlt es mithin von vornherein an einem Mediatisierungseffekt. Selbst wenn man aber einen Mediatisierungseffekt für von der Tochtergesellschaft erwirtschaftete, an die Muttergesellschaft abgeführte Mittel bejahen wollte, würde die Verwendung dieser Mittel keinen so tiefen Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre und deren im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse darstellen, dass die Auswirkungen strukturell mit einer Satzungsänderung vergleichbar wären. Es entspricht nicht nur dem Unternehmensgegenstand, sondern auch der Struktur der rein konzernleitenden Obergesellschaft, dass sie die bei Tochtergesellschaften erwirtschafteten Mittel auch zum Erwerb weiterer Unternehmensbeteiligungen verwenden kann. Die Realstruktur der Obergesellschaft wird aus der Sicht ihrer Aktionäre nicht verändert. Eine Veränderung der Kapitalstruktur der Gesellschaft – etwa durch eine wesentliche Erhöhung ihres Verschuldungsgrades – ist entgegen der Auffassung des Landgerichts Frankfurt/M.18 – nicht geeignet, die Notwendigkeit
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18 LG Frankfurt/M., BeckRS 2010, 02351 S. 9.
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einer Befassung der Hauptversammlung zu begründen. Derartige Entscheidungen sind nach dem Kompetenzgefüge ausschließlich der Geschäftsleitung zugewiesen und berühren die Aktionäre nicht in ihren Mitgliedsrechten, geschweige denn, dass sie an den Charakter einer Satzungsänderung heranreichen. Allerdings hat der BGH in der Gelatine-Entscheidung ausgeführt, dass die Notwendigkeit der Befassung der Hauptversammlung zugleich den Schutz der Anteilseigner vor einer durch grundlegende Entscheidungen des Vorstands eintretenden nachhaltigen Schwächung des Wertes ihrer Beteiligung gewährleisten soll19. Mit einem Erwerb einer wesentlichen Unternehmensbeteiligung ist naturgemäß stets die Gefahr einer nachhaltigen Schwächung des Werts des neuen Gesamtunternehmens verbunden. Dennoch rechtfertigt diese Gefahr für sich gesehen selbst bei bedeutsamen Unternehmenserwerben nicht eine Befassung der Hauptversammlung. Es entspricht gesicherter Auffassung, dass die wirtschaftliche Bedeutung einer Maßnahme als solche nicht eine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit rechtfertigen kann20. Ebenso wenig ist das Risiko einer nachhaltigen Schwächung des Werts des Unternehmens durch eine unternehmerische Entscheidung des Vorstands für sich gesehen geeignet, eine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit zu begründen. Anderenfalls müssten auch bedeutsame unternehmerische Entscheidungen wie der massive Ausbau eines Unternehmensbereichs unter Aufwendung vorhandener eigener Mittel oder Aufnahme von Fremdmitteln, durch Bau zusätzlicher Werke und Einstellung weiterer Arbeitnehmer oder die Gründung von Niederlassungen ab Erreichen einer bestimmten Wesentlichkeitsschwelle die Zustimmung der Hauptversammlung auslösen. Es wird daraus deutlich, dass der vom BGH angesprochene Schutz der Aktionäre vor einer nachhaltigen Schwächung des Werts ihrer Beteiligung nur die reflexartige Folge einer aufgrund der Mediatisierung des Einflusses der Aktionäre erforderlichen Befassung der Hauptversammlung ist. Im Ergebnis ist damit bei einem Unternehmenserwerb durch eine ausschließlich konzernleitende Holdinggesellschaft eine ungeschriebene Zuständigkeit der Hauptversammlung auch bei wesentlichen Maßnahmen von vornherein ausgeschlossen21. b) Erwerb durch eine operativ tätige Gesellschaft Erfolgt ein Unternehmenserwerb dagegen durch eine Gesellschaft, die (auch) operativ tätig ist, so lässt sich eine Vermittlung des Einflusses der Aktionäre nicht von vornherein ausschließen, wenn auf der Ebene der operativ tätigen
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19 BGHZ 159, 30, 40; BGH, NZG 2004, 575, 577. 20 Vgl. Arnold, ZIP 2005, 1573, 1574; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, Vor § 311 Rz. 40; Liebscher, ZGR 2005, 1, 24. 21 Vgl. Reichert, AG 2005, 150, 157; Wagner, DStR 2004, 141, 146; insoweit zustimmend auch Hofmeister, NZG 2008, 47, 50; abweichend etwa Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, Vor § 311 Rz. 42.
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Mitwirkungsrechte der Aktionäre beim Kauf von Unternehmen?
Gesellschaft erwirtschaftete Mittel zum Erwerb einer Tochtergesellschaft aufgewendet werden. Die Leitung dieser Tochtergesellschaft ist nicht dem unmittelbaren Einfluss der Aktionäre unterworfen. Allerdings ist zu beachten, dass sich dieser auf den ersten Blick mögliche Mediatisierungseffekt an einem Unternehmenserwerb gegen Barmittel orientiert. In der Praxis erfolgt der Erwerb häufig nicht mit Barmitteln, sondern gegen Aktien der erwerbenden Gesellschaft. In einer solchen Konstellation werden die Aktionäre ohnehin konkret – bei einer ordentlichen Kapitalerhöhung – oder abstrakt – bei Schaffung eines genehmigten Kapitals – mit dem Unternehmenserwerb befasst (nachfolgend aa)). Eine derartige Vorbefassung der Aktionäre ist auch bei einer Kombination eines Erwerbs gegen Aktien und bar möglich (nachfolgend bb)). Erst nach einer Behandlung dieser beiden in der Praxis verbreiteten Konstellationen wird die Frage weiter zu untersuchen sein, ob der allein durch Barmittel erfolgende Unternehmenserwerb im Einzelfall einen hauptversammlungspflichtigen Mediatisierungseffekt auslösen kann (nachfolgend cc)). aa) Erwerb gegen Aktien (1) Ordentliche Kapitalerhöhung Bei bedeutenden Unternehmenserwerben, die gegen Aktien der erwerbenden Gesellschaft erfolgen sollen, wird häufig eine ordentliche Sachkapitalerhöhung erforderlich sein. Ein Erwerb durch Ausnutzung eines bestehenden genehmigten Kapitals wird wegen des erheblichen Werts des zu erwerbenden Unternehmens regelmäßig ausscheiden, da das genehmigte Kapital gemäß § 202 Abs. 3 AktG auf 50 % des Grundkapitals der erwerbenden Gesellschaft beschränkt ist. Zudem dringen institutionelle Anleger in jüngerer Zeit auf Selbstbeschränkungen der Unternehmen dahingehend, dass ein genehmigtes Kapital unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre nicht mehr als 20 % des Grundkapitals der Gesellschaft betragen soll. Ein genehmigtes Kapital wird bei bedeutsamen Unternehmenserwerben deshalb vielfach nicht ausreichen, so dass die Schaffung von Aktien als Gegenleistung nur durch eine ordentliche Sachkapitalerhöhung möglich ist. Die Sachkapitalerhöhung bedarf einer Beschlussfassung der Hauptversammlung. Im Rahmen dieser Hauptversammlung ist das zu erwerbende Unternehmen zu bezeichnen. Der Vorstand erstattet gemäß § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG einen Bericht über den Ausschluss des Bezugsrechts, in dem die Gründe für den Erwerb und für die Bewertung des zu erwerbenden Unternehmens und damit für die Angemessenheit des Ausgabebetrages im Sinne von § 255 Abs. 2 AktG dargelegt werden. Die Hauptversammlung wird damit umfassend mit dem Erwerb befasst. Einer zusätzlichen Befassung der Hauptversammlung unter dem Aspekt einer ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenz nach den Grundsätzen der Holzmüller/Gelatine-Rechtsprechung bedarf es in einem solchen Fall nicht. Voraussetzung für die Annahme einer ungeschriebenen Hauptversammlungs269
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kompetenz im Wege der Rechtsfortbildung ist eine Anschauungslücke des Gesetzgebers22. Daran fehlt es, wenn die Hauptversammlung ohnehin mit dem Unternehmenserwerb im Rahmen einer ordentlichen Sachkapitalerhöhung befasst wird23. (2) Genehmigtes Kapital Im Einzelfall kann auch ein bestehendes genehmigtes Kapital ausreichend zur Schaffung der als Gegenleistung für den Unternehmenserwerb begebenen Aktien sein. Das kommt etwa in Betracht in Fällen, in denen zwar Umsatz oder Mitarbeiterzahl des zu erwerbenden Unternehmens (deutlich) höher sind als bei dem erwerbenden Unternehmen, der Wert des zu erwerbenden Unternehmens aber nicht 50 % des Erwerbers erreicht. Mit der Schaffung des genehmigten Kapitals einschließlich der Möglichkeit eines Ausschlusses des Bezugsrechts der Aktionäre gegen Sacheinlage ist die Hauptversammlung bereits befasst worden. Es stellt sich dann die Frage, ob zusätzlich für den konkreten Unternehmenserwerb eine Mitwirkung der Aktionäre nach den Grundsätzen der Holzmüller/Gelatine-Rechtsprechung erforderlich sein kann. Das wird man auch bei einer Gegenleistung mit Aktien in Höhe von nur 50 % des Grundkapitals angesichts der Unsicherheit darüber, an welche qualitativen Kriterien für die Bejahung eines Holzmüller/Gelatine-Falles anzuknüpfen ist24, nicht von vornherein rechtssicher ausschließen können. Auch in einem solchen Fall ist aber für die Bejahung einer ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit für den konkreten Unternehmenserwerb von vornherein kein Raum. Die als Gegenleistung für den Unternehmenserwerb begebenen Aktien erfolgen durch Ausnutzung eines bestehenden genehmigten Kapitals und damit auf der Grundlage einer seitens der Aktionäre eingeräumten Ermächtigung. Die Hauptversammlungsermächtigung hat dabei auch ausdrücklich den Fall eines Unternehmenserwerbes und damit die Möglichkeit eines Ausschlusses des Bezugsrechts der Aktionäre anzugeben. Da die Hauptversammlung in Kenntnis eines möglichen Einsatzes des genehmigten Kapitals zum Beteiligungserwerb der Schaffung des genehmigten Kapitals zugestimmt hat, bedarf es einer erneuten Befassung der Hauptversammlung mit dem konkreten Erwerb nicht. Es fehlt wiederum an einer Anschauungslücke des Gesetzgebers als Rechtfertigung für die Bejahung einer ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit25. Die Notwendigkeit einer Befassung der Hauptversammlung mit dem Beteiligungserwerb lässt sich auch nicht unter Hinweis darauf rechtfertigen, dass die Hauptversammlung nur der abstrakten Möglichkeit eines Unternehmenserwerbs und nicht dem konkreten Fall zugestimmt habe. Es liegt in der Konse-
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22 Vgl. BGHZ 159, 30, 40; Geßler in FS Stimpel, 1985, S. 771, 780; Goette, AG 2006, 522, 525; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 119 Rz. 18a. 23 Vgl. Renner, NZG 2002, 1091, 1093; Wagner, DStR 2004, 141, 143. 24 Näher dazu Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, Vor § 311 Rz. 46; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 69 Rz. 11. 25 Vgl. auch Wagner, DStR 2004, 141, 143.
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quenz der Schaffung eines genehmigten Kapitals, dass für dessen konkrete Ausnutzung keine erneute Befassung der Hauptversammlung erforderlich ist. Durch das genehmigte Kapital soll ein Unternehmen gerade in die Lage versetzt werden, flexibel auf sich bietende Möglichkeiten reagieren zu können26. Diesem Anliegen wird dadurch Rechnung getragen, dass die Befassung der Hauptversammlung nur mit dem abstrakten Rahmen des genehmigten Kapitals ausreichend ist. Der Schutz der Aktionäre setzt nicht bei der Beschlussfassung der Hauptversammlung und deren Kontrolle, sondern bei der Überprüfung des Handelns des Vorstands auf seine Pflichtgemäßheit gemäß §§ 76, 93 AktG an27. Dem liefe es zuwider, wenn durch eine ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz die konkrete Ausnutzung des genehmigten Kapitals unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Aktionäre stünde und eine flexible Ausnutzung des genehmigten Kapitals damit erschwert würde28. bb) Erwerb gegen Aktien und bar In der Praxis verbreitet ist weiterhin der Fall, dass die Mittel für den Erwerb eines Unternehmens teils in bar und teils in Aktien aufgebracht werden. In diesem Fall werden die Aktien, die zusätzlich zu den Barmitteln als Kaufpreis aufgewendet werden, typischerweise durch Ausnutzung eines bestehenden genehmigten Kapitals geschaffen. Mit der Schaffung des genehmigten Kapitals ist die Hauptversammlung der Erwerbergesellschaft bereits befasst worden. Dabei wurde auch die Möglichkeit eines Einsatzes des genehmigten Kapitals zum Unternehmenserwerb ausdrücklich als möglicher Gegenstand der Ausnutzung des genehmigten Kapitals angeführt. Jedenfalls hinsichtlich der Hingabe von Aktien als Teil der Gegenleistung zum konkreten Unternehmenserwerb bedarf es aus den schon angeführten Gründen nicht einer ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenz (vgl. oben aa) (2)). Die Notwendigkeit einer Befassung der Hauptversammlung kann sich im Fall einer gemischten Gegenleistung allenfalls damit rechtfertigen lassen, dass zusätzlich zu den Aktien eine Barleistung für den Unternehmenserwerb erbracht wird. Das Barelement der Gegenleistung wird allerdings bei isolierter Betrachtung typischerweise nicht die Kriterien an die Wesentlichkeit der Maßnahme erfüllen. Selbst wenn man einen Unternehmenserwerb als im Ausgangspunkt hauptversammlungspflichtige Maßnahme ansehen wollte, käme eine Befassung der Hauptversammlung nur in wesentlichen Fällen in Betracht, die 75– 80 % des Vermögens des Erwerberunternehmens entsprechen29. Knüpft man insoweit zutreffend an den Wert des zu erwerbenden Unternehmens im Verhältnis zum Erwerberunternehmen an30 und setzt diesen beispielsweise mit
__________ 26 BGHZ 136, 133: Siemens/Nold; vgl. auch BGHZ 159, 30, 41; BGH, NZG 2004, 575, 579. 27 BGHZ 136, 133, 140. 28 Ebenso OLG Schleswig v. 19.3.2009 – 5 U 90/08, DB 0363900. 29 Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, Vor § 311 Rz. 46; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 69 Rz. 11. 30 Ebenso etwa Reichert, AG 2005, 150, 154.
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100 % des Erwerberunternehmens an, so würde eine Finanzierung der Hälfte des Kaufpreises mit Barmitteln und im übrigen mit Aktien der Erwerbergesellschaft nicht einen qualitativ ausreichenden Eingriff in die Aktionärsrechte rechtfertigen. Denn hinsichtlich der geschaffenen Aktien liegt eine Legitimation durch einen Hauptversammlungsbeschluss vor. Für die verbleibenden Barmittel wäre die Eingriffschwelle nicht erreicht. Damit wird es unabhängig von der Frage, ob der Einsatz von Barmitteln überhaupt einen strukturell ausreichenden Eingriff in Aktionärsrechte begründen kann (dazu nachfolgend sogleich cc)), regelmäßig bei einer gemischten Gegenleistung in Aktien und bar schon mangels Erreichens der Wesentlichkeitsschwelle an der Notwendigkeit einer Befassung der Hauptversammlung fehlen. cc) Erwerb gegen bar Erfolgt der Erwerb einer wesentlichen Unternehmensbeteiligung ausschließlich gegen bar, so ist damit kein Mediatisierungseffekt verbunden, wenn die Erwerbergesellschaft eine ausschließlich konzernleitende Holdinggesellschaft ist und die aufgewendeten Barmittel dementsprechend ausschließlich durch Tochtergesellschaften erwirtschaftet wurden (vgl. oben a)). Ein struktureller Mediatisierungseffekt scheidet von vornherein aus. Nicht anders zu entscheiden ist beim Erwerb einer Unternehmensbeteiligung durch eine Gesellschaft, die zugleich Holdinggesellschaft und operativ tätige Gesellschaft ist, sofern die Mittel für den Unternehmenserwerb ausschließlich durch Tochtergesellschaften erwirtschaftet wurden. Dies wird sich im Einzelfall nicht leicht abgrenzen lassen. Ausreichend sollte insoweit sein, dass die Tochtergesellschaften freie Barmittel in einem Umfang erwirtschaftet haben, der für den Unternehmenserwerb ausreichend gewesen wäre (auch wenn die Mittel möglicherweise nicht ausschließlich von Tochtergesellschaften stammen). Damit bleibt die Frage eines strukturellen Mediatisierungseffektes nur noch für Erwerberunternehmen denkbar, die in einem solchen Maße Mittel durch eigene operative Tätigkeit erwirtschaften, dass der Unternehmenserwerb nicht ausschließlich mit freien Barmitteln von Tochtergesellschaften der Erwerbergesellschaft dargestellt werden kann. Selbst wenn das der Fall ist, bedarf es weiter einer näheren Betrachtung, um welche Geldmittel es sich handelt. Häufig wird der Erwerb nicht aus vorhandenen liquiden Mitteln des Erwerberunternehmens stammen, sondern aus einer Fremdfinanzierung. Auch eine Fremdfinanzierung bewirkt jedoch keine vom BGH für die Annahme einer Hauptversammlungszuständigkeit für erforderlich gehaltene Mediatisierung des Einflusses der Aktionäre. Denn eine Aufnahme von Fremdmitteln bedeutet lediglich eine Belastung der zukünftigen Erträge des Unternehmens durch die für die erhöhte Verschuldung erforderlich werdenden Zins- und Tilgungsaufwendungen. Eine Mediatisierung des Einflusses der Aktionäre ist damit nicht verbunden. Unabhängig davon fehlt es bei der Aufnahme von Fremdmitteln wiederum an einer für die Bejahung einer ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit erforderlichen „Anschauungslücke“ des Gesetzgebers. Im Gesetz ist geregelt, in welchen Fällen der 272
Mitwirkungsrechte der Aktionäre beim Kauf von Unternehmen?
Fremdkapitalaufnahme die Hauptversammlung zu befassen ist. Das ist nur dann der Fall, wenn Fremdkapitalinstrumente in das Gewinnverwendungsrecht der Hauptversammlung eingreifen31. Wollte man gleichwohl für andere Formen der Fremdmittelaufnahme eine Beteiligung der Hauptversammlung fordern, so würde dies nichts anderes bedeuten als selbst im Kerngeschäft der Gesellschaft jede fremdfinanzierte Form einer Expansionsstrategie, die denknotwendig zu einer Erhöhung der Verschuldung führt, jedenfalls ab Erreichen bestimmter qualitativer Kriterien von einer Zustimmung der Hauptversammlung abhängig zu machen. Das entspricht jedoch weder der Konzeption des Gesetzgebers noch den Grundsätzen der Holzmüller/Gelatine-Rechtsprechung des BGH. Damit verbleiben allenfalls noch Fälle eines Erwerbs von Unternehmen aus beim Unternehmen vorhandenen liquiden Barmitteln zur Begründung einer ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenz. Selbst wenn es sich dabei um wesentliche Barmittel handelt, so mag mit deren Einsatz zwar eine Mediatisierung des Einflusses der Aktionäre einhergehen. Es liegt aber kein tiefgehender Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre vor, der an die Qualität einer Satzungsänderung heranreicht und deshalb eine Befassung der Hauptversammlung rechtfertigt. Denn die Verwendung der liquiden Mittel der Gesellschaft ist ebenso wie die Aufnahme von Fremdmitteln eine originäre Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstands. Mit dieser wird die Struktur der Gesellschaft nicht verändert. Es ist außerhalb der Beschlussfassung über die Ausschüttung von Dividenden auch nicht Sache der Aktionäre, über die Mittelverwendung zu entscheiden32. Dementsprechend rechtfertigt auch der Einsatz von liquiden Barmitteln der Gesellschaft nicht eine Befassung der Hauptversammlung33. c) Ergebnis Im Ergebnis besteht somit für eine Befassung der Aktionäre mit einem wesentlichen Unternehmenserwerb nach den Grundsätzen der Holzmüller/GelatineRechtsprechung des BGH kein Anlass. Dies gilt auch in Fällen, in denen das erworbene Unternehmen mindestens 75–80 % des Wertes der Erwerbergesellschaft entspricht. Bei einem Erwerb durch eine rein konzernleitende Gesellschaft fehlt es von vornherein an einem für die Befassung der Aktionäre notwendigen Mediatisierungseffekt. Bei einem Erwerb durch eine (auch) operativ tätige Gesellschaft fehlt es an der für die Bejahung einer ungeschriebenen Hauptversammlungszuständigkeit erforderlichen Anschauungslücke des Gesetzgebers, wenn die Erwerbergesellschaft als Gegenleistung im Rahmen einer ordentlichen Kapitalerhöhung oder eines genehmigten Kapitals Aktien gewährt. Beim Erwerb gegen Barmittel fehlt es an einem Mediatisierungseffekt,
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31 Vgl. dazu etwa Krecek/H. Röhricht, ZIP 2010, 413. 32 Vgl. Bungert, BB 2004, 1345, 1350; Kubis in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 119 Rz. 67; Renner, NZG 2002, 1091, 1092. 33 Vgl. auch Röhricht in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2004, 2005, S. 1, 11.
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wenn die Erwerbergesellschaft die aufgewendeten Barmittel ausschließlich durch Tochtergesellschaften erwirtschaftet hat. Auch dann, wenn dies nicht der Fall ist, fehlt es an der für die Annahme einer für eine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit erforderlichen Anschauungslücke des Gesetzgebers, wenn die Mittel im Wege der Fremdfinanzierung aufgebracht werden. Im Gesetz ist geregelt, in welchen Fällen der Fremdkapitalaufnahme die Hauptversammlung zu befassen ist. Schließlich bleibt auch kein Raum für eine Befassung der Aktionäre bei einem Erwerb aus beim Erwerberunternehmen vorhandenen liquiden Barmitteln. Außerhalb der Beschlussfassung über die Ausschüttung von Dividenden ist es nicht Sache der Aktionäre, über die Mittelverwendung zu entscheiden.
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Die neue Pflicht des Vorstands zur Bescheidenheit Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Vergütungsregulierung als Reaktion auf die Finanzkrise 1. Vorstandsvergütung als sinnvolles Regulierungsziel? 2. Auswirkungen der Neuregelung in §§ 87, 116 AktG a) Stärkung der AufsichtsratsVerantwortlichkeit b) Vertikalität und qualitative Unangemessenheit
III. Mitverantwortung des Vorstands für die Vergütung 1. Ausgangspunkt: Unzureichende Rechtsfolge des § 87 AktG und Schwäche des Aufsichtsrats 2. Dogmatische Ansatzpunkte 3. Stellungnahme a) Die „Vollmachtslösung“ b) Die Treupflichtlösung c) Missbrauch der Vertretungsmacht IV. Vorstands-Mitverantwortung und Corporate Governance V. Ergebnisse
I. Einleitung Die (hoffentlich endgültig) überstandene Finanzkrise ist nicht das erste Mal, dass die Vergütung des Vorstands die juristische Öffentlichkeit beschäftigt. Schon aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg finden sich Berichte über exzessiv hohe Vorstandsgehälter1 und zwei widersprüchliche Entscheidungen des Reichsgerichts zu der Frage, ob der Vorstand selbst verpflichtet ist, auf eine rechtmäßige Festlegung seiner Vergütung hinzuwirken2. Peltzer und Ziemons haben diesen Gedanken einer Mitverpflichtung des Vorstands bei der Festsetzung der Vergütung für die moderne Diskussion wiederbelebt3, und er hat in der Literatur auch vielfach Zustimmung erfahren4, ohne freilich ganz unumstritten zu sein5. Angesichts der Krise und der Tatsache, dass überhöhte Vor-
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1 Schlegelberger/Quassowski, AktG, 3. Aufl. 1939, § 78 Rz. 1; Geßler, JW 1937, 497, 500. 2 RG, JW 1932, 2279, 2280 einerseits; RG, JW 1933, 2954 andererseits. 3 Peltzer in FS Lutter, 2000, S. 574, 579; Ziemons in Nirk/Ziemons/Binnewies, Handbuch der Aktiengesellschaft, Rz. I 8.810, I 8.380 ff.; Ziemons in FS Huber, 2006, S. 1035 ff. 4 Dogmatisch vertiefend Fleischer, DStR 2005, 1318, 1322; ders. in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 87 Rz. 29; zust. auch Semler in Liber amicorum Happ, 2006, S. 277; Thüsing in Fleischer, Handbuch Vorstandsrecht, 2006, § 6 Rz. 26; Kort in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2008, § 87 Rz. 70 f.; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 87 Rz. 79; Lutter, ZIP 2006, 733, 735; Langenbucher in FS Huber, 2006, S. 861, 863 ff. 5 Abl. Hirte in Abeltshauser/Buck, Corporate Governance, 2004, S. 75, 88; jetzt auch Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 87 Rz. 5; skeptisch auch Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 87 Rz. 8; diese Gegenpositionen unterschlägt Schwark in FS Raiser, 2005, S. 377, 395, der die Frage als unstreitig darstellt.
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standsvergütungen vielfach als eine Ursache für die erfolgten Fehlentwicklungen genannt werden, hat die bejahende Ansicht auf den ersten Blick einiges für sich. Betrachtet man die Problematik freilich im Lichte der Publikationen Uwe H. Schneiders, so werden erste Zweifel laut. Denn die Entwicklung der letzten Jahre, die letztlich zur Finanzkrise geführt hat, erscheint bei ihm in einem anderen Licht. Er sieht, anders als etwa Lutter6, die Vorstände weniger als Antreiber einer Fehlentwicklung, bei der im Interesse hoher Vergütungen Risiken bewusst eingegangen oder zumindest bewusst ignoriert wurden, sondern vielmehr als Getriebene, die von mächtig gewordenen Investoren dazu gedrängt wurden, Dinge zu tun, von denen wir im nachhinein wissen, dass es besser gewesen wäre, sie zu lassen7. Sieht man die Dinge aus dieser Perspektive, so erscheint eine stärkere Regulierung der Vorstandsgehälter weit weniger dringlich, und auch die Behauptung, es sei rechtlich erforderlich, den Vorstand in der Frage der Vergütungshöhe mit ins Boot zu nehmen, erscheint weit weniger zwingend. Das gibt Anlass, dieser Frage gerade an dieser Stelle genauer nachzugehen.
II. Vergütungsregulierung als Reaktion auf die Finanzkrise 1. Vorstandsvergütung als sinnvolles Regulierungsziel? Betrachtet man die Reaktionen des Gesetzgebers auf die Finanzkrise, so scheint die Vergütungsfrage in der rechtspolitischen Betrachtung die ganz vordringliche Problematik zur Bewältigung der Krise gewesen zu sein. Denn sieht man von den Maßnahmen ab, die sich gezielt gegen die drohende Insolvenz bestimmter Banken richteten8, bestand die erste Reaktion des Gesetzgebers in der Verabschiedung des VorstAG9, mit dem die Vergütungen der Vorstände generell und nicht auf die Bankenbranche beschränkt schärferen Regeln unterstellt wurden. Spezielle Regelungen für die Vergütung von Bankmitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene folgten nach bzw. sind noch in Arbeit10. Dabei ist es durchaus nicht sicher, in welchem Umfang eine überhöhte Vorstandsvergütung zur Entstehung der Krise tatsächlich beigetragen hat, bzw. welchen Anteil sie an der Fehlentwicklung hatte. Zwar hat diese These gewichtige Fürsprecher, die – insbesondere in Bezug auf die zusammengebrochenen Banken Lehman Brothers und Bear Stearns – darauf verweisen, dass die Top Executives
__________ 6 Lutter, ZIP 2009, 197; ders., BB 2009, 786. 7 Vgl. Uwe H. Schneider, AG 2002, 125, 126 f.; ders., NZG 2007, 88, 95 f.; ders., NZG 2007, 888 ff.; ders., AG 2008, 700, 701 f. 8 FMStG v. 17.10.2008, BGBl. I 2008, S. 1982; zu weiteren Reaktionen des Gesetzgebers vgl. Horn, KSzW 2010, 67, 71. 9 BGBl. I 2009, S. 2509. 10 Gesetz über die Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung v. 17.7.2009, BGBl. I 2009, S. 1980; Übersicht über weitere Regulierungsvorhaben bei Horn, KSzW 2010, 67, 74.
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der Institute die Krise als wohlhabende Leute überstanden haben11. Dabei habe es die Kombination aus hohen Festgehältern, kombiniert mit Boni und rasch einlösbaren Optionen, den Vorständen ermöglicht, in den der Krise vorausgehenden „guten“ Jahren 2000 bis 2008 mehr als eine halbe Milliarde US-$ pro Person12 aus dem Unternehmen herauszuziehen. Aufgrund dieses hohen cashout-Faktors sei der Verlust, den sie mit den noch gehaltenen Aktien und Optionen in der Pleite erlitten hätten, mehr als kompensiert worden13. In dem Bewusstsein, dass eine Verwirklichung des Risikos ihnen finanziell nicht mehr schaden könne, hätte dieser Personenkreis allen Anreiz gehabt, das von der Bank getragene Risiko immer weiter zu erhöhen. Unangreifbar ist diese Sichtweise freilich nicht. Gegen sie spricht, wenn man allein die monetären Aspekte in Betracht nimmt, dass die handelnden Personen immerhin die Kuh geschlachtet haben, die sie weiter hätten melken können. Denn hätten sie die Übernahme des exzessiven Risikos vermieden, wären ihnen jährlich weitere Erträge aus dem Anstellungsvertrag zugeflossen, und zwar mit Sicherheit bis zum Ende der Vertragslaufzeit, und mit einiger Wahrscheinlichkeit darüber hinaus bis zu ihrer Pensionierung. Ob die Gesamtbilanz noch positiv ist, wenn man diese zukünftigen Zahlungsströme mit in die Betrachtung einbezieht, ist mehr als ungewiss und hätte von der zitierten Studie thematisiert werden sollen. Ferner vernachlässigt die Ansicht, dass falsch motivierte Vorstände bewusst übermäßige Risiken eingegangen wären, die psychologischen Faktoren, die das Verhalten von Menschen auf Märkten mitbestimmen und die mit den Annahmen des rational-nutzenmaximierenden Menschen nicht immer konform gehen14. Insofern lässt sich aber zeigen, dass Vorstände bei ihren Entscheidungen auch Wert auf den Erhalt ihrer Machtposition und ihrer Reputation legen. Sie streben typischerweise außer nach monetären Vorteilen auch nach dem Erhalt bzw. dem weiteren Ausbau ihrer Führungsrolle15 und nach der Mehrung ihres Ansehens in Fachkreisen und in
__________ 11 Bebchuk/Cohen/Spamann, The Wages of Failure: Executive Compensation at Bear Stearns and Lehman 2000–2008 (11/2009), Harvard Law and Economics Discussion Paper No. 657, http://ssrn.com/abstract=1513522; Bebchuk/Fried, Paying for LongTerm Performance (12/2009), Harvard Law and Economics Discussion Paper No. 658, http://ssrn.com/abstract=1535355; für diesen Ansatz auch Seibert, WM 2009, 1489; Horn, KSzW 2010, 67, 75. 12 Kein Druckfehler. Die hier zitierte Studie von Bebchuk/Cohen/Spamann nennt die Gesamtsumme von 522 Mill. US-$ für den CEO von Lehman Brothers; die entsprechende Summe bei Bear Stearns betrug 388 Mill. US-$. 13 Bebchuk/Cohen/Spamann (Fn. 11), S. 10. 14 Die Berücksichtigung dieser Aspekte hat sich im Kapitalmarktrecht in Gestalt der Behavioral Finance bereits weitgehend etabliert, vgl. insbesondere Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und behavioral finance, 2006; ders., WM 2010, 289, 290 f.; Fleischer in FS Immenga, 2004, S. 575 ff.; Boot/Macey, 89 Cornell L. Rev. (2004), 356, 369. 15 Das ist aus der Diskussion über das „Empire Building“ in Gestalt zweifelhafter Expansionsprojekte bekannt, siehe dazu Rudolph, Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarkt, 2006, S. 441 ff.; Schütte, Die Dividendenentscheidung in der Aktiengesellschaft, 1994, S. 148 ff., 166 ff.; Cahn/Senger in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 58 Rz. 8.
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der Öffentlichkeit16. Mit diesem Anspruch verträgt es sich nicht, die eigene Herrschaftsposition leichtfertig aufs Spiel zu setzen, der Fachöffentlichkeit als Totengräber einer Großbank in Erinnerung zu bleiben und im Leben keine andere Perspektive mehr zu haben, als sich in landschaftlich reizvoller Umgebung dem Trunk hinzugeben. Auch der Reputationseffekt spricht also dagegen, dass bewusst übermäßige Risiken eingegangen wurden17. Drittens und letztlich ist darauf hinzuweisen, dass weder der Untersuchungsbericht des Insolvenzverwalters in Sachen Lehman Brothers18 noch die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft Düsseldorf betreffend die Verhaltensweise des Vorstands der IKB im Vorfeld der Finanzkrise19 Hinweise auf ein vorsätzliches Eingehen übermäßiger Risiken zu Tage gefördert haben. Bei nüchterner Betrachtung überzeugen daher die Erklärungsansätze weit mehr, die zum einen eine fahrlässige Falschbewertung der Risiken aus Derivategeschäften als Ursache der Finanzkrise nennen, die wiederum durch übermäßiges Vertrauen auf mathematisch-statistische Risikobewertungsmodelle und eine hohe Produktkomplexität hervorgerufen wurde20, und zum anderen darauf verweisen, dass die Aktionäre mehr als alle anderen ein Interesse an der Eingehung höherer Risiken gehabt und die Vorstände zur Formulierung entsprechend anspruchsvoller Renditeziele gedrängt hätten21. Hinzu kommt, dass in einigen Banken zu spät auf die ersten Anzeichen der Krise reagiert wurde22. Der Unterschied zwischen den Ansichten ist haftungsrechtlich bedeutsam, obwohl der Vorstand sowohl für Vorsatz als auch für Fahrlässigkeit haftet23. Soweit es nur um den Vorwurf der Fahrlässigkeit geht, könnte der Umstand, dass bei der Bewertung und beim Risikomanagement der erworbenen Derivate international allgemein anerkannte und erprobte Methoden verwendet wurden, die zudem auch von den zuständigen Aufsichtsbehörden nicht beanstan-
__________ 16 Fischer, Der Aufsichtsrat 2009, 122 ff.; vgl. auch Thüsing, ZGR 2003, 457, 476; Fonk, NZG 2005, 248, 252; v. Werder in Grundmann/Hofmann/Möslein, Finanzkrise und Wirtschaftsordnung, 2009, S. 87, 90. 17 Skeptisch dazu allerdings v. Werder (Fn. 16), S. 87, 91 f. 18 Zu finden etwa bei http://blogs.wsj.com/deals/2010/03/11/lehman-brothers-heres-acopy-of-the-court-examiners-report/ (3.5.2010). Del. Chancery v. 24.2.2009 (Citigroup), Case No. 3338-cc. 19 http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,633727,00.html (3.5.2010). 20 Schön/Cortez, IRZ 2009, 11; Heise in Schäfer/Burghof/Johanning/Wagner/Rodt, Risikomanagement und kapitalmarktorientierte Finanzierung, 2009, S. 43, 45 ff. (jeweils unter Berufung auf Informationsasymmetrie); vgl. auch Horn, KSzW 2010, 67, 68 f.; Grundmann/Hofmann/Möslein (Fn. 16), S. 1, 3 ff.; vgl. auch Rudolph, ZGR 2010, 1, 24 ff. 21 Sinn, Casino-Kapitalismus, 2009, S. 83 ff., sowie ders., Risk Taking, Limited Liability, and the Banking Crisis, 2009, http://www.cesifo-group.de/portal/page/portal/ifo Home/b-publ/b1book/90publindiv/_publsinn_reprints (3.5.2010). Für diese Erklärung auch Alan Greenspan in seinem Bericht an den Untersuchungsausschuss des USKongresses zur Untersuchung der Finanzkrise, zit. nach FAZ vom 13.4.2010, S. 19. 22 So Kirkpatrick in OECD, Financial Market Trends, 1/2009, S. 4 f.; verfügbar unter http://www.oecd.org/dataoecd/32/1/42229620.pdf. 23 Zur strafrechtlichen Komponente vgl. Seibt/Schwarz, AG 2010, 301 ff.; Schröder, NJW 2010, 1169 ff.; Brammsen, wistra 2009, 85 ff.; Lüdersen, StV 2009, 468 ff.
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det wurden, durchaus entlastende Wirkung haben24. Denn eine Fahrlässigkeitshaftung kann schwerlich soweit gehen, dass das handelnde Unternehmensorgan klüger sein muss als der gesamte Markt25, und eine Haftung wäre nur noch zu bejahen, wenn sich im Einzelfall Fehler beispielsweise bei der Entscheidungsvorbereitung26 oder hinsichtlich der (stets erforderlichen) Plausibilitätskontrolle externer sachverständiger Beurteilungen27 nachweisen ließen. Rechtspolitisch ist die Frage ebenfalls von erheblicher Bedeutung. Denn die Finanzkrise hat schlagend die Theorie widerlegt, wonach professionelle Marktteilnehmer stets in der Lage wären, die Risiken komplexer Wertpapiere zu erkennen und diese sachgerecht zu bewerten28. Von daher wäre in kapitalmarktrechtlicher Hinsicht über eine Produktregulierung nachzudenken, die auf ein Verbot bestimmter, besonders komplexer oder im Hinblick auf Marktmissbrauch besonders anfälliger Derivate zielt29. Ganz im Sinne Uwe H. Schneiders wäre es zudem, wenn auch bestimmte Marktakteure, die gegenüber den Vorständen typischerweise mit Forderungen nach risikoerhöhenden Maßnahmen auftreten, einer Verhaltensregulierung unterworfen würden30. Die Problematik dieser Regulierungsansätze liegt freilich darin, dass sich sämtliche dazu gemachte Vorschläge nur in internationaler Abstimmung verwirklichen lassen, weil jede nationale Regelung durch einen Wechsel des Marktplatzes, auf dem die fraglichen Derivate gehandelt werden, oder durch eine Sitzverlegung des Marktakteurs leicht zu unterlaufen wären. Der Markt für Führungskräfte ist hingegen nach wie vor eher national geprägt31 und daher einer schnellen Regulierung durch den deutschen Gesetzgeber zugänglich. Zudem dürfte eine Rolle gespielt haben, dass die öffentliche Aufregung sich leichter an hohen Gehältern entzündet als an komplexeren Ursachen der Finanzkrise32.
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24 Peltzer, NZG 2009, 1041, 1044; Schäfer/Zeller, BB 2009, 1706, 1710; Empt, KSzW 2010, 107, 110 ff. 25 So auch die Schlussfolgerung von Empt, KSzW 2010, 107, 111; ähnl. Balthasar/ Hamelmann, WM 2010, 589, 591; wie hier auch Krieger in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 3 Rz. 7; Spindler, NZG 2010, 281, 283 ff. 26 Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rz. 47; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rz. 33; Drygala in K. Schmidt/Lutter, 2. Aufl. 2010, § 116 Rz. 11; bedenklich weit dazu BGH, NJW 2008, 3361, 3362 und Goette, ZGR 2008, 436, 448. 27 Fleischer, ZIP 2009, 1397, 1402; ders., NJW 2009, 2337, 2339. 28 Tauke, 3 Colum.Bus.L.Rev. (1989), 115 ff.; Pfenninger, Auslegung von Anleihensbedingungen, 1995, S. 40; Daeniker, Anlegerschutz bei Obligationenanleihen, 1992, S. 77 f.; v. Randow, ZBB 1994, 23 ff.; ders. in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 25, 55 ff.; Florstedt, AG 2010, 315, 317 ff. 29 Vgl. Wahl, KJ 2009, 167, 170; ablehnend Horn, KSzW 2010, 67, 74; demgegenüber wählt die Richtlinie 2009/111/EG, ABl. L 302 v. 17.11.2009, S. 97 f. einen Ansatz, der verbindlich Mindestkenntnisse des Erwerbers normiert; näher dazu Wittig in Habersack/Mülbert/Nobbe/Wittig, Bankrechtstag 2009, S. 129, 137 ff. 30 Nietsch/Graef, ZBB 2010, 12 ff.; Zetzsche, NZG 2009, 692 ff.; Bolder, EuZW 2008, 321; abl. Eidenmüller, DStR 2007, 2116; Möschel, ZRP 2009, 129 ff. 31 Adams, ZIP 2002, 1339; Hüffer, ZHR 161 (1997), 214, 235; Thüsing in Fleischer, Handbuch Vorstandsrecht, 2006, § 6 Rz. 11; a. A. Kallmeyer, ZIP 2002, 1663. 32 Die soziale Friedensfunktion des § 87 AktG betonen Pelzer in FS Lutter, 2000, S. 574, 586 und Lutter, ZIP 2003, 737, 739; den Zusammenhang des VorstAG mit dem Wahltermin 2009 betont Bosse, BB 2009, 1650.
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2. Auswirkungen der Neuregelung in §§ 87, 116 AktG Die Veränderungen, die das VorstAG für die Festsetzung der Vergütungshöhe gebracht hat, sind vielfach beschrieben worden33, das muss nicht wiederholt werden. Für das hier untersuchte Thema sind aber zwei Aspekte hervorzuheben. a) Stärkung der Aufsichtsrats-Verantwortlichkeit Zum einen hat der Gesetzgeber sowohl an der Formulierung in § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG festgehalten, dass es sich um eine „Festsetzung“ der Bezüge durch den Aufsichtsrat handelt, obwohl dem Gesetzgeber nicht verborgen geblieben sein kann, dass die Gehaltshöhe tatsächlich Ergebnis eines Verhandlungsprozesses zwischen Vorstandsmitglied und Aufsichtsrat ist34. Das Festhalten an der Formulierung kann daher nur so gemeint sein, dass der Gesetzgeber den Aufsichtsrat nach wie vor als den hauptsächlichen Träger der Verantwortung für die Angemessenheit der Bezüge ansieht; er soll im Sinne des Gesetzes das letzte Wort in dieser Frage haben. Diese Einschätzung wird durch die ausdrückliche Betonung der haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit in § 116 Satz 3 AktG noch verstärkt. Denn auch wenn diese Einfügung ins Gesetz nur ausformuliert, was ohnehin schon vor der Reform galt35, unterstreicht sie, dass das Gesetz die Rechtsfolge einer unangemessenen Vergütungsfestsetzung primär in der Haftung des Aufsichtsrats sieht. Auch die Pflicht, die Frage zwingend im Plenum und nicht in einem Ausschuss zu beraten (§ 107 Abs. 3 Satz 2 AktG n. F.), weist in dieselbe Richtung36. Man kann daher zum einen festhalten, dass der Gesetzgeber mit dem VorstAG die Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats in der Vergütungsfrage stärken wollte37. b) Vertikalität und qualitative Unangemessenheit Zum anderen ist festzuhalten, dass die Festsetzung der angemessenen Vergütung nicht unbedingt einfacher geworden ist. Das liegt daran, dass sich die Anzahl der zu berücksichtigenden Kriterien erhöht hat. Das gilt weniger für das neu hinzugekommene Merkmal der Leistung, denn dieses Merkmal wurde schon vor der Reform stillschweigend in den § 87 AktG hineingelesen38. Für zusätzliche Unsicherheit sorgt aber die Forderung, die übliche Vergütung nicht
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33 Etwa Fleischer, BB 2010, 67 ff.; Thüsing, AG 2009, 517 ff.; Inwinkl/Schneider, WPg 2009, 971; Lingemann, BB 2009, 1918. 34 Zum Verhandlungsprozess und seinen Defiziten Bebchuk/Fried/Walker, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), 751; Loewenstein, 35 Wake Forest L. REv. (2000), 1, 19; ders., 50 SMU L. Rev. (1996), 201, 205; Thüsing, ZGR 2003, 450, Schwark in FS Raiser, 2005, S. 377, 394. 35 Drygala in K. Schmidt/Lutter, 2. Aufl. 2010, § 116 Rz. 50. 36 Vgl. Begr. RegE VorstAG, BT-Drucks. 16/12278, S. 6. 37 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12278, S. 8. 38 Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 87 Rz. 13; vgl. aus der Literatur vor der Reform Fonk, NZG 2005, 248, 249 f.; Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), 155, 158 f.
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nur horizontal im Hinblick auf vergleichbare (inländische39) Unternehmen, sondern auch vertikal im Hinblick auf das Gehaltsgefüge im eigenen Unternehmen zu überprüfen40. Erste Studien dazu lassen Zweifel zu, ob die Gehaltsabstände zwischen Vorständen und nachfolgender Führungsebene, die sich in den Dax-30-Gesellschaften auf das 10-fache des Bereichsleitergehalts und das 20-fache des Abteilungsleitergehalts belaufen41, als angemessen angesehen werden können, da sich ein solcher Abstand nicht mit Leistung oder höherer Verantwortung, sondern nur mit Gepflogenheiten erklären lasse42. Denn ein Vorstand muss sich zwar mehr für das Unternehmen einsetzen als ein Bereichs- oder Abteilungsleiter und trägt auch mehr Verantwortung, dies aber sicherlich nicht um den Faktor 10 (bezogen auf den Bereichsleiter) oder 20 (bezogen auf den Abteilungsleiter). Sollte sich diese Auffassung durchsetzen, bedürfte das Gehaltswesen auf der Führungsebene deutscher börsennotierter Unternehmen wohl einer Generalrevision. Hinzugekommen sind auch Anforderungen an die Ausgestaltung der Vergütung. Denn nach § 87 AktG n. F. muss die Vergütung nicht nur der Höhe nach (quantitativ) angemessen sein, sondern sie muss auch auf die nachhaltige Unternehmensentwicklung ausgerichtet sein und Begrenzungen für unerwartete Entwicklungen vorsehen. § 116 Satz 3 AktG verweist auf den ganzen Absatz 1 des § 87 AktG, so dass auch diese qualitativen Fragen der Vergütungsregelung Gegenstand einer Aufsichtsratshaftung sein können. Der Aufsichtsrat ist also nicht nur für die Höhe der Vergütung verantwortlich, sondern auch für ihre sinnvolle und die Interessen des Unternehmens fördernde Zusammensetzung. Dahinter verbirgt sich weit mehr als die Aussage, dass die langfristigen Vergütungsbestandteile die kurzfristigen übersteigen sollen43. Fälle einer qualitativen Unangemessenheit der Vergütung können z. B. vorliegen, wenn der Vertrag keine Begrenzung von gewinnbezogenen Vergütungsbestandteilen für den Fall außerordentlicher Erträge enthält44, wenn Abfindungen auch für den Fall der Kündigung aus wichtigem Grund vorgesehen werden45 oder wenn im Hinblick auf eine nach Abberufung fortgezahlte Vergütung oder eine Abfindung keine Anrechnung anderweitigen Verdienstes nach § 615 BGB vorgesehen
__________ 39 Ein Vergleich mit ausländischen Unternehmen wird nur dann für zulässig gehalten, wenn sich eine Internationalität des Marktes für Führungskräfte sowie eine konkrete Anstellungschance für den betroffenen Bewerber bei einem ausländischen Unternehmen nachweisen lassen, so Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 87 Rz. 8; Adams, ZIP 2002, 1325, 1338 f.; Hüffer, ZHR 161 (1997), 214, 235. 40 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12278, S. 5; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/13433, S. 10; ablehnend dazu Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 87 Rz. 16 a. E.; Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1351. 41 FAZ v. 15.3.2010, „In den Konzernen klafft eine Gehaltslücke“, http://www.faz.net/ s/RubEC1ACFE1EE274C81BCD3621EF555C83C/Doc~E703B3D77A2CB4C94870D1 1C1EA9F8DC1~ATpl~Ecommon~Scontent.html (3.5.2010). 42 Aus diesem Grund ganz gegen das Kriterium Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1351. 43 So aber Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1351 f. 44 Drygala in K. Schmidt/Lutter, 2. Aufl. 2010, § 116 Rz. 51. 45 BGH v. 17.3.2008 – II ZR 239/06, DB 2008, 1314, 1315 (zur Genossenschaft).
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wird46. Man kann solche Vertragsinhalte auch nur bedingt damit rechtfertigen, dass sie Ergebnis des Verhandlungsprozesses seien, da die Verhandlungsparität zwischen Vorstand und Aufsichtsrat aus den bekannten Gründen gestört ist47; wäre sie es nicht, wäre der ganze § 87 AktG überflüssig. Man kann daher in der Frage, was hinsichtlich der Nebenbestimmungen der Anstellungsverträge üblich und angemessen ist, das dispositive Recht als Leitbild heranziehen und vom Aufsichtsrat verlangen, dass er davon nicht ohne besonderen Grund abweicht, § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG. Als qualitativ unangemessen erweisen sich im Lichte von § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG n. F. auch Vergütungsbestandteile, die gar nicht auf die Entwicklung des Unternehmens ausgerichtet sind, bei dem der Vorstand angestellt ist. Denn wenn schon eine Anreizwirkung der Vergütung verhindert werden soll, die in Richtung auf eine kurzfristige Gewinnmaximierung wirkt, dann muss dies erst recht gelten, wenn Anreize gesetzt werden, die Interessen des eigenen Unternehmens gar nicht mehr zu verfolgen, sondern statt dessen die Interessen eines Dritten48. Dies betrifft insbesondere die Fälle der Drittanstellung, die mit § 87 AktG n. F. nicht mehr zu vereinbaren sind49, und auch die Gewährung einer am Gewinn des Mutterunternehmens orientierten Vergütung, sofern diese von ihrem Volumen her eine erhebliche Anreizwirkung dahin entfaltet, vor allem die wirtschaftlichen Interessen des Mutterunternehmens zu berücksichtigen. Die in der Literatur vielfach abgelehnte50 und auch vom BGH skeptisch beurteilte51 Entscheidung des OLG München vom 7.5.200852 erfährt daher durch das VorstAG eine nachträgliche Bestätigung. Auch ein Vorrang des Konzernrechts53 dürfte sich angesichts des klaren, auf das Unternehmen und nicht die Unternehmensgruppe bezogenen Wortlauts nach neuem Recht nur noch schwer vertreten lassen. Zudem schafft die drittbezogene Vergütung einen Fehlanreiz mit Dauerwirkung, der nicht nach § 311 AktG als Nachteil quantifizierbar ist.
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46 Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 87 Rz. 83; vgl. auch Köstler/ Zachert/Müller, Aufsichtsratspraxis, 9. Aufl. 2009, Rz. 657. 47 Die Gründe liegen in der Verfügung des Aufsichtsrats über fremdes Geld und in der Tatsache, dass sich die Aufsichtsräte auf der Arbeitgeberseite mehrheitlich aus aktiven oder ehemaligen Vorständen zusammensetzen. Näher dazu Thüsing, ZGR 2003, 457, 464 ff.; Langenbucher in FS Huber, 2006, S. 861, 862 f., aus der amerikanischen Literatur Bebchuk/Fried/Walker, 69 U. Chi. L. Rev. (2002), 751. 48 Wie hier auch Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 87 Rz. 11. 49 Schon vorher für Unzulässigkeit Hefermehl/Spindler in Münch.Komm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 84 Rz. 54; Thüsing in Fleischer, Handbuch Vorstandsrecht, 2006, § 4 Rz. 68 f.; Theobald in FS Raiser, 2005, S. 421, 435 ff.; im Lichte des VorstAG wie hier auch Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 84 Rz. 56; a. A. Seibt in K. Schmidt/Lutter, 2. Aufl. 2010, § 84 Rz. 26; Wiesner in MünchHdb. GesR IV, 3. Aufl. 2007, § 21 Rz. 2 ff.; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rz. 411. 50 Habersack, NZG 2008, 634 ff.; Waldhausen/Schüller, AG 2009, 179 ff.; Hohenstatt/ Seibt/Wagner, ZIP 2008, 2289; zustimmend aber Spindler, WuB II A § 192 AktG 2.08. 51 Der Beschluss des BGH vom 9.11.2009 – II ZR 154/08, ZIP 2009, 2436, betont, dass der Ansatz des OLG „sich von den Regeln des § 87 AktG a. F. entfernt“. 52 OLG München, ZIP 2008, 1237 ff.; ebenso LG Köln, AG 2008, 327, 335. 53 Darauf abstellend Habersack, NZG 2008, 634 ff.; ders. in FS Raiser, 2005, S. 111, 118 ff.
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Auch die Regelung in § 192 Abs. 2 Satz 3 AktG, die die Schaffung von Aktienoptionen zur Gewährung an Führungskräfte verbundener Unternehmen ausdrücklich zulässt, steht der hier vertretenen Ansicht nicht entgegen54. Denn die Schaffung solcher Optionen ist die eine Frage, ihre Gewährung in einem Umfang, der den Interessen des Anstellungsunternehmens entgegenwirkt, eine davon zu unterscheidende andere. Schließlich kann auch das Argument, die drittbezogene Vergütung sei ein wesensgleiches Minus zum zulässigen Doppelmandat55, nur bedingt überzeugen. Denn die Zulässigkeit des Doppelmandats rechtfertigt sich maßgeblich aus § 88 Abs. 1 Satz 2 AktG, wonach die Zulässigkeit von der Zustimmung beider Aufsichtsräte abhängt56. Zwar trifft dieses Argument auch auf die Ausgestaltung der Vergütungsregelung zu, da auch hier der Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft der Vergütungsregelung, die die problematische Optionskomponente enthält, zustimmen muss. Aber insoweit begrenzt die neue Vorschrift des § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG das Ermessen des Aufsichtsrats auf solche Gestaltungen, die dem Unternehmensinteresse der abhängigen Gesellschaft zumindest nicht zuwiderlaufen. Eben das ist bei einer Vergütung, die sich maßgeblich an der Kursentwicklung der Muttergesellschaft ausrichtet, aber nicht der Fall. Hinzu kommt auch, dass die ungeschmälerte Loyalitätspflicht gegenüber beiden Gesellschaften, auf die die Rechtsprechung ebenfalls maßgeblich abstellt57, bei der drittbezogenen Vergütung ebenfalls nicht gegeben ist. Von daher handelt es sich eher um ein Aliud als um ein wesensgleiches Minus58.
III. Mitverantwortung des Vorstands für die Vergütung 1. Ausgangspunkt: Unzureichende Rechtsfolge des § 87 AktG und Schwäche des Aufsichtsrats Die Forderung, den Vorstand in der Frage der Vergütungshöhe und, so muss man ergänzen, der angemessenen Vertragsgestaltung mit ins Boot zu nehmen, speist sich zum einen aus einer Unzufriedenheit mit den Rechtsfolgen des § 87 AktG. Denn angesichts der Tatsache, dass die Vorschrift nach ihrer Entstehungsgeschichte kein gesetzliches Verbot i. S. d. § 134 BGB beinhaltet, ist die jetzt in § 116 Satz 3 AktG ausdrücklich normierte Aufsichtsratshaftung die einzige Rechtsfolge der Norm. Störend wird daran empfunden, dass der Vorstand das zuviel vereinnahmte Geld danach behalten darf59, was einer in dieser Frage sensiblen Öffentlichkeit nicht leicht zu vermitteln ist. Es wird daher nach einer Möglichkeit gesucht, den Mehrbetrag beim Vorstand abzuschöpfen, wie es auch in anderen Rechtsordnungen möglich ist60.
__________ 54 55 56 57 58 59 60
Wie hier auch Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 87 Rz. 11. Waldhausen/Schüller, AG 2009, 179 ff.; Hohenstatt/Seibt/Wagner, ZIP 2008, 2289. BGH v. 9.3.2009 – II ZR 170/07, ZIP 2009, 1162, 1163 bei Rz. 14. BGH v. 9.3.2009 – II ZR 170/07, ZIP 2009, 1162, 1163 bei Rz. 16. Wie hier auch Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 87 Rz. 11. Lutter, ZIP 2006, 733, 735. Betont so Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 87 Rz. 29 sowie ders., DStR 2005, 1318, 1322.
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Hinzu kommt, dass man ganz offensichtlich dem Aufsichtsrat in der Gehaltsfrage nicht über den Weg traut. Der Vorwurf der „Selbstbedienung“ der Vorstände in der Gehaltsfrage schwingt in der Diskussion mit und wird teilweise auch offen ausgesprochen61, wenn das Reichsgericht mit seiner Feststellung zitiert wird, die Festsetzung der überhöhten Vergütung sei einem „schwachen und ihm (dem Vorstand, der Verf.) ergebenen Aufsichtsrat“ zu verdanken gewesen, der zudem „von ihm nicht genügend unterrichtet“ worden sei62. Nicht thematisiert wird dabei, ob es nicht möglich sei, im Rahmen der Corporate Covernance die Position des Aufsichtsrats so zu stärken, dass diese Effekte nicht mehr auftreten. 2. Dogmatische Ansatzpunkte Für eine Ausweitung der Rechtsfolgen des § 87 AktG in Richtung auf den Vorstand werden, abgesehen von dem Versuch, die Norm entgegen der Entstehungsgeschichte doch zu einem gesetzlichen Verbot zu erklären63, drei dogmatische Ansatzpunkte vorgebracht. Der wohl am weitesten verbreitete Ansatz nimmt eine Verschuldenshaftung des Vorstands aufgrund der organschaftlichen Treupflicht an64. Dabei wird anerkannt, dass es die Treupflicht dem Vorstand nicht verbietet, in den Verhandlungen eigene Interessen zur Geltung zu bringen65. Die Legitimität dieser Verfolgung von Eigeninteressen werde aber durch das Gesetz, hier in Gestalt von § 87 AktG, begrenzt. Danach ist es dem Vorstand nicht verwehrt, eine Vergütung zu fordern, die sich am oberen Rand des im Rahmen von § 87 AktG gerade noch vertretbaren bewegt, während umgekehrt der Aufsichtsrat versuchen müsste, die Leistung möglichst billig für die Gesellschaft einzukaufen. Werden aber die Grenzen des § 87 AktG überschritten, so sei der Vorstand verpflichtet, auf eine gesetzmäßige Verhaltensweise hinzuwirken. Damit sei es ihm zugleich verboten, an einem Gesetzesverstoß des Aufsichtsrats in Gestalt der Gewährung einer mit § 87 AktG nicht zu vereinbarenden Vergütung als Teilnehmer mitzuwirken66. Pflichtwidrig und schuldhaft handelt der Vorstand folglich dann, wenn er eine für ihn erkennbar unter Verstoß gegen § 87 AktG festgesetzte Vergütung annimmt. Als Rechtsfolge ergibt sich ein Schadensersatzanspruch der Gesellschaft, der neben die Ansprüche gegen die Aufsichtsratsmitglieder67 aus § 116
__________ 61 Insbesondere Peltzer in FS Lutter, 2000, S. 572; Lutter, ZIP 2003, 737, 739; Bernhardt, BB 2008, 1686, 1687 f. 62 RG, JW 1934, 2151 f. 63 Heidel/Oltmanns, Aktienrecht, 2. Aufl. 2007, § 87 Rz. 6; Säcker/Stenzel, JZ 2006, 1151, 1152 ff. 64 Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 87 Rz. 79 f.; ders., DStR 2004, 36, 42; Peltzer in FS Lutter, 2000, S. 571, 578; Ziemons in FS Huber, 2006, S. 1043 ff.; Schwark in FS Raiser, 2005, S. 377, 395; Lutter, ZIP 2006, 733, 735. 65 Peltzer in FS Lutter, 2000, S. 571, 577 f.; Ziemons in FS Huber, 2006, S. 1043 ff. 66 Peltzer in FS Lutter, 2000, S. 571, 578; Ziemons in FS Huber, 2006, S. 1043 ff.; Schwark in FS Raiser, 2005, S. 377, 395; Lutter, ZIP 2006, 733, 735; kritisch Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 87 Rz. 5. 67 A. A. Szalai/Marz, DStR 2010, 809 ff. (Haftung des Aufsichtsrats als Kollegialorgan).
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Satz 3 AktG tritt und, so muss man ergänzen, mit diesen wohl in einem Gesamtschuldverhältnis steht. In eine ganz ähnliche Richtung weist ein zum GmbH-Recht ergangenes Urteil des BGH, wonach ein Geschäftsführer seine Pflichten aus § 43 Abs. 2 GmbHG verletzt, wenn er gegenüber der Gesellschaft darauf hinwirkt, dass ihm eine vertraglich nicht zustehende Vergütung überwiesen wird68. Die beiden anderen Ansätze knüpfen an die Vertretungsmacht des Aufsichtsrats nach § 112 AktG an. Unzweifelhaft hat der Aufsichtsrat bei den Verhandlungen mit dem Vorstand Geschäftsführungsbefugnis nur im gesetzlichen Rahmen des § 87 AktG. Überschreitet er diesen Rahmen, handelt er, da ein gesetzliches Verbot nicht besteht, wirksam, aber im Verhältnis zur Gesellschaft pflichtwidrig. Eben das verdeutlicht § 116 Satz 3 AktG n. F. Die Vertretungsmacht des Aufsichtsrats ergibt sich demgegenüber aus § 112 AktG. Nach einer der beiden Ansichten soll die Korrektur über die Rechtsfigur des Missbrauchs der Vertretungsmacht erfolgen69. Danach ist bei einer Überschreitung der Geschäftsführungsbefugnis die formal gegebene Vertretungsmacht gleichwohl zu verneinen, wenn der andere Vertragsteil bösgläubig ist, wobei im einzelnen Streit besteht, welcher Grad der Bösgläubigkeit sowohl auf der einen wie auch auf der anderen Seite zu fordern ist70. Gesichert ist, dass der Vertrag nach § 138 BGB unwirksam ist, wenn beide Verhandlungspartner einverständlich zum Nachteil des Vertretenen zusammenwirken71. Im Übrigen fordert die Rechtsprechung bei den gesetzlich vertypten Formen der Vertretungsmacht im Bereich des Handels- und Gesellschaftsrechts, zu denen auch § 112 AktG gehören dürfte, einen vorsätzlichen Verstoß des Bevollmächtigten72. Legt man hingegen die in der Literatur vorwiegend vertretene Evidenztheorie zugrunde, so muss der Vertreter lediglich objektiv unrechtmäßig gehandelt haben, während auf Seiten des Geschäftsgegners erforderlich ist, dass er das pflichtwidrige Handeln des anderen Teils entweder gekannt oder dass die Pflichtwidrigkeit für ihn evident in einem Sinne war, dass sich die Unzulässigkeit des Handelns der anderen Seite geradezu aufdrängen musste73. Danach könnte die Wirksam-
__________ 68 BGH v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, ZIP 2008, 117 bei Rz. 3; ähnlich bereits BGHZ 20, 239, 246. 69 Langenbucher in FS Huber, 2006, S. 861, 863 f.; Kort in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2008, § 87 Rz. 71; Martens, ZHR 169 (2005), 124, 135 f.; Schwark in FS Raiser, 2005, S. 377, 395. 70 Übersicht bei Schramm in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 164 Rz. 108 ff. 71 BGH, NJW 1989, 26; BGH, NJW 2000, 2896, 2897; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 737. 72 Vorsatz auf Seiten des Vertreters verlangt BGH, NJW 1962, 1718; BGHZ 50, 112, 114; BGH, WM 1976, 658, 659; BGH, WM 1981, 66 f.; ohne diese Begrenzung freilich BGH, NJW 1988, 3012, 3013; näher dazu K. Schmidt, Handelsrecht, 5. Aufl. 1999, § 16 III 4 bei Fn. 77; Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 14 Rz. 37. 73 Heinrichs in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 164 Rz. 14; Medicus, BGB AT, 9. Aufl. 2006, Rz. 968; Larenz/Wolf, BGB AT, 9. Aufl. 2004, § 46 Rz. 142; Palm in Erman, BGB, 12. Aufl. 2008, § 164 Rz. 48; Schramm in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 164 Rz. 113; dafür in Bezug auf die hier diskutierte Problematik auch Langenbucher in FS Huber, 2006, S. 864 f.; Martens, ZHR 169 (2005), 124, 135 f.
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keit des Anstellungsvertrags entfallen, wenn die Grenzen des § 87 AktG aus Sicht des Vorstands evident überschritten werden. Noch weiter geht ein Ansatz, der die Vertretungsmacht des Aufsichtsrats bei Verstoß gegen § 87 AktG generell in Frage stellt. Diese Meinung beruft sich darauf, dass bei gesellschaftsbezogenen Geschäften zwischen Gesellschaftern und Organen der Gesellschaft die rechtliche Unterscheidung zwischen Geschäftsführungsbefugnis im Innenverhältnis und Vertretungsmacht im Außenverhältnis nicht gelte74. Diese schütze vielmehr, wie sich auch am Wortlaut der §§ 126 Abs. 2 HGB, 37 Abs. 2 GmbHG zeigt, nur den außenstehenden Dritten in seinem Vertrauen auf die Vertretungsmacht der Organe. Dritter in diesem Sinne sei der Vorstand aber nicht. Folge dieser weitestgehenden Ansicht ist, dass Verstöße gegen § 87 AktG unmittelbar auf die Vertretungsmacht des Aufsichtsrats und damit auf die Gültigkeit des Anstellungsvertrages durchschlagen, ohne dass es auf subjektive Elemente auf Seiten des Vorstands oder eine besondere objektive Evidenz des Verstoßes ankäme. 3. Stellungnahme a) Die „Vollmachtslösung“ Gegen die zuletzt genannte Ansicht bestehen erhebliche Einwände. Zweifelhaft ist schon, ob die Vertretungsmacht des Aufsichtsrats nach § 112 AktG tatsächlich keine Unterscheidung zwischen Innen- und Außenverhältnis kennt. Zwar lässt sich durchaus argumentieren, dass jedenfalls der amtierende Vorstand nicht „Dritter“ sei, ebenso wie ein Mitgesellschafter nicht als Dritter im Sinne des § 126 HGB gilt75, weil er als Unternehmensinsider die Verhältnisse kennt. Jedoch kennt gerade § 82 AktG diese Ausnahme für kooperationsrechtliche Geschäfte nicht; er gilt vielmehr auch für die Vertretung gegenüber Gesellschaftern, anderen Vorstandsmitgliedern und dem Aufsichtsrat76. Daher ist es sehr fraglich, ob der von Fleischer postulierte allgemeine Rechtsgrundsatz für das AktG überhaupt anzuerkennen ist. Dagegen spricht, dass die Insiderstellung des Vorstands, von der die Gegenauffassung stillschweigend ausgeht, keinesfalls selbstverständlich ist. So kann insbesondere dann, wenn der Aufsichtsrat in Abwesenheit des Vorstands getagt hat (vgl. Ziff. 3.6 Satz 2 DCGK), für den Vorstand durchaus zweifelhaft sein, ob alle Beschlüsse, die der Vertretung zugrunde liegen, wirksam gefasst sind. Auch im Hinblick auf die Vergütungsentscheidung kann man den neu einzustellenden externen Kandidaten für eine Vorstandsposition nicht ohne weiteres als Unternehmensinsider ansehen, demgegenüber der Schutz der unbeschränkten Außenvertretungsmacht zu versagen ist. Insbesondere in das Gehaltsgefüge der Gesellschaft, das zur Beurteilung der vertikalen Angemessenheit erforderlich ist, kann er zu die-
__________ 74 Fleischer, DStR 2005, 1318, 1322; ders. in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 87 AktG Rz. 29. 75 BGHZ 38, 33; BGH, WM 1979, 72; Hopt in Baumbach/Hopt, 34. Aufl. 2010, § 126 HGB Rz. 6 m. w. N., heute ganz h. M. 76 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 82 Rz. 3 m. w. N., allg. Meinung.
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ser Zeit schlechterdings keinen Einblick haben77. Gleiches gilt für unternehmensinterne Gründe, die den Aufsichtsrat berechtigen, das Maß der üblichen Vergütung im Einzelfall zu überschreiten. Aus diesem Grunde erscheint die generelle Verneinung der Vertretungsmacht als ein zu grobes Instrument zur Bewältigung der Problematik. Erschwerend kommen Bedenken aufgrund der Rechtssicherheit hinzu. Es ist davon auszugehen, dass die Angemessenheitsgrenze des § 87 AktG zukünftig eine größere Rolle spielen wird; eben das ist ja Sinn der Normverschärfung durch das VorstAG gewesen. Dann aber belastet das automatische Durchschlagen des Verstoßes gegen das Gebot der quantitativen und qualitativen Angemessenheit die Vorstandsverträge in zunehmendem Maße mit der Gefahr der Unwirksamkeit. Denn da nicht anzunehmen ist, dass der Vorstand bereit wäre, auch ohne Vergütung tätig zu werden, muss die Unwirksamkeit der Vergütungsabrede zwangsläufig den gesamten Anstellungsvertrag erfassen. Dieser wäre folglich nach den Regeln des fehlerhaften Dienstvertrages zu behandeln78, was beiden Parteien die Möglichkeit der jederzeitigen Vertragsauflösung verschafft. Zugleich ist § 87 AktG aber eine in hohem Maße unbestimmte und bisher nur wenig durch die Rechtsprechung konkretisierte Norm, so dass die sich daraus ergebenden Ungewissheiten Zweifel über die Gültigkeit der Verträge hervorrufen. Gleichzeitig ist nach der Vollmachtslösung nur der objektive Verstoß gegen § 87 AktG erforderlich, so dass subjektive Beurteilungsspielräume79 bei der Festsetzung der Vergütung dem Vertrag nicht zur Wirksamkeit verhelfen würden. Auch rechtliche Fehlbeurteilungen hinsichtlich der qualitativen Angemessenheit wären unbeachtlich. Daher besteht die erhebliche Gefahr, dass nach dieser Ansicht beide beteiligten Parteien jedenfalls dann, wenn sich der Vertrag in Grenzbereichen der quantitativen oder qualitativen Angemessenheit bewegt, nicht mehr beurteilen können, ob der Anstellungsvertrag wirksam ist. Das ist für die Gesellschaft nicht von Vorteil, da sie ein Interesse an der Rechtsbeständigkeit der Verträge hat. Von daher korrespondiert die zurückhaltend formulierte Rechtsfolge des § 87 AktG, wie sie sich nach bisheriger Lesart ergibt, durchaus auch mit dem wenig konkreten Tatbestand. Gegen die Vollmachtslösung spricht aber auch, dass sie in einer vom Gesetz nicht gewollten Weise den Aufsichtsrat von der Verantwortung entlastet. Denn wenn er in den Verhandlungen die Grenzen des § 87 AktG überschreitet, drohen ihm nach dieser Ansicht keine ernsthaften Sanktionen. Da der Anstellungsvertrag mit dem Vorstand dann unwirksam bzw. nur nach den Regeln des fehlerhaften Dienstvertrages der Rückabwicklung entzogen ist, steht der Gesellschaft bei einer Überschreitung des § 87 AktG ohne weiteres ein Bereiche-
__________ 77 In der Bewertung anders Langenbucher in FS Huber, 2006, S. 861, 864. 78 Wie hier auch Langenbucher in FS Huber, 2006, S. 861, 869. 79 Zu diesen Drygala in K. Schmidt/Lutter, 2. Aufl. 2010, § 116 Rz. 9; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 87 Rz. 15; Bayer in FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 92; zum Parallelproblem bei der Insolvenzantragspflicht BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 199 = ZIP 1994, 1103.
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rungsanspruch in Höhe des zuviel gezahlten Betrages80 zu. Dieser mindert den Schaden, den der Aufsichtsrat nach § 116 Satz 3 AktG ersetzen soll, in der Regel auf Null81. Zwar wäre es denkbar, dem Aufsichtsrat die Berufung darauf in einem Rechtsstreit mit der Gesellschaft nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung82 zu versagen, da der Ersatzanspruch gegen den Vorstand den Aufsichtsrat nach dem Willen des Gesetzes offensichtlich nicht entlasten soll. Ebenso offensichtlich ist es aber, dass eine Zulassung von Schadensersatzansprüchen gegen den Aufsichtsrat neben dem Bereicherungsanspruch gegen den Vorstand die Gesellschaft unbillig begünstigen würde, denn sie könnte den Mehrbetrag zweifach geltend machen. Deshalb muss man, wenn man die Vorteilsausgleichung ablehnt, die Gesellschaft analog § 285 BGB für verpflichtet ansehen, den Bereichungsanspruch gegen den Vorstand an die nach § 116 AktG in Anspruch genommenen Aufsichtsratsmitglieder abzutreten, so dass diese im Falle ihrer Verurteilung zu Schadensersatz bei den Vorständen Regress nehmen könnten, soweit es um den zuviel gezahlten Betrag selbst geht. Am Ende der Regresskette würde sich deshalb die Rechtsfolge auf die Pflicht des Vorstands zur Rückerstattung des zuviel gezahlten Betrags beschränken, gleichgültig, ob diese Erstattung dann an die AG oder an die zuvor in Anspruch genommenen Aufsichtsräte erfolgt. Bedeutung hätte die Schadensersatzpflicht nach § 116 AktG nur dann, wenn außer der Bezahlung der überhöhten Vergütung bei der AG ein weiterer daraus resultierender Schaden entstanden ist. Das aber wird selten sein, da sich ein kausaler Zusammenhang zwischen überhöhter oder falsch strukturierter Vergütung und einer fehlerhaften Geschäftspolitik des Vorstands jedenfalls in verallgemeinerungsfähiger Form nicht belegen lässt, siehe oben unter II. Gerade diese Rechtsfolge ist mit der Intention des VorstAG, die Verantwortung des Aufsichtsrats durch eine Betonung seiner Ersatzpflicht zu schärfen83, nicht vereinbar. Sie läuft im Gegenteil darauf hinaus, einen Fehlanreiz dahin zu setzen, den Verstoß gegen § 87 AktG in Kauf zu nehmen. Denn mehr, als dass der Vorstand das zuviel erhaltene Geld erstatten muss, kann im Zweifel nicht passieren.
__________ 80 Dieser müsste sich entsprechend § 612 Abs. 2 BGB an der Differenz zur üblichen Vergütung orientieren; wie hier Schwark in FS Raiser, 2005, S. 377, 395; a. A. Langenbucher in FS Huber, 2006, S. 869 f., die wegen fehlender Schutzwürdigkeit des Vorstands eine Kondiktion in voller Höhe bejaht. Angesichts der üblichen Gehaltshöhe dürfte dem Einwand, der zuviel gezahlte Betrag sei zur Lebensführung verbraucht worden (§ 818 Abs. 3, dazu BAG v. 12.1.1994, AP BGB § 818 Nr. 3), keine überragende Bedeutung zukommen. 81 Für einen auch rechtlichen Ausschluss des Schadensersatzanspruchs Martens, ZHR 169 (2005), 124, 135 mit Fn. 30. Ein Anspruch aus § 179 BGB muss, wenn man den Vorstand in Bezug auf den Verstoß gegen § 87 AktG als Insider ansieht, an § 179 Abs. 3 BGB scheitern. 82 Zu dieser Grüneberg in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, vor § 249 Rz. 76 ff.; BGH, NJW 1990, 1360; BGH, NJW 2007, 3130; BGH, NJW 2008, 2773. 83 Begr. zum RegE, BT-Drucks. 16/12278, S. 8.
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b) Die Treupflichtlösung Hinsichtlich des Treupflichtansatzes, nach dem die organschaftliche Treupflicht es dem Vorstand gebieten soll, auf eine gesetzmäßige Vergütung hinzuwirken, ist einzuwenden, dass die organschaftlichen Pflichten für den Vorstand bei der Vertragsverhandlung keine Rolle spielen. Organpflichten sind Amtspflichten, sie treffen das Organ nur dort, wo es „in Ausführung der Verrichtung“ (§ 31 BGB) handelt84. Die Vertragsverhandlungen führt aber weder der gegenwärtige noch der potentielle Vorstand als Organ im Namen oder im Interesse der AG, sondern als Privatperson im eigenen Interesse85. Der dabei bestehende Interessengegensatz schließt es aber aus, die ansonsten im Verhältnis von Vorstand und Aufsichtsrat geltenden Regeln der wechselseitigen Offenheit und Rücksichtnahme86 sowie zur engen Zusammenarbeit87 auf diese Verhandlungen anzuwenden. Wäre dies anders, so müsste man den Vorstand bei den Gehaltsverhandlungen auch für verpflichtet ansehen, die sonstigen Interessen der AG zu wahren, also insbesondere auf einen für die Gesellschaft wirtschaftlichen Abschluss hinzuwirken, denn diese Pflicht folgt ebenso wie die Legalitätspflicht aus § 93 AktG88. Das wäre aber ein absurdes Ergebnis, und es ist auch nicht möglich, die organschaftliche Treupflicht so aufzuspalten, dass sie im Falle von Gehaltsverhandlungen nur teilweise gilt89. Dagegen spricht, dass die Organpflichten auch sonst als nicht situationsbezogen und unteilbar angesehen werden90. Es mag daher sein, dass der Vorstand im Rahmen seiner Leitungsaufgabe auch die Rechtmäßigkeit der Handlungen anderer Unternehmensorgane zu prüfen hat91, aber bei den Gehaltsverhandlungen gilt das gerade nicht. Hier ist der Vorstand nicht an seine Leitungspflichten aus §§ 76, 93 AktG und mithin auch nicht an die Legalitätspflicht gebunden. Diese Beurteilung deckt sich mit der Sichtweise der Strafsenate des BGH. Soweit es um den Vorwurf der Untreue durch Annahme einer nicht geschuldeten Vergütung geht, wird in der neueren Rechtsprechung eine Sonderpflicht des Vorstands zur Wahrung der Vermögensinteressen der Gesellschaft abgelehnt92, denn wenn der Vorstand der AG dieser als Geschäftspartner gegenübertrete, sei er ihr gegenüber nicht sonderpflichtig und damit nicht tauglicher Täter des § 266 StGB. Vielmehr sei die Interessenwahrung nach §§ 87, 112 AktG allein
__________ 84 Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rz. 65; Fleischer in Spindler/ Stilz, AktG, 2007, § 93 Rz. 190. 85 Wie hier auch Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 87 Rz. 5. 86 BGHZ 20, 239, 246. 87 Ziff. 3.1 DCGK, näher dazu v. Werder in Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, DCGK, 3. Aufl. 2008, Rz. 351; Bernhardt/v. Werder, ZfB 2000, 1273 f. 88 Lutter, ZHR 162 (1998), 164, 176; Hopt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2008, § 93 Rz. 159; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 Rz. 77. 89 So aber Ziemons in FS Huber, 2006, S. 1044. 90 BGH, WM 1981, 440, 442; BGH, WM 1983, 725, 726; Hopt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2008, § 93 Rz. 299; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rz. 50. 91 Darauf abstellend Semler in FS Happ, 2006, S. 277, 279 f. 92 BGH, NStZ 2006, 214, 217 – Mannesmann, insoweit in BGHSt 50, 331 nicht abgedruckt.
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dem Aufsichtsrat übertragen93. Insofern ist die abweichende Beurteilung durch das Reichsgericht, das diese Fälle als aktienrechtliche Untreue eingestuft hatte94 und auf die sich ein Teil der aktuellen Literatur in dieser Frage noch bezieht95, durch die neuere strafrechtliche Rechtsprechung überholt. Herleiten ließe sich eine mit Schadensersatz bewehrte Verpflichtung, von sich aus auf die Einhaltung des § 87 Abs. 1 AktG zu achten, nur aus dem allgemeinen Vertragsrecht, insbesondere § 311 Abs. 2 BGB. Insofern könnte man sich zum einen darauf berufen, dass auch im Arbeitsverhältnis96 und im Beamtenrecht97 eine Pflicht besteht, Vergütungsabrechnungen auf Richtigkeit zu prüfen und den Arbeitgeber bzw. Dienstherren auf Überzahlungen hinzuweisen, jedenfalls wenn diese auffällig sind. In die gleiche Richtung weist die oben zitierte Entscheidung zur Auszahlung einer nicht geschuldeten Vergütung an den GmbH-Geschäftsführer98. Der Unterschied zu der hier diskutierten Problematik liegt jedoch darin, dass sowohl in dem GmbH-rechtlichen Fall zum Geschäftführer als auch in den arbeits- und beamtenrechtlichen Rückforderungsfällen die Vergütungszusage unwirksam war bzw. die konkret gezahlte Vergütung nicht mit der geschuldeten übereinstimmte. Es handelte sich also um Zahlungen ohne Rechtsgrundlage. Eben das ist bei einem Verstoß gegen § 87 Abs. 1 AktG jedoch nicht der Fall; die Vergütungsabrede ist in diesem Fall gerade wirksam. Von daher ist die andere Partei nach allgemeinem Vertragsrecht auch nicht gehindert, sie zu vereinbaren und anzunehmen. Es handelt sich mithin um die Fallgruppe des wirksamen, aber inhaltlich für eine Partei nachteiligen Vertrags. Hier ist eine Haftung zum einen zu bejahen, wenn die eine Vertragspartei pflichtwidrig auf die Willensbildung des Geschädigten eingewirkt hat99, was im hier diskutierten Fall dadurch denkbar wäre, dass der Vorstand den Aufsichtsrat unrichtig über das Niveau vergleichbarer Vergütungen in anderen Unternehmen informiert oder bestehende Zweifel des Aufsichtsrats an der Angemessenheit der Vergütung durch sonstige unzutreffende Informationen zerstreut100. Ob er von sich aus auf Bedenken hinsichtlich des § 87 Abs. 1 AktG hinweisen muss, ist hingegen eine Frage der Aufklärungspflicht. Diese besteht in Bezug auf besonders wichtige Umstände, die den Vertragszweck gefährden oder vereiteln können101. Das ist hier wegen der ein-
__________ 93 So auch Ransiek, ZGR 2009, 157, 163; ebenso in diese Richtung, aber in der Konsequenz zu weitgehend, RG, JW 1932, 2279, 2280. 94 RG, JW 1933, 2954. 95 Darauf abstellend vor allem Semler in Liber amicorum Happ, 2006, S. 277. 96 BAG v. 28.2.1979 und v. 11.6.1980, AP BAT § 70 Nr. 6 und 7; LAG Berlin, BB 1996, 1335; Krause in MünchHdb. Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2009, § 65 Rz. 6 m. w. N. 97 BVerwGE 24, 148; 40, 212; Schnellenbach, Beamtenrecht, 6. Aufl. 2005, Rz. 685. 98 Siehe oben bei Fn. 66. 99 BGH, NJW-RR 2007, 32. 100 Zutr. Peltzer in FS Lutter, 2000, S. 578; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 87 Rz. 5; mit dem ersten Satzteil zutreffend Schwark in FS Raiser, 2005, S. 377, 395: Eine Pflicht, die eigenen Interessen zurückzustellen, gibt es in dieser Situation gerade nicht. 101 BGH, NJW 1971, 1799; BGH, NJW 1979, 2243; BGH, NJW 1980, 2460; BGH, NJW 1990, 975.
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geschränkten Rechtsfolge des § 87 Abs. 1 AktG, die eine Unwirksamkeit des Vertrags ja gerade nicht nach sich zieht, nicht der Fall. Auch kann nicht angenommen werden, dass der Vorstand wie ein Bankier102, ein Sachverständiger103 oder wie ein Gebrauchtwagenhändler104 kraft überlegener Sachkunde verpflichtet wäre, den Aufsichtsrat über seine Sicht der Dinge zu § 87 Abs. 1 AktG aufzuklären. Denn die Frage der Angemessenheit ist ein rechtliches Kriterium, das sich für Vorstand und Aufsichtsrat in gleicher Weise als auslegungs- und konkretisierungsbedürftig erweist. Auch ein relevanter Informationsvorsprung der Vorstände hinsichtlich dessen, was in anderen Unternehmen üblicherweise gezahlt wird, besteht nicht mehr, seitdem die Vergütungshöhe offenlegungspflichtig ist. Im Gegenteil spricht im Hinblick auf dieses Argument § 87 Abs. 1 i. V. m. § 116 Satz 3 AktG n. F. dafür, dass die primäre Verantwortlichkeit in der Beurteilung der Angemessenheit sogar dem Aufsichtsrat zugewiesen ist105. Das spricht zugleich dagegen, der bestehenden Dauerbeziehung zwischen den Parteien, die im Hinblick auf Aufklärungspflichten ebenfalls relevant sein kann106, entscheidendes Gewicht beizumessen. Eine vorvertragliche Aufklärungspflicht des Vorstands ist daher abzulehnen. Damit erweist sich, dass der Vorstand organschaftlich gar nicht und nach allgemeinem Vertragsrecht nur insoweit gehindert ist, eine unangemessene Vergütung anzunehmen, als er aktiv und pflichtwidrig auf die Willensbildung des Aufsichtsrats Einfluss genommen hat. Im Übrigen ist die These von der Pflicht zur Bescheidenheit kraft Treupflicht abzulehnen. c) Missbrauch der Vertretungsmacht Wenig einzuwenden ist gegen den Ansatz beim Missbrauch der Vertretungsmacht. Als allgemein anerkanntes Rechtsinstitut ist er geeignet, die Vertretungsmacht jedes Organs, also auch des Aufsichtsrats, zu begrenzen. Jedoch muss auch hier beachtet werden, dass die Verantwortlichkeit nach der Novellierung durch das VorstAG eindeutig beim Aufsichtsrat liegt und nach dem Willen des Gesetzgebers auch liegen bleiben soll. Daher ist im Hinblick auf die Anforderungen, die an einen Missbrauch zu stellen sind, die strengere Lösung der Rechtsprechung107 zu befürworten108. Der Missbrauch der Vertretungsmacht greift daher nur ein, wenn der Aufsichtsrat vorsätzlich die Grenzen des § 87 Abs. 1 AktG überschritten hat und dies für den Vorstand evident war109. Das gibt Raum für die Berücksichtigung der bei einer unbestimmten Norm
__________
102 RGZ 111, 233. 103 OLG Stuttgart, NJW 1989, 2402; OLG Rostock, OLG-NL 1995, 145. 104 OLG Frankfurt, NJW-RR 1999, 1064; OLG Köln, NJW-RR 1997, 1214; LG Berlin, NJW-RR 1989, 504. 105 Wie hier auch Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 87 Rz. 8; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl., 2010, § 87 Rz. 5; a. A. Dauner-Lieb, DB 2010, 377, 381 f. 106 BGH, NJW 1992, 300; BGH, ZIP 2005, 1593. 107 BGH, NJW 1962, 1718; BGHZ 50, 112, 114; BGH, WM 1976, 658, 659; BGH, WM 1981, 66 f. 108 Wie hier auch Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 87 Rz. 5. 109 A. A. Langenbucher in FS Huber, 2006, S. 864 f.; Martens, ZHR 169 (2005), 124, 135 f.
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wie § 87 Abs. 1 AktG zwingend erforderlichen Beurteilungsspielräume. Hinsichtlich der Rechtsfolgen sollte man dann, wenn die Voraussetzungen des Missbrauchs im Einzellfall vorliegen, ebenfalls darauf achten, dass der Aufsichtsrat durch die sich dann ergebende Unwirksamkeit des Vorstandsvertrags nicht unbillig von seiner Schadensersatzpflicht nach § 116 Satz 3 AktG entlastet wird. In diesem Fall ist daher dem Aufsichtsrat sowohl die Berufung auf Vorteilsausgleichung als auch ein Regress gegen die Vorstandsmitglieder wegen der dann rechtsgrundlos gezahlten Vergütung zu versagen.
IV. Vorstands-Mitverantwortung und Corporate Governance Jenseits der hier erörterten Gründe für und wider eine (Mit-)Verantwortung des Vorstands für seine eigenen Bezüge kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Vertreter der hier abgelehnten Ansicht nicht daran glauben, dass es möglich ist, den Aufsichtsrat so zu stärken, dass er in der Lage ist, in den Verhandlungen mit dem Vorstand zu einem den Vorgaben des § 87 Abs. 1 AktG entsprechenden Ergebnis zu kommen110. Denn wäre das der Fall, wäre das Verlangen nach einer Mitverantwortung des Vorstands ja überflüssig. Die hier abgelehnte These ist daher Ausdruck einer Kapitulation vor der Übermacht des Vorstands im Verhältnis zum Aufsichtsrat. Diese Annahme läuft der Tendenz des VorstAG zuwider, durch eine Betonung der Haftbarkeit des Aufsichtsrats dessen Verantwortlichkeit zu unterstreichen111. Sie verträgt sich auch nicht mit dem Anliegen des Gesetzes, den Gesamtaufsichtsrat zwingend mit der Frage zu befassen (§ 107 Abs. 3 Satz 2 AktG n. F.), und durch eine fakultative Einbeziehung der Hauptversammlung (§ 120 Abs. 4 AktG n. F.) die Legitimationsbasis der getroffenen Entscheidung zu verbreitern. Die Politik des Gesetzes geht also dahin, die Kräfte zu stärken, die einem übermäßigen Vergütungsverlangen des Vorstands entgegenwirken können und müssen. Gerade das, nämlich mit den Mitteln der Corporate Governance eine verbesserte Aufgabenerfüllung der Aufsichtsräte zu erreichen112, gewährleistet die These von der Mitverantwortung der Vorstände nicht. Denn eine Verteilung von Verantwortlichkeiten ist immer mit einem Verlust an klarer Zuordnung verbunden113. Es entsteht das, was das BVerfG eine „Mischverwaltung“ nennt und für bedenklich hält, weil der von den Organen vertretene Personenkreis „wissen muss, wen er wofür verantwortlich machen kann“114. Aus diesem Grunde
__________ 110 Deutlich wird dies etwa bei Peltzer in FS Lutter, 2000, S. 572; Lutter, ZIP 2003, 737, 739 und Dauner-Lieb, DB 2010, 377, 381 ff. 111 Dazu Drygala in K. Schmidt/Lutter, 2. Aufl. 2010, § 116 Rz. 50. 112 Diesen Gedanken schon im Ansatz als zwecklos ablehnend Bernhardt, BB 2008, 1686 ff.; ders., BB 2007, Nr. 34, Die erste Seite; ders., RIW 2004, 401, 404 f. 113 Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, Rz. 309 ff.; ders., AG 2006, 517, 521 im Hinblick auf Direktkontakte des Aufsichtsrats zu Mitarbeitern der Gesellschaft; etwas offener ders. in FS Hüffer, 2010, S. 617, 619 f. im Hinblick auf Compliance; vgl. auch Hoerdemann, ZRP 1997, 44, 45; Lieder, Aufsichtsrat, 2006, S. 791; Oetker in Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Hdb. Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, S. 292. 114 BVerfG v. 20.12.2007 – 2 BvR 2433/04, BVerfGE 119, 331, Rz. 158.
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Die neue Pflicht des Vorstands zur Bescheidenheit
wird die Verantwortlichkeit der Aufsichtsräte in der Vergütungsfrage durch die Mitverantwortung der Vorstände nicht gestärkt, sondern eher geschwächt. Auch das ist ein Grund, von dieser These Abstand zu nehmen.
V. Ergebnisse 1. Der Beitrag der Vorstandsvergütungen zur Entstehung der Finanzkrise wird in der Diskussion überbewertet. Wo Fehlentwicklungen bestanden, waren sie eher in fehlerhafter Risikoerkennung und Risikoeinschätzung als in einer bewussten Risikoüberspannung zu suchen. Dies sollte sowohl in der Diskussion um eine Haftung der Vorstände als auch in der rechtpolitischen Bewältigung der Krise stärker berücksichtigt werden. 2. Die Neuregelung des § 87 Abs. 1 AktG hat die Anwendung der Norm eher erschwert als erleichtert. Probleme verursachen vor allem das Erfordernis der Vertikalität und die qualitativen Aspekte der Vorstandsvergütung. Danach kann neben der schlichten Höhe der Vergütung auch die fehlerhafte Zusammensetzung und Ausgestaltung des Vergütungspakets eine Unangemessenheit begründen. 3. Die Vertretungsmacht des Aufsichtsrats zum Abschluss des Anstellungsvertrags wird nicht durch § 87 Abs. 1 AktG beschränkt. Auch eine Organpflicht des Vorstands, bei den Vertragsverhandlungen von sich aus auf eine Beachtung des § 87 Abs. 1 AktG hinzuwirken, ist abzulehnen. Ein Missbrauch der Vertretungsmacht ist möglich, setzt aber auf Seiten des Aufsichtsrats einen vorsätzlichen Verstoß gegen § 87 Abs. 1 AktG voraus. 4. Den aktuellen Bedenken gegen die Höhe der Vorstandsgehälter ist durch eine Stärkung der Aufsichtsräte und ihrer Verantwortung und nicht durch eine Mitverantwortung der Vorstände zu begegnen.
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Gesamtverantwortung und Ressortverantwortung im Vorstand der AG Inhaltsübersicht I. Thema und Themeneingrenzung II. Empirische Befunde III. Rechtliche Würdigung 1. Die Gesamtverantwortung des Vorstands für die Unternehmensleitung als systematischer und historischer Ausgangspunkt a) Der Vorstand und seine Aufgaben b) Leitung und Geschäftsführung c) Implikationen und Modifikationen des Prinzips der Gesamtverantwortung aa) § 77 Abs. 1 Satz 1 AktG als Kompetenzzuweisung für Geschäftsführungsmaßnahmen bb) § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG als Delegationsnorm cc) § 76 Abs. 1 AktG als Kompetenzschutz sowie als Delegationsverbot dd) Folgerungen für die Verantwortungsverteilung innerhalb des Vorstands (1) Delegation von Geschäftsführungsmaßnahmen (2) Mehrheitsentscheidungen als Modifikation der Gesamtgeschäftsführung (3) Befassungs- und Beschlussvoraussetzungen für Leitungsentscheidungen
2. Ressortverantwortung a) Ressortverantwortung als Ausdruck einer autonomen Modifikation des Prinzips der Gesamtverantwortung b) Formen und Folgen der Ressortverantwortung aa) Divisionale und funktionale Ressortgliederung bb) Eilentscheidungen cc) Vorstandsvorsitzender und Vorstandssprecher 3. Formen und Folgen der Einforderung von Verantwortung a) Rechenschaftspflichten gegenüber Aufsichtsrat, Hauptversammlung und staatlichen Aufsichtsbehörden aa) Berichts- und Informationspflichten gegenüber dem Aufsichtsrat bb) Rechenschaftspflicht gegenüber der Hauptversammlung cc) Rechenschaftspflichten gegenüber Aufsichtsbehörden b) Maßstab für Pflichtverletzungen und zivilrechtliche Folgen von Pflichtverletzungen aa) Ressortentscheidungen (1) Informiertes Entscheiden (2) Angemessenheit der Risiken bb) Pflichten des Gesamtvorstands cc) Rechtsfolgen
I. Thema und Themeneingrenzung Seit den politischen Auseinandersetzungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsorganen der Kapitalgesellschaften hat auch die 295
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Rechtswissenschaft sich über lange Zeit hinweg mit besonderer Intensität mit Problemen der Willensbildung und der Entscheidungsverantwortung im Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft auseinandergesetzt1. Erst in jüngerer Zeit haben diese Themen auf der Ebene des Vorstands wieder verstärkt Beachtung gefunden. Gleichwohl wird man sagen können, dass sowohl Umfang und Grenzen der Delegation von Verantwortung innerhalb des Vorstands als auch dessen Entscheidungsprozesse und insbesondere der Zusammenhang zwischen Entscheidungskompetenz, Rechenschaftspflicht und Haftung weiterer Aufhellung bedürfen. Nicht nur die Entscheidungspraxis der Obergerichte, sondern auch die aktienrechtliche Literatur tendiert nämlich insoweit zu einer all zu punktuellen Analyse: Häufig werden entweder Kompetenzfragen oder Probleme der Willensbildung oder Haftungsfragen untersucht, nur selten aber wird das Ineinandergreifen und die Interdependenz zwischen Entscheidungskompetenzen, Entscheidungsverfahren, Rechenschaftspflicht und Haftung gesamthaft betrachtet. Sich diesem Aspekt an dieser Stelle zuzuwenden, erscheint umso angemessener als der Jubilar seinerseits sich frühzeitig und immer wieder mit den Willensbildungsprozessen sowie den Verantwortlichkeiten in der Kapitalgesellschaft auseinandergesetzt hat2. Hinsichtlich der Kreditinstitute kommt hinzu, dass die Organisationsvorschriften des KWG, insbesondere § 25a KWG, umfangreiche Vorgaben für deren Binnenorganisation enthalten, die das Zusammenspiel zwischen Zuständigkeit, Rechenschaftspflicht und Haftungsverantwortung noch weiter komplizieren. Nicht angesprochen werden im Folgenden die Sonderkonstellation des Einpersonenvorstands, den es bei größeren Kapitalgesellschaften und aufgrund der aufsichtsrechtlichen Vorgaben des KWG bei Kreditinstituten ohnehin nicht gibt, sowie die der mitbestimmten Aktiengesellschaft, in der der Arbeitsdirektor einen geschützten Sonderstatus besitzt, der seine Entscheidungskompetenzen sowohl in gegenständlicher Hinsicht als auch hinsichtlich seiner Teilhabe an der Willensbildung des Gesamtvorstands sichert3. Die Unterscheidung zwischen börsennotierten und nicht börsennotierten Gesellschaften wird im Folgenden ebenfalls nicht aufgegriffen werden, da ihre Bedeutung für das Thema im Wesentlichen auf die allein an börsennotierte Gesellschaften gerichteten Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) begrenzt ist.
II. Empirische Befunde Während der Wortlaut des § 76 Abs. 2 AktG keine Präferenz hinsichtlich der Alternative Einpersonen- oder Mehrpersonenvorstand zeigt, spricht die Rechtswirklichkeit eine andere Sprache. Einpersonenvorstände sind vielleicht keine
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1 Näher hierzu Hoffmann-Becking, Zur rechtlichen Organisation der Zusammenarbeit im Vorstand der AG, ZGR 1998, 497 ff. 2 S. bereits Uwe H. Schneider, Die öffentlich-rechtliche Pflichten der Geschäftsführer in FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 473, 478 ff. 3 Näher hierzu Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 77 AktG Rz. 56 und 19 m. w. N.
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aussterbende Gattung, aber doch eine bedrohte Spezies. Mehrpersonenvorstände hingegen haben sich mehr und mehr zur Regel entwickelt. Dies hat seine Ursache nicht nur in den Vorgaben des § 76 Abs. 2 Satz 1 AktG, der bei einem Grundkapital von mehr als drei Millionen Euro den Einpersonenvorstand verbietet, sowie in den gleichgerichteten Vorgaben des sog. Vieraugenprinzips für Kreditinstitute, die ihren positivrechtlichen Niederschlag in § 33 Abs. 1 Nr. 5 KWG gefunden haben, sondern ist bei größeren Kapitalgesellschaften auch eine Folge des Zusammenwirkens von Aufgabenfülle und Haftungsrisiken. Beide fördern den Trend zur Spezialisierung sowie, damit in Zusammenhang stehend, zur Aufgabendifferenzierung und zur Haftungsbegrenzung. Die Formen der Aufgabendifferenzierung sind hierbei zunehmend vielfältiger geworden: Während in der Vergangenheit die funktionsdifferenzierte Vorstandsorganisation wohl vorherrschend war, ist sie in jüngerer Zeit durch unterschiedliche Variationen einer Sparten- oder Divisionengliederung teils ersetzt und teils modifiziert worden. In der Kreditwirtschaft allerdings wäre eine reine Divisionsgliederung, sei es nach Regionen, sei es nach Beteiligungsgesellschaften, sei es nach Kundengruppen nicht zulässig. Hier fordert § 25a KWG stets ein Element von Funktionsdifferenzierung, nämlich das zwischen den sog. Marktvorständen und dem oder den sog. Marktfolgevorständen; auch dies ist eine Emanation des sog. Vieraugenprinzips4. Ob dabei auf der Marktfolgeseite lediglich ein Vorstand steht, der die Risikosteuerungsverantwortung, das Finanzwesen sowie die übrigen Stabsbereiche unter sich vereinigt, oder ob diese Funktionen wiederum unter verschiedenen Personen aufgeteilt werden, ist expressis verbis weder durch das Aktiengesetz noch durch das KWG determiniert und kann daher im Rahmen der Organisationsautonomie einer Bank unterschiedlich geregelt werden. Allerdings wird auch diese Befugnis zur Selbstorganisation wiederum sowohl durch die aktienrechtlichen als auch durch die bankaufsichtsrechtlichen Organisationspflichten des Vorstands begrenzt und in ihrer Ausübung vorstrukturiert. Insbesondere § 25a KWG gibt dem Vorstand seit der Novellierung der Vorschrift im Jahre 2007 auf, den Vorstand so zu organisieren, dass nicht nur die Einhaltung der zu beachtenden gesetzlichen Bestimmungen, sondern auch die Ordnungsgemäßheit des Geschäftsbetriebs gewährleistet ist. Die Konkretisierung der Norm durch die in den MaRisk niedergelegten Verwaltungsrichtlinien der BaFin macht deutlich, dass Umfang und Inhalt der jeweiligen Geschäftstätigkeit des Instituts bestimmende Determinanten für die Ausübung der Organisationsautonomie sind. Vereinfacht ausgedrückt wird man sagen können, dass große Kreditinstitute stets einen Vorstand aus mindestens vier, eher aber sechs Personen besitzen (müssen), damit sich Vorstand und Aufsichtsrat nicht dem Vorwurf einer Organisationspflichtverletzung in Form von Unterbesetzung aussetzen. Es versteht sich,
__________ 4 Zum Konzept der Trennung zwischen Markt und Marktfolge: Braun in Boos/Fischer/ Schulte-Mattler, Kreditwesengesetz, 3. Aufl. 2008, § 25a KWG Rz. 300 ff.; zum Vieraugenprinzip: Fischer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, Kreditwesengesetz, 3. Aufl. 2008, § 33 KWG Rz. 65 ff.
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dass unter diesen Prämissen auch eine Zusammenlegung aller Stabsfunktionen in einem Marktfolgedezernat für größere Banken kaum in Betracht kommt. Ein weiterer empirischer Befund, der für die Zuordnung von Verantwortung im Vorstand Beachtung fordert, ist die Tendenz zur Unterminierung des Kollegialprinzips durch die Stärkung der Position des Vorstandsvorsitzenden. Die durch die Aktienrechtsreform des Jahres 1965 vorgenommene Hinwendung zum Kollegialprinzip, die ihrerseits eine Reaktion auf die Einführung des Führerprinzips durch die Aktienrechtsreform von 1937 war, ist damit ein Stück weit relativiert worden. Die Ursachen hierfür sind ebenso bekannt wie vielfältig: Der amerikanische CEO erschien lange Zeit aus der Ehrfurchtsperspektive der deutschen Provinz als heilsbringende Struktur; die Notwendigkeit einer koordinierten und personalisierten Repräsentanz der großen Kapitalgesellschaften nach innen sowie nach außen sowie die Notwendigkeit einer angemessenen laufenden Koordination mit dem Aufsichtsrat bzw. dem Aufsichtsratsvorsitzenden wirkten strukturell und funktionell in die gleiche Richtung und schließlich setzte auch das Vorbild charismatischer Vorstandsvorsitzender Maßstäbe5.
III. Rechtliche Würdigung Der Begriff der Verantwortung, mit den in der aktienrechtlichen Dogmatik häufig recht unbefangen hantiert wird, ist eine äußerst vielschichtige juristische Kategorie: Er wird sowohl in Bezug auf Entscheidungskompetenzen als auch im Hinblick auf Rechenschaftspflichten sowie schließlich auch in Haftungszusammenhängen verwendet (§§ 76, 77, 90, 91, 93, 111 Abs. 1 und 2, 124 Abs. 3, 131, 170 f., 175, 179 AktG sowie § 25a KWG). Es wird daher im Folgenden umso wichtiger sein, diese unterschiedlichen Dimensionen von Verantwortung im ersten Schritt auseinander zu halten und sodann im zweiten Schritt so aufeinander zu beziehen, dass die Interdependenzen zwischen den Dimensionen deutlich werden. 1. Die Gesamtverantwortung des Vorstands für die Unternehmensleitung als systematischer und historischer Ausgangspunkt a) Der Vorstand und seine Aufgaben Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 AktG kann der Vorstand aus einer oder mehreren Personen bestehen. Besteht er aus mehreren Personen, so bezeichnet der aktienrechtliche Begriff des Vorstands die Personengesamtheit sämtlicher Organmitglieder. Es ist diese Personengesamtheit, die gemäß § 76 Abs. 1 AktG die Aktiengesellschaft in eigener Verantwortung zu leiten und gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AktG deren Geschäfte gemeinschaftlich zu führen hat. Die Gesamtverantwortung für Leitung und Geschäftsführung ist nicht ohne Grund der systematische Ausgangspunkt des Gesetzes; schließlich reichen die Anfänge des
__________ 5 Zur Diskussion um das CEO-Konzpet Hoffmann-Becking, Vorstandsvorsitzender oder CEO, NZG 2003, 745 ff.
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Rechts der Kapitalgesellschaften zurück in die frühen Zeiten des modernen Korporationenrechts im 19. Jahrhundert und damit in eine Epoche, in der Binnendifferenzierung der Entscheidungsverantwortung innerhalb von Kollegialorganen und damit verbundene Haftungsdifferenzierungen noch lange nicht auf der Tagesordnung standen. b) Leitung und Geschäftsführung Das Verhältnis von § 76 Abs. 1 AktG zu § 77 Abs. 1 AktG oder, anders ausgedrückt, Inhalt und Abgrenzung von Leitung und Geschäftsführung sind von der aktienrechtlichen Dogmatik seit Jahrzehnten intensiv diskutiert worden und jede denkbare Verhältnisbestimmung ist in Betracht gezogen worden. In der Tat hat es der Gesetzgeber nicht vermocht, klar zum Ausdruck zu bringen, ob § 76 Abs. 1 AktG – anders als § 77 Abs. 1 AktG – lediglich das Verhältnis von Vorstand und Aufsichtsrat regeln soll6 oder aber – ebenso wie § 77 Abs. 1 AktG – auch Vorgaben für die Willensbildung des Vorstands enthält7. Unterstellt man Letzteres, so mangelt es auch an einer transparenten Bereichsabgrenzung zwischen den Geschäftsführungs- und (sonstigen) Leitungsmaßnahmen sowie an einer klaren Entscheidung darüber, ob das in § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG zugelassene Mehrheitsprinzip sich auch auf Leitungsentscheidungen im Sinne des § 76 Abs. 1 AktG erstreckt. Da die Details der rechtswissenschaftlichen Diskussion um die Abgrenzung von Leitung und Geschäftsführung hier nicht nachgezeichnet werden können8, muss es sein Bewenden mit der summarischen Feststellung haben, dass § 77 Abs. 1 AktG unter Geschäftsführung jedes tatsächliche oder rechtsgeschäftliche Handeln für die Gesellschaft versteht und damit das allgemein im Gesellschaftsrecht gültige Geschäftsführungskonzept rezipiert. So verstanden umfasst die Geschäftsführung auch die Leitungsaufgaben des § 76 Abs. 1 AktG. Leitung soll im Folgenden verstanden werden als jener herausgehobene Teilbereich der Geschäftsführung, in dem es um grundlegende Führungsentscheidungen geht. Hierzu gehören zum einen alle Aufgaben, die dem Gesamtvorstand ausdrücklich durch das Aktiengesetz oder andere Normenkomplexe – wie etwa das KWG – zugewiesen worden sind. Dies gilt beispielsweise für die Vorbereitung und Ausführung von Hauptversammlungsbeschlüssen (§ 83 AktG), die Berichterstattung an den Aufsichtsrat (§ 90 AktG), Buchführung und Bestandssicherung (§ 91 AktG), Verlustanzeige und Insolvenzantrag (§ 92 AktG), Einberufung der Hauptversammlung (§ 121 Abs. 2 AktG), Vorlage von Entscheidungen an die Hauptversammlung (§ 119 Abs. 2 AktG), Aufstellung von Jahresabschluss und Lagebericht sowie ihre Vorlage an den Aufsichtsrat (§ 170
__________ 6 Hoffmann-Becking (Fn. 1), 506 ff. 7 So die herrschende Meinung, vgl. Fleischer, NZG 2003, 449 f.; Spindler (Fn. 3), § 76 AktG Rz. 16 ff.; Hüffer, Aktiengesetz, 9. Aufl. 2010, § 76 AktG Rz. 1 ff.; Mertens/ Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004 ff., § 76 AktG Rz. 4 und 45 ff. 8 Umfassend hierzu die vorzügliche Monografie von Wettich, Vorstandsorganisation in der Aktiengesellschaft, 2008, S. 6 ff. mit zahlreichen Nachw.
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AktG) und – im Falle von Kreditinstituten – die Entscheidung über Groß- und Organkredite (§§ 13 ff. KWG) sowie die Einrichtung einer ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation (§ 25a KWG)9. Zum anderen gehören zu den Leitungsaufgaben die in der Betriebswirtschaft als originäre Führungsaufgaben bezeichneten Funktionen, d. h. vor allem all jene Maßnahmen und Entscheidungen, die gewichtige Auswirkungen auf die Finanz- und Ertragslage, auf die Beschäftigungssituation, die Entwicklungschancen oder den Bestand des Unternehmens haben oder grundlegende Risiken heraufbeschwören. Zur Konkretisierung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe kann ergänzend auf die gesetzliche Wertung des § 90 Abs. 1 Nr. 4 AktG zurückgegriffen werden, derzufolge der Vorstand dem Aufsichtsrat über Geschäfte, die für die Rentabilität oder die Liquidität der Gesellschaft von erheblicher Bedeutung sein können, regelmäßig zu berichten hat10. Die Verhältnisbestimmung von Geschäftsführung und Leitung als die von Gesamtmenge und Teilmenge macht es allerdings erforderlich, die für Geschäftsführungsmaßnahmen geltende Befugnis, vom Prinzip der Gesamtgeschäftsführung abzuweichen, auf solche Geschäftsführungsmaßnahmen zu begrenzen, die nicht zugleich Leitungsmaßnahmen sind. Anderenfalls nämlich würde das in § 76 Abs. 1 AktG verankerte Prinzip der Gesamtverantwortlichkeit für Leitungsentscheidungen verletzt11. c) Implikationen und Modifikationen des Prinzips der Gesamtverantwortung Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist die Feststellung, dass § 76 Abs. 1 AktG und § 77 Abs. 1 Satz 1 AktG das Prinzip der Gesamtverantwortung etablieren und damit auch das Fundament für die hieran anknüpfenden Rechenschaftspflichten und Haftungsfolgen errichten. aa) § 77 Abs. 1 Satz 1 AktG als Kompetenzzuweisung für Geschäftsführungsmaßnahmen Da § 77 Abs. 1 Satz 1 AktG für den Mehrpersonenvorstand das Prinzip der Gesamtgeschäftsführung verankert, setzt die Norm damit logisch voraus, dass im Einpersonenvorstand die Verantwortlichkeit für die Geschäftsführung ebenfalls beim Vorstand und eben nicht beim Aufsichtsrat liegt. Insofern enthält die Norm auch eine indirekte Aussage zur Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Organen der AG und nicht nur eine Aussage zur innerorganschaftlichen Kompetenzverteilung.
__________ 9 Zum Ganzen wiederum Wettich (Fn. 8), S. 50; H. Fleischer, Zur Leitungsaufgabe des Vorstands im Aktienrecht, ZIP 2003, 1 ff., insb. 6 sowie neuestens Mertens/Cahn (Fn. 7), § 76 AktG Rz. 4 ff. – alle m. w. N. 10 Ebenso Wettich (Fn. 8), S. 62 m. w. N. 11 Dies erkennt auch Wettich, der anstatt der hier befürworteten systematisch fundierten Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG den Begriff der Geschäftsführung kontextvariierend bestimmen will (S. 8).
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bb) § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG als Delegationsnorm Die Ermächtigung des § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG zur Modifikation des Prinzips der Geschäftsführung, enthält zwei Komponenten: Zum einen ermächtigt die Norm zur Delegation von Befassungskompetenzen und zum anderen ermächtigt sie – wie aus ihrer Stellungnahme zur Mehrheitsentscheidungen ersichtlich – auch zur Delegation von Entscheidungszuständigkeiten. Sie ist damit der rechtliche Ausgangspunkt für die Installierung von Vorstandsressorts und die hiermit einhergehenden Beschränkungen der Verantwortlichkeit ressortfremder Vorstände. cc) § 76 Abs. 1 AktG als Kompetenzschutz sowie als Delegationsverbot Die bereits angesprochene Reservierung von Leitungsentscheidungen für den Gesamtvorstand enthält für diese Teilmenge der Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands eine Monopolisierung von Befassungs- und Entscheidungszuständigkeit für den Gesamtvorstand und verbietet mithin Delegationsentscheidungen wie sie § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG für die übrigen Geschäftsführungsmaßnahmen gerade zulässt12. So interpretiert enthält § 76 Abs. 1 AktG ebenso wie § 77 Abs. 1 AktG sowohl Aussagen zur innerorganschaftlichen Befassungsund Entscheidungsverantwortung als auch Aussagen zur Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. dd) Folgerungen für die Verantwortungsverteilung innerhalb des Vorstands (1) Delegation von Geschäftsführungsmaßnahmen Da die Delegationsermächtigung des § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG es ermöglicht, sowohl die Befassungs- als auch die Beschlusskompetenz für Geschäftsführungsmaßnahmen ohne Leitungscharakter ganz oder auch teilweise auf einzelne Mitglieder des Vorstands zu delegieren, können Ressortvorstände folglich mit der Aufgabe betraut werden, bestimmte Sachbereiche weitgehend eigenverantwortlich wahrzunehmen und zu entscheiden oder insoweit Entscheidungen des Gesamtvorstands zumindest eigenverantwortlich vorzuberei-
__________ 12 Anderer Ansicht, Hoffmann-Becking (Fn. 1), insb. S. 506 f., der § 76 Abs. 1 AktG allein als Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den Organen Vorstand und Aufsichtsrat ansieht, der Bestimmung aber keine innerorganschaftlichen Konsequenzen entnehmen will. Auch auf dem Boden der Auffassung von Hoffmann-Becking ließe sich in der Tat ein stimmiges Abstimmungskonzept zwischen § 76 Abs. 1 AktG und § 77 Abs. 1 AktG sowie zwischen Leitungs- und sonstigen Geschäftsführungsmaßnahmen errichten, indes scheint weder die historische Ableitung der Auffassung von Hoffmann-Becking noch ihre systematische Fundierung zwingend und fehlt es mithin an hinreichender Veranlassung, den von der etablierten Dogmatik eingeschlagenen Weg zu verlassen; zum Ganzen auch Wettich (Fn. 8), S. 29 ff.
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ten13. Natürlich erlaubt es die Delegationsermächtigung des § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG auch, die betreffenden Befassungs- und Beschlusskompetenzen auf eine Mehrheit von Vorständen zu delegieren. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind wiederum die Kreditinstitute, in denen Risikoentscheidungen, also typischerweise Kredit- oder Handelsentscheidungen, von zwei Vorständen – dem Marktvorstand sowie dem Marktfolgevorstand – gemeinsam getroffen werden, sofern nicht bestimmte quantitative Schwellenwerte überschritten werden und durch die Geschäftsordnung bzw. die Satzung die Zuständigkeit des Gesamtvorstands begründet wird. Allerdings ist zu betonen, dass die Delegationsbefugnis von Satzung und Geschäftsordnung es nicht ermöglicht, den Gesamtvorstand gänzlich aus seiner – systematisch gesehen – originären Verantwortung zu entlassen. Anders ausgedrückt bleibt der Gesamtvorstand stets für die Kontrolle der Ressortvorstände verantwortlich. Im Rahmen der Befassungs- bzw. Beschlussdelegation mutiert die originäre Befassungs- und Beschlusskompetenz des Gesamtvorstands mithin zur Kontrollverantwortung14. (2) Mehrheitsentscheidungen als Modifikation der Gesamtgeschäftsführung Neben der Delegation der Befassungs- und Beschlusskompetenz auf Einzelvorstände ermöglicht § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG auch das Treffen von Mehrheitsentscheidungen. Diese Erscheinungsform der Verantwortungsdelegation wird zwar vom Wortlaut des Gesetzes nicht expressis verbis ausgesprochen, indes wie selbstverständlich vorausgesetzt15. An der Richtigkeit dieser Norminterpretation kann auch kein vernünftiger Zweifel bestehen, denn wenn § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG es ermöglicht, die Beschlusskompetenz für Geschäftsführungsmaßnahmen gänzlich auf Einzelvorstände zu delegieren, muss es erst Recht zulässig sein, unter Beibehaltung der Beschlusszuständigkeit des Gesamtvorstands Mehrheitsentscheidungen zu ermöglichen. Der Umstand, dass das Gesetz diese Aussage nicht explizit trifft, sondern sie im Kontext des Verbots, Minderheiten das Recht des Letztentscheids zu gewähren, schlicht voraussetzt, verdeutlicht, wie selbstverständlich es dem Gesetzgeber ist, dass Kollegialorgane typischerweise mit Mehrheit entscheiden. Die gleiche Selbstverständlichkeit findet sich im Übrigen in den Bestimmungen zur Beschlussfassung des Aufsichtsrats. Auch hier – konkret in § 108 AktG – sagt der Gesetzgeber nichts über Mehrheitserfordernisse und setzt damit die Anwendbarkeit der für die Grundform der zivilrechtlichen juristischen Person – den Verein – geltenden Beschlussvorschriften auf die Aktiengesellschaft voraus. Die damit angesprochenen Regelungen des §§ 32 Abs. 1 und 28 Abs. 1 BGB besagen zusammengefasst schlicht, dass Beschlüsse der Mitgliederversammlung bzw.
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13 Im Hinblick auf den hohen Abstraktionsgrad des Begriffs der Leitung und die daraus resultierende große Bandbreite möglicher Konkretisierungen setzt sich eine allzu großzügige Delegation von Entscheidungszuständigkeiten auf einzelne Vorstandsmitglieder oder auf nachgeordnete Ebenen rechtlichen Risiken aus. Dessen sollten sich die für Delegationsentscheidungen verantwortlichen Organe bewusst sein. 14 Ebenso Mertens/Cahn (Fn. 7), § 77 AktG Rz. 15 ff.; Fleischer, Zum Grundsatz der Gesamtverantwortung im Aktienrecht, NZG 2003, 449, 452. 15 Allgemeine Meinung; stellvertretend für alle, Hüffer (Fn. 7), § 76 AktG Rz. 11 m. w. N.
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des Vorstands mit Mehrheit getroffen werden16. Das Vereinsmodell des BGB seinerseits ist bekanntlich eine Fortentwicklung der korporationsrechtlichen Dogmatik des ausgehenden 19. Jahrhunderts, in der ebenfalls das Mehrheitsprinzip als Modus der Entscheidungsfindung in Mitgliederversammlungen sowie in Kollegialorganen vorausgesetzt wurde17. Vor diesem Hintergrund erstaunt es auch nicht, dass die explizite Regelung des § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG im Verbot von Formen der Willensbildung besteht, die das Mehrheitsprinzip außer Kraft setzen. Hier also ist der Ort, in dem die Umgestaltung des Vorstands einer deutschen Aktiengesellschaft in ein Organ, welches von einem CEO amerikanischen Zuschnitts dominiert wird, untersagt wird. Zu betonen ist indes, dass § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG weder Vetorechte einzelner Organmitglieder noch die Einräumung eines Doppelstimmrechts oder anderer Formen des Stichentscheids für – typischerweise – den Vorstandsvorsitzenden ausschließt18. (3) Befassungs- und Beschlussvoraussetzungen für Leitungsentscheidungen Da die Delegationsermächtigungen des § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG für Leitungsentscheidungen im Sinne des § 76 Abs. 1 AktG nicht gelten, stellt sich die Frage, ob hieraus folgt, dass im Bereich der Leitungsentscheidungen keinerlei Modifikationen des Prinzips der Gesamtverantwortung möglich sind. (3a) Beginnen wir mit der Befassungsverantwortung. Nimmt man das Prinzip der Gesamtverantwortung für Leitungsentscheidungen ernst, so darf sich der Gesamtvorstand seiner Beschlussverantwortung für diese Entscheidungen nicht begeben. Mit anderen Worten: Leitungsentscheidungen sind vom Gesamtvorstand zu treffen19. Hieraus wiederum folgt ganz zwanglos, dass sich der Gesamtvorstand mit den Beschlussgegenständen auch in einer angemessenen Intensität befassen muss. Er kann sich also auch aus der Vorbereitung von Leitungsentscheidungen nicht gänzlich herausstehlen und diese allein den Ressortvorständen überantworten. Aus all dem ist zu schließen, dass die aktiengesetzlichen Aufgabenzuweisungen an den Gesamtvorstand sowohl als Verbote der Beschlussdelegation als auch als Gebote zu einer – angemessenen – Befassungsverantwortung zu interpretieren sind.
__________ 16 Zum Ganzen, Habersack in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 108 AktG Rz. 20 und Rz. 15. 17 Hierzu Coing in Staudinger, Kommentar zum BGB, 12. Aufl. 1980, Einleitung zu §§ 21 ff. BGB Rz. 4 sowie Vorbemerkung zu §§ 21 ff. Rz. 6 ff. 18 Allgemeine Meinung; stellvertretend für alle, Hüffer (Fn. 7), § 77 AktG Rz. 11 ff. und Spindler (Fn. 3), § 77 AktG Rz. 15 ff. 19 Allgemeine Auffassung; stellvertretend für alle: Spindler (Fn. 3), § 77 AktG Rz. 63 sowie Fleischer, Zur Leitungsaufgabe des Vorstands im Aktienrecht, ZIP 2003, 1 ff.; eine gewisse Akzentverschiebung findet sich bei Mertens/Cahn, die es lediglich für erforderlich halten, dass ein „Kernbestand der Leitungsaufgaben“ dem Gesamtvorstand verbleibt (Fn. 7, § 77 AktG Rz. 22) und es auch für hinreichend halten, dass die grundlegenden Fragen der Unternehmenspolitik zwar nicht vom Vorstand selbst, aber unter seiner unmittelbaren Kontrolle entschieden werden (Fn. 7, § 93 AktG Rz. 83).
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Mit dieser Feststellung soll indes nicht der Eindruck erweckt werden, das Ressortprinzip habe für die Vorbereitung von Leitungsentscheidungen keinerlei Belang und jeder Vorstand müsse sich in die Entscheidungsvorbereitung in gleicher Weise einbringen. Im Gegenteil, ein derartiger Ansatz würde der Logik der Arbeitsteilung in einem mehrköpfigen Vorstand eines Unternehmens mit einer komplexen und umfangreichen Geschäftstätigkeit vollkommen widersprechen. Die Gesamtverantwortung für Leitungsentscheidungen darf daher nicht mit einer synchronen Befassungsverantwortung sämtlicher Vorstände verwechselt werden, sondern muss dem Konzept der ressortbasierten Arbeitsteilung angemessen Rechnung tragen. Konkret bedeutet dies, dass sämtliche Vorstände sich mit den Gegenständen von Leitungsentscheidungen in der gebotenen Intensität befassen und imstande sein müssen, die wesentlichen Entscheidungsparameter abzuschätzen, sie jedoch nicht verpflichtet sind, insoweit das Ressortprinzip aufzuheben und sich in der gleichen Intensität wie die Ressortvorstände in die Phase der Entscheidungsvorbereitung einzubringen. Hieraus folgt weiterhin, dass in erster Linie die Ressortvorstände aufgerufen sind, angemessene Entscheidungsvorlagen für Leitungsentscheidungen vorzulegen und die übrigen Vorstände sich auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Entscheidungsvorlagen verlassen können, solange weder die immanente Prüfung der Vorlagen hieran Zweifel begründen noch Zweifel an der Kompetenz und Zuverlässigkeit der Ressortvorstände es gebieten, über dieses Maß an Befassung hinauszugehen. Allerdings gehört zum angemessenen Umgang insbesondere mit komplexen Entscheidungsvorlagen auch deren gemeinsame Diskussion. Nicht ohne Grund vertrauen Gesetz und Satzung komplexe Entscheidungen typischerweise nicht Einzelpersonen, sondern Kollegialorganen an; sie wollen damit eine Befassung veranlassen, die kollektiven Sachverstand aktiviert und im gemeinsamen Diskurs mobilisiert. Genau dieses Grundprinzip der Beschlussfassung durch Kollegialorgane wird durch das anscheinend unaufhaltsame Vordringen der Umlaufbeschlüsse unterminiert. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass die Willensbildung eines Vorstands in offener Debatte tatsächlich die Rationalität und die Qualität des Entscheidungsprozesses erhöht, während Umlaufbeschlüsse häufig kaum tiefere Fundamente haben dürften als Einzelvorstandsbeschlüsse; hier dürfte die Neigung zur Bestätigung der Entscheidung des erstzeichnenden Ressortvorstandes in aller Regel übermächtig sein. Im Dienste einer verantwortungsvollen Entscheidungskultur sollten daher Gesamtvorstandsentscheidungen in Vorstandssitzungen getroffen werden. Auf das Instrument des Umlaufbeschlusses sollte hingegen nur in Ausnahmefällen zurückgegriffen werden. (3b) Eine weitere Frage, die das Prinzip der Gesamtverantwortung für Leitungsentscheidungen aufwirft, ist die nach der Geltung des Mehrheitsprinzips. Gerichtspraxis und aktienrechtliche Literatur gehen insoweit ganz unbefangen davon aus, dass das aus § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG ableitbare Mehrheitsprinzip auch für Leitungsentscheidungen im Sinne des § 76 Abs. 1 AktG gilt und dis-
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kutieren es dementsprechend allein im Kontext der Geschäftsverteilungskompetenzen von Satzung und Geschäftsordnung20. So selbstverständlich ist dies indes nicht. Wenn man sich nämlich vergegenwärtigt, dass § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG eine Abweichung vom systematischen Grundprinzip der Gesamtverantwortung und von dem damit verbundenen Grundsatz der Einstimmigkeit darstellt, so spricht erst einmal nichts dafür, aus der Zulassung von Mehrheitsentscheidungen für einfache Geschäftsführungsmaßnahmen ableiten zu wollen, dass auch Leitungsentscheidungen mehrheitsfähig sind. Im Gegenteil, der Nexus zwischen dem Gegenstandsbereich von einfachen Geschäftsführungsentscheidungen und der Durchbrechung des Einstimmigkeitsprinzips für derartige Entscheidungen spricht eigentlich eine andere Sprache. Die Begründung der Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen im Anwendungsbereich von § 76 Abs. 1 AktG kann daher mit dem schlichten Verweis auf die Mehrheitsfähigkeit von Geschäftsführungsmaßnahmen nicht geleistet werden. Damit soll indes nicht gesagt werden, dass Leitungsentscheidungen nicht mehrheitsfähig sind. Es liegt hier auf der Hand, dass dies vom Ergebnis her gedacht nicht richtig sein kann. Allerdings muss die Begründung auf die Logik der Willensbildung von Kollegialorganen rekurrieren. Von diesem Ausgangspunkt her stellt sich § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG als eine Konkretisierung der historischen und systematischen Basisnorm für die Willensbildung der Organe von juristischen Personen, des § 28 BGB i. V. m. § 32 BGB dar, während diese wiederum als positiv-rechtliche Konkretisierung der Grundprinzipien der Willensbildung von Kollegialorganen erscheint. Anders ausgedrückt erweist sich die Geltungserstreckung des Mehrheitsprinzips auf Leitungsentscheidungen nicht einfach als Konzession an funktionelle Notwendigkeiten, sondern als Ausdruck des umfassenden Geltungsanspruchs der vereinsrechtlichen Bestimmungen über das Mehrheitsprinzip als Beschlussmodus für Kollegialorgane und seiner Konkretisierung im Kontext des § 77 Abs. 1 AktG. Bestätigt wird dieser Interpretationsansatz durch den Blick auf die Rechtsfolgen einer Beschränkung des Mehrheitsprinzips auf Geschäftsführungsentscheidungen ohne Leitungscharakter: Würde man diesen Weg gehen und mithin jedem einzelnen Organmitglied ein Vetorecht in Bezug auf Leitungsentscheidungen einräumen, so hätte dies eine weitgehende Blockade des Beschlusskörpers und damit eine Gefährdung der Handlungsfähigkeit der Gesellschaft insgesamt zur Folge. Es sollte auf der Hand liegen, dass dies nicht die Absicht war, die der Gesetzgeber mit der Installierung des Prinzips der Gesamtverantwortung verfolgt hat. (3c) Für den Bereich der Kreditwirtschaft ist im übrigen darauf hinzuweisen, dass der Nexus zwischen Kollegialentscheidung und Mehrheitsprinzip in §§ 13 Abs. 2, 13a Abs. 2, 13c Abs. 2, 13d Abs. 3 und 15 Abs. 1 KWG insoweit vorausgesetzt wird, als der Gesetzgeber für Großkredite und Organkredite ausdrücklich eine einstimmige Beschlussfassung fordert. Man wird hieraus ableiten
__________ 20 Stellvertretend für alle Mertens/Cahn (Fn. 7), § 77 AktG Rz. 15 sowie Hüffer (Fn. 7), § 77 AktG Rz. 11.
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können, dass der Gesetzgeber des KWG – richtigerweise – bei sonstigen Gesamtvorstandsentscheidungen die Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen voraussetzt. Bestätigt wird diese Schlussfolgerung durch § 25a Abs. 1 Satz 2 KWG, der zwar dem Gesamtvorstand einer Bank die Zuständigkeit für Organisationsentscheidungen zuweist, aber keine Einstimmigkeit verlangt. Die Einstimmigkeitsgebote der §§ 13 bis 15 KWG verdeutlichen im übrigen auf eine sehr plakative Weise, welche Folgen das Prinzip der Einstimmigkeit für die Willensbildung von Kollegialorganen entfaltet: zum einen wird die Beschlussfähigkeit eingeschränkt – ein insbesondere bei großen Kreditinstituten wesentlicher Faktor – und zum anderen erhält jedes Organmitglied eine Vetoposition21. Die Intention des Gesetzes liegt auf der Hand: Sowohl Großkredite als auch Organkredite sollen eben nur gewährt werden, wenn sich alle Vorstandsmitglieder hierin einig sind; das Risiko einer einseitigen Entscheidungsblockade wird vom Gesetzgeber als vernachlässigenswert eingestuft gegenüber dem Risiko einer all zu leichtfertigen Kreditvergabe. Gerade dieses implizite Votum des KWG-Gesetzgebers für die Erschwerung von Risikoentscheidungen bestätigt indes den Befund, dass der Satzungsgeber generell gut beraten ist, das Einstimmigkeitsprinzip zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der unternehmensinternen Willensbildung grundsätzlich abzubedingen. 2. Ressortverantwortung a) Ressortverantwortung als Ausdruck einer autonomen Modifikation des Prinzips der Gesamtverantwortung Bereits aus dem Vorangegangenen erhellte, dass Ressortverantwortung kein Konzept ist, welches das Aktiengesetz selbst etabliert, sondern das Produkt der Ausübung einer Ermächtigung darstellt. Der Gesetzgeber ermöglicht es den Organen der Gesellschaft auf diese Weise, nach Maßgabe des Pragmatischen und Vernünftigen vom gesetzlichen Grundkonzept abzuweichen. Allerdings besteht hierfür nur dann Raum, wenn – wie inzwischen völlig üblich – entweder Satzung oder Geschäftsordnung von der Ermächtigung des Gesetzgebers Gebrauch gemacht haben, eine ressortmäßig geordnete Geschäftsverteilung der Vorstandsangelegenheiten vorzusehen. Geschieht dies, so folgt hieraus ein doppelter Effekt: Eine gesteigerte Befassungs- und Kontrollpflicht der Ressortvorstände für ihr Ressort sowie eine korrelierend reduzierte Befassungspflicht
__________ 21 Das alte Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen hat in seiner Mitteilung Nr. 2/63 v. 28.10.1963 die Meinung vertreten, bei einer mehr als zweiwöchigen Verhinderung eines Geschäftsleiters könne ein Großkreditbeschluss auch ohne Teilnahme und nachträgliche Zustimmung des betreffenden Geschäftsleiters gefasst werden. Diese auch von der aufsichtsrechtlichen Literatur geteilte Auffassung (siehe beispielsweise Groß in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, Kreditwesengesetz, 3. Aufl. 2008, § 13 KWG Rz. 21) ist zwar fraglos praxisgerecht, mit dem Wortlaut des Gesetzes aber kaum vereinbar. Allerdings wird aus § 13 Abs. 2 Satz 5 KWG deutlich, dass Verletzungen des Einstimmigkeitsprinzips die Wirksamkeit des getroffenen Beschlusses nicht in Frage stellen. Gleichwohl bleibt zweifelhaft, inwieweit der Rückschluss von der Wirksamkeit nicht-einstimmiger Beschlüsse auf deren Rechtmäßigkeit möglich ist.
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der übrigen Vorstände für die fachfremden Ressorts. Aus der Sicht der fachfremden Vorstände bewirkt die Einführung von Ressortverantwortlichkeiten also, wie oben dargelegt, ein Umschlagen der umfassenden Befassungs- und Beschlussverantwortung in eine Kontrollverantwortung, deren Intensität von den jeweiligen Gegebenheiten abhängt. Aus der Entscheidung des Gesetzgebers, einen autonomen Dispositionsrahmen für die Organe der Gesellschaft zu schaffen, folgt, dass die Konsequenzen, die sich aus der autonomen Umverteilung von Kompetenzen ergeben, in ein gesetzgeberisches Rechenschaftspflichts- und Haftungskonzept eingepasst werden müssen, welches eher auf den historisch-systematischen Ursprungsfall des umfassend verantwortlichen als auf heutigen Normalfall des ressortmäßig gegliederten Vorstands zugeschnitten ist. Diese Aufgabe wird auch durch den Umstand, dass bestimmte Erscheinungsformen des Ressortprinzips durchaus Eingang in die Gesetzeslage gefunden haben nicht wesentlich erleichtert. Weder der Arbeitsdirektor in der mitbestimmten Aktiengesellschaft, der aufgrund der ihm durch das Mitbestimmungsgesetz zugewiesenen Zuständigkeiten eine originäre gesetzliche Ressortverantwortung besitzt, noch die durch das Kreditwesengesetz geforderte Differenzierung zwischen Marktvorständen und Marktfolgevorständen, die ebenfalls eine gesetzliche Emanation von Ressortverantwortung darstellt, liefern verallgemeinerungsfähige Muster für die ressortmäßige Gliederung des Vorstands und die daraus erwachsenden Konsequenzen auf der Ebene der Rechenschaftspflichten und der Haftung. b) Formen und Folgen der Ressortverantwortung aa) Divisionale und funktionale Ressortgliederung Die gängigsten Erscheinungsformen der Ressortverantwortung sind die Divisions- oder Spartenstruktur, innerhalb derer die Verantwortung nach Unternehmensbereichen – typischerweise nach Märkten oder Produkten gegliedert – verteilt wird, sowie die früher vorherrschende funktionale Struktur, bei der jede der für ein Großunternehmen typischen Funktionen einem eigenen Ressort zugewiesen wird22. In den regulierten Unternehmen der Kreditwirtschaft werden gegebenenfalls, wie bereits erwähnt, beide Strukturierungskonzepte miteinander verbunden, da einerseits die vom Gesetz gebotene Differenzierung zwischen Markt und Marktfolge Elemente einer funktionalen Gliederung vorgibt, andererseits aber gerade große Kreditinstitute divisionale Ressortzuweisungen in Form von Verantwortlichkeiten für bestimmte Regionen, Produkte oder für bestimmte Kundentypen kennen. Kompliziert wird die Handhabung des Konzepts der Ressortverantwortung insbesondere in Fällen, in denen mehrere Vorstandsmitglieder eine derartige gegenüber den übrigen Organmitgliedern herausgehobene Verantwortung zu tragen haben. Häufig wird dies der Fall sein in Unternehmen mit einer MatrixBinnenstruktur sowie bei Risikoentscheidungen von Kreditinstituten, die stets
__________ 22 Näher hierzu Wettich (Fn. 8), S. 14 ff.
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von zwei Vorstandsmitgliedern verantwortet werden müssen. Betrachtet man beispielsweise die Aufgabenverteilung zwischen dem Kreditvorstand einer Bank und dem Marktfolgevorstand – typischerweise dem Risikovorstand – genauer, stellt sich die Frage, ob beide in derselben Weise für den gesamten Prozess der Kreditentscheidung verantwortlich sind oder ob insoweit funktionsbasierte Differenzierungen in Betracht kommen. In der Tat wird man dem Risikovorstand zugestehen müssen, dass er sich in die Vorbereitung von vorstandsrelevanten Kreditentscheidungen erst dann einbringen muss, wenn der Entscheidungsvorschlag eine gewisse Reife erlangt hat und damit möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt als der zuständige Marktvorstand. Doch dieses zeitliche Privileg dispensiert den Risikovorstand nicht von der mit der des Marktvorstandes parallel laufenden Verantwortung, sämtliche für die zu treffende Kreditentscheidung relevanten Aspekte des Kreditengagements zu kennen. Es ist dem Risikovorstand mithin verwehrt, sich – ähnlich wie die übrigen Vorstände – auf eine primär kontrollorientierte Befassung mit der Entscheidungsvorlage zu beschränken. Konkret bedeutet dies insbesondere, dass auch der Risikovorstand, ebenso wie der Marktvorstand, die Entscheidungsvorlagen der nachgeordneten Mitarbeiter nicht nur auf Richtigkeit und Widerspruchsfreiheit hin prüfen muss, sondern darüber hinaus auch – ggfs. durch Beiziehung von Kreditakten, Führung von Gesprächen und Korrektur der Vorlagen – sicherstellen muss, dass die Entscheidungsträger ein umfassendes Bild des Entscheidungsgegenstandes sowie insbesondere der Chancen und Risiken der von ihnen zu treffenden Entscheidung erhalten – sie mithin vollständig informiert sind. Auf einem anderen Blatt steht, ob man diese umfassende Mitverantwortung auch Vorstandsmitgliedern auferlegen muss, die zwar nicht ressortmäßig für die Einbringung einer Entscheidungsvorlage in den Vorstand verantwortlich sind, gleichwohl aber im Hinblick auf bestimmte Aspekte an der Vorbereitung der Vorlage ressortmäßig beteiligt waren. Diese Konstellation findet sich im Großunternehmen häufig und insbesondere dann, wenn die Zuständigkeiten der Vorstandsmitglieder matrixförmig verteilt sind. Sie findet sich bspw. auch in all jenen Fällen, in denen Vorstandsentscheidungen signifikante Auswirkungen auf bilanzielle Fragen, auf Fragen der Eigenkapitalausstattung oder der Liquiditätsentwicklung haben; hier ist stets der Finanzvorstand in mehr oder weniger intensiver Weise entscheidungsbeteiligt. Gleichwohl wäre es überzogen, ohne weiteres und per se jeden Vorstand, der an der Vorbereitung einer Vorstandsentscheidung beteiligt war, in gleicher Weise umfassend in die Verantwortung zu nehmen, wie die primär verantwortlichen Ressortvorstände. Hier besteht Grund und Anlass für funktionsbasierte Differenzierungen der Verantwortlichkeiten23. Das Gleiche sollte im Übrigen auch für die aus seiner
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23 Anders hat dies das Verwaltungsgericht Frankfurt in seiner Entscheidung v. 8.7.2004 (WM 2004, 2157 ff.) gesehen, in der es nichtressortverantwortlichen aber sachnahen „Nachbarvorständen“ die Pflicht auferlegt hat, immer wieder zu überprüfen, ob das ressortzuständige Vorstandsmitglied seinen Geschäftsleitungspflichten laufend gewissenhaft nachkommt. Das Gericht führt weiter aus, dass „insoweit verbundene Vorstandsressort“ dürfe sich nicht auf eine bloß sorgfältige Plausibilitätskontrolle
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Koordinations- und Überwachungsfunktion resultierende spezifische Verantwortlichkeit des Vorstandsvorsitzenden gelten. Auch sie geht zwar über die kontrollorientierte Mitverantwortlichkeit eines einfachen Vorstandsmitglieds hinaus, erreicht aber doch nicht stets und ipso iure das umfassende Verantwortungsniveau des Ressortvorstands. bb) Eilentscheidungen Eine besondere Erscheinungsform der Kompetenzdelegation stellen Eilentscheidungen dar. Sie können, je nach Satzung- und Geschäftsordnung, typischerweise von jedem Vorstandsmitglied allein oder mit einer Mindestzahl weiterer Vorstandsmitglieder getroffen werden, soweit die Tatbestandsvoraussetzungen der besonderen Eilbedürftigkeit vorliegen. Der hier interessierende rechtliche Effekt einer Eilentscheidung besteht darin, dass sie für denjenigen Vorstand, der die Eilbedürftigkeit konstatiert und auf dieser Basis eine Entscheidungskompetenz an sich zieht, die ansonsten einem anderen Vorstandskollegen oder dem Gesamtgremium zusteht, eine Befassungsverantwortung begründet, die der des Ressortvorstands inhaltsgleich ist. Der Eilvorstand kann sich mithin nicht darauf berufen, als ressortfremdes Vorstandsmitglied nicht sämtliche Aspekte des Beschlussgegenstandes zu kennen, die im zuständigen Ressort bekannt sind, und er kann sich auch nicht darauf beschränken, Entscheidungsvorlagen auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen. Von ihm ist vielmehr zu fordern, dass er den Beschlussgegenstand umfassend analysiert. Dieses Gebot wird auch nicht durch den Umstand in Frage gestellt, dass es gängige Übung ist, Eilentscheidungen im Nachgang den ursprünglich nicht an der Entscheidung beteiligten Vorstandsmitgliedern zur Mitunterzeichnung vorzulegen. Unabhängig davon, ob man in diesem Vorgang lediglich eine Form der nachträglichen Kenntnisnahme oder eine Form der nachträglichen Zustimmung sieht, vermag er doch nichts daran zu ändern, dass die ihm zeitlich vorausliegende Kompetenzinanspruchnahme des Eilvorstandes bzw. der Eilvorstände eine Entscheidungsverantwortung begründet hat, die nicht mehr post festum revidiert werden kann. cc) Vorstandsvorsitzender und Vorstandssprecher Eine weitere Durchbrechung des Prinzips der Gesamtverantwortung kann hier nur gestreift werden: die Sonderstellung des Vorstandsvorsitzenden und bis zu einem gewissen Grade auch die des Vorstandssprechers. Insbesondere die durch Gesetz, Satzungen und die Rechtsentwicklung der letzten Jahrzehnte
__________ zurückziehen, sondern müsse vielmehr aktiv nachfassen und sich verifizierbare Unterlagen beschaffen. Dieser Standpunkt geht weit über das hinaus, was das Konzept der Gesamtverantwortung vernünftigerweise gebieten kann und hebt die durch die Zuweisung von Ressortverantwortlichkeiten herbeigeführte Funktionsdifferenzierung letztlich wieder auf. Kritisch zur Entscheidung des VG Frankfurt auch: Habersack, Gesteigerte Überwachungspflichten des Leiters eines sachnahen Vorstandsressorts?, WM 2005, 2360 ff.
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immer dominanter gewordene Sonderstellung des Vorstandsvorsitzenden bricht mit dem für Kollegialorgane typischen und dem Konzept der Gesamtverantwortung zugrunde liegenden egalitären Status ihrer Organmitglieder. Führt man sich vor Augen, dass der Vorstandsvorsitzende typischerweise zugleich Repräsentant und Sprecher des Unternehmens ist, Sitzungen vorbereitet und leitet, für die Zusammenarbeit und Überwachung der Ressorts sowie auch für die Kommunikation mit dem Aufsichtsrat verantwortlich ist und in manchen Unternehmen gar ein Vetorecht in Bezug auf Vorstandsentscheidungen besitzt24, so werden die hiermit verbundenen Durchbrechungen des Prinzips der Gesamtverantwortung deutlich. All dies kann hier nicht weiter ausgeführt werden und ist im Übrigen erst unlängst eingehend dargelegt worden25. 3. Formen und Folgen der Einforderung von Verantwortung a) Rechenschaftspflichten gegenüber Aufsichtsrat, Hauptversammlung und staatlichen Aufsichtsbehörden aa) Berichts- und Informationspflichten gegenüber dem Aufsichtsrat Die vielfältigen Berichts- und Informationspflichten des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat, insbesondere aus § 90 AktG, aber auch im Zusammenhang mit dem Jahresabschluss, der Erstellung von Abhängigkeits- und Konzerbericht, sollen hier nur kurz gestreift werden. Auch die aus den Informationsund Zustimmungsrechten des Aufsichtsrats nach § 111 AktG resultierenden Informationspflichten des Vorstands bedürfen hier keiner Vertiefung. Erwähnt sei lediglich, dass aus dem Charakter der Zustimmungsentscheidung des Aufsichtsrats nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG als eigener unternehmerischer Entscheidung die Pflicht des Vorstands abzuleiten ist, dem Aufsichtsrat zumindest auf Verlangen sämtliche Informationsgrundlagen zur Verfügung zu stellen, auf die der Vorstand sich selbst bei seiner Entscheidung gestützt hat26. Hervorgehoben sei weiterhin, dass die Information des Aufsichtsrats eine Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstands als Organ ist und der Empfänger – korrespondierend – ebenfalls der Aufsichtsrat als Organ ist. Dies gilt auch dann, wenn der konkrete Berichtsweg nach Maßgabe des § 90 Abs. 1 Satz 3 AktG über den Aufsichtsratsvorsitzenden führt. Der Umstand, dass der Vorstand insoweit als Organ handelt, impliziert zugleich, dass im Falle von Meinungsverschiedenheiten eine Mehrheitsentscheidung über Art und Weise der
__________ 24 Zum Ganzen eingehend Wettich (Fn. 8), S. 94 ff. 25 Wettich (Fn. 8), S. 94 ff. 26 Zu den Rechten und Pflichten des Aufsichtsrats bei Zustimmungsentscheidungen siehe: Goette in FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 123, 128 f.; Habersack in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 111 AktG Rz. 108 und 127; Hopt/Roth in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2006, § 111 AktG Rz. 667; Kropff in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für AR-Mitglieder, 3. Aufl. 2009, § 8 Rz. 115; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des AR, 5. Aufl. 2008, Rz. 116; Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1996, § 111 AktG Rz. 85; Pentz in Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 16 Rz. 46; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 111 AktG Rz. 76; E. Vetter in Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 26 Rz. 39.
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Berichterstattung und Information zu erfolgen hat – soweit dies in Satzung oder Geschäftsordnung vorgesehen ist. Für überstimmte Vorstandsmitglieder muss indes gelten, dass sie ihre abweichende Situationseinschätzung in geeigneter Weise zur Geltung bringen können27. bb) Rechenschaftspflicht gegenüber der Hauptversammlung Auch für die Rechenschaftspflicht gegenüber der Hauptversammlung gilt, dass Pflichtträger der Vorstand als Organ und Berechtigter korrespondierend die Hauptversammlung als Organ ist. Allerdings steht jedem Aktionär als Bestandteil seiner Mitgliedschaft nach § 131 AktG ein individuelles Auskunftsrecht gegenüber dem Vorstand zu, mittels dessen er letzteren zwingen kann, die dem Vorstand obliegenden Berichtspflichten zu erfüllen28. Die Berichtspflicht des Vorstands gegenüber der Hauptversammlung ist im Übrigen interessanterweise vom Gesetz nicht expressis verbis statuiert, ergibt sich indes aus den Bestimmungen des Gesetzes zur Vorlage des Jahresabschlusses und zur Erstattung des Lageberichts (§ 175 Abs. 1 AktG) sowie aus dem Auskunftsrecht der Aktionäre. Insbesondere die durch § 289 HGB erzwungene Detaillierung der Lageberichterstattung schafft in der Gesamtschau mit den übrigen Informationspflichten des Vorstands sowie dem Recht qualifizierter Aktionärsminderheiten aus § 122 AktG, eine außerordentliche Hauptversammlung einberufen zu lassen, das Bild einer umfassenden Berichtspflicht des Vorstands gegenüber der Hauptversammlung. Da die Erteilung von Auskünften nach § 131 AktG eine Maßnahme der Geschäftsführung i. S. d. § 77 AktG ist, bedarf es auch für sie eines einstimmigen Vorstandsbeschlusses, sofern nicht Satzung oder Geschäftsordnung auch insoweit von der Ermächtigung zur Kompetenzdelegation Gebrauch gemacht haben29. Ist dies, wie wohl regelmäßig, der Fall, so stellt sich die Frage, ob es Bestandteil des Auskunftsrechts des Aktionärs ist, von dem jeweils zuständigen Ressortvorstand Auskunft zu erhalten oder ob der Aktionär die gängige Praxis der Beantwortung sämtlicher Fragen durch den Vorstandsvorsitzenden hinnehmen muss. Auch wenn man konzediert, dass das Auskunftsrecht des Aktionärs grundsätzlich umfassend ist und im Wesentlichen nur durch die Kriterien der Erforderlichkeit, des Missbrauchs sowie der Abwehr von Nachteilen für die Gesellschaft begrenzt wird30, erscheint es doch als Überdehnung des gesetzlichen Auskunftsanspruchs und mithin als nicht gebotener Eingriff in die autonome Geschäftsverteilungsbefugnis der Organe, aus ihm das Recht abzuleiten, eine bestimmte Person zur Auskunftserteilung heranzuziehen. Die Korrelation von Zuständigkeit und Verantwortlichkeit findet im Beziehungsgefüge von Vorstand und Hauptversammlung ihren Niederschlag in der
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Näher dazu Spindler (Fn. 3), § 90 AktG Rz. 7. Näher dazu Hüffer (Fn. 7), § 131 AktG Rz. 2. Näher hierzu Hüffer (Fn. 7), § 131 AktG Rz. 7 m. w. N. Näher hierzu Semler, Auskunftsrecht der Aktionäre, in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 4, 3. Aufl. 2007, S. 565 ff.; sowie Hüffer (Fn. 7), § 120 AktG Rz. 18 ff., 23 ff.
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Zuständigkeit der Hauptversammlung für die Entlastung des Vorstands nach § 120 AktG. Da die Entlastung typischerweise verweigert werden wird, wenn die Hauptversammlung die Geschäftsführung des Vorstands nicht billigt und typischerweise erteilt werden wird, wenn die Hauptversammlung mit der Geschäftsführung zufrieden war31, wird auch an dieser Stelle die gegenständliche Deckung zwischen Verantwortung (bzw. Zuständigkeit) und Verantwortlichkeit sichtbar. Dies gilt auch für die mit dem Ressortprinzip einhergehende Differenzierung der Verantwortlichkeit innerhalb des Vorstands. Sie entfaltet im Kontext mit der Entlastung insofern Rechtswirkungen als die Hauptversammlung befugt ist, vom Regelfall der einheitlichen Entlastungsentscheidung abzuweichen und über die Entlastung der Vorstandsmitglieder gesondert abzustimmen (§ 120 Abs. 1 Satz 2 AktG). Es versteht sich, dass der Einsatz des Instruments der gesonderten Abstimmung vor allem dann sinnhaft ist, wenn die mit dem Ressortprinzip einhergehende Differenzierung von Verantwortungsbereichen unterschiedliche Entlastungsentscheidungen nahelegt32. cc) Rechenschaftspflichten gegenüber Aufsichtsbehörden Eine besondere Prägung nimmt das Zusammenspiel von Zuständigkeit und Verantwortlichkeit im Bereich der regulierten Unternehmen an. Während auf die spezifischen Ausprägungen der Verantwortlichkeit von Telekommunikations- und Energieversorgungsunternehmen sowie auf die von Unternehmen im Gesundheitssektor hier nicht näher eingegangen werden kann, soll im Folgenden ein kurzer Blick auf die besonderen Gegebenheiten der Kreditwirtschaft und die insoweit maßgeblichen Normen des KWG geworfen werden33. Entgegen den derzeit in der Öffentlichkeit vorherrschenden Wahrnehmungen und Einschätzungen dürfte die deutsche Kreditwirtschaft eine der am intensivsten regulierten Branchen sein, die es in marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystemen überhaupt gibt. Auf einen kurzen Nenner gebracht wird man sagen können, dass hier das Prinzip der Gewerbefreiheit weitgehend durch das der Gewerbeaufsicht ersetzt worden ist. Wie sehr die alte leninistische Devise, dass Vertrauen gut sein mag, Kontrolle jedenfalls aber besser ist, in der Kreditwirtschaft Platz gegriffen hat, zeigt ein kurzer Blick auf die wichtigsten Organisations-, Dokumentations- und Informationspflichten eines Bankvorstands gegenüber der BaFin. Auftakt und Höhepunkt zugleich bildet dabei § 25a KWG gemäß dessen Absatz 1 Kreditinstitute über eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation verfügen müssen, die nicht nur die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen,
__________ 31 Zur Frage des Rechts auf Entlastung siehe Hüffer (Fn. 7), § 120 AktG Rz. 18 f. 32 Eingehend zur Thematik der Einzelentlastung Semler, Zuständigkeit der Hauptversammlung, in Münch.Hdb. GesR (Fn. 30), S. 498 ff. 33 Die folgenden Ausführungen gelten weithin auch für Unternehmen der Versicherungsbranche sowie für Kapitalanlagegesellschaften, da die Bestimmungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes sowie des Investmentgesetzes über Rechenschaftspflichten der Unternehmen und Informations- sowie Interventionsrechte der auch in diesem Sektor zuständigen BaFin mutatis mutandis dem Muster des KWG folgen.
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sondern darüber hinaus auch die der betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten gewährleistet. Verantwortlich – gegenüber der BaFin – hierfür sind gemäß § 25a Abs. 1 Satz 2 KWG die Vorstände. Zu der ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation gehört nach § 25a Abs. 1 Satz 2 KWG insbesondere ein wirksames Risikomanagement und gemäß Satz 6 Nr. 2 darüber hinaus eine vollständige Dokumentation der Geschäftstätigkeit, die eine lückenlose Überwachung durch die BaFin gewährleistet. Obschon hiermit zwar dem Grunde nach bereits alles Erforderliche gesagt ist, hat der Gesetzgeber es doch für richtig gehalten die – im Übrigen erst in den vergangenen Jahren ins KWG gelangte – Programmatik des § 25a KWG durch eine Vielzahl von Einzelbestimmungen auszuarbeiten. Zu den wichtigsten Informations- und Berichtspflichten des Vorstands gegenüber der BaFin gehören die Anzeigepflichten über Groß-, Millionen- und Organkredite (§§ 13–15 KWG), die Anzeigepflichten der §§ 24 bis 24b KWG über wesentliche Geschäftsvorfälle, das Zugriffsrecht der BaFin auf Kundendaten gemäß § 24c KWG, die monatliche Berichtspflicht gegenüber Bundesbank und BaFin über alle wesentlichen Parameter der Geschäfts- und Risikoentwicklung nach § 25 KWG, die Pflicht zur Vorlage von Jahresabschluss, Lagebericht und Prüfungspflicht nach § 26 KWG und die Befugnis der BaFin, sich auf der Grundlage des § 46 KWG bei Gefahr im Verzug umfassend über die Geschäftstätigkeit des Instituts berichten zu lassen. Die genannten Informations- und Berichtspflichten sind sämtlich an den Vorstand als Kollegialorgan gerichtet. In Bezug auf die Organisationspflichten des § 25a Abs. 1 KWG betont Satz 2 der Bestimmung das Prinzip der Gesamtverantwortung insoweit ausdrücklich. Gleichwohl entfaltet das Ressortprinzip auch im Beziehungsgefüge Vorstand – BaFin Wirkungen. Zum einen verpflichtet es den jeweils ressortverantwortlichen Vorstand intern, in Wahrnehmung der Obliegenheiten des Gesamtvorstands die erforderlichen Informationen und Berichte zu erstellen und zu liefern und zum anderen wird es bei Verstößen gegen aufsichtsrechtliche Pflichten belangvoll. Unterlaufen nämlich „dem Vorstand“ Fehler, die zugleich Verstöße gegen ihm im KWG auferlegte Pflichten darstellen, so stellt sich die Frage der aufsichtsrechtlichen Verantwortlichkeit. Die Antwort ist nicht bereits mit dem Hinweis auf das insbesondere im § 25a Abs. 1 Satz 2 KWG verankerte Prinzip der Gesamtverantwortung des Vorstands abgetan. Im Gegenteil, § 25a Abs. 1 Satz 2 gilt nur in Bezug auf die Organisationspflichten des Satzes 1, während im übrigen die „dem Vorstand“ durch das KWG auferlegten Pflichten durch Geschäftsverteilungsentscheidungen auf einzelne Vorstandsmitglieder delegiert werden können. Im Übrigen folgt bereits aus der Tatsache, dass die der BaFin zustehenden Sanktionsbefugnisse – die Verwarnung und die Abberufung von Geschäftsleitern gem. § 36 KWG – tief in die Berufsfreiheit der Vorstände eingreifen, dass aufsichtsrechtlich zulässige Funktionsdifferenzierungen auch auf der Ebene der Verantwortlichkeit für Pflichtverstöße gespiegelt werden müssen. Hat also der Geschäftsverteilungsplan einer Bank dem Risikovorstand oder dem Finanzvorstand die Erfüllung bestimmter Informationspflichten gegenüber der BaFin übertragen, so sind im ersten Zuge auch lediglich diese Ressortleiter aufsichtsrechtlich für 313
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etwaige Pflichtverstöße in diesem Bereich verantwortlich. Die Frage der Verantwortlichkeit der übrigen Vorstandsmitglieder stellt sich erst dann, wenn letztere ihren Kontrollpflichten nicht angemessen nachgekommen sind. b) Maßstab für Pflichtverletzungen und zivilrechtliche Folgen von Pflichtverletzungen Gemäß § 93 Abs. 1 AktG haben die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Damit ist der Maßstab für pflichtgemäßes Vorstandshandeln bezeichnet und damit bringt der Gesetzgeber zugleich auch zum Ausdruck, dass die Prüfung der Pflichtgemäßheit des Handels jeweils auf das einzelne Vorstandsmitglied und nicht auf den Vorstand als Ganzes zu beziehen ist. Er nimmt damit einen Wechsel von der Organperspektive der §§ 76 und 77 AktG auf die Organwalterperspektive vor, um auf diese Weise dem Prinzip Rechnung zu tragen, dass Haftung für Fehlverhalten einer individuellen Anknüpfung bedarf und nicht ohne weiteres aus einer rein kollegialen Verantwortung abgeleitet werden kann. Wie die Sorgfalt des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu konkretisieren ist und dass die Vorstände damit verpflichtet sind, gleich einem Treuhänder zu handeln, der fremde Vermögensinteressen wahrnimmt, haben Rechtsprechung und aktienrechtliche Literatur vielfältig analysiert34. Gleiches gilt im Übrigen für das balancierende Gegenstück der strikten treuhänderischen Pflichtenbindung – das unternehmerische Ermessen. Der Bundesgerichtshof betont insofern vollkommen zutreffend in ständiger Rechtsprechung, dass dem Vorstand bei der Leitung der Geschäfte ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden muss und er mithin berechtigt ist, bewusst geschäftliche Risiken einzugehen und auch die Gefahr von Fehlbeurteilung und Fehleinschätzung in Kauf zu nehmen ist, da anders „eine unternehmerische Tätigkeit schlechterdings nicht denkbar ist“35. Hervorhebung bedarf hier lediglich, dass das Pflichtenprogramm des § 93 AktG objektiv zu verstehen ist und somit individuelle Umstände des jeweiligen Vorstandsmitglieds grundsätzlich unberücksichtigt bleiben36. Bedeutsam erscheint auch, dass die sog. Business Judgement Rule des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, der bestimmte unternehmerische Entscheidungen ex lege als pflichtgemäß erklärt, nur dann eingreift, wenn die Vorstände vernünftiger-
__________ 34 OLG Düsseldorf, AG 1997, 231, 235; OLG Koblenz, ZIP 1991, 870, 871; Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 93 AktG Rz. 4; Krieger/Sailer in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 93 AktG Rz. 5; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 AktG Rz. 24. 35 BGH, ZIP 1997, 883 ff. (ARAG/Garmenbeck) sowie BGH, NJW 2008, 1583 ff. (UMTSLizenzen). 36 Hopt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 AktG Rz. 79; Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 93 AktG Rz. 4; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 AktG Rz. 20, 158; Krieger/Sailer in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 93 AktG Rz. 5.
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Gesamtverantwortung und Ressortverantwortung im Vorstand der AG
weise annehmen durften, auf der Basis angemessener Information37 sowie zum Wohle der Gesellschaft zu handeln und auch keine übermäßigen Risiken eingegangen sind38. Die konkreten Folgerungen, die aus diesen abstrakten Vorgaben im Hinblick auf das Konzept der Gesamtverantwortung sowie auch auf das der Ressortverantwortung zu ziehen sind, sollen im Folgenden dargestellt werden. aa) Ressortentscheidungen Wie bereits oben dargelegt, müssen Ressortvorstände für Entscheidungen, die sie selbst zu treffen haben oder die unter ihrer Verantwortung innerhalb ihrer Ressorts getroffen werden, uneingeschränkt Verantwortung übernehmen und bedeutet dies, dass sie sich nicht darauf beschränken dürfen, ihnen präsentierte Entscheidungsvorlagen ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung abzuzeichnen. Der Ressortvorstand ist vielmehr gehalten, die wesentlichen Grundlagen ihm vorgelegter Vorlagen auf Fehler zu überprüfen und hierzu die wesentlichen Entscheidungsunterlagen sowie die entscheidungsrelevanten Informationen zu beschaffen, zu sichten und auszuwerten. Auf dieser Grundlage hat er sodann die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen und der ihnen inhärenten Risiken sorgfältig abzuschätzen39. Im Übrigen sind bei strategischen Entscheidungen sowie bei komplexen Geschäften und Risikogeschäften nochmals erhöhte Anforderungen an die Informationsbeschaffung zu stellen40. Aus all dem folgt weiterhin, dass Ressortvorstände über eine umfassende Fachkompetenz in ihrem Ressort verfügen müssen und sich weder auf mangelndes Fachwissen noch auf mangelnde Erfahrung und auch nicht auf eine zu kurze Einarbeitungszeit in ihr Ressort berufen können.
__________ 37 BGH, NZG 2008, 751, 752 (zu § 43 GmbHG); BGH, NZG 2009, 117 (zu § 34 GenG); Goette in FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 123, 140 f.; Hopt/Roth in Großkomm.AktG, Stand Oktober 2006, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 AktG n. F., Rz. 44 ff. insb. 47; Kinzl, DB 2004, 1653, 1654; Kock/Dinkel, NZG 2004, 441, 443; Schnabel/Lücke in Beck’sches Mandatshandbuch Vorstand der AG, 2004, § 6 Rz. 61; Spindler in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 AktG Rz. 47; Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 2008, Rz. 197; Henze, NJW 1998, 3309, 3310 f.; Schaefer/ Missling, NZG 1998, 441, 444. 38 OLG Jena, NZG 2001, 86, 87 (zu § 43 GmbHG); BGH, NJW 2006, 453, 454 f. 39 BGH, BKR 2010, 163, 167; BGH, NZG 2008, 751, 752 (zu § 43 GmbHG); BGH, NZG 2009, 117 (zu § 34 GenG); Goette in FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 123, 140 f.; Hopt/ Roth in Großkomm.AktG, Stand Oktober 2006, § 93 Abs. 1 Satz 2, 4 AktG n. F., Rz. 44 ff. insb. 47; Kinzl, DB 2004, 1653, 1654; Kock/Dinkel, NZG 2004, 441, 443; Schnabel/Lücke in Beck’sches Mandatshandbuch Vorstand der AG, 2004, § 6 Rz. 61; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 AktG Rz. 47; Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 2008, Rz. 197; Henze, NJW 1998, 3309, 3310 f.; Schaefer/Missling, NZG 1998, 441, 444. 40 Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 93 AktG Rz. 4g; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 AktG Rz. 48; Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 2008, Rz. 197.
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(1) Informiertes Entscheiden Auch wenn das skizzierte Anforderungsprofil an eine informierte Entscheidung im Kern unumstritten ist, muss doch konzediert werden, dass Gleiches nicht für die Peripherie gilt. Auf zwei Aspekte sei hingewiesen. Zum ersten bestehen Tendenzen in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, diese ohnehin schon rigiden Anforderungen noch weiter zu verschärfen, indem das Gebot der sorgfältigen Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen dahingehend konkretisiert wird, der verantwortliche Geschäftsleiter habe „alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art auszuschöpfen“41. Dieses Vollständigkeitsgebot ist indes bereits mit dem Wortlaut des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, der lediglich ein angemessenes Informationsniveau fordert und dem Vorstand darüber hinaus auch eine eigene Einschätzungsprärogative einräumt42 nicht vereinbar. Vor allem aber verschärft das Vollständigkeitsgebot die Informationspflichten des Vorstands in einem Maße, welches sie in Großunternehmen und zumal bei komplexen Entscheidungen unerfüllbar macht. Komplexe Kredit- oder Anlageentscheidungen einer Bank sowie komplexe Investitions- oder Beteiligungsentscheidungen eines international tätigen Unternehmens basieren notwendig auf Informationsselektion und Informationsaggregierung. Kaum ein Unternehmen wird für sich in Anspruch nehmen können, bei derartigen Entscheidungen alle verfügbaren Informationen erlangt und ausgewertet zu haben und kein Vorstand wird im Stande sein, die Springflut an im Unternehmen zusammengetragenen Informationen selbst gesichtet und verarbeitet zu haben; jeder Vorstand wird insofern auf die Vorselektion seiner Mitarbeiter angewiesen bleiben. Im Lichte dieser unentrinnbaren Realität erscheint das Vollständigkeitsgebot des 2. Senats selbst im Hinblick auf Ressortvorstände als überzogen, weil nicht erfüllbar. Es versteht sich, dass dies in Bezug auf Gesamtvorstandsentscheidungen erst recht gilt (dazu siehe unten bb). Ein weiterer Aspekt des informierten Entscheidens, der noch der Aufhellung und Spezifizierung bedarf, ist die Frage, inwieweit das geforderte Informationsniveau situationsabhängig unterschiedlich kalibriert werden muss. Bereits aus dem Attribut der Angemessenheit in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG wird deutlich, dass die Frage dem Grunde nach zu bejahen ist. Was hieraus im Einzelnen allerdings folgt, lässt sich nur bedingt verallgemeinern. Immerhin wird man sagen dürfen, dass die quantitative und qualitative Bedeutung einer Entscheidung sowie insbesondere ihre Risikoträchtigkeit Gesichtspunkte darstellen, die den Umfang der gebotenen Informationsbeschaffung und -auswertung determinieren43.
__________ 41 BGH, NJW 2008, 3361 f. unter Verweis auf Goette (Fn. 37), S. 140 f. 42 Ebenso Fleischer, NJW 2009, 2337 ff.; Krieger/Sailer in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 93 AktG Rz. 13 f.; Balthasar/Hamelmann, WM 2010, 589, 591. 43 Ebenso Böttcher, NZG 2009, 1047 ff.; Mertens/Cahn (Fn. 7), § 93 AktG Rz. 34 f. sowie implizit auch BGH, BKR 2010, 163 ff. (Sengera).
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(2) Angemessenheit der Risiken Fragen wirft auch das Gebot der Vermeidung unangemessener Risiken auf. Naturgemäß gilt dies besonders für Banken, die aufgrund ihrer Angewiesenheit auf eine Fremdfinanzierung in Höhe von weit über 90 % der Bilanzaktiva strukturell anfälliger sind für Ausfallrisiken, Marktpreisschwankungen und Liquiditätsrisiken als andere Unternehmen. Die Anforderungen an pflichtgemäße Entscheidungen, die insoweit formuliert werden, variieren erheblich. Auf der einen Seite betont der 2. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs den grundsätzlich weiten Handlungsspielraum des Vorstands und hält fest, dieser sei erst dann überschritten, wenn die Bereitschaft unternehmerischer Risiken einzugehen „in unverantwortlicher Weise überspannt worden oder das Verhalten des Vorstands aus anderen Gründen pflichtwidrig ist“. Das Gericht verstärkt diese Generalvollmacht noch durch die Feststellung, für den Vorstand der Telekom AG habe es im Hinblick auf den Erwerb der UMTS-Lizenz aus der allein maßgeblichen ex-ante-Perspektive keine Alternative gegeben, wollte er nicht „Gefahr laufen, von einer zukunftsträchtigen, die Erschließung neuer Märkte versprechenden Technik von vornherein abgeschnitten zu sein“44. Im Lichte dieser Ausführungen kann kein Zweifel daran bestehen, dass der 2. Senat Unternehmensvorständen unter gegebenen Voraussetzungen auch das Recht zuspricht, existenzbedrohende Risken einzugehen. Ganz andere Akzente setzt indes eine Entscheidung desselben Senates aus dem Jahre 2001, in der er betont, das Gebot, Risiken nur in sinnvoller kaufmännischer Interessenabwägung einzugehen, bedeute für den Vorstand einer Genossenschaftsbank, dass er Kredite grundsätzlich nicht ohne übliche Sicherheiten gewähren dürfe45. Noch prägnanter wird dieser restriktive Gegenpol zur UMTS-Entscheidung von jenen Autoren ausgemünzt, die postulieren, jede Eingehung von Risiken, die im Falle ihrer Verwirklichung zum Untergang des Unternehmens führen können, sei pflichtwidrig46. Auf dem Boden der skizzierten Entscheidungspraxis weiß der Vorstand nun zwar immerhin, dass seine Sorgfaltspflichten parallel zum Entscheidungsrisiko steigen und er weiß auch, dass er existenzielle Risken allenfalls unter den Auspizien einer besonderen Bedrohungslage eingehen kann. Unter welchen Voraussetzungen aber ein Bankvorstand Kredit- und Anlagerisiken eingehen kann, ist nach wie vor nicht klar. Es bleibt daher zu hoffen, dass der Bundesgerichtshof insbesondere im Bereich der Prüfung der Pflichtgemäßheit von Risikokrediten eine Kurskorrektur vornimmt und Bankvorstände von der Sorge befreit, jeder Blankokredit könne sie ihr Amt oder vielleicht sogar ihre Freiheit kosten. Tatsächlich nämlich sind Blankokredite ein vollkommen üblicher und auch unverzichtbarer Bestandteil der Instrumentarien eines Kreditinstituts; erklärt man sie generell für pflichtwidrig, so bringt man damit gerade und insbesondere den Bereich der Konsumentenkredite und der Klein-
__________ 44 BGH, NJW 2008, 1583 f. (UMTS-Lizenzen). 45 BGH, BKR 2002, 168 f. 46 So insbesondere Lutter, ZIP 2007, 841, 845 sowie ZIP 2009, 197, 199.
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kredite zum Einsturz – eine Konsequenz, die zum Vermögensschutz der Banken, ihrer Gesellschafter und Gläubiger nicht erforderlich ist und die das Gesetz mithin auch nicht gebietet. Auch die Auffassung, jede Risikoentscheidung, die die Existenz einer Gesellschaft gefährde, sei Untreue i. S. d. § 266 StGB und damit erst recht pflichtwidrig im Sinne des § 93 AktG, erscheint verfehlt. Die von Lutter und Schröder zur Begründung dieser Position herangezogenen Sachverhalte, insbesondere die Bereitschaft der IKB, Gesellschaften, deren Geschäftszweck im Kauf und der Verwaltung von strukturierten Wertpapieren bestand, Kreditzusagen in zweistelliger Milliardenhöhe für den – nicht erwarteten – Fall zu erteilen, dass der Kapitalmarkt den Gesellschaften nicht mehr als Finanzierungsquelle zur Verfügung steht, gehören gewiss zu jenen Fällen, in denen man mit Fug daran zweifeln kann, ob das eingegangene Risiko noch angemessen war. Indes wird man weder bei Kreditinstituten noch in anderen Branchen von vornherein jede Kredit- oder Investitionsentscheidung, die im Falle des Fehlschlags zur Existenzgefährdung führt, als pflichtwidrig qualifizieren können. Zum einen verträgt sich dieser Ansatz nicht mit dem legitimen unternehmerischen Prinzip, zumal in Zeiten von Umbruch und Krise, neue Wege einzuschlagen und hierbei ggf. auch existenzielle, aber für beherrschbar gehaltene Risiken einzugehen, um einer anderenfalls möglicherweise drohenden unaufhaltsamen Abwärtsbewegung zu entrinnen47. Zum Zweiten erscheint es durchaus fraglich, ob es gerade im hochregulierten Bereich der Kreditvergabe angemessen ist, über die Einhaltung der Eigenmittelanforderungen, der Großkreditgrenzen und der Anforderungen an das Risikomanagement hinaus ein Gebot zu postulieren, jegliche potentiell existenzgefährdende Kredit- oder Anlageentscheidung zu unterlassen und dies auch dann, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit vernachlässigbar sein dürfte. Zum Dritten ist zu bedenken, dass die Frage der Eingehung existenzieller unternehmerischer Risiken in einem anderen Licht erscheint, wenn Aufsichtsrat und ggf. auch Hauptversammlung die Entscheidung mittragen. Die Möglichkeit, auch für Einzelentscheidungen ein Zustimmungsvotum der Hauptversammlung herbeizuführen, ist dem Vorstand durch § 119 Abs. 2 AktG in die Hand gegeben. bb) Pflichten des Gesamtvorstands Haben Satzung oder Geschäftsordnung eine Geschäftsverteilung vorgenommen, die Ressortzuständigkeiten einrichtet, so folgt hieraus, dass die Verantwortlichkeit der ressortfremden Vorstandsmitglieder für Ressortentscheidungen sich grundsätzlich auf eine angemessene Kontrolle beschränkt. Darüber hinausgehende Befassungs- und Beschlusspflichten kommen allerdings dann ins Spiel, wenn – aus welchen Gründen auch immer – Anlass besteht, der Art und Weise zu misstrauen, in der der Ressortvorstand seine Zuständigkeiten
__________ 47 So sehr deutlich der Bundesgerichtshof, auf den sich Lutter zu Unrecht beruft, in seiner Entscheidung zu den UMTS-Lizenzen (NJW 2008, 1583 f.); ebenso Balthasar/ Hamelmann, WM 2010, 590 f.; hierzu auch Fleischer, NJW 2009, 2337 ff.
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Gesamtverantwortung und Ressortverantwortung im Vorstand der AG
wahrnimmt. Eine weitere Konstellation, in der das Ressortprinzip keine Abschirmungswirkung in Bezug auf Verantwortlichkeit und Haftung entfaltet, sind Krisen- und Ausnahmesituationen. Unter diesen Auspizien nämlich verlangt die gesetzliche Grundentscheidung für die Prinzipien von Gesamtverantwortung und Allzuständigkeit der Geschäftsleitung Vorrang vor deren Begrenzung durch Satzung oder Geschäftsordnung und verpflichtet jedes einzelne Mitglied des Vorstands ohne Einschränkung zur Mitwirkung und zur Schadensabwehr48. Die mittels der Zuständigkeitsdelegation bewirkte Begrenzung von Verantwortung und Haftung wird in derartigen Situationen also im Ergebnis aufgehoben. Soweit der Gesamtvorstand entscheidungszuständig ist, gelten die oben unter aa) dargelegten Anforderungen für pflichtgemäßes Handeln grundsätzlich auch für ihn. Allerdings ist dieser Ausgangspunkt nicht zugleich auch der Endpunkt der Analyse. Dies folgt aus dem Umstand, dass es unter den Bedingungen von Zeit- und Ressourcenknappheit nicht realistisch ist, in dem arbeitsteilig organisierten Vorstand eines Großunternehmens von jedem einzelnen Organmitglied zu verlangen, dass es über die Grundlagen, Voraussetzungen und Folgen der vom Gesamtvorstand zu treffenden Entscheidungen in derselben Weise umfassend informiert ist, wie dies vom für die Entscheidungseinbringung verantwortlichen Ressortvorstand erwartet werden muss. Erstaunlicherweise werden die aus den gegebenen Funktionsdifferenzierungen resultierenden Konsequenzen für Abstufungen von Verantwortlichkeit in der aktienrechtlichen Literatur nicht vertieft diskutiert. Weithin nehmen insoweit die Ausführungen zu den Haftungsvoraussetzungen des § 93 AktG damit vorlieb, zwischen Gesamtvorstandsentscheidungen und Ressortentscheidungen zu differenzieren, ohne indes weiter zu untersuchen, ob nicht die durch die Verteilung von Ressortzuständigkeiten bewirkten Funktionsdifferenzierungen auch zu einer Verantwortungsdifferenzierung bei Gesamtvorstandsentscheidungen führen müssen. Dies ist indes zwingend geboten, da andernfalls die mechanische Anwendung der Kriterien für informiertes Entscheiden auf alle Beteiligten von Gesamtvorstandsentscheidungen dazu führt, dass auch die nichtressortverantwortlichen Vorstandsmitglieder gezwungen sind, sich in der gleichen Intensität wie die für die Einbringung der Entscheidungsvorlagen zuständigen Ressortvorstände in die gesamten Informationsgrundlagen der Gesamtvorstandsentscheidungen einzuarbeiten. Akzeptiert man aber, dass Zuständigkeitsdifferenzierungen auch auf der Ebene der Zuordnung individueller Verantwortlichkeit reflektiert werden müssen, so kann den nichtressortverantwortlichen Vorständen nicht mehr – aber auch nicht weniger – abverlangt werden, als die ihnen präsentierten Entscheidungsvorlagen gewissenhaft auf Konsistenz und, soweit ihnen dies möglich ist, inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen. Nicht hingegen kann ihnen abverlangt werden, die Vollständigkeit sowie die Richtigkeit der Informationsgrundlagen und die Abwägung von Chan-
__________ 48 So BGHSt 37, 106, 123 (Lederspray); zustimmend Freyschmitt in Beck’sches Mandatshandbuch, Vorstand der AG, 2004, § 7 Rz. 43.
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cen und Risiken zu verifizieren und hierdurch die Rolle eines nachvollziehenden Zweitsachbearbeiters zu übernehmen. Das vom zweiten Senat formulierte Vollständigkeitsgebot49 kann also erst Recht bei Gesamtvorstandsentscheidungen keine Anwendung auf die nichtressortverantwortlichen Vorstände finden. Diesen Standpunkt hat im Übrigen auch der erste Strafsenat des Bundesgerichtshof in einer Entscheidung zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Vorstandsvorsitzenden eines Kreditinstituts nach § 266 StGB eingenommen. Der Senat hat insoweit entschieden, dass im Hinblick auf Kreditentscheidungen, die von einem mehrköpfigen Gremium getroffen werden, gleichwohl unterschiedliche Verantwortlichkeiten der Beschließenden in Betracht kommen. Der Bundesgerichthof betont, der Vorstandsvorsitzende dürfe sich insoweit auf den Bericht des Kreditsachbearbeiters und des Kreditvorstands verlassen, „es sei denn, es gehe um besonders hohe Risiken“; gleiches gelte für weitere Entscheidungsbeteiligte50. Allerdings wird man die Entscheidung des ersten Strafsenats nicht als Freibrief für die Fortsetzung von Entscheidungspraktiken auffassen dürfen, bei denen der Prozess der Informationsselektion und der Befassungsdelegation so verschärft worden ist, dass auch komplexe, großvolumige und risikoträchtige Gesamtvorstandsentscheidungen von den nicht-ressortverantwortlichen Vorständen nahezu allein auf der Basis von Entscheidungsvorlagen und ohne Kenntnis der zugrundeliegenden umfangreichen Vertragsdokumentationen getroffen worden sind. Noch viel weniger vertretbar ist im Übrigen die Praxis mancher Bankvorstände, selbst die Entscheidungsvorlagen selektiv zu verarbeiten und lediglich das Marktfolgevotum vertieft zu durchdringen. Im Gegenteil, die Gebote des § 93 AktG und deren rigide Konkretisierung durch den 2. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs geben allen Anlass, auch und vor allem bei Gesamtvorstandsentscheidungen mehr Vorsicht und Umsicht walten zu lassen. Geschieht dies und kehrt wieder mehr Bereitschaft zur vertieften Selbstbefassung der Vorstände mit den Informationsgrundlagen ihrer Entscheidungen ein, so dürfte dies auch die Neigung, im Vertrauen auf Entscheidungsvorlagen der Ressortvorstände unter Zeitdruck Verträge von vielen hundert Seiten in fremder Sprache und unter fremden Recht abzuschließen, auf ein vernünftiges Maß begrenzen. Auf diese Weise würden die Vorstände im übrigen auch das ihnen wohl nicht stets in der gebotenen Klarheit vor Augen stehende Risiko, nicht nur zivilrechtlich in Haftung genommen, sondern auch strafrechtlich verfolgt zu werden, deutlich reduzieren. Im Ergebnis bedeutet die funktionsbasierte Haftungsdifferenzierung in Bezug auf Gesamtvorstandsentscheidungen, dass die Verantwortlichkeit der nichtressortzuständigen Vorstandsmitglieder hinsichtlich der erforderlichen Befassungsintensität eine Zwischenstufe einnimmt zwischen der umfassenden Verantwortlichkeit der Ressortvorstände und der grundsätzlich auf anlassbezogene Kontrolle reduzierten Verantwortlichkeit nicht zuständiger Vorstände für
__________ 49 Siehe oben Fn. 39. 50 BGH, NJW 2000, 2364, 2366.
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Ressortentscheidungen ihrer Kollegen. Ob insoweit die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Gleichstellung des Vorstandsvorsitzenden mit anderen ressortfremden Vorständen51 wirklich angemessen ist oder ob es seine Koordinations- und Kontrollfunktion nicht nahelegt, auch den Umfang seiner Verantwortlichkeit höher einzustufen52, steht auf einem anderen Blatt. cc) Rechtsfolgen Hinsichtlich der Rechtsfolgen von Verletzungen der Sorgfaltspflichten des § 93 Abs. 1 AktG muss das Prinzip der individuellen Verantwortlichkeit auch dann gelten, wenn es sich um kollektive Entscheidungen gehandelt hat. Ob also der Aufsichtsrat aus Anlass von pflichtwidrigen Vorstandsentscheidungen nach Maßgabe des § 84 Abs. 3 AktG eine Abberufung ausspricht und ob er in Wahrnehmung der ihm obliegenden Pflicht, die Interessen der Gesellschaft zu wahren, Schadenersatzforderungen nach § 93 Abs. 2 AktG geltend macht, hat er für jedes betroffene Vorstandsmitglied individuell zu entscheiden. Im Hinblick auf Gesamtvorstandsentscheidungen wird er insoweit den oben dargelegten Verantwortlichkeitsdifferenzierungen Rechnung zu tragen haben. Indes soll dem Aufsichtsrat mit dieser Feststellung nicht die Befugnis beschnitten werden, im Rahmen der von ihm zu treffenden Ermessenentscheidungen hinsichtlich Abberufung und Schadenersatzverlangen auch in der Person der Betroffenen liegende sonstige Gesichtspunkte – wie beispielsweise Dauer der Organzugehörigkeit, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit etc. – sowie auch die Reputationsinteressen des Unternehmens zu berücksichtigen.
__________ 51 BGH, NJW 2000, 2364, 2366. 52 So Spindler (Fn. 3), § 93 AktG Rz. 145; T. Bezzenberger, ZGR 1996, 661 ff.; a. A. Mertens/Cahn (Fn. 7), § 84 AktG Rz. 102.
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Anmerkungen zur Bewertung von Unternehmen im Aktienrecht Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Der IDW S 1 von 2008 III. Theoretische Grundlagen des Standards von 2008 1. Marktwerte? 2. Verobjektivierte Bewertungsverfahren?
IV. Alternativen 1. Marktpreise 2. Paketzuschläge 3. Grenzpreis V. Schluss
I. Einleitung Bei Strukturmaßnahmen wie dem Abschluss von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen, der Eingliederung durch Mehrheitsbeschluss oder dem Ausschluss von Minderheitsaktionären steht der betroffenen Minderheit, den außenstehenden Aktionären, durchgängig eine Kompensation zu, in erster Linie in Gestalt einer angemessenen Abfindung (§§ 305 Abs. 1, 320b Abs. 1 Satz 1 und 327a Abs. 1 Satz 1 AktG). Im Einzelnen unterscheidet man zwei Formen der Abfindung, die Abfindung in Aktien der Obergesellschaft sowie die Barabfindung (s. §§ 305 Abs. 2, 320b Abs. 1 Satz 2 und 3 sowie 327a Abs. 1 Satz 1 AktG). Hinsichtlich der Abfindung in Aktien der Obergesellschaft verweist das Gesetz zur näheren Bestimmung der Angemessenheit der Abfindung auf die Verschmelzungswertrelation zwischen den beiden Gesellschaften (§§ 305 Abs. 3 Satz 1 und 320b Abs. 1 Satz 4 AktG), während sich das Gesetz bei der Barabfindung auf die Bemerkung beschränkt, dass diese die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung der Gesellschaft berücksichtigen müssen (§§ 305 Abs. 1 Satz 2, 320b Abs. 1 Satz 5 und 327b Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AktG). Weitergehende Aussagen enthält das Gesetz nicht. Durch die Rechtsprechung ist jedoch inzwischen geklärt, dass „angemessen“ im Sinne der genannten Vorschriften des AktG nur eine „volle Entschädigung“ der außenstehenden Aktionäre ist, die den „wirklichen oder wahren“ Wert ihrer Anteile widerspiegelt1. Das klingt zwar gut, hilft aber auch nicht viel weiter, weil man jetzt natürlich wissen möchte, wie der „wirkliche oder wahren Wert“ einer Aktie zu ermitteln sein soll. Und damit betritt man bereits das Meer des Zweifels, da man
__________ 1 S. mit Nachw. Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, § 304 AktG Rz. 3.
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sich bekanntlich über den wahren oder wirklichen Wert eines Gegenstandes endlos streiten kann2. Angesichts dessen mag es vermessen erscheinen, dieses Thema hier erneut aufgreifen zu wollen – noch dazu in der Hoffnung, damit das Interesse des geschätzten Jubilars, eines herausragenden Kenners der Materie, zu finden. Natürlich kann es hier nicht darum gehen, die vielschichtige Problematik der Unternehmensbewertung im Rahmen der genannten Vorschriften des AktG in voller Breite auszuleuchten. Insoweit kann auf Veröffentlichungen an anderer Stelle verwiesen werden3. Das Ziel der folgenden Überlegungen ist weit bescheidener. Bezweckt ist lediglich eine Auseinandersetzung mit einigen besonders problematischen Aspekten der heute üblichen Vorgehensweise bei der Unternehmensbewertung – verbunden mit der Frage nach möglichen Alternativen. Zu beginnen ist mit einem kurzen Blick auf die gegenwärtige Praxis, gekennzeichnet durch die nicht abreißende Auseinandersetzung um den neuen Standard „Grundsätze zur Durchführung von Bewertungen“, den so genannten IDW-Standard S 1 von 20084, der für die Wirtschaftsprüfer, denen grundsätzlich die Unternehmensbewertung im Aktienrecht unterliegt (§§ 293d Abs. 1 Satz 1, 320 Abs. 3 Satz 3 und 327c Abs. 2 Satz 3 AktG i. V. m. § 319 Abs. 1 Satz 1 HGB), nach Berufsrecht als verbindlich angesehen wird, obwohl es sich bei den Standards des IDW, eines privatrechtlichen Vereins, um nichts anderes als um bloße Empfehlungen von Grundsätzen guter beruflicher Praxis handelt.
II. Der IDW S 1 von 2008 Die Herausgabe des Standards von 2008 ist ebenso wie die seines Vorläufers, des Standards von 2005, durch Änderungen des Steuerrechts veranlasst worden. War es im Jahre 2005 der Übergang zum Halbeinkünfteverfahren, die eine grundlegende Überarbeitung des Standards erzwang, so war es jetzt die Ersetzung des Halbeinkünfteverfahrens durch die pauschalierte Besteuerung von Zinsen, Dividenden und Veräußerungsgewinnen im Wege des Vorsteuerabzugs in Höhe von 25 % zuzüglich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer, die eine erneute Anpassung des Standards nötig machte. Aufgrund der beiden Standards von 2005 und 2008 hat sich mittlerweile die so genannte „verobjektivierte“ Unternehmensbewertung mittels der Ertragswertmethode (mit ihrer Variante DCF-Methode) weitgehend durchgesetzt. Kennzeichen der Ertragswertmethode auf der Basis der beiden genannten Standards sind die Ersetzung der herkömmlichen Alternativanlage in Anleihen durch ein Aktienportfolio, die Aufgabe der Vollausschüttungsannahme, der Übergang zur Nachsteuerbewertung und die Berechnung des Kapitalisierungszinssatzes anhand der Kapitalmarktpreisbildungsmodelle CAPM und Tax-CAPM.
__________ 2 S. schon Emmerich in (2.) FS Mestmäcker, 2006, S. 137. 3 S. Emmerich (Fn. 2); Emmerich/Habersack (Fn. 1), § 304 Rz. 29 ff., § 305 Rz. 42, 51 ff.; dies., Konzernrecht, 9. Aufl. 2008, § 21 Rz. 20 ff., § 21 Rz. 23 ff. (S. 329, 351 ff.). 4 Abgedruckt in FN-IDW 2008, 271.
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Anmerkungen zur Bewertung von Unternehmen im Aktienrecht
Das braucht hier, weil allgemein bekannt, nicht im Einzelnen ausgeführt zu werden. Ebenso bekannt ist, dass diese Vorgehensweise bei der Unternehmensbewertung bis in die jüngste Zeit immer wieder die Billigung der Gerichte gefunden hat5. Gleichwohl kann keine Rede davon sein, die Unternehmensbewertung nach den genannten Standards des IDW sei mittlerweile unangefochten; im Gegenteil mehren sich in Literatur und Rechtsprechung die kritischen Stimmen, wobei insbesondere die zunehmende Komplexität der Unternehmensbewertung nach den verschiedenen Standards und die daraus resultierenden großen Ermessensspielräume für die Sachverständigen, d. h. für die Wirtschaftsprüfer, bei der Bewertung einzelner Unternehmen hervorgehoben werden. In der Praxis hat dies dazu geführt, dass die Gerichte immer häufiger, soweit möglich, auf die Börsenkurse als einfacher zu handhabenden Maßstab der Bewertung jedenfalls der börsennotierten Gesellschaften zurückgreifen6. Dies ist Anlass genug, einmal die theoretischen Grundlagen zu hinterfragen, auf denen der Standard von 2008 letztlich beruht, verbunden mit der Frage, ob es nicht doch Alternativen gibt, die eine Ermittlung der angemessenen Kompensation der außenstehenden Aktionäre jedenfalls in einer Vielzahl von Fällen auf einem einfacheren Weg als heute weithin üblich erlauben.
III. Theoretische Grundlagen des Standards von 2008 Das Gesetz verlangt, dass die Abfindung der außenstehenden Aktionäre „angemessen“ ist (§§ 305 Abs. 1, 320b Abs. 1 Satz 1 und 327a Abs. 1 Satz 1 AktG). Das ist, wie gezeigt (oben I.), nur der Fall, wenn die Abfindung den „wirklichen oder wahren“ Wert ihrer Anteile widerspiegelt. Aber was ist der „wirkliche oder wahre“ Wert eines Anteils? Wie kann man ihn überhaupt ermitteln? Auf diese Frage gibt es eine Vielzahl von Antworten, für die sich insbesondere die Bezeichnungen Grenzpreis, Schiedspreis und verobjektivierter Unternehmenswert eingebürgert haben. Als Grenzpreis bezeichnet man dabei den Wert einer Alternativanlage, z. B. in öffentlichen Anleihen oder in Aktien, auf die die außenstehenden Aktionäre ohne Verlust als Abfindung verwiesen werden können, bei der sich die Aktionäre mit anderen Worten im Ergebnis weiterhin ebenso wie bei einer Anlage ihres Geldes in den Anteilen ihrer Gesellschaft stehen. Dagegen wird mit dem Schiedspreis der aktuelle Marktwert ihrer Anteile bezeichnet. Der verobjektivierte Unternehmenswert, dessen Ermittlung vor allem mit den genannten Standards bezweckt wird, bezeichnet schließlich einen (angeblich) von subjektiven Merkmalen und Wertungen sowie von den Zufälligkeiten des Marktes nach Möglichkeit befreiten, eben nach objektiven Gesetzen der Preisbildung am Markt ermittelten Unternehmenswert, wobei die Vorgehensweise aufgrund der Portfoliotheorie heute bevorzugt wird. Ausdruck sind die Verfahren CAPM und Tax-CAPM zur Ermittlung des Kapitali-
__________ 5 S. mit Nachw. Emmerich/Habersack (Fn. 1), § 305 Rz. 52d; zuletzt OLG Düsseldorf, WM 2009, 2220. 6 S. LG Köln, AG 2009, 835; LG Frankfurt, AG 2009, 749; LG Dortmund, AG 2007, 792 = ZIP 2007, 2029 = WM 2007, 917.
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sierungszinssatzes. Meistens wird der so ermittelte (angeblich) objektive Unternehmenswert einfach mit dem Grenzpreis gleichgesetzt und daraus ein scharfer Gegensatz zum Schiedspreis, d. h. zum aktuellen Marktwert der einzelnen Anteile oder des Unternehmens insgesamt konstruiert. Die Unternehmenswerte, zu denen man auf den genannten unterschiedlichen Wegen schließlich gelangt, divergieren häufig ganz erheblich, so dass der Frage der Methodenwahl hier für den Schutz der außenstehenden Aktionäre letztlich eine entscheidende Bedeutung zukommt. 1. Marktwerte? Bewerten heißt vergleichen, genauer: vergleichen mit einer als Maßstab dienenden, bekannten Größe. Wenn man den Wert eines Anteils an einem Unternehmen oder den Wert des Unternehmens insgesamt ermitteln will, kommt als derartiger Maßstab offenbar in erster Linie der (bekannte) Wert vergleichbarer anderer Anteile oder Unternehmen in Betracht. Daraus ergibt sich freilich sofort die weitere Frage, welche anderen Anteile oder Unternehmen denn überhaupt vergleichbar sind und auf welchem Weg man deren Wert ermitteln soll. Das ist die Frage nach dem Maßstab. Und schon ist man mitten im Zentrum der Problematik. Auf den ersten Blick wird man geneigt sein zu sagen, in einer Marktwirtschaft ist jeder Gegenstand genau so viel wert, wie „am Markt“ für ihn gezahlt wird, nicht mehr und nicht weniger. Einen anderen Wert gibt es gar nicht, so dass der gesuchte wirkliche oder wahre Wert eines Anteils, bei Lichte besehen, (eigentlich) nur der „Marktwert“ sein kann – was sonst? Das führt bei börsennotierten Gesellschaften unmittelbar zum Börsenkurs; denn der Marktwert einer Aktie entspricht ohne Zweifel, jedenfalls in einer ersten Annäherung, ihrem Börsenkurs. Gleichwohl wurde es jahrzehntelang abgelehnt, die angemessene Abfindung nach den Börsenkursen zu bemessen – mit der fatalen Folge, dass die schließlich gezahlten Abfindungen vielfach weit hinter den Börsenkursen zurückblieben. Das ist zwar mittlerweile wegen des vom BVerfG 1999 erzwungenen Paradigmenwechsels Geschichte7. Gleichwohl lohnt es sich auch heute noch, sich die Argumente zu vergegenwärtigen, die seinerzeit allgemein gegen die Berücksichtigung von Börsenkursen angeführt wurden – und die dazu geführt haben, dass noch heute der Standard von 2008 den Börsenkursen bei der Unternehmensbewertung lediglich indizielle Bedeutung im Rahmen einer „Plausibilitätsbeurteilung“ beimisst8. Gegen die Maßgeblichkeit von Börsenkursen zur Ermittlung der Angemessenheit der Abfindung wurden vor allem die Volatilität und Manipulierbarkeit von Börsenkursen angeführt, ferner ihre Abhängigkeit von zahlreichen unbestimmten und unbestimmbaren Einflüssen mit der Folge, dass die Aktionäre bei einer Abfindung zu Börsenkursen übermäßig begünstigt werden könnten,
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7 BVerfGE 100, 289, 305 ff. = NJW 1999, 3769 (DAT/Altana); s. Emmerich/Habersack (Fn. 1), § 305 Rz. 42–50 mit Nachw. 8 IDW S 1 von 2008 Tz. 14 ff., 141.
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sowie insbesondere das Vorherrschen subjektiver Elemente bei der Preisbildung an den Börsen, während es gerade darum gehen müsse, die Angemessenheit der Abfindung möglichst objektiv und generalisierbar zu bestimmen. Das BVerfG hat alle diese Einwände bekanntlich mit der zutreffenden Bemerkung vom Tisch gefegt, für jeden Aktionär sei seine Aktie zumindest so viel wert, wie er dafür an der Börse erlösen könne. Gleichwohl ist es wichtig, die genannten Einwände im Auge zu behalten, wenn man jetzt den Blick statt auf die einzelnen Anteile an einem Unternehmen auf das Unternehmen insgesamt richtet, aus dessen Wert man ebenfalls den Wert der einzelnen Anteile ableiten kann und tatsächlich auch allgemein abgeleitet. Was ist ein Unternehmen wert? Auf den ersten Blick wird man wiederum geneigt sein zu antworten: genau so viel, wie dafür am Markt gezahlt wird. Also müsste man – an sich – den Marktpreis von Unternehmen ermitteln. Das ist freilich leichter gesagt als getan, wie jedermann weiß. Da es keine Börsen für Unternehmen gibt, ist man bei solchen vergleichsorientierten Bewertungsverfahren (die es gibt) von vornherein auf Hilfsgrößen angewiesen, als da sind die Kaufpreise vergleichbarer Unternehmen oder branchentypische Kennziffern wie z. B. das Verhältnis von Gewinn und cash-flow usw.9. In der Praxis zum AktG haben derartige Bewertungsverfahren gleichwohl bisher keine Beachtung gefunden, einmal aus der uns schon bekannten Abneigung gegen als volatil und subjektiv eingeschätzte Marktpreise, zum anderen aus einem (angeblichen) Mangel an aussagekräftigen Daten über Marktpreise und vor allem wegen der Bevorzugung verobjektivierter Bewertungsverfahren durch die Wirtschaftsprüfer. Nur der zuletzt genannte Punkt verdient heute noch Beachtung, nachdem das Bundesverfassungsgericht die herkömmliche Abqualifizierung von Marktdaten als volatil und manipulierbar beiseite geschoben hat. 2. Verobjektivierte Bewertungsverfahren? Die Wirtschaftsprüfer können sich unter Führung des IDW aus den geschilderten Gründen mit Marktdaten als Maßstab für den Anteils- oder Unternehmenswert nicht anfreunden. Sie bevorzugen stattdessen „verobjektivierte“ wissenschaftliche Verfahren, die es ermöglichen sollen, von den Zufälligkeiten und Wertungen der Märkte bei der Unternehmensbewertung wegzukommen. Deshalb bemühen sie sich auf der Basis der so genannten Portfoliotheorie um die Herausarbeitung von Gesetzmäßigkeiten der Preisbildung am Kapitalmarkt, anhand derer dann – objektiv – der Unternehmens- und Anteilswert ermittelt werden soll. Ziel ist es, den Wert eines Aktienportfolios zu bestimmen, das bei gleichem Risiko vergleichbare Erträge ermöglicht wie die Anlage von Geld in dem betreffenden Unternehmen. Dies geschieht durch Abzinsung der vermutlichen zukünftigen Erträge des Unternehmens mittels eines nach CAPM oder Tax-CAPM errechneten Kapitalisierungszinssatzes, der sich aus einem Basiszinssatz, einer so genannten Marktrisikoprämie, d. h. einem Risikozuschlag, der
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9 S. Jonas, Wpg 2008, 826 und Wpg 2008 Sonderheft, 117; Paulsen in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 305 Rz. 82 Fn. 92.
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für die Anlage von Kapital in vergleichbaren Aktien verlangt wird, und einem Wachstumsabschlag zusammengesetzt. Die Berechnung ist komplex, schwierig und umstritten, namentlich seitdem sich die Nachsteuerbewertung durchgesetzt hat, so dass es nötig wurde, die Steuereffekte im Kapitalisierungszinssatz abzubilden. Als Mittel dient der erwähnte Tax-CAPM10. Über die großen Schwierigkeiten, die zukünftigen Erträge eines Unternehmens (unter der Bedingung der Ungewissheit der Zukunft) einigermaßen sicher abzuschätzen, braucht man hier kein Wort zu verlieren. Aber das eigentliche und zentrale Problem bei der geschilderten, heute üblichen Vorgehensweise auf der Grundlage des Standards von 2008 bildet der Kapitalisierungszinssatz mit seinen Zu- und Abschlägen, weil bereits geringfügige Änderungen beim Kapitalisierungszinssatz weitreichende Folgen bei dem Unternehmenswert haben, so dass sich hier nahezu unbeschränkte Manipulationsmöglichkeiten eröffnen. Das soll zwar gerade durch die Vorgehensweise nach CAPM und Tax-CAPM verhindert werden; das Gegenteil ist indessen der Fall, wie die verbreiteten Einwände gegen die dem CAPM und dem Tax-CAPM zu Grunde liegenden Annahmen zeigen und die im Kern unstreitig sind11. Hervorgehoben werden mögen folgende Punkte: Die Berücksichtigung von Steuereffekten ist, zumal nach dem Übergang zur Zinsabschlagsteuer, wegen der ganz unterschiedlichen steuerlichen Verhältnisse der Aktionäre nicht ohne nahezu willkürliche Annahmen und radikale Vereinfachungen möglich. Unterstellt wird dabei in der Regel als „Musteraktionär“ eine unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Personen mit Wohnsitz im Inland (obwohl die Hälfte der Aktionäre deutscher Gesellschaften Ausländer ist); und selbst wenn man nur diesen Musteraktionär ins Auge fasst, ist nach wie vor unklar, wie man etwa die Abschlagsteuer auf Veräußerungsgewinne erfassen will, weil hier der reale Steuersatz – bei Berücksichtigung von Zinseffekten – ganz von der individuellen Haltedauer der Anteile abhängt, über die nichts bekannt ist. Zahlreiche weitere Einwände gegen die Nachsteuerbewertung kommen hinzu, so dass selbst in der Rechtsprechung die Nachsteuerbewertung nach wie vor auf große Vorbehalte stößt12. Die von der Portfoliotheorie angenommenen Gesetzmäßigkeiten der Preisbildung an Kapitalmärkten, die eine objektive Ableitung des Kapitalisierungszinssatzes erlauben sollen, beruhen gleichfalls auf unrealistischen Annahmen. Unterstellt wird nämlich ein streng rational handelnder Anleger auf funktionierenden Märkten mit vollkommener Markttransparenz, der über alle relevanten Informationen verfügt. Aber einen solchen Anleger gibt es nicht. Die aller Erfahrung widersprechende Unterstellung vollkommener Markttransparenz, eines streng rationalen Handelns der Anleger und vollständiger Information der
__________ 10 Wegen der Einzelheiten s. zuletzt insbesondere Ballwieser, Wpg 2008, 102; Emmerich/Habersack (Fn. 1), § 305 Rz. 52a ff.; Großfeld, Das Recht der Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2009; Jonas (Fn. 9); Paulsen, Wpg 2008, 109; Wagner/Saur/ Willershausen, Wpg 2008, 731. 11 Nachw. s. Fn. 6 und 10. 12 Nachw. s. Fn. 6.
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Anleger ist unhaltbar, so dass die Ergebnisse, zu denen die Portfoliotheorie auf dieser Grundlage über die Gesetzmäßigkeiten der Preisbildung auf Kapitalmärkten gelangt ist, im Grunde wertlos sind. Die jüngste Finanzmarktkrise hat dies erneut deutlich gemacht13. Denn alle üblichen Risikomanagementsysteme, die ebenfalls auf der Portfoliotheorie beruhen, haben in der Krise versagt. Nicht ein einziges System war in der Lage, Ursache, Zeitpunkt, Verlauf und Ausmaß der Krise auch nur annähernd abzubilden. Man könnte die Liste dieser Einwände nahezu beliebig fortsetzen, wobei insbesondere die übliche „Berechnung“ der Marktrisikoprämie anhand des so genannten Betafaktors, in Wirklichkeit eine hoffnungslose Unbekannte, zusätzliche Kritik hervorrufen muss, zumal bei Ermittlung anhand nahezu willkürlich zusammengesetzter „Peer Groups“, d. h. von Vergleichsgruppen. Die Einwände wiegen insgesamt so schwer, dass die Suche nach Alternativen unabdingbar ist.
IV. Alternativen 1. Marktpreise Man muss sich immer wieder vergegenwärtigen, worum es eigentlich bei der ganzen verwirrenden Diskussion um Grenzpreise, Schiedspreise und verobjektivierte Unternehmensbewertung geht: um nichts anderes als um die Ermittlung des Wertes von Anteilen an Gesellschaften, um die angemessene Kompensation für die außenstehenden Aktionäre bestimmen zu können. Bewerten kann man aber einen Gegenstand nur, wenn man einen Maßstab dafür hat. Und in einer Marktwirtschaft kann das grundsätzlich nur der Preis vergleichbarer Güter sein. Das ist gemeint, wenn man immer wieder lesen kann: bewerten heißt vergleichen, das heißt vergleichen mit dem Wert oder dem Preis vergleichbarer Güter. Für die Anteile an börsennotierten Gesellschaften ist dies mittlerweile anerkannt, soweit es um die Berücksichtigung der Börsenkurse bei der Berechnung der Kompensation geht. (Nur) wo dies nicht weiter hilft, muss man nach anderen Verfahren der Anteils- oder Unternehmensbewertung Ausschau halten. Nach dem Gesagten müssen auch hier vergleichsorientierte Verfahren im Vordergrund stehen, d. h. die Orientierung an Preisen oder Kennziffern vergleichbarer Unternehmen (s. dazu schon oben III. 1.). Die üblichen Einwände dagegen, wie Volatilität und Manipulierbarkeit solcher Preise und Kennziffern, die Intransparenz der Unternehmensmärkte und die Abhängigkeit vieler Daten von subjektiven Wertungen der Beteiligten sind gegenstandslos, wo (gleichwohl) verwertbare Daten verfügbar sind, und obsolet, seitdem die Maßgeblichkeit von Börsenkursen (auf die alle diese „Einwände“ auch zutreffen) nicht mehr bezweifelt wird. Wo Marktpreise auf die eine oder andere Weise ermittelt werden können, müssen folglich diese der Berechnung der Kompensation zugrundegelegt werden – und sonst nichts. Einzuräumen ist lediglich, dass, insbeson-
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13 Ebenso Großfeld, NZG 2009, 1204.
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dere wegen der bekannten Intransparenz von Unternehmensmärkten, von Fall zu Fall die Ermittlung von Marktpreisen auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen kann. Dann und nur dann muss man nach Hilfsgrößen Ausschau halten. Der Blick fällt dabei nahezu zwangsläufig als erstes auf die von dem herrschenden Unternehmen selbst gezahlten Preise, insbesondere in Gestalt der vieldiskutierten Paketzuschläge, weil sie unbestreitbar die größte Nähe zu Marktpreisen aufweisen, ja bei Lichte besehen mit diesen wohl identisch sind. 2. Paketzuschläge Die überwiegende Meinung mag, aus welchen Gründen immer, keine Paketzuschläge und lehnt deshalb ihre Berücksichtigung bei der Berechnung der Kompensation ab14. Aber es gibt auch Gegenstimmen, neuerdings bemerkenswerterweise sogar in der Rechtsprechung15. Und in der Tat lässt das herrschende Unternehmen, das sich dabei letztlich ebenfalls an den von ihm erwarteten Erträgen des fraglichen Unternehmens orientieren wird, am besten mit den von ihm gezahlten Paketzuschlägen erkennen, was ihm tatsächlich das Unternehmen, an dem es sich maßgeblich beteiligen will, wert ist. Die abweichende herrschende Meinung läuft der Sache nach darauf hinaus, dem herrschenden Unternehmen – durch die Annahme eines niedrigeren Unternehmenswertes – nachzuweisen, dass es zu viel gezahlt hat. Ein Kommentar erübrigt sich. Man wende nicht ein, Paketzuschläge seien eine Prämie für den Erwerb wirtschaftlicher Macht und hingen deshalb ganz von den subjektiven Wertungen der Beteiligten ab, vor allem, wenn dem herrschenden Unternehmen der Erwerb der abhängigen Gesellschaft nach seiner Strategie besonders wichtig ist. Denn in einer Marktwirtschaft ist jeder Gegenstand, auch eine Gesellschaft, eben immer so viel wert, wie der am meisten bietende Käufer dafür zu zahlen bereit ist. Und dieser Wert gebührt den außenstehenden Aktionären im selben Ausmaß wie dem herrschenden Unternehmen. 3. Grenzpreis Auch wenn man bei der Bestimmung der Kompensation für die außenstehenden Aktionäre stärker als bisher üblich Marktpreise einschließlich insbesondere der Börsenkurse und der Paketzuschläge in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt, werden vermutlich immer noch zahlreiche Fälle übrig bleiben, in denen man auf keinem der geschilderten Wege zur Annäherung an den Marktpreis letztlich weiter kommt. Die Frage ist, was in diesen eigentlich kritischen Fällen geschehen soll. Die Antwort der gängigen Bewertungspraxis unter Führung der Wirtschaftsprüfer und ihres IDW ist klar: Ertragswertmethode nach Maßgabe des Standards von 2008 und d. h. insbesondere Ermittlung des im Grunde alles entscheidenden Kapitalisierungszinssatzes nach Tax-CAPM. Aber damit sollte man
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14 S. mit Nachw. Emmerich/Habersack (Fn. 1), § 305 Rz. 50. 15 LG Köln, AG 2009, 835, 838.
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sich nicht abfinden. Nach wie vor bestehen so schwerwiegende Einwände gegen die Nachsteuerbewertung mittels des Tax-CAPM, dass jedenfalls der Tax-CAPM (dessen Anwendung ohnehin allein in Deutschland üblich ist) endlich wieder verabschiedet werden sollte, weil er (gewollt) zu völlig überhöhten Marktrisikoprämien (mit der Folge eines entsprechenden Drucks auf den Unternehmenswert) führt16. Es ist ein Unding, in Niedrigzinsphasen wie gegenwärtig mit Kapitalisierungszinssätzen in der Gegend von 9 % und mehr zu arbeiten. Hier ist noch in vielen Punkten ein radikales Umdenken erforderlich, – sofern man denn den Schutz der außenstehenden Aktionäre noch ernst nimmt, woran freilich zunehmend Zweifel begründet sind, insbesondere, wenn man die ständige Beschneidung der Rechte der außenstehenden Aktionäre im AktG (Stichwort UMAG und ARUG) und im Spruchgesetz ins Auge fasst17.
V. Schluss Der Standard von 2008 mit seinen ungesicherten theoretischen Grundlagen und problematischen Ergebnissen muss nicht „unser Schicksal“ sein. Es gibt systemkonforme, d. h. marktwirtschaftliche Alternativen. Und auch dort, wo solche nicht zur Verfügung stehen, sollte man nicht blindlings dem Standard von 2008 als (neudeutsch) „state of the art“ vertrauen, sondern seine Grundlagen immer wieder kritisch überprüfen. Vor allem der Tax-CAPM sollte endlich wieder in der Versenkung verschwinden. Für eine Nachsteuerbewertung ist, schon wegen der ganz unterschiedlichen steuerlichen Verhältnisse der Aktionäre einfach kein Raum.
__________ 16 S. zu diesen Zusammenhängen bereits Emmerich in (2.) FS Mestmäcker, 2006, S. 137. 17 S. im Einzelnen Emmerich (Fn. 16) sowie Emmerich/Habersack (Fn. 1), § 293 Rz. 50 ff. und § 305 Rz. 51 ff.
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Schwere Erkrankung des Vorstandsvorsitzenden und Ad-hoc-Publizität – Zum Spannungsverhältnis zwischen Markttransparenz und personenbedingten Geheimhaltungsinteressen im deutschen und US-amerikanischen Kapitalmarktrecht –
Inhaltsübersicht I. Schwere Erkrankung des CEO und Publizitätspflichten im US-amerikanischen Kapitalmarktrecht 1. Ein einführendes Beispiel 2. Überblick über die laufenden und periodischen Publizitätspflichten des Securities Exchange Act 1934 a) Laufende Publizitätspflicht: Form 8-K b) Vierteljährliche Publizitätspflicht: Form 10-Q c) Jährliche Publizitätspflicht: Form 10-K d) Ad-hoc-Publizitätspflicht durch Börsenregeln 3. Meinungsstand zur obligatorischen Offenlegung einer schweren Erkrankung 4. „Materiality“-Erfordernis als zentrales Tatbestandsmerkmal a) Der „probability/magnitude“Test als höchstrichterliche Konkretisierung b) Anwendung auf die schwere Erkrankung eines CEO aa) Bedeutung des CEO für das Unternehmen bb) Wahrscheinlichkeit eines krankheitsbedingten Ausfalls 5. Personenbezogene Geheimhaltungsinteressen: „Right to Privacy“
6. Reformvorschläge im Schrifttum II. Schwere Erkrankung des Vorstandsvorsitzenden und Ad-hoc-Publizitätspflicht im deutschen Kapitalmarktrecht 1. Ein einführendes Beispiel 2. Meinungsstand zur obligatorischen Offenlegung einer schweren Erkrankung 3. Preisbeeinflussungseignung als zentrales Tatbestandsmerkmal a) Drohendes Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden als relevante Information b) Bedeutung des Vorstandsvorsitzenden für das Unternehmen c) Hinreichende Wahrscheinlichkeit eines krankheitsbedingten Ausscheidens 4. Personenbezogene Geheimhaltungsinteressen: Allgemeines Persönlichkeitsrecht a) Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts b) Eingriff in den Schutzbereich durch kapitalmarktrechtliche Publizitätspflichten c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung 5. Rechtspolitischer Reformbedarf?
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Uwe H. Schneider gehört zu den profiliertesten Kennern des Kapitalmarktrechts in Deutschland. Als Mitherausgeber und Autor führender Kommentare zum WpHG1 und WpÜG2 hat er die dynamische Entwicklung dieses neuen Rechtsgebiets von Anfang an wohlwollend begleitet und wesentlich mitgeprägt. Aufgrund seiner internationalen Forschungsausrichtung pflegt er dabei auch die gemeinschaftsrechtlichen und rechtsvergleichenden Bezüge der kapitalmarktrechtlichen Regelungen herauszuarbeiten. Daher hoffe ich auf sein Interesse, wenn hier zu seinen Ehren anhand einer Detailfrage – der schweren Erkrankung des Vorstandsvorsitzenden – ein Grundproblem des deutschen und US-amerikanischen Kapitalmarktrechts entfaltet wird: das Spannungsverhältnis zwischen Markttransparenz und personenbedingten Geheimhaltungsinteressen3.
I. Schwere Erkrankung des CEO und Publizitätspflichten im USamerikanischen Kapitalmarktrecht 1. Ein einführendes Beispiel Kein Spitzenmanager hat in den vergangenen Jahren ein solches Medieninteresse auf sich gezogen wie Steve Jobs, Chief Executive Officer (CEO) von Apple. Gleichzeitig hat Apple nichts unversucht gelassen, Jobs’ Gesundheitsprobleme so lange wie möglich geheim zu halten. Der bei ihm im Jahre 2004 diagnostizierte Bauchspeicheldrüsenkrebs wurde erst nach neunmonatiger Behandlung öffentlich bekanntgegeben. Auch im Sommer 2008 nahm Apple zu neuerlichen Spekulationen über Jobs’ Gesundheitszustand zunächst keine Stellung und sprach später von einer Hormonstörung, ehe im Januar 2009 Jobs’ zeitweiliger Rückzug vermeldet wurde, weil dessen Gesundheitsprobleme komplexer seien als ursprünglich angenommen4. Im Juni 2009 ließ Apple Presseberichte über eine Lebertransplantation bei Jobs während dessen zeitweiliger Abwesenheit abermals unkommentiert5. Unbestätigten Berichten zufolge hat die US-amerikanische Kapitalmarktaufsicht (SEC) nach der Mitteilung über Jobs’ zeitweiligen Rückzug eine Untersuchung gegen Apple wegen etwaiger Verstöße gegen die kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten eingeleitet6.
__________ 1 Vgl. Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 1. Aufl. 1995; 5. Aufl. 2009. 2 Vgl. Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005. 3 Umfassend dazu jetzt Petsch, Kapitalmarktrechtliche Informationspflichten versus Geheimhaltungsinteressen des Emittenten, Diss. Bonn, 2010; Teilaspekte behandelt der Sammelband von Schön, Rechnungslegung und Wettbewerbsschutz im deutschen und europäischen Recht, 2009. 4 Vgl. Nocera, Apple’s Culture of Secrecy, New York Times, July 26, 2008, C1; Stone, Apple Chief Temporarily Steps Aside, New York Times, January 15, 2009, B1. 5 Vgl. Kane/Lublin, Jobs Had Liver Transplant, Wall Street Journal, June 20–21, 2009, A1. 6 Dazu Horwich, 5 NYU J. L. & Bus. 827, 834 n. 30 (2009): „After Jobs announced his leave of absence from Apple, there was an unconfirmed report that the SEC had begun an investigation into Apple’s disclosures regarding his health.“
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Schwere Erkrankung des Vorstandsvorsitzenden und Ad-hoc-Publizität
2. Überblick über die laufenden und periodischen Publizitätspflichten des Securities Exchange Act 1934 Gesetzlicher Ausgangspunkt für die kapitalmarktrechtlichen Mitteilungspflichten eines börsennotierten Unternehmens ist sec. 13(a) des Securities Exchange Act von 1934 (SEA)7. Sie ermächtigt die SEC dazu, Rechtsvorschriften (rules and regulations) über die laufende und periodische Berichterstattung der Emittenten registrierter Wertpapiere zu erlassen. Diese Berichte (reports) müssen über das elektronische EDGAR-System (Electronic Data Gathering, Analysis, and Retrieval) bei der SEC eingespeist werden. Sie können von der Öffentlichkeit über die Internetseite der SEC abgerufen werden. a) Laufende Publizitätspflicht: Form 8-K Sec. 13(a)(1) SEA und Rule 13a-11 verlangen von Emittenten registrierter Wertpapiere die laufende Veröffentlichung (current reports) kurserheblicher Umstände. Einzelheiten hat die SEC durch das Formblatt 8-K konkretisiert, das einen Katalog veröffentlichungspflichtiger Umstände (items) enthält. Diese sind je nach Ereignis spätestens fünf Werktage bzw. 15 Kalendertage nach ihrem Eintritt bekannt zu geben. Zwingend zu veröffentlichen sind nach Item 5.02(b) etwa die Pensionierung, der Rücktritt oder die Abberufung eines Spitzenmanagers bzw. Verwaltungsratsmitglieds sowie dessen Weigerung, sich zur Wiederwahl zu stellen8. Ausgelöst wird diese Publizitätspflicht nach dem Leitfaden der SEC nicht erst am tatsächlichen Rückzugstermin, sondern schon mit der internen Bekanntgabe der Entscheidung, auch wenn diese noch von einer Bedingung oder Annahme durch die Gesellschaft abhängt9. Darüber hinaus besteht eine Veröffentlichungspflicht auch dann, wenn ein principal financial officer seine Amtspflichten vorübergehend auf eine andere Person überträgt10.
__________ 7 Vgl. Hazen, The Law of Securities Regulation, 5th ed 2005, § 9.3, S. 331 ff.; Loss/ Seligman, Fundamentals of Securities Regulation, 5th ed 2004, S. 509 ff. 8 Vgl. Item 5.02(b): „If the registrant’s principal executive officer, president, principal financial officer, principal accounting officer, principal operating officer, or any person performing similar functions, or any named executive officer, retires, resigns or is terminated from that position, or if a director retires, resigns, is removed, or refuses to stand for re-election […], disclose the fact that the event has occurred and the date of the event.“ 9 Vgl. SEC, Staff Interpretations Exchange Act Form 8-K, February 16, 2010, Question 117.01: „With respect to any resignation, retirement, or refusal to stand for reelection reportable under Item 5.02(b) […] the Form 8-K reporting obligation is triggered by a notice of a decision to resign, retire, or refuse to stand for re-election provided by the director, whether or not such notice is written, and regardless of whether the resignation, retirement, or refusal to stand for re-election is conditional or subject to acceptance.“ 10 Vgl. SEC (Fn. 9), Question 217.02 : „When a principal financial officer temporarily turns his or her duties over to another person, a company must file a Form 8-K under Item 5.02(b) to report that the original principal financial officer has temporarily stepped down.“
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Dagegen soll der Tod eines Spitzenmanagers oder Verwaltungsratsmitglieds nicht berichtspflichtig sein11. b) Vierteljährliche Publizitätspflicht: Form 10-Q Sec. 13(a)(2) SEA und Rule 13a-13 verpflichten die Emittenten registrierter Wertpapiere, innerhalb von 45 Tagen nach Quartalsende vierteljährliche Berichte (quarterly reports) bei der SEC einzureichen. Für diese Berichte ist das Formblatt 10-Q vorgesehen, das neben ungeprüften Zwischenberichten auch eine sog. „Management Discussion and Analysis of Financial Condition and Results of Operations“ (MD & A) enthalten muss. Deren Inhalt schlüsselt Item 303 der Regulation S-K weiter auf. Von Belang sind im hiesigen Zusammenhang vor allem „any known trends or uncertainties that have had or that the registrant reasonably expects will have a material favorable or unfavorable impact on net sales or revenues or income from continuing operations“12. c) Jährliche Publizitätspflicht: Form 10-K Sec. 13(a)(2) SEA und Rule 13a-1 halten die Emittenten registrierter Wertpapiere an, spätestens 90 Tage nach Ende eines jeden Geschäftsjahres einen Jahresbericht (annual report) bei der SEC einzureichen. Dafür ist das Formblatt 10-K vorgesehen, das unter anderem eine ausführliche Darstellung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens und die schon erwähnte MD & A enthalten muss. d) Ad-hoc-Publizitätspflicht durch Börsenregeln Schließlich haben die US-amerikanischen Wertpapierbörsen, allen voran die New York Stock Exchange, aufgrund ihrer Selbstregulierungsgewalt Börsenregeln erlassen, welche die schnelle Veröffentlichung aller wesentlichen Informationen über das börsennotierte Unternehmen verlangen13. Allerdings können private Kläger die Einhaltung dieser Regeln nicht durchsetzen und bei allfälligen Verstößen auch keinen Schadensersatz nach Rule 10b-5 verlangen14.
__________ 11 Vgl. SEC (Fn. 9), Question 217.04: „Item 5.02(b) of Form 8-K does not require a registrant to report the death of a director or listed officer.“ 12 Item 303(a)(3)(ii). 13 Vgl. etwa New York Stock Exchange Listed Company Manual, § 202.05: „A listed company is expected to release quickly to the public any news or information which might reasonably be expected to materially affect the market for its securities. This is one of the most important and fundamental purposes of the listing agreement which the company enters into with the Exchange.“ 14 Vgl. In re VeriFone Sec. Litig., 11 F.3d 865, 870 (9th Cir. 1993).
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Schwere Erkrankung des Vorstandsvorsitzenden und Ad-hoc-Publizität
3. Meinungsstand zur obligatorischen Offenlegung einer schweren Erkrankung Eine spezielle gesetzliche oder aufsichtsbehördliche Regelung der Publizitätspflicht bei schwerer Erkrankung des CEO gibt es nicht15. Auch die Rechtsprechung hat sich mit dieser Frage bisher nur am Rande beschäftigt16, so dass in der Wirtschaftspraxis große Unsicherheit herrscht17: Manche Unternehmen, wie Time Warner (Stephen Ross18), McDonald’s (Charles Bell19) oder General Motors (Harry Pearce20), haben in den vergangenen Jahren eine „Honesty Policy on Executive Illness“21 verfolgt, andere, z. B. Kraft Foods oder Bear Stearns, haben sich dagegen für eine „Don’t Ask, Don’t Tell Policy“22 entschieden. Das rechtliche Für und Wider dieser Frage findet im Schrifttum vermehrt Aufmerksamkeit23. Dabei überwiegen die Stimmen, die ab einem bestimmten Zeitpunkt – noch vor dem endgültigen Ausscheiden des CEO – eine kapitalmarktrechtliche Mitteilungspflicht bejahen24. 4. „Materiality“-Erfordernis als zentrales Tatbestandsmerkmal In Ermangelung einschlägiger Gesetzesvorschriften oder Präjudizien ist die Frage der Veröffentlichungspflicht von Gesundheitsproblemen nach den allge-
__________ 15 Vgl. Glenn, 16 Cardozo L. Rev. 537, 547 (1994): „Absent from the disclosure provisions relating to management, however, is a specific disclosure requirement for executive illnesses.“ 16 Vgl. im Zusammenhang mit der Veräußerung von Aktien eines Unternehmens, dessen Gründer und CEO sich einer Kopfoperation unterziehen muss, Hines v. Data Line Systems, Inc., 787 P.2d 8, 16 (1990): „The directors in putting forth the placement memorandum had a duty to disclose information about Peterson’s health. In failing to put this information in the selling document, the seller, Data Line and its directors violated the statute by omitting a material fact.“ 17 Vgl. Glenn, 16 Cardozo L. Rev. 537, 540 (1994): „Apparently, much of the confusion surrounding the disclosure of executive illness stems from the absence of cases or other authority addressing the issue squarely.“; sowie Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 323 (1996): „The law governing a corporation’s affirmative obligation to disclose an executive’s medical condition is unclear.“ 18 Vgl. Cohen, Chairman of Time Warner Treated for Prostate Cancer, New York Times, November 27, 1991, D15. 19 Vgl. Wayne/Dash, Citing Cancer, Chief Resigns at McDonald’s, New York Times, November 2003, 2004, C1. 20 Vgl. Gunset, GM Says Executive Has Leukemia, Chicago Tribune, June 6, 1998. 21 So der Titel des Zeitschriftenartikels von Glater, New York Times, July 8, 2001, S. 34. 22 Glenn, 16 Cardozo L. Rev. 537, 554 (1994). 23 Vgl. Glenn, Disclosure of Executive Illness under Federal Securities Law and the Americans with Disabilities Act of 1990: Hobson’s Choice or Business Necessity, 16 Cardozo L. Rev. 537 (1994); Barnard, Sovereign Prerogatives, 21 J. Corp. L. 307, 321– 329 (1996); Heminway, Personal Facts about Executive Officers: A Proposal for Tailored Disclosures to Encourage Reasonable Investor Behavior, 42 Wake Forest L. Rev. 749 (2007); Horwich, When the Corporate Luminary Becomes Seriously Ill: When Is a Corporation Obligated to Disclose that Illness and Should the SEC Adopt a Rule Requiring Disclosure?, 5 NYU J. L. & Bus. 827 (2009). 24 Einzelheiten unter I. 4. b).
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meinen kapitalmarktrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen25. Als zentrales Tatbestandsmerkmal aller genannten Publizitätspflichten erweist sich dabei das „materiality“-Erfordernis26, das seit jeher einen Grundpfeiler des gesamten US-amerikanischen Kapitalmarktrechts bildet. a) Der „probability/magnitude“-Test als höchstrichterliche Konkretisierung Nach der maßgeblichen Definition des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten liegt „materiality“ vor, wenn eine beträchtliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass ein vernünftiger Aktionär den betreffenden Umstand als bedeutend einstufen und in seine Anlageentscheidung einbeziehen würde27. Für zukunftsbezogene Informationen hat der Supreme Court in einer späteren Entscheidung anhand eines geplanten Unternehmenszusammenschlusses den sog. „probability/magnitude“-Test entwickelt28. Dabei wird die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Ereignisses gegen seine Bedeutung für das Unternehmen abgewogen, um dadurch in einer Gesamtschau die Wesentlichkeit der Information abzuschätzen29. b) Anwendung auf die schwere Erkrankung eines CEO Im Schrifttum ist allgemein anerkannt, dass die schwere Erkrankung eines CEO eine Kombination gegenwarts- und zukunftsbezogener Elemente bildet: Die Diagnose der Krankheit ist eine feststehende Tatsache, die drohende Beeinträchtigung der Amtsausübung durch den CEO hat prognostischen Charakter30. Außerdem wird allenthalben betont, dass für die Anleger nicht die Erkrankung als solche, sondern allein deren Auswirkung auf die Leistungsfähig-
__________ 25 So ausdrücklich Horwich, 5 NYU J. L. & Bus. 827, 833 (2009): „Resolution of whether disclosure is required is, instead, analyzed under well-established concepts, although the application of those principles in a particular case may be difficult.“ 26 Glenn, 16 Cardozo L. Rev. 537, 541 (1994) spricht anschaulich von dem „Securities and Exchange Acts’ watershed test of materiality“. 27 Vgl. TSC Industries, Inc. v. Northway, 426 U.S. 438, 449 (1976): „An omitted fact is material if there is a substantial likelihood that a reasonable shareholder would consider it important in deciding how to vote. […] There must be a substantial likelihood that the disclosure of the omitted fact would have been viewed by the reasonable investor as having significantly altered the ‚total mix‘ of information made available.“ 28 Vgl. Basic v. Levinson, 485 U.S. 224, 232 ff. (1988). 29 Vgl. Basic v. Levinson, 485 U.S. 224, 238 (1988) unter Hinweis auf SEC v. Texas Gulf Sulphur, 401 F.2d 833, 849 (CA2 1968): „Materiality will depend at any given time upon a balancing of both the indicated probability that the event will occur and the anticipated magnitude of the event in light of the totality of the company activity.“ 30 Vgl. Glenn, 16 Cardozo L. Rev. 537, 539, 557 (1994); Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 759 (2007): „News of […] a terminal illness, for example, is important not just as a statement of current fact, but also as information that may impact the future of the public company.“
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keit des CEO von Bedeutung ist31. Zur Beurteilung der kapitalmarktrechtlichen Relevanz hält man daher den erwähnten „probability/magnitude“-Test für anwendbar32. Zu prüfen ist dabei zum einen, welche Auswirkungen ein krankheitsbedingter Ausfall des CEO für das Unternehmen hätte, zum anderen, wie wahrscheinlich ein solcher Ausfall zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist33. aa) Bedeutung des CEO für das Unternehmen Die Bedeutung eines CEO für „sein“ Unternehmen kann höchst unterschiedlich ausfallen. Im Schrifttum macht man darauf aufmerksam, dass personenbezogene Tatsachen für den Wert und das Wohlergehen eines Unternehmens grundsätzlich von geringer Bedeutung seien34. Zudem könnten selbst hervorragende Führungskräfte in vielen Fällen angemessen ersetzt werden. Ferner seien kurzfristige Kursausschläge bei Bekanntwerden der schweren Erkrankung kein zwingender Beleg für die überragende Bedeutung des CEO35, weil Anleger aufgrund der Eingängigkeit personenbezogener Meldungen nicht selten zu Überreaktionen neigten36. Andererseits zieht niemand in Zweifel, dass einzelne Spitzenmanager eine Schlüsselrolle für den zukünftigen Erfolg ihres Unternehmens spielen. Als Paradebeispiel gilt Steve Jobs, den man als „the single most indispensable chief executive on the planet“37 bezeichnet hat. Nach Bekanntwerden seines zeitweiligen Rückzugs im Januar 2009 fiel Apples Aktienkurs denn auch binnen weniger Stunden um 6 $ auf 79,33 $38. Verallgemeinernd kommt es darauf an, ob die betreffende Person als „driving force“39 eine Schlüsselstellung im Unternehmen einnimmt. Diese Schlüsselstellung kann sich sowohl aus einzigartigen Fähigkeiten und spezieller Expertise als auch aus
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31 Vgl. Glenn, 16 Cardozo L. Rev. 537, 539 (1994): „For investors, the existence of an illness alone is insignificant; rather, only the likelihood that the illness will cause an executive to leave his position should concern investors.“; ähnlich Horwich, 5 NYU J. L. & Bus. 827, 856 (2009). 32 Vgl. Glenn, 16 Cardozo L. Rev. 537, 559 (1994): „Because illness disclosure combines factual and predictive information, the standard of materiality by which it is judged should be the probability-magnitude test of Basic v. Levinson.“; Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 759 (2007); Horwich, 5 NYU J. L. & Bus. 827, 858 f. (2009): „Thus, an assessment of the materiality of a health condition presents an issue of prognosis, where the probability/magnitude test of Basic should be applied.“ 33 Vgl. Horwich, 5 NYU J. L. & Bus. 827, 859 (2009); ähnlich Glenn, 16 Cardozo L. Rev. 537, 559 (1994). 34 Vgl. Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 764 (2007): „Executives’ personal facts are less likely to be directly related to fundamental corporate value and are less apt to impact corporate behaviour.“ 35 Allgemein dazu Monsma/Olson, 26 Stan. Envtl. L. J. 137, 142 (2007): „Not all information that is interesting to investors and analysts is material to the financial condition of a company.“ 36 Näher Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 783 f. (2007) unter der Zwischenüberschrift „Investors and the Market May Overreact to the Disclosure of Personal Facts About Executives“. 37 Nocera (Fn. 4). 38 Vgl. Stone (Fn. 4). 39 Glenn, 16 Cardozo L. Rev. 537, 559 (1994).
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einer charismatischen Erscheinung oder einem besonderen Netzwerk persönlicher Kontakte ergeben40. Sie wird bei Start-up-Unternehmen häufiger anzutreffen sein als bei etablierten Unternehmen41. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass nicht nur der CEO, sondern auch andere Führungskräfte im Einzelfall eine solche Schlüsselposition einnehmen können. In der Literatur spricht man plastisch von einem „corporate luminary“42. Einen gesetzlichen Anhaltspunkt dafür bietet Item 401(c) der Regulation S-K: Danach sind „significant employees“ in dem Börseneinführungsprospekt nach dem Securities Act und in der periodischen und laufenden Berichterstattung nach dem Securities Exchange Act mitsamt ihrem beruflichen Hintergrund namhaft zu machen43. Als Beispiele nennt Item 401(c) „production managers, sales managers, or research scientists“. Solche „key man statements“ sind gerade beim Börsengang weit verbreitet44. bb) Wahrscheinlichkeit eines krankheitsbedingten Ausfalls Wann ein krankheitsbedingter Ausfall des CEO so wahrscheinlich wird, dass die „materiality“-Schwelle überschritten ist, soll von den Umständen des Einzelfalls abhängen: „Somewhere between diagnosis and imminent death, the state of health becomes material“45. Das erforderliche Wahrscheinlichkeitsurteil bereitet vor allem deshalb so große Schwierigkeiten, weil viele Mediziner genaue Prognosen erst in einem weit fortgeschrittenen Krankheitsstadium abgeben und im übrigen auf statistische Daten verweisen46. Besonders komplex ist die Frage bei degenerativen Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer: Während der „President Technology“ von Google kürzlich eine besondere genetische Prädisposition für Parkinson veröffentlicht hat47, hielt ein anderer CEO die Parkinson-Diagnose fast 20 Jahre geheim und offenbarte sie erst nach seinem Rücktritt48. Trotz dieser prognostischen Unsicherheiten befürworten verschiedene Literaturstimmen eine Offenlegungspflicht schon im
__________ 40 Näher Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 762 ff. (2007). 41 Vgl. Barnard, 21 Corp. L. 307, 324 (1996): „This phenomenon, most often but not exclusively found in immature or thinly-staffed companies, forms the basis for the ‚key man‘ life insurance industry.“; ferner Glenn, 16 Cardozo L. Rev. 537, 560 (1994). 42 Horwich, 5 NYU J. L. & Bus. 827, 853 (2009): „In this context, a ‚luminary‘ refers to someone who is especially integral to the success of the enterprise, such that her continued active, energetic involvement is necessary to the ongoing business of the company.“ 43 Dazu auch Glenn, 16 Cardozo L. Rev. 537, 547 f. (1994): „Because Rule 401(c) of the Securities Act requires issuers to disclose a significant employee’s background to the same extent as executive officers, any obligation to disclose executive illnesses would extend to all significant employees.“ 44 Näher Glenn, 16 Cardozo L. Rev. 537, 546 n. 51 (1994) mit Beispielen aus der Praxis. 45 Horwich, 5 NYU J. L. & Bus. 827, 858 (2009). 46 Vgl. Horwich, 5 NYU J. L. & Bus. 827, 859 (2009). 47 Vgl. Helft, Google Co-founder has Genetic Code Linked to Parkinson’s, New York Times, September 19, 2008, C2. 48 Vgl. Jones, Life after Parkinson’s, 324 Brit. Med. J. 1531 (2002).
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Vorfeld eines krankheitsbedingten Rückzugs, weil sie andernfalls gravierende Nachteile für die Gesellschaft befürchten49. 5. Personenbezogene Geheimhaltungsinteressen: „Right to Privacy“ Es liegt auf der Hand, dass eine kapitalmarktrechtliche Veröffentlichungspflicht von Gesundheitsproblemen mit möglichen Geheimhaltungsinteressen des CEO kollidiert. Die kapitalmarktrechtlichen Publizitätsvorschriften scheinen dieses Spannungsverhältnis allerdings nicht zu erkennen; jedenfalls enthalten sie keine konkreten Anhaltspunkte für die erforderliche Interessenabwägung50. Im Schrifttum hat man auf einfachgesetzlicher Ebene einen Normenkonflikt zwischen den Offenlegungspflichten des Securities Exchange Act 1934 und den Geheimhaltungspflichten des Americans with Disabilities Act 1990 ausgemacht51; verfassungsrechtlich bringt man das berühmte „Right to Privacy“52 gegen die kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten in Stellung53. Konkrete Schranken werden allerdings kaum herausgearbeitet. Immerhin hält man die Bekanntgabe der medizinischen Diagnose für nicht geboten54. In diese Richtung tendiert wohl auch die SEC: Sie hatte im Rahmen der laufenden Publizitätspflicht nach Form 8-K, Item 5.02(b)55 ursprünglich verlangt, dass auch der Rücktrittsgrund bekanntgegeben werden muss56, ist hiervon aber wieder abgerückt, nachdem eingewandt wurde, dass „requiring disclosure of reasons such as personal infirmity may cause unnecessary embarassment to the departing officer“57. Abgesehen davon scheinen SEC und Literatur den Publizitätsinte-
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49 Näher Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 325 (1996): „Preoccupation with serious illness and pain, or the results of medication, may cloud an executive’s judgment, impair her concentration […] interrupt ongoing negotiations […] It may incline the executive toward short-term projects at the expense of long-term-objectives or toward ‚safe‘ activities at the expense of higher risk ventures. […] Serious illness for most people is a transformative experience. Pain can alter a patient’s personality, perceptions, and judgment. Therefore, one might reasonably posit, that when a CEO has a serious illness, particularly one involving pain, the illness should be treated as presumptively material and the company should disclose the illness as soon as reasonably possible following diagnosis.“; ähnliche Überlegungen bei Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 768 f. (2007). 50 So namentlich Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 774 (2007): „Unfortunately, current federal securities disclosure rules do not apparently recognize the tension they create with privacy rights or provide a concrete basis or process for performing the requisite balancing of governmental (or public) and individual interests.“ 51 Vgl. Glenn, 16 Cardozo L. Rev. 537, 585 ff. (1994). 52 Grundlegend zum Schutz der Privatsphäre im Zivilrecht Warren/Brandeis, The Right to Privacy, 4 Harv. L. Rev. 193 (1890); aus verfassungsrechtlicher Perspektive Griswold v. Connecticut, 381 U.S. 479 (1965). 53 Vgl. Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 772 ff. (2007) unter der Zwischenüberschrift „Interference with the Right to Privacy“; andeutungsweise auch Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 325 (1996). 54 So Horwich, 5 NYU J. L. & Bus. 827, 869 (2009). 55 Dazu oben I. 2. a). 56 Vgl. Additional Form 8-K Disclosure Requirements and Acceleration of Filing Date, Securities Act Release No. 8106, 67 Fed. Reg. 42914, 42925, June 25, 2002. 57 Additional Form 8-K Disclosure Requirements and Acceleration of Filing Date, Securities Act Release No. 8400, 69 Fed. Reg. 15594, 15605, March 25, 2004.
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ressen der Kapitalmarktöffentlichkeit Vorrang vor den Geheimhaltungsinteressen der Organwalter einzuräumen: Die zahlreichen Vorschriften über die Organpublizität im Securities Act und Securities Exchange Act58, z. B. über die biographischen Daten der Direktoren und Verwaltungsratsmitglieder, ihre berufliche Ausbildung und Erfahrung, ihre Verwicklung in Gerichtsverfahren, die ihre persönliche Integrität in Zweifel ziehen59, sowie über ihre persönliche Vergütung60 werden unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht beanstandet. Dabei klingt auch die Erwägung an, dass Spitzenmanager eines börsennotierten Unternehmens ihre Privatsphäre bis zu einem gewissen Grad aufgeben (müssen)61. 6. Reformvorschläge im Schrifttum Angesichts dieser juristischen Grauzone zögert man im US-amerikanischen Schrifttum nicht mit Regelungsvorschlägen de lege ferenda. Rechtsklarheit und Rechtssicherheit erhofft man sich übereinstimmend von einer speziellen Regelung durch die SEC62 oder die Wertpapierbörsen63. Bemerkenswert ist weiterhin, dass sämtliche Reformvorschläge – mit Reichweitenunterschieden im Einzelnen – eine gesetzliche Offenlegungspflicht bei schwerer Erkrankung befürworten. Der am detailliertesten ausgearbeitete Vorschlag plädiert für eine Ergänzung der laufenden Publizitätspflicht in Form 8-K: Item 5.02A Serious Illness of Certain Directors, Employees and Consultants (a) If a covered person, as defined in subsection (b) of this Item 5.02A, is known by the registrant to be suffering from a physical or mental illness that substantially impairs or is substantially likely within two years to substantially impair the capability of the covered person to perform the functions on behalf of or for the benefit of the registrant which the registrant has represented in any public disclosure that the covered person is performing, the registrant shall disclose the fact of the current or substantially likely impairment if that impairment has or is substantially likely to have a material adverse impact on the company. (b) A ‚covered person‘ for purposes of this Item 5.02A is a director of, employee of or independent contractor retained by the registrant who performs functions on behalf of or for the registrant that are not, at the time of the determination of impairment or substantially likely impairment, provided to the registrant by any other person, are fundamental to the financial performance of the registrant and, in the good faith judgment of the registrant, could not be performed by anyone currently employed by or retained by the registrant“.64
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Ausführlich dazu Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 754 (2007). Zu alledem Item 401(a), (b), (d), (e), (f) der Regulation S-K. Dazu Item 403 der Regulation S-K. Bündig das bei Walker, USA Today, January 1993, B1, wiedergegebene Zitat: „I think you have to give some of that [privacy] up, when you become chairman of a public company.“; ferner Glenn, 16 Cardozo L. Rev. 537, 573 (1994). 62 In diesem Sinne Glenn, 16 Cardozo L. Rev. 537, 588 ff. (1994); Heminway, 42 Wake Forest L. Rev. 749, 799 ff. (2007); Horwich, 5 NYU J. L. & Bus. 827, 862 ff. (2009). 63 So Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 327 (1996): „NASDAQ and the stock exchanges should replace their existing guidelines for disclosure and adopt instead a bright line rule mandating timely disclosure of a CEO’s medical problems.“ 64 Horwich, 5 NYU J L. & Bus. 827, 867 f. (2009).
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Diese und andere Regelungsvorschläge setzen allerdings voraus, dass die Gesellschaft Kenntnis von der schweren Erkrankung ihres CEO hat. Ob dieser sich freiwillig offenbart oder der Gesellschaft aufgrund seiner Treuepflicht sogar zur Auskunftserteilung verpflichtet ist65, harrt ebenso noch einer genaueren Untersuchung wie die Frage, ob man eine Auskunftspflicht gegenüber der Gesellschaft im Anstellungsvertrag wirksam vereinbaren kann66.
II. Schwere Erkrankung des Vorstandsvorsitzenden und Ad-hocPublizitätspflicht im deutschen Kapitalmarktrecht 1. Ein einführendes Beispiel Der prominenteste Fall in Deutschland betraf keinen Vorstandsvorsitzenden, aber mit dem Top-Torjäger eines börsennotierten Fußball-Bundesligavereins einen anderen „corporate luminary“67. Sieben Tage nach der ersten Börsennotiz hat die Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA am 14. November 2000 folgende Ad-hoc-Mitteilung veröffentlicht: „Bei dem Lizenzspieler Heiko Herrlich sind Sehstörungen aufgetreten. Zwischenzeitliche medizinische Untersuchungen haben ergeben, daß die Sehstörungen auf einen Gehirntumor zurückzuführen sind. Die fachärztlichen Untersuchungen dauern an. Eine vollständige Genesung erscheint aus jetziger Sicht möglich.“ 2. Meinungsstand zur obligatorischen Offenlegung einer schweren Erkrankung Ob die schwere Erkrankung eines Vorstandsvorsitzenden oder einer vergleichbaren Schlüsselfigur veröffentlichungspflichtig ist, beurteilt sich nach § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG. Die Kommentar- und Aufsatzliteratur nähert sich dieser Frage zumeist über die Fallgruppe der Ad-hoc-Publizitätspflicht im Zusammenhang mit Personalentscheidungen68. Dass Personalveränderungen innerhalb der Führungsebene des Unternehmens im Einzelfall eine Ad-hoc-Publizitätspflicht
__________ 65 Vgl. Glenn, 16 Cardozo L. Rev. 537, 569 n. 171 (1994): „An ancillary issue is whether the executive owes a fiduciary duty to reveal the illness to the corporation at the time of diagnosis. […] Whether there is a fiduciary duty to disclose the illness under state law is a question beyond the scope of this Note.“ 66 Dies vorschlagend Barnard, 21 J. Corp. L. 307, 327 f. (1996): „The board of directors has a right to request and receive on a confidential basis information from a CEO’s (or other executive officer’s) physician concerning her condition, prognosis, prescribed course of treatment, and prospects for resuming her previous level of performance with the company. Access to this information should be made an express term of the executive’s employment contract.“; ähnliche Erwägungen bei Glenn, 16 Cardozo L. Rev. 537, 588 n. 271 (1994): „Issuers and executives may be able to avoid this Hobson’s choice by including an illness disclosure provision in either an employment contract or, for at-will-employees, a separate illness contingency contract.“ 67 Fn. 42. 68 Die ausführlichste Problembehandlung bietet Pfüller in Fuchs, WpHG, 2009, § 15 Rz. 217 ff.
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auslösen können, ist heute im Schrifttum allgemein anerkannt69. Der Emittentenleitfaden der BaFin ordnet solche Veränderungen unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls in seinen Katalog veröffentlichungspflichtiger Insiderinformationen ein70. Schließlich gehen auch das OLG Stuttgart71, das OLG Frankfurt72 und der BGH73 in den verschiedenen Daimler/Schrempp-Verfahren davon aus, dass das einvernehmliche vorzeitige Ausscheiden eines Vorstandsvorsitzenden ad-hoc-publizitätspflichtig sein kann. Weniger zahlreich sind die Stellungnahmen zur Publizitätspflicht einer schweren Erkrankung. Verschiedene Literaturstimmen haben im Fall Heiko Herrlich vorgetragen, dass der dauerhafte oder längere Ausfall eines Spitzenspielers eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation darstellen könne, zugleich aber betont, dass die Krankheitsdiagnose als solche nicht hätte veröffentlicht werden dürfen, wenn Herrlich nicht eingewilligt hätte74. Verallgemeinernd heißt es gelegentlich, schwere Erkrankungen von Personen in Schlüsselpositionen seien unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen nicht ad-hoc-publizitätspflichtig75. Die Wirtschaftspraxis verfährt uneinheitlich: Ad-hoc-Mitteilungen über die Erkrankung eines Vorstandsmitglieds sind verschiedentlich anzutreffen76, nicht selten fällt allerdings die Mitteilung über die Erkrankung mit derjenigen über das Ausscheiden aus dem Vorstand zusammen, wie jüngst im Falle des Vorstandsvorsitzenden der Marseille-Kliniken AG77. 3. Preisbeeinflussungseignung als zentrales Tatbestandsmerkmal Eine Ad-hoc-Publizitätspflicht des Emittenten verlangt gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG das Vorliegen einer Insiderinformation. Diese ist nach § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG eine konkrete Information über nicht öffentlich bekannte Umstände, die geeignet sind, im Falle ihres Bekanntwerdens den Börsen- oder
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69 Vgl. Assmann (Fn. 1), § 15 WpHG Rz. 89; Bauer/Krets, DB 2003, 811, 815; Fischer zu Cramburg/Royé in Heidel, Aktienrecht, 2. Aufl. 2007, § 15 WpHG Rz. 13; Fürhoff/ Wölk, WM 1997, 449, 453; Fleischer, NZG 2007, 401, 402 f.; Frowein in Habersack/ Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008, § 10 Rz. 51; Geibel/ Schäfer in Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, 2. Aufl. 2007, § 15 WpHG Rz. 76; Möllers, NZG 2005, 459, 460 f.; Pfüller (Fn. 68), § 15 WpHG Rz. 17; Zimmer in Schwark, Kapitalmarktgesetze, 3. Aufl. 2004, § 15 Rz. 73 f. 70 Vgl. BaFin, Emittentenleitfaden, Stand: 28. April 2009, S. 57. 71 Vgl OLG Stuttgart, ZIP 2007, 481; OLG Stuttgart, ZIP 2009, 962, 964. 72 Vgl. OLG Frankfurt, ZIP 2009, 564. 73 Vgl. BGH, ZIP 2008, 639 Tz. 21. 74 In diesem Sinne Schumacher, NZG 2001, 769, 774 ff., 778 (Ergebnis), der überdies berichtet, dass eine Einwilligung Herrlichs vorgelegen habe; Burgard, ZHR 162 (1998), 51, 67; Petsch (Fn. 3), § 7 II 5 a; Waldhausen, Die ad-hoc-publizitätspflichtige Tatsache, 2002, S. 263; Wertenbruch, WM 2001, 193, 194 f. 75 Vgl. Waldhausen (Fn. 74), S. 262; zustimmend Pfüller (Fn. 68), § 15 Rz. 220. 76 Vgl. dazu etwa Pfitzer/Streib, BB 1995, 1947, 1951. 77 Vgl. Ad-hoc-Mitteilung der Marseille-Kliniken AG v. 5.3.2010: „Die Marseille-Kliniken AG […] gibt bekannt: Axel Hölzer legt aus gesundheitlichen Gründen sein Amt als Vorstandsvorsitzender des Unternehmens mit sofortiger Wirkung nieder. Grund ist eine schwere Erkrankung von Herrn Hölzer, die eine längere Behandlung erfordert.“
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Schwere Erkrankung des Vorstandsvorsitzenden und Ad-hoc-Publizität
Marktpreis der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen. Eine solche Eignung ist gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG gegeben, wenn ein verständiger Anleger die Information bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde. Als Umstände i. S. d. Satz 1 gelten zufolge § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG auch solche, bei denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie in Zukunft eintreten werden. Im Fall einer schweren Erkrankung des Vorstandsvorsitzenden kommt es – vergleichbar der „materiality“Prüfung des US-amerikanischen Kapitalmarktrechts78 – vor allem auf das Tatbestandsmerkmal der Preisbeeinflussungseignung an. Zuvor ist es allerdings ratsam, die Insiderinformation selbst genauer zu spezifizieren. a) Drohendes Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden als relevante Information Bei einer schweren Erkrankung des Vorstandsvorsitzenden kommen zwei Anknüpfungspunkte für eine Publizitätspflicht in Betracht: die Krankheitsdiagnose als solche und ihre möglichen Auswirkungen auf die weitere Amtsausübung. Ebenso wie im US-amerikanischen Schrifttum79 sollte auch hierzulande Einigkeit darüber bestehen, dass es für einen verständigen Anleger nicht auf die Kenntnis der Krankheit ankommt, sondern allein auf deren Folgen für die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Vorstandsvorsitzenden80. Als Zusatzinformation mag allenfalls noch von Bedeutung sein, dass ein drohendes Ausscheiden krankheitsbedingt ist, und nicht etwa auf einem Zerwürfnis mit dem Aufsichtsrat beruht. b) Bedeutung des Vorstandsvorsitzenden für das Unternehmen Unter dem Gesichtspunkt der Preisbeeinflussungseignung i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG stellt sich damit die Frage, welche Auswirkungen ein krankheitsbedingter Ausfall des Vorstandsvorsitzenden für das Unternehmen hätte. Der BGH hat in seinem Daimler/Schrempp-Beschluss ausgeführt, dass die „Kurserheblichkeit eines feststehenden Amtswechsels in der Leitungsposition eines Großunternehmens […] ohne weiteres zu bejahen“81 ist. Dies mag in dem entschiedenen Fall richtig gewesen sein, wenn man den tatsächlich eingetretenen Kurssprung82 als Indiz für das Preisbeeinflussungspotential heranzieht83. Ein Publizitätsautomatismus bei Personalveränderungen in der Führungsspitze wäre indes verfehlt. Zurückhaltender rubriziert die BaFin daher nur „überraschende Veränderungen in Schlüsselpositionen des Unternehmens“ unter den Begriff der Insiderinformation84. Dieses Überraschungsmoment ist
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Vgl. oben I. 4. Vgl. den Text zu Fn. 31. Wie hier Schumacher, NZG 2001, 769, 777; Wertenbruch, WM 2001, 193, 194 f. BGH, ZIP 2008, 639 Tz. 21. Diagramm zum Kursverlauf der DaimlerChrysler-Aktie am 28.7.2005 und dem Kurssprung von zeitweise mehr als 10 % in FAZ Nr. 40 v. 16.10.2006. 83 So zuletzt etwa BGH, ZIP 2010, 426 Tz. 16: „Dabei stellt das spätere Geschehen, insbesondere die Reaktion des Marktes hierauf, ein gewichtiges Beweisanzeichen dar.“ 84 Vgl. BaFin (Fn. 70), S. 57.
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bei einer akuten Erkrankung gewiss gegeben. Für die erforderliche Eignung, den Aktienkurs erheblich zu beeinflussen, bedarf es aber noch zusätzlicher Umstände: Der Vorstandsvorsitzende muss das Unternehmen über seinen faktischen Führungsanspruch hinaus durch seine Amtsführung und Persönlichkeit geprägt haben und von zentraler Bedeutung für dessen zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg sein85. Dies ist keineswegs selbstverständlich, weil der Markt für Führungskräfte selbst in Spitzenpositionen für eine gewisse Fungibilität sorgt. Zudem sollten kurzfristige Kursausschläge nicht überbewertet werden: § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG stellt auf den verständigen Anleger ab86 und lässt damit durchaus Raum für eine Relativierung überschießender Marktreaktionen bei eingängigen Personalnachrichten. Entgegen der Andeutung des BGH im Daimler/Schrempp-Beschluss dürfte eine solche Schlüsselposition des Vorstandsvorsitzenden bei einem jungen Wachstumsunternehmen tendenziell eher gegeben sein als bei einem Großunternehmen87. Zur Problemabrundung sei hinzugefügt, dass neben dem Vorstandsvorsitzenden im Einzelfall auch andere Personen eine Schlüsselposition im Unternehmen einnehmen können88. Der Fall Heiko Herrlich bildet dafür nur ein Beispiel. Im Schrifttum nennt man außerdem das Ausscheiden der Gründerin eines Modeunternehmens oder den Wechsel des Chefdesigners eines Automobilkonzerns zur Konkurrenz89. Die US-amerikanischen Vorschriften steuern als weitere Illustration den führenden Kopf der Forschungsabteilung bei90. Aus dem Bankensektor mag man ferner an den Leiter des Investmentbanking denken, der zwar unterhalb des Vorstands angesiedelt ist, aber für den profitabelsten Geschäftsbereich des Unternehmens verantwortlich ist und daher unter Umständen sogar mehr verdient als der Vorstandsvorsitzende91. c) Hinreichende Wahrscheinlichkeit eines krankheitsbedingten Ausscheidens Nach § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG erfasst die Insiderinformation unter bestimmten Voraussetzungen auch zukünftige Umstände. Daher kommt eine Ad-hoc-
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85 Dazu schon Fleischer, NZG 2007, 401, 403 m. w. N.; aus schweizerischer Sicht Dalla Torre/Hasler, Ad-hoc-Publizität bei Wechseln in der Unternehmerführung, GesKR 2010, 186 ff. 86 Allgemein dazu Fleischer, ZBB 2008, 137, 141 ff. 87 Dazu die Nachweise zum US-amerikanischen Schrifttum unter Fn. 41 sowie der zutreffende Hinweis der BaFin (Fn. 70), S. 57 auf das Ausscheiden eines Gründergesellschafters. 88 Vgl. Assmann (Fn. 1), § 15 WpHG Rz. 89; Cahn, ZHR 162 (1998), 1, 29; Geibel/Schäfer (Fn. 69), § 15 WpHG Rn. 76; Möllers, NZG 2005, 459, 461 („key player“); Pfüller (Fn. 68), § 15 WpHG Rz. 219; außerdem BaFin (Fn. 70), S. 62: „Bei Unternehmen, deren Entwicklung von der Innovationsfähigkeit oder Kreativität einzelner Personen abhängt, können dies auch Personalveränderungen außerhalb der Organe in den Bereichen Forschung und Entwicklung oder Design sein.“ 89 Vgl. Gehrt, Die neue Ad-hoc-Publizität nach § 15 Wertpapierhandelsgesetz, 2007, S. 151; s. auch BaFin (Fn. 70), S. 62. 90 Vgl. oben II. 4. b) aa): „research scientist“; s. auch BaFin (Fn. 70), S. 62; und Pfüller (Fn. 68), § 15 WpHG Rz. 219: Personalveränderungen in den Bereichen Forschung und Entwicklung. 91 Vgl. am Beispiel der Deutschen Bank jüngst FAZ Nr. 64 v. 17.3.2010, S. 11.
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Publizitätspflicht bereits im Vorfeld eines krankheitsbedingten Ausscheidens in Betracht, sofern dieses „mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten“ wird. Über die Konkretisierung des Begriffs der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist ein wenig fruchtbarer Streit entstanden, den der BGH mit seinem Daimler/Schrempp-Beschluss nicht beigelegt, sondern weiter befeuert hat. Dessen zweiter Leitsatz lautet: „Das Tatbestandsmerkmal der hinreichenden Wahrscheinlichkeit i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG ist jedenfalls dann erfüllt, wenn eine ‚überwiegende‘ Wahrscheinlichkeit – d. h. eine Eintrittswahrscheinlichkeit von über 50 % – besteht“92. Zuvor reichte die Spannbreite der geforderten Eintrittswahrscheinlichkeit im Schrifttum von einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit über eine ganz überwiegende oder hohe bis hin zu einer bloß überwiegenden Wahrscheinlichkeit93. Wie anderwärts dargelegt, leidet die Suche der h. M. nach dem richtigen Wahrscheinlichkeitsmaß – auch unter gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkten94 – an einer zu einseitigen Ausrichtung95. Mit einer vordringenden Literaturauffassung bildet der Begriff der hinreichenden Wahrscheinlichkeit, der in den anderen Sprachfassungen der Durchführungsrichtlinie zur Marktmissbrauchsrichtlinie96 bezeichnenderweise gar nicht verwendet wird97, eine bewegliche Größe, bei der es neben der Eintrittswahrscheinlichkeit auch auf die zu erwartenden Auswirkungen beim Emittenten ankommt98. Hier mag die Klärung der abstrakten Rechtsfrage auf sich beruhen. Stattdessen soll nach konkreten Kriterien für den Fall der schweren Erkrankung gesucht werden. Angesichts der hohen Prognoseunsicherheit in einem frühen Krankheitsstadium wird eine Ad-hoc-Publizitätspflicht zu diesem Zeitpunkt in aller Regel ausscheiden. Gleiches dürfte sehr häufig für degenerativ verlaufende Krankheiten gelten, welche die Arbeitsfähigkeit vorläufig nicht beeinträchtigen (z. B. Parkinson) oder erst nach Jahren ausbrechen (z. B. AIDS). Verdichten sich jedoch die Anzeichen, dass ein Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden innerhalb eines überschaubaren Zeitraums unausweichlich wird, so muss eine Ad-hoc-Publizitätspflicht im Einzelfall sehr sorgfältig geprüft werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich der prekäre Gesundheitszustand nach außen nicht mehr verbergen lässt und aufkommende Gerüchte einen Nährboden für Insiderhandel bereiten. Eine präzisere Umschreibung ist angesichts der Vielgestaltigkeit der Sachverhalte kaum möglich. Deutlich zu weit geht für deutsche Verhältnisse jedenfalls der oben zitierte Regelungsvorschlag für das USamerikanische Recht, wonach ein voraussichtliches Ausscheiden des CEO aus
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92 BGH, ZIP 2008, 639. 93 Nachweise bei Fleischer, NZG 2007, 401, 404 f. 94 Dazu Fleischer, NZG 2007, 401, 405; Möllers in Gsell/Herresthal, Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009, S. 247, 260 ff.; aufgegriffen nunmehr von OLG Stuttgart, ZIP 2009, 962, 966. 95 Näher Fleischer, NZG 2007, 401, 405. 96 Durchführungs-Richtlinie 2003/124/EG v. 22.12.2003, ABl. 2003 Nr. L 339, S. 70. 97 Ausgewählte Belege bei Fleischer, NZG 2007, 401, 405. 98 Vgl. mit Formulierungsunterschieden im Einzelnen Fleischer, NZG 2007, 401, 405; Harbarth, ZIP 2005, 1898, 1901; Klöhn, LMK 2008, 260596; Möllers, NZG 2008, 330, 332; Pfüller (Fn. 68), § 15 WpHG Rz. 68; M. Weber in FS Schwark, 2009, S. 653, 667 f.
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Krankheitsgründen innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren eine Publizitätspflicht auslöst99. Wenn man sich überhaupt auf konkrete Zahlen einlassen will100, so dürfte sich als Richtschnur für den Anlegerhorizont eher der Zeitraum der Viertel- oder Halbjahresberichterstattung anbieten. Unabhängig davon liegt eine Ad-hoc-Publizitätspflicht auch dann nahe, wenn der Vorstandsvorsitzende, ohne aus dem Amt auszuscheiden, seine Aufgaben vertretungsweise auf einen Vorstandskollegen überträgt101, um sich einer längeren Heilbehandlung zu unterziehen. Insoweit bietet die Verwaltungspraxis der SEC bei der Auslegung von Form 8-K102 einen höchst bedenkenswerten rechtsvergleichenden Fingerzeig. Dies gilt erst recht, wenn der Aufsichtsrat von seiner Möglichkeit nach § 105 Abs. 2 Satz 1 AktG Gebrauch macht und eines seiner Mitglieder zum Stellvertreter des (wegen längerer Krankheit103) verhinderten Vorstandsmitglieds bestellt. Für Registerpublizität sorgt in diesem Fall ohnehin § 81 AktG104. 4. Personenbezogene Geheimhaltungsinteressen: Allgemeines Persönlichkeitsrecht Wie schon verschiedentlich erwähnt, sind den kapitalmarktrechtlichen Publizitätsvorschriften auch hierzulande durch die schützenswerten Geheimhaltungsinteressen des Vorstandsvorsitzenden Grenzen gezogen. Der genaue Grenzverlauf ist noch wenig gesichert; im vorliegenden Zusammenhang behaupten einzelne Literaturstimmen etwas apodiktisch, dass das Persönlichkeitsrecht des Vorstandsvorsitzenden bei einer schweren Erkrankung Vorrang vor einer Publizitätspflicht habe105. Eine genauere Grundrechtsprüfung ergibt indes ein differenzierteres Bild: a) Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Als Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass bei der Auslegung und Anwendung einfach-gesetzlicher Normen – wie § 15 WpHG – Bedeutung und Tragweite der
__________ 99 Vgl. den Text zu Fn. 64. 100 Zur Gefahr „gegriffener Größen“ bei der Gesetzeskonkretisierung Fleischer in FS Canaris, Bd. II, 2007, S. 71. 101 Allgemeine Vertretungsregeln finden sich häufig in der Geschäftsordnung. 102 Vgl. den Text zu Fn. 10. 103 Dass eine längere Krankheit einen Fall der Verhinderung i. S. d. § 105 Abs. 2 Satz 1 AktG darstellt, entspricht der h. L.; vgl. etwa Hopt/Roth in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2005, § 105 Rz. 51; kritisch Götz, ZIP 2002, 1745, 1747. 104 Dazu Hopt/Roth (Fn. 103), § 105 AktG Rz. 62. 105 Vgl. Waldhausen (Fn. 74), S. 262: „Andere Ereignisse als die Veränderung in der Zusammensetzung des Vorstandes – wie beispielsweise die schwere Erkrankung des Vorstandsvorsitzenden oder die Erhebung einer Anklage gegen diesen – sind nicht ad-hoc-publizitätspflichtig. Denn neben der für beide Fälle fehlenden Angabepflicht im Anhang muß im ersten Fall die Kollision der Publizitätspflicht mit dem Persönlichkeitsrecht des Vorstandsvorsitzenden zugunsten des Grundrechtsschutzes entschieden werden […].“; zustimmend Pfüller (Fn. 68), § 15 WpHG Rz. 220.
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Grundrechte zu berücksichtigen sind106. Hier muss das in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht Beachtung finden, das den Betroffenen vor der Veröffentlichung personenbezogener Daten schützt107. Es sichert ihm einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung zu, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann108. Dazu zählt auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das dem Einzelnen die Befugnis zuerkennt, selbst über die Preisgabe und Verwendung personenbezogener Daten zu entscheiden109. Geschützt werden nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG insbesondere ärztliche Angaben über den Gesundheitszustand des Betroffenen110. b) Eingriff in den Schutzbereich durch kapitalmarktrechtliche Publizitätspflichten Kapitalmarktrechtliche Publizitätspflichten über personenbezogene Informationen greifen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ein. Sie sind im deutschen und europäischen Kapitalmarktrecht nicht minder zahlreich als in den Vereinigten Staaten und lassen sich systematisch unter dem Stichwort „Organpublizität“ bündeln111. Dazu gehören die vorgeschriebene Veröffentlichung der individuellen Vorstandsvergütung (§ 285 Nr. 9 lit. a Satz 5 HGB) ebenso wie die obligatorische Mitteilung von Directors’ Dealings (§ 15a WpHG) und die prospektrechtlichen Pflichtangaben über die fachliche Eignung, berufliche Erfahrung und persönliche Integrität der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder (Ziff. 14 zu Anhang I ProspVO). Dass die grundrechtliche Betroffenheit bei einer Ad-hoc-Mitteilung über eine schwere Erkrankung des Organmitglieds noch stärker ausgeprägt ist, bedarf keiner weiteren Begründung. c) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind gerechtfertigt, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im überwiegenden Allgemeininteresse erfolgen und sich
__________ 106 St. Rspr. seit BVerfGE 7, 198. 107 Grundlegend BVerfGE 18, 146, 147 – Tagebuch; aus dem Schrifttum etwa Di Fabio in Maunz/Dürig, GG, Stand: 2001, Art. 2 Abs. 1 Rz. 127 ff.; Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl. 2009, Art. 2 Rz. 41 ff.; Murswiek in Sachs, GG, 5. Aufl. 2009, Art. 2 Rz. 59 ff. 108 Vgl. BVerfGE 79, 256, 268; 117, 202, 225. 109 Vgl. BVerfGE 65, 1, 43; 90, 263, 270. 110 Vgl. BVerfGE 32, 373, 379 f. – Krankheitsblätter (ärztliche Karteikarten); 89, 69, 82 ff. – medizinisch-psychologisches Gutachten; 119, 1, 34 f. – lebensbedrohliche Krankheit; unter Berufung auf Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) auch EuGH, Slg. 1994, I-4737, 4789 Rz. 17 (Aidstest). S. nunmehr auch Art. 7 (Achtung des Privat- und Familienlebens) und Art. 8 (Schutz personenbezogener Daten) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. 111 Versuch einer Systembildung bei Fleischer, Organpublizität im Aktien-, Bilanz- und Kapitalmarktrecht, NZG 2006, 561.
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als verhältnismäßig erweisen112. Als ein solches Allgemeininteresse kommt hier die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts in Betracht, die durch periodische und anlassbezogene Publizitätspflichten gestärkt wird113. Zudem mag man an die in den Artt. 2, 12, 14 ggf. i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG niedergelegten Grundrechte anderer Marktteilnehmer (Anleger, Arbeitnehmer, Vertragspartner) denken, die zukünftig in Rechtsbeziehungen zu dem börsennotierten Unternehmen treten könnten114. Allerdings muss die Einschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verhältnismäßig sein. Dies erfordert eine Interessenabwägung zwischen dem Publizitätsinteresse der Kapitalmarktöffentlichkeit und dem Geheimhaltungsinteresse des Organwalters115. Die Rechtsprechung pflegt dabei zu unterscheiden, ob die betreffende Information der Privat-, Individual- oder Intimsphäre zuzuordnen ist116. Im Rahmen der Organpublizität wird zunehmend darauf hingewiesen, dass Spitzenmanager – ebenso wie Spitzenpolitiker – durch ihre herausragende berufliche Stellung eine stärkere Einschränkung ihres Persönlichkeitsrechts hinnehmen müssen117. So hat der VGH Kassel ausgeführt, dass die Veröffentlichungspflicht von Eigengeschäften nach § 15a WpHG unter voller Namensnennung keinen unzulässigen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht darstellt: Bereits das Innehaben einer Führungsposition einerseits und der Handel mit Wertpapieren des Emittenten andererseits exponiere die betreffende Person in solcher Weise, dass damit durch eigene freie Entscheidungen ein erhöhter Sozialbezug hergestellt werde118. Aus ähnlichen Erwägungen wird die Verfassungsmäßigkeit des VorstOG über die Veröffentlichungspflicht der individuellen Vorstandsvergütung ganz überwiegend gebilligt119. Nun stellt die obligatorische Offenlegung einer schweren Erkrankung einen noch intensiveren Eingriff in die grundrechtlich geschützte Privatsphäre dar
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112 Vgl. etwa BVerfGE 65, 1, 38 ff., 44; 79, 256, 269. 113 Dazu im Zusammenhang mit dem VorstOG bereits Fleischer, DB 2005, 1611, 1614. 114 Allgemein mit Blick auf Publizitäts- oder Rechenlegungspflichten des Kapitalmarkt- oder Zivilrechts Budde in FS Moxter, 1994, S. 33, 42; Siekmann in FS Friauf, 1996, S. 647, 657. 115 Dazu etwa BVerfGE 89, 69, 82 f.: „Der Schutz [des allgemeinen Persönlichkeitsrechts] ist umso intensiver, je näher die Daten der Intimsphäre des Betroffenen stehen, die als unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung gegenüber aller staatlichen Gewalt Achtung und Schutz beansprucht.“ 116 Vgl. etwa BVerfGE 34, 238, 245 f.; 54, 148, 154; kritisch zu dieser Trias Dreier in ders., GG, 2. Aufl. 2004, Art. 2 Abs. 1 Rz. 88, der eine klare Sonderung der Sphären voneinander nicht für möglich hält und statt dessen von „graduellen Stufungen“ spricht. 117 Vgl. VGH Kassel, NJW 2006, 3737, 3740; Fleischer, NZG 2006, 561, 568; Hirte in Abeltshauser/Buck, Corporate Governance, 2004, S. 75, 91; Martens, ZHR 169 (2005), 124, 150. 118 Vgl. VGH Kassel, NJW 2006, 3737, 3740. 119 Vgl. Fleischer, DB 2005, 1611, 1614 m. w. N. Zum Themenkreis auch AG Berlin, NJW 1995, 2639, 2640, wonach die Zeitungsveröffentlichung über Geldbezüge eines Fußballspielers in einer Oberligamannschaft dessen Individualsphäre und somit dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht verletze. Das Gericht fügt hinzu, dass die Rechtslage bei „Spitzenmanagern, führenden Politikern oder eben auch Spitzensportlern“ anders beurteilt werden könnte.
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als die Veröffentlichung der Directors’ Dealings oder der Vorstandsvergütung: Der Gesundheitszustand des Einzelnen ist mit einer prägnanten Formulierung des BGH eine „höchstpersönliche Angelegenheit“120, und Krankheiten sind nach der Spruchpraxis des BVerfG im Hinblick auf ihren Informationsinhalt typischerweise als „privat“121 einzustufen. Auch hier sind im Einzelfall aber gewisse Relativierungen möglich. So hat der BGH im Leitsatz seiner jüngsten Caroline-Entscheidung zu Bildveröffentlichungen von Prominenten ausgeführt: „Zur Privatsphäre auch einer Person des öffentlichen Interesses gehört grundsätzlich die eigene Erkrankung; Ausnahmen können bei einem besonderen Personenkreis wie beispielsweise wichtigen Politikern, Wirtschaftsführern oder Staatsoberhäuptern bestehen“122. Auf die hier in Rede stehende Fragestellung übertragen, dürfte eine Ad-hoc-Publizitätspflicht über einen drohenden krankheitsbedingten Ausfall jedenfalls bei Vorstandsvorsitzenden von DAX-30-Unternehmen nicht von vornherein unverhältnismäßig sein. In Bezug auf Einzelheiten der Erkrankung überwiegt indes das Geheimhaltungsinteresse des Vorstandsvorsitzenden: Die Schilderung einer tatsächlich bestehenden lebensbedrohlichen Krankheit hat, wie das BVerfG kürzlich bei der Interessenabwägung zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsschutz ausgesprochen hat, „in der Öffentlichkeit nichts zu suchen“123. Auch eine Publizitätspflicht von genetisch bedingten Krankheitsdispositionen124 wäre von vornherein verfassungswidrig125, wie § 19 GenDG126 für Arbeitnehmer nun ausdrücklich bestimmt127. 5. Rechtspolitischer Reformbedarf? Zum Schluss sei noch einmal der Bogen zur US-amerikanischen Diskussion über den rechtspolitischen Reformbedarf zurückgeschlagen128. Empfiehlt sich in Deutschland eine detaillierte Regelung der Ad-hoc-Publizitätspflicht bei schwerer Erkrankung des Vorstandsvorsitzenden? Die rechtspraktische Ver-
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120 BGH, NJW 2009, 754, 756 Tz. 20. 121 BVerfGE 101, 361, 382: „[Der Schutz der Privatsphäre] umfaßt zum einen Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als ‚privat‘ eingestuft werden, weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst, wie es etwa bei […] oder bei Krankheiten der Fall ist.“ 122 BGH, NJW 2009, 754; zuvor bereits BGHZ 171, 275, 286 f. Tz. 32: Krankheit des regierenden Fürsten von Monaco. 123 BVerfGE 119, 1, 35 – Esra. 124 Vgl. den Fall bei Fn. 47, wo die Veröffentlichung allerdings mit Einwilligung des betroffenen Organmitglieds erfolgte. 125 Allgemein dazu D. Lorenz in Bonner Kommentar, GG, Stand: 2008, Art. 2 Abs. 1 Rz. 254 m. w. N. 126 Gendiagnostikgesetz, BGBl. I 2010, S. 253; dazu Genenger, NJW 2010, 113. 127 § 19 GenDG: „Der Arbeitgeber darf von Beschäftigten weder vor noch nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses 1. die Vornahme genetischer Untersuchungen oder Analysen verlangen oder 2. die Mitteilung von Ergebnissen bereits vorgenommener genetischer Untersuchungen oder Analysen verlangen, solche Ergebnisse entgegennehmen oder verwenden.“ 128 Vgl. oben I. 6.
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nunft rät hier zur Zurückhaltung: Eine präzise Tatbestandsfassung durch den Gesetzgeber oder die BaFin, die zugleich der Vielfalt denkbarer Lebenssachverhalte gerecht wird, dürfte kaum gelingen. Bedenkenswert ist jedoch, die Fallgruppe „drohender krankheitsbedingter Ausfall von Schlüsselpersonen“ in den Beispielskatalog veröffentlichungspflichtiger Insiderinformationen des Emittentenleitfadens aufzunehmen. Ein solcher Eintrag sollte mit dem Hinweis verbunden werden, dass Einzelheiten der Krankheit in verfassungskonformer Auslegung des 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG nicht publizitätspflichtig sind, sofern man ihnen nicht schon mangels Kursrelevanz die Klassifikation als Insiderinformation i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG abspricht. Die Erwähnung dieser neuen Fallgruppe im Emittentenleitfaden könnte bewusstseinsbildend wirken und die Wirtschaftspraxis für eine Fragestellung sensibilisieren, die man bisher eher verdrängt. Ähnlich wie im US-amerikanischen Recht setzt eine etwaige Ad-hoc-Publizitätspflicht bei schwerer Erkrankung des Vorstandsvorsitzenden allerdings voraus, dass die Gesellschaft hiervon Kenntnis hat129. Diese Kenntnis wird nicht selten fehlen, weil Führungspersönlichkeiten in Wirtschaft und Politik aus verschiedenen Gründen dazu neigen, ihre Krankheit so lange wie möglich geheim zu halten130. Gesellschaftsrechtlich schließt sich hieran die heikle Frage an, ob ein Vorstandsmitglied aufgrund seiner organschaftlichen Treuepflicht gehalten sein kann, den Aufsichtsratsvorsitzenden, den Präsidialausschuss oder sogar das Aufsichtsratsplenum über seinen Krankheitszustand zu unterrichten. Zu erwägen wäre außerdem, ob eine entsprechende Berichtspflicht im Anstellungsvertrag wirksam vereinbart werden kann131. Der gesamte Fragenkreis ist noch kaum ausgelotet132 und anderwärts zu vertiefen133.
__________ 129 Allgemein dazu Frowein (Fn. 69), § 10 Rz. 24. 130 Dazu Post/Robins, When Illness Strikes the Leader, The Dilemma of the Captive King, 1993. 131 Vgl. Hoffmann-Becking in Hoffmann-Becking/Rawert, Beck’sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht, 10. Aufl. 2010, X.13, § 4 Abs. 4: „Z ist bereit, sich einmal jährlich auf Kosten der Gesellschaft einer gründlichen ärztlichen Untersuchung zu unterziehen und den Vorsitzenden des Aufsichtsrats über das Ergebnis dieser Untersuchung zu unterrichten.“; kritisch dazu Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 9 Rz. 163 mit Fn. 475, wonach diese Mitteilungspflicht „durchgreifenden Bedenken“ begegnet; eingehend Fleischer, NZG 2010, 561, 563 ff. 132 Für einen knappen Problemaufriss bislang allein der Gastkommentar von Lutter, Gesundheitsprobleme eines Vorstandsmitglieds, Der Aufsichtsrat 2009, S. 97. 133 Näher Fleischer, Gesundheitsprobleme eines Vorstandsmitglieds im Lichte des Aktien- und Kapitalmarktrechts, NZG 2010, 561.
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Zur individualvertraglich vereinbarten entsprechenden Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes in organschaftlichen Anstellungsverträgen Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen III. Die Wahrung des Vorrangs der Organstellung trotz Zuerkennung von Arbeitnehmerschutzrechten
IV. Insbesondere: Die individualvertraglich vereinbarte Geltung des KSchG (oder von § 53 BAT) V. Zusammenfassung
I. Einleitung Seit vielen Jahren widmet sich der Jubilar in dem legendären von Scholz begründeten Kommentar zum GmbHG mit außerordentlicher Akkuratesse und tiefgründigen Überlegungen der Darstellung der Rechte und Pflichten des Geschäftsführers einer GmbH. In diesem Zusammenhang ist die Durchdringung des Zusammenspiels von organschaftlichem Verhältnis – hier geht es um die wissenschaftliche Behandlung der dogmatischen und praktischen Fragen, die sich aus der Stellung des Geschäftsführers als Vertreter der juristischen Person, als Unternehmensleiter und als die Arbeitgeberfunktion Wahrnehmender ergeben – mit dem Anstellungsverhältnis – unter diesem zusammenfassenden Begriff fasst man die Fragen zusammen, die die persönliche Stellung als Dienstpflichtiger betreffen – eine besondere Herausforderung. Denn es gilt, zwischen beiden Regelungsebenen, die rechtsdogmatisch nach der h. M. streng voneinander zu trennen sind, nach Möglichkeit eine Konkordanz herzustellen, die gewährleistet, dass den Anforderungen an die Wahrnehmung der organschaftlichen Aufgabe entsprochen wird, zugleich aber der organschaftliche Vertreter als Person weitestgehenden Schutz genießt. Das ist schon deswegen von großer Bedeutung, weil der Geschäftsführer – gesetztestypisch – seine Organstellung von heute auf morgen verlieren kann, und dann allein auf die Schutzmechanismen des daneben bestehenden, vom Organverhältnis rechtlich unabhängigen Dienstvertrages angewiesen ist. Die richtige Balance zwischen der gesellschaftsrechtlichen Frage der Gewährleistung einer funktionsfähigen organschaftlichen Vertretung und der „arbeitsrechtlichen“ Problematik des Schutzes vor allem des nicht an der Gesellschaft oder des nur minderheitlich beteiligten Geschäftsführers zu finden, ist eine sich immer wieder neu stellende Frage. Der Verfasser eines Festschriftbeitrags für Uwe H. Schneider darf deswegen auf das Interesse des Jubilars hoffen.
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Wulf Goette
II. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen Wank und der Verf. haben in zwei unabhängig von einander verfassten, gleichzeitig in der Festschrift für Herbert Wiedemann1 veröffentlichten Beiträgen aus arbeits- und gesellschaftsrechtlicher Sicht die Fragen an Hand der Stellung des GmbH-Geschäftsführers eingehend erörtert, die sich aus der Zusammenwirkung von Organ- und Dienstverhältnis ergeben. Die Einzelheiten – gerade der Jubilar2 vertritt für Teilbereiche pointiert andere Ansichten – müssen hier nicht nachgezeichnet werden, es genügt, die Generallinie in Erinnerung zu rufen, die im Schrifttum und vor allem von der gerade auf diesem Feld die Praxis leitenden höchstrichterlichen Rechtsprechung herausgearbeitet worden ist: Nichts gewonnen für die in diesem Zusammenhang zu lösenden Probleme ist mit der begrifflichen Einordnung des Geschäftsführerdienstverhältnisses als Arbeitsverhältnis oder als hiervon zu unterscheidendes besonderes Dienstverhältnis. Denn es besteht Übereinstimmung, dass es auch dann keinen Automatismus dahin gehend gibt, dass sämtliche arbeitsrechtlichen Regeln für Mitglieder des organschaftlichen Vertretungsorgans gelten, falls man – besonders für Fremdgeschäftsführer oder nur minderheitlich an der Gesellschaft beteiligte Geschäftsführer wird dies häufiger vertreten3 – sie als zumindest arbeitnehmerähnliche Mitarbeiter der Gesellschaft ansieht. Umgekehrt hat die strikte Ablehnung jeden Arbeitnehmerstatus4 nicht zur Folge, dass damit bereits entschieden ist, sämtliche arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften seien deswegen für das organschaftlich geprägte Dienstverhältnis nicht heranzuziehen. Gerade die Rechtsprechung des II. Zivilsenats, welcher im Grundsatz strikt die Eigenständigkeit des Geschäftsführerdienstverhältnisses gegenüber dem allgemeinen Arbeitsrecht betont, bietet reiches Anschauungsmaterial5 für die Erkenntnis, dass auch Mitglieder von organschaftlichen Vertretungsorganen von Gesellschaften dieser besonderen sozialen Schutzvorschriften teilhaftig sein können; erinnert sei nur an die Fragen des Pfändungsschutzes6, des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung7 oder auf Erteilung eines Dienstzeugnisses8, der Bestimmung der Kündigungsfrist9 oder – ganz prominent sei dies in Erinnerung gerufen – der arbeitnehmerschützenden Bestimmungen des Betriebsrentengesetzes10.
__________ 1 2 3 4 5 6
7 8 9 10
Vgl. FS Wiedemann, 2002, S. 587 und 873 ff. In Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 35 Rz. 175 ff. So z. B. der Jubilar in Scholz (Fn. 2), § 35 Rz. 175–181. So prononciert z. B. BGH, Urt. v. 10.1.2000 – II ZR 251/98, DStR 2000, 564 m. Anm. W. Goette. Vgl. Nachw. bei W. Goette in FS Wiedemann (Fn. 1), S. 878 f., 882 f. Vgl. BGH, Urt. v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, NJW 1978, 756 unter Teilaufgabe von BGHZ 41, 282, 288. BGH, Urt. v. 3.12.1962 – II ZR 201/61, NJW 1963, 535. BGHZ 49, 30, 31 f. BGHZ 91, 217, 220; BGH, Urt. v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, DStR 1999, 1743. BGHZ 77, 94; BGHZ 77, 233; zuletzt z. B. BGH, Urt. v. 13.1.2003 – II ZR 254/00, DStR 2003, 1176; BGH, Beschl. v. 11.10.2007 – II ZR 212/06, DStR 2007, 2123; BGH, Beschl. v. 15.10.2007 – II ZR 236/06, DStR 2008, 310; BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 68/08, DStR 2009, 1211; ferner W. Goette, BetrAV 2000, 28 ff.; s. dazu näher unten III.
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Individualvertraglich vereinbarte Geltung des KSchG?
Anders als die regelmäßig zu unrichtigen Ergebnissen führende Deduktion aus einer Zuordnung des Anstellungsverhältnisses zu den §§ 620 ff. BGB kommt es maßgeblich darauf an, sich zu vergegenwärtigen und dann aus dieser Erkenntnis die zutreffenden Folgerungen zu ziehen, dass das Dienstverhältnis des Organmitglieds nicht um seiner selbst Willen besteht, sondern dass es eine die Rechts- und Pflichtenstellung desselben ergänzende, im Konfliktfall aber hinter den organschaftlichen Erfordernissen zurücktretende Funktion hat. Anders gewendet: Die durch das Dienstverhältnis begründeten Rechte des Organmitglieds können nur Geltung beanspruchen, soweit es sich um auch für einen Geschäftsführer oder ein Vorstandsmitglied sinnvolle soziale Schutzrechte handelt und soweit deren Wahrnehmung die Funktion der organschaftlichen Beziehung nicht stört. Eine solche Störung des im Zweifel Vorrang genießenden Organverhältnisses ist nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung u. a. dann gegeben, wenn die Beendigung eines Geschäftsführerdienstverhältnisses – über die allgemein geltenden und auch unter gesellschaftsrechtlichem Blickwinkel selbstverständlich zu beachtenden Erfordernisse hinaus – auch noch davon abhängig sein sollte, dass die speziellen, den typischerweise sozial schwächeren Teil des Vertrages in besonderem Maße schützenden Regeln z. B. des Kündigungsschutzgesetzes oder des Schwerbehindertengesetzes11 beachtet worden sind. Denn dann wird in das für die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft konstitutive unbeschränkte Recht des Bestellungsorgans – zumindest indirekt – eingegriffen, darüber zu entscheiden, ob ein im Außenverhältnis mit unbeschränkter und unbeschränkbarer Vertretungsbefugnis ausgestattetes Leitungsorgan in seinem Amt belassen werden kann, weil die mit der Geltung der genannten Arbeitnehmerschutzvorschriften eintretenden Restriktionen dazu führen könnten, dass eine Trennung auf der dienstrechtlichen Ebene – u. U. auf unabsehbare Zeit – ausgeschlossen ist und die Gesellschaft weit über das ursprünglich vorgesehene Ende des Anstellungsverhältnisses alle Ansprüche des abberufenen Organmitglieds erfüllen müsste. Im Ergebnis kann dies dazu führen, dass das Bestellungsorgan von der an sich für notwendig erachteten Abberufung Abstand nimmt, weil die Gesellschaft die mit der Honorierung zweier Geschäftsführer – des abberufenen und des an seine Stelle tretenden – verbundene finanzielle Last nicht tragen könnte. Demgegenüber gilt es in diesem Zusammenhang im Blick zu behalten, dass das Organverhältnis aus Rechtsgründen nicht notwendig von einem Dienstverhältnis begleitet sein muss, das leitende Organ vielmehr diese Aufgabe auch unentgeltlich wahrnehmen kann, vor allem weil es etwa diese Dienste wie ein Komplementär durch die bezogenen Gewinne als „bezahlt“ ansieht oder weil ein besonderes Dienstverhältnis ohnehin mit einem Dritten, z. B. einem Gesellschafter12, besteht.
__________ 11 Vgl. BGH, Urt. v. 16.10.2006 – II ZR 101/05, DStR 2006, 2269. 12 Gerade in Konzernlagen begegnet diese Fallgestaltung öfter, indem der ohnehin bei der Muttergesellschaft Angestellte zugleich die Aufgabe übertragen erhält, die Geschäfte der Tochtergesellschaft zu leiten; bei Beendigung des Organverhältnisses tritt dann die typische Konstellation des „ruhenden Arbeitsverhältnisses“ auf, die in unserem Zusammenhang keiner näheren Erörterung bedarf.
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Ein nur aus der Sicht des Dienstverpflichteten zu rechtfertigender Anspruch auf Weiterbeschäftigung kann – immer wieder auftretenden Missverständnissen13 zum Trotz – deswegen aus der Beendigung des organschaftlich geprägten Dienstverhältnisses ebenso wenig hergeleitet werden, wie ein schwerbehinderter Geschäftsführer14 nach wirksamer Abberufung nicht verlangen kann, nach Beendigung des Dienstverhältnisses weiter besoldet zu werden. Die besondere Natur dieser Form von Anstellungsbeziehungen hat umgekehrt aber zur Folge, dass ein wirksam abberufenes Leitungsorgan nicht verpflichtet ist, während der Dauer des nach der Abberufung noch fortbestehenden Anstellungsvertrages15 – andere – Dienstleistungen zu erbringen, sondern für die verbleibende Dauer des Dienstvertrages alle in ihm begründeten Rechte behält, gegen seinen Willen aber zu keinerlei Tätigkeit für die Gesellschaft gezwungen werden kann, also sozusagen „auf Kosten der Gesellschaft spazieren gehen“ darf16.
III. Die Wahrung des Vorrangs der Organstellung trotz Zuerkennung von Arbeitnehmerschutzrechten Ungeachtet dieses Grundsatzes, dass danach in einem Fall, in dem das gesellschaftsrechtliche Organisationsrecht und die Berücksichtigung von Arbeitnehmerschutzrechten konfligieren, sich die Erfordernisse der Funktionsfähigkeit des Organverhältnisses durchsetzen, sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung dienstvertragliche Gestaltungen zu Gunsten des Organmitglieds akzeptiert worden, die sich weit von den eher unproblematischen Fragen des Pfändungsschutzes, der Urlaubsabgeltung, der Zeugniserteilung usw. entfernen, vielmehr den Kernbereich der organschaftlichen Bestellungs- bzw. Abberufungskompetenz berühren: Zu Gunsten von Mitgliedern von Leitungsorganen wendet – wie schon oben17 bemerkt – die höchstrichterliche Rechtsprechung die Regeln des BetrAVG dann an, wenn die betroffene Person „für“ ein anderes Unternehmen tätig ist und in dieser Funktion eine Versorgungszusage erhalten hat (§ 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG). Gerade für die Unternehmensleiter, die nur unwesentlich oder gar nicht an dem anstellenden Unternehmen beteiligt sind, insbesondere also für die Fremdgeschäftsführer hat dies besondere praktische Bedeutung. In der Praxis begegnen immer wieder Fälle, in denen die Gesellschaft – Entsprechendes gilt auch für andere Unternehmensformen wie Genossenschaften oder Spar-
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13 Vgl. z. B. BGH, Urt. v. 10.1.2000 – II ZR 251/98, DStR 2000, 564 m. Anm. W. Goette. 14 S. BGH, Urt. v. 16.10.2006 – II ZR 101/05, DStR 2006, 2269. 15 Vgl. § 38 Abs. 1 GmbHG: „… unbeschadet der Entschädigungsansprüche aus bestehenden Verträgen“ und dazu Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 2), § 38 Rz. 33 ff. 16 Paradigmatisch der Fall BGH, Urt. v. 10.1.2000 – II ZR 251/98, DStR 2000, 564, in dem die Organstellung durch Sparkassenfusion beendet wurde und der Kläger nur noch als stellvertretender Sparkassenvorstand, d. h. unterhalb der organschaftlichen Ebene beschäftigt werden konnte, gleichwohl aber alle Rechte aus seinem vom Senat als „freies Dienstverhältnis“ bezeichneten organschaftlichen Anstellungsvertrag behielt, ihm andererseits aber auch die Berufung auf §§ 4, 14 KSchG versagt wurde, als die Sparkasse die Kündigung des Dienstverhältnisses aussprach. 17 S. Text bei Fn. 10.
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kassen – die eigene Attraktivität für einen zu gewinnenden Manager dadurch erhöhen wollen, dass sie den versorgungsrechtlichen Teil des Anstellungsverhältnisses besonders großzügig18 ausgestalten. Das kann z. B. darin bestehen, dass man Vordienstzeiten bei einem anderen Arbeitgeber auf die Fristen nach § 1 BetrAVG anrechnet, die Versorgungszusage sofort unverfallbar stellt oder dem Geschäftsführer oder Vorstand sogar ein nach Beendigung des Dienstverhältnisses sofort – also unabhängig von der Erreichung einer bestimmten Altersgrenze – zu zahlendes „Ruhe“-Geld verspricht. Da das BetrAVG in seinem Geltungsanspruch zwingend nur ist, soweit es um die Unterschreitung der gesetzlich festgelegten Standards geht, niemandem aber verwehrt ist, sich freiwillig in weitergehendem Umfang dessen Regeln zu unterwerfen, akzeptiert die höchstrichterliche Rechtsprechung solche Vertragsgestaltungen und schützt die Manager, wenn sich die Unternehmen später aus diesen aus freien Stücken eingegangenen, aber dann nach dem BetrAVG zwingenden19 Bindungen lösen wollen. Für das Bestellungsorgan, das sich zu einem späteren Zeitpunkt mit der Frage konfrontiert sieht, ob es den Manager abberufen soll, etwa weil ihm die notwendige Kreativität und Weitsicht bei seinen Entscheidungen oder der geschickte Umgang mit Mitarbeitern oder Kunden abgeht, kurz weil ihm die Fortune fehlt, aber Gründe für eine Beendigung des Dienstverhältnisses durch fristlose Kündigung20 oder gar für einen „Widerruf“21 der Pensionszusage nicht vorliegen, entsteht vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung eine schwierige Lage: Trotz Beendigung des Organverhältnisses besteht, soweit nicht abweichende Regelungen getroffen sind, das Dienstverhältnis fort, so dass der abberufene Manager für die Restlaufzeit des Anstellungsvertrages Gehalt, Tantiemen usw. weiter bezieht und – wenn der Versorgungsfall sofort nach dem Ende des Dienstverhältnisses eintritt – anschließend sogleich seine Pension erhält. Das kann für die Gesellschaft in der Zukunft zu großen finanziellen Belastungen führen, wenn sie nicht bereits bei der Bestellung diese künftigen Lasten in einem Zuge abgedeckt hat; aber auch in diesem letzten Fall kann sich die finanziell abgewickelte „Investition“ in diesen Manager, der wegen
__________ 18 Vgl. etwa BGH, Urt. v. 16.3.2009 – II ZR 68/08, DStR 2009, 1211; BGH, Urt. v. 17.12.2001 – II ZR 222/99, DStR 2002, 412; später führt dies mitunter zu Vertragsreue, wenn sich der Umworbene nicht als so tüchtig herausstellt, wie man erwartet hat; dann wird manchmal erbittert durch die Instanzen um die Interpretation der Vertragsklauseln gekämpft und nicht selten sogar der allgemeine Auslegungsgrundsatz falsa demonstratio non nocet in Stellung gebracht, für dessen Anwendbarkeit indessen erst einmal die tatsächlichen Umstände bewiesen werden müssen. 19 Vgl. dazu Mephisto im Studierzimmer, Faust Z. 1412 (nach Trunz): „Das erste steht uns frei, beim zweiten sind wir Knechte“, wobei Mephisto immerhin noch auf demselben Weg den Raum verlassen konnte, auf dem er hereingeschlüpft war, eine Option die das freiwillig Leistungszusagen abgebende Unternehmen nicht hat. 20 Vgl. näher W. Goette, Die GmbH, 2. Aufl. 2002, § 8 Rz. 160 ff. 21 Einen „Widerruf“ im Sinne einer ex tunc wirkenden Kassation der Versorgungszusage kann es nicht geben, in Betracht kommt allenfalls und zwar nur in eng begrenzten Ausnahmefällen die Zulassung des Rechtsmissbrauchseinwands zu Gunsten des Unternehmens, vgl. z. B. BGH, Urt. v. 11.3.2002 – II ZR 5/00, DStR 2002, 1362.
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der vorzeitigen Beendigung des Organverhältnisses die erwartete „Rendite“ nicht erwirtschaftet, als ein so großer Fehlschlag22 erweisen, dass das Bestellungsorgan sich von der an sich für sinnvoll erachteten Abberufung abschrecken lässt. Auch in diesem Fall kann ein gewisser faktischer Zwang entstehen, den an sich im Interesse einer optimalen Wahrnehmung der organschaftlichen Leitungsaufgaben bestehenden Vorrang des Organverhältnisses nicht durchzusetzen, sondern in anderer Weise zu versuchen, die bestehenden Defizite auszugleichen. Gleichwohl ist einer solchen anstellungsvertraglichen Gestaltung die Anerkennung nicht versagt worden, die Rechtsprechung hat vielmehr sich das Schutzbedürfnis des „abhängigen“ Geschäftsführers oder Vorstandsmitglieds durchsetzen lassen. Das lässt sich nur mit dem Gedanken rechtfertigen, dass das Bestellungsorgan weiß oder doch wissen muss, welche Fesseln es sich anlegt, wenn es aus freien Stücken eine solche, weit über die arbeitnehmerschützenden Vorschriften des BetrAVG hinausgehende, großzügige Versorgungszusage erteilt. Ist dies der Geltungsgrund für das Zurückdrängen des Vorrangs des Organverhältnisses, hat dies zugleich zur Folge, dass er sich nur durchsetzen kann, soweit das Bestellungsorgan überhaupt die Befugnis für eine entsprechende Disposition ex ante hat. Dies wird man nur für die Gesellschafterversammlung der GmbH annehmen dürfen, die nach dem Gesetz als das zentrale Willenbildungsorgan der Gesellschaft anzusehen und als von der konkreten Zusammensetzung ihrer Mitglieder bestehende Dauerorganisation zu denken ist. Ihr ist – in der Auslegung des § 46 Nr. 5 GmbHG durch die höchstrichterliche Rechtsprechung, die damit den Gleichlauf zwischen Dienst- und Organverhältnis und die Entscheidungsfreiheit des Bestellungsorgans sicherstellen will23 – die Kompetenz nicht nur für Bestellung und Widerruf, sondern auch die für sämtliche Fragen der Anstellung übertragen; wenn sie in Ausübung dieser umfassenden Kompetenz Regelungen für das Anstellungsverhältnis vereinbart, die rein faktisch die Freiheit einschränkt, ohne weiteres von der nach dem Gesetz bestehenden Widerrufskompetenz Gebrauch zu machen, dann ist dies qualitativ nichts Anderes, als die Vereinbarung, den Geschäftsführer nur aus wichtigem Grund abberufen zu dürfen; sie wird von der der Gesellschafterversammlung eingeräumten Kompetenz ohne weiteres gedeckt. Dagegen können anstellungsvertragliche Gestaltungen, die den Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft faktisch zwingen würden, von seiner Abberufungskom-
__________ 22 In diesem Fall sind – jedenfalls bei vollständiger Abdeckung der finanziellen Belastungen durch die Versorgungszusage schon bei Abschluss des Vertrages – zwar künftige Zahlungspflichten aus dem Gesellschaftsvermögen nicht mehr zu erwarten, wirtschaftlich betrachtet hat die Gesellschaft dem Manager aber eine deutlich überhöhte Vergütung gezahlt, wenn man die Kosten für die Absicherung der Versorgungsansprüche pro rata temporis dem Gehalt zuschlägt. 23 BGH, Urt. v. 25.3.1991 – II ZR 169/90, NJW 1991, 1680; weitere Nachw. bei W. Goette (Fn. 20), § 8 Rz. 80 mit Fn. 189.
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petenz – und was dem gleichsteht: seiner Bestellungsbefugnis – nicht frei und unabhängig von dienstrechtlichen Einflussnahmen Gebrauch zu machen, nicht anerkannt werden24. Insofern kann nichts Anderes als im Verhältnis zwischen einem Aufsichtsratsausschuss und dem Plenum gelten, dessen Entscheidungsfreiheit nicht durch von dem Ausschuss vereinbarte anstellungsrechtliche Regelungen beeinträchtigt werden darf. Denn der jeweils im Amt befindliche Aufsichtsrat in der dann bestehenden Zusammensetzung hat bei Ende der Amtsperiode, längstens nach fünf Jahren autonom darüber zu befinden, ob der Vorstand erneut berufen und ob sein Dienstvertrag – ggfs. mit Änderungen – verlängert wird; so wie eine längere Vertragsdauer als fünf Jahre nach dem Grundgedanken des § 84 Abs. 3 Satz 5 AktG ausscheidet25, kann auch ein bloß faktisch wirkender Zwang auf den Aufsichtsrat rechtlich nicht anerkannt werden.
IV. Insbesondere: Die individualvertraglich vereinbarte Geltung des KSchG (oder von § 53 BAT) Ist danach – nicht für die Aktiengesellschaft, wohl aber für die GmbH – Geltungsgrund für die rechtliche Anerkennung freiwillig versprochener Versorgungsleistungen mit der Folge eines u. U. bestehenden faktischen Zwangs, den Geschäftsführer im Amt zu belassen, die Wahrnehmung der umfassenden Kompetenz durch das zuständige Gesellschaftsorgan, wirft dies die nunmehr zu beantwortende Frage auf, ob Entsprechendes auch in einem weiteren Umfang Geltung beansprucht, wenn der faktische Zwang nämlich nicht wegen in der Vergangenheit erbrachter Leistungen und zugehöriger Versprechen, sondern auch ohne künftige Leistungserbringung eintritt. Für einen gewissen Zeitraum nach Beendigung des das Dienstverhältnis prägenden Organverhältnisses sieht das Gesetz, wie oben ausgeführt, dies selbst vor. Die Frage geht deswegen dahin, ob Vertragsgestaltungen hingenommen werden können, die darüber hinaus zu einer Fortsetzung des „freien Dienstverhältnisses“ führen, dem die konstitutive Grundlage auf Dauer fehlt und die aus der Sicht der Gesellschaft sich auf eine weit in die Zukunft weisende Alimentation des Managers ohne jede Gegenleistung beschränken. Wenn man annimmt, es könne individualvertraglich die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes oder des § 53 BAT auf den GmbH-Geschäftsführer vereinbart werden, muss man sich mit eben dieser Konsequenz auseinandersetzen. Kann der abberufene Geschäftsführer sich etwa mit Erfolg darauf berufen, dass die Schutzvorschriften des Kündigungsschutzgesetzes zu seinen Gunsten eingreifen, läuft die Gesellschaft die oben genannte Gefahr, Vergütungsansprüche erfüllen zu müssen, ohne dafür irgend einen Gegenwert zu erhalten, weil der Geschäftsführer als Träger eines freien Dienstverhältnisses zu anderer Dienstleistung als der Führung der Geschäfte der Gesellschaft nicht verpflichtet ist, soweit nicht Abweichendes – etwa nach Art eines ruhenden oder dann erstmals in Kraft gesetzten
__________ 24 Vgl. BGHZ 79, 38, 41 f.; Habersack in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 107 Rz. 140. 25 Vgl. Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 84 Rz. 15.
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Arbeitsverhältnisses – vereinbart ist. Dramatischer noch kann sich Lage für die GmbH erweisen, wenn die Geltung des BAT vereinbart ist, der Geschäftsführer in jungen Jahren – etwa im Alter von 26 Jahren – berufen und sein Organverhältnis erst 15 Jahre später beendet wird: Dann ist der inzwischen 41 Jahre alte Geschäftsführer nach § 53 Abs. 3 BAT unkündbar. Die Antworten, wie mit diesem Problem umzugehen sind, fallen unterschiedlich aus. Das OLG Frankfurt26 und ihnen folgend Bauer/Chr. Arnold27 haben es für ausgeschlossen gehalten, dass die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes individualvertraglich vereinbart werden könne; ihre wesentliche Begründung orientiert sich an den oben unter II. dargestellten Prinzipien28, die auch auf diese anders gelagerte Fallgestaltung sollen übertragen werden müssen. Gesellschaftsrechtlich kann dem indessen nicht gefolgt werden. Mit der Einbeziehung des Kündigungsschutzgesetzes in den Dienstvertrag des klagenden Geschäftsführers wird nicht – auch nicht faktisch – in die Kompetenz des Bestellungsorgans zur Beendigung des Organverhältnisses eingegriffen; vielmehr übt die dafür allein zuständige Gesellschafterversammlung – wie oben beschrieben, als permanentes, unabhängig von der jeweiligen Zusammensetzung bestehendes Organ – seine Bestellungskompetenz sich selbst „fesselnd“ in der Weise aus, dass sie die sonst bestehende zeitliche Bindung des Anstellungsverhältnisses an das Dienstverhältnis zugunsten des Geschäftsführers auflöst, es also hinnimmt, ihm diesseits der Möglichkeit der Beendigung der Anstellung durch fristlose Kündigung u. U. auf Dauer die Ansprüche aus dem geschlossenen Vertrag erfüllen zu müssen. Die Gesellschafterversammlung verhält sich dann nicht anders, als schließe sie einen Dienstvertrag bis zur Erreichung des Pensionsalters des Geschäftsführers oder vereinbare – wie in dem vom OLG Köln entschiedenen Fall29 – die Geltung des § 53 Abs. 3 BAT. Aus dem Kündigungsschutzgesetz ergibt sich nichts Abweichendes30. Es ist – ähnlich wie das BetrAVG – ein einseitig zwingendes Gesetz und verbietet weder, seine Regelungen auf vertraglicher Grundlage auszudehnen, noch seine materiellrechtlichen Bestimmungen auch auf solche Personen zu erstrecken, die wie die Geschäftsführer einer GmbH ihnen kraft Gesetzes nicht unterstehen. Die vereinbarte Geltung der materiellen Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes wirft allerdings das Folgeproblem auf, ob damit auch auf die Auflösungsvorschriften der §§ 9, 10 KSchG verwiesen ist. Das kann man im Grundsatz nicht verneinen, weil das genannte Gesetz eine ausgewogene Balance zwischen den beteiligten Interessen herbeiführen will und das – allerdings durch richterlichen Akt zu vollziehende – Auflösungsrecht des Dienstherrn ein Aus-
__________ 26 Urt. v. 24.2.2009 – 5 U 193/07. 27 ZIP 2010, 709 ff. 28 Das OLG Köln (v. 30.10.2008 – 18 U 21/08) hat dagegen die Vereinbarung des BAT in einem Geschäftsführeranstellungsvertrag für wirksam erachtet und dem Geschäftsführer sogar einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung zuerkannt. 29 S. Fn. 28. 30 A. A. Bauer/Chr. Arnold (Fn. 27), S. 712 f.
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gleich dafür ist, dass sein Kündigungsrecht im Hinblick auf das als berechtigt angesehene Schutzbedürfnis des Dienstverpflichteten eingeschränkt ist. Dass für die Gesellschaft und den Geschäftsführer der Weg vor die Arbeitsgerichte verschlossen ist und deswegen der nach dem Gesetz vorgesehene richterliche Gestaltungsakt ausscheiden muss, kann selbstverständlich nicht bedeuten, dass dann das Lösungsrecht nicht besteht. Vielmehr muss die gesetzliche Anordnung sinnentsprechend umgesetzt werden, wie es der II. Zivilsenat in dem erwähnten Frankfurter Fall31 vorgezeichnet hat: Das angefochtene Urteil ist aufgehoben und der Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen worden, damit geklärt werden kann, ob die getroffenen Vereinbarungen – regelmäßig wird dies so sein, weil die Gesellschaft schwerlich den Geschäftsführer, dem sie schon die Wohltaten des Kündigungsschutzgesetzes zuteil werden lässt, nicht noch besser als einen normalen Arbeitnehmer behandeln will – dahin auszulegen sind, dass auch das Auflösungsrecht gegen Abfindung von der vereinbarten Einbeziehung der materiellen Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes umfasst ist. Es kommt aber natürlich auf die Vereinbarungen in dem jeweiligen Einzelfall an, die gegebenenfalls durch Auslegung zu ermitteln sind. In dem Kölner Fall32 hat der II. Zivilsenat durch Beschluss vom 1.3.201033, auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Gesellschaft die Revision allein wegen des vom Berufungsgericht zuerkannten Weiterbeschäftigungsanspruchs zugelassen, im übrigen aber die Beschwerde zurückgewiesen, womit der Senat dem OLG Köln im Ausgangspunkt – Anerkennung der Wirksamkeit der individualvertraglichen Einbeziehung des § 53 BAT in das Dienstverhältnis – folgt. Das steht in Einklang mit der Entscheidung zur individualvertraglich vereinbarten Geltung des Kündigungsschutzgesetzes und ist ein Beleg dafür, dass auch die Ausübung der Bestellungskompetenz im GmbH-Recht eine privatautonome – und bei Wahrung der allgemeinen Grenzen hinzunehmende – Entscheidung ist. Ob es sinnvoll ist, in dieser Weise zu verfahren, weil auch die Gesellschafterversammlung schwerlich weit in die Zukunft blicken kann, ist eine andere Frage.
V. Zusammenfassung Der Grundsatz über den Vorrang des Organverhältnisses vor dem Anstellungsverhältnis, der einer Heranziehung des Kündigungsschutzgesetzes zu Gunsten eines organschaftlichen Vertreters entgegensteht, gilt nur, soweit nicht Abweichendes vereinbart ist. solche Vereinbarungen, die den Dienstpflichtigen besser stellen und einen faktischen Zwang bei der Ausübung der Abberufungskompetenz entwickeln können, können im GmbH-Recht prinzipiell wirksam getroffen werden, im Aktienrecht sind sie dagegen rechtlich nicht anzuerkennen.
__________ 31 Fn. 26, vgl. BGH, Urt. v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, ZIP 2010, 1288. 32 Fn. 28. 33 II ZR 266/08, Revisionsverhandlung zur Weiterbeschäftigung ist im Herbst 2010 angesetzt.
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Zwölf Charakterköpfe: Die ersten Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof Inhaltsübersicht I. Stationen auf dem Weg zu einer Anwaltschaft beim Bundesgerichtshof 1. Die Vorrunde: Die Anwaltschaft beim OGH BritZ 2. Geborene und gekürte Revisionsanwälte II. Die Ahnengalerie: Zwölf Charakterköpfe 1. Prof. Dr. Hugo Conrad (1891–1960) 2. Dr. Julius Fuchslocher (1881–1969) 3. Dr. Adalbert Keil (1890–1968) 4. Prof. Dr. Hans Kirchberger (1884– 1968) 5. Dr. Hans Krille (1904–1984)
6. Prof. Dr. Dr. h.c. Philipp Möhring (1900–1975) 7. Paul Paulsen (1903–1977) 8. Prof. Dr. h.c. Herbert Schneider (1902–1981) 9. Justizrat Dr. Heinrich Schroembgens (1874–1956) 10. Curt Frhr. v. Stackelberg (1910– 1994) 11. Minister a. D., D. theol. h.c. Dr. Erwin Umhauer (1878–1961) 12. Dr. Bernhard Wieczorek (1907–1976) III. Vorbilder
Am 8. Oktober 1950 wurde in Anwesenheit der höchsten Repräsentanten der jungen Bundesrepublik der neu geschaffene Bundesgerichtshof in Karlsruhe feierlich eröffnet. Bundespräsident Theodor Heuss ergriff das Wort und beschwor die Tradition des Reichsgerichts. Kurz zuvor, am 1.10.1950, waren der erste Präsident des Bundesgerichtshofs, Dr. h.c. Hermann Weinkauff, und mit ihm die ersten Bundesrichter ernannt worden. Noch ohne Geltung einer Bundesrechtsanwaltsordnung und nur gestützt auf ein Provisorium waren in dieser Anfangsstunde des Bundesgerichtshofs bereits zehn Rechtsanwälte mit der neuen Bezeichnung Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof zugelassen worden. Zwei weitere sollten bis Jahresende folgen. Ein Blick auf diese Pioniere der Anwaltschaft beim Bundesgerichtshof bietet eine beeindruckende Rückblende auf einen bedeutenden Abschnitt der deutschen Justiz- und Anwaltsgeschichte in einem bewegten Jahrhundert mit bewegenden Lebensläufen. Keineswegs handelte es sich um eine homogene Mannschaft, die im Oktober 1950 das neue Spielfeld betrat. Sie setzte sich vielmehr aus recht unterschiedlichen Charakteren zusammen. Sieben der neu Ernannten waren zuvor beim Obersten Gerichtshof für die britische Zone (OGH BritZ) und drei beim Reichsgericht zugelassen gewesen, nur zwei von ihnen waren zuvor noch nicht bei einem Revisionsgericht tätig gewesen, darunter Prof. Dr. h.c. Herbert Schneider, der Vater des mit dieser Festschrift Geehrten. Einige von ihnen hatten noch im ersten Weltkrieg als Offiziere mit höchsten Tapferkeitsauszeichnungen gedient. Einer war schon vor dem ersten Weltkrieg an das Reichs363
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gericht berufen und von Kaiser Wilhelm II. zum Justizrat ernannt worden. Andere mussten aus rassischen Gründen Deutschland verlassen oder 1933 als Minister zurücktreten. Der älteste in dieser Zwölfer-Mannschaft war bei seiner Zulassung schon 76 Jahre alt, andere waren erst Anfang 40. Die Lebensläufe und die Wirkungsgeschichten dieser ersten Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof sind bisher nie dargestellt worden1. Sie legen Zeugnis ab für ein nobles Verständnis vom Beruf des Rechtsanwalts bei einem obersten Gerichtshof, vor allem aber von einer ungebrochenen Tradition des Revisionsanwalts. Sie alle standen im Dienst ihrer Mandanten. Keiner von ihnen aber war bloßer Dienstleister. Die folgenden Generationen der Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof haben sich diese erste Kernmannschaft des Jahres 1950 zu ihrem stillen Vorbild genommen. Das rechtfertigt nach einem Blick auf die besonderen Rahmenbedingungen im ersten Jahr nach Gründung der Bundesrepublik die Rückblende auf zwölf ungewöhnliche Charakterköpfe, die Gründergeneration einer eigenständigen Anwaltschaft beim Bundesgerichtshof.
I. Stationen auf dem Weg zu einer Anwaltschaft beim Bundesgerichtshof Mit der Besetzung Leipzigs im Frühjahr 1945 endete das bis dahin noch arbeitsfähige und sogar noch bis Ende März/April tagende Reichsgericht2. Mit dem Reichsgericht fand auch dessen Anwaltschaft 1945 ihr Ende. Zuletzt waren gerade noch 17 Rechtsanwälte am Reichsgericht zugelassen. Davon hatten drei ihre Tätigkeit in Leipzig noch nicht einmal aufgenommen. Zwei aus Österreich stammende Anwälte waren an einer Tätigkeit in Deutschland ab 1941 offenbar nicht mehr interessiert. Der Dritte hatte eine gutgehende Instanzpraxis in Hamburg, die aufzugeben er sich nicht entschließen konnte3. Alle übrigen waren geübte, ausschließlich auf dem Gebiet des Zivilrechts tätige Revisionsanwälte, denen mit der Schließung des Reichsgerichts ihr eigentlicher Beruf mit seinen Spezialkenntnissen entzogen worden war. Revisionsrecht, also Recht mit dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung, gab es nicht mehr. Jede Besatzungszone organisierte ihre Rechsprechung eigenständig. Entsprechendes galt für den Anwaltsberuf. 1. Die Vorrunde: Die Anwaltschaft beim OGH BritZ Der Weg zu einer eigenen Anwaltschaft beim Bundesgerichtshof führte zunächst über die Trümmer der Nachkriegszeit. Zwar wurden in den vier Besatzungszonen nach 1945 schon sehr bald Regelungen über die Zulassung und die
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1 Der Beitrag stützt sich weitgehend auf die bei der Rechtsanwaltskammer bei dem Bundesgerichtshof noch vorliegenden Personalakten und die im Bundesarchiv Koblenz verwalteten Akten des BMJ. 2 RGZ 173, Einleitung, Fn. 2, Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen, fortgeführt für die Zeit von Jan. 1944 bis März 1945 von W. Schubert, 2008. 3 Hierzu und zu den weiteren Schicksalen vgl. die Erklärungen des Präsidenten der Rechtsanwaltskammer bei dem Bundesgerichtshof vom 21.10.1959 gegenüber dem Landgericht Karlruhe zu AZ O (E I) 629/58).
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Zwölf Charakterköpfe: Die ersten Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof
Ausübung des Anwaltsberufes erlassen, die von modifizierten Übernahmen der alten RAO 1878 über Neuschöpfungen bis hin zu Entwürfen über eine deutschlandweite Geltung eines Gesetzes betreffend den Wiederaufbau der deutschen Rechtsanwaltschaft reichten4. Insgesamt zehn verschiedene Rechtsanwaltsordnungen galten allein in den Westzonen, deren Geltungsbereiche sich teilweise auf die einzelnen Länder, teilweise auf das Gesamtgebiet der jeweiligen Besatzungszone und teilweise auch überzonal erstreckten5. Gemeinsame Wurzeln waren zwar noch erkennbar. Vieles hatte sich jedoch schon auseinanderentwickelt. Die Vorstellung von der Freiheit der Advokatur konnte angesichts eines zum Teil geltenden numerus clausus, vielfältig strukturierter Probeoder Anwärterdienste, unterschiedlich geregelter Voraussetzungen für die Zulassung zum Oberlandesgericht und schließlich eines weitgehend fehlenden Rechtsanspruchs auf Zulassung kaum Geltung für die Zukunft beanspruchen. Anwaltliches Berufsrecht blieb jedenfalls anfangs weitgehend unmittelbares oder mittelbares Besatzungsrecht. Dennoch regte sich besonders in den wirtschaftlichen Zentren der britischen Besatzungszone schon bald die Hoffnung, dass mit der erwarteten Gründung der Bundesrepublik auch die Rechtseinheit zumindest auf dem Gebiet der bisherigen Westzonen wiederhergestellt werde. Durch eine Verordnung des Zentral-Justizamts für die britische Zone vom 17.11.1947 wurde ein oberster Gerichtshof für die Britische Zone (OGH BritZ) errichtet6, dessen Sitz Köln war und der am 1.1.1948 seine Tätigkeit aufnahm. In den §§ 27–32 dieser Verordnung wurden Zuständigkeit und Verfahren dieses ersten Revisionsgerichts in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten in der britischen Besatzungszone in enger Anlehnung an die Bestimmungen über die Revision zum Reichsgericht geregelt. Zugleich wurde bei dem OGH BritZ mit der Verordnung eine eigene geschlossene Rechtsanwaltschaft eingerichtet, deren unübersehbares Vorbild die Anwaltschaft beim Reichsgericht war: § 20 Die Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Obersten Gerichtshof und die Bestellung eines Stellvertreters erfolgt durch den Präsidenten des Zentral-Justizamts nach Anhörung der Vereinigung der Vorstände der Anwaltskammern. Die Zulassung als Rechtsanwalt setzt die Vollendung des 35. Lebensjahres voraus. § 21 Die Zulassung als Rechtsanwalt beim Obersten Gerichtshof ist mit der Zulassung als Rechtsanwalt bei einem anderen Gericht unvereinbar. Die bei dem Obersten Gerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte dürfen bei keinem anderen Gericht auftreten. § 22 Eine Übertragung der dem Prozeßbevollmächtigten zustehenden Vertretung auf einen bei dem Obersten Gerichtshof nicht zugelassenen Rechtsanwalt findet nicht statt. § 23 Die Anwaltskammer bei dem Obersten Gerichtshof wird durch die Rechtsanwälte gebildet, die bei ihm zugelassen sind.
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4 Eingehend F. Busse, Deutsche Anwälte, Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945–2009, Entwicklungen in Ost und West, 2010, S. 43 ff.; F. Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte 1871–1971, 1971, S. 312 ff. 5 E. Friesenhahn, Zur Neuordnung des Anwaltsrechts, NJW 1949, 701, Fn. 2. 6 VOBl BritZ 1947, S. 149.
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Die Entwicklung ging schnell weiter. Die Gründung der Bundesrepublik stand bevor. Am 10.3.1949 erließ der Präsident des Zentral-Justizamtes für die Britische Zone, W. Kiesselbach, mit Zustimmung der Militärregierung eine Rechtsanwaltsordnung für die Britische Zone7. Dabei handelte es sich um eine 126 Paragraphen umfassende abschließende Regelung des Anwaltsrechts. Im Abschnitt E. wurden die den OGH BritZ betreffenden Bestimmungen der §§ 20– 24 der Verordnung vom 17.11.1947 nahezu wörtlich übernommen. Es war ein geschlossenes Konzept einer neuen Anwaltsordnung entstanden, die durchaus Pate stehen sollte für die Zukunft, der allerdings folgender Nachsatz beigegeben war: „Auf Anordnung der Militärregierung wird bekanntgegeben, daß diese Verordnung so lange in Geltung bleibt, bis sie – nach Veröffentlichung des Besatzungsstatutes und des Grundgesetzes – durch die zuständigen deutschen Gesetzgebungsorgane geändert wird.“
Damit war klargestellt, dass die Anwaltschaft beim OGH BritZ eine in Wartestellung verharrende Quasi-Reichsgerichtsanwaltschaft ohne Reichsgericht war. Sie darf zu Recht nicht nur als das Bindeglied zum Reichsgericht, sondern auch als der strukturelle Vorläufer und die personelle Keimzelle der Anwaltschaft beim Bundesgerichtshof gelten. Während ihrer ephemeren Existenz zählte diese Rechtsanwaltskammer beim OGH BritZ kaum mehr als zehn Mitglieder. Mit Erlass des Grundgesetzes sah Art. 96 Abs. 1 GG die Errichtung eines oberen Bundesgerichts für die ordentliche Gerichtsbarkeit vor. Gemäß Art. 74 Ziff. 2 GG war das Berufsrecht der Rechtsanwälte der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes zugeordnet. Der Grundgesetzgeber selbst hatte durch Art. 125 Ziff. 1 und 2 GG eine vorläufige Regelung getroffen, indem er das am 23.5.1949 geltende Anwaltsrecht zum Bundesrecht erhob8. Eine bundeseinheitliche Rechtsanwaltsordnung wurde zwar alsbald in Angriff genommen, aber erst 1959 vollendet. Eine zumindest vorläufige Regelung musste getroffen werden. Durch das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12.9.1950 wurde durch Neufassung des IX. Titels des GVG der Bundesgerichtshof mit Sitz in Karlsruhe errichtet und die entsprechenden gerichtsverfassungsrechtlichen und zivilprozessualen Regeln für die Revision beim Bundesgerichtshof neu gefasst9. Erst in den Schlussund Übergangsvorschriften wurde unter Art. 8 III. die Zulassung der Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof wie folgt geregelt: III.89: „Bis zum Inkrafttreten einer Bundesrechtsanwaltsordnung gelten für die Zulassung der Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof die folgenden Vorschriften: Die Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof und die Bestellung eines Vertreters erfolgt durch den Bundesminister der Justiz nach Anhörung der Vereinigung der Anwaltskammervorstände im Bundesgebiet.
__________ 7 VOBl BritZ 1949, S. 80, 93. 8 E. Friesenhahn (Fn. 5), 701. 9 BGBl. 1950, S. 455, 509.
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Zwölf Charakterköpfe: Die ersten Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof Als Rechtsanwalt kann nur zugelassen werden, wer das 35. Lebensjahr vollendet hat. Ein Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof darf nicht zugleich bei einem anderen Gericht zugelassen sein. Die bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte dürfen vor einem anderen Gericht nicht auftreten. Der Bundesminister der Justiz kann jedoch für das Auftreten vor bestimmten Gerichten allgemeine Ausnahmen zulassen. Der Prozeßbevollmächtigte kann die Vertretung, die ihm zusteht, auf einen bei dem Bundesgerichtshof nicht zugelassenen Rechtsanwalt nicht übertragen. Die Rechtsanwaltskammer bei dem Bundesgerichtshof wird durch die Rechtsanwälte gebildet, die bei ihm zugelassen sind.“
Damit war das 1878 nach einer heißen parlamentarischen Debatte unter Führung des Abgeordneten Windthorst abgelehnte Bismarck’sche Modell in einer neuen Variante wieder aufgelebt10. Das schon beim Reichskammergericht, dem Reichshofrat, dem Preußischen Obertribunal und vor allem beim Reichsgericht bestehende Prinzip einer besonderen Anwaltschaft bei dem Obersten Gerichtshof wurde aufrechterhalten. Bei der Auswahl der Bewerber sollten die Anwaltskammern zwar angehört werden; die Letztentscheidung lag jedoch bei dem Bundesminister der Justiz. Das Gesetz trat am 1.10.1950 in Kraft. Tags darauf wurden die ersten Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof ernannt. 2. Geborene und gekürte Revisionsanwälte Das erste Bewerbungsverfahren war dadurch geprägt, dass es in der aus heutiger Sicht ungewöhnlich kurzen Zeit von wenigen Monaten unter der Federführung des damals sog. Justizdirigenten im Bundesministerium der Justiz Dr. Georg Petersen zu einem abschließenden Ergebnis kam. Die kurze Bearbeitungsdauer hatte ihren Grund. Dr. Petersen waren die Verhältnisse beim Aufbau einer neuen Revisionsinstanz mit einer eigenen Anwaltschaft bestens bekannt. Er war selbst seit 1929 bis zum Kriegsende als Rechtsanwalt am Reichsgericht zugelassen gewesen11. Das Bewerbungsverfahren und die angelegten Auswahlkriterien waren ein Spiegel der Zeit. Die Zahl der Bewerber aus allen Teilen Westdeutschlands und aus Berlin war groß. Die Bewerbungsschreiben gingen zum Teil unmittelbar beim Bundesministerium der Justiz, zum Teil auch bei den einzelnen Anwaltskammern und bei der „Arbeitsgemeinschaft der Anwaltskammervorstände im Bundesgebiet“ ein12. Die Bewerbungen selbst beschränkten sich zu-
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10 Hierzu demnächst N. Gross, Die Anwaltschaft am Reichsgericht und Die Anwaltschaft beim Bundesgerichtshof in: Anwälte und ihre Geschichte, 2011; W. Nassall, Die Rechtsanwaltschaft beim BGH in rechtshistorischer Sicht, JZ 2009, 1086. 11 Dr. Georg Petersen (1889–1958) in FORTITUDO TEMPERANTIA. Die Rechtsanwälte am Reichsgericht und beim Bundesgerichtshof. Festgabe zu 50 Jahren Bundesgerichtshof, 2000, S. 348, Nr. 68. 12 Die aus der Britischen Zone hervorgegangene Vereinigung, die seit 1948 die Rechtsform einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft hatte, entwickelte sich durch die Mitarbeit der Vertreter von Kammern aus der amerikanischen und der französischen Zone sowie Berlin schnell zu einer Arbeitsgemeinschaft, die bis 1959 die Aufgaben einer Dachorganisation der Kammern wahrnahm, näher F. Busse (Fn. 4), S. 141 ff.
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meist auf ein kurzes Anschreiben. Den Bewerbern wurde aufgegeben, besondere Befähigungen und wissenschaftliche Leistungen anzuführen. Die Kammern wurden ihrerseits gebeten, die Gesuche mit einer eingehenden Beurteilung der Person des Bewerbers nach Charakter und Fähigkeiten und unter Beifügung der Personalakten der Vereinigung der Anwaltskammervorstände zuzuleiten. Der vorbereitete Bewerber-Fragebogen enthielt neben den üblichen Rubriken Fragen nach der Religionszugehörigkeit, nach dem letzten anwaltlichen Jahreseinkommen, jedoch noch keine Frage nach der Zugehörigkeit zu NS-Organisationen. Die Vielzahl der Bewerber wurde in Listen zusammengefasst und anlässlich einer Sondertagung am 27.8.1950 behandelt. Die von der Arbeitsgemeinschaft befürworteten Bewerber wurden eingeteilt in 1. frühere Rechtsanwälte beim Reichsgericht, 2. Rechtsanwälte beim OGH BritZ und 3. sonstige Bewerber, letztere nach Bundesländern geordnet. Eine besondere Gruppe betraf die Bewerber aus sonstigen Gebieten, d. h. sog. „Flüchtlingsanwälte“ einschließlich Berlin. Das Protokoll13 vermerkt den Beschluss, dass Bewerbern, die früher am Reichsgericht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen waren, ein Vorzugsrecht zwar nicht zustehe, es jedoch wünschenswert sei, durch Zulassung einiger ehemaliger Reichsgerichtsanwälte die Tradition des Reichsgerichts fortzusetzen. Hinsichtlich der Anwaltschaft am OGH BritZ wurde dem Grundsatz zugestimmt, diese „geschlossen zum Bundesgerichtshof zuzulassen“. Die geschlossene Übernahme der Bewerber wurde insbesondere damit begründet, dass die derzeitigen Mitglieder der Anwaltschaft am OGH BritZ sich seinerzeit einem ungewissen Schicksal gegenübergesehen und sich trotzdem für diese Aufgabe in der Erwartung zur Verfügung gestellt hätten, dass sie bei der Errichtung eines Bundesgerichtshofs bei diesem zugelassen würden. Außerdem liege es im Interesse der Rechtspflege, wenn dieser Stamm mit seiner Kenntnis und Erfahrung in Revisionssachen bei dem Bundesgerichtshof seine Tätigkeit fortsetze. Die dem Bundesministerium der Justiz nach Beratung durch die Arbeitsgemeinschaft übersandten Beurteilungen waren knapp, zum Teil von schneidender Schärfe, aber gerade deshalb aussagefähig. Anfang September 1950 fand eine Besprechung statt, die einer etwaigen politischen Belastung der Bewerber galt14. Es wurde unterschieden in Parteigenossen von 1933, von 1937 oder später und solchen, deren Datum des Parteieintritts oder der Parteizugehörigkeit nicht bekannt war. Es galt die Sorge, dass nur zuverlässig entnazifizierte Bewerber zugelassen werden. Ein später eigens entworfener Personalbogen, der in gleicher Weise wohl auch für die Bewerbungen der Richter und Beamten verwendet wurde, wies unter Ziff. 25–27 eine Rubrik zu Angaben über die Mitgliedschaft in NS-Organisationen sowie das „Ergebnis der Entnazifizierungsverfahren (politische Überprüfung)“ und die Bestätigung
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13 Anlage 2 des Schreibens der Arbeitsgemeinschaft der Anwaltskammervorstände vom 1.9.1950: Bericht über die Ausschußsitzung vom 26.8.1950 und Anlage 3 mit Beschluß Ziff. 1a) (ehem. Reichsgerichtsanwälte) und Ziff. 1b) (ehem. OGH-Anwälte); Bundesarchiv Koblenz B 141, Akten 3173/1, Bd. 1, 1950, TgbNr. 1871, Bl 56, 57. 14 Das Verzeichnis der befürworteten Bewerber (Anlage 1) weist S. 4 auf, dass „vorstehende Bewerber sämtlich politisch unbedenklich“ sind; Bundesarchiv Koblenz B 141, Akten 3173/1, Bd. 1, 1950, TgbNr. 1871, Bl 37, 40.
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durch die Besatzungsmacht aus. Bestanden Zweifel, wurde nachgefragt, aber nicht nachgeforscht. Man verließ sich auf das gegebene Wort15. Hinzu kam, dass einerseits eine angemessene regionale Verteilung der Bewerber erreicht werden sollte; andererseits bestand jedoch ein stillschweigendes Einvernehmen darüber, dass den Rechtsanwälten beim OGH BritZ in Köln, die den Wechsel zum Bundesgerichtshof mit vollziehen wollen, ein Vorrang eingeräumt wird. Sie wurden, zumal sich einige Reichsgerichtsanwälte darunter befanden, als eine Art „geborene Revisionsanwälte“ angesehen. Auch war die Frage zu entscheiden, wie ehemalige jüdische Rechtsanwälte, die aufgrund der Rassengesetze ihre Zulassung verloren hatten und emigriert waren16, behandelt werden sollen. Schließlich machten die Vertriebenenverbände ihren Einfluss geltend, dass auch sog. „Flüchtlingsanwälte“ entsprechend dem Prozentsatz der Vertriebenen an der Gesamtbevölkerung beim Bundesgerichtshof zugelassen werden sollen17. Den Umständen der Zeit geschuldet ist schließlich der Umstand, dass das Bundesministerium der Justiz als letztentscheidende Behörde sich kaum einen eigenen persönlichen Eindruck von den Bewerbern machen konnte. Die Ernennungen erfolgten vielmehr nach Aktenlage, d. h. nach Papierform. Erleichtert wurde dieses in nur wenigen Monaten durchgeführte Zulassungsverfahren vor allem dadurch, dass der maßgebliche Ministerialbeamte im Bundesministerium der Justiz, Dr. Georg Petersen, als ehemaliger Reichsgerichtsanwalt fast alle schließlich ernannten Bewerber persönlich kannte. Auf zwei langen Listen wurden sämtliche befürworteten und abgelehnten Bewerber aufgeführt, denen jeweils ein Kurzvotum zugeordnet war18.
II. Die Ahnengalerie: Zwölf Charakterköpfe Am 2.10.1950 und in den folgenden Tagen wurden die ersten zehn Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof zugelassen. Sieben der neu Ernannten waren zuvor beim OGH BritZ (Prof. Dr. Hugo Conrad, Dr. Adalbert Keil. Dr. Hans Krille, Prof. Dr. Dr. h.c. Philipp Möhring, Paul Paulsen, JR Dr. Heinrich Schrömbgens, Dr. Bernhard Wieczorek), drei beim Reichsgericht (Prof. Dr. Hugo Conrad, Dr. Fuchslocher, JR Dr. Heinrich Schrömbgens) zugelassen gewesen. Nur zwei (D. Dr. Erwin Umhauer, Prof. Dr. h.c. Herbert Schneider) kamen weder vom Reichsgericht noch vom OGH BritZ. Prof. Dr. Hans Kirch-
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15 So genügte z. B. die gegenüber dem Präsidenten des Bundesgerichtshofs abgegebene Erklärung, dass der Bewerber in der Zeit seines richterlichen Einsatzes in Polen niemals ein Todesurteil gefällt habe, näher N. Gross (Fn. 10). 16 Soweit ersichtlich, lagen anfangs außer von dem ehemaligen Reichsgerichtsanwalt Prof. Dr. Kirchberger nur ganz wenige entsprechende Bewerbungen vor. Erst später wurde der gleichfalls aus der Emigration zurückgekehrte ehem. Berliner Anwalt Dr. Kurt Werthauer (1890–1965) am 31.1.1952 als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof zugelassen. 17 Hierzu N. Gross (Fn. 10). 18 Anlagen 1 und 4 zum Schreiben der Arbeitsgemeinschaft der Anwaltskammervorstände an das Bundesjustizministerium vom 1.9.1950; Bundesarchiv Koblenz B 141, Akten 3173/1, Bd. 1, 1950, TgbNr. 1871, Bl 34–64.
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berger, ehemaliger Reichsgerichtsanwalt, war zwar mit den allerersten am 2.10.1950 ernannt worden, konnte aber aus persönlichen Gründen erst im Frühjahr 1951 eingetragen werden und die Kanzlei eröffnen. Zum Jahresende trat noch Curt Frhr. v. Stackelberg hinzu. Damit waren es zwölf. Sie alle hatte ihre Neigung zum Revisionsrecht und ihr Wille zur Anknüpfung an die Tradition des Reichsgerichts in das ihnen zumeist völlig unbekannte Karlsruhe geführt. 1. Prof. Dr. Hugo Conrad (1891–1960) Hugo Conrad war bei seiner Zulassung zum Bundesgerichtshof 59 Jahre alt. Am 4.4.1891 in Köslin geboren, nahm er am ersten Weltkrieg als Reserveoffizier mit hohen Auszeichnungen teil. 1913 bestand er am OLG Stettin die erste und – als Weltkriegsveteran – 1920 beim Preußischen Justizministerium die zweite Staatsprüfung. 1921 wurde er als Rechtsanwalt beim Amts- und Landgericht Stettin und ab 1923 beim dortigen Oberlandesgericht zugelassen. 1934 wurde er als Rechtsanwalt an das Reichsgericht in Leipzig berufen, bei dem er bis 1945 tätig war. Da eine Rückkehr nach Stettin ausgeschlossen war, musste sich Hugo Conrad einen neuen Wirkungskreis erarbeiten. 1945/1946 wurde er Dezernent bei der Stadt Oldenburg, ab 1946 Richter am Landgericht Oldenburg und Vorsitzender des Verwaltungsgerichts Delmenhorst-Oldenburg. Mit Eröffnung des OGH BritZ in Köln fand Hugo Conrad wieder zu seiner Berufung als Revisionsanwalt zurück und wurde dort am 19.12.1947 zugelassen. Schon damals war absehbar, dass der für acht OLG-Bezirke, nämlich Braunschweig, Celle, Düsseldorf, Hamburg, Hamm, Kiel, Köln und Oldenburg eingerichtete und mit Wirkung ab 1.1.1948 als erste und einzige Revisionsinstanz eingerichtete OGH BritZ mit seiner Anwaltschaft nur den Übergang zu einer nach Gründung der Bundesrepublik vorgesehenen bundeseinheitlichen Revisionsinstanz mit einer eigenen Anwaltschaft bilden sollte. Am 3.10.1950 wurde Hugo Conrad in die Liste der beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte eingetragen. Als seine Spezialgebiete nannte er bei seinem Antrag vom 13.7.1950 das Versicherungsrecht, das Schifffahrtsrecht, das Landwirtschaftsrecht und den Zivilprozess. Über zehn Jahre lang hat Hugo Conrad beim Bundesgerichtshof eine erfolgreiche Revisionspraxis geführt. Daneben hat er viele Jahre hindurch zunächst als Lehrbeauftragter und seit Frühjahr 1953 als Professor für Bürgerliches Recht an der Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft in Wilhelmshaven-Rüstersiel gewirkt. Nach langer und schwerer Krankheit ist Prof. Dr. Hugo Conrad am 17.12.1960 in Karlsruhe verstorben. Seine Kollegen haben ihn in einem Nachruf in der NJW19 als eine Persönlichkeit von hohem Rang gewürdigt, der die Kunst des Revisionsanwalts in selten erreichter Meisterschaft beherrscht habe und hinzugefügt, dass sie in ihm einen großen Juristen, einen lieben Kollegen und guten Freund, die Schriftleitung der NJW zudem einen hochgeschätzten Mitarbeiter verloren haben.
__________ 19 Nachruf, NJW 1961, 112.
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2. Dr. Julius Fuchslocher (1881–1969) Julius Fuchslocher wurde am 25.9.1881 in Fulda geboren. Bei seiner Zulassung als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof war er bereits 69 Jahre alt und konnte auf ein reiches Anwaltsleben zurückblicken. Nach dem Besuch der Universitäten in Bonn und München bestand er 1903 das Referendarexamen in Köln, promovierte 1905 Erlangen zum Dr. jur. und legte 1908 in Berlin das zweite juristische Staatsexamen ab. Sofort nach bestandenem Examen trat Julius Fuchslocher als wissenschaftlicher Mitarbeiter – damals Hilfsarbeiter genannt – in die wirtschaftsrechtlich orientierte Praxis des Rechtsanwalts beim Oberlandesgericht Köln, Prof. Dr. Flechtheim, ein und wurde nach seiner Zulassung als Rechtsanwalt beim Oberlandesgericht am 3.11.1908 dessen Sozius. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs ging Prof. Dr. Flechtheim in die Industrie und überließ Dr. Julius Fuchslocher die gesamte Praxis. Von 1915 bis Kriegsende nahm dieser als Angehöriger des kaiserlichen Kraftfahr-Corps am Ersten Weltkrieg teil. Am 4.12.1925 wurde Dr. Julius Fuchslocher als Rechtsanwalt am Reichsgericht zugelassen. Er hatte sich beworben, weil damals ein Rechtsanwalt mit Spezialkenntnissen auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes gesucht und ihm im Sommer 1925 die Bewerbung nahegelegt worden war. 20 Jahre lang bis zum Ende des Reichsgerichts war Dr. Julius Fuchslocher vor allem auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes sowie des Urheberrechts beim Reichsgericht tätig. Schon seit seiner Zeit als Kölner OLG-Anwalt war Fuchslocher Mitglied der sächsischen Sachverständigenkammer für Werke der Literatur und zuletzt mehrere Jahre deren Vorsitzender. Er war ferner Mitglied des Deutschen Vereins für den Schutz des gewerblichen Eigentums sowie der Internationalen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz. In dieser Eigenschaft hatte er wiederholt an in- und ausländischen Kongressen teilgenommen und war ferner Mitglied des Fachausschusses für Patent- und Gebrauchsmusterrecht der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, deren Ehrenmitglied er wurde sowie Mitglied des Sonderausschusses für Verfahrensfragen im gewerblichen Rechtsschutz. Nach Kriegsende ließ sich Dr. Julius Fuchslocher für kurze Zeit als Rechtsanwalt in Frankfurt am Main nieder und bewarb sich am 30.6.1950 um eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof. Als anwaltliche Spezialgebiete nannte er wiederum das Patentrecht, den gewerblichen Rechtsschutz und das Urheberrecht. Mit Gründung des Bundesgerichtshofs wurde er in die Liste der Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof eingetragen. Er war Mitbegründer der Karlsruher Juristischen Studiengesellschaft und Ehrenmitglied der Deutschen Vereinigung für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberecht. Dr. Julius Fuchslocher ist 1969 in seinem 88. Lebensjahr verstorben. Er konnte auf 60 Jahre Anwaltstätigkeit, davon 20 Jahre beim Reichsgericht und 18 Jahre beim Bundesgerichtshof und auf eine außerordentlich umfangreiche und erfolgreiche Praxis, insbesondere auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts zurückblicken. Der damalige
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Kammerpräsident Curt Frhr. v. Stackelberg20 hat ihn als den geborenen Revisionsanwalt und einen Grandseigneur alter Schule ohne leeren Formalismus gewürdigt und auf einen Umstand hingewiesen, den der persönlich zurückhaltende Verstorbene gewiss nicht an die große Glocke gehängt hat. Da ihm in seiner fast 65-jährigen Ehe Kinder versagt geblieben waren, scharte er begabte Kinder in finanziell bedrängter Lage um sich und stellte ihnen die Mittel zu einer ihren Anlagen entsprechenden beruflichen Ausbildung zur Verfügung. Für sie war er bis zu seinem Tode der Onkel Julius. Bei karitativen Herausforderungen ungemein großzügig, war Dr. Julius Fuchslocher sich selbst gegenüber äußerst bescheiden und sparsam. Dem Personalbogen der Kammer waren 1950 Lichtbilder beizufügen. Dieser kostspieligen Pflicht entledigte sich Dr. Julius Fuchslocher mit einem Lichtbild aus dem Jahre 1944, das ihn vom Reichsgericht in Leipzig über die Flucht und Neubeginn bis zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe begleitet hatte21. Das am 16.3.1945 mit einem letzten Eintrag abgeschlossene Fristenbuch des Reichsgerichtsanwalts22 holte der neu zugelassene BGH-Anwalt im Oktober 1950 wieder hervor, um es mit dem ersten Mandat beim Bundesgerichtshof nahtlos fortzuführen. Die fünf Jahre dazwischen zählten nicht. Der neue Bundesgerichtshof war für Dr. Julius Fuchslocher das Reichsgericht der jungen Bundesrepublik. 3. Dr. Adalbert Keil (1890–1968) Adalbert Keil wurde am 3.5.1890 als Sohn eines evangelischen Pfarrers in Königsberg/Pr. geboren. Am 25.5.1911 bestand er mit 21 Jahren sein Referendarexamen bei dem Oberlandesgericht in Königsberg mit dem Prädikat „mit Auszeichnung“ und am 30.11.1915 sein Assessorexamen in Berlin. Im gleichen Jahr wurde er an der Universität in Würzburg zum Dr. jur. et rer. pol. promoviert. Einer kurzen Tätigkeit als Gerichtsassessor in der Justiz folgte ab 1.1.1916 die Einstellung als Justitiar bei der Firma Friedrich Krupp AG in Essen. 1918 wurde er mit gerade 28 Jahren Prokurist bei Friedrich Krupp, war daneben aber auch als Rechtsanwalt beim Landgericht in Essen zugelassen. Im Jahre 1929 entschloss sich Dr. Adalbert Keil, der Industrie den Rücken zu kehren, und, seiner Begabung und Berufung folgend, eine eigene Anwaltspraxis in Berlin zu gründen. Im Juli 1931 wurde er zum preußischen Notar bestellt. Die 1933/1934 erwogene Zulassung zur Rechtsanwaltschaft am Reichsgericht scheiterte daran, dass Dr. Adalbert Keil sich geweigert hatte, der NSDAP beizutreten. Er blieb daher mit seiner auf allen Gebieten des Wirtschaftsrechts blühenden Kanzlei in Berlin. Nach 1945 wurde Dr. Adalbert Keil nach einem kurzen Zwischenspiel als Rechtsanwalt in Wuppertal ab 1.1.1948 beim OGH BritZ in Köln zugelassen und bekleidete dort von Anfang an das Amt des Präsidenten der Rechtsanwaltskammer beim OGH BritZ. In dieser Eigenschaft war er seit Beginn an
__________ 20 Nachruf, NJW 1969, 1525. 21 In den Personalakten Dr. Julius Fuchslocher mit handschriftlicher Datierung 1944. 22 In Privatbesitz.
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den Planungen für den Aufbau einer künftigen Anwaltschaft beim Bundesgerichtshof beteiligt. Am 3.10.1950 wurde er mit sechs weiteren Kollegen vom OHG BritZ beim Bundesgerichtshof zugelassen. 17 Jahre lang bekleidete er vom ersten Tag an bis zu seinem Ableben auch beim Bundesgerichtshof das Amt des Präsidenten der Rechtsanwaltskammer und 1954–1962 zudem in Personalunion das des Vorsitzenden des Vereins der beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte. Dr. Adalbert Keil war der geborene Präsident. Sein Stil, die Kraft seines Wortes, seine besondere Persönlichkeit und die Klarheit seiner Ausführungen wurden von seinen Kollegen neidlos bewundert23. Er wirkte in der Vorläuferorganisation, der „Arbeitsgemeinschaft der Anwaltskammervorstände im Bundesgebiet“, und danach in der Bundesrechtsanwaltskammer an führender Stelle mit und war zudem Vorsitzender zahlreicher Kommissionen und Arbeitskreise, deren Ergebnisse das anwaltliche Berufsrecht auf lange Zeit geprägt haben. Über seine rein anwaltliche Tätigkeit hinaus war Dr. Adalbert Keil auch ein erfahrener Mann der Wirtschaft. Über lange Zeit gehörte er den Aufsichtsräten führender Gesellschaften an. Seit 1928 war er Mitglied im Gruben-Vorstand der Gewerkschaft „Eisenhütte Westfalia“ in Lünen/Westf. Unter äußerstem persönlichem Einsatz führte er die Gesellschaft erfolgreich durch die Weltwirtschaftskrise 1929–1931 und war danach zehn Jahre lang der Vorsitzende des Gruben-Vorstandes. In dieser Zeit hat die Gesellschaft ihre größte Entwicklung erfahren und ist zu einem der führenden Bergbau-Zuliefer-Unternehmen in Deutschland mit weltweiter Anerkennung herangewachsen. Am 1.5.1968 ist Dr. Adalbert Keil in Karlsruhe verstorben, nicht nur ein glänzender Jurist, der das Wirtschaftsleben aus der Binnensicht kannte, sondern auch einer der Pioniere beim Wiederaufbau eines eigenständigen deutschen Anwaltsrechts nach dem Kriege. 4. Prof. Dr. Hans Kirchberger (1884–1968) Hans Kirchberger wurde am 14.3.1884 in Niederlahnstein geboren24. Von 1910–1932 war er als Rechtsanwalt bei dem Amts- und Landgericht und ab 1921 zudem als Notar in Leipzig tätig. Am 10.2.1932 wurde er als Rechtsanwalt am Reichsgericht zugelassen. Hans Kirchberger war 1927 an der Handelshochschule in Leipzig habilitiert worden und erhielt dort einen Lehrauftrag für das Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes. Am 17.12.1930 beschloss der Senat der Handelshochschule Leipzig, ihn aufgrund seiner wissenschaftlichen Verdienste und erfolgreichen Lehrtätigkeit zum nicht planmäßigen außerordentlichen Professor zu ernennen. Bis 1933 ist Prof. Dr. Hans Kirchberger durch eine Reihe wissenschaftlicher Aufsätze und Schriften, vor allem auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, hervorgetreten. Innerhalb kürzester Zeit gelang es ihm, eine bedeutende Praxis am Reichsgericht aufzu-
__________ 23 Nachruf, NJW 1968, 1368. 24 Näher zu Hans Kirchberger und dem zweiten jüdischen Reichsgerichtsanwalt Martin Meyerowitz N. Gross (Fn. 10).
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bauen und trotz der nach 1933 einsetzenden Schikanen zunächst aufrechtzuerhalten. Zwar gehörte er seit seiner Kindheit der Evangelischen Kirche an und hatte im Ersten Weltkrieg, wie sein Personalbogen fast verschämt ausweist, von 1915–1918 Dienst als Gefreiter im „alten Heere“ geleistet. Da er jedoch von vier jüdischen Großeltern abstammte, wurde ihm 1933 sofort sein Lehrauftrag an der Handelshochschule in Leipzig entzogen und zum 30.11.1938 die Zulassung als Rechtsanwalt am Reichsgericht widerrufen. Als sich diese Entwicklung abzeichnete, entschloss sich Prof. Dr. Kirchberger im Oktober 1938 mit seiner zweiten Frau und den 1935 und 1937 geborenen Kindern zur Auswanderung in die Vereinigten Staaten. Das gesamte Vermögen musste in Deutschland zurückgelassen werden. Die einst blühende Praxis wurde geschlossen. Ein bei der Entschädigungskammer des Landgerichts Karlsruhe im Jahre 1958 anhängig gemachter Rechtsstreit25 um die Entschädigung für die verfolgungsbedingt aufgegebene Praxis am Reichsgericht verirrte sich zuletzt in der für die damalige Zeit unauflösbaren Frage, ob die Praxis eines Reichsgerichtsanwalts überhaupt einen Verkehrswert gehabt haben kann, wenn Verkaufsfälle von derartigen Praxen während der gesamten Existenz des Reichsgerichts nicht bekannt geworden sind. Die Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof hat auf Veranlassung des Landgerichts Karlsruhe hierzu zwei Gutachten abgegeben. Die Klage wurde abgewiesen. Offenbar legte man der Praxis eines Rechtsanwalts am Reichsgericht keinen Verkehrswert bei. Sie war wertlos. Der Aufbau einer neuen Existenz in den USA war für die vermögenslose vierköpfige Familie hart. Anfang 1940 erhielt Prof. Dr. Hans Kirchberger eine vorläufige Anstellung an der Universität Dubuque/Iowa und im Herbst 1943 eine Berufung als Universitätslehrer für Political Science an der Universität von Madison/Wisconsin. Auch nach seiner Emeritierung im Jahre 1954 wurde er noch viele Jahre für weitere Lehraufträge verpflichtet. Erst Ende 1950 konnte Prof. Dr. Hans Kirchberger mit 67 Jahren als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof zugelassen werden. Dort stieß er auf fünf weitere ehemalige Reichsgerichtsanwälte, von denen vier (Conrad, Fuchslocher, Schoffer und Schrömbgens) vor 1938 in Leipzig seine Kollegen gewesen waren. Mit der Familie nach Deutschland übersiedeln konnte Kirchberger nicht, so dass er nur wenige Monate im Jahr in Karlsruhe beim Bundesgerichtshof präsent war. Mit Verfügung des Bundesministers der Justiz vom 2.3.1951 wurde Prof. Dr. Kirchberger auf seinen Antrag mit Zustimmung der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof von der Präsenz- und Kanzleipflicht befreit. Die Sekretärin der Rechtsanwaltskammer wurde seine Zustellungsbevollmächtigte. Daraufhin konnte Prof. Dr. Kirchberger endlich am 16.3.1951 in die Liste der beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte eingetragen werden. Die deutsche Staatsangehörigkeit und damit die Aufgabe der inzwischen erworbenen amerikanischen Staatsangehörigkeit, worauf im Vorfeld der Ernennung die Arbeitsgemeinschaft der Anwaltskammervorstände als unabdingbare Voraussetzung der Zulassung bestanden hatte, hat Kirchberger wohl nicht mehr an-
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25 Landgericht Karlsruhe, Entschädigungskammer I, O (E I) 629/58.
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genommen. Er blieb amerikanischer Staatsangehöriger. Der Personalbogen trägt unter Ziff. 26 (politische Überprüfung) den trotzigen handschriftlichen Eintrag: „überflüssig, weil amerikanischer Staatsangehöriger“. Aufgrund eines Vorschlags der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof vom 17.3.1960 wurde Prof. Dr. Hans Kirchberger das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen, das er mit sichtlichem Stolz trug. Verehrt von seinen ihm noch vom Reichsgericht vertrauten BGHKollegen verstarb Kirchberger am 24.6.1968 im 85. Lebensjahr und wurde in seiner neuen Heimat in amerikanischer Erde beigesetzt. 5. Dr. Hans Krille (1904–1984) Hans Krille, am 6.12.1904 in Dresden geboren, war bei seiner Berufung zum Bundesgerichtshof 45 Jahre alt und damit einer der Jüngsten. Nach dem Studium an den Universitäten in Leipzig, Freiburg, Göttingen, Heidelberg und Berlin legte er 1930 in Leipzig die erste und 1934 in Dresden die zweite juristische Staatsprüfung ab. 1931 wurde er in Leipzig mit einer im Druck erschienenen und auch im Ausland mit Anerkennung bedachten Arbeit promoviert, die den ungewöhnlichen Titel trug: „Weibliche Kriminalität und Ehe“. Von 1934–1947 war Dr. Hans Krille beim OLG Dresden zugelassen. Neben seiner Anwaltstätigkeit war er von 1943–1945 als beauftragter Staatsanwalt dienstverpflichtet, hatte aber zur Bedingung gemacht, nicht in einem politischen Dezernat eingesetzt zu werden. So wurde das Verkehrsstrafrecht sein damaliges Spezialgebiet. Ab 1.1.1948 wurde Dr. Hans Krille beim OGH BritZ und ab 2.10.1950 beim Bundesgerichtshof zugelassen. Sein Tätigkeitsgebiet umfasste vor allem das Haftpflicht- und Versicherungsrecht, aber auch das Entschädigungs- und Wiedergutmachungsrecht. 12 Jahre gehörte er dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof an. Seine Stimme hatte Gewicht. Neben seiner umfangreichen Praxis war Dr. Hans Krille ständiger Mitarbeiter der NJW und des Nachschlagewerkes Lindenmaier/Möhring. Er galt als liebenswürdig und verständnisvoll, verkörperte aber zugleich den unabhängigen, eigenständigen und nur seiner hohen Verantwortlichkeit verpflichteten Anwalt. Seine Beruf war ihm Berufung. Nach kurzer schwerer Krankheit ist Dr. Hans Krille am 4.3.1984 im 80sten Lebensjahr in Karlsruhe verstorben26. Da das Ehepaar Krille kinderlos blieb, setzte Hans Krille nach dem Tode seiner Frau seinen Bruder, den Staatssekretär a. D., Dr. Fritz Krille, zu seinem Alleinerben ein. Dieser berief in einer letztwilligen Verfügung die Dr. Hans und Therese Krille-Stiftung zu seiner Alleinerbin und eine deutsche Großbank zur Testamentsvollstreckerin. Durch diese reich ausgestattete Dr. Hans und Therese Krille-Stiftung werden jährlich zahlreiche soziale Einrichtungen, vor allem auch für bedürftige und schwer körperbehinderte Kinder mit großen Beträgen gefördert. Die Stiftung gehört zu den größten sozialen Einrichtungen dieser Art
__________ 26 Nachruf, NJW 1984, 2874.
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in der Region und hält über die berufliche Lebensleistung des Stifters hinaus dessen Namen in bleibender Erinnerung. 6. Prof. Dr. Dr. h.c. Philipp Möhring (1900–1975) Philipp Möhring wurde am 4.9.1900 als Sohn eines Verlagsbuchhändlers in Berlin geboren27. Die Liebe zur Kunst, zum Wort und zur Literatur war ihm somit in die Wiege gelegt. Nach glänzenden Studien in Berlin, Jena und Freiburg legte er am 30.8.1921 in Berlin die erste und am 7.2.1925 in Berlin die zweite juristische Staatsprüfung ab. Mit 21 Jahren promovierte er an der Universität Jena über ein strafprozessuales Thema. Mit 25 Jahren war Philipp Möhring als Rechtsanwalt beim Kammergericht in Berlin zugelassen und 1934 zum Notar bestellt worden. Philipp Möhring trat in die damals bedeutende Berliner Kanzlei Marwitz/Munck/Schönberg ein. Mit 29 Jahren wurde er Mitautor des Marwitz/Möhring, dem Standardkommentar des literarischen Urheberrechts für viele Jahrzehnte und kurz darauf 1937 des Klauer-Möhring zum Patentgesetz. Bereits in seiner Berliner Zeit zählte Philipp Möhring zu der kleinen Spitzengruppe der führenden deutschen Anwälte. Seine Kanzlei hatte einen besonderen Ruf auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, des Wettbewerbs- und des Urheber- und Verlagsrechts. Dennoch war Philipp Möhring kein Spezialist, aber auf einer Vielzahl von Gebieten war er besser zu Hause als mancher Spezialist28. Ab 1.1.1948 wurde Prof. Dr. Philipp Möhring beim OGH BritZ und ab 2.10.1950 beim neu errichteten Bundesgerichtshof in Karlsruhe zugelassen. Neben seiner ausgedehnten Anwaltspraxis war Prof. Dr. Philipp Möhring ein ungewöhnlich fruchtbarer Autor auf allen Gebieten des Wirtschaftsrechts, ein begnadeter Hochschullehrer, Honorarprofessor an den Universitäten in Köln, Heidelberg und Salzburg und nicht nur ein Kenner des Rechts der Wirtschaft, sondern auch der wirtschaftlichen Zusammenhänge selbst. So war er stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Commerzbank, Beirat der ReemtsmaZigarettenfabriken, im Vorstand der deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht, Vorsitzender ihres Kartellausschusses und Mitglied der Ausschüsse für Patent- sowie Urheber- und Verlagsrecht und vor allem Generaldirektor der GEMA. Zwei Festschriften wurden ihm gewidmet29, unzählige Ehrungen wurden ihm zuteil, nicht zuletzt war er zum Ehrenvorsitzenden des Vereins der beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte gewählt worden. 1966 wurde ihm die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Zudem wurde er zum Honorar-Generalkonsul ad personam der Republik Österreich ernannt. Bis heute halten sich Erinnerungen an seine Schlagfertigkeit, seinen Witz und seine Gastfreundschaft. Alles zusam-
__________ 27 K. Nicolini, Philipp Möhring in: Juristen im Porträt, Verlag und Autoren in vier Jahrzehnten, FS zum 225jährigen Jubiläum des Verlages C. H. Beck, 1988, S. 584, Nachdr. in FORTITUDO TEMPERANTIA (Fn. 11), S. 139. 28 W. Oppenhoff, Nachruf, GRUR 1975, 623. 29 Festschrift für Philipp Möhring zum 65. Geburtstag, 1965 und Festschrift für Philipp Möhring zum 75. Geburtstag, 1975.
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men trug ihm zu seinem 75. Geburtstag in der Presse das Prädikat „Fürst unter den Juristen“ ein. Mit dem BGB auf die Welt gekommen, verstarb Prof. Dr. Philipp Möhring am 16.11.1975 kurz nach Vollendung seines 75. Lebensjahres30. Eine weltläufige Persönlichkeit, ein Künstler und eine bis heute fortlebende Legende wurde von seinen Kollegen und der Welt des Rechts aufrichtig betrauert. 7. Paul Paulsen (1903–1977) Paul Paulsen wurde am 8.10.1903 in Dortmund geboren. Die erste juristische Staatsprüfung legte er 1927 in Kiel, die zweite juristische Staatsprüfung im August 1930 in Berlin ab. Zunächst bis Juni 1932 Gerichtsassessor am Amtsgericht und bei der Staatsanwaltschaft in Kiel, wurde Paul Paulsen am 15.6.1932 als Rechtsanwalt beim Oberlandesgericht Kiel bzw. Schleswig zugelassen. Im Jahre 1943 wurde er zudem zum Notar bestellt. Von Januar 1946 bis 31.3.1947 nahm Paul Paulsen kommissarisch die Geschäfte des Polizeidezernenten und des Dezernenten für das Wirtschaftsamt in Kiel wahr. Bis Oktober 1947 war er Abteilungsleiter im Landesjustizministerium in Kiel, leitete mehrere Entnazifizierungsausschüsse und wurde 1950 zum Vorsitzenden eines Berufungsausschusses für Wiedergutmachung öffentlich Bediensteter im Land Schleswig-Holstein ernannt. Mit Errichtung des OGH BritZ wurde Paul Paulsen als Rechtsanwalt beim OGH zugelassen, um mit Eröffnung des Bundesgerichtshofs mit sechs weiteren Kollegen den Weg von Köln nach Karlsruhe anzutreten. Am 2.10.1950 wurde er als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof zugelassen. Paul Paulsen war Mitglied wichtiger berufspolitischer Gremien mit dem Ziel der Errichtung von Vorsorgeeinrichtungen der Anwaltschaft und einer der maßgeblichen Befürworter der traditionsreichen, nach dem Kriege wieder errichteten Hülfskasse deutscher Rechtsanwälte in Hamburg. Diese 1985 gegründete Sozialeinrichtung wurde von den Rechtsanwaltskammern der ehemaligen britischen Zone und der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof maßgeblich getragen und hat jahrzehntelang eine unverzichtbare und segensreiche Tätigkeit für notleidende Hinterbliebene von Rechtsanwälten ausgeübt. Paul Paulsen war ein streitbarer Mann. Das belegt ein an den Herrn Polizeipräsidenten in Karlsruhe gerichtetes Schreiben vom 9.2.1973, mit dem er Strafantrag gegen diejenigen Personen stellte, „die heute und in den kommenden Tagen in Anwaltsroben in der Nähe des Bundesgerichtshofs demonstrieren“. Paul Paulsen hatte am 9.2.1973 um 11.00 Uhr festgestellt, dass „angebliche Angehörige meines Berufsstandes in einer Anwaltsrobe“ unter einem Schild mit der Aufschrift „BGH-brauner Gangsterhaufen“ demonstrierten: „Das Zeigen der Anwaltsrobe unter solchen Umständen beleidigt mich persönlich“. Selbstverständlich sah sich Paul Paulsen den Vorgang nicht wortlos an, sondern fragte einen der Robenträger nach seinem Namen. Als dieser sich als Rechtsanwalt B. aus Heidelberg zu erkennen gab, nannte auch er seinen
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30 Nachrufe, AnwBl 1976, 34; GRUR 1975, 623.
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Namen und erklärte, er werde weiteres von ihm hören. Das rechtliche Schicksal dieser Strafanzeige ist nicht bekannt. Am gleichen Tage wandte sich Paul Paulsen zudem beschwerdeführend an den Chefpräsidenten des Bundesgerichtshofs, Prof. Dr. Fischer, weil der angesetzte Verhandlungstermin wegen der Demonstration aufgehoben worden war. Er war empört darüber, dass die Demonstration einer nicht bekannten Zahl „angeblicher Rechtsanwälte auf der Straße in der Nähe des Bundesgerichtshofs“ Anlass dafür sein konnte, den Gerichtsbetrieb zu unterbrechen. „Wir müssen Ihnen, sehr verehrter Herr Chefpräsident, sagen, daß es für uns ein unerträglicher Gedanke ist, daß unser Oberstes Gericht dem Druck der Straße nachgibt“. 16 Jahre Mitglied des Vorstands der Rechtsanwaltskammer bei dem Bundesgerichtshof und von 1962–1968 ihr Vizepräsident, gehörte er von 1961–1969 auch dem Vorstand des Deutschen Anwaltvereins an. Am 13.9.1977 verstarb Paul Paulsen in Karlsruhe. 8. Prof. Dr. h.c. Herbert Schneider (1902–1981) Herbert Schneider, am 26.9.1902 in Karlsruhe geboren, war der Vater des mit dieser Festschrift Geehrten. Nur wenige werden über drei Generationen hinweg die eigenen juristischen Fachgebiete mit ihren Söhnen teilen und zudem diese Teilnahme bis in die Enkelgeneration weiterreichen. Herbert Schneider war dieses Generationengeschenk gegeben. Mit Uwe H. Schneider hat er zu Beginn von dessen wissenschaftlicher Laufbahn zu gesellschaftsrechtlichen Fragen Stellung genommen31. Eine Generation später hat sich dies auf demselben Themenfeld zwischen Uwe H. Schneider und dessen Sohn Sven H. Schneider wiederholt32 und damit das von Herbert Schneider in der Familie angelegte geistige Band weitergegeben. Herbert Schneider entstammte einer in badischem Geist und Tradition tief verwurzelten Familie. Zu den Vorfahren zählten bedeutende Gelehrte wie Ernst Anton Lewald, Professor für Theologie in Heidelberg, Wilhelm Oncken, Professor der Geschichte in Gießen und Reichstagsabgeordneter, sowie Hans Lewald, Professor für Staatsrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Basel. Der Vater, Ludwig Schneider (1862–1922), war Rechtsanwalt und Land-
__________ 31 S. Schriftenverzeichnis II. Nr. 7, 11, 18 und 36. 32 S. Schriftenverzeichnis II. Nr. 193, 198, 200, 218, 229, III. Nr. 59, 60, 61, 62, 63, 65, 67, IV. Nr. 60 sowie die gemeinsame Kommentierung von Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Anhang zu § 22 WpHG (Schriftenverzeichnis I. Nr. 19).
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tagsabgeordneter in Karlsruhe und in der kleinen Welt der badischen Residenzstadt in sich gegenseitig bedingender geistiger Weltoffenheit und Liberalität zu Hause. Nach dem Besuch des Karlsruher Gymnasium illustre studierte Herbert Schneider an den Universitäten Heidelberg, Berlin und Freiburg, legte 1924 das erste und 1928 das zweite Staatsexamen jeweils mit der Platzziffer 1 ab und ließ sich im September 1928 als Rechtsanwalt beim Oberlandesgericht in Karlsruhe nieder. Von Anfang an galt sein besonderes Interesse dem Zivilprozess sowie Fragen des ausländischen, insbesondere des skandinavischen Rechts. Daneben widmete sich Herbert Schneider schon damals der Ausbildung der Referendare. Im Jahre 1937 wurde er in die Prüfungskommission berufen und 1939 zum Mitglied des Reichsjustizprüfungsamtes bestellt. Die Schwierigkeiten der Materialbeschaffung für größere Arbeiten über das norwegische Aktienrecht bestimmten ihn, sich nach dem Krieg im südbadischen Lörrach niederzulassen, um in Basel die schon während des Krieges begonnenen Arbeiten auf dem Gebiet des skandinavischen Rechts fertig stellen zu können. Am 5.12.1950 wurde Herbert Schneider als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof zugelassen. Unter den Rechtsanwälten beim Bundesgerichtshof war Herbert Schneider ein herausragendes Original, ein origineller Charakterkopf. Er entstammte nicht dem Kreis der aus dem Reichsgericht oder dem OGH BritZ hervorgegangenen Revisionsanwälte der ersten Stunde, er war kein geborener, sondern ein kraft seiner Persönlichkeit gekorener Revisionsanwalt, der es auf diesem Gebiet zu höchster Meisterschaft gebracht hat. Er besaß zwar einen Führerschein aus den 30er Jahren, aber kein Fahrzeug und verfügte folglich auch über keine Fahrpraxis. Sein Fahrzeug der Wahl war das Fahrrad, der Bus oder die Eisenbahn. Auch zum Bundesgerichtshof fuhr er, die Akten auf dem Gepäckträger, immer mit dem Fahrrad. Es lagen Welten dazwischen, wenn Philipp Möhring und Herbert Schneider vor den Senaten des Bundesgerichtshofs aufeinander trafen, der eine, von einer auswärtigen Aufsichtsratssitzung kommend, vom Chauffeur im Mercedes 300 vorgefahren, der andere per Fahrrad, nachdem er seit halb fünf Uhr morgens am Schreibtisch gesessen hatte, um jeder Zeile eines Schriftsatzes seine persönliche Prägung zu verleihen. Revisionsrecht war für Herbert Schneider Handarbeit in Präzision. Zuarbeit liebte er nicht, er kannte sie auch nicht. Das Prozessrecht hat Herbert Schneider sein ganzes Leben lang begleitet. Er war Herausgeber der Zeitschrift für Zivilprozeßrecht, hat viel zu diesem das Revisionsrecht in zahllosen Varianten prägenden Bereich publiziert, wurde von der Universität Erlangen mit dem Dr. h.c. geehrt und nach langjähriger Tätigkeit als Lehrbeauftragter für Zivilprozessrecht an der Universität Tübingen zum Honorarprofessor ernannt. In seinem Büro unterhielt er, ganz inoffiziell, eine private Referendararbeitsgemeinschaft mit dem ausschließlichen Ziel, mit handverlesenen jungen Juristen Fallstudien zu betreiben und entschiedene oder zur Entscheidung anstehende Revisionssachen aus der Sicht des juristischen Nachwuchses zu besprechen. Den Teilnehmern winkten keine 379
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Scheine, Noten oder Credit Points. Dafür waren diese Abende die MasterClass des Zivilprozessrechts. Aus dieser Schule sind viele bedeutende Hochschullehrer und Praktiker hervorgegangen. Die heimliche Liebe von Prof. Dr. Herbert Schneider war allerdings die Zeitund die Rechtsgeschichte. So wurde er zum Historiographen der Anwaltschaft beim Bundesgerichtshof, der die Geschichte der Anwaltschaft am Reichsgericht und beim Bundesgerichtshof erstmals von dem Staub der Archive befreit, recherchiert und meisterhaft beschrieben hat33. Seit 1962 gehörte Prof. Dr. Schneider dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof an, fünfzehn Jahre lang als deren Vizepräsident. Seit 1966 war er Mitglied der Zivilprozesskommission des Bundesjustizministeriums und ferner ständiges Mitglied des Gesetzgebungsausschusses des Deutschen Anwaltvereins für Zivilprozess und Gerichtsverfassung. Neben all dem war Prof. Dr. Herbert Schneider die Bescheidenheit in Person, eine besondere Art leuchtender Bescheidenheit, die ihm die freundschaftliche Verehrung seiner Kollegen eintrug, für die seine stille menschliche Größe bleibendes Vorbild war. Als Anwalt fühlte er sich mehr als Organ der Rechtspflege, weniger als Vertreter seines Mandanten. Hielt er das Berufungsurteil für richtig, lehnte er die Übernahme des Mandats rundweg ab. Das Rechtsgespräch mit den Richtern, seinen Kollegen und seinen Söhnen war seine Welt. Am 14.5.1981 verstarb Prof. Dr. Herbert Schneider in Karlsruhe34. Die Todesanzeige hält für ihn die seltene Auszeichnung bereit, es sei „der treueste Freund unserer Söhne“ von uns gegangen35. Bei der Aufnahme seines Bildes in die Ahnengalerie der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof am 5.11.1982 war auch sein Sohn Prof. Dr. Uwe H. Schneider anwesend. 9. Justizrat Dr. Heinrich Schroembgens (1874–1956) Heinrich Schroembgens war bei seiner Zulassung zum Bundesgerichtshof bereits 76 Jahre alt und daher der natürliche Alterspräsident der neu eingerichteten Anwaltskammer beim Bundesgerichtshof. Er kam aus einer anderen Zeit, der Welt der Kaiserzeit. Heinrich Schroembgens wurde am 30.3.1874 in Kaltenkirchen/Rheinland geboren. 1901 als Rechtsanwalt beim Landgericht und 1902 als Rechtsanwalt beim Oberlandesgericht in Köln zugelassen, führten ihn seine außergewöhnlichen Fähigkeiten schon kurz vor Vollendung seines 38. Lebensjahres am 25.3.1912 als Rechtsanwalt an das Reichsgericht in Leipzig. Auch im Kreise der Reichsgerichtsanwälte nahm Heinrich Schroembgens alsbald eine hervorragende Stellung ein. 1917 wurde er von Kaiser Wilhelm II. zum kaiserlichen Justizrat ernannt. Am Ersten Weltkrieg nahm er als Haupt-
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33 Herbert Schneider, Die Anwaltschaft beim Reichsgericht und beim Bundesgerichtshof, in Ehrengabe für Bruno Heusinger, 1968, S. 101, Nachdr. in FORTITUDO TEMPERANTIA (Fn. 11), S. 43; Herbert Schneider, Einfluß und Aufgaben der Anwaltschaft beim Bundesgerichtshof, in 25 Jahre Bundesgerichtshof, 1975, S. 325, Nachdr. in FORTITUDO TEMPERANTIA (Fn. 11), S. 71. 34 Nachruf, NJW 1981, 1769. 35 FAZ v. 20.5.1981.
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mann und Bataillonskommandeur mit hohen und höchsten Kriegsauszeichnungen, u. a. dem EK I und dem Ritterkreuz des Hohenzollerschen Hausordens teil. Seit 1921 gehörte er als vom Reichsgericht gewähltes Mitglied dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich und dem Ehrengerichtshof für die deutschen Rechtsanwälte an. Nach dem Ende des Reichsgerichts war Justizrat Dr. Heinrich Schroembgens vorübergehend als Anwalt beim Landgericht in Leipzig und ab 1.1.1948 beim OGH BritZ tätig. Mit Begründung des Bundesgerichtshofs wurde Dr. Heinrich Schroembgens am 2.10.1950 beim Bundesgerichtshof zugelassen. Justizrat Dr. Heinrich Schroembgens galt als das personifizierte Bindeglied zum Reichsgericht, an dem er viele Jahrzehnte lang tätig war, um seine Erfahrungen nochmals acht weitere Jahre beim OGH BritZ und bei dem Bundesgerichtshof einzubringen. Schon diese langfristige Klammerwirkung verschaffte ihm innerhalb der deutschen Anwaltschaft eine einzigartige Stellung. In seiner beruflichen Laufbahn hat Dr. Heinrich Schroembgens alle politischen Regime Deutschlands im 20. Jahrhundert kennengelernt. Ihm wurden ein heiteres, glückliches Temperament und eine menschliche Liebenswürdigkeit nachgesagt, die jedermann fesselte, verbunden mit einer tiefen rheinischen Religiosität. Für den Münchener Katholikentag 1922 unter der Präsidentschaft Konrad Adenauers war Heinrich Schroembgens als erster Vizepräsident in Aussicht genommen worden, fiel aber wegen Krankheit aus. Ein unbeirrbares Rechtsgefühl und eine mannhafte Haltung verliehen seiner anwaltlichen Tätigkeit ein Gepräge, das auf jeden vorbildlich wirken musste. Er starb im 83. Lebensjahr am 5.9.1956. Seinen Kollegen beim Bundesgerichtshof war er ein unvergesslicher Freund36. 10. Curt Frhr. v. Stackelberg (1910–1994) Curt Frhr. v. Stackelberg, kurz „Der Baron“ genannt, war in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung. Am 24.5.1910 im zaristischen St. Petersburg geboren, wuchs er bis zum 31.12.1918 auf dem Stackelberg’schen Rittergut Hallinap in Estland auf. Nach abenteuerlicher Flucht wurde die Familie 1924 in Bad Reichenhall ansässig. Erst durch Einbürgerung wurde er 1929 bayerischer Staatsbürger. Die juristischen Staatsprüfungen legte er 1932 und 1935 in München ab, um nach kurzer Tätigkeit als Anwaltsassessor in Berlin, Unter den Linden 14, eine eigene Kanzlei einzurichten. 1940 bis 1945 war von Stackelberg in verschiedenen Positionen der Militärverwaltung in Berlin, Krakau und Belgrad eingesetzt, um im Juni 1944 als Heereskriegsrat in einen „Stab zur Vereinfachung der Wehrmachtsorganisation“ berufen zu werden. Die Entlassung aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft führte ihn zurück nach Bad Reichenhall. Dort wurde er von der amerikanischen Besatzungsmacht schon im Herbst 1945 wieder als Rechtsanwalt beim Landgericht Traunstein zugelassen.
__________ 36 Nachruf, NJW 1956, 1670.
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Curt Frhr. v. Stackelberg war der einzige unter den ausschließlich zivilrechtlich ausgerichteten Rechtsanwälten beim Bundesgerichtshof, der auch als Strafverteidiger, anfangs in den Instanzen, später auch in Revisionsverfahren vor den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs hervorgetreten ist. Von 1945 bis 1947 übernahm er Verteidigungen vor den Militärtribunalen in Nürnberg im sog. Wilhelmstraßen- und Pohlprozeß. Auch nach seiner Zulassung als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof am 21.12.1950 war Curt Frhr. v. Stackelberg sowohl literarisch als auch forensisch und rechtspolitisch auf strafrechtlichem Gebiet tätig. Als Mitglied des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer, der großen Strafrechtskommission des Bundesjustizministeriums und bei der Reform des Strafverfahrensrechts war Curt Frhr. v. Stackelberg ein einflussreicher Ratgeber. Zahllos waren seine Ehrenämter auf allen Gebieten der Berufspolitik, der kulturellen und rechtswissenschaftlichen Beziehungen und die hohen Ehrungen, die ihm im In- und Ausland zuteil wurden. Von 1968 bis 1985, rund 18 Jahre lang, war Curt Frhr. v. Stackelberg Präsident der Rechtsanwaltskammer bei dem Bundesgerichtshof und später ihr Ehrenpräsident. Seit 1966 war Curt Frhr. v. Stackelberg Vorsitzender der seit dem Jahre 1250 bestehenden Estländischen Ritterschaft, bis 1918 in Estland das höchste zu vergebende Amt. Um die Geschichte und um die Integration der Ritterschaft hat sich Curt Frhr. v. Stackelberg hohe Verdienste erworben. Unübersehbar war seine Freude am gesprochenen Wort, am Repräsentieren und an der Außendarstellung seiner Anwaltschaft und die liebenswürdige und humorvolle Art des Zugehens auf Richter und Anwaltskollegen. Zu Recht hieß es, dass er mit den schönsten Gaben des Geistes gesegnet war und dass er jene Heiterkeit besaß, die aus seinen Augen leuchtete. Als einer der jüngsten mit 40 Jahren zum Bundesgerichtshof berufen, war Curt Frhr. v. Stackelberg mehr als vier Jahrzehnte mit Leib und Seele Revisionsanwalt, als er am 21.4.1994 im Alter von 83 Jahren in Karlsruhe verstarb37. 11. Minister a. D., D. theol. h.c. Dr. Erwin Umhauer (1878–1961) Auch Erwin Umhauer war zuvor weder beim Reichsgericht noch beim OGH BritZ zugelassen gewesen. Seine Karriere verlief ungewöhnlich genug. Am 31.7.1878 in Kürnberg/Kreis Lörrach geboren, trat Erwin Umhauer nach glänzend bestandenen Examina in den Badischen Justizdienst ein und wurde Richter, Staatsanwalt und Ministerialrat im Badischen Justizministerium. 1928 lehnte er das Angebot ab, als Richter zum Reichsgericht nach Leipzig zu gehen. Am 10.1.1933 wurde er vom Badischen Landtag zum letzten demokratischen Minister des Innern gewählt. Im Hinblick auf die mit der „Machtergreifung“ erfolgte Einsetzung eines Reichskommissars für das Polizeiwesen erklärte er am 11.3.1933 seinen Rücktritt und wurde ab Juli 1933 als Rechtsanwalt beim Landgericht Karlsruhe zugelassen. Unter dem Datum des Attentats auf Hitler vom 20.7.1944 wurde D. Dr. Erwin Umhauer durch den Reichsjustizminister als Rechtsanwalt ohne Versorgungsbezüge „zur Ruhe gesetzt“. Aus Umhauers Feder stammen nicht nur zahlreiche wissenschaftliche Bei-
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37 Nachruf, NJW 1994, 2202.
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träge, sondern zwischen 1920 und 1930 auch eine Reihe von Gesetzentwürfen aus dem Badischen Justizministerium. Das im Juni 1945 an ihn durch die französische Militärregierung gerichtete Ansinnen, wieder die Leitung des Innenministeriums zu übernehmen, lehnte er ab. Vielmehr war er nach dem Kriege am Aufbau der Evangelischen Landeskirche und des Badischen Landesvereins des Roten Kreuzes maßgeblich beteiligt. Er war Präsident der Evangelischen Landessynode in Baden und seit Anfang 1946 Präsident des Badischen Landesvereins des Roten Kreuzes. Zuletzt als Major der Reserve hatte Erwin Umhauer noch den Ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918 erlebt. Er war Inhaber des Eisernen Kreuzes und des Zähringer Löwen mit Eichenlaub und Schwertern sowie zahlreicher anderer Auszeichnungen aus Krieg und Frieden. Bei seiner Zulassung zum Bundesgerichtshof am 2.10.1950 war D. Dr. Erwin Umhauer bereits 72 Jahre alt und hatte neben seinen zahlreichen kirchlichen Ehrenämtern und als Vizepräsident und Ehrenpräsident der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof noch bis ins hohe Alter seine Praxis als Revisionsanwalt erfolgreich ausgeübt. Im 84. Lebensjahr verstarb am 15.11.1961 nach einem ungewöhnlichen und reichen Berufsleben der Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof, Minister a. D., D. theol. h.c. Dr. Erwin Umhauer. 12. Dr. Bernhard Wieczorek (1907–1976) Bernhard Wieczorek war bei seiner Zulassung zum Bundesgerichtshof am 2.10.1950 43 Jahre alt, gehörte also zu den Jüngeren. Die juristischen Staatsprüfungen legte er 1929 in Breslau und 1933 in Berlin ab. Nach kurzer Tätigkeit als Gerichtsassessor wandte sich Dr. Bernhard Wieczorek bald dem Anwaltsberuf zu und wurde am 7.12.1933 in Breslau als Rechtsanwalt zugelassen. Nach der Flucht setzte er seine Anwaltstätigkeit in Hamburg fort, um sofort mit Gründung des OGH BritZ in Köln neue Aufgaben als Revisionsanwalt zu suchen. Neigung und Liebe zum Revisionsrecht sprechen schon aus der dem Bewerbungsschreiben vom Februar 1950 nachfolgenden Klarstellung, dass der Bewerber Dr. Bernhard Wieczorek beabsichtige, seine Zulassung beim Bundesgerichtshof zu nehmen „gleichviel, an welchem Ort dieser Gerichtshof errichtet werden sollte“. In kurzer Zeit machte sich Dr. Bernhard Wieczorek in den folgenden Jahren als ausgewiesener Kenner des Zivilprozessrechts einen Namen. Der von ihm verfasste Groß-Kommentar zur ZPO, damals absolutes Neuland, stand in dem Ruf, ausnahmslos sämtliche Entscheidungen von Reichsgericht und Bundesgerichtshof sowie aller maßgeblichen Oberlandesgerichte verwertet zu haben, in denen jemals zu prozessrechtlichen Fragen Stellung genommen worden war. Bis heute ist Der Wieczorek der vollständigste und umfangreichste ZPO-Kommentar seiner Epoche geblieben. Dr. Bernhard Wieczorek brachte seine Kenntnisse und Erfahrungen in zahlreiche Gremien ein, z. B. als Mitglied der Kommission des Bundesjustizministeriums zur Vorbereitung einer Reform der Zivilgerichtsbarkeit und als Mitglied bzw. Vorsitzender der Ausschüsse des Deutschen Anwaltvereins für Zivilprozess und Gerichtsverfassung sowie für Verfassungsrecht. Bernhard 383
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Wieczorek war eine völlig eigenständige Anwaltspersönlichkeit, der es die freie und verantwortungsvolle Stellung des Rechtsanwalts gegenüber der Partei und dem Gericht mit aller Entschiedenheit zu verfechten galt. Dieses Anwaltsbild hat auch seine Vorstellung vom Zivilprozessrecht, insbesondere vom Anwaltsprozess geprägt. Auch wenn der klassische Zivilprozess inzwischen zahlreichen Reformen und Wandlungen unterworfen wurde, blieb doch das aus der besonderen Stellung des Anwalts folgende und von Bernhard Wieczorek mit Anteilnahme und Besorgnis begleitete Grundkonzept bis heute erhalten. Am 22.12.1976 wurde Dr. Bernhard Wieczorek aus einem bis zuletzt arbeitsreichen Leben gerissen. Seine Kollegen ehrten ihn als eine der profiliertesten und eigenständigsten Persönlichkeiten ihres Standes38, die aus der vergangenen Epoche des Revisionsrechts wie des allgemeinen Zivilprozessrechts nicht wegzudenken ist und weiterwirken wird.
III. Vorbilder Diese zwölf Charakterköpfe waren eine beeindruckende Schar, die dem neuen Bundesgerichtshof alle Ehre machte. Die wenigen schriftlichen Zeugnisse aus dieser Aufbauzeit belegen, dass materielle Not, eine ungewisse Zukunft, aber auch der unbeugsame Wille zur Fortsetzung der Tradition der Anwaltschaft am Reichsgericht für diese Pioniere der ersten Stunde bestimmend waren. Die neu ernannten BGH-Anwälte hatten bei ihrer Bewerbung ihre letzten Jahresumsätze im Jahre 1949 anzugeben. Selten wurden 8.000 Mark (DM) überschritten. Einige fanden in dem weitgehend kriegszerstörten Karlsruhe keine Wohn- und Büroräume und wandten sich hilfesuchend an die städtische Verwaltung, nicht ohne den Bundesminister der Justiz schriftlich darauf hinzuweisen, dass ohne die Möglichkeit der Anmietung geeigneter Räume eine Übersiedelung nach Karlsruhe nicht in Betracht komme. Alle neu ernannten BGH-Anwälte des Jahres 1950 erhielten durch die neu eingerichtete Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof eine Bescheinigung, die sie zum Bezug von Brennstoffkarten für die Heizperiode 1951/52 berechtigen sollte. Auch wenn die Zukunft völlig ungewiss und die äußeren Umstände nicht immer einladend waren, die Liebe zum Recht, vor allem zu einem wiedergefundenen Revisionsrecht mit einem einheitlichen Geltungsanspruch in der neuen Bundesrepublik hat die ersten zwölf, in den folgenden Monaten schnell auf 16 angewachsene Zahl der BGH-Anwälte zu einem Collegium zusammengeschweißt, das bis zum Ende des Jahrhunderts dessen Lebensform bestimmt hat39. Keiner der zwölf Pioniere glich dem anderen. Sie alle waren Originale, singuläre Charakterköpfe in der dünnen Luft des Revisionsrechts. Daraus ist noch Jahrzehnte später jenes scharfe Profil entstanden, das den später eingerichteten Wahlausschuss und die künftigen Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof bis heute leitet. Auch künftige Charakterköpfe brauchen Vorbilder. Die zwölf Pioniere des Jahres 1950 sind es bis heute geblieben.
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38 Nachrufe, NJW 1977, 372; AnwBl 1977, 52. 39 Zur Lebensform N. Gross (Fn. 10).
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Befreiung von der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach § 15 Abs. 3 WpHG Inhaltsübersicht I. Einleitung
a) Erforderlichkeit des Schutzes der berechtigten Interessen des Emittenten b) Keine Irreführung der Öffentlichkeit c) Gewährleistung der Vertraulichkeit 2. Konkrete Vorgehensweise und praktische Empfehlungen a) Konkrete, detaillierte Entscheidung b) Unverzügliche Entscheidung c) Dokumentation
II. Befreiungsautomatismus oder Befreiungsentscheidung 1. Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur 2. Stellungnahme III. Zuständigkeit für die Entscheidung über die Selbstbefreiung 1. Meinungsstand 2. Stellungnahme IV. Entscheidung nach § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG 1. Entscheidungsvoraussetzungen
V. Zusammenfassung
I. Einleitung Uwe H. Schneider hat sich bereits sehr früh mit den hier zu erörternden Fragen befasst, ob § 15 Abs. 3 WpHG eine Legalausnahme, also eine kraft Gesetzes eintretende Befreiung enthält oder eine Entscheidung des Emittenten voraussetzt, ob diese Entscheidung zwingend vom Vorstand des Emittenten oder auch von einem dafür bestimmten Gremium oder einer speziell benannten anderen Person getroffen werden darf, und, welche Voraussetzungen für die Selbstbefreiung vorliegen müssen. Er hat die beiden erstgenannten Fragen bejaht1, und praktische Hinweise für die Entscheidungsgrundlagen gegeben2. Wenn nachfolgend diese Fragen des zu Recht als „Zentralnorm der Ad-hocPublizität“3 bezeichneten § 15 Abs. 3 WpHG im Lichte neuerer Entscheidungen und Stimmen in der Literatur beleuchtet werden, dann ist die Hoffnung, damit das Interesse des Jubilars zu wecken, vielleicht nicht ganz unbegründet.
__________ 1 Uwe H. Schneider/Gilfrich, BB 2007, 53, 54 f. 2 Uwe H. Schneider/Gilfrich, BB 2007, 53, 55. 3 Simon, Der Konzern 2005, 13, 19.
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II. Befreiungsautomatismus oder Befreiungsentscheidung 1. Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur Der Bundesgerichtshof4 und sowohl das OLG Stuttgart5 als auch das OLG Frankfurt6 hatten denselben Sachverhalt zu beurteilen, die beiden erstgenannten Gerichte im Rahmen eines Musterverfahrens nach dem KapMuG wegen Schadenersatzansprüchen nach § 37b WpHG, das OLG Frankfurt im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens wegen verspäteter Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach §§ 13, 15 Abs. 1, 39 Abs. 2 Nr. 5 lit. a WpHG. Konkret ging es um den Wechsel des Vorstandsvorsitzenden bei einer Gesellschaft, der bereits vor der Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung hinreichend wahrscheinlich war – fraglich war allerdings, wann genau –, der aber ohne ausdrückliche Entscheidung nach § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG erst nach endgültiger Beschlussfassung durch den Gesamtaufsichtsrat ad-hoc veröffentlicht wurde. Das OLG Stuttgart geht im Rahmen des Musterverfahrens konkret auf die Frage ein, ob § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG eine Legalausnahme, also eine kraft Gesetzes eintretende Befreiung7 ist und bejaht dies ausdrücklich indem es ausführt, dass es „keiner bewussten und dokumentierten Entscheidung der Musterbeklagten über die Inanspruchnahme der Befreiung“ nach § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG bedurfte8. Der Bundesgerichtshof und das OLG Frankfurt haben sich beide nicht mit der Frage Legalausnahme oder bewusste Entscheidung auseinandergesetzt. Ob man daraus schließen kann, dass beide Gerichte eine bewusste Entscheidung verlangen9, die hier gerade nicht vorlag, erscheint fraglich. Der Bundesgerichtshof befasst sich in seinen umfangreichen Verfahrenshinweisen10 mit der Vorfrage, ob und ab wann der Vorstandswechsel hinreichend wahrscheinlich war, gibt diesbezüglich Hinweise an das Gericht, an das er zurück verwies, und musste mangels Entscheidung über das Vorliegen einer ad-hoc-publizitätspflichtigen Information auf die nachgelagerten Fragen nicht näher eingehen, ob deren Veröffentlichung aufgeschoben wurde und unter welchen Voraussetzungen das geschehen kann. Das OLG Frankfurt hätte dagegen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG prüfen müssen. Handelt es sich bei § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG um eine, wie das OLG Frankfurt selbst beiläufig schreibt11 „Legalausnahme“, somit um eine kraft Gesetzes eintretende Befreiung, dann liegt keine Ordnungswidrigkeit vor, wenn die Legalausnahme gegeben ist, weil der Emittent während der Zeit, in
__________ 4 5 6 7 8 9
BGH, WM 2008, 641. OLG Stuttgart, ZIP 2009, 962. OLG Frankfurt, WM 2009, 647. So ausdrücklich Widder, BB 2009, 967, 968. OLG Stuttgart, ZIP 2009, 962, 973. In diesem Sinne der Deutung der beiden Entscheidungen Widder, DB 2008, 1480, 1481. 10 BGH, WM 2008, 641, 643 ff. 11 OLG Frankfurt, WM 2009, 647, 648; Widder, BB 2009, 967, 968 weist zu Recht darauf hin, diese Aussage von Legalausnahme einerseits und Entscheidungserfordernis andererseits sei „paradox“.
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Befreiung von der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach § 15 Abs. 3 WpHG
der er von einer Ad-hoc-Publizitätspflicht ex lege befreit ist, nicht gegen diese verstößt12. Dennoch geht das OLG Frankfurt nicht näher darauf ein, ob hier die Legalausnahme gegeben war, eine Frage, die das OLG Stuttgart zum gleichen Sachverhalt immerhin auf knapp fünf Druckseiten prüft, und bestätigt – inzwischen rechtskräftig – die Festsetzung einer Geldbuße durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht („BaFin“) in Höhe von 200.000 Euro wegen verspäteter Veröffentlichung einer ad-hoc-publizitätspflichtigen Information, §§ 13, 15, 39 Abs. 2 Nr. 5 lit. a WpHG. Wie in der Rechtsprechung, so ergibt sich auch in der Literatur kein einheitliches Bild. Die Vertreter der Ansicht, die in § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG eine kraft Gesetzes eintretende Ausnahme sehen13 und diejenigen, die wie Uwe H. Schneider14 eine bewusste Entscheidung fordern15, halten sich in etwa die Waage. Die BaFin fordert im Emittentenleitfaden eine bewusste Entscheidung und lehnt eine kraft Gesetzes eintretende Ausnahme ausdrücklich ab16. 2. Stellungnahme § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG lautet: „Der Emittent ist von der Pflicht zur Veröffentlichung nach Absatz 1 Satz 1 solange befreit, wie …“. Der Wortlaut ist eindeutig17, § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG ist eine kraft Gesetzes eintretende Ausnahme, von einer Entscheidung des Emittenten ist dort nicht die Rede, geschweige denn von einem Beschluss des Vorstands. Nur, § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG steht nicht isoliert, dieser Satz 1 des Absatzes 3 ist zumindest im Kontext des ganzen Absatz 3 zu lesen. Bereits aus Satz 4 des Absatzes 3 des § 15 WpHG ergeben sich dann aber Zweifel an der Qualifizierung des Satz 1 als kraft Gesetzes eintretende Ausnahme: „Der Emittent hat die Gründe für die Befreiung zusammen mit der Mitteilung nach Absatz 4 Satz 1 der Bundes-
__________ 12 So wohl auch Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 39 Rz. 15, indem er am angegebenen Ort auf die Befreiungsmöglichkeit nach § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG verweist. 13 Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 15 Rz. 165c ff.; Sethe in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, §§ 37b, 37c Rz. 54; Versteegen in KölnKomm.WpHG, 2007, § 15 Rz. 168 ff.; Kuthe, ZIP 2004, 883, 885; Veith, NZG 2005, 254. 14 Uwe H. Schneider/Gilfrich, BB 2007, 53, 54 f. 15 Frowein in Habersack/Mülbert/Schlitt, Hdb. der Kapitalmarktinformation, 2008, § 10 Rz. 74; Geibel/Schäfer in Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, § 15 WpHG Rz. 129; Harbarth, ZIP 2005, 1904; Mennicke, NZG 2009, 1059, 1061; Widder, BB 2009, 967, 969 ff.; ders., DB 2008, 1480, 1481; Pfüller in Fuchs, WpHG, 2009, § 15 Rz. 343 ff., anders dagegen Rz. 349 „Legalausnahme“; Sven H. Schneider, BB 2005, 897, 900; ders., WuB I 6. § 15 WpHG 1.09, 694. 16 BaFin, Emittentenleitfaden, S. 65. 17 Auf den Wortlauf abstellend auch Assmann (Fn. 13), § 15 Rz. 165d; Versteegen (Fn. 13), § 15 Rz. 168; Kuthe, ZIP 2004, 883, 885; Veith, NZG 2005, 254.
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anstalt unter Angabe des Zeitpunktes der Entscheidung (Hervorhebung d. Verf.) über den Aufschub der Veröffentlichung mitzuteilen“18. § 8 Abs. 5 Nr. 2a) und b) WpAIV sprechen ebenfalls von einer „Entscheidung über den Aufschub der Veröffentlichung“ bzw. „Entscheidung über die Befreiung“19. Eine „Entscheidung“ spricht aber gerade gegen eine kraft Gesetzes eintretende Ausnahme20. Diese Zweifel an der Qualifizierung des § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG als kraft Gesetzes eintretender Ausnahme werden noch verstärkt durch die historische Auslegung. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 Marktmissbrauchsrichtlinie21 umsetzt. Deshalb ist er gemeinschaftskonform und damit richtlinienkonform22 auszulegen. Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 der Marktmissbrauchsrichtlinie lautet: „Ein Emittent darf (Hervorhebung d. Verf.) die Bekanntgabe von Insider-Informationen gemäß Absatz 1 auf eigene Verantwortung aufschieben, …“23 Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 Marktmissbrauchsrichtlinie („darf“, „may“, „podrá“)24 räumt damit dem Emittenten eine Entscheidungsbefugnis ein. Er entscheidet, ob er von der eingeräumten Möglichkeit (dem „Dürfen“), sich von der prinzipiell bestehenden Veröffentlichungspflicht zu befreien, Gebrauch machen will, oder nicht, vorausgesetzt, dass die Voraussetzungen für eine solche Entscheidung vorliegen. Eine Entscheidungsbefugnis spricht aber gerade gegen eine ex lege eintretende Ausnahme. Gegen eine kraft Gesetzes eintretende Ausnahme spricht auch Artikel 6 Abs. 2 Satz 2 Marktmissbrauchsrichtlinie, nach dem die Mitgliedstaaten vorsehen können25, „dass der Emittent die zuständige Behörde unverzüglich von der Entscheidung (Hervorhebung d. Verf.), die Bekanntgabe der Insider-Informationen aufzuschieben, zu unterrichten hat“. Der europäische
__________ 18 Darauf weisen Uwe H. Schneider/Gilfrich, BB 2007, 54, 55 bereits hin; ebenso auch Mennicke, NZG 2009, 1059, 1061; Pfüller (Fn. 15), § 15 Rz. 346 und Widder, BB 2009, 967, 971. 19 Auf § 8 Abs. 5 Nr. 2a) und b) weist Widder, DB 2008, 1490, 1481 ausdrücklich hin, Assmann (Fn. 13), § 15 Rz. 165d hält das nicht für überzeugend. 20 Wie hier Frowein (Fn. 15), § 10 Rz. 74. 21 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 28.1.2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. EG Nr. L 96, 16. 22 Vgl. allgemein zum Einfluss europäischen Rechts auf nationales Recht, wenn dieses aufgrund europäischer Vorgaben ergangen ist, nur Groß, Nationales Gesellschaftsrecht im Binnenmarkt, in Henssler/Kolbeck/Moritz/Rehm, Europäische Integration und globaler Wettbewerb, 1993, S. 391, 399 ff.; ausführlich zur richtlinienkonformen Auslegung im Bereich des Kapitalmarktrechts Kalss in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 2006, S. 387 ff.; speziell zur richtlinienkonformen Auslegung des § 15 Abs. 3 WpHG vgl. OLG Stuttgart, ZIP 2009, 962, 971; Möllers, NZG 2008, 330, 332; Widder, BB 2009, 967, 969 f. 23 Englische Fassung. „An Issuer may under his own responsibility …“. Spanische Fassung: „Un emisor podrá, bajo su propria responsabilidad ….“. 24 Mennicke, NZG 2009, 1059, 1061 stellt hier nicht auf das „dürfen“ ab, sondern darauf, dass der Emittent „aufschieben“ darf, was eine aktive Handlung des Emittenten und „– dieser denknotwendigerweise vorgelagert – eine bewusste Entscheidung zu ihrer Vornahme“ voraussetze. 25 Deutschland hat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.
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Gesetzgeber ging damit von einer Entscheidung und nicht von einer Legalausnahme aus26. Das gilt auch für den deutschen Gesetzgeber. Zwar ist es in diesem Zusammenhang weniger überzeugend, zu argumentieren, der Gesetzgeber hätte, sei § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG als Legalausnahme zu verstehen, diese gravierende Rechtsänderung in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck bringen müssen27. Da er dies nicht getan habe, könne § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG nicht als Legalausnahme angesehen werden. Dagegen lässt sich nämlich einwenden, dass allein die gesetzliche Regelung und ihr Wortlaut entscheidend sind. Dagegen kommt es nicht auf einen im Gesetzestext nicht zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers an28. Noch viel weniger überzeugt dann die Argumentation, etwas, das nicht ausdrücklich in den Gesetzesmaterialien ausgeschlossen werde, sei deshalb auch nicht gewollt. Dagegen ist hier entscheidend der im Gesetzestext zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers und damit § 15 Abs. 3 Satz 4 WpHG29. Die Regierungsbegründung des Gesetzes zur Verbesserung des Anlegerschutzes (Anlegerschutzverbesserungsgesetz – AnSVG) verweist zum einen darauf, dass der neugefasste § 15 Abs. 3 WpHG Artikel 6 Abs. 2 der Marktmissbrauchsrichtinie umsetze und hält in diesem Zusammenhang ausdrücklich Folgendes fest: „Die neu eingeführte Möglichkeit der Entscheidung des Emittenten (Hervorhebung d. Verf.) über einen Aufschub der Veröffentlichung setzt Artikel 6 Abs. 2 der Marktmissbrauchsrichtlinie um und lässt den bisher bestehenden Befreiungsantrag bei der Bundesanstalt entfallen. Der Emittent kann nun eigenverantwortlich unter den Voraussetzungen des Absatzes 3 die Veröffentlichung der Insiderinformation aufschieben und ist für die Dauer des Aufschubs von den Pflichten des Absatzes 1 befreit“30. Eine eigenverantwortliche Entscheidung ist bei einer Legalausnahme nicht erforderlich. Dieser Wille des Gesetzgebers und damit das Erfordernis einer Entscheidung ergibt sich aus dem Gesetzestext, nämlich aus § 15 Abs. 3 Satz 4 WpHG31. Die vorgenannte Passage aus der Regierungsbegründung lässt auch eine Deutung des eigentlich klaren Wortlautes des § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG – „ist … befreit“ – zu, nämlich: Der Emittent entscheidet darüber, ob er von der Befreiungsmöglichkeit des § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG Gebrauch macht, dann „ist (er) für die Dauer des Aufschubs von den Pflichten des Absatzes 1 befreit“. All dies
__________ 26 Dennoch sind die diesbezüglichen Umsetzungsregeln in den verschiedenen Mitgliedsstaaten offensichtlich unterschiedlich. So verweist Assmann (Fn. 13), § 15 Rz. 165c darauf, Frankreich komme ohne Selbstbefreiungsentscheidung aus, dagegen Widder, BB 2009, 967, 970, Fn. 46. 2.5.1 des FSA Handbook wiederholt dagegen Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 Marktmissbrauchsrichtlinie („An issuer may, under its own responsibility, delay the public disclosure …“), geht damit ebenfalls von einer Entscheidung des Emittenten aus und spricht gegen eine Legalausnahme. Zur Auslegungspraxis von CESR vgl. Widder, BB 2009, 967, 970. 27 So aber Mennicke, NZG 2009, 1059, 1062; Pfüller (Fn. 15), § 15 Rz. 346; Uwe H. Schneider/Gilfrich, BB 2007, 53, 54; Widder, BB 2009, 967, 969. 28 Vgl. hierzu nur LG Frankfurt, ZIP 2009, 1422. 29 Darauf stellt auch Widder, BB 2009, 967, 971 entscheidend ab. 30 BT-Drucks. 15/3174, S. 35. 31 Widder, BB 2009, 967, 971.
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spricht gegen eine Legalausnahme und dafür, dass eine Befreiung nach § 15 Abs. 3 WpHG eine Entscheidung des Emittenten erfordert.
III. Zuständigkeit für die Entscheidung über die Selbstbefreiung 1. Meinungsstand Ob die Entscheidung über die Selbstbefreiung eines Beschlusses des geschäftsführenden Organs bedarf32, oder aber auch von einem dafür bestimmten Gremium oder einer hierfür benannten Person (Leiter Compliance oder Leiter Rechtsabteilung) getroffen werden kann33, wird unterschiedlich beurteilt. Auch hier hat Uwe H. Schneider34 als einer der ersten Autoren35 bereits früh Position bezogen: Eine Delegation sei zulässig, da diese Entscheidung nicht zur originären Führungsfunktion des Vorstands gehöre und eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, welche diese Entscheidung dem geschäftsführenden Organ zuweist, nicht bestehe. Die anderslautende Ansicht der BaFin36 wird von dieser im Emittentenleitfaden nicht begründet. 2. Stellungnahme Nach § 76 AktG leitet der Vorstand die Gesellschaft, nach § 77 AktG obliegt ihm die Geschäftsführung und nach § 78 AktG vertritt er die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. Nur, das tut er nicht allein und nicht zwingend selbst. Unstreitig braucht er die ihm zugewiesenen Aufgaben nicht in eigener Person zu erbringen, sondern kann sie auf andere Personen delegieren37. Grenzen dieser grundsätzlich zulässigen Delegation können sich zum einen aus der zwingend vom Vorstand selbst wahrzunehmenden Leitungsfunktion ergeben. Die Leitung der Gesellschaft obliegt nach § 76 Abs. 1 AktG dem Vorstand als Organ und kann weder auf ein einzelnes Organmitglied noch etwa auf Mitarbeiter oder gar Dritte übertragen werden38. Leitung ist dabei generelle Unternehmensplanung und -kontrolle, aber nicht jede einzelne Geschäftsführungsaufgabe, deren Entscheidung und Durchführung39. Die Festlegung der
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32 So z. B. die BaFin, Emittentenleitfaden, S. 65; Diekmann/Sustmann, NZG 2004, 929, 935. 33 Uwe H. Schneider/Gilfrich, BB 2007, 53, 55; Sven H. Schneider, BB 2005, 897, 900; Frowein (Fn. 15), § 10 Rz. 75; Mennicke, NZG 2009, 1059, 1062; Versteegen (Fn. 13), § 15 Rz. 172. 34 Uwe H. Schneider/Gilfrich, BB 2007, 53, 55. 35 Vorher bereits Sven H. Schneider, BB 2005, 897, 900 (Delegation zulässig); Diekmann/ Sustmann, NZG 2004, 929, 935 (Vorstandsbeschluss erforderlich). 36 Ausführlich und überzeugend dazu, dass die Formulierung im Emittentenleitfaden der BaFin unklar und widersprüchlich ist, Mennicke, NZG 2009, 1059, 1062. 37 Vgl. nur BGHZ 133, 370, 378; Hopt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rz. 55; Uwe H. Schneider/Gilfrich, BB 2007, 53, 55. 38 Unstreitig vgl. nur Kort in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2002, § 76 Rz. 34; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 77 Rz. 63; Wiesner in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 19 Rz. 13. 39 Kort (Fn. 38), § 76 Rz. 34; Spindler (Fn. 38), § 77 Rz. 63.
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Organisationsstruktur des Unternehmens zur Einhaltung und Überwachung von wertpapieraufsichtsrechtlichen Bestimmungen mag deshalb dem Vorstand als Gesamtorgan zukommen, ebenso wie die so festgelegten Strukturen von einem Mitglied des Vorstands überwacht werden müssen. Die Einzelentscheidung über den Aufschub der Ad-hoc-Publizitätspflicht ist aber gerade keine generelle Grundsatzentscheidung, sondern eine spezielle Einzelmaßnahme. Sie gehört deshalb nicht zu den nicht delegierbaren Leitungsfunktionen, sondern gerade zu den Geschäftsführungsmaßnahmen, die jedenfalls mit Blick auf die Organverfassung der Aktiengesellschaft delegierbar ist40. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, die einzelne Maßnahme, welche die Ad-hoc-Publizitätspflicht als solche auslöst, sei in der Regel so bedeutend, dass sie einer Vorstandsentscheidung bedürfe41. Das mag zutreffend sein und ist es auch, z. B. bei Kapitalmaßnahmen und anderen vergleichbaren Ereignissen bei denen bereits das Gesetz ausdrücklich eine Vorstandsentscheidung fordert. Daraus ergibt sich jedoch nichts für die Entscheidung über die Verschiebung der Ad-hocPublizität. Das sind zwei gänzlich unterschiedliche Entscheidungen und Maßnahmen, hier z. B. die Kapitalerhöhung basierend auf gesellschaftsrechtliche Regeln, dort der Aufschub der Ad-hoc-Publizität basierend allein auf § 15 Abs. 3 WpHG i. V. m. §§ 6, 7 WpAIV. Allerdings könnte sich aus der gesetzlichen Regelung zur Entscheidung über den Aufschub der Ad-hoc-Publizitätspflicht die zwingende Zuständigkeit des Geschäftsführungsorgans ergeben. Das wäre dann der Fall, wenn die zwingende Zuständigkeit des Geschäftsführungsorgans in § 15 Abs. 3 WpHG ausdrücklich angeordnet wäre, oder sich eine solche zwingende Zuständigkeit aus der Regelungsmaterie als solcher ergeben würde. Beides ist hier aber nicht der Fall. § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG enthält gerade keine ausdrückliche Zuweisung der dort geregelten Verschiebung der Ad-hoc-Publizitätspflicht an den Vorstand. § 15 Abs. 3 WpHG unterscheidet sich damit gerade von z. B. §§ 245, 264 Abs. 2 Satz 3, 297 Abs. 2 Satz 4 HGB, die, bei einer Aktiengesellschaft, ausdrücklich eine Unterzeichnung des Jahresabschlusses beziehungsweise des so genannten Bilanzeides durch den Vorstand, d. h. alle seine Mitglieder vorsehen. § 15 Abs. 3 WpHG ist auch anders als verschiedene sonstige Regelungen, die eine Zuständigkeit speziell des Vorstands als Organ vorschreiben, z. B. die Berichtspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat, § 90 AktG, Verlustanzeige oder Beantragung des Insolvenz- oder Vergleichsverfahrens, § 92 AktG42. § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG spricht vielmehr ausdrücklich nur davon, dass der „Emittent“ von der Ad-hocPublizitätspflicht befreit ist, § 15 Abs. 3 Satz 4 WpHG verpflichtet den „Emittent“, die Gründe für die Befreiung der BaFin mitzuteilen, ohne festzulegen, wer innerhalb der Unternehmensorganisation des Emittenten dafür zuständig ist. Deshalb ergibt sich aus der gesetzlichen Bestimmung gerade keine zwingende Zuständigkeit allein des Vorstands. Auch die Regelungsmaterie
__________ 40 Uwe H. Schneider/Gilfrich, BB 2007, 53, 55; Frowein (Fn. 15), § 10 Rz. 75; Versteegen (Fn. 13), § 15 Rz. 172; Widder, BB 2009, 967, 972. 41 Hewicker, Ad-hoc-Publizität: Die Haftung des Vorstandes, 2005, S. 39. 42 Weitere Beispiele bei Spindler (Fn. 38), § 77 Rz. 64.
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selbst ergibt keine solche zwingende Zuständigkeit. Im Gegenteil, im Kontext der Behandlung von Insiderinformationen im Unternehmen ist eine Beauftragung Dritter teilweise „gesetzlich“ sogar gefordert, teilweise „gesetzlich“ ausdrücklich zugelassen. So veröffentlicht nicht etwa der Emittent selbst die Insiderinformationen, sondern muss hierzu Dritte einschalten, § 3a WpAIV, und unstreitig darf der Emittent z. B. Dritte mit der Führung von Insiderverzeichnissen beauftragen, § 4 Satz 1 Nr. 2 WpAIV. Wieso dann aber für die Entscheidung über den Aufschub der Ad-hoc-Publizität allein der Vorstand zuständig sein soll, ist nicht erklärlich. Dass er ordnungswidrigkeitenrechtlich für eine fehlerhafte oder fehlende Ad-hoc-Publizität verantwortlich gemacht werden kann, ändert daran nichts. Das ist auch bei anderen Regelungsmaterien der Fall. So ist das Geschäftsführungsorgan sowohl straf- als auch haftungsrechtlich verantwortlich für die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen, ohne dass dort Zweifel bestehen, dass es diese Aufgaben delegieren kann43. Anders als von der BaFin im Emittentenleitfaden gefordert44, kann damit der Vorstand die Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht aber auch die Entscheidung über deren Aufschub auf Mitarbeiter des Unternehmens delegieren, z. B. an ein besonderes „Komitee für § 15 WpHG“ oder an einzelne Personen, z. B. den Leiter der Compliance-Abteilung oder den Leiter der Rechtsabteilung45. Dieses Ergebnis wird auch von folgender Überlegung gestützt: Es können im Unternehmen durchaus ad-hoc-publizitätspflichtige Innformationen existieren, von denen der Vorstand keine Kenntnis hat. Das kann z. B. bei vom Aufsichtsrat geplanten Änderungen im Vorstand der Fall sein, so wie in dem Sachverhalt, den das OLG Stuttgart und das OLG Frankfurt sowie der BGH zu beurteilen hatten. Hier kann eine eventuelle Entscheidung nach § 15 Abs. 3 WpHG rein tatsächlich mangels Kenntnis nicht vom Vorstand vorgenommen werden, andererseits besteht aber gerade auch in diesem Bereich eine nicht von der Hand zu weisende Notwendigkeit für eine Entscheidung über den Aufschub der Ad-hoc-Publizitätspflicht, etwa dann, wenn die Vorbereitungen für die Änderungen im Vorstand zwar bereits sehr weitgehend konkretisiert aber noch nicht abgeschlossen sind. In einem solchen Fall kann die Anwendung des § 15 Abs. 3 WpHG nicht deshalb ausgeschlossen sein, weil kein entscheidungskompetentes Organ zur Verfügung steht. Vielmehr entscheidet hier der Aufsichtsrat für die Gesellschaft oder eben das Gremium oder die Person an das bzw. auf welche die Entscheidung über den Aufschub der Ad-hoc-Publizitätspflicht delegiert wurde46.
__________ 43 BGHZ 133, 370, 378. 44 BaFin, Emittentenleitfaden, S. 65. 45 Wie hier Uwe H. Schneider/Gilfrich, BB 2007, 53, 55; Sven H. Schneider, BB 2005, 897, 900; Frowein (Fn. 15), § 10 Rz. 75; Mennicke, NZG 2009, 1059, 1062; Versteegen (Fn. 13), § 15 Rz. 172; Widder, BB 2009, 967, 972. 46 Sven H. Schneider, WuB I G 6. § 15 WpHG 1.09, 694.
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IV. Entscheidung nach § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG 1. Entscheidungsvoraussetzungen Die Entscheidung zum Aufschub der Ad-hoc-Publizität setzt kumulativ47 nach § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG dreierlei voraus: Erstens, dass der Schutz der berechtigten Interessen des Emittenten den Aufschub erfordert, dass zweitens keine Irreführung der Öffentlichkeit zu befürchten ist, und dass drittens der Emittent die Vertraulichkeit der Insiderinformation gewährleisten kann. a) Erforderlichkeit des Schutzes der berechtigten Interessen des Emittenten Die erste Voraussetzung enthält wiederum zwei Elemente: Zum einen, dass berechtigte Interessen des Emittenten am Aufschub der Ad-hoc-Publizität überhaupt vorliegen, und zum anderen eine Interessenabwägung, nach der die Interessen des Emittenten mit den Interessen des Kapitalmarkts und der Anleger abgewogen werden und diese Abwägung zu dem Schluss führt, dass der Aufschub erforderlich ist. Die Erforderlichkeit der Interessenabwägung wird in § 6 Satz 1 WpAIV deutlich48. § 6 Satz 2 WpAIV enthält zwei Regelbeispiele, in denen eine Interessenabwägung zu einem Aufschub führen kann. Das bedeutet, die Beispiele sind erstens nicht abschließend49 und zweitens nicht zwingend50, d. h. es kann durchaus sein, dass die Abwägung im jeweiligen Einzelfall zu einem anderen Ergebnis kommt. Ein wesentlicher Anwendungsbereich des Aufschubs der Ad-hoc-Publizität ist die in § 6 Satz 2 Nr. 2 WpAIV genannte Fallgruppe der mehrstufigen Entscheidungsprozesse. Unter dieses Stichwort werden jedoch nicht nur die in § 6 Satz 2 Nr. 2 WpAIV genannte Gruppe der fehlenden Zustimmung eines Organs des Emittenten subsumiert, typischerweise im deutschen Kontext die fehlende Zustimmung des Aufsichtsrats, die entweder gesetzliches Erfordernis oder nach der Geschäftsordnung des Vorstands angeordnet ist. Vielmehr sollen darunter auch die sich fortentwickelnden Sachverhalte von Transaktionen fallen, z. B. bei einer in Aussicht genommenen Übernahme die verschiedenen Stufen beginnend z. B. mit der Beauftragung von Beratern, der Unterzeichnung einer Vertraulichkeitsvereinbarung, dem Beginn der Due Diligence bis hin zur Unterzeichnung eines Letter of Intent und zur eigentlichen Übernahmeentscheidung51. Gleichfalls dort angesiedelt werden auch solche Fälle wie die des einvernehmlichen Ausscheidens des Vorstandsvorsitzenden. Zur Vermeidung von Missverständnissen und zur erleichterten Handhabung sollte man diese Fallgruppen jedoch klar auseinander halten. Da es sich um
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47 Vgl. nur Frowein (Fn. 15), § 10 Rz. 76. 48 Vgl. nur Assmann (Fn. 13), § 15 Rz. 155 m. w. N. 49 So ausdrücklich auch OLG Stuttgart, ZIP 2009, 962, 969; Assmann (Fn. 13), § 15 Rz. 148 m. w. Beispielen in Rz. 151; Frowein (Fn. 15), § 10 Rz. 78; Pfüller (Fn. 15), § 15 Rz. 390. 50 Frowein (Fn. 15), § 10 Rz. 78. 51 Siehe nur die Ausführungen der BaFin unter „Mehrstufige Entscheidungsprozesse“, Emittentenleitfaden, S. 31.
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sachlich unterschiedliche Fallgruppen handelt, sollte unterschieden werden zwischen der eigentlichen Fallgruppe der mehrstufigen Entscheidungsprozesse, in der die Entscheidung eines Gesellschaftsorgans fehlt einerseits, und der besser als „gestreckte Entscheidungsprozesse“52 zu bezeichnenden Fallgruppe einer sich fortentwickelnden Ereigniskette. Für die Gruppe der fehlenden Zustimmung eines Organs des Emittenten enthält § 6 Satz 2 Nr. 2 WpAIV eine Lösung nach der – wenn nicht besondere Umstände vorliegen – grundsätzlich ein Aufschub der Ad-hoc-Publizität zulässig ist. Darauf, ob die Zustimmung des z. B. Aufsichtsrats wahrscheinlich ist oder aber eher noch zweifelhaft sein muss, um einen solchen Aufschub zu rechtfertigen, kommt es im Rahmen des § 6 Satz 2 Nr. 2 WpAIV nach dem Wortlaut nicht an53. Das war früher anders als man versuchte, das Bestehen einer Insiderinformation mit der Begründung zu verneinen, die Zustimmung des Aufsichtsrats sei nicht wahrscheinlich. Heute sollte man diesen Weg nicht mehr gehen, sondern den des Aufschubs der Ad-hoc-Publizität nach § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG. Die Eintrittswahrscheinlichkeit, dort aber im Hinblick auf den jeweiligen einzelnen Umstand und nicht auf die Zustimmung eines anderen Gesellschaftsorgans, ist dagegen bei den beiden anderen vorgenannten Fallgruppen bereits für die Vorfrage, ob eine Insiderinformation vorliegt, zu prüfen. § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG fordert für zukünftige Ereignisse eine solche „hinreichende Wahrscheinlichkeit“. Das hat aber mit den in § 6 Satz 2 Nr. 2 WpAIV geregelten mehrstufigen Entscheidungsprozessen im Sinne eines Zustimmungserfordernisses eines Gesellschaftsorgans nichts zu tun. Bei z. B. der oben dargestellten Transaktion einer Unternehmensübernahme ist für jeden einzelnen Schritt zu prüfen, ob dieser bereits eine solche konkrete Information enthält, dass diese selbst oder im Hinblick auf die hinreichende Wahrscheinlichkeit hin zur eigentlichen Übernahme eine Insiderinformation darstellt54. Wenn dem so ist, aber eben auch nur dann, so kommt gegebenenfalls eine Befreiung nach § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG i. V. m. § 6 Satz 2 Nr. 1 WpAIV wegen Beeinträchtigung laufender Verhandlungen in Betracht. Darüber hinaus kann in diesen Fällen unter Umständen ganz am Ende eine Befreiung nach § 15 Abs. 3 WpHG i. V. m. § 6 Satz 2 Nr. 2 WpAIV wegen noch fehlender Zustimmung des Aufsichtsrats in Betracht kommen. Letzteres ist jedoch erst am Ende relevant, vorher geht es um die notwendige Vorfrage, ob eine Insiderinformation überhaupt vorliegt, nicht um die Befreiung aufgrund fehlender Zustimmung des Aufsichtsrats. In der (Kommentar-)Literatur wurden zwischenzeitlich umfangreiche Beispielskataloge entwickelt, in denen über die in § 6 Satz 2 WpAIV enthaltenen Beispiele hinaus im Einzelfall die berechtigten Interessen des Emittenten den Auf-
__________ 52 Ebenso Mennicke, NZG 2009, 1059. 53 So jetzt auch klar BaFin, Emittentenleitfaden, S. 67: „Angesichts der dem Aufsichtsrat nach dem Aktienrecht zugewiesenen gesetzlichen Aufgaben zur Überwachung des Vorstands ist bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen eine Befreiung regelmäßig zulässig.“ Wie hier im Ergebnis auch Assmann (Fn. 13), § 15 Rz. 145; Frowein (Fn. 15), § 10 Rz. 92; Pfüller (Fn. 15), § 15 Rz. 378. 54 So BaFin, Emittentenleitfaden, S. 31; ebenso Mennicke, NZG 2009, 1059, 1060.
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Befreiung von der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach § 15 Abs. 3 WpHG
schub der Ad-hoc-Publizität rechtfertigen können55. Dem ist die BaFin im Emittentenleitfaden zu Recht gefolgt und hat hierzu ausdrücklich Folgendes festgehalten: „In der Kommentarliteratur wurden an die auf Seiten des Emittenten liegenden Interessen bislang sehr hohe Anforderungen gestellt und die Möglichkeiten des Aufschubs einer Veröffentlichung sehr restriktiv interpretiert. Im Hinblick auf die nunmehr auch für die Ad-hoc-Publizität geltende Definition der Insiderinformation und die damit verbundene zeitliche Vorverlagerung der Veröffentlichungspflicht (z. B. bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen) kann diese restriktive Auslegung nicht mehr aufrecht erhalten werden. Der Anwendungsbereich der Befreiungsvorschrift in § 15 Abs. 3 WpHG ist gegenüber der bis zum Inkrafttreten des Anlegerschutzverbesserungsgesetzes geltenden Formulierung erheblich erweitert worden“56.
Diese Aussage ist vorbehaltlos zu begrüßen: In Anbetracht der durch das Anlegerschutzverbesserungsgesetz erheblich erweiterten Ad-hoc-Publizitätspflicht, übrigens nicht nur bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen, die deshalb zu Recht von der BaFin nur als Beispiel aufgeführt werden, ist § 15 Abs. 3 WpHG als Korrektiv57 anzusehen. Diesem Korrektiv kommt als „Zentralnorm der Ad-hoc-Publizität“58 eine gegenüber dem früheren Recht noch gesteigerte Bedeutung zu. Dies verbietet eine restriktive und gebietet eine extensive Auslegung der Voraussetzungen für den Aufschub der Ad-hoc-Publizität und damit deren erweiterte Anwendung. b) Keine Irreführung der Öffentlichkeit Offensichtlich ist, dass nicht allein aus der Existenz einer Insiderinformation und deren Verschweigen eine Irreführung der Öffentlichkeit resultiert59; anderenfalls wäre für § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG kein Anwendungsbereich eröffnet. Insofern kann es nur darum gehen, ob im Markt bereits konkrete Informationen kursieren, die mit der zu veröffentlichten Information im Widerspruch stehen. Aber auch dies ist noch zu weit und muss eingegrenzt werden: Der Aufschub der Veröffentlichung der Insiderinformation kann nur dann zu einer vom Emittenten verursachten Irreführung der Öffentlichkeit führen, wenn die Quelle der Information in der Emittentensphäre liegt60. Wenn man hier auch außerhalb der Emittentensphäre stammende Informationen ausreichen lassen will, um einen Aufschub der Ad-hoc-Publizität als unzulässig anzusehen, wäre § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG zur Disposition der Pressespekulation gestellt und
__________ 55 56 57 58 59
Vgl. nur Assmann (Fn. 13), § 15 Rz. 151. BaFin, Emittentenleitfaden, S. 66 f. So ausdrücklich Assmann (Fn. 13), § 15 Rz. 149. Simon, Der Konzern 2005, 1319. Wohl allgemeine Meinung, vgl. BaFin, Emittentenleitfaden, S. 67; Assmann (Fn. 13), § 15 Rz. 159; Frowein (Fn. 15), § 10 Rz. 110. 60 In diesem Sinne wohl auch BaFin, Emittentenleitfaden, S. 67; Frowein (Fn. 15), § 10 Rz. 111 f.; restriktiver wohl Assmann (Fn. 13), § 15 Rz. 160, der auch allgemeine Marktinformationen und damit auch Informationen, die nicht aus der Emittentensphäre stammen, ausreichen lassen will.
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damit der Entscheidungsbefugnis des Emittenten entzogen61. Fraglich ist allerdings, welche eigenständige Bedeutung gegenüber der dritten Voraussetzung, dass die Vertraulichkeit gewährleistet sein muss, bei der hier vertretenen Auslegung der Voraussetzung, dass die Öffentlichkeit nicht in die Irre geführt werden darf, noch zukommt. c) Gewährleistung der Vertraulichkeit Zwar wird vereinzelt die Gewährleistung der Vertraulichkeit, die im § 7 WpAIV näher umschrieben ist, nicht als Voraussetzung sondern als Folgepflicht bei einer aufgeschobenen Ad-hoc-Publizität angesehen62, wofür auch der Wortlaut des § 7 WpAIV („Während der Befreiung … hat der Emittent …“) spricht. Der Wortlaut des § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG spricht dagegen klar für die von der h. M. zu Recht vertretene Ansicht, die Gewährleistung der Vertraulichkeit sei Voraussetzung, nicht Rechtsfolge eines Aufschubs der Ad-hoc-Publizität63. § 7 WpAIV beschreibt die Vorkehrungen, welche der Emittent zu treffen hat, um die Vertraulichkeit zu gewährleisten. Im Wege der richtlinienkonformen Auslegung ist § 7 Nr. 1 WpAIV so zu lesen, dass der Zugang zur Insiderinformation auf diejenigen Personen zu beschränken ist, welche sie zur Wahrung ihrer Aufgaben benötigen und nicht, wie § 7 Nr. 1 WpAIV und Artikel 3 Abs. 2 lit. a) Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG64 es ausdrücken, für die der Zugang zur Insiderinformation „unerlässlich“ ist65. Bei der Verpflichtung zur Gewährleistung der Vertraulichkeit der Insiderinformation handelt es sich um eine Organisationspflicht, die nach § 7 WpAIV zwei verschiedene Vorkehrungen verlangt, zum einen gemäß § 7 Nr. 1 WpAIV die Beschränkung des Zugangs zur Insiderinformation, zum anderen gemäß § 7 Nr. 2 WpAIV die Vorbereitung der unverzüglichen Bekanntgabe der Insiderinformation sobald die Vertraulichkeit nicht mehr gewährleistet ist. Artikel 3 Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG sowie die Regierungsbegründung zum Anlegerschutzverbesserungsgesetz66 fordern darüber hinaus, dass der Emittent dafür Sorge zu tragen hat, dass diejenigen, die Zugang zu den Insiderinformationen haben, die sich daraus ergebenden rechtlichen sowie regulatorischen Pflichten anerkennen und sich der Sanktionen bewusst sind, die bei einer missbräuchlichen Verwendung bzw. einer nicht ordnungsgemäßen Verbreitung
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61 Wie hier Sven H. Schneider, BB 2005, 897, 899. 62 Versteegen (Fn. 13), § 15 Rz. 161 ff. 63 Assmann (Fn. 13), § 15 Rz. 161 ff.; Frowein (Fn. 15), § 10 Rz. 113 ff.; Pfüller (Fn. 15), § 15 Rz. 392 ff. 64 Richtlinie 2003/124/EG der Kommission v. 22.12.2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Begriffsbestimmung und die Veröffentlichung von Insider-Informationen und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation, ABl. EG L 339/70. 65 Im Ergebnis unstreitig, jedoch mit unterschiedlicher Begründung, zutreffend Assmann (Fn. 13), § 15 Rz. 162; dagegen allein auf den Wortlaut der englischsprachigen Fassung der Durchführungsrichtlinie abstellend Frowein (Fn. 15), § 10 Rz. 114; Pfüller (Fn. 15), § 15 Rz. 393. 66 BT-Drucks. 15/3174, S. 35.
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Befreiung von der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach § 15 Abs. 3 WpHG
derartiger Informationen verhängt werden. Obwohl weder § 15 Abs. 3 WpHG noch § 7 WpAIV diese zusätzliche Voraussetzung nennen, wird man auch67 hier aufgrund der diesbezüglichen Regelung in § 15b Abs. 1 Satz 3 WpHG diese zusätzliche Verpflichtung als weitere Voraussetzung eines Aufschubs der Adhoc-Publizität ansehen müssen68. Allerdings ist fraglich, ob bei jedem Aufschub tatsächlich alle Insider belehrt werden müssen. Das dürfte jedenfalls dann nicht der Fall sein, wenn die Aufschubentscheidung im Laufe des weiteren Verfahrens überprüft und bestätigt wird. Hier eine erneute Belehrung zu fordern, ist reiner Formalismus. Aber auch darüber hinaus würde gerade bei beteiligten Mitgliedern des Vorstands und regelmäßig mit Insiderinformationen in Kontakt geratenden Mitarbeitern der ersten Führungsebene unterhalb des Vorstands eine immer wieder erneuerte Belehrung eher ihren Sinn verfehlen. Hier muss ein Hinweis auf die Aufnahme in das Insiderverzeichnis und eine frühere Belehrung über die sich daraus ergebenden Folgen genügen. Problematisch im Zusammenhang mit der Gewährleistung der Vertraulichkeit ist es, wenn während des Zeitraums des Aufschubs der Ad-hoc-Publizität Gerüchte aufkommen, welche die oder Teile der aufgeschobene(n) Insiderinformation betreffen. Auch hier hat sich in der Literatur jedoch zwischenzeitlich ein klares Meinungsbild entwickelt, dem sich die BaFin im Emittentenleitfaden erfreulicherweise angeschlossen hat: „Handelt es sich um Gerüchte, deren Auftreten nicht auf einer dem Emittenten zurechenbaren Vertraulichkeitslücke zurückzuführen sind, besteht für den Emittenten weiterhin die Möglichkeit, den Aufschub der Veröffentlichung fortzusetzen, d. h. das Kriterium der Gewährleistung der Vertraulichkeit ist in diesem Fall noch nicht entfallen. … Kann der Emittent ausschließen, dass diese Details aus seiner Sphäre stammen, so darf er den Aufschub der Veröffentlichung ebenfalls fortsetzen. … Der Emittent darf in diesen Fällen jedoch aktiv keine gegenläufigen Erklärungen abgeben oder Signale setzen (Dementis), da anderenfalls das Tatbestandmerkmal der Irreführung der Öffentlichkeit erfüllt sein könnte. Der Emittent sollte sich in diesen Fällen auf eine ‚no comment policy‘ beschränken“69.
2. Konkrete Vorgehensweise und praktische Empfehlungen Auch der Jubilar hat sich in seinem Beitrag zu den hier erörterten Fragen nicht mit der abstrakten Darstellung der Rechtslage begnügt, sondern konkrete Handlungsanweisungen gegeben70. Gerade für den Autor als Praktiker ist dies Anlass genug, Gleiches zu versuchen.
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67 Vgl. oben II. 2. bereits zur „ergänzenden Auslegung“ des § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG anhand des § 15 Abs. 3 Satz 4 WpHG. 68 Ebenso ausdrücklich OLG Stuttgart, ZIP 2009, 962, 972; Frowein (Fn. 15), § 10 Rz. 115; nicht ganz eindeutig, wie sich nicht zuletzt aus der Argumentation der Musterbeklagten im Verfahren des OLG Stuttgart ergibt, vgl. dort die auf S. 972 wiedergegebene Argumentation, Assmann (Fn. 13), § 15 Rz. 163. 69 BaFin, Emittentenleitfaden, S. 67 f.; Frowein (Fn. 15), § 10 Rz. 119 f.; Pfüller (Fn. 15), § 15 Rz. 395 f. 70 Uwe H. Schneider/Gilfrich, BB 2007, 53, 55 f.
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a) Konkrete, detaillierte Entscheidung Der Aufschub der Ad-hoc-Publizität sollte durch eine konkrete, detaillierte Entscheidung des dafür zuständigen Gremiums oder der dafür zuständigen Person erfolgen. Das bedingt, dass eine Vorratsentscheidung für eine Vielzahl von Konstellationen nicht zulässig ist71, anders dagegen eine vorsorgliche Entscheidung. Eine solche vorsorgliche Entscheidung bietet sich z. B. dann an, wenn nicht sicher ist, dass wirklich bereits eine Insiderinformation vorliegt72. Detaillierte Entscheidung bedeutet, dass in der Entscheidung selbst bereits die Gründe für den Aufschub im Einzelnen niedergelegt werden. Aufgrund der Pflicht zur Überwachung der Voraussetzungen während des Aufschubs der Adhoc-Publizität wird man auch verlangen müssen, dass sowohl das Datum der Entscheidung über den Aufschub, die Verpflichtung zur Überprüfung der Entscheidung und die Zuständigkeit für die Überprüfung der Entscheidung dort festgehalten werden. b) Unverzügliche Entscheidung Die Entscheidung ist unverzüglich zu treffen, was sich bereits aus dem Zusammenspiel von § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG einerseits und § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG andererseits ergibt. Setzt nach der hier vertretenen Ansicht der Aufschub der Ad-hoc-Publizität eine Entscheidung voraus, dann besteht bis zu dieser Entscheidung eine Pflicht, unverzüglich zu veröffentlichen. Dann kann aber eben nur eine unverzügliche Entscheidung über diesen Aufschub diese unverzügliche Veröffentlichung auch wirklich aufschieben73. c) Dokumentation § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG verlangt keine Dokumentation der Entscheidung, deshalb soll auch eine mündliche oder konkludente Entscheidung ausreichen74. In diesem Sinne fordert z. B. die BaFin auch keine Dokumentation der Entscheidung, sondern rät nur dazu: „Der gesamte Prozess sollte ausreichend dokumentiert werden“75. Es ist für die Praxis müßig, dies näher zu hinterfragen, da hier nur geraten werden kann, die Entscheidung klar und deutlich zu dokumentierten, zumindest aber, gegebenenfalls durch Zeugenbeweis, diese beweisen zu können.
__________ 71 Uwe H. Schneider/Gilfrich, BB 2007, 53, 55; a. A. Sven H. Schneider, WuB I G 6. § 15 WpHG 1.09, 694. 72 Wie hier Frowein (Fn. 15), § 10 Rz. 122; Sven H. Schneider, WuB I G 6. § 15 WpHG 1.09, 694; Widder, BB 2009, 967, 972 m. w. N. Fn. 93. 73 So ausdrücklich bereits Uwe H. Schneider/Gilfrich, BB 2007, 53, 55 ff. 74 Sven H. Schneider, BB 2005, 897, 900; Mennicke, NZG 2009, 1059, 1061; Widder, BB 2009, 967, 972; a. A. und eine Dokumentationspflicht annehmend Uwe H. Schneider/ Gilfrich, BB 2007, 53, 56. 75 BaFin, Emittentenleitfaden, S. 66.
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Befreiung von der Ad-hoc-Publizitätspflicht nach § 15 Abs. 3 WpHG
V. Zusammenfassung 1. § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG verlangt eine Entscheidung des Emittenten, von der Möglichkeit des Aufschubs der Ad-hoc-Publizität Gebrauch zu machen. Erforderlich hierfür ist nicht zwingend eine Entscheidung durch das geschäftsführende Organ des Emittenten, ausreichend ist auch eine Entscheidung durch ein hierfür bestimmtes Gremium bzw. eine hierfür bestimmte Person. 2. Bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Aufschub der Ad-hoc-Publizität ist eine eher weite Auslegung angebracht, da § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG ein Korrektiv für die erheblich erweiterte Ad-hoc-Publizitätspflicht darstellt. 3. Die Entscheidung nach § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG ist unverzüglich zu treffen, sie ist konkret und detailliert abzufassen und sollte dokumentiert werden. Bei dieser Entscheidung sind die mit der Insiderinformation, deren Veröffentlichung aufgeschoben werden soll, befassten Personen entsprechend § 15b Abs. 1 Satz 3 WpHG zu belehren, wobei auch ein Verweis auf frühere Belehrungen ausreichen müsste.
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Rechtsfolgen bei unterlassener Prüfung der Kreditwürdigkeit Inhaltsübersicht I. Die einschlägigen Bestimmungen 1. Der Norminhalt 2. Die Gründe der doppelten Normierung 3. Folgefragen II. Die Rechtsfolgen 1. Die Ausgangslage a) Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen § 509 BGB
b) Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen § 18 Abs. 2 KWG aa) Anordnungen der BaFin bb) § 18 Abs. 2 KWG als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB cc) Anspruch des Kreditnehmers nach §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB III. Zusammenfassung
I. Die einschlägigen Bestimmungen 1. Der Norminhalt Mitte 2010 sind zwei Bestimmungen mit nahezu identischem Wortlaut in Kraft getreten. Der neue § 509 BGB lautet: „Vor dem Abschluss eines Vertrags über eine entgeltliche Finanzierungshilfe hat der Unternehmer die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers zu bewerten. Grundlage für die Bewertung können Auskünfte des Verbrauchers und erforderlichenfalls Auskünfte von Stellen sein, die geschäftsmäßig personenbezogene Daten, die zur Bewertung der Kreditwürdigkeit von Verbrauchern genutzt werden dürfen, zum Zweck der Übermittlung erheben, speichern oder verändern“. Ganz ähnlich bestimmt § 18 Abs. 2 KWG: „Die Institute prüfen vor Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrages oder eines Vertrags über eine entgeltliche Finanzierungshilfe die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers. Grundlage können Auskünfte des Verbrauchers und erforderlichenfalls Auskünfte von Stellen sein, die geschäftsmäßig personenbezogene Daten, die zur Bewertung der Kreditwürdigkeit von Verbrauchern genutzt werden dürfen, zum Zweck der Übermittlung erheben, speichern oder verändern“. 2. Die Gründe der doppelten Normierung Auf dem ersten Blick überrascht diese „Doppelregelung“, zumal beide Normen auf die Vorgaben der Verbraucherkreditrichtlinie zurückzuführen sind. Die
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Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung1 erläutert, warum man so vorgegangen ist. Art. 8 Abs. 1 der Verbraucherkreditrichtlinie2 bestimmt, dass die Mitgliedsstaaten sicherstellen, dass vor Abschluss des Kreditvertrages der Kreditgeber die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers anhand ausreichender Informationen zu bewerten hat. Um diesen Vorgaben nachzukommen, wurde die geschilderte Kreditprüfungspflicht ins KWG eingeführt. Die Pflicht zur Prüfung der Kreditwürdigkeit sollte, da sie im öffentlichen Interesse bestehe, auch im Gesetz über die öffentliche Aufsicht eingefügt werden3. Da aber Unternehmen, die Kredite bei eigenen Geschäften gewähren (etwa im Falle des Leasing oder des Teilzahlungskaufs), nicht unter das KWG fallen, gleichwohl aber von der Richtlinie erfasst sind, wurde für diese Verträge § 509 ins BGB eingefügt. Die Norm gilt daher nur für Finanzierer, die nicht unter das KWG fallen. 3. Folgefragen Die geschilderte doppelte Normierung wäre unproblematisch, wenn davon auszugehen wäre, dass mit demselben Wortlaut auch inhaltlich dasselbe gemeint ist. Aber das ist in Bezug auf § 509 BGB und § 18 Abs. 2 KWG keineswegs klar. Denn schließlich ist die eine Bestimmung Teil eines privatrechtlichen und die andere Teil eines öffentlich-rechtlichen Gesetzes. Daher liegt die Vermutung nahe, dass § 509 BGB Pflichten der Vertragspartner untereinander regelt, während § 18 Abs. 2 KWG Pflichten benennt, die im öffentlichen Interesse bestehen und deren Befolgung die BaFin sicherstellt. Dies lenkt den Blick auf die Frage, welche Rechtsfolgen ein Verstoß gegen die genannten Normierungen nach sich zieht.
II. Die Rechtsfolgen 1. Die Ausgangslage a) Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen § 509 BGB Welche Rechtsfolgen ein Verstoß gegen § 509 BGB nach sich ziehen soll, sagt das Gesetz nicht. Klar ist, dass eine Normverletzung nicht folgenlos bleiben kann. Denn die in Art. 8 der Verbraucherkreditrichtlinie normierte Pflicht zur Prüfung der Kreditwürdigkeit muss effizient umgesetzt werden. Dies macht der Wortlaut von Art. 8 deutlich: „Die Mitgliedsstaaten stellen sicher, dass vor Abschluss des Kreditvertrages der Kreditgeber die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers anhand ausreichender Informationen bewertet“. Hinzu kommt, dass Erwägungsgrund 26 ausdrücklich sagt, dass die Mitgliedsstaaten Kontrollen durchführen sollen, um Kreditvergaben ohne Kreditwürdigkeitsprüfungen zu unterbinden und „Sanktionsmittel für jene Kreditgeber bestimmen (sollen), die
__________ 1 BT-Drucks. 16/11643, S. 95 f. 2 87/102/EWG v. 23.4.2008. 3 BT-Drucks. 16/11643, S. 95 f.
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Rechtsfolgen bei unterlassener Prüfung der Kreditwürdigkeit
sich so verhalten“. Weiter wird gesagt, dass Kreditgeber dafür verantwortlich sein sollen, die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers in jedem Einzelfall zu prüfen. Es liegt daher auf der Hand, dass eine Normierung ohne jede Sanktion im Falle eines Verstoßes nicht richtlinienkonform wäre. Der Wortlaut von § 509 BGB („hat … zu bewerten“) deutet auf die Begründung einer Pflicht des Finanzierers gegenüber dem Verbraucher hin. Denn dieser ist Partner des mit Aufnahme der Kredit- oder sonstigen Vertragsverhandlungen begründeten vorvertraglichen Schuldverhältnisses. Ein Verstoß würde dann zu Ansprüchen nach §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB führen. Betrachtet man die Norm in ihrem regulatorischen Umfeld – eben dem Verbraucherdarlehensrecht – bestätigt sich dieses Ergebnis. Denn das Darlehensrecht legt die wechselseitigen Pflichten von Darlehensgeber und Darlehensnehmer fest. Auch der Sinn und Zweck der Bestimmung legt ein solches Verständnis nahe, weil es – wie schon der Zuschnitt der Norm auf Verbraucher zeigt – ja gerade um Verbraucherschutz geht und diesem Regelungsziel ein Schadensersatzanspruch des Verbrauchers besonders gut Rechnung trägt. Zugleich würde eine solche Einordnung die Möglichkeit eröffnen, leichtfertige Angaben des Verbrauchers über seine Kreditwürdigkeit bei der Schadensberechnung als Mitverschulden im Sinne von § 254 BGB einzuordnen und damit zu sachgerechten Ergebnissen zu kommen. Die Begründung eines Anspruchs des Kreditnehmers entspricht wohl auch den Vorstellungen des Gesetzgebers. Denn in der Begründung wird ausdrücklich von einer zivilrechtlichen Pflicht gesprochen4. Unbefangene Leser der Norm hätten daher wohl auch keinerlei Zweifel daran, dass es um die Begründung einer privatrechtlichen Pflicht des Finanzierers gegenüber dem Verbraucher geht und ein Pflichtverstoß zu Schadensersatzansprüchen führt. b) Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen § 18 Abs. 2 KWG aa) Anordnungen der BaFin Welche Sanktionen bei einem Verstoß gegen § 18 Abs. 2 KWG eintreten, sagt das Gesetz ebenfalls nicht ausdrücklich. Klar ist aber, dass die Missachtung dieser Bestimmung im Rahmen der Aufsicht der BaFin über die Kreditinstitute eine Rolle spielen wird. Entsprechende Anordnungen der BaFin können dann erlassen werden (§ 6 Abs. 3 KWG). Allerdings ist nicht zu erwarten, dass eine solche Anordnung schon dann erfolgt, wenn in einem Einzelfall eine Kreditwürdigkeitsprüfung bei einer Darlehensvergabe nicht erfolgt. Denn mit einem solchen einmaligen Verstoß (gewissermaßen einem Ausreißer) muss immer gerechnet werden, ohne dass man von Missständen reden könnte, die die BaFin im öffentlichen Interesse abzustellen hätte. Nur wenn der Verstoß auf Organisations- oder sonstigen Fehlern beruht, die sich wiederholt auswirken können, wird eine solche An-
__________ 4 BT-Drucks. 16/11643, S. 96 f.
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ordnung unter Umständen schon bei einem oder wenigen Verstößen ergehen. Allerdings setzt ein Einschreiten der BaFin selbstverständlich voraus, dass ihr solche Sachverhalte überhaupt bekannt werden. Damit die BaFin einschreitet, muss ein solcher Verstoß außerdem eine gewisse gesamtwirtschaftliche Relevanz haben. Denn da die BaFin im öffentlichen Interesse tätig wird, setzt ihr Eingreifen ein solches Interesse gerade auch voraus. bb) § 18 Abs. 2 KWG als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB Ein Kreditnehmer, dessen Kreditwürdigkeit entgegen der genannten Vorschrift nicht geprüft wurde, wird sich in erster Linie dafür interessieren, ob § 18 Abs. 2 KWG Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ist. Nach herrschender Meinung liegt ein solches Schutzgesetz vor, wenn die Norm, sei es auch neben dem Schutz der Allgemeinheit oder anderer Rechtsgüter zumindest auch den Einzelnen (oder einzelne Personenkreise) schützen soll5. Maßgeblich ist der Wille des Gesetzgebers, nicht die Wirkung der Norm. Wie geschildert ergeben die Materialien erstaunlich klar, wie die Vorstellung des Gesetzgebers liegen: Die „primär im öffentlichen Interesse vorgenommene Pflicht“ solle – so die Begründung – „auch im Gesetz über die öffentliche Aufsicht eingefügt werden“6. Es geht also gerade nicht um Individualschutz. Um jedes Missverständnis insoweit auszuschließen, wurde die Norm ins KWG eingefügt und damit in ein Gesetz, dessen Normen regelmäßig keine Schutzgesetze sind7. Dem entspricht, dass gem. § 5 Abs. 4 FinDAG die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ihre Aufgaben nur im öffentlichen Interesse wahrnimmt. Zwar soll die Vorschrift lediglich den Fiskus vor der Gefahr einer Inanspruchnahme wegen Amtspflichtverletzung schützen (§ 839 BGB, Art. 34 GG), was eine Haftung Dritter unter Hinweis auf § 823 Abs. 2 BGB nicht ausschließt8. Aber naheliegend ist eine solche Interpretation nicht. Auf dieser Linie liegt auch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu § 18 Abs. 1 KWG. Nach dieser Norm muss sich ein Kreditinstitut bei Großkrediten bestimmte Unterlagen vorlegen lassen. Die Bestimmung begründet also ebenfalls eine Pflicht zur Prüfung der Kreditwürdigkeit. Der BGH hat entschieden, dass die Bestimmung nicht dem Schutz der Kreditnehmer sondern dem Schutz des Instituts und mittelbar der Einleger diene9. Das müsste dann auch für § 18 Abs. 2 KWG gelten.
__________ 5 Schiemann in Erman, BGB, 12. Aufl. 2008, § 823 Rz. 157; Spindler in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl. 2008, § 823 Rz. 155. 6 BT-Drucks. 16/11643, S. 95 f. 7 S. Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, 3. Aufl. 2008, Einführung Rz. 67; so für § 18 Abs. 2 KWG Schürnbrand, WM 2009, 1548, 1553. 8 So zu § 32 Abs. 1 KWG (Erlaubniszwang für Finanzanlagevermittler); BGH, ZIP 2006, 1761, 1763; BGH, ZIP 2005, 1223, 1224. 9 BGH, ZIP 2006, 317, 322.
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Rechtsfolgen bei unterlassener Prüfung der Kreditwürdigkeit
cc) Anspruch des Kreditnehmers nach §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB Ein Kreditnehmer, dessen Kreditwürdigkeit nicht geprüft wurde, könnte allerdings auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 509 BGB einen Anspruch gegen den Darlehensgeber nach §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB haben. Die Pflichtverletzung läge dann – ganz wie in § 509 BGB kodifiziert und für Kreditinstitute in § 18 KWG wiederholt – in dem Unterlassen der eigentlich erforderlichen Prüfung der Kreditwürdigkeit. Der BGH hat in anderem Zusammenhang eine solche Argumentation vor kurzem akzeptiert. So wurde entschieden, dass die in § 23a Abs. 1 Satz 2 KWG a. F. niedergelegte Pflicht einer Bank, schriftlich und in leicht verständlicher Form über die Sicherungseinrichtungen zu informieren, die für Einlagen bei ihr eingreifen, eine Informationspflicht im vorvertraglichen Schuldverhältnis begründet10. Ganz ähnlich könnte man auch bei der Kreditwürdigkeitsprüfung verfahren und so zu einem Anspruch des Kreditnehmers kommen. Denn dass die Kreditwürdigkeitsprüfung auch außerhalb des Anwendungsbereichs von § 509 BGB für den Darlehensnehmer von maßgeblicher Bedeutung ist, lässt sich kaum in Abrede stellen. Dem stehen allerdings wie in der Begründung zum Gesetzentwurf angeführten Argumente für die „Doppelnormierung“ der Kreditwürdigkeitsprüfung entgegen11. Wie geschildert sollte ja gerade keine Gleichbehandlung von Kreditinstituten und Unternehmen erfolgen, die Kredite bei eigenen Geschäften gewähren. Vielmehr wurde die privatrechtliche Pflicht nur für die Fälle normiert, in denen die öffentlich-rechtliche Verpflichtung mangels Beaufsichtigung des Finanzierers durch die BaFin nicht eingreifen konnte. Private Ansprüche sollten also – zugespitzt formuliert – nur dann bestehen, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Wollte man diese Vorstellung des Gesetzgebers unberücksichtigt lassen, müsste man dafür gute Gründe nennen können. Insoweit kann man zum einen auf die mit der Verschiedenbehandlung notwendiger Weise verbundene Wettbewerbsverzerrung hinweisen. Während die Unternehmer, an die sich § 509 BGB richtet, in jedem Einzelfall, in dem die Prüfung der Kreditwürdigkeit unterbleibt, mit Schadensersatzansprüchen rechnen müssen, führt dieselbe Pflichtverletzung bei Darlehensgebern, die dem KWG unterliegen, „höchstens“ zu Maßnahmen der BaFin. Auch wenn man die nach dem KWG drohenden Sanktionen sicher nicht unterschätzen sollte, lässt sich doch nicht leugnen, dass sie – solange es sich um Einzelfälle handelt – eher selten greifen werden, dies wie gesagt schon deshalb, weil die Kapazitäten der BaFin beschränkt und für die Bekämpfung von Verstößen reserviert werden müssen, die für das Allgemeinwohl von Belang sind. Dieser Aspekt leitet über zu einem weiteren Argument, das für ein einheitliches privatrechtlich sanktioniertes Normverständnis spricht. Die Richtlinie
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10 BGH, ZIP 2009, 1654, 1655, allerdings ist die Entscheidung insofern nicht ganz klar, als keine genaue Anspruchsgrundlage genannt wird. 11 BT-Drucks. 16/11643, S. 95 f.
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verlangt eine effektive Durchsetzung der Pflicht zur Prüfung der Kreditwürdigkeit. Zwar werden wiederholte Verstöße gegen § 18 Abs. 2 KWG der BaFin vermutlich bekannt werden und die Behörde wird dafür Sorge tragen, dass weitere Pflichtverletzungen unterbleiben. Aber reicht das aus, um – wie es in Art. 8 der Richtlinie heißt – sicherzustellen, dass vor Abschluss des Kreditvertrages der Kreditgeber die Kreditwürdigkeit des Verbrauchers anhand von ausreichender Informationen bewertet? Die genannten Argumente legen es nahe, auch § 18 Abs. 2 KWG als Kodifikation einer vorvertraglichen Pflicht zu verstehen. Allerdings hätte das erneut eine Ungleichbehandlung zur Folge – dieses Mal zum Nachteil der dem KWG unterfallenden Finanzierer. Diese träfe dann neben der Haftung nach §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB auch das Risiko, dass es zu den im KWG vorgesehenen Sanktionen kommt. Aber diese Verschiedenbehandlung ist systemkonform. Wegen der besonderen volkswirtschaftlichen Bedeutung unterliegen Banken schon immer besonderen Restriktionen. Da sich die geschilderte Argumentation zur Gleichbehandlung beider Kreditwürdigkeitsprüfungen maßgeblich auf die Verbraucherkreditlinie stützt und zudem eine Gleichbehandlung mit den Adressaten von § 509 BGB fordert, kann eine entsprechende Pflicht nur entwickelt werden, wenn der Darlehensnehmer Verbraucher ist. Da § 18 Abs. 2 KWG auch nur für diese Fälle eine Pflicht zur Prüfung der Kreditwürdigkeit postuliert, bereitet diese Einschränkung keine Schwierigkeiten – im Gegenteil, hier zeigt sich die gemeinsame Wurzel von § 509 BGB und § 18 Abs. 2 KWG. Damit liegen die maßgeblichen Argumente offen zu Tage. Es gilt, sie gegeneinander abzuwägen. Im Ergebnis wird man m. E. die in § 18 Abs. 2 KWG niedergelegte Pflicht (auch) als vorvertragliche Pflicht des Darlehensgebers im Verhältnis zu seinem Darlehensnehmer einordnen müssen. Denn eine ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinie erfordert mehr als ein nur theoretisch denkbares Einschreiten der BaFin. Auch ist die Schutzwürdigkeit des Verbrauchers nicht deshalb geringer, weil ein Darlehen und nicht eine Finanzierungshilfe in Anspruch genommen wurde. Vielmehr sind beide Wege für den Verbraucher regelmäßig austauschbar. Folgt man dem, so führt dies zugleich zu einem stimmigen Regelungsgefüge für Verbraucherkreditverträge, seien es nun Darlehen oder Finanzierungshilfen.
III. Zusammenfassung 1. Die in § 509 BGB und § 18 Abs. 2 KWG niedergelegte Pflicht zur Prüfung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers beinhaltet eine Verpflichtung im vorvertraglichen Schuldverhältnis zwischen Finanzierer und Verbraucher. Ein Verstoß gegen diese Pflicht führt zu Schadensersatzansprüchen nach §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB. 2. Die in § 18 Abs. 2 KWG niedergelegte Pflicht zur Prüfung der Kreditwürdigkeit kann von der BaFin durchgesetzt werden.
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Schiedsvereinbarungen zwischen Gesellschaft und GmbH-Geschäftsführer Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die Begründung der schiedsgerichtlichen Entscheidungszuständigkeit 1. Schiedsklausel im Anstellungsvertrag a) Der Abschlusstatbestand b) Formanforderungen aa) Bezugspunkt des § 1031 Abs. 5 ZPO bb) Der Geschäftsführer als Verbraucher cc) Sonderfall: der GesellschafterGeschäftsführer (1) Überblick über den Meinungsstand (2) Stellungnahme 2. Schiedsklausel in der Satzung a) Der Abschlusstatbestand aa) Bindung an die Satzung
bb) Zuweisung des Abschlusstatbestands zu § 1066 ZPO b) Formanforderungen III. Objektive Schiedsfähigkeit IV. Reichweite der Schiedsvereinbarung 1. Sachliche Reichweite a) Schiedsklausel im Anstellungsvertrag b) Schiedsklausel in der Satzung 2. Persönliche Reichweite a) Rechtsnachfolger, Insolvenzverwalter b) „Faktischer Geschäftsführer“ c) Ansprüche Dritter d) Ansprüche gegen ehemalige Geschäftsführer V. Zusammenfassung
I. Einleitung Der Schiedsgerichtsbarkeit werden viele Vorteile nachgesagt. Hierzu zählen unter anderem die besondere Sachkompetenz der Schiedsrichter, die Schnelligkeit und Vertraulichkeit des Verfahrens, die Kostenersparnis sowie der besondere Sachverstand der Schiedsrichter1. Diese Vorteile lassen – zumindest auf den ersten Blick – den Einsatz von Schiedsgerichten vor allem in solchen Streitigkeiten zwischen einer GmbH und ihrem Geschäftsführer attraktiv erscheinen, die ein unternehmerisches Fehlverhalten des Geschäftsführers zum Gegenstand haben; denn gerade diese Streitigkeiten sind besonders sensibel. Bei Klagen vor dem staatlichen Gericht besteht hier nämlich die Gefahr, dass eine Reihe von Interna an die Öffentlichkeit gelangen, die sich betriebs- und geschäftsschädigend auf die Gesellschaft auswirken2. Weil die Geltendmachung derartiger Haftungsansprüche ein zweischneidiges Schwert ist, sieht
__________ 1 Siehe zu den Vorzügen der Schiedsgerichtsbarkeit allgemein Duve/Keller, SchiedsVZ 2005, 169; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 1 Rz. 8. 2 Siehe auch Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 144.
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etwa § 46 Nr. 8 GmbHG vor, dass die Gesellschafter über ein solches Vorgehen zu entscheiden haben. Das oberste Gesellschaftsorgan und nicht die Geschäftsführer sollen darüber befinden, ob die mit der Geltendmachung der Haftungsansprüche einhergehenden negativen Folgen für das Innenverhältnis der GmbH sowie die negative Publizität in Kauf zu nehmen sind3. Bietet damit die Schiedsgerichtsbarkeit die Möglichkeit, die von derartigen Streitigkeiten ausgehenden Nachteile abzumildern, so kann es nicht verwundern, dass insoweit der Einsatz von Schiedsgerichten in der Literatur wenn nicht als Empfehlung, so doch zumindest als Option vorgestellt wird4. Aus diesem Grund sollen nachfolgend die Voraussetzungen für eine schiedsgerichtliche Entscheidungszuständigkeit näher untersucht werden.
II. Die Begründung der schiedsgerichtlichen Entscheidungszuständigkeit Grundlage des Schiedsverfahrens ist der Konsens der Parteien. Die in Art. 2 GG gewährleistete Privatautonomie ist der Grundsatz „auf dem letztlich die Schiedsgerichtsbarkeit beruht“5. Auch wenn die Schiedsgerichtsbarkeit eine im Vergleich zur staatlichen Gerichtsbarkeit gleichwertige Rechtsschutzalternative darstellt, darf nicht übersehen werden, dass mit einer Schiedsvereinbarung über grundrechtliche Positionen verfügt wird. Die schiedsgerichtliche Entscheidungszuständigkeit führt nämlich zum Ausschluss der staatlichen Gerichte und berührt daher den verfassungsrechtlich sensiblen Bereich des gesetzlichen Richters sowie den (aus dem Rechtsstaatsprinzip bzw. aus Art. 6 EMRK abzuleitenden) Justizgewährungsanspruch6. Zugelassen werden kann daher ein solcher Eingriff nur dann, wenn die Parteien einen entsprechenden Willen kundgetan haben7. Hinsichtlich der Art und Weise, wie ein entsprechender Wille der Parteien zum Ausdruck kommen muss, differenziert das Gesetz in den §§ 1025 ff. ZPO grundsätzlich zwischen Schiedsvereinbarungen im Sinne der §§ 1029 ff. ZPO und der Einsetzung so genannter außervertraglicher Schiedsgerichte nach § 1066 ZPO. Auf den ersten Blick erscheint diese Differenzierung wenig weiterführend; denn für die außervertraglichen Schiedsgerichte ordnet der Gesetzgeber an, dass die Vorschriften in den §§ 1025 ff. ZPO entsprechend anzuwenden sind. Dies gilt jedoch nur im Grundsatz; denn nach herrschender Meinung ist eine sinnentsprechende Anwendung der §§ 1025 ff. ZPO auf außervertrag-
__________ 3 Siehe BGH, NZG 2004, 964; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 46 Rz. 57; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 46 Rz. 35; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 46 Rz. 141. 4 Siehe z. B. Haas/Ziemons in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 43 Rz. 245 ff.; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143 ff. 5 Habscheid, KTS 1959, 113, 114. 6 BGH, DStR 2000, 937, 938 (Goette); OLG Düsseldorf, NJW 1996, 400; siehe zum Verhältnis von Schiedsgerichtsbarkeit und EMRK, Haas, SchiedsVZ 2009, 73 ff. 7 BGH, DStR 2000, 937, 938; Geimer in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, Vor 1025 Rz. 4; Müller/Keilmann, SchiedsVZ 2007, 113, 114.
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liche Schiedsgerichte nur insoweit möglich als die betreffenden Vorschriften nicht zwecknotwendig eine „Vereinbarung“ i. S. d. § 1029 ZPO voraussetzen8. 1. Schiedsklausel im Anstellungsvertrag a) Der Abschlusstatbestand Im Grundsatz ist anerkannt, dass die Gesellschaft mit ihrem Geschäftsführer eine Schiedsvereinbarung i. S. d. § 1029 ZPO treffen kann9. Die Schiedsvereinbarung kommt entsprechend §§ 145 ff. BGB zustande10. I. d. R. wird sie zusammen mit dem Anstellungsvertrag geschlossen, ist aber von diesem rechtlich selbständig11. Zuständig für den Abschluss einer Schiedsvereinbarung ist – wenn dieser zusammen mit dem Anstellungsvertrag erfolgt – die Gesellschafterversammlung. Dies folgt aus § 46 Nr. 5 GmbHG, wonach im Grundsatz die Gesellschafterversammlung für die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern zuständig ist. Aus dieser Bestellungs- und Abberufungskompetenz wird – quasi als Annexzuständigkeit – auch die Befugnis zum Abschluss des Anstellungsvertrages abgeleitet12. Diese Abschlusskompetenz für den materiellrechtlichen (Anstellungs-)Vertrag gilt auch für die prozessrechtliche Schiedsvereinbarung. Nichts anderes gilt, wenn die Schiedsvereinbarung gesondert bzw. separat abgeschlossen wird13. b) Formanforderungen Fraglich ist, welcher Form die Schiedsvereinbarung bedarf. Nach § 1031 Abs. 1 ZPO muss diese entweder in einem von den Parteien unterzeichneten Dokument oder in zwischen ihnen gewechselten Schreiben, Fernkopien, Telegrammen oder anderen Formen der Nachrichtenübermittlung, die einen Nachweis der Vereinbarung sicherstellen, enthalten sein. Für Verbraucher sieht allerdings § 1031 Abs. 5 ZPO eine strengere Formvorschrift vor. In diesem Fall muss – sieht man einmal vom Sonderfall der notariellen Beurkundung ab – die Schiedsvereinbarung in einer von den Parteien eigenhändig unterzeichneten Urkunde enthalten sein, die andere Vereinbarungen als solche, die sich auf das schiedsrichterliche Verfahren beziehen, nicht enthalten darf. Die Formvorschrift des § 1031 Abs. 5 ZPO bezweckt zum Schutz des Verbrauchers eine Warnfunktion14. Er soll vor Überrumpelung geschützt werden, d. h. ihm soll bei Abschluss der Schiedsvereinbarung die Tragweite des Geschäfts bewusst
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8 Siehe Haas/Hauptmann, SchiedsVZ 2004, 175, 183; so wohl auch Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1031 Rz. 16. 9 Haas/Ziemons in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 43 Rz. 245; Paefgen in Ulmer, GmbHG, 2006, § 35 Rz. 269; Thümmel in FS Geimer, 2002, S. 1336 ff. 10 Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1029 Rz. 17. 11 Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 4 Rz. 16. 12 Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 46 Rz. 36; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 46 Rz. 70. 13 Siehe auch Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 144. 14 Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1031 Rz. 45; Haas/Hauptmann, SchiedsVZ 2004, 175, 178.
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gemacht werden. Vorliegend stellt sich nun die Frage, ob auf den Geschäftsführer die einfache (§ 1031 Abs. 1 ZPO) oder aber diese besondere Schriftform (§ 1031 Abs. 5 ZPO) Anwendung findet. aa) Bezugspunkt des § 1031 Abs. 5 ZPO Für die Frage der Schutzwürdigkeit knüpft § 1031 Abs. 5 ZPO pauschal am Verbraucherbegriff an. Maßgebend ist insoweit, ob das der Schiedsvereinbarung zugrunde liegende Rechtsgeschäft, d. h. der „Hauptvertrag“, wegen dem der konkrete Streit besteht, ein „Verbrauchergeschäft“ ist15. Zu klären ist daher zunächst, welches das „zugrunde liegende Geschäft“ in diesem Sinne ist. Auf den ersten Blick könnte dies (allein) der Anstellungsvertrag sein. Zwingend ist dies jedoch nicht; denn Quelle der vom Geschäftsführer zu beachtenden (haftungsrelevanten) Pflichten ist in erster Linie ja nicht der Anstellungsvertrag, sondern das organschaftliche Rechtsverhältnis zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer. Letzteres wird nicht durch den Anstellungsvertrag, sondern durch den gesellschaftsrechtlichen Bestellungsakt16 begründet. Bei diesem handelt es sich nicht um einen einseitigen Akt. Vielmehr setzt das Zustandekommen der Organstellung neben dem eigentlichen Bestellungsakt (durch Beschluss nach § 46 Nr. 5 GmbHG bzw. im Gesellschaftsvertrag) die Annahme bzw. Zustimmung durch den Bestellten voraus17. Das gilt selbst dann, wenn der Betreffende durch das Gericht zum Notgeschäftsführer bestellt wird18. Da das Amt als Geschäftsführer nicht nur durch den Anstellungsvertrag, sondern (vor allem) auch durch das korporationsrechtliche Organverhältnis geprägt wird, erscheint es angebracht, hinsichtlich des der Schiedsvereinbarung zugrunde liegende Rechtsgeschäfts i. S. d. § 1031 Abs. 5 ZPO auf beide Rechtsverhältnisse abzustellen. bb) Der Geschäftsführer als Verbraucher § 1031 ZPO definiert die Verbrauchereigenschaft nicht, sondern verweist insoweit auf die Definition in § 13 BGB. Danach ist jede natürliche Person Verbraucher, sofern sie ein Rechtsgeschäft zu einem Zwecke abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Entscheidend ist also nicht, ob die Person gewerblich oder selbständig beruflich tätig ist, sondern allein, ob das in Rede stehende Geschäft dieser Tätigkeit zuzurechnen ist oder nicht. Maßgebend für die Einordnung als
__________ 15 Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1031 Rz. 50 f. 16 Zu den verschiedenen Arten der Bestellung, siehe Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 35 Rz. 7. 17 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 35 Rz. 10; Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 6 Rz. 56 und § 46 Rz. 25; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 6 Rz. 42. 18 Siehe zu den Voraussetzungen und zum Verfahren, Paefgen in Ulmer, GmbHG, 2006, § 35 Rz. 24 ff.
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Verbraucher ist mithin in erster Linie die (objektive) Zweckrichtung des Verhaltens19. Ob der Geschäftsführer bei Übernahme des Amtes bzw. bei Abschluss des Anstellungsvertrages als Verbraucher handelt, ist fraglich. Besieht man sich das gesellschaftsrechtliche Schrifttum, so schweigt dieses zu der Problematik. Insbesondere findet sich in den GmbHG-Kommentaren kein Hinweis darauf, dass Anstellungsverträge aufgrund der Verbrauchereigenschaft des Geschäftsführers an den §§ 310 Abs. 3, 305 ff. BGB zu messen sind20. Der BGH hat sich insbesondere mit der Verbrauchereigenschaft des Geschäftsführers auseinandergesetzt, wenn dieser in eigenem Namen Verträge abschließt, die sich mittelbar auf die Geschäftstätigkeit beziehen. In einem solchen Fall handelt der Geschäftsführer – so der BGH – als Privatperson, die weder selbständig noch gewerblich tätig ist mit der Folge, dass er als Verbraucher zu qualifizieren ist. Tritt daher beispielsweise ein Geschäftsführer der Kreditschuld der Gesellschaft im Wege des Schuldbeitritts bei, so handelt er demzufolge als Verbraucher21. Begründet hat der BGH dieses Ergebnis insbesondere damit, dass ein Geschäftsführer keine selbständige bzw. gewerbliche Tätigkeit, sondern eine angestellte berufliche Tätigkeit ausübt und daher von ihm im eigenen Namen abgeschlossene unternehmensbezogene Geschäfte ebenfalls keine selbständige bzw. gewerbliche Tätigkeit darstellen könnten22. Ein selbständiges Handeln im Sinne des § 13 (bzw. § 14) BGB erfordert nämlich, dass der Betroffene in eigener Verantwortung, auf eigene Gefahr und auf eigene Rechnung handelt, dass er mithin durch freie inhaltliche Gestaltung seiner Tätigkeit selbstbestimmt über Arbeitszeit, -ort und -pensum verfügt23. Dem Geschäftsführer der GmbH kommt nun zwar weit mehr an Eigenverantwortung zu, als dem idealtypischen Bild eines Arbeitnehmers entspricht; letztlich wird er jedoch für die Gesellschaft organschaftlich tätig mit der Folge, dass allein die GmbH die Risiken seines Handelns trägt. Hinzu kommt, dass – zumindest nach dem gesetzlichen Leitbild – die Gesellschafterversammlung befugt ist, dem Geschäftsführer umfassend Weisungen zu erteilen. Dann aber ist es nur konsequent, eine Person, die ein Geschäft zu dem Zweck abschließt, die Tätigkeit als Geschäftsführer aufzunehmen, als Verbraucher einzuordnen24. Dieser Ansicht folgt zumindest auch die überwiegende Ansicht zu § 1031 Abs. 5 ZPO25.
__________ 19 Micklitz in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 13 Rz. 35; Münch in MünchKomm. ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1031 Rz. 51. 20 Typisch etwa die Kommentierung zum Anstellungsvertrag bei Paefgen in Ulmer, GmbHG, 2006, § 35 Rz. 135 ff. 21 Siehe BGH, NJW 2006, 431, 432; vgl. auch BGH, NJW 1996, 2156; NJW 2000, 3133. 22 Siehe etwa BGH, NJW 1996, 2156, 2158. 23 Micklitz in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 14 Rz. 18 ff.; Mülbert in FS Hadding, 2004, S. 575, 579. 24 Siehe ausdrücklich Hümmerich, NZA 2006, 709, 710 ff.; Mülbert in FS Hadding, 2004, S. 575, 579. 25 OLG Hamm, Beschl. v. 18.7.2007 – 8 Sch 2/07, Beck RS 2007, 15 564; Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1031 Rz. 49; Voit in Musielak, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 1031 Rz. 8; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 145.
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cc) Sonderfall: der Gesellschafter-Geschäftsführer Fraglich ist, ob von der vorstehenden Qualifikation abzuweichen ist, wenn der Geschäftsführer gleichzeitig Gesellschafter ist. (1) Überblick über den Meinungsstand Das OLG Hamm hat im Anwendungsbereich des § 1031 bs. 5 ZPO die Frage ausdrücklich offen gelassen, wie der Geschäftsführer zu qualifizieren ist, der „im erheblichen Umfang“ an der Gesellschaft beteiligt ist26. Einer Einordnung als Unternehmer steht – zumindest auf den ersten Blick – mit der Rechtsprechung des BGH zu unternehmensbezogenen Drittgeschäften des GmbH-Geschäftsführers in Widerspruch. Insoweit hat nämlich der BGH entschieden, dass ein Geschäftsführer im Rahmen eines Schuldbeitritts zur Kreditschuld der Gesellschaft auch dann als Verbraucher anzusehen ist, wenn er eine Beteiligung an der Gesellschaft hält27. Dies gilt – dem BGH zufolge – etwa für einen Geschäftsführer, der Mehrheitsgesellschafter und Alleingeschäftsführer28, Hauptgesellschafter und Mitgeschäftsführer29 oder aber geschäftsführender Alleingesellschafter ist30. Zur Begründung führt der BGH an, dass das Halten eines GmbH-Anteils unabhängig von der Beteiligungsquote Teil der privaten Vermögensverwaltung und daher nicht als gewerbliche Tätigkeit anzusehen ist31. Diese Rechtsprechung ist in der Literatur teilweise auf harsche Kritik gestoßen32. Die Qualifizierung eines Geschäftsführers im Außenverhältnis als Verbraucher ist – so diese Ansicht – zumindest dann nicht geboten, wenn dieser Mehrheits- oder Alleingesellschafter ist. Halte nämlich der (werdende) Geschäftsführer die Mehrheit der Anteile und sei er so in der Lage, nach seinem eigenen Willen zu handeln und sich quasi selbst Weisungen zu erteilen, so werde er – so diese Ansicht – aus der fremdbestimmten, unselbständigen Tätigkeit „in die Selbständigkeit entlassen“33. (2) Stellungnahme Sicherlich trifft es zu, dass die Weisungsgebundenheit eines Geschäftsführers, der gleichzeitig Mehrheits- oder gar Alleingesellschafter ist, faktisch nicht besteht. Dies reicht jedoch nicht aus, um eine Tätigkeit als „selbständig“ zu qualifizieren. Vielmehr erfordert Letzteres – neben der weitgehenden Freiheit von Weisungen –, dass der Betreffende darüber hinaus auf eigene Rechnung und
__________ 26 OLG Hamm, Beschl. v. 18.7.2007 – 8 Sch 2/07, Beck RS 2007, 15 564. 27 Kritisch zu dieser Rechtsprechung Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 43 Rz. 63; siehe auch Fn. 30. 28 BGH, NJW 1996, 2156, 2158. 29 BGH, NJW 1996, 2865. 30 BGH, NJW 2000, 3133. 31 BGH, NJW 1996, 2156, 2158. 32 Hänlein, DB 2001, 1185, 1187; Dauner-Lieb/Dötsch, DB 2003, 1666, 1667; Mülbert in FS Hadding, 2004, S. 575, 578 ff. 33 Mülbert in FS Hadding, 2004, S. 575, 578 ff.
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eigene Verantwortung handelt34. Der Betreffende muss also mit anderen Worten das wirtschaftliche Risiko der Tätigkeit unmittelbar selbst tragen35. Hieran fehlt es jedoch bei dem Geschäftsführer, der gleichzeitig auch Mehrheits- oder Alleingesellschafter ist; denn das Risiko der wirtschaftlichen Unternehmung trägt in einem solchen Fall nicht er persönlich, sondern die von ihm – rechtlich verschiedene – Gesellschaft. Eine teleologische Reduktion der „Verbraucherkriterien“ mit der Begründung, dass es im konkreten Fall an einer Schutzbedürftigkeit des Gesellschafter-Geschäftsführers fehlt, ist abzulehnen. Es liegt zwar auf der Hand, dass ein Geschäftsführer, der mit einer Gesellschaft Verträge schließt, die er als Mehrheits- oder gar Alleingesellschafter maßgebend beeinflussen kann, im Verhältnis zu dieser Gesellschaft nicht schutzbedürftig ist; denn in dieser Konstellation ist es ausgeschlossen, dass die Gesellschaft ihm gegenüber bei Vertragsschluss einen Wissensvorsprung besitzt oder dass es etwa zu einer „Überrumpelungssituation“ kommen kann. Die konkrete Schutzbedürftigkeit ist jedoch kein Merkmal des Verbraucherbegriffs nach § 13 BGB. Vielmehr ist dieser rein objektiv zu bestimmen. Sowohl dem deutschen als auch dem europäischen Verbraucherbegriff liegt eine typisierende Betrachtungsweise zugrunde. Danach ist in erster Linie die Privatheit des wirtschaftlichen Handelns maßgebend. Hieran anknüpfend wird sodann – unwiderleglich – auf eine Ungleichgewichtslage zwischen den Vertragspartnern geschlossen und damit auch eine Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers vermutet36. Allein die mangelnde Schutzbedürftigkeit des (Gesellschafter-)Geschäftsführers kann deshalb seine Verbraucherstellung nach geltendem Recht nicht in Frage stellen. 2. Schiedsklausel in der Satzung § 1066 ZPO bestimmt, dass auf Schiedsgerichte, die in gesetzlich statthafter Weise durch letztwillige oder andere nicht auf Vereinbarung beruhende Verfügung angeordnet werden, die Vorschriften der §§ 1025 ff. ZPO entsprechend anzuwenden sind. Ausdrücklich nennt das Gesetz in § 1066 ZPO nur die letztwillige Einsetzung eines Schiedsgerichts. Doch geht aus der Vorschrift hervor, dass es auch noch andere, nicht auf Vereinbarung beruhende Schiedsgerichte geben muss. Die herrschende Meinung geht dabei davon aus, dass § 1066 ZPO auf solche Schiedsgerichte Anwendung findet, die in der Satzung einer juristischen Person (z. B. AG37, GmbH38 oder eines rechtsfähigen39 oder eines nicht rechtsfähigen Vereins40) enthalten sind41. Fraglich ist nun, ob (und
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34 Zu dem Merkmal des Handelns auf eigenes Risiko Micklitz in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 14 Rz. 31. 35 OLG Hamm, Beschl. v. 18.7.2007 – 8 Sch 2/07, Beck RS 2007, 15 564. 36 Micklitz in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, vor §§ 13, 14 Rz. 68 ff.; § 13 Rz. 4 ff. m. w. N. 37 Siehe BGH, MDR 1951, 674. 38 BGHZ 160, 127, 132; 38, 155, 159; OLG Hamburg, SchiedsVZ 2004, 266, 268. 39 BGH, SchiedsVZ 2004, 205, 207; NJW 1980, 1049. 40 BGH, NJW 1980, 1049; RGZ 165, 140, 143. 41 Siehe aus der Literatur Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1066 Rz. 8 ff.; K. Schmidt, JZ 1989, 1077, 1082 ff.; Geimer in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 1066 Rz. 2.
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gegebenenfalls wie) der Geschäftsführer durch eine Schiedsklausel in der Satzung der schiedsgerichtlichen Entscheidungszuständigkeit unterworfen werden kann. a) Der Abschlusstatbestand Soll mit einer Schiedsklausel in der Satzung auch für Streitigkeiten zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft die schiedsgerichtliche Zuständigkeit begründet werden, so setzt dies voraus, dass der Geschäftsführer an die Satzung gebunden ist, d. h. diese auch ihm gegenüber Geltung beansprucht. Nur dann nämlich kann die Schiedsklausel dem Geschäftsführer entgegen gehalten werden. aa) Bindung an die Satzung Auf den ersten Blick fehlt es bei einer Schiedsklausel in der Satzung an einer privatautonomen Legitimation derselben im Verhältnis zum (Fremd-)Geschäftsführer, da dieser sich ja – anders als der Gesellschafter – nicht kraft Mitgliedschaft der Satzung unterworfen hat. Weder ist der (Fremd-)Geschäftsführer Vertragspartner des Gesellschaftsvertrages, noch ist dieser an dem satzungsändernden Beschluss beteiligt, mit dem eine Schiedsklausel erstmals in die Satzung eingefügt wird. Dennoch ist auch der (Fremd-)Geschäftsführer an die Satzung gebunden. Der privatautonome Akt, mit dem sich der (Fremd-) Geschäftsführer der Satzung unterwirft, ist nämlich der Erwerb der Organstellung. Dieser setzt ja – wie oben bereits ausgeführt – stets die Zustimmung des Betreffenden voraus. Gegen seinen Willen kann niemand zum Gesellschaftsorgan bestellt werden. Mit dem Erwerb der Organstellung geht dann die Bindung des Organmitglieds an die Satzung einher42. Einer besonderen Zustimmung zur Satzung oder eines spezifischen Unterwerfungswillen unter die Satzung bedarf es hierfür – ebenso wie im Fall der Mitgliedschaft43 – nicht. Vielmehr entsteht die Bindung allein aufgrund des Erwerbs der Organstellung. Nur so lässt sich auch begründen, warum – h. M. nach – der Geschäftsführer im Rahmen der Unternehmensführung gehalten ist, die durch Gesetz, Satzung und durch die Beschlüsse anderer Gesellschaftsorgane abgesteckten äußeren Handlungsrahmen zu beachten44. Der Grundsatz, dass das Organ mit Bestellung zum selben der Satzung unterworfen ist, ist nicht auf das GmbHG beschränkt. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen allgemeinen Grundsatz. So ist etwa auch ein Nichtmitglied, das von einem Verein zu einem Verbandsorgan bestellt wird und diese Bestel-
__________ 42 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 35 Rz. 13 ff.; siehe auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh zu § 6 Rz. 1. 43 Siehe Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1066 Rz. 16. 44 Siehe Haas/Ziemons in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 43 Rz. 44.
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lung annimmt, ebenfalls an die Vereinssatzung gebunden45. In der Zustimmung des Betreffenden zu seiner (Organ-)Bestellung liegt – so die Vorstellung – grundsätzlich auch die auf die Organtätigkeit bezogene Anerkennung der innergesellschaftlichen Ordnung. bb) Zuweisung des Abschlusstatbestands zu § 1066 ZPO Fraglich ist, ob die vorstehend beschriebene Art und Weise der Bindung eines Geschäftsführers an die Satzung (und die darin enthaltene Schiedsklausel) unter § 1066 ZPO fällt. Mitunter wird dies bestritten und darauf hingewiesen, dass § 1066 ZPO nur solche satzungsmäßigen Schiedsklauseln erfasse, denen sich der Betroffene kraft Mitgliedschaft unterworfen habe. Andere Formen der Bindung an die Satzung seien demgegenüber von der Vorschrift nicht umfasst46. Diese Ansicht verwundert. Originärer Adressat der Satzung ist nämlich nicht nur der Gesellschafter, sondern auch das Organmitglied (siehe oben). Die Satzung ist – soweit es sich um echte Satzungsbestandteile handelt – darauf gerichtet ist, die innerkorporative Ordnung der Gesellschaft zu konkretisieren. Zu dem innerkorporativen Regelungsbereich gehören aber nicht nur die Verhältnisse der Gesellschaft zu ihren Mitgliedern, sondern auch die Verhältnisse derselben zu ihren Organen und Organmitgliedern47. Darüber hinaus bestehen auch beim Zustandekommen der Bindung an die Satzung Gemeinsamkeiten zwischen dem Gesellschafter und dem Organmitglied. Ebenso wie bei dem Mitglied kommt auch bei dem Organmitglied die Bindung an die Satzung durch ein korporatives Rechtsgeschäft, nämlich dem Erwerb der Organstellung zustande. Hierbei handelt es sich – vergleichbar etwa dem Erwerb einer Vereinsmitgliedschaft – um ein „zweiseitige Rechtsgeschäft“; denn neben der Bestellung zum Organ (sei es durch Beschluss oder in der Satzung) ist auch die Einwilligung des Organmitglieds erforderlich (siehe oben). Warum aber im Fall des Erwerbs der (Vereins-)Mitgliedschaft § 1066 ZPO anwendbar sein soll48, nicht aber im Fall des Erwerbs der Organstellung, ist schlichtweg nicht einzusehen.
__________ 45 Weick in Staudinger, BGB, 13. Bearbeitung, § 25 Rz. 13; Hadding in Soergel, BGB, 13. Aufl. 2000, § 25 Rz. 35; Reuter in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 25 Rz. 28: „Soweit ein Nichtmitglied ein Vereinsamt bekleidet, d. h. Mitglied eines Vereinsorgans ist, unterliegt es der Satzungsmacht wie ein Vereinsmitglied“; siehe auch BGHZ 29, 352, 359 f. 46 Siehe Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1066 Rz. 16 f.; a. A. wohl Geimer in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 1066 Rz. 5: „Mit Ausnahme individualrechtlicher Streitigkeiten kann Satzung auch Schiedsklausel für Organstreitigkeiten vorsehen“. 47 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 53 Rz. 8 f.; Roth/ Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 2 Rz. 5; zur Schiedsvereinbarung BGH, NJW 1996, 1753, 1754; Bayer in Lutter/Hommelhoff, 17. Aufl. 2009, § 3 Rz. 67; Hueck/ Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 3 Rz. 25. 48 Siehe BGH, NJW 1979, 2567; NJW 1978, 1985; OLG Hamburg, SchiedsVZ 2004, 266, 268; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 145.
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Schließlich bestehen auch hinsichtlich der Intensität der Bindungswirkung zwischen einem Mitglied und einem Organmitglied keine Unterschiede. Ebenso nämlich wie das Mitglied kraft Mitgliedschaft ist auch das Organmitglied kraft Organstellung nur an die „echten“ Satzungsbestandteile gebunden. Darunter versteht man solche Satzungsregelungen, die nicht nur für die bei Inkrafttreten der Bestimmung vorhandenen Adressaten gilt und damit bestimmte Individualrechte regeln49. Eine körperschaftliche Bindung gegenüber den Adressaten der Satzung zeitigen vielmehr nur solche Bestimmungen, die für einen unbestimmten Personenkreis, d. h. etwa sowohl für gegenwärtige als auch künftige Gesellschafter/Organmitglieder der Gesellschaft Geltung beanspruchen50. Ist diese Voraussetzung nicht gegeben, wurzelt die Regelung nicht in der innerkorporativen Ordnung. Vielmehr handelt es sich dann um eine auf den Einzelfall bezogene und trotz formalem Standort in der Satzung als schuldrechtlich zu qualifizierende Regelung, die – um Bindungswirkung gegenüber dem Betroffenen zu erlangen – einer besonderen rechtsgeschäftlichen „Unterwerfungserklärung“ durch diesen bedarf51. Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass kein Grund ersichtlich ist, die Unterwerfung unter die satzungsmäßige Schiedsklausel durch Bestellung zum Gesellschaftsorgan im Rahmen des § 1066 ZPO anders zu behandeln als die Bindung an die Schiedsklausel kraft Mitgliedschaftserwerb. b) Formanforderungen In Literatur und Rechtsprechung ist das Verhältnis zwischen § 1066 ZPO und § 1031 ZPO umstritten. Der Gesetzgeber hat diese Frage offen gelassen. Die wohl h. M. ist der Ansicht, dass eine satzungsmäßige Bindung an die Schiedsklausel einen Rückgriff auf § 1031 ZPO generell ausschließt52. In neuerer Zeit wird diese Ansicht zunehmen bestritten und darauf hingewiesen, dass auch der Unterwerfung unter eine Satzung ein rechtsgeschäftlicher Akt zugrunde liege, der – um formwirksam zu sein – den Anforderungen des § 1031 ZPO genügen müsse53. Vielfach wird auch mit der Schutzbedürftigkeit der Betroffenen argumentiert. Diese sei nämlich in den Fällen einer satzungsmäßigen Unter-
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49 Siehe BGH, NJW 1963, 203, 204; Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1066 Rz. 19. 50 Zur Aktiengesellschaft BGH, NJW 1994, 51, 52, m. w. N. 51 BGH, NJW 1963, 203, 204; Geimer in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 1066 Rz. 4; Mayer in MünchHdb. GesR, GmbH, 3. Aufl. 2009, § 20 Rz. 89; siehe auch (und zu der Abgrenzung von unechten Vertragsbestandteilen) Emmerich in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 3 Rz. 107 ff.; vgl. auch Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1066 Rz. 19. 52 OLG Hamburg, Beschl. v. 29.9.2000 – 11 Sch 05/00; Geimer in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 1066 Rz. 2; Habersack, SchiedsVZ 2003, 241, 243; Kölbl, Schiedsklauseln in Vereinssatzungen, 2003, S. 64; Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1066 Rz. 14; a. A. Beckmann, Statutarische Schiedsklauseln im deutschen Recht und internationalen Kontext, 2006, S. 261 ff. 53 Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 32 Rz. 5; Schlosser in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2002, § 1066 Rz. 10 ff.; Hadding in Soergel, BGB, 13. Aufl. 2000, § 25 Rz. 26.
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werfung unter eine Schiedsklausel nicht von einer durch Vereinbarung i. S. d. § 1029 ZPO erfolgenden Bindung verschieden54. Zu folgen ist der h. M., wonach § 1066 ZPO ein Rückgriff auf § 1031 ZPO ausschließt. § 1031 Abs. 5 ZPO ist ersichtlich auf die Fälle zugeschnitten, in denen eine Bindung an die Schiedsklausel im Wege einer Vereinbarung zustande kommt. Hier kann die Formvorschrift in § 1031 Abs. 5 ZPO den ihr zugedachten Zweck erfüllen, die Parteien zu warnen und diese davor zu schützen, dass ihnen eine bestimmte Klausel ohne Möglichkeit der Kenntnisnahme „untergeschoben“ wird. In den Fällen einer Bindung kraft (rechtsgeschäftlichen) Vereinbarung gibt eine solche Warnfunktion auch Sinn; denn zumindest rechtlich (u. U. aber nicht tatsächlich) ist der Abschluss des Hauptvertrages auch ohne die Schiedsvereinbarung möglich. Anders ist die Situation hingegen im Falle der satzungsmäßigen Schiedsklausel. Es ist nämlich nun einmal das Wesen der Satzung, dass diese gegenüber einer Person nur insgesamt oder aber gar keine Wirkung beansprucht. Ein Mitgliedschaftserwerb unter Ausschluss der Geltung bestimmter Satzungsklauseln ist rechtlich nicht möglich. Durch das korporationsrechtliche Rechtsgeschäft (Mitgliedschaftserwerb bzw. Erwerb der Organstellung) kann nämlich eine Bindung an die Satzung nur insgesamt herbeigeführt werden. Damit wird durch das korporationsrechtliche Rechtsgeschäft dem Betroffenen – unabhängig von einem Unterwerfungswillen – die Geltung der Satzung als unteilbares Ganzes quasi einseitig aufgedrängt55. Auf diese von einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung gänzlich verschiedene Art des Zustandekommens der Bindungswirkung passt § 1031 ZPO nicht. Das gilt umso mehr als das Gesellschaftsrecht eigenständige von § 1031 ZPO verschiedene und systemangepasstere Schutzmechanismen zugunsten des Betroffenen kennt56. Der Verweis auf § 1031 ZPO wird daher in diesem Fall durch Rückgriff auf die Bestimmungen des Gesellschaftsrechts („Anordnung in gesetzlich statthafter Weise“) verdrängt. Danach ist in formeller Hinsicht erforderlich, dass die Schiedsklausel nach § 3 Abs. 2 GmbHG wirksam Satzungsbestandteil geworden ist. Bei einer Schiedsklausel handelt es sich zwar nicht um einen notwendigen, sondern lediglich um einen fakultativen Satzungsbestandteil. Dieser fällt jedoch unter § 3 Abs. 2 GmbHG, muss daher – um korporationsrechtlichen Charakter zu haben – im Gesellschaftsvertrag geregelt werden57 und ist folglich auch nach § 2 Abs. 1 GmbHG notariell zu beurkunden.
III. Objektive Schiedsfähigkeit Objektiv schiedsfähig sind gemäß § 1030 Abs. 1 ZPO alle vermögensrechtlichen Ansprüche, sofern der Gesetzgeber die Schiedsfähigkeit – wie beispiels-
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54 Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 32 Rz. 6; Schlosser, Revision des EuGVÜ – Neues Schiedsverfahrensrecht, 2000, S. 163, 205. 55 Siehe zu diesem Wesensunterschied zwischen den Fällen des § 1029 ZPO und des § 1066 ZPO Haas, SchiedsVZ 2007, 1, 3 ff. 56 Siehe hierzu auch Haas, SchiedsVZ 2007, 1, 5 f. und 9. 57 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 3 Rz. 25, § 13 Rz. 9; Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 13 Rz. 42.
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weise in § 1030 Abs. 2 ZPO – nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat. Die Bestimmung in § 1030 ZPO gilt unabhängig davon, ob die Schiedsbindung nach § 1029 ZPO oder § 1066 ZPO zustande gekommen ist. Damit kommt es seit der Reform des Schiedsrechts zum 1. Januar 1998 nur noch im Bereich der nicht vermögensrechtlichen Ansprüche darauf an, ob die Parteien auf diese verzichten oder sich über sie vergleichen können58. Somit sind Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer nach §§ 9a, 9b GmbHG wegen unrichtiger Angaben bei Errichtung der Gesellschaft, nach § 43 Abs. 3 GmbHG wegen Verstoßes gegen die Pflicht zur Erhaltung des Stammkapitals, nach § 57 Abs. 4 GmbHG bei Falschangaben des Geschäftsführers im Rahmen einer Kapitalerhöhung und nach § 64 GmbHG wegen der Vornahme von Zahlungen nach Insolvenzreife oder von Zahlungen an die Gesellschafter, die zur Zahlungsunfähigkeit führen, vollumfänglich schiedsfähig59. Der Schiedsfähigkeit dieser Ansprüche steht auch nicht § 101 Abs. 3 ArbGG entgegen. Danach finden die Regelungen zur Schiedsgerichtsbarkeit nach §§ 1025 ff. ZPO in Arbeitssachen keine Anwendung. Der GmbH-Geschäftsführer, der seine Tätigkeit aufgrund eines Geschäftsführerdienstvertrages erbringt, ist in der Regel zwar kein Arbeitnehmer; fraglich ist jedoch, ob dies auch für solche Geschäftsführer gilt, deren Anstellungsverhältnis durch ein besonders starkes internes Weisungsabhängigkeit geprägt ist. In Literatur und Rechtsprechung ist dies umstritten60. Es ist eine gewisse Tendenz erkennbar, den Geschäftsführer – unter bestimmten Voraussetzungen – hier wie ein Arbeitnehmer zu behandeln61. Welche Auswirkungen das auf die objektive Schiedsfähigkeit von Haftungsansprüchen hat, ist auf den ersten Blick fraglich. Der Ausschluss der Schiedsgerichtsbarkeit gemäß § 101 Abs. 3 ArbGG bezieht sich auf „Arbeitssachen“. Der reine Wortlaut lässt zunächst also keinen eindeutigen Schluss zu, ob es für den Ausschluss nach dieser Vorschrift auf die materielle Stellung als Arbeitnehmer ankommt oder lediglich darauf, ob die Streitigkeit nach dem ArbGG nicht unter die Arbeitsgerichtsbarkeit fällt. Richtiger Ansicht nach ist von Letzterem auszugehen. Eine solche Auslegung ergibt sich sowohl aus § 1 ArbGG, der die Gerichtsbarkeit in „Arbeitssachen“ nach §§ 2, 3 ArbGG den Arbeitsgerichten zuweist und somit die Arbeitssachen als all diejenigen Streitigkeiten definiert, die von den Arbeitsgerichten entschieden werden, als auch im Umkehrschluss aus § 101 Abs. 2 ArbGG. Diese Vorschrift bestimmt, dass für Aufhebungsklagen, innerhalb derer auch die Unzulässigkeit der Schiedsvereinbarung gerügt werden kann, die Arbeitsgerichte zuständig sein sollen. Dies ergibt jedoch nur dann Sinn, wenn die
__________ 58 Thümmel in FS Geimer, 2007, S. 1331; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 144; Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1030 Rz. 5 ff. 59 Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 144; Voit in Musielak, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 1030 Rz. 2. 60 Siehe Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 6 Rz. 70; Uwe H. Schneider/Sethe in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 35 Rz. 167 ff. 61 Uwe H. Schneider/Sethe in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 35 Rz. 175 ff.; siehe auch BAG, NJW 1999, 3731; NJW 1999, 3068.
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zugrunde liegende Streitigkeit ebenfalls in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte fällt. Bei Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnis eines GmbH-Geschäftsführers ist dies jedoch nicht der Fall. Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG gelten Personen, die in Betrieben einer juristischen Person kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrag oder als Mitglied des Vertretungsorgans zur Vertretung der juristischen Person berufen sind, nicht als Arbeitnehmer im Sinne des ArbGG. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG fällt hierunter auch die Konstellation, in der ein GmbH- Geschäftsführer trotz seiner Organstellung als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist. Streitigkeiten dieser Art sind den ordentlichen Gerichten zugewiesen, aufgrund der Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte, obgleich diese die Rechtsstreitigkeit dann am Maßstab des materiellen Arbeitsrechts zu überprüfen haben62. Somit schließt § 101 ArbGG die Schiedsfähigkeit von Streitigkeiten zwischen der GmbH und ihrem Geschäftsführer in keinem Fall aus.
IV. Reichweite der Schiedsvereinbarung 1. Sachliche Reichweite Die sachliche Reichweite der Schiedsvereinbarung, d. h. die Frage, welche Ansprüche aus einem Rechtsverhältnis von der Schiedsklausel erfasst sind, ist im Wege der Auslegung zu klären63. Insbesondere bei satzungsmäßigen Schiedsklauseln ist zu prüfen, ob diese Ansprüche der Gesellschaft gegen das Leitungsorgan überhaupt erfassen. Dies ist etwa bei einer Schiedsklausel in der Satzung, wonach das Schiedsgericht zuständig sein soll für „alle Streitigkeiten, die in einem engen Zusammenhang mit der Mitgliedschaft oder der Zugehörigkeit zum Verband stehen“ nicht der Fall; denn eine solche Klausel begrenzt die Kompetenz des Schiedsgerichts auf Streitigkeiten, die allein die statutarische Bindung der Mitglieder (nicht aber der Organmitglieder) betreffen64. Aber selbst wenn die Klausel auch Streitigkeiten des Organmitglieds dem Schiedsgericht zuweist, bereitet die Bestimmung der sachlichen Reichweite derselben Schwierigkeiten; denn zu beachten ist dabei, dass das Verhältnis zwischen dem Geschäftsführer und der Gesellschaft aus verschiedenen Regelungsebenen besteht. Zu nennen sind hier der Anstellungsvertrag, die Bestellung zum Organ sowie die satzungsrechtliche Regelungsebene. Alle vorgenannten Regelungsebenen können Quelle von Rechtsstreitigkeiten sein. Damit stellt sich die Frage, ob eine in einer Regelungsebene enthaltene Schiedsklausel sich auch auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit den anderen Regelungsebenen bezieht.
__________ 62 BAG, NJW 1999, 3068; NZA 1996, 952; NZA 2006, 1154, 1155; LAG Bremen, NZARR 2006, 321. 63 BGH, NZG 2002, 83. 64 So BayObLG, Beschl v. 15.12.1999 – 4Z Sch 6/99.
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a) Schiedsklausel im Anstellungsvertrag Grundsätzlich bezieht sich eine Schiedsklausel in einem Vertrag auf Streitigkeiten aus dem jeweiligen Rechtsverhältnis. Ist daher eine Schiedsklausel in einem Anstellungsvertrag enthalten, so erfasst diese – im Zweifel – alle Streitigkeiten aus dem Anstellungsvertrag. Streitigkeiten, die ihren Ursprung im Anstellungsvertrag finden, sind etwa solche im Zusammenhang mit der Zahlung/Nichtzahlung von Vergütungen oder im Zusammenhang mit einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot. Fraglich ist aber, ob beispielsweise auch die Geltendmachung des (zentralen) Haftungsanspruchs nach § 43 Abs. 2 GmbHG wegen fehlerhafter Unternehmensführung von der Schiedsklausel im Anstellungsvertrag erfasst wird; denn dieser Anspruch folgt ja nicht aus dem Anstellungsvertrag, sondern aus dem organschaftlichen Verhältnis, das durch den Bestellungsakt begründet wird (siehe oben II. 1. a). In welchem Verhältnis das durch Satzung und Gesetz geprägte organschaftliche Rechtsverhältnis zum Anstellungsvertrag steht, ist umstritten65. Teilweise wird die Ansicht vertreten, beide seien gänzlich abstrakt voneinander66. Anderer Ansicht nach ergänzen und beeinflussen sich die Pflichten aus dem Anstellungsvertrag und der Organstellung wechselseitig67. So soll – dieser Ansicht zufolge – einerseits der Anstellungsvertrag die sich aus der Organstellung ergebenden Rechte und Pflichten ergänzen und konkretisieren können68. Andererseits nimmt dieser Ansicht zufolge der Anstellungsvertrag infolge der Bezugnahme auf die Tätigkeit als Geschäftsführer auch die organschaftlichen Pflichten und Haftungsnormen in sich auf, so dass dieser dann auch schuldrechtlich zu deren Einhaltung verpflichtet wird69. Unabhängig davon, welcher vorstehender Ansicht man folgt, wird man im Zweifel die im Anstellungsvertrag enthaltene Schiedsklausel auch auf organschaftliche Ansprüche der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer beziehen müssen; denn mit Blick auf die Interessen der Parteien ist der Anstellungsvertrag ja auf die Übernahme der Organstellung bezogen. Ohne die Bestellung zum Organ macht der Anstellungsvertrag keinen Sinn. Rechtsprechung und Literatur haben auch in anderen Fällen wirtschaftlich miteinander verbundener Verträge die in einem Vertrag enthaltene Schiedsklausel auch auf den anderen Vertrag erstreckt, wenn eine umfassende Streiterledigung vor einem „Gericht“ den Parteiinteressen entsprach70. Folgt man dieser Ansicht, dann
__________ 65 Nachw. bei Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 6 Rz. 38. 66 Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 3 ff.; Reuter in FS Zöllner, 1998, Bd. 2, S. 487 ff.; ausführlich Mildenberger, Der Geschäftsführervertrag, 2000. 67 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 35 Rz. 16; Haas/ Ziemons in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 43 Rz. 6. 68 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 14 III 2; Reuter in FS Zöllner, 1998, S. 487, 488; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 35 Rz. 15. 69 Haas/Ziemons in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 43 Rz. 5. 70 Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rz. 482 f.; Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1029 Rz. 110; siehe auch OLG München, NZG 2005, 895; OLG Stuttgart, Urt. v. 6.3.2003 – 12 U 158/00; kritisch zu dem Ansatz „verbundener Verträge“ Kiethe, NZG 2005, 881 ff.
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werden auch die organschaftlichen Haftungsansprüche der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer – im Zweifel – von der Schiedsklausel im Anstellungsvertrag erfasst. b) Schiedsklausel in der Satzung Regelungen in einer GmbH-Satzung können formeller und materieller Natur sein. Alle in der Satzungsurkunde enthaltenen Regelungen sind Regelungen im formellen Sinn. Satzung im materiellen Sinn sind wiederum nur solche Regelungen, die korporativ sind, also die Grundlagen der Gesellschaft betreffen und derzeitige wie künftige Gesellschafter bzw. Organmitglieder binden71. Der Umstand, dass die Gesellschafter einen Sachverhalt in der Satzung regeln, hat allein keine konstitutive Wirkung72. Wie oben dargelegt bindet eine satzungsmäßige Schiedsklausel den Geschäftsführer mit vollzogenem Beitritt automatisch, ohne dass es erforderlich wäre, dass dieser zu diesem Zeitpunkt überhaupt Kenntnis von der Schiedsklausel hat73. Der Grund für diese Bindung liegt in der korporativen Ordnung der Organstellung74. Aus dem korporativen Bezug der Schiedsklausel folgt, dass diese in erster Linie nur solche Ansprüche erfasst, die in der Organstellung wurzeln75. Hierzu gehört insbesondere der Anspruch der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer nach § 43 GmbHG. Fraglich ist, ob dem durch Satzung etablierten Schiedsgericht über das korporationsrechtliche Verhältnis hinaus auch Streitfragen in Bezug auf die anderen Regelungsebenen zur Entscheidung zugewiesen werden können. In Bezug auf Streitigkeiten aus dem Anstellungsvertrag wird man dies in jedem Fall ablehnen müssen76; denn für die Regelung derartiger individualrechtlicher Vereinbarungen fehlt den Gesellschaftern untereinander die Regelungszuständigkeit. Vielmehr kann insoweit die Gesellschaft nur gemeinsam mit dem Geschäftsführer hierüber disponieren. Die in der Satzung enthaltene Schiedsklausel kann daher Streitigkeiten, die allein im Anstellungsvertrag mit dem Geschäftsführer wurzeln, nicht der Entscheidung durch das Schiedsgericht zuweisen. Etwas anders mag allenfalls dann gelten, wenn der Geschäftsführer gleichzeitig Gesellschafter ist und an der Ausgestaltung der (sprachlich entsprechend weit gefassten) satzungsmäßigen Schiedsklausel unmittelbar mitgewirkt hat.
__________ 71 Priester/Veil in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 53 Rz. 5 f.; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 53 Rz. 1, § 3 Rz. 1 f., Rz. 69 ff.; zum Aktienrecht, siehe BGH, NJW 1994, 51, 52. 72 BGH, NJW 1955, 1716; NJW 1963, 203, 204. 73 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 35 Rz. 15. 74 Siehe oben II. 2. a) bb). 75 BGH, NJW 1963, 203, 204; Ebbing, Schiedsvereinbarungen in Gesellschaftsverträgen, NZG 1998, 281, 281 f.; Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1066 Rz. 18; Musielak/Voit, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 1066 Rz. 9. 76 Siehe im Grundsatz auch BGH, NZG 2002, 83 f.: Streitigkeiten aus dem Gesellschaftsvertrag beziehen nicht auch Ansprüche aus einem Darlehensvertrag zwischen Gesellschaft und Gesellschafter mit ein.
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Problematisch ist schließlich auch, ob die satzungsmäßige Schiedsklausel auch Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Bestellung zum Organ umfasst oder nur solche aus der (erfolgten) Organstellung. Für die letztgenannte Ansicht sprechen die besseren Gründe. In der Zuständigkeit der Gesellschafter steht nämlich nur die Ausgestaltung des korporationsrechtlichen Rechtsverhältnisses, nicht aber dessen Begründung. Das gilt selbst dann, wenn die Bestellung des GmbH- Geschäftsführers nach § 6 Abs. 3 Satz 2 GmbHG bereits im Gesellschaftsvertrag vorgenommen wird; denn insoweit handelt es sich lediglich um einen unechten Satzungsbestandteil. Der Geltungsgrund der Bestellung liegt also auch in diesem Fall außerhalb der korporationsrechtlichen Sphäre77; denn letztlich handelt es sich bei dem Erwerb der Organstellung – wie bereits erwähnt – um einen mehrseitigen Akt, der nicht gegen bzw. ohne den Willen des Geschäftsführers durchgesetzt werden kann. Vollzieht sich aber die Begründung der Organstellung außerhalb der durch die Satzung ausgestalteten korporationsrechtlichen Regelungsebene, dann sind Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Bestellung zum Geschäftsführer von einer Schiedsklausel in der Satzung nicht erfasst78. 2. Persönliche Reichweite Gebunden werden durch die Schiedsklausel in dem Anstellungsvertrag oder in der Satzung in erster Linie die Gesellschaft sowie der Geschäftsführer. Damit sind in persönlicher Hinsicht Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer grundsätzlich von der Schiedsklausel erfasst. a) Rechtsnachfolger, Insolvenzverwalter Gebunden wird auch der Rechtsnachfolger der Gesellschaft. Tritt diese also beispielsweise den (schiedsgebundenen) Haftungsanspruch gegen den Geschäftsführer an einen Dritten ab, so bleibt die Schiedsbindung nach h. M. auch im Verhältnis zu dem Dritten erhalten79. Gleiches gilt auch im Fall der Gesamtrechtsnachfolge80 oder im Verhältnis zum Insolvenzverwalter. Auch Letzterer ist an eine von der Gesellschaft vor Insolvenzeröffnung geschlossene Schiedsvereinbarung gebunden, da dieser grundsätzlich die Rechtslage so übernehmen muss, wie er sie bei Verfahrenseröffnung vorfindet81. Im Einzelfall kann u. U.
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77 Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 6 Rz. 41. 78 Zwar hat der BGH in einer Entscheidung festgehalten, dass „zu den Streitigkeiten aus einem Gesellschaftsverhältnis, für die das Schiedsgericht zuständig sein soll, … auch der Streit darüber [gehöre], ob jemand überhaupt Gesellschafter geworden ist“, BGH, NJW 1979, 2567, 2568. In dem entschiedenen Fall war der Betreffende jedoch „Vertragspartner der Schiedsvereinbarung“. Gerade hieran fehlt es aber im vorliegenden Fall. 79 BGH, NJW 1979, 2567, 2568; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 7 Rz. 31; Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1029 Rz. 46 f. 80 BGH, NJW 1979, 2567; Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1029 Rz. 45; Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rz. 514. 81 BGH, NJW 1979, 2567; NJW 2004, 2898, 2899; Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1029 Rz. 50; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 7 Rz. 33; Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rz. 516.
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streitig sein, ob der Anspruch in der Hand des „Dritten“ originär entsteht oder aber ob dieser dem Dritten als (Quasi-)„Rechtsnachfolger“ zusteht. Dies gilt etwa für die Haftungsansprüche nach § 64 GmbHG. Danach steht der Gesellschaft ein Anspruch auf Erstattung solcher Zahlungen zu, die entweder nach Insolvenzreife geleistet wurden oder aber die Zahlungsunfähigkeit herbeigeführt haben. H. M. nach dient § 64 GmbHG nicht dem Schutz der Gesellschaft, sondern dem Schutz der Gläubigergesamtheit82. Es ist nämlich allein der der Gläubigergesamtheit entstandene Nachteil zu ersetzen. Dennoch ist Inhaber des Anspruchs nicht der (oder die) Gläubiger, sondern allein die Gesellschaft83. Auch wenn der Anspruch nach § 64 GmbHG an Umständen im Vorfeld der Entscheidung über den Insolvenzantrag anknüpft, entsteht dieser – richtiger Ansicht nach – erst mit Insolvenzeröffnung oder Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse; denn einen Nachteil erleidet die Gläubigergesamtheit erst mit diesem Zeitpunkt, nicht aber schon, solange die Gesellschaft noch werbend am Markt tätig ist84. Erholt sich nämlich die Gesellschaft wirtschaftlich und kommt es damit gar nicht zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens (bzw. zur Verfahrensabweisung mangels Masse), dann hat die Zahlung aus dem Gesellschaftsvermögen die Gläubigergesamtheit zu keinem Zeitpunkt benachteiligt. Für eine Vorwirkung des insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes, dessen Verwirklichung gerade § 64 Satz 1 GmbHG dient85, besteht dann kein Bedürfnis. Mithin gibt es keinen Fall, in dem die Gesellschaft – unabhängig von einem Insolvenzfall – den Anspruch aus § 64 GmbHG selbst geltend machen könnte. Der Rückgewähranspruch nach § 64 GmbHG beruht mithin für den Regelfall (d. h. der Insolvenzeröffnung) also auf einem kraft Gesetzes entstehenden selbständigen, der Verfügungsgewalt der Gesellschaft entzogenem Recht des Insolvenzverwalters. Damit stellt sich aber die Frage, ob den Gesellschaftern (in der Satzung) überhaupt die Abschlusskompetenz zukommt, mit Wirkung gegenüber dem Insolvenzverwalter über einen Anspruch zuständigkeitsrechtlich „zu verfügen“. Die Rechtsprechung hat sich hierzu bislang noch nicht geäußert. Für den Anspruch im Zusammenhang mit der Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO, der ja ähnliche Zwecke verfolgt wie der Anspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG, hat die Rechtsprechung jedenfalls entschieden, dass dieser nicht von einer zwischen dem Schuldner und dem Anfechtungsgegner geschlossenen Schiedsabrede erfasst wird86. Auch fehlt es an einer Zuständigkeit zwischen Schuldner und Vertragspartner über diesen in
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82 Casper in Ulmer, GmbHG, 2008, § 64 Rz. 4; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 64 Rz. 5. 83 Haas, GmbHR 2010, 1 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 64 Rz. 16; Casper in Ulmer, GmbHG, 2008, § 64 Rz. 76; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 64 Rz. 58. 84 BGH, NZI 2001, 87, 87 f.; Haas, GmbHR 2010, 1, 2 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 64 Rz. 16; a. A. BGH, NZI 2009, 486, 488 (unter ausdrücklicher Bezugnahme auch auf Kommentarliteratur zu § 64 GmbHG); K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 64 Rz. 59. 85 BGH, NZI 2009, 486, 490. 86 BGH, NJW 1956, 1920, 1921; NJW-RR 2008, 558, 560; BeckRS 2003, 10371.
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der Hand des Insolvenzverwalters originär entstehenden Anspruch prozessrechtlich zu verfügen. Richtiger Ansicht nach kann für die Rückgewähransprüche nach § 64 GmbHG dann nichts anderes gelten. b) „Faktischer Geschäftsführer“ Fraglich ist, ob – auf Schuldnerseite – auch ein „faktischer Geschäftsführer“ durch eine Schiedsklausel gebunden wird. Hinter der Rechtsfigur des „faktischen Geschäftsführers“ verbergen sich h. M. zufolge zwei unterschiedliche Fallkonstellationen87. Zum einen versteht man hierunter eine Person, die die Aufgaben des Geschäftsführers wahrnimmt, obwohl der Bestellungsakt zum Geschäftsführer nichtig ist. Erfasst werden von der Rechtsfigur aber auch solche Fallgestaltungen, in denen ein Dritter – ohne jeglichen Bestellungsakt – Aufgaben der Geschäftsleitung mit Wissen und Dulden der Gesellschafter wahrnimmt. Hat der „faktische Geschäftsführer“ einen Anstellungsvertrag mit der Gesellschaft geschlossen, in dem eine Schiedsklausel enthalten ist, so wird die Auslegung derselben – im Regelfall – ergeben, dass sich diese auch auf die Tätigkeit als „faktischer Geschäftsleiter“ bezieht. Nicht anders wird man aber entscheiden können, wenn die Schiedsklausel in der Satzung enthalten ist; denn bereits durch die „faktischen Übernahme“ der Geschäftsführungsaufgaben entsteht die Bindung an die in der Satzung enthaltenen korporationsrechtlichen Bestimmungen. c) Ansprüche Dritter Die Organstellung kann – unter bestimmten Voraussetzungen – nicht nur Ansprüche der Gesellschaft, sondern auch Dritter auslösen. Damit stellt sich die Frage, ob auch diese von der Schiedsklausel (im Anstellungsvertrag oder in der Satzung) erfasst werden. So findet sich etwa eine organschaftliche Haftung des Geschäftsführers gegenüber Dritten in § 11 Abs. 2 GmbHG88, § 26 Abs. 3 InsO89 oder – h. M. zufolge – in § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO90. Da jedoch Rechte und Pflichten Dritter durch Satzung nicht begründet werden und Dritte auch nicht an die Satzung gebunden sind91, können derartige Ansprüche – ohne eine individualrechtliche Vereinbarung mit dem Anspruchs-
__________ 87 Siehe zu der strittigen Rechtsfigur, Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 43 Rz. 22; Haas/Ziemons in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 43 Rz. 24 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 43 Rz. 2 f. 88 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 11 Rz. 45; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 11 Rz. 24 ff. 89 Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 64 Rz. 109; Haarmeyer in MünchKomm.InsO, 2. Aufl. 2007, § 26 Rz. 56 ff. 90 BGHZ 29, 100, 102 ff.; BGHZ 126, 181, 190; BGHZ 138, 211, 214; Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, 2009, S. 208 f.; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 64 Rz. 2 f. und Anh § 64 Rz. 64. 91 Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 3 Rz. 46; Hueck/Fastrich in Baumbach/ Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 3 Rz. 26; Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1066 Rz. 17; Voit in Musielak, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 1066 Rz. 9.
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Schiedsvereinbarungen zwischen Gesellschaft und GmbH-Geschäftsführer
inhaber – nicht einem Schiedsgericht zugewiesen werden. Insoweit bedarf es also einer gesonderten – den §§ 1029 ff. ZPO entsprechenden – Vereinbarung92. Auch durch eine Schiedsklausel in dem Anstellungsvertrag kann für derartige Ansprüche – mangels Regelungskompetenz der Parteien des Anstellungsvertrages – eine Zuständigkeit des Schiedsgerichts nicht begründet werden. Fraglich ist, ob u. U. Ansprüche solcher Gläubiger schiedsgebunden sind, die – außer der Gesellschaft und dem Geschäftsführer – ebenfalls in das korporationsrechtliche Verhältnis eingebunden sind. Dies ist etwa für Gesellschafter oder Mitgeschäftsführer der Fall. Damit stellt sich die Frage, ob etwa der Gesellschafter, der einen (Rückgriffs-)Anspruch gegen den Geschäftsführer nach § 31 Abs. 6 GmbHG geltend macht oder der Geschäftsführer, der bei dem Mitgeschäftsführer nach § 43 Abs. 2 GmbHG i. V. m. § 426 Abs. 1 BGB Rückgriff nimmt, diesen Anspruch vor dem Schiedsgericht durchsetzen muss. Ist die Schiedsklausel in dem Anstellungsvertrag enthalten, so wird man eine Schiedsgebundenheit des Anspruchs ablehnen müssen, denn eine solche Schiedsklausel erfasst nur Streitigkeiten zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer. Anders ist die Rechtslage aber im Fall einer satzungsmäßigen Schiedsklausel; denn diese unterstellt alle Ansprüche aus dem korporationsrechtlichen Verhältnis – soweit die Parteien an die Satzung gebunden sind – der Schiedsgerichtsbarkeit. Da aber auch Ansprüche der Geschäftsführer untereinander (oder im Verhältnis zwischen Gesellschafter und Geschäftsführer) den Gegenstand einer statutarischen Regelung bilden, können diese Ansprüche durch eine satzungsmäßige Schiedsklausel einem Schiedsgericht zugewiesen werden93. d) Ansprüche gegen ehemalige Geschäftsführer Fraglich ist, ob und inwieweit ein ehemaliger Geschäftsführer in Bezug auf gegen ihn geltend gemachte organschaftliche Haftungsansprüche schiedsgebunden bleibt. Grundsätzlich kann eine durch Satzung festgelegte Klausel keine außerhalb der Satzung stehende Dritte binden94. Lediglich in den Fällen, in denen es um nachwirkende Streitigkeiten aus dem Organverhältnis geht, ist eine Bindung an eine statutarische Schiedsklausel anerkannt95. Einfacher zu beantworten ist die Frage hingegen bei (im Anstellungsvertrag) vereinbarten Schiedsvereinbarungen nach §§ 1029 ff. ZPO. Dort liegt der Bindungsgrund nicht in der Organstellung, sondern in der vertraglichen Vereinbarung begründet. Die Reichweite eines Schiedsvertrages richtet sich also nach dem Willen der Parteien, die darüber zu bestimmen haben, welche Streitigkeit sie der Ent-
__________ 92 Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1066 Rz. 17; Voit in Musielak, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 1066 Rz. 9. 93 Vgl. hierzu BayObLG, Beschl. v. 15.12.1999 – 4Z SchH 6/99; Münch in MünchKomm. ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1066 Rz. 18 f.; Voit in Musielak, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 1066 Rz. 9; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 32 Rz. 9. 94 Münch in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1066 Rz. 17; Voit in Musielak, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 1066 Rz. 9. 95 RGZ 113, 321, 323; Reuter in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 39 Rz. 11; Heinrichs/Ellenberger in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 39 Rz. 4.
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Ulrich Haas / Anne Hoßfeld
scheidung des Schiedsgerichts unterwerfen wollen96. Der Umfang der Schiedsvereinbarung ist anhand dieser vertraglichen Vereinbarung auszulegen. Rechtsprechung und Literatur sprechen sich hier für eine großzügige Auslegung aus97. Folgt man allerdings der hier vertretenen Ansicht, dass von einer Schiedsklausel im Anstellungsvertrag auch Streitigkeiten aus dem Organverhältnis mit umfasst sind (siehe oben IV. 1. a)), so gilt das vorstehend Gesagte entsprechend. Eine Bindung an die Schiedsklausel kann nach Ausscheiden des Geschäftsführers dann nur noch für die Fälle angenommen werden, in denen es um nachwirkende Ansprüche aus dem Organverhältnis geht.
V. Zusammenfassung 1. Wird mit dem Geschäftsführer der GmbH im Anstellungsvertrag eine Schiedsklausel vereinbart, so ist dieser – unabhängig davon, ob er gleichzeitig (Mehrheits-/Allein-)Gesellschafter ist – Verbraucher, mit der Konsequenz, dass auch die Formvorschrift des § 1031 Abs. 5 ZPO auf die Schiedsklausel Anwendung findet. 2. Die Bindung des GmbH-Geschäftsführers an eine Schiedsklausel kann auch durch eine entsprechende Regelung in der GmbH-Satzung erfolgen. In diesem Fall muss die Schiedsklausel mangels „Vereinbarung“ nicht der Formvorschrift des § 1031 Abs. 5 ZPO genügen. Die Schiedsvereinbarung ist in diesem Fall jedoch auf Streitigkeiten beschränkt, die in der Organstellung des Geschäftsführers wurzeln. Sonstige Individualvereinbarungen zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer fallen nicht hierunter. Auch Streitigkeiten in Bezug auf die Begründung der Organstellung werden nicht erfasst. 3. Objektiv schiedsfähig sind alle vermögensrechtlichen Ansprüche zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer; die Befugnis, sich über die der Schiedsvereinbarung zugrunde liegenden Ansprüche vergleichen zu können, ist nach der Schiedsverfahrensrechtsnovelle nicht mehr erforderlich. Auch für die Fälle, in denen – mitunter – ein Geschäftsführer aufgrund starker Weisungsabhängigkeit von der Gesellschaft als Arbeitnehmer qualifiziert wird, schließt § 101 ArbGG aufgrund der Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG die Einsetzung eines Schiedsgerichts nicht aus. 4. Die sachliche Reichweite der Schiedsvereinbarung ist durch Auslegung zu ermitteln. In aller Regel wird eine solche Auslegung ergeben, dass eine in dem Anstellungsvertrag enthaltene Schiedsklausel sich auch auf solche Streitigkeiten bezieht, die in der korporationsrechtlichen (und nicht in der anstellungsrechtlichen) Sphäre wurzeln. Umgekehrt aber bezieht sich die Schiedsklausel in der Satzung nur auf Streitigkeiten aus dem Organverhältnis.
__________ 96 BGH, NJW-RR 2002, 387. 97 BGH, NJW 1970, 1046, 1047; NJW-RR 2002, 387; SchiedsVZ 2005, 308, 309; Schwab/ Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 3 Rz. 19; Münch in MünchKomm. ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1029 Rz. 106.
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Schiedsvereinbarungen zwischen Gesellschaft und GmbH-Geschäftsführer
5. In persönlicher Hinsicht bindet eine Schiedsklausel in erster Linie sowohl Gesellschaft als auch Geschäftsführer. Fraglich ist aber, ob von der Schiedsklausel auch der Anspruch des Insolvenzverwalters nach § 64 GmbHG erfasst wird. Dieser entsteht nämlich – soweit das Insolvenzverfahren eröffnet wird – in der Hand des Insolvenzverwalters. Steht aber der Gesellschaft im Vorfeld der Insolvenzeröffnung der Anspruch aus § 64 GmbHG nicht zu, stellt sich die Frage, ob es den Gesellschaftern bzw. der Gesellschaft nicht an der Regelungszuständigkeit für eine schiedsgerichtliche Entscheidungszuständigkeit fehlt. Ist die Schiedsklausel in der Satzung enthalten, so ist zu berücksichtigen, dass Streitigkeiten aus der korporationsrechtlichen Sphäre auch Ansprüche anderer Regelungsadressaten der Satzung gegen den Geschäftsführer erfassen können. Insoweit kann die personelle Reichweite der satzungsmäßigen Schiedsklausel deutlich weiter sein als die in einem Anstellungsvertrag mit dem Geschäftsführer.
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Mathias Habersack
Die Legalitätspflicht des Vorstands der AG Inhaltsübersicht I. Einführung II. Grundlagen III. Ausprägungen der Legalitätspflicht IV. Versuch einer aktienrechtlichen Herleitung der Legalitätspflicht V. Schranken der Legalitätspflicht 1. Vertragsverletzungen
2. Unklare Rechtslage 3. Weitere Relativierungen der Legalitätspflicht? VI. Rechtsfolgen einer Verletzung der Legalitätspflicht VII. Fazit
I. Einführung Uwe H. Schneider ist ein Freund des guten Gesprächs und der engagierten Diskussion. Der Verfasser durfte dies während seiner Mainzer Jahre hautnah erleben, vor allem im Rahmen gemeinsam ausgerichteter Seminare des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens an der Universität Mainz. Wiederholt Gegenstand nachhaltiger Diskussion bildete die Frage, ob die Mitglieder des Vorstands der AG1 kraft ihrer organschaftlichen Stellung verpflichtet sind, für ein rechtmäßiges Verhalten der Gesellschaft zu sorgen. Uwe H. Schneider hat sich mit dieser Frage vor allem in seiner Kommentierung des § 43 GmbHG im Scholz befasst2; in einem kürzlich erschienenen Beitrag ist er sodann der speziellen Frage nachgegangen, ob die Organwalter bei Vertragsverletzungen der Gesellschaft haften3. Ein Beitrag über die Legalitätspflicht des Vorstands der AG und deren Grenzen darf deshalb auf das Interesse des Jubilars hoffen. Zu beginnen ist mit einer skizzenartigen Darstellung der Grundlagen der Vorstandshaftung, bevor auf das dogmatische Fundament der Legalitätspflicht und auf deren Reichweite sowie auf mögliche Ausnahmen einzugehen ist. Nur noch eher beiläufig sind sodann die Rechtsfolgen einer Verletzung der Legalitätspflicht anzusprechen; insoweit interessiert namentlich, ob der Vorstand einwenden kann, der Gesellschaft seien infolge des von ihm zu verantwortenden Gesetzesverstoßes auch Vorteile erwachsen.
__________ 1 Die Frage stellt sich gleichermaßen für die Geschäftsleiter anderer Verbände, insbesondere der GmbH, der Genossenschaft und der Personengesellschaft; doch sollen diese im Interesse besserer Übersichtlichkeit der Darstellung ausgeblendet bleiben. 2 Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl., Bd. II, 2007, § 43 GmbHG Rz. 75 ff. (79), 82, 229; s. ferner ders., AG 1983, 205, 212. 3 Uwe H. Schneider in FS Hüffer, 2010, S. 905 ff.
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II. Grundlagen Nach § 93 Abs. 2 AktG sind Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. Dieser Haftungstatbestand knüpft an § 93 Abs. 1 AktG an, der die Verhaltensanforderungen umschreibt, denen die Vorstandsmitglieder gerecht werden müssen. Nach der Generalklausel des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG haben die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden; herrschender Ansicht zufolge werden hiermit der Verschuldensmaßstab umschrieben und zugleich die objektiven Verhaltenspflichten bezeichnet4. Da den Vorstandsmitgliedern, soweit sie unternehmerische Entscheidungen zu treffen haben, nicht „jeder Mut zur Tat genommen“ werden darf5, hat der II. Zivilsenat des BGH bereits in der „ARAG“-Entscheidung vom 21. April 1997 ausgeführt, dass dem Vorstand bei der Leitung der Geschäfte des Gesellschaftsunternehmens „ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden muss, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit schlechterdings nicht denkbar ist“6. Dieses „business judgment“ ist sodann im Jahr 2005 durch das UMAG7 in Gesetzesform gegossen worden, und zwar in Gestalt des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, dem zufolge eine Sorgfaltspflichtverletzung nicht vorliegt, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Von den in § 93 Abs. 1 Satz 1 und 2 AktG allein angesprochenen Sorgfaltspflichten schon im Ansatz zu unterscheiden sind die Treuepflichten der Vorstandsmitglieder, deren wichtigste, nämlich die Pflicht zur Verschwiegenheit, in § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG besonders hervorgehoben ist. Sowohl hinsichtlich der Sorgfalts- als auch hinsichtlich der Treuepflichten gilt, dass die Pflichtverletzung eine zwar notwendige und zudem zentrale, nicht aber auch hinreichende Voraussetzung der Haftung aus § 93 Abs. 2 AktG bildet; anders als die Abberufung nach § 84 Abs. 3 Satz 1, 2 AktG8 setzt die Haftung noch den Eintritt eines Gesellschaftsschadens sowie Kausalität und Verschulden voraus. Und sowohl hinsichtlich der Sorgfalts- als auch hinsichtlich der Treuepflichten gilt, dass sich der Inhalt der Pflicht vielfach nur unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des einzelnen Falles bestimmen lässt. Auch den über das AktG verstreuten Aufgabenzuweisungen (allen voran § 76
__________ 4 Vgl. Hopt in Großkomm.AktG, 4. Aufl., 11. Lieferung, 1999, § 93 AktG Rz. 19; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl., Bd. 2/1, 2010, § 93 AktG Rz. 11; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl., Bd. III, 2008, § 93 AktG Rz. 20; krit. Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 93 AktG Rz. 3a f. 5 Vgl. den Hinweis von Goette (in FS 50 Jahre BGH, Bd. I, 2000, S. 123, 124) auf die amtliche Begründung zu § 84 AktG 1937 (Deutscher Rechtsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger 1937, Nr. 28, S. 4). 6 BGHZ 135, 244, 253 f. 7 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts v. 22.9.2005, BGBl. I 2005, S. 2802; dazu Sven H. Schneider, DB 2005, 707 ff.; Schäfer, ZIP 2005, 1235 ff.; Ulmer, DB 2004, 859 ff. 8 Dazu BGH, WM 1955, 1222; Hüffer (Fn. 4), § 84 AktG Rz. 26 f.
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Abs. 1 AktG) lässt sich kein vollständiges Anforderungsprofil entnehmen, weshalb es Rechtsprechung und Lehre vorbehalten war und ist, die organschaftlichen Pflichten zu präzisieren9. Immerhin eine erste Annäherung ermöglicht die Erkenntnis, das den Vorstandsmitgliedern neben der Pflicht zur gewissenhaften Wahrnehmung der ihnen übertragenen Leitungsaufgabe und damit zur Wahrnehmung der unternehmerischen Funktionen, darunter insbesondere der Planung, Koordination und Kontrolle des unternehmerischen Geschehens und der Besetzung der Führungsstellen, die Pflicht zur Überwachung der Vorstandskollegen und nachgeordneter Ebenen obliegt10. Diese Zweiteilung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der – im Aktiengesetz zwar nicht ausdrücklich angesprochene, indes immerhin in §§ 77 Abs. 1, 78 Abs. 2 AktG angedeutete und zu Recht allgemein anerkannte – Grundsatz der Gesamtverantwortung zwar eine befreiende Delegation von Aufgaben ausschließt, nicht aber das arbeitsteilige Zusammenwirken der Vorstandsmitglieder untereinander und die Übertragung von Aufgaben an nachgeordnete Mitarbeiter; die notwendige Kehrseite einer solchen horizontalen oder vertikalen Arbeitsteilung bilden die erwähnten Überwachungspflichten. Zu ihnen gesellt sich – als dritter größerer Pflichtenkreis – die Legalitätspflicht, von der im Folgenden die Rede ist.
III. Ausprägungen der Legalitätspflicht Die Legalitätspflicht des Vorstands wird gemeinhin zum Kernbereich der Sorgfaltspflichten des Vorstands gerechnet11 und bisweilen sogar in den Rang eines „1. Gebots“12 oder einer Kardinalpflicht13 erhoben. Verbreitet versteht man unter ihr die Pflicht, sowohl im Innenverhältnis der Gesellschaft als auch im Außenverhältnis der Gesellschaft zu Dritten für die Einhaltung der Vorgaben der Rechtsordnung zu sorgen14. Dies trifft zwar zu, bedarf freilich einer gewissen Präzisierung: Keiner näheren Begründung bedarf, dass die Mitglieder des Vorstands alle Verhaltensgebote zu erfüllen haben, die dem Vorstand als Organ oder dem einzelnen Mitglied als Organwalter auferlegt sind. So versteht es sich von selbst, dass jedes Vorstandsmitglied zur Wahrung der aktienrechtlichen Kompetenz-
__________ 9 Näher zum Folgenden namentlich Fleischer in ders., Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 7 Rz. 4 ff., § 8 Rz. 1 ff. 10 Näher Fleischer (Fn. 9), § 8 Rz. 5 ff., 26 ff.; grundlegend Uwe H. Schneider, ZIP 2003, 645 ff.; speziell zur horizontalen Überwachung Habersack, WM 2005, 2360 ff. (in krit. Auseinandersetzung mit VG Frankfurt/M., WM 2004, 2157). Zu den diesbezüglichen Pflichten des Aufsichtsrats s. jüngst Lutter in FS Hüffer, 2010, S. 617 ff. 11 Goette in FS 50 Jahre BGH, Bd. I, 2000, S. 123, 131 ff.; Hopt in Großkomm.AktG (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 98; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 71; Spindler in MünchKomm.AktG (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 63 f. 12 Lutter in VGR 1 (1999), S. 87, 90. 13 Fleischer (Fn. 9), § 7 Rz. 4. 14 Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 2), § 43 GmbHG Rz. 75; Fleischer (Fn. 9), § 7 Rz. 4 ff. m. w. N.
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ordnung verpflichtet ist und deshalb beispielsweise Maßnahmen zu unterlassen hat, die einem Zustimmungsvorbehalt gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG unterliegen oder durch den satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand nicht gedeckt sind und deshalb einer vorherigen Satzungsänderung bedürfen. Aber auch die Pflicht zur Information des Aufsichtsrats oder der Hauptversammlung und die – in § 93 Abs. 3 AktG sogar besonders hervorgehobene – Pflicht zur Verhinderung unzulässiger Kapitalabflüsse bilden Ausprägungen der internen Pflichtenbindung der Vorstandsmitglieder. Derlei Verhaltensgebote richten sich unmittelbar an den Vorstand oder an seine Mitglieder und haben deshalb mit der Legalitätspflicht im eigentlichen Sinne nicht wirklich etwas zu tun. Entsprechendes gilt übrigens für „Außenpflichten“ des Vorstands und seiner Mitglieder gegenüber Dritten, wie sie vom V. Zivilsenat des BGH in der berühmten Baustoff-Entscheidung in (zu) weitgehender Weise anerkannt worden sind15 und wie sie heute vor allem im Zusammenhang mit der deliktsrechtlichen Kapitalmarktinformationshaftung bedeutsam sind16. Davon schon im Ansatz zu unterscheiden – und im Folgenden allein von Interesse – ist eine ganz zentrale, wenn nicht sogar einzig erwähnenswerte Ausprägung der Legalitätspflicht, die bisweilen durch das Schlagwort der externen Pflichtenbindung charakterisiert wird17. Es wäre freilich verfehlt, wollte man mit dieser – etwas unglücklichen – Kennzeichnung die Fehlvorstellung verbinden, es gehe um Pflichten der Vorstandsmitglieder gegenüber außenstehenden Dritten. Ausgangspunkt ist vielmehr die Pflicht der Gesellschaft, sämtliche rechtlichen Ge- und Verbote zu beachten, die sie als eigenständiges Rechtssubjekt treffen. Diese Pflicht der Gesellschaft bildet nur, aber immerhin insoweit die denkbare Grundlage einer Haftung der Vorstandsmitglieder gegenüber der Gesellschaft, als die Vorstandsmitglieder gegenüber der Gesellschaft verpflichtet sind, für deren rechtmäßiges Verhalten im Außenverhältnis zu sorgen.
IV. Versuch einer aktienrechtlichen Herleitung der Legalitätspflicht Die ganz herrschende Meinung bejaht die Existenz der so verstandenen Legalitätspflicht und geht deshalb davon aus, dass ein rechtswidriges Verhalten im Außenverhältnis zugleich eine Pflichtverletzung im Innenverhältnis darstellt;
__________ 15 BGHZ 109, 297, 304; dazu Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 2), § 43 GmbHG Rz. 325 f. mit umf. Nachw.; s. dazu auch BGH (II. Zivilsenat), ZIP 1994, 867; Goette, Die GmbH, 2. Aufl. 2002, § 8 Rz. 249. 16 BGH, NZG 2005, 672 – EMTV; BGHZ 160, 134 – Infomatec I; BGHZ 160, 149 – Infomatec II; BGH, NJW 2004, 2668 – Infomatec III; BGH, NZG 2007, 345 – Comroad I; BGH, NZG 2007, 346 – Comroad II; BGH, NZG 2007, 269 – Comroad III; BGH, NZG 2007, 708 – Comroad IV; BGH, NZG 2007, 711 – Comroad V; BGH, NZG 2008, 382 – Comroad VI; BGH, NZG 2008, 385 – Comroad VII; BGH, NZG 2008, 386 – Comroad VIII; Überblick bei Unzicker, WM 2007, 1596 ff.; Sethe in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, §§ 37a, 37b Rz. 115 ff.; Fuchs in ders., WpHG, 2009, Vor §§ 37a, 37b Rz. 30 ff.; Möllers/Leisch in KölnKomm.WpHG, 2007, §§ 37b, 37c Rz. 398 ff.; Maier-Reimer/Paschos in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008, § 29 Rz. 164 ff. 17 Vgl. die Nachw. in Fn. 14.
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bei Lichte betrachtet lässt sich sogar sagen, dass dies im Ausgangspunkt nahezu einhelliger Ansicht entspricht18. Ziffer 4.1.3 des Deutschen Corporate Governance Kodex weist denn auch darauf hin, und zwar nicht im Sinne einer Empfehlung, sondern im Sinne einer Darstellung des ohnehin geltenden Rechts, dass der Vorstand „für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hinzuwirken“ hat. Für das US-amerikanische Recht, bei dem das deutsche Recht der Vorstandshaftung bisweilen Anleihen nimmt, hat es Melvin Eisenberg im Zusammenhang mit „Corporate Conduct that does not maximise shareholder gain“ in Bezug auf die Frage, ob der Vorstand zur Inanspruchnahme von Steuerschlupflöchern und zur Steuerhinterziehung berechtigt oder gar verpflichtet ist19, auf die Formel gebracht, dass der Vorstand zwar zu ersterem berechtigt, im Übrigen aber zur Einhaltung der Spielregeln verpflichtet sei20. Die Geschlossenheit des Meinungsbildes steht freilich in einem auffälligen Missverhältnis zu den Bemühungen einer plausiblen dogmatischen Herleitung der Legalitätspflicht. Sofern sich das Schrifttum überhaupt um eine Begründung bemüht und nicht schlicht das Bestehen der Legalitätspflicht behauptet, wird bisweilen auf die Schadensgeneigtheit gesetzwidrigen Verhaltens der Gesellschaft verwiesen21, was freilich schon deshalb nicht zu überzeugen vermag, weil es die Ebene der Sorgfaltspflichtverletzung (und damit der Haftungsbegründung) mit derjenigen des Schadens (und damit der Rechtsfolge) vermengt und sich sogar dem Vorwurf eines Zirkelschlusses ausgesetzt sieht, kann doch im Allgemeinen nicht vom Eintritt eines Schadens oder der Gefahr eines Schadenseintritts auf die Existenz einer Verhaltenspflicht geschlossen werden22; es bliebe dann allenfalls die Überlegung, der Vorstand sei verpflichtet, den Eintritt eines Gesellschaftsschadens abzuwenden, was wiederum nicht erklären könnte, weshalb der Vorstand auch insoweit verpflichtet sei, für rechtmäßiges
__________
18 BGHZ 133, 370, 375; BGH, NJW 1988, 1321, 1323; BGH, NJW 1995, 1021, 1030; Uwe H. Schneider, AG 1983, 205, 212; ders. in Scholz (Fn. 2), § 43 GmbHG Rz. 78 f.; Goette (Fn. 11), S. 131 ff.; Haas in Michalski, GmbHG, Bd. II, 2002, § 43 GmbHG Rz. 46 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 43 Rz. 8; Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, Bd. II, 2006, § 43 GmbHG Rz. 32 f.; ders., Unternehmerische Entscheidung und Rechtsbindung der Organe in der AG, 2002, S. 16 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 43 Rz. 23 f.; Hopt in Großkomm.AktG (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 98; Hüffer (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 4 f.; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 71; Spindler in MünchKomm.AktG (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 63 f.; ders. in FS Canaris, Bd. II, 2007, S. 403, 412 ff.; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 93 AktG Rz. 25 ff.; ders. (Fn. 9), § 7 Rz. 13 ff.; ders., ZIP 2005, 141, 148; Krieger/Sailer in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 93 AktG Rz. 6; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 5. Aufl. 2009, § 14 Rz. 81; Bayer in FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 90 f.; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 509 ff.; Wilsing in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 2007, § 25 Rz. 20 ff.; speziell zum Steuerrecht Schön in ders., Tax and Corporate Governance, 2008, S. 31, 50 ff.; krit. Ihrig, WM 2004, 2098, 2105. 19 Dazu aus deutscher Sicht Schön (Fn. 18) S. 31, 50 ff. m. w. N. 20 Eisenberg, 28 Stetson Law Review 1, 3 ff. (1998). 21 Raiser/Veil (Fn. 18), § 14 Rz. 81. 22 Zutr. Fleischer (Fn. 9), § 7 Rz. 14.
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Verhalten zu sorgen, als rechtswidriges Verhalten entweder keinen Schaden oder vielleicht sogar einen Vorteil auf Seiten der Gesellschaft nach sich ziehen würde23. Zur Begründung einer umfassenden Legalitätspflicht nicht geeignet ist auch die in § 396 AktG und in Parallelvorschriften des Vereins-, GmbH- und Genossenschaftsrechts vorgesehene Möglichkeit24, die Gesellschaft, die durch gesetzwidriges Verhalten ihrer Organwalter das Gemeinwohl gefährdet, aufzulösen25. Man wird diesem Instrument wie im Übrigen auch der Vorschrift des § 241 Nr. 3 AktG betreffend die Nichtigkeit des Beschlusses, der durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind, gewiss entnehmen können, dass das Gesellschaftsrecht Mechanismen enthält, mit denen es auf einen Missbrauch der juristischen Person in angemessener Weise reagieren kann; für das Verhältnis des Vorstands zur AG – und nur auf dieses kommt es für die Frage der Legalitätspflicht an – lässt sich indes aus § 241 Nr. 3 AktG gar nichts und aus § 396 AktG allenfalls herleiten, dass es der Vorstand nicht zur Gefahr der Auflösung der Gesellschaft kommen lassen darf. Eine umfassende Legalitätspflicht hingegen findet sich auch in § 396 AktG nicht zum Ausdruck gebracht. Nichts anderes gilt für § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG26. Soweit das Gesetz danach den Vorstand enthaftet, wenn dieser aufgrund eines „gesetzmäßigen“ Beschlusses der Hauptversammlung handelt, setzt es zwar einen weder nichtigen noch anfechtbaren Beschluss voraus27. Doch nimmt es das Gesetz durchaus in Kauf, dass der Beschluss der Hauptversammlung zwar anfechtbar war, durch Ablauf der kurzen Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG indes in Bestandskraft erwachsen ist und hierdurch „Gesetzmäßigkeit“ erlangt. Und selbst wenn man dem Vorstand die enthaftende Wirkung des bestandskräftigen Beschlusses vorzuenthalten hat, wenn er es pflichtwidrig unterlassen hat, von seinem Recht zur Beschlussanfechtung Gebrauch zu machen28, muss doch erkannt werden, dass ein solches pflichtwidriges Unterlassen keinesfalls stets dann anzunehmen ist, wenn sich im Nachhinein die Rechtswidrigkeit des Beschlusses zeigt29. Finden sich nach allem im Aktiengesetz keine greifbaren Anhaltspunkte für das Bestehen einer umfassenden Legalitätspflicht, so soll nicht in Abrede gestellt werden, dass die genannten Vorschriften auf den Haftungstatbestand des § 93 Abs. 2 AktG ausstrahlen können und deshalb die Annahme, der Vorstand sei gegenüber der Gesellschaft verpflichtet, auch jenseits der Schwelle des
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Gegen eine entsprechende Herleitung zu Recht Thole, ZHR 173 (2009), 504, 517 f. § 43 BGB, § 62 GmbHG, § 81 GenG. So aber Fleischer, ZIP 2005, 141, 148 f.; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 514 f. Hierauf rekurrierend Spindler in MünchKomm.AktG (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 64; ders. in FS Canaris, Bd. II, 2007, S. 403, 412. 27 Hüffer (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 25. 28 Hüffer (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 26 m. w. N. 29 Vgl. neben Hüffer (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 26 noch Spindler in MünchKomm.AktG (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 208.
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§ 396 AktG für rechtmäßiges Verhalten zu sorgen, gut in Betracht kommt. Es müssen dann freilich allgemeine Erwägungen bemüht werden, darunter neben dem Allgemeininteresse an Regelbefolgung und der Überlegung, dass die juristische Person im Allgemeinen und so auch im Zusammenhang mit der Regelbefolgung auf das Handeln natürlicher Personen angewiesen ist30, insbesondere Überlegungen generalpräventiver Art. Insoweit lässt sich gewiss sagen, dass es fehlerhafte Anreize setzte, wollte man annehmen, dem Vorstand sei ein „efficient breach of law“, ein „nützlicher Gesetzesverstoß“31 gestattet32. Denn anders als die natürliche Person, die vor der Frage steht, ob sie um ökonomischer oder sonstiger Vorteile willen die sie selbst treffende Gefahr rechtswidrigen Verhaltens sehenden Auges in Kauf nimmt, sähe sich der Vorstand in der komfortablen Situation, weder für die ökonomischen Folgen der Gesetzesverletzung einstehen zu müssen noch der moralischen Last einer für eigene Rechnung begangenen Gesetzesverletzung zu unterliegen33 – dies im Übrigen selbst in Fällen, in denen die Voraussetzungen einer Außenhaftung erfüllt sind, könnte dann das Vorstandsmitglied doch seinen Regressschaden im Wege des Aufwendungsersatzes auf die Gesellschaft verlagern. Diese Überlegung spricht durchaus für die Anerkennung der Legalitätspflicht auch in denjenigen Fällen, in denen der Saldo aus möglichen Schäden und möglichen Vorteilen aus Sicht der Gesellschaft positiv ist, die Gesetzesverletzung also „nützlich“ wäre und deshalb gesetzeskonformes Verhalten nicht schon aufgrund der Pflicht zur Abwendung von Gesellschaftsschäden geschuldet ist.
V. Schranken der Legalitätspflicht Allzu viel gewonnen ist freilich mit der zuletzt getroffenen Feststellung nicht, zumal nicht übersehen werden darf, dass der Präventionsgedanke der Vorstands- und Aufsichtsratshaftung ohnehin relativiert worden ist, nachdem der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) vom 31. Juli 200934 in §§ 93 Abs. 2 Satz 3, 116 Satz 1 AktG die grundsätzliche Zulässigkeit einer D&O-Versicherung außer Streit gestellt hat35. Auch die ganz herrschende Meinung erkennt denn auch – wenn auch mit Unterschieden in der Begründung und hinsichtlich der Reichweite – Schranken der Legalitätspflicht an.
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30 So namentlich Spindler in MünchKomm.AktG (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 64; ders. in FS Canaris, Bd. II, 2007, S. 403, 412; s. ferner Hopt in Großkomm.AktG (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 98 f. 31 Der Begriff der „nützlichen“ Pflichtverletzung ist, soweit ersichtlich, von Haas eingeführt worden, s. Haas in Michalski (Fn. 18), § 43 GmbHG Rz. 50; s. ferner Fleischer, ZIP 2005, 141 ff. 32 Zutr. Thole, ZHR 173 (2009), 504, 516 f. 33 Thole, ZHR 173 (2009), 504, 516 f. mit Nachw. zum US-amerikanischen Schrifttum. 34 BGBl. I 2009, S. 2509. 35 Zur Neuregelung s. Koch, AG 2009, 637 ff.; zur Rechtslage vor Inkrafttreten des VorstAG s. einerseits Spindler in MünchKomm.AktG (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 175 f., andererseits Ulmer in FS Canaris, Bd. II, 2007, S. 451 ff., jew. m. w. N.
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1. Vertragsverletzungen So soll der Vorstand, wenn vertragliche Pflichten der Gesellschaft im Raum stehen, auch nach herrschender Meinung befugt und – dies wäre nur konsequent – wohl sogar verpflichtet sein, zwischen vertragsgemäßem und vertragswidrigem Verhalten abzuwägen und, wenn es sich für die Gesellschaft lohnt, auch pflichtwidriges Verhalten in Kauf zu nehmen36. Uwe H. Schneider hat dies jüngst näher dargelegt37. Dem kann gewiss zugestimmt werden, ohne dass damit einer allgemeinen Theorie des „efficient breach of contract“ das Wort geredet werden soll; denn die Relativierung des Grundsatzes der Vertragsbindung betrifft nicht das Außenverhältnis der Gesellschaft zu ihrem Vertragspartner, sondern ausschließlich das Innenverhältnis des Vorstandsmitglieds zur Gesellschaft, so wie auch im Zusammenhang mit Gesetzesverstößen die Bindung der Gesellschaft an das Gesetz außer Frage steht und allein zu entscheiden ist, ob der Vorstand per se sorgfaltswidrig handelt, wenn er es zu einer Gesetzesverletzung durch die Gesellschaft kommen lässt. Die Frage aber bleibt38, ob es wirklich einen Unterschied macht, ob ausschließlich ein „effizienter Vertragsbruch“ in Frage steht oder ob mit diesem zugleich die Verwirklichung eines Deliktstatbestands einher geht. Zählt nicht in einer der Privatautonomie verpflichteten Gesellschaft die vereinbarte Regelung so viel wie die staatlich verordnete Verhaltenspflicht? Auf diese Fragen ist sogleich zurückzukommen. 2. Unklare Rechtslage Zuvor sei auf eine weitere Schranke der Legalitätspflicht hingewiesen, die sich eigentlich von selbst versteht und im Grundsatz ganz überwiegend anerkannt ist. Auch die herrschende Meinung billigt nämlich dem Vorstand das Recht zu, bei unklarer Rechtslage den für die Gesellschaft günstigen Standpunkt einzunehmen, wobei er sich dabei allerdings des Risikos bewusst zu sein und dieses im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen habe, dass sich der von ihm eingenommene Standpunkt als unzutreffend erweisen kann39. Zu Recht wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass sich die Geschäftsleiter gerade bei gesetzlich gebundenen Entscheidungen durchaus erheblichen Unsicherheiten ausgesetzt sehen, mit denen wiederum ein nicht unerheblicher
__________ 36 Haas in Michalski (Fn. 18), § 43 GmbHG Rz. 51; Hopt in Großkomm.AktG (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 100; Fleischer in Spindler/Stilz (Fn. 18), § 93 AktG Rz. 30; ders., ZIP 2005, 141, 150; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 518 f.; a. A. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck (Fn. 18), § 43 GmbHG Rz. 23a. 37 Uwe H. Schneider in FS Hüffer, 2010, S. 905 ff.; s. ferner dens. in Scholz (Fn. 2), § 43 GmbHG Rz. 79. 38 Vom Verfasser aufgeworfen bereits in E. Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2009: Managerhaftung, 2010, S. 5, 29. 39 Eingehend Spindler in MünchKomm.AktG (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 66 ff.; ders. in FS Canaris, Bd. II, 2007, S. 403, 412 ff.; Fleischer in Spindler/Stilz (Fn. 18), § 93 AktG Rz. 29; ders. in FS Hüffer, 2010, S. 187, 188 ff.
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Beurteilungsspielraum einher geht40. Auch im Rahmen der Binnenhaftung des Vorstands der AG überholt ist deshalb der noch in § 12 der Einleitung zum Preußischen Allgemeinen Landrecht kodifizierte Grundsatz, wonach jeder Einwohner des Staates gehalten war, sich um Gesetze, welche ihn oder sein Gewerbe und seine Handlungen betreffen, genau zu erkundigen, und sich niemand mit der Unwissenheit eines gehörig publizierten Gesetzes entschuldigen konnte. Schon die Einrichtung der Großen Senate des BGH und das Institut der Divergenzvorlage zeigen doch, dass das Recht von der Möglichkeit des Rechtsirrtums ausgeht. Unter welchen Voraussetzungen der Vorstand im Einzelnen enthaftet wird, welche Beurteilungsrisiken rechtlicher Art er mit anderen Worten eingehen darf, sei hier dahin gestellt. Wichtig ist indes die Erkenntnis, dass nach einer im Vordringen befindlichen Ansicht41 der vertretbare Rechtsirrtum nicht erst das Verschulden, sondern bereits den Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens beseitigt, so dass der Vorstand nicht nur nicht auf Schadensersatz haftet, sondern auch keine seine Abberufung legitimierende Pflichtverletzung begeht. Zwar dürfte die business judgment rule des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG schon deshalb unanwendbar sein, weil die Entscheidung des Vorstands – ungeachtet aller rechtlichen Unsicherheiten – rechtlich gebunden ist und bleibt42. Doch schließt es dieser Befund nicht aus, auch jenseits unternehmerischer Entscheidungen Beurteilungs- und Abwägungsspielräume des Vorstands und des Aufsichtsrats anzuerkennen43. Im Zusammenhang mit der Einführung von Zustimmungsvorbehalten im Sinne des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG durch den Aufsichtsrat etwa ist dies durchaus anerkannt44; für die Beurteilung rechtlicher Risiken durch den Vorstand sollte nichts anderes gelten. 3. Weitere Relativierungen der Legalitätspflicht? Es bleibt die Frage, ob der bewusste Rechtsbruch stets und zwangsläufig eine Verletzung auch der Legalitätspflicht gegenüber der Gesellschaft zur Folge hat oder ob auch insoweit Ausnahmen anzuerkennen sind. Im Schrifttum findet sich vereinzelt ein Vorbehalt hinsichtlich eher zu vernachlässigender Gesetzes-
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40 Vgl. die Nachw. in voriger Fn.; speziell aus kartellrechtlicher Sicht Dreher in FS Konzen, 2006, S. 85, 92 ff. 41 Vgl. neben den Nachw. in Fn. 39 noch Hopt in Großkomm.AktG (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 99; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 521 ff.; a. A. wohl Dreher/Thomas, WuW 2004, 8, 12 (kein Verschulden). 42 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 15/5092, S. 11; allg. Hüffer (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 4 f.; Fleischer in Spindler/Stilz (Fn. 18), § 93 AktG Rz. 63 ff.; Ihrig, WM 2004, 2098, 2105; Paefgen, AG 2004, 245, 251 f.; Schäfer, ZIP 2005, 1253, 1256; a. A. – für analoge Anwendung – Spindler in MünchKomm.AktG (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 67 ff.; ders. in FS Canaris, Bd. II, 2007, S. 403, 413 ff.; vermittelnd Thole, ZHR 173 (2009), 504, 521 ff. – Zur Rechtslage bei Vertragspflichten s. hingegen Uwe H. Schneider in FS Hüffer, 2010, S. 905 ff. 43 Näher Habersack in E. Lorenz (Fn. 38), S. 5, 15 ff. 44 Hüffer (Fn. 4), § 111 AktG Rz. 17; Hopt/Roth in Großkomm.AktG, 4. Aufl., 24. Lieferung, 2005, § 111 AktG Rz. 605 ff., 631; Habersack in MünchKomm.AktG, Band 3, 3. Aufl. 2008, § 111 AktG Rz. 108; ders. in FS Hüffer, 2010, S. 259, 265 f.
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verletzungen45. Uwe H. Schneider und – ihm folgend – Zöllner/Noack nehmen öffentlich-rechtliche Zahlungspflichten von der strikten Legalitätspflicht aus; insoweit sei die öffentliche Hand lediglich Teil der Gesamtheit aller Gesellschaftsgläubiger, deren Interessen die Geschäftsleiter nach pflichtgemäßem Ermessen in Ausgleich zu bringen habe46. Dem wird von anderer, durchaus herrschender Seite entgegengehalten, dass es „Rechtsnormen zweiter Klasse“ nicht gebe und deshalb strikt an der Legalitätspflicht festzuhalten sei47. Danach wäre es also per se pflichtwidrig, würde das Vorstandsmitglied, um die Teilnahme an wichtigen Vertragsverhandlungen zu sichern, sehenden Auges Vorschriften der Straßenverkehrsordnung missachten. Gleichfalls pflichtwidrig handelte der Geschäftsführer einer sich auf dem Gebiet der Paketzustellung betätigenden GmbH, der seine Fahrer anweist, gegebenenfalls auch Parkverstöße zu begehen, anstatt lange und damit zeitraubende Fußwege in Kauf zu nehmen48. Im ersten der beiden Beispielsfälle – Inkaufnahme einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, um die Teilnahme an wichtigen Verhandlungen zu ermöglichen – ließe sich möglicherweise auf die Rechtsfigur der rechtfertigenden Pflichtenkollision zurückgreifen, um den Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens zu entkräften49; einen gewissen Anhaltspunkt für dessen Anerkennung auch im Bereich aktienrechtlicher Konstellationen liefert namentlich § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG50, der es der Gesellschaft erlaubt, eigene Aktien zu erwerben, wenn der Erwerb notwendig ist, um einen schweren, unmittelbar bevorstehenden Schaden von der Gesellschaft abzuwenden, und der, wenn die genannten Voraussetzungen vorliegen, auch die in § 93 Abs. 3 Nr. 3 AktG eigens hervorgehobene Haftung wegen unzulässigen Rückerwerbs eigener Aktien entfallen lässt. Schon im zweiten Beispielsfall – vom Vorstand veranlasste Parkverstöße der Mitarbeiter des Paketzustelldienstes – lässt sich der Gedanke einer rechtfertigenden Pflichtenkollision nur fruchtbar machen, wenn man der Pflicht, für rechtmäßiges Verhalten der Gesellschaft zu sorgen, die Pflicht gegenüberstellt, auf eine angemessene Rentabilität hinzuwirken. Wollte man so argumentieren, so bestünde freilich die Gefahr, die Legalitätspflicht ad absurdum zu führen; denn selbstredend arbeitet ein Unternehmen um so profitabler, je geringer
__________ 45 Vgl. Paefgen (Fn. 18), S. 25; M. Roth, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, 2001, 132. 46 Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 2), § 43 GmbHG Rz. 70; ders./Brouwer, ZIP 2007, 1033, 1038; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck (Fn. 18), § 43 GmbHG Rz. 23b. 47 Spindler in MünchKomm.AktG (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 64; Fleischer, ZIP 2005, 141, 149; ders. in Spindler/Stilz (Fn. 18), § 93 AktG Rz. 32 f.; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 71; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 520 f. 48 Vgl. den Hinweis von Fleischer, ZIP 2005, 141, 149 auf den „UPS“-Sachverhalt, in dem es die Geschäftsleitung der United Parcel Services of America, Inc., ihren Kurieren erlaubte, Bußgelder wegen Falschparkens in Kauf zu nehmen. – Fleischer selbst will in Fällen dieser Art mit einem „Schuss Pragmatismus“ helfen. 49 In diesem Sinne Fleischer, ZIP 2005, 149, 150; s. ferner dens. in Spindler/Stilz (Fn. 18), § 93 AktG Rz. 31. 50 Fleischer (vorige Fn.), dort jew. auch zu weiteren Ausprägungen.
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die rechtlichen Barrieren sind. Und dennoch sprechen die besseren Gründe für die Annahme, dass das Aktiengesetz den bewussten Rechtsbruch ausnahmsweise auch jenseits „notstandsähnlicher“ Situationen zulässt. Ruft man sich in Erinnerung, dass sich eine strikte Legalitätspflicht des Vorstands nur aus Erwägungen allgemeiner Art, nämlich solchen der Verhaltenssteuerung, herleiten lässt, so sollte es möglich, ja sogar geboten sein, eine Art de-minimisRegel des Inhalts anzuerkennen, dass immer dann, wenn die moralische Last des Gesetzesverstoßes typischerweise, nämlich aufgrund des Bagatellcharakters des Gesetzesverstoßes oder eines diffusen Schutzzwecks der Norm, nicht schwer wiegt und darüber hinaus auch die wirtschaftlichen Folgen einer Gesetzesverletzung – gemessen an dem verfolgten unternehmerischen Interesse – ganz deutlich zurücktreten, der Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens entfallen kann. Es sollte sich verstehen, dass diese Voraussetzungen bei Kartellverstößen, Steuerhinterziehungen und Korruptionssachverhalten schon mit Blick auf drohende Bußgelder, Gewinnabschöpfungen und Rufschäden im Allgemeinen nicht vorliegen werde. Hauptanwendungsfälle der de-minimis-Regel dürften vielmehr die Missachtung öffentlich-rechtlicher Zahlungspflichten und bloßes Verwaltungsunrecht bilden. Auch sei noch einmal betont, dass jede Relativierung der Legalitätspflicht ausschließlich das Innenverhältnis des Vorstands zur Gesellschaft betrifft. Selbstredend bleibt es dabei, dass das Verhalten des Vorstands der Gesellschaft zuzurechnen ist und deshalb im Außenverhältnis der Gesetzesverstoß fortbesteht; und unberührt bleibt auch eine etwaige Außenhaftung des Vorstands.
VI. Rechtsfolgen einer Verletzung der Legalitätspflicht Abschließend ist auf die Rechtsfolgen einer Verletzung der Legalitätspflicht hinzuweisen, mithin zu unterstellen, das Vorstandsmitglied habe seine Pflicht, für rechtmäßiges Verhalten der Gesellschaft zu sorgen, in schuldhafter Art und Weise verletzt. Nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG ist es in diesem Fall der Gesellschaft zu Schadensersatz verpflichtet; mehrere Vorstandsmitglieder haften als Gesamtschuldner. Die Vorstandsmitglieder können selbstredend nicht geltend machen, der Aufsichtsrat hätte das sorgfaltswidrige Verhalten erkennen und verhindern können, so dass sich die Gesellschaft in entsprechender Anwendung des § 254 BGB ein Mitverschulden entgegenhalten lassen müsse; nach § 93 Abs. 4 Satz 2 AktG wird der Vorstand nicht einmal durch einen Billigungsbeschluss des Aufsichtsrats enthaftet. Die Haftung des Vorstands findet vielmehr in der Haftung des pflichtvergessenen Aufsichtsrats nach § 116 Satz 1 AktG ihre Ergänzung. Gerade im Zusammenhang mit einer Verletzung der Legalitätspflicht ist freilich im jüngeren Schrifttum verschiedentlich die Frage erörtert worden, ob der auf Schadensersatz in Anspruch genommene Organwalter geltend machen kann, der Gesellschaft seien infolge der Pflichtverletzung vermögenswerte Vorteile zugeflossen oder andernfalls eingetretene Verluste erspart geblieben. Bisweilen konzentriert sich die Diskussion über „nützliche Pflichtverletzungen“
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sogar auf diesen Aspekt der Problematik51, was jedoch, wie deutlich geworden sein sollte, eine wesentliche und vorrangige Fragestellung – nämlich die Frage, ob überhaupt eine Pflichtverletzung vorliegt – ausblendet. Wie dem auch sei: Die Verletzung der Legalitätspflicht unterstellt, kann zunächst davon ausgegangen werden, dass in den Fällen des § 93 Abs. 3 AktG die Vermögenseinbuße bereits in dem Abfluss oder der Vorenthaltung der Mittel zu sehen ist und insoweit keine Gesamtvermögensbetrachtung stattfindet; die Gesellschaft muss sich nur solche Vorteile anrechnen lassen, die ihr in unmittelbarem Zusammenhang mit dem schädigenden Verhalten zugeflossen sind, im Falle des § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG also eine etwaige Gegenleistung des Aktionärs52. Jenseits der besonderen Fälle des § 93 Abs. 3 AktG und vorbehaltlich besonderer Wertungen, wie sie sich aus der verletzten Gesetzesvorschrift ergeben können53, spricht indes nichts dagegen, dem Vorstand – und Entsprechendes gilt natürlich für den Aufsichtsrat – die Geltendmachung von Vorteilsausgleichung auch dann zu gestatten, wenn ihm die Verletzung zwingender Vorschriften und damit ein Verstoß gegen die Legalitätspflicht vorgeworfen wird54. Selbstverständlich ist für Vorteilsausgleichung nur Raum, soweit die erlangten Vorteile nicht anderweitig abgeschöpft werden, etwa gemäß §§ 73 f. StGB oder vermittels der Festsetzung einer den Vorteil beseitigenden Geldbuße. Im Übrigen aber spricht der Schutzzweck des § 93 Abs. 2 AktG nicht gegen, sondern klar für die Maßgeblichkeit der Differenzhypothese und damit für die Berücksichtigung erzielter Vorteile. Fehlanreize sind mit der Vorteilsausgleichung schon deshalb nicht verbunden, weil die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens und hieran anknüpfende Sanktionen wie namentlich die Möglichkeit der Abberufung, der Entlastungsverweigerung und der Verhängung von Geldbußen unberührt bleiben. Den Materialien zum VorstAG ist deshalb zu widersprechen, soweit darin das zunächst verfolgte Vorhaben, dem § 116 AktG einen neuen Satz 4 anzufügen, dem zufolge der Aufsichtsrat den die angemessene Vorstandsvergütung übersteigende Mehrbetrag als Mindestschaden schulden sollte, unter Hinweis darauf fallengelassen worden ist, dass eine solche Regelung entbehrlich sei, da sie lediglich die ohnehin bestehende Rechtslage des § 249 BGB wiederholen würde55. In dieser Allgemeinheit, d. h. bezogen auf die Haftung des Aufsichtsrats und des Vorstands nach §§ 116, 93 AktG, trifft dies gewiss nicht zu. Indes erscheint es auch im Rahmen des § 116 Satz 3 AktG nicht geboten, dem Aufsichtsrat den Einwand, die überhöhte Vergütung habe eine
__________ 51 Vgl. Lohse in FS Hüffer, 2010, S. 581 ff. 52 Vgl. im vorliegenden Zusammenhang statt aller Fleischer, ZIP 2005, 141, 151. – Zur Rechtsnatur der Haftung aus § 93 Abs. 3 AktG s. Hüffer (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 22, aber auch Habersack/Schürnbrand, WM 2005, 957 ff. 53 Allg. zu den Voraussetzungen und Schranken der Vorteilsanrechnung BGHZ 49, 56, 61; BGHZ 77, 151, 153; BGHZ 96, 206, 210; BGHZ 136, 52, 54. 54 So auch Uwe H. Schneider in Scholz (Fn. 2), § 43 GmbHG Rz. 229; Haas in Michalski (Fn. 18), § 43 GmbHG Rz. 209 f.; Hopt in Großkomm.AktG (Fn. 4), § 93 AktG Rz. 11; Fleischer, ZIP 2005, 141, 151 f.; Marsch-Barner, ZHR 173 (2009), 723, 726 ff.; zurückhaltend Thole, ZHR 173 (2009), 504, 526 ff.; a. A. Lohse in FS Hüffer, 2010, S. 581 ff. (betr. Schmiergeldzahlungen). 55 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/13433, S. 13.
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positive Entwicklung der Gesellschaft mit beeinflusst und damit der Gesellschaft Vorteile gebracht, a priori abzuschneiden56.
VII. Fazit Nach allem ist die Legalitätspflicht des Vorstands, mithin die Pflicht, für rechtmäßiges Verhalten der Gesellschaft zu sorgen, keineswegs schrankenlos. So kann es dem Vorstand nicht zum Vorwurf gemacht werden, einen aus Sicht der Gesellschaft vorteilhaften Vertragsbruch begangen zu haben. Auch handelt der Vorstand nicht pflichtwidrig, wenn er bei unklarer Rechtslage den für die Gesellschaft günstigen Rechtsstandpunkt einnimmt, sofern dies unter Berücksichtigung des Umstands, dass sich dieser Standpunkt als unzutreffend erweisen kann, und damit unter Abwägung aller Chancen und Risiken geschieht. Zudem sollte anerkannt werden, dass das Aktiengesetz den bewussten Rechtsbruch in „notstandsähnlichen“ Situationen sowie immer dann zulässt, wenn die moralische Last des Gesetzesverstoßes typischerweise, nämlich aufgrund des Bagatellcharakters des Gesetzesverstoßes oder eines diffusen Schutzzwecks der Norm, nicht schwer wiegt und darüber hinaus auch die wirtschaftlichen Folgen einer Gesetzesverletzung – gemessen an dem verfolgten unternehmerischen Interesse – ganz deutlich zurücktreten. Ist schließlich die Legalitätspflicht verletzt, so ist dem Vorstand der Einwand, die Gesellschaft habe auch Vorteile erlangt, grundsätzlich nicht verwehrt.
__________ 56 Marsch-Barner, ZHR 173 (2009), 723, 731 ff.
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Zur „Kundenkennung“ im neuen Recht der Zahlungsvorgänge Inhaltsübersicht I. Ausgangpunkt II. „Kundenkennung“ als Tatbestand 1. EU-rechtlicher Hintergrund 2. International Bank Account Number (IBAN) 3. Kontonummer und Bankleitzahl 4. Grundsatz der formalen Auftragsstrenge
III. Folgerungen 1. Inhaltskontrolle von Nr. 1.2, Nr. 1.6 Abs. 2 der Bedingungen für den Überweisungsverkehr 2. Zumutbare Fortgeltung des Kontonummer-Namens-Vergleichs 3. Maßgeblichkeit der Kundenkennung im Inkassoverhältnis?
Da es das Anliegen dieser Festschrift ist, den „Juristen“ Uwe H. Schneider für sein herausragendes Wirken zu ehren, soll dies mit der Kennzeichnung des Jubilars als „Jurist“ vor allem deshalb geschehen, weil sich in seiner Persönlichkeit der hohe wissenschaftliche Anspruch und der treffsichere Blick für die Anforderungen der Praxis in idealer Weise verknüpfen, ja beide ineinander aufgehen. In den Bereichen rechtlicher Beurteilung, die dem „Juristen“ obliegt, taugt nämlich keine Theorie, die in der Praxis zu unannehmbaren Ergebnissen führt, und der Praktiker, der nicht von allgemeinen Maßstäben her, also theoriegeleitet, argumentiert, wird schwerlich überzeugen. Mit der hierdurch gerechtfertigten Einschätzung des Jubilars als „Jurist“ im besten Sinne verbindet sich darüber hinaus der persönliche Dank für eine Spanne von mehr als dreißig Jahren gemeinsamen Wirkens im Mainzer „Institut für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens“. Hier waren als Eigenschaften von Uwe H. Schneider erfahrbar: steter Elan und Spontaneität, nie erlahmendes Streben nach Einverständnis und harmonischer Übereinkunft zu gemeinsamen Problemlösungen, treue Loyalität und Unterstützung, Ideenreichtum und Erfahrungsaustausch, mutige Initiative und verlässliches Handeln nach klaren Maßstäben. Zu den Rechtsgebieten, die den Jubilar vor allem hinsichtlich grenzüberschreitender Aspekte interessieren, gehört auch der bargeldlose Zahlungsverkehr. Dies wird insbesondere durch seine Mitwirkung als deutscher Vertreter in der Arbeitsgruppe von UNCITRAL für ein model law zur grenzüberschreitenden Überweisung dokumentiert1. Vorausgegangen war die Beschäftigung mit dem
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1 Vgl. Uwe H. Schneider, Die einheitliche Regelung des internationalen Überweisungsverkehrs durch das UNCITRAL-Modellgesetz, in Hadding/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Rechtsprobleme der Auslandsüberweisung (Untersuchungen über das Spar-, Giro- und Kreditwesen, Abteilung B: Rechtswissenschaft, Band 82/I), 1992, S. 491–516; ebenso
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Walther Hadding
Recht des elektronischen Zahlungsverkehrs im US-amerikanischen Recht „mit rechtsvergleichenden Bezügen zum deutschen Recht“ nebst einer Übersetzung des Electronic Fund Transfer Act 19782. Außerdem sind Beiträge zur Geld-zurück-Garantie und der Haftung für Folgeschäden bei fehlerhafter Ausführung von Auslandsüberweisungen3 sowie zur Angleichung des Rechts der grenzüberschreitenden Überweisung4 hervorzuheben. Auch zu dem seit 14.8. 1999 maßgeblichen Überweisungsgesetz, mit dem seinerzeit die §§ 676a–676g BGB eingeführt wurden, hat Uwe H. Schneider5 hinsichtlich der Pflichten und Haftung der erstbeauftragten Kreditinstitute Stellung genommen. Es darf daher vermutet werden, dass einige Erwägungen zu einem seit dem 31.10.2009 aktuellen zahlungsverkehrsrechtlichen Thema sein geneigtes Interesse finden.
I. Ausgangpunkt In Umsetzung des zivilrechtlichen Teils der Richtlinie über Zahlungsdienste im Binnenmarkt 2007/64/EG (ZDiensteRL) sind am 31.10.2009 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) die §§ 675c bis 675z und §§ 676 bis 676c als neue Regelungen zum bargeldlosen Zahlungsverkehr in Kraft getreten. Diese Vorschriften haben die in Umsetzung der Richtlinie betreffend grenzüberschreitende Überweisungen 97/5/EG im Jahr 1999 ergangenen §§ 676a bis 676g sowie § 676h BGB a. F. gänzlich abgelöst. Bei der Überweisung ist man nunmehr von dem unnötig eingeführten Überweisungsvertrag (§ 676a Abs. 1 BGB a. F.) zu der herkömmlichen Rechtsansicht zurückgekehrt, den einzelnen „Überweisungsauftrag“ als „Zahlungsauftrag“ (§ 675f Abs. 3 Satz 2 BGB) und damit letztlich als geschäftsbesorgungsrechtliche Weisung im Sinne der §§ 675 Abs. 1, 665 BGB zu qualifizieren (vgl. § 675c Abs. 1 BGB). Neben der Überweisung sind als weitere „Zahlungsvorgänge“ (§ 675f Abs. 3 Satz 1 BGB) die Einziehung von Lastschriften, die Zahlung mittels Bankkarte oder Universalkreditkarte, das online-banking sowie die Bargeldausgabe an Automaten durch die genannten, durchgängig abstrakt formulierten Vorschriften erfasst. Um ihren Anwendungsbereich und ihre Tragweite im konkreten Fall zu klären, muss man sie auf das jeweils in Rede stehende Zahlungsinstrument „herunterbrechen“6. In mancher Hinsicht hat sich gegenüber der bisherigen Rechtslage in der Sache
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in englischer Sprache (Band 82/II), 1993, S. 451–474; dazu auch Hadding/Uwe H. Schneider, WM 1993, 629 ff. Uwe H. Schneider, Das Recht des elektronischen Zahlungsverkehrs, in K. D. Bundschuh/W. Hadding/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Schriften zum deutschen und ausländischen Geld-, Bank- und Börsenrecht, Band 2, 1982. In FS Everling, Band II, 1995, S. 1297 ff. EuZW 1997, 589. Siehe auch „Das deutsche, europäische und internationale Recht der grenzüberschreitenden Überweisung“, in Hadding/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Band 18 der Schriftenreihe der Europäischen Rechtsakademie Trier, 1997, S. 95–106; Das Recht der grenzüberschreitenden Überweisung – Rechtsvergleichung und Rechtsangleichung, in Blaurock (Hrsg.), Das Recht der grenzüberschreitenden Überweisung, 2000, S. 133 ff. WM 1999, 2189 ff. Zustimmend Sprau in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, Einführung vor § 675c Rz. 11.
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Zur „Kundenkennung“ im neuen Recht der Zahlungsvorgänge
nichts geändert. Es gibt aber auch rechtliche Neuerungen. Unter ihnen soll hier auf die Ausführung eines Zahlungsvorgangs anhand einer „Kundenkennung“ eingegangen werden, die durch Umsetzung von Art. 74 der ZDiensteRL in § 675r BGB folgende Regelung gefunden hat: „(1) Die beteiligten Zahlungsdienstleister sind berechtigt, einen Zahlungsvorgang ausschließlich anhand der von dem Zahlungsdienstnutzer angegebenen Kundenkennung auszuführen. Wird ein Zahlungsauftrag in Übereinstimmung mit dieser Kundenkennung ausgeführt, so gilt er im Hinblick auf den durch die Kundenkennung bezeichneten Zahlungsempfänger als ordnungsgemäß ausgeführt. (2) Eine Kundenkennung ist eine Abfolge aus Buchstaben, Zahlen oder Symbolen, die dem Zahlungsdienstnutzer vom Zahlungsdienstleister mitgeteilt wird und die der Zahlungsdienstnutzer angeben muss, damit der andere am Zahlungsvorgang beteiligte Zahlungsdienstnutzer oder dessen Zahlungskonto zweifelsfrei ermittelt werden kann. (3) Ist eine vom Zahler angegebene Kundenkennung für den Zahlungsdienstleister des Zahlers erkennbar keinem Zahlungsempfänger oder keinem Zahlungskonto zuzuordnen, ist dieser verpflichtet, den Zahler unverzüglich hierüber zu unterrichten und ihm gegebenenfalls den Zahlungsbetrag wieder herauszugeben.“
Hält man sich die begriffliche Bestimmung der Kundenkennung in § 675r Abs. 2 BGB in ihrem ersten Teil („Abfolge aus Buchstaben, Zahlen oder Symbolen“) vor Augen und nimmt zur Kenntnis, dass nach § 675r Abs. 1 BGB die beteiligten Zahlungsdienstleister berechtigt sind, einen Zahlungsvorgang „ausschließlich anhand der vom Zahlungsdienstnutzer angegebenen Kundenkennung auszuführen“ (Hervorhebung vom Verfasser), dann wird rasch klar, dass es hier um das Problem der hinreichenden Individualisierung des Zahlungsempfängers geht, und zwar auf den ersten Blick allein mittels Kontonummer und Bankleitzahl. Ist also mit der neuen Vorschrift des § 675r BGB der Abschied vom „Kontonummer-Namens-Vergleich“7 vollzogen, den die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs8 für den beleghaften Überweisungsverkehr bisher für geboten erachtet hat? Es lässt jedenfalls aufhorchen, wenn § 675r BGB als „eine der bedeutendsten und für die EU-Bürger folgenschwersten Neuregelungen des Zahlungsdiensterechts“ gekennzeichnet worden ist9. Deshalb soll im Folgenden den mit der „Kundenkennung“ verbundenen Fragen nachgegangen werden.
__________ 7 Nr. 3 Abs. 2 des Abkommens zum Überweisungsverkehr (Stand 1.1.2002). Vgl. dazu näher Häuser in MünchKomm.HGB, Band 5, 2. Aufl. 2009, ZahlungsV Rz. B 142 ff., B 325 ff., B 384; Schimansky in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2007, § 49 Rz. 83 ff., jeweils m. N.; zuletzt Casper, Die fehlgeleitete Überweisung wegen falscher Kontonummer, in FS Nobbe, 2009, S. 3 ff. 8 Vgl. BGH, WM 1987, 530 m. Anm. Hadding, WuB I D 1.-5.87 = NJW 1987, 1825 = ZIP 1987, 693; BGHZ 108, 386, 390 = WM 1989, 1754, 1755 m. Anm. Möschel/Bartodziej, WuB I D 1.-3.90 = NJW 1990, 250 = ZIP 1989, 1537; BGH, WM 2003, 430, 432 m. Anm. S. Werner, WuB I D 1.-3.03 = NJW 2003, 1389 = ZIP 2003, 384; ebenso OLG Köln, WM 1990, 1963 m. Anm. Bülow, WuB I D 1.-2.91; OLG Frankfurt/M., WM 1999, 1208 m. Anm. van Gelder, WuB I D 1.-5.99. Siehe auch Escher-Weingart, WM 2008, 2281, 2283 f.; Rauhut, ZBB 2009, 32, 35 f. 9 So Marcus Meckel, jurisPR-BKR 1/2010, Anm. 1, Teil 3 unter V.12.1. Vgl. auch Casper (Fn. 7), S. 3, 16: „Paradigmenwechsel“.
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II. „Kundenkennung“ als Tatbestand Es liegt auf der Hand, dass die Berechtigung der beteiligten Zahlungsdienstleister nach § 675r Abs. 1 BGB, einen Zahlungsvorgang ausschließlich anhand der von dem Zahlungsdienstnutzer angegebenen Kundenkennung als ordnungsgemäß geltend auszuführen, von der genauen Bestimmung des Tatbestands der „Kundenkennung“ gemäß § 675r Abs. 2 BGB abhängt. 1. EU-rechtlicher Hintergrund Um den Tatbestand der „Kundenkennung“ von vornherein richtlinienkonform zu interpretieren, ist zu beachten, dass in Art. 4 Nr. 21 der ZDiensteRL von „Kundenidentifikator“ gesprochen wird. Es geht mithin um die zweifelsfreie „Identifikation“ des Kunden10. Die Begriffsbestimmung des Kundenidentifikators in Art. 4 Nr. 21 ZDiensteRL ist in § 675r Abs. 2 BGB wörtlich übernommen mit Ausnahme, dass es „Abfolge“ statt „Kombination“ sowie am Ende nur „oder“ statt „und/oder dessen Zahlungskonto“ lautet. Nach Erwägungsgrund 48 der ZDiensteRL „sollte es den Mitgliedstaaten nicht gestattet sein, für Zahlungsvorgänge einen speziellen Identifikator vorzuschreiben“ [weil dies die „Schaffung integrierter Zahlungssysteme in der Gemeinschaft“ gefährde]. „Dies sollte dem jedoch nicht entgegenstehen, dass die Mitgliedstaaten vom Zahlungsdienstleister des Zahlers verlangen können, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu beachten und – soweit technisch und ohne manuelles Eingreifen möglich – zu überprüfen, ob der Kundenidentifikator kohärent ist, und wenn dies nicht der Fall ist, den Zahlungsauftrag zurückzuweisen und den Zahler davon zu unterrichten“.
Das EU-rechtliche Ziel des Einsatzes von Kundenidentifikatoren ist es demnach, dass durch eine vollständige Automatisierung des Datenaustausches zwischen den beteiligten Zahlungsdienstleistern, auch wenn ihr Geschäftsbetrieb in verschiedenen Mitgliedstaaten unterhalten wird, eine maschinelle Abwicklung der Zahlungsvorgänge „ohne manuelles Eingreifen“ ermöglicht wird. Dies soll auch das Einhalten kürzerer Ausführungsfristen gewährleisten (vgl. § 675s BGB in Umsetzung von Art. 68 Abs. 2, 69 und teilweise 70 ZDiensteRL). 2. International Bank Account Number (IBAN) Als eine Kundenkennung, die den EU-rechtlichen wie den deutschen gesetzlichen Anforderungen in § 675r Abs. 2 BGB genügt, wird offenbar die weithin standardisierte International Bank Account Number (IBAN) angesehen11, die vom European Payments Council (EPC) für grenzüberschreitende wie inländische Überweisungen im Bereich Single Euro Payments Area (SEPA) entwickelt worden ist. Um die IBAN näher zu erläutern, sei eine konzise Darstellung12 wiedergegeben.
__________ 10 Ebenso Sprau (Fn. 6), § 675r Rz. 2: „eindeutig erkennbar“. 11 Sprau (Fn. 6), § 675r Rz. 2; M. Meckel (Fn. 9), unter V.12.2. 12 Scheibengruber/Breidenstein, WM 2009, 1393, 1398 f.; vgl. auch Rauhut, ZBB 2009, 32, 44; M. Meckel (Fn. 9), unter V.12.3.2.2.
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Zur „Kundenkennung“ im neuen Recht der Zahlungsvorgänge „Sie dient künftig als alleiniger Identifikator des Empfängerkontos. Folglich hängt von der Anfälligkeit der IBAN gegenüber falschen Eingaben der Grad der Gefahr einer falschen Eingabe und somit einer fehlgehenden Überweisung ab. Auf den ersten Blick ist die IBAN sehr fehleranfällig, denn sie besteht – zumindest für deutsche Konten – aus einer 22-stelligen Zahl [Innerhalb des EWR variiert die Länge der IBAN von 15 Stellen für Norwegen bis 31 Stellen für Malta. Die Länge der Ziffernfolge ist abhängig von der nationalen Kontenidentifikation, beträgt aber maximal 34 Stellen.] Allerdings enthält diese Ziffernfolge zur Kohärenzüberprüfung eine zweistellige Prüfziffer, die sicherstellt, dass Tippfehler als solche erkannt und in der Folge die Überweisung nicht durchgeführt wird. Die Prüfziffer wird nach dem MOD 97-10-Verfahren ermittelt. Das bedeutet, dass die Prüfziffer die schon vorhandene Ziffernfolge so ergänzt, dass das Ergebnis, wenn man es durch 97 dividiert, einen Rest von 1 übrig lässt. Folglich liegt ausschließlich dann eine richtige IBAN vor, wenn bei Division der Ziffernfolge durch 97 der Rest von 1 bleibt. Auf diese Weise lässt sich per maschineller Überprüfung bereits bei Eingabe einer IBAN herausfinden, ob diese IBAN existiert. Einfache Zahlendreher werden dadurch automatisch erkannt, denn durch Vertauschung von zwei aufeinander folgenden Zahlen wird die IBAN in sich unstimmig, d. h. die Prüfziffer und die übrige Ziffernfolge stimmen nicht mehr überein. Die falsche IBAN wird als solche erkannt und der Auftrag vom System gar nicht angenommen. Nur in sehr seltenen Fällen versagt diese Kontrollprüfung, weil die IBAN so falsch eingetragen wird, dass sie wieder Sinn ergibt (qualifiziertes Verschreiben) [Das System erkennt die Falscheingabe nur dann nicht, wenn die Differenz zwischen der richtigen und der fälschlich eingegebenen IBAN durch 97 dividierbar ist, etwa anstelle der Zahlenfolge „822“ innerhalb der IBAN die Zahlenfolge „919“ eingegeben wird. In diesem Fall würde der Check über die Modulo-97-Prüfung auch einen Rest von 1 ergeben und die IBAN für existent gehalten.].“
Es mag angehen, dass man das Risiko eines „qualifizierten Verschreibens“ im Sinne der wiedergegebenen Darstellung als derart gering einstuft, dass eine Belastung des überweisenden Kunden mit dieser selten auftretenden Fehlerquelle hinnehmbar erscheint13. Immerhin wird gesagt14, es könne auch bei der IBAN nur geprüft werden, „ob die konkrete Kundenkennung von der Empfängerbank vergeben worden sein kann, ob deren Existenz also denkbar ist. Ob die angegebene Kundenkennung tatsächlich vergeben wurde – und wenn ja – dem konkret genannten Zahlungsempfänger zugewiesen ist, kann die Zahlerbank nicht nachvollziehen“. Kann also durch die vom Überweisenden angegebene, mit Prüfziffern ausgestattete IBAN des Zahlungsempfängers, die auf Seiten des Zahlungsdienstnutzers des Überweisenden eingesetzt wird, „der andere am Zahlungsvorgang beteiligte Zahlungsdienstnutzer oder dessen Zahlungskonto [nicht irgendein vorhandenes Zahlungskonto!] zweifelsfrei ermittelt werden“? 3. Kontonummer und Bankleitzahl a) Die in Deutschland für Überweisungsaufträge vorgesehene Angabe von Kontonummer des Überweisungsempfängers und Bankleitzahl seines Kreditinstituts erfüllt in ihrer „Kombination“ sicherlich eine „Abfolge von … Zahlen“ im Sinne von § 675r Abs. 2 BGB. Nach Ansicht des deutschen Gesetz-
__________
13 So offenbar Scheibengruber/Breidenstein, WM 2009, 1393, 1400 Fn. 68: „nachhaltige Wirkung der technischen Kohärenzprüfung“ bei Verwendung der IBAN. 14 M. Meckel (Fn. 9), unter V.2.2.
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gebers15 dient die Kontonummer, gegebenenfalls zusammen mit der Bankleitzahl, der zweifelsfreien Ermittlung des Zahlungsdienstnutzers, zum Beispiel des Überweisungsempfängers, so dass sie den Anforderungen an eine Kundenkennung genüge. Auch die ab Oktober 2009 maßgeblichen „Bedingungen für den Überweisungsverkehr“ der Kreditinstitute sehen vor, dass erteilte Zahlungsaufträge anhand der Kundenkennung abgewickelt werden, und bezeichnen ausdrücklich Kontonummer und Bankleitzahl als Kundenkennung16. b) Ob tatsächlich die mit Kontonummer und Bankleitzahl numerisch angegebenen Kontoverbindungsdaten des Überweisungsempfängers schon gegenwärtig ohne weiteres der IBAN (oben II. 2.) gleichgestellt werden können, bedarf einer genaueren Betrachtung. Trotz der erhöhten Wahrscheinlichkeit, dass es bei einer 22stelligen IBAN für deutsche Kunden versehentlich zu einer nicht richtigen Angabe der Kontonummer kommt, enthält andererseits die IBAN – wie wiedergegeben (oben II. 2.) – zur Kohärenzprüfung eine zweistellige Prüfziffer, die ganz überwiegend ermöglicht, dass schon bei dem Zahlungsdienstleister des Überweisenden durch maschinelle Überprüfung festgestellt werden kann, ob diese IBAN auf Seiten des Zahlungsdienstleisters des Überweisungsempfängers vergeben worden sein kann. Ein einfacher Zahlendreher etwa wird auf diesem Wege automatisch erkannt und der Zahlungsauftrag von dem System nicht angenommen. Demgegenüber wird im innerstaatlichen deutschen Bereich im Falle eines beleghaft erteilten Überweisungsauftrags bei Verwendung nur von Kontonummer und Bankleitzahl als Kundenkennung wohl noch kein einheitliches Prüfzifferverfahren angewandt. Jedenfalls wird für Januar 2010 Folgendes mitgeteilt17: Es gebe „derzeit ca. 120 Verfahren, denen zwar dieselbe Prüflogik zugrunde liegt, deren Niveau jedoch sehr unterschiedlich ist. Auf der Ausgangsseite, d. h. von der Zahlerbank, wird anhand der Prüfmethode des jeweiligen Empfängerinstituts geprüft, ob die angegebene Kontonummer vergeben worden sein kann. Ob die Kontonummer aktuell existiert und – wenn ja – dem namentlich genannten Zahlungsempfänger zugeordnet ist, kann die Zahlerbank – wie erwähnt – hierbei nicht verifizieren. Das überweisende Institut prüft die Angaben ihres Kunden hinsichtlich des Empfängers anhand des von der jeweiligen Empfängerbank verwendeten, ihr bekannt gemachten Prüfzifferberechnungsverfahrens. Das Überweisungsabkommen sieht allerdings aktuell eine Prüfzifferberechnung in Nr. 2 Abs. 3 nur für EZÜ-Überweisungen vor, d. h. nur bei der Umwandlung einer beleghaften Überweisung in einen Datensatz im Rahmen der zwischenbetrieblichen Weiterleitung und auch nur dann, wenn die Empfängerbank ihre Prüfmethode offengelegt hat; dies ist bisher nicht obligatorisch.“
Unter diesen Umständen wird man die Abfolge von Kontonummer und Bankleitzahl im Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Beitrags (Februar 2010) nicht der IBAN als gleichwertig anerkennen können. Mangels eines einheitlichen Prüfzifferverfahrens befindet sich die deutsche Praxis bei beleghaft erteilten
__________ 15 Vgl. BT-Drucks. 16/11643, S. 110. 16 Vgl. Nummer 1.2 „Kundenkennungen“ und Nummer 1.6 Abs. 2 „Ausführung des Überweisungsauftrags“ der Bedingungen für den Überweisungsverkehr. 17 M. Meckel (Fn. 9), unter V.12.3.2.1.
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Überweisungsaufträgen noch auf einer Stufe unterhalb der IBAN18. Deshalb ist es schon aus diesem Grund durchaus fragwürdig, ob durch die bloße Verwendung von Kontonummer und Bankleitzahl der zweite Teil der Begriffsbestimmung der Kundenkennung in § 675r Abs. 2 BGB („und …“) erfüllt wird, nämlich dass dadurch „der andere am Zahlungsvorgang beteiligte Zahlungsdienstnutzer oder dessen Zahlungskonto zweifelsfrei ermittelt werden kann“. Eine wirklich zweifelsfreie Identifikation des Überweisungsempfängers anhand nur der Abfolge von Kontonummer und Bankleitzahl ist zumindest ohne ein einheitliches deutsches Prüfzifferverfahren nicht gewährleistet. Der in § 675r Abs. 2 BGB gesetzlich umschriebene Tatbestand der Kundenkennung kann daher unter den dargelegten Umständen schwerlich als gegeben angesehen werden. c) Überdies ist hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals der Kundenkennung, dass die „Abfolge aus … Zahlen“ geeignet sein muss, den anderen am Zahlungsvorgang beteiligten Zahlungsdienstnutzer oder dessen Zahlungskonto „zweifelsfrei“ zu ermitteln, noch auf eine weitere Schwäche der alleinigen Orientierung an Kontonummer und Bankleitzahl hinzuweisen. Es wird nämlich (von einem Banksyndikus!) ausgeführt19, bei den „Prüfungsmöglichkeiten auf Seiten der Zahlerbank“ handele es sich „um eine bloße Plausibilitätsprüfung im eingeschränkten Sinne. Geprüft werden kann – auch bei der IBAN – lediglich, ob die konkrete Kundenkennung von der Empfängerbank vergeben worden sein kann, ob deren Existenz also denkbar ist. Ob die angegebene Kundenkennung tatsächlich vergeben wurde – und wenn ja – dem konkret genannten Zahlungsempfänger zugewiesen ist, kann die Zahlerbank nicht nachvollziehen“. Wenn dies zutrifft, so wachsen eher die Zweifel, ob mit der Abfolge von Kontonummer und Bankleitzahl der namentlich genannte Zahlungsempfänger „zweifelsfrei“ ermittelbar ist. d) Man kann nicht einwenden, es komme bei der Kundenkennung letztlich darauf an, ob der Zahlungsdienstleister des Überweisungsempfängers durch die Angabe von Kontonummer und Bankleitzahl in die Lage versetzt wird, den anderen am Zahlungsvorgang beteiligten Zahlungsdienstnutzer zweifelsfrei zu ermitteln. Denn aus § 675r Abs. 3 BGB ergibt sich eindeutig, dass es maßgeblich ist, ob eine vom Zahler angegebene Kundenkennung „für den Zahlungsdienstleister des Zahlers“ erkennbar einem Zahlungsempfänger oder einem Zahlungskonto zuzuordnen ist oder eben nicht. Schon der „Zahlungsdienstleister des Zahlers“ muss durch die Kundenkennung den anderen am Zahlungsvorgang beteiligten Zahlungsdienstnutzer oder dessen Zahlungskonto zweifels-
__________ 18 Wenn Sprau (Fn. 6), § 675r Rz. 2, dementsprechend differenziert, wird ihm insoweit zu Unrecht ein „Missverständnis“ vorgeworfen (so aber M. Meckel [Fn. 9], unter V.12.2.). Auch Rauhut, ZBB 2009, 32, 44, ist zutreffend der Ansicht, eine Prüfziffer in die Kundenkennung aufzunehmen, sei der „erste und zum Schutz des Zahlers unverzichtbare Schritt“. 19 M. Meckel (Fn. 9), unter V.12.2., mit kaum nachvollziehbarer Folgerung („Entgegen der Auffassung von Sprau können daher …“).
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frei ermitteln können20. Ohne deutschlandweit einheitliche Prüfziffern ist dies zumindest nicht mit der technisch zumutbaren Sicherheit möglich. 4. Grundsatz der formalen Auftragsstrenge Ist man bemüht, dem gesetzlichen Tatbestand der Kundenkennung (§ 675r Abs. 2 BGB) Rechnung zu tragen, so kommt auch der von der deutschen Rechtsprechung21 entwickelte zahlungsverkehrsrechtliche Grundsatz der formalen Auftragsstrenge in das Blickfeld. Der vom Zahler mit einem Überweisungsauftrag betraute Zahlungsdienstleister hat sich hiernach streng innerhalb der formalen Grenzen des ihm erteilten Zahlungsauftrags zu halten. Dies bedeutet vor allem, dass der Zahlungsdienstleister sich weder um das Valutaverhältnis des Zahlers zum Zahlungsempfänger und den in ihm enthaltenen Rechtsgrund der Zahlung zu kümmern braucht noch die Angaben zum Verwendungszweck im Überweisungsauftrag beachten muss, die nur für den Zahlungsempfänger bestimmt sind. Der angegebene Name des Zahlungsempfängers war aber bisher selbstverständlich im Rahmen der Ausführung des Überweisungsauftrags gemäß formaler Auftragsstrenge zu berücksichtigen22 und sogar im Verhältnis zur angegebenen Kontonummer vorrangig maßgeblich. Ist die strikte formale Bindung der beteiligten Zahlungsdienstleister an den erteilten Zahlungsauftrag nunmehr allein auf die vom Kunden angegebene Kontonummer und Bankleitzahl als Kundenkennung beschränkt? Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zu § 675r Abs. 1 BGB23 dürfen die Zahlungsdienstleister sich nach dieser neuen Vorschrift auf die Ausführung gemäß der Kundenkennung beschränken. Weitere Angaben des Kunden müssen sie nicht berücksichtigen, selbst wenn man aus diesen hätte erkennen können, dass der Zahler eine fehlerhafte Angabe zur Kundenkennung gemacht hat. Solange jedoch nicht wenigstens ein einheitliches Prüfzifferverfahren bei den Kontonummern eingerichtet worden ist, gebietet es die Befolgung der formalen Auftragsstrenge, den Namen des Zahlungsempfängers als eine Abfolge von Buchstaben in den Tatbestand der Kundenkennung im Sinne von § 675r Abs. 2 BGB einzubeziehen24. Denn nur so kann der „andere am Zahlungsvorgang beteiligte Zahlungsdienstenutzer“ wirklich „zweifelsfrei ermittelt“ werden.
__________ 20 Casper (Fn. 7), S. 3, 19 f., misst daher § 675r Abs. 3 BGB nur eine „Begrenzte Funktion“ zu, nämlich „nur bei der institutsinternen Überweisung“. 21 Vgl. nur BGH, WM 1986, 1409 m. Anm. Hadding, WuB I D 1.-2.87 = NJW 1987, 317 = ZIP 1986, 1537; BGH, WM 2004, 1546 m. Anm. van Look, WuB I D 2.-1.04 = NJW 2004, 2517 = ZIP 2004, 1544; aus der Literatur: Häuser (Fn. 7), ZahlungsV Rz. B 136 f.; Schimansky (Fn. 7), § 49 Rz. 79 ff., 171 ff.; jeweils m. N. 22 Vgl. BGHZ 66, 372, 375 f. = WM 1976, 708 = NJW 1976, 1449. 23 BT-Drucks. 16/11643, S. 110. 24 Ebenso Rauhut, ZBB 2009, 32, 45: „Kundenkennungen mit einem mehrstelligen Namensanteil“. Anders Casper (Fn. 7), S. 3, 19: Die formale Auftragsstrenge sei nunmehr „auf den angegebenen, aber in Wirklichkeit vom Überweisenden nicht gewollten Kundenidentifikator beschränkt“.
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III. Folgerungen 1. Inhaltskontrolle von Nr. 1.2, Nr. 1.6 Abs. 2 der Bedingungen für den Überweisungsverkehr Die Erwägungen zum Tatbestand der Kundenkennung gemäß der Begriffsbestimmung in § 675r Abs. 2 BGB haben ergeben, dass für den beleggebundenen Überweisungsverkehr in Deutschland die bloße numerische Abfolge von Kontonummer und Bankleitzahl den gesetzlichen Anforderungen, nämlich der zweifelsfreien Ermittlung des Zahlungsempfängers schon durch den Zahlungsdienstleister des Überweisenden zumindest derzeitig nicht genügt. Wenn dennoch in den neuen Bedingungen für den Überweisungsverkehr (Oktober 2009) „Kontonummer und Bankleitzahl“ unabhängig von in der Kontonummer enthaltenen Prüfziffern als „Kundenkennung“ bezeichnet werden (Nr. 1.2) und das Kreditinstitut und die weiteren beteiligten Zahlungsdienstleister berechtigt sein sollen, „die Überweisung ausschließlich anhand der vom Kunden angegebenen Kundenkennung des Zahlungsempfängers (siehe Nummer 1.2) auszuführen“ (Nr. 1.6 Abs. 2), dann stellt sich durchaus die Frage, ob diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB standhalten, weil vom Tatbestand des § 675r Abs. 2 BGB als „Rechtsvorschrift“ abgewichen wird und dies den überweisenden Kunden angesichts der damit verbundenen Risikoverlagerung „unangemessen benachteiligt“. Denn bei bloßer Beachtung von Kontonummer und Bankleitzahl als Kundenkennung im beleghaft erteilten Überweisungsauftrag ohne einheitliches Prüfzifferverfahren wird dem Zahler „das volle Risiko jeglichen Vertippens, Verschreibens etc.“ aufgebürdet25. Abgesehen von dem Fall, dass die zu Kontonummer und Bankleitzahl gemachten Angaben des Zahlers für seinen Zahlungsdienstleister „erkennbar keinem Zahlungsempfänger oder keinem Zahlungskonto zuzuordnen“ sind (§ 675r Abs. 3 BGB), verbleibt dem Zahler nur eine Nichtleistungskondiktion (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB) gegen den tatsächlichen Zahlungsempfänger, dem der Überweisungsbetrag gemäß der fehlerhaft angegebenen, aber für ihn vorhandenen Kontonummer gutgeschrieben worden ist. Dieser tatsächliche Zahlungsempfänger ist dem Zahler unbekannt. Der Zahlungsdienstleister des Zahlers ist diesem zwar nach § 675y Abs. 3 Satz 2 BGB verpflichtet, sich „im Rahmen seiner Möglichkeiten“ darum zu bemühen, den Zahlungsbetrag wiederzuerlangen. Hierzu lautet eine Erläuterung26: „Von der Zahlerbank wird danach insbesondere erwartet, dass sie die Empfängerbank unverzüglich benachrichtigt, sobald sie von einem solchen Fehler Kenntnis erlangt, damit die Empfängerbank im Rahmen des Zulässigen eine Stornierung vornehmen, ggf. auch den tatsächlichen Empfänger um Rückleitung des Zahlungsbetrages ersuchen kann“.
Selbst wenn man den Zahlungsdienstleister des tatsächlichen Zahlungsempfängers im Interbankenverhältnis nach § 241 Abs. 2 BGB für verpflichtet hält,
__________ 25 Sprau (Fn. 6), § 675r Rz. 3; ebenso zwischenzeitlich Bitter, WM 2010, 1725, 1729 f. 26 M. Meckel (Fn. 9), unter V.12.3.4 mit Hinweis auf BT-Drucks. 16/11643, S. 117.
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Auskunft über diesen zu geben27, sind die erheblichen Schwierigkeiten für den Zahler, den Überweisungsbetrag zurückzuerlangen unübersehbar. Er wird daher durch das Fehlen des Kontonummer-Namens-Vergleichs „unbillig benachteiligt“28. 2. Zumutbare Fortgeltung des Kontonummer-Namens-Vergleichs a) Für beleghaft erteilte Überweisungsaufträge, die nach Nr. 1 Abs. 2 des Abkommens zum Überweisungsverkehr vom überweisenden Kreditinstitut auf elektronischen Medien zu erfassen und beleglos weiterzuleiten sind (EZÜ-Verfahren), ist in Nr. 3 Abs. 2 Satz 1 des Abkommens zum Überweisungsverkehr (Stand 1.1.2002) vorgesehen: „Bei EZÜ-Überweisungen ist vom Kreditinstitut des Begünstigten ein KontonummerNamens-Vergleich durchzuführen“.
Dieser Kontonummer-Namens-Vergleich gehört seit langem zur „Prüfungsroutine“29. Der Vorgang ist „technisch und ohne manuelles Eingreifen möglich“30. Auch insoweit findet „eine voll automatisierte Bearbeitung ohne jegliche manuelle Intervention“ statt31. Diese gegenwärtige Praxis der Kreditinstitute, die der wohlbegründeten ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Rechnung trägt, sollte beibehalten werden32. Denn nur auf diesem Weg wird auch der zweite Teil der Begriffsbestimmung der Kundenkennung in § 675r Abs. 2 BGB beachtet, dass durch sie „der andere am Zahlungsvorgang beteiligte Zahlungsdienstnutzer oder dessen Zahlungskonto zweifelsfrei ermittelt werden kann“. b) Demgegenüber lautet es zwar in der Gesetzesbegründung zu § 675r Abs. 1 BGB33: „Nach den Vorgaben der Zahlungsdiensterichtlinie sind die beteiligten Zahlungsdienstleister, d. h. die Zahlungsdienstleister von Zahler und Zahlungsempfänger sowie die zwischengeschalteten Stellen zum Abgleich von Kontonummer bzw. Kundenkennung und Empfängername nicht mehr verpflichtet.“
Damit werden jedoch zwei Gegebenheiten verkannt: Wenn von „Kontonummer bzw. Kundenkennung“ die Rede ist, so bleibt unbeachtet, dass die Kontonummer für sich allein eben nicht der Begriffsbestimmung der Kundenkennung in § 675r Abs. 2 BGB genügt. Dies wird durch die undeutlich bleibende
__________
27 Vgl. Rauhut, ZBB 2009, 32, 43; Sprau (Fn. 6), § 675r Rz. 4 a. E.; zustimmend M. Meckel (Fn. 9), unter V.12.5. Siehe auch Osterloh-Konrad, Der allgemeine vorbereitende Informationsanspruch, 2007, S. 163 ff.: „Informationsansprüche mit Drittbezug“. 28 Im Ergebnis ebenso Rauhut, ZBB 2009, 32, 39, für AGB-Klauseln, denen zufolge der Überweisende im beleghaften Überweisungsverkehr sich mit einer Gutschrift nach Maßgabe nur der Kontonummer einverstanden erklärt. 29 So M. Meckel (Fn. 9), unter V.12.4.3. 30 Vgl. Erwägungsgrund 48 der ZDiensteRL. 31 Vgl. BT-Drucks. 16/11643, S. 110 zu § 675r Abs. 1 BGB-E. 32 Ebenso im Ergebnis M. Meckel (Fn. 27): „empfiehlt es sich“; auch Pauli, NJW 2008, 2229, 2231. 33 BT-Drucks. 16/11643, S. 110.
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Verwendung von „bzw.“ zwischen Kontonummer und Kundenkennung nur kaschiert, aber nicht ausgeräumt. Ferner trifft es nicht zu, dass es zu den „Vorgaben der Zahlungsdiensterichtlinie“ gehöre, auch der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers sei zum Abgleich von Kontonummer und Empfängername „nicht mehr verpflichtet“. Dies lässt sich jedenfalls aus Art. 74 ZDiensteRL nicht herleiten. Vielmehr ergibt sich aus § 675r Abs. 3 BGB mit wünschenswerter Klarheit, dass die Kundenkennung nur als ein Instrument in der Hand des Zahlungsdienstleisters des Zahlers vorgesehen ist und nicht auch für den Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers ohne weiteres allein maßgeblich ist. Wenn zu hören ist34, dass die im Zentralen Kreditausschuss vertretenen Verbände der Kreditwirtschaft planen, an ihre Mitglieder „zu appellieren, den Kontonummer-Namens-Abgleich ungeachtet des (zu erwartenden) Wegfalls der hierzu verpflichtenden Regelung im Interbankenverhältnis auch weiterhin durchzuführen“, so verdient dies aus dem Blickwinkel rechtlicher Beurteilung gemäß der Begriffsbestimmung der Kundenkennung in § 675r Abs. 2 BGB volle Zustimmung. c) Für die gebotene Fortgeltung des Kontonummer-Namens-Vergleichs nach Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 der Bedingungen für den Überweisungsverkehr (Stand: 1.1.2002) spricht schließlich die folgende Erwägung: Soweit gegenwärtig im innerdeutschen Überweisungsverkehr schon Prüfzifferverfahren in begrenztem Umfang angewandt werden (vgl. oben II. 3. b), hat sich offenbar eine „gängige Handhabung in der Praxis“ eingespielt35. Ergibt sich „bei der Prüfzifferberechnung eine unplausible Kontonummer“, kann das Kreditinstitut des Überweisenden – statt bei ihm zurückzufragen – den Überweisungsbetrag an das Kreditinstitut des angegebenen Empfängers gemäß der Bankleitzahl weiterleiten, muss aber „das Zuordnungsproblem durch die Textschlüsselergänzung „444“ (= Prüfzifferberechnung negativ) kenntlich machen. Da die Empfängerbank über weitergehende Recherchemöglichkeiten verfügt, [kann] die Zahlung hierdurch nicht selten bei dem richtigen Zahlungsempfänger noch erfolgreich angebracht und hierdurch im Interesse des Zahlers eine Verzögerung vermieden werden“ (Hervorhebung vom Verfasser). Diese Praxis, dass eine Überweisung von dem Kreditinstitut des Auftraggebers vor dem Hintergrund „weitergehender Recherchemöglichkeiten“ des Empfängerinstituts als „444“er-Zahlung ausgewiesen wird, bestätigt nur die grundsätzlich notwendige Mitwirkung des Zahlungsdienstleisters auf der Empfängerseite, um durch den KontonummerNamens-Vergleich vermeidbare Nachteile für den beleghaft Überweisenden hintanzuhalten36. Das muss zumindest solange gelten, als in Deutschland noch kein einheitliches Prüfzifferverfahren wie bei der IBAN eingeführt ist und bei den Zahlungsdienstleistern der Überweisenden durchgängig gehandhabt wird. Der Name und damit die Person des vom Überweisenden gewollten Zahlungsempfängers lässt sich grundsätzlich nicht einfach ausblenden.
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34 Vgl. M. Meckel (Fn. 9), unter V.12.4.3. 35 Vgl. M. Meckel (Fn. 9), unter V.12.3.3. Siehe auch Nr. 4 des für 2011 zu erwartenden neuen Abkommens zum Überweisungsverkehr. 36 Vgl. treffend Rauhut, ZBB 2009, 32: „Wo Ziffernfolgen für Personen stehen, führen kleinste Fehler schon auf falsche Wege“.
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3. Maßgeblichkeit der Kundenkennung im Inkassoverhältnis? Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass in der Gesetzesbegründung zu § 675r Abs. 1 BGB37 angenommen wird, auch der Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers sei zum Abgleich von Kontonummer und angegebenem Empfängernamen „nicht mehr verpflichtet“, obwohl sich dies aus den „Vorgaben der Zahlungsdiensterichtlinie“ nicht herleiten lässt (vgl. oben III. 2. b). Die Kundenkennung soll erkennbar nur einer Vorabprüfung auf Plausibilität durch den Zahlungsdienstleister des Zahlers dienen, wie sich aus § 675r Abs. 3 BGB ergibt. Wäre die Kundenkennung auch für den Zahlungsdienstleister auf Seiten des „Empfängers“ ein gesetzlicher Freibrief für die Gutschrift nur nach der angegebenen und tatsächlich vergebenen Kontonummer, so könnte man wohl zugleich unterstellen38, dass dem Inhaber dieser Kontonummer aus dem Giroverhältnis zu seinem Zahlungsdienstleister (Inkassoverhältnis) ein Anspruch auf Gutschrift des tatsächlich für seine Kontonummer eingegangenen Überweisungsbetrags zusteht. Damit wäre freilich dem Zahlungsdienstleister des tatsächlichen Zahlungsempfängers die Möglichkeit entzogen, „noch Stornobuchungen oder Ähnliches [?] durchzuführen“, wie es in der Gesetzesbegründung zu § 675y Abs. 3 Satz 2 BGB39 angenommen wird. In der Tat ist es nicht völlig von der Hand zu weisen, dass nach der soeben benannten Stelle in der Gesetzesbegründung davon auszugehen sei, dass der Zahlungsdienstleister die Gutschrift allein nach der Kontonummer ihrem tatsächlichen Inhaber „mit rechtlichem Grund“ erbracht hat. Denn sonst wäre es ungereimt, dass „spätestens, wenn der unberechtigte Empfänger das Geld erhalten hat … vom … Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers keine Erstattung des Zahlungsbetrags verlangt werden“ können soll. Das allerdings Abwegige solcher Erwägungen glaubt man durch die Ansicht vermeiden zu können40, dass die Zahlungsdienstleister gemäß § 675r Abs. 1 Satz 1 BGB nur „berechtigt“ seien, nicht aber verpflichtet, sich bloß nach Kontonummer (und Bankleitzahl) als Kundenkennung zu richten. Dieses Argument trägt schon deshalb nicht, weil ein in Übereinstimmung mit der Kundenkennung ausgeführter Zahlungsauftrag nach § 675r Abs. 1 Satz 2 BGB „im Hinblick auf den durch die Kundenkennung bezeichneten Zahlungsempfänger als ordnungsgemäß ausgeführt“ gelten soll, das heißt als pflichtgemäß! Man sollte stattdessen zu der Einsicht zurückkehren, dass die vom Zahler angegebene Kundenkennung im beleghaften Überweisungsverkehr keine „Erlaubnis“ für den Zahlungsdienstleister des namentlich individualisierten Zahlungsempfängers enthält, die ihn von einem Kontonummer-Namens-Vergleich entbindet. Dann bleibt es bei der von einer Kundenkennung unbeeinflussten Rechtslage im Inkassoverhältnis.
__________ 37 BT-Drucks. 16/11643, S. 110. 38 Vgl. M. Meckel (Fn. 9), unter V.12.4.2: Es werde von Experten „ernsthaft die Frage gestellt – und zum Teil auch bejaht“. 39 BT-Drucks. 16/11643, S. 117. 40 Vgl. M. Meckel (Fn. 9), unter V.12.4.2.
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Öffentlichrechtliche Zahlungsansprüche von Börsen – Zur Rechtsfähigkeit der deutschen Börsen Inhaltsübersicht I. Einführung II. Rechtsnatur der Börsengebührenforderungen und der Ansprüche auf Ordnungsgelder III. Die Börse als originärer Gläubiger der Ansprüche auf Gebühren und Ordnungsgelder 1. Börsenrechtliche Regulierung
2. Öffentlichrechtliche Rechtsfähigkeit der Börse 3. Vermögensfähigkeit der Börse 4. Zuordnung der Gebührenansprüche IV. Eigentumsrechtsfähigkeit der Börse
I. Einführung Die Rechtsfähigkeit der deutschen Börsen ist seit jeher Gegenstand rechtswissenschaftlicher Kontroversen. Während früher überwiegend die Auffassung vertreten worden ist, die Börse als Anstalt des öffentlichen Rechts sei in keiner Weise rechtsfähig, insoweit also ein juristisches nullum, hat sich in den letzten Jahren die Auffassung durchgesetzt, ihr komme wenigstens im Bereich des öffentlichen Rechts Rechtssubjektivität zu. Auch der Jubilar hat die Börse in seinem im Auftrag der hessischen Börsenaufsichtsbehörde erstatteten Gutachten zu der im Jahre 2000 geplant gewesenen Fusion der Deutsche Börse AG mit der London Stock Exchange Ltd. (Projekt iX) als teilrechtsfähig bezeichnet1. Eine wesentliche Wegmarke hat der Gesetzgeber im Jahre 2007 gesetzt, als er mit dem Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz2 die Börse ausdrücklich als „teilrechtsfähige“ Anstalt des öffentlichen Rechts charakterisiert hat (§ 2 Abs. 1 BörsG). Freilich ist diese in § 2 Abs. 1 BörsG enthaltene Festlegung wenig aussagekräftig, weil es der Gesetzgeber unterlassen hat, näher zu erläutern, was es mit dieser Teilrechtsfähigkeit auf sich hat3. Insbesondere fehlt eine inhaltliche Beschreibung dieser Fähigkeit, wie man sie etwa – ohne dass sie freilich dort ausdrücklich mit der Bezeichnung „Rechtsfähigkeit“ verknüpft ist – in § 124 Abs. 1 HGB, § 13 Abs. 1 GmbHG findet. Das ist misslich, weil sowohl der Begriff der Rechtsfähigkeit als auch derjenige der Teilrechtsfähigkeit schillernd ist. So bezeichnet etwa das Gesetz den nicht
__________ 1 Uwe H. Schneider/Burgard, WM 2000, Sonderbeilage 3, 24, 27. 2 Vom 16.7.2007, BGBl. I 2007, S. 1330. 3 Die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 16/4028, S. 79) sind unergiebig.
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Horst Hammen
eingetragenen Verein als „nicht rechtsfähigen“ Verein, obgleich der nicht eingetragene Verein kraft der Verweisung in § 54 Satz 1 BGB auf das Recht der Gesellschaft (§§ 705 ff. BGB) gemäß der seit dem Jahre 2001 maßgeblichen Rechtsprechung des BGH zur Rechtssubjektivität der GbR (BGHZ 146, 341, 344 ff.) ebenfalls rechtsfähig sein soll4. Ist diese sprachliche Widersprüchlichkeit5 noch dem Umstand geschuldet, dass die Verfasser des BGB der GbR, auf deren Regelungsgefüge § 54 BGB verweist, anders als der OHG (§ 124 Abs. 1 HGB) die ausdrückliche Zuerkennung von Rechtssubjektivität versagt haben, was die Rechtsprechung dann erst 100 Jahre später korrigiert hat, ist es an anderer Stelle der Gesetzgeber selbst, der hinsichtlich der Zuerkennung von Rechtsfähigkeit Verwirrung stiftet. In § 6 Abs. 1 Satz 1 des Einlagensicherungsund Anlegerentschädigungsgesetzes (EAEG)6 bezeichnet er die dort geregelten Entschädigungseinrichtungen als „nicht rechtsfähige“ Sondervermögen, um dann in Satz 3 derselben Vorschrift festzulegen, diese Einrichtungen könnten „im Rechtsverkehr handeln, klagen oder verklagt werden“7! Demgegenüber bestimmt § 13 Abs. 2 BGB eine rechtsfähige Gesellschaft als eine solche, die mit der Fähigkeit ausgestattet ist, Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen8. Hier werden also Rechtsfähigkeit und die Eigenschaft, Gläubiger oder Schuldner werden zu können, definitorisch miteinander verknüpft. Legt man diesen in sich folgerichtigen Sprachgebrauch zugrunde, ist auch die Börse, weil sie in § 2 Abs. 1 BörsG als „rechtsfähig“ bestimmt worden ist, fähig, an rechtlichen Verhältnissen beteiligt zu sein. Diese Feststellung besagt nun aber noch nichts darüber, in welchem Umfang ihr dies möglich ist. Dass diesbezüglich Beschränkungen bestehen können, deutet die Beschreibung der Börse als „teil“rechtsfähig an. Mit dieser Teilrechtsfähigkeit hat der Gesetzgeber offenbar etwas anderes gemeint als diejenigen, die die Rechtsfähigkeit rechtsfähiger Personengesellschaften, insbesondere der GbR, als Teilrechtsfähigkeit betrachten wollen9. Nach der letztgenannten Auffassung ist die Rechtsfähigkeit solcher Gesellschaften wohl von irgendwie abgestufter Qualität als diejenige juristischer Personen. Das ist unzutreffend. Denn es entspricht beispielsweise die Beschreibung der Rechtsfähigkeit einer OHG in § 124 Abs. 1 HGB derjenigen einer GmbH in § 13 Abs. 1 GmbHG inhaltlich vollständig bis auf den Unterschied, dass die letztgenannte Vorschrift
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Weick in Staudinger, BGB, Buch 1 §§ 21–79, Neubearb. 2005, § 54 Rz. 14. Vgl. Hadding in FS Beuthien, 2009, S. 167, 174; Beuthien, JZ 2003, 715, 717. Abgedruckt in Kümpel/Hammen/Ekkenga, Kapitalmarktrecht, Kz. 315. Vgl. ferner § 3 Abs. 1 EAEG: „Anspruch“ „gegen die Entschädigungseinrichtung“; § 5 Abs. 5 EAEG: „gehen“ „Ansprüche“ „auf“ „die Entschädigungseinrichtung“ „über“; § 8 Abs. 4 Satz 1 EAEG: Die Entschädigungseinrichtung „hat“ einen „Kredit aufzunehmen“. – Zu der gleichgelagerten Problematik beim Finanzmarktstabilisierungsfonds („SoFFin“) vgl. Döge, ZBB 2009, 419, 420, 421 f. 8 Die sprachliche Fassung von § 13 Abs. 2 BGB ist etwas eng, weil „Erwerben“ und insbesondere „Eingehen“ auf rechtsgeschäftliche Vorgänge hindeuten, rechtsfähige Gesellschaften aber auch gesetzlich begründete Verbindlichkeiten und Rechte haben können. 9 BVerwG ZIP 2010, 1171. Zu der Diskussion um die Teilrechtsfähigkeit von Gesellschaften vgl. Hadding in FS Beuthien, 2009, S. 167, 174; Beuthien, JZ 2003, 715, 720; Emmerich in Heymann, HGB, Bd. 2, 2. Aufl. 1996, § 124 Rz. 3.
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die GmbH dabei als „selbständig“ definiert, während in § 124 HGB etwas derartiges fehlt. Freilich besagt diese Variante in § 13 Abs. 1 GmbHG lediglich, dass die GmbH ebenso wie die Aktiengesellschaft (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AktG: „eigene Rechtspersönlichkeit“) eine juristische Person bildet10. Die Eigenschaft eines Rechtssubjekts, vom Gesetzgeber als juristische Person bestimmt worden zu sein, ist keine besonders verdichtete Form von Rechtsfähigkeit, sondern reserviert lediglich bestimmte Rechtsbereiche für solche Rechtssubjekte. So können z. B. nur juristische Personen mit den Aufgaben einer Entschädigungseinrichtung beliehen werden (§ 7 EAEG). Das schließt indes keineswegs andere Rechtssubjekte, auch die Personengesellschaften, von dem Institut der Beleihung als solchem gänzlich aus. Vielmehr kann etwa auch eine Personengesellschaft mit dem Betrieb beispielsweise einer Börse beliehen werden. Demgegenüber ist mit „Teilrechtsfähigkeit“ in § 2 Abs. 1 BörsG eine gegenständlich beschränkte Rechtsfähigkeit gemeint. Der Gesetzgeber meint offenbar, die Börse könne lediglich bestimmte Rechte und Pflichten haben, während ihr andere Rechtsgebiete vollständig verschlossen blieben. Hierin gründet es, dass der Börse auch in der neuesten Rechtsprechung und im neueren Schrifttum die Privatrechtsfähigkeit im Allgemeinen11 und die Eigentumsfähigkeit im Besonderen12 abgesprochen wird. Auch eine solche Begriffsbildung ist freilich angreifbar. Denn Beschränkungen der Rechtsfähigkeit der geschilderten Art kommen nicht nur bei „Teilrechtsfähigen“ vor, die im öffentlichen Recht eine gängige Erscheinung sind (vgl. etwa § 8a Abs. 1 FMStFG: „teilrechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts“), sondern auch bei den juristischen Personen – sowohl solchen des Privatrechts, wie auch solchen des öffentlichen Rechts – vor. Wie die „Teilrechtsfähigen“ können auch die juristischen Personen beispielsweise keine familienrechtlichen Verhältnisse eingehen13. Selbst natürliche Personen können nicht an allen Rechtsverhältnissen beteiligt sein. So können z. B. natürliche Personen kein genehmigungsfähiges Kreditinstitut (vgl. § 2b Abs. 1 KWG) und keine Europäische Aktiengesellschaft (vgl. Art. 2, 3 der SE-Verordnung (EG) Nr. 2157/2001) gründen. „Teilrechtsfähigkeit“ bei Börsen soll mithin offenbar ein Mehr an Beschränkungen hinsichtlich der Fähigkeit bedeuten, an bestimmten rechtlichen Ver-
__________ 10 Mit guten Gründen gegen den „gesetzgeberischen Kunstgriff“ (Hadding in FS Beuthien, 2009, S. 167, 170) der juristischen Person (sowie anderer Rechtssubjekte als natürliche Personen) Ernst Wolf, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 3. Aufl. 1982, § 16 B. III. c), S. 650 ff. 11 LG Frankfurt, Urteil v. 21.1.2010 – 2-03 O 575/09; Burgi, WM 2009, 2337, 2339; Kunz, Ausgewählte Rechtsprobleme des Zentralen Kontrahenten, 2009, S. 165; Beck in Schwark, KMRK, 3. Aufl. 2004, § 1 BörsG Rz. 10: „beschränkt auf den öffentlichrechtlichen Bereich“; im Ansatz anders: Kümpel/Hammen, WM 2000, Sonderbeilage 3, 23; Rinker, Der Vertragsschluss im börslichen elektronischen Handelssystem, 2003, S. 75 ff. 12 J. Schäfer in Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2009, S. 182; Picot, Die Rechte der Aktionäre beim Delisting börsennotierter Gesellschaften, 2009, S. 130. 13 Vgl. Uwe H. Schneider/Burgard in FS Claussen, 1997, S. 499, 501; Hadding in FS Beuthien, 2009, S. 167, 172.
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hältnissen beteiligt zu sein. Hinsichtlich dieses Mehr enthält das Börsengesetz indes eine Andeutung, nämlich in § 2 Abs. 4 BörsG, wonach die Börse in verwaltungsgerichtlichen Verfahren unter ihrem Namen klagen und verklagt werden kann, was bei erstem Hinsehen darauf hindeuten mag, in zivilgerichtlichen Verfahren könne sie dies nicht. Freilich steht dieser Beobachtung entgegen, dass § 15 Abs. 3 BörsG die Geschäftsführer die Börse gerichtlich und außergerichtlich vertreten lässt, ohne dass hier eine Beschränkung auf den Bereich des öffentlichen Rechts festgelegt worden ist. Deshalb ist kürzlich anlässlich eines gegen die Frankfurter Wertpapierbörse schwebenden Amtshaftungsverfahrens zu Recht bemerkt worden, die Vorschrift in § 2 Abs. 1 BörsG stelle ihrem Wortlaut nach nur die Teilrechtsfähigkeit der Börse fest, sage aber nichts darüber, wie weit die Teilrechtsfähigkeit reiche und auf welchem Gebiet einer Börse die Rechtsfähigkeit versagt bleibe14. Diese Frage soll im Folgenden in einem Ausschnitt aufgehellt werden. Es soll belegt werden, dass die im Börsengesetz geregelten Zahlungsansprüche (Gebührenansprüche gemäß § 17 BörsG, Ansprüche auf Ordnungsgelder aus § 22 Abs. 2 BörsG) als öffentlichrechtliche Ansprüche im Ausgangspunkt der Börse selbst zustehen und nicht etwa ihrem Träger oder dem Bundesland, das die Börsenerlaubnis erteilt, weshalb die Börse nicht nur öffentlichrechtlich, sondern auch vermögensrechtlich rechtsfähig ist. Und es soll aus dieser Rechtslage heraus abgeleitet werden, dass die Börse, mindestens soweit es um die Erfüllung dieser Ansprüche geht, auch privatrechtsfähig ist.
II. Rechtsnatur der Börsengebührenforderungen und der Ansprüche auf Ordnungsgelder Besieht man die Bestimmungen in §§ 17, 22 BörsG genauer, so zeigt sich, dass es der Bundesgesetzgeber vermieden hat, den Gläubiger der Gebührenforderungen und der Ansprüche auf Ordnungsgelder namhaft zu machen. Da die Reichweite der Rechtsfähigkeit der Börse (öffentlichrechtlich oder auch privatrechtlich) durchaus im Streit ist, ist es nicht unwesentlich, welchem Rechtsgebiet diese Forderungen zuzurechnen sind. Nach heute einhelliger Meinung sind die Gebührenansprüche öffentlichrechtlicher Natur. Dafür wird auf das diesen Ansprüchen zugrundeliegende öffentlichrechtliche Benutzungsverhältnis15 und auf den gesetzlichen Terminus der Gebühr in § 17 BörsG abgestellt16. Das letztgenannte Argument hat zunächst durch das 4. Finanzmarktförderungsgesetz zusätzliches Gewicht erhalten. Konnte man es vor dem Erlass dieses Gesetzes vielleicht noch als bloßes Wortlautargument abtun, nötigt nun die auf Initiative des Bundesrates neu geschaffene Vorschrift in § 13 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 BörsG a. F. (jetzt: § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 BörsG) zu einer systematischen Interpretation der Begrifflichkeiten in § 17
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14 Faßbender/Reichenegger, WM 2009, 732, 735. 15 Hierzu Kümpel/Hammen, Börsenrecht, 2. Aufl. 2003, S. 182 ff. 16 v. Olenhusen, Börsen und Kartellrecht, 1983, S. 62; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2004, Rz. 17.721.
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Öffentlichrechtliche Zahlungsansprüche von Börsen
BörsG. Nach jener Bestimmung muss die Börsenordnung eine „Entgelt“ordnung für die Tätigkeit der Skontroführer enthalten. Diese Regelung hat folgenden börsenrechtsgeschichtlichen Hintergrund: Bis zum Erlass des 4. Finanzmarktförderungsgesetzes erfolgte die Feststellung des Börsenpreises im amtlichen Handel durch amtlich bestellte Kursmakler (amtliche Preisfeststellung; § 29 Abs. 1 BörsG a. F.). Da also die Tätigkeit der Kursmakler öffentlichrechtlich organisiert war, wurde sie auch mit „Gebühren“ honoriert (vgl. § 30 Abs. 8 BörsG a. F.). Durch das 4. Finanzmarktförderungsgesetz ist die amtliche Preisfeststellung und mit ihr das Amt des Kursmaklers beseitigt worden. Seither ist die Tätigkeit der Skontroführer privatrechtlich organisiert. Deshalb stützte der Bundesrat seinen Vorschlag, § 13 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 BörsG a. F. in das Börsengesetz aufzunehmen, auf die Erwägung, für die Tätigkeit des Skontroführers sei ein Entgelt zu entrichten, das ein privatrechtliches Äquivalent für diese Tätigkeit darstelle17. Diese Hervorhebung und die Verwendung des Begriffs des Entgelts in der neugefassten Bestimmung des § 13 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 BörsG a. F. statt desjenigen der aus einem öffentlichrechtlichen Verhältnis entstammenden Gebühr lässt den Schluss zu, dass der Gesetzgeber die im Börsengesetz angelegten Gebührenansprüche als etwas Öffentlichrechtliches begriffen hat. Weiter befestigt wurde diese Rechtslage durch die mit dem Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz erfolgte Einfügung der Vorschrift in § 17 Abs. 3 BörsG in das neu gefasste Börsengesetz, nach welcher der Börsenträger „unbeschadet der nach Abs. 1 erhobenen Gebühren“ für die Teilnahme am Börsenhandel etc. „für Dienstleistungen, welche er im Rahmen des Börsenbetriebs für Handelsteilnehmer erbringt, separate Entgelte verlangen kann“. In der Regierungsbegründung hat der Gesetzgeber diese Vorschrift mit der Bemerkung erläutert, der Träger könne für Dienstleistungen innerhalb des Börsenbetriebs „unabhängig von den Verwaltungsgebühren (!) nach Abs. 1 (!) gesonderte privatrechtliche Entgelte verlangen“18. Hier werden also privatrechtliche Entgelte explizit den „Verwaltungs“gebühren, also öffentlichrechtlichen Leistungen gegenübergestellt. Mithin sind die im Börsengesetz gebrauchten Begriffe Entgelt und Gebühr keine beliebigen Bezeichnungen, sondern Fachtermini für privatrechtliche und öffentlichrechtliche Gegenleistungen der Börsenbenutzer. Wenn folglich die Gesetzesbegründung zum Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz von Verwaltungsgebühren nach § 17 „Abs. 1“ BörsG spricht, sind die in dieser Vorschrift begründeten Gebührenansprüche öffentlichrechtlicher Natur. Das Gleiche gilt für die Ansprüche auf Zahlung eines Ordnungsgelds gemäß § 22 Abs. 2 BörsG. Ordnungsgelder nach § 22 BörsG sind Strafen disziplinarischer Art, die vom Sanktionsausschuss als Organ (§ 3 Abs. 1 Satz 2 BörsG) der Börse als Anstalt des öffentlichen Rechts mit Behördencharakter für Verstöße von Handelsteilnehmern und Emittenten gegen börsenrechtliche Vorschriften bzw. gegen Zulassungsfolgepflichten verhängt werden19 und die auf dem Ver-
__________ 17 BT-Drucks. 14/8017, S. 150. 18 BT-Drucks. 16/4028, S. 84; vgl. Hammen in FS Schwark, 2009, S. 389, 404 f. 19 Hammen in FS H. Schmidt, 2006, S. 313, 317.
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waltungsrechtsweg angegriffen werden können (§ 22 Abs. 3 BörsG), weshalb ihnen nichts Privatrechtliches eigen ist.
III. Die Börse als originärer Gläubiger der Ansprüche auf Gebühren und Ordnungsgelder 1. Börsenrechtliche Regulierung Auf die Frage, ob die Ansprüche auf Gebühren und Ordnungsgelder originär der Börse, dem von der Börse als Anstalt des öffentlichen Rechts zu unterscheidenden Börsenträger, typischerweise einer juristischen Person des Privatrechts, der Begünstigter der Börsenerlaubnis (§ 4 BörsG) ist, oder dem Bundesland zustehen, das die Börsenerlaubnis erteilt, gibt das Börsengesetz keine ausdrückliche Auskunft. § 17 Abs. 1 BörsG regelt lediglich, für welche Leistungen der Börse Gebühren gemäß einer Gebührenordnung erhoben werden dürfen. In § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BörsG wird der Erlass der Gebührenordnung in die Hände des Börsenrats gelegt. Nach § 22 Abs. 2 BörsG kann der Sanktionsausschuss als Organ der Börse einen Handelsteilnehmer und einen Emittenten mit einem Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro belegen. Die Einzelheiten können in einer Rechtsverordnung des betreffenden Bundeslandes geregelt werden (§ 22 Abs. 1 BörsG). Wer der Gläubiger der Ansprüche auf Gebühren und Ordnungsgelder ist, wird in den börsengesetzlichen Vorschriften nicht bestimmt. In Ausfüllung der Bestimmung in § 17 Abs. 1 BörsG hat zum Beispiel die Baden-Württembergische Wertpapierbörse eine Gebührenordnung erlassen, nach deren § 5 die nach Maßgabe dieser Ordnung erhobenen Gebühren dem Träger der Börse zustehen. Eine gleichgelagerte Bestimmung gab es bis vor einiger Zeit auch in der Gebührenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse. Die nunmehr geltende Gebührenordnung der FWB weist indes die Gebühren der Börse selbst zu und trägt ihr dann auf, die Gebühren unmittelbar an den Träger auszukehren (§ 5)20. Erhobene Ordnungsgelder nach § 22 Abs. 2 BörsG stehen indes nach § 13 Abs. 6 Satz 2 der bad.-württ. Sanktionsausschussverordnung vom 18.12.200821 der Börse zu. Diese Regelung stand in einem auffälligen Gegensatz zu der Vorschrift in § 11 Abs. 5 Satz 2 der hess. Sanktionsausschussverordnung a. F., welche das Ordnungsgeld dem Träger der Börse zuwies. Demgegenüber bestimmt nunmehr § 32 Abs. 5 Satz 2 der hess. Börsenverordnung22, dass verhängte Ordnungsgelder der Börse zustehen, dann aber unverzüglich an den Träger auszukehren sind. Hinsichtlich der Ordnungsgelder ist die Frage nach der originären Gläubigerschaft durch die bad.-württ. Sanktionsausschussverordnung und die hess. Börsenordnung, also mit gesetzlicher Wirkung, ausdrücklich geklärt. Damit ist zugleich erwiesen, dass die Börse mindestens in einem Ausschnitt (Ordnungsgelder) (rechts-)fähig ist, öffentlichrechtliche Ansprüche, nämlich Zahlungsansprüche, zu erwerben. Hinsichtlich der in § 17 BörsG genannten Gebühren ist
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20 Abgedruckt in Kümpel/Hammen/Ekkenga, Kapitalmarktrecht, Kz. 458. 21 GBl. 2009, S. 10. 22 Abgedruckt bei Kümpel/Hammen/Ekkenga, Kapitalmarktrecht, Kz. 515.
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die Rechtslage indes weniger eindeutig. Zwar kommt auch der als Satzung verabschiedeten Gebührenordnung (§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BörsG) gesetzesgleiche Wirkung zu23. Die Gebührenordnung ist jedoch anders als die bad.-württ. Sanktionsausschussverordnung und die hess. Börsenverordnung kein Regelwerk, das die Angelegenheiten der Börse gleichsam von außen ordnet, sondern enthält Vorschriften, mit denen die Börse in Ausfüllung ihres Selbstverwaltungsrechts ihre Angelegenheiten selbst regelt. Deshalb besagt die Gebührenordnung der Baden-Württembergischen Wertpapierbörse zu der Frage, wer der originäre Gläubiger der Ansprüche auf die Gebühren ist, nichts. Aus dieser Ordnung wird nämlich nicht unmittelbar deutlich, ob sie lediglich deklaratorisch wirkt oder ob sie, da ihr als Satzung gesetzliche Wirkung zukommt, eine durch eine in die Form einer Satzung gekleidete Entscheidung der Börse veranlasste „cessio legis“ enthält. Klarheit hierüber lässt sich indes gewinnen, wenn man die angeführten Vorschriften aus jenem Regelwerk wegdenkt – wenn man sich also eine Gebührenordnung vorstellt, die zwar Gebührentatbestände enthält, über den Gläubiger der Gebührenansprüche aber nichts besagt. 2. Öffentlichrechtliche Rechtsfähigkeit der Börse Nach herkömmlicher Ansicht stehen die Ansprüche auf die Börsengebühren nicht der Börse, sondern dem Börsenträger zu24. Demgegenüber ist nach einer neueren Meinung die Börse der originäre Gebührengläubiger25. Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Denn die herkömmliche Ansicht beruht auf überholten gesetzlichen Prämissen bzw. auf einer fehlenden dogmatischen Durchdringung der Rechtsverhältnisse zwischen dem Börsenträger, der Börse und ihren Nutzern. Nach einer älteren Auffassung schied eine Gläubigerschaft der Börse schon deshalb aus, weil die Börse als „Nicht-Rechtssubjekt“, nämlich als ein öffentlichrechtliches Rechtsgebilde eigener Art, begriffen wurde, das aber der Rechtspersönlichkeit als solcher entbehrte26. Das hieraus entstehende Dilemma hat v. Olenhusen treffend geschildert. Zu Recht legt er dar, dass die Börsenleistungen der Börse zuzurechnen seien, weshalb eigentlich die Börse auch Gläubiger der Gebühren sein müsste. Da es aber § 5 BörsG a. F. dabei habe bewenden lassen, die Kompetenz zur Festsetzung der Gebühren auf den Börsenvorstand zu übertragen, ohne die Börse zugleich für vermögensfähig zu erklären, bewirke dieser Vorgriff auf die angestrebte rechtliche Verselbständigung der Börsen27 eine Zuordnung des Anspruchs auf die Börsengebühren an den Träger. Diese
__________ 23 Vgl. Kümpel/Hammen, Börsenrecht, 2003, S. 151. 24 v. Olenhusen, Börsen und Kartellrecht, 1983, S. 88; Breitkreuz, Die Ordnung der Börse, 2000, S. 131; Bremer, JR 1957, 328, 330; Groß, Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2006, § 14 BörsG Rz. 7; anders 4. Aufl. 2009, § 17 BörsG Rz. 7; Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, 2002, S. 104; Schäfer/Hamann/Ledermann, KMG, 2. Aufl., 1. Lfg. 01/2006, § 14 BörsG Rz. 1; Beck, WM 1996, 2313, 2316; Lorenz, Die Wertpapierbörse und ihr Träger, 2004, S. 90; wohl auch Schlüter, Börsenhandelsrecht, 2. Aufl. 2002, S. 386 Rz. 184. 25 Schwark, KMRK, § 14 BörsG Rz. 5. 26 Bremer, JR 1957, 328, 329. 27 Schwark, BörsG, 1. Aufl. 1976, § 5 Rz. 4.
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Zuordnung sei zwar inkonsequent, weil der Träger mit den Börsenleistungen nicht befasst sei, aber, da er die Erbringung dieser Leistung durch die Zuverfügungstellung der erforderlichen Mittel erst ermögliche, eher hinnehmbar als eine Zuweisung der Gebühren an das betreffende Bundesland28. Seit dem Erlass des 2. Finanzmarktförderungsgesetzes ist die „historische Geschäftsgrundlage“ für die geschilderte Rechtsauffassung entfallen. Durch dieses Gesetz ist die Börse nämlich von einem „Nicht-Rechtssubjekt“ zu einem teilrechtsfähigen Rechtssubjekt geworden, das mindestens befähigt ist, am öffentlichrechtlichen Rechtsverkehr teilzuhaben. Das folgt aus §§ 2 Abs. 4, 15 Abs. 3 Satz 1 BörsG (§ 4 Abs. 5, 3c Abs. 2 BörsG a. F.). Nach der Regelung in § 2 Abs. 4 BörsG, die der Gesetzgeber mit dem Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz aus § 13 BörsG a. F. über die Börsenordnung in den Kontext des § 2 Abs. 1 BörsG verschoben hat, um einen textlichen Zusammenhang der Teilrechtsfähigkeit der Börse mit ihrer Parteifähigkeit herzustellen29, kann die Börse in verwaltungsgerichtlichen Verfahren unter ihrem Namen klagen und verklagt werden. Mithin ist sie verwaltungsprozessbeteiligungsfähig gemäß § 61 VwGO. Freilich ergibt sich ihre Teilrechtsfähigkeit aus § 2 Abs. 4 BörsG nicht unmittelbar30. Nach § 61 Nr. 3 VwGO können nämlich auch Behörden neben oder anstelle ihrer Körperschaft beteiligungsfähig sein, ohne dass sie dies zu teilrechtsfähigen Einheiten werden lässt. Vielmehr handeln sie in einer Art Prozessstandschaft für die Körperschaft31. Die Beteiligungsfähigkeit gemäß § 61 VwGO ist also etwas anders definiert als die Parteifähigkeit in § 50 Abs. 1 ZPO und deshalb von der Rechtsfähigkeit des Beteiligungsfähigen abgelöst32. Rechtsfähigkeit, Parteifähigkeit und Beteiligungsfähigkeit sind folglich begrifflich nur locker miteinander verbunden. In dieser Situation hilft nun die Regelung in § 15 Abs. 3 Satz 1 BörsG (§ 3c Abs. 2 BörsG a. F.) weiter. Die Vorschrift bestimmt, dass die Börse durch ihre Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten wird. Zwar ist der erste Teil der Bestimmung wenig aussagekräftig, weil mit ihm lediglich klargestellt wird, wer die beteiligungsfähige, aber nicht als solche prozessfähige Börse (vgl. § 62 Abs. 1 VwGO) im Verwaltungsprozess vertritt. Auf Teilrechts-
__________ 28 29 30 31
v. Olenhusen, Börsen und Kartellrecht, 1983, S. 87 f. BT-Drucks. 16/4028, S. 76; Groß, Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2009, § 2 BörsG Rz. 16. So aber Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, 2002, S. 106. Redeker/v. Oertzen, VwGO, 14. Aufl. 2004, § 61 Rz. 6. Vgl. ferner die Erbengemeinschaft, die zwar nicht rechts- und parteifähig ist (BGH, NJW 2006, 3715), wohl aber als „nichtrechtsfähige Personenvereinigung“ gemäß § 70 Nr. 2 SGG am sozialgerichtlichen Verfahren beteiligt sein kann (BSozG, NJW 1958, 1560). 32 Selbst wenn § 61 VwGO der Regelung in § 50 Abs. 1 ZPO gleichlauten würde, könnten daraus keine Rückschlüsse auf die Rechtsfähigkeit der Börse gezogen werden, weil der Satz: „Parteifähig ist, wer rechtsfähig ist“, der übrigens nicht ausnahmslos gelten muss (§ 50 Abs. 2 ZPO a. F.: beschränkte Parteifähigkeit „nichtrechtsfähiger“ Vereine), nicht (etwa wie folgt: „Nur wer rechtsfähig ist, ist auch parteifähig“) umkehrbar ist. Denn es gibt auch Gebilde, die parteifähig sind, obwohl sie nicht (teil-)rechtsfähig sind (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 50 Rz. 25; ferner § 245 Nr. 4 AktG: „Vorstand“ und hierzu Hüffer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2001, § 245 Rz. 62).
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fähigkeit kann hieraus nicht geschlossen werden, weil es nach § 62 Abs. 3 VwGO auch die Vertretung unzweifelhaft nicht rechtsfähiger Behörden im Verwaltungsprozess gibt. Wesentlich ist indes, dass § 15 Abs. 3 Satz 1 BörsG den Geschäftsführern auch die außergerichtliche Vertretung der Börse gestattet. Im außerprozessualen Bereich setzt Vertretungsbefugnis ein von dem Vertreter verschiedenes Rechtssubjekt voraus, in dessen Namen gehandelt werden und das deshalb von Rechtswirkungen betroffen sein kann (vgl. § 164 Abs. 1 Satz 1 BGB: „wirkt unmittelbar für und gegen den Vertretenen“). Da das Hauptwirkungsgebiet der Börse auf der Begründung und der Pflege von Rechtsbeziehungen (Benutzungsverhältnissen) mit Emittenten, Handelsteilnehmern und Skontroführern besteht, diese Rechtsverhältnisse unzweifelhaft öffentlichrechtlicher Natur sind33 und gemäß § 54 VwVfG auch durch einen öffentlichrechtlichen Vertrag begründet werden können, ist die in § 15 Abs. 3 Satz 1 BörsG geregelte Befugnis der Geschäftsführer, die Börse außergerichtlich zu vertreten, mindestens auf den Bereich des öffentlichen Rechts zu beziehen. Wie weit die Vertretungsmacht der Geschäftsführer reicht, insbesondere ob der den Börsen gesetzte Anstaltszweck Grenzen zieht34, braucht nicht weiter untersucht zu werden. Denn die in Rede stehenden Ansprüche auf Gebühren entspringen den angeführten Benutzungsverhältnissen, gehören also zu demjenigen Bereich, für den in § 15 Abs. 3 BörsG die Teilrechtsfähigkeit der Börse ungeachtet der durch § 2 Abs. 1 BörsG ohnehin überholten Bemerkung in den Materialien zum 2. Finanzmarktförderungsgesetz, es fehle ihr die Rechtsfähigkeit35, vorausgesetzt ist. Also ist die Börse grundsätzlich fähig, Gläubiger dieser Ansprüche zu sein. 3. Vermögensfähigkeit der Börse Freilich ist mit dieser Ableitung noch nicht das Argument aus dem Feld geräumt, die Börse könne keine Ansprüche haben, weil ihr die Vermögensfähigkeit fehle36. Allerdings ist der Gesetzgeber mit der durch das 2. Finanzmarktförderungsgesetz geschaffenen Regelung in § 15 Abs. 3 BörsG auch über diese Rechtsansicht hinweggegangen. Denn mit dem Erwerb der Teilrechtsfähigkeit ist bei einem Rechtssubjekt, das keine natürliche Person ist, der Erwerb der Vermögensfähigkeit denknotwendig verknüpft. Bevor dies entwickelt werden kann, ist dem denkbaren Argument zu begegnen, die aus § 15 Abs. 3 BörsG ableitbare Rechtsfähigkeit der Börse beziehe sich nur auf den Erlass von Verwaltungsakten und ähnlichem, also nicht auf den Vermögensbereich. Dem ist zu entgegnen, dass die Vorschrift in § 15 BörsG, wäre dem so, überflüssig wäre. Denn es konnten die Organe der Börse unter der Geltung des Börsengesetzes aus dem Jahre 1896 über einen Zeitraum von einhundert Jahren unzweifelhaft
__________ 33 Kümpel/Hammen, Börsenrecht, 2. Aufl. 2003, S. 183 ff. 34 Vgl. allgemein Hammen, WM 2002, 2129, 2135; zur Ultra-vires-Lehre bei öffentlichrechtlichen Kreditinstituten Uwe H. Schneider/Burghard in FS Claussen, 1997, S. 499 ff. 35 BT-Drucks. 12/6679, S. 64. 36 v. Olenhusen, Börsen und Kartellrecht, 1983, S. 88.
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Verwaltungsakte erlassen, ohne dass es einer der Vorschrift in § 15 Abs. 3 BörsG vergleichbaren Bestimmung bedurft hätte. Deshalb ist zu betonen, dass „Vertretung“ ein Rechtsbegriff ist, der zum Recht der Willenserklärungen hinführt. Mithin wird in den Materialien zum 4. Finanzmarktförderungsgesetz ganz richtig davon gesprochen, „rechtsgeschäftlich“ werde der Börsengeschäftsführer im Namen der Börse tätig37. Willenserklärungen sind im Recht auf die Begründung, Veränderung oder Beendigung rechtlicher Verhältnisse gerichtet. Rechtliche Verhältnisse existieren im Bereich des Privatrechts in zwei Formen. Es gibt – klammert man einmal die organisationsrechtlichen Verhältnisse und ähnliches aus – personenrechtliche und vermögensrechtliche Verhältnisse38. Die letztgenannten Rechtsverhältnisse sind wiederum entweder dinglicher oder schuldrechtlicher Art39. In diese begriffliche Einteilung können die verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisse, zu denen auch die Benutzungsverhältnisse zählen, miteinbezogen werden. In personenrechtliche Verhältnisse (Ehe, Eltern-Kind-Verhältnis u.Ä.) kann ein Rechtssubjekt, dass keine natürliche Person ist, nicht eingebunden sein. Mithin bedeutet die aus § 15 BörsG erschließbare Teilrechtsfähigkeit der Börse, dass sie an vermögensrechtlichen Verhältnissen, mindestens an solchen in öffentlichrechtlichem Kleid, beteiligt sein kann. Zu diesen Verhältnissen sind auch die zwischen ihr und den Börsennutzern bestehenden öffentlichrechtlichen Benutzungsverhältnisse zu zählen, aus denen ungeachtet ihrer öffentlichrechtlichen Einkleidung wie bei ihren Pendants des privaten Schuldrechts vermögenswerte Rechte entstehen. Diesem Ergebnis steht die Intention der Gesetzesverfasser, es zu verhindern, dass durch eine Anerkennung der Rechtsund Vermögensfähigkeit der Börse die Aufgabenverteilung zwischen Börse und Börsenträger verschoben wird, nicht entgegen. Zwar hat der Gesetzgeber diese Intention immer wieder hervorgehoben. Hierher gehört die Schaffung der Vorschrift in § 15 Abs. 3 Satz 1 BörsG, nach welcher die Geschäftsführer die Börse nur vertreten dürfen, „soweit nicht der Träger der Börse zuständig ist“. Zu nennen ist an dieser Stelle zudem die Gegenäußerung der Bundesregierung zu dem Vorschlag des Bundesrates zum 4. Finanzmarktförderungsgesetz, der Börsengeschäftsführung die Führung der Geschäfte der Börse „im Rahmen der vom Börsenträger zur Verfügung gestellten Mittel“ zu ermöglichen40, wonach dieser Vorschlag die Trennung der Verantwortungsbereiche zwischen der Börse als unselbständiger Anstalt des öffentlichen Rechts und dem Träger der Börse, der im Rechtsverkehr für die Börse handele, aufhebe41. Die Aufgabenverteilung zwischen Börse und Börsenträger hängt indes bei näherem Hinsehen nur lose mit der Vermögensfähigkeit der Börse zusammen. Vermögensfähigkeit der Börse bedeutet lediglich, dass ihr der Erwerb bestimmter Vermögensgegenstände nicht verschlossen ist, keineswegs aber, dass sie
__________ 37 38 39 40 41
BT-Drucks. 14/8017, S. 149. Ernst Wolf, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 3. Aufl. 1982, § 5 B., S. 249 ff. Ernst Wolf, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 3. Aufl. 1982, § 5 B., S. 254. BT-Drucks. 14/8017, S. 148. BT-Drucks. 14/8017, S. 175.
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diese Gegenstände auch behalten darf. Ist sie etwa verpflichtet, Gebührenforderungen auf den Träger zu übertragen, ist trotz ihrer Vermögensfähigkeit der genannten Aufgabenverteilung genügt. Dass eine Börse Vermögen42 haben kann, bedeutet zudem keineswegs, dass sie ein Vermögen haben muss. Insbesondere lässt sich daraus nicht herleiten, dass ihre Vermögensfähigkeit den Inhalt der Betriebspflicht des Börsenträgers (§ 5 Abs. 1 BörsG) dergestalt prägt, dass der Träger verpflichtet wird, ihr Geld oder andere Vermögensgegenstände zu Eigentum zu übertragen. So ist beispielsweise in § 10 Abs. 1 Satz 1 BörsG, wo von den beim Träger der Börse Beschäftigten die Rede ist, soweit sie für die Börse tätig sind, vorausgesetzt, dass der Träger seine Pflicht, die Börse mit dem erforderlichen Personal auszustatten (§ 5 Abs. 1 Satz 2 BörsG), auch dann erfüllt, wenn er dieses Personal mit der Maßgabe selbst anstellt und entlohnt, dass die angestellten Personen die geschuldeten Dienste bei der Börse ableisten. Seiner Pflicht, der Börse die zur Durchführung des Börsenbetriebs erforderlichen sachlichen Mittel zur Verfügung zu stellen, genügt der Träger schon, wenn er der Börse die betreffenden Gegenstände zur Nutzung überlässt. So ist etwa die Bundesrepublik Deutschland als Trägerin der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht verfahren. Als sie die BaFin als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts errichtete (§ 1 Abs. 1 FinDAG), hat sie ihr das bis dahin von den Bundesaufsichtsämtern genutzte bewegliche Verwaltungsvermögen „zur unentgeltlichen Nutzung überlassen“ (§ 21 Abs. 2 FinDAG). Einer Vollübertragung bedarf es deshalb nicht. Da mithin die Vermögensfähigkeit der Börse die Verteilung der Aufgaben zwischen ihr und dem Träger unberührt lässt, mehren sich auch im neueren Schrifttum Stimmen, die von einer Vermögensfähigkeit der Börse ausgehen. So setzt etwa die Bemerkung von Claussen43, bei der Aufhebung einer Börse falle ihr Vermögen dem Börsenträger zu, die Annahme voraus, die Börse könne ein Vermögen haben44. Das Gleiche gilt für die – im Ergebnis zum Teil unzutreffende – Behauptung von Schwark, die Börse dürfe eingezogene Gebühren für Auslagen und Leistungen verwenden, die sie ihren Nutzern erbracht habe45. Mithin ist nicht nur von einer Teilrechtsfähigkeit, sondern auch von der Vermögensfähigkeit der Börse auszugehen. Folglich ist sie auch in der Lage, Gebührengläubiger zu sein. 4. Zuordnung der Gebührenansprüche Freilich ist damit noch nicht entschieden, ob ihr – und nicht etwa anderen – die Ansprüche auf Gebühren auch wirklich zustehen. Als Gläubiger dieser Ansprüche sind vielmehr drei Rechtssubjekte in Betracht zu ziehen: Das Bundesland, das die Börse errichtet hat, der Börsenträger, der die Börse betreibt, und die Börse selbst.
__________ 42 Zu einem Vermögen zählen alle vermögensrechtlichen Verhältnisse eines Rechtssubjekts (vgl. Ernst Wolf, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 3. Aufl. 1982, § 2 H., S. 169). 43 Claussen, Bank- und Börsenrecht, 3. Aufl. 2003, S. 362. 44 Hammen, AG 2004, 163. 45 Schwark, KMRK, § 14 BörsG Rz. 5.
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Dem Bundesland, das die Börse errichtet hat, gebühren die genannten Ansprüche nicht. Nicht das Land, sondern die Börse als teilrechtsfähiges Rechtssubjekt erbringt nämlich diejenigen Leistungen (Zulassung von Handelsteilnehmern und von Emittenten usw.), für die Gebühren zu entrichten sind. Zudem ist das Land auch nicht an den Börsennutzungsverhältnissen mit den Handelsteilnehmern und den Emittenten beteiligt, die den Rechtsgrund für die Erhebung der Gebühren abgeben. Diese Nutzungsverhältnisse können dem Land keineswegs zugerechnet werden, weil der Gesetzgeber zwischen die Börsennutzer und das Land eben die Börse als teilrechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts geschoben hat. Mithin bewirkt die rechtliche Verselbständigung der Börse als mindestens auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, also auch bezüglich der öffentlichrechtlich ausgestalteten Börsennutzungsverhältnisse, teilrechtsfähiges Rechtssubjekt, dass das Bundesland als Gläubiger der Börsengebührenansprüche ausscheidet. Befestigt wird dieses Ergebnis durch die Überlegung, dass das Bundesland, wenn es den Börsenträger mit dem Betrieb der Börse beleiht, sich selbst von der Wahrnehmung der hiermit verbundenen Verwaltungsaufgaben und des hiermit verbundenen wirtschaftlichen Risikos entlastet, weshalb es nicht angehen kann, ihm die aus der Erledigung dieser Aufgaben durch den Beliehenen, den Börsenträger, und durch die im Wege eines gesetzlich weitergeleiteten Auftrags46 tätige Börse erwachsenden Vorteile (Börsengebühren) zukommen zu lassen47. Wendet man sich deshalb der Frage zu, ob der Börsenträger originärer Gebührengläubiger ist, kann zunächst festgehalten werden, dass die Gebühren- und Haushaltsgesetze der betreffenden Bundesländer nicht weiterhelfen. Während § 10 hess. VerwaltungskostenG als Kosten“gläubiger“ einer Gebührenforderung den Rechtsträger bestimmt, dessen Behörde eine kostenpflichtige Amtshandlung vornimmt, enthält das bad.-württ. LandesgebührenG lediglich eine Definition des Gebührenschuldners (§ 4) sowie die Bestimmung, dass diejenige Behörde die Gebühr festsetzt, die die Amtshandlung vornimmt (§ 12). Die Haushaltsgesetze schweigen sich zur Gebührengläubigerschaft vollständig aus. Gegen eine originäre Gläubigerstellung des Börsenträgers spricht, dass es ihm anders als der Börse (§§ 17 BörsG, 12 bad.-württ. LandesgebührenG) an einer nach der Verfassungsordnung aber erforderlichen48 gesetzlichen Ermächtigung, Gebühren zu erheben, mangelt49. Wollte man dem Träger die Gebührenforderungen originär zuweisen, käme es zudem zu einer untunlichen Zweiteilung von Zuständigkeiten. Es hätte dann der Träger die Forderungen inne, über ihre Entstehung und über ihre Höhe würde indes der Börsenrat, ein Organ der Börse (§ 3 Abs. 1 Satz 2 BörsG), in der Gebührenordnung entscheiden. Käme es einmal zu einer Gebührensenkung, müsste die Frage gestellt werden, ob ein sol-
__________ 46 Hammen in FS Schwark, 2009, S. 389, 394 f.; ähnlich Kümpel/Hammen, Börsenrecht, 2. Aufl. 2003, S. 94 f.: „Substitution“; J. Schäfer in Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2009, S. 183; skeptisch gegenüber solchen „Analogisierungen“ Burgi, WM 2009, 2337, 2341. 47 Vgl. Burgi, WM 2009, 2337, 2341. 48 Schwark, KMRK, § 14 BörsG Rz. 1. 49 Schwark, KMRK, § 14 BörsG Rz. 5.
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cher Beschluss eine Auswirkung des Selbstverwaltungsrechts der Börse und damit rechtmäßig oder ein Beschluss zu Lasten eines Dritten50 und damit möglicherweise rechtswidrig ist. Solche Gebührensenkungen sind keineswegs bloß theoretisch vorstellbar. Vielmehr wurde etwa nach § 2 Abs. 1 Buchst. a) der Gebührenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse in der im Jahre 2000 geltenden Fassung für Unternehmen, die ausschließlich zur Teilnahme am elektronischen Handelssystem zugelassen waren, anders als für Unternehmen, die am Präsenzhandel teilnahmen, keine Festgebühr erhoben. Schließlich ist zu gewichten, dass die Gebühren die Gegenleistung der Börsenbenutzer für die ihnen erbrachten und in § 17 Abs. 1 Nr. 1–7 BörsG beschriebenen Leistungen der Börse sind51 und deshalb die andere Seite des öffentlichrechtlichen Benutzungsverhältnisses darstellen52. Deshalb gehen Äußerungen53 fehl, die Börsengebühren stünden dem Börsenträger zu, weil sie das Entgelt für die Benutzung der gesamten Börseneinrichtung darstellten, die der Träger zu Verfügung gestellt habe. Zwischen dem Träger und den Nutzern der Börse besteht nämlich kein Nutzungsverhältnis, das einen öffentlichrechtlichen Anspruch auf Gebühren hervorbringen könnte. Hiervon ist die hier nicht zu behandelnde Frage zu unterscheiden, ob die Börse die bei ihr entstandenen Gebührenforderungen aufgrund des durch die Börsenerlaubnis zwischen dem Bundesland und dem Börsenträger entstandenen und auf sie weitergeleiteten öffentlichen Auftragsverhältnisses nach § 667 Alt. 2 BGB analog auf den Träger überleiten muss. Da an dem öffentlichrechtlichen Austauschverhältnis, nämlich dem börsenrechtlichen Nutzungsverhältnis mit den Handelsteilnehmern und den Emittenten auch nicht der Träger, sondern die Börse selbst beteiligt ist, ist die Börse die originäre Herrin über die Gebührenforderungen54. Als solche hat sie zwar, da die Börsengebührenansprüche ungeachtet ihres öffentlichrechtlichen Charakters auf Private übertragen werden können, die Möglichkeit, diese Forderungen in der Gebührenordnung oder durch einen öffentlichrechtlichen Vertrag mit den Börsenbenutzern zugunsten des Börsenträgers auf diesen zu verlagern. Diese Zuweisungsbefugnisse setzen ihre originäre Kompetenz indes voraus. Hiervon ist die Frage zu unterscheiden, ob der Börsenträger solche Forderungen stets derivativ erwirbt oder ob es auch einen unmittelbaren Erwerb, also einen solchen ohne einen Durchgangserwerb der Börse geben kann. Diese Frage ist im Grundsatz zu bejahen. Ein solcher Erwerb ist beispielsweise möglich, wenn die Börse die Benutzungsverhältnisse durch einen öffentlichrechtlichen Vertrag begründet. Denn ein öffentlichrechtlicher Vertrag kann anders als ein Verwaltungsakt mit drittbegünstigender Wirkung ausgestattet werden (§ 62 Satz 2 VwVfG i. V. m. §§ 328 ff. BGB)55 und solche Verträge lassen das zugewendete
__________ 50 Zu gesellschaftsrechtlichen Beschlüssen zugunsten Dritter vgl. Hammen, WM 1994, 765, 772. 51 v. Olenhusen, Börsen und Kartellrecht, 1983, S. 87. 52 Schwark, KMRK, § 14 BörsG Rz. 5. 53 Lenenbach, Kapitalmarkt- und Börsenrecht, 2002, S. 104. 54 Schwark, KMRK, § 14 BörsG Rz. 5. 55 Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 58 Rz. 24; Gottwald in MünchKomm. BGB, Bd. 2 a, 4. Aufl. 2003, § 328 Rz. 5.
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Recht „unmittelbar“ bei dem Dritten entstehen56. Selbstredend ist auch an eine „cessio legis“ in der Gebührenordnung zu denken.
IV. Eigentumsrechtsfähigkeit der Börse Steht also fest, dass die Börse selbst im Ausgangspunkt die Gläubigerin der öffentlichrechtlichen Börsengebührenforderungen und der Ansprüche auf die Ordnungsgelder, mithin öffentlichrechtlich rechtsfähig ist, kann nun gezeigt werden, dass sich aus dieser Gläubigerschaft ein Stück Zivilrechtsfähigkeit der Börse herleiten lässt. Ausgangspunkt dieser Ableitung ist der Umstand, dass die vorstehend angeführten Ansprüche solche sind, die auf die Zahlung von Geld gerichtet, also Geldforderungen sind. Geldforderungen muss der Schuldner – und hierfür ist es gleichgültig, ob man Geldschulden als Gattungsschulden oder als Wertverschaffungsschulden begreift57 –, soweit keine anderslautenden Abmachungen existieren, mit gesetzlichen Zahlungsmitteln erfüllen. Nach Art. 10 Satz 2, 11 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 974/98 sind gesetzliche Zahlungsmittel die von der EZB in Umlauf gesetzten, auf Euro lautenden Banknoten und die von den teilnehmenden Mitgliedstaaten ausgegebenen Münzen, die auf Euro und Cent lauten. Dabei muss der Gläubiger gemäß Art. 11 Satz 3 dieser Verordnung bei einzelnen Zahlungen nicht mehr als fünfzig Münzen, Banknoten hingegen – wie aus einem Umkehrschluss aus dieser Vorschrift folgt – unbegrenzt annehmen. Umgekehrt hat der Gläubiger mangels entgegenstehender Vereinbarung ein Recht auf Erfüllung seiner Geldschuld mittels dieser gesetzlichen Zahlungsmittel58. Mithin gehört die Erfüllung mit Euro-Geldzeichen zum gesetzlichen Schuldinhalt von Geldforderungen, auch zum Inhalt der Gebührenansprüche der Börse. Mit solchen Geldzeichen wird erfüllt, indem die Banknoten und Münzen nach dem Recht der beweglichen Sachen (vgl. § 935 Abs. 2 BGB) an den Gläubiger übereignet werden59. Dieses ist ein zivilrechtlicher Vorgang bezüglich eines privatrechtlichen Rechts, nämlich des Eigentums der Gebührenschuldner an den betreffenden Geldscheinen und -münzen, ohne dass dabei, weil der neue Eigentümer ein öffentlichrechtliches Rechtssubjekt ist oder weil es um die Erfüllung eines öffentlichrechtlichen Anspruchs geht, aus dem zivilrechtlichen Eigentum etwas Öffentlichrechtliches wird. Wäre nun die Börse vollständig zivilrechtsunfähig, wären ihre Ansprüche auf die Gebühren und Ordnungsgelder, da sie ja dann kein Eigentum als privates subjektives Recht erwerben könnte, auf eine unmögliche Leistung gerichtet und damit nach der Vorschrift in § 275 Abs. 1 BGB, die im Recht der verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisse entsprechend gilt60, von vorneherein ausgeschlossen. Mithin hätte der Gesetzgeber in § 17 BörsG die Entstehung
__________ 56 Vgl. Hadding in Soergel, BGB, 12. Aufl. 1990, vor § 328 Rz. 7 f., § 328 Rz. 36. 57 Hierzu K. Schmidt in Staudinger, BGB, 13. Bearb. 1997, § 244 Rz. C 7; Hammen, Die Gattungshandlungsschulden, 1995, S. 13 ff. 58 K. Schmidt in Staudinger, BGB, § 244 Rz. C 37. 59 K. Schmidt in Staudinger, BGB, § 244 Rz. C 37. 60 Vgl. de Wall, Die Anwendbarkeit privatrechtlicher Vorschriften im Verwaltungsrecht, 1999, S. 359 ff., 380.
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von Ansprüchen vorgesehen, die es gar nicht geben könnte. Etwas derartig Widersinniges regeln zu wollen darf dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden. Mithin müssen die Vorschriften in §§ 17, 22 BörsG, 13 Abs. 6 Satz 2 bad.württ. Sanktionsausschussverordnung, 32 Abs. 5 Satz 2 hess. Börsenverordnung, die den Börsen Ansprüche auf Gebühren aus den Börsennutzungsverhältnissen mit den Handelsteilnehmern und den Emittenten und auf Ordnungsgelder einräumen, die gegen Börsennutzer verhängt worden sind, so verstanden werden, dass sie den Börsen in der Form einer stillschweigenden Annexregelung die Fähigkeit verleihen, die ihnen geschuldete Leistung entgegennehmen, also Eigentum an beweglichen Sachen erwerben und das heißt zugleich: haben zu können. Hiernach ist die in § 2 Abs. 1 BörsG geregelte Teilrechtsfähigkeit der Börse folglich mindestens zivilrechtliche Eigentumsfähigkeit. Damit geht, da jede Übereignung beweglicher Sachen, auch diejenige von Geldzeichen, im Grundsatz eine Besitzübergabe erfordert (§ 929 Satz. 1 BGB), einher, dass die Börse fähig ist, mittels ihrer Organe61 Besitz und damit, zumal wenn dieser Besitz ein rechtmäßiger ist62, ein weiteres privatrechtliches (absolutes) Recht zu haben. Hiermit ist erwiesen, dass die Börse wenigstens in Teilen sachenrechtsfähig, mithin insoweit auch (teil-)privatrechtsfähig ist.
__________ 61 Vgl. Bassenge in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 854 Rz. 13. 62 Spickhoff in Soergel, BGB, Bd. 12, 13. Aufl. 2005, § 823 Rz. 98; Ernst Wolf, Lehrbuch des Sachenrechts, 2. Aufl. 1979, § 2 A., S. 43 ff., 47 f.; ders., Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band: Besonderer Teil, 1978, § 20 B., S. 513.
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Der nicht nachzuzahlende Vorzug und die rückzahlbare Aktie Inhaltsübersicht I. Einführung II. Kumulative und nicht kumulative Vorzugsaktien 1. Nachzuzahlender und nicht nachzuzahlender Gewinnvorzug im Aktienrecht 2. Bankaufsichtsrechtliche Benachteiligung des nachzuzahlenden Vorzugs 3. Vorschlag zur Zulassung von nicht kumulativen Vorzugsaktien im Aktienrecht
2. Zum Begriff der rückerwerbbaren bzw. rückzahlbaren Aktie 3. Merkmale der rückerwerbbaren Aktie 4. Ähnlichkeit der rückzahlbaren Aktie mit der Zwangseinziehung nach § 237 Abs. 1 Satz 2 AktG 5. Aufsichtsrechtliche Behandlung der rückerwerbbaren Aktie 6. Vorschläge zur Einführung der rückerwerbbaren Aktie in das Aktiengesetz
III. Die rückzahlbare oder rückerwerbbare Aktie 1. Allgemeines
I. Einführung Uwe Schneider hat schon immer aktuelle Entwicklungen oder Ereignisse dazu genutzt, um in kurzen Beiträgen oder Zeitungskommentaren Denkanstöße oder rechtspolitische Forderungen zu artikulieren. Ein Splitter aus der krisengetriebenen Regulierung im Herbst 2008 zur Stabilisierung des Finanzmarktes soll daher der Anlass sein, bisher nicht genutzte Regelungsspielräume im deutschen Recht zur Flexibilisierung und besseren Nutzung insbesondere der Vorzugsaktie als Instrument der Eigenkapitalbeschaffung näher zu beleuchten1. Im Rahmen der Finanzmarktkrise wurden durch das Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes vom 17.10. 2008 (Finanzmarktstabilisierungsgesetz)2 für Unternehmen des Finanzsektors zeitlich befristete Erleichterungen für die Rekapitalisierung einschließlich der Ausgabe neuer Aktien gegen Einlagen an den neu geschaffenen Finanzmarktstabilisierungsfonds geschaffen. Neben dem Gesetzlich Genehmigten Kapital,
__________ 1 Vgl. auch Schuster, ZGR 2010, 325 ff. mit aktienrechtlichen Vorschlägen zur Erleichterung von Kapital- und Strukturmaßnahmen in der Krise und Sanierung. 2 BGBl. I, S. 1982.
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das nach § 3 Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz3 eine Kapitalerhöhung ohne Zustimmung der Hauptversammlung ermöglicht, und der drastischen Verkürzung der Einberufungsfrist bei Einschaltung der Hauptversammlung4 enthält das Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz in § 5 Abs. 1 Satz 3 auch die weitgehend unbeachtet gebliebene Möglichkeit, Vorzugsaktien ohne Stimmrecht auszugeben, bei denen der Vorzug nicht nachzahlbar ist. Diese Regelung ist bemerkenswert, da nach § 139 Abs. 1 AktG Vorzugsaktien zwingend mit einem nachzahlbaren Gewinnvorzug ausgestattet werden müssen5, bankaufsichtsrechtlich nach dem Gesetz über das Kreditwesen Aktien mit einem nachzuzahlenden Vorzug aber nicht als Kernkapital anerkannt sind6. Insoweit hat das Finanzmarktstabilisierungsgesetz eine gewisse Inkonsistenz zwischen dem Aktiengesetz und dem Bankaufsichtsrecht aufgedeckt bzw. die drängende Frage aufgeworfen, warum nicht generell Vorzugsaktien ohne Nachzahlungsrecht zugelassen werden, die bei Kreditinstituten Kernkapital darstellen7. Im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zum Finanzmarktstabilisierungsgesetz wurde am Beispiel der Vorzugsaktie auch die Rückzahlbarkeit im Interesse einer flexiblen, zeitlich befristeten Rekapitalisierung diskutiert. Grundgedanke war die Schaffung einer nicht kumulativen, rückzahlbaren Vorzugsaktie, die in anderen Ländern als non-cumulative redeemable preference share bekannt ist8. Auch in Deutschland gab es nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 27.4.19989 rechtsvergleichende Untersuchungen und Forderungen zur Zulassung von rückerwerbbaren Aktien10. Leider wurde im Finanzmarktstabilisierungsgesetz nur von der Möglichkeit des nicht nachzahlbaren Vorzugs, nicht aber von der Rückzahlbarkeit Gebrauch gemacht; dafür wurden für die Vorzugsaktien weitgehende Sonderregelungen, etwa der Verlust des Vorzugs bei Übertragung der Vorzugsaktien durch den Finanzmarktstabilisierungsfonds an Dritte, geschaffen11. Es verwundert daher nicht, dass unter diesen Sonderregeln des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes keine Vorzugsaktien begeben wurden. Neben der Ausgabe
__________ 3 Art. 2 des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes enthält das Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Fonds „Finanzmarktstabilisierungsfonds-FMS“ (Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz). 4 Vgl. § 7 Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz. 5 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 139 AktG Rz. 9; Bezzenberger in Großkomm.AktG, 4. Aufl., § 139 AktG Rz. 22 ff. 6 Vgl. § 10 Abs. 2a Nr. 2 KWG. 7 Zur Bewertung der Qualifizierung von Vorzugskapital nach § 10 KWG siehe II. 2. 8 Insbesondere in England spielen die cumulative und die non-cumulative redeemable preference shares bei der flexiblen Eigenkapitalbeschaffung eine bedeutende Rolle. 9 BGBl. I, S. 786. 10 Vgl. Habersack in FS Lutter, 2000, S. 1329 ff.; Chamorro Domínguez, AG 2004, 487 ff.; dazu näher unter III. 1. 11 Art. 2, § 5 Abs. 5 Finanzmarktstabilisierungsgesetz.
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von Stammaktien wurde stattdessen die stille Einlage eingesetzt12, die eine flexible Rückzahlung durch die staatlich gestützten Unternehmen des Finanzsektors erlaubt. Unabhängig von den zeitlich befristeten Maßnahmen der Finanzmarktstabilisierung besteht aber Veranlassung, über eine Anpassung der Aktiengattungen an die Eigenkapitalbedürfnisse der Unternehmen insbesondere im Finanzdienstleistungssektor nachzudenken. Zum einen wird nach den Erfahrungen der Finanzmarktkrise die Bedeutung des Nachrangkapitals sinken und die Relevanz des Kernkapitals steigen. Ursächlich hierfür ist zum einen die nachlassende Akzeptanz von nachrangigen Finanzierungsinstrumenten im Kapitalmarkt13; zudem haben die feinen Abstufungen innerhalb des Ergänzungskapitals und selbst innerhalb der Unterkategorien „Upper Tier II“ und „Lower Tier II“ zu einer die Transparenz beeinträchtigenden Komplexität geführt. Zum anderen ist als Folge der Finanzmarktkrise und im Zuge der weiteren Regulierung mit steigenden Eigenkapitalanforderungen und einer anhaltenden, durch die Rechnungslegung begünstigten Volatilität des Eigenkapitalbedarfs zu rechnen. Gerade im Finanzsektor gibt es daher ein Bedürfnis, die Voraussetzungen für die Verstärkung des Kernkapitals zu verbessern. In anderen Ländern gibt es hierfür mit den flexibleren Gestaltungen im Aktienbereich bessere Bedingungen als in Deutschland. Der nicht nachzuzahlende Vorzug und die Möglichkeit einer rückzahlbaren Aktie nach dem Vorbild der redeemable share in anderen Mitgliedsländern der EU sollten daher auf der Prüfliste der nächsten Aktienrechtsnovelle stehen. Im Folgenden sollen die Eckpunkte für eine entsprechende Flexibilisierung näher untersucht werden.
II. Kumulative und nicht kumulative Vorzugsaktien 1. Nachzuzahlender und nicht nachzuzahlender Gewinnvorzug im Aktienrecht Gewinnvorzug bedeutet, dass eine aus dem Bilanzgewinn ausgeschüttete Dividende zunächst vorrangig bis zur Höhe des satzungsmäßig festgelegten Vorzugs auf die bevorrechtigten Aktien gezahlt wird, bevor eine Ausschüttung an die übrigen Aktionäre erfolgen darf14. Nachzahlbar ist ein Gewinnvorzug, wenn eine für ein oder mehrere Geschäftsjahre ganz oder teilweise ausgefallene Vorzugsdividende in den nachfolgenden Geschäftsjahren in voller Höhe des kumulierten Fehlbetrags nachzuzahlen ist, sobald und soweit der Ausschüt-
__________ 12 Ermöglicht wurde dies durch § 15 Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz, der die stille Einlage von der Zustimmung durch die Hauptversammlung freigestellt hat. 13 Dazu beigetragen haben auch die zusätzlichen regulatorischen Beschränkungsmöglichkeiten für die Bedienung von Nachrangkapital in der Krise durch das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und der Versicherungsaufsicht vom 29.7.2009, BGBl. I, S. 2305. 14 Vgl. Hüffer (Fn. 5), § 139 AktG Rz. 6 m. w. N.
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tungsbetrag aus dem Bilanzgewinn dafür ausreicht15. Bei einem nicht kumulativen Vorzug entfällt dieses Recht auf Nachzahlung; der Vorrang besteht hier jeweils nur für die Dividende eines Geschäftsjahres, ohne dass es einen Anspruch auf rückständigen Vorzug gibt. Der Gewinnvorzug ist eine Frage der satzungsmäßigen Bestimmung der Gewinnverteilung nach § 60 Abs. 3 AktG. Üblicherweise wird ein Gewinnvorrecht zwar mit der stimmrechtslosen Vorzugsaktie in Verbindung gebracht, da es nach § 139 Abs. 1 AktG zwingende Voraussetzung für den Ausschluss des Stimmrechts ist. Nach §§ 11 Satz 1, 60 Abs. 3 AktG können aber auch stimmberechtigte Aktien mit einem Gewinnvorrecht ausgestattet werden16, wobei hier der Vorzug als nachzahlbares oder nicht nachzahlbares Recht ausgestaltet werden kann. Dagegen muss für die stimmrechtslose Vorzugsaktie der Gewinnvorzug nach § 139 Abs. 1 AktG zwingend nachzahlbar sein (kumulative Vorzugsaktie). Dies macht deutlich, dass das Nachzahlungsrecht nicht mit dem Gewinnvorzug als solches verknüpft ist, sondern ein Wesensmerkmal der stimmrechtslosen Vorzugsaktie darstellt. Für diese kann es weder der Höhe noch der zeitlichen Dauer nach durch die Satzung beschränkt werden, etwa auf einen bestimmten Höchstbetrag oder auf Rückstände einer bestimmten Anzahl von Jahren17. Dies entspricht bereits der ursprünglichen Regelung über die Vorzugsaktie in §§ 115–117 AktG 1937 und wurde in der Aktienrechtsnovelle 1965 im Wesentlichen unverändert übernommen. In Hinblick auf die aufsichtsrechtliche Qualifizierung von Vorzugskapital könnte noch die Unterscheidung von unselbständigem und selbständigem Nachzahlungsrecht von Interesse sein. Wenn die Satzung nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt, ist das Nachzahlungsrecht unselbständiger Teil des Mitgliedschaftsrechts. Wie der eigentliche Dividendenanspruch kann es erst aufgrund eines wirksamen Gewinnverwendungsbeschlusses als schuldrechtlicher Zahlungsanspruch geltend gemacht werden18. Die Satzung kann nach § 140 Abs. 3 AktG aber auch ein selbständiges Nachzahlungsrecht in Form eines schuldrechtlichen Zahlungsanspruches vorsehen. Dieses selbständige Nachzahlungsrecht kann unabhängig von der Aktie als Forderung übertragen werden und steht nicht zur nachträglichen Disposition der Hauptversammlung. Wichtig ist jedoch, dass auch der selbständige Nachzahlungsanspruch aufschiebend bedingt ist durch einen späteren Beschluss über eine Gewinnverwendung19. Dies bedeutet, dass der Anspruch und eine Bedienung dieses Anspruchs ausnahmslos einen entsprechenden Bilanzgewinn und einen Ausschüttungsbeschluss voraussetzen. Nicht zu verwechseln ist der Gewinnvorzug mit der Mehrdividende. Diese ist kein notwendiger Bestandteil der Vorzugsaktie. In der Praxis der Vorzugsaktie
__________ 15 Hüffer (Fn. 5), § 139 AktG Rz. 9. 16 Bayer in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 60 AktG Rz. 20; Lutter in KölnKomm. AktG, 2. Aufl. 1988, § 60 AktG Rz. 19. 17 Bezzenberger (Fn. 5), § 139 AktG Rz. 25. 18 Bezzenberger (Fn. 5), § 140 AktG Rz. 31. 19 Bezzenberger (Fn. 5), § 140 AktG Rz. 32.
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spielt die zusätzliche Dividendenberechtigung aber wirtschaftlich eine größere Rolle als der Vorrang in der Ausschüttung, wobei die Gestaltungen unterschiedlich sind20. Eine Mehrdividende ist jedoch nicht gleichzeitig ein Vorzug im Sinne des § 139 Abs. 1 AktG21 und ist daher nicht von der Frage der Nachzahlbarkeit betroffen. 2. Bankaufsichtsrechtliche Benachteiligung des nachzuzahlenden Vorzugs Bankaufsichtsrechtlich ist gemäß § 10 Abs. 2a Nr. 2 KWG das mit einem Nachzahlungsrecht ausgestattete Vorzugskapital, obgleich Teil des Grundkapitals, nicht als Kernkapital anerkannt, sondern hat nach § 10 Abs. 2b Nr. 2 KWG nur die mindere Qualität von Ergänzungskapital. Diese gesetzliche Einstufung ist unzutreffend22. Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 2a Nr. 2 KWG gilt als Kernkapital „das eingezahlte Grund- oder Stammkapital ohne die Aktien, die mit einem nachzuzahlenden Vorzug bei der Verteilung des Gewinns ausgestattet sind“. Diese Formulierung indiziert, dass ein Vorzugskapital ohne Nachzahlungsrecht als Kernkapital zu qualifizieren wäre. Das aktienrechtliche Vorzugskapital steht der Gesellschaft jedoch wie das Stammkapital uneingeschränkt und unbefristet zur Verfügung und erfüllt damit die an das Kernkapital zu stellenden Voraussetzungen unabhängig davon, ob der Vorrang mit einem selbständigen oder unselbständigen Nachzahlungsrecht ausgestattet ist. Denn ein Nachzahlungsbetrag kann in jedem Fall nur aus einem Bilanzgewinn ausgeschüttet werden; ohne Bilanzgewinn und Ausschüttungsbeschluss kann eine Auszahlung nicht erfolgen23. Dass die Nachzahlbarkeit die Funktion als Kernkapital nicht beeinträchtigt, wird daher am Beispiel der Auflösung der Gesellschaft bzw. der Insolvenz besonders deutlich. Da nach der Auflösung keine Gewinnverwendung mehr beschlossen werden kann, ist eine Nachzahlung an die Vorzugsaktionäre nicht mehr möglich24. Ferner beschränkt ein nachzahlbarer Gewinnvorzug nicht die Möglichkeit der Verwaltung zur Rücklagenbildung. Selbst die Hauptversammlung wäre trotz eines aufgelaufenen Nachzahlungsbetrags nicht gehindert, im Rahmen der Entscheidung über die Gewinnverwendung gemäß § 58
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20 Die Gewinnverteilung bei der VW AG sieht gemäß § 27 der Satzung i. d. F. Juni 2010 etwa wie folgt aus: Zunächst 11 Cent nachzahlbarer Vorzugsgewinnanteil je Vorzugsaktie, dann bis zu 11 Cent je Stammaktie, zuletzt Verteilung auf Vorzüge und Stämme in der Weise, dass auf den Vorzug eine um 6 Cent höhere Dividende als auf die Stammaktie entfällt. 21 Bezzenberger (Fn. 5), § 139 AktG Rz. 19. 22 In diesem Sinne auch Boos in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, 3. Aufl. 2008, § 10 KWG Rz. 106; Scharpf/Schaber, KWG, 2009, § 10 KWG Rz. 216, die die fehlerhafte Behandlung auf eine undifferenzierte Gleichsetzung mit den preference shares nach angelsächsischem Vorbild zurückführen. 23 Vgl. Bezzenberger (Fn. 5), § 139 AktG Rz. 24. 24 Bezzenberger (Fn. 5), § 139 AktG Rz. 33; selbst bei der Verteilung eines verbleibenden Vermögens unter die Aktionäre nach § 271 AktG kann ein Nachzahlungsbetrag nur berücksichtigt werden, wenn die Satzung dies ausdrücklich in Form eines Liquidationsvorzugs vorsieht, vgl. Kraft in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1996, § 271 AktG Rz. 12.
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Abs. 3 AktG Beträge in Rücklagen einzustellen, sofern damit keine willkürliche Beeinträchtigung der Vorzugsrechte verbunden wäre. Anders als im KWG wird das Vorzugskapital im Versicherungsaufsichtsrecht gemäß § 53c Abs. 3 Satz 1 Nr. 1a VAG auch als Teil des eingezahlten Eigenkapitals ohne Einschränkung anerkannt. Auch für das künftige Aufsichtsregime nach Solvency II ist eine Schlechterstellung nicht erkennbar. Eine Korrektur von § 10 Abs. 2a Nr. 2 und Abs. 2b Nr. 2 KWG ist daher angezeigt, zumal ohne eine solche Richtigstellung für Kreditinstitute die Vorzugsaktie als Instrument der Eigenkapitalverstärkung von vornherein ausscheiden muss. 3. Vorschlag zur Zulassung von nicht kumulativen Vorzugsaktien im Aktienrecht Auch im Aktiengesetz sollte jedoch eine Anpassung vorgenommen werden. Denn zwingende Gründe für das Nachzahlungsrecht bei der stimmrechtslosen Vorzugsaktie gibt es nicht. Aus der Zeit des AktG 1937 findet sich als allgemeine Begründung nur der Gesichtspunkt, dass das Nachzahlungsrecht die Vorzugsdividende langfristig sichern und ausschließen soll, dass die Verwaltungsorgane durch eine entsprechende Gestaltung des Jahresabschlusses bzw. die Aktionäre durch Verweigerung einer Gewinnausschüttung die Zahlung der Vorzugsdividende für ein Geschäftsjahr endgültig verhindern25. Dieses Argument vermag nicht zu überzeugen, da es allgemein für jeden Gewinnvorzug, also auch für eine stimmberechtigte Aktie mit Dividendenvorzug gelten müsste. Zudem gibt es gegen willkürliches Handeln der Verwaltung und auch der Mitaktionäre anderweitige Rechtsmittel wie die Anfechtungsklage. Es sind auch keine Fälle bekannt geworden, in denen bei Vorzugsaktien die nicht durch ein Nachzahlungsrecht geschützte Mehrdividende durch entsprechenden Gewinnverwendungsvorschlag oder Hauptversammlungsbeschluss verhindert wurde. Insbesondere wird die Sicherung der Vorzugsdividende bei der stimmrechtslosen Vorzugsaktie jedoch hinreichend durch das Aufleben des Stimmrechts bei Nichtbedienung des Vorzugs gewährleistet. Letzteres ließe sich noch dadurch verstärken, dass das Stimmrecht bereits auflebt, sobald feststeht, dass der Vorzug in einem Jahr nicht vollständig bedient wird. Das europäische Recht steht der Zulassung eines nicht nachzuzahlenden Vorzugs nicht im Wege. Stimmrechtslose Vorzugsaktien sind bisher nur Gegenstand des Entwurfs der sogenannten Strukturrichtlinie26. Auch wenn der entsprechende Wortlaut in Art. 33 Abs. 2 Satz 3 des Richtlinienentwurfs etwas indifferent ist27, wird dort ein Nachzahlungsrecht nicht zwingend vorgegeben. Gegen eine Flexibilisierung der stimmrechtslosen Vorzugsaktie gibt es daher keine stichhaltigen Argumente28. Die nicht kumulative stimmrechtslose
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25 Vgl. Bezzenberger (Fn. 5), § 139 AktG Rz. 22 m. w. N. 26 Dritter geänderter Vorschlag einer fünften Richtlinie vom 20.11.1991, abgedruckt bei Lutter, ZGR-Sonderheft 1, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl. 1996, S. 176 ff. 27 Auf dem Weg zur Verabschiedung der fünften Richtlinie sollte insoweit ein eindeutiger Wortlaut gefunden werden. 28 So auch Otto, WM 2010, 2013.
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Vorzugsaktie ließe sich auch systematisch unschwer mit folgenden Änderungen in die §§ 139, 140 AktG einfügen. § 139 Abs. 1 AktG-E (1) Für Aktien, die mit einem nachzuzahlenden oder nicht nachzuzahlenden29 Vorzug bei der Verteilung des Gewinns ausgestattet sind, kann das Stimmrecht ausgeschlossen werden (Vorzugsaktien ohne Stimmrecht). § 140 Abs. 2 und 3 AktG-E (2) Wird der Vorzugsbetrag in einem Jahr nicht oder nicht vollständig gezahlt, so haben die Vorzugsaktionäre das Stimmrecht. Bei einem nachzuzahlenden Vorzug behalten die Vorzugsaktionäre das Stimmrecht, bis die Rückstände nachgezahlt sind. Bei einem nicht nachzuzahlenden Vorzug behalten die Vorzugsaktionäre das Stimmrecht, bis der Vorzugsbetrag in einem Jahr vollständig gezahlt wird. Im Falle eines Stimmrechts sind die Vorzugsaktien auch bei der Berechnung einer nach Gesetz oder Satzung erforderlichen Kapitalmehrheit zu berücksichtigen. (3) Soweit die Satzung nichts anderes bestimmt, entsteht dadurch, dass ein nachzuzahlender derVorzugsbetrag in einem Jahr nicht oder nicht vollständig gezahlt wird, noch kein durch spätere Beschlüsse über die Gewinnverteilung bedingter Anspruch auf den rückständigen Vorzugsbetrag.
Inhaltlich wird durch die Änderung allein das zeitliche Aufleben des Stimmrechts betroffen. Dabei spricht das Interesse an einer einheitlichen Regelung dafür, das Stimmrecht unabhängig von einem Nachzahlungsrecht wie oben vorgeschlagen bereits aufleben zu lassen, sobald feststeht, dass der Vorzugsbetrag für ein Jahr nicht oder nicht vollständig gezahlt wird30, also nicht erst bis zum Folgejahr zu warten. Weniger konsistent wäre die Alternative, die Regelung zum nachzuzahlenden Vorzug gemäß § 140 Abs. 2 Satz 1 AktG unverändert zu lassen und nur für den nicht nachzuzahlenden Vorzug das Stimmrecht früher aufleben zu lassen. Eine weitergehende vereinfachende Lösung könnte schließlich darin bestehen, in § 139 Abs. 1 AktG nur das Wort nachzuzahlenden zu streichen, in § 140 Abs. 2 AktG lediglich den Satz 1 wie oben vorgeschlagen zu ändern und den ohnehin bedeutungslos gebliebenen § 140 Abs. 3 ersatzlos zu streichen. Die Frage der Nachzahlbarkeit bliebe dann der Ausgestaltung des Vorzugs in der Satzung überlassen.
III. Die rückzahlbare oder rückerwerbbare Aktie 1. Allgemeines Die Finanzmarktkrise lenkt die Aufmerksamkeit auch auf die Modalitäten der Rückführung von notwendig gewordenen vorübergehenden Rekapitalisierungen. Interessant ist dies insbesondere für staatlicherseits gezeichnete neue
__________ 29 Änderungen sind kursiv gekennzeichnet. 30 Die Frage, ob das Stimmrecht bereits in der Hauptversammlung auflebt, die den fraglichen Jahresabschluss entgegennimmt bzw. den fraglichen Gewinnverendungsbeschluss fasst, ist dabei nicht neu, sondern stellt sich bereits zum geltenden § 140 Abs. 2 Satz 1 AktG; vgl. hierzu Bezzenberger (Fn. 5), § 140 AktG Rz. 23 f.
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Aktien, die infolge der krisenbedingten Kurseinbrüche bezugsrechtsfrei zu niedrigen Ausgabebeträgen übernommen worden sind31. Die ursprüngliche Rechtsetzung zur Finanzmarktstabilisierung enthält keine speziellen Regelungen zum Übernahme- und Wiederverkaufspreis oder zum Rückkauf bzw. zur Einziehung der an den Stabilisierungsfonds ausgegebenen Anteile. § 5 Abs. 3 Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz sieht für das Gesetzlich Genehmigte Kapital lediglich vor, dass ein dem Börsenkurs entsprechender Ausgabebetrag in jedem Fall angemessen ist und der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats auch einen Ausgabebetrag unterhalb des Börsenkurses festsetzen kann. Ferner bestimmt § 3 Abs. 3 der Finanzmarktstabilisierungsfonds-Verordnung32, dass eine Wiederveräußerung von erworbenen Anteilen am Markt marktschonend erfolgen soll; ein Rückkaufsrecht der Gesellschaft bzw. ein Erwerbsrecht der Altaktionäre ist nicht vorgesehen. Im Interesse eines erleichterten und sicheren Ausstiegs des Staates wird zudem nachlaufend das Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz geändert und das Sonderregime für die übernommenen Beteiligungen auf deren Rückführung, Veräußerung und Umstrukturierung erweitert werden33. Diese Rahmenbedingungen erschweren es, die durch die vorübergehende Rekapitalisierung eingetretene erhebliche Verwässerung der Altaktionäre und das einer marktgerechten Rendite abträgliche hohe Grundkapital im Zuge des Abbaus der staatlichen Beteiligung zu reduzieren. Eine Rückführung des Grundkapitals über einen Erwerb eigener Aktien zum Zwecke der Einziehung nach §§ 71 Abs. 1 Nr. 6 oder Nr. 8, 237 AktG wäre zum Beispiel nur auf Basis des höheren Kursniveaus eines entsprechend wiedererstarkten Unternehmens möglich. Demgegenüber könnte gerade in einer solchen Situation das bisher im deutschen Aktienrecht nicht zugelassene Instrument der rückzahlbaren bzw. rückerwerbbaren Aktie aufgrund der größeren Flexibilität erhebliche Vorteile bieten. Ein Plädoyer für die Einführung der rückerwerbbaren Aktie hat es bereits früher gegeben. In der Literatur34 sind dabei hinreichend rechtsvergleichende Betrachtungen, insbesondere nach Einführung der rückerwerbbaren Aktie in das spanische Gesellschaftsrecht, angestellt und die europäischen Rahmenbedingungen in Form der Kapitalrichtlinie35 analysiert worden. Im Jahre 2001 hat sich auch die Regierungskommission „Corporate Governance“ (sog. Baums-
__________ 31 So wurden 2009 von dem Finanzmarktstabilisierungsfonds ca. Stück 295 Mio. neue Stammaktien (entspricht 25 % und einer Aktie) der Commerzbank AG zu einem Ausgabepreis von 6,– Euro je Aktie übernommen. 32 Verordnung zur Durchführung des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes vom 20.10.2008 (eBAnz AT 123 2008 V1). 33 Vgl. Artikel 6 des Referentenentwurfes eines Gesetzes zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten, zur Errichtung eines Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute und zur Verlängerung der Verjährungsfrist der aktienrechtlichen Organhaftung (Restrukturierungsgesetz). 34 Habersack (Fn. 10); Chamorro Domínguez (Fn. 10); Grechenig/Lembeck/Oelkers, ZfRV 2004, 143 ff.; vgl. auch Escher-Weingart/Kübler, ZHR 162 (1998), 537, 559. 35 Richtlinie 77/91/EWG v. 13.12.1976.
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Kommission) ausdrücklich für die Zulassung rückerwerbbarer Aktien nach Maßgabe der Vorschriften des Art. 39 der Kapitalrichtlinie ausgesprochen und hierfür nach dem Vorbild des § 139 Abs. 2 AktG eine Höchstgrenze von 50 % des Grundkapitals vorgeschlagen36. Die Reaktionen auf diesen Vorschlag waren grundsätzlich positiv37; Bedenken wurden allein im Hinblick auf das zulässige Volumen von 50 % geäußert und eine Orientierung an der 10 %Grenze des § 71 Abs. 2 Satz 1 AktG empfohlen. Von Seiten des Gesetzgebers wurde der Vorschlag hingegen, ohne dass hierzu eine Diskussion geführt wurde, nicht aufgegriffen, obgleich andere Mitgliedstaaten wie z. B. Spanien die rückerwerbbare Aktie auf Basis von Art. 39 Kapitalrichtlinie eingeführt bzw. modifiziert hatten. Ein Grund hierfür mag die Tatsache gewesen sein, dass das Instrument der rückzahlbaren Aktie aus dem angelsächsischen Rechtskreis stammt und dem deutschen Aktienrecht fremd war38. Ferner wird die Überlegung eine Rolle gespielt haben, dass mit der 1998 deutlich erweiterten Regelung zum Erwerb eigener Aktien39 und den Bestimmungen zur vereinfachten Einziehung von Aktien ein ausreichendes Instrumentarium zur Verfügung steht und eine weitergehende Flexibilisierung zulasten der Sicherheit der Kapitalerhaltung und des Gläubigerschutzes gehen könnte. Die bereits an anderer Stelle40 gegebenen Darstellungen der rückerwerbbaren Aktien in anderen Rechtsordnungen (insb. UK, Spanien und USA) sollen an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Hinzuweisen ist aber auf die Tatsache, dass es sich bei der rückzahlbaren Aktie nicht nur um eine rechtstheoretische Fragestellung handelt, sondern dieser Aktienform in der Unternehmenspraxis erhebliche Bedeutung zukommt. So kann, abhängig von der konkreten Ausgestaltung, auch eine obligationsähnliche redeemable preference share für Kreditinstitute Kernkapital darstellen41, das etwa bei einer markanten Veränderung des Zinsumfeldes nach Entscheidung des Unternehmens unter gleichzeitiger Ausgabe neuer marktgerecht verzinster Vorzugsaktien zurückgezahlt werden kann. Auch in der Finanzmarktkrise wurde die rückzahlbare Vorzugsaktie in anderen Ländern für die erste schnelle Rekapitalisierung eingesetzt42. Im Folgenden sollen daher kurz die wesentlichen Merkmale der rückerwerbbaren Aktie, auch im Vergleich zum Erwerb eigener Aktien und der Einziehung, veranschaulicht werden. In einem weiteren Schritt gilt es dann, die be-
__________ 36 Vgl. Baums, Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 235. 37 Vgl. z. B. die Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins Nr. 13/03 vom März 2003, S. 58. 38 Die Regelungen zur rückerwerbbaren Aktie in Art. 39 Kapitalrichtlinie wurden auf Initiative von Großbritannien aufgenommen, vgl. Chamorro Domínguez (Fn. 10), 489. 39 § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG, eingefügt durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) vom 27.4.1998, BGBl. I, S. 786. 40 Vgl. Habersack (Fn. 10); Chamorro Domínguez (Fn. 10); Grechenig/Lembeck/ Oelkers (Fn. 34). 41 Anschaulich für die Eigenkapitalqualifizierung z. B. Bekanntmachung der Royal Bank of Scotland Group PLC v. 20.10.2009, http://www.investors.rbs.com/news/release detail.cfm?ReleaseID=416815. 42 Z. B. bei der Royal Bank of Scotland Group PLC, vgl. Annual Report 2009.
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reits von Habersack43 angestellten Überlegungen zur Einführung der rückerwerbbaren Aktie in das Aktiengesetz weiter zu konkretisieren. 2. Zum Begriff der rückerwerbbaren bzw. rückzahlbaren Aktie In Deutschland wird in Übereinstimmung mit der deutschen Fassung von Art. 39 der Kapitalrichtlinie von rückerwerbbarer Aktie gesprochen, was für die technische Abwicklung einen zivilrechtlichen Rückkauf unterstellt44. Dagegen ist der im angelsächsische Rechtskreis übliche und auch in der englischen Fassung der Kapitalmarktrichtlinie verwandte Terminus redeemable share in seiner Bedeutung unspezifischer und kann auch im Sinne von tilgbar oder rückzahlbar verstanden werden. Dies entsprach auch der ursprünglichen Rechtstechnik etwa im englischen Gesellschaftsrecht. Gemäß Section 160 (4) Companies Act 1985 wurden die rückgezahlten Anteile automatisch als eingezogen betrachtet45. Damit könnte man auch von befristeten, kündbaren oder rückzahlbaren Aktien sprechen. Allerdings wurde auch die englische Regelung im Jahre 2003 dahingehend gelockert, dass börsennotierte Unternehmen die entsprechenden Aktien alternativ als eigene Aktien (treasury shares) halten können46. Dieses auch in anderen Ländern bekannte Wahlrecht spricht dafür, grundsätzlich von einem Rückerwerb der Aktie auszugehen und hiervon den Vorgang der Einziehung zu trennen. Ungeachtet dessen werden im Folgenden die Begriffe rückerwerbbare Aktie und rückzahlbare Aktie synonym verwandt. 3. Merkmale der rückerwerbbaren Aktie Die wichtigsten Wesensmerkmale der rückerwerbbaren Aktie lassen sich am besten im Vergleich mit dem Erwerb eigener Aktien darstellen. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass bei der rückzahlbaren Aktie der Rückerwerb bereits in der satzungsmäßigen Grundlage bzw. spätestens bei Aktienausgabe determiniert wird. In den meisten Fällen wird dabei der Gesellschaft das einseitige Recht eingeräumt, die Aktie zu einem bestimmten Zeitpunkt oder nach einer bestimmten Zeitperiode zurückzukaufen. Möglich ist aber auch, dem Aktionär das Entscheidungsrecht zur Rückzahlung einzuräumen oder von Anfang an einen festen Rückzahlungszeitpunkt zu fixieren. Anders als beim Erwerb eigener Aktien nach § 71 AktG kann somit der Rückerwerb je nach Ausgestaltung auch gegen den Willen des Aktionärs bzw. gegen den Willen der Gesellschaft erfolgen.
__________ 43 Habersack (Fn. 10), S. 1338 ff. 44 So ohne weiteres etwa Habersack (Fn. 10), S. 1332. 45 Sec. 160 (4) Companies Act 1985: „Shares redeemed under this section shall be treated as cancelled upon redemption, and the amount of the company’s issued share capital shall be diminished by the nominal value of those shares accordingly …“. 46 Vgl. Grechenig/Lembeck/Oelkers (Fn. 34), 146.
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Zum anderen werden auch die Konditionen des Rückerwerbs bereits in der satzungsmäßigen Grundlage festgelegt47. Entscheidend ist dies für die Höhe des Rückzahlungsbetrages48. In bestimmten Finanzierungssituationen hat dies für die Gesellschaft den großen Vorteil, dass bereits bei Ausgabe der Aktien die späteren Kosten des Rückerwerbs bzw. der Einziehung und die Auswirkungen auf die Eigenmittelausstattung bekannt sind. Für den Investor kann andererseits die Variante einer Put-Option den Vorteil einer verlässlichen Rendite und Investitionsdauer bis hin zu einer obligationsähnlichen Ausgestaltung bieten. Dem gegenüber ist die Gesellschaft beim Erwerb eigener Aktien an den Börsenkurs gebunden, was insbesondere in einer – im Aktienkurs meist vorweg genommenen – Erholungsphase nach einer Rekapitalisierung sehr teuer bzw. nicht darstellbar sein kann. Der Rückerwerb bzw. die Rückzahlung der Aktien bedarf als solcher keiner Mitwirkung der Hauptversammlung, sondern ist bereits durch die satzungsmäßige Grundlage zur Aktienausgabe gedeckt und wird, sofern die Gesellschaft das Call-Recht hat, von der Geschäftsleitung entschieden. Auch beim Erwerb eigener Aktien kann nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 6 AktG die Hauptversammlung den Vorstand ermächtigen, die auf Basis der Ermächtigung erworbenen eigenen Aktien ohne weiteren Hauptversammlungsbeschluss einzuziehen, so dass der Vorstand auch über den Einziehungsakt entscheidet49. Allerdings setzt dies nach § 71 Abs. 2 Satz 2 AktG frei verfügbare Mittel in Höhe der Erwerbskosten voraus. Ohne Einhaltung dieser Kapitalgrenze ist ein Erwerb eigener Aktien zur Einziehung nur in Durchführung eines Einziehungsbeschlusses der Hauptversammlung möglich (§ 71 Abs. 1 Nr. 3 AktG). Interessant ist die Frage, aus welchen Mitteln der bereits bei Aktienausgabe determinierte Rückerwerb finanziert werden kann. Dies berührt unmittelbar die Frage des Gläubigerschutzes und ist insbesondere für die Fälle relevant, in denen dem Aktionär ein Put-Recht eingeräumt oder eine Rückzahlung definitiv und ohne Rücksicht auf die Finanzlage der Gesellschaft im Zeitpunkt der Rückzahlung festgelegt worden ist. Die Risikovorstellung, dass bei Rückerwerb keine ausreichenden freien Mittel vorhanden sind und die Aufwendungen letztlich nur zulasten des gebundenen Vermögens getragen werden können, löst Unwohlsein und wahrscheinlich auch Vorbehalte gegen eine rückzahlbare Aktie aus. Die Antwort fällt für die einzelnen Rechtsordnungen unterschiedlich und zum Teil nicht eindeutig aus. Für das nordamerikanische Recht wird darauf hingewiesen, dass der Einzug auch zu Lasten von gebundenem Kapital erfolgen kann, solange dies nicht zur Insolvenz der Gesellschaft führt; in England soll ein Einzug auf Kosten des Kapitals unter engen Voraussetzungen nur für die private companies möglich sein50. Von Habersack werden die europäischen Vorgaben von Art. 39 Kapitalrichtlinie dahingehend in-
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47 Nach Art. 39 lit. c Kapitalrichtlinie sind „die Bedingungen und die Durchführung des Rückerwerbs in der Satzung festzulegen“. 48 Vgl. dazu näher unter III. 6. 49 Vgl. Hüffer (Fn. 5), § 71 AktG Rz. 19n. 50 Chamorro Domínguez (Fn. 10), 488; zur englischen Regelung näher Grechenig/ Lembeck/Oelkers (Fn. 34), 144.
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terpretiert, dass der Rückerwerb mit ausschüttungsfähigen Mitteln im Sinne von Art. 15 der Richtlinie, also aus Gewinn oder freien Gewinnrücklagen, oder alternativ aus den Erlösen einer zu diesem Zweck erfolgenden Ausgabe neuer Aktien zu erfolgen hat51. Dementsprechend geht er von einem Leistungsverweigerungsrecht der Gesellschaft bzw. einer Anwendbarkeit von § 71 Abs. 4 AktG für den Fall aus, dass in Ermangelung freier Mittel ein Rückerwerb ausscheidet52. Meines Erachtens ist weitergehend zu differenzieren. Sollen rückerworbene Aktien als eigene Aktien gehalten werden, kann der Rückerwerb nicht aus gebundenem Vermögen erfolgen. Dies ergibt sich aus Art. 15 Kapitalrichtlinie. Ist mit dem Rückerwerb jedoch unmittelbar eine Einziehung der Aktien und damit eine Kapitalherabsetzung verbunden, kann der Rückerwerb im Ergebnis zulasten des gebundenen Vermögens erfolgen. In diesem Fall sind jedoch die gläubigerschützenden Vorschriften einer Kapitalherabsetzung zu beachten. Die Kapitalerhaltung tritt dann hinter die Sonderregeln einer Kapitalherabsetzung zurück. Die Kapitalrichtlinie steht diesem Konzept nicht entgegen, da Art. 39 der Richtlinie die Aktieneinziehung im Wege einer ordentlichen Kapitalherabsetzung nicht erfasst. Zudem zeigt der Wortlaut des Art. 39 lit. g Kapitalrichtlinie trotz aller Unschärfe, dass für ein den Nennwert übersteigendes Entgelt eine weitere (gebundene) Rücklage verwandt werden darf, die etwa auch zur Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln genutzt werden kann. Es begegnet daher keinen Bedenken, wenn das spanische Gesetz vorsieht, dass rückerworbene Aktien, sofern keine ausschüttbaren Mittel vorhanden sind und die Emission neuer Aktien zur Finanzierung nicht vorgesehen ist, unter Berücksichtigung der Bestimmungen über eine ordentliche Kapitalherabsetzung einzuziehen sind53. 4. Ähnlichkeit der rückzahlbaren Aktie mit der Zwangseinziehung nach § 237 Abs. 1 Satz 2 AktG Auch wenn die rückerwerbbare Aktie üblicherweise mit dem Erwerb eigener Aktien und der vereinfachten Einziehung nach § 237 Abs. 3 AktG verglichen wird, besteht bei näherem Hinsehen die größte Ähnlichkeit mit der angeordneten oder gestatteten Zwangseinziehung im Sinne von § 237 Abs. 1 Satz 2 AktG. Gerade für die Frage kapitalmäßiger Grenzen einer Rückzahlung lassen sich aus diesem Verfahren auch Rückschlüsse ziehen. Nach der Zwangseinziehung könnte eine vorübergehende Rekapitalisierung etwa mit folgendem Verfahren dargestellt werden: Durch eine Satzungsänderung wird der Vorstand zur Ausgabe neuer Aktien ermächtigt, für die – in der satzungsmäßigen Ermächtigung – die Zwangseinziehung gestattet wird. Als Ein-
__________ 51 Habersack (Fn. 10), S. 1342, der allerdings auf die unklare Sonderregelung des Art. 39 lit. g der Richtlinie nicht näher eingeht. 52 Habersack (Fn. 10), S. 1343 f.; a. A. Grechenig/Lembeck/Oelkers (Fn. 34), die von einer Erwerbspflicht und einer Pflicht zur Kapitalherabsetzung ausgehen. 53 Vgl. Grechenig/Lembeck/Oelkers (Fn. 34), 148.
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ziehungsgrund wird die Rückzahlung der Kapitalstützung unter gleichzeitiger Rückführung des Grundkapitals genannt. Das Einziehungsentgelt wird in der Satzung festgelegt, etwa mit 150 % des Ausgabebetrags, ebenso der Zeitpunkt des Rückerwerbs. Bei der gestatteten Zwangseinziehung müsste die Hauptversammlung dann noch einmal über die Vornahme der Einziehung entscheiden. Im Falle der angeordneten Zwangseinziehung würden dagegen die Voraussetzungen der Einziehung bereits satzungsmäßig so konkret festgelegt werden, dass der Vorstand allein über das Vorliegen der Voraussetzungen und damit über die Einziehung entscheiden könnte54. Könnte im Zeitpunkt des Zwangseinzugs das festgelegte Entgelt aus dem Bilanzgewinn oder einer anderen Gewinnrücklage geleistet werden, wäre die erleichterte Einziehung ohne Einhaltung der Vorschriften über die ordentliche Kapitalherabsetzung nach § 237 Abs. 3 AktG möglich. Insofern würde sich das Verfahren mit einem Rückerwerb rückzahlbarer Aktien aus freien Mitteln decken mit dem einzigen Unterschied, dass die rückzahlbare Aktie je nach gesetzlicher Ausgestaltung nicht zu einer Kapitalherabsetzung führen müsste. Für den Vergleich mit der rückzahlbaren Aktie interessanter ist jedoch eine Situation, in der das Einziehungsentgelt eines Zwangseinzugs nicht aus dem Bilanzgewinn oder einer anderen Gewinnrücklage darstellbar ist. In diesem Fall müssten gemäß § 237 Abs. 2 AktG die Vorschriften über die ordentliche Kapitalherabsetzung befolgt werden. Dass dieser Weg möglich ist, wird durch § 237 Abs. 2 Satz 3 AktG bestätigt, der ausdrücklich vorsieht, dass für die Zahlung eines Einziehungsentgelts im Rahmen der ordentlichen Einziehung die Gläubigerschutzvorschrift des § 225 Abs. 2 AktG sinngemäß gilt. Auch in der Rechnungslegung wird der Unterschied zwischen dem Erwerb eigener Aktien und der Zwangseinziehung deutlich. Beim Erwerb eigener Aktien darf ein den Nennwert übersteigender Kaufpreis nur mit frei verfügbaren Rücklagen verrechnet werden und ein bei nicht ausreichenden freien Mitteln entstehender Bilanzverlust nicht durch Entnahmen aus den gebunden Rücklagen nach § 272 Abs. 2 Nr. 1–3 HGB gedeckt werden55. Demgegenüber kann bei der Zwangseinziehung ein durch die Anschaffungskosten entstehender Bilanzverlust im Ergebnis durch die gebundenen Rücklagen gedeckt werden. Dafür sind die Vorschriften der ordentlichen Kapitalherabsetzung einzuhalten. Die in der Bilanz zu verbuchende Verbindlichkeit für die Zahlung an den Aktionär bleibt daher zunächst „gesperrt“ und wird erst nach Erfüllung der Gläubigerschutzregeln fällig56. Durch die Einhaltung der Gläubigerschutzbestimmungen wird allerdings die Abwicklung der Einziehung so erschwert, dass dieses Verfahren für eine marktund aufsichtsgerechte Rückzahlung von Aktien praktisch ausscheiden dürfte. Eine Gesellschaft wird diesen Weg daher nur beschreiten, wenn ihr keine andere Wahl bleibt. Das Beispiel der Zwangseinziehung zeigt jedoch, dass rechtssystematisch ein Erwerb rückzahlbarer Aktien entsprechend § 237 Abs. 2 AktG
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54 Vgl. auch § 237 Abs. 6 AktG; Hüffer (Fn. 5), § 237 AktG Rz. 10. 55 Förschle/Hoffmann in Beck Bil-Komm., 7. Aufl. 2010, § 272 HGB Rz. 133. 56 Förschle/Hoffmann (Fn. 55), § 272 HGB Rz. 75; Hüffer (Fn. 5), § 224 AktG Rz. 7.
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auch dann denkbar ist, wenn dafür keine ausreichenden freien Mittel zur Verfügung stehen. 5. Aufsichtsrechtliche Behandlung der rückerwerbbaren Aktie Eine detaillierte Untersuchung der aufsichtsrechtlichen Fragestellungen von rückzahlbaren Aktien würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Dies gilt insbesondere für die redeemable shares, die in England und den USA durchweg als kumulative oder nicht kumulative Vorzugsaktien begeben werden. Die vielfältigen Gestaltungen dieser preference shares orientieren sich im Finanzsektor an den filigranen aufsichtsrechtlichen Abstufungen der einzelnen Kapitalkategorien, was zu einer hohen Komplexität und auch einer gewissen Unübersichtlichkeit führt. Praxisrelevant ist aber die sozusagen vor der Klammer stehende Grundsatzfrage, ob eine rückerwerbbare Aktie – Stammaktie oder Vorzugsaktie im Sinne des deutschen Aktienrechts – Kernkapital sein kann, oder ob die Rückzahlbarkeit dieser Qualifizierung prinzipiell entgegensteht. Nach dem geltenden Aufsichtsregime des KWG und des VAG wären auch rückerwerbbare Aktien unter der Bedingung einer ausreichenden Laufzeit dem Kernkapital zuzurechnen. Dies folgt etwa aus § 10 Abs. 4 KWG, der die Voraussetzungen nennt, unter denen die Einlagen stiller Gesellschafter zum Kernkapital zählen. Die meisten dieser Anforderungen, wie volle Verlustteilnahme, keine Ausschüttung bei Verlust und keine Besserungsabrede, erfüllt die rückzahlbare Aktie ohne weiteres. Entscheidend ist das Merkmal der sog. Permanenz, d. h. die notwendige Dauerhaftigkeit. Das KWG verlangt hierfür eine Mindestdauer von 5 Jahren, wobei die Anerkennung für die letzten 2 Jahre vor der (möglichen) Fälligkeit entfällt (§ 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 und 4 KWG)57. Eine vorzeitige Rückzahlung ist nur bei einer Ersetzung durch gleichwertige Haftmittel und Zustimmung der Aufsichtsbehörde möglich (§ 10 Abs. 4 Satz 3 KWG). In der Versicherungsaufsicht gelten eher etwas weniger strenge Anforderungen an die Qualität der haftenden Eigenmittel58. Es gibt auch keine so klare und gestufte Klassifizierung der Eigenmittel wie im Bereich der Bankenaufsicht, so dass eine dem § 10 Abs. 4 KWG vergleichbare spezielle Regelung für ein zeitlich befristetes Kernkapital fehlt. Für das volumenmäßig begrenzt anrechenbare Genussrechtskapital gilt jedoch entsprechend der KWG-Systematik ebenfalls die Mindestdauer von 5 Jahren mit der 2-jährigen Karenzzeit vor der (möglichen) Fälligkeit und der Regelung zur vorzeitigen Rückzahlbarkeit (§ 53c Abs. 3a und 3c VAG). Damit würde unter den geltenden deutschen Aufsichtsgrundsätzen die rückzahlbare Aktie als Kernkapital bzw. als unbegrenztes haftendes Eigenkapital anzuerkennen sein, sofern eine Rückzahlung nicht vor Ablauf von 5 Jahren
__________ 57 Beim Nachrangkapital reduziert sich die Anerkennung für die 2 Jahre vor der (möglichen) Fälligkeit auf 40 %, vgl. § 10 Abs. 5a Satz 2 KWG. 58 So kann etwa nach § 53c Abs. 3 Nr. 5a VAG mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde bis zu 50 % des nicht eingezahlten Teils des Grundkapitals zu den haftenden Eigenmitteln gerechnet werden.
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möglich ist; eine vorzeitige Ablösung durch gleichwertiges Haftkapital wäre mit Zustimmung der Aufsicht möglich. Eine vor Ablauf von 5 Jahren fest oder nach Wahl des Aktionärs rückzahlbare Aktie würde das notwendige Permanenzkriterium dagegen nicht erfüllen. Die künftige Bedeutung der rückzahlbaren Aktie im Finanzsektor wird entscheidend davon abhängen, ob sie auch unter den künftigen Aufsichtsregimen nach Basel III und Solvency II als Bestandteil des Kernkapitals eingesetzt werden kann. Nach dem bisherigen Diskussionsstand bestehen dafür gute Aussichten, auch wenn mit Verschärfungen bei der Anerkennung von Finanzierungsinstrumenten als unbeschränkt haftendes Eigenkapital zu rechnen ist59. Es gibt auch keinen Grund, Aktienkapital mit einer ausreichend langen Mindestlaufzeit die Anerkennung als Kernkapital zu versagen. Denn in Hinblick auf Nachrangigkeit, Verlustteilnahme und Ausschüttungsgrenzen erfüllt die Aktie die höchsten Anforderungen an Haftkapital. Das Kriterium der Dauerhaftigkeit kann jedoch auch für das gezeichnete Kapital nicht als zeitlich unbegrenzt verstanden werden. Dies würde zum einen der allgemein anerkannten Notwendigkeit einer Kapitalanpassungsmöglichkeit widersprechen. Zum anderen können aufsichtsrechtliche Anforderungen nicht die allgemeinen Grundsätze des Aktienrechts außer Kraft setzen, etwa die Möglichkeit einer Einziehung von Aktien durch die Hauptversammlung oder das Instrumentarium des Erwerbs eigener Aktien. 6. Vorschläge zur Einführung der rückerwerbbaren Aktie in das Aktiengesetz Das deutsche Aktiengesetz enthält im Rahmen der §§ 71 ff., 237 ff. AktG fast alle Elemente, die für eine Zulassung der rückerwerbbaren Aktie notwendig sind. Besonders die Regeln der gestatteten Zwangseinziehung zeigen auch, dass ein bei Aktienausgabe determinierter Rückerwerb dem Aktiengesetz nicht wesensfremd ist. Es gibt daher keine grundsätzlichen Hürden, diese Mechanismen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Eigenkapitalbeschaffung nutzbar zu machen. Zunächst ist zu entscheiden, ob die rückerwerbbare Aktie allen Aktiengesellschaften oder nur den börsennotierten Unternehmen offenstehen soll. Bei der
__________ 59 Nach der Rahmenrichtlinie „Solvabilität II“ (2009/138/EC) wird für den Versicherungsbereich eine der Bankenregelung ähnliche Stufung (Tiers) der Kapitalklassen eingeführt, so dass künftig die Klassifizierung der Eigenmittelbestandteile an Bedeutung gewinnen wird. Für das Tier 1-Kapital werden nach Art. 93 f. der Richtlinie strenge Anforderungen gestellt, aber nicht zwingend unbefristete Laufzeiten vorausgesetzt. Die Konkretisierung des Permanenz-Kriteriums wird jedoch erst im Rahmen der Durchführungsmaßnahmen gemäß Art. 97 Abs. 1 der Richtlinie erfolgen. Auf der Bankenseite sollen im Rahmen von Basel III nach dem Konsultationspapier „Strengthening the Resilience of the Banking Sector“ des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht vom Dezember 2009 die qualitativen Anforderungen an das Tier 1 Kapital deutlich erhöht werden. Rückzahlbare Aktien mit einer Mindestlaufzeit von fünf Jahren sollen nur als Teil des ergänzenden Kernkapitals (Tier I Additional Going Concern Kapital) zugelassen werden, nicht aber als hartes Kernkapital (vgl. Rz. 72, 87 ff.; das Konsultationspapier ist abrufbar unter www.bis.org).
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Einführung der rückerwerbbaren Aktie in Spanien wurde entgegen der ursprünglichen Planung eine Beschränkung auf börsennotierte Unternehmen vorgesehen. Dem lag die Überlegung zugrunde, dass die rückzahlbare Aktie die flexible Eigenkapitalfinanzierung großer Unternehmen verbessern sollte und der Verlust der mitgliedschaftlichen Stellung in diesem Kontext weniger gravierend sei als bei geschlossenen Gesellschaften60. Anders dagegen steht in den angelsächsischen Rechtsordnungen die redeemable share auch für die nicht börsennotierten und die private companies zur Verfügung. Dem liegt auch der Gedanke von Venture Capital-Finanzierungen zugrunde. Es gibt im Ergebnis auch keinen überzeugenden Grund, die Möglichkeit der rückerwerbbaren Aktie auf börsennotierte Unternehmen zu beschränken, da kleine und mittelständische Unternehmen mindestens ein gleich großes Interesse an einer Flexibilisierung der Eigenkapitalbeschaffung haben. Da die Rückzahlbarkeit zu einem Sonderstatus bei den Mitgliedschaftsrechten führt, sind die rückerwerbbaren Aktien als gesonderte Aktiengattung anzusehen61. Eine gesetzliche Beschränkung der Rückzahlbarkeit auf stimmrechtslose Vorzugsaktien ist im internationalen Vergleich nicht üblich62 und empfiehlt sich auch nicht. Sie würde die Einsatzmöglichkeiten unnötig eingrenzen, auch wenn in der Praxis die rückzahlbare Vorzugsaktie in Hinblick auf die spezifische Finanzierungsfunktion der Hauptanwendungsfall sein dürfte. Schwieriger ist die Frage einer volumenmäßigen Grenze für die Ausgabe rückzahlbarer Aktien. Die angelsächsischen Regelungen setzen keine festen Limite sondern bestimmen lediglich, dass aus einer nicht rückzahlbaren Aktiengattung mindestens eine Aktie erhalten bleiben muss63. Im Hinblick auf die grundsätzlichen Unterschiede im System der Kapitalerhaltung lässt sich diese Freizügigkeit jedoch nicht auf das deutsche Aktienrecht übertragen. Hier stehen die von der Regierungskommission Corporate Governance im Jahre 2001 vorgeschlagenen 50 % und die 10 %-Grenze des § 71 AktG als Bandbreite zur Diskussion. Das spanische und das französische Recht haben eine gesetzliche Grenze von 25 % fixiert64. Diese Größenordnung erscheint durchaus sinnvoll. Eine Begrenzung auf 10 % dürfte dem Zweck einer hinreichenden Flexibilisierung und der Eventualität eines größeren vorübergehenden Rekapitalisierungsbedarfs nicht gerecht werden. Da es aufgrund der satzungsmäßigen Grundlage sowohl hinsichtlich des Volumens als auch der Konditionen des Rückerwerbs eine vollständige Transparenz gibt, bestehen gegen einen größeren Spielraum auch keine durchgreifenden Bedenken. Andererseits steigt mit dem Volumen rückzahlbarer Aktien auch der Bedarf verfügbarer Mittel für den Rückerwerb bzw. faktisch eine entsprechende Mittelbindung. Wird der Anteil zu hoch, kann die Stabilität der haftenden Eigenmittel leiden. In diesem Kontext könn-
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60 Vgl. Grechenig/Lembeck/Oelkers (Fn. 34), 147. 61 So auch in Spanien, vgl. Grechenig/Lembeck/Oelkers (Fn. 34), 147. 62 Vgl. Chamorro Domínguez (Fn. 10), 488 für England und Grechenig/Lembeck/ Oelkers (Fn. 34), 147 für Spanien. 63 Grechenig/Lembeck/Oelkers (Fn. 34), 144. 64 Vgl. Chamorro Domínguez (Fn. 34), 492, der auch eine entsprechende Regelung für das deutsche Recht empfiehlt.
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te auch die Diskussion über die künftige Behandlung der rückzahlbaren Aktie in der Finanzaufsicht von Interesse für die gesellschaftsrechtliche Konzeption sein. Dem Unternehmen sollte auch die Möglichkeit eingeräumt werden, Aktien nach Rückzahlung als eigene Aktien im Sinne des § 71 AktG zu halten. Die früher in einigen Ländern vorgeschriebene Einziehung würde die Flexibilität unnötig einschränken und entspricht auch nicht mehr den Rahmenbedingungen der Kapitalrichtlinie65. Für das Halten als eigene Aktien kann auf die Voraussetzungen des § 71 Abs. 2 AktG verwiesen werden, einschließlich der volumenmäßigen Begrenzung. Die satzungsmäßige Grundlage zur Ausgabe rückerwerbbarer Aktien kann im Rahmen der Gründung der Aktiengesellschaft, im Rahmen einer ordentlichen Kapitalerhöhung oder auch in Form eines Genehmigten Kapitals geschaffen werden. Dem Genehmigten Kapital kommt dabei die größte Bedeutung für die Praxis zu. Es muss insbesondere Festlegungen über die Modalitäten des Rückerwerbs treffen. Dies betrifft zum einen den Zeitpunkt des Rückerwerbs bzw. die Frage, wer in welchem Zeitraum über den Rückerwerb entscheiden kann. Zum anderen geht es um die Festsetzung der betragsmäßigen Konditionen. Hierzu werden durch Art. 39 Kapitalrichtlinie enge Vorgaben gesetzt. Dem Vorstand kann kein freies Ermessen eingeräumt werden; andererseits muss der Rückzahlungsbetrag in der Satzungsregelung jedoch noch nicht als absoluter Betrag festgelegt werden66. Möglich ist daher etwa eine rechenmäßig festgelegte Anknüpfung an den Ausgabebetrag der Aktie oder an den Börsenkurs einer festzulegenden Referenzperiode. In Hinblick auf die bis zu fünfjährige Laufzeit des Genehmigten Kapitals liegt natürlich die Frage nahe, ob nicht die Angabe eines Mindestrückzahlungspreises ausreichen könnte. Das muss angesichts des Wortlauts von Art. 39 lit. c Kapitalrichtlinie bezweifelt werden. Näher liegt die Orientierung an der bis 2009 geltenden Formulierung des § 193 Abs. 2 Nr. 3 AktG: „der Ausgabebetrag oder die Grundlagen, nach denen dieser Betrag errechnet wird“. Dabei wäre auch die engere Auslegung zugrunde zu legen, dass nach den festgesetzten Grundlagen der Preis definitiv kalkulatorisch ermittelt werden kann.
__________ 65 Unterschiedlich ausgelegt wird die entsprechende spanische Regelung. Zum Teil wird eine zwingende Einziehung angenommen (so Chamorro Domínguez [Fn. 34], 490); eine andere Ansicht hält das Halten rückerworbener Anteile als eigene Aktien für möglich (so Grechenig/Lembeck/Oelkers [Fn. 34], 148. 66 Vgl. ausführlich Habersack (Fn. 10), S. 1340 f.
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Zur Kapitalaufbringung und Existenzvernichtungshaftung in sog. Aschenputtel-Konstellationen Inhaltsübersicht I. Fragestellung II. Kapitalaufbringung in der Aschenputtel-GmbH 1. Grundlagen der Kapitalaufbringung 2. Rechtliche Bewertungsparameter bei Sacheinlagen, insbes. Gebot der objektiven Wertermittlung, maßgebende Bewertungsperspektive und Abgrenzung des Bewertungsobjekts a) Grundsatz der objektiven Wertermittlung und allgemeine Grundsätze der Unternehmensbewertung b) Abgrenzung des Bewertungsobjekts c) Besonderheiten der Bewertung ertragsschwacher Unternehmen oder der Bewertung von Unternehmen mit negativer Fortführungsprognose 3. Bedeutung von Marktpreisen für die Unternehmensbewertung
4. Insbesondere: Bewertung eines als Sacheinlage eingebrachten Unternehmens bei späterer Insolvenz a) Objektive Wertdeckung vs. subjektive Vorwerfbarkeit b) Spätere Insolvenz als Indiz für frühere Insolvenzreife III. Existenzvernichtungshaftung wegen Sacheinlage eines nicht lebensfähigen Geschäftsbereichs 1. Grundlagen 2. „Eingriff“ in das Gesellschaftsvermögen auch bei AschenputtelKonstellation? a) Meinungsstand b) Stellungnahme: Existenzvernichtungshaftung auch bei Sacheinlage eines nicht überlebensfähigen Unternehmens(teils) in eine bis dahin „gesunde“ GmbH IV. Ergebnisse
I. Fragestellung „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen!“, so heißt es bei Aschenputtel. Nach diesem Motto werden in der Praxis bisweilen Unternehmenstransaktionen strukturiert oder Umgruppierungen in Konzernen vorgenommen: Angenommen, ein Geschäftsbereich möge nach Ansicht des Managements nicht mehr in die Konzernstruktur passen oder sanierungsbedürftig sein. Eine Option könnte sein zu versuchen, den fraglichen Bereich zu verkaufen. Möglicherweise findet sich ein Investor, der meint, den Geschäftsbereich unter seinem Management doch profitabel führen zu können. Eine Veräußerung ist namentlich dann aussichtsreich, wenn zu dem Geschäftsbereich durchaus wertvolle Teile („die guten Linsen“) gehören, an denen ein potentieller Investor interessiert sein könnte. Zur Strukturierung der Transaktion könnte erwogen werden, den zu veräußernden Geschäftsbereich rechtlich zu separieren. Hierzu werden vielfach Vorrats489
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GmbHs benutzt oder es werden für diesen Anlass neue Gesellschaften (im Jargon: NewCo) gegründet, in die sodann das Zielunternehmen (im Jargon: Target) im Wege der Sachkapitalerhöhung (so bei Verwendung einer schon existierenden Vorrats-GmbH) oder der Sacheinlage eingebracht wird. Der eigentliche „Deal“ kann dann im Wege eines sog. Share Deals abgeschlossen werden, d. h. der Investor erwirbt die Anteile an der neuen Einheit. Enthält der zu veräußernde Geschäftsbereich neben „guten Linsen“ auch weniger schmackhafte Teile (was insbesondere dann praktisch werden kann, wenn die wirtschaftliche Entwicklung des Geschäftsbereichs beim bisherigen Inhaber rückläufig war oder der Bereich gar sanierungsbedürftig ist), könnte man eine weitere rechtliche Separierung erwägen, nämlich den „schlechten“ von dem „guten“ Teil spalten und die Einzelteile auf besondere Gesellschaften verteilen. Das Target würde dann auf mehrere Einzelgesellschaften verteilt. In Anlehnung an die in diesen Geschäftsfeldern üblichen Anglizismen könnte man diese Gesellschaften hier „GoodCo“ und „BadCo“ nennen. Der eigentliche Deal könnte gleichwohl als Share Deal vollzogen werden, wobei beispielsweise die GoodCo (oder eine weitere neue Gesellschaft) als Holding fungieren kann. Bei einer solchen Struktur werden auf die BadCo nur die „schlechten Linsen“ verteilt. Anschaulich ist in solchen Fällen deshalb von „Aschenputtel-Konstellation“ die Rede1. Überlebt die BadCo nicht, geht sie in die Insolvenz2 und kann „entsorgt“ werden. Eine solche Vorgehensweise mag aus ökonomischer Sicht ihre Reize haben, gesellschaftsrechtlich ist sie nicht ungefährlich. Diskutiert wird insoweit insbesondere eine Haftung der Gesellschafter unter dem Aspekt der sog. Existenzvernichtung3. Der BGH war hierzu in der sog. Gamma-Entscheidung4 zwar sehr zurückhaltend. Diese Entscheidung ist im konkreten Fall wohl richtig getroffen, in der Allgemeinheit ist die Ablehnung einer Existenzvernichtungshaftung in Aschenputtel-Konstellationen aber nicht über jeden Zweifel erhaben (dazu unten III.). Darüber hinaus stellen sich in solchen Fällen aber auch Fragen der Kapitalaufbringung, die bislang, soweit ersichtlich, noch weniger diskutiert sind: Werden „schlechte“ Unternehmensteile in eine GmbH als Sacheinlage (oder im Wege der Sachkapitalerhöhung) geleistet, fragt es sich bereits unter dem Aspekt der Kapitalaufbringung, ob der eingebrachte Geschäftsbereich den Wert der übernommenen Stammeinlage deckt. Soweit das nämlich nicht der Fall ist, haftet der Inferent auf die Wertdifferenz (§ 9 GmbHG), und bei erkennbarer wesentlicher Überbewertung hat das Gericht die Eintragung von vornherein abzulehnen (§ 9c Abs. 1 Satz 2 GmbHG).
__________ 1 Röhricht in FS zum 50-jährigen Bestehen des BGH, Bd. I, 2000, S. 83, 91 f.; Heeg/ Kehbel, DB 2008, 1787, 1788; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, 19. Aufl. 2010, § 13 Rz. 51. 2 Zu den Pflichten des Geschäftsführers in der Krise der GmbH anschaulich Uwe H. Schneider, GmbHR 2010, 57 ff. m. w. N. 3 Vgl. OLG Düsseldorf, NZG 2007, 388, 389; Röhricht in FS zum 50-jährigen Bestehen des BGH, Bd. I, 2000, S. 83, 91 f., 111. 4 BGHZ 176, 204.
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Freilich führt § 9 GmbHG im Fall der Sacheinlage eines Unternehmens zu schwierigen und komplexen Fragen: Was ist eigentlich der Wert eines Unternehmens? Wie misst man ihn? Gibt es im Fall des § 9 GmbHG rechtliche Parameter, die bei der Unternehmensbewertung zu berücksichtigen sind? Welche Bedeutung kommt dem Marktpreis zu, den die Beteiligten des Share Deals als Kaufpreis für die (Gesamt-)Transaktion vereinbaren? Und: was ist, wenn der in die Aschenputtel eingebrachte schlechte Unternehmensteil sich als nicht überlebensfähig erweist und die Aschenputtel-GmbH Insolvenz anmelden muss? Kann der Inferent hierfür gemäß § 9 GmbHG haftbar gemacht werden? Diesen Fragen soll unter II. nachgegangen werden. Dabei wird sich zeigen, dass § 9 GmbHG der Aschenputtel-GmbH aus rechtlicher Sicht Schutz gewährt und die böse Stiefmutter (der Inferent) rechtlich verantwortlich gemacht werden kann.
II. Kapitalaufbringung in der Aschenputtel-GmbH 1. Grundlagen der Kapitalaufbringung Die Vorschriften über die Kapitalaufbringung sind ein Baustein im System des gesetzlichen Kapitalschutzes bei Kapitalgesellschaften. Kapitalschutz und Haftungsbeschränkung bedingen einander nach tradierter Werteüberzeugung5. Von denjenigen, die in der Rechtsform einer GmbH oder AG wirtschaften, verlangt die Rechtsordnung ein bestimmtes Mindestkapital, das effektiv aufzubringen ist und an die Gesellschafter nicht zurückgezahlt werden darf. Kapitalschutz legitimiert das Privileg der beschränkten Haftung. Zur Kapitalaufbringung gehören die Vorschriften über Sacheinlagen. Offene Sacheinlagen sind nicht etwa verboten6, unterliegen aber gewissen Sondervorschriften. Namentlich müssen der Gegenstand der Sacheinlage und der Nennbetrag des Geschäftsanteils, auf den sich die Sacheinlage bezieht, im Gesellschaftsvertrag festgesetzt werden (§ 5 Abs. 4 Satz 1 GmbHG); die Gesellschafter haben in einem Sachgründungsbericht Angaben zur Werthaltigkeit der Sacheinlage zu machen (vgl. § 5 Abs. 4 Satz 2 GmbHG). Sacheinlagen sind vor der Anmeldung der Gesellschaft endgültig zur freien Verfügung der Geschäftsführer an die Gesellschaft zu bewirken (§ 7 Abs. 3 GmbHG). In der Anmeldung sind nach Maßgabe des § 8 Abs. 1 Nr. 4, 5 GmbHG zusätzliche Unterlagen beizufügen. Die zutreffende Bewertung der Sacheinlage unterliegt zudem der gerichtlichen Kontrolle; sind Sacheinlagen nicht unwesentlich überbewertet worden, hat das Gericht die Eintragung abzulehnen (§ 9c Abs. 1 Satz 2 GmbHG). Und schließlich trifft den Gesellschafter, wie angedeutet, gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eine Differenzhaftung, wenn trotz all dieser Vorkehrungen die
__________ 5 Vgl. Goette, Die GmbH – Darstellung nach der Rechtsprechung des BGH, 2. Aufl. 2002, § 2 Rz. 1; Hennrichs, StuW 2005, 256, 257; ders., NZG 2009, 921. 6 Anders für verdeckte Sacheinlagen, die nach wie vor nicht erlaubt sind, vgl. Blasche, GmbHR 2010, 288 ff.
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Sacheinlage doch überbewertet worden ist. Bei einer Kapitalerhöhung mit Sacheinlagen gilt das Gesagte im Wesentlichen entsprechend (vgl. §§ 56, 56a, 57, 57a GmbHG; allerdings ist ein Sachkapitalerhöhungsbericht nicht erforderlich). 2. Rechtliche Bewertungsparameter bei Sacheinlagen, insbes. Gebot der objektiven Wertermittlung, maßgebende Bewertungsperspektive und Abgrenzung des Bewertungsobjekts a) Grundsatz der objektiven Wertermittlung und allgemeine Grundsätze der Unternehmensbewertung Da die Vorschriften über die Kapitalaufbringung nach dem GmbHG dem Schutz der Gläubiger dienen, kommt es bei der Bewertung von Sacheinlagen nach allgemeiner Meinung nicht auf die subjektiven Wertvorstellungen der Beteiligten an, sondern auf den sog. objektiven Wert der Sacheinlage7. Entscheidend ist die objektive Mehrung des Werts des Gesellschaftsvermögens8 und damit die Sicherung der Kapitalaufbringung9. Dass auch ein Unternehmen Gegenstand einer Sacheinlage sein kann, ist allgemein anerkannt10 und wird in § 5 Abs. 4 Satz 2 GmbHG vorausgesetzt. Wie der objektive Wert eines Unternehmens als Sacheinlage zu bestimmen ist, ist gesellschaftsrechtlich allerdings nicht direkt normiert. In Rechtsprechung11 und Schrifttum findet sich der Hinweis, bei Gegenständen des Anlagevermögens sei auf den Wiederbeschaffungswert abzustellen12, bei Unternehmen auf den Ertragswert, mindestens auf den Liquidationswert13. Einzelheiten der Wertbestimmung werden „dem pflichtgemäßen Urteil der mit der Bewertung befassten Fachleute“ und den in der Betriebswirtschaftslehre entwickelten Methoden überantwortet14. Damit soll eine Brücke vom Kapitalaufbringungs-
__________ 7 Vgl. OLG München, GmbHR 1994, 712; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 9 Rz. 4; Ulmer in Großkomm.GmbHG, 2005, § 9 Rz. 10, 13, § 5 Rz. 82 f., 89; H. Winter/Veil in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 9 Rz. 9; SchulzeOsterloh, EWiR 1994, 465; Zeidler in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 5 Rz. 161. 8 A. Reuter, BB 2000, 2298, 2299. – S. auch unten II.4. 9 Ulmer (Fn. 7), § 9 Rz. 1. 10 S. z. B. BGH, BB 1992, 1806, 1808; sowie Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 5 Rz. 48. 11 Rechtsprechungsreport zur Unternehmensbewertung s. bei Wüstemann, BB 2009, 1518. 12 OLG München, GmbHR 1994, 712; Ulmer (Fn. 7), § 9 Rz. 13, § 5 Rz. 82. 13 Vgl. H. Winter/H. P. Westermann in Scholz (Fn. 7), § 5 Rz. 57; vgl. auch A. Reuter, BB 2000, 2298, 2299. OLG Düsseldorf, AG 2008, 498, 500: „Nicht der Ertragswert, sondern der Liquidationswert ist jedenfalls dann als Wertuntergrenze anzusetzen, wenn … der Barwert (der) finanziellen Überschüsse, die sich bei einer Liquidation des gesamten Unternehmens ergeben, den Ertragswert bei Annahme der Fortführung des Unternehmens übersteigt.“ 14 Vgl. BGH, NJW 1978, 1316, 1319; OLG Düsseldorf, AG 2008, 498, 499.
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recht zum IDW Standard S 1: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen, geschlagen sein15. Nach IDW S 1 Tz. 29, ergibt sich der objektivierte Unternehmenswert bei Fortführung des Unternehmens auf Basis des bestehenden Unternehmenskonzepts mit allen realistischen Marktchancen, -risiken und finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens. Dabei sind die am Bewertungsstichtag vorhandenen Erfolgsfaktoren zu analysieren. Dies beinhaltet die Erfolgschancen, die sich zum Bewertungsstichtag aus bereits eingeleiteten Maßnahmen oder aus hinreichend konkretisierten Maßnahmen im Rahmen des bisherigen Unternehmenskonzepts und der Marktgegebenheiten ergeben. Mögliche, aber noch nicht hinreichend konkretisierte Maßnahmen (z. B. Erweiterungsinvestitionen/Desinvestitionen) sind danach bei der Ermittlung objektivierter Unternehmenswerte unbeachtlich (IDW S 1 Tz. 32, 151). Entscheidend für die objektivierte Unternehmensbewertung ist hiernach also das am Bewertungsstichtag bestehende Unternehmenskonzept, nicht etwaige anderweitige Absichten und möglicherweise neue Pläne des Investors für die Zeit nach der Akquisition16. Die Unternehmensbewertung ist stets auf einen bestimmten Stichtag bezogen vorzunehmen (Stichtagsprinzip). Spätere Veränderungen werden in der Regel nicht mehr berücksichtigt17, es sei denn, sie sind am Stichtag bereits angelegt und absehbar (sog. Wurzeltheorie)18. Im Fall der Sacheinlage ist maßgebender Bewertungsstichtag der Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister, bei einer Kapitalerhöhung mit Sacheinlage gemäß §§ 56, 57 i. V. m. 9 GmbHG der Zeitpunkt der Anmeldung der Kapitalerhöhung zur Eintragung in das Handelsregister. b) Abgrenzung des Bewertungsobjekts Hinsichtlich der Abgrenzung des Bewertungsobjekts ist zu betonen, dass es entscheidend auf die Mehrung des Gesellschaftsvermögens gerade durch die Sacheinlage ankommt. Damit sind namentlich etwaige Verbundeffekte oder Vorteile, die sich bei anderen Konzerngesellschaften (etwa der Muttergesellschaft) auswirken (können), für die Bewertung der Sacheinlage aus der Sicht
__________ 15 A. Reuter, BB 2000, 2298, 2300. – S. außerdem IDW RS HFA 10; dieser Rechnungslegungsstandard betrifft die Bewertung von Beteiligungen für die Zwecke eines handelsrechtlichen Jahresabschlusses. – IDW S1 und IDW RS HFA 10 sind freilich rechtlich nicht unmittelbar verbindlich. Dem IDW als privatrechtlichem Verein kommt keine Rechtssetzungsbefugnis zu (zutr. Schulze-Osterloh in Handbuch des Jahresabschlusses I/1 Rz. 21 f.). Gleichwohl haben die Standards des IDW wesentliche Auswirkung auf die Praxis, vgl. auch Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2009, Rz. 10. 16 A. A. aber A. Reuter, BB 2000, 2298, 2304 f., wonach bei der Bewertung von als Sacheinlage einzubringenden Unternehmen zu berücksichtigen sei, wenn die Kapitalgesellschaft das eingebrachte Unternehmen unternehmerisch neu ordnen oder neu ausrichten wolle. 17 Großfeld (Fn. 15), Rz. 237 m. w. N. 18 OLG Stuttgart, AG 2008, 510, 514; Großfeld (Fn. 15), Rz. 243: „… die in der Wurzel angelegt sind“.
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der Kapitalgesellschaft irrelevant19. Davon zu unterscheiden sind Verbundeffekte, die bei der Kapitalgesellschaft selbst entstehen20. Solche Synergieeffekte sind nach IDW S 1 Tz. 33 f. bei der Bewertung zu berücksichtigen, wenn es sich um sog. unechte Synergieeffekte handelt21. Darunter versteht man Verbundvorteile, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie sich ohne Durchführung der dem Bewertungsanlass zugrunde liegenden Maßnahmen realisieren lassen. Voraussetzung für deren Bewertungsrelevanz ist freilich in jedem Fall, dass die Maßnahmen entweder bereits eingeleitet oder im Unternehmenskonzept dokumentiert sind22. In den hier interessierenden Fällen, in denen „schlechte“ Unternehmensteile in eine neue GmbH oder einen reaktivierten GmbH-Mantel eingebracht werden, spielen solche Synergieeffekte allerdings keine Rolle. c) Besonderheiten der Bewertung ertragsschwacher Unternehmen oder der Bewertung von Unternehmen mit negativer Fortführungsprognose Besonderheiten gelten bei der Bewertung von ertragsschwachen Unternehmen, die als Sacheinlage geleistet werden. Hier ist zunächst das Fortführungskonzept kritisch zu überprüfen. Ist die Zerschlagung eine realistische Handlungsalternative, sind nach IDW S 1 Tz. 150 auch die Zerschlagungskonzepte zu beurteilen. Ist der Barwert der finanziellen Überschüsse aus der Liquidation des Unternehmens höher als der Barwert der finanziellen Überschüsse bei Fortführung, bildet der Liquidationswert die Wertuntergrenze bei der Unternehmensbewertung (IDW S 1 Tz. 150 und 140 f.)23. Ist die Fortführungsprognose des Unternehmens, das als Sacheinlage eingebracht werden soll, negativ, ist das eingebrachte Vermögen einschließlich der Schulden für Zwecke der Wertdeckungsprüfung gemäß § 9 GmbHG zu Liquidationswerten anzusetzen und zu bewerten. Das entspricht für die Ermittlung der Unterbilanzhaftung des Gründungsgesellschafters einer GmbH in der sog. Vorbelastungsbilanz der ganz h. M.24. Dasselbe hat für § 9 GmbHG bei Sacheinlage eines Unternehmens zu gelten. Denn die Vorbelastungshaftung und die Differenzhaftung nach § 9 GmbHG beruhen auf dem gleichen Grundgedanken25, weshalb der BGH die Unterbilanzhaftung auch unter Hinweis auf den in § 9 GmbHG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken entwickelt hat26.
__________ 19 20 21 22 23 24
Insoweit zutr. A. Reuter, BB 2000, 2299, 2301. Vgl. auch IDW RS HFA 10 Tz. 6. Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff (Fn. 7), § 9 Rz. 4. Ebenso OLG Stuttgart, NZG 2007, 112, Tz. 62. Vgl. auch Großfeld (Fn. 15), Rz. 285 m. w. N. OLG Düsseldorf, AG 2008, 498, 500. So BGH, NJW 1998, 233, 234 m. w. N.; s. auch Gehrlein, BB 2006, 910; Großfeld (Fn. 15), Rz. 1100; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck (Fn. 1), § 11 Rz. 64; SchulzeOsterloh in FS Goerdeler, 1987, S. 531, 537 f.; allgemein zur Berücksichtigung des Liquidationswerts bei der Bewertung von Unternehmen, deren Ertragsaussichten dauerhaft negativ sind, BayObLG, AG 1995, 509; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-KonzernR, 5. Aufl. 2008, § 305 AktG Rz. 74. 25 Ulmer (Fn. 7), § 9 Rz. 22. 26 BGHZ 80, 129, 140 f.
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Beide Haftungsinstitute dienen der ordnungsgemäßen Kapitalaufbringung und sollen sicherstellen, dass das versprochene Stammkapital der Gesellschaft ungeschmälert aufgebracht wird27. Für die erforderliche Wertdeckungsprüfung können daher vernünftigerweise keine unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe gelten. Für die Beurteilung der Fortführungsprognose ist die Erwartung der Unternehmensfortführung für einen überschaubaren Zeitraum, i. d. R. bis zum Ende des auf den Abschlussstichtag folgenden Geschäftsjahres erforderlich28. Eine positive Fortführungsprognose setzt sowohl den Fortführungswillen des Unternehmensträgers als auch die objektive Überlebensfähigkeit des Unternehmens voraus29. Anzustellen ist eine Prognose, ob der Fortführung des Unternehmens über den Prognosezeitraum tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen. Solche Gegebenheiten, die gegen eine Unternehmensfortführung sprechen können, sind vor allem wirtschaftliche Schwierigkeiten, wenn sie voraussichtlich nicht überwindbar sind30. Diese sind nicht auf Insolvenzgründe beschränkt. Ist für den Prognosezeitraum allerdings mit Insolvenzgründen zu rechnen, ist die Fortführungsprognose stets negativ31, weil die Gesellschaft dann rechtlich verpflichtet ist, einen Insolvenzantrag zu stellen (§ 15a InsO). Maßgebend für die Fortführungsprognose sind im Rahmen des § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB die objektiven Verhältnisse am Abschlussstichtag32. Entsprechend ist hier auf den maßgebenden Stichtag für die Bewertung von Sacheinlagen abzustellen. Das ist der Tag der Anmeldung der Gesellschaft oder der Kapitalerhöhung in das Handelsregister (§§ 9, 56, 57 GmbHG). Später eintretende Umstände dürfen berücksichtigt werden, wenn sie schon vorher objektiv vorhandene Tatumstände sichtbar machen33. Für die Ermittlung des Liquidationswertes ist der Erlös anzusetzen, der sich bei bestmöglicher Veräußerung der Vermögensgegenstände des Unternehmens abzüglich der Liquidationskosten erzielen ließe34. Bei den Liquidationskosten sind auch etwaige Ertragsteuern und fortbestehende Verbindlichkeiten (z. B.
__________ 27 Grundlegend. BGHZ 80, 129, 136, 140 f. unter Aufgabe des früher geforderten sog. Vorbelastungsverbots; ferner BGHZ 105, 300, 302 ff.; 134, 333, 338; 140, 35; 165, 391; Lutter, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG, 1964, S. 128; Hennrichs, ZGR 1999, 837 ff. 28 IDW PS 270, Tz. 8; Uwe H. Schneider, GmbHR 2010, 57, 61; Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 42 Rz. 319; Tiedchen in MünchKomm. AktG, Bd. 5/1, 2. Aufl. 2003, § 252 HGB Rz. 18; je m. w. N. S. auch OLG Schleswig, DB 2010, 722, 724: „mittelfristig (in einem betriebswirtschaftlich überschaubaren Zeitraum)“. 29 OLG Schleswig, DB 2010, 722, 724; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff (Fn. 7), Anh zu § 64 Rz. 28. 30 Tiedchen (Fn. 28), § 252 HGB Rz. 19. 31 Vgl. IDW S 6, Tz. 80; Lück, DB 1991, 1945, 1947; Tiedchen (Fn. 28), § 252 HGB Rz. 19. 32 Tiedchen (Fn. 28), § 252 HGB Rz. 18. – Zur Frage, ob eine spätere Insolvenz der Aschenputtel-GmbH im Rahmen des § 9 GmbHG zu berücksichtigen ist, s. unter II.4. 33 Schulze-Osterloh (Fn. 28). 34 OLG Stuttgart, AG 2008, 783, Tz. 96.
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Pensionsverbindlichkeiten) zu berücksichtigen35. Soweit sich aus einer Unternehmensabwicklung Verbindlichkeiten ergeben (z. B. Sozialplanverbindlichkeiten), sind diese bei negativer Fortführungsprognose ebenfalls anzusetzen36. 3. Bedeutung von Marktpreisen für die Unternehmensbewertung Wenn ein Investor für den fraglichen Geschäftsbereich gefunden ist und die Beteiligten sich auf einen Kaufpreis geeinigt haben, dann fragt es sich, ob dem so zustande gekommenen Marktpreis eine Bedeutung für die Bewertung des Unternehmensteils zukommt, der als Sacheinlage in die GmbH eingebracht worden ist oder noch eingebracht werden soll. Zahlt z. B. ein Investor für ein aus zwei Teilen bestehendes (Gesamt-)Akquisitionsobjekt einen Gesamtkaufpreis von 100 GE und ist die darin enthaltene GoodCo nachweislich (mindestens) 130 GE wert, so ergibt eine retrograde Bewertung für den in die BadCo eingelegten Geschäftsbereich einen negativen Wert von minus 30 GE. Ist dies für § 9 GmbHG relevant? Die Bedeutung von Marktpreisen für die Unternehmensbewertung ist umstritten. Eine traditionelle Sichtweise misst Marktpreisen nur die Funktion zu, eine nach anerkannten Grundsätzen der Betriebswirtschaftslehre vorgenommene Unternehmensbewertung zu plausibilisieren; Marktpreise könnten eine sachverständige Unternehmensbewertung aber nicht ersetzen37. Hiernach wäre es im Beispiel also nicht ausgeschlossen, trotz des sich bei einer retrograden Marktpreisbewertung ergebenden negativen Werts des BadCo-Bereichs ein betriebswirtschaftliches Bewertungsgutachten zu präsentieren, das dem fraglichen Bereich eine rosige Zukunft attestiert. Geht die BadCo später tatsächlich doch in die Insolvenz, könnten die Beteiligten sich damit zu verteidigen versuchen, für die Unternehmensbewertung sei nun einmal eine ex ante Perspektive relevant, und ex post eingetretene Misserfolge könnten nicht ausschlaggebend sein. Richtigerweise sind Marktpreise, wenn sie nach dem Vertrags- und Verhandlungsmodell zustande kommen, also in Transaktionen zwischen voneinander unabhängigen, professionell agierenden und geschäftserfahrenen Akteuren ausgehandelt werden, für die Bewertung von Unternehmen(steilen) zu beachten38. Betriebswirtschaftliche Bewertungsgutachten sind Marktpreisen nicht per se überlegen. Die Bewertung eines Unternehmens ist auch durch fundamental analytische Methoden nicht punktgenau möglich. Der „wirkliche“ Ertragswert eines Unternehmens ist, wie Emmerich anschaulich formuliert hat, eine „hoff-
__________ 35 OLG Stuttgart, AG 2008, 783, Tz. 96, 109. 36 Zutr. Tiedchen in MünchKomm.AktG, Bd. 5/1, 2. Aufl. 2003, § 252 HGB Rz. 16. 37 So insbesondere IDW S 1 Tz. 13; ebenso z. B. Großfeld (Fn. 15), Rz. 173 (andererseits aber ders., ebda., Rz. 1094). 38 Vgl. zur Relevanz von Markt- und Börsenpreisen für die Unternehmensbewertung auch BVerfGE 100, 289 ff. (DAT/Altana). Dem folgend BGHZ 147, 108; OLG Stuttgart, DB 2003, 2429; OLG Stuttgart, NZG 2007, 112; OLG Stuttgart, AG 2008, 783; BayObLG, NZG 2006, 156; zuvor schon BayObLG, AG 1999, 43, 45.
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nungslose Unbekannte“39; umfängliche Bewertungsgutachten täuschen eine Rationalität der Unternehmensbewertung vor, die tatsächlich, wenn man die Unsicherheit von Prognosen in Rechnung stellt, gar nicht erreichbar ist40. Daher unterliegt die Bestimmung des angemessenen Unternehmenswerts letztlich entscheidend in weitem Umfang richterlichem Schätzungsermessen gem. § 287 ZPO41. Hierbei hat sich das Gericht aller zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten zu bedienen42. Tatsächlich gezahlte Transaktionspreise sind nach § 287 ZPO schätzungsrelevant43. Ein Unternehmen ist in einer Marktwirtschaft so viel wert, wie am Markt tatsächlich dafür gezahlt wird44. Im Übrigen entspricht es auch der Praxis in anderen Rechtsgebieten, dass tatsächlich gezahlte Marktpreise unter der Voraussetzung funktionierender Märkte grundsätzlich verlässliche Wertindikatoren sind (vgl. §§ 385, 1221, 1235 Abs. 2, 1295 BGB, § 376 Abs. 2, 3 HGB; ferner § 255 Abs. 1, 4 HGB, § 3 Abs. 1, 4 WpÜG i. V. m. §§ 3 ff. WpÜGAngVO). Wird also eine Sacheinlage von einer Preisfindungstransaktion unter einander unabhängigen Parteien begleitet, dann markiert dieser Marktpreis eine Obergrenze für die Bewertung der Sacheinlage. Denn mehr als das, was für den Sacheinlagegegenstand unter unabhängigen Vertragsgegnern in einer at arm’s length Transaktion bezahlt wurde, ist die Sacheinlage vernünftigerweise keinesfalls wert. Und wenn der auf die Sacheinlage in die Aschenputtel-GmbH entfallende Preis(anteil) sogar negativ ist, ist gemäß § 9 GmbHG (mindestens45) dieser negative Wert bis zum Betrag der übernommenen Stammeinlage auszugleichen46.
__________ 39 Emmerich (Fn. 24), § 305 AktG Rz. 41. 40 Emmerich (s. Vornote); Hennrichs, ZHR 164 (2000), 453, 476 ff.; Luttermann, ZIP 1999, 45 ff.; W. Müller in FS Bezzenberger, 2000, S. 705, 714 ff.; Tonner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1581, 1589; Steinhauer, AG 1999, 299, 306 f.; Stilz, ZGR 2001, 875, 883 ff. Ebenso LG Frankfurt/M., NZG 2009, 553, Tz. 19. 41 BayObLG, NZG 2006, 156; OLG Stuttgart, DB 2003, 2429; OLG Stuttgart, AG 2008, 783; LG Köln, Der Konzern 2009, 494, Tz. 147; LG Frankfurt/M., NZG 2009, 553, Tz. 10; LG Dortmund, NZG 2004, 723, 724; aus der Literatur Großfeld (Fn. 15), Rz. 1094; Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 305 Rz. 17a; ders. in FS Hadding, 2004, S. 461, 474 f.; Hüttemann, ZGR 2001, 454, 474; Emmerich (Fn. 24), § 305 AktG Rz. 41; Piltz, ZGR 2001, 185, 197; Paulsen, WPg 2008, 109, 110. 42 Vgl. LG Frankfurt/M., NZG 2009, 553, Tz. 10. 43 Zutr. Hüffer (Fn. 41), § 305 Rz. 17a; ders. in FS Hadding, 2004, S. 461, 474 f. m. w. N. 44 Emmerich (Fn. 24), § 305 AktG Rz. 40; vgl. auch Hüttemann, ZGR 2001, 454; W. Müller in FS Röhricht, 2005, S. 1015, 1020 ff.; Stilz, ZGR 2001, 875 ff.; Tonner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1581, 1589 f.; ebenso LG Frankfurt/M., NZG 2009, 553, Tz. 19. 45 Zur möglicherweise gebotenen Bewertung zu Liquidationswerten, bei der sich ein noch größerer negativer Wert ergeben kann, s. sogleich unter II.4. 46 Bei Einbringung einer Sacheinlage mit negativem Wert ist die volle Differenz zwischen dem objektiven (negativen) Wert der Sacheinlage und dem Nennbetrag der dafür gewährten Stammeinlage zu ersetzen (statt aller Ulmer [Fn. 8], § 9 Rz. 11; H. Winter/Veil in Scholz [Fn. 8], § 9 Rz. 14; je m. w. N.).
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4. Insbesondere: Bewertung eines als Sacheinlage eingebrachten Unternehmens bei späterer Insolvenz a) Objektive Wertdeckung vs. subjektive Vorwerfbarkeit Fraglich ist ferner, welche Auswirkungen es für die Differenzhaftung gem. § 9 GmbHG hat, wenn die Aschenputtel-GmbH im zeitlichen Zusammenhang mit der Sacheinlage tatsächlich Insolvenz anmelden muss. Ist dann das als Sacheinlage geleistete Unternehmen für die Bestimmung des Umfangs der Haftung gemäß § 9 GmbHG zum Liquidationswert zu bewerten, weil die tatsächliche Insolvenz belegt, dass das Unternehmen nicht überlebensfähig war? Zunächst ist zu betonen, dass dem Geschäftsführer allein aus der Tatsache, dass später tatsächlich Insolvenz eingetreten ist, kein Vorwurf der Insolvenzverschleppung gemacht werden kann, wenn am Stichtag noch kein Insolvenzgrund vorgelegen hat oder er zumindest aus der Sicht ex ante auf der Grundlage angemessener Informationen annehmen durfte, dass die Gesellschaft weder zahlungsunfähig noch überschuldet war. War eine objektiv gegebene Insolvenzreife für den Geschäftsführer bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt nicht erkennbar, trifft ihn kein Verschulden47. Davon zu unterscheiden ist aber die Haftung des Inferenten gemäß § 9 GmbHG. Sie setzt kein Verschulden voraus48 und zielt, wie dargelegt49, auf eine objektive Wertdeckung. Zweck der Bewertung der Sacheinlage ist es, den Grundsatz der Kapitalaufbringung zu gewährleisten50. Daher kann es richtigerweise nicht auf die subjektiven Wertvorstellungen oder möglicherweise Fehleinschätzungen der Beteiligten ankommen, ebenso wenig auf die „kaufmännisch vertretbare Bewertung“, sondern allein auf die objektiven Verhältnisse am Stichtag.51 War der eingebrachte Unternehmensbereich zu diesem Zeitpunkt objektiv betrachtet nicht überlebensfähig, ist es für die Bestimmung des Umfangs der Haftung gemäß § 9 GmbHG zum Liquidationswert zu bewerten, selbst wenn die Beteiligten subjektiv vertretbar und damit nicht schuldhaft von einer positiven Fortführungsprognose ausgegangen sein sollten. Hinsichtlich der Würdigung der Tatumstände ist dabei zu unterscheiden: Zu berücksichtigen sind zum einen alle vergangenen und gegenwärtigen Umstände, die am Stichtag gegeben waren. Insoweit spielt die subjektive Erkennbarkeit keine Rolle. Umstände, die am Stichtag objektiv gegeben waren, sind selbst dann zu berücksichtigen, wenn sie erst später erkennbar werden. Wird beispielsweise eine Immobilie eingebracht, die kontaminiert und deshalb im
__________
47 Vgl. Uwe H. Schneider, GmbHR 2010, 57, 60 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff (Fn. 7), Anh zu § 64 Rz. 71; je m. w. N. – Dabei liegt freilich die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Verschuldens beim Geschäftsführer, der sich entlasten muss, vgl. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff (Fn. 7), Anh zu § 64 Rz. 70. 48 Ulmer (Fn. 7), § 9 Rz. 10; Bayer in Lutter/Hommelhoff (Fn. 7), § 9 Rz. 5. 49 Oben II.2. 50 Oben II.1. und Pentz in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 27 Rz. 4 ff. 51 Zutr. Ulmer (Fn. 7), § 5 Rz. 82, 89, § 9 Rz. 10, 13; s. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff (Fn. 7), § 9 Rz. 4: „objektive Wert ohne jeden Bewertungs- oder Beurteilungsspielraum“; je m. w. N.
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Wert gemindert ist, so kommt es für § 9 GmbHG nicht darauf an, ob der Inferent von diesem wertmindernden Umstand weiß oder nicht. Er haftet im Interesse des Kapitalschutzes auf die Wertdifferenz verschuldensunabhängig. Dasselbe hat bei der Sacheinlage eines Unternehmens zu gelten, wenn in diesem am Stichtag stille Lasten verborgen sind (beispielsweise eine bislang nicht erkannte, erst später entdeckte Produkthaftungsverantwortlichkeit). Demgegenüber kommt es hinsichtlich zukünftiger Umstände darauf an, ob sie am Stichtag objektiv erkennbar waren. Soweit also für die Beurteilung der objektiven Wertdeckung der Sacheinlage Umstände zu würdigen sind, die am Stichtag noch nicht eingetreten sind, sondern erst in der Zukunft spielen (beispielsweise die künftige Verwertbarkeit von Vermögen und die Höhe des Verwertungserlöses), ist die objektive Erkennbarkeit aus Sicht am Stichtag erforderlich, aber auch genügend. Wiederum entlastet die evtl. fehlende subjektive Erkennbarkeit den Inferenten nicht. Allerdings hat der BGH in einer frühen Entscheidung52 eine Überbewertung eines als Sacheinlage gegebenen Immaterialgüterrechts nicht allein deshalb angenommen, weil sich prognostizierte Verwertungschancen des Rechts nicht haben realisieren lassen. In die gleiche Richtung wurde für die Bewertung von Sacheinlagen im Allgemeinen und von Handelsgeschäften im Besonderen „ein gewisser Beurteilungsspielraum“ eingeräumt, weshalb erst „ein Überschreiten dieses Spielraums die Differenzhaftung des Einlegers“ auslöse53. Das ist richtig, soweit bei der Bewertung Prognosen und Einschätzungen der künftigen Entwicklung relevant werden. Denn solche künftigen Umstände entziehen sich naturgemäß einer objektiven Betrachtung am Stichtag; Prophetie ist den Menschen nicht eigen. Für die Beurteilung von vergangenen und am Stichtag bereits gegebenen Umständen kann es nach dem Gebot der objektiven Wertdeckung aus Gründen des effektiven Kapitalschutzes aber keinen Beurteilungsspielraum geben. Insoweit ist allein die objektive Sachlage maßgebend, mag der Inferent sie auch schuldlos falsch eingeschätzt haben54. b) Spätere Insolvenz als Indiz für frühere Insolvenzreife Wie verhält es sich in diesem Zusammenhang mit der Tatsache, dass im zeitlichen Zusammenhang mit der Sacheinlage, aber nach dem Stichtag der Anmeldung der Sacheinlage in das Handelsregister Insolvenzantrag gestellt wurde? Ist dies ein Indiz für fehlende Überlebensfähigkeit bereits am Stichtag? Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Insolvenzrecht ist zum Nachweis der Zahlungsunfähigkeit i. S. d. § 17 InsO eine dokumentierte Liquiditätsplanung dann nicht erforderlich, wenn auf Grund anderer Umstände festgestellt werden kann, dass der Schuldner einen wesentlichen Teil seiner
__________ 52 BGHZ 29, 309. 53 BGHZ 68, 191, 196; diese Rspr. als „überholt“ bezeichnend Bayer in Lutter/Hommelhoff (Fn. 7), § 9 Rz. 4. 54 So mit Recht namentlich Ulmer (Fn. 7), § 5 Rz. 82 m. w. N. aus dem Schrifttum.
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fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlen kann55. Beispielsweise reicht die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten für eine Zahlungseinstellung aus. Dies gilt auch dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen56. Ferner kann auf Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden, wenn es später tatsächlich zu einer Verfahrenseröffnung kommt, zum fraglichen Zeitpunkt vorher fällige Verbindlichkeiten bestanden, von denen ein nicht unerheblicher Teil bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn auf Grund konkreter Umstände, die sich nachträglich geändert haben, damals angenommen werden konnte, der Schuldner werde rechtzeitig in der Lage sein, die Verbindlichkeiten zu erfüllen57. Auch stetig steigende Verluste und eine insgesamt rückläufige Geschäftsentwicklung können Indizien sein58. Diese Grundsätze sollten im Rahmen des § 9 GmbHG entsprechend gelten. Kommt es also im zeitlichen Zusammenhang mit der Sacheinlage tatsächlich zur Insolvenz der Aschenputtel-GmbH und haben sich die Umstände zwischen dem Stichtag und der Verfahrenseröffnung nicht wesentlich nachträglich geändert, dann ist von einer negativen Fortführungsprognose bereits zum Stichtag auszugehen. Bei einer solchen Sachlage ist es im Rahmen der sog. sekundären Darlegungs- und Beweislast am Inferenten, darzulegen und zu beweisen, dass und warum das Unternehmen am Stichtag doch überlebensfähig war59.
III. Existenzvernichtungshaftung wegen Sacheinlage eines nicht lebensfähigen Geschäftsbereichs Die bisherigen Überlegungen betrafen die Kapitalaufbringung unter dem Aspekt der Differenzhaftung gemäß § 9 GmbHG. In Aschenputtel-Konstellationen ebenfalls relevant werden kann die sog. Existenzvernichtungshaftung60.
__________ 55 56 57 58 59
Bußhardt in Braun, InsO, 4. Aufl. 2010, § 17 Rz. 11. BGH, NZI 2007, 36, Tz. 19 m. w. N. BGH, NZI 2007, 36, Tz. 28; NZI 2008, 231, 232 f. Vgl. OLG Schleswig, DB 2010, 722, 724. Vgl. auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff (Fn. 7), Anh zu § 64 Rz. 70 m. w. N. – Zur Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Überbewertung von Sacheinlagen s. Ulmer (Fn. 7), § 9 Rz. 14: „Mit Rücksicht auf die der Differenzhaftung zukommende Kapitalsicherungsfunktion sprechen … gute Gründe für Beweiserleichterungen zugunsten der Gesellschaft. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Gesellschaft Umstände vorträgt, aus denen sich der Verdacht der Überbewertung ergibt; hier ist es ggf. Sache des Gesellschafters, an der Vollwertigkeit der Sacheinlage bestehende Zweifel auszuräumen.“ Dem folgend OLG Naumburg, DB 1998, 125. 60 Überhaupt bleiben gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 GmbHG sonstige Ansprüche unberührt. Hier relevant werden können je nach Lage des Falles auch Ansprüche aus § 9a GmbHG sowie aus §§ 437, 280, 281, 311a BGB wegen zu vertretender Verletzung der Leistungspflichten aus dem Einbringungsvertrag (vgl. Ulmer [Fn. 7], § 5 Rz. 95, 98, 100, 105 ff., § 9 Rz. 21). In Betracht kommen kann außerdem eine Geschäftsführerhaftung nach §§ 826, 830 BGB, §§ 43, 64 Satz 3 GmbHG. All das kann hier nicht vertieft werden.
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1. Grundlagen Die richterrechtlich entwickelte sog. Existenzvernichtungshaftung (auch Haftung wegen Insolvenzverursachung) greift ein, wenn ein Gesellschafter der GmbH die Existenzgrundlage entzieht und so die Insolvenz verursacht. Dieses Haftungsinstitut wird nach neuerer Rechtsprechung61 und Lehre62 auf § 826 BGB gestützt, knüpft an die missbräuchliche Schädigung des im Gläubigerinteresse zweckgebundenen Gesellschaftsvermögens an, ist als Innenhaftung des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft ausgestaltet63 und tritt selbständig neben die Instrumentarien des gesetzlichen Kapitalschutzes (insbesondere neben §§ 30, 31 GmbHG). Die Haftung soll „wie eine das gesetzliche Kapitalerhaltungssystem ergänzende, aber deutlich darüber hinausgehende Entnahmesperre wirken, indem sie die sittenwidrige, weil insolvenzverursachende oder vertiefende ‚Selbstbedienung‘ des Gesellschafters vor den Gläubigern der Gesellschaft durch die repressive Anordnung der Schadenersatzpflicht … ausgleichen soll“64. 2. „Eingriff“ in das Gesellschaftsvermögen auch bei AschenputtelKonstellation? a) Meinungsstand Die bisherigen Fallkonstellationen, in denen der BGH eine Existenzvernichtungshaftung bejaht hat, betrafen Sachverhalte, in denen dem Gesellschaftsvermögen vermögensrelevante Vorteile entzogen wurden65. Fraglich ist, ob die Existenzvernichtungshaftung auch solche Fälle erfasst, in denen ein „Eingriff“ des Gesellschafters im unmittelbaren Wortsinne nicht gegeben ist, insbesondere der Gesellschaft nichts im Sinne einer „Selbstbedienung“ der Gesellschafter entzogen wird, sondern der Gesellschaft vielmehr eine ausreichende Kapital- oder Solvenzausstattung vorenthalten wird. Das ist namentlich in den hier untersuchten Aschenputtel-Konstellationen relevant, in denen Chancen und Risiken ungleich auf verschiedene Gesellschaften verteilt werden, insbesondere einer Konzerngesellschaft einseitig nur die Risiken übertragen werden.
__________ 61 BGHZ 173, 246 (Trihotel). 62 Vgl. namentlich Dauner-Lieb, DStR 2006, 2034 ff.; dies., ZGR 2008, 34 ff.; Habersack, ZGR 2008, 533 ff.; Kleindiek, ZGR 2007, 276, 301 ff.; K. Schmidt, JbFdSt 2008/09, S. 342 ff.; Weller, DStR 2007, 1166 ff.; ders., ZIP 2007, 1681 ff.; ferner z. B. Altmeppen, NJW 2007, 2657 ff.; Gehrlein, WM 2008, 761 ff.; Kölbl, BB 2009, 1194; J. Vetter, BB 2007, 1965 ff.; je m. w. N. 63 Krit. insoweit Dauner-Lieb, ZGR 2008, 35, 41 f.; Hönn, WM 2008, 769, 774 f.; Kleindiek, NZG 2008, 686, 689 f.; Schwab, ZIP 2008, 341, 344 ff.; J. Vetter, BB 2007, 1965, 1968 f. 64 BGHZ 176, 204 (Gamma), Tz. 13. 65 Entzug von liquiden Mitteln (BGHZ 149, 10 – Bremer Vulkan); Entzug von Forderungen und Warenbestand (BGHZ 151, 181 – KBV); Verlagerung des rentablen Geschäftsbereichs auf eine Schwestergesellschaft (BGH, NJW 2005, 145 – Rheumaklinik); vgl. auch BGH, NZG 2005, 214.
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Manche Instanzgerichte haben solche Fälle unter die Fallgruppe der Existenzvernichtungshaftung eingeordnet66. Ebenso haben sich Teile des Schrifttums ausgesprochen67. Andere Autoren verlangen dagegen einen positiven betriebsfremden Eingriff in das Gesellschaftsvermögen im Sinne einer Entziehung von Vorteilen, ein bloßes Unterlassen reiche nicht aus68. Einen (allerdings besonders gelagerten) Fall der Aschenputtel-Konstellation einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG) hatte der BGH im sog. Gamma-Urteil zu entscheiden69. Dort judizierte der II. Zivilsenat, dass die als besondere Fallgruppe der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung in § 826 BGB einzuordnende Existenzvernichtungshaftung des Gesellschafters einen kompensationslosen „Eingriff“ in das im Gläubigerinteresse zweckgebundene Gesellschaftsvermögen der GmbH voraussetze70. Die Existenzvernichtungshaftung richte sich gegen den Entzug von Gesellschaftsvermögen im Sinne einer „Selbstbedienung“. Dem stehe ein Unterlassen hinreichender Kapitalausstattung i. S. einer „Unterkapitalisierung“ der GmbH nicht gleich. Die Gamma-Entscheidung des BGH71 wies allerdings einige Besonderheiten auf: Dort hatte der Geschäftsbereich, welcher der BQG zugewiesen wurde, nicht von vornherein einen negativen Wert, vielmehr konnte offenbar zunächst davon ausgegangen werden, dass die Gesellschaft überlebensfähig war. Die Finanzierung sollte durch öffentliche Gelder und durch Übernahme der sog. Remanenzkosten (bestehend aus Sozialversicherungsbeiträgen und Gehaltsbestandteilen) durch die operative Gesellschaft erfolgen. Die Insolvenz der BQG wurde erst später dadurch ausgelöst, dass die Forderung auf Übernahme der Remanenzkosten gegen die operative Gesellschaft ausfiel, weil zuerst diese operative Gesellschaft in die Insolvenz ging und die Forderung der BQG – entgegen der Branchenüblichkeit – nicht gegen Insolvenz abgesichert war. Erst die Insolvenz der operativen Gesellschaft führte mithin zur Folgeinsolvenz der BQG. In der Praxis kommen demgegenüber auch Fälle vor, in denen in eine Aschenputtel-GmbH ein von vornherein nicht lebensfähiger Geschäftsbetrieb eingebracht und dort gleichsam „entsorgt“ wird. Die GmbH wird in solchen Fällen gewissermaßen als „Müllkippe“ missbraucht. Da die Gamma-Entscheidung des BGH einen anderen Sachverhalt betraf, schließt sie eine Haftung wegen Existenzvernichtungshaftung in solchen Fällen nicht aus.
__________ 66 Vgl. OLG Jena, ZIP 2002, 631 (Belastung der GmbH mit Verbindlichkeiten, ohne hierfür einen Ausgleich zu erhalten); OLG Düsseldorf, NZG 2007, 388 (AschenputtelKonstellation im Fall einer BQG; beachte allerdings: diese Entscheidung ist die Vorinstanz zu BGHZ 176, 204 und wurde vom BGH aufgehoben). 67 Röhricht in FS zum 50-jährigen Bestehen des BGH, Bd. I, 2000, S. 83, 91 f., 111; Ihrig, DStR 2007, 1170, 1173; Höpfner, EWiR § 13 GmbHG 1/07; Schaefer/Steinmetz, WM 2007, 2265, 2269. 68 Vgl. Goette, DStR 2007, 1593, 1594; Kölbl, BB 2009, 1194, 1196; Schäfer/Fackler, NZG 2007, 377, 378 f.; J. Vetter, BB 2007, 1965, 1966; Weller, ZIP 2007, 1681, 1684. 69 BGHZ 176, 204. 70 Vgl. auch BGHZ 173, 246 (Trihotel); 179, 344 (Sanitary); zuvor bereits BGH, NZG 2005, 214. 71 BGHZ 176, 204.
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b) Stellungnahme: Existenzvernichtungshaftung auch bei Sacheinlage eines nicht überlebensfähigen Unternehmens(teils) in eine bis dahin „gesunde“ GmbH Richtigerweise sollte bei Insolvenzverursachung durch Sacheinlage eines nicht überlebensfähigen Unternehmens(teils) eine Existenzvernichtungshaftung des Inferenten bejaht werden: Erstens ist mit Ihrig72 darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Ausstattung einer GmbH mit einem nicht lebensfähigen Geschäftsbetrieb nicht um ein bloßes Unterlassen, sondern um ein aktives Gesellschaftertun handelt. In den verwendeten GmbH-Mantel wird gleichsam eine „Giftpille“ eingepflanzt, die zur Insolvenz der Gesellschaft führt. Selbst wenn man also mit der wohl h. M. für die Existenzvernichtungshaftung einen Eingriff im Sinne eines positiven Tuns verlangen wollte, so ist eine solche positive Handlung bei Sacheinlage eines nicht überlebensfähigen Geschäftsbereichs gegeben. Zweitens ist Ihrig73 auch insoweit zuzustimmen, dass es vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des Instituts der Existenzvernichtungshaftung, nämlich das Überlebensinteresse der Gesellschaft zu sichern74, vernünftigerweise keinen Unterschied machen kann, ob der rentable Geschäftsbereich von der Schuldnerin auf eine neu gegründete Schwestergesellschaft verlagert wird und damit der Gemeinschuldnerin nur der unrentable Bereich verbleibt (in diesem Fall wurde eine Existenzvernichtungshaftung auch vom BGH bejaht75) oder ob der unrentable Geschäftsbereich in die spätere Gemeinschuldnerin ausgegliedert und der rentable Bereich einer anderen Gesellschaft zugewiesen wird76. Das wirtschaftliche Ergebnis – die Existenzvernichtung – ist dasselbe. Die taktischen Überlegungen, welche Geschäftsteile wohin aus- oder umgegliedert werden und welche Teile bei welcher Gesellschaft verbleiben sollen, dürfen für die Haftungsfolgen nicht relevant sein. Der entscheidende Grundgedanke der Existenzvernichtungshaftung ist die Sanktionierung missbräuchlicher Schädigungen des im Gläubigerinteresse zweckgebundenen Gesellschaftsvermögens77. Auf die Art und Weise der Schädigung und auf die Art und Weise, wie das Überlebensinteresse der Gesellschaft beeinträchtigt wird, kann es nicht ankommen. Dass auch die Belastung einer GmbH mit Verbindlichkeiten einen Eingriff in das Gesellschaftsvermögen darstellt, wenn hierfür keine adäquate Gegenleistung gegeben wird, hat das OLG Jena78 mit Recht bejaht. Es kann keinen Unterschied machen, ob Vermögen abgezogen oder die Gesellschaft mit Schulden belastet wird79.
__________ 72 73 74 75 76 77 78 79
Ihrig, DStR 2007, 1170, 1173. S. Vornote; ferner Höpfner, EWiR § 13 GmbHG 1/07. Vgl. Goette, DStR 2007, 1593. BGH, NJW 2005, 145 (Rheumaklinik). Vgl. auch Lutter in Lutter/Hommelhoff (Fn. 7), § 13 Rz. 36. Vgl. auch Servatius in BeckOK-GmbHG, Konzernrecht, Stand 15.1.2010, Rz. 484 f. OLG Jena, ZIP 2002, 631. So auch Wahl, GmbHR 2004, 994, 996.
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Joachim Hennrichs
Drittens ist hervorzuheben, dass § 826 BGB, an den die neuere Rechtsprechung die Existenzvernichtungshaftung anknüpft, universell und unabhängig vom Entwicklungsstand der GmbH gilt. Geschützt ist nicht nur eine über eine gewisse Zeit bereits „gereifte“ GmbH, sondern jede GmbH, auch eine für die Zwecke der Ausgliederung neu gegründete oder dafür verwendete VorratsGmbH. Hat die Sacheinlage eines nicht lebensfähigen Geschäftsbetriebs die Insolvenz einer solchen neuen oder Vorrats-GmbH zur Folge, ist der Schutzzweck der Existenzvernichtungshaftung im selben Maße betroffen wie wenn einer zunächst lebensfähigen GmbH nachträglich die Lebensgrundlage entzogen wird. Viertens schließlich gelten die sich aus § 17 InsO ergebenden Anforderungen an die Solvenzausstattung einer GmbH universell und bereits vom Start der GmbH an. Zwar mag man dem BGH in der Ablehnung einer Existenzvernichtungshaftung wegen materieller Unterkapitalisierung80 zustimmen, weil das GmbHG in der Tat keine dem Unternehmensgegenstand angemessene Kapitalausstattung fordert, sondern typisierend ein Mindeststammkapital von 25.000 Euro genügen lässt (s. sogar § 5a GmbHG für die sog. Unternehmergesellschaft). Dies betrifft aber allein die Kapitalausstattung. Ein solcherart typisiertes, nicht auf den Geschäftsgegenstand angepasstes Mindestkapital kann hingenommen werden, weil selbst eine Kapitalausstattung von 25.000 Euro immerhin zunächst ein Eigenkapital oberhalb der Null-Linie gewährleistet und daher eine „Startinsolvenz“ wegen anfänglicher Überschuldung vermeidet. Hinsichtlich der Liquiditätsausstattung gibt es demgegenüber keine gesetzlich typisierten Grenzwerte im GmbHG. Zwar betont der BGH insoweit die grundsätzliche Freiheit der Gesellschafter in ihren Finanzierungsentscheidungen. Diese Freiheit findet ihre Grenze aber an den zwingenden Vorschriften der InsO. Aus § 17 InsO ergeben sich implizit Solvenzanforderungen81, weil bei Zahlungsunfähigkeit die Pflicht zum Insolvenzantrag besteht. Diese Anforderungen gelten vom Start der GmbH an. Wird in einen GmbH-Mantel ein Unternehmen eingelegt, das zahlungsunfähig ist, so dass die GmbH eigentlich sogleich Insolvenz anmelden muss, verursacht die Sacheinlage die Insolvenz und vernichtet die Existenz der GmbH. Zu Recht hat deshalb beispielsweise das OLG Celle82 entschieden, dass die „Bestattung“ einer überschuldeten GmbH unter vorheriger Ausplünderung ihres Restvermögens gegen § 826 BGB verstößt. Dasselbe muss gelten, wenn aus einem Geschäftsbereich einzelne Teile auf eine Aschenputtel-GmbH ausgegliedert werden und diese dann „bestattet“ wird. Wiederum kann die Art und Weise der Vorteilsziehung und „Bestattung“ des schlechten Teils keinen Unterschied für die Haftung machen.
__________ 80 BGHZ 176, 204. 81 Hennrichs, Der Konzern 2008, 42, 45 f. 82 OLG Celle, NZG 2007, 391.
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Zur Kapitalaufbringung und Existenzvernichtungshaftung
IV. Ergebnisse 1. Ziel der Bewertung von Sacheinlagen ist die Ermittlung des sog. „wahren“, „objektiven“ Werts des Bewertungsobjekts, um eine ordnungsgemäße Kapitalaufbringung zu gewährleisten und auszuschließen, dass die Sacheinlage überbewertet wird. 2. Wird ein Geschäftsbereich eingelegt, der im Zuge oder im engen zeitlichen Vorfeld der Sacheinlage Gegenstand einer Transaktion war, bei der zwischen unabhängigen Vertragsparteien ein Preis ausgehandelt worden ist, und ist der auf die Sacheinlage entfallende Preisanteil negativ, ist dies ein Indiz für einen negativen Unternehmenswert. 3. Ist das als Sacheinlage eingebrachte Unternehmen am Stichtag objektiv nicht überlebensfähig, ist es für Zwecke der Differenzhaftung gem. § 9 GmbHG zum Liquidationswert zu bewerten. 4. Bei der Beurteilung der objektiven Überlebensfähigkeit des Unternehmens sind alle vergangenen und gegenwärtigen Umstände zu berücksichtigen, die am Stichtag gegeben waren, auch soweit sie erst später erkennbar werden; hinsichtlich zukünftiger Umstände kommt es darauf an, ob sie am Stichtag objektiv erkennbar waren. 5. Wird ein Unternehmen mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten in eine sog. Aschenputtel-GmbH eingebracht und geht die GmbH im zeitlich nahen Zusammenhang mit der Sacheinlage später tatsächlich in die Insolvenz, kann dies ein Indiz dafür sein, dass das als Sacheinlage geleistete Unternehmen nicht überlebensfähig war. Etwas anderes gilt dann, wenn auf Grund konkreter Umstände, die sich nachträglich geändert haben, damals angenommen werden konnte, der Schuldner werde rechtzeitig in der Lage sein, seine Verbindlichkeiten zu erfüllen. 6. Bei Sacheinlage eines nicht überlebensfähigen Unternehmens(teils) in eine Aschenputtel-GmbH kommt neben einer Differenzhaftung gem. § 9 GmbHG außerdem eine Existenzvernichtungshaftung des Inferenten in Betracht. Vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des Instituts der Existenzvernichtungshaftung, nämlich das Überlebensinteresse der Gesellschaft zu sichern, kann es vernünftigerweise keinen Unterschied machen, ob ein rentabler Geschäftsbereich von der Schuldnerin auf eine neu gegründete Schwestergesellschaft verlagert wird und damit der Gemeinschuldnerin nur der unrentable Bereich verbleibt, oder ob ein unrentabler Geschäftsbereich in die Gemeinschuldnerin ausgegliedert und der rentable Bereich einer anderen Gesellschaft zugewiesen wird.
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Hartwig Henze
Optionsvereinbarungen der Aktiengesellschaft über den Erwerb eigener Aktien Inhaltsübersicht I. Erwerbsverbot für Optionen auf Erwerb eigener Aktien durch die Aktiengesellschaft? II. Die Erwerbsoption und der Gleichbehandlungsgrundsatz 1. Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die Erwerbsoption 2. Rechtsfolgen der Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes 3. Eine die Ungleichbehandlung rechtfertigende Ausnahme vom Gleichbehandlungsgebot?
III. Übertragung der Erwerbsoption auf einen Dritten – Voraussetzungen einer Vereinbarung über den Aktienerwerb für Rechnung der Gesellschaft 1. Übertragung der Erwerbsoption auf einen Dritten 2. Voraussetzungen einer Vereinbarung über den Aktienerwerb für Rechnung der Gesellschaft
I. Erwerbsverbot für Optionen auf Erwerb eigener Aktien durch die Aktiengesellschaft? Nach der gesetzlichen Konzeption ist der entgeltliche Erwerb eigener Aktien durch eine Aktiengesellschaft grundsätzlich unzulässig. Die Gesellschaft darf eigene Aktien nur in den Fällen erwerben, in denen das Gesetz den Erwerb zulässt1. Dieser Grundtatbestand wird durch weitere Voraussetzungen, mit denen bestimmte Anforderungen an die Finanzierung und Bilanzierung gestellt werden2 oder die eine Umgehung des Verbots verhindern sollen3, flankiert. Sie münden in die Sanktionen der Nichtigkeit des schuldrechtlichen Geschäftes und der Aberkennung der mit der Aktie verbundenen Rechte sowie in ein Veräußerungsgebot4. Vereinbarungen über Aktienoptionen werden von diesen Regelungen nicht ausnahmslos erfasst. Hat die Gesellschaft Wandelschuldverschreibungen oder Optionsanleihen begeben5, ist sie berechtigt, diese Schuldverschreibungen zu erwerben. Es ist ihr jedoch nicht erlaubt, bestimmte Rechte daraus auszu-
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§§ 57 Abs. 1 und 71 Abs. 1 AktG. § 71 Abs. 2 AktG, § 272 Abs. 1a HGB. §§ 71a ff. AktG. §§ 71 Abs. 4 Satz 2, 71a Abs. 2, 71b, 71c und 71e AktG. Vgl. §§ 221 Abs. 1, 192 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AktG; zur Umschreibung dieser Rechte vgl. Karollus in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, 1994, § 331 Rz. 141 ff.
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Hartwig Henze
üben6. Geht die Gesellschaft durch Begebung einer Option die Verpflichtung ein, eine bestimmte Anzahl eigener Aktien zu einem festgelegten Preis zu erwerben, mag man darüber streiten, ob dieser Vorgang rechtlich als aufschiebend bedingter Vertrag zu qualifizieren ist, der durch die Optionserklärung unbedingt wird7, oder ob man darin ein unwiderrufliches Angebot auf Abschluss eines Kaufvertrages zu sehen hat8. Entscheidend dafür, dass die Verbotsvorschriften auf die Put-Option der Gesellschaft als Stillhalterin anzuwenden sind, ist der Umstand, dass der Eintritt ihrer Verpflichtung von ihr nicht mehr beeinflusst werden kann. Das ist nach einer im Schrifttum nachdrücklich vertretenen Meinung bei der Call-Option nicht der Fall. Erlange sie das Recht, von einem Stillhalter eigene Aktien zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erwerben, könne sie entscheiden, ob sie das Recht ausübt oder nicht. Eine Pflicht zur Optionsausübung treffe sie nicht. Die Verpflichtung zur Abnahme der Aktien und ihr dinglicher Erwerb träten erst mit der Ausübung der Call-Option ein. Erst dieser Vorgang unterliege demnach den Beschränkungen über den Erwerb eigener Aktien der Gesellschaft9.
II. Die Erwerbsoption und der Gleichbehandlungsgrundsatz 1. Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die Erwerbsoption Das Gesetz trifft für den Fall, dass die Hauptversammlung eine Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien ausspricht, ausdrücklich die Regelung, dass auf den Erwerb (und die Veräußerung) § 53a AktG anzuwenden ist10. Damit greift es eine Selbstverständlichkeit auf, weil der Gleichbehandlungsgrundsatz im Aktienrecht allgemeine Geltung beansprucht11, also auch für den Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft maßgebend ist12. Auf diese Weise wird dem gesetzlichen Anliegen Rechnung getragen, den Aktionären eine an ihren Beteiligungsverhältnissen gemessene gleichmäßige Liquidation ihres Anteilsbesit-
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Vgl. §§ 56, 185 und 71b AktG. So BGHZ 47, 387, 391. Vgl. Heinrichs in Palandt, BGB, 66. Aufl., vor § 145 Rz. 23. Oechsler in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 71 Rz. 76; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 71 Rz. 187; Merkt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2007, § 71 Rz. 378 m. w. N. in Fn. 1008; J. Vetter, AG 2003, 478, 479. 10 § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG. 11 Nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 AktG ist § 53a AktG auf Erwerb und Veräußerung von Aktien anzuwenden, die von der Gesellschaft nach dieser Vorschrift vorgenommen werden. Dieser Regelung kommt nur klarstellender Charakter zu; sie schließt die Anwendung des § 53a AktG auf die übrigen Erwerbstatbestände des § 71 Abs. 1 AktG nicht aus, vgl. Begründung zum RegEntw des KonTraG v. 6.11.1997, BTDrucks. 13/9712, S. 13; Merkt in Großkomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 279; Cahn in Spindler/Stilz (Fn. 9), § 71 Rz. 116; Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 71 Rz. 19j; Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 198; T. Bezzenberger in K. Schmidt/ Lutter, AktG, 2008, § 71 Rz. 40; Martens, AG 1997, SH August, S. 83, 85; J. Vetter, AG 2003, 478, 479; Paefgen, ZIP 2002, 1509 ff. 12 Allg. Meinung, vgl. Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 198; Martens, AG 1997, SH August, S. 83, 85.
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zes zu einem Zeitpunkt zu ermöglichen, den sie und die Gesellschaft vereinbart haben. Dem Vorstand verbleibt daher kein Handlungsspielraum dafür, über Verbleib oder Ausscheiden der Aktionäre nach eigenem Gutdünken zu entscheiden. Vielmehr hindert ihn der Gleichbehandlungsgrundsatz, willkürlich in die Beteiligungsstruktur der Gesellschaft einzugreifen und bestimmte Aktionäre zu benachteiligen oder zu bevorteilen. Er ist daher rechtlich nicht in der Lage, in kritischen Unternehmenssituationen einem Teil der Aktionäre die Einlage sowie gegebenenfalls einen weitergehenden Anteilswert zu erstatten und die bestehenden Risiken dem anderen Teil der – in der Gesellschaft verbleibenden – Aktionäre aufzubürden. Umgekehrt wird es ihm erschwert, in einer wirtschaftlich günstigen Phase des Unternehmens bestimmte Aktionäre – insbesondere unter Ausnutzung ihrer Unkenntnis – vom weiteren wirtschaftlichem Wachstum auszuschließen und daran nur die verbleibenden Aktionäre teilhaben zu lassen13. Diese Überlegungen werfen die Frage auf, welche Auswirkungen das Gebot der Gleichbehandlung der Aktionäre auf Erwerbsoptionen der Gesellschaft hat. Bei den börsennotierten Gesellschaften kann sich der Erwerb eigener Aktien über die Börse vollziehen. Hier steht es jedem Aktionär frei, seine Aktien an der Börse zu veräußern. Nachteile können ihm bei rechtlich korrekter Abwicklung des Vorgangs nicht entstehen. Eine Bevorteilung einzelner tritt nicht ein, weil jeder Aktionär an den Kurssteigerungen, die ein Rückkaufprogramm der Gesellschaft üblicherweise auslöst, partizipieren kann. Geht die Gesellschaft jedoch durch die Begebung einer Option die Verpflichtung ein, außerbörslich eigene Aktien von den Aktionären zu einem bestimmten Preis zu erwerben, muss sich diese Verpflichtung an dem Gleichbehandlungsgebot ausrichten. Würde man ihr grundsätzlich gestatten, Bindungen nur gegenüber bestimmten Aktionären einzugehen, müsste man ihr konsequenterweise auch zugestehen, die Option entsprechend ihrer Verpflichtung auszuüben, weil nur den vertraglich begünstigten Aktionären ein Andienungsrecht zustünde. Ein solches Vorgehen würde dem Gleichbehandlungsgrundsatz widersprechen. Um einen solchen Widerspruch zu vermeiden, muss sich bereits die Optionsverpflichtung der Gesellschaft an diesem Grundsatz ausrichten14. Fraglich ist, ob auch der Erwerb von solchen Optionsrechten dem Gleichbehandlungsgebot unterliegt, die lediglich das Recht der Gesellschaft auf den Erwerb von Aktien beinhalten, den vertraglich gebundenen Aktionären jedoch kein Andienungsrecht gewähren. Im Schrifttum wird die Ansicht vertreten, der Gleichbehandlungsgrundsatz finde nicht nur auf die Erwerbstatbestände des § 71 Abs. 1 AktG sowie die eine entsprechende Verpflichtung der Gesellschaft
__________ 13 Vgl. dazu Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 198; auch Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1988, § 71 Rz. 15. 14 Vgl. für die geschlossene Aktiengesellschaft RegBegr BT-Drucks. 13/9712, S. 13 f.; zu dem bei börsennotierten Gesellschaften häufigen Tenderverfahren vgl. Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 200, 202.
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auslösenden Optionen Anwendung15, sondern er gelte auch für den Erwerb von Optionen auf den Rückerwerb eigener Aktien, die lediglich ein Recht, nicht aber auch eine Pflicht zur Ausübung der Option beinhalten16. Dagegen könnten sich Bedenken unter dem Gesichtspunkt ergeben, dass in das Recht der Aktionäre, nicht einer willkürlichen Ungleichbehandlung ausgesetzt zu werden, nicht schon mit dem Erwerb des Optionsrechtes durch die Gesellschaft, sondern erst mit deren Umsetzung, also mit der Ausübung des Gestaltungsrechts und dem Erwerb der Aktien von dem(n) vertraglich verpflichteten Aktionär(en) unmittelbar eingegriffen wird. Damit würden jedoch die Grenzen für die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu eng gefasst. Die Gesellschaft ist zwar gegenüber dem(n) Vertragsaktionär(en) nicht verpflichtet, das Optionsrecht auszuüben, so dass den verpflichteten Aktionären auch kein Recht auf Abnahme der Aktien zusteht. Man darf aber nicht verkennen, dass die Vereinbarung auf einem von der Gesellschaft verfolgten Zweck beruht, dem in der Regel vertragliche Verhandlungen oder der Vertragsschluss mit einem Dritten mit verpflichtendem Charakter für die Gesellschaft zugrunde liegen. Es ist also davon auszugehen, dass die Gesellschaft ihr Optionsrecht in den vom Gesetz gezogenen Grenzen realisiert. Den Aktionären muss unter diesen Umständen das Recht gewährt werden, die Möglichkeit, ihre Aktien entsprechend dem Umfang ihrer Beteiligung der Gesellschaft anzubieten, bereits im Vorfeld der Optionsausübung feststellen zu lassen. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass sie von dem Vorhaben des Vorstandes – wenn überhaupt – frühestens nach Ausübung des Optionsrechtes Kenntnis erlangen und unter dieser Voraussetzung die Möglichkeit, ihre Aktien der Gesellschaft anzudienen, praktisch ausgeschlossen wird. Das ergibt sich aus den Rechtsfolgen, die bei Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz eintreten17. Gerade die im Zusammenhang mit der Abwicklung auftretenden Schwierigkeiten würden dem Vorstand die Möglichkeit erleichtern, in die Beteiligungsstruktur der Gesellschaft einzugreifen und bestimmte Aktionäre zu benachteiligen oder zu bevorteilen. Steht der Erwerb auch dieser Kaufoption hingegen unter dem Vorbehalt der Gleichbehandlung der Aktionäre, verbleibt ihm kein Handlungsspielraum mehr dafür, über deren Verbleib oder Ausscheiden nach eigenem Gutdünken zu befinden.
__________ 15 Nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 AktG ist § 53a AktG auf Erwerb und Veräußerung von Aktien anzuwenden, die von der Gesellschaft nach dieser Vorschrift vorgenommen werden. Dieser Regelung kommt nur klarstellender Charakter zu; sie schließt die Anwendung des § 53a AktG auf die übrigen Erwerbstatbestände des § 71 Abs. 1 AktG nicht aus, vgl. Begründung zum RegEntw des KonTraG v. 6.11.1997, BTDrucks. 13/9712, S. 13; Merkt in Großkomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 279; Cahn in Spindler/Stilz (Fn. 9), § 71 Rz. 116; Hüffer (Fn. 11), § 71 Rz. 19 j; Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 198; T. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter (Fn. 11), § 71 Rz. 40; Martens, AG 1997, SH August S. 83, 85; J. Vetter, AG 2003, 478, 479; Paefgen, ZIP 2002, 1509 ff. 16 So wohl Cahn in Spindler/Stilz (Fn. 9), § 71 Rz. 188; J. Vetter, AG 2003, 478, 479; Mick, DB 1999, 1201, 1205. 17 Vgl. nachfolgend unter II. 2.
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Zwar ist allgemein gegen die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die Erwerbsoption eingewandt worden, dieser reiche nicht so weit, dass die Gesellschaft Optionsbedingungen zu entwerfen und auf deren Grundlage allen Aktionären den Abschluss von Optionsverträgen anzubieten habe18. Dem wird jedoch zutreffend entgegengehalten, der Aufwand könne durch die Einschaltung eines Finanzdienstleisters in zumutbaren Grenzen gehalten werden19. Dabei bietet sich das sog. Tender-Verfahren zumindest insoweit an, als den Aktionären ein Andienungsrecht zugestanden wird20. Als Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgebotes wird gefordert, dass derjenige, von dem die Aktiengesellschaft die Kaufoption erwirbt, im Zeitpunkt des Erwerbs Aktionär der Gesellschaft ist21. Diese Forderung trifft zwar zu, weil die Pflicht der Gesellschaft zur Gleichbehandlung nur gegenüber ihren Aktionären besteht. Das schließt aber nicht aus, dass dem Gleichbehandlungsgrundsatz auch Rechtsgeschäfte unterliegen, die mit einem Dritten im Hinblick auf seine künftige Aktionärseigenschaft geschlossen werden22. Dem gegenteiligen Standpunkt liegt eine nicht billigenswerte formale Einstellung zugrunde, die der Umgehung der aktienrechtlichen Grundsätze Tür und Tor öffnet. 2. Rechtsfolgen der Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes Die Folgen eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, dem ein rechtsgeschäftliches Handeln des Vorstandes zugrunde liegt, werden im Schrifttum unterschiedlich umschrieben23. Beachtet der Vorstand dieses Gebot beim Erwerb eigener Aktien der Gesellschaft im Rahmen des § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 AktG nicht, schreibt das Gesetz die Nichtigkeit der schuldrechtlichen Vereinbarung vor24. Diese Rechtsfolge wird auch für die übrigen Fälle des § 71 Abs. 1 AktG angenommen, wenn die Vereinbarungen gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre verstoßen25. Geht man, wie vorstehend dargestellt, davon aus, dass auch auf eine Kaufoption, die der Gesellschaft allein das Recht zum Erwerb eigener Aktien einräumt, das Gebot der Gleichbehandlung
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J. Vetter, AG 2003, 478, 479. Cahn in Spindler/Stilz (Fn. 9), § 71 Rz. 188. Vgl. Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 202. J. Vetter, AG 2003, 478, 479; Mick, DB 1999, 1201, 1205. Cahn in Spindler/Stilz (Fn. 9), § 71 Rz. 188 unter Berufung auf Wiederholt, Der Rückkauf eigener Aktien (§ 71 AktG) unter Einsatz von Derivaten, 2006, S. 88 f.; zur Erstreckung des Grundsatzes der Kapitalerhaltung auf Leistungen wegen künftiger Aktionärseigenschaft vgl. Hüffer (Fn. 11), § 57 Rz. 14 m. w. N. aus dem Schrifttum. 23 Vgl. Bungeroth in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 53a Rz. 26 ff., insbes. 30 f.; Lutter/ Zöllner in KölnKomm.AktG (Fn. 13), § 53a Rz. 34 ff.; Henze/Notz in Großkomm. AktG (Fn. 9), § 53a Rz. 114 ff.; Hüffer (Fn. 11), § 53 Rz. 12; Cahn/Senger in Spindler/ Stilz (Fn. 9), § 53a Rz. 33 f.; Fleischer in K. Schmidt/Lutter (Fn. 11), § 53a Rz. 40. 24 § 71 Abs. 4 Satz 2 AktG. 25 Vgl. Bungeroth in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 53a Rz. 28.; Lutter/Zöllner in KölnKomm.AktG (Fn. 13), § 53a Rz. 34; Henze/Notz in Großkomm.AktG (Fn. 9), § 53a Rz. 116; skeptisch Hüffer (Fn. 11), § 53a Rz. 12.
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der Aktionäre anzuwenden ist, kommt als Folge eines Verstoßes ebenfalls die Nichtigkeit der Vereinbarung über die Call-Option in Betracht. Aus der Nichtigkeit der Optionsvereinbarung folgt, dass die Rückabwicklung des Erwerbsvorganges und der Zahlung vorgenommen werden muss26. Die denkbare Alternative, dass die Gesellschaft Aktien von allen Aktionären gleichermaßen zusätzlich erwirbt, scheitert an den vom Gesetz gezogenen Grenzen27 und ist daher undurchführbar. 3. Eine die Ungleichbehandlung rechtfertigende Ausnahme vom Gleichbehandlungsgebot? Ob ein individuell vereinbarter Rückkauf ausnahmslos zu einer Ungleichbehandlung der Aktionäre führt, ist im Schrifttum umstritten. Abweichend von dem für das Verbot willkürlicher Ungleichbehandlung anerkannten Grundsatz, dass eine Ungleichbehandlung durch sachliche Gründe im Interesse der Aktiengesellschaft gerechtfertigt sein kann28, soll dem Gleichbehandlungsgebot bei der Anwendung der §§ 71 ff. AktG ausschließliche Wirkung zukommen29. Dem kann mit der überwiegenden Meinung30 im Schrifttum nicht gefolgt werden, gleichgültig, ob die Aktien der Gesellschaft zum Börsenhandel zugelassen sind oder nicht. Die Äußerung des historischen Gesetzgebers31, die strikte Geltung des Gleichbehandlungsgebots mache ausdrückliche Verfahrensvorschriften zum An- und Verkauf entbehrlich, ein Rückkaufs- oder Wiederverkaufsangebot habe sich daher an alle Aktionäre zu richten, vermag deswegen sachlich begründete Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgebot nicht auszuschließen, weil sie ausdrücklich eine Ausnahme aufführt32. Zudem können auch im Rahmen des Rückerwerbs von Aktien durch die Gesellschaft Fälle auftreten, die eine Ausnahme vom Gleichbehandlungsgebot sachlich rechtfertigen33, so dass von einer willkürlichen Ungleichbehandlung – nur eine solche schließt der Gleichbehandlungsgrundsatz aus – nicht gesprochen werden kann34. Das gilt gleichermaßen für den Beschluss der Hauptversammlung, soweit der Er-
__________ 26 Zu den Einzelheiten vgl. nur Henze/Notz in Großkomm.AktG (Fn. 9), § 53a Rz. 116. 27 § 71 Abs. 1 und 2 AktG. 28 Merkt in Großkomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 78 f.; Henze/Notz in Großkomm.AktG (Fn. 9), § 53a Rz. 68 ff.; Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 204; Cahn in Spindler/Stilz (Fn. 9), § 71 Rz. 117 f.; Hüffer (Fn. 11), § 53a Rz. 8–10; Fleischer in K. Schmidt/Lutter (Fn. 11), § 53a Rz. 31 ff. 29 Hüffer (Fn. 11), § 71 Rz. 19k mit umf. w. N. aus dem Schrifttum; für das österreichische Recht vgl. Nowotny in FS Lutter, 2000, S. 1513, 1519 f. 30 Merkt in Großkomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 78 f.; Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 205 f. m. w. N. in Fn. 495; vgl. ferner die Nachweise bei Hüffer (Fn. 11), § 71 Rz. 19k. 31 Gesetzesbegründung zum KonTraG, BT-Drucks. 13/9712, S. 13. 32 BT-Drucks. 13/9712, S. 14; vgl. dazu Merkt in Großkomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 78; Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 205. 33 Vgl. die Fallgestaltungen bei Merkt in Großkomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 79; Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 206 f. 34 Ähnlich Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 205 m. w. N. in Fn. 495 und Merkt in Großkomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 78.
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Optionsvereinbarungen der Aktiengesellschaft über den Erwerb eigener Aktien
werb einen solchen Beschluss voraussetzt35, wie für die Entscheidung des Vorstandes über den entgeltlichen Erwerb, soweit er dafür zuständig ist36. Die Fälle des unentgeltlichen, des von einem Kreditinstitut im Zuge einer Einkaufkommission vorgenommenen37 sowie des durch Gesamtrechtsnachfolge38 eintretenden Erwerbs scheiden naturgemäß von vornherein aus dieser Betrachtung aus. Im Rahmen des entgeltlichen Erwerbs kommen bei Gesellschaften, deren Aktien an der Börse gehandelt werden, für einen individuellen Rückkauf praktisch nur Gründe in Betracht, die sich um die Gefahrenabwehrbestimmung ranken39. Für Gesellschaften, deren Aktien nicht an der Börse gehandelt werden, kommen – strukturbedingt – auch noch andere, eine Ungleichbehandlung rechtfertigende Umstände in Frage, wie sie vom Gesetzgeber selbst beispielhaft in der Gesetzesbegründung aufgeführt werden40.
III. Übertragung der Erwerbsoption auf einen Dritten – Voraussetzungen einer Vereinbarung über den Aktienerwerb für Rechnung der Gesellschaft 1. Übertragung der Erwerbsoption auf einen Dritten Hat die Gesellschaft eine Put-Option als Stillhalterin begeben, die gegen das Gebot der Gleichbehandlung der Aktionäre verstößt, ist die Option nichtig. Eine Verpflichtung der Gesellschaft zur Übernahme von ihr begebener Aktien bzw. ein Recht des Aktionärs, der Gesellschaft diese Aktien anzudienen, ist nicht entstanden. Eine Übertragung von aus der Option herrührenden Schuldverpflichtungen der Aktiengesellschaft auf einen Dritten ist daher weder mit Zustimmung des Aktionärs noch bei deren Fehlen im Innenverhältnis zwischen Gesellschaft und Drittem möglich41. Mit der von der Aktiengesellschaft begebenen Call-Option verhält es sich nicht anders. Geht man, wie oben dargestellt42, davon aus, dass auch dieses Optionsrecht nichtig ist, wenn es zu dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre in Widerspruch steht, ist die Gesellschaft nicht in der Lage, ein Recht auf einen Dritten zu übertragen. Das gilt auch dann, wenn der Aktionär mit der Übertragung des Optionsrechtes auf den Dritten einverstanden ist. Zwar käme, wenn der Dritte Inhaber des Rechtes wäre, eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht mehr in Betracht. Diesem Umstand kann aber bei einem abgeleiteten Recht nicht Rechnung getragen werden. Eine nichtige
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§ 71 Abs. 1 Nr. 6–8 AktG. § 71 Abs. 1 Nr. 1–3 AktG. § 71 Abs. 1 Nr. 4 AktG. § 71 Abs. 1 Nr. 5 AktG. § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG; vgl. Lutter in KölnKomm.AktG (Fn. 13), § 71 Rz. 15 und dazu die Fallgestaltungen bei Merkt in Großkomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 79. 40 BT-Drucks. 13/9712, S. 14; vgl. dazu Merkt in Großkomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 78; Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 205. 41 Vgl. § 415 BGB. 42 Vgl. oben unter II. 1.
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Vereinbarung bzw. ein nicht entstandenes Recht kann nicht dadurch ins Leben gerufen werden, dass der Schuldner einer Übertragung auf einen Dritten zustimmt, in dessen Person der Grund für die Nichtigkeit nicht gegeben ist. Eine Auslegung von Übertragungs- und Zustimmungserklärung im Sinne einer Neubegründung des Rechts ist nicht denkbar. 2. Voraussetzungen einer Vereinbarung über den Aktienerwerb für Rechnung der Gesellschaft43 Geht man hingegen davon aus, dass nicht das Recht der Call-Option, sondern nur ihre Ausübung gegen das Gebot der Gleichbehandlung der Aktionäre verstößt, ist die Option entstanden und eine Vereinbarung über ihre Übertragung auf einen Dritten möglich. Die Frage, ob eine solche Vereinbarung nichtig ist, hängt davon ab, ob der Dritte nach der Vertragsgestaltung verpflichtet ist, die Gesellschaftsaktien für Rechnung der Aktiengesellschaft zu erwerben und ob der Erwerb der Aktien durch die Gesellschaft gegen § 71 Abs. 1 oder 2 AktG – also auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz im Aktienrecht – verstoßen würde. Davon ist auch dann auszugehen, wenn der Aktionär und der Dritte unmittelbar eine Vereinbarung über das Erwerbsrecht des Dritten treffen und dieser und die Aktiengesellschaft sich sodann darüber ins Benehmen setzen, wie mit den Aktien weiter verfahren werden soll. Ist diese Übereinkunft dahin auszulegen, dass der Dritte die Aktien für Rechnung der Gesellschaft erwirbt, ist sie bei dem dargelegten Verstoß ebenfalls nichtig Wird in die mit der Aktiengesellschaft getroffene Vereinbarung die Regelung aufgenommen, dass die Option gegenüber den Altaktionären im eigenen Namen und für eigene Rechnung ausgeübt werden muss, scheint eine Nichtigkeit der Vereinbarung abgewendet zu sein. Diese als Klarstellung gedachte Regelung kann aber dann nicht als maßgebend angesehen werden, wenn sich aus dem übrigen Inhalt der Vereinbarung Umstände ergeben, aus denen eine Verpflichtung des Dritten folgt, den Erwerb für Rechnung der Aktiengesellschaft vorzunehmen. Unter welchen Voraussetzungen ein Erwerb für Rechnung der Gesellschaft vorliegt, wird im Schrifttum unterschiedlich beantwortet. Maßgebend soll sein, dass die Aktiengesellschaft das wirtschaftliche Risiko aus den Aktien wenigstens teilweise zu tragen hat und der Dritte ihren Weisungen hinsichtlich der Mitgliedschaft unterworfen ist44. Eine andere Ansicht stellt allein darauf ab, dass das wirtschaftliche Ergebnis des Aktienerwerbs zumindest teilweise zugunsten und zu Lasten der Gesellschaft gehen soll, so dass ihr die mit dem Erwerb verbundenen Chancen zugute kommen und sie entsprechende Risiken auf jeden Fall teilweise zu tragen habe. Zwar sei der Dritte in der Regel den Weisungen der Gesellschaft unterworfen, die sie zur Rechtsausübung aus den Aktien und zu der Verfügung darüber erteile. Davon hänge es aber nicht ent-
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43 § 71a Abs. 2 AktG. 44 Lutter in KölnKomm.AktG (Fn. 13), § 71a Rz. 19.
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scheidend ab, ob ein Erwerb für Rechnung der Gesellschaft vorliege45. Weiter wird für maßgebend gehalten, dass der Dritte den Erwerb vornehmlich im Interesse der Gesellschaft tätige, er sich ihren Weisungen unterwerfe oder dass die Gesellschaft durch das Finanzierungsgeschäft zumindest teilweise am wirtschaftlichen Ergebnis des Erwerbs beteiligt werde46. Nach anderer Ansicht muss die Gesellschaft einen wesentlichen Teil des Erwerbsrisikos tragen, beim Erwerb die Federführung innehaben bzw. es müsse ihr die wirtschaftliche Verfügungsgewalt über die Aktien zustehen. Charakteristisch sei ein dominierendes Element der Interessenwahrung: Der Erwerber müsse beim Erwerb und der späteren Verwaltung der Aktien die Interessen der Gesellschaft in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellen47. Die Frage, welcher der vorstehend dargelegten Ansichten zu folgen ist, ist an Hand des Normzwecks des § 71a Abs. 2 AktG zu entscheiden. Dieser ergibt sich aus dem Zusammenhang der Vorschrift mit den §§ 57 Abs. 1 und 71 Abs. 1 und 2 AktG. Sie soll die Umgehung des verbotenen Erwerbs eigener Aktien durch die Aktiengesellschaft über die Einschaltung eines mittelbaren Stellvertreters verhindern. Die Regelung greift bereits im Vorfeld der Vorschrift über die Kapitalerhaltung48 ein, weil sie schon den Abschluss einer Vereinbarung mit dem mittelbaren Vertreter und nicht erst die Zahlung des Aufwendungsersatzes für den Aktienerwerb verbietet49. Die Vorschrift bringt zudem zum Ausdruck, dass der nach §§ 57 Abs. 1 Satz 2, 71 Abs. 1 und 2 AktG zulässige Aktienerwerb auch auf dem Wege der mittelbaren Stellvertretung erlaubt ist50. Unter Zugrundelegung dieses Normzweckes sind folgende Überlegungen für das Verständnis des Aktienerwerbs für Rechnung der Aktiengesellschaft maßgebend: Die Vorschrift flankiert die gesetzlichen Bestimmungen über die Kapitalerhaltung51. Der nicht erlaubte entgeltliche Erwerb eigener Aktien unterliegt als unerlaubte Zuwendung von Gesellschaftsvermögen an die Aktionäre dem Verbot der Einlagenrückgewähr. Er löst den Anspruch der Aktiengesell-
__________ 45 Bungeroth in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff (Fn. 5), § 71a Rz. 26–28; ähnlich T. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter (Fn. 11), § 71a Rz. 24, wonach die AG die wirtschaftlichen Folgen des Aktienerwerbs tragen, insbesondere dem Erwerber den Preis erstatten müsse (§ 670 BGB) und von ihm die Aktien herausverlangen könne (§ 667 BGB). 46 Cahn in Spindler/Stilz (Fn. 9), § 71a Rz. 13 und 65. 47 Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71a Rz. 45; ähnlich Merkt in Großkomm. AktG (Fn. 9), § 71a Rz. 68. 48 § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG. 49 Merkt in Großkomm.AktG (Fn. 9), § 71a Rz. 1; Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71a Rz. 41; Hüffer (Fn. 11), § 71a Rz. 8; Lutter in KölnKomm.AktG (Fn. 13), § 71a Rz. 13; Cahn in Spindler/Stilz (Fn. 9), § 71a Rz. 61; T. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter (Fn. 11), § 71a Rz. 24; Bungeroth in Geßler/Hefermehl/Eckardt/ Kropff (Fn. 5), § 71a Rz. 2 und 20 f. 50 Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71a Rz. 42; Hüffer (Fn. 11), § 71a Rz. 8; Lutter in KölnKomm.AktG (Fn. 13), § 71a Rz. 13; Cahn in Spindler/Stilz (Fn. 9), § 7 Rz. 61; T. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter (Fn. 11), § 71a Rz. 24; Bungeroth in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff (Fn. 5), § 71a Rz. 21. 51 §§ 57 und 62 AktG.
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schaft auf Rückgewähr des gezahlten Betrages aus. Die Zahlung des Kaufpreises bei dem zulässigen Erwerb eigener Aktien gilt hingegen nicht als Rückgewähr von Einlagen52. Der Erwerb von Aktien, auf die der Einlagebetrag noch nicht vollständig eingezahlt ist53, stellt einen Verzicht auf die Leistung der noch offenen Einlagebeträge dar. Das Verbot des Erwerbs solcher Aktien dient der Sicherung der Kapitalaufbringung54. Dieser Zusammenhang mit der Sicherung des Grundkapitals und des darüber hinausreichenden Gesellschaftsvermögens55 sowie die der Aktiengesellschaft drohenden weiteren Gefahren – der Eintritt eines Doppelschadens bei Wertverlust der von der Aktiengesellschaft gehaltenen eigenen Aktien56 – werden angesprochen, soweit in den Kommentierungen zu § 71a Abs. 2 AktG die mit dem Erwerb verbundenen wirtschaftlichen Risiken und Vorteile dargelegt werden57. Das Gesetz hat also den Erwerb der Aktien der Aktiengesellschaft durch einen Dritten mit den sich daraus für diese ergebenden Gefahren und Risiken im Auge, wenn es eine Vereinbarung über den Erwerb „für Rechnung der Gesellschaft“ für nichtig erklärt58. Als weiterer Schutzzweck kommt die aktienrechtliche Kompetenzordnung in Betracht. Sie geriete in Gefahr, wenn der Vorstand in der Lage wäre, Rechte aus den der Gesellschaft gehörenden Aktien geltend zu machen. Das verhindert § 71b AktG. Des Weiteren könnte er Einfluss auf die Zusammensetzung des Aktionärskreises nehmen, insbesondere könnten unliebsame Aktionäre ausgekauft werden59. Auch das soll durch die Erweiterung der Beschränkung des Erwerbs eigener Aktien über einen mittelbaren Stellvertreter verhindert werden. Dieser Schutzbereich wird nicht nur durch den Erwerb, sondern auch dann tangiert, wenn im Hinblick auf Verwendung und Verbleib der Aktien in die Vereinbarung i. S. d. § 71a Abs. 2 AktG Weisungs- und Genehmigungsrechte der Aktiengesellschaft aufgenommen werden. Dieser Gefahr der Einflussnahme auf die Zusammensetzung des Aktionärskreises durch den Vorstand wird jedoch bereits durch das Gebot der verhältnismäßigen Gleichbehandlung der
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§ 57 Abs. 1 Satz 2 AktG. § 71 Abs. 2 Satz 3 AktG. Vgl. dazu §§ 54, 56, 63–66 AktG. Vgl. dazu Bungeroth in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff (Fn. 5), § 71 Rz. 3 f.; Merkt in Großkomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 2 f.; Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 2 ff.; Cahn in Spindler/Stilz (Fn. 9), § 71 Rz. 14; Lutter in KölnKomm.AktG (Fn. 13), § 71 Rz. 10; T. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter (Fn. 11), § 71 Rz. 7 f.; Hüffer (Fn. 11), § 71 Rz. 1. Merkt in Großkomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 8 ff.; Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 18 f.; Cahn in Spindler/Stilz (Fn. 9), § 71 Rz. 17. Zu den ökonomischen Hintergründen vgl. Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 1 ff.; Merkt in Großkomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 17 ff. So in wünschenswerter Klarheit T. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter (Fn. 11), § 71a Rz. 24. Zu Einzelheiten vgl. Cahn in Spindler/Stilz (Fn. 9), § 71 Rz. 11 und 15; Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 23; Merkt in Großkomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 5; Hefermehl/Bungeroth in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff (Fn. 5), § 71 Rz. 5; Lutter in KölnKomm.AktG (Fn. 13), § 71 Rz. 12; Hüffer (Fn. 11), § 71 Rz. 1; grundlegend Huber in FS Duden, 1977, S. 137, 142 ff.
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Aktionäre entgegengewirkt60. Soweit ihm unter dem Gesichtspunkt des Verbotes, eigene Aktien zu erwerben, Bedeutung beigemessen wird, hat dies keinen selbständigen Stellenwert, vielmehr steht und fällt der Gesichtspunkt mit der Beachtung oder Verletzung des Kapitalerhaltungsgrundsatzes. Zutreffend führt daher Cahn aus61, der Schutz der Kompetenzverteilung habe gegenüber dem Kapitalschutzmotiv keine eigenständige Bedeutung, er erscheine „eher als Reflex des Kapitalschutzes denn als selbständiger Regelungszweck“. Seine Ausführungen zur Auslegung des § 71a Abs. 2 AktG62 sind daher so zu verstehen, dass die Vereinbarung über die Erteilung von Weisungen nur im Zusammenhang mit der Übernahme des unmittelbaren Risikos aus dem Aktienerwerb durch das Finanzierungsgeschäft Bedeutung erlangt. Das entspricht letztlich auch dem Wortlaut der Vorschrift, nach der Aktien „für Rechnung der Gesellschaft“ übernommen werden sollen, das Rechtsgeschäft also ihr finanzielles Engagement voraussetzt. Aufgrund der vorstehenden Überlegungen kann auch die umstrittene Frage beantwortet werden, ob der Dritte den Weisungen der Aktiengesellschaft hinsichtlich der Mitgliedschaft unterworfen sein muss. Ihn trifft die Pflicht zur Herausgabe der Aktien63. Die Herausgabepflicht ist als Bestandteil des zwischen Gesellschaft und Drittem geschlossenen Rechtsgeschäfts i. S. d. § 71a Abs. 2 AktG unabdingbar. Weisungsrechte sind zwar Bestandteil des Auftrages bzw. des Geschäftsbesorgungsvertrages64. Sie können jedoch abgeändert werden. Sie sind kein zwingender Bestandteil des Rechtsgeschäfts über den Erwerb eigener Aktien „für Rechnung der Gesellschaft“65.
__________ 60 Merkt in Großkomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 7; Oechsler in MünchKomm.AktG (Fn. 9), § 71 Rz. 23. 61 Cahn in Spindler/Stilz (Fn. 9), § 71a Rz. 10. 62 Cahn in Spindler/Stilz (Fn. 9), § 71a Rz. 13 und 65, dargestellt oben unter III. 2. 63 §§ 675 Abs. 1, 667 BGB. 64 §§ 675 Abs. 1, 665 BGB. 65 So zutreffend Bungeroth in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff (Fn. 5), § 71a Rz. 27.
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„Räuberische“ Aktionäre – Ist das Prozessrecht hilflos? Inhaltsübersicht I. Die aktuelle Problematik II. Die Strategien der Berufskläger III. Anreiz und Schaden IV. Reaktionen der Rechtsprechung und des Gesetzgebers V. Lösungsmodelle 1. Deckelung der Vergleichsgebühren
2. Weitere Verkürzung der Frist für das Freigabeverfahren 3. Einführung eines Mindestquorums 4. Einstweiliger Rechtsschutz statt Freigabeverfahren 5. Haftung a) § 62 AktG b) Treuepflichtverstoß c) § 826 BGB
Kaum ein Thema des Gesellschaftsrechts hat Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur so intensiv beschäftigt wie der Missbrauch der Anfechtungsklage gegen Hauptversammlungsbeschlüsse1. Dabei sind die (vermeintlich) verfahrensrechtlichen Lücken, die „räuberischen“ Aktionären2 Tür und Tor für ihr lukratives „Geschäftsmodell“3 öffnen, so alt wie das Aktienrecht selbst4. Das Klagegewerbe sog. Berufskläger5 erhitzt die Gemüter ansonsten typischerweise kühl und rational argumentierender Juristen (nicht nur von Syndici) so sehr, dass einige zu gewagten Formulierungen greifen6, die man sonst nur vom
__________ 1 Beispielhaft die frühere Bundesjustizministerin Zypries auf der Corporate Governance Kodex-Konferenz am 5.7.2007: „Der aufrechte Kleinaktionär, das Idealbild der Aktienrechtsreform 1965, ist nicht mehr der Polizist im Interesse aller Mitaktionäre. Das scheint ein Auslaufmodell zu sein. Wir haben stattdessen eine ständig wachsende Szene klagefreudiger Kleinaktionäre, denen es meist nicht um das gemeinsame Ganze geht. Ihnen liegt vorrangig daran, sich den Lästigkeitswert ihrer Klagen abkaufen zu lassen. Diese Entwicklung beobachte ich mit großer Sorge.“ 2 Diese Bezeichnung findet sich unter anderem bei Niemeier, ZIP 2008, 1148; Poelzig, DStR 2009, 1151; Peters, NZG 2007, 935. 3 Poelzig, DStR 2009, 1151, 1152; Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629 ff.; Martens/ Martens, AG 2009, 173; FAZ v. 18.6.2007, S. 18; Seibert, NZG 2007, 841, 845, den dieses lukrative Geschäftsmodell sogar anwidert. 4 „Das Recht eines Jeden zur Anfechtung ist ein zweischneidiges Mittel, welches Schikanen und Erpressungen Thür und Thor öffnet“, Regierungsentwurf zum Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften v. 18.7.1884, RT-Drucks., 5. Leg.-Per., IV. Session 1884, I. Bd., Nr. 21, S. 157. 5 Diese Bezeichnung scheint sich eingebürgert zu haben, Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1636; Falkenhausen/Baus, ZIP 2007, 2037; Drinhausen/Keinath, BB 2007, 2538; Spiegel 7/2010, S. 59; FAZ v. 1.10.2007, S. 18; FAZ v. 19.2.2009, S. 11. 6 Berufskläger als „Räuber“, so etwa der Vorsitzende des Zivilsenats des BGH Goette in FAZ v. 19.1.2009, S. 11; Lutter in FS ‚Der Betrieb‘, 1988, S. 193, Geschäftsmodell als „moderne Form der Wegelagerei“, Martens/Martens, AG 2009, 173, Hauptversammlung als „Selbstbedienungsladen“.
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Boulevard kennt. – Uwe H. Schneider hat sich diesen und anderen Fragestellungen im Schnittpunkt von Gesellschafts- und Verfahrensrecht wiederholt zugewandt7 – daher hoffen wir, dass die folgenden Überlegungen sein Interesse finden werden.
I. Die aktuelle Problematik Die Anfechtungsklage nach §§ 243 ff. AktG erfüllt zwei Funktionen8: Sie ermöglicht einerseits jedem Aktionär, sich gegen die Missachtung oder Aushöhlung seiner Rechte in der Hauptversammlung zur Wehr zu setzen (sog. individuelle Komponente). Andererseits enthält sie ein Instrument zur Bewährung und Durchsetzung des Aktienrechts im Bereich der Hauptversammlungsbeschlüsse (sog. objektiv-rechtliche Komponente). Freilich kommt der Anfechtungskläger als uneigennütziger „private public attorney“ in der Praxis selten vor. Stattdessen häufen sich die Fälle, in denen es den Klägern nicht um eine Klärung streitiger Sach- und Rechtsfragen geht, sondern schlicht um individuelle Gewinnmaximierung. Das Vorgehen der Berufskläger unterscheidet sich von Fall zu Fall im Detail, dennoch sind typische Merkmale erkennbar: Derartige Anfechtungsklagen werden von einem kleinen Kreis von „Gewerbsopponenten“ initiiert9. Meist besitzen die Kläger nur geringe Anteile an der Aktiengesellschaft, da bereits eine Aktie die Anfechtungsbefugnis begründet10. Die Kläger wollen Vergleichsdruck durch die Verzögerung der Eintragung des Hauptversammlungsbeschlusses erzeugen11. Ein Anfechtungsverfahren bewirkt eine Registersperre und blockiert damit den Vollzug des Beschlusses, § 16 Abs. 2 Satz 2 UmwG, § 319 Abs. 5 Satz 2 AktG. Dabei ist es irrelevant, ob die Anfechtungsklage begründet ist. Dies begünstigt die Anbringung auch evident aussichtsloser Anfechtungsklagen12.
__________ 7 Ich erinnere mich gerne an wiederholte Diskussionen über class actions, securities litigation und vergleichbare Phänomene im deutschen Prozessrecht (KapMuG). 8 BGHZ 107, 308, 310. 9 Es handelt sich in der Praxis um ca. 40 namentlich bekannte, wiederholt auftretende Kläger, die bereits Gegenstand empirischer Studien geworden sind, Baums/Gajek/ Keinath, ZIP 2007, 1629 ff. 10 Der durchschnittliche Anteilsbesitz der Anfechtungskläger liegt bei 0,01 %, Baums/ Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1634. 11 So ergeben sich im Gegensatz zu sonstigen Zivilverfahren auffällig häufig vergleichsweise Beendigungen von Anfechtungsverfahren. Empirische Angaben gehen von doppelt so vielen Fällen einer Verfahrensbeendigung durch Vergleich in Anfechtungsverfahren im Verhältnis zu sonstigen Zivilverfahren aus, Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1642 f. Die Beschlussmängelklagen der als Berufskläger identifizierten Top 20 Kläger werden nach dieser Studie sogar ausnahmslos durch Vergleich beendet. 12 Auch unbegründete Anfechtungsklagen haben Blockadewirkung, da auch diese eine lange Verfahrensdauer zur Folge haben, in der die jeweilige Maßnahme nicht umgesetzt werden kann, K. Schmidt in Hopt/Wiedemann, AktG, 4. Aufl. 1995, § 245 Rz. 69; Kiethe, NZG 2004, 489, 493.
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„Räuberische“ Aktionäre – Ist das Prozessrecht hilflos?
Gegenstand der Anfechtung sind typischerweise Beschlüsse von erheblicher Tragweite, wie etwa Kapitalerhöhungsmaßnahmen, Verschmelzungsbeschlüsse oder Unternehmensrestrukturierungsmaßnahmen13. Heutzutage wird in börsennotierten Aktiengesellschaften14 kaum eine wichtige Strukturmaßnahme gefasst, ohne dass diese im Nachhinein durch eine Anfechtungsklage einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt wird15. Dem „räuberischen“ Aktionär geht es jedoch nicht um die Kontrolle der Hauptversammlungsbeschlüsse auf ihre Rechtmäßigkeit und um die Wahrnehmung seiner Aktionärsrechte16 Die Kläger lassen sich den Lästigkeitswert ihrer Anfechtungsklagen von der betroffenen Gesellschaft abkaufen. Die „Berufskläger“ kassieren beachtliche Vergleichsbeiträge17, welche die Unternehmen angesichts der drohenden Gefahr einer monatelang verzögerten Umsetzung ihrer Hauptversammlungsbeschlüsse zu zahlen bereit sind, um handlungsfähig zu sein. Gibt das Gericht den engen Voraussetzungen eines Freigabeantrags nach § 246a AktG statt, kann der Hauptversammlungsbeschluss zwar trotz der grundsätzlichen Sperrwirkung der Anfechtungsklage ins Handelsregister eingetragen werden. Doch auch die Registerfreigabe dauert regelmäßig zwischen neun und zwölf Monaten18, was z. B. im Falle von Kapitalerhöhungsmaßnahmen ausreicht, um empfindliche Verzögerungsschäden herbeizuführen. Damit entfaltet eine Anfechtungsklage weiter hinreichendes Drohpotential, um den beklagten Gesellschaften innerhalb eines Vergleichs erhebliche Sondervorteile abzunötigen.
II. Die Strategien der Berufskläger Die Vorgehensweise der „Berufskläger“ folgt einem allgemeinen Muster: Sie nutzen exzessiv die Befugnisse des Aktien- und des Prozessrechts, um die Gegenseite zu zermürben. Bisweilen kommt es gar nicht zu Anfechtungsklagen, weil Unternehmen bereits im Vorfeld der Hauptversammlung prophylaktisch
__________ 13 Aufgrund des bei wichtigen Strukturmaßnahmen erhöhten Vergleichsdrucks wird in der Praxis von Anfechtungsklagen mit „Hebelwirkung“ gesprochen, Seibert, NZG 2007, 841, 843. 14 Meist handelt es sich um kleine bzw. mittlere börsennotierte Aktiengesellschaften, da aufgrund des gegenüber großen Unternehmen kleineren Budgets zur Vorbereitung und Durchführung von Hauptversammlungen das Risiko von anfechtungsbegründenden Fehlern nicht selten größer ist, Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1638; Waclawik, DStR 2006, 2177, 2178. 15 Vetter in FAZ v. 18.6.2007, S. 18. Anfechtungsklagen sind regelmäßiger Bestandteil einer „gerichtlichen Nachbereitung“ der Hauptversammlungsbeschlüsse geworden; Waclawik, DStR 2006, 2177. 16 Baums/Gajek/Keinath, ZIP 2007, 1629 ff.; Poelzig, DStR 2009, 1151, 1152; Martens/ Martens, AG 2009, 173 ff. 17 Die Sonderbereicherung der Missbrauchskläger ist nicht selten in Millionenhöhe anzusiedeln (als Spitzenwert werden 30 Mio. Euro genannt), Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1646. 18 Dauer des Freigabeverfahrens vor Einführung des ARUG, Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1648 f.
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potenziellen Berufsklägern sog. „Abwesenheitsprämien“ zahlen, um sich abzeichnende Anfechtungsprozesse schon im Keim zu ersticken19. Andernfalls zielt die erste Eskalationsstufe darauf ab, formale Fehler durch exzessive Nutzung individueller Aktionärsrechte in der Hauptversammlung zu provozieren. So strapazieren einige Kläger die Redezeiten dermaßen über, dass sie die Versammlungsleitung in eine Zwickmühle treiben: Entzieht sie dem „Berufsredner“ das Wort vorschnell, zieht dies eine Anfechtungsklage nach sich, lässt sie ihn dagegen weiterschwadronieren, könnten wiederum andere argumentieren, dass sie aufgrund der nachlässigen Versammlungsleitung wichtige Beiträge nicht mehr vorbringen konnten20. Eine weitere Taktik besteht darin, in der Hauptversammlung mit einem „Fragenstakkato“ auf die Versammlungsleitung einzuprasseln. Werden dann versehentlich einzelne Fragen übergangen, ist das Ziel – die Provokation von Anfechtungsgründen – erreicht. Zum Repertoire gehört auch das systematische Stören des Versammlungsablaufs durch Zwischenrufe, Einbringen aufwändiger Anträge zur Geschäftsordnung21 oder sonstiger Verzögerungsmaßnahmen22. Ein gereizter Versammlungsleiter soll zu unberechtigten Saalverweisen verleitet werden; nachfolgende Beschlüsse können dann angefochten werden23. Auch im Anfechtungsprozess wird mit prozessualen Tricks taktiert: Auf Klägerseite treten meist mehrere Streitgenossen auf, weitere schließen sich mittels Nebenintervention der Anfechtungsklage an24. Die komplexe Prozessführung verzögert die Anfechtungsklage25 und erhöht den Vergleichsdruck auf das Unternehmen. Weitere Verzögerungen werden dadurch erreicht, dass Klägergesellschaften mit (exotischem) Sitz im Ausland Anfechtungsklagen erheben, was im Freigabeverfahren eine Auslandszustellung nötig macht26.
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19 Waclawik, DStR 2006, 2177, 2179. Ein Verstoß gegen §§ 53a, 57 AktG wird dadurch vermieden, dass die Zahlungen nicht durch die Aktiengesellschaft selbst, sondern beispielsweise durch die Mutter- oder eine Schwestergesellschaft abgewickelt werden. 20 Mitunter gehen mehrere Berufskläger arbeitsteilig vor, um eine solche Situation kollusiv heraufzubeschwören, Waclawik, DStR 2006, 2177, 2180. 21 Beispielsweise werden gezielt Anträge auf Abwahl des Versammlungsleiters gestellt. Auch hier wird eine typische Zwickmühlen-Situation geschaffen: Wird der Antrag abgelehnt, liefert dies für den Berufskläger den Grund für eine mögliche Anfechtungsklage, so etwa in den Fällen LG Frankfurt/M., ZIP 2005, 1176; LG Köln, Der Konzern 2005, 759, 765 f., geht man dem Antrag nach, verzögert sich die Hauptversammlung erheblich, was wiederum zu Anfechtungsklagen führen kann. 22 Dieses Vorgehen kommentiert ein Berufskläger mit den Worten: „Einmal im Jahr ist Karneval, einmal im Jahr ist Hauptversammlung.“, Spiegel 7/2010, S. 59. 23 BGHZ 44, 245, 251 ff.; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 243 Rz. 16. 24 Den „räuberischen“ Nebenintervenienten verpflichtet der BGH, seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen, BGH, BB 2007, 1524. Hierzu Meyer-Landrut, BB 2007, 2533; Gärtner/Thiel, BB 2008, 2089. Das UMAG beschränkt die Nebenintervention auf einen Monat nach der Bekanntmachung der Anfechtungsklage, § 246 Abs. 4 Satz 2 AktG. 25 Weitere Verfahrensverzögerungen werden durch Terminverlegungsanträge forciert, Waclawik, DStR 2006, 2177, 2181. 26 Hierzu bedient man sich Ländern, mit denen keine (oder schwergängige) Rechtshilfeabkommen bestehen, J. Vetter, AG 2008, 177, 179; Waclawik, DStR 2006, 2177, 2181.
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„Räuberische“ Aktionäre – Ist das Prozessrecht hilflos?
III. Anreiz und Schaden Aus ökonomischer Sicht ist das Verhalten der „räuberischen“ Aktionäre zweifellos nachvollziehbar. Eine hohe Ertragsmöglichkeit bei geringem finanziellen Risiko ist verlockend, bedenkt man die geringe Aufdeckungswahrscheinlichkeit des Missbrauchs und die praktisch fehlenden Sanktionsmöglichkeiten. Das profitable „Geschäftsmodell“ missbräuchlicher Anfechtungsklagen wird ohne entsprechende Gegenmaßnahmen auch zukünftig nicht zu verhindern sein, sondern weitere Nachahmer finden27. Die gesetzliche Ausgangslage setzt geradezu wirtschaftliche Anreize, um Anfechtungsklagen zu erheben28. Dabei ist der wirtschaftliche Schaden beträchtlich: Dem Unternehmen entsteht neben dem Kostenrisiko im Unterliegensfall vor allem Verwaltungsaufwand durch die Prozessführung. Zudem werden Justizressourcen ohne (wirklichen) Mehrwert verschwendet. Bedeutsam ist jedoch der erhebliche Verzögerungsschaden durch die Blockierung des Vollzugs wichtiger Strukturmaßnahmen des beklagten Unternehmens. Nicht zuletzt benachteiligen verzögerte Kapitalmaßnahmen aufgrund anfechtungsblockierter Hauptversammlungsbeschlüsse deutsche Aktiengesellschaften bei Fusionen und Übernahmen gegenüber ausländischen Wettbewerbern29. Das deutsche Aktienrecht bewirkt als negativer Standortfaktor damit tendenziell die Verlagerung von Unternehmenszentralen ins Ausland30.
IV. Reaktionen der Rechtsprechung und des Gesetzgebers Ebenso alt wie die räuberischen Klagen sind die Bemühungen, dem unredlichen „Spiel“31 Einhalt zu gebieten: Bereits das Reichsgericht versuchte, „missbräuchliche“ Anfechtungsklagen einzudämmen, stellte dabei jedoch allein auf die subjektive Intention des Klägers ab32. Die beklagte Gesellschaft musste sogar die innere Tatsache des Prozessgegners nachweisen, nämlich dass dieser keine sonstigen (sprich: berechtigten) Aktionärsinteressen verfolgte. Im Jahre 1989 erleichterte der BGH die Beweisanforderungen in der sog. Kochs-Adler-Entscheidung33. Danach soll ein Klagemissbrauch bereits dann vorliegen, „wenn der Kläger eine Anfechtungsklage mit dem Ziel erhebt, die verklagte Gesellschaft in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung zu veranlassen, auf die er keinen Anspruch hat und billigerweise auch nicht erheben kann, wobei er sich im allgemeinen von der Vorstellung leiten lassen wird, die beklagte Gesell-
__________ 27 So steigt die Zahl missbräuchlicher Aktionärsklagen und der Kreis der berufsmäßigen Anfechtungskläger stetig an, Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1647. Siehe auch für den Zeitraum zwischen 1980 und 1999 Baums/Vogel/Tacheva, ZIP 2000, 1649. 28 J. Vetter, AG 2008, 177, 178. 29 Niemeier, ZIP 2008, 1148. 30 So J. Vetter, AG 2008, 177, 181. 31 So der Baden-Württembergische Justizminister Goll (FDP) in FAZ v. 20.5.2009, S. 21. 32 RGZ 146, 385, 395 ff. 33 BGHZ 107, 296 = NJW 1989, 2689.
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schaft werde die Leistung erbringen, weil sie hoffe, dass der Eintritt anfechtungsberechtigter Nachteile und Schäden dadurch vermieden oder zumindest gering gehalten werden könne.“ Liegen diese Voraussetzungen vor, wird die missbräuchliche Aktionärsklage abgewiesen34. Die – mit Verlaub – gespreizte Formulierung zeugt von den fortbestehenden Schwierigkeiten der Rechtsprechung beim Umgang mit den „Räubern“. In dieser und darauffolgenden Entscheidungen erachtete der BGH es jedoch als ausreichend, wenn der Missbrauch durch Indizien bewiesen wird35. Obwohl in der Folge einige Anfechtungsklagen wegen Missbrauchs abgewiesen wurden, nahmen „räuberische“ Aktionärsklagen weiter zu36. Der Gesetzgeber reagierte auf das Problem37 mit der Einführung des Freigabeverfahrens gemäß § 246a AktG durch das UMAG38, das ARUG hat nachhaltige Verbesserungen bewirkt39. Freilich waren nicht alle Maßnahmen gleichermaßen wirksam: Die Anfechtungsklage erfordert nunmehr eine Mindestbesitzzeit der Aktie. Der Kläger muss die Aktie vor Bekanntmachung der Tagesordnung erworben haben, § 245 Abs. 1 Nr. 1, 3 AktG. Allerdings können Berufskläger durch den prophylaktischen Ankauf von Aktien diese Regelung leicht umgehen40. Auch können systematisch Aktien von Unternehmen erworben werden, die wichtige Strukturmaßnahmen angekündigt haben, noch bevor die Tagesordnung der Hautversammlung bekanntgemacht wurde. § 248 AktG führt zudem eine Bekanntmachungspflicht über die vergleichsweise Beendigung von Beschlussmängelprozessen (einschließlich etwaiger Nebenabreden auch im Vorfeld einer Anfechtungsklage) ein. Der Gesetzgeber erhoffte sich einen Abschreckungseffekt gegenüber Berufsklägern41. Zwar unterstützt die Bekanntmachungspflicht die empirische Untersuchung missbräuch-
__________ 34 Der BGH erachtet Klagen wegen unzulässiger Rechtsausübung als unbegründet, BGH, NJW 1989, 2689, 2691. Andere befürworten ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis, Schwab in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 245 Rz. 48; Teichmann, JuS 1990, 296, 271. 35 Beispiel: Mehrere Verfahren des Berufsklägers gegen verschiedene Gesellschaften laufen parallel oder zeitnah, BGH, DStR 1992, 1481; Die erhobene Anfechtungsklage ist evident aussichtslos, BGH, NJW 1989, 2689, 2692; Aktienerwerb des Klägers erst kurz vor oder gar nach der Hauptversammlung, OLG Köln, ZIP 2004, 760, 761; OLG Stuttgart, ZIP 650, 653; geringer Anteilsbesitz des Klägers, OLG Stuttgart, ZIP 2001, 650, 653. 36 Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1648. 37 Vgl. die Regierungsbegründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), BT-Drucks. 15/5092, S. 1. 38 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) vom 22.9.2005, BGBl. I 2005, S. 2802 ff. 39 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) vom 30.7.2009, BGBl. I 2009, S. 2479. 40 Seibert, NZG 2007, 841, 843. Die Zahl der Anfechtungsklagen hat sich aufgrund der Einführung einer Mindestbesitzzeit in § 245 Abs. 1 Nr. 1, 3 AktG nicht verringert, Falkenhausen/Baus, ZIP 2007, 2037. 41 Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1630; Poelzig/Meixner, AG 2008, 196, 199.
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licher Anfechtungsklagen, ein Klagerückgang kann jedoch nicht verzeichnet werden42. Auch § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG wurde gestrafft: Satzung oder Geschäftsordnung können den Versammlungsleiter zur angemessenen Beschränkung des Rede- und Fragerechts des Aktionärs ermächtigen43. Eine effektive Eindämmung der missbräuchlichen Aktionärsklagen versprach sich der Gesetzgeber jedoch durch die Einführung des Freigabeverfahrens nach § 246a AktG. Es ermöglicht die Eintragung eines Hauptversammlungsbeschlusses trotz schwebender Anfechtungsklage in das Handelsregister, wenn die Aktionärsklage unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (§ 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG), der Berufskläger keinen Aktienbesitz im Mindestwert von 1.000 Euro nachweisen kann (§ 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG) oder geringfügige Gesetzes- oder Satzungsverstöße vorliegen (§ 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG). Erweist sich die Anfechtungsklage im Nachhinein als begründet, kann der Aktionär gegen die Gesellschaft gemäß § 246a Abs. 4 AktG Schadensersatz geltend machen. Allerdings erwies sich das Freigabeverfahren aufgrund der oben aufgezeigten „prozessualen Tricks“ der Anfechtungskläger (Erhöhung der Parteien; Verzögerung der Zustellungen) zunächst als wenig effektiv. Das ARUG enthält nunmehr prozessuale Korrekturen: Es beschränkt das Freigabeverfahren auf eine Instanz vor dem OLG und ermöglicht die Inlandszustellung des Freigabeantrags an die Prozessvertreter der Anfechtungskläger. Des Weiteren wurde eine Dreimonatsfrist in § 246a Abs. 3 AktG angeordnet, in der das Eilverfahren beschieden werden soll. Ob die OLG in der Lage sind, die Frist einzuhalten, bleibt freilich abzuwarten.
V. Lösungsmodelle Auch nach den jüngsten Nachbesserungen werden weitere Maßnahmen diskutiert, um den Schutz gegen den Klagemissbrauch zu effektuieren. 1. Deckelung der Vergleichsgebühren Häufig werden in den Vergleichsvereinbarungen zwischen beklagter Gesellschaft und den Berufsklägern neben der Verpflichtung zur Klagerücknahme oder Klageverzicht weitere Regelungen aufgenommen, aus denen dann ein „Vergleichsmehrwert“ entwickelt wird44. Aus dem künstlich überhöhten Ge-
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42 J. Vetter, AG 2008, 177. Berufskläger drängen in den Vergleichsverhandlungen neuerdings darauf, dass die Veröffentlichung des Vergleichstextes nicht in der FAZ oder der Financial Times Deutschland erscheint, J. Vetter, AG 2008, 177, 179; Jahn in FAZ v. 18.6.2007, S. 18. 43 Bei der Beschränkung des Rede- und Fragerechts hat der Versammlungsleiter die Gebote der Sachdienlichkeit, Verhältnismäßigkeit und Gleichbehandlung zu beachten, BGH, Urteil v. 8.2.2010 – II ZR 94/08. 44 Der Gesamtvergleichswert ermittelt sich aus dem Streitwert, der auf 500.000 Euro gedeckelt ist, vgl. § 247 Abs. 1 AktG, und dem angenommenen Wert der weiteren in dem betreffenden Vergleich getroffenen Absprachen („Vergleichsmehrwert“).
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samtvergleichswert45 wird der Kostenerstattungsanspruch des Berufsklägers ermittelt. Aufgrund des „Vergleichsmehrwerts“ liegt dieser weit über den Beträgen, die bei einem Kostenerstattungsanspruch innerhalb eines Urteils zustande kommen würden46. Die erlangten Beträge werden zumeist zwischen Berufsklägern und deren Anwälten aufgeteilt47. Man könnte nun natürlich die Vereinbarung von „Vergleichsmehrwerten“ in verfahrensbeendenden Vergleichen bei Anfechtungsklagen im Aktienrecht deckeln48, gerichtlich festsetzen lassen49 oder gar ganz verbieten50. Doch hätte ein solches Vorgehen eine tatsächlich verhaltenssteuernde Wirkung auf die „räuberischen“ Aktionäre? Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Anfechtungskläger in Zusammenarbeit mit den unter Handlungsdruck stehenden Gesellschaften auf außergerichtliche Vereinbarungen ausweichen würden51. Eine Deckelung des „Vergleichsmehrwerts“ würde nur die Symptome nicht jedoch die Ursachen missbräuchlicher Anfechtungsklagen ausschließen. 2. Weitere Verkürzung der Frist für das Freigabeverfahren An anderer Stelle wird eine Verkürzung der Beschlussdurchsetzung mittels Herabsetzung der Fristenregelung innerhalb des Freigabeverfahrens vorgeschlagen. Die bisherige Drei-Monats-Frist des § 246a Abs. 3 Satz 6 AktG soll danach auf einen Monat bzw. auf vier Wochen verkürzt werden52. Dieser Vorschlag erscheint jedoch wenig praktikabel: Denn es erscheint kaum denkbar, dass die Oberlandesgerichte die für das Freigabeverfahren notwendige Interessenabwägung innerhalb derartig kurzer Fristen bewerkstelligen können53. Bisweilen weisen existenzielle Strukturmaßnahmen zudem eine solche Dringlichkeit auf, dass selbst eine Verzögerung der Beschlusseintragung von einer Woche angesichts des drohenden Verzögerungsschadens zu lang erscheint54.
__________ 45 Gesamtvergleichswerte von 25 bis 30 Mio. Euro sind keine Seltenheit, Baums/ Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1646. 46 Hier berechnet sich der Kostenerstattungsanspruch nach dem Streitwert, der auf maximal 500.000 Euro begrenzt ist, § 247 AktG. 47 Durchschnittlich ergeben sich so aufgrund des „aufgeblasenen“ Gesamtvergleichswerts Kostenerstattungsansprüche von über 70.000 Euro, Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1647. 48 Schwintowski, DB 2007, 2695, 2700. 49 J. Vetter, AG 2008, 177, 194. 50 Linnerz, NZG 2004, 307, 310. 51 So auch Baums/Drinhausen, ILF Working Paper No. 70/2007, S. 15. 52 So etwa Peltzer in FAZ v. 17.10.2007, S. 27; Diekmann/Leuering, NZG 2004, 249, 254. 53 J. Vetter, AG 2008, 177, 192; Poelzig/Meixner, AG 2008, 196, 199; Lutter, ZGR 1990, 392, 409. 54 Poelzig/Meixner, AG 2008, 196, 199.
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3. Einführung eines Mindestquorums Bedenkenswert erscheint die Einführung eines Mindestquorums als Voraussetzung zur Erhebung der Anfechtungsklage55. Danach kann der Anfechtungskläger nur dann als Interessenwahrer aller Aktionäre auftreten, wenn sein Mitgliedschaftsinteresse am Erfolg des Unternehmens auf einer gewissen Mindestbeteiligung an der Gesellschaft aufbaut56. Das Erfordernis einer Mindestbeteiligung würde für Berufskläger einen erhöhten Kostenaufwand bedeuten, da diese einen erheblichen Aktienbestand zur Ausübung ihres „Geschäftsmodells“ vorrätig halten müssten. Zudem wären sie dem Risiko eines Kursverlusts aufgrund der Blockade von Strukturmaßnahmen ausgesetzt. Ohne ein Mindestquorum kann ein Aktionär bereits mit einer Aktie Kapitalerhöhungsmaßnahmen blockieren, was im Extremfall zur Insolvenz des Unternehmens führen kann57. Dem schneidigen Instrument der Anfechtungsklage könnte mit Einführung eines Mindestquorums eine Treuepflicht als Ausgleich gegenübergestellt werden. Ein gewisser Aktienbesitz als Voraussetzung der Anfechtungsklage würde auch das Gewerbe für „Trittbrettfahrer“ erschweren und somit zu einer erheblich besseren Verfahrenskonzentration führen58. Ein Mindestquorum verstößt als Inhalts- und Schrankenbestimmung nicht gegen Art. 14 GG59, sofern den nicht anfechtungsberechtigten Kleinaktionären eine schadensrechtliche Alternative eröffnet wird60. Der Gesetzgeber hat bisher von der Einführung eines Mindestquorums abgesehen, da er davon ausging, dass die getroffenen Neuregelungen des UMAG und ARUG zur Eindämmung „räuberischer“ Aktionärsklagen ausreichen61. Allerdings könnten findige Berufskläger durch arbeitsteiliges Zusammenwirken die Hürde einer Mindestquote leicht umgehen. Weniger gut betuchte oder schlechter organisierte Gewerbsopponenten könnten zwar abgeschreckt werden – doch zu welchem Preis? Bei reinem Streubesitz hebeln Mindestquoren jeglichen Rechtsschutz aus62. Werden sie zu niedrig angesetzt, haben sie keinerlei Abschreckungswirkung. Werden sie dagegen zu hoch bemessen, kommt dies einer faktischen Abschaffung der Anfechtungsklage nahe. Damit würde
__________ 55 So etwa Seibert, NZG 2007, 841, 845; Noack, BB Heft 32/2007, S. I; J. Vetter, AG 2008, 177, 185 ff.; Poelzig/Meixner, AG 2008, 196, 200 ff. Als anfechtungsberechtigender Schwellenwert werden hauptsächlich 1 % Aktienanteil bzw. ein Aktiennennwert von 100.000 Euro vorgeschlagen. 56 J. Vetter, AG 2008, 177, 185. 57 Poelzig/Meixner, AG 2008, 196, 201. 58 J. Vetter, AG 2008, 177, 186. 59 So auch J. Vetter, AG 2008, 177, 186 f.; Poelzig/Meixner, AG 2008, 196, 202 f.; a. A. Baums/Drinhausen, ZIP 2008, 145, 148 f.; Heidel, BB 2007, 2526. 60 So könnten Aktionäre, die aufgrund ihres geringeren Aktienanteils keine Anfechtungsklage erheben können, auf einen Schadensersatzanspruch verwiesen werden, falls sie aufgrund der Eintragung eines fehlerhaften Beschlusses einen Schaden erlitten haben. Eine vergleichbare Regelung besteht schon de lege lata in § 246a Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 246a Abs. 4 AktG. 61 BT-Drucks. 15/5092, S. 29. 62 Niemeier, ZIP 2008, 1148, 1149.
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mit dem individuellen Rechtsschutz der Anteilseigner ein wichtiger Wettbewerbsvorteil des deutschen Investitionsstandorts wegfallen. 4. Einstweiliger Rechtsschutz statt Freigabeverfahren Niemeier63 schlägt eine Umkehrung des Grundsatzes der Sperrwirkung der Anfechtungsklage und der Eintragungsmöglichkeit durch ein Freigabeverfahren vor. Die Sperrwirkung der Anfechtungsklage fällt weg, jedoch können die Aktionäre der vorläufigen Eintragung des Hauptversammlungsbeschlusses mit einer einstweiligen Verfügung entgegentreten. Zwar wird dadurch die Blockademöglichkeit nicht gänzlich beseitigt, aber erheblich entschärft. Erstens wird die Registersperre nicht schon durch Klageerhebung, sondern erst nach gerichtlicher Prüfung erlangt. Zweitens haftet der Berufskläger im Falle des Unterliegens in der Hauptsache für den Verzögerungsschaden, der durch die kurzzeitige Registersperre aufgrund der einstweiligen Verfügung hervorgerufen wurde64. Dieses Haftungsrisiko würde jedoch nicht nur hypothetische Berufskläger, sondern auch jeglichen sonstigen gewollten Aktionärsaktionismus ohne Missbrauchsabsicht angesichts erheblicher Haftungssummen abschrecken. Daneben soll während des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz keine Eintragung des Hauptversammlungsbeschlusses erfolgen65. Geht man von einer Verfahrenslänge von einem Monat aus, liegt hierin wiederum ein erhebliches Drohpotential für Berufskläger, um gegenüber der Gesellschaft immensen Vergleichsdruck aufzubauen. Dadurch werden die Bedingungen für missbräuchliche Klagen nicht etwa abgeschafft, sondern nur in ein neues System transferiert. Auch erscheint es utopisch, verlange man von Kleinaktionären die Entrichtung von Sicherheitsleistungen in Millionenhöhe, um eine Registersperre herbeizuführen. 5. Haftung Ein effektives Mittel zur Abwehr „räuberischer“ Aktionärsklagen besteht darin, der missbräuchlichen Anfechtungsklage Haftungsansprüche entgegenzusetzen. Hierüber besteht Einigkeit. Problematisch bleibt freilich die hohe „Aufgreifschwelle“ der existenten Anspruchsgrundlagen. Abhilfe verspricht hier das Prozessrecht: Die Zulassung und Ausweitung des Indizienbeweises kann die Anspruchsgrundlagen nachhaltig effektuieren.
__________ 63 Niemeier, ZIP 2008, 1148, 1150 f. 64 Niemeier schlägt zudem vor, diesen etwaigen Verzögerungsschaden der beklagten Gesellschaft durch Sicherheitsleistung des Aktionärs abzusichern, Niemeier, ZIP 2008, 1148, 1150. 65 Niemeier, ZIP 2008, 1148, 1150.
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a) § 62 AktG Nach § 62 AktG kann die Rückzahlung missbräuchlich erlangter Sonderzahlungen verlangt werden. Hierzu muss allerdings die Gesellschaft nachweisen, dass eine durch Vergleich beendete Beschlussmängelklage rechtsmissbräuchlich erhoben wurde. Neben diesen Beweisschwierigkeiten ist die Gesellschaft zunächst dazu verpflichtet, die Sonderzahlung zu leisten, um eine Blockade des Hauptversammlungsbeschlusses zu verhindern. Auch entfaltet § 62 AktG keinerlei präventive Wirkung, da die Rückzahlung für den Berufskläger keine empfindliche Vermögenseinbuße bedeutet: Sein Risiko bleibt bei null. Die Prozesskosten, die der Berufskläger im Falle einer Rückzahlung der Sonderleistung trägt, stehen nicht im Verhältnis zu den gewaltigen Summen, die durch „räuberische“ Aktionärsklagen „erwirtschaftet“ werden, bei denen es anschließend nicht zu einer Rückzahlungsverpflichtung aus § 62 AktG kommt. b) Treuepflichtverstoß Eine Verpflichtung zum Ersatz von Verzögerungsschäden durch Registersperren entfaltet grundsätzlich Abschreckungspotential. Als Anspruchsgrundlage kommen §§ 280 Abs.1, 241 Abs. 2 BGB in Betracht. Als Pflichtwidrigkeit kann dabei auf einen Treuepflichtverstoß des Aktionärs abgestellt werden, der sich mit Hilfe einer Anfechtungsklage Sonderleistungen verschaffen wollte66. Der Vorteil einer Lösung über § 280 BGB ergibt sich daraus, dass innerhalb der Pflichtwidrigkeitsprüfung die jeweiligen Interessen der Gesellschaft, der Mitaktionäre und des klagenden Aktionärs gegeneinander abgewogen werden können im Gegensatz zu einer Lösung über die starre Regelung des Rechtsmissbrauchs67. Die Schwäche dieser Anspruchsgrundlage resultiert aus ihrer Reichweite: Berufskläger treten häufig nicht als natürliche Personen, sondern in der Form einer GmbH oder (ausländischen) AG auf – wenn nicht sogar als Private Limited Company68. Derartige Klagevehikel mit begrenztem Grundkapital kommen als Beklagte bei Verzögerungsschäden in Millionenhöhe sinnvollerweise nicht in Betracht69. Vertragliche Haftungsansprüche sind allerdings auf die aktienhaltende juristische Person beschränkt70. Eine Durchgriffshaftung kann nur über deliktische Anspruchsgrundlagen erfolgen, die sowohl die juristische Person als Kläger als auch deren (tatsächlich agierenden) organschaftlichen Vertreter bzw. die Hintermänner erfasst.
__________ 66 Treuepflichten unter den Aktionären und gegenüber der Gesellschaft hat das sog. „Girmes“-Urteil festgeschrieben, BGHZ 129, 136. 67 „Der Rechtsmissbrauch ist eine gesteigerte Form der Treuepflichtverletzung.“ Szalai, DStR 2008, 358, 361. 68 Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1635 f. 69 J. Vetter, AG 2008, 177, 186. 70 Eine Haftung des handelnden Berufsklägers über § 280 Abs. 1 i. V. m. § 311 Abs. 3 BGB kommt wohl kaum in Betracht, Poelzig/Meixner, AG 2008, 196, 206, Fn. 123.
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c) § 826 BGB Unlängst hat schließlich das OLG Frankfurt einen Weg beschritten, der „räuberischen“ Aktionären das Handwerk legen könnte71. Ein namentlich bekannter Berufskläger greift mit der Anfechtungsklage formelle Fehler einer Hauptversammlung an72. Der Kläger ließ der Beklagten sodann einen Vergleichsvorschlag übermitteln, wonach sich die Beklagte unter Garantie ihrer Hauptaktionärin verpflichten sollte, jedem der Aktionäre, die ablehnend in der Hauptversammlung gestimmt hatten, Bezugsrechte hinsichtlich der Aktien aus der Kapitalerhöhung einzuräumen. Die Beklagte erhob Widerklage mit dem Antrag festzustellen, dass der Kläger der Beklagten für alle Schäden, die auf der Verzögerung der Kapitalerhöhung durch die Anfechtungsklage beruhen, schadensersatzpflichtig sei. Das LG Frankfurt wies die Klage ab und gab der Widerklage statt. Die anschließende Berufung des Klägers/Widerbeklagten vor dem OLG hatte keinen Erfolg. Die Widerklage der Gesellschaft wurde mit einer Haftung des Aktionärs nach § 826 BGB für den Vermögensschaden, den die Gesellschaft aufgrund des verspäteten Kapitalzuflusses infolge der Anfechtungsklage des Aktionärs erlitten hatte, begründet. Im vorliegenden Fall ergab sich die Sittenwidrigkeit der Anfechtungsklage aus dem Klagemissbrauch73. Problematisch bleibt freilich weiterhin der Nachweis des grob eigennützigen Klagemotivs, der bei einer (Wider)Klage aus § 826 BGB der beklagten Gesellschaft obliegt. Einen Anscheinsbeweis, dass grundsätzlich alle Anfechtungsklagen, die mit einem Vergleich enden, auch mit dem Vorsatz der Rechtsmissbräuchlichkeit erhoben wurden, gibt es nicht und darf es nicht geben. Das OLG Frankfurt stellte jedoch einen Katalog von vier Indizien zusammen, die kumulativ einen Missbrauch indizieren: nämlich ein bereitwilliges Einlassen des Klägers auf den Vergleichsvorschlag; die Geltendmachung von formalen Anfechtungsgründen (für das Interesse des Klägers unerheblich); geringer Aktienbesitz des Klägers; ähnliche Vorgehensweisen des Klägers in der Vergangenheit („track record“). Die Schadensersatzklage gemäß § 826 BGB gegen den „räuberischen“ Aktionär stellt ein wichtiges Instrument zur Abwehr missbräuchlicher Anfechtungsklagen dar und trägt dem Bedürfnis nach Rechtsschutz der betroffenen Gesellschaften und der redlichen Aktionäre Rechnung. Außerdem wird durch die Entscheidung des OLG Frankfurt ein Haftungsmodell geschaffen, dass – im Gegensatz zu den Bemühungen des Gesetzgebers durch die Einführung des Freigabeverfahrens – einen Ausgleich für die Vermögensschäden bei verzögerter Umsetzung von Hauptversammlungsbeschlüssen ermöglicht. Gerade die
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71 OLG Frankfurt/M. v. 13.1.2009, NZG 2009, 222; vorausgehend LG Frankfurt/M. v. 2.10.2007, DStR 2007, 2178. 72 Der Kläger rügte u. a. den Versammlungsort. 73 Im hier dargestellten Fall ging es zwar um den Verzicht der Hauptaktionärin auf ihre Bezugsrechte – also nicht um eine unmittelbare Leistung der Gesellschaft –, jedoch kommt es bzgl. der Frage der Missbräuchlichkeit auf den Zweck der Klage an, nicht dagegen von wem ein Vorteil verlangt wird, Martens/Martens, AG 2009, 173, 174; Poelzig, DStR 2009, 1151, 1153; i. E. so auch OLG Frankfurt/M., NZG 2009, 222, 223, das auf ein Treueverhältnis zwischen den Aktionären aus § 242 BGB abstellt.
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persönliche Haftung „räuberischer“ Aktionäre kann eine präventive Wirkung entfalten und „Berufskläger“ von Anfechtungsklagen mit Erpressungspotential abschrecken. Die erwünschte Kontrolle der Hauptversammlungsbeschlüsse durch redliche Aktionäre wird dadurch nicht gefährdet, da sich die Haftung aus § 826 BGB auf vorsätzliche sittenwidrige Verstöße beschränkt. Die Lösung über einen Ausgleich des Verzögerungsschadens sanktioniert das gewinnorientierte, schädigende Verhalten „räuberischer“ Aktionäre und schreckt damit etwaige Trittbrettfahrer ab. Daneben führt es zu einem angemessenen Schadensausgleich bei der beklagten Gesellschaft74. Bei der geltenden Rechtslage empfiehlt sich somit das vom Prozessvertreter der beklagten Gesellschaft im Frankfurter Prozess entwickelte „Düsseldorfer Modell“75 zur Abwehr „räuberischer“ Aktionärsklagen: Die Stellung eines Eilantrags im Freigabeverfahren nach § 246a AktG, eine Eventualwiderklage gegen die Anfechtungsklage auf Ersatz des Verzögerungsschadens aufgrund der verspäteten Registereintragung aus § 826 BGB und (gegebenenfalls) eine Strafanzeige gegen den Berufskläger. De lege ferenda bietet sich die Einführung eines speziellen Schadensersatzanspruchs auf Ersatz des Verzögerungsschadens bei missbräuchlichen Anfechtungsklagen in das Aktienrecht an76. Dies könnte zusätzliche Abschreckungswirkung entfalten. Als Vorbild hierfür könnte die bis 1965 im Aktienrecht bestehende Haftungsregelung des § 200 Abs. 2 AktG a. F.77 herangezogen werden. Eine vergleichbare Regelung sieht das österreichische Aktienrecht in § 198 Abs. 2 öAktG vor, ohne dass sich dies negativ auf grundsätzlich wünschenswerten Aktionärsaktionismus ausgewirkt hätte78. Der Abschreckungseffekt der Norm für Berufskläger hingegen ist erheblich79. Im Ergebnis ist festzuhalten: „Hilflos“ ist das Prozessrecht gegenüber den „rechtsmissbräuchlichen“ Aktionären nicht. Freilich ist es schwierig, gegenüber dem Missbrauch prozessualer und gesellschaftsrechtlicher Befugnisse die richtige Balance zu finden. Die Lösung ergibt sich aus einer Kombination von beschleunigtem (und vereinfachtem) Rechtsschutz und einem durch den Indizienbeweis „unterfütterten“ Anspruch auf Schadenersatz. Gesetzgeber und Gerichte sind mithin gleichermaßen gefordert. – Das Beispiel der missbräuchlichen Aktionärsklage zeigt aber auch, dass die Verfolgung überindividueller Interessen im Zivilprozessrecht besondere Missbrauchsanfälligkeit generiert. Daher ist gegenüber Vorschlägen, die eine Implementierung des „private public attorney“ in das Zivilprozessrecht anstreben, Zurückhaltung angebracht.
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74 Die Entscheidung wird deshalb auch vorwiegend begrüßt, Martens/Martens, AG 2009, 173, 174; Poelzig, DStR 2009, 1151, 1154. 75 FAZ v. 19.1.2009, S. 11. 76 So auch Martens/Martens, AG 2009, 173, 178. 77 „Für einen Schaden aus unbegründeter Anfechtung sind der Gesellschaft die Kläger, denen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, als Gesamtschuldner verantwortlich.“ 78 Roth in Semler, Reformbedarf im Aktienrecht, 1994, S. 167, 177. 79 Rohleder, AG 1989, 433, 434.
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Handels-, gesellschafts- und kapitalmarktrechtliche Publizitätspflichten in der Insolvenz Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Kapitalmarktrechtliche Pflichten 1. Haftung des Emittenten a) Wahrnehmung der Pflicht durch den Insolvenzverwalter b) Beachtung der kapitalmarktrechtlichen Pflichten 2. Persönliche Haftung 3. Durchsetzung von Ansprüchen in der Insolvenz
III. Publizitätspflichten des Rechnungslegungsrechts 1. Allgemeines Handelsrecht 2. Finanzberichterstattung IV. Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG V. Zusammenfassung
I. Einleitung Publizitätspflichten sind ein Thema, das den hier zu Ehrenden und den Unterzeichner schon seit vielen Jahren beschäftigt, insbesondere in Form ihrer parallelen Kommentierungen der §§ 21 ff. WpHG im Kölner Kommentar zum Wertpapierhandelsgesetz (Köln 2007) einerseits und im von Uwe H. Schneider gemeinsam mit Heinz-Dieter Assmann herausgegebenen Kommentar zum Wertpapierhandelsgesetz (inzwischen 5. Aufl. Köln 2009) andererseits. Vor diesem Hintergrund soll hier eine Frage behandelt werden, die in den letzten Jahren in unterschiedlichen Facetten die Praxis (und auch die Rechtsprechung) beschäftigt hat – nämlich die Behandlung einiger der handels-, gesellschaftsund kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten in der Insolvenz. Das soll dreigeteilt geschehen, indem zunächst ein Blick auf einige genuin kapitalmarktrechtliche Pflichten (II.) geworfen wird, um dann mit den Publizitätspflichten des Rechnungslegungsrechts (III.) das allgemeine Handelsrecht und der Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG den Grenzbereich zwischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht zu streifen (IV.).
II. Kapitalmarktrechtliche Pflichten1 Unter den zunächst anzusprechenden (echten) kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten spielen neben der Pflicht zur Ad-hoc-Publizität nach § 15 WpHG
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1 Zu früheren Überlegungen des Verfassers in diesem Punkt Hirte, ZInsO 2006, 1289, 1295 ff.; ders. in Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2006. Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR), 2007, S. 147, 164 ff.
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die Meldepflichten im Zusammenhang mit der Beteiligungspublizität nach §§ 21 ff. WpHG2 die Hauptrolle3. An der Schnittstelle zwischen Kapitalmarkt- und Insolvenzrecht steht dabei die Frage im Vordergrund, welche Pflichten einen Insolvenzverwalter treffen, der ein börsennotiertes Unternehmen führt. Dem ist für die Dauer des Eröffnungsverfahrens der vorläufige („starke“) Insolvenzverwalter gleichzustellen4; bei der gewöhnlichen vorläufigen Insolvenzverwaltung durch einen „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter verbleiben die kapitalmarktrechtlichen Pflichten demgegenüber ungeachtet der anzustellenden weiteren Überlegungen ausschließlich bei den Gesellschaftsorganen, und zwar ohne dass der Verwalter durch Zustimmungsvorbehalte ein Mitwirkungsrecht oder eine Mitwirkungspflicht bei der Erfüllung dieser öffentlich-rechtlichen Pflichten hätte5. Wegen des starken Einzelfallbezugs der dabei auftauchenden Fragen soll hier bei der Ad-hoc-Publizität nicht weiter vertieft werden, welche ad-hocpublizitätspflichtigen Insiderinformationen in Insolvenznähe besondere Relevanz haben6. 1. Haftung des Emittenten a) Wahrnehmung der Pflicht durch den Insolvenzverwalter Für die demgemäß im Mittelpunkt stehende Frage der Abgrenzung der Pflichtenkreise von Insolvenzverwalter, Gesellschaft und deren Organen muss man sich zunächst klar machen, dass es bei den Meldepflichten und der Pflicht zur Ad-hoc-Publizität um öffentlich-rechtliche Verpflichtungen geht. Derartige einen Schuldner treffende Pflichten werden weder durch die Stellung eines Insolvenzantrags noch durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens berührt7. Daher gilt insoweit grundsätzlich nichts anderes als auch bei anderen öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen, die die Masse treffen, etwa im Bereich des
__________ 2 Zu diesen Hirte in Kölner Kommentar zum WpHG, 2007, § 21 WpHG Rz. 67; vgl. auch Grub/Streit, BB 2004, 1397, 1399 f., 1408 f. (unter anderem mit der Forderung einer – schon europarechtlich ausgeschlossenen – teleologischen Reduktion der Veröffentlichungspflichten mit Blick auf die Insolvenzsituation); Ott/Brauckmann, ZIP 2004, 2117, 2121. 3 Zu weiteren Pflichten Hirte, ZInsO 2006, 1289, 1297; ders. in Gesellschaftsrecht in der Diskussion (Fn. 1), S. 147, 173; ders. in Kölner Kommentar zum WpHG (Fn. 2), § 11 WpHG Rz. 11; Schlette/Bouchon in Fuchs, Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), 2009, § 11 WpHG Rz. 9 (u. a. Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten in bezug auf Directors’ Dealings nach § 15a WpHG; Pflicht zur Führung bzw. Fortführung eines Insiderverzeichnisses nach § 15b WpHG; Verbot des Insolvenzverwalters und seiner Mitarbeiter, in Anteilen der insolventen Gesellschaft zu handeln, nach § 56 Abs. 1 InsO). 4 Abw. Grub/Streit, BB 2004, 1397, 1400. 5 Abw. Grub/Streit, BB 2004, 1397, 1400. 6 Dazu Hirte, ZInsO 2006, 1289, 1291 ff.; ders. in Gesellschaftsrecht in der Diskussion (Fn. 1), S. 147, 174 ff. 7 BVerwG v. 13.4.2005, BVerwGE 123, 203 = ZIP 2005, 1145, 1146 (Ott) (zu § 25 WpHG a. F. [heute § 26 WpHG]); VG Frankfurt/M. v. 29.1.2004, ZIP 2004, 469, 471 (Vorinstanz); ausdrücklich für § 15 WpHG M. Weber, ZGR 2001, 422, 425.
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Arbeits- und Sozialrechts8: der Insolvenzverwalter hat sie für die Masse zu erfüllen (arg. auch § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO; zu diesem im Übrigen näher unten III.)9. Dass es nicht um im Interesse der Gesellschafter zu erfüllende Pflichten geht, ergibt sich vor allem aus dem Charakter des Kapitalmarktrechts, dem es gar nicht (nur) um die Interessen der Aktionäre und schon gar nicht ausschließlich um diejenigen der aktuellen Aktionäre geht: Unter „Finanzinstrumenten“ versteht § 15 WpHG nämlich, wie sich aus § 2 Abs. 2b WpHG ergibt, auch – und für die hier diskutierten Fälle wohl in erster Linie – „Wertpapiere“. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG gehören zu diesen „Wertpapieren“ nicht nur Aktien (also Eigenkapitaltitel), sondern auch Schuldverschreibungen (also Fremdkapitaltitel); das ist für den Gesellschafts- und Kapitalmarktrechtler eine Selbstverständlichkeit, muss aber mit Blick auf teilweise aufgekommene Fehlvorstellungen im Insolvenzrecht10 ausdrücklich betont werden. Anders als im Gesellschaftsrecht, wo die Zuständigkeit der Gesellschafter- bzw. Hauptversammlung tatsächlich davon abhängt, ob Fragen der Eigenkapitalstruktur betroffen sind (etwa durch eine Kapitalerhöhung), geht es dem Kapitalmarktrecht ausschließlich um die Regelung der Pflichten der Gesellschaft als Marktteilnehmerin. Daher ist es auch ohne Bedeutung, ob die Aktionäre eine Chance haben, in einem Insolvenzverfahren noch Werte aus der Insolvenzmasse zu erhalten11. Wie bei den anderen öffentlich-rechtlichen Pflichten geht es mithin auch hier um „Gefahrenabwehr“, nämlich um die Abwehr der Gefahren, die der Öffentlichkeit durch Verbreitung oder Aufrechterhaltung unrichtiger Informationen drohen12. Das Bundesverwaltungsgericht ist dieser Auffassung freilich nicht gefolgt und hat sich dafür im Wesentlichen darauf gestützt, dass die durch die Publikation (i.c. ging es um § 25 WpHG a. F. [heute § 26 WpHG]) geschützten Interessen keinen Massebezug hätten13. Dabei übersieht es freilich, dass die kapitalmarktrechtlichen Publizitätsvorschriften überhaupt nicht der Durchsetzung irgendwelcher Rechte dienen, sondern eine schlichte Folge der Teilnahme der Gesellschaft „an einem Markt“ sind und die Publizitätsvorschriften die Markt-
__________ 8 Dazu Lüke in Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur Insolvenzordnung, Loseblatt/ 1998 ff., Stand 2/09, § 60 InsO Rz. 54 ff. m. w. N.; Sinz in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 13. Aufl. 2010, § 60 InsO Rz. 74 ff.; Uhlenbruck in Uhlenbruck, ebda., § 80 InsO Rz. 165 ff. 9 Ebenso VG Frankfurt/M. v. 29.1.2004, ZIP 2004, 469 (zu den Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten nach §§ 21 ff. WpHG); abw. BVerwG v. 13.4.2005, BVerwGE 123, 203 = ZIP 2005, 1145, 1148 (Ott); Ott/Brauckmann, ZIP 2004, 2117, 2121; Rattunde/Berner, WM 2003, 1313, 1316. 10 So bei Ott/Brauckmann, ZIP 2004, 2117, 2120. 11 Zutr. BVerwG v. 13.4.2005, BVerwGE 123, 203 = ZIP 2005, 1145, 1146 (Ott); unzutreffend daher Grub/Streit, BB 2004, 1397, 1409; Rattunde/Berner, WM 2003, 1313, 1316; Schlette/Bouchon in Fuchs (Fn. 3), § 11 WpHG Rz. 5. 12 Abw. Grub/Streit, BB 2004, 1397, 1409 (für die Pflichten nach §§ 21 ff. WpHG). 13 BVerwG v. 13.4.2005, BVerwGE 123, 203 = ZIP 2005, 1145, 1148 (Ott); ebenso zuvor Grub/Streit, BB 2004, 1397, 1409; Rattunde/Berner, WM 2003, 1313, 1316.
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teilnehmer vor durch die Gesellschaft verursachten, jedenfalls aber durch sie vermeidbaren Gefährdungen schützen wollen. Letztlich übersieht es also die unterschiedlichen Regelungszwecke von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht. Zum Zweiten hat es darauf abgestellt, dass mit § 26 WpHG (= § 25 WpHG a. F.) – und Entsprechendes gilt für § 15 WpHG – die „börsennotierte Gesellschaft“ (bei § 15 WpHG der „Emittent von Finanzinstrumenten“) in die Pflicht genommen wird – und nicht deren Organe, an deren Stelle dann in der Insolvenz der Insolvenzverwalter treten könnte. Das mag man dogmatisch damit erklären, dass ein solches Verständnis – Insolvenzverwalter als „Vertreter“ der Gesellschaft – nicht mit der herrschenden Amtstheorie für die Stellung des Insolvenzverwalters vereinbar ist14; überzeugend ist dies nicht. Ob man diese Auffassung des Unterzeichners oder diejenige des Bundesverwaltungsgerichts teilt, ist inzwischen nur (noch) von historischer Bedeutung. Denn der durch das Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (TUG)15 eingeführte § 11 WpHG n. F. – und entsprechend § 43 BörsG n. F. im Börsengesetz (ursprünglich vorgeschlagen als § 42a BörsG) – hat inzwischen ausdrücklich klargestellt, dass der „Insolvenzverwalter den Schuldner bei der Erfüllung der Pflichten nach diesem Gesetz [= des WpHG] zu unterstützen [hat]“ und dazu insbesondere aus der „Insolvenzmasse die hierfür erforderlichen Mittel [bereitzustellen hat]“. Der letzte Teil der Formulierung geht der Sache nach auf die Schlusspassage der BVerwG-Entscheidung zurück, in der das Gericht einen solchen materiellen Kostentragungsanspruch für möglich gehalten hatte, ohne sich dazu – mangels Streitgegenständlichkeit – abschließend äußern zu müssen16. Im Ergebnis hat sich der Gesetzgeber damit die (fehlerhafte) gesellschaftsrechtliche Konzeption des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich der Einordnung der kapitalmarktrechtlichen Pflichten zu eigen gemacht und den Insolvenzverwalter hier entgegen der sonst im Insolvenzrecht üblichen Konzeption von einer persönlichen Haftung für öffentlich-rechtliche Pflichtverletzungen freigestellt. Durch die Mitwirkungspflicht des Verwalters und die Kostentragungspflicht der Masse, „soweit dies erforderlich ist und die organschaftlichen Vertreter des Emittenten hierauf keinen Zugriff haben“17, wird dies freilich im Hinblick darauf relativiert, dass die nach (fehlerhafter) Vorstellung des Gesetzes „Haupt-Verpflichteten“ mit Blick auf den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Verwalter (§ 80 Abs. 1 InsO) und dessen Pflicht,
__________ 14 Rattunde/Berner, WM 2003, 1313, 1317 f.; dazu auch Karsten Schmidt, AG 2006, 597, 600 f. 15 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind [Transparenzrichtlinie], und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG v. 5.10.2007, BGBl. I 2007, S. 10. 16 BVerwG v. 13.4.2005, BVerwGE 123, 203 = ZIP 2005, 1145, 1150 (Ott). 17 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/2498, S. 31.
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die Masse in Besitz zu nehmen (§ 148 Abs. 1 InsO), auf die erforderlichen Daten und Mittel gar keinen Zugriff haben18. Letztlich werden damit Pflichten des Verwalters begründet, die sich von seinen sonstigen Pflichten vor allem dadurch unterscheiden, dass sie nur im Innenverhältnis gegenüber dem Schuldner zu erfüllen sind und daher nur wirtschaftlicher Natur sind. Klar ist damit jedenfalls das Ergebnis, dass die zur Erfüllung der kapitalmarktrechtlichen Pflichten erforderlichen Mittel aus der Masse zu entnehmen sind, die entsprechenden Lasten also Masseverbindlichkeiten i. S. v. § 55 Abs. 1 InsO darstellen. b) Beachtung der kapitalmarktrechtlichen Pflichten Wählt der Insolvenzverwalter nicht die Möglichkeit, die Gesellschaft durch Delisting von der Börse zu nehmen19, muss also nach der Gesetz gewordenen Auffassung der Schuldner selbst20 (vertreten durch seine Organe), wenn sich im Laufe des Insolvenzverfahrens eine nach § 21 WpHG mitteilungspflichtige (bei Erwerb oder Veräußerung von Stimmrechten durch die insolvente Gesellschaft)21 oder nach § 26 WpHG veröffentlichungspflichtige (bei Mitteilung nach § 21 WpHG gegenüber der insolventen Gesellschaft) Beteiligungsveränderung22 ergibt oder sich nach § 15 WpHG eine erheblich kursrelevante Insiderinformation im eigenen Tätigkeitsbereich herausstellt, die entsprechende Mitteilung machen oder für die Veröffentlichung der erhaltenen Mitteilung bzw. der Insiderinformation im gesetzlich vorgesehenen Verfahren sorgen; den Insolvenzverwalter trifft insoweit (nur noch) eine Unterstützungspflicht, insbesondere durch Bereitstellung der entsprechenden Mittel und Informationen23. Angesichts des bei insolventen börsennotierten Aktiengesellschaften durchaus nicht unerheblichen spekulativen Handels kann die Veröffentlichungspflicht nach § 26 WpHG und die damit verbundene Massebelastung aber durchaus erhebliche Bedeutung haben. Im Bereich des § 15 WpHG wird die fortbestehende Veröffentlichungspflicht insbesondere für Mitteilungen über (erfolgreiche
__________ 18 Zum (häufig ausschließlichen) Informationszugang des Insolvenzverwalters hinsichtlich der publizitätspflichtigen Tatbestände Schlette/Bouchon in Fuchs (Fn. 3), § 11 WpHG Rz. 10. 19 Dazu in diesem Zusammenhang ausführlich Hirte, ZInsO 2006, 1289, 1296; ders. in Gesellschaftsrecht in der Diskussion (Fn. 1), S. 147, 169 ff.; Schlette/Bouchon in Fuchs (Fn. 3), § 11 WpHG Rz. 12 ff. 20 In der Akzentsetzung noch anders Hirte, ZInsO 2006, 1289, 1297; ders. in Gesellschaftsrecht in der Diskussion (Fn. 1), S. 147, 173; ders. in Kölner Kommentar zum WpHG (Fn. 2), § 11 WpHG Rz. 14. 21 Dazu Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), 5. Aufl. 2009, § 21 Rz. 19 f. 22 Dazu Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 21), § 26 WpHG Rz. 6. 23 Zur letzteren vor allem Schlette/Bouchon in Fuchs (Fn. 3), § 11 WpHG Rz. 10, 23.
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oder gescheiterte) Sanierungsbemühungen gelten24. Wer deren Ergebnisse als Insolvenzverwalter (zuerst) Hand in Hand mit Politikern vor laufenden Kameras verkündet, riskiert allerdings vor dem Hintergrund der Gesetz gewordenen Fassung von § 11 WpHG nicht mehr einen Verstoß gegen § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG25. 2. Persönliche Haftung Da der Insolvenzverwalter die Pflichten nach §§ 21, 26 oder nach § 15 WpHG nur im Innenverhältnis zu erfüllen hat, kann sich keine unmittelbare persönliche Haftung für deren Verletzung nach den Vorschriften des WpHG (§§ 37b, 37c) und den daneben anwendbaren zivilrechtlichen Normen (§§ 823, 826 BGB)26 ergeben27. Das ist mit Blick auf die unzutreffende Einordnung der kapitalmarktrechtlichen Pflichten als gesellschaftsrechtliche letztlich systemwidrig und ergibt sich erst aus dem diesen Fehler festschreibenden § 11 WpHG. Denkbar ist freilich eine Haftung im Innenverhältnis gegenüber dem Schuldner28 oder wegen Beteiligung an den kapitalmarktrechtlichen Verbotstatbeständen, insbesondere durch unterlassenes Zurverfügungstellen der erforderlichen Mittel oder Informationen. Fehlte es an der Haftungsfreistellung des Verwalters durch § 11 WpHG, käme andererseits die für die Verletzung spezifisch insolvenzrechtlicher Pflichten einschlägige Haftungsnorm des § 60 InsO hier nicht zum Tragen. Auch eine Beschränkung seiner (zivilrechtlichen) Haftung auf die Masse, wie dies für die Haftung als Zustandsstörer für eine schon vor Verfahrenseröffnung entstandene Ordnungspflicht erwogen wird29, wäre auf der Grundlage der insoweit bislang geführten Diskussion nicht möglich. Denn hier steht die Sanktion für Handlungen bzw. Unterlassungen in Rede, die eindeutig nach der Übernahme
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24 Hinsichtlich der Inpflichtnahme des Verwalters noch anders Hirte, ZInsO 2006, 1289, 1297; ders. in Gesellschaftsrecht in der Diskussion (Fn. 1), S. 147, 173; ders. in Kölner Kommentar zum WpHG (Fn. 2), § 11 WpHG Rz. 14; zum Nicht-Eingreifen der Möglichkeit der Selbstbefreiung nach § 15 Abs. 3 WpHG Hirte, ZInsO 2006, 1289, 1293; ders. in Gesellschaftsrecht in der Diskussion (Fn. 1), S. 147, 182 f.; ders. in Kölner Kommentar zum WpHG (Fn. 2), § 11 WpHG Rz. 13. 25 Zu den Verstößen gegen § 15 WpHG bei der Sanierung der Philipp Holzmann AG in diesem Zusammenhang plastisch M. Weber, ZGR 2001, 422, 444 Fn. 80. 26 Hirte, ZInsO 2006, 1289, 1295. 27 Begr. RegE zum TUG (zu § 11 WpHG n. F.), BT-Drucks. 16/2498, S. 32: „Der Beitrag des Insolvenzverwalters wird möglichst gering gehalten, so dass für diesen keine weiteren Haftungsrisiken eröffnet werden.“ (Hervorh. v. Verf.); ebenso zuvor auch Rattunde/Berner, WM 2003, 1313, 1317; für eine Anwendung der Haftungstatbestände auch auf die bloße Innenhaftung noch Hirte, ZInsO 2006, 1289, 1297; ders. in Gesellschaftsrecht in der Diskussion (Fn. 1), S. 147, 173; ders. in Kölner Kommentar zum WpHG (Fn. 2), § 11 WpHG Rz. 14. 28 Hierzu (unter besonderem Hinweis auf die Möglichkeit einer Haftung wegen NichtZurverfügungstellung notwendiger Informationen) Schlette/Bouchon in Fuchs (Fn. 3), § 11 WpHG Rz. 23. 29 Dazu BVerfGE 102, 1 = NJW 2000, 2573; Lüke in Kübler/Prütting/Bork (Fn. 8), (Stand 2/09), § 60 InsO Rz. 57 ff. m. w. N.; Uhlenbruck in Uhlenbruck (Fn. 8), § 80 InsO Rz. 174.
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der Sachherrschaft durch den Insolvenzverwalter liegen. Doch zeigt diese Diskussion, wie die Haftung für kapitalmarktrechtliche Pflichtverletzungen in der Insolvenz eigentlich richtig zu konzipieren wäre: Selbstverständlich wäre der Insolvenzverwalter wie bei anderen öffentlich-rechtlichen Pflichten auch im Außenverhältnis in die Pflicht zu nehmen, aber ebenso selbstverständlich müsste seine (vor allem zivilrechtliche) Haftung mit Blick auf die Besonderheiten der Insolvenzsituation und seine besondere Stellung in vernünftigem Umfang beschränkt werden. Auch jetzt schon können sich diese Überlegungen auf eine etwaige Haftung des Verwalters im Innenverhältnis zum Schuldner auswirken. 3. Durchsetzung von Ansprüchen in der Insolvenz Die Durchsetzung von (bereits entstandenen) Ansprüchen wegen Verletzung von §§ 21, 26, 15 WpHG in der Insolvenz führt vor allen Dingen zu Kollisionen mit den Kapitalerhaltungsnormen; das und die hierzu entwickelten Lösungsmöglichkeiten sollen hier nicht weiter erörtert werden30.
III. Publizitätspflichten des Rechnungslegungsrechts Werfen wir nun einen Blick auf die Lage der Publizitätspflichten des Rechnungslegungsrechts in der Insolvenz einer Gesellschaft. Die Diskussion hat hier in der jüngeren Zeit insoweit deutlich an Intensität gewonnen, als die handelsrechtlichen Publizitätspflichten – anders als jahrzehntelang – seit Inkrafttreten des EHUG31 auch tatsächlich durchgesetzt werden, und zwar zentralisiert durch das Bundesamt für Justiz. 1. Allgemeines Handelsrecht Festzuhalten ist insoweit zunächst, dass auch die Rechnungslegungspflicht trotz Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Gesellschaft fortbesteht (§ 270 Abs. 1 AktG, § 71 Abs. 1 GmbHG; klarstellend § 155 Abs. 1 Satz 1 InsO32); Adressat der insoweit bestehenden Offenlegungspflichten nach § 325 HGB sind nach Auffassung des für Entscheidungen des Bundesamts für Justiz zuständigen Landgerichts Bonn – ganz entsprechend der Gesetz gewordenen Fassung des § 11 WpHG – im Außenverhältnis aber unverändert die gesetzlichen Vertreter der insolventen Kapitalgesellschaft33. Obwohl die
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30 Ausführlich Hirte, ZInsO 2006, 1289, 1298. 31 Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10.11.2006, BGBl. I 2006, S. 2553. 32 Ebenso für Österreich öOGH v. 7.11.2007 – 6 Ob 246/07 f, GesRZ 2008, 108 [Fraberger]; zusammenfassend Grashoff, NZI 2008, 65; Hirte in Uhlenbruck (Fn. 8), § 11 InsO Rz. 105A; Maus, ZInsO 2008, 5; kritisch Ries, ZInsO 2008, 536 ff. 33 LG Bonn v. 22.4.2008 – 11 T 28/07, ZIP 2008, 1082 = EWiR § 155 InsO 1/2008, 443 (Weitzmann); LG Bonn v. 16.5.2008 – 11 T 52/07, ZInsO 2008, 630; dazu Pink/ Fluhme, ZInsO 2008, 817; zust. Heni, ZInsO 2009, 510 ff.; Weitzmann, ZInsO 2008, 662; abw. de Weerth, NZI 2008, 711; zum Ganzen auch Undritz/Zak/Vogel, DZWIR 2008, 353, 357 f.
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(interne) Rechnungslegungspflicht in Bezug auf die Insolvenzmasse aber ebenso wie die steuerrechtlichen Pflichten nach Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter zu erfüllen sind (§ 155 Abs. 1 Satz 2 InsO), bleiben also die gesetzlichen Vertreter insolventer Gesellschaften im Insolvenzverfahren weiter selbst verpflichtet, der Offenlegungspflicht nachzukommen. Damit rezipiert die Rechtsprechung der Sache nach das Fehlverständnis des Bundesverwaltungsgerichts und des daran anknüpfenden Gesetzgebers von § 11 WpHG, nach dem es sich bei den Offenlegungspflichten um solche des Handels- bzw. Gesellschaftsrechts, nicht aber um öffentlich-rechtliche Verpflichtungen handelt. Allerdings trifft die gesetzlichen Vertreter insolventer Gesellschaften in der Regel kein Verschulden im Rahmen der entsprechenden ordnungsrechtlichen Sanktionierung der Offenlegungspflicht (§ 335 HGB). Etwas anderes gilt nur dann, wenn noch insolvenzfreies und verwertbares Vermögen vorhanden ist34, für das dann aber auch von den gesetzlichen Vertretern ein gesonderter Jahresabschluss erstellt und offen gelegt werden muss35. Ein Rückgriff der gesetzlichen Vertreter insolventer Gesellschaften auf ihr Privatvermögen zur Erfüllung der Offenlegungspflicht ist gerade nicht erforderlich36. Verfahren wegen Verstößen gegen § 325 HGB gegen die gesetzlichen Vertreter insolventer Gesellschaften oder solcher, gegen die ein Insolvenzverfahren mangels Masse nicht eröffnet werden konnte, werden vom Bundesamt für Justiz daher inzwischen in der Regel eingestellt37. Die Offenlegungspflicht trifft den Insolvenzverwalter daher – ebenso wie bei § 11 WpHG (siehe oben II. 1. a.) – nur in Form einer Finanzierungspflicht im Innenverhältnis; wegen seiner fehlenden Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter im Sinne von § 335 HGB bzw. wegen der unzutreffenden Einordnung der Pflichten als „privatrechtlich“ kann er für Verstöße insofern aber nicht unmittelbar ordnungsrechtlich belangt werden38. Die Sanktionierung dieser Pflichten obliegt lediglich dem Insolvenzgericht, das den Insolvenzverwalter durch die Androhung von Zwangsgeld (§ 58 Abs. 2 InsO) zur Erfüllung der entsprechenden Pflichten anhalten kann. Kritisch gesehen wird – trotz der zugunsten des Insolvenzverwalters ohnehin schon restriktiven Rechtsprechung – mit Blick auf die Belastungen der Insolvenzmasse, dass der Verwalter danach grundsätzlich auch noch die echten (internen) Rechnungslegungspflichten für Zeiträume vor Verfahrenseröffnung (jedenfalls in wirtschaftlicher Hinsicht) zu erfüllen hat39. Eine allgemeine Anwendung des Ausnahmetatbestandes der § 270 Abs. 3 Satz 1 AktG, § 71 Abs. 3 Satz 1 GmbHG, nach dem die Prüfung des Jahresabschlusses durch einen Abschlussprüfer entbehrlich ist, wenn die Verhältnisse der Gesellschaft aufgrund der vollständigen oder weitgehenden Geschäftseinstellung so überschaubar
__________ 34 35 36 37 38 39
LG Bonn v. 25.5.2009 – 36 T 68/08, ZIP 2009, 1242. LG Bonn v. 13.11.2008 – 30 T 275/08, ZInsO 2009, 340 = ZIP 2009, 332. LG Bonn v. 16.6.2009 – 30 T 366/09, ZIP 2009, 2107 = NZI 2009, 781. Dazu Blank, ZInsO 2009, 2186 f. Dazu auch Maus in Uhlenbruck (Fn. 8), § 155 InsO Rz. 14. So etwa – vor allem für den Fall vorheriger Geschäftseinstellung – Undritz/Zak/ Vogel, DZWIR 2008, 353, 354 ff.
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sind, dass eine Prüfung im Interesse der Gläubiger und Aktionäre nicht mehr geboten erscheint, auf das Insolvenzverfahren wird aber zu Recht abgelehnt40. Möglich ist aber wie auch bei der werbenden Gesellschaft eine Einzelfallentscheidung41. 2. Finanzberichterstattung Einen Sonderbereich stellt schließlich die Finanzberichterstattung nach §§ 37v–37z WpHG dar, bei der in der Insolvenz ebenfalls die Publizitätspflichten des Kapitalmarktrechts mit der Pflicht des Insolvenzverwalters zur Rechnungslegung nach § 155 InsO kollidieren. Während nämlich § 11 WpHG die Verpflichtung zur Kapitalmarktpublizität beim Schuldner und damit bei den gesetzlichen Vertretern der insolventen Kapitalgesellschaft belässt, liegt die Verpflichtung zur Rechnungslegung hinsichtlich der Masse nach § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO beim Insolvenzverwalter. Für die im Rahmen der Finanzberichterstattung nach den §§ 37v ff. WpHG bestehenden zusätzlichen Publizitätspflichten in Form der Erstellung und Veröffentlichung der Halbjahresfinanzberichte (§ 37w WpHG) und der Zwischenmitteilung der Geschäftsleitung (§ 37x WpHG)42 muss dabei ebenfalls davon ausgegangen werden, dass diese entsprechend der (wenig überzeugenden) Pflichtenzuweisung des § 11 WpHG von den Organen der insolventen Gesellschaft zu erfüllen sind und den Verwalter insoweit „nur“ eine finanzielle Unterstützungspflicht trifft43.
IV. Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG In diesem Zusammenhang muss schließlich die Frage erwähnt werden, ob der Vorstand (oder der Insolvenzverwalter) während des Laufs des Insolvenzverfahrens eine Compliance-Erklärung nach § 161 AktG abzugeben hat. Auch hier stehen sich das Kapitalmarktrecht mit seiner Regulierung der Marktteilneh-
__________ 40 OLG München v. 10.8.2005 – 31 Wx 061/05, NZG 2006, 69 = NZI 2006, 108 = ZIP 2005, 2068 = EWiR § 71 GmbHG 1/06, 115 (Luttermann) (zu § 71 Abs. 3 GmbHG; bezogen auf Jahresabschlüsse vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens); LG Frankfurt/Oder v. 4.9.2006 – 32 T 12/05, NZI 2007, 294, 295; LG Hagen v. 11.5.2007 – 24 T 2/07, ZIP 2007, 1766 = ZInsO 2007, 895 = EWiR § 335a HGB a. F. 1/07, 593 (Holzer) (allerdings ein Verschulden verneinend); Hirte in Uhlenbruck (Fn. 8), § 11 InsO Rz. 105A; abw. AG München v. 6.10.2004 – HRB 44551, ZIP 2004, 2110 (Hettlage) (zu § 270 Abs. 3 AktG); LG Frankfurt/M. v. 1.10.2007 – 3-16 T 30/07, ZIP 2007, 2325 (kein Ordnungsgeld, weil der Verwalter nicht verpflichtet sei); H.-F. Müller, Der Verband in der Insolvenz, 2002, S. 109 f.; Kind/Frank/Heinrich, NZI 2006, 205 ff. 41 OLG München v. 9.1.2008 – 31 Wx 66/07, ZIP 2008, 219, 220 = NZG 2008, 229, 230. 42 Soweit es sich bei der insolventen Aktiengesellschaft um eine deutsche Aktiengesellschaft handelt, entfällt das Erfordernis der Erstellung und Veröffentlichung eines Jahresfinanzberichts (§ 37v Abs. 1 Satz 1 WpHG), da bereits eine entsprechende Publizität nach § 325 HGB besteht (Mock in Kölner Kommentar zum WpHG, 2007, § 37v WpHG Rz. 8 ff.). 43 Anders aber wohl Lau, Die börsennotierte Aktiengesellschaft in der Insolvenz, 2008, S. 120 f. (Geltung von § 155 InsO).
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mer und das Insolvenzrecht mit seiner Abwicklungs- bzw. Sanierungsfunktion gegenüber. Dass es sich bei § 161 AktG um eine (auch) kapitalmarktrechtliche Regelung handelt, könnte man im Hinblick darauf bezweifeln, dass die Norm im Gesellschaftsrecht angesiedelt ist. Spätestens seit der Ausdehnung ihres Anwendungsbereichs durch das BilMoG44 auf bestimmte weitere kapitalmarktorientierte Gesellschaften, die keine Aktien ausgegeben haben (§ 161 Abs. 1 Satz 2 AktG n. F.), wird aber deutlich, dass es bei der Pflicht zur Abgabe einer Entsprechenserklärung (jedenfalls auch) um die Unterrichtung des allgemeinen Kapitalmarkts geht. Hinzu kommt aber unverändert auch heute noch das aktienrechtliche Regelungsziel der Erreichung einer guten Unternehmensführung. Da die Funktion von § 161 AktG in der Publizität der Befolgung oder Nichtbefolgung der Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex besteht und damit Einfluss auf die Gestaltungsmöglichkeiten für die Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft genommen werden soll, könnte insofern aber von einer fehlenden Anwendbarkeit ausgegangen werden; denn die Organisationsverfassung der insolventen Aktiengesellschaft ist – jedenfalls hinsichtlich aller massebezogenen Maßnahmen – der Gestaltungshoheit der Gesellschaft bzw. deren Eigentümer durch die Bestellung des Insolvenzverwalters und seinen gesetzlich abschließend vorgeschriebenen Pflichtenkreis entzogen45. Dies berücksichtigt freilich nicht hinreichend, dass der Insolvenzverwalter hinsichtlich eines großen Teils der Organisationsverfassung der Aktiengesellschaft keinen Einfluss nehmen kann, da dieser Bereich auch im eröffneten Insolvenzverfahren bei den Organen der Aktiengesellschaft bzw. den Eigentümern verbleibt. Dies gilt neben den ausdrücklichen Kompetenzen der Organe der Aktiengesellschaft vor allem hinsichtlich der Anforderungen an die Organmitglieder und an die interne Organisation der Organe. Es wäre insofern wenig überzeugend anzunehmen, dass diese Anforderungen aufgrund einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr gelten sollten. Zudem hat der Gesetzgeber durch die Schaffung der – insoweit allerdings nach dem Wortlaut nicht anwendbaren – § 11 WpHG und § 43 BörsG hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass kapitalmarktrechtliche Pflichten (zu denen heute auch § 161 AktG zu zählen ist) durch eine Insolvenzantragstellung grundsätzlich nicht berührt und insofern auch nicht verdrängt werden. Der Anwendbarkeit von § 161 AktG auf Aktiengesellschaften im Insolvenzverfahren kann letztlich auch nicht mit einem Hinweis darauf begegnet werden, dass es sich dabei um eine unnötige Förmelei handeln würde. Gerade für eine insolvente börsennotierte Aktiengesellschaft kann die Abgabe einer Entsprechenserklärung für eine mögliche Sanierung der Gesellschaft von großer Bedeutung sein. Dies gilt umso mehr, als durch die Entsprechenserklärung nicht nur vergangenheits- oder gegenwartsbezogene, sondern vor allem auch zukunftsbezogene Angaben ge-
__________ 44 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts v. 25.5.2009, BGBl. I 2009, S. 1103. 45 So noch Hirte in Hirte (Hrsg.), Das Transparenz- und Publizitätsgesetz, 2003, Rz. 1.32; ders. in Uhlenbruck (Fn. 8), § 11 InsO Rz. 204 (auf der Grundlage von § 161 AktG a. F.); Karsten Schmidt, AG 2006, 597, 601.
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Publizitätspflichten in der Insolvenz
macht werden46. Gerade diese können sich auch auf die Zeit nach der Beendigung der Sanierung bzw. des Insolvenzverfahrens beziehen und somit ebenso eine Bedeutung haben wie bei Aktiengesellschaften außerhalb des Insolvenzverfahrens. Dem kann schließlich auch nicht entgegengehalten werden, dass die Abgabe einer Entsprechenserklärung jedenfalls bei einer Aktiengesellschaft ohne Sanierungschance unnötig ist. Soweit Sanierungsmöglichkeiten nicht bestehen, wird der Insolvenzverwalter ohnehin ein Delisting herbeiführen (dazu auch oben II. 1. b.). Im Ergebnis muss daher im Rahmen von § 161 AktG eine Gesamtanalogie zu § 11 WpHG und § 43 BörsG gebildet werden47, so dass der Insolvenzverwalter den gesetzlichen Vertretern des Schuldners auch insoweit die zur Erstellung und Veröffentlichung der Entsprechenserklärung notwendigen Mittel zur Verfügung stellen muss. Zur eigentlichen Abgabe der Erklärung verpflichtet bleiben allerdings Vorstand und Aufsichtsrat (§ 161 Abs. 1 Satz 1 AktG). Dass die Entsprechenserklärung mit Blick auf die weitreichenden Kompetenzen des Insolvenzverwalters inhaltlich (und damit auch hinsichtlich der zu Lasten der Masse entstehenden Kosten) deutlich hinter dem „Normalfall“ zurückbleiben wird, ist dabei selbstverständlich48. Dies ergibt sich bereits hinsichtlich des ersten Abschnitts des Deutschen Corporate Governance Kodex, da das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Insolvenzverwalter übergeht (§ 80 InsO) und die Unternehmensleitung damit nicht mehr vollständig eigenverantwortlich beim Vorstand liegt (Präambel DCGK). Aber auch in Bezug auf den zweiten Abschnitt des Deutschen Corporate Governance Kodex ergeben sich ebenfalls Modifikationen in Form der nunmehr fehlenden Kompetenz der Hauptversammlung zur Entscheidung über wesentliche unternehmerische Entscheidungen (Ziff. 2.2.1 Abs. 2 DCGK), der fehlenden Möglichkeit der Wahl des Abschlussprüfers (Ziff. 2.2.1 Abs. 1 DCGK) und der möglichen Abweichung im Turnus der Durchführung der Hauptversammlung (Ziff. 2.3.1 DCGK). Die meisten Abweichungen ergeben sich aber für den Vorstand und den Aufsichtsrat. Neben dem deutlich eingeschränkten Aufgabenbereich (Ziff. 4.1 DCGK für den Vorstand und Ziff. 5.1 DCGK für den Aufsichtsrat) gilt dies vor allem auch für die Festsetzung der Vergütung (Ziff. 4.2.2 DCGK für den Vorstand und Ziff. 5.4.6 für den Aufsichtsrat). Für den Aufsichtsrat besteht zwar immer noch die Kontroll- und Überwachungspflicht hinsichtlich der Tätigkeit des Vorstandes, allerdings handelt es sich dabei eben nicht mehr um die vollumfängliche Geschäftsfüh-
__________ 46 Zur Verpflichtung zur Erklärung über zukunftsbezogene Angaben trotz entgegenstehenden Wortlauts von § 161 Satz 1 AktG Begr. RegE TransPuG, BT-Drucks 14/8769, S. 22 (bereits zur ursprünglichen Fassung des Gesetzes); vgl. auch Lutter in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl. 2006, § 161 AktG Rz. 35 ff.; Sester in Spindler/Stilz, Aktiengesetz, 2007, § 161 AktG Rz. 35; Spindler in Karsten Schmidt/Lutter, Aktiengesetz, 2008, § 161 AktG Rz. 16. 47 Mock, ZIP 2010, 15, 17 ff. 48 Zu den umfangreichen inhaltlichen Abweichungen Mock, ZIP 2010, 15, 18 ff.
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rung. Schließlich bestehen Abweichungen auch in Bezug auf die Rechnungslegung und die Abschlussprüfung (Ziff. 7 DCGK).
V. Zusammenfassung Nach einer vor allem normativen Abstinenz des Insolvenzrechts in Bezug auf kapitalmarktrechtliche Fragestellungen hat das Kapitalmarktrecht das Insolvenzrecht in den letzten Jahren vollumfänglich erreicht. Dabei ist aber trotz der Schaffung von § 11 WpHG und § 43 BörsG noch immer eine gewisse Zurückhaltung auf gesetzgeberischer Seite hinsichtlich einer vollständigen Regelung für diesen Fragenkreis auszumachen. Denn die § 11 WpHG, § 43 BörsG können letztlich nur einen ersten Ausgangspunkt für die erforderliche Diskussion darstellen, der zudem – zurückgehend auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – von einer Fehlvorstellung hinsichtlich der Abgrenzung von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht geprägt ist. Zudem wird zwar durch die § 11 WpHG, § 43 BörsG die Erfüllung der notwendigsten kapitalmarktrechtlichen Pflichten sichergestellt, aber gerade die mit den Publizitätspflichten verbundenen Folgefragen sind nicht geregelt und bedürfen einer Klärung durch die Wissenschaft. Dies gilt neben den Fragen der Haftung des Insolvenzverwalters für eine fehlende oder nicht rechtzeitige Bereitstellung von Mitteln und Informationen (!) zur Erfüllung dieser Pflichten vor allem auch für die Frage einer möglichen Mitverantwortlichkeit des Insolvenzverwalters für eine unrichtige oder unvollständige Erfüllung dieser Pflichten durch die gesetzlichen Vertreter. Dabei ist der gesetzliche Lösungsansatz – ebenso wie die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, auf die er zurückgeht – letztlich eine Folge der unverändert ungeklärten Stellung des Insolvenzverwalters. Würde man ihn als Vertreter oder Organ der Gesellschaft bzw. der Insolvenzmasse betrachten, wäre es ein Leichtes, ihn vollumfänglich in die Verantwortung zu ziehen. Die (herrschende) Amtstheorie führt demgegenüber dazu, dass er gerade nicht (voll) in die Pflichtenstellung der gesellschaftsrechtlichen Organe einrückt, andererseits aber die (theoretisch) weiter verantwortlichen Gesellschaftsorgane faktisch nicht mehr handeln können. Die differenzierende Lösung des Gesetzes und der zugrunde liegenden Rechtsprechung, den Insolvenzverwalter „als Amtsperson“ von einer persönlichen Haftung freizuhalten, ihn andererseits aber in Bezug auf die wirtschaftliche Belastung der Masse zur Mitwirkung zu verpflichten, ist vor diesem Hintergrund zwar dogmatisch konsequent; ob die Freistellung des Verwalters von persönlicher Haftung in Fällen der Fortführung börsennotierter Unternehmen auch der wirtschaftlichen Realität entspricht, in der sich Verwalter durchaus als Unternehmensleiter verstehen, erscheint allerdings fraglich. Die vorstehenden Überlegungen haben freilich gezeigt, wie die Haftung für kapitalmarktrechtliche Pflichtverletzungen in der Insolvenz richtig zu konzipieren wäre: Selbstverständlich wäre der Insolvenzverwalter wie bei anderen öffentlich-rechtlichen Pflichten auch im Außenverhältnis in die Pflicht zu nehmen, aber ebenso selbstverständlich müsste seine (vor allem zivilrechtliche) Haftung mit Blick auf die Besonderheiten der Insolvenzsitua544
Publizitätspflichten in der Insolvenz
tion und seine besondere Stellung in vernünftigem Umfang beschränkt werden. Die nach der jetzigen Lage nur sehr indirekt wirkenden Haftungsmechanismen (nur interne Finanzierungspflicht, zu deren Erfüllung er nur durch Zwangsgeld nach § 58 Abs. 2 InsO angehalten werden kann), kann jedenfalls aus der Sicht des Kapitalmarktrechts zu der unbefriedigenden Lage führen, dass mangels jeder Haftung die auch in der Insolvenz notwendige Einhaltung der kapitalmarktrechtlichen Pflichten nicht gewährleistet ist. Die außerhalb des WpHG und des BörsG stehenden Publizitätspflichten sind noch viel weitergehend insolvenzrechtliches Niemandsland. Dies gilt zum einen hinsichtlich der tatsächlichen Sicherstellung der Offenlegung von Jahresabschlüssen und zum anderen hinsichtlich der Entsprechenserklärung zum Corporate Governance Kodex. In beiden für die Unternehmenspublizität entscheidenden Regelungsbereichen erfolgt keine hinreichende Sicherstellung der Befolgung dieser Pflichten, auch wenn deren Bestehen jedenfalls im Grundsatz nicht in Frage gestellt wird. Vielmehr überträgt die Rechtsprechung hier unausgesprochen den seinerseits nicht überzeugenden Regelungsansatz des § 11 WpHG. In jedem Fall bedarf es daher auch in der Zukunft noch einer intensiven Auseinandersetzung mit den handels-, gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten in der Insolvenz, damit auch im Insolvenzverfahren die für die werbende Gesellschaft inzwischen als selbstverständlich anerkannte Publizität durch umfassende Information der (Kapital)Marktteilnehmer49 erreicht wird.
__________ 49 Zu dem dahingehenden Regelungszweck der Mitteilungspflichten der §§ 21 ff. WpHG und deren Bedeutung Dehlinger/Zimmermann in Fuchs (Fn. 3), vor §§ 21 bis 30 WpHG Rz. 15 ff.; Hirte in Kölner Kommentar zum WpHG (Fn. 2), § 21 Rz. 3 ff.; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 21), vor § 21 WpHG Rz. 19.
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Peter Hommelhoff
SPE-Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Sitzverlegungen nach dem schwedischen Verordnungsentwurf
Inhaltsübersicht I. Heranführung II. Grenzüberschreitende Sitzverlegungen III. Isolierte Verlegung des Geschäftssitzes 1. Verlegung ohne ArbeitnehmerBezug 2. „Begleitete“ Geschäftssitz-Verlegungen 3. Prüfungsanlass „Sitzverlegung“ IV. Grenzüberschreitende Verlegung des Registersitzes
1. Der schwedische Regelungsvorschlag 2. Würdigung: Sonderrecht für die „kleine SPE“ tut not 3. Staatenwahlrecht: Drittelbeteiligung 4. Kombinierte Sitzverlegung mit Arbeitsplatz-Verlagerung V. Auseinanderfallende Sitzverlegungen VI. Gesamtrésumé
I. Heranführung Neben der Aktiengesellschaft hat sich in den EU-Mitgliedstaaten seit langem schon eine zweite Kapitalgesellschaftsform etabliert: die deutsche GmbH, in Frankreich die sarl, die englische Limited, die dänische Aps, in Polen die sp.z.o.o. und andere mehr. Denn anders als diese „privaten“ Gesellschaften ist die Aktiengesellschaft als zum Kapitalmarkt hin geöffnete Börsengesellschaft konzipiert. Deshalb unterscheiden sich diese beiden Rechtsformen fundamental mit Blick auf die Zuständigkeit für die Regelung ihres Statuts. Während die Aktiengesellschaft vornehmlich wegen des Schutzes ihrer Aktionäre als anonyme und einflusslose Kapitalanleger in der Regelungsverantwortung des Gesetzgebers liegt und mehr oder minder weit darin auch verbleibt (Satzungsstrenge), ist die zweite Kapitalgesellschaftsform als Privatgesellschaft im Ausgang zum wesentlichen der Gestaltung durch ihre Gesellschafter überantwortet; an deren Eigenverantwortlichkeit ändern weder die zwingenden Bestimmungen zum Gläubiger- und Minderheitenschutz etwas, noch die Hilfestellung, die der Gesetzgeber darüber hinaus den einzelnen Satzungsgebern in Gestalt dispositiven Rechts leistet. Mit diesem Gesamtangebot aus tendenziell starrem Aktienrecht und weithin flexiblem Recht der zweiten Kapitalgesellschaftsform können die EU-Mitgliedstaaten die Bedürfnisse der Wirtschaft ihres Landes nahezu ideal erfüllen. Dem möchte nun ebenfalls der Unionsgesetzgeber nachfolgen und neben der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) eine Europäische Privatgesellschaft (SPE) 547
Peter Hommelhoff
anbieten1. Auch den kleinen und mittleren Unternehmen sollte eine supranationale Gesellschaftsform zur Verfügung stehen, die ihrem Auftritt im europäischen Binnenmarkt entspricht, diesen erleichtert und manche Unternehmen erst ermutigt, über die Grenzen ihres Heimatstaates hinaus aktiv zu werden. Über den Text einer SPE-Verordnung verhandelt eine Arbeitsgruppe im Europäischen Ministerrat intensiv schon seit 2008. Als schwierig hat sich dabei u. a. (nicht überraschend) die Unternehmensmitbestimmung erwiesen. Vor allem an ihr ist der Kompromissvorschlag der schwedischen Ratspräsidentschaft2 im November 2009 gescheitert: Deutschland vermochte ihn nicht zu übernehmen. Um die ins Stocken geratenen Verhandlungen im Ministerrat erneut zu starten, bedarf es einer Analyse des schwedischen Mitbestimmungsvorschlags im Kontext seiner europäischen Entstehungsgeschichte3. Ausgehend vom Grundsatz, dass sich das Mitbestimmungsstatut einer SPE nach dem Recht jenes Mitgliedstaates richtet, in dem die Gesellschaft ihren Registersitz hat (Art. 35 I SPE-VOSE), schließt der schwedische Verordnungsentwurf abweichende Sonderregeln für Gesellschaften mit mehrstaatlicher Belegschaft sowie für die Sitzverlegung an. Über diese Regelungen werden nicht allein Umgehungen der Mitbestimmung in den Griff genommen, sondern auch die mitbestimmungsrechtlichen Fragen, die sich für die SPE an der Spitze eines Unterordnungskonzerns stellen4. Allerdings lässt sich ein so breit aufgefächertes Themenspektrum nicht im begrenzten Rahmen eines Festschriftbeitrages abhandeln. Die nachfolgende Studie soll sich daher auf jene Aspekte der Mitbestimmung konzentrieren, die mit der Sitzverlegung einer SPE über die Grenze eines EU-Mitgliedstaates verbunden sind. Diese Studie ist Uwe H. Schneider gewidmet – dem „wissenschaftlichen Bruder“ in der Familie europäischer Gesellschaftsrechtler und Freund. Ihm verdanke ich seit den gemeinsamen Tagen in der Ruhr-Universität Bochum eine Fülle anregender, weil nicht selten kontroverser Gespräche, die mich stets bereichert haben. Ihm gelten daher zu seinem 70. Geburtstag meine besten Wünsche.
II. Grenzüberschreitende Sitzverlegungen Anders als die SE-Verordnung sehen bisher sämtliche Entwürfe für eine SPEVerordnung die Möglichkeit vor, den Satzungssitz der SPE in einem anderen
__________ 1 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Privatgesellschaft v. 25.6.2008 – KOM (2008) 396; auch abrufbar unter www.europeanprivatecompany.eu. – Zu den Impulsen des Europäischen Parlaments u. a. Hommelhoff in FS Priester, 2007, S. 245 ff. 2 Rat der Europäischen Union, 16 115/09, ADD1, DRS71, SOC711; abrufbar unter www.europeanprivatecompany.eu. – Zum schwedischen Verordnungsvorschlag insgesamt Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2010, 337; Jung, BB 2010, 1233. 3 Eingehend Hommelhoff, ZEuP 2011, Heft 1. 4 Hommelhoff, ZEuP 2011, Heft 1 (sub V).
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SPE-Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Sitzverlegungen
Mitgliedstaat als in dem des Geschäftssitzes zu begründen5 (Sitzaufspaltung6). Für eine grenzüberschreitende Sitzverlegung kommen bei der SPE (anders als bei der SE7) daher vier Fallgestaltungen in Betracht: die parallele Verlegung des Satzungs- und des Geschäftssitzes von einem Mitgliedstaat in einen anderen; die parallele Verlegung beider Sitze aus dem einen Staat heraus, aber in unterschiedliche Zuzugsstaaten (Verlegung des Satzungssitzes aus Deutschland nach Luxemburg, des deutschen Geschäftssitzes nach Belgien); die isolierte Verlegung des Satzungssitzes bei unverändertem Geschäftssitz sowie die isolierte Verlegung des Geschäftssitzes bei unverändertem Satzungssitz. Ausdrücklich geregelt ist in den SPE-Verordnungsentwürfen allein die Verlegung des Satzungssitzes, so auch im schwedischen Entwurf (Artt. 36 ff. SPE-VOSE); konsequent werden ebenfalls die mitbestimmungsrechtlichen Implikationen allein für die Satzungssitz-Verlegung erfasst (zuletzt Art. 35 Ia 1 lit. b SPEVOSE)8.
III. Isolierte Verlegung des Geschäftssitzes Bei der isolierten Geschäftssitz-Verlegung ist danach zu unterscheiden, ob Arbeitnehmer in diese Verlegung involviert sind oder nicht. 1. Verlegung ohne Arbeitnehmer-Bezug Verlegt eine SPE ihren Geschäftssitz bei Beibehaltung ihres Registersitzes aus dessen Mitgliedstaat in einen anderen, so folgt hieraus allein noch nichts – falls diese Verlegung keine Arbeitnehmer-Bewegungen zur Folge hat, also ausschließlich der oder die SPE-Geschäftsführer „umziehen“. Insbesondere finden die Bestimmungen zur Verlegung des Satzungssitzes keine entsprechende Anwendung, weil der Unionsgesetzgeber jene ganz auf die Satzungssitz-Verlegung zugeschnitten hat und auch kein Bedürfnis besteht, den bisherigen Mitbestimmungsstatus zu verändern. Sollte eine in Cottbus registrierte und dort drittelbeteiligt mitbestimmte SPE ihren Geschäftssitz nach Breslau verlegen, so wird sie nun zwar aus einem mitbestimmungsfreien Land9 heraus geleitet, kann sich aber auf dem Wege einer solchen Sitzverlegung nicht ihres Mitbestimmungsstatuts entledigen. Es bleibt bei der Grundregel aus Art. 35 I SPE-VOSE (Mit-
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5 Art. 7,2 SPE-VOKE (Kommissions-Entwurf [oben Fn. 1]); Art. 7 II SPE-VOPE (Stellungnahme des Europäischen Parlaments, Beschluss v. 10.3.2009, Verfahren 2008/0130 [CNS], PG_TA [2009] 0094; auch abrufbar unter www.europeanprivatecompany.eu. Art. 7 II SPE-VOSE [schwedischer Entwurf oben Fn. 2]). 6 Zu ihr zuletzt Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2010, 337, 345 ff. m. w. N. auch zur Gegenposition. 7 Zum sog. Einheitlichkeitsgebot nach Art. 7,1 SE-VO vgl. etwa Casper in Spindler/ Stilz, AktG, Band 2, 2007, Art. 7 SE-VO Rz. 1. 8 Zur parallelen Regelung für die SE Zimmer/Ringe in Lutter/Hommelhoff, SE-Kommentar, 2008, Art. 8 SE-VO Rz. 4 ff. 9 Die Mitbestimmungsstatute in den EU-Mitgliedstaaten finden sich u. a. in Baums/ Ulmer, Unternehmens-Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Recht der EU-Mitgliedstaaten, 2004; Kluge/Stollt, The European Company – Prospects for Worker Board Level – Participation in the Enlarged EU, 2006.
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bestimmung nach dem Recht des Registersitzstaates); diese Regelung lässt den Geschäftssitz unberücksichtigt. In der Cottbusser SPE und ihrer Verwaltung (nun aus Breslau) bleibt die Position der Arbeitnehmer-Repräsentanten von dieser Form der Sitzverlegung unberührt. 2. „Begleitete“ Geschäftssitz-Verlegungen Anders jedoch, falls die Geschäftssitz-Verlegung dazu führt, dass die SPE Arbeitnehmer sowohl im Register-, als auch im Geschäftssitz-Staat beschäftigt. Dann können die Voraussetzungen erfüllt sein, welche die SPE-Verordnung mit einer mehrstaatlichen Belegschaft verbindet (Art. 35 Ia 1 lit. a SPE-VOSE). Um dies zu exemplifizieren: Unterstellt, die Cottbusser SPE beschäftigte dort ursprünglich 1700 Arbeitnehmer und verlagert dann zusammen mit dem Geschäftssitz 1000 Arbeitsplätze nach Breslau. In diesem Falle sind die Voraussetzungen aus Art. 35 Ia 1 lit. a SPE-VOSE nicht sämtlich erfüllt: Zwar hat die SPE mehr als 500 Arbeitnehmer; ebenso besteht ein „Mitbestimmungsgefälle“, aber nicht hinunter zum Registersitz Cottbus, sondern hinunter zum Beschäftigungsort Breslau. Daher bleibt auch in diesem Fall das Mitbestimmungsstatut der Cottbusser SPE trotz Geschäftssitz-Verlegung unverändert: Drittelbeteiligung; die Breslauer Arbeitnehmer bekommen in dieser supranationalen Gesellschaft aktive und passive Mitbestimmungsrechte. Wie aber sieht die umgekehrte Fallkonstellation aus? Eine in Breslau registrierte SPE mit 1700 Arbeitnehmern verlagert zusammen mit ihrem Geschäftssitz 1000 Arbeitsplätze nach Cottbus. Dann besteht ein „Mitbestimmungsgefälle“ vom Beschäftigungsort Cottbus hinab zum Registersitz Breslau. Denn Polen kennt, abgesehen von der in ehemaligen Staatsbetrieben, keine Unternehmensmitbestimmung10. Und mit 1000 Arbeitnehmern arbeitet weit mehr als die Hälfte des Gesamtbelegschaft in Deutschland, also in einem Mitgliedstaat mit höherem Mitbestimmungsniveau. Konsequent ist über Art. 35 Ia 1 lit. a SPE-VOSE das Tor zur europäischen Mitbestimmung der Artt. 35a bis d mit der Auffanglösung einer (deutschen) Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer geöffnet. Die in Breslau registrierte und deshalb an sich mitbestimmungsfreie SPE wächst über die konkreten Bedingungen ihrer Geschäftssitz-Verlegung in die Mitbestimmung hinein. Dies findet seine Rechtfertigung zum einen in der Tatsache, dass die polnischen Akteure ihre Aktivitäten in der supranationalen Rechtsform einer SPE organisiert haben, und zum anderen in dem Umstand, dass die Belegschaft dieser SPE zur Hälfte und mehr in einem mitbestimmungsfreundlichen Mitgliedstaat beschäftigt ist, dieser Belegschaftsanteil mithin die Gesamtbelegschaft maßgeblich mitprägt. Damit kommt das für die SPE-Gründung mit mehrstaatlicher Belegschaft bekannte Begründungsmuster11 zum Tragen; und das ist nur folgerichtig: Eine SPE, die schon bei ihrer Gründung die Voraussetzungen des
__________ 10 S. oben Fn. 9. 11 Zur SE-Regelung Zimmer/Ringe in Lutter/Hommelhoff (Fn. 8), Art. 8 SE-VO Rz. 10 ff.
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SPE-Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Sitzverlegungen
Art. 35 Ia 1 lit. a SPE-VOSE erfüllt, kann sich dem Einsatz des europäischen Mitbestimmungsrechts nicht dadurch entziehen, dass dessen Einsatzbedingungen erst im Nachhinein herbeigeführt werden. 3. Prüfungsanlass „Sitzverlegung“ Bei jeder Verlegung des Geschäftssitzes über die Grenze, die von einer Arbeitsplatzverlagerung begleitet wird, hat die SPE-Geschäftsleitung gemäß Art. 35 Ib SPE-VOSE zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Art. 35 Ia 1 lit. a SPE-VOSE erfüllt sind. Oder knapper: eine solche Geschäftssitz-Verlegung ist gesetzlicher Prüfungsanlass. Zwar scheint der Verordnungswortlaut bloß auf eine Überprüfung innerhalb von Zeiträumen abzustellen; die Anlass-bezogene Überprüfung verbirgt sich jedoch im „mindestens“. Deshalb gilt: Im Rahmen der vorbereitenden Planung für eine grenzüberschreitende Geschäftssitz-Verlegung mit begleitender Arbeitsplatzverlagerung ist das Erfordernis zu prüfen, europäisches Mitbestimmungsrecht einzusetzen. Bei positivem Prüfungsausgang hat die SPE-Geschäftsleitung die erforderlichen Schritte einzuleiten (Art. 35a I SPE-VOSE).
IV. Grenzüberschreitende Verlegung des Registersitzes Anders als für die Verlegung des Geschäftssitzes trifft die SPE-Verordnung für die Verlegung des Satzungssitzes über die Grenze seines Registersitzstaates eine ausdrückliche und eigenständige Regelung (Art. 35 Ia lit. b SPE-VOSE). Sie gilt zumindest für die isolierte Satzungssitzverlegung; ob gleichermaßen für die kombinierte Verlegung von Satzungs- und Geschäftssitz, wird zu untersuchen sein (unten IV. 4.). 1. Der schwedische Regelungsvorschlag Bei der Verlegung des Satzungssitzes über die Grenze verweist der schwedische Verordnungsentwurf nicht bloß die große SPE (mit 500 Arbeitnehmern und mehr) auf den Weg zur europäischen Mitbestimmung, sondern jede SPE schlechthin, also auch die mit nur sehr wenigen Arbeitnehmern. Denn Art. 35 Ia 1 lit. b SPE-VOSE kennt im Gegensatz zu lit. a keine Mindest-Belegschaftsgröße. Dagegen eröffnen in grundsätzlicher Übereinstimmung mit dieser Regelung „Mitbestimmungsgefälle“ und „Belegschaftsanteil“ an der Gesamtbelegschaft den Zugang zur europäischen Mitbestimmung12. Allerdings sind diese Zugangskriterien bei der Satzungssitz-Verlegung anders beschrieben bzw. bemessen. Ein „Mitbestimmungsgefälle“ muss vom Herkunftsmitgliedstaat hinab zum Aufnahmemitgliedstaat bestehen (Art. 35 Ia 1 lit. b SPE-VOSE); und mindestens ein Drittel der SPE-Gesamtbelegschaft muss im Herkunftsmitgliedstaat beschäftigt sein.
__________ 12 Dazu Hommelhoff, ZEuP 2011, Heft 1 (sub II 2).
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Zur Verdeutlichung: Wenn eine drittelbeteiligt mitbestimmte SPE mit 40 Arbeitnehmern (15 in Dänemark und 25 in Deutschland) ihren Satzungssitz von Dänemark nach Deutschland verlegt, dann besteht ein „Mitbestimmungsgefälle“ vom Herkunftsmitgliedstaat, in dem mehr als ein Drittel der Gesamtbelegschaft beschäftigt ist, hinab zum Aufnahmemitgliedstaat. Alles Weitere richtet sich nach europäischem Mitbestimmungsrecht (Artt. 35a bis d SPEVOSE) mit der Auffanglösung aus dänischem Recht (Art. 35d II SPE-VOSE). Damit findet in der in Deutschland (z. B. in Niebüll) registrierten SPE mit 40 Arbeitnehmern, davon 25 hierzulande eine mitbestimmte Drittelbeteiligung statt. Oder anders formuliert: Schon Gesellschaften mit weit weniger als 500 Arbeitnehmern können in Deutschland mitbestimmt sein. Das scheint als Auswirkung der Mitbestimmung mit deutscher Rechtspolitik unvereinbar und wird in seiner Beurteilung allenfalls dadurch abgeschwächt, dass es sich um ausländische (hier dänische) Mitbestimmung in einer supranationalen Rechtsform handelt. Wie aber stellt sich die Regelung aus dänischer Sicht dar? Die in Dänemark registrierte und dort mit ihren 40 Arbeitnehmern der Mitbestimmung unterliegende SPE soll sich nicht schlicht durch Verlegung des Registersitzes über die Grenze in einen Mitbestimmungs-freien oder -schwächeren Mitgliedstaat der Mitbestimmung entziehen können13. Mit der Regelung in Art. 35 Ia 1 lit. b SPE-VOSE nehmen die Dänen (und andere Mitgliedstaaten mit niedrigen Schwellenwerten) den grundsätzlich gleichen Umgehungsschutz in Anspruch wie die Deutschen für ihre Drittelbeteiligung oder gar für die paritätische Mitbestimmung bei größeren Belegschaftsstärken über 500 bzw. 2000 Arbeitnehmern. Rechtspolitisch hat die deutsche Seite keine Bedenken, zum Schutze deutscher Mitbestimmung vor Umgehungen sogar gänzlich Mitbestimmungsfreien Staaten wie England, Polen oder Spanien14 paritätische Mitbestimmung in einer dort registrierten SPE aufzulasten, wenn die Voraussetzungen des Umgehungsschutzes erfüllt sind. Mitbestimmungsrechtlicher Umgehungsschutz ist für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen legitim und kann schwerlich von den mitgliedstaatlich unterschiedlichen Schwellenwerten (35, 150, 200, 300, 500) abhängig gemacht werden. Was Deutschland für sich in Anspruch nimmt, kann Dänemark in gleicher Weise einfordern: Respekt vor seiner Mitbestimmungskultur. 2. Würdigung: Sonderrecht für die „kleine SPE“ tut not Somit sind die hinter der Regelung des Art. 35 Ia 1 lit. b SPE-VOSE und ihren Wirkungen stehenden Wertungen einsichtig – wenigstens im Grundsätzlichen. Was jedoch noch weiterer Überprüfung bedarf, ist die Absenkung des „Belegschaftsanteils“ auf ein Drittel. Kann diese Grenzlinie doch dazu führen, dass
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13 In der SE soll nach h. L. der Grundsatz der Mitbestimmungskontinuität Bestandsschutz leisten (Zimmer/Ringe in Lutter/Hommelhoff [Fn. 8], Art. 8 SE-VO Rz. 12 m. w. N.); in ihr hängt der Fortbestand des Mitbestimmungsstatus also weder vom Mitbestimmungsgefälle, noch vom Belegschaftsanteil ab. 14 S. oben Fn. 9.
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SPE-Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Sitzverlegungen
eine ganz überwiegend schwach oder gar frei von Mitbestimmung geprägte Gesamtbelegschaft dennoch (stärkerer) Mitbestimmung unterliegt. Deshalb: Warum will der Unionsgesetzgeber es nicht wie in Art. 35 Ia 1 lit. a SPE-VOSE bei der Hälfte (besser noch bei der Mehrheit15) belassen? Diesen Unterschied wird man wohl damit erklären müssen, dass bei der Verlegung des SPESatzungssitzes ein bereits existentes und fortbestehendes Unternehmen im weiteren Sinne umstrukturiert, also nicht erst geschaffen wird. Mithin geht es um mitbestimmungsrechtliche Besitzstandswahrung; nach den Vorstellungen des schwedischen Verordnungsentwurfs16 bleibt das Mitbestimmungsrecht des Herkunftsmitgliedstaats im Spiel der europäischen Mitbestimmung nach Artt. 35a bis d SPE-VOSE, wenn der Belegschaftsanteil in diesem Staat mindestens ein Drittel beträgt. Diese „Nachprägung“ soll bei der Umstrukturierung durch Satzungssitz-Verlegung ausreichen; rechtspolitisch scheint eine solche nach unten verschobene Grenzlinie noch vertretbar. Indes – in einer SPE mit nur wenigen Arbeitnehmern, also in einer „kleinen SPE“ nach dem Leitbild dieser Rechtsform (ausländische Vertriebs- und Servicetochter einer Mutter in einem anderen Mitgliedstaat)17, wird der Aufruf der europäischen Mitbestimmung die grenzüberschreitende Satzungssitz-Verlegung mit einem solchen Aufwand belasten, dass die „kleine SPE“ schon wegen dann drohender Mitbestimmungs-Verhandlungen davon Abstand nehmen wird, von der Verlegungsmöglichkeit (Artt. 36 ff. SPE-VOSE) Gebrauch zu machen. Für kleine Privatgesellschaften mit bis zu 500 Arbeitnehmern insgesamt sollte daher abweichend vom schwedischen Vorschlag (Art. 35 Ia 1 lit. b SPE-VOSE) nach anderen Lösungen Ausschau gehalten werden, um das Regelungsanliegen „Umgehungsschutz“ zu verwirklichen. So könnte man vom Gedanken „Kontinuität des in der Gesellschaft vorhandenen Mitbestimmungsstatuts“18 ausgehen, um eine Flucht aus der Mitbestimmung durch Sitzverlegung in einen mitbestimmungsschwächeren oder -aversen Staat mit sehr einfachen Mitteln zu unterbinden: Die in Dänemark mitbestimmte SPE bleibt auch nach Verlegung ihres Satzungssitzes nach Niebüll dänischer Mitbestimmung unterstellt. – Anders nur, wenn die Gesellschaft ihren Sitz in einen mitbestimmungsstärkeren Mitgliedstaat verlegt und dort tatsächlich dessen Mitbestimmungsstatus unterfällt; dann kommt nach Art. 35 I SPE-VOSE das Mitbestimmungsrecht des Aufnahmestaats zum Zuge: Die ehemals britische und dort mitbestimmungsfreie SPE unterliegt nach ihrer Satzungssitz-Verlegung nach Kopenhagen dänischer Mitbestimmung, wenn sie mehr als 35 Arbeitnehmer, wo auch immer, beschäftigt.
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15 S. Hommelhoff, ZEuP 2011, Heft 1 (sub II 4 c); umgekehrt halten van het Kaar/Zaal in Zaman/Schwarz/Lennarts/de Kluiver/Dorrestejn (Hrsg.), The European Private Company, 2009, S. 167 die Drittelquote offenbar noch für zu hoch. 16 Mit einem Drittel als Mindestanteilsquote operiert auch schon der Kommissionsentwurf (Art. 38 II SPE-VOKE, oben Fn. 1), während die Parlamentsstellungnahme (oben Fn. 5) nach der Unternehmensgröße differenzieren will (Art. 38 II i. V. m. Art. 34 Ia SPE-VOPE). 17 Zur SPE als ausländischer Tochtergesellschaft näher zuletzt Teichmann, RIW 2010, 120. 18 Oben Fn. 13.
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3. Staatenwahlrecht: Drittelbeteiligung Wenn aber die Regelung in Art. 35 Ia 1 lit. b SPE-VOSE vom Respekt der Union vor den je unterschiedlichen Mitbestimmungskulturen in den Mitgliedstaaten mitgetragen ist, dann bedarf das Staatenwahlrecht aus Art. 35d III SPEVOSE erneuter Nachschau19. Nach diesem Regelungsvorschlag soll jeder Mitgliedstaat ermächtigt werden, die als Auffang im europäischen Mitbestimmungssystem fungierende nationale Mitbestimmung in seinem Hoheitsgebiet auf eine bloße Drittelbeteiligung zu beschränken. Dieser Regelungsvorschlag betrifft in erster Linie die paritätische Mitbestimmung in Deutschland. Hierzu ein Beispiel: Die in Cottbus registrierte SPE hat insgesamt 2500 Arbeitnehmer, nämlich 900 dort und 1600 in Breslau; sie unterliegt also gemäß Art. 35 I SPEVOSE/§ 1 MitbestG 76 paritätischer Mitbestimmung20. Wenn die SPE ihren Registersitz nach Breslau verlegt und die über Art. 35 Ia 1 lit. b SPE-VOSE eröffneten Mitbestimmungsverhandlungen scheitern, dann greift an sich gemäß Art. 35d II SPE-VOSE deutsche paritätische Mitbestimmung als Auffanglösung ein. Allerdings kann Polen diese Auffanglösung für sein Hoheitsgebiet entschärfen und die Mitbestimmung auf eine Drittelbeteiligung begrenzen (Art. 35d III SPE-VOSE). Das erscheint als legitim, wenn diese Begrenzung auf Europäische Privatgesellschaften mit monistischem Verwaltungsorgan abzielt. Denn dann geht es darum, den Arbeitnehmereinfluss auf die Geschäftsleitung in Grenzen zu halten21. Anderes gilt dagegen für die SPE im dualistischen System mit je eigenständigem Aufsichts- und Überwachungsorgan; in ihm sind die Arbeitnehmerrepräsentanten (trotz der unternehmerischen Mitentscheidungen dieses Organs22) immer noch so weit von der eigentlichen Geschäftsleitung entfernt, dass von direktem Einfluss auf sie keine Rede sein kann. Deshalb wird man die Legitimität des vorgeschlagenen Art. 35d III SPE-VOSE wohl bezweifeln müssen, soweit er das mitgliedstaatliche Reduktionsrecht auch auf die Arbeitnehmer-Repräsentanz im SPE-Aufsichtsorgan erstrecken will23. 4. Kombinierte Sitzverlegung mit Arbeitsplatz-Verlagerung Die kombinierte Verlegung des Satzungs- und des Geschäftssitzes wirft dann keine Rechtsprobleme auf, wenn sie mit keinerlei Verlagerung von Arbeitsplätzen über die Grenze verbunden ist. In diesem Falle entfaltet die Geschäfts-
__________ 19 Dazu schon Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2010, 337, 343 f. 20 Europäische Mitbestimmung kommt nicht zum Zuge, da es an dem nach Art. 35 Ia 1 lit. a SPE-VOSE notwendigen „Mitbestimmungsgefälle“ hinab zum Registersitz Cottbus fehlt. 21 Zur deutschen Diskussion um die paritätische Zusammensetzung des SE-Verwaltungsrats: Oetker in Lutter/Hommelhoff (Fn. 8), § 35 SEBG Rz. 11 ff. m. w. N. 22 Vgl. hierzu näher Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, S. 211 ff.; Hopt/Roth in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2005, § 111 Rz. 61 ff. jeweils m. w. N. 23 Insoweit sind die Darlegungen Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2010, 337, 344 zu ergänzen und zu präzisieren.
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SPE-Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Sitzverlegungen
sitz-Verlegung keine Ordnungsimpulse24, so dass allein die Regelungen zur Satzungssitz-Verlegung aufgerufen sind. Wie aber, falls eine zeitgleiche Arbeitsplatz-Verlagerung die kombinierte Sitzverlegung begleitet? Diese umfassende Neustrukturierung hat über die Geschäftssitz-Verlegung den Öffnungsmechanismus aus Art. 35 Ia 1 lit. a SPE-VOSE zur Folge, über die Satzungssitz-Verlegung jedoch lit. b. Ihr Nebeneinander wirft drei Anschlussfragen auf: Gilt zum ersten die sperrende 500 Arbeitnehmerschwelle; worauf kommt es zum zweiten beim „Mitbestimmungsgefälle“ an: auf das hinab zum Registersitzstaat (lit. a) oder auf das hinab zum Aufnahmemitgliedstaat (lit. b); und zum dritten: welcher „Belegschaftsanteil“ gilt – ein Drittel oder die Hälfte? Da der Verordnungstext zum Vorrang weder der Gesamtregelungen, noch ihrer Einzelelemente eine Bestimmung trifft, ist auf Sinn und Zweck der beiden Regelungen abzustellen. Sie zielen übereinstimmend darauf ab, den Zugang zur europäischen Mitbestimmung zu eröffnen, und geben ihn jeweils frei, wenn ein in bestimmter Weise definiertes „Mitbestimmungsgefälle“ in Verbindung mit einem bestimmten „Belegschaftsanteil“ vorliegt. Entweder ist der Zugang so oder so freigegeben. Daher liegt der Schluss nahe, beide Regelungen könnten nebeneinander Anwendung finden und verdrängten einander nicht. Allerdings bleibt der sperrende Schwellenwert von 500 Arbeitnehmern aus lit. a: Verschließt er bei einer kombinierten Sitzverlegung mit Arbeitsplatzverlagerung in einer kleinen SPE den Zugang zur europäischen Mitbestimmung ganz allgemein? Das ist nicht anzunehmen; denn für die Satzungssitz-Verlegung kennt lit. b aus bislang wohl erwogenen Gründen25 keine Größenschwelle für die Arbeitnehmerzahl. Sie darf dann auch nicht aus lit. a in lit. b „hinüber gelesen“ werden. Deshalb bleibt es dabei: Unabhängig von der Zahl ihrer Arbeitnehmer gilt für jede SPE bei der grenzüberschreitenden Verlegung ihres Satzungssitzes Art. 35 Ia 1 lit. b SPE-VOSE – und zwar gleichfalls dann, wenn diese Sitzverlegung mit der des Geschäftssitzes kombiniert wird. Anders dagegen, wenn der Unionsgesetzgeber den hier unterbreiteten Vorschlag zur Erleichterung der Satzungssitz-Verlegung bei der kleinen SPE aufgreifen sollte: Dann unterliegt der gesamte Vorgang dem Kontinuitätskonzept (oben IV. 2.).
V. Auseinanderfallende Sitzverlegungen Was aber ist, wenn eine SPE ihren Satzungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, ihren Geschäftssitz jedoch in einen dritten? Dazu noch einmal das Beispiel der in Cottbus registrierten SPE mit 2500 Arbeitnehmern, von denen 900 dort und weitere 1600 Arbeitnehmer in Breslau beschäftigt sind; diese bisher in Cottbus nach Art. 35 I SPE-VOSE paritätisch mitbestimmte SPE verlegt
__________ 24 S. oben III. 1. 25 S. oben IV. 1. am Ende; allerdings ist hierzu der Übergang zur „Kontinuität des Mitbestimmungsstatuts“ statt europäischer Mitbestimmung vorgeschlagen worden (oben IV. 2.).
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Peter Hommelhoff
ihren Satzungssitz nach Breslau und gleichzeitig ihren Geschäftssitz unter Verlagerung von 50 Arbeitsplätzen von Cottbus nach Helsinki. In diesem Falle eröffnet zwar die Satzungssitz-Verlegung nach Breslau gemäß Art. 35 Ia 1 lit. b SPE-VOSE den Zugang zur europäischen Mitbestimmung, weil immer noch mehr als ein Drittel der Gesamtbelegschaft im Herkunftsmitgliedstaat Deutschland arbeitet, aber nicht die „begleitete“ Geschäftssitz-Verlegung, weil selbst dann weit weniger als die nach Art. 35 Ia 1 lit. a SPE-VOSE erforderliche Hälfte der Gesamtbelegschaft in Mitbestimmungs-stärkeren Mitgliedstaaten arbeitet, wenn man die Teilbelegschaften in Cottbus und Helsinki zusammenzählt. Als Auffanglösung nach Art. 35d II SPE-VOSE kommt in diesem Falle paritätische Mitbestimmung nach deutschem Recht zum Zuge. Wie aber, wenn im Beispielsfall nicht 50, sondern 150 Arbeitsplätze nach Helsinki verlagert werden? Der Zugang zur europäischen Mitbestimmung nach lit. a bleibt unverändert versperrt, aber auch der nach lit. b scheint verschlossen, weil nun im Herkunftsmitgliedstaat Deutschland mit 750 verbliebenen Arbeitnehmern weniger als ein Drittel der Gesamtbelegschaft von 2500 beschäftigt ist. Die Konsequenz: Das Mitbestimmungsstatut der SPE richtet sich gemäß Art. 35 I SPE-VOSE nach dem Recht des Registersitzstaates Polen, also keine Mitbestimmung. Dies Ergebnis will nicht ohne weiteres einleuchten, weil auch Finnland ein Mitbestimmungs-freundlicher Staat ist – allerdings mit schwächerer Ausformung wegen seiner bloßen Viertelbeteiligung26. Die Lösung erschließt sich von Sinn und Zweck der Regelung in Art. 35 Ia 1 lit. b SPEVOSE her: Die in dieser Bestimmung (aber auch in der der lit. a) niedergelegten Belegschaftsanteile beschreiben die mitbestimmungsrechtliche Prägung und Mitprägung der Gesamtbelegschaft. Bei der Satzungssitz-Verlegung kann man die Prägung vom Recht des Herkunftsmitgliedstaats, aber auch von dem des Aufnahmemitgliedstaats her beschreiben. Liest man Art. 35 Ia 1 lit. b SPE-VOSE vom Aufnahmestaat her, dann lautet er: Sein Mitbestimmungsrecht kommt entgegen Art. 35 I SPE-VOSE dann nicht zum Zuge, wenn in diesem Staat weniger als zwei Drittel der Gesamtbelegschaft beschäftigt ist, also ein Drittel und mehr der Gesamtbelegschaft in einem oder mehreren Staaten mit höherem Mitbestimmungsniveau arbeitet. Mitbestimmungs-freie oder -schwache Aufnahmemitgliedstaaten setzen sich mit ihrem Recht erst dann durch, wenn sie das Recht ganz überwiegend (also zu zwei Dritteln) mitprägen. Ist das nicht so, kommt europäische Mitbestimmung zum Zuge. – Zur Auffanglösung ist auf das Recht des beteiligten Mitgliedstaats mit dem höchsten Mitbestimmungsniveau zurückzugreifen (Art. 35d II SPE-VOSE); im Cottbusser Beispielsfall bleibt es demnach bei deutscher paritätischer Mitbestimmung. Das wäre ebenso, wenn man für die mitbestimmten Mitgliedstaaten, wie schon andernorts vorgeschlagen27, auf das Recht desjenigen abstellen wollte, in dem in der konkreten SPE die relativ meisten Arbeitnehmer beschäftigt sind.
__________ 26 S. oben Fn. 9. 27 Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2010, 337, 342.
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SPE-Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Sitzverlegungen
Sollte der Verordnungs-Entwurf entsprechend nachformuliert werden, um auch für eine solche Fallkonstellation Klarheit zu schaffen? Davon ist eher abzuraten; denn neben dieser Konstellation sind gewiss noch eine Reihe anderer vorstellbar. Gesetzgeber und Rechtspraxis sollten darauf vertrauen, sie durch Norminterpretation und Subsumtion angemessen bewältigen zu können.
VI. Gesamtrésumé Die in den Verordnungsentwürfen vorgesehene Möglichkeit der Sitzaufspaltung eröffnet den Unternehmen für die Verlegung des Geschäfts- und des Satzungssitzes eine ganze Reihe von Gestaltungsoptionen. Mitbestimmungsrechtlich scheinen diese komplizierte Rechtsfolgen nach sich zu ziehen; bei näherem Besicht jedoch erweist sich der schwedische Vorschlag zu den mitbestimmungsrechtlichen Konsequenzen der Satzungssitz-Verlegung in Kombination mit den Regeln zur mehrstaatlichen Belegschaft als durchaus praktikabel. Nur für die kleine SPE mit bis zu 500 Arbeitnehmern sollte der Unionsgesetzgeber vom Konzept europäischer Mitbestimmung abrücken und dies durch das Kontinuitätskonzept ersetzen, um die Satzungssitz-Verlegung für die kleinen und mittleren Unternehmen nicht übermäßig zu erschweren.
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Uwe Hüffer
Gewinnabführung und Verlustsaldierung unter Entnahme aus der gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB innervertraglich gebildeten Kapitalrücklage Inhaltsübersicht I. Einführung II. Entwicklung und Stand der Diskussion 1. Geklärte Fragen a) Parallele Auslegung der §§ 301, 302 Abs. 1 AktG b) Verwendung von Rücklagen 2. Die Entnahme aus der gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB gebildeten Kapitalrücklage bei abhängiger AG a) Die Entnahme aus „freien Rücklagen“ nach §§ 301, 302 Abs. 1 AktG a. F. b) Fortführung der früheren Lösung nach §§ 301, 302 Abs. 1 AktG in der Fassung des BiRiLiG c) Meinungswandel im Anschluss an die Rechtsprechung des BFH
3. Die Entnahme aus der gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB gebildeten Kapitalrücklage bei abhängiger GmbH III. Gewinnabführung und Verlustsaldierung im aktienrechtlichen Grundfall 1. Wortlaut der §§ 301, 302 AktG 2. Terminologische Probleme der Rücklagenregelung 3. Teleologische Erwägungen 4. Zwischenfazit IV. Gewinnabführung und Verlustsaldierung bei analoger Anwendung der §§ 301, 302 AktG auf die GmbH 1. Übernahme der aktienrechtlichen Lösung 2. Kein gesetzlicher Schutz von Rücklagen bei der GmbH 3. Zwischenfazit V. Summe
I. Einführung Wenn die AG durch Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrag an ein anderes Unternehmen gebunden ist (§ 291 Abs. 1 Satz 1 AktG), greifen zu ihrer Sicherung und zum Schutz ihrer Gläubiger die §§ 300 bis 303 AktG ein. § 301 AktG beschränkt die Gewinnabführung auf einen dort umschriebenen Höchstbetrag. § 302 Abs. 1 AktG verpflichtet das herrschende Unternehmen sowie den aus einem Gewinnabführungsvertrag berechtigten Vertragsteil, einen Jahresfehlbetrag auszugleichen, der ohne diese Ausgleichspflicht eintreten würde. Das Thema dieses Beitrags ist der Höchstbetrag der Gewinnabführung bzw. die den Ausgleichsanspruch minimierende Verlustsaldierung, und zwar unter einem speziellen Aspekt, der im Wortlaut der §§ 301, 302 Abs. 1 AktG nur unvollkommen zum Ausdruck kommt. Es geht darum, ob der Teil der Kapitalrücklage, der während der Laufzeit des Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrags (innervertraglich) gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB gebildet worden ist, zwecks Gewinnabführung oder Verlustsaldierung entnommen 559
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werden darf; anders ausgedrückt, ob das herrschende Unternehmen oder der aus der Gewinnabführung berechtigte Vertragsteil andere als die in § 272 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 HGB genannten Zuzahlungen, die sie in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter innervertraglich in das Eigenkapital geleistet haben, durch Gewinnabführung oder Verlustsaldierung wieder freisetzen können oder daran durch §§ 301, 302 Abs. 1 AktG gehindert sind. Zu den wissenschaftlichen Schwerpunkten des Jubilars gehören seit jeher neben dem Bank- und Kapitalmarktrecht das Aktienrecht und das darüber hinausreichende Konzernrecht1. Schon deshalb ist das umschriebene Thema in der ihm gewidmeten Festschrift gut aufgehoben. Weil es wegen der analogen Anwendung der §§ 301, 302 Abs. 1 AktG auf die konzernierte oder doch zur Gewinnabführung verpflichtete GmbH auch eine wichtige GmbH-rechtliche Seite hat, mag es den Mitverfasser des von Franz Scholz begründeten Kommentars auch in dieser Eigenschaft ansprechen2. Die Untersuchung soll in drei Schritten unternommen werden. Sie muss zunächst die Entwicklung der Diskussion und ihren jetzigen Stand aufzeigen (II). Sie wird sich sodann dem aktienrechtlichen Grundfall zuwenden und in diesem Zusammenhang vor allem auf die Besonderheiten des § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB eingehen (III). Auf dieser Basis können die Probleme im Analogiebereich, also bei der GmbH, analysiert werden (IV).
II. Entwicklung und Stand der Diskussion 1. Geklärte Fragen a) Parallele Auslegung der §§ 301, 302 Abs. 1 AktG In den Erörterungen des Schrifttums geht es weniger um die Verlustsaldierung im Sinne des § 302 AktG als um die Auflösung von Rücklagen zwecks Erhöhung des abführbaren Gewinns im Sinne des § 301 AktG. Einigkeit besteht weitgehend allerdings darüber, dass die Vorschriften parallel auszulegen sind, also Beträge, die als Gewinn abgeführt werden dürfen, auch zur Verlustsaldierung zur Verfügung stehen. Diese parallele Auslegung leuchtet auch ein, weil der Jahresfehlbetrag des § 302 AktG das negative Spiegelbild des Höchstbetrags der Gewinnabführung darstellt3.
__________ 1 Allein aus dem letzten Jahrzehnt lassen sich neben vielem anderen fünf Festschriftenbeiträge nennen; siehe FS Lutter, 2000, S. 1193 ff.; FS Ulmer, 2003, S. 579 ff.; FS Hadding, 2004, S. 621 ff.; FS Raiser, 2005, S. 341 ff.; FS Konzen, 2006, S. 881 ff. 2 Vgl. etwa die Erläuterungen von Uwe H. Schneider zum Geschäftsführer (§§ 6, 35 ff.) in Scholz, GmbHG, 10. Aufl., Bd. 1 2006; zum Aufsichtsrat (§ 52) ebda., Bd. 2 2007. 3 Vgl. dazu Casper in Großkomm.GmbHG, Bd. 3 2008, Anh. § 77 Rz. 209; Hirte in Großkomm.AktG, 4. Aufl., 23. Lfg. 2005, § 301 Rz. 13 und § 302 Rz. 29; Cahn/Simon, Konzern 2003, 1, 14.
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Gewinnabführung und Verlustsaldierung
b) Verwendung von Rücklagen Soweit es um die Verwendung von Rücklagen geht, sei es zum Zweck der Gewinnabführung, sei es zur Verlustsaldierung, besteht auch insoweit Konsens4, als es um die gesetzliche Rücklage, um andere Kapitalrücklagen mit Ausnahme derjenigen nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB und um Gewinnrücklagen geht, die vorvertraglich gebildet worden sind: Sie stehen sämtlich nicht zur Gewinnabführung oder zur Saldierung eines Verlustes zur Verfügung. Anders liegt es kraft der ausdrücklichen Vorschrift der §§ 301 Satz 2, 302 Abs. 1 AktG hinsichtlich der während der Vertragsdauer gebildeten Gewinnrücklagen, die aufgelöst werden dürfen, um das herrschende Unternehmen nicht von vornherein von der Dotierung solcher Rücklagen abzuhalten5. 2. Die Entnahme aus der gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB gebildeten Kapitalrücklage bei abhängiger AG a) Die Entnahme aus „freien Rücklagen“ nach §§ 301, 302 Abs. 1 AktG a. F. Als problematisch erweisen sich danach nur die Zuzahlungen, die von den Gesellschaftern während der Laufzeit des Vertrags in das Eigenkapital geleistet und nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB als Kapitalrücklage ausgewiesen werden. Betrachtet man zunächst6 den unmittelbaren Anwendungsfall der §§ 301, 302 AktG, also die in der Rechtsform der AG verfasste Tochtergesellschaft, so ergibt sich: Bis zur Bilanzrechtsreform von 1986 durch das BiRiLiG7 sah § 301 Satz 2 AktG vor, dass Beträge, die während der Dauer eines Gewinnabführungsvertrags „in freie Rücklagen“ eingestellt worden waren, daraus entnommen und als Gewinn abgeführt werden konnten. Spiegelbildlich ließ § 302 Abs. 1 AktG die Entnahme aus freien Rücklagen zwecks Verlustsaldierung zu. Freie Rücklagen waren nach der damaligen Terminologie alle offenen (also in der Bilanz ausgewiesenen) Rücklagen, die nicht zur gesetzlichen Rücklage gehörten, deren Dotierung in § 150 AktG a. F. geregelt war8. Die nur negative Umschreibung der freien Rücklagen früheren Rechts deckt die heute in § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB geregelten anderen Zuzahlungen in das Eigenkapital ohne weiteres ab. Das Ergebnis wird auch dadurch bestätigt, dass § 272 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 HGB aus § 150 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 AktG a. F. hervorge-
__________ 4 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 301 Rz. 8 und § 302 Rz. 14; Altmeppen in MünchKomm.AktG, 3. Aufl., Bd. 5 2010, § 301 Rz. 18 und § 302 Rz. 44 ff.; Koppensteiner in KölnKomm.AktG, 3. Aufl., Bd. 6 2004, § 301 Rz. 13 ff. und § 302 Rz. 21 ff.; Krieger in Münch.Hdb. Gesellschaftsrecht, Bd. 4 AG, 3. Aufl. 2007, § 70 Rz. 67 f. und § 71 Rz. 21. 5 Vgl. zur Rechtfertigung der Verbotsausnahme schon Regierungsbegründung bei Kropff, Aktiengesetz, 1965, S. 390; ferner Geßler in Geßler/Hefermehl, AktG, 6. Lfg. 1976, § 301 Rz. 17. 6 Zur GmbH unten II. 3. und IV. 7 Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts vom 19.12. 1985 (BGBl. I 1985, S. 2355). 8 Kropff in Großkomm.AktG, 3. Aufl., Bd. 2 1970, § 150 Anm. 2.
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gangen ist, also der früheren Regelung der Zuweisungen zur gesetzlichen Rücklage entstammt, soweit diese nicht aus dem Jahresüberschuss dotiert wird. Für den Auffangtatbestand des § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB („andere“ Zuzahlungen) gibt es dagegen in § 150 Abs. 2 AktG a. F. keine Parallele. Deshalb unterliegt es auch keinem Zweifel, dass die seit 1986 in der Kapitalrücklage auszuweisenden Zuführungen nach der vorangehenden Gesetzeslage zur freien Rücklage gehörten, also zugunsten der Gewinnabführung entnommen werden durften, wenn sie während der Vertragsdauer in die freie Rücklage eingestellt worden waren9, was allerdings nur in einem zweistufigen Verfahren erfolgen konnte10. b) Fortführung der früheren Lösung nach §§ 301, 302 Abs. 1 AktG in der Fassung des BiRiLiG Nach der Anpassung der §§ 301, 302 AktG an die durch das BiRiLiG geänderte Terminologie – „andere Gewinnrücklagen“ statt der bisherigen „freien Rücklagen“ – hat sich zwangsläufig die Frage gestellt, ob die Zuzahlungen im Sinne des § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB unverändert zugunsten einer Gewinnabführung entnommen werden durften und folgerichtig auch für eine Verlustsaldierung zur Verfügung standen. In der Erörterung dieser Frage lassen sich zwei Phasen unterscheiden. Nach der zunächst, nämlich bis mindestens 2002, ganz herrschenden Auffassung war die gestellte Frage zu bejahen. Der durch das BiRiLiG geänderten Bezeichnung der Rücklagen wurde also keine sachliche Bedeutung beigemessen11. Stattdessen wurde der naheliegende Gedanke weitergeführt, dass ein Verbot, die Rücklagen zugunsten der Gewinnabführung zu verwenden, nur den unerwünschten Verzicht auf die Rücklagenbildung nach sich ziehen würde12. Die herrschende Meinung ist allerdings nicht unbestritten geblieben. Gegen sie und damit für eine notwendig ergebniswirksame Auflösung der nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB gebildeten Kapitalrücklage werden der geänderte Wortlaut der §§ 301 Satz 2, 302 Abs. 1 AktG (nur noch „andere Gewinnrücklagen“), ferner hinsichtlich der Gewinnabführung der Ausnahmecharakter der Vorschrift und das Sachargument angeführt, dass die aus der Auflösung der Kapitalrücklage stammenden Beträge nicht allein dem anderen Vertragsteil zugute kommen dürften13.
__________ 9 Zutreffende Darstellung noch im BFM-Schreiben v. 11.10.1990 – IV B 7 – S 2770 – 21/90, DB 1990, 2141 li. Sp. 10 Vgl. noch III. 2. (bei Fn. 34). 11 Im Sinne der herrschenden Meinung sind zu nennen: OLG Frankfurt/M., NZG 2000, 603, 604 (rkr. durch Nichtannahmebeschluss des BGH v. 17.7.2000 – II ZR 239/99); FG Münster, EFG 2000, 396 f.; Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 301 Rz. 8; Altmeppen in MünchKomm.AktG, 2. Aufl., Bd. 8 2000, § 301 Rz. 18; Koppensteiner (Fn. 4), § 301 Rz. 14; w.N. in Fn. 19. 12 Siehe dazu Kropff (Fn. 5); Geßler (Fn. 5). 13 In diesem Sinne vor allem Priester, ZIP 2001, 725, 728 f.; wohl auch schon Willenberg/Welte, DB 1994, 1688, 1690 f.
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Gewinnabführung und Verlustsaldierung
c) Meinungswandel im Anschluss an die Rechtsprechung des BFH Mit der gesellschaftsrechtlich etablierten und auch der Praxis der Finanzverwaltung14 entsprechenden Ansicht hat der BFH in seiner Entscheidung vom 8. August 2001 gebrochen, indem er sich für den Höchstbetrag der Gewinnabführung erklärtermaßen der bisherigen Mindermeinung anschloss, wofür neben dem Wortlaut des § 301 Satz 2 AktG vor allem der schon eingeführte15 Gedanke bemüht wird, dass anderenfalls außenstehende Gesellschafter von ihnen geleistete Kapitalzuschüsse infolge der Abführung verlieren könnten16. Diese Entscheidung ist nicht folgenlos geblieben, sondern hat weithin zu einem Meinungsumschwung geführt: Zunächst hat die Finanzverwaltung ihren früheren Standpunkt zugunsten der neuen Linie des BFH aufgegeben17. Darauf ist aber auch das aktienrechtliche Schrifttum großenteils18, wenn auch nicht vollständig19, eingeschwenkt20. 3. Die Entnahme aus der gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB gebildeten Kapitalrücklage bei abhängiger GmbH Weil der Gesetzgeber für den Gewinnabführungsvertrag, der mit einer GmbH als verpflichteter Gesellschaft geschlossen wird, keine gesellschaftsrechtliche Regelung getroffen hat (anders §§ 14, 17 KStG), kann es im Ausgangspunkt nur darum gehen, ob und in welchen Grenzen die §§ 300 bis 303 AktG auf die GmbH entsprechende Anwendung finden. Insoweit ist immerhin klar, dass die Vorschrift über die Dotierung der gesetzlichen Rücklage (§ 300 AktG) bei der GmbH auch nicht analog gilt, weil es bei ihr – sc. auch im Konzernverbund – keine gesetzliche Rücklage gibt21. Im übrigen kann als generelle Linie festgehalten werden, dass §§ 301 bis 303 AktG entsprechende Anwendung finden sollen, wobei allerdings viele Details ungesichert sind. Am ehesten steht die Verlustausgleichspflicht des § 302 AktG auf festem Grund, obwohl auch insoweit die Rechtsfolgenseite nicht ausdiskutiert ist22.
__________ 14 15 16 17 18
19 20 21 22
BFM-Schreiben v. 11.10.1990 (Fn. 9). Priester, ZIP 2001, 725, 728 f. (Fn. 13). BFHE 196, 485, 489 ff. = AG 2002, 680 = NZG 2002, 832 = GmbHR 2002, 274. BFM-Schreiben v. 27.11.2003 – IV 2 A – S 2770 – 31/03, GmbHR 2004, 144. Altmeppen (Fn. 4), § 301 Rz. 18; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 5. Aufl. 2008, § 302 Rz. 18; Hirte (Fn. 3), § 301 Rz. 13; Stephan in K. Schmidt/Lutter, AktG, Bd. 2 2008, § 302 Rz. 26; Veil in Spindler/Stilz, AktG, Bd. 2 2007, § 302 Rz. 17; Cahn/Simon, Konzern 2003, 1, 8 f. Unverändert vor allem Koppensteiner (Fn. 4), § 301 Rz. 14; Krieger (Fn. 4), § 71 Rz. 21; ferner Schubert in AnwKomm. Aktienrecht, 2. Aufl. 2007, § 301 Rz. 7. Im Sinne des BFH auch Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 301 Rz. 9; einschränkend und eine Überprüfung ankündigend jedoch ders. (Fn. 4), § 301 Rz. 9. Scholz/Emmerich, GmbHG, 10. Aufl., Bd. 1 2006, Anh. § 13 Rz. 200; Casper (Fn. 3), Anh. § 77 Rz. 208; Liebscher, GmbH-Konzernrecht, 2006, Abschnitt G Rz. 731. BGHZ 142, 382, 384 = NJW 2000, 210; BGHZ 168, 285 Tz. 6 = NJW 2000, 3279; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, 19. Aufl. 2010, Schlußanh. KonzernR Rz. 128; Emmerich (Fn. 18), § 302 Rz. 25; Casper (Fn. 3), Anh. § 77 Rz. 210; Liebscher (Fn. 21), Abschnitt G Rz. 736.
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Einige Schwierigkeiten bereitet die Frage nach einem Höchstbetrag der Gewinnabführung, wobei das Problem der Verlustsaldierung (§ 302 Abs. 1 AktG) stets mit bedacht sein sollte, was jedoch im Schrifttum nicht immer deutlich wird. Die wohl überwiegende Ansicht will zwar § 301 AktG insoweit analog anwenden. Streitig ist aber auch auf dieser Grundlage, ob das aus § 301 Satz 2 AktG folgende Verbot, vorvertraglich in andere Gewinnrücklagen eingestellte Beträge zugunsten der Gewinnabführung zu entnehmen, auch bei der EinmannGmbH gelten soll23. Nach der Gegenmeinung ist schon der Ausgangspunkt nicht richtig gewählt. Danach ist ein Höchstbetrag analog § 301 AktG nicht gerechtfertigt – und folgerichtig auch eine Verlustsaldierung im Rahmen des § 302 AktG zulässig (parallele Auslegung) –, weil vorhandene Rücklagen vorbehaltlich des (bloßen) Kapitalschutzes nach §§ 30, 31 GmbHG auch sonst zur Gewinnausschüttung verwandt dürften, was allerdings bei der mehrgliedrigen GmbH nicht schon von Rechts wegen gelte, sondern eine entsprechende Regelung im Unternehmensvertrag voraussetze24. Der insgesamt schon in der allgemeinen Rücklagenproblematik noch nicht ganz ausgereifte Diskussionsstand lässt nicht erwarten, dass das spezielle Problem einer den abführbaren Gewinn erhöhenden Entnahme aus der gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB gebildeten Kapitalrücklage und spiegelbildlich einer entsprechenden Verlustsaldierung im Rahmen des § 302 AktG für die GmbH näher aufgearbeitet worden wäre. Die in jüngerer Zeit entschiedenen Fälle25 betreffen jedoch die zur Gewinnabführung verpflichtete GmbH und gehen ohne besondere Vertiefung davon aus, dass die zur abhängigen AG geltenden, freilich von den Gerichten unterschiedlich interpretierten Regeln auf die GmbH zu übertragen sind. Diese Meinung findet sich auch im Schrifttum, soweit das Thema – wiederum mit unterschiedlichen Ergebnissen – überhaupt Beachtung findet26.
III. Gewinnabführung und Verlustsaldierung im aktienrechtlichen Grundfall 1. Wortlaut der §§ 301, 302 AktG Wendet man sich zunächst einer Lösung im aktienrechtlichen Grundfall zu, so verwundert es nicht, dass diejenigen Stimmen, die einen aus der Kapitalrücklage entnommenen Betrag auch dann von der Gewinnabführung ausnehmen,
__________ 23 Vgl. im Sinne der überwiegenden Ansicht Scholz/Emmerich (Fn. 21), Anh. § 13 Rz. 203 ff.; Cahn/Simon, Konzern 2003, 1, 11; Priester, ZIP 2001, 725, 729. Zur Ausnahme bei der Einmann-GmbH Scholz/Emmerich (Fn. 21), Anh. § 13 Rz. 206; Altmeppen (Fn. 4), § 301 Rz. 11; Kropff in FS Semler, 1993, S. 517, 531. 24 In diesem Sinne namentlich Casper (Fn. 3), Anh. § 77 Rz. 209; Liebscher (Fn. 21), Abschnitt G Rz. 732. 25 OLG Frankfurt, NZG 2000, 603 (Fn. 11); BFHE 196, 485 (Fn. 16). 26 Vgl. einerseits Hoffmann-Becking, WiB 1994, 57, 61; andererseits Priester, ZIP 2001, 725, 729; wohl auch Cahn/Simon, Konzern 2003, 1, 8 f. und 11.
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wenn die Rücklage aus Zuzahlungen in das Eigenkapital gebildet worden ist27, dafür vor allem auf den Wortlaut des § 301 Satz 2 AktG abheben; denn nach dem Wortlaut können nur innervertraglich angesammelte „andere Gewinnrücklagen“ aufgelöst und abgeführt werden. Gemeint sind damit die Beträge, die in der Gewinn- und Verlustrechnung gemäß § 158 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4d AktG ausgewiesen werden28. Das kann auf die anderen Zuzahlungen schon deshalb nicht zutreffen, weil sie nicht aus dem Gewinn der Gesellschaft, sondern aus dem (sonstigen) Vermögen des Aktionärs stammen. Wenn man nur auf den Gesetzeswortlaut blickt, ist es deshalb richtig, dass die durch Auflösung der Kapitalrücklage gewonnenen Beträge auch dann nicht abgeführt bzw. saldiert werden können, wenn die Rücklage aus sogenannten anderen Zuzahlungen stammt. 2. Terminologische Probleme der Rücklagenregelung Fraglich bleibt jedoch, ob der Wortlaut der §§ 301, 302 AktG das vom Gesetzgeber Gemeinte auch richtig zum Ausdruck bringt. Die Textänderung, die §§ 301, 302 AktG im Zuge der Einführung des Bilanzrechts von 1986 erfahren haben, hat die früheren „freien Rücklagen“ gegen die „anderen Gewinnrücklagen“ des geltenden Rechts ausgetauscht29. Das hat seinen Hintergrund in der Neufassung des § 150 AktG, durch welche die frühere Gegenüberstellung von gesetzlichen und freien Rücklagen hinfällig wurde. Die „anderen Gewinnrücklagen“ entsprechen also den „freien Rücklagen“ des alten Rechts, so dass sich ein erstes Indiz dafür ergibt, dass die Herkunft aus dem Gewinn nicht wörtlich zu nehmen ist. Der Gesetzgeber hat bei der Neufassung der §§ 301, 302 AktG auch keinen Regelungswillen verfolgt, der über die Anpassung des Textes an den geänderten § 150 AktG hinausgegangen wäre. Auch dessen Änderung zielt nicht auf die früheren freien Rücklagen ab. Vielmehr ging es darum, die gesetzliche Rücklage der alten Vorschrift, die als Folge der in Art. 9 der Bilanzrichtlinie30 vorgeschriebenen Ausweisung des Agio in einem eigenen Passivposten ihren Kernbestandteil verloren hatte31, in geänderter Form beizubehalten. Deshalb wurden in § 150 Abs. 2 AktG n. F. die herkömmliche Dotierung aus dem Jahresüberschuss und die Kapitalrücklagen nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 HGB (Agio und vergleichbare Zuzahlungen) zu einem neuen gesetzlichen Reservefonds zusammengefasst32. Wäre es dabei geblieben, also bei den Kapitalrücklagen als Oberbegriff für die in § 272 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 HGB geregelten Zuzahlungen, so wären die neuen Fassungen der §§ 301, 302 AktG stimmig gewesen, weil sich
__________ 27 28 29 30
Priester, ZIP 2001, 725, 728 f.; w.N. in Fn. 18. Hüffer (Fn. 4), § 301 Rz. 6. Vgl. schon II. 2. a). Vierte Richtlinie (78/660/EWG) v. 25.7.1987 (ABl. EG L 222 S. 11); Abdruck z. B. bei Hüffer in Großkomm.HGB (Staub), 4. Aufl., Bd. 3/1 2002, Vor § 238. 31 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., Teilbd. 4 1997, § 150 Rz. 2. 32 Der Begriff stammt von Adler/Düring/Schmaltz (Fn. 31), § 150 Rz. 2.
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eine Verwendung des Agio oder verwandter Zuzahlungen zur Gewinnabführung oder Verlustsaldierung von selbst verbietet. Sie wäre auch nach der bis 1986 bestehenden Gesetzeslage nicht möglich gewesen; denn das Agio und die ihm verwandten Zuzahlungen gehörten nach § 150 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 AktG a. F. zur gesetzlichen und damit nicht zur freien Rücklage. Die Erweiterung des § 272 Abs. 2 HGB um eine neue Ziffer 4 hat die §§ 301, 302 AktG (nicht auch: § 304 Abs. 2 Satz 1 AktG, der ebenfalls durch den Austausch „freier Rücklagen“ gegen „andere Gewinnrücklagen“ in diesen Zusammenhang gehört) unstimmig werden lassen. Damit hat es nach der Entstehungsgeschichte des BiRiLiG folgende Bewandtnis: Eine aus „anderen Zuzahlungen“ gespeiste Kapitalrücklage war selbst im Zweiten Regierungsentwurf des BiRiLiG noch nicht vorgesehen33. Der Sache nach gab es solche Zuzahlungen freilich schon nach dem AktG 1965. Mangels besonderer bilanzrechtlicher Regelung konnten sie aber nur erfolgswirksam vereinnahmt und erst in einem zweiten Schritt aus dem Jahresüberschuss in die freien Rücklagen eingestellt werden. Demgegenüber ermöglicht § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB die unmittelbare erfolgsneutrale Vereinnahmung34, woran sich die Streitfrage anschließt, ob der subjektive Wille des Gesellschafters über die erfolgsneutrale Vereinnahmung entscheidet (Wahlrecht)35 oder ob die objektiven Umstände über das Vorliegen einer kapitalwirksamen Leistung entscheiden36, was dann die naheliegende Gesetzesauslegung ist, wenn man den Regelungszweck in der besseren Unterscheidung von Gewinn und Kapital findet37. Im äußeren Ablauf der Gesetzgebung geht § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB auf die 18. und 19. Sitzung des Unterausschusses Bilanzrecht vom 23. und 24. September 1985 zurück38. Die Neuerung hat dann Eingang in die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 15. November 1985 gefunden. Die Materialien sprechen allerdings nur – wenig aussagekräftig – von einer Ergänzung des wegen der vorausgesetzten Vorzugsgewährung zu eng geratenen § 272 Abs. 2 Nr. 3 HGB39. Die Tragweite dieser nur als Korrektur des § 272 Abs. 2 Nr. 3 HGB verstandenen Regelung hat dem Gesetzgeber bei der Abfassung der Änderungen in §§ 301,
__________ 33 Vgl. BT-Drucks. 10/317; Überblick zur Gesetzgebungsgeschichte bei Hüffer (Fn. 30), Vor § 238 Rz. 7 f.; speziell zu § 272 HGB Küting/Kessler, BB 1989, 25 ff. 34 Gute Übersicht bei Küting/Kessler, BB 1989, 25, 26 f. 35 So die wohl herrschende Auffassung; vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., Teilbd. 5 1997, § 272 Rz. 136 (mit überschießender Folgerung: Vereinbarung); Baumbach/Hopt/Merkt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 272 Rz. 9; H.-P. Müller in FS Heinsius, 1991, S. 591, 605 f. (Vereinbarung). 36 Hüttemann in Großkomm.HGB (Staub), 4. Aufl., Bd. 3/1 2002, § 272 Rz. 41; Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 42 Rz. 207 (in der 19. Aufl. 2010 nicht mehr enthalten); Biener/Berneke, Bilanzrichtlinien-Gesetz, 1986, S. 196 f. 37 Hüttemann (Fn. 36), § 272 Rz. 41; Döllerer, BB 1986, 1857 f.; Küting/Kessler, BB 1989, 25 f.; vgl. aber noch Fn. 39. 38 Vgl. Stenographisches Protokoll BT 1075 10.85 (zitiert nach Küting/Kessler a. a. O.). 39 Ausschussbericht BT-Drucks. 10/4268, S. 106 f.; krit. dazu Küting/Kessler, BB 1989, 25, 26 f.
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302, 304 AktG durch Art. 2 Nr. 66 bis 68 BiRiLiG nicht vor Augen gestanden. Der Bericht des Rechtsausschusses vermerkt dazu nämlich nur40: „Die Nummern 66 bis 68 enthalten begriffliche Anpassungen.“
Tragend war also die – infolge von § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB für §§ 301, 302 AktG irrig gewordene – Vorstellung, die bisherigen „freien Rücklagen“ unter Beibehaltung der Normbedeutung durch „andere Gewinnrücklagen“ ersetzen zu können. Die vom Gesetzgeber allein gewollte „begriffliche Anpassung“ oder sachliche Fortführung der §§ 301, 302 AktG erfordert deshalb, dem Irrtum des Gesetzgebers Rechnung zu tragen41. In methodischer Hinsicht geht es dabei nicht um eine ausdehnende Auslegung des § 301 Satz 2 AktG42, sondern darum, die verdeckte Regelungslücke zu schließen, die dem Gesetzgeber durch sein unvollständiges Verständnis der Kapitalrücklage unterlaufen ist. Vollständig hätte es nach den bisherigen Überlegungen in § 301 Satz 2 AktG heißen sollen: „Sind während der Dauer des Vertrags Beträge in die Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB oder in andere Gewinnrücklagen eingestellt worden, so können diese Beträge der genannten Kapitalrücklage oder den anderen Gewinnrücklagen entnommen und als Gewinn abgeführt werden.“
Entsprechend müsste der Text in § 302 Abs. 1 AktG erweitert werden. Eine solche Lückenschließung liegt für beide Vorschriften nahe, bedarf aber vor einer endgültigen Entscheidung noch einer objektiv-teleologischen Überprüfung. 3. Teleologische Erwägungen Soweit es um Sinn und Zweck einer den Jahresüberschuss übersteigenden Gewinnabführung bzw. Verlustsaldierung geht, sind drei Gesichtspunkte zu beachten: Es stellt das Minimum einer vernünftigen Regelung dar, dass für die Gewinnabführung oder die Saldierung keine Beträge eingesetzt werden, die aus dem gesetzlichen Reservefonds43 stammen; in diesem Sinne muss es sich im Sinne der früheren Terminologie um „freie“ Rücklagen handeln. Ferner müssen die sonstigen Zuführungen zur Kapitalrücklage in dem Sinne gesetzlich erwünscht sein, dass eher ihr den Jahresüberschuss übersteigender Abfluss an den herrschenden Vertragsteil als die fehlende Dotierung der Rücklage hingenommen wird44. Schließlich muss einem von der neueren Meinungsrichtung vorgetragenen Bedenken entsprochen werden, nämlich dem, dass die durch die Auflösung von Rücklagen gewonnenen Beträge dem herrschenden Vertragsteil nicht zugute kommen dürfen, wenn sie aus dem Vermögen eines anderen Aktionärs stammen45.
__________ 40 41 42 43 44 45
Vgl. Ausschussbericht BT-Drucks. 10/4268, S. 128 re.Sp. Richtig in seiner zeitnahen Analyse schon Hoffmann-Becking, WiB 1994, 57, 61. So aber Priester, ZIP 2001, 725, 728 li. Sp. Adler/Düring/Schmaltz (Fn. 31), § 150 Rz. 2. Siehe zur Rechtfertigung der Verbotsausnahme II. 1. a), 2. b). BFHE 196, 485, 389 ff. (Fn. 16); siehe II. 2. c).
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Zu diesen Gesichtspunkten bleibt festzuhalten: In den gesetzlichen Reservefonds fällt die gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB dotierte Kapitalrücklage nicht, weil es für den Reservefonds neben dem Jahresüberschuss nur auf die nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 HGB auszuweisenden Beträge ankommt (§ 150 Abs. 2 AktG n. F.). Deshalb kann die Kapitalrücklage aufgelöst werden, soweit sie das Gegengewicht zu Zuzahlungen bildet, die nicht zu den in § 272 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 HGB geregelten Agien gehören. Es geht also in der erforderlichen Weise um „freie“ Rücklagen46. Auch der zweite Aspekt bereitet keine Schwierigkeiten: Weil die freien Rücklagen im Sinne der §§ 301, 302 AktG a. F. nur den Komplementärbegriff zur gesetzlichen Rücklage des § 150 Abs. 1 AktG a. F. bildeten47, entspricht es dem Regelungswillen des Gesetzgebers des AktG 1965, dass zur Gewinnabführung oder Verlustsaldierung alles herangezogen werden kann, was nicht durch die gesetzliche Rücklage gebunden wird. Das trifft auch auf den Teil der Kapitalrücklage zu, der durch Zuzahlungen im Sinne des § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB gebildet wird. Weil diese Zuzahlungen mangels rechtlicher Verpflichtung freiwillig erfolgen, kann nämlich vermutet werden, dass sie gleich unterbleiben würden, wenn der herrschende Vertragsteil auf die entsprechenden Vermögenswerte im Bedarfsfall nicht zurückgreifen dürfte. Schließlich ist der vom BFH angeführten neuen Meinungsrichtung einzuräumen, dass die Vermögenswerte, die ihr Gegengewicht in dem nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB gebildeten Teil der Kapitalrücklage finden, dann nicht zugunsten des herrschenden Vertragsteils verwandt werden dürfen, wenn sie gar nicht von ihm eingebracht worden sind48. Auch der Gesetzgeber von 1965 hat offenbar nichts anderes gewollt, sondern ist von dem Regelfall zumindest des Aktienrechts ausgegangen, dass die Vermögenswerte von dem herrschenden Vertragsteil stammen. Dem doch eher theoretischen Ausnahmefall lässt sich unschwer Rechnung tragen, indem §§ 301, 302 AktG entsprechend eingeschränkt werden. Steht die verpflichtete Gesellschaft allerdings im Alleinbesitz des herrschenden Vertragsteils, so ist für eine solche Einschränkung mangels eines zweiten Beteiligten schon im Ansatz kein Raum, auch dann nicht, wenn die Einmanngesellschaft nachträglich durch Anteilsvereinigung entstanden ist. 4. Zwischenfazit Danach kann zum aktienrechtlichen Grundfall festgehalten werden, dass die Entscheidung des BFH49 entgegen manchen Stimmen in der Literatur50 keine Veranlassung bietet, von der früher durchweg vertretenen Meinung abzuge-
__________ 46 Adler/Düring/Schmaltz (Fn. 35), § 272 Rz. 134; H.-P. Müller in FS Heinsius, 1991, S. 591, 603. 47 Oben II. 2. a). 48 Vgl. schon Hüffer (Fn. 20), § 301 Rz. 9. 49 BFHE 196, 485, 489 ff. (Fn. 16). 50 Nachweise in Fn. 18.
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hen51, nach welcher der nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB gebildete Teil der Kapitalrücklage sowohl für die Gewinnabführung (§ 301 AktG) als auch für die Verlustsaldierung (§ 302 AktG) genutzt werden kann. Der Wortlaut insbesondere des § 301 Satz 2 AktG ist nur scheinbar klar, weil er durch die fehlende Aufnahme des § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB eine verdeckte Regelungslücke enthält. Der hier eingenommene Standpunkt entspricht auch Sinn und Zweck der Regelung. Sie ist allerdings für die mehrgliedrige AG dahin weiter zu entwickeln, dass die Zuführungen zur Kapitalrücklage im Sinne des Auffangtatbestands dem herrschenden Vertragsteil nur dann zugute kommen dürfen, wenn sie auch von ihm beigesteuert worden sind.
IV. Gewinnabführung und Verlustsaldierung bei analoger Anwendung der §§ 301, 302 AktG auf die GmbH 1. Übernahme der aktienrechtlichen Lösung Wenn die zur Gewinnabführung verpflichtete oder konzernierte Gesellschaft die Rechtsform der GmbH hat, stellt sich die Zusatzfrage, ob sich unter diesem Blickwinkel zu ihren Gunsten Abweichungen von der dargestellten Rechtslage ergeben. Das ist jedoch schon im Ansatz klar zu verneinen, weil die analoge Anwendung der §§ 301 ff. AktG auf die vertraglich zur Gewinnabführung verpflichtete oder konzernierte GmbH nicht weiter reichen kann als die unmittelbare Anwendung. Weil es bei der unmittelbaren Anwendung der §§ 301, 302 AktG eine Gewinnabführung bzw. eine Verlustsaldierung zu Lasten der nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB gebildeten Kapitalrücklage gibt, ist das bei der entsprechenden Anwendung zwangsläufig ebenso. 2. Kein gesetzlicher Schutz von Rücklagen bei der GmbH Wollte man der eingehend begründeten Auslegung der §§ 301, 302 AktG nicht folgen, so käme es auf die Frage an, ob sich die Schranken, die §§ 301, 302 AktG für eine Gewinnabführung oder eine Verlustsaldierung errichten, überhaupt auf die GmbH übertragen lassen. Das ist in der Rechtsprechung nicht geklärt und auch im Schrifttum nicht ausdiskutiert52. Auszugehen ist von Sinn und Zweck des § 301 AktG und seines Spiegelbildes in § 302 AktG. In üblicher Terminologie geht es in beiden Vorschriften um die Kapitalerhaltung, genauer darum, die aktienrechtliche Vermögensbindung auch bei vereinbarter Gewinnabführung oder, soweit es um Verluste geht, bei vertraglicher Beherrschung zu gewährleisten. Man kann den Zusammenhang auch normtechnisch ausdrücken: Im allgemeinen obliegt es den §§ 57, 58 und 60 AktG, das Vermögen der AG gegen Zugriffe der Aktionäre zu sichern. Wenn ein Beherrschungs- und/oder ein Gewinnabführungsvertrag besteht, gelten diese Vor-
__________ 51 Nachweise in Fn. 9, 11. 52 Nachweise in Fn. 23, 24.
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schriften aber nicht, wie der Gesetzgeber des MoMiG53 noch in jüngerer Zeit verdeutlicht hat (§ 291 Abs. 3 AktG). §§ 301, 302 AktG enthalten deshalb einen Mindeststandard, der durch Anknüpfung an den bilanziell ermittelten Jahresüberschuss bzw. -fehlbetrag die Vermögensmasse schützt, die sich auf der Passivseite im gezeichneten Kapital und in der gesetzlichen Rücklage (Reservefonds) niederschlägt54. Vergegenwärtigt man sich diese Zusammenhänge, so wird klar, dass nur der Ansicht gefolgt werden kann, die bei der GmbH einen Höchstbetrag der Gewinnabführung analog § 301 AktG nicht anerkennt und folgerichtig im Rahmen des § 302 AktG auch die spiegelbildliche Verlustsaldierung zulässt. Weil §§ 30, 31 GmbHG nur das gezeichnete Kapital (Stammkapital) schützen, also gerade keinen gesetzlichen Reservefonds kennen, kann es nicht sein, dass den §§ 301, 302 AktG insoweit eine Schutzfunktion zukommt. Soweit dies im Schrifttum anders gesehen wird55, lässt man sich offenbar von dem Gedanken leiten, dass die Beschränkungen der §§ 301, 302 AktG auch die mitgliedschaftliche Vermögensbeteiligung außenstehender Gesellschafter zu schützen haben. Das ist nur insofern richtig, als die Beschränkungen Gesellschaftsvermögen auch jenseits der Kapitalziffer binden würden, überzeugt aber nicht im Sinne einer auch bei der GmbH wahrzunehmenden Regelungsaufgabe. In den häufigen Fällen, in denen sich die zur Gewinnabführung verpflichtete und/oder durch Beherrschungsvertrag gebundene GmbH im Alleinbesitz des berechtigten Vertragsteils befindet, spielen die Belange außenstehender Gesellschafter ohnehin keine Rolle. Jenseits des gesetzlichen Kapitalschutzes gibt es bei der GmbH also keine Schutzfunktion der §§ 301, 302 AktG. 3. Zwischenfazit Soweit es um die als GmbH verfasste Tochtergesellschaft geht, finden §§ 301, 302 Abs. 1 AktG zwar analoge Anwendung. Weil die Vorschriften aber die Entnahme aus der innervertraglich gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB gebildeten Kapitalrücklage zwecks Gewinnabführung oder Verlustsaldierung schon für die AG nicht hindern, trifft das zwangsläufig auch für die GmbH zu. Wollte man dies aktienrechtlich anders sehen, so würde sich für die GmbH dennoch nichts ändern, weil §§ 30, 31 GmbHG zwar das Stammkapital, aber nicht die hier in Rede stehenden Rücklagen schützen.
__________ 53 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 23.10.2008 (BGBl. I 2008, S. 2026). 54 Vgl. zum Regelungszweck etwa BGHZ 103, 1, 10 = NJW 1988, 1326; BGHZ 107, 7, 18 = NJW 1989, 1800; BGHZ 168, 285 Tz. 8 = NJW 2006, 3279; Hüffer (Fn. 4), § 301 Rz. 1 und § 302 Rz. 3; Altmeppen (Fn. 4), § 301 Rz. 2 und § 302 Rz. 8, 12 f.; Brandes in FS Kellermann, 1991, S. 25, 26; Ulmer, AG 1986, 123, 126. 55 Scholz/Emmerich (Fn. 21), Anh. § 13 Rz. 203 ff.; Cahn/Simon, Konzern 2003, 1, 11; Priester, ZIP 2001, 725, 729.
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Gewinnabführung und Verlustsaldierung
V. Summe § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB führt nicht selten und so auch bei der Auslegung der §§ 301, 302 Abs. 1 AktG in Schwierigkeiten, was auch damit etwas zu tun haben mag, dass die Vorschrift erst in der Spätphase des BiRiLiG entstanden, konzeptionell nicht restlos klar und in den Materialien nur dürftig erläutert ist. Die Entscheidung des BFH gegen eine Gewinnabführung (§ 301 AktG) aus der insoweit aufgelösten innervertraglichen Kapitalrücklage (§ 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB) ist kein gelungener Beitrag des Steuerrechts zum Konzernrecht. Bei der GmbH bleibt die analoge Anwendung der §§ 301, 302 Abs. 1 AktG ohnehin auf den Kapitalschutz beschränkt, den §§ 30, 31 GmbHG bei der nicht unternehmensvertraglich gebundenen Gesellschaft leisten. Eine weitergehende Anwendung der aktienrechtlichen Vorschriften wäre eine unkritische Übertragung, weil es bei der GmbH keinen gesetzlichen Rücklagenschutz gibt.
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Zum Auskunftsanspruch bei Namensaktien nach § 67 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AktG Inhaltsübersicht I. Einführung II. Maßstäbe für die Entscheidung über die Geltendmachung des gesetzlichen Auskunftsanspruchs 1. Ausgangspunkt 2. Vorstandskompetenz 3. Keine spezifischen Ausübungsvorgaben 4. Konnexität zwischen der statutarischen Regelungsbefugnis gemäß § 67 Abs. 1 Satz 3 AktG und dem Auskunftsanspruch gemäß Abs. 4? 5. Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG) a) Fragestellung b) Meinungsstand c) Stellungnahme III. Ausübungsmaßstäbe für die Durchführung von Auskunftsbegehren 1. Ausgangspunkt 2. Auskunftsfrist 3. Formale Aspekte des Auskunftsverlangens
IV. Unsicherheit über die Stimmrechtsverhältnisse in der Hauptversammlung V. Anspruch der Aktionäre auf Auskunft in der Hauptversammlung? 1. Anspruch auf Auskunft über den Stand des Aktienregisters a) Auf die eigene Person begrenztes Auskunftsrecht b) Auskunftserteilung nicht in der Hauptversammlung 2. Anspruch auf Auskunft über gestellte Auskunftsverlangen und die von der Gesellschaft hierauf erhaltenen Auskünfte a) Ausgangspunkt b) Auskunftsanspruch in der Hauptversammlung? c) Art und Weise des Umgangs mit § 67 Abs. 4 AktG VI. Zusammenfassung der Ergebnisse
I. Einführung Mit dem Risikobegrenzungsgesetz1 hat der Gesetzgeber unter anderem die Bestimmungen über das Aktienregister geändert. Seitdem haben Gesellschaften, die Namensaktien ausgegeben haben, nicht nur die Möglichkeit, in ihrer Satzung nähere Bestimmungen dazu zu treffen, unter welchen Voraussetzungen Eintragungen im Aktienregister im eigenen Namen für Aktien, die einem anderen gehören, zulässig sind, § 67 Abs. 1 Satz 3 AktG. Der Gesetzgeber hat den Gesellschaften mit Namensaktien darüber hinaus das besondere Auskunfts-
__________ 1 Genauer: Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken, BGBl. I 2008, S. 1666.
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recht nach § 67 Abs. 4 AktG an die Hand gegeben. Diese Maßnahmen sind Teil eines mit dem Risikobegrenzungsgesetz auf den Weg gebrachten Gesamtpakets von Gesetzesänderungen, mit denen sich der Gesetzgeber erhofft, „gesamtwirtschaftlich unerwünschten Aktivitäten“ von Finanzinvestoren entgegenwirken zu können. Dieses Thema im Allgemeinen und Fragen der Transparenz bei dem Aufbau von Beteiligungen im Besonderen sind ein Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeit des Jubilars.2 Das gibt Anlass zu der Hoffnung, dass die nachfolgenden Überlegungen zu Anwendungsfragen, die die gesetzliche Regelung zum Auskunftsanspruch nach § 67 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AktG aufwirft, sein Interesse finden werden. Soweit ersichtlich, hat die gesetzliche Neuregelung dem Interesse an der Namensaktie weiteren Auftrieb gegeben. Transparenz der Beteiligungsverhältnisse und die Möglichkeit der unmittelbaren Ansprache ihrer Aktionäre haben für die Gesellschaften einen hohen Stellenwert.3 Deshalb überrascht es nicht, dass in der jüngeren Vergangenheit eine Reihe von namhaften Unternehmen auf Namensaktien umgestellt haben. Aus dem Kreis der DAX-30-Unternehmen haben inzwischen 14 Gesellschaften Namensaktien ausgegeben.4 Von der Möglichkeit, in der Satzung Bestimmungen über die Voraussetzungen zu treffen, unter denen Eintragungen im eigenen Namen für einen anderen zulässig sind, haben allerdings erst zwei DAX-30-Gesellschaften, nämlich die Allianz SE und die Münchener Rück AG, Gebrauch gemacht.5 Demgegenüber erscheint es der großen Mehrzahl der Gesellschaften, die Namensaktien ausgegeben haben, jedenfalls vorläufig ausreichend zu sein, auf den Inhalt des Aktienregisters zugreifen und bei Zweifeln das Auskunftsrecht nach § 67 Abs. 4 AktG einsetzen zu können.6
__________ 2 Vgl. namentlich seine grundlegende Kommentierung der Bestimmung über die Meldepflichten im WpHG in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 21 ff.; außerdem u. a. Uwe H. Schneider in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1411 ff. (mit Tobias Brouwer); ders. in AG 2008, 557 ff. (mit Tobias Brouwer); ders. in BB 2007, Heft 51/52, S. 1; ders. in NZG 2007, 888; ders. in AG 2007, 181 ff. (mit Müller-von Pilchau); ders. in ZIP 2006, 493 ff. (mit Sven H. Schneider). 3 Vgl. zu den Motiven für die Wahl der Namensaktie zusammenfassend zuletzt Grigoleit/Rachlitz, ZHR 174 (2010), 12, 13 f. m. w. N. 4 Stand April 2010: Allianz SE, Adidas AG, Bayer AG, BASF SE, Daimler AG, Deutsche Bank AG, Deutsche Börse AG, Deutsche Lufthansa AG, Deutsche Post AG, Deutsche Telekom AG, E.ON AG, Infineon Technologies AG, Münchener Rück AG, Siemens AG. 5 Ob die Zurückhaltung ihren Grund darin hat, dass angesichts der einschneidenden Rechtsfolge des Stimmrechtsverlusts die rechtlichen Unsicherheiten, welche Satzungsbestimmungen zulässig sind und welche nicht (dazu J. Wagner, Gefährliche Neugier, in Börsen-Zeitung v. 20.6.2010), beachtlich sind, mag hier dahingestellt bleiben. 6 Verlässliche empirische Befunde, ob und in welchem Umfang Gesellschaften bereits von dem Auskunftsrecht Gebrauch gemacht haben, liegen, soweit ersichtlich, bis dato nicht vor.
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Zum Auskunftsanspruch bei Namensaktien nach § 67 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AktG
II. Maßstäbe für die Entscheidung über die Geltendmachung des gesetzlichen Auskunftsanspruchs 1. Ausgangspunkt Zielsetzung der neuen Regelung zum Aktienregister ist es, die Aufdeckung von Sachverhalten zu ermöglichen, in denen sich der Aktionär gegenüber der Gesellschaft nicht offenbart, sondern versucht, sich durch Verzicht auf jede Eintragung im Aktienregister oder durch das Vorschieben eines Dritten, der sich an seiner Stelle für den betreffenden Aktienbesitz im Aktienregister eintragen lässt, der Publizität des Aktienregisters zu entziehen. Nach der Neuregelung ist der Aktionär verpflichtet, der Gesellschaft die Angaben nach § 67 Abs. 1 Satz 1 AktG zu machen; das sind der Name, das Geburtsdatum und die Adresse des Inhabers sowie die Stückzahl bzw. die Aktiennummer und bei Nennbetragsaktien der Aktienbetrag, § 67 Abs. 1 Satz 2 AktG. Die Satzung kann darüber hinaus nähere Bestimmungen dazu treffen, unter welchen Voraussetzungen Eintragungen im eigenen Namen für Aktien, die einem anderen gehören, zulässig sind, § 67 Abs. 1 Satz 3 AktG. Das Auskunftsrecht nach § 67 Abs. 4 Satz 2 AktG tritt flankierend hinzu. Gemäß § 67 Abs. 4 Satz 2 AktG muss der im Aktienregister Eingetragene der Gesellschaft auf Verlangen innerhalb einer angemessenen Frist mitteilen, inwieweit ihm die Aktien, als deren Inhaber er eingetragen ist, auch gehören. Soweit dies nicht der Fall ist, hat er die in § 67 Abs. 1 Satz 1 AktG genannten Angaben zu demjenigen zu übermitteln, für den er die Aktien hält. Entsprechendes gilt dann nach Satz 3 für denjenigen, dessen Daten nach den Sätzen 2 oder 3 übermittelt werden. Der Auskunftsanspruch setzt sich also von dem im Register Eingetragenen über die gesamte Verwahrkette bis zum tatsächlichen Aktieninhaber fort. Mit „Gehören“ meint der Gesetzgeber das materiell-rechtliche Innehaben der Aktionärsstellung im Sinne des Mitgliedschaftsrechts.7 Die Frage, bei wem die Kette der Auskunftspflichtigen endet, ist streitig.8 Richtigerweise endet sie bei dem tatsächlichen Aktionär im materiell-rechtlichen Sinne. Wenn und solange ein Auskunftsverlangen gemäß § 67 Abs. 4 Satz 2 oder 3 nach Fristablauf nicht erfüllt ist, bestehen gemäß § 67 Abs. 2 Satz 3 AktG aus den Aktien, auf die sich das Auskunftsverlangen bezieht, keine Stimmrechte. Nicht erfüllt ist das Auskunftsverlangen, solange der zur Auskunft Aufgeforderte die geschuldete Auskunft nicht, nicht vollständig oder nicht zutreffend
__________ 7 Vgl. Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 67 Rz. 21a. Der Vollmachtsgeber bei der Vollrechtstreuhand ist von der Auskunftspflicht nicht erfasst. Zu dem damit verbundenen Funktionsdefizit Grigoleit/Rachlitz, ZHR 174 (2010), 25 f. m. w. N. zum Diskussionsstand. 8 Dazu Noack, NZG 2008, 721, 723 einerseits (Kette der Auskunftsverpflichteten endet bei dem ersten als Aktionär Benannten, der nicht Bank ist); Grigoleit/Rachlitz, ZHR 174 (2010), 25 f. andererseits (Kette endet beim tatsächlichen Aktionär), jeweils m. w. N. zum Diskussionsstand.
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erteilt hat.9 Hat er die Auskunft zutreffend erteilt, ist das Auskunftsverlangen (zunächst) auch dann erfüllt, wenn die erteilte Auskunft auf einen anderen verweist, für den der im Register Eingetragene die Aktien hält. Die Auskunftspflicht ist also nicht erst dann erfüllt, wenn die Kette aller Auskunftspflichtigen durchlaufen und an ihrem Ende der tatsächliche Inhaber der Aktie identifiziert ist. Das kann, abgesehen von der sonst kaum legitimierbaren, gravierenden Rechtsfolge des Stimmrechtsverlusts nach § 67 Abs. 2 Satz 3 AktG, schon deshalb nicht anders sein, weil es der Gesellschaft überlassen bleiben muss, ob sie das Auskunftsbegehren weiterverfolgen will oder nicht. Für die Kosten gilt § 67 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 2 AktG. Danach muss die Gesellschaft Finanzinstituten, die aufgrund eines Auskunftsverlangens Angaben zu Dritten mitteilen müssen, die notwendigen Kosten erstatten. Ein Kostenerstattungsanspruch zu Gunsten anderer Auskunftspflichtiger, die nicht Kreditinstitut sind, besteht nicht. 2. Vorstandskompetenz Die Führung des Aktienregisters obliegt dem Vorstand.10 Im Sinne einer Annexkompetenz folgerichtig und mangels abweichender Gesetzesbestimmung unzweifelhaft obliegt auch die Entscheidung über die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs nach § 67 Abs. 4 Sätze 3 und 4 AktG dem Vorstand. Eine Kompetenzzuweisung an die Hauptversammlung enthält das Gesetz nur im Rahmen von § 67 Abs. 1 Satz 3 AktG, also im Hinblick auf Satzungsbestimmungen, die Voraussetzungen für die Zulassung von Dritteintragungen treffen. Eine Mitwirkungsbefugnis des Aufsichtsrats könnte sich ergeben, sofern ein entsprechender Zustimmungsvorbehalt nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG angeordnet wird. Davon wird in der Praxis, soweit ersichtlich, bislang kein Gebrauch gemacht. Weil die Entscheidung über die Ausübung des Auskunftsrechts in die Geschäftsführungskompetenz des Vorstands fällt, ist davon auszugehen, dass er hierfür grundsätzlich einen unternehmerischen Ermessenspielraum in Anspruch nehmen kann.11 3. Keine spezifischen Ausübungsvorgaben Spezifische Vorgaben, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Regeln von dem Auskunftsanspruch Gebrauch zu machen ist, enthält das Gesetz nicht. Auch die Gesetzesmaterialien geben dafür wenig her. Die Regierungsbegründung beschränkt sich auf die Feststellung, dass „selbstverständlich“ keine Verpflichtung bestehe, von dem Auskunftsrecht auch tatsächlich Gebrauch zu machen. „Überlegenswert im Hinblick auf den Verwaltungsaufwand und die
__________ 9 Vgl. Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 67 Rz. 76; im Ausgangspunkt auch Noack, NZG 2008, 724. 10 Vgl. OLG München, AG 2005, 584 f.; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 67 Rz. 5. 11 Vgl. Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 67 Rz. 123, 124; Timmann/ Birkholz, BB 2007, 2749, 2750; das ist ersichtlich auch die Auffassung des Gesetzgebers („Überlegungswert …“, siehe unten bei Fn. 12).
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von der Gesellschaft gegenüber Finanzinstituten zu tragenden Kosten“ werde „die Geltendmachung in der Regel erst dann sein, wenn ein gewisser Schwellenwert der Aktien überschritten wird und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass kein Eigenbesitz vorliegt“.12 Im Übrigen gibt die Regierungsbegründung nur einen Anhaltspunkt für die Angemessenheit der Auskunftsfrist, an deren fruchtlosen Ablauf das Gesetz den Stimmrechtsauschluss nach § 67 Abs. 2 Satz 3 AktG knüpft; sie „dürfte bei mindestens 14 Tagen je Auskunftsgesuch liegen.“ Sofern die Satzung keine einschlägigen Bestimmungen trifft,13 sind Maßstäbe für die Ausübung des Auskunftsrechts deshalb aus allgemeinen Grundsätzen, namentlich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz und dem Willkürverbot, zu entwickeln. 4. Konnexität zwischen der statutarischen Regelungsbefugnis gemäß § 67 Abs. 1 Satz 3 AktG und dem Auskunftsanspruch gemäß Abs. 4? Fraglich ist, ob aus der Entscheidung der Hauptversammlung, ob und wenn ja in welcher Form in der Satzung Bestimmungen nach § 67 Abs. 1 Satz 2 AktG getroffen werden sollen, Einschränkungen des Vorstandsermessens zur Geltendmachung des Auskunftsrechts nach § 67 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AktG abzuleiten sind. Namentlich fragt sich, ob aus dem Verzicht auf jedwede statutarische Anforderungen an die Zulässigkeit von Fremdbesitzeintragungen nach § 67 Abs. 1 Satz 3 AktG, wie er im Regelfall anzutreffen ist, Konsequenzen abzuleiten sind. Nach § 67 Abs. 1 Satz 3 AktG kann die Satzung die Eintragung von Fremdbesitz im Aktienregister von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen; insbesondere kann sie vorsehen, dass das Bestehen von Fremdbesitz ab einer bestimmten Schwelle gegenüber der Gesellschaft offen zu legen ist. Sieht die Satzung eine solche Regelung vor, wollen Lutter/Drygala hieraus Schranken für die Ausübung des Auskunftsrechts nach § 67 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AktG ableiten. Mit der Implementierung einer satzungsmäßigen Offenlegungsschwelle dokumentiere die Gesellschaft nämlich, so Lutter/Drygala, an einer Offenlegung von Fremdbesitz unterhalb dieser Schwelle nicht interessiert zu sein. Im Rahmen des § 67 Abs. 4 AktG dürfe die Gesellschaft deshalb keine andere Praxis an den Tag legen. Verlange der Vorstand von einem für einen unterhalb der statutarischen Schwelle liegenden Aktienbesitz Eingetragenen Auskunft nach § 67 Abs. 4 Satz 2 AktG, müsse er besonders begründen, warum gleichwohl eine Auskunft im Interesse der Gesellschaft erforderlich sei.14 Überträgt man dies auf den zumindest derzeit in der Praxis anzutreffenden Regelfall, in dem der Satzungsgeber auf Vorgaben nach § 67 Abs. 1 Satz 3
__________ 12 Siehe die Regierungsbegründung, BT-Drucks. 16/7438, S. 14. 13 Ob und in welcher Hinsicht die Satzung Vorgaben für die Ausübung des gesetzlichen Auskunftsrechts etablieren könnte, ist eine wegen § 123 Abs. 5 Satz 2 AktG offene Frage. 14 Vgl. Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 67 Rz. 124.
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AktG gänzlich verzichtet, wäre folgerichtig jedes Auskunftsverlangen ein Ausnahmefall und als solcher in besonderem Maße begründungsbedürftig. Die Auffassung von Lutter/Drygala überzeugt aber schon im Ausgangspunkt nicht. Es ist nämlich nichts für die Annahme ersichtlich, mit der Bestimmung von Offenlegungspflichten ab einem bestimmten Schwellenwert kraft Satzungsbestimmung werde ein grundsätzliches Desinteresse der Gesellschaft an der Kenntnis über die wahren Besitzverhältnisse für jeden darunter liegenden Aktienbesitz dokumentiert. Je nach Sachlage kann die Entscheidung für einen bestimmten Schwellenwert in der Satzung ebenso wie der generelle Verzicht hierauf im Gegenteil gerade darauf basieren, dass der Gesellschaft unterhalb der Schwellenwerte oder aber generell das fallweise auszuübende Auskunftsrecht nach § 67 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AktG zur Verfügung steht und ausreichend erscheint. Wenn sich aus statutarischen Vorgaben an die Eintragung von Fremdbesitz nach § 67 Abs. 1 Satz 3 AktG also etwas ableiten lässt, so lediglich, dass der Satzungsgeber in dem Umfang, in dem die Satzungsbestimmung eine Vorgabe trifft, die Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Offenlegungsinteresses nicht dem Vorstand überlassen will, sondern von seiner Entscheidungsprärogative durch Satzungsbestimmung Gebrauch macht. Der von Lutter/ Drygala gezogene, weitergehende Umkehrschluss überzeugt demgegenüber nicht. Er findet auch im Gesetz und in der Gesetzesbegründung keinen Anhalt. Die Möglichkeit, die Eintragung von Fremdbesitz an statutarische Voraussetzungen zu knüpfen, und die Befugnis zur Geltendmachung des Auskunftsanspruchs nach § 67 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AktG stehen nach dem Gesetzeswortlaut und nach dem Regelungszusammenhang vielmehr gleichberechtigt nebeneinander und ergänzen sich wechselseitig. Dafür spricht insbesondere auch die Gesetzesbegründung:15 „Die Auskunftspflicht wird auch dann nicht überflüssig, wenn die Satzung bereits eine Offenlegungspflicht bei Eintragung vorsieht.“ Eine Interdependenz zwischen statutarischen Offenlegungspflichten und gesetzlichen Auskunftsrechten ist danach zu verneinen. Fraglich könnte allenfalls sein, ob der Vorstand von dem Auskunftsrecht des § 67 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AktG in einer Intensität Gebrauch machen darf, die einer statutarischen Offenlegungspflicht gleichkommt. Dass ist richtigerweise zu verneinen. Demgemäß wäre es etwa unzulässig, wenn der Vorstand generell bei jedweder Eintragung, die einen bestimmten Schwellenwert, z. B. 3 %, überschreitet, ein Auskunftsersuchen nach § 67 Abs. 4 Satz 2 AktG an den Eingetragenen richten würde. Eine entsprechende flächendeckende Ausforschung würde satzungsgleich wirken; ihre Anordnung ist der Hauptversammlung vorbehalten und muss durch Satzungsbestimmung legitimiert werden. Davon zu sondern ist die Frage, inwieweit eine „Auskunftsroutine“ auf Stichprobenbasis etabliert werden kann; dazu unten.
__________ 15 Vgl. BT-Drucks. 16/7438, S. 14.
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5. Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 53a AktG) a) Fragestellung Fraglich ist, ob der Vorstand bei der Entscheidung, von dem Auskunftsrecht nach § 67 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AktG Gebrauch zu machen, an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden ist. Gemäß § 53a AktG sind Aktionäre unter gleichen Voraussetzungen gleich zu behandeln. Ohne hinreichende sachliche Rechtfertigung dürfen sie also nicht ungleich behandelt werden.16 Der aktienrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist grundsätzlich zwingend.17 Er schützt vor Eingriffen der Gesellschaftsorgane, mit dem einzelne oder mehrere Aktionäre gegenüber den anderen zurückgesetzt werden, ohne dass dies durch sachliche Gründe gerechtfertigt wäre.18 Die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs nach § 67 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AktG ist ohne Frage ein belastender Eingriff, weil sie den Adressaten, gegebenenfalls unter Aufbürdung von Kosten, zur Auskunftserteilung zwingt, die betroffenen Aktien dem Risiko des zumindest vorübergehenden Stimmrechtsverlusts aussetzt und zur Offenlegung der wahren Eigentumsverhältnisse führt. b) Meinungsstand Deshalb überrascht es nicht, dass die wohl überwiegende Auffassung im Schrifttum annimmt, dass der Vorstand bei Geltendmachung des Auskunftsanspruchs an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden ist.19 Demgegenüber vertreten Lutter/Drygala die Auffassung, das Gesetz stelle den Vorstand („freilich ohne es ausdrücklich zu sagen …“) von der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes frei. Ein Gebot gleichmäßiger Behandlung wäre, so Lutter/ Drygala, mit dem Gesetzeszweck nicht vereinbar.20 Absatz 4 wolle gerade die gezielte Nachfrage bei einzelnen Eingetragenen bzw. ein bewusstes Vorgehen gegen Aktionäre ermöglichen, von denen der Vorstand annehme, dass sie gegenüber der Gesellschaft ein problematisches Verhalten an den Tag legen und möglicherweise schädigende Absichten verfolgen. Mit dieser Zwecksetzung wäre es unvereinbar, den Vorstand als verpflichtet anzusehen, bei Eintragungen oberhalb einer bestimmten Höhe stets das Auskunftsrecht auszuüben. Vielmehr könne der Vorstand das Auskunftsrecht nach seinem unternehmerischen Ermessen ausüben. Auch nach Auffassung von Lutter/Drygala ist das Ausübungsermessen des Vorstands nicht schrankenlos. Rechtsmissbräuchlich
__________ 16 Vgl. Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 53a Rz. 4, 10; Lutter/Zöllner in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1988, § 53a Rz. 8; Mimberg in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 36 Rz. 21, 24; siehe auch Bungeroth in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 53a Rz. 4, 14. 17 Vgl. nur Bungeroth in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 53a Rz. 17. 18 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 53a Rz. 4; siehe auch BGH, BGHZ 70, 117, 121; BGH, BGHZ 33, 175, 186. 19 Vgl. Diekmann/Merkner, NZG 2007, 921, 926; Noack, NZG 2008, 721, 724, 2.; Wilsing/Goslar, DB 2007, 2467, 2472. 20 Vgl. Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 67 Rz. 123.
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kurz vor der Hauptversammlung gestellte Auskunftsverlangen in der Absicht, dass Stimmrecht des Betroffenen zu beeinträchtigen, sind auch nach Lutter/ Drygala unzulässig.21 c) Stellungnahme Angesichts der belastenden Wirkung, die sich für den Adressaten mit dem Verlangen auf Offenlegung der wahren Besitzverhältnisse verbindet, ist im Ausgangspunkt nicht daran vorbeizukommen, dass der Vorstand bei Geltendmachung des Auskunftsanspruchs grundsätzlich an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden ist. Hätte der Gesetzgeber eine Abweichung von § 53a AktG anordnen wollen, hätte dies einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung bedurft. Allerdings ist Lutter/Drygala zuzugeben, dass der Zweck des Auskunftsrechts nur erfüllt werden kann, wenn dem Vorstand ein weitreichender Differenzierungsspielraum verbleibt. Das ist bei der Prüfung, ob eine sachlich nicht mehr gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegeben ist, zu berücksichtigen. Ob sich die unterschiedlichen Auffassungen in der praktischen Anwendung wesentlich voneinander unterscheiden, ist allerdings fraglich. Wenn der Vorstand das Auskunftsverlangen nur an Eingetragene richtet, bei denen Anlass für Zweifel an den wahren Besitzverhältnissen besteht, andere, mit vergleichbarer Aktienzahl Eingetragene, bei denen keine entsprechenden Verdachtsmomente bestehen, indessen unbehelligt lässt, liegt bei Lichte besehen nämlich schon kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor, weil unterschiedliche Sachverhalte gegeben sind. Allerdings müssen sich die Verdachtsmomente richtigerweise auf das mögliche Vorliegen von Fremdbesitz beziehen, und nicht, wie Lutter/Drygala meinen, auf ein problematisches Verhalten oder möglicherweise schädigende Absichten. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob der Vorstand, wenn er Eingetragene mit einem bestimmten Anteilsbesitz zur Auskunft auffordert, ohne dass hierfür ein Anlass besteht, gehalten ist, dieselbe Aufforderung auch an alle anderen Aktionären mit vergleichbarem Anteilsbesitz zu richten. Auch das wird man nicht generell anzunehmen haben, nämlich dann nicht, wenn die Auswahl des Auskunftsadressaten nicht gezielt, sondern als Bestandteil einer stichprobenartigen Überprüfung nach einem Auswahlprinzip erfolgt, bei dem grundsätzlich auch jeder andere mit vergleichbarem Aktienbesitz Eingetragene ausgewählt und mit der Auskunft hätte überzogen werden können. Eine solche „Auskunftsroutine“, bei der nach einem Prinzip der Zufallsauswahl der Adressaten eine stichprobenartige Offenlegung angestrebt wird, verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Richtigerweise ist also wie folgt zu differenzieren: Auskunftsbegehren an willkürlich ausgewählte Adressaten sind ebenso wie jedes schikanöse Verlangen
__________ 21 Vgl. Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 67 Rz. 77.
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generell unzulässig.22 So läge es etwa, wenn immer wieder dieselbe eingetragene Person zur Auskunft darüber, ob Fremdbesitz vorliegt, aufgefordert würde, oder wenn das Auskunftsverlangen bei einem bestimmten Adressaten zeitlich gezielt so platziert würde, dass dieser das Risiko läuft, in der Hauptversammlung das Stimmrecht aus den Aktien nicht ausüben zu können. Wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, das der Eingetragene nicht der wahre Aktionär ist, kann der Vorstand die Auskunft nach § 67 Abs. 4 Satz 2 AktG verlangen, ohne alle anderen Aktionäre mit vergleichbarem Aktienbesitz, bei denen keine vergleichbaren Anhaltspunkte bestehen, ebenfalls mit einem Auskunftsverlangen überziehen zu müssen. Im Übrigen steht die Festsetzung sachgerechter Kriterien, nach denen sich die Geltendmachung des Auskunftsrechts orientiert, grundsätzlich im unternehmerischen Ermessen des Vorstands. Das erlaubt auch eine auf Stichproben beschränkte Geltendmachung des Auskunftsrechts, sofern die Auswahl der von der Stichprobe Betroffenen nach dem Zufallsprinzip erfolgt.
III. Ausübungsmaßstäbe für die Durchführung von Auskunftsbegehren 1. Ausgangspunkt Von der vorstehenden Frage, inwieweit der Gleichbehandlungsgrundsatz das Auswahlermessen des Vorstands bei der Entscheidung begrenzt, ob und gegen wen er Auskunftsbegehren geltend macht, zu sondern ist die Frage nach der Ausgestaltung konkreter Auskunftsbegehren. Insofern ist im Ausgangspunkt anzunehmen, dass der Vorstand diejenigen im Aktienregister Eingetragenen, die er mit einem Auskunftsbegehren überzieht, grundsätzlich gleich behandeln muss. Auch insoweit gilt allerdings, dass unterschiedliche Sachlagen gegebenenfalls auch eine Differenzierung bei der Art und Weise, wie das Auskunftsverfahren gestaltet wird, gestatten. 2. Auskunftsfrist Soweit der Vorstand Auskunftsbegehren stellt und den Adressaten eine Frist zur Erfüllung setzt, muss diese grundsätzlich gleich lang sein. Allerdings dürfte eine Differenzierung danach, ob es sich bei dem Adressaten um eine Bank oder ein Finanzinstitut oder aber um eine Privatperson handelt, gerechtfertigt sein. Sitzt der Adressat im Ausland, ist grundsätzlich eine längere Frist nicht nur gerechtfertigt, sondern in Ansehung des Angemessenheitspostulats im Zweifel sogar geboten.
__________ 22 Vgl. Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 67 Rz. 77 (in diesem Fall keine Antwortpflicht); siehe auch Noack, NZG 2008, 721, 724 (eine permanente Nachfrage bei unbeliebten Eingetragenen sei unzulässig); allgemein zum Verbot willkürlicher Behandlung BGHZ 33, 175, 186.
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Trotz dahingehender Anregungen im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens23 hat der Gesetzgeber die Länge der Auskunftsfrist nicht gesetzlich geregelt. § 67 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 AktG sieht nur die Pflicht zur Mitteilung „innerhalb einer angemessenen Frist“ vor. Nach der Regierungsbegründung,24 „dürfte“ eine angemessene Auskunftsfrist „bei mindestens 14 Tagen je Auskunftsgesuch“ liegen. Fraglich ist, ob die Gesellschaft auf eine konkrete Fristsetzung verzichten kann.25 Dafür könnte angeführt werden, dass die Pflicht, innerhalb angemessener Frist zu antworten, bereits aus dem Gesetz folgt. In der Praxis wird die Gesellschaft um eine klare Fristsetzung indessen nicht umhinkommen. Der Versand von Auskunftsverlangen ohne jede Antwortfrist wäre ebenso unpraktikabel wie die Bitte um Mitteilung „innerhalb angemessener Frist“, weil der Begriff der „Angemessenheit“ angesichts des drohenden Stimmrechtsverlusts bei Fristablauf viel zu unbestimmt ist. Das gilt trotz der Hilfestellung, die insoweit wenigstens die Gesetzesmaterialien für die Fristberechnung bieten.26 Aus Sicht des Gesetzgebers bilden 14 Tage die Untergrenze, wobei richtigerweise davon auszugehen ist, dass damit Kalender- und keine Werktage gemeint sind. Eine 14-Tage-Frist dürfte danach jedenfalls dann, wenn der Auskunftspflichtige im Inland domiziliert, hinreichend lang sein. Wird, gemessen an dieser vorsorglich anzusetzenden Mindestfrist, von der Gesellschaft eine zu kurze Frist gesetzt, fragt sich, ob sich diese Frist kraft Gesetzes auf einen angemessenen Zeitraum verlängert. Dieselbe Frage stellt sich, wenn sich aus von dem Auskunftspflichtigen nicht zu vertretenden Gründen die zunächst durchaus angemessen bestimmte Frist im Nachhinein als unangemessen kurz erweist, zum Beispiel weil sich die Postlaufzeiten aufgrund eines Streiks unvorhergesehen verlängern. Diese Frage ist richtigerweise zu bejahen. Die Konsequenz einer unangemessen kurzen Auskunftsfrist ist nämlich nicht, dass der Auskunftspflichtige überhaupt keine Auskunft schuldet, sondern dass sich das Ende der Frist gleichsam automatisch auf einen angemessenen Zeitraum verlängert. Jedenfalls innerhalb dieser verlängerten Frist muss der Auskunftspflichtige antworten. Dies entspricht u. a. der Rechtslage zu § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB.27 Insbesondere in zeitlicher Nähe zur Hauptversammlung ist auf die Bestimmung einer angemessenen Frist und deren konkrete Angabe im Auskunftsverlangen ein besonderes Augenmerk zu legen. Andernfalls kann, wenn sich die gesetzte Frist als unangemessen kurz erweist, aber vor ihrem Ablauf die Hauptversammlung stattfindet, in der Hauptversammlung außerordentliche Unsicherheit über den Stimmrechtsausschluss bestehen.28
__________
23 Vgl. insbesondere die Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV, NZG 2008, 60, 63 unter III. 6. (z. B. zehn Kalendertage oder zwei Wochen). 24 BT-Drucks. 16/7438, S. 14. 25 Dafür Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 67 Rz. 77, 121. 26 Vgl. auch Brandt, BKR 2008, 441, 451 (wenn überhaupt, werde die Gesellschaft mit einer klaren zeitlichen Fristsetzung Auskunftsverlangen … stellen). 27 Vgl. nur Grüneberg in Palandt, BGB, 68. Aufl. 2009, § 281 Rz. 10 m. w. N. 28 Vgl. Noack, NZG 2008, 721, 725.
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3. Formale Aspekte des Auskunftsverlangens Fraglich ist, in welcher Form Auskunft verlangt werden sollte. Das Gesetz und die Gesetzesbegründung geben hierfür nichts her. Auch insoweit ist Gleichbehandlung geboten. Um bei einem Streit über den Ausschluss des Stimmrechts (§ 67 Abs. 2 Satz 3 AktG) die Tatsache des Auskunftsverlangens belegen zu können, sollte wenigstens Textform (§ 126b BGB) gewählt werden.29 Bei Angabe einer E-MailAdresse durch die Aktionäre käme auch ein elektronischer Versand mit Lesebestätigung in Betracht. Um überdies den Zugang der Anfrage beweisen zu können, müsste bei schriftlicher Aussendung eine den Zugang sicherstellende Versandart gewählt werden (z. B. Einwurf oder Einschreiben). Zumindest bei grenzüberschreitenden Sachverhalten sollte neben dem deutschen Text eine englische Übersetzung der Anfrage übersandt werden. Die Antwort und ihr Zugang sollten mit Blick auf die Rechtsfolge eines möglichen Stimmrechtsverlusts nachvollziehbar festgehalten werden. Dies ist insbesondere dann besonders wichtig, wenn, was den Auskunftsschuldnern mangels gesetzlicher Vorgaben unbenommen bleiben dürfte, die Anfrage mündlich oder telefonisch beantwortet wird. Auch für diesen Fall muss die Auskunft begehrende Gesellschaft also Vorkehrungen treffen. In Anlehnung an § 67 Abs. 4 Satz 4 Halbs. 2 AktG könnte schließlich erwogen werden, den Auskunftsschuldnern – auch soweit sie keine Kreditinstitute sind – die Erstattung der notwendigen Kosten anzubieten, z. B. durch Überlassung eines Freiumschlags. Um den Aufwand für sie möglichst gering zu halten und sie praktisch auf den Postweg bzw. E-Mail-Verkehr zu verweisen, erscheint es empfehlenswert, ihnen einen Vordruck zuzuleiten, der ihnen die Beantwortung der Anfrage erleichtert.
IV. Unsicherheit über die Stimmrechtsverhältnisse in der Hauptversammlung Wird im Vorfeld der Hauptversammlung ein Auskunftsverlangen gestellt, kann dies rechtliche und faktische Unsicherheiten mit sich bringen. Die Missachtung einer mit dem Auskunftsverlangen gesetzten Frist, also die Nichterfüllung der geschuldeten Offenlegung, führt zum Ruhen der Stimmrechte, berührt die Aktionärsstellung im Übrigen aber nicht. Der die Auskunft schuldig Gebliebene kann den in Rede stehenden Aktienbesitz also zur Hauptversammlung anmelden. Das führt dazu, dass die Anzahl der in der Hauptversammlung zu berücksichtigenden Stimmen bis kurz vor der Hauptversammlung nicht feststeht. Das Stimmrecht des zunächst mit der Rechtsfolge des § 67 Abs. 2 Satz 3 AktG belegten Aktionärs lebt nämlich unmittelbar mit ordnungsge-
__________ 29 Vgl. auch Noack, NZG 2008, 721, 724.
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mäßer Auskunftserteilung sofort wieder auf.30 Sogar bei Erteilung der geschuldeten Auskunft erst in der Hauptversammlung müsste, sofern sie noch vor Eintritt in die Beschlussfassung erfolgt, von einem Aufleben des Stimmrechts ausgegangen werden. Die Gesellschaft muss also gegebenenfalls ad hoc entscheiden, ob die kurzfristig gegebene Auskunft inhaltlich ordnungsgemäß ist und die bis dato ruhenden Stimmrechte deshalb wieder aufgelebt sind.31 Dieses Risiko unklarer Stimmrechtsverhältnisse ist prinzipiell sämtlichen Auskunftsverlangen immanent, die bis zur Hauptversammlung unbeantwortet geblieben sind. Es besteht also die Möglichkeit, dass Hinhalte-Taktiken von Seiten einzelner Aktionäre die Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung nicht unerheblich erschweren und die Beschlusssicherheit gefährden können.32 Umgekehrt könnte eine Gesellschaft mit einem kurzfristig vor ihrer Hauptversammlung gestellten Auskunftsverlangen versuchen, auf die Stimmberechtigung einzelner Aktionäre Einfluss zu nehmen.33 Zwar ist davon auszugehen, dass schikanöse (und damit gleichheitswidrige) bzw. rechtsmissbräuchliche Anfragen mangels Auskunftspflicht keinen Stimmrechtsverlust zeitigen.34 Allerdings wird in jedem Einzelfall umstritten sein, ob Schikane vorliegt oder nicht. Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit den Beschlussergebnissen der Hauptversammlung sind damit vorprogrammiert. Die Bestimmung einer Anmeldefrist und/oder die Vorgabe eines Umschreibestopps im Register können diese Risiken einer Unsicherheit über Stimmrechtsverhältnisse nicht ausschließen. Fraglich ist auch, ob die Unsicherheit über einzelne Stimmrechtsverhältnisse durch die Einführung einer „auskunftsfreien Phase“ vor der Hauptversammlung nachhaltig reduziert werden kann.35 Gleichwohl empfiehlt es sich, etwaige Auskunftsersuchen nur weiträumig vor der Hauptversammlung auszubringen.
__________ 30 Vgl. Brandt, BKR 2008, 441, 451; DAI, Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken, 18.1.2008, S. 9; Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2008, 60, 63 (der vorübergehende Stimmrechtsverlust schütze nicht davor, dass einem Auskunftsverlangen bewusst hinhaltend nachgekommen werde, indem die Angaben z. B. erst kurz vor der Hauptversammlung mitgeteilt werden. Die Gesellschaft könne auf diese Weise von bestimmten Stimmrechtsverhältnissen überrascht werden); Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 67 Rz. 80; zur vergleichbaren Rechtslage bei § 28 WpHG (jedenfalls i. d. F. bis zum In-Kraft-Treten des Risikobegrenzungsgesetzes), vgl. auch Marsch-Barner, Status: Recht 02/2009, S. 37. 31 Siehe auch Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 67 Rz. 81. 32 Vgl. Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses des DAV, NZG 2008, 60, 63; vgl. auch Brandt, BKR 2008, 441, 451. 33 Vgl. nur Diekmann/Merkner, NZG 2007, 921, 926; Kaserer, Stellungnahme zum RefE für das Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz-RE), S. 6; siehe auch Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 67 Rz. 77, 124. 34 Vgl. schon oben, sowie Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 67 Rz. 77; Diekmann/Merkner, NZG 2007, 921, 926. 35 Vgl. dazu schon z. B. Brandt, BKR 2008, 441, 451 (wenn überhaupt, werde die Gesellschaft mit einer klaren zeitlichen Fristsetzung Auskunftsverlangen deutlich vor der Hauptversammlung stellen).
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V. Anspruch der Aktionäre auf Auskunft in der Hauptversammlung? Abschließend soll noch auf die Frage eingegangen werden, inwieweit in der Hauptversammlung Auskunft über den Stand des Aktienregisters, über gestellte Auskunftsverlangen und über die von der Gesellschaft hierauf erhaltenen Auskünfte zu erteilen ist. 1. Anspruch auf Auskunft über den Stand des Aktienregisters a) Auf die eigene Person begrenztes Auskunftsrecht Gemäß § 67 Abs. 6 Satz 1 AktG kann „der Aktionär“ von der Gesellschaft nur Auskunft über die „zu seiner Person“ in das Aktienregister eingetragenen Daten verlangen. Das Auskunftsrecht des einzelnen (Namens-)Aktionärs beschränkt sich bei börsennotierten Gesellschaften also grundsätzlich auf dessen eigene Daten. Bei nichtbörsennotierten Gesellschaften kann die Satzung Weiteres bestimmen. Die einschränkende Bestimmung geht auf das Namensaktiengesetz (NaStraG) zurück. Mit dem NaStraG wurde der Umfang des Einsichtsrechts in das Aktienregister erheblich eingegrenzt. Das zuvor bestehende umfassende Einsichtsrecht bezüglich der Daten aller übrigen Aktionäre wurde gestrichen. Seit der Neuregelung hat der Aktionär nur noch ein Auskunftsrecht bezüglich seines eigenen Datenbestandes. Die Daten anderer Aktionäre darf er nicht einsehen.36 Nur für nichtbörsennotierte Gesellschaften besteht Satzungsfreiheit, eine andere Regel vorzusehen. Zweck des Auskunftsrechts gemäß § 67 Abs. 6 Satz 1 AktG ist mit Blick auf die weit reichenden Rechtswirkungen des § 67 Abs. 2 AktG nur noch die Ermöglichung einer Kontrolle, ob der Aktionär korrekt im Aktienregister eingetragen ist.37 Daraus folgt, dass der Aktionär Auskunft nur über die ihn betreffenden Eintragungen im Aktienbuch verlangen kann. Die Ergänzungen von § 67 AktG durch das Risikobegrenzungsgesetz haben hieran nichts geändert.
__________ 36 Die Änderung des § 67 Abs. 6 AktG durch das NaStraG basiert auf datenschutzrechtlichen Erwägungen, vgl. BT-Drucks. 14/4051, S. 1 f.; Bayer in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 67 Rz. 7, 127; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 67 Rz. 93, jew. m. w. N.; siehe auch Seibert in von Rosen/Seifert, Die Namensaktie, 2000, S. 11, 22; kritisch dazu Happ in FS Bezzenberger, 2000, S. 111, 128, wer sich an einer öffentlich notierten Gesellschaft beteilige, nehme die damit verbundenen Konsequenzen in Kauf. 37 Vgl. Bayer in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 67 Rz. 8, 126; siehe auch Hüther, MMR 2000, 521, 523.
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b) Auskunftserteilung nicht in der Hauptversammlung Die Formulierung „Auskunft“ lässt nach der Regierungsbegründung zum NaStraG offen, wie diese erfolgt. Sie müsse jedenfalls in für den Aktionär zumutbarer Weise gegeben werden (dies könne die klassische Einsicht vor Ort, künftig aber auch eine Online-Einsicht über das Internet sein; erwähnt wird außerdem die telefonische Auskunft). Aus Sicht des Gesetzgebers ist im Übrigen durch das WpHG ausreichende Transparenz über die Anteilseignerstruktur gegeben. Daneben könne unter den Voraussetzungen des § 810 BGB ein Anspruch bestehen.38 Diese Auskunft nach § 67 Abs. 6 Satz 1 AktG kann der Aktionär richtigerweise nicht in der Hauptversammlung verlangen. Gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG muss der Vorstand jedem Aktionär in der Hauptversammlung auf Verlangen nur insoweit Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft geben, als dies zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist.39 Jedenfalls das Merkmal einer Erforderlichkeit der Auskunft zur sachgemäßen Beurteilung eines Gegenstands der Tagesordnung spricht klar gegen ein Recht des einzelnen Aktionärs auf Auskunft über die zu seiner Person eingetragenen Registerdaten in der Hauptversammlung. 2. Anspruch auf Auskunft über gestellte Auskunftsverlangen und die von der Gesellschaft hierauf erhaltenen Auskünfte a) Ausgangspunkt Die Regierungsbegründung zur Neufassung von § 67 Abs. 4 AktG durch das Risikobegrenzungsgesetz weist darauf hin, dass die Offenlegungspflicht nur gegenüber der Gesellschaft besteht.40 Entsprechend meinen Lutter/Drygala,41 Gläubiger des Auskunftsanspruchs sei die Gesellschaft und nur diese. Sie sei auch nicht verpflichtet, ihr erlangtes Wissen den übrigen Aktionären zur Verfügung zu stellen, sofern nicht die in Erfahrung gebrachte Tatsache die Pflicht zur Ad-hoc-Information des Kapitalmarkts auslöse.42 Das ist ersichtlich auch das Verständnis von Baums, der im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens insofern Kritik an der vorgeschlagenen Re-
__________ 38 Vgl. BT-Drucks. 14/4051, S. 11; siehe auch Bayer in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 67 Rz. 2, 6 ff.; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 67 Rz. 41; Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 5 Rz. 69a, 76; Kubis in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 131 Rz. 167; Merkt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2008, § 67 Rz. 1, 154, 158. 39 Vgl. auch LG Frankfurt/M., AG 2009, 92 m. w. N.; KG, AG 1994, 469, 473, das eine Pflicht zur Auskunft über bestimmte Aktionäre unter Hinweis auf die (seinerzeit noch bestehende) Möglichkeit der Einsichtnahme des Aktienbuchs verneint hat. 40 BT-Drucks. 16/7438, S. 14. 41 Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 67 Rz. 125. 42 Zur möglichen Ad-hoc-Publizität von aus den Anfragen gewonnenen Erkenntnissen siehe aber Timmann/Birkholz, BB 2007, 2749, 2750.
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gelung zu § 67 AktG geübt hat, als die Verwaltung erfahre, wer hinter den Namensaktien stehe, nicht jedoch der Aktionär, der mit seinen Mitaktionären, z. B. wegen eines Gegenantrags oder des Vorhabens einer Sonderprüfung in Kontakt treten wolle.43 Dafür, dass nur die Gesellschaft, nicht aber die übrigen Aktionäre Anspruch auf die Auskunft zu den Angaben nach § 67 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AktG haben, spricht auch die mit dem Risikobegrenzungsgesetz in § 67 Abs. 6 Satz 2 AktG ergänzte Bestimmung, dass die Gesellschaft die aufgrund Auskunftsverlangen mitgeteilten Daten für „ihre Aufgaben im Verhältnis zu den Aktionären“ verwenden darf. Fraglich kann deshalb nur sein, ob die Aktionäre ausnahmsweise in der Hauptversammlung Auskunft darüber verlangen können, welche Erkenntnisse der Vorstand durch Auskunftsbegehren nach § 67 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AktG erlangt hat. b) Auskunftsanspruch in der Hauptversammlung? Gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG muss der Vorstand in der Hauptversammlung Auskunft nur über Angelegenheiten der Gesellschaft erteilen, soweit diese zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist. Das Merkmal einer Auskunft über Gesellschaftsangelegenheiten wird grundsätzlich weit verstanden. Auskunft kann über sämtliche Angelegenheiten der Gesellschaft verlangt werden, soweit die gewünschte Auskunft aus Sicht eines objektiv denkenden Aktionärs erforderlich ist, um einen Gegenstand der Tagesordnung sachgemäß beurteilen zu können.44 Trotz dieser weiten Auslegung werden Fragen zur Person von Aktionären vielfach grundsätzlich als unzulässig erachtet.45 So haben in der Vergangenheit bereits verschiedene Gerichte einen Anspruch auf Auskunft über die Zusam-
__________ 43 Vgl. Baums, Stellungnahme zum „Risikobegrenzungsgesetz/Anhörung am 23.1.2008“, S. 2/3 (den Aktionär auf das Aktionärsforum zu verweisen (§ 127a AktG), in das sowieso niemand hereinschaue, während der Vorstand für seine Vorschläge unmittelbar mit den Aktionären in Kontakt treten könne, gehe nicht an). 44 Volhard in Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 2. Aufl. 2003, § 13 Rz. 22; siehe auch Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 131 Rz. 25; BGH, ZIP 2004, 2428, 2429; OLG Karlsruhe, AG 1999, 470, 471 (und die Antwort ggf. Einfluss auf sein Abstimmungsverhalten hat). 45 Vgl. Decher in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 Rz. 131; Kubis in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 131 Rz. 167; Siems in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 131 Rz. 23.
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mensetzung des Aktionärskreises46 und die Stimmberechtigung anderer Aktionäre verneint.47 Aktionärsbezogene Fragen sind jedoch nicht per se unzulässig. So werden z. B. Mitteilungen über Kapital- bzw. Stimmrechtsbeteiligungen gemäß §§ 20 AktG, 21, 22 WpHG als Angelegenheiten der Gesellschaft eingestuft. Bei Kubis heißt es dazu, deren Relevanz sei gesetzlich anerkannt. Sie berührten die Einflussnahme auf das Unternehmen, so dass die Namen und Besitzverhältnisse der meldepflichtigen Aktionäre für die kollektive Willensbildung in der Hauptversammlung bedeutsam seien. Ihre Kenntnis sei daher zu allen Tagesordnungspunkten mit Beschlussfassung erheblich. Der Vorstand müsse seine Kenntnis über die bei ihm eingegangenen Mitteilungen im Rahmen des Auskunftsrechts an den fragenden Aktionär weitergeben.48 Allerdings geht Kubis zugleich davon aus, dass im Übrigen kein Auskunftsanspruch hinsichtlich dem Vorstand bekannter, jedoch nicht meldepflichtiger
__________ 46 Vgl. LG Frankfurt/M., WM 1994, 1929; KG, AG 1994, 469, 473 (keine Pflicht zur Auskunft über alle Aktionäre, die mehr als 0,5 % des Grundkapitals halten, da der Aktionär sich diese Information im Wesentlichen bereits durch Einsichtnahme ins Teilnehmerverzeichnis der Hauptversammlung habe beschaffen können und ergänzende Informationen über nicht vertretene Aktionäre durch Einsichtnahme des Aktienbuchs erlangt werden könnten); siehe auch Decher in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 Rz. 131 (die Frage nach den Namen von Aktionären bzw. der Höhe des Aktienbesitzes beträfe keine Angelegenheit der Gesellschaft, sondern ihre Aktionäre); Kubis in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 131 Rz. 167; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 131 Rz. 25 „(Name der Aktionäre, Höhe von deren Beteiligung)“; Volhard in Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 2. Aufl. 2003, § 13 Rz. 56; vgl. aber Butzke in Obermüller/Werner/Winden, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl. 2001, G 58: bisher habe die Gesellschaft den Aktionär auf die Einsicht ins Aktienbuch bzw. auf die Präsenzliste verweisen können. Mit der Neufassung durch das NaStraG sei das Aktienregister dem einzelnen Aktionär verschlossen. Aus ihm gewonnene Erkenntnisse zur Aktionärsstruktur und den Beteiligungsverhältnissen müsse die Gesellschaft ihren Aktionären im Rahmen des Erforderlichen offen legen. 47 OLG Karlsruhe, AG 1999, 470, 471 = NZG 1999, 604, 605 (die geforderten Antworten gehörten nicht zur sachgemäßen Beurteilung des Beschlussgegenstands. Zur sachgemäßen Ausübung des Stimmrechts sei es nicht erforderlich zu wissen, ob ein anderer Aktionär stimmberechtigt ist); siehe auch Siems in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 131 Rz. 31; Volhard in Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 2. Aufl. 2003, § 13 Rz. 56. 48 Vgl. Kubis in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 131 Rz. 167; siehe auch LG Berlin, AG 1994, 40, 42 (indirekt: unterhalb der gesetzlichen Meldeschwellen keine Angelegenheiten der Gesellschaft); Butzke in Obermüller/Werner/Winden, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl. 2001, G 58, über der Gesellschaft zugegangene Mitteilungen nach dem WpHG sei jedenfalls Auskunft zu erteilen; da die Information ohnehin zur Veröffentlichung vorgesehen sei, dürften Auskunftsverweigerungsrechte hier keine Rolle spielen; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 131 Rz. 47; a. A. OLG Karlsruhe, AG 1999, 470, 471 = NZG 1999, 604, 605 (keine Auskunft über den Zugang und die Bekanntmachung der Mitteilung von Mehrheitsaktionären gemäß § 20 Abs. 1 und 6 AktG), mit zustimmender Anmerkung von Bungert (S. 606, die Auskunft diene der Prognose des Abstimmungsergebnisses, sei aber für die Abstimmungsentscheidung selbst hinsichtlich keines Tagesordnungspunktes erforderlich); Decher in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 Rz. 191, 229.
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Anteilseigner bestehe. Dies gelte insbesondere auch für Auskünfte aus dem Aktienregister, nachdem das allgemeine Einsichtsrecht aufgehoben worden sei. Dem ist zuzustimmen. Die Vorschriften der §§ 20 AktG, 21, 22 WpHG sind Ausdruck der gesetzgeberischen Entscheidung, dass ab einer gewissen Beteiligungsschwelle das Informationsinteresse der Gesellschaft und des Anlegerpublikums höher zu gewichten ist als das Interesse des Aktionärs an der Geheimhaltung seiner Daten. Das setzt aber die Berührung der nach dem Gesetz relevanten Schwellenwerte voraus. Für den Anwendungsbereich des § 67 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AktG gilt dies nicht. Da sich die Auskunftspflicht entsprechend der Gesetzesbegründung auf Angaben gegenüber der Gesellschaft beschränkt, dürfen diese nicht publik gemacht werden, und zwar auch nicht dadurch, dass dahingehende Fragen der Aktionäre in der Hauptversammlung beantwortet werden. Etwas anderes könnte allenfalls im Einzelfall gelten, wenn sich ein Auskunftsverlangen auf Aktionäre bezieht, deren Aktien- bzw. Stimmrechtsanteil klar oberhalb der gesetzlichen Meldeschwellen liegt und die im Einzelfall die gebotene WpHG-Mitteilung unterlassen haben. In diesem Fall ist die Gesellschaft nach wohl überwiegender Ansicht berechtigt (nicht aber verpflichtet), diesen Tatbestand gemäß § 25 WpHG zu veröffentlichen.49 Richtigerweise darf die Gesellschaft aber auch insoweit, wie auch in dem weiteren Sonderfall einer Pflicht zur Ad-hoc-Publizität, allenfalls die nach dem WpHG zu veröffentlichenden Daten bekannt geben, nicht aber die ihr darüber hinaus aufgrund des gesetzlichen Auskunftsanspruchs zur Kenntnis gelangten Informationen (wie z. B. die Anschrift des Meldepflichtigen). An den Auskunftspflichten der Gesellschaft hat sich durch das Risikobegrenzungsgesetz also nichts geändert. Von den vorgenannten Ausnahmefällen abgesehen besteht, bezogen auf die Eintragungen im Aktienregister, also ein Informationsgefälle zwischen der Gesellschaft und den übrigen Aktionären, das als vom Gesetzgeber gewollt hinzunehmen ist. Im Lichte dessen müssen personenbezogene Auskunftsbegehren in der Hauptversammlung nicht beantwortet werden. An einer Offenlegung der von Mitaktionären erteilten Antworten auf Auskunftsersuchen nach § 67 Abs. 4 Sätze 3 und 4 AktG besteht kein legitimes Interesse. § 67 Abs. 6 Satz 1 AktG ist unverändert beibehalten worden. Auskunft kann nur der Eingetragene hinsichtlich der zu seiner Person im Aktienregister eingetragenen Daten verlangen, und auch dies nicht in der Hauptversammlung. Nur dieses Verständnis trägt auch § 30a Abs. 1 Nr. 3 WpHG Rechnung, der Emittenten mit dem Herkunftsstaat Deutschland dazu verpflichtet, Daten zu Inhabern zugelassener Wertpapiere vor einer Kenntnisnahme durch Unbefugte zu schützen. Soweit
__________
49 Vgl. z. B. OLG Stuttgart, AG 2009, 124; Koppensteiner in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, Anh. § 22, 21 ff. Rz. 38; Hirte in KölnKomm.WpHG, 2007, § 25 Rz. 26; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 26 Rz. 7; Janert, BB 2004, 169, 170; a. A. Dehlinger/Zimmermann in Fuchs, WpHG, 2009, § 26 Rz. 18; Opitz in Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, 2. Aufl. 2006, § 25 Rz. 3; Schwark in Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 3. Aufl. 2004, § 25 WpHG Rz. 5 (das Publikationsrecht sei wegen des Risikos von Fehlinformationen auf von einer amtlichen Stelle an die Gesellschaft weitergeleitete Informationen zu beschränken).
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der Gesetzgeber die Bereitstellung persönlicher Informationen über Aktionäre für zulässig bzw. möglich gehalten hat, hat er dies, wie z. B. in § 67 Abs. 6 AktG a. F., § 129 Abs. 4 AktG (Recht auf Einsicht ins Teilnehmerverzeichnis), §§ 20 AktG, 21, 22 WpHG und § 160 Abs. 1 Nr. 8 AktG (Angaben zu Mitteilungen gemäß §§ 20 Abs. 1 und 4 AktG, 21 Abs. 1 und 1a WpHG im Anhang), explizit vorgesehen.50 Die Frage nach der Relevanz der Antwort für die Beurteilung eines Tagesordnungspunkts stellt sich daher im Regelfall schon nicht. Allerdings dürfte auch die „Erforderlichkeit“ der Information in der Mehrzahl der Fälle zu verneinen sein. c) Art und Weise des Umgangs mit § 67 Abs. 4 AktG Davon zu sondern sind Fragen zum Verfahren der Geltendmachung des gesetzlichen Auskunftsanspruchs. Sie können Gegenstand von Auskunftsbegehren in der Hauptversammlung sein, und zwar insbesondere im Zusammenhang mit dem Tagesordnungspunkt „Entlastung des Vorstands“.51 Die Streitfrage, ob bei Fragen zur Entlastung angesichts der Reichweite dieses Gegenstands ein strenger Erforderlichkeitsmaßstab anzulegen ist,52 kann vorliegend dahinstehen. Auch wenn man sie bejaht, sprechen die besseren Gründe dafür, dass ein hinreichendes Informationsinteresse bei Fragen zum bloßen Prozedere der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs (wie z. B. zum Umfang der Anfragen und zu anderen neutralen Parametern) im Einzelfall gegeben sein kann. Die Frage in der Hauptversammlung kann insbesondere dazu dienen, etwaige Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgebot aufzudecken. Im Ergebnis ist also davon auszugehen, dass Fragen im Zusammenhang mit der Geltendmachung des gesetzlichen Auskunftsanspruchs in der Hauptversammlung nur insofern beantwortet werden müssen, als sie das Auskunftsverfahren betreffen.
__________ 50 Zur Inkonsistenz des fortgeltenden § 129 Abs. 4 AktG mit der Neuregelung des § 67 Abs. 6 Satz 1 AktG durch das NaStraG siehe nur Bayer in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 67 Rz. 127. 51 Vgl. dazu, dass in diesem Zusammenhang vielgestaltige Umstände bedeutsam sein können, z. B. Semler in MünchHdb. Gesellschaftsrecht, AG, 3. Aufl. 2007, § 37 Rz. 6. 52 Dafür etwa Marsch-Barner in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 34 Rz. 50; Semler (Fn. 51), Rz. 7; vgl. auch OLG Düsseldorf, AG 1992, 34, 35/36 (zur Vorlage des Jahresabschlusses); dagegen (wohl) BGH, ZIP 2004, 2428, 2429 (der betont, dass eine Einschränkung oder Verschärfung der Anforderungen an das Auskunftsrecht für Entlastungsentscheidungen entgegen dem Berufungsgericht nicht in Betracht käme; das Auskunftsbegehren müsse sich allerdings auf Vorgänge „von einigem Gewicht“ richten); Decher in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 Rz. 188; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 131 Rz. 26 m. w. N. zur Gegenansicht.
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Zum Auskunftsanspruch bei Namensaktien nach § 67 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AktG
VI. Zusammenfassung der Ergebnisse Die wesentlichen Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: – Bei Geltendmachung des Auskunftsanspruchs nach § 67 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AktG ist der Vorstand grundsätzlich an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden. In concreto steht ihm aber ein weiter Ermessensspielraum offen, zu entscheiden, in welchen Situationen er an wen ein Auskunftsverlangen richtet. Verboten sind willkürliche Auskunftsverlangen. Zulässig sind jedenfalls Auskunftsverlangen bei Vorliegen von Anhaltspunkten, dass der Eingetragene nicht der wahre Inhaber der Aktien sein könnte. Im Übrigen steht es dem Vorstand frei, eine Auskunftsroutine zu etablieren, die regelmäßige Auskunftsverlangen nach sachlich nachvollziehbaren Aufgreifkriterien etabliert. Zulässig sind insbesondere stichprobenartige Auskünfte, sofern die Auswahl der Adressaten nach dem Zufallsprinzip so erfolgt, dass das Auskunftsverlangen jeden Aktionär oder jeden Aktionär einer bestimmten Klasse (z. B. ab einem bestimmten Anteilsbesitz) treffen könnte. – Die Bindung an den Gleichbehandlungsgrundsatz verlangt auch eine Gleichbehandlung bei der Wahl von Form und Frist. Die zu setzende Auskunftsfrist sollte mindestens 14 Tage betragen. Aus Beweisgründen empfiehlt es sich, Zugang des Auskunftsbegehrens und erhaltene Auskünfte hinreichend sicher zu dokumentieren. Um Unsicherheiten hinsichtlich der Stimmberechtigung in der Hauptversammlung auszuschließen, sollten Auskunftsverlangen, bei denen die Auskunftsfrist kurz vor der Hauptversammlung endet, im Zweifel vermieden werden. – Ein Anspruch auf von der Gesellschaft nach Auskunftsverlangen gemäß § 67 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AktG erhaltene Mitteilungen steht den übrigen Aktionären nicht zu. Sie können aber in der Hauptversammlung, in der über die Entlastung des Vorstands Beschluss zu fassen ist, Auskunft darüber verlangen, in welchem Umfang und nach welchen Prinzipien der Vorstand von dem Auskunftsrecht nach § 67 Abs. 4 Sätze 2 und 3 AktG Gebrauch gemacht hat.
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Zwischen Elfenbeinturm und Boulevard – Rechtswissenschaftler in „allgemeinen Medien“ – Inhaltsübersicht I. Zum Einstieg II. Fremdvermarktung III. Selbstvermarktung
IV. Parteilichkeit V. Nachwuchs VI. Schluss
I. Zum Einstieg Rechtswissenschaftler wirken nicht bloß im Elfenbeinturm. Spätestens seit es einen Wettlauf um Drittmittel, „Exzellenzinitiativen“ und den Ausbau (oder die Schließung) von Fakultäten gibt, tut ein Ordinarius gut daran, sich auch außerhalb der akademischen Community Gehör zu verschaffen. Das Anliegen, die eigene Position in Rechtsprechung und Politik zu tragen (und nicht nur in Fachzirkeln und Anhörungen von Bundestagsausschüssen zu äußern), kommt nicht selten hinzu. Die hehre Suche nach Wahrheit und Erkenntnis mag zwar stets im Vordergrund stehen. Doch können Eitelkeit und das karrierebewusste Streben nach einem Ruf an eine andere Hochschule – zumindest bei jenen Lehrstuhlinhabern, die sich von solchen Regungen nicht ganz freisprechen können – weitere Triebfedern publizistischer Aktivitäten darstellen. Von der Hoffnung auf die nicht unbeträchtlichen Zusatzeinnahmen, die sich durch die Akquise von Gutachtenaufträgen oder das Schreiben jener raren, aber durchaus anzutreffenden Bestseller in der Fachbuchproduktion generieren lassen, einmal ganz zu schweigen. Aus vielfältigen Gründen wagen also heutzutage Juraprofessoren den Sprung von den Fachzeitschriften in die allgemeinen Medien. Bemerkenswert sind dabei aus Sicht eines journalistischen Fachredakteurs die unterschiedlichen Herangehensweisen und Charaktertypen der Protagonisten – aber auch die (vermeidbaren) Fehler, die einem auf diesem Weg in die Zeitungsspalten begegnen. Eine hartnäckige Verweigerungshaltung gegenüber populären Veröffentlichungsorganen findet sich demgegenüber nur noch selten. Sie ist nicht ehrenrührig, gilt aber zu Recht als unzeitgemäß; denn Wissenschaft sollte ihren Nutzen für die Gesellschaft, von der sie alimentiert wird, auch gelegentlich deutlich machen1.
__________ 1 So wie auch die früher eher zugeknöpfte Justiz zu Transparenz und Auskunftsfreude gefunden hat, was im Gegenzug die neue Branche der „Litigation PR“ auf den Plan gerufen hat, die Anwälte (die freilich stets weniger verschlossen waren) und ihre Mandanten unterstützen will.
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Auch der Jubilar ist ein Hochschullehrer, der sich durchaus (und keineswegs selten) ins reale Geschehen einmischt. Man denke nur an das von ihm maßgeblich voran getriebene glückliche Scheitern des Projekts, den Großteil der Frankfurter Börsenaktivitäten unter dem Arbeitstitel „iX“ nach London zu verlagern; am Main wäre dann nicht viel mehr als der schöne Schein des – alsbald mit Schimpf und Schande zusammen gekrachten – „Neuen Marktes“ belassen worden2. Die geläufige Abkürzung seiner beiden Vornamen sichert ihm zudem in einer Zunft, in der Fußnoten in aller Regel nur Nachnamen kennen, ein Alleinstellungsmerkmal3. Doch gewiss ist eines: Jede Ähnlichkeit mit im Folgenden skizzierten Negativaspekten professoraler Medienaktivitäten wäre nicht nur rein zufällig, wie im deutschen Fernsehen von alters her Disclaimer im Abspann von Krimiserien versichern – sie wäre in seinem Fall frei erfunden. Denn bei dem hier zu ehrenden Paragrafenerforscher mit Doppelsitz in Mainz und Darmstadt sind solch unerfreulichen Züge wahrlich nicht anzutreffen.
II. Fremdvermarktung Eines ist zum Glück in der gesamten juristischen Professorenbranche noch eine Ausnahme: Dass Hochschullehrer sogar eine PR-Agentur einschalten, um Gastbeiträge oder ein Interview mit ihnen in einer Tageszeitung zu „platzieren“. Was Wirtschaftskanzleien mittlerweile flächendeckend mit externen Kräften ebenso wie mit Inhouse-Personal betreiben (selbst bei Sozietäten mittlerer Größe kommt dies immer häufiger vor), ist dem Verf. bei Hochschullehrern bislang nur bei einem Öffentlich-Rechtler begegnet, der in die Politik gewechselt war, sowie bei vereinzelten Vertretern des Insolvenz- und des Steuerrechts. Anders verhält sich dies bei jenen Lehrstuhlinhabern (und Honorarprofessoren), die nach ihrem Ausscheiden aus dem regulären Dienst als „of counsel“ in eine Anwaltskanzlei einsteigen. Manche geraten dann in den Sog der Marketingaktivitäten der jeweiligen Sozietät, die sich schließlich mit ihrem renommierten Namen schmücken will. Da gilt: „volenti non fit inuiria“. Eigenes Sendungsbewusstsein und Akquisebestrebungen der Kanzlei gehen hier im Bestfall Hand in Hand. Längst üblich in der Wissenschaft und für alle Seiten nützlich sind hingegen institutionalisierte Angebote, mit denen den Medien Experten offeriert werden, um die Bevölkerung zu informieren. Etliche Universitäten unternehmen dies über ihre Pressestellen regelmäßig mittels fester E-Mail-Verteiler, ebenso
__________ 2 Als der Verf. im Internet bei Google anhand der Suchbegriffe „iX“ und „Börse“ die Schreibweise jenes seinerzeit von Marketingstrategen erdachten Kunstnamens verifizieren wollte, stieß er als ersten einschlägigen Treffer auf einen Gastbeitrag Uwe H. Schneiders im „Handelsblatt“. 3 Das er – gleichsam in analoger Anwendung – an seinen Sohn Sven H. weiter gegeben hat. Ähnliches gelungen ist nur dem Altmeister Karsten Schmidt, dem regelmäßig der Tribut gezollt wird, dass sein Vorname mit genannt wird.
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Rechtswissenschaftler in „allgemeinen Medien“
manche Forschungsinstitute und Lehrstühle (insbesondere, wenn sie in ihrem jeweiligen Rechtsgebiet ein regelmäßiges Weblog anbieten) in Eigenregie. Auch der „Informationsdienst Wissenschaft“ (idw) hat – nicht zuletzt mit Rechtsthemen – eine gewisse Verbreitung. Kongresse, Fachgesellschaften und Deutscher Juristentag kommen mit ihrer Ausstrahlungswirkung auf allgemeine Medien hinzu. Sogar Fachzeitschriften werden in manchen Redaktionen ausgewertet. Durch diese Multiplikatorenwirkung findet das, was in Wissenschaftskreisen erörtert wird, mitunter Eingang in eine verblüffend breite Berichterstattung. Als etwa der Verf. jüngst eine Kurzmeldung aus der Beck’schen Fachzeitschrift EuZW über eine EU-Ratsempfehlung zum Nichtraucherschutz aufgriff, machte das Brüsseler Votum in den führenden Internetmedien Spiegel-Online und BildOnline4 die Runde und erschien als Aufmacher in einer Regionalzeitung5.
III. Selbstvermarktung Viele Hochschullehrer nehmen parallel dazu ihre Vermarktung in die eigene Hand. Dies erfordert allerdings ein gewisses Geschick im Umgang mit Publikationsorganen, die von (echter oder vorgetäuschter) Tagesaktualität getrieben werden, und mit deren juristisch meist kaum bewanderten Redakteuren. Wenig glücklich war etwa die Erfahrung eines Ordinarius, der in einer bundesweiten Tageszeitung6 zu einem damals viel beachteten Rechtsstreit einen Gastbeitrag veröffentlichte, welcher erkennbar von einer falschen Prämisse ausging. Eine Nachfrage bei dem Autoren führte zu der Auskunft, er habe jenem Blatt lediglich einen (freilich ausformulierten) „Entwurf“ zugeleitet. Diesen habe er dann nicht weiter bearbeitet, weil er aus dem Verhalten der Redaktion den Schluss habe ziehen müssen, sie wolle den Text gar nicht bringen. Zu seiner Exkulpation konnte der Universitätsprofessor immerhin anführen, dass er noch vor dem Erscheinen seiner unzutreffenden Expertise eine gegenteilige – also mittlerweile korrigierte – Fassung in seiner Heimatzeitung publiziert hatte. Verblüffend für den Verf. war auch ein Erlebnis, als er einen – im Ergebnis zutreffenden – Beitrag eines Lehrstuhlinhabers veröffentlichte, den ihm dieser angeboten und sodann prompt geliefert hatte. Eine persönliche Bekannte aus der Anwaltschaft wies den Journalisten diskret auf eine Lücke in der dogmatischen Argumentation hin. Wie sich heraus stellte, hatte der Autor den hoch aktuellen Fall gelöst, ohne bemerkt zu haben, dass der Bundestag mittlerweile eine spezialgesetzliche Rechtsgrundlage verabschiedet hatte (die tage-, wenn nicht wochenlang die Schlagzeilen beherrscht hatte).
__________ 4 Dort mit fast 10.000 ausformulierten Leserkommentaren an weniger als einem Tag. 5 Nur Spiegel online nannte die Quellenkette von EuZW und F.A.Z. – wohl auch, um die dreimonatige Verspätung der gesamten Berichterstattung zu rechtfertigen, die in Brüssel Staunen auslöste. 6 Deren Sitz nicht am Main liegt.
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Freilich menschelt es in ähnlicher Weise in den Wirtschaftskanzleien: So vollbrachte ein doppelter Fachanwalt aus einer hochkarätigen Beraterboutique einmal das Kunststück, einen (ebenfalls von ihm selbst offerierten) Gastbeitrag voll hämischer Worte gegen die Politik abzuliefern – dann aber in Urlaub zu gehen. Wodurch es seiner Aufmerksamkeit entging, dass der Gesetzgeber die von ihm am heftigsten gegeißelten Passagen im Laufe des parlamentarischen Verfahrens vor dem Erscheinen der Philippika selbst getilgt hatte. Eine Panne, die Rechtsredakteure ganz und gar nicht selten erleben (und die mitunter Mitleid mit den Mandanten jener Berater aufkommen lässt – besteht da womöglich auf Zeitungsseite eine Schutzpflicht zur Warnung der Kundschaft?). Immer wieder erweist sich, dass weder der Partnerstatus in einer Topkanzlei noch umfängliches Schrifttum in Fachorganen vor gravierenden Schnitzern schützt7. Erfreulicherweise ist zu konstatieren, dass den Rechtswissenschaften bislang das Phänomen des veritablen „Medienprofessors“ (den es in diversen anderen Disziplinen auch in weiblicher Gestalt gibt) erspart geblieben ist. Was Zuschauer vom öffentlich-rechtlichen Frühstücksfernsehen über die Tagesschau bis hin zu Talkshows etwa an „Bank- und Börsenprofessoren“ erleben, grenzt an eine Omnipräsenz einzelner Experten. Bedenklich ist dies um so mehr, als jene nicht immer der Versuchung widerstehen, sich zu Fragen zu äußern, die kaum noch zu ihrem Forschungsgegenstand – und damit zu ihrer mutmaßlichen Fachkompetenz – gehören. Bei den Rechtskenntnissen lassen deren Antworten jedenfalls gelegentlich beträchtliche Lücken offenbar werden, wenn etwa auf Fragen des Moderators zur Reform des Haftungsrechts von Managern Stellung genommen wird.
IV. Parteilichkeit Als Ausreißer darf bislang der nachgerade skurrile Fall gewertet werden, dass eine PR-Firma dem Redakteur einen Hochschullehrer mit einer Stellungnahme zu einer aktuellen Aktionärsrevolte andiente, die zu diesem Zeitpunkt die Schlagzeilen beherrschte – der Wissenschaftler aber auf Nachfrage jegliche Teilhabe an der versuchten Medienkampagne der Aufständler verneinte. Er hegte auch gar nicht den Wunsch, mit einer Einschätzung ins Blatt zu kommen. Ein guter und regelmäßiger Kontakt zwischen Forscher und Fachredakteur hilft, solch unerwünschten Versuche der Instrumentalisierung aufzudecken, sie abzuwehren und sich gegenseitig frühzeitig von dräuendem Ungemach in Kenntnis zu setzen. Als kollusives Zusammenwirken gegenüber der veröffentlichten Meinung kann es sich hingegen darstellen, wenn ein Ordinarius in einem aktuellen Konflikt
__________ 7 Eine mitunter schmerzliche Erfahrung, über die auch Lektoren zu klagen wissen. In deren Fachverlagen kommt das Risiko hinzu, unwissentlich einem Plagiat aufzusitzen. – Dass unter Zeitdruck und als Generalisten arbeitende Zeitungsmenschen nicht nur von Boulevardmedien die meisten Fehler machen, wird niemand bestreiten wollen.
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tatsächlich als Gutachter für eine der Streitparteien agiert. Dann gehört es für ihn gegebenenfalls zur Geschäftsgrundlage, dabei mitzuhelfen, die eigene Rechtsansicht auch gehörig nach außen zu tragen. Dies erlebt man nicht selten, wenn gegenüber Aktionären oder vor Behörden und Gerichten um Macht und Geld gerungen wird. Nicht jeder Forscher weiß allerdings, was im Geschäft der Öffentlichkeitsbearbeitung auf ihn zukommt: Dort wird mit harten Bandagen gekämpft. So war einmal zu erleben, dass ein Mitarbeiter eines namhaften (und hoch bezahlten) PR-Unternehmens die Einschätzung eines Juraprofessors lancieren wollte. Sein etwas brachialer Versuch, den Forscher und sich selbst in der Redaktion zu einem Gespräch einzuladen, endete damit, dass der eigens eingeflogene „Spin Doctor“ im Café sitzen bleiben musste. Der Redakteur hielt derweil mit dem (ihm ohnehin gut bekannten) Ordinarius im Zeitungshaus ein angenehmes und fruchtbares Colloquium ab. Dieser fühlte sich ebenfalls sichtlich überfahren und war erkennbar konsterniert über das, was da mit ihm geschah. Beschwerden des „Kommunikationsexperten“ beim Vorgesetzten des Redakteurs verpufften selbstverständlich wirkungslos. Gerade hoch angesehene Wissenschaftler sollten sehr genau abwägen, wie weit sie sich vor den Karren eines Auftraggebers spannen lassen. (Wer ohnehin keinen Ruf mehr zu verlieren hat, den ficht all dies natürlich nicht an.) Sicher: Auch in einem gerade die Wirtschaftspresse beherrschenden Machtkampf darf sich ein Hochschullehrer zu einer spannenden Rechtsfrage äußern – auch wenn er dafür von einem der Beteiligten honoriert wird. Nicht frei von Bedenken ist jedoch, wenn die Präsentation seines Gutachtens allzu sehr von PRLeuten dominiert wird, die in den Diensten seines Auftraggebers stehen. Dann darf ein seriöser Forscher sich nicht vollständig das Heft des Handelns aus der Hand nehmen und sich nicht coram publico fremdsteuern lassen. So ist es schon fragwürdig, wenn in einem konkreten Fall die entsprechende Pressekonferenz, an der sogar Vertreter von Auslandsmedien teilnahmen, ohne erkennbaren Grund auf einen frühen Nachmittag gelegt wurde. Dies machte angesichts des heran nahenden Redaktionsschlusses eine seriöse Überprüfung der dort vorgestellten Argumente a priori nahezu unmöglich. Erst recht ließ an der erhofften (und proklamierten) Objektivität der gutachterlichen Auskünfte zweifeln, dass der Universitätsprofessor seine Erklärung der Rechtslage zwar redlich vortrug, aber hinnahm, dass sämtliche Vorbehalte und Einschränkungen seinerseits in dem von einer PR-Agentur veranstalteten und hektisch moderierten Pressegespräch praktisch unter den Tisch fielen – ebenso wie in der zeitgleich ausgeteilten Presseerklärung. Nämlich dass es sich bei seiner Position um eine Minderheitenmeinung in Rechtswissenschaft und Behördenpraxis handelte; ferner, dass sie prozessual ohnehin nicht durchsetzbar gewesen wäre; und dass schließlich die gesamte Stellungnahme auf einer nur hypothetischen Faktenbasis gründete. Dass Rechtswissenschaftler zunehmend Lehrstühle innehaben, die von einzelnen Unternehmen gesponsert werden, bringt übrigens ebenfalls eine latente – und sehr viel grundsätzlichere – Gefahr für den Ruf ihrer gesamten Zunft als 597
Joachim Jahn
Quelle unparteilichen Wissens mit sich. Wenn zu viele Ordinarien (auch an staatlichen Lehranstalten) letztlich im Sold eines Geldinstituts oder einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft stehen und der Lehrstuhl womöglich auch noch nach dem Geldgeber benannt ist, könnte irgendwann einmal die geradezu anrührende Gutgläubigkeit erschüttert werden, mit der Zeitungsredaktionen bislang Forscher befragen – und mit der deren Leser ihre Antworten rezipieren. Schließlich können diese Hochschullehrer schlecht, um auch nur jeden Verdacht und Anschein der Befangenheit zu vermeiden, immer ausgerechnet dann die Auskunft verweigern, wenn es um den Kern ihrer universitären Tätigkeit geht.
V. Nachwuchs Ein Sonderfall sind ganz gelegentliche Ausreißer, wenn wissenschaftliche Hilfskräfte – sei es im Status eines Habilitanden oder eines Doktoranden – einen publizistischen Vorstoß in die Publikumspresse proben. Dann steht das Selbstbewusstsein, mit welchem beispielsweise ein bereits zum selben Thema erschienener Gastbeitrag eines gestandenen Rechtsanwalts auf einer Zeitungsseite gegeißelt wird, schon einmal im umgekehrten Verhältnis zum Fortschritt der eigenen Laufbahn. Das forsch vorgetragene, wenngleich von Tippfehlern durchsetzte Ansinnen lautete einmal, prompt nun auch einen Beitrag aus der Feder des Jungforschers zu publizieren – gleichsam als Gegendarstellung, auf deren Veröffentlichung er einen Anspruch besitze und die das Medium seinen Lesern zur Aufklärung über die wahre Rechtslage schuldig sei. Wenig erbaulich ist es, wenn die Ablehnung eines solchen Begehrens dann auch noch mit Empörung darüber quittiert wird, dass die Stimme der Wissenschaft dermaßen gering geachtet werde. Wobei es sich um eine Aneinanderreihung von Zufälligkeiten gehandelt haben mag, dass kurz nach einer solchen Episode zwei weitere junge Zivilrechtslehrer unterschiedlicher Provenienz in Leserbriefen andere juristische Fachbeiträge in derselben Zeitung aufs Korn nahmen – und dies unter anderem mit dem Vorwurf der Lückenhaftigkeit. Welcher freilich an Überzeugungskraft einbüßt, wenn die Aufzählung angeblich übersehener Gesichtspunkte alleine schon mehr Platz einnimmt, als für den inkriminierten Ursprungsbeitrag zur Verfügung stand, um das jeweilige Rechtsproblem insgesamt zu beschreiben und analysieren. Unvergessen bleibt auch der ausführliche Leserbrief eines Promotionsverfassers, der – zugleich unter dem Mailabsender seines ahnungslosen Betreuers – diverse Aussagen des Verf. in einem Artikel dermaßen hin- und herbog, dass er sie anschließend fulminant „widerlegen“ konnte.
VI. Schluss Kein Wissenschaftler ist genötigt, sich der Oberflächlichkeit tagesaktueller Medien auszusetzen oder sich gar deren Skribenten anzudienen. Noch immer sichern glücklicherweise die Hochschulen das Auskommen ihrer Forscher und 598
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Lehrer; nach wie vor bieten Fachpublikationen mit ihrem ausgefeilten und ausgeruhten System der Korrekturfahnen den besten Schutz vor einer Verfälschung von Stellungnahmen. Der Sache – oder der eigenen Stellung – mag freilich ein Gang aufs Parkett der öffentlichen Meinung ab und an nützlich sein. Dringend zu warnen ist dann allerdings vor jenem marketenderischen Verhalten, das unter Wirtschaftskanzleien mit ihren Verlautbarungsdienstleistern leider vielfach üblich geworden ist. Wenig hilfreich dürfte es letztlich auch sein, unermüdlich alle paar Wochen über die gesamte Bandbreite des eigenen Rechtsgebiets hin Tageszeitungen Gastbeiträge anzudienen8, wie es tatsächlich gelegentlich zu beobachten ist. Durch wohl dosierte Wortmeldungen, bei denen Fachredakteure spüren, dass nicht das Ego des Forschers im Vordergrund steht, lässt sich mehr erreichen. Ein Gespür für aktuelle Themen, über das engagierte Hochschullehrer auf ihrem jeweiligen Felde ohnehin verfügen dürften, tut dann ein Übriges. Journalisten sind durchaus dankbar dafür, wenn sie einen Experten kennen lernen, der gegebenenfalls für sie ansprechbar ist. Wenn sie diesen in einem Konkurrenzmedium entdecken, ist das keineswegs hinderlich – so lange nicht eine erkennbare Liaison mit selbigem besteht. Im Gegenteil: Die Schar der Rechtsredakteure an Allgemeinmedien ist so überschaubar, dass in den Redaktionsstuben der publizistische Wettbewerb sportlich betrachtet wird und man sich sogar gegenseitig mit Tipps über potenzielle Informanten aushilft. Auf Tagungen und vor Gericht verbringen Fachjournalisten ohnehin beinahe mehr Zeit miteinander als sonst mit den Kollegen ihres eigenen Presseorgans. Die meisten Wirtschaftsjournalisten kennen von sich aus nicht einmal einen Aktienrechtler, den sie zu einem aktuellen Fall befragen könnten. Wer aber wüsste auf Anhieb einen Fachmann fürs Übernahmegesetz oder einen Experten zum Kapitalmarktstrafrecht zu benennen? Allzweckwaffe sind dann Wirtschaftskanzleien, die sich gerne als Informationshotline anbieten, um mit ihren (regelmäßig obendrein unaufgefordert übermittelten) Statements Werbung für sich zu machen. Doch wenn es wirklich wichtig ist, zählt aus Sicht der Medien die Stimme eines Wissenschaftlers immer noch mehr als die eines womöglich interessegeleiteten Advokaten. Wer käme schon auf die Idee, einen Wirtschaftsanwalt um ein Interview zu der Frage zu bitten, ob die europäischen Verträge wirklich ein Bail-out für das überschuldete Griechenland verbieten? Wer als Rechtswissenschaftler eine Botschaft in die Tagesmedien bringen will, hat dementsprechend ein umso leichteres Spiel, je besser er erreichbar ist. Eine regelmäßige Präsenz an der Universität ist da ebenso hilfreich wie eine von der Sekretärin auf Anfrage erhältliche Handynummer. „Di-Mi-Do“-Professoren mit Heimarbeitsplatz sollten dessen Telefonnummer nicht geheim halten. Unbesetzte Telefonanschlüsse im Vorzimmer und Mailadressen, die sich über Tage hinweg als toter Briefkasten erweisen, nützen wenig, wenn man gelegent-
__________ 8 Und sogar lieber einen kürzeren Text abzuliefern, damit noch Platz für ein Porträtfoto bleibt.
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lich Interviews geben oder mit Zitaten in die aktuelle Berichterstattung einfließen möchte. Eine klare Sprache, die sich auch dem Gros der Nichtjuristen unter den Journalisten (und ihren Lesern) erschließt, kann zusätzlich Wunder bewirken. Wer Missverständnisse vermeiden will, kann zwar durchaus verlangen, dass ihm Zitate vor einer etwaigen Veröffentlichung zur Autorisierung zugeleitet werden. Diese muss dann allerdings auch im Handumdrehen vorgenommen werden. Und dabei darf nicht der Einbau salvatorischer Klauseln eingefordert werden, die zwar juristische Perfektion mit sich bringen würden, im eiligen Tagesgeschäft der Medien mit seinem am Alltag ausgerichteten Sprachstil jedoch schlicht unverwertbar sind. Der durchschnittliche Leser versteht unter dem Begriff „Firma“ eben nicht im engen handelsrechtlichen Sinne den Namen eines Unternehmens, sondern dessen Gesamtheit – zumal er Synonyme lesen möchte anstatt einer unermüdlichen Wiederholung des immer selben, wiewohl klaren und eindeutigen Fachterminus in ein und demselben Zeitungsartikel. Ein Restrisiko nimmt nun einmal in Kauf, wer sich in die Hand aktueller Berichterstatter begibt. Denn über das am Ende veröffentliche Druckerzeugnis hat der Gesprächspartner nur eine sehr begrenzte Kontrolle: Im Vorfeld nur im Rahmen besagter Autorisierung und im Nachhinein allenfalls im Rahmen freiwilliger Korrekturen durch die Redaktion, mitunter auch verschämter und versteckter Richtigstellungen oder (notfalls) presserechtlicher Zwangsinstrumente. Erstaunlich mutig, aber entsprechend beliebt sind da Juristen, die – wenn dies im Rahmen ihrer Kenntnisse geschieht – Blitzauskünfte selbst aus dem fahrenden Zug heraus erteilen und auf jegliche Vorabkontrolle des journalistischen Elaborats verzichten. Wenn sie ihren redaktionellen Gesprächspartner kennen, werden sie trotz alldem selten enttäuscht werden. Und wenn es dann doch einmal schief geht, können sie guten Wissens – und sicherlich unter verständnisvoller Anteilnahme ihrer Professorenkollegen – darauf verweisen, dass sie falsch verstanden oder wiedergegeben worden sind.
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Beratungsverträge und sonstige Geschäfte von Aufsichtsratsmitgliedern mit der Gesellschaft nach österreichischem Recht Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Beratungen und sonstige Leistungen des Aufsichtsratsmitglieds III. Geschäfte mit Unternehmen des Aufsichtsratsmitglieds IV. Geschäfte des Aufsichtsratsmitglieds mit Tochterunternehmen der Gesellschaft
V. Konzerngeschäfte VI. Altverträge VII. Prozedere der Genehmigung VIII. Rechtsfolgen bei Fehlen eines Genehmigungsbeschlusses IX. Fazit
I. Einleitung Uwe H. Schneider hat mit seinen grundlegenden Arbeiten zum Aufsichtsrat1 das Recht des Aufsichtsrats ganz wesentlich geprägt. Da er als Mitglied einiger Uncitral-Arbeitsgruppen regelmäßig 2–3 Wochen in Wien verbringt, besucht er uns manchmal an der Wirtschaftsuniversität. Wenngleich bei diesen Aufenthalten weniger das österreichische Aktienrecht als vielmehr die künftige Gestaltung von Uncitral-Übereinkommen im Vordergrund stehen, hoffe ich, dass den Jubilar Ausführungen zu einer österreichischen aufsichtsratsrechtlichen Bestimmung interessieren, gerade auch weil die Regelung über Organgeschäfte von Aufsichtsratsmitgliedern gemäß § 95 Abs. 5 Z. 12 öAktG ihr Vorbild in § 114 dAktG hat. Während das deutsche Aktienrecht mit § 114 dAktG bereits seit 1965 eine strenge und gerade in den letzten Jahren stark diskutierte und judizierte Regelung über Beratungsverträge von Aufsichtsratsmitgliedern mit der Gesellschaft enthält, sieht das österreichische Aktienrecht erst seit 20052 eine besondere Regelung dafür vor. Die maßgeblichen normativen Grundlagen finden sich in § 95 Abs. 5 Z. 12 öAktG und gleichlautend in § 30j Abs. 5 Z. 10 GmbHG.
__________ 1 Siehe nur Uwe H. Schneider, Der Aufsichtsrat des herrschenden Unternehmens im Konzern – Ein Beitrag zur Konzernverfassung, in FS Hadding, 2004, 621; Uwe H. Schneider, Der Aufsichtsrat des abhängigen Unternehmens im Konzern – Ein Beitrag zum Konzernverfassungsrecht, in FS Raiser, 2005, 341. 2 BGBl. I 2005/59.
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Die aktienrechtliche Bestimmung von § 95 öAktG lautet: (5) „… Folgende Geschäfte sollen jedoch nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats vorgenommen werden: … 12. der Abschluss von Verträgen mit Mitgliedern des Aufsichtsrats, durch die sich diese außerhalb ihrer Tätigkeit im Aufsichtsrat gegenüber der Gesellschaft oder einem Tochterunternehmen (§ 228 Abs. 3 UGB) zu einer Leistung gegen ein nicht bloß geringfügiges Entgelt verpflichten. Dies gilt auch für Verträge mit Unternehmen, an denen ein Aufsichtsratsmitglied ein erhebliches wirtschaftliches Interesse hat. …“
Die Regelung über die Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats für Organgeschäfte ist eine zentrale Regelung, die der Lösung potentieller Interessenkonflikte zwischen einem Aufsichtsratsmitglied und der Gesellschaft dient. Sie verfolgt mehrere Zwecke: Die Regelung soll verhindern, dass für die Tätigkeit der Mitglieder des Aufsichtsrats auch nur der Anschein der Befangenheit für ihre Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied entsteht3. Die Mitglieder des Aufsichtsrats sollen sich bei ihrer Tätigkeit im Aufsichtsrat nicht von sachfremden Überlegungen leiten lassen. Insbesondere soll verhindert werden, dass sie gegenüber dem Vorstand weniger kritisch eingestellt sind, weil dieser Einfluss auf andere Geschäftsbeziehungen mit wirtschaftlichem Gehalt nehmen könnte4.
II. Beratungen und sonstige Leistungen des Aufsichtsratsmitglieds Das Gesetz spricht von Verträgen, durch die sich ein Aufsichtsratsmitglied zu einer Leistung gegenüber der Gesellschaft verpflichtet. Das Gesetz hat damit grundsätzlich Beratungen und anders als das deutsche Recht sonstige Dienstleistungen, wie z. B. Buchhaltung, Softwareerstellung, Bilanzerstellung, Versicherungs- und Bankdienstleistungen, rechtliche, ökonomische oder technische Sachverständigengutachten des Aufsichtsratsmitglieds, im Auge. Der Begriff der Leistung ist aber weiter5. Eine Reduktion auf Werk- und Dienstleistungen der Aufsichtsratsmitglieder6 ist angesichts des weiten Gesetzeswortlauts nicht möglich. Der Begriff erfasst daher auch Leistungen außerhalb des unmittelbaren Dienstleistungsbereichs, nämlich auch Kauf- und Lieferverträge, bei denen das Aufsichtsratsmitglied gegenüber der Gesellschaft die Leistung erbringt und nicht bloß Leistungsempfänger ist. Vorstellbar ist dies etwa für die Lieferung von Erdölprodukten oder sonstigen fossilen Brennstoffen für die Gesellschaft oder etwa das zur Verfügung stellen von Raum (Hotelbetrieb, Seminarräume) oder von Cateringleistungen oder sonstigen gastronomischen Tätigkeiten.
__________ 3 ErläutRV 927 BlgNR 22. GP 8. 4 W. Doralt, Transparenz und Kontrolle bei Related Party Transactions: Verträge der Gesellschaft mit ihrem Aufsichtsratsmitglied, JBl. 2008, 759, 761; Nowotny, Neues zum Aufsichtsrat, RdW 2005, 658, 659; Kutschera, Zur Genehmigungspflicht für Geschäfte zwischen Aktiengesellschaften und deren Aufsichtsräten sowie diesen gleichzuhaltende Geschäften nach österreichischem Recht, in GS Gruson, 2009, 277, 279. 5 Nowotny (Fn. 4), RdW 2005, 658, 659 f.; Fida, Zur Genehmigungspflicht von Verträgen mit Aufsichtsratsmitgliedern, wbl 2006, 357. 6 So Kutschera in GS Gruson (Fn. 4), 277, 281.
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Geschäfte von Aufsichtsratsmitgliedern mit der Gesellschaft
Der Wortlaut des Gesetzes spricht von Leistungen des Aufsichtsratsmitglieds an die Gesellschaft. Nunmehr stellt sich die Frage, ob auch der umgekehrte Fall, nämlich Leistungen der Gesellschaft an das Aufsichtsratsmitglied, von der Regelung gemäß § 95 Abs. 5 Z. 12 öAktG erfasst wird. Während § 114 Abs. 1 des deutschen Aktiengesetzes nur Leistungen des Aufsichtsratsmitglieds und nicht der Gesellschaft erfasst, greift § 95 Abs. 5 Z. 12 öAktG auch für den umgekehrten Fall. Für eine Ausdehnung spricht der Zweck der Regelung, tatsächlich die Unbefangenheit des Aufsichtsratsmitglieds zu sichern und zudem verdeckte Leistungen, die nicht at arms length vorgenommen werden, zu verhindern. Die einfache Vergleichbarkeit der Konfliktsituation und Parallele ihrer Auflösung spricht für die analoge Anwendung der Zustimmungspflichten auch für Geschäfte, die Leistungen der Gesellschaft an Aufsichtsratsmitglieder zum Gegenstand haben7. Nach der ausdrücklichen Bestimmung von § 95 Abs. 5 Z. 12 öAktG muss die Leistung des Aufsichtsratsmitglieds außerhalb seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat erbracht werden. Dies bedeutet, dass es sich dabei nicht um Leistungen handeln darf, die ohnehin in den Pflichtenkreis der gewöhnlichen Aufsichtstätigkeit fallen. Ein Abschluss über eine Vereinbarung über eine derartige Leistung, die insbesondere in einer Beratungsleistung bestehen kann und sich auf eine jedenfalls zu erbringende Tätigkeit bezieht, ist sorgfaltswidrig und verstößt gegen § 95 Abs. 1 öAktG. Eine gesonderte Entgeltvereinbarung darüber kann vom Vorstand nicht wirksam geschlossen werden und begründet daher weder vertragliche noch bereicherungsrechtliche8 Entgeltansprüche des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds. Die Abgrenzung des jedenfalls zu erbringenden Leistungsspektrums eines Aufsichtsratsmitglieds und außerhalb liegender Leistungen richtet sich nach dem konkreten Aufgabenbereich des jeweiligen Aufsichtsrats bzw. des jeweiligen Mitglieds, das seine Spezialkenntnisse einzubringen hat. Die Überwachung und strategische Begleitung haben grundsätzliche Fragen der Geschäftspolitik und der Unternehmensplanung zum Gegenstand, wie sich etwa klar aus der Berichtspflicht gemäß § 81 AktG ergibt9. Die Aufsichts- und strategische Beratungstätigkeit des Aufsichtsrats bezieht sich hingegen weder auf tägliche Geschäfte noch auf allgemein weniger bedeutende Angelegenheiten10. In derartigen Angelegenheiten ist umgekehrt der Vorstand vor unerwünschter Einmischung des Aufsichtsrats in seine Geschäftsführung abzugrenzen und zu bewahren11. Das Aufsichtsratsmitglied hat im Rahmen seines
__________ 7 Fida (Fn. 5), wbl 2006, 357; W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 769; Kalss, Interessenkonflikte bei Geschäften von Aufsichtsratsmitgliedern mit ihrer Gesellschaft, ecolex 2009, 824. 8 BGH, WM 2009, 1660; Arnold, Beratungsvertrag zwischen Aufsichtsratsmitglied und „seiner“ AG (GmbH): Gefahr des Anspruchsverlustes?, AR-Aktuell 2001, 8 ff. 9 Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG, 2003, § 95 Rz. 14 f.; Kalss in Kalss/Nowotny/ Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht, 2008, Rz. 3/513; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rz. 734. 10 Hopt/Roth in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2007, § 114 Rz. 21. 11 Lutter/Krieger (Fn. 9), Rz. 99.
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begrenzten Zeitaufwands12 seine sonstige Arbeit, seine Fähigkeiten und sein Fachwissen13 zur Problemkenntnis und zur Entwicklung grundsätzlicher Lösungen einzubeziehen, nicht aber zur Ausarbeitung konkreter Lösungen14. Die Intensität der Tätigkeit des Aufsichtsrats mag bei Krise und Schieflage der Gesellschaft zunehmen, dennoch ändert dies nichts an der hier vorgenommenen Abgrenzung im Allgemeinen15. Entscheidend ist somit die inhaltliche Abgrenzung16. Es kommt somit darauf an, ob die Beratungstätigkeit zu dem eben beschriebenen Aufgabenkreis des Aufsichtsratsmitglieds gehört oder nicht. Indiz für die mangelnde Zugehörigkeit zum gewöhnlichen Aufgabenkreis des Aufsichtsratsmitglieds ist es, dass die Beratung spezielle Fragen eines besonderen Fachgebiets betrifft und die Beratungstiefe den vom Aufsichtsratsmitglied zu erbringenden Einsatz überschreitet17. Außerhalb der gewöhnlichen Tätigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern liegen etwa Beratungsleistungen, die sich mit Detailfragen im Tagesgeschäft des Vorstands auseinandersetzen sowie sonstige Beratungstätigkeiten, die eine Komplexität und inhaltliche Verfeinerung erreichen, die von einem Aufsichtsratsmitglied im Rahmen seiner gewöhnlichen Aufsichtsratstätigkeit nicht erbracht wird und auch wegen des Eingriffs in die Zuständigkeit des Vorstands bzw. der Geschäftsführung nicht erbracht werden darf. Als Beispiele sind etwa die Beratung von bestimmten Transaktionen, Großinvestitionen, außergewöhnlichen Finanzierungen oder sonstigen außergewöhnlichen Projekten zu nennen18. Ein Aufsichtsratsmitglied schuldet der Gesellschaft auch keine Prozessführung für die Gesellschaft, auch nicht die Erstellung der Steuererklärung, nicht die Bauüberwachung, nicht Gutachten zu einer streitigen Rechtsfrage und auch nicht die Erarbeitung komplexer Verträge sowie sonstiger Regelwerke und Argumentarien19. Allein Tätigkeiten, die bereits in die allgemeine organschaftliche Pflicht eines Aufsichtsratsmitglieds fallen, dürfen nicht gesondert abgegolten werden. Eine gesonderte Abgeltung ist nur mit Beschlussfassung der Hauptversammlung zulässig. Die Abgrenzungsfrage stellt sich naturgemäß vor allem im Beratungsbereich, sonstige Leistungspflichten hat ein Aufsichtsratsmitglied nicht, insbesondere hat er der Gesellschaft keine sonstigen Dienstleistungen zu erbringen oder Sachen zu leisten.
__________
12 Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 10), § 111 Rz. 295. 13 Lutter in FS Westermann, 2008, 1171, 1175. 14 Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 10), § 111 Rz. 290; Lutter in FS Westermann (Fn. 13), 1171, 1175 f. 15 Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 10), § 114 Rz. 17; Lutter/Krieger (Fn. 9) Rz. 735; Lutter in FS Westermann (Fn. 13), 1171, 1175. 16 W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 761; Lutter in FS Westermann (Fn. 13), 1171, 1172. 17 Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 10), § 114 Rz. 17, 21; Lutter in FS Westermann (Fn. 13), 1171, 1176; zurückhaltender Semler, Corporate Governance – Beratung durch Aufsichtsratsmitglieder, NZG 2007, 881, 882 sub. III. 2. 18 Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG (Fn. 9), § 98 Rz. 29; Hügel, GesRZ 1996, 213, 216 f.; Schima, GesRZ-Sonderheft 2001, 19, 21. 19 Lutter in FS Westermann (Fn. 13), 1171, 1175 f.
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Geschäfte von Aufsichtsratsmitgliedern mit der Gesellschaft
Eine Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats besteht nur, sofern für die Leistung des Aufsichtsratsmitglieds von der Gesellschaft ein nicht bloß geringfügiges Entgelt zu bezahlen ist. Unentgeltliche Leistungen des Aufsichtsratsmitglieds gegenüber der Gesellschaft fallen nicht unter die Zustimmungspflicht20. Da der Zweck der Regelung über die Zustimmungspflicht und der vorausgehenden Offenlegungspflicht generell darin liegt, verdeckte Sonderzuwendungen an Aufsichtsratsmitglieder hintanzuhalten und zugleich jede Befangenheit oder auch nur einen Anschein der Befangenheit zu vermeiden, muss das Ausmaß der Leistung daher von bestimmter Gravität und Spürbarkeit sein. Leistungen, die zu gewöhnlichen Bedingungen abgeschlossen werden und Geschäfte des täglichen Lebens darstellen, wie etwa der Warenbezug für den Privatgebrauch, fallen daher als Geschäfte des täglichen Lebens mit geringfügigem Entgelt jedenfalls aus dem Anwendungsbereich von § 95 Abs. 5 Z. 12 öAktG heraus. Als Wertungsparallele kann dafür § 18 Abs. 6 GmbHG angeführt werden: Während § 18 Abs. 5 GmbHG für Rechtsgeschäfte, die der einzige Gesellschafter im eigenen Namen und im Namen der Gesellschaft abschließt, eine spezifische Interessenkonfliktregelung vorsieht, dispensiert § 18 Abs. 6 GmbHG eben von dieser Regelung, wenn es sich um Geschäfte handelt, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören und zu geschäftsüblichen Bedingungen abgeschlossen werden. In der Literatur wird eine Grenze von 5.000,– Euro unter Heranziehung der entsprechenden Regelung von § 28 BWG für Organgeschäfte in Kreditinstituten herangezogen21. Dabei handelt es sich aber bloß um eine Orientierungshilfe, die bei entsprechender Begründetheit auch in angemessener Weise höher angesetzt werden könnte. Allerdings darf keine beliebige Grenze nach oben festgelegt werden22. Maßgeblich ist bei der Festlegung einer derartigen Grenze, dass dadurch nicht der Anschein der Befangenheit erzeugt wird23. Die Grenze von 5.000,– Euro bietet eine gute Orientierung24, sie ist allenfalls in Sondersituationen niedriger anzusetzen25. Sinnvoll ist es für die Gesellschaft jedenfalls, entweder in der Satzung oder naheliegender in der Geschäftsordnung eine Grenze festzulegen26, um den praktischen Umgang mit dieser Regelung zu vereinfachen.
__________ 20 W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 767. 21 Nowotny (Fn. 4), RdW 2005, 658, 660; Fida (Fn. 5), wbl 2006, 357, 358; deutlich niedriger wie Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 768: 500 bis 1.000 Euro. 22 Fida (Fn. 5), wbl 2006, 357, 358; W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 768 (Verneinung von 10.000 Euro Grenze). 23 ErläutRV 927 BlgNR 22. GP 8. 24 Kutschera in GS Gruson (Fn. 4), 277, 284. 25 Kutschera in GS Gruson (Fn. 4), 277, 284. 26 Kalss, Die Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats zu Verträgen mit Unternehmen seiner Mitglieder, SWK 2006, 419, 425; Fida (Fn. 5), wbl 2006, 357, 358; W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 768.
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III. Geschäfte mit Unternehmen des Aufsichtsratsmitglieds Das Gesetz dehnt die Geschäfte, die persönlich vom Aufsichtsratsmitglied mit der Gesellschaft abgeschlossen werden und auf deren Basis das Aufsichtsratsmitglied Leistungen erbringt, auf Unternehmen aus, an denen das Aufsichtsratsmitglied ein erhebliches wirtschaftliches Interesse hat. Der Zweck dieser ausdehnenden Regelung ist klar: Das Gesetz zielt darauf, eine Umgehung der Zustimmungspflicht zu persönlichen Geschäften zwischen dem Aufsichtsratsmitglied und der Gesellschaft zu verhindern, indem bloß eine EinpersonenGmbH oder ein sonstiger Rechtsträger dazwischengeschaltet wird, der anstelle des Aufsichtsratsmitglieds das Geschäft tätigt, dessen wirtschaftliche Vorteile aber letztlich dem Aufsichtsratsmitglied zukommen. Die als Umgehungsregel konzipierte Ausdehnung27 zielt gerade darauf zu verhindern, dass das als Individualgeschäft an und für sich zustimmungspflichtige Geschäft des Aufsichtsratsmitglieds bei Abschluss durch ein Unternehmen der Zustimmungspflicht entzogen wird. Vielmehr soll bei gleicher Interessenlage und gleichem Zweck dieselbe Vorlage und Zustimmungspflicht bestehen28. Das erhebliche wirtschaftliche Interesse kann grundsätzlich einerseits auf Anteilsebene von Gesellschaften etabliert werden, andererseits auch auf Organebene29. Primär wird das erhebliche wirtschaftliche Interesse auf der Anteilsebene von Gesellschaften begründet. Aus der Formulierung „erheblich“ ist abzuleiten, dass nicht jede Beteiligung bereits ein erhebliches wirtschaftliches Interesse impliziert. Neben einer 100 %-igen Beteiligung und einer Mehrheitsbeteiligung ist auch eine bloß 50 %-ige Beteiligung erfasst30. Jedenfalls ist von der Notwendigkeit des Vorliegens einer Beteiligung i. S. v. § 228 Abs. 1 UGB auszugehen31. Für diese Schwelle spricht gerade auch der Umstand, dass das Gesetz ausdrücklich von „erheblich“ spricht und somit eine bestimmte Größe und Relevanz voraussetzt. Das erhebliche wirtschaftliche Interesse kann aber auch ausnahmsweise auf Organebene etabliert werden. Allein aber der Umstand, dass ein Geschäft mit einem Unternehmen abgeschlossen wird, in dem das Aufsichtsratsmitglied ebenfalls eine Organfunktion ausübt, führt nicht automatisch zur Zustimmungspflicht in der Gesellschaft. Vielmehr muss das Organ seinerseits einen spürbaren wirtschaftlichen Vorteil aus dem Geschäft ziehen. Gerade die Befangenheit soll vermieden und eine unrechtmäßig erhöhte Zuwendung hintangehalten werden und das Aufsichtsratsmitglied somit nicht in die Situation nachlässiger, weil befangener Kontrolle geraten. Daraus wird deutlich, dass eine schlichte Aufsichtsratsmitgliedschaft ebenso wie die Beiratsmitgliedschaft
__________ 27 Kalss (Fn. 26), SWK 2006, 419, 421; W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 762. 28 Kalss (Fn. 26), SWK 2006, 419, 421; W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 762. 29 Nowotny (Fn. 4), RdW 2005, 658, 660; Fida (Fn. 5), wbl 2006, 357, 359; Kalss (Fn. 26), SWK 2006, 419, 422. 30 Oberhofer, Die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats, 2008, 187. 31 Kalss (Fn. 26), SWK 2006, 419, 422; Fida (Fn. 5), wbl 2006, 357, 359; Nowotny (Fn. 4), RdW 2005, 658, 660; Oberhofer (Fn. 30), 187.
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Geschäfte von Aufsichtsratsmitgliedern mit der Gesellschaft
in einem anderen Unternehmen typischerweise nicht zu dieser Konfliktlage führt und daher nicht in die Genehmigungspflicht einzubeziehen ist32. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass bei einem Vorstandsmitglied jedenfalls ein wirtschaftliches Interesse besteht33. Das wirtschaftliche Interesse kann auch dann gegeben sein, wenn die finanziellen Vorteile nicht in der Person des betreffenden Organmitglieds, sondern in der Gesellschaft entstehen34. Allerdings steht damit noch nicht fest, ob es tatsächlich ein substantiiertes persönliches wirtschaftliches Interesse ist. Das schlichte allgemeine Interesse an guten Geschäftsbeziehungen zwischen der Gesellschaft und dem in Frage stehenden Unternehmen führt nicht automatisch zu einer Genehmigungspflicht durch den Aufsichtsrat der Gesellschaft. Die Vorstandspositionen und ihre Bedeutung bzw. deren Remunerierung sind unterschiedlich ausgestaltet, sodass nicht immer von einem erheblichen wirtschaftlichen Interesse ausgegangen werden kann35. Ein erhebliches wirtschaftliches Interesse ist jedenfalls gegeben, wenn eine Person die alleinige Geschäftsführung hat, wenn die Person Vorsitzender der Geschäftsführung mit weitreichender Führungskompetenz ist oder wenn sich ein Vertragsabschluss tatsächlich auf die Remunerierung auswirkt, etwa über Aktienoptionen, Erfolgsprämien etc.36. Maßgeblich ist somit eine besondere Entgeltgestaltung, anhand der das Aufsichtsratsmitglied, das die Geschäfte in der anderen Gesellschaft führt, mittelbar oder unmittelbar profitiert37. Die Anwendung des § 95 Abs. 5 Z. 12 Satz 2 öAktG ist anzunehmen, wenn das aus dem Geschäft erzielte Entgelt dem Partner einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft oder Wirtschaftstreuhandgesellschaft oder Rechtsanwaltssozietät, der dem Aufsichtsrat der Gesellschaft angehört, letztlich in einem die Geringfügigkeit überschreitenden Ausmaß zufließt38. Damit können auch gerade die Verträge mit Anwaltssozietäten oder Wirtschaftsprüfungskanzleien oder sonstigen freien Berufen in angemessener Weise erfasst werden (Umsatzbeteiligung)39.
IV. Geschäfte des Aufsichtsratsmitglieds mit Tochterunternehmen der Gesellschaft Nach der ausdrücklichen Regelung von § 95 Abs. 5 Z. 12 öAktG fallen nicht nur Geschäfte zwischen dem Aufsichtsratsmitglied bzw. einem ihm zuzurechnenden Unternehmen mit der Gesellschaft selbst in die Genehmigungs-
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32 Nowotny (Fn. 4), RdW 2005, 658; Kalss (Fn. 26), SWK 2006, 419, 422; Oberhofer (Fn. 30), 187; Fida (Fn. 5), wbl 2006, 357, 359; a. A. W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 767 unter Bezugnahme auf den Wortlaut der Regelung. 33 Fida (Fn. 5), wbl 2006, 357, 359; Nowotny (Fn. 4), RdW 2005, 658, 660; Oberhofer (Fn. 30), 187; W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 767. 34 Nowotny (Fn. 4), RdW 2005, 658, 660; W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 776; Lutter in FS Westermann (Fn. 13), 1171, 1180 f. 35 Kalss (Fn. 26), SWK 2006, 419, 423. 36 Kalss (Fn. 26), SWK 2006, 419, 423. 37 Kalss (Fn. 26), SWK 2006, 419, 422; Kutschera in GS Gruson (Fn. 13), 277, 285. 38 Kutschera in GS Gruson (Fn. 13), 277, 288; Kalss (Fn. 7), ecolex 2009, 825. 39 Kutschera in GS Gruson (Fn. 13), 277, 288.
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pflicht des Aufsichtsrats, sondern auch Verträge, die das Aufsichtsratsmitglied mit Tochtergesellschaften der Gesellschaft abschließt. Die Regelung dient der Verhinderung der Umgehung der Zustimmungspflicht im Verhältnis zu unmittelbaren Geschäften mit der Gesellschaft40. Die Genehmigungspflicht besteht daher unabhängig davon, ob der Vertrag mit der Gesellschaft selbst abgeschlossen wird und die Leistungen aber gegenüber der Tochtergesellschaft erbracht werden oder ob der Vertrag tatsächlich unmittelbar zwischen dem Tochterunternehmen und dem Aufsichtsratsmitglied zustande kommt. Das Gesetz grenzt die Zustimmungspflicht mit dem Begriff des Tochterunternehmens ab. Gemäß § 228 Abs. 3 UGB sind Tochterunternehmen als verbundene Unternehmen anzusehen, die gemäß § 244 UGB in den Konzernabschluss eines Mutterunternehmens einzubeziehen sind, die somit voll zu konsolidieren sind. Die Qualifikation als Tochtergesellschaft ist selbst dann gegeben, wenn die Aufstellung unterbleibt. Im Wesentlichen handelt es sich dabei somit um Unternehmen, die unter einheitlicher Leitung stehen oder beherrscht werden oder sonst unter einem Kontrolltatbestand von § 244 Abs. 2 UGB fallen. Der Begriff des Tochterunternehmens ist rechtsformunabhängig. Nicht von Bedeutung ist es auch, ob es sich um eine unmittelbare oder mittelbare Tochtergesellschaft handelt. Sonstige Unternehmen, an denen die Gesellschaft nur beteiligt ist, die Beteiligung aber nicht die Qualifikation als Tochterunternehmen erfüllt, begründen keine Genehmigungspflicht des Aufsichtsrats der Gesellschaft, die die Beteiligung hält41. Beratungsverhältnisse im Nahebereich der Gesellschaft, wie etwa ein persönliches Beratungsmandat mit einem Vorstandsmitglied, unabhängig davon, ob es mit Bezug zur Gesellschaft steht oder nicht, unterliegen nicht dem Zustimmungsvorbehalt gemäß § 95 Abs. 5 Z. 12 öAktG42. Nicht genehmigungspflichtig sind auch Verträge eines Aufsichtsratsmitglieds der Gesellschaft mit dem Mutterunternehmen dieser Gesellschaft43.
V. Konzerngeschäfte Nach dem Wortlaut der Bestimmung können auch Konzernkonstellationen, in denen Vorstandsmitglieder der Konzernmuttergesellschaft zugleich auch Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder der Tochter- oder Enkelgesellschaft sind, in den Anwendungsbereich von § 95 Abs. 5 Z. 12 öAktG fallen. Eine derartige Zurechnung ist aber nicht stets44, sondern nur dann anzunehmen, wenn ein persönliches erhebliches wirtschaftliches Interesse an diesem Unternehmen
__________ 40 W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 768. 41 Fida (Fn. 5), wbl 2006, 357, 359; Nowotny (Fn. 4), RdW 2005, 658, 660; krit W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 768 f. 42 Hoffmann-Becking, Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern – grenzenlose Ausdehnung von § 114 AktG?, in FS K. Schmidt, 2009, 657, 667 f.; a. A. Habersack in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 114 Rz. 18. 43 Nowotny (Fn. 4), RdW 2005, 658, 660; Fida (Fn. 5), wbl 2006, 357, 359. 44 So aber Reich-Rohrwig, Erweiterung der Aufsichtsrats-zustimmigen Geschäfte, ecolex 2006, 35, 36.
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gegeben ist. Nach dem Wortlaut unterfallen auch Geschäfte im faktischen Konzern, etwa wenn ein Aufsichtsratsmitglied und Kernaktionär Vertragspartner der AG ist, der Bestimmung. Gerade bei 100 %-igen Tochtergesellschaften und deren Geschäften mit der Muttergesellschaft besteht aber kein Bedarf für eine derartige Kontrolle der Konzerngeschäfte und das Prozedere im Aufsichtsrat. Zusätzlich ist die stete Aufsichtsratspflicht nicht praktikabel45. Das Gesetz anerkennt in § 86 Abs. 3 AktG ausdrücklich, dass Konzerninteressen im Aufsichtsrat der Tochtergesellschaft wahrgenommen werden dürfen46. Die Öffnungsklausel wird gerade für den Bereich des Konzerns durch die Novelle 2005 ausgedehnt, nämlich insofern, als die Konzernverbundenheit und das Beteiligungsinteresse i. S. v. § 228 UGB privilegiert werden47. Die Erweiterung der Interessenverfolgung wird ausdrücklich anerkannt. § 86 und § 90 öAktG erklären die Aufsichtsratsmitgliedschaft ausdrücklich im Sinne des Konzerngefälles für zulässig48. Eine Auslegung, die jedes Geschäft zwischen der Konzernmutter, die durch ein Vorstandsmitglied im Vorstand oder im Aufsichtsrat der Konzerntochter vertreten ist, mit der Tochtergesellschaft der Aufsichtsratspflicht der Muttergesellschaft unterwirft, ist überschießend49 und ist daher zu reduzieren. Die ausdrücklich im Gesetz anerkannte Konzernsteuerung durch Kontrolle im Vorstand oder Aufsichtsrat der Tochter würde ganz maßgeblich erschwert bzw. jedenfalls bürokratisiert werden und sich daher als wenig zweckmäßig darstellen50. Jedenfalls sind Geschäfte mit 100 %-igen Tochtergesellschaften des Mutterunternehmens aus dem Anwendungsbereich der Zustimmungspflicht herauszunehmen51. Das gesamte Konzept des individuellen Organgeschäfts kehrt als verdeckte konzernverfassungsrechtliche Regelung unter den Konzerngesellschaften als Related Party Transaction wieder. Die neue Regelung der Offenlegung von Related Party Transactions in § 237 Z. 8b UGB spricht deutlich gegen das Ergebnis einer steten Zustimmungspflicht im Aufsichtsrat der Muttergesellschaft, entscheidet sich der Gesetzgeber im Rahmen des Konzerns unter Related Parties doch klar für den Weg der Offenlegung und nicht für den der Zustimmung im Aufsichtsrat. Im deutschen Recht wird für Kredite und vergleichbare Geschäfte die Aufsichtsratspflicht der Tochtergesellschaft bei Horizontalgesellschaften zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften gemäß § 89 Abs. 4 und § 115 Abs. 3 Z. 2 dAktG explizit von der Genehmigungspflicht des Aufsichtsrats ausgenommen. Genau diese Wertung wird analog auf Beratungs-
__________ 45 46 47 48 49 50 51
Kalss (Fn. 26), SWK 2006, 419, 423 f.; W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 770. Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG (Fn. 9), § 86 Rz. 62, 66. ErläutRV 947 BlgNR 22. GP 8; Kalss (Fn. 26), SWK 2006, 419, 424. OGH 6 Ob 34/08f, GesRZ 2008, 225 (Kalss). Kalss (Fn. 26), SWK 2006, 419, 424. Kalss (Fn. 26), SWK 2006, 419, 424; Nowotny (Fn. 4), RdW 2005, 658, 660. Kalss (Fn. 26), SWK 2006, 419, 424; Nowotny (Fn. 4), RdW 2005, 658, 660; W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 770.
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und vergleichbare Geschäfte gemäß § 114 dAktG angewendet52. Nach österreichischem Recht ist dieses Ergebnis für den Konzern durch eine teleologische Auslegung zu erzielen53.
VI. Altverträge Verträge, die ein Aufsichtsratsmitglied bereits vor seinem Amtsantritt mit der Gesellschaft abgeschlossen hat und die bereits auch erfüllt und somit abgeschlossen sind, bedürfen nicht der Zustimmung des Aufsichtsrats54. Wurden Verträge bereits vor Amtsantritt bzw. Wahl des Aufsichtsratsmitglieds abgeschlossen und sind diese noch nicht erfüllt, so fällt die Regelung zwar nach dem Wortlaut nicht in den Anwendungskreis der Zustimmungspflicht, da das Gesetz vom Abschluss des Vertrags spricht. Der Zweck der Regelung, nämlich die Sicherung der Unbefangenheit und die Sicherung der unbeeinflussten Willensbildung im Gesamtgremium des Aufsichtsrats sprechen aber für eine Beschlussfassung durch den Aufsichtsrat nach Amtsübernahme55. Hat allerdings das Aufsichtsratsmitglied vor Amtsantritt gemäß § 87 Abs. 10 AktG die fachliche Qualifikation, die berufliche Funktion sowie die Umstände, die die Besorgnis einer Befangenheit begründen könnten, dargelegt und insbesondere auch die bestehende Geschäftsbeziehung offengelegt, so ist der Schutzzweck der Regelung, nämlich Offenlegung und Klarlegung möglicher Befangenheit und Beeinflussung des Aufsichtsratsgremiums, erreicht und bedarf es nicht einer nachfolgenden Zustimmung durch den Aufsichtsrat56. Die Offenlegung gemäß § 87 Abs. 2 AktG befreit aber nur dann von der nachträglichen Zustimmungspflicht durch den Aufsichtsrat, wenn die Hauptversammlung in gleicher Weise über die Tätigkeit und den Vertrag informiert wird wie der Aufsichtsrat über die Beschlussfassung.
VII. Prozedere der Genehmigung Das Gesetz geht davon aus, dass Aufsichtsratsgenehmigungen unmittelbar vor der Durchführung durch den Vorstand vorgenommen werden, unabhängig davon, ob es sich um ein Rechtsgeschäft mit der Gesellschaft selbst oder mit einem Tochterunternehmen handelt. Die bloße Kenntnisnahme des Aufsichtsrats reicht nicht. Letztlich wird bei unverdächtigen oder Standardgenehmigun-
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52 Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 10), § 114 Rz. 38 ff.; Semler in MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2003, § 114 Rz. 42 ff.; Kalss (Fn. 26), SWK 2006, 419, 423. 53 Kalss (Fn. 26), SWK 2006, 419, 425; Nowotny (Fn. 4), RdW 2005, 658; a. A. ReichRohrwig (Fn. 44), ecolex 2006, 35, 36; differenziert W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 770 (nur 100 %-ige Tochtergesellschaften); vgl. auch Kalss, ZHR 2007, 169 ff.; Doralt/Diregger in MünchKomm.AktG (Fn. 52), Österreichisches Konzernrecht Rz. 48; Kalss in Kalss/Schauer, Gutachten zum 16. ÖJT, 2006, 162 f. 54 W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 766. 55 Fida (Fn. 5), wbl 2006, 357 bei Fn. 28; Oberhofer (Fn. 30), 184 f.; Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 10), § 114 Rz. 31. 56 W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 766 f.; Fida (Fn. 5), wbl 2006, 357, 359.
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gen die Zustimmungspflicht gemäß § 95 Abs. 5 Z. 12 öAktG vielfach einer besonders informativen Offenlegung nahe kommen57, dennoch ist ein Beschluss des Aufsichtsrats jedenfalls erforderlich. Die Genehmigung ist durch Beschluss des Aufsichtsrats zu vollziehen, der Aufsichtsrat handelt als Kollektivorgan stets in Beschlussform. Das betroffene Aufsichtsratsmitglied ist vom Stimmrecht ausgeschlossen58. Grundsätzlich ist das Aufsichtsratsmitglied nur vom Stimmverbot ausgeschlossen, ein generelles Teilnahmeverbot für diese Sitzung erscheint nicht unbedingt erforderlich59. Nachträgliche Beschlüsse sind grundsätzlich wirksam, zumal es allemal besser ist, dass zumindest nachträglich die Kontrolle und Genehmigung vorgenommen wird60. Auch nachträglich kann die Zustimmung verweigert werden. Je länger allerdings der Abschluss des Geschäfts bereits zurückliegt, desto schwerer ist diese Sorgfaltswidrigkeit einfach durch Beschlussfassung sanierbar61. Der Aufsichtsrat darf die Genehmigung nur vornehmen, wenn er bei ausreichender Information über die konkrete Vereinbarung bzw. das konkrete Geschäft zur Ansicht kommt, dass diese Vereinbarung im Interesse der Gesellschaft liegt62. Wenn ein Geschäft einem Drittvergleich nicht standhält oder nicht notwendig ist, somit nicht im Interesse der Gesellschaft liegt, darf es nicht geschlossen werden63. Der Aufsichtsrat hat bei der Beratung und Beschlussfassung über die Genehmigung darüber zu befinden, ob das Aufsichtsratsmitglied ein angemessenes Entgelt für die Leistung erhält, insbesondere ist aber zu prüfen und zu beurteilen, ob das Aufsichtsratsmitglied bei Genehmigung des Vertrags weiterhin seine Organpflicht in unbefangener Weise und tatsächlich im Interesse der Gesellschaft ausführen kann64. Dabei hat der Aufsichtsrat einen hohen Ermessensspielraum. Abgesehen vom eigenen Urteil der anderen Aufsichtsratsmitglieder ist naturgemäß eine Befragung des konkret betroffenen Aufsichtsratsmitglieds möglich. Der Aufsichtsrat kann sich dabei auf die Aussagen verlas-
__________ 57 Kutschera in GS Gruson (Fn. 13), 277, 290; Kalss (Fn. 7), ecolex 2009, 825. 58 Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG (Fn. 9), § 92 Rz. 70 ff.; Potyka, Das Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz 2005, ÖJZ 2006, 192, 195 Fn. 24; Chini in Reiter/ Reiter/Chini, Praxiskommentar GesRÄG 2005, 2005, 56; Fida (Fn. 5), wbl 2006, 357, 360; W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 764; BGH, DB 2007, 1296; OLG Frankfurt, AG 2005, 925; Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 10), § 114 Rz. 407; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 52), § 114 Rz. 79. 59 In diese Richtung aber Lutter in FS Westermann (Fn. 13), 1171, 1172 Fn. 7; W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 771. 60 W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 764; Happ, Anwaltlicher Beratungsvertrag und Aufsichtsratsmandat, in FS Priester, 2007, 175, 197. 61 E. Vetter, Aufsichtsratsvergütung und Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern, ZIP 2008, 5, 8; W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 764. 62 Kropff in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 8 Rz. 110 ff.; W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 764; Kalss (Fn. 7), ecolex 2009, 825. 63 Kutschera in GS Gruson (Fn. 13), 277, 289. 64 Kutschera in GS Gruson (Fn. 13), 277, 290.
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sen, soweit diese nicht offensichtlich falsch, unvollständig oder widersprüchlich sind65. Die Argumente, die eine Befangenheit etablieren, sind mit den Argumenten, die für eine Beauftragung sprechen (Nähe, Vertrautheit, Kontinuität der rechtlichen Beratung), abzuwägen; der Ermessensspielraum ist weit. Während generell für die zustimmungspflichtigen Geschäfte gemäß § 95 Abs. 5 öAktG eine Vorlagepflicht des Vorstands, somit eine Bringschuld des Vorstands, die maßgebliche Angelegenheit zur Beschlussfassung an den Aufsichtsrat heranzutragen66, besteht, so trifft die Pflicht und das Recht zur Befassung des Aufsichtsrats zur Genehmigung eines Organgeschäfts gemäß § 95 Abs. 5 Z. 12 öAktG den Vorstand und das betroffene Aufsichtsratsmitglied67. Weder der Vorstand noch das Aufsichtsratsmitglied kann sich daher darauf berufen, dass der jeweils andere die Befassung des Aufsichtsrats verabsäumt hat. Geht es um eine Vereinbarung, die das betroffene Aufsichtsratsmitglied nicht mit der Gesellschaft selbst, sondern mit einer Tochtergesellschaft abschließt, so hat der jeweilige Vorstand der Tochtergesellschaft wiederum an den Vorstand seiner Muttergesellschaft zu berichten, damit der Vorstand der Gesellschaft, dessen Aufsichtsrat der Vertragspartner angehört, dieses Geschäft zur Genehmigung vorlegt. Wie sonst bei Zustimmungspflichten im Konzern auch, ist nicht der Vorstand der Tochtergesellschaft zur Vorlage verpflichtet bzw. auch nur berechtigt, sondern nur der Vorstand der Gesellschaft selbst. Unbedingt erforderlich ist daher ein funktionierendes Berichtswesen auf Vorstandsebene, die aber für Geschäfte gemäß § 95 Abs. 5 Z. 12 öAktG ohnehin durch die Befassungspflicht des Aufsichtsratsmitglieds flankiert wird. Damit der Aufsichtsrat in sachgerechter Weise über die Genehmigung entscheiden kann, bedarf er ausreichender und angemessener Information68. Daher ist dem Aufsichtsrat die konkrete Leistungsverpflichtung69, die Art der Leistung und ihr Umfang darzulegen70. Der Aufsichtsrat muss sich ein eigenständiges Urteil über die Art der Leistung, ihren Umfang sowie die Höhe und Angemessenheit der Vergütung bilden können71. Die genaue Information über die Vereinbarung ist deshalb erforderlich, um überhaupt feststellen zu können, ob der Gegenstand der Vereinbarung außerhalb der Pflicht aus dem Organ-
__________ 65 Kutschera in GS Gruson (Fn. 13), 277, 289. 66 Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG (Fn. 9), § 95 Rz. 89; Strasser in Jabornegg/ Strasser, AktG, 5. Aufl. 2010, §§ 95–97 Rz. 42. 67 W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 770, 763 f.; Semler in MünchKomm.AktG (Fn. 52), § 114 Rz. 54; Kropff in Semler/v. Schenck, ARHdb (Fn. 62), § 8 Rz. 151; E. Vetter, Beratungsverträge mit Aufsichtsratsmitgliedern, AG 2006, 173, 178; Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 114 Rz. 6; enger nur Vorstandspflicht Fida (Fn. 5), wbl 2006, 357, 361. 68 Hügel, Beratung durch Aufsichtsratsmitglieder, GesRZ 1996, 213, 216. 69 Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 10), § 114 Rz. 52 f.; Kropff in Semler/v. Schenck, ARHdb (Fn. 62), § 8 Rz. 153; W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 770. 70 BGHZ 126, 340, 344 f.; Arnold (Fn. 8), AR-Aktuell 2010, 8 f. 71 BGHZ 126, 340, 344 f.; BGH, NZG 2007, 516, 518; Kutschera in GS Gruson (Fn. 13), 277, 289.
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mandat liegt und ob die Vereinbarung im Interesse der Gesellschaft liegt. Das Entgelt ist dem Aufsichtsrat offenzulegen72, jedenfalls die Art der Berechnung. Nicht erforderlich ist es, dass für jedes einzelne genehmigungspflichtige Geschäft ein eigener Zustimmungsbeschluss gefasst wird73. Die Zustimmung zu künftigen genehmigungspflichtigen, noch nicht unmittelbar bevorstehenden Vertragsabschlüssen kann im Voraus erteilt werden. Gemäß § 95 Abs. 5 öAktG ist es zulässig, dass ein Beschluss über die Genehmigung eines Vertrags mit einem Aufsichtsratsmitglied nicht im Plenum, sondern in einem dafür zuständigen Ausschuss gefasst wird. Die Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats ist nicht plenumsfest. Bei einer Beschlussfassung durch den Aufsichtsratsausschuss ist dem Plenum darüber nach allgemeinen Regeln zu berichten. Handelt es sich bei dem genehmigungspflichtigen Geschäft etwa um eine Beratungsleistung eines Aufsichtsratsmitglieds für die Erstellung komplexer Vorstandsverträge oder eines komplexen Vorstandsvertrags, so kommt noch die Überlegung hinzu, dass auch die Verhandlung über die wirtschaftlichen Eckdaten eines Vorstandsvertrags nicht im Plenum abgehandelt werden können, sondern einem Ausschuss gemäß § 92 Abs. 4 öAktG (Personalausschuss/Präsidialausschuss) zugeordnet werden kann74. Diese Ausschusszuständigkeit für die schuldrechtlichen Verhältnisse des Vorstands gegenüber der Gesellschaft spricht klar für eine Ausschusszuständigkeit der Beschlussfassung auch für die beratende Tätigkeit eines Aufsichtsratsmitglied, zumal sonst der maßgebliche Zweck der Ausschussbildung (Sicherung der Geheimhaltung) nicht erreicht werden kann.
VIII. Rechtsfolgen bei Fehlen eines Genehmigungsbeschlusses Grundsätzlich ist in Entsprechung der allgemeinen Regelung für genehmigungspflichtige Geschäfte gemäß § 95 Abs. 5 öAktG davon auszugehen, dass Vereinbarungen zwischen einem Aufsichtsratsmitglied und der Gesellschaft bzw. einem Tochterunternehmen wirksam sind, selbst wenn die Genehmigung gemäß § 95 Abs. 5 Z. 12 öAktG vom Aufsichtsrat nicht erteilt wird75. Der Vorstand darf allerdings ein zustimmungspflichtiges Geschäft ohne Zustimmung des Aufsichtsrats nicht vornehmen, er handelt bei Zuwiderhandeln gesetz- und sorgfaltswidrig und kann sich gegenüber der Gesellschaft schadenersatzpflichtig machen. Zudem kann ein Abberufungsgrund für eine vorzeitige Abberufung gesetzt werden76.
__________ 72 Kutschera in GS Gruson (Fn. 13), 277, 289. 73 Chini in Reiter/Reiter/Chini, Praxiskommentar GesRÄG 2005, (Fn. 58), 56; Fida (Fn. 5), wbl 2006, 357, 360. 74 Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht (Fn. 9), Rz. 3/520. 75 Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG (Fn. 9), § 95 Rz. 90; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG, 3. Aufl. 2008, § 30j Rz. 18; Hofmann, Missbrauch von Formalvollmachten, 2009, 50 ff. 76 W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 772; Kalss (Fn. 7), ecolex 2009, 825.
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Zu beachten ist allerdings, dass es sich bei Verträgen des Aufsichtsratsmitglieds mit der Gesellschaft nicht um Verträge mit Außenstehenden handelt, die grundsätzlich keinen Nachforschungspflichten über das Bestehen allfälliger interner Zustimmungspflichten unterliegen77. § 95 Abs. 5 Z. 12 öAktG unterscheidet sich von den anderen zustimmungspflichtigen Geschäften dadurch, dass nicht ein Geschäft mit einem außenstehenden Dritten, der interne Zustimmungspflichten nicht kennt, abgeschlossen wird. Vielmehr ist er, d. h. das Aufsichtsratsmitglied, selbst grundsätzlich für die Zustimmung zuständig. Fehlt daher die Zustimmung, so greift die Verkehrsschutzregelung, nämlich einer Vollmacht, die gemäß § 71 öAktG zugrunde liegt, nicht78 und kommt das Geschäft wegen eines Vollmachtsmissbrauchs, nämlich Kennen oder Kennenmüssen einer internen Zustimmung des Aufsichtsrats, nicht zustande79. In den Fällen allerdings, in denen ein Unternehmen, an dem das Aufsichtsratsmitglied ein erhebliches wirtschaftliches Interesse hat, den Vertrag mit der Gesellschaft oder einem Tochterunternehmen abschließt und das konkrete Aufsichtsratsmitglied in den Vertragsabschluss in keiner Weise eingebunden ist und daher keine Kenntnis von der Zustimmungspflicht hat, greift das Instrument des Vollmachtsmissbrauchs nicht und kommt das Geschäft daher auch ohne Zustimmung des Aufsichtsrats der betroffenen Gesellschaft bzw. Muttergesellschaft wirksam zustande80. Die mangelnde Befassung des Aufsichtsrats durch den Vorstand bzw. das betroffene Aufsichtsratsmitglied stellt jedenfalls eine Sorgfaltswidrigkeit dar, was sowohl den Vorstand als auch das Aufsichtsratsmitglied gegenüber der Gesellschaft ersatzpflichtig machen kann. Schadenersatzpflicht setzt einen Schaden der Gesellschaft voraus. Dies ist etwa möglich, wenn das Geschäft zu unangemessenen Bedingungen genehmigt wurde. Eine Genehmigung saniert aber die Sorgfaltswidrigkeit nicht81. Die mangelnde Befassung und Unterlassung einer Genehmigung der Vereinbarung der Gesellschaft mit dem Aufsichtsratsmitglied durch den Aufsichtsrat kann auch unter Umständen einen wichtigen Grund für die vorzeitige Abberufung nicht bloß des Vorstands, sondern auch des Aufsichtsratsmitglieds begründen und damit die Möglichkeit der vorzeitigen Abberufung gemäß § 87 öAktG öffnen. Wird hingegen eine Zustimmung über ein Rechtsgeschäft erteilt, dass innerhalb der Aufsichtsratspflicht aus seiner Organmitgliedschaft liegt, so ist ein
__________ 77 W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 775; vgl. weiters OGH 1 Ob 617/79, JBl. 1980, 33; OGH 1 Ob 576/85, GesRZ 1985, 198; OGH 3 Ob 124/90, RdW 1991, 76; Hofmann, Missbrauch von Formalvollmachten, 2009, 152 ff. 78 Hofmann, Missbrauch von Formalvollmachten (Fn. 77), 51 f. 79 W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 774 unter Bezugnahme auf P. Bydlinski in Koziol/ Bydlinski/Bollenberger, ABGB, 2. Aufl. 2007, § 1016 Rz. 5; ferner Fida (Fn. 5), wbl 2006, 357, 361. 80 Fida (Fn. 5), wbl 2006, 357, 361; W. Doralt (Fn. 4), JBl. 2008, 759, 774 f. 81 Fida (Fn. 5), wbl 2006, 357, 361.
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derartiger Vertrag wegen eines Verstoßes gegen die zwingende Regelung gemäß § 95 Abs. 1 öAktG nichtig.
IX. Fazit Die Genehmigungspflicht des Aufsichtsrats für Vereinbarungen des Aufsichtsratsmitglieds mit der Gesellschaft stellt einen maßgeblichen Pfeiler im Regime der Bewältigung von Interessenkonflikten von Organmitgliedern einer Gesellschaft dar. Es greift einen wichtigen Ausschnitt aus einer umfassenden Interessenskonfliktproblematik heraus. Der praktische Umgang mit § 95 Abs. 5 Z. 12 öAktG verlangt eine sorgfältige Dokumentation, insbesondere auch eine stete Abwägung des Interesses der Gesellschaft und möglicher Nachteile aus der Verfangenheit in Interessenkonflikten. Die Beratungsgeschäfte und sonstigen Leistungen der Aufsichtsratsmitglieder an die Gesellschaft sind nicht verboten, sondern unterliegen Dokumentations- und Zustimmungspflichten, um Interessenkonflikte und Befangenheit offenzulegen und dennoch eine ordnungsgemäße und interessengerechte Willensbildung im Aufsichtsrat zu sichern sowie verdeckte Zuwendungen zu vermeiden.
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Geschäftsführerhaftung in der Krise Inhaltsübersicht I. Die Koordinaten der lex lata II. Haftung aus der Verletzung von Leitungspflichten in der Krise
3. Steuerrechtliche Haftung (§§ 34, 69 Satz 1 AO) 4. Dreiwochenfrist (§ 15a Abs. 1 InsO)
III. Haftung wegen Masseschmälerung nach Insolvenzreife 1. Normzweck des § 64 Satz 1 GmbHG 2. Masseschmälerungen 3. Geschäftsführer-Verschulden und Haftungsausschluss nach § 64 Satz 2 GmbHG
V. Insolvenzverschleppungshaftung 1. Unveränderte Rahmendaten der Geschäftsführerhaftung 2. Korrigierter Überschuldungsbegriff nach § 19 Abs. 2 InsO 3. Verringerte Haftungsrisiken kraft des neuen Überschuldungsbegriffs?
IV. Haftung bei Nichtabführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung und bei Nichtbegleichung von Lohnsteuerschulden 1. Kontroverse Rechtsprechung 2. Kurskorrektur
VI. Krisenverantwortung der Leitungsorgane de lege ferenda 1. Kodifizierung von Leitungspflichten in der Krise? 2. Neuordnung der Insolvenzverschleppungshaftung und der Erstattungshaftung wegen Masseschmälerung
I. Die Koordinaten der lex lata Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers im Allgemeinen und seine Verantwortlichkeit in der Gesellschaftskrise im Besonderen haben den Jubilar immer wieder beschäftigt1. Teilaspekten der Geschäftsführerhaftung in der Krise soll hier etwas näher nachgegangen werden. Wer sich um eine Systematisierung der Haftungsrisiken gerade in der Unternehmenskrise bemüht, wird zuvörderst auf die drohende Insolvenzverschleppungshaftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern verweisen. Der rechtsformübergreifend konzipierte § 15a Abs. 1 InsO, der heute die Insolvenzantragspflicht der Leitungsorgane normiert, ist ebenso Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB wie es der alte § 64 Abs. 1 GmbHG und seine „Schwesterbestimmungen“ waren. Dem Institut der Insolvenzverschleppungshaftung wird häufig auch die Erstattungshaftung wegen Masseschmälerung nach Insolvenzreife gemäß § 64 Satz 1 und 2 GmbHG zugeordnet. Ganz korrekt ist das freilich nicht, denn jene (Innen-)Haftung greift ggf. auch schon für solche Zah-
__________ 1 S. nur Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 43 Rz. 7 ff.; Uwe H. Schneider, GmbHR 2010, 57 ff.
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lungen, die noch in die (maximal) dreiwöchige Frist des § 15a Abs. 1 InsO fallen2. Der Gesetzgeber des MoMiG hat jene Verantwortlichkeit mit dem neuen Satz 3 des § 64 GmbHG im Übrigen bekanntlich erweitert: um die – hier nicht erneut aufzugreifende3 – Erstattungshaftung des Geschäftsführers wegen Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit durch Zahlungen an Gesellschafter. Neben diesen speziellen Anspruchsgrundlagen ist die „Geschäftsführungshaftung in der Krise“ aber auch – und in der Systematik des Gesellschaftsrechts gewiss nicht erst an letzter Rangstelle – ein Thema des § 43 GmbHG. Also der gesetzlichen Generalklauseln zu den Organpflichten der Geschäftsführer (und ihrer Organhaftung) gegenüber der Gesellschaft nach § 43 Abs. 1 und 2 GmbHG, ggf. auch der in Abs. 3 angeordneten Ersatzpflicht wegen Verletzung des Kapitalerhaltungsgebots. An die Seite dieser Innenhaftung treten schließlich spezifische Tatbestände einer Geschäftsführer-Außenhaftung: namentlich für nicht abgeführte Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a Abs. 1 StGB); aus der Verletzung von steuerlichen Pflichten (§§ 34, 69 Satz 1 AO) oder – unter engen Voraussetzungen – aus § 826 BGB bzw. culpa in contrahendo.
II. Haftung aus der Verletzung von Leitungspflichten in der Krise Die organschaftlichen Leitungspflichten, welche dem Geschäftsführer gerade in der Gesellschaftskrise obliegen, kommen in der Kodifikation nur sehr unvollkommen und weitgehend auch nur mittelbar zum Ausdruck. Es bedarf ihrer Ableitung auf der Grundlage der allgemeinen Organpflicht zur Geschäftsführung unter Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (§ 43 Abs. 1 GmbHG), für deren Verletzung der Geschäftsführer der Gesellschaft gegenüber auf Ersatz des ihr entstandnen Schadens haftet – wobei ihm bei unternehmerischen Entscheidungen bekanntlich ein der gerichtlichen Kontrolle entzogener Handlungsspielraum zukommt, der durch geschäftliches Entscheidungsermessen geprägt ist4. Bei der Herleitung krisenorientierter Geschäftsführungspflichten helfen die spezifischen Organpflichten, die das Gesetz an anderen Stellen normiert. Bereits die Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO, das Masseerhaltungsgebot ab materieller Insolvenzreife nach Maßgabe von § 64 Satz 1 und 2 GmbHG sowie die Pflicht zur Information der Gesellschafter bei hälftigem Verlust des Stammkapitals (§ 49 Abs. 3 GmbHG) bzw. – in der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) – bei drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 5a Abs. 4 GmbHG) halten den Geschäftsführer zu kontinuierlicher Beobachtung
__________ 2 Dazu etwa BGH, ZIP 2009, 860, 861. 3 Zur Interpretation jener Neuregelung s. zuletzt Kleindiek, GWR 2010, 75 ff. 4 Zu Einzelheiten s. Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 43 Rz. 50 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 43 Rz. 16 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 43 Rz. 22 ff., je m. w. N.
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der Finanz- und Vermögenslage der Gesellschaft an5. Das schließt – heute breit akzeptiert6 – die Einrichtung eines geeigneten Risikokontrollsystems ein, welches den Gegebenheiten der jeweiligen Gesellschaft Rechnung zu tragen hat. Sobald sich wirtschaftliche Schwierigkeiten abzeichnen, wenn die Hälfte des Stammkapitals verloren und die Gesellschafterversammlung nach § 49 Abs. 3 GmbHG einzuberufen ist und spätestens, wenn im Jahresabschluss ein „Nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag“ nach § 268 Abs. 3 HGB ausgewiesen werden muss, hat der Geschäftsführer eine Überschuldungsprüfung vorzunehmen und diese regelmäßig fortzuschreiben7. Der Detaillierungsgrad der Überschuldungsprüfung ist ebenso wie der Fortschreibungsbedarf von Ausmaß und Stadium der Unternehmenskrise abhängig; mit zunehmender Unternehmensgefährdung steigen die Anforderungen an die Prüfung der Überschuldung8. Weitere Handlungspflichten der Geschäftsführer in der Krise finden sich im Gesetz explizit indes nicht. Da der Gesetzgeber aber gerade ihnen die unternehmerische Leitung der Gesellschaft zugewiesen hat, haben sie die Möglichkeiten zur Krisenreaktion einschließlich einer umfassenden betrieblichen und finanziellen Sanierung zu prüfen, Sanierungskonzepte zu entwickeln und ggf. Sanierungsschritte einzuleiten9. Letzteres steht freilich unter dem Vorbehalt entsprechender Entscheidungskompetenz der Gesellschafter: Denn im Kompetenzgefüge des GmbH-Rechts sind die grundlegenden Sanierungsentscheidungen von den Gesellschaftern zu treffen10, die sich gegenüber den Geschäftsführern zu ihrer bestehenden (oder ggf. mangelnden) Bereitschaft zur Sanierung erklären müssen: Die Geschäftsführer müssen sowohl im Rahmen der laufenden Bilanzierung (§ 41 GmbHG i. V. m. § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB) als auch der Überschuldungsprüfung (§ 19 Abs. 2 InsO) wissen, ob sie noch die Fortführung des Unternehmens zugrunde legen dürfen11.
__________ 5 BGH, GmbHR 1999, 299, 300; Haas in Heintzen/Kruschwitz, Unternehmen in der Krise, 2004, S. 73, 74 f.; Haas in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2006, § 92 Rz. 6; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 43 Rz. 25; Veil, ZGR 2006, 374, 375; Wellensiek/Schluck-Amend in Karsten Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 4. Aufl. 2009, Rz. 1.73 ff. 6 Weiterführend Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 43 Rz. 23 m. w. N. 7 BGH, ZIP 1994, 891, 892 und BGH, GmbHR 1997, 25 sowie OLG Celle, GmbHR 2004, 568, 569; OLG Düsseldorf, GmbHR 1999, 479; OLG Hamm, ZInsO 2010, 527, 529; OLG Oldenburg, GmbHR 2008, 1101, 1102; OLG Schleswig, DB 2010, 722, 724. 8 Stellungnahme IDW-FAR 1/1996, WPg 1997, 23; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 64 Rz. 14. 9 Haas, Gutachten E zum 66. Deutschen Juristentag 2006, in Verhandlungen des 66. DJT, Band I, 2006, S. E 114; Haas in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2006, § 92 Rz. 26 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 64 Rz. 27 f.; Schluck-Amend/Walker, GmbHR 2001, 375, 376 ff.; Karsten Schmidt in Karsten Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 4. Aufl. 2009, Rz. 1.109 f.; Veil, ZGR 2006, 374, 378 ff.; Westermann, DZWiR 2006, 485, 487 ff.; monographisch Drenckhan, Gläubigerschutz in der Krise der GmbH, 2006, S. 38 ff. 10 Haas, Gutachten E zum 66. DJT 2006, S. E 108 f.; Veil, ZGR 2006, 374, 380; Westermann, DZWiR 2006, 485, 487. 11 Dazu etwa Bork, ZIP 2000, 1709, 1713; Veil, ZGR 2006, 374, 385 m. w. N.
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Kommt der Geschäftsführer jenen Leitungsaufgaben in der Krise nicht oder nicht rechtzeitig nach, verletzt er seine Organpflichten aus § 43 GmbHG und ist der Gesellschaft gegenüber zum Ersatz eines etwa entstandenen Schadens gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG verpflichtet. All das ist im Schrifttum heute weitgehend akzeptiert12. Und doch scheinen derartige, aus der Verletzung krisenorientierter Leitungspflichten resultierende Schadensersatzansprüche gegen den Geschäftsführer bei der haftungsrechtlichen Aufarbeitung einer Unternehmenskrise nach Insolvenzeintritt in der Praxis keine wesentliche Rolle zu spielen. Jedenfalls sind einschlägige höchst- oder obergerichtliche Entscheidungen, die (auf Initiative eines klagenden Insolvenzverwalters) solche Fragen thematisiert hätten, in der Vergangenheit – soweit ersichtlich – nicht bekannt geworden. Die Gründe hierfür dürften wohl damit zu tun haben, dass sich Ersatzansprüche auf anderer Grundlage – insbesondere auf Basis von § 64 GmbHG – wesentlich einfacher darlegen und beweisen lassen als die Verletzung von Leitungspflichten in der Krise und ihre Kausalität für einen konkreten Schaden der Gesellschaft – zumal Entstehung und Bestand entsprechender Schadensersatzansprüche (sofern nicht die zwingenden gesetzlichen Vorgaben des Kapitalschutzes verletzt werden) der Disposition der Gesellschafter unterliegen.
III. Haftung wegen Masseschmälerung nach Insolvenzreife 1. Normzweck des § 64 Satz 1 GmbHG § 64 Satz 1 und 2 GmbHG verpflichten den Geschäftsführer zur Erstattung aller pflichtwidrigen (d. h. mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns unvereinbaren) Zahlungen ab Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Jene Sanktion gründet auf der Pflicht des Geschäftsleitungsorgans, das Vermögen der Gesellschaft schon in der Zeit zwischen Eintritt der Insolvenz und dem Verlust der Verfügungsbefugnis im Interesse der Gesamtheit der Gesellschaftsgläubiger nicht zu schmälern. Das dient dem Ziel gleichmäßiger und ranggerechter Gläubigerbefriedigung in der Insolvenz13 und flankiert damit die Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO sowie – im Falle der insolvenzfreien Abwicklung wegen Masselosigkeit – die Regeln des AnfG. Die Ersatzpflicht der Geschäftsführer setzt weder einen Quotenschaden der Gläubiger noch einen Schaden der Gesellschaft voraus; ein Schaden im Gesellschaftsvermögen ist typischerweise schon deshalb nicht gegeben, weil in der Folge der Zahlung eine Verbindlichkeit der Gesellschaft entfällt. Zu Recht deutet der BGH den Erstattungsanspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG vor diesem
__________ 12 S. die Nachw. bei Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 43 Rz. 27; seither noch Uwe H. Schneider, GmbHR 2010, 57, 59. 13 BGHZ 143, 184, 186; BGH, ZIP 2001, 235, 239; BGH, ZIP 2003, 1005, 1006; BGH, GmbHR 2007, 596, 598; BGH, GmbHR 2007, 936, 937; BGH, ZIP 2009, 860, 861; BGH, ZIP 2010, 470, 471.
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Hintergrund in gefestigter Rechtsprechung als „Ersatzanspruch eigener Art“14, was auch von der nach wie vor deutlich überwiegenden Lehre geteilt wird15. 2. Masseschmälerungen Nicht zu leugnen ist freilich, dass aus § 64 Satz 1 GmbHG erhebliche Haftungsrisiken zulasten des Geschäftsführers erwachsen, wenn nach Insolvenzreife noch Zahlungen in beträchtlicher Höhe geleistet werden. Dies gilt umso mehr, als die Formulierung des § 64 Satz 1 GmbHG mit seinem allein auf „Zahlungen“ abstellenden Verbot allgemein als zu eng angesehen wird. Angesichts des Ziels der Norm – Erhaltung des noch vorhandenen Vermögens der GmbH für die Gläubiger zum Zwecke ordnungsgemäßer Verteilung im Insolvenzverfahren – geht es nicht nur um Zahlungen, sondern um alle Leistungen, die das Gesellschaftsvermögen schmälern16. Freilich liegen erstattungspflichtige Leistungen auch nur insoweit vor, als dadurch die Verteilungsmasse geschmälert wird. Mit der Zahlung zusammenhängende, in das Gesellschaftsvermögen gelangte und dort wertmäßig erhalten gebliebene Gegenleistungen (die allerdings der Geschäftsführer ggf. zu beweisen hat) sind deshalb schon auf der Ebene des objektiven Tatbestandes in Ansatz zu bringen, nicht erst im Rahmen der Pflichtmäßigkeitsprüfung nach § 64 Satz 2 GmbHG17. Nach der Rechtsprechung des BGH liegt grundsätzlich auch im Scheckeinzug auf ein debitorisches Bankkonto der Gesellschaft18 oder in sonstigen vom Geschäftsführer veranlassten oder zugelassenen Zahlungen von Gesellschaftsschuldnern auf ein debitorisches Konto19 eine die Ersatzpflicht auslösende Zahlung. Allein für Zahlungen von einem debitorischen Konto an einzelne Gesellschaftsgläubiger wird das anders gesehen, weil insoweit ein bloßer Gläubigeraustausch vorliegt und die Verteilungsmasse – wenn die Bank über keine Ge-
__________ 14 Zuletzt BGH, GmbHR 2007, 596, 598; BGH, GmbHR 2008, 702, 703; BGH, ZIP 2008, 1229; ebenso BFH, ZIP 2007, 1604, 1606; s. auch noch KG Berlin, GmbHR 2010, 99, 100; OLG Karlsruhe, GmbHR 2010, 315. 15 Einzelnachw., auch zu abweichenden Ansichten, bei Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 64 Rz. 4 f.; zur Gegenposition s. zuletzt Karsten Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 64 Rz. 6 ff. 16 BGHZ 126, 181, 194; OLG Schleswig, DB 2010, 722, 723; Casper in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2008, § 64 Rz. 83 f.; Karsten Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 64 Rz. 19 ff. m. w. N. 17 S. BGH, ZIP 2003, 1005, 1006; anders wohl noch BGH, NJW 1974, 1088, 1089; für Berücksichtung der Gegenleistung auf der Tatbestandsebene der Zahlung auch OLG Brandenburg, GmbHR 2002, 910, 911; Casper in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2008, § 64 Rz. 85; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 64 Rz. 70; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 64 Rz. 7; Karsten Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 64 Rz. 31. 18 BGHZ 143, 184, 186 ff.; BGH, GmbHR 2000, 1149, 1150; s. auch OLG Frankfurt/M., GmbHR 2010, 90, 91 f.; OLG Oldenburg, NZG 2001, 37; OLG Düsseldorf, GmbHR 1999, 661, 662. 19 BGH, GmbHR 2007, 596, 598; s. auch OLG Oldenburg, GmbHR 2004, 1315, 1316 f.; Schulze-Osterloh in FS Bezzenberger, 2000, S. 415, 423 f.
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sellschaftssicherheiten verfügt – unberührt bleibt20. Richtigerweise bedarf es indes in all diesen Fallkonstellationen einer normzweckbezogenen Sicht, welche die nämlichen Zahlungen nicht lediglich isoliert betrachtet und aufaddiert, sondern ihre Auswirkungen auf die Verteilungsmasse in den Blick nimmt21. Eine den Erstattungsanspruch nach § 64 Satz 1 GmbHG auslösende Zahlung liegt deshalb nicht vor, wo die Leistung an einen Gesellschaftsgläubiger gerade nicht zu dessen endgültiger (Teil-)Befriedigung (und damit Bevorzugung) zulasten des Gesellschaftsvermögens (Verteilungsmasse) führt; etwa weil die Bank nach Zahlung auf ein debitorisches Konto eine erneute Belastung in entsprechender Höhe zulässt und im Rahmen eines aus diesen Mitteln finanzierten Umsatzgeschäfts eine werthaltige Gegenleistung in das Gesellschaftsvermögen fließt22. 3. Geschäftsführer-Verschulden und Haftungsausschluss nach § 64 Satz 2 GmbHG Der Ersatzanspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG ist nach gefestigter Rechtsprechung an ein Verschulden des Geschäftsführers gebunden, wobei Fahrlässigkeit genügt23. Ausreichend ist deshalb Erkennbarkeit des Insolvenzeintritts, die vermutet wird; Darlegungs- und Beweislast mangelnder Erkennbarkeit treffen den Geschäftsführer24. Der BGH verneint Erkennbarkeit des Insolvenzeintritts aber jedenfalls dort, wo der Geschäftsführer mangels eigener Sachkunde zur Klärung der Insolvenzreife den Rat eines unabhängigen, fachlich qualifizierten Berufsträgers eingeholt und dieser – ordnungsgemäß informiert – die Insolvenzreife im Ergebnis plausibel (wenn auch objektiv unzutreffend) verneint hat25. In der Systematik noch vor der Verschuldensebene stellt sich die Frage nach einem möglichen Ausschluss der Haftung gemäß § 64 Satz 2 GmbHG. Danach tritt die Ersatzpflicht tritt nicht ein bei Zahlungen bzw sonstigen Masseschmälerungen, die auch nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind. Maßstab ist der ordentliche Geschäftsleiter in der Unternehmenskrise; hatte sich der Ge-
__________ 20 BGH, GmbHR 2007, 596, 598; BGH, ZIP 2010, 470, 471; OLG Hamm, NZG 2009, 1116. 21 Dazu schon Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 64 Rz. 8. 22 Erwägungen in diese Richtung (unter Bezugnahme auf Heidenhain Anm. zu BGH LM Nr. 18 zu § 64 GmbHG) auch schon in BGH, GmbHR 2000, 1149, 1150, wo ein entsprechender Sachverhalt aber gerade nicht festgestellt war. Zum Ganzen ausführlich und instruktiv Werres, ZInsO 2008, 1001 ff.; im Ergebnis ähnlich jüngst Krumm, WM 2010, 296, 299 ff. – Im Ausgangspunkt ebenso schon OLG Brandenburg, GmbHR 2002, 910, 911, wo insoweit von „wirtschaftlicher Betrachtungsweise“ die Rede ist; übereinstimmende Terminologie bei Haas, NZG 2004, 737, 740 ff.; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 64 Rz. 68 ff. 23 BGHZ 75, 96, 111; BGHZ 126, 181, 199; OLG Celle, GmbHR 2008, 1034, 1035; OLG Düsseldorf, WM 1992, 1658, 1660 und OLG Düsseldorf, GmbHR 1993, 159; OLG Hamm, NJW-RR 1993, 1445, 1447; LG Köln, WM 1990, 441, 413. 24 BGHZ 143, 184, 185 f.; BGH, ZIP 2007, 1265, 1266; OLG Karlsruhe, NZG 2002, 917, 918. 25 BGH, ZIP 2007, 1265, 1266 f.
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schäftsführer zuvor am Zweck der GmbH auszurichten, so haben jetzt die Interessen der Gläubiger und das öffentliche Interesse am Bestand überlebensfähiger Betriebe Vorrang26. Deshalb sind Zahlungen etc. privilegiert, die etwa auch vom Insolvenzverwalter geleistet würden oder durch welche größere Nachteile für die Masse abgewendet werden27; das hat indes der Geschäftsführer darzulegen und ggf. zu beweisen28.
IV. Haftung bei Nichtabführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung und bei Nichtbegleichung von Lohnsteuerschulden In seiner aktuellen Rechtsprechung greift der II. Zivilsenat des BGH auf § 64 Satz 2 GmbHG auch zurück, um den viel erörterten „Normenkonflikt“ bei (Nicht-)Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung – aber auch bei (Nicht-)Begleichung von Lohnsteuerschulden – zu bewältigen. 1. Kontroverse Rechtsprechung Der Verstoß gegen die strafbewehrte Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmeranteile führt bekanntlich zur zivilrechtlichen Haftung des Geschäftsführers gegenüber den Sozialkassen, weil die einschlägige Strafvorschrift des § 266a Abs. 1 StGB als Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB angesehen wird29. Dabei hatte der für entsprechende Schadensersatzklagen früher (nämlich bis zum Jahr 2001) BGH-intern zuständige VI. Zivilsenat die Tatbestandvoraussetzungen jener Sanktion in einer Weise ausgelegt, die im Ergebnis auf die Verpflichtung zur (im Verhältnis zu den sonstigen Gläubigern) vorrangigen Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung hinauslief – auch für den Fälligkeitszeitraum zwischen materieller Insolvenzreife und (verspäteter) Stellung des Insolvenzantrages30. Angesichts des (insolvenzrechtlichen) Gebots der Massesicherung und Masseerhaltung hatte der II. Zivilsenat des BGH gegenüber dieser Rechtsprechung des VI. Senats deutliche Vorbehalte angemeldet: Aus dem damaligen § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG (heute § 64 Satz 1) hatte er den Schluss gezogen, dass der Geschäftsführer nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auch Arbeitnehmerbeiträge nicht mehr abführen dürfe. Das Bestreben des Geschäftsführers, sich durch Zahlungen trotz materieller Insolvenz einer persönlichen deliktischen Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a Abs. 1 StGB zu entziehen, sei kein im Rahmen des § 64 GmbHG beachtlicher Um-
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26 So schon angedeutet bei BGH, NJW 1974, 1088, 1089. 27 BGH, ZIP 2001, 235, 238; BGH, GmbHR 2008, 142, 143; OLG Celle, GmbHR 2004, 568, 570. 28 OLG Hamburg, GmbHR 2004, 797, 798 f. 29 Dazu nur BGH, GmbHR 2005, 874, 875. 30 Zu Einzelheiten s. Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 43 Rz. 406 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 43 Rz. 83 ff. m. w. N.
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stand. Vielmehr sei das in jener Vorschrift enthaltene Zahlungsverbot vorrangig. Wenn sich der Geschäftsführer insoweit lückenlos normgerecht verhalte – er also auch an andere Gesellschaftsgläubiger keine nicht durch § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a. F. gedeckten Zahlungen leiste31 – handele er im Blick auf die kollidierende Pflicht aus § 266a Abs. 1 StGB deliktisch nicht schuldhaft32. Nach Übertragung der BGH-internen Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen Geschäftsführer wegen Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen auf den II. Zivilsenat sah sich dieser indes mit dem Umstand konfrontiert, dass auch der 5. Strafsenat des BGH den Straftatbestand in § 266a Abs. 1 StGB im Sinne einer Pflicht zur vorrangigen Abführung der Sozialversicherungsbeiträge auslegte; allein für die Dauer der Drei-Wochen-Frist nach § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. (heute § 15a Abs. 1 InsO) hat er eine rechtfertigende (die Strafbarkeit hindernde) Pflichtenkollision anerkennen wollen33. Dem vom II. Zivilsenat verfochtenen generellen Vorrang der Massesicherungspflichten in der Insolvenz hat der 5. Strafsenat angesichts der Strafbewehrung einer Nichtabführung von Sozialabgaben die Gefolgschaft ausdrücklich versagt34. 2. Kurskorrektur Dies hatte den II. Zivilsenat in seiner Entscheidung vom 14. Mai 2007 bekanntlich zum Einlenken veranlasst35: Mit Rücksicht auf die Einheit der Rechtsordnung könne es dem organschaftlichen Vertreter nicht angesonnen werden, die Massesicherungspflicht zu erfüllen und fällige Leistungen an die Sozialkasse (oder die Steuerbehörden) nicht zu erbringen, wenn er sich dadurch „strafrechtlicher Verfolgung“ aussetze. Sein die entsprechenden sozial- (und steuer-) rechtlichen Vorschriften befolgendes Verhalten müsse deswegen im Rahmen der bei § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a. F. (heute § 64 Satz 2) anzustellenden Prüfung als mit den Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar angesehen werden36. Aus der Sicht des Gesellschafts- und Insolvenzrecht kann diese Lösung des Konflikts nicht uneingeschränkt befriedigen. Eine Differenzierung nach dem Empfänger der Zahlungen ist dem Zweck des Zahlungsverbots ab Insolvenzreife fremd. Und stellt man auf den Normzweck des § 64 GmbHG ab, lässt sich die vorrangige Bedienung von Sozialversicherungsträgern auch nicht mit Satz 2
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31 S. zu dieser Voraussetzung BGH, GmbHR 2008, 1324, 1325; BGH, ZIP 2010, 368, 369. 32 BGHZ 146, 264, 275; BGH, GmbHR 2005, 874, 876 f.; deutlich in diesem Sinne auch Goette, DStR 2000, 1320 f.; Goette, DStR 2001, 224 f. Dem II. ZS folgend OLG Brandenburg, ZIP 2007, 724; OLG Dresden, GmbHR 2005, 173, 174 f.; OLG Naumburg, GmbHR 2007, 1327; der Sache nach ebenso schon OLG Celle, NJW-RR 1996, 481, 482. 33 BGH, ZIP 2003, 2213, 2214 = DStR 2004, 283 mit Anm. Goette. 34 BGH, ZIP 2005, 1678 = DStR 2005, 1867 mit Anm. Goette; dem 5. StrafS auch für die zivilrechtliche Bewertung folgend OLG Hamburg, ZIP 2007, 725. 35 BGH, GmbHR 2007, 757 = DStR 2007, 1174 mit Anm. Goette. 36 BGH, GmbHR 2007, 757, 758 f.; bestätigend BGH, GmbHR 2008, 815; ebenso etwa OLG Frankfurt/M., GmbHR 2010, 90, 91.
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der Vorschrift legitimieren: der Maßstab der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters soll nur solche Leistungen privilegieren, durch welche größere Nachteile für die Masse abgewendet werden37. Aber der schwelende Normenkonflikt war für die Praxis belastend und dauerhaft nicht hinnehmbar38. Zivilrechtlich einzufordern, was zugleich strafrechtlich sanktioniert wird, ist nicht zu vermitteln. Im Interesse der Einheit der Rechtsordnung lässt es sich deshalb pragmatisch rechtfertigen, wenn der II. Zivilsenat für die Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters i. S. d. § 64 Satz 2 GmbHG nunmehr an Erwägungen angeknüpft, die sich vom Zweck des Zahlungsverbots bei Insolvenzreife lösen39. Dabei bleibt die normzweckferne Indienstnahme des § 64 Satz 2 GmbHG freilich auf Ausnahmekonstellationen tatsächlich bestehender Pflichtenkollisionen begrenzt. Durchaus folgerichtig hat der BGH deshalb festgestellt, dass sich ein Geschäftsführer, der nach Insolvenzreife der Gesellschaft Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung abführe, nicht auf § 64 Satz 2 GmbHG berufen könne40. Darin liegt – entgegen einer im insolvenzrechtlichen Schrifttum vorgetragenen Kritik41 – keineswegs eine „erneute Kehrtwende“ des Senats, sondern eine Bestätigung seiner aktuell verfolgten Linie: Hinsichtlich der Arbeitgeberanteile unterliegt der Geschäftsführer keiner „Pflichtenkollision“ im hier maßgeblichen Sinne, weil die Nichtabführung der Arbeitgeberanteile nicht zu seiner persönlichen Verantwortlichkeit nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a Abs. 1 StGB führt. Durchaus problematisch ist freilich, wenn der BGH in seinem 2008 entschiedenen „Drittschulden-Fall“42 auf § 266 StGB verwies, ohne eine drohende Strafverfolgung des Geschäftsführers nach dieser Vorschrift in den Entscheidungsgründen genauer zu erörtern: Im zugrunde liegenden Sachverhalt hatte der Geschäftsführer einer konzernangehörigen Gesellschaft nach Insolvenzreife mit von anderen Konzerngesellschaften gewährten Mitteln Schulden dieser Gesellschaften erfüllt. Im Ausgangspunkt hat der BGH darin erstattungspflichtige Zahlungen im Sinne des (heutigen) § 64 Satz 1 GmbHG gesehen, weil es auf die Herkunft der in das Gesellschaftsvermögen gelangten und von dort abgeflossenen Mittel nicht ankommen könne. Für die Schmälerung der Insolvenzmasse sei es auch unerheblich, ob mit den zuvor in das Gesellschaftsvermögen geflossenen Drittmitteln Schulden der eigenen Gesellschaft oder Drittschulden bedient würden; Masseneutralität könne allenfalls dann angenommen werden, wenn die Gesellschaft die eingehenden Gelder „nach Art einer Bank“ auf Treuhandkonten verbuchen lasse, so dass die Treugeber Aussonderungsrechte nach § 47 InsO hätten43.
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BGHZ 146, 264, 275; s. auch Goette, ZInsO 2001, 529, 536 Fn. 70. Statt anderer Berger/Herbst, BB 2006, 437; Schröder, GmbHR 2005, 736. Ablehnend indes Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 64 Rz. 81 ff. BGH, ZIP 2009, 1468. Werres, ZInsO 2009, 1845, 1847. BGH, ZIP 2008, 1229, 1230; s. zur Kritik schon Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 64 Rz. 9. 43 BGH, ZIP 2008, 1229, 1230.
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Das entspricht den vom IX. Zivilsenat des BGH im Insolvenzanfechtungsrecht (§§ 129 ff. InsO) entwickelten Grundsätzen: Auch hier sind Leistungen des Schuldners als gläubigerbenachteiligend anfechtbar, die jener (als Leistungsmittler) mit zweckgebunden gewährten Drittmitteln zur Begleichung von Drittschulden erbringt, sofern die Mittel zuvor in das Schuldnervermögen übergegangen und deshalb für die Gläubiger pfändbar geworden sind. Es schadet also nicht, dass die Mittel im Aktivvermögen des Schuldners – bei wirtschaftlicher Betrachtung – nur „durchlaufende Posten“ waren, sofern nicht eine Treuhandabrede und die Separierung der Mittel zur Unpfändbarkeit führte44. Wenn der II. Zivilsenat des BGH im Drittschulden-Fall gleichwohl eine Haftung des Geschäftsführers unter Hinweis auf das „Treueverhältnis“ des Geschäftsführers zu den anderen Konzerngesellschaften sowie deren „auch durch § 266 StGB geschützte Interessen“ verneint hat45, ist das indes weniger schlüssig. Der Senat knüpft dabei an § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a. F. (heute § 64 Satz 2) und seine Rechtsprechung zur Bewältigung des Normenkonflikts bei (Nicht-)Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an46. Ob sich der Geschäftsführer aber tatsächlich (und ggf. warum) nach § 266 StGB strafbar gemacht hätte, wenn die auf das allgemeine Geschäftskonto verbuchten Drittmittel nicht bestimmungsgemäß weiterleitet worden wären, bleibt jedenfalls in den Entscheidungsgründen gänzlich unerörtert. Selbsterklärend ist eine solche Strafbarkeit keineswegs47. 3. Steuerrechtliche Haftung (§§ 34, 69 Satz 1 AO) Unter Rückgriff auf den heutigen § 64 Satz 2 GmbHG will der BGH – ausweislich seiner Entscheidung vom 14. Mai 2007 – ausdrücklich auch den parallelen Konflikt mit den steuerrechtlichen Pflichten des Geschäftsführers gelöst wissen48. Das ist konsequent, obwohl die Nichtabführung der Lohnsteuerabzugsbeträge nicht straf-, sondern lediglich als Ordnungswidrigkeit bußgeldbewehrt ist (§ 380 AO). Denn die „Pflichtenkollision“, an die der BGH mit seiner Kurskorrektur anknüpft, stellt sich allein schon im Blick auf die Eigenhaftung des Geschäftsführers aus §§ 34, 69 Satz 1 AO49, so dass es auf Straf- oder Bußgeldbewehrung nicht mehr entscheidend ankommen kann. 4. Dreiwochenfrist (§ 15a Abs. 1 InsO) Nicht ganz eindeutig – und im Schrifttum umstritten – ist im Übrigen, ob der II. Zivilsenat die Exkulpation nach § 64 Satz 2 GmbHG schon für Zahlungen ab Insolvenzreife oder erst für solche nach Ablauf der (maximal) dreiwöchigen
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44 Zum Ganzen BGHZ 155, 75, 81 f.; BGH, NJW 2002, 1574, 1575; BGH, NZI 2003, 549, 550; BGHZ 174, 228 Tz. 19. 45 BGH, ZIP 2008, 1229, 1230. 46 BGH, GmbHR 2007, 757. 47 Zu Recht kritisch auch schon Dahl/Schmitz, NZG 2008, 532, 533; Ischebeck, wistra 2009, 95 ff. 48 BGH, GmbHR 2007, 757. 49 S. schon BFH, ZIP 2007, 1614, 1606.
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Karenzfrist des (heutigen) § 15a Abs. 1 InsO gewähren will50. Denn für aussichtsreiche Sanierungsversuche innerhalb der Drei-Wochen-Frist droht „strafrechtliche Verfolgung“ nach der bisherigen Rechtsprechung des 5. Strafsenats ja gerade nicht; es läge also nicht fern, dem Geschäftsführer erst nach Ablauf jener Frist – wenn er nunmehr Arbeitnehmeranteile abführt – die Privilegierungswirkung des § 64 Satz 2 GmbHG zu eröffnen51. Indes ist eine genaue Verortung dieses Zeitfensters praktisch kaum möglich. Schon deshalb sprechen die besseren Gründe dafür, alle Zahlungen ab Insolvenzreife von der Geschäftsleitersorgfalt i. S. d. § 64 Satz 2 GmbHG n. F. zu erfassen52. So ist jedenfalls auch der erste Leitsatz der BGH-Entscheidung vom 14. Mai 2007 formuliert. Auch der BFH hat den II. Zivilsenat inzwischen in diesem Sinne interpretiert53; bei einer solchen Deutung wird der bisherigen Rechtsprechung des 5. Strafsenats zu einer die Strafbarkeit hindernden Pflichtenkollision innerhalb des Drei-Wochen-Zeitraums die Grundlage genommen54.
V. Insolvenzverschleppungshaftung 1. Unveränderte Rahmendaten der Geschäftsführerhaftung An den „Rahmendaten“ der deliktischen Insolvenzverschleppungshaftung des Geschäftsführers bei nicht rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrags hat auch das MoMiG im Ergebnis nichts geändert. Freilich hat nunmehr der (rechtsformübergreifend konzipierte) § 15a Abs. 1 InsO die alten Bestimmungen des früheren § 64 Abs. 1 GmbHG und seiner „Schwestervorschriften“ als neues Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB abgelöst. Aber das wird dem BGH keine Veranlassung geben, seine Rechtssprechung zum Haftungsumfang und zur Zuständigkeit für die Verfolgung des Haftungsanspruchs zu überdenken. Die insoweit in gefestigter Praxis vorgenommenen Differenzierungen sind bekannt: Der den Altgläubigern zu ersetzende Schaden ist durch den Schutzzweck des § 15a Abs. 1 InsO auf den Betrag beschränkt, um den sich in der Folge der Insolvenzverschleppung die tatsächlich erzielte Quote gegenüber der ursprünglich erzielbaren Quote verringert hat; demgegenüber können Neugläubigern das volle negative Interesse bei Rechtsgeschäften mit der Gesellschaft nach Eintritt der Insolvenzreife als Schadensersatz beanspruchen. Während der Quotenschaden der Altgläubiger nach § 92 Satz 1 InsO vom Insolvenzverwalter für die Masse geltend gemacht wird, sieht der BGH im Ausfallschaden jedes
__________ 50 Zu diesen Unsicherheiten s. auch schon Heeg, DStR 2007, 2134, 2138 f.; Streit/Bürk, DB 2008, 742, 746 m. w. N.; zuletzt Brand, GmbHR 2010, 237 ff. 51 So etwa Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 43 Rz. 44 und 77; Radtke, GmbHR 2009, 673, 678; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 43 Rz. 100. 52 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 43 Rz. 95. – Für eine Erstreckung auf Zahlungen, die auf rückständige Sozialversicherungs- und Steuerforderungen geleistet werden, jüngst auch OLG Frankfurt/M., GmbHR 2010, 90, 91. 53 BFH, ZIP 2009, 122, 123; dagegen Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 43 Rz. 77 („Deutung durch den BFH liegt ganz fern“). 54 So auch schon Bittmann, wistra 2007, 406, 407.
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einzelnen Neugläubigers einen Individualschaden, für dessen Verfolgung der Insolvenzverwalter deshalb nicht zuständig ist55. 2. Korrigierter Überschuldungsbegriff nach § 19 Abs. 2 InsO Für die Haftung des Geschäftsführers aus Insolvenzverschleppung (aber natürlich auch für seine Erstattungspflicht nach § 64 Satz 1 GmbHG wegen Masseschmälerung nach Insolvenzreife) von erheblicher Bedeutung ist freilich die im Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG) vollzogene, befristete Korrektur des Überschuldungsbegriffs nach § 19 Abs. 2 InsO. Da die Überschuldung als Insolvenzeröffnungsgrund in der Praxis schon bislang nur eine geringe Rolle spielte, ist diese Korrektur im Überschuldungsbegriff sogar vor allem ein Thema zivil- und strafrechtlicher „Haftung“ von Geschäftsführern, Liquidatoren und – über ihre Ersatzverantwortlichkeiten bei Führungslosigkeit – ggf. von Gesellschaftern in der Krise der GmbH. Mit Wirkung ab dem 18. Oktober 2008 ist der Gesetzgeber bekanntlich zum sog. modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriff zurückgekehrt56; die Befristung jener Gesetzesänderung hat er inzwischen bis zum 31. Dezember 2013 verlängert. Zwar knüpft auch der (gegenwärtig geltende) korrigierte Überschuldungsbegriff des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO an das Ergebnis einer Überschuldungsbilanz an: Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen der Gesellschaft ihre bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Während es für den alten Überschuldungsbegriff aber allein hinsichtlich des Bewertungsmaßstabs der Bilanzpositionen darauf ankam, ob von der Fortführung des Unternehmens auszugehen war oder nicht, ist die rechnerische Überschuldung im aktuellen Konzept des Gesetzes nicht das letzte Wort. Selbst im Falle rechnerischer Überschuldung (jetzt zwingend zu ermitteln nach Liquidationswerten) liegt keine Überschuldung im Rechtssinne vor („es sei denn“), wenn die Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich ist. Die Formulierung zur Fortführungsprognose im aktuellen Text des § 19 Abs. 2 InsO orientiert sich an der Wortwahl des bislang geltenden § 19 Abs. 2 Satz 2 i. d. F. der InsO 1999. Ausweislich der Begründung des FMStG soll die Fortführungsprognose gerade dann positiv sein, wenn nach überwiegender Wahrscheinlichkeit die Finanzkraft des Unternehmens mittelfristig zur Fortführung ausreicht57; es soll also auf eine Analyse der benötigten und zu erwartenden Liquidität im Prognosezeitraum ankommen. Da die Fortführungsprognose im Rahmen von § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO 1999 ebenso interpretiert wurde, kann nach wie vor auf jene Kriterien zurückgegriffen werden, die hier für die Fortbe-
__________ 55 Zu näheren Einzelheiten s. etwa Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh § 64 Rz. 61 ff. 56 Auch dazu näher Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh § 64 Rz. 13 ff.; zuletzt Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2010, § 19 Rz. 5 ff. 57 BegrE FMStG, BT-Drucks. 16/10600, S. 13.
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stehensprognose entwickelt worden sind. Zusammengefasst bedeutet das58: Der Geschäftsführer muss davon ausgehen können, dass das Unternehmen trotz der augenblicklichen wirtschaftlichen Krise nach dem Willen der Gesellschafter (ggf. im Rahmen einer Veräußerung) fortgesetzt werden soll (Fortführungswille) und dass die Gesellschaft ihre Verbindlichkeiten (einschließlich der Kosten des laufenden Betriebs) jedenfalls in der nächsten Zukunft (im Allgemeinen bis zum Ende des laufenden und des folgenden Geschäftsjahres) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit wird erfüllen können: objektive Fortbestehensfähigkeit (Überlebensfähigkeit). Diese Feststellung verlangt vom Geschäftsführer entschieden mehr als reine Meinung und Hoffnung, vielmehr eine Materialisierung durch eine sorgfältig erstellte (und ggf. nachgehaltene), für sachverständige Dritte nachvollziehbare Vermögens-, Finanz- und Ertragsplanung auf der Basis eines in sich schlüssigen Unternehmenskonzepts59. 3. Verringerte Haftungsrisiken kraft des neuen Überschuldungsbegriffs? Angesichts der methodisch strengen Anforderungen, der die Fortbestehensprognose demnach nach wie vor untersteht – ohne Abstriche auch in der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) – ist allemal zweifelhaft, ob die den Geschäftsführern wegen Insolvenzverschleppung drohenden Haftungsrisiken durch die Korrekturen im Überschuldungsbegriff signifikant gesunken sind. Im Haftungsprozess werden die Instanzgerichte bei rechnerischer Überschuldung jedenfalls kritisch zu prüfen haben, ob eine positive Fortbestehensprognose tatsächlich noch gerechtfertigt war. Da insoweit der Geschäftsführer darlegungs- und beweispflichtig ist (arg „es sei denn“), ist er gut beraten, die der Fortbestehensprognose zugrunde liegenden Planungsdaten ebenso wie die Ableitung des Prognoseergebnisses schriftlich zu dokumentieren und möglichst auch den Rat eines qualifizierten Sachverständigen in Anspruch zu nehmen. In der Korrektur des Überschuldungsbegriffs kommt nicht der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, an die Fortbestehensprognose vorübergehend weniger strenge Anforderungen zu stellen. Der modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff hatte nie zum Ziel, dauerhaft überlebensunfähige Unternehmen im Markt zu halten. Das Erfordernis einer negativen Fortbestehensprognose soll vielmehr wertmäßigen Schwankungen des Aktivvermögens sowie vorübergehenden Einbußen der Ertragsfähigkeit (und daraus resultierender rechnerischer Überschuldung) Rechnung tragen. Auch die Kurskorrektur durch das FMStG war allein eine Reaktion auf die weltweite Finanzkrise des Jahres 2008: Diese habe, so die Begründung des Gesetzesentwurfs, abrupt zu einem erheblichen Wertverfall des bilanzierten Aktivvermögens vieler Unternehmen und in der Folge zur rechnerischen Überschuldung geführt, die zum Insolvenz-
__________ 58 Näher dazu schon Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh § 64 Rz. 28 m. w. N.; zuletzt Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2010, § 19 Rz. 43 ff. und jüngst OLG Schleswig, DB 2010, 722, 724. 59 BGH, DStR 2006, 2186; OLG Schleswig, DB 2010, 722, 724; zuletzt N. Weller, DStR 2010, 1046 ff. – Vgl. jetzt auch IDW S 6, FN-IDW 2009, 578 ff., zu den Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten.
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antrag zwinge, auch wenn an sich eine positive Fortführungsprognose gestellt werden könne und sich der „Turnaround“ in wenigen Monaten abzeichne60. Jedenfalls bei klaren Anzeichen einer Unternehmenskrise scheint eine belastbare positive Fortbestehensprognose im Übrigen auch kaum vorstellbar zu sein, ohne dass Klarheit über das Ausmaß einer rechnerischen Überschuldung (dann ermittelt zu Fortführungswerten) und über die Maßnahmen zu ihrer Beseitigung besteht. Die Erstellung eines entsprechenden Vermögensstatus ist hier Bestandteil des Prognoseverfahrens, in dessen Rahmen auch zu dokumentieren ist, mit welchen Maßnahmen und in welchem Zeitraum die rechnerische Überschuldung behoben werden soll. Der verbreiteten Vorstellung, im Konzept des aktuell geltenden Überschuldungsbegriffs sei die Erstellung eines Vermögensstatus ggf. (nämlich bei positiver Prognose) gänzlich verzichtbar, ist vor diesem Hintergrund zu widersprechen61.
VI. Krisenverantwortung der Leitungsorgane de lege ferenda 1. Kodifizierung von Leitungspflichten in der Krise? Die Geschäftsführerhaftung in der Krise ist auch ein Thema de lege ferenda. Denn weil – wie eingangs skizziert – die krisenorientierten Geschäftsleitungspflichten in der Kodifikation nur höchst mittelbar zum Ausdruck kommen, sind sie für ihre Adressaten nicht transparent. Vor diesem Hintergrund mag man durchaus zweifeln, ob das geschriebene Recht seine Signal- und Steuerungswirkung hinreichend entfalten kann. In der rechtspolitischen Diskussion im Vorfeld der jüngsten GmbH-Reform war deshalb der Vorschlag einer gesetzlichen Konkretisierung jener Geschäftsführerpflichten formuliert worden, namentlich im Blick auf die ihnen obliegende Verpflichtung zur fortlaufenden Risikobeobachtung und Solvenzprüfung, zur Krisenerkennung sowie zur rechtzeitigen Entwicklung und Einleitung von Sanierungsmaßnahmen unter Einholung der von den Gesellschaftern zu treffenden Sanierungsentscheidungen62. Auch der Stuttgarter Juristentag 2006 hatte dem Gesetzgeber empfohlen, die Binnenpflichten der Geschäftsführer im Vorfeld der Insolvenz auszubauen: und zwar durch die gesetzliche Verpflichtung zur systematischen und kontinuierlichen Risikobeobachtung und Solvenzprüfung sowie zur Vorlage von Sanierungsvorschlägen an die Gesellschafter63. Der Gesetzgeber des MoMiG hat solche Vorschläge nicht aufgegriffen. Dabei dürfte eine Rolle gespielt haben, dass eine trennscharfe Umschreibung des Krisentatbestandes kaum gelingen kann. Zudem wurde im Zuge der Neuordnung
__________ 60 BegrE FMStG, BT-Drucks. 16/10600, S. 13. 61 S. auch schon Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh § 64 Rz. 36 ff. 62 Eingehend dazu Veil, ZGR 2006, 374, 376 ff. Für eine Stärkung der Frühindikation auch Goette, ZGR 2006, 261, 269 f. Kritisch allerdings J. Vetter, Referat 66. Deutscher Juristentag 2006, in Verhandlungen des 66. DJT Stuttgart 2006, Band II/1, 2006, S. P 75, 123 ff. 63 Beschlüsse der Wirtschaftsrechtlichen Abteilung des 66. DJT 2006, Ziff. 13.
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des alten Eigenkapitalersatzrechts der Krisenbegriff des früheren § 32a GmbHG aus dem Gesetz getilgt. Ihn in anderem Zusammenhang wieder einzuführen, lag da gewiss nicht „im Trend“. Dass sich das in näherer Zukunft ändern könnte, ist nicht zu erkennen. Eine vordringliche Aufgabe der Rechtspolitik liegt hier auch nicht. 2. Neuordnung der Insolvenzverschleppungshaftung und der Erstattungshaftung wegen Masseschmälerung Für die Neuordnung der Insolvenzverschleppungshaftung und der Erstattungshaftung wegen Masseschmälerung wird das mancher ganz anders sehen wollen. Auch der Stuttgarter Juristentag hatte mit großer Mehrheit empfohlen, die jeweils rechtsformbezogen anknüpfenden Regelungen zur „Krisenverantwortung“ der Leitungsorgane bei Insolvenzverschleppung und verbotswidriger Auszahlung einheitlich und rechtsformneutral in der Insolvenzordnung zu verorten64. Darin läge freilich nicht nur eine „technische“ Aufgabe, sondern wäre zugleich mit der Frage verbunden, ob die Erstattungspflicht wegen Masseschmälerung auch weiterhin unabhängig von einem konkret entstandenen Insolvenzverschleppungsschaden bestehen soll, wie es dem heute herrschenden Verständnis des § 64 GmbHG entspricht. Wiederholt präsentierte Alternativmodelle favorisieren demgegenüber – mit Unterschieden im Detail – eine Schadensersatzhaftung der Geschäftsleiter gegenüber der Gesellschaft auf Ersatz des operativen Verlustes der Gesellschaft in der Verschleppungsphase65. Die rechtspolitische Debatte darüber ist noch längst nicht ausgetragen. Das Spannungsfeld Insolvenzverschleppung – Masseschmälerung – Insolvenzverursachung muss weiter vertiefend vermessen werden. Die „Geschäftsführerhaftung in der Krise“ wird uns jedenfalls auch künftig beschäftigen.
__________ 64 Beschlüsse der Wirtschaftsrechtlichen Abteilung des 66. DJT 2006, Ziff. 24. 65 S. zuletzt Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 64 Rz. 26 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2009, 1551 ff.; Karsten Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 64 Rz. 6 ff. und Anh § 64 Rz. 12 ff.
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Grenzen des insiderrechtlichen Verbots selektiver Informationsweitergabe an professionelle Marktteilnehmer – Vermeidungsstrategien und ihre Behandlung im Lichte rechtsvergleichender Erfahrung – Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Insiderrechtlicher Rahmen in Deutschland III. Beispielsfälle IV. Rechtsvergleichender Seitenblick: Regulation Fair Disclosure in den USA 1. Gesetzgebungsimpuls 2. Wesentlicher Inhalt 3. Rechtliches Umfeld a) Insiderrechtliches Weitergabeverbot b) Ad-hoc-Publizitätspflicht 4. Rechtsvergleichender Ertrag V. Rechtsökonomische Anreicherung 1. Gründe für das Verbot selektiver Informationsweitergabe a) Gleicher Informationszugang b) Integrität des Marktes für Wertpapieranalyse 2. Vorteile selektiver Kapitalmarktkommunikation
a) Steigerung der Informationseffizienz b) Förderung der Analystenaufmerksamkeit c) Die besondere Bedeutung selektiver Informationsweitergabe für kleine und junge Emittenten 3. Empirische Evidenz VI. Rechtsdogmatische Behandlung von Vermeidungsstrategien 1. Die Kodierungsstrategie 2. Klarstellungs- und Bestätigungsfälle a) Bestätigte Information b) Bestätigung als Information c) Kursreaktion nach der Bestätigung als Indiz 3. Mosaik-Fälle 4. Die „Salami-Taktik“ 5. „Fährten-Fälle“ VII. Ergebnisse
I. Einleitung Das Prinzip des gleichen Informationszugangs (equal access) ist der oberste Grundsatz des europäischen1 und deutschen2 Insiderrechts. In seinem Spector-
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1 Erwägungsgrund Nr. 5 InsiderRL; EuGH v. 10.5.2007 – Rs. C-391/04, Slg. 2007. I-3741 Tz. 37 (Georgakis); EuGH v. 22.11.2005 – Rs. C-384/02, Slg. 2005, I-9939 Tz. 33 (Grøngaard und Bang). Die MarktmissbrauchsRL baut nicht ausdrücklich auf den Gedanken der Chancengleichheit auf (Moloney, EC Securities Regulation, 2nd Ed. 2008, S. 942); er lässt sich jedoch einer Reihe von Erwägungsgründen und Einzelvorschriften entnehmen; siehe EuGH v. 23.12.2009 – Rs. C-45/08, ZIP 2010, 78 Rz. 47 ff. (Spector Photo Group) und dazu Klöhn, ECFR 2010, 347, 358. Vgl. im Übrigen bereits Report of a Group of Experts appointed by the EEC Commission, The Development of a European Capital Market, 1966, S. 249. 2 Siehe nur Begr. RegE 2. FMFG BT-Drucks. 12/6679, S. 47; Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Vor § 12 Rz. 45 (der allerdings skeptisch ist, ob
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Urteil – dem ersten Urteil zum Insiderhandelsverbot der Marktmissbrauchsrichtlinie3 – beschreibt der EuGH die Herstellung von Chancengleichheit als „die Zielsetzung der Richtlinie, in deren Licht“ zu beurteilen ist, ob eine Insiderinformation i. S. v. Art. 2 Abs. 1 MarktmissbrauchsRL genutzt wurde4. Es ist zu erwarten, dass der EuGH dieses Prinzip nicht nur – wie in Spector – bei der Interpretation des Erwerbs- und Veräußerungsverbots (Art. 2 Abs. 1 MarktmissbrauchsRL, umgesetzt in § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG), sondern auch bei der Auslegung des Weitergabeverbots gemäß Art. 3 lit. a MarktmissbrauchsRL (umgesetzt in § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG) heranziehen wird. Dies wirft einige Fragen vergleichender, ökonomischer und dogmatischer Art auf, die hier exemplarisch anhand der in praxi bedeutsamen Fallgruppe der privaten Kommunikation von Emittenten mit Analysten, Ratingagenturen und anderen professionellen Marktteilnehmern (Fondsmanagern, Großaktionären etc.) besprochen seien.
II. Insiderrechtlicher Rahmen in Deutschland Im deutschen Insiderrecht5 setzen drei6 Normen der Kommunikation des Emittenten mit ausgewählten Marktteilnehmern Grenzen: § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG verbietet es, anderen eine Insiderinformation unbefugt mitzuteilen oder zugänglich zu machen. Geschieht die Weitergabe befugt i. S. v. § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG, bestimmt § 15 Abs. 1 Satz 4 WpHG, dass die Information gleichzeitig veröffentlicht werden muss, wenn der Empfänger nicht zur Vertraulichkeit verpflichtet ist. Erfolgt die Mitteilung oder Zugänglichmachung der Insiderinformation unwissentlich, so ist die Veröffentlichung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 5 WpHG unverzüglich nachzuholen. Während diese Normen dafür sorgen, dass Insiderinformationen möglichst nicht selektiv verbreitet werden, bezweckt § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG, dass von vornherein möglichst wenig Gelegenheit zur selektiven Weitergabe entsteht, und ordnet an, dass alle Insiderinformationen, die den Emittenten unmittelbar betreffen, unverzüglich zu veröffentlichen sind. Das deutsche Recht hat somit eine relativ leicht nachzuvollziehende Struktur: Für die selektive Informationsweitergabe bleibt nur Raum, wenn nicht § 15
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man diesem Gedanken für sich genommen ein operationales Rechtsanwendungsleitbild entnehmen kann); Mennicke in Fuchs, WpHG, 2009, Vor §§ 12 bis 14 Rz. 133; K.-P. Weber, Insiderrecht und Kapitalmarktschutz, 1999, S. 197 ff. Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 28.1.2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. Nr. L 96 v. 12.4. 2003, S. 16. EuGH v. 23.12.2009 – Rs. C-45/08, ZIP 2010, 78 Rz. 61 (Spector Photo Group). Außer Betracht bleiben andere Normen des Aktien- und Kapitalmarktrechts, aus denen sich eine Pflicht zur Gleichbehandlung ergeben kann (z. B. § 53a AktG, § 15 Abs. 5 WpPG, § 30e WpHG). Für einen Überblick siehe Bachmann in FS Schwark, 2009, S. 331, 332 ff.; Fleischer, ZGR 2009, 505, 511 ff.; Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 525 ff. sowie unten Fn. 10. § 15 Abs. 1 Satz 4 u. 5 WpHG wird als eine Norm gezählt.
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Grenzen des insiderrechtlichen Verbots selektiver Informationsweitergabe
Abs. 1 Satz 1 WpHG eingreift, d. h. wenn entweder keine den Emittenten unmittelbar betreffende Insiderinformation vorliegt oder diese Information aufgrund vorrangiger Geheimhaltungsinteressen nicht veröffentlicht werden muss. Innerhalb des so abgesteckten Raums errichtet § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG eine erste Grenze und verbietet jede unbefugte Weitergabe von Insiderinformationen7. Erfolgt die Weitergabe der Insiderinformation befugt8, muss der Emittent sie gleichwohl veröffentlichen, wenn der Empfänger nicht zur Vertraulichkeit verpflichtet ist (§ 15 Abs. 1 Satz 4 u. 5 WpHG)9. Auf der sicheren Seite stehen Emittenten und für sie handelnde Personen, wenn sie bei ihrer Kommunikation mit ausgewählten Marktteilnehmern schon keine Insiderinformation weitergeben10.
III. Beispielsfälle Ob diese Grenze überschritten ist, kann in Einzelfällen sehr zweifelhaft sein, wie die folgenden Beispiele verdeutlichen:
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7 Freilich entfällt in diesem Fall in der Regel auch das Privileg des § 15 Abs. 3 WpHG, denn Voraussetzung hierfür ist, dass der Emittent die Vertraulichkeit der Information gewährleisten kann (vgl. dazu Bachmann in FS Schwark, 2009, S. 331, 341 m. w. N.). Die weitergegebene Insiderinformation ist also gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG zu veröffentlichen, wenn sie den Emittenten unmittelbar betrifft. 8 Die in Deutschland herrschende Ansicht hält die selektive Informationsweitergabe an professionelle Marktteilnehmer grundsätzlich für unbefugt, siehe etwa Assmann, AG 1997, 50, 57; Bachmann in FS Schwark, 2009, S. 331, 337; Ekkenga, NZG 2001, 1, 3; Fleischer, ZGR 2009, 505, 512; Mennicke in Fuchs, WpHG, 2009, § 14 Rz. 263; Sven H. Schneider, NZG 2005, 702, 706 (der die Weitergabe an Rating-Agenturen unter Umständen für befugt hält); Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 533; eine Ausnahme für die selektive Informationsweitergabe an Rating-Agenturen befürwortend, wenn diese öffentlich verfügbare Ratings erstellen: Klöhn, WM 2010, 1869, 1875 f. 9 Hier sind viele Fragen offen, insbesondere ob § 15 Abs. 1 Satz 4 u. 5 WpHG nur unmittelbar den Emittenten betreffende Insiderinformationen erfasst (dafür Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 15 Rz. 114; dagegen Bachmann in FS Schwark, 2009, S. 331, 340; Klöhn, WM 2010, 1869, 1877 f.; Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 2008, § 17 Rz. 48; Leuering, NZG 2005, 12, 14; Simon, Der Konzern 2005, 13, 18) und ob das allgemeine Insiderhandelsverbot gemäß § 14 WpHG als Vertraulichkeitsverpflichtung i. S. v. § 15 Abs. 1 Satz 4 WpHG ausreicht (dafür Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 15 Rz. 117; v. Falkenhausen/Widder, BB 2005, 225, 227; Simon, Der Konzern 2005, 13, 19; dagegen Pfüller in Fuchs, WpHG, 2009, § 15 Rz. 312; Leuering, NZG 2005, 12, 16; Versteegen in Kölner Kommentar zum WpHG, 2007, § 15 Rz. 225). 10 Ziff. 6.3 DCGK verbietet selbst die selektive Weitergabe von Informationen unterhalb der Kursrelevanzschwelle (vgl. dazu Bachmann in FS Schwark, 2009, S. 331, 344; Fleischer, ZGR 2009, 505, 513 f. m. w. N.). Von dieser Empfehlung können Emittenten jedoch abweichen, wenn sie dies erklären. § 30a WpHG verbietet im Grundsatz jede Ungleichbehandlung von Inhabern zugelassener Wertpapiere, könnte also auch der selektiven Informationsweitergabe unterhalb der Kursrelevanzschwelle entgegenstehen. Diese Norm hat aber keine hohe Bedeutung: Zum einen erfasst sie nicht die in praxi wichtige Informationsweitergabe an Analysten, zum anderen liegt kein Verstoß vor, soweit die Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt ist. Schließlich enthält das WpHG keine Sanktionen beim Verstoß gegen diese Norm (dazu Bachmann in FS Schwark, 2009, S. 331, 333).
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Lars Klöhn Fall 1 (Bestätigung früherer Veröffentlichungen)11: Der Chief Financial Officer (CFO) des börsennotierten Unternehmens Siebel Systems, Inc. äußerte sich am 30.4.2003 anlässlich eines exklusiven Abendessens, das von der Investmentbank Morgan Stanley veranstaltet wurde, sowie bei einem Einzelgespräch mit einem institutionellen Investor optimistisch über die Zukunft seines Unternehmens. Im einzelnen sagte er, der Beschäftigungsgrad sei „gut“ und „besser“ (als vorher), neue Geschäftsabschlüsse seien „in der Pipeline“, diese sei „wachsend“, insbesondere habe man „einige Fünf-Millionen-Dollar Deals in der Pipeline“. Eine Woche vorher, am 23.4.2003, hatte bereits der Chief Executive Officer (CEO) von Siebel in einer öffentlich übertragenen Telefonkonferenz gesagt: „Our guidance and license revenue for the quarter is 120 to 140 million range. I think that we’ll see lots of small deals. We’ll see some medium deals. We’ll see a number of deals over a million dollars. And I suspect we’ll see some greater than five. And now that’s what the mix will look like“. Nach den privaten Äußerungen des CFO am 30.4. stieg Siebels Aktienkurs um ca. 8 %, ohne dass diese Informationen öffentlich bekannt gemacht worden wären. Fall 2 (Konkretisierung früherer Veröffentlichungen)12: Der börsennotierte Mobiltelefonhersteller Motorola, Inc. gab am 23. Februar 2001 bekannt, dass man in einem Geschäftssegment für das aktuelle Quartal eine „signifikante Schwäche“ („significant weakness“) erwarte. Der für investor relations zuständige Direktor fand, dass einige Analysteneinschätzungen nach dieser Bekanntgabe zu hoch waren. Nach Absprache mit der Rechtsabteilung rief er diese Analysten an, um ihre Modelle zu besprechen und klarzustellen, dass man bei Motorola unter dem Begriff „signifikant“ einen Rückgang von mindestens 25 % verstehe. Fall 3 (Die Kodierungsstrategie)13: Wie ist Fall 2 zu entscheiden, wenn ein Mitarbeiter von Motorola in einer privaten Analystenkonferenz prognostiziert, man erwarte im nächsten Quartal eine „signifikante Steigerung der Gewinne“, und man in der Vergangenheit unter „signifikant“ stets eine Veränderung von mindestens 25 % meinte, was auch jedem im Raum anwesenden Analysten klar ist. Fall 4 (Mosaik-Fälle)14: Sachverhalt wie in Fall 3, doch ist der Begriff signifikant nicht durch bisherige Übung festgelegt (und die Ankündigung der Gewinnsteigerung auch im Übrigen nicht als kursrelevant i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG zu qualifizieren). Analyst A, der das Geschäft von Motorola bestens kennt, kann aufgrund zahlreicher anderer öffentlich bekannter Informationen, die er zusammengesucht hat, der Äußerung entnehmen, in welchem Bereich die Gewinne steigen und dass deshalb der Fundamentalwert des Emittenten vom Markt unterschätzt wird.
IV. Rechtsvergleichender Seitenblick: Regulation Fair Disclosure in den USA Während Fälle wie die vorliegenden in Deutschland und Europa kaum gerichtsbekannt geworden sind, können US-amerikanische Kapitalmarktrechtler
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11 SEC v. Siebel Systems, Inc., 384 F.Supp. 2d 694 (S.D.N.Y 2005). 12 Section 21(a) Report of Investigation: Motorola, Inc., SEC Release No. 34-46898 (Nov. 25, 2002). 13 Vgl. SEC, Release No. 33-7881, 34-43154 (August 24, 2000) sub. II. B. 2.; Section 21(a) Report of Investigation: Motorola, Inc., SEC Release No. 34-46898 (Nov. 25, 2002), sub. III. 4. 14 Vgl. dazu den Beispielsfall von Cox/Hillman/Langevoort, Securities Regulation, Cases and Materials, 6th Ed. 2009, S. 911.
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auf einen größeren Erfahrungsschatz zurückgreifen. Im Mittelpunkt steht die von der Securities Exchange Commission (SEC) im Jahre 2000 erlassene Regulation Fair Disclosure (Regulation FD)15. 1. Gesetzgebungsimpuls Gesetzgebungsimpuls dieser Regelung waren zahlreiche, teils hervorstechend publizierte Fälle selektiver Informationsweitergabe in dem boomenden USAktienmarkt der späten 1990er Jahre16. In den meisten Fällen ging es – wie in den Beispielsfällen – darum, dass der Chief Financial Officer oder andere Mitglieder des Managements börsennotierter Emittenten Analysten oder institutionellen Investoren in Einzelgesprächen oder Telefonkonferenzen geheime kursrelevante Daten – typischerweise Gewinnvorhersagen oder Gewinnwarnungen – exklusiv zukommen ließen. Diese Praxis sah die SEC als unvereinbar mit dem Prinzip des equal access und daher regulierungsbedürftig an17. 2. Wesentlicher Inhalt Rule 100(a) Regulation FD bestimmt: Wenn ein Emittent oder eine in seinem Auftrag handelnde Person kursrelevante nicht öffentlich bekannte Informationen, die den Emittenten oder seine Wertpapiere betreffen, bestimmten näher bezeichneten Adressaten bekannt gibt, so muss er diese Informationen öffentlich aufdecken, und zwar gleichzeitig bei willentlicher Aufdeckung und unverzüglich bei nicht-willentlicher Aufdeckung18. Dies gilt nicht, wenn der Empfänger der Information dem Emittenten gegenüber zur Geheimhaltung verpflichtet ist, sei es, dass sich diese Pflicht aus seinem Rechtsverhältnis zum Emittenten ergibt (wobei als Beispiele Anwälte, Investmentbanker und Wirtschaftsprüfer genannt werden), sei es, dass er sich ausdrücklich zur Geheimhaltung verpflichtet. 3. Rechtliches Umfeld Die Bedeutung von Regulation FD kann man nur verstehen, wenn man sich das Rechtsumfeld verdeutlicht, in das sie eingebettet wurde. Das US-amerikanische Recht erlaubte selektive Informationsvorgabe bis zum Erlass von Regulation FD viel großzügiger als das europäische und deutsche Kapitalmarktrecht.
__________ 15 Aus dem deutschen Schrifttum ausführlich Drygala, WM 2001, 1282 u. 1313; siehe außerdem Fleischer, ZGR 2009, 505, 515 ff.; Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, 2006, S. 160 f., 167 f.; Seibt, ZGR 2006, 501, 511 ff. 16 SEC Release No. 33-7787, 34-42259 (Dec. 20, 1999), sub. II. A. m. w. N. 17 SEC Release No. 33-7881, 34-43154 (August 24, 2000), sub. II. A. et passim. 18 Rule 100(a) Regulation FD: „Whenever an issuer, or any person acting on its behalf, discloses any material nonpublic information regarding that issuer or its securities to any person described in paragraph (b)(1) of this section, the issuer shall make public disclosure of that information as provided in § 243.101(e): (1) Simultaneously, in the case of an intentional disclosure; and (2) Promptly, in the case of a non-intentional disclosure“.
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a) Insiderrechtliches Weitergabeverbot Dies gilt zunächst für das insiderrechtliche Weitergabeverbot (Äquivalent zu Art. 3 lit. a MarktmissbrauchsRL, § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG): In der grundlegenden Entscheidung Chiarella v. United States aus dem Jahre 1980 hatte der US Supreme Court es abgelehnt, das Insiderhandelsverbot auf den Gedanken des equal access zu stützen19. Auf der Grundlage von Chiarella entschied der Supreme Court sodann in Dirks v. SEC, dass der Empfänger einer Insiderinformation (tippee) nur dann einem Erwerbs- oder Veräußerungsverbot unterliegt, wenn ihm diese Information missbräuchlich (improperly) zugänglich gemacht wurde20. Leitete das Management des Emittenten Informationen an Analysten und institutionelle Investoren weiter, war sehr umstritten, wann die Missbrauchsschwelle überschritten war21. In Betracht kam dies vor allem, wenn das Management einen persönlichen Vorteil aus der Weitergabe der Information zog, sei es ein monetärer oder ein Reputationsgewinn22. Abseits solcher Missbrauchsfälle durfte das Management Informationen weitergeben, und die Informationsempfänger durften sie verwerten. Die Grenzen waren unklar23. b) Ad-hoc-Publizitätspflicht Außerdem kannte das US-amerikanische Bundesrecht bei Inkrafttreten von Regulation FD keine allgemeine Pflicht zur Veröffentlichung aller kursrelevanten Informationen, die den Emittenten unmittelbar betreffen24. Die Verpflichtung zur anlassbezogenen Publizität gemäß § 13(a)(1) Securities Exchange Act, die durch Securities Exchange Act Rule 13a-11 und das darauf beruhende Formblatt 8-K konkretisiert wurde, beschränkte sich auf bestimmte kursrelevante Ereignisse, etwa den Abschluss, die Änderung oder Beendigung wesentlicher Vereinbarungen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsablaufs, den erheblichen Wertverfall bestimmter Vermögensgegenstände oder erhebliche Veränderungen der Aktionärsrechte25. In dieser Regelung nicht aufgeführte Informationen konnten grundsätzlich selektiv weitergegeben werden.
__________ 19 20 21 22
Chiarella v. United States, 445 U.S. 222, 232 (1980). Dirks v. SEC, 463 U.S. 646, 660 (1983). Ausführlich Brountas, 92 Colum. L. Rev. 1517 (1992). Dirks v. SEC, 463 U.S. 646, 663 (1983): „the initial inquiry is whether there has been a breach of duty by the insider. This requires courts to focus on objective criteria, i. e., whether the insider receives a direct or indirect personal benefit from the disclosure, such as a pecuniary gain or a reputational benefit that will translate into future earnings“. Zu einem solchen Fall siehe SEC v. Phillip J. Stevens, Litigation Release No. 12813 (Mar. 19, 1991). 23 SEC Release No. 33-7787, 34-42259 (Dec. 20, 1999), sub. II. A. 24 SEC Release No. 33-7787, 34-42259 (Dec. 20, 1999), sub. II. A. 25 Weitergehende Verpflichtungen waren allerdings in den meisten Regelwerken der Börsen und Handelssysteme enthalten, siehe etwa das damalige NYSE Listed Company Manual, para 202.05 (Timely Disclosure of Material News Developments) oder die damaligen NASD Rules 4310(c)(16), 4320(e)(14) und IM-4120-1 (Disclosure of Material Information). Mit dem Sarbanes Oxley Act 2002 wurde auch im Bundesrecht die Pflicht geschaffen, alle wesentlichen Änderungen (material changes) der
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4. Rechtsvergleichender Ertrag Der rechtsvergleichende Ertrag der vorstehenden Überlegungen lässt sich wie folgt zusammenfassen: Sowohl in den USA als auch in Europa und Deutschland werden der selektiven Informationsweitergabe durch das insiderrechtliche Weitergabeverbot und durch ein spezielles Verbot des selective disclsoure Grenzen gesetzt. In beiden Regelungen wird die selektive Informationsweitergabe durch anlassbezogene Veröffentlichungspflichten eingedämmt. Zwischen beiden Rechtsordnungen existieren wichtige Unterschiede26: Das europäische und deutsche Insiderrecht verbietet selektive Informationsweitergabe rigoroser als das amerikanische Insiderhandelsverbot. Dafür kommt der amerikanischen Regulation FD eine höhere praktische Bedeutung zu als § 15 Abs. 1 Satz 4 u. 5 WpHG. Gleichwohl bieten die Vereinigten Staaten einen fruchtbaren Boden für rechtsvergleichende Forschung, denn die für das deutsche Recht entscheidenden Fragen werden unter Regulation FD ebenfalls unter dem Leitprinzip des gleichen Informationszugangs aller Anleger (equal access) diskutiert.
V. Rechtsökonomische Anreicherung Die Beurteilung der privaten Kommunikation mit ausgewählten Marktteilnehmern fällt leichter, wenn man sich die rechtsökonomischen Gründe vor Augen führt, die für und gegen die selektive Informationsweitergabe am Kapitalmarkt sprechen. 1. Gründe für das Verbot selektiver Informationsweitergabe Für das Verbot selektiver Informationsweitergabe lassen sich im Wesentlichen zwei Argumente anführen. a) Gleicher Informationszugang Sowohl die SEC als auch die Europäische Kommission stützen ihre Regelungen auf den Gedanken des gleichen Informationszugangs (equal access). Durch den Abbau von Informationsnachteilen gegenüber professionellen Investoren soll das Vertrauen der Kleinanleger auf die Chancengleichheit und Integrität des Marktes geschützt bzw. wiederhergestellt werden27. Zur rechtsökonomischen Untermauerung dieses Fairness-Arguments kann man auf eine reichhaltige Literatur in der Kapitalmarkttheorie verweisen, die gezeigt hat, dass Marktteilnehmer das Risiko, mit besser informierten Händlern zu kontrahieren (adverse selection risk), bei der Preisbildung am Kapitalmarkt berücksichti-
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Finanzlage und Geschäftstätigkeit zu veröffentlichen, siehe § 13(l) Securities Exchange Act. Instruktiv zum US-amerikanischen Recht der Ad-hoc-Publizität aus dem deutschen Schrifttum Pfüller in Fuchs, WpHG, 2009, § 15 Rz. 460 ff. 26 Zu weiteren Unterschieden Klöhn, WM 2010, 1869, 1870 f. 27 SEC Release No. 33-7787, 34-42259, Dec. 20, 1999, sub. II. A; Erwägungsgrund Nr. 24 MarktmissbrauchsRL; inzident Begr. RegE AnSVG, BT-Drucks. 15/3174, S. 26.
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gen28. Der Abbau von Informationsasymmetrien senkt also den Risikoaufschlag, den Anleger für die Investition in Wertpapiere verlangen. Dies wiederum führt zu einem höheren Angebot an Risikokapital und Wertpapierpreisen, die den Fundamentalwert der Unternehmen genauer abbilden. b) Integrität des Marktes für Wertpapieranalyse Die SEC verfolgte neben dem Schutz der Chancengleichheit noch ein weiteres Ziel, das der europäische Gesetzgeber nicht ausdrücklich erwähnt. Es ging um die Integrität des Marktes für Wertpapieranalyse. Erstens wollte man dem Management des Emittenten die Gelegenheit abschneiden, bestimmte Informationen wie eine Ware selektiv an Analysten und institutionelle Investoren weiterzugeben, um im Gegenzug freundliche Berichterstattung zu erhalten29. Zweitens sollten Analysten aus einem allfälligen Interessenkonflikt befreit werden. Um exklusiven Zugang zu relevanten Informationen zu erhalten, hatten sie einen Anreiz, freundlich über Emittenten zu berichten30. Können Emittenten solche Informationen nicht anbieten, entfällt der Interessenkonflikt der Analysten. Die Qualität der Analystenvorhersagen sollte steigen. 2. Vorteile selektiver Kapitalmarktkommunikation Trotz dieser Gründe ist das Verbot selektiver Informationsweitergabe keineswegs unumstritten. Es gibt Argumente dafür, dass ein Maß „effizienter Ungleichbehandlung“ die Integrität des Kapitalmarktes stärkt. Diese Gründe lassen sich als Antithesen zu den soeben genannten Argumenten verstehen. a) Steigerung der Informationseffizienz Selektive Informationsweitergabe kann die Informationseffizienz des Kapitalmarktes stärken. Sie erhöht die Bereitschaft des Emittenten, schwierig zu kommunizierende Informationen mit professionellen Marktteilnehmern zu teilen. Muss das Management Informationen stets allen Marktteilnehmern bekannt geben, fürchtet es, dass das breite Anlegerpublikum die Neuigkeiten fehlinterpretiert, und sieht daher möglicherweise ganz von der Information ab (sog. chilling effect)31. Bei professionellen Anlegern ist diese Gefahr nicht ebenso hoch. Sie können Informationen besser einschätzen, Rückfragen stellen und Unklarheiten beseitigen.
__________ 28 Grundlegend Easley/O’Hara, 59 J. Fin. 1553 (2004). 29 SEC Release No. 33-7787, 34-42259, Dec. 20, 1999, sub. II. A.; vgl. auch Choi/Fish, 113 Yale L.J. 269, 288 f. (2003). 30 SEC Release No. 33-7787, 34-42259, Dec. 20, 1999, sub. II. A. mit Verweis auf zahlreiche Presseberichte. 31 Siehe etwa Fox, 41 Va. J. Int’l. L. 653, 674 (2001).
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b) Förderung der Analystenaufmerksamkeit Auch für den Markt für Wertpapieranalyse ist selektive Informationsweitergabe nicht nur schlecht. Denn sie dient dem legitimen Interesse von Emittenten, Analystenaufmerksamkeit zu erwecken32. Analysten haben Informationskosten. Selektive Informationsweitergabe senkt diese Kosten. Mehr selektive Informationsweitergabe kann also zu höherer Analystenaufmerksamkeit und einer besseren Berichterstattung führen. Dies senkt die Informationskosten des gesamten Kapitalmarktes. c) Die besondere Bedeutung selektiver Informationsweitergabe für kleine und junge Emittenten Diese Vorteile selektiver Informationsweitergabe sollten vor allem kleineren und jüngeren Emittenten zugute kommen: Erstens müssen gerade sie teils sehr schwer zu verstehende, komplexe Informationen an den Markt weitergeben (man denke an die Geschäftsmodelle von Start-up-Unternehmen der New Economy). Zweitens zögern Analysten vor allem, kleine und junge Emittenten zu beobachten, da die Informationskosten aus den genannten Gründen am höchsten sind. 3. Empirische Evidenz Die vorstehenden Argumente sind empirisch überprüft worden. Dies erleichtert die Folgenabschätzung und kann im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben (siehe VI.)33 auch bei der Auslegung des deutschen Rechts berücksichtigt werden34. Die Studien betreffen vor allem die Auswirkungen von Regulation FD auf das Verhalten von Analysten und die Qualität ihrer Vorhersagen, auf die Markteffizienz und -liquidität sowie auf die Kapitalkosten. Sie haben in zahlreichen Punkten widersprüchliche Ergebnisse geliefert, einige Resultate dürfen jedoch als gesichert bezeichnet werden. Sie lassen sich wie folgt zusammenfassen: – Regulation FD hat die Informationskosten der Analysten erhöht35, es ist dadurch zu einem Wechsel der Analystenaufmerksamkeit gekommen: Kleine Emittenten verlieren Aufmerksamkeit, große Emittenten gewinnen Aufmerksamkeit hinzu36. Ob die durchschnittliche Qualität der Analysten-
__________ 32 33 34 35
Choi, 35 U.C. Davis L. Rev. 533, 544 (2002). Hierauf wird sogleich unter VI. vor 1. zurückgekommen. Ausführlich Klöhn, WM 2010, 1869, 1873 f. Irani/Karamanou, 17 Acc. Horizons 15 (2003); Mohanram/Sunder, 23 Contemp. Acct. Res. 491 (2006). 36 Gomes/Gorton/Madureira, 13 J. Corp. Fin. 300 (2007): Kleine Emittenten verzeichnen durchschnittlich eine Einbuße in Höhe von 17 % an Aufmerksamkeit, große Emittenten gewinnen 7 % hinzu.
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prognosen abgenommen hat, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen37. Es gibt jedoch gewichtige Anzeichen, dass Anleger ihnen weniger Gewicht zumessen38. – Marktweite Einbußen an Liquidität und Informationseffizienz sind bisher nicht zweifelsfrei erwiesen39. Auch verallgemeinerungsfähige Aussagen über die marktweiten Kapitalkosten lassen sich der bisherigen empirischen Forschung nicht entnehmen. Es spricht jedoch einiges dafür, dass zumindest die Kapitalkosten kleiner Emittenten gestiegen sind40, insbesondere wenn sie komplizierte Informationen mit dem Markt teilen müssen41.
VI. Rechtsdogmatische Behandlung von Vermeidungsstrategien Die rechtsökonomischen Ergebnisse sind nicht nur de lege ferenda, sondern auch de lege lata beachtlich. Das Verbot selektiver Informationsweitergabe möchte das Vertrauen der Anleger auf die Integrität der Märkte schützen, indem es Informationsasymmetrien zwischen Privat- und professionellen Anlegern abbaut. Dies kommt den Emittenten zugute, da deren Kapitalkosten sinken. Ein zu streng angewandtes Verbot selektiver Informationsweitergabe führt jedoch zu exakt diesen Wirkungen. Die empirische Evidenz aus den USA bestätigt diese These zumindest für kleine Emittenten mit schwer zu kom-
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37 Für Qualitätsabnahme Agrawal/Chadha/Chen, 79 J. Bus. 2811 (2006); für höhere Genauigkeit der Analystenvorhersagen Mohanram/Sunder, 23 Contemp. Acct. Res. 491 (2006); keinen Effekt konnten feststellen Shane/Soderstrom/Yoon, Earnings and Price Discovery in the Post-Reg. FD Information Environment: A Preliminary Analysis (November 15, 2001), http://ssrn.com/abstract=291082; Bailey/Li/Mao/Zhong, 58 J. Fin. 2487 (2003); Heflin/Subramanyam/Zhang, 78 Acc. Rev. 1 (2003). 38 Gitschel/Markov, 37 J. Acc. Econ. 293 (2004). Besonders auffällig ist dieser Effekt bei prestigereichen und optimistischen Analysten, was darauf schließen lässt, dass diese am meisten von selektiver Informationsweitergabe profitierten, Gitschel/Markov, 37 J. Acc. Econ. 293, 294 (2004). Außerdem ist der Effekt größer bei growth stocks, bei denen offenbar kompliziertere Informationen nachgefragt wurden, Gitschel/Markov, 37 J. Acc. Econ. 293, 294 f. (2004). 39 Für weniger Informationsasymmetrie und geringere Handelskosten Chiyachantana/ Jiang/Taechapiroontong/Wood, 39 Fin. Rev. 549 (2004); Eleswarapu/Thompson/ Venkataraman, 39 J. Fin. & Quant. An. 209 (2004); für höhere Informationsasymmetrien und einen höheren adverse selection component in der Geld-Brief-Spanne von Marktmachern Straser, Regulation Fair Disclosure and Information Asymmetry (March 2002), http://ssrn.com/abstract=31130; Sidhu/Smith/Whaley/Willis, Regulation Fair Disclosure and the Cost of Adverse Selection (August 20, 2007), http:// ssrn.com/abstract=917850. 40 Gomes/Gorton/Madureira, 13 J. Corp. Fin. 300 (2007); Duarte/Han/Harford/Young, 87 J. Fin. Econ. 24 (2008). Andere finden geringere durchschnittliche Kapitalkosten, stellen aber auch fest, dass dieser Effekt an kleinen Emittenten vorbei geht, was ebenfalls für einen asymmetrischen Nutzen von Regulation FD spricht, so Dhaliwal/ Chen/Xie, Regulation Fair Disclosure and the Cost of Equity Capital (June 15, 2009). Review of Accounting Studies (im Erscheinen), http://ssrn.com/abstract=930724. Wieder andere finden keine Veränderung der Kapitalkosten bei Emittenten, die an der NYSE oder American Stock Exchange (Amex) gelistet sind, jedoch eine Erhöhung der Kapitalkosten für Emittenten, die in Nasdaq notieren, so Duarte/Han/Harford/ Young, 87 J. Fin. Econ. 24 (2008). 41 Gomes/Gorton/Madureira, 13 J. Corp. Fin. 300 (2007).
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munizierender Information. Sie zeigt außerdem, dass Emittenten einen starken Anreiz haben, Informationen weiterhin selektiv an den Markt zu geben, vor allem, wenn sie eine geringe Analystenaufmerksamkeit erfahren. Die Frage lautet also: Wo verläuft die Grenze zwischen der legalen privaten Kommunikation mit Analysten und anderen professionellen Marktteilnehmern und der verbotenen selektiven Weitergabe von Insiderwissen? Wie gesehen, ist dies vor allem die Frage danach, ob Emittenten überhaupt eine Insiderinformation i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG weitergeben. Vor dem Hintergrund der USamerikanischen Erfahrungen mit Regulation FD sind fünf Fallgruppen zu unterscheiden. 1. Die Kodierungsstrategie Einen guten Einstieg verspricht die Analyse der oben genannten Kodierungsstrategie42. Die SEC hat schon früh darauf hingewiesen, dass diese Strategie nicht vor der Veröffentlichungspflicht nach Regulation FD schützt43. Dem wird man ohne Zögern zustimmen können, da es sich um klassische Umgehungsfälle handelt, deren Bewältigung auch in Deutschland keine Schwierigkeiten bereiten sollte44. Geschieht die kodierte Informationsweitergabe unbefugt, liegt also ein Verstoß gegen § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG vor, der grundsätzlich das Privileg des § 15 Abs. 3 WpHG entfallen lässt45. Geschieht die Weitergabe befugt, muss die kodierte Information (natürlich in allgemein verständlicher Form) gemäß § 15 Abs. 1 Satz 4 u. 5 WpHG veröffentlicht werden, wenn nicht der Empfänger i. S. v. § 15 Abs. 1 Satz 4 WpHG zur Geheimhaltung verpflichtet ist. 2. Klarstellungs- und Bestätigungsfälle Die praktisch höchste Bedeutung haben Klarstellungs- und Bestätigungsfälle (im Folgenden soll einheitlich von „Bestätigung“ gesprochen werden)46. Bei ihnen sollte man stets von der bestätigten Information, also dem „Objekt“ der Bestätigung, die Bestätigung als Information unterscheiden, also die Tatsache, dass jemand eine Bestätigung geäußert hat – eine Differenzierung, die deutschen Kapitalmarktrechtlern etwa aus der Diskussion um die Ad-hocPublizitätspflicht von Gerüchten47, Werturteilen48 oder von Prognosen49 wohl
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42 Siehe oben III. Fall 3. 43 SEC Release No. 33-7881, 34-43154 (August 24, 2000) sub. II. B. 2.; Section 21(a) Report of Investigation: Motorola, Inc., SEC Release No. 34-46898 (Nov. 25, 2002), sub. III. 4. 44 Ebenso unter dem alten Insiderrecht Drygala, WM 2001, 1313, 1321. 45 Vgl. oben II. Fn. 7. 46 Siehe oben III. Fall 1 u. 2. 47 Dazu Assmann, AG 1998, 438, 438 f.; Fleischer/Schmolke, AG 2007, 841; Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, 2006, S. 237 f. 48 Mennicke/Jakovou in Fuchs, WpHG, 2009, § 13 Rz. 62. 49 Dazu etwa Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 13 Rz. 22 (der zwischen Prognose als Information und dem prognostizierten Ereignis unterscheidet, beide freilich insiderrechtlich weitgehend gleich behandelt).
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bekannt ist, die der District Court von New York in dem oben genannten Beispielsfall 1 jedoch nicht gesehen hat50. a) Bestätigte Information Betrachtet sei zunächst die bestätigte Information. Da sie selektiv weitergegeben wird, ist sie nicht öffentlich bekannt. Gleichwohl liegt nur dann eine Insiderinformation i. S. v. § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG vor, wenn sie Kursrelevanz hat. Dies ist der Fall, wenn sie die bisher öffentlich verfügbare Gesamtheit an Informationen so ändert, dass ein verständiger Anleger sie bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde (§ 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG). Inwieweit sich die Informationslage geändert hat, hängt von zwei Größen ab: der neuen Information und dem bisherigen Fundus an öffentlich bekannten Informationen. Beide Größen sind vom Einzelfall abhängig. Subsumtionsfähige Obersätze für die Frage, ob die bestätigte Information kursrelevant ist, werden sich daher kaum aufstellen lassen. Möglich sind jedoch einige Orientierungshilfen, um den bisher gewonnenen Einsichten über die Vor- und Nachteile selektiver Informationsweitergabe auf Auslegungsebene Geltung zu verschaffen: Schnell Einigkeit sollte darüber zu erzielen sein, dass ein Wortlautvergleich früherer Stellungnahmen und der fraglichen Informationsweitergabe nicht allein den Ausschlag geben kann51. Rechtsökonomisch ist diese Regel zwingend, weil Emittenten ansonsten dazu verpflichtet wären, jede Mitteilung an Dritte, die im Wortlaut von früheren Mitteilungen abweicht, öffentlich bekannt zu machen, was schnell zu einer Informationsüberlastung (information overload) des Marktes führen würde. Dieser Gedanke lässt sich bruchlos in das geschriebene Recht integrieren, weil man von dem verständigen Anleger i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG eine gewisse Deutungsdiligenz verlangen52 und daher voraussetzen darf, dass er bei der Interpretation von Mitteilungen über deren Wortlaut hinausgeht. Auch im Übrigen sollten Gerichte stets nach dem inhaltlichen Kern der Information suchen und sich davor hüten, die Veränderung der bisherigen Informationslage mit allzu spitzfindigen linguistischen Betrachtungen zu begründen. So hatte die SEC in Beispielsfall 1 den Verstoß gegen Regulation FD unter anderem darauf gestützt, dass die früheren Stellungnahmen des CEO im Tempus der Zukunft gehalten waren („I think that we’ll see lots of small deals. We’ll see some medium deals. We’ll see a number of deals over a million dollars. And I suspect we’ll see some greater than five“), während sich der CFO bei
__________ 50 SEC v. Siebel Systems, Inc., 384 F.Supp. 2d 694, 705 (S.D.N.Y 2005): „As long as the private statement conveys the same material information that the public statement publicly conveyed, Regulation FD is not implicated, and hence no greater form of disclosure, pursuant to the regulation, is required“. 51 Hierzu SEC v. Siebel Systems, Inc., 384 F.Supp. 2d 694, 704 (S.D.N.Y 2005). 52 Dazu allg. Fleischer in 64. DJT, Gutachten F, 2002, S. 44; für die Prospektpublizität Klöhn in Langenbucher, Europarechtliche Bezüge des Privatrechts, 2. Aufl. 2008, § 6 Rn. 46 jeweils m. w. N.
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dem privaten Treffen mit Investoren im Präsens ausdrückte („Deals sind in der Pipeline“). Der District Court von New York ließ dies nicht gelten und warf der SEC vor, sie verlange von den Sprechern börsennotierter Gesellschaften, „linguistische Experten“ zu sein53. In der Begründung scheint die oben skizzierte Gefahr eines chilling effect unverkennbar durch: „Such an approach places an unreasonable burden on a company’s management and spokespersons to become linguistic experts, or otherwise live in fear of violating Regulation FD should the words they use later be interpreted by the SEC as connoting even the slightest variance from the company’s public statements.“54 Man wird sogar noch einen Schritt weitergehen können. Die empirischen Untersuchungen zu den Folgen von Regulation FD auf den US-amerikanischen Kapitalmarkt haben ergeben, dass Emittenten mit schwierig zu kommunizierender Information ein höheres legitimes Bedürfnis nach selektiver Informationsweitergabe haben als Emittenten mit einfach zu verstehender Information. Bei ihnen sollte die Schwelle zur Weitergabe von Insiderinformationen in den Bestätigungsfällen also höher sein. Auch dies ergibt sich schon aus dem geltenden Recht. Wie gesehen, hängt die Kursrelevanz der bestätigten Information davon ab, wie groß die Differenz zwischen der bisherigen Informationslage und dem Wert der neuen Information (im Folgenden: ∆) ist. Hieraus folgt zugleich, dass die Schwelle zur Kursrelevanz der Neuinformation umso höher liegt, je schwerer der Emittent z. B. aufgrund seines Alters, seines Geschäftskonzepts, der bisher über ihn öffentlich verfügbaren Informationen oder sonstiger Umstände zu bewerten ist. Denn je schwerer die Bewertung des Emittenten fällt, desto schwerer ist auch der Schluss von einem gegebenen ∆ auf die Kursrelevanz der Neuinformation. Während der verständige Anleger i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG bei einfach zu bewertenden Emittenten schon aus relativ geringfügigen Veränderungen der Informationslage Rückschlüsse auf deren faire Bewertung ziehen kann, braucht er bei schwer zu bewertenden Emittenten mehr Informationen. Folglich haben diese Emittenten mehr Freiheit, ausgewählte Marktteilnehmer selektiv zu informieren. b) Bestätigung als Information Bei der Bestätigung als Information geht es allein um den Informationswert der Bestätigung, d. h. der Tatsache, dass eine bestimmte zuvor öffentlich bekannt gegebene Information erneut bestätigt wird. Diese Sachverhalte sind nicht selten. So ermittelte die SEC gegen das Unternehmen Flowserve, nachdem dessen CEO am 19. November 2002 eine Gewinnschätzung vom 22.10.2002 privat schlicht bestätigt hatte55. In diesen Fällen auf die bestätigte Information als selektiv weitergegebene Information abzustellen, hilft nicht weiter, denn diese Information ist öffentlich bekannt und verliert auch nicht dadurch ihre öffentliche Bekanntheit, dass sie möglicherweise nicht mehr angemessen im Preis
__________ 53 SEC v. Siebel Systems, Inc., 384 F.Supp. 2d 694, 704 (S.D.N.Y 2005). 54 SEC v. Siebel Systems, Inc., 384 F.Supp. 2d 694, 704 (S.D.N.Y 2005). 55 SEC v. Flowserve Corp., SEC Litigation Release No. 119154 (Mar. 24, 2005).
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reflektiert ist56. Nicht öffentlich bekannt ist jedoch die Tatsache, dass diese Information erneut bestätigt wurde. Die entscheidende Rechtsfrage lautet, ob die Bestätigung für sich genommen Kursrelevanz hat. Auch dies hängt davon ab, ob sie die Gesamtheit der bisher verfügbaren Informationen so ändert, dass ein verständiger Anleger ihr Gewicht beimessen würde. Dies wiederum ist abhängig davon, inwieweit die bestätigte Information trotz ihrer öffentlichen Bekanntheit angemessen im Preis reflektiert ist. Ist dies nicht der Fall, wird der verständige Anleger durch die Bestätigung darauf aufmerksam gemacht, seine bisherige Einschätzung der bestätigten Information zu überprüfen („Informationspotenzial“ der Bestätigung als Information). Daneben ist zu berücksichtigen, dass die Bestätigung – sofern sie nicht ohne wesentliche Kosten verifiziert oder widerlegt werden kann – aus Sicht der Marktteilnehmer eine Aussage über unsichere Umstände ist. Ihre Kursrelevanz hängt somit auch davon ab, als wie verlässlich sie anzusehen ist („Informationswert“ der Bestätigung als Information). Hierfür kommt es auf ihre Quelle an – ein von den Prognosen und Gerüchten bekanntes Kriterium57. Daneben wird man die Umstände berücksichtigen müssen, unter denen die Bestätigung geschah, und die Art und Weise, wie sie kommuniziert wurde. Rechtsvergleichendes Anschauungsmaterial bietet das Verfahren der SEC gegen ScheringPlough, in der die Behörde die Kursrelevanz der von dem CEO kommunizierten Informationen auch mit dessen Auftreten, Ton und Gebaren begründete58. c) Kursreaktion nach der Bestätigung als Indiz In der Praxis wird man zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen häufig auf die Kursreaktionen nach der selektiven Bestätigung verweisen. Verändert sich – wie in Beispielsfall 1 – der Marktpreis des Wertpapiers, dann könnte dies für die Kursrelevanz der selektiv weitergegebenen Informationen sprechen. Der BGH59, der Emittentenleitfaden der BaFin60 und die ganz überwiegende Literatur61 messen solchen Kursbewegungen bei öffentlichen Mitteilungen einen indiziellen Beweiswert zu, dessen Bedeutung mit dem Ausmaß des Kursausschlages steigt. Dies wird man vorsichtig auf Kursreaktionen (bzw. deren Ausbleiben) nach der privaten Bestätigung übertragen können, wenngleich diskon-
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56 Für die öffentliche Bekanntheit kommt es allein auf die Verfügbarkeit der Information an. Theoretisch ist denkbar, dass eine veröffentlichte Information so in den Hintergrund tritt, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Bestätigung nicht mehr als bekannt vorausgesetzt werden kann. In diesem, wohl kaum jemals praktisch werdenden Fall liegt in der Bestätigung gleichzeitig eine neue bestätigte Information. 57 Fleischer/Schmolke, AG 2007, 841, 842. 58 In re Schering-Plough Corporation, SEC Release No. 34-48461 (Sept. 9, 2003). 59 BGH, WM 2010, 399 – freenet. 60 BaFin, Emittentenleitfaden, Stand: 15. Juli 2005, sub. III.2.1.4. 61 Assmann in Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 13 Rz. 55; Klöhn, DB 2010, 769, 770; Loesche, Die Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung in den Insiderhandelsverboten des WpHG, 1998, S. 111 ff.; Mennicke/Jakovou in Fuchs, WpHG, 2009, § 13 Rz. 131; Pananis, Insidertatsache und Primärinsider, 1998, S. 104.
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tierend zu berücksichtigen ist, wie viele und welche Personen nach der selektiven Weitergabe Kenntnis von der Information hatten. Je kleiner und unbedeutender dieser Personenkreis, desto weniger verlässlich ist das Indiz, denn desto weniger verlässlich ist der Schluss von der Kursreaktion auf das Urteil eines verständigen Anlegers i. S. v. § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG62. 3. Mosaik-Fälle Von den Bestätigungsfällen abzugrenzen sind solche Fälle, in denen der Emittent selektiv eine für sich genommen irrelevante Information veröffentlicht, die der Adressat jedoch – gewissermaßen als letztes Stück eines Puzzles – benötigt, um selbst auf eine bisher nicht öffentlich bekannte, kursrelevante Information zu schließen63. Die SEC hat bereits bei der Verabschiedung von Regulation FD darauf hingewiesen, dass solche Mitteilungen nicht gegen das Verbot der selektiven Informationsweitergabe verstießen, wenn der Informationsadressat die neue Information aufgrund seines Spezialwissens zusammensetzt (also etwas schafft, wozu der „verständige Anleger“ i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG nicht imstande gewesen wäre)64. Dies ist richtig65. Erstens ist die von dem Emittenten aufgedeckte „Mosaik-Information“ für den Markt uninteressant, da sie für sich genommen keine Kursrelevanz hat. Die von dem Adressaten „zusammengesetzte“ Information aufzudecken, kann man von dem Emittenten nicht verlangen, da er sie selbst nicht kennt. Zweitens hat sich der Adressat den Informationsvorteil im Wesentlichen durch eigenen Aufwand und eigenes Wissen erarbeitet, so dass die Chancengleichheit der Marktteilnehmer nicht in rechtlich relevanter Weise beeinträchtigt wird66. Der Grundsatz des gleichen Informationszugangs ist ein Grundsatz formeller, nicht materieller Gleichheit. Er gewährleistet die Chancengleichheit unter den Marktteilenehmern, möchte aber nicht die Unterschiede einebnen, die sich aus der unterschiedlichen Erfahrung, dem Wissen und der Analysefähigkeit der Anleger ergeben. 4. Die „Salami-Taktik“ Anders ist die Rechtslage, wenn der Emittent eine kursrelevante Information in viele, für sich genommen irrelevante Informationen aufteilt und diese scheib-
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62 Dieser Gedanke leitete den District Court in SEC v. Siebel Systems, Inc., 384 F.Supp. 2d 694, 707 (S.D.N.Y 2005): „The mere fact that analysts might have considered Mr. Goldman's private statements significant is not, standing alone, a basis to infer that Regulation FD was violated“. 63 Siehe oben III. Fall 4. Drygala, WM 2001, 1313, 1320 ff. diskutiert unter dem Stichwort „Mosaiktheorie“ den grundsätzlichen Ansatz, wonach die Kurserheblichkeit einer Information auf der Grundlage der bisher veröffentlichten Information („total mix“) zu beurteilen ist. 64 SEC, Release No. 33-7881, 34-43154 (August 24, 2000) sub. II. B. 2. 65 Ebenso Fleischer, ZGR 2009, 505, 513. 66 Grundlegend zu diesem Gedanken im Rahmen des kapitalmarktrechtlichen Prinzips gleichen Informationszugangs Brudney, 93 Harv. L. Rev. 322, 339 ff. (1979); dies aufgreifend Klöhn, ECFR 2010, 347, 362 f.
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chenweise selektiv zugänglich macht („Salami-Taktik“). Hier liegt eine Umgehung vor, die bei unbefugter Weitergabe gegen § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG verstößt und unabhängig von der Befugnis zur Weitergabe eine Veröffentlichungspflicht nach § 15 Abs. 1 Satz 4 WpHG67 auslöst68. Dies ist dem Emittenten auch zumutbar, denn anders als in den Mosaik-Fällen kennt er die aufgeteilte Information. 5. „Fährten-Fälle“ Mit diesen Überlegungen lassen sich auch diejenigen Fälle lösen, die vielleicht das größte Kopfzerbrechen bereiten. Als „Fährten-Fälle“ lassen sich Sachverhalte bezeichnen, in denen Analysten und andere professionelle Marktteilnehmer keine für sich genommen kursrelevanten Informationen erhalten, sie aber durch die private Kommunikation mit dem Emittenten auf eine Fährte geleitet werden, auf der sie dann durch eigene Nachforschung kursrelevante Informationen erlangen. Zur Lösung dringt man vor, wenn man sich erneut verdeutlicht, dass der Grundsatz des gleichen Informationszugangs nur für Chancengleichheit unter den Anlegern sorgen will, aber nicht Unterschiede in deren Wissen und Analysefähigkeiten einebnen möchte. Deckt der Emittent Informationen auf, die den verständigen Anleger in die Lage versetzt hätten, auf die Insiderinformation zu schließen, liegt ein Verstoß gegen das Verbot der selektiven Informationsweitergabe vor. Der Emittent verletzt bei unbefugter Weitergabe § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG und muss unabhängig von der Befugnis zur Weitergabe die mittelbar bekannt gegebene Insiderinformation gemäß § 15 Abs. 1 Satz 4 WpHG unverzüglich bekannt machen. Dies ist ihm auch zumutbar, denn es handelt sich um eine Insiderinformation, die jeder verständige Anleger – also auch der Emittent – finden konnte. Ist die aufgrund der selektiven Informationsweitergabe gefundene Information so weit von der aufgedeckten Information entfernt, dass der verständige Anleger i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 2 WpHG sie nicht hätte finden können, scheidet ein Verstoß gegen das Verbot der selektiven Informationsweitergabe aus. Der Grundsatz der informationellen Gleichbehandlung ist nicht berührt. Dies ist auch deshalb richtig, weil man in diesen Fällen von dem Emittenten nicht erwarten kann, dass er die von dem Marktteilnehmer gefundene Information kennt. Eine Veröffentlichungspflicht ist ihm daher nicht zumutbar. Schließlich besteht eine legitime Funktion professioneller Informationsintermediäre – etwa von Analysten – gerade darin, nach neuen Informationen zu suchen, um die Informationseffizienz des Marktes zu stärken. Ebenso wie in den Bestätigungsfällen lassen die vorgenannten Grundsätze auch in den Mosaik- und Fährten-Fällen genügend Spielraum, um das legitime Infor-
__________ 67 Fälle unabsichtlicher Weitergabe solcher Informationen sind kaum denkbar. 68 Zur analogen Anwendung von § 15 Abs. 1 Satz 4 u. 5 WpHG auf die unbefugte Informationsweitergabe ausführlich Klöhn, WM 2010, 1869, 1878 ff. gegen die fast einhellig vertretene Ansicht.
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mationsbedürfnis kleiner und junger Emittenten zu berücksichtigen: Die Testfrage in diesen Fällen lautet, ob der verständige Anleger auf die Insiderinformation hätte schließen können. Dies wird bei kleinen und jungen Emittenten mit kompliziert zu kommunizierender Information grundsätzlich schwerer sein als bei etablierten Emittenten, deren Geschäftsmodelle besser bekannt sind. Folglich haben diese Emittenten mehr Freiheit, selektiv mit Investoren zu sprechen, ohne Insiderinformationen preiszugeben.
VII. Ergebnisse 1. Das Prinzip des gleichen Informationszugangs (equal access) ist ein Fundamentalprinzip des deutschen und europäischen Insiderrechts. Es ist davon auszugehen, dass der EuGH es nicht nur – wie im Spector-Urteil – bei der Auslegung des Erwerbs- und Veräußerungsverbot als systembildenden Gedanken heranzieht, sondern auch bei der Interpretation des allgemeinen insiderrechtlichen Weitergabeverbots (Art. 3 lit. a MarktmissbrauchsRL) und des speziellen Verbots selektiver Informationsweitergabe (Art. 6 Abs. 3 MarktmissbrauchsRL). 2. In rechtsökonomischer Hinsicht fällt das Urteil über selektive Informationsweitergabe am Kapitalmarkt differenziert aus. Wichtig ist es, die richtige Balance zu finden zwischen vertrauens- und effizienzschädigender Bevorzugung und übertriebener Kommunikationseindämmung, die denselben Effekt hat. Die Argumente für die Zulässigkeit selektiver Informationsweitergabe sind besonders stark, wenn es um Emittenten mit schwer zu kommunizierender Information geht (typischerweise junge und kleine Emittenten). 3. De lege lata geschieht diese Abgrenzung bereits bei der Beurteilung, ob selektiv an Analysten und andere professionelle Marktteilnehmer weitergegebene Informationen (neue) Insiderinformationen i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG sind. Unter Rückgriff auf rechtsvergleichende Erfahrungen mit der US-amerikanischen Regulation Fair Disclosure konnten folgende Leitlinien herausgearbeitet werden: a) Werden bereits veröffentlichte Informationen vom Emittenten privat bestätigt, so ist zu differenzieren zwischen dem Inhalt der Bestätigung (der bestätigten Information) und der „Bestätigung als Information“. Testfrage ist, ob diese Informationen die Gesamtheit aller bisher öffentlich bekannten Informationen so ändern, dass ein verständiger Anleger sie berücksichtigen würde. Dies ist aufgrund eines Inhaltsvergleichs mit den bisher veröffentlichten Informationen zu beurteilen. b) Werden Analysten und andere professionelle Marktteilnehmer durch eine an sich nicht kursrelevante Information auf eine Fährte geleitet, auf der sie auf eine Insiderinformation stoßen, kommt es darauf an, ob dies auch einem verständigen Anleger i. S. v. § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG möglich gewesen wäre. Stets zu prüfen ist, ob eine Gesetzesumgehung vorliegt. 649
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c) Entsprechend liegt in den „Mosaik-Fällen“ keine Weitergabe einer Insiderinformation vor, wenn der Informationsadressat ohne weitere Informationssuche aufgrund seines besonderen Vorwissens und seiner besonderen Kenntnisse auf eine neue Insiderinformation schließt. d) Die vorstehenden Grundsätze führen dazu, dass Emittenten mit schwer zu verstehender Information mehr Freiheit bei der selektiven Kommunikation mit professionellen Marktteilnehmern haben als Emittenten mit leicht zu kommunizierender Information.
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Beratung und Dokumentation nach dem § 34 Abs. 2a WpHG Inhaltsübersicht I. Beratung im Sinn der § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 und § 31 Abs. 4 WpHG 1. Empfehlung 2. Gestützt auf die Prüfung der persönlichen Umstände des Anlegers 3. Das Finanzinstrument wird als für den Kunden geeignet dargestellt 4. Öffentlichkeit, Informationskanäle 5. Bestimmte Finanzinstrumente II. Beratung im Sinn des § 34 Abs. 2a WpHG 1. Die Anlageberatung im Sinn des Aufsichtsrechts und des Zivilrechts
2. Der Begriff Anlageberatung im Sinn des § 34 Abs. 2a WpHG 3. Einzelheiten III. Schriftliches, unterzeichnetes Protokoll, Ausfertigungen IV. Rücktrittsrecht 1. Voraussetzungen des Rücktrittsrechts 2. Rechtsnatur des Rücktrittsrechts V. Beweislast
I. Beratung im Sinn der § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 und § 31 Abs. 4 WpHG 1. Empfehlung Theoretisch lassen sich Empfehlung und bloße Information gut auseinanderhalten. Die Empfehlung ist ein Ratschlag, mit dem eine bestimmte Handlungsweise als vorteilhaft dargestellt wird1. Die Information ist dagegen im Kern die Mitteilung einer empirisch überprüfbaren Tatsache oder von Zahlen2. Aussagen über die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Entwicklung sind zwar ebenfalls wertender Natur, können aber als Information behandelt werden, wenn sie die Basis einer Handlungsanweisung bilden, erst recht wenn die Einschätzung der Entwicklung allgemein geteilt wird. Problematisch ist diese Unterscheidung in einer Welt, die vom Marketing durchdrungen ist. Wer Marketing betreibt, wählt Informationen unter dem Aspekt des Absatzerfolges aus. Wenn er diese Informationen präsentiert, so präsentiert er sie für den Adressaten als wichtig und bewertet sie damit. Es kommt dann nur noch darauf an, ob mit der Information ausdrücklich oder
__________ 1 Committee of European Securities Regulators, Consultation Paper „Understanding of the definition of advice under MiFID“ v. 14.10.2009, Ref. CESR/09-665 (zitiert CESR, Konsultation), Ziff. 12. Die Übermittlung einer Finanzanalyse, die zweifellos wertende Elemente enthält, ist daher nur als Empfehlung zu behandeln, wenn das analysierte Papier für den konkreten Kunden als geeignet dargestellt wird (Ziff. 19 f.). 2 CESR, Konsultation (Fn. 1), Ziff. 12 m. Beisp. in Ziff. 14.
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konkludent ein Ratschlag, eine Handlungsanweisung verbunden ist. Wie immer bei einer Kommunikation kann man diese aus der Sicht des Senders oder des Empfängers betrachten. Eine Beurteilung der Kommunikation ausschließlich aus der Sicht des Wertpapierdienstleistungsunternehmens verbietet sich schon deshalb, weil sie die Finanzdienstleistungsaufsicht weitgehend leer laufen lassen würde; denn die Wertpapierdienstleistungsunternehmen könnten außer in den klar zutage liegenden Fällen nur zu leicht behaupten, sie hätten keine Handlungsanweisungen erteilen wollen, sie hätten ihren Kunden nur Material zum Nachdenken liefern wollen. Ebenso scheidet eine Betrachtung der Kommunikation ausschließlich aus der Sicht der Anleger aus; denn dieser Ansatz würde die Wertpapierdienstleistungsunternehmen zwingen, zu vermuten, wie der konkrete Anleger die Kommunikation verstanden hat. Vorsichtshalber müsste jede Kommunikation als Empfehlung betrachtet werden. Wie bei der Auslegung von Willenserklärungen nach dem BGB empfiehlt es sich auch hier, darauf abzustellen, wie der Anleger die Kommunikation redlicherweise (reasonably3) verstehen durfte. Damit fließt ein objektiver Maßstab ein, der allerdings äußerst schwammig ist. Was bedeutet „redlicherweise“ oder „vernünftigerweise“ (reasonably)? Kommt es auf den Durchschnittsanleger der Kundengruppe im Sinn des § 31a WpHG oder auf den Durchschnittsanleger des jeweiligen Verkehrskreises an? Für letzteres spricht, dass die Abgrenzung Empfehlung – Information nur dort relevant wird, wo das Wertpapierdienstleistungsunternehmen Informationen über die persönlichen Verhältnisse des Anlegers eingeholt hat oder aus der Sicht des konkreten Anlegers eingeholt haben müsste4. Ganz allgemein sollte man daher bei der Interpretation des Tatbestandsmerkmals „Empfehlung“ darauf abheben, welchem Verkehrskreis der Kunde angehört. Damit wird der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 und des § 31 Abs. 4 WpHG nicht überdehnt; denn Anlageberatung im Sinn des WpHG liegt nur vor, wenn weitere Voraussetzungen erfüllt sind5. Die Art und Weise, wie Handlungsanweisungen gegeben werden, kann demnach keine Rolle spielen. Wenn ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen per Internet ein System anbietet, das es den Kunden ermöglicht, ihre persönlichen Daten einzugeben und das System dann eine Handlungsanweisung mehr oder minder konkreter Art auswirft, so kann der Charakter dieser Handlungsanweisung als Empfehlung nicht mit dem Argument abgetan werden, der Anleger habe das System selbst mit Informationen „gefüttert“, er sei selbst aktiv geworden6. Eine Empfehlung setzt nicht voraus, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen die der Empfehlung zugrundeliegenden Daten beim Kunden nachgefragt hat oder die Richtigkeit der mitgeteilten Daten kontrollieren konnte. Im Übrigen fragt das Wertpapierdienstleistungsunternehmen mit dem Angebot eines derartigen Systems die persönlichen Daten des Kunden selbst
__________ 3 CESR, Konsultation (Fn. 1), Ziff. 1, 15 ff. Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass die ersichtliche Verwertung von Kundendaten für eine Empfehlung spricht. 4 Siehe Text bei Fn. 15. 5 Siehe unten I. 2. ff. 6 Zurückhaltend CESR, Konsultation (Fn. 1), Ziff. 21 ff.
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ab7, auch wenn es diese nicht speichert. Entscheidend ist, dass das System vom Wertpapierdienstleistungsunternehmen bereitgestellt wird, dass dieses System ersichtlich Kalküle vornimmt, wie sie einer Handlungsanweisung vorangehen und eine Handlungsanweisung ausspricht. Das System ersetzt mithin lediglich die Person des Beraters. Den § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 und § 31 Abs. 4 WpHG lässt sich in keiner Weise entnehmen, dass die Empfehlung unmittelbar von einer natürlichen Person erarbeitet oder ausgesprochen worden sein muss. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass Projekte aus dem Bereich der Wirtschaftsinformatik, die Anlageberatung mit Hilfe der EDV zu strukturieren, weit fortgeschritten, wenn nicht bereits umgesetzt sind. So berichten Buhl/Kaiser8 von dem Wettbewerbsdruck, unter dem Finanzdienstleister stehen. Dieser zwänge sie, Lösungen anzubieten, die Kunden als, weil auf sie persönlich zugeschnitten, einzigartig wahrnehmen. Da dies mit hohen Kosten verbunden sei, gelte es, die Anlageberatungsprozesse zu standardisieren und informationstechnisch zu unterstützen. Die Kundendaten werden in Zielgewichtungen umgewandelt, die die Bedeutung des jeweiligen Ziels für den Kunden widerspiegeln. Die Produkte werden dahin bewertet, wie sie die unterschiedlichen Ziele erfüllen können. Am Ende werde derjenige Beratungsvorschlag ausgewählt, der den Zielgewichtungen des Kunden am besten entspreche. Dies geschehe mit Hilfe einer „axiomatisch hergeleiteten Nutzensfunktion“. Ungeklärt ist auch, ob derjenige, der eine Anlage vermittelt, eine Empfehlung ausspricht. Das deutsche Zivilrecht unterscheidet in Bezug auf die Haftung zwischen Anlageberatung und Anlagevermittlung9. Wer im Lager des Emittenten steht, betreibt im Zweifel nur Anlagevermittlung. Er berät nicht, sondern er informiert nur. Zum Teil wird dafür plädiert, den Begriff der Empfehlung in gleicher Weise restriktiv zu interpretieren10. Dahinter steht der Gedanke, dass jemandem, der sein eigenes Produkt bewirbt, nur zurückhaltender Vertrauen entgegengebracht wird. Dieser Gedanke spielt jedoch im Rahmen der § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 und § 31 Abs. 4 WpHG auf der Ebene des Empfehlungsbegriffs keine Rolle. Es lässt sich nämlich kaum bestreiten, dass eine Großbank, die ein konzerneigenes Produkt als für den Kunden geeignet anpreist, einen Ratschlag, eine Handlungsanweisung erteilt. Das Element des Vertrauens kommt ins Spiel, wenn der Ratschlag in einer Weise personalisiert ist, dass das Finanzprodukt als gerade für den konkreten Kunden geeignet dargestellt wird, oder wenn der Anpreisung die Auswertung der persönlichen Verhältnisse zugrunde liegt und keine Elemente, wie z. B. die Empfehlung an die Öffentlichkeit11, vertrauensmindernd wirken. Dass Misstrauen eher geboten
__________ 7 Entgegen der CESR, Konsultation (Fn. 1), Ziff. 22, ändert daran nichts der Hinweis, dass das System von einem Dritten bereitgestellt wird. 8 Buhl/Kaiser, ZBB 2008, 43 ff. 9 Vgl. Nachw. Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 2 Rz. 113. 10 Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 2 Rz. 113. 11 Siehe Text bei Fn. 29.
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ist, wenn jemand sein eigenes Produkt vertreibt als wenn er eher neutral12 eines der am Markt verfügbaren Produkte als für den Kunden geeignet empfiehlt, liegt auf der Hand. Das WpHG hat dieser Unterscheidung jedoch nicht Rechnung getragen und einen weiten Begriff der Empfehlung gewählt. Streitig ist auch, inwieweit Disclaimer die Kraft haben, Empfehlungen zu bloßen Informationen, zu reinen Werbemitteilungen herabzustufen. Verfehlt wäre es, Disclaimern gänzlich ihre Wirkung abzusprechen13. Hierfür spricht zwar, dass sich Unternehmer, die offensichtlich Ratschläge erteilen, zu ihrem Verhalten nicht in Widerspruch setzen dürfen. Da die Qualifikation werbenden Verhaltens als Empfehlung jedoch aus der Sicht eines verständigen Kunden des Verkehrskreises, dem der jeweilige Kunde angehört, zu beurteilen ist, kann man in Grenzfällen trefflich darüber streiten, wie ein verständiger Kunde die Kommunikation verstanden hätte. In diesen Fällen ist die gesamte Kommunikation auszuwerten. Zu dieser zählen auch Disclaimer. Ergibt sich aus diesen eindeutig und ohne jeglichen Überraschungseffekt, dass ein Unternehmen keinen Ratschlag erteilen, sondern nur Tatsachen zur Erwägung mitteilen will, so sollte man Disclaimer nicht unbeachtet lassen. 2. Gestützt auf die Prüfung der persönlichen Umstände des Anlegers Der wirtschaftliche Erfolg von Google oder sozialer Netzwerke wie Facebook beruht bekanntermaßen darauf, dass diese Daten über potentielle Kunden, deren Vorlieben und Verhalten sammeln und aufbereiten. Es liegt nahe, dass Wertpapierdienstleistungsunternehmen Informationen, die bei ihnen liegen, nicht ungenutzt lassen. Wenn ihre Verwertung nicht durch chinese walls14 verhindert wird, so werden sie geneigt sein, Kundenprofile und Kundengruppen zu bilden. Denn je individualisierter eine Werbung ist, desto geringer sind Streuverluste und um so höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie Kunden nicht bloß als Rauschen im Werbewald, sondern als für sie interessant wahrnehmen. Es kann mithin mit guten Gründen angenommen werden, dass ein wesentlicher Teil der Werbung mehr oder minder personalisiert ist. Unklar ist nur, wie personalisiert sie sein muss, um Teil einer Anlageberatung i. S. d. § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 WpHG zu werden. § 31 Abs. 4 WpHG in Verbindung mit § 6 WpDVerOV gibt vor, dass im Rahmen der Anlageberatung bestimmte15 Kundeninformationen eingeholt und der Empfehlung zugrunde gelegt werden müssen. Es reicht aber aus, dass die Informationen beim Wertpapierdienstleistungsunternehmen anderweit angefallen oder anderweit eingeholt worden sind. Kann sich das Wertpapierdienstleistungsunternehmen auf den Standpunkt stellen, es betreibe keine Anlageberatung, weil es sich der genannten, bei ihm
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Ohne Verleitung durch Provisionen (§ 31d WpHG). So in der Tendenz CESR, Konsultation (Fn. 1), Ziff. 47. Koller in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 33 Rz. 11 ff. Das CESR, Konsultation (Fn. 1), Ziff. 48, scheint anzunehmen, dass nicht alle Informationen vorhanden sein müssen.
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vorhandenen Daten für seine Empfehlung nur bruchstückhaft bedient hat16? Man wird dies bejahen müssen, zumal § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 WpHG den Auffangtatbestand „oder für ihn als geeignet darstellt“ kennt. Allerdings setzt das Tatbestandselement „auf eine Prüfung der persönlichen Umstände des Anlegers gestützt“ nicht ausdrücklich voraus, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen die persönlichen Umstände umfassend geprüft hat. Der Nachweis einer solchen Prüfung kann ohnehin nur schwer, allenfalls durch Indizien geführt werden, wie Anspielungen auf bestimmte persönliche Informationen und den Zuschnitt der Kundengruppe, an die Empfehlungen ergangen sind. Sollten beim Zuschnitt der Kundengruppen nur Teile der relevanten Informationen berücksichtigt worden sein, so könnte dies den Vorwurf der Fehlinformation rechtfertigen, wenn die Kunden annehmen können, dass ihre Verhältnisse umfassend berücksichtigt worden sind17. In einem solchen Fall kommt aber die Alternative „als für den Kunden geeignet dargestellt“ zum Tragen18. Eine Berufung auf die bruchstückhafte Auswertung der vorhandenen Informationen über die Kunden geht dann ins Leere. 3. Das Finanzinstrument wird als für den Kunden geeignet dargestellt Gemäß § 31 Abs. 4 Satz 2 WpHG beurteilt sich die Geeignetheit eines Finanzinstruments danach, ob das konkrete Geschäft, das dem Kunden empfohlen wird, dessen Anlagezielen entspricht, die hieraus erwachsenden Anlagerisiken für den Kunden seinen Anlagezielen entsprechend finanziell tragbar sind und der Kunde mit seinen Kenntnissen und Erfahrungen die hieraus erwachsenden Anlagerisiken verstehen kann. Wenn ein Finanzinstrument als für den Kunden geeignet hingestellt wird, so muss mithin für ihn verständlich19 dargelegt werden, dass es für ihn finanziell tragbar ist und seinen Anlagezielen entspricht20. Maßgeblich ist auch hier nicht das Verständnis des konkreten Kunden im Einzelfall, sondern der Umstand, ob die Darstellung geeignet ist, bei dem Kunden das Gefühl der Eignung des Finanzinstruments zu wecken. Ob dies der Fall ist, ist vom Horizont eines verständigen21 Kundens des Verkehrskreises zu beurteilen, dem der konkrete Kunde angehört. Hier wie bei der Empfehlung kann nicht ausschließlich darauf abgestellt werden, welche Bedeutung der Kunde der Kommunikation beigelegt hat. Wie ein verständiger Kunde des Verkehrskreises, dem der konkrete Kunde angehört, die Kommunikation verstehen darf,
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16 Wenn es alle für die Beurteilung der Geeignetheit maßgeblichen Faktoren ausgewertet hat, kommt es nicht darauf an, ob dies dem Kunden bekannt wurde (CESR, Konsultation [Fn. 1], Ziff. 6). 17 Bejahend CESR, Konsultation (Fn. 1), Ziff. 5. 18 CESR, Konsultation (Fn. 1), Ziff. 6. 19 Unerheblich ist hierbei, ob die Empfehlung ausdrücklich oder konkludent erfolgt (CESR, Konsultation [Fn. 1], Ziff. 43). 20 Es genügt, dass dies vorgespiegelt wird. Die tatsächliche Eignung ist nicht Voraussetzung (CESR, Konsultation [Fn. 1], Ziff. 46). 21 „Reasonably“ (CESR, Konsultation [Fn. 1], Ziff. 50). In diesem Zusammenhang kann berücksichtigt werden, welche Erfahrung in dem Verkehrskreis vorhanden ist, dem der jeweilige Kunde angehört, so dass bei Kaufleuten eher anzunehmen ist, dass sie sich nicht persönlich angesprochen fühlen.
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hängt wesentlich davon ab, in welchen Zusammenhang die Empfehlung gestellt wird, ob ein Anschein entstanden ist22, dass die Empfehlung auf die persönlichen Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten ist, ob dargetan wird, dass das Finanzinstrument für den Kunden finanziell tragbar ist und ob die Empfehlung die Risiken für die Kunden des jeweiligen Verkehrskreises verständlich verdeutlicht hat. Dies dürfte um so eher anzunehmen sein, je individueller die Ansprache des Kunden ist oder je deutlicher wird, dass der Kunde zu einer begrenzten Gruppe von Anlegern mit vergleichbaren Anlagezielen etc. gehört, vorausgesetzt, dass der Kunde weiß, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen Informationen über seine Anlageziele, seine Risikoeinstellung, seine finanziellen Verhältnisse, seine Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt23. In diesem Zusammenhang gilt es zu bedenken, dass das Gebot der Geeignetheit nicht bedeutet, dass der Kunde in allen Facetten als Individuum behandelt werden muss. Wertpapierdienstleistungsunternehmen sind keine Psychiater, die ihre Kunden auf die Couch legen. Sie haben bei der Empfehlung der Geeignetheit nur eine begrenzte Zahl von Faktoren zu berücksichtigen. Diese Faktoren sind als Mindesterfordernisse formuliert. So geht es bei dem Anlageziel der Altersversorgung nicht um die optimale Altersversorgung, sondern nur darum, dass das Instrument vertretbar als für die Altersversorgung tauglich zu qualifizieren ist. Ebenso kommt es hinsichtlich der finanziellen Tragbarkeit nicht auf eine Optimierung, sondern darauf an, dass angesichts der konkreten finanziellen Ausstattung des Kunden und der Zahlungsströme der angemessene Lebensunterhalt nicht gefährdet wird. Geeignetheit heißt auch nicht, dass das Verhältnis zwischen Rendite und Risiko, zwischen Liquidität und Planungssicherheit oder Rendite und Besteuerung optimal ist. Vielmehr ist es Sache des Anlegers, dem das Risiko verständlich gemacht worden ist, das Risiko im Licht seiner höchstpersönlichen Risikoaversion oder Risikofreude daraufhin zu bewerten, ob es für ihn tragbar ist. Nur dort, wo Risiken mit den offen gelegten Anlagezielen eindeutig nicht vereinbar sind, ist es Sache des Wertpapierdienstleistungsunternehmens, diese bei der Prüfung der Geeignetheit zu berücksichtigen. Daraus folgt, dass ein Anleger keine höchst individuellen Empfehlungen zu erwarten braucht, um anzunehmen, dass ein Finanzprodukt als für ihn geeignet dargestellt wird24. So kann z. B. ohne weiteres eine Person mit durchschnittlichen Vermögensverhältnissen, häufig geäußerten Anlagezielen und mit durchschnittlichen Erfahrungen sowie Kenntnissen annehmen, dass ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen, das, wie sie weiß, diese Faktoren kennt, eine persönliche Empfehlung ausspricht, wenn diese Empfehlung ihren persönlichen Umständen Rechnung trägt25.
__________ 22 Unerheblich ist, ob das Wertpapierdienstleistungsunternehmen diesen Anschein entstehen lassen wollte. 23 Ähnlich CESR, Konsultation (Fn. 1), Ziff. 51 f. 24 Erst recht muss der Kunde der Kommunikation nicht im Detail entnehmen können, welche Informationen über seine Person das Wertpapierdienstleistungsunternehmen verwertet hat. 25 Das gilt auch, wenn die Empfehlung nur damit begründet wird, dass das Instrument besonders für konservativ agierende Anleger von Interesse ist.
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Da die Frage der Geeignetheit aus der Sicht eines verständigen Kunden zu beurteilen ist, ist es auch hier angebracht, in der Grauzone26 Disclaimer zuzulassen, die klarstellen, dass bei der Empfehlung deren Eignung für den konkreten Anleger nicht berücksichtigt worden ist27. 4. Öffentlichkeit, Informationskanäle Maßgeblich ist hier die Art und Weise, wie das Wertpapierdienstleistungsunternehmen mit (potentiellen) Anlegern in Verbindung tritt. Die Sicht der Anleger ist hierbei ohne Relevanz. Richtet das Wertpapierdienstleistungsunternehmen seine Empfehlung an eine unbestimmte Vielzahl von Personen, so wendet es sich an die Öffentlichkeit. Damit wird die Empfehlung unwiderleglich unpersönlich. Benutzt es Kanäle für die Massenpublikation, so ergibt sich aus dem Einsatz dieses Instruments ebenfalls, dass es sich nicht um eine persönliche Empfehlung handeln kann. Zu diesen Informationskanälen28 zählen aber anders als Postwurfsendungen nicht ohne weiteres die Briefpost, das Fax, E-Mail oder eine Nachricht auf der persönlichen, nur per Code zugänglichen Internetseite. In solchen Fällen kommt es darauf an, ob sich das Wertpapierdienstleistungsunternehmen mit dem Einsatz dieser Kommunikationsmittel ausschließlich an eine unbestimmte Vielzahl von Personen gewandt hat29. Jede Selektion des Adressatenkreises nach bestimmten Kriterien beraubt das Wertpapierdienstleistungsunternehmen des Arguments, es habe sich nur an die Öffentlichkeit gewandt, dies umso mehr, je kleiner die Zielgruppe ist30. 5. Bestimmte Finanzinstrumente Nicht zur Anlageberatung zählen so genannte generische Empfehlungen, also Ratschläge, die sich lediglich auf die Art31 der Finanzinstrumente32 beziehen. Da eine Empfehlung schon aus Gründen, Umgehungen zu vermeiden, auch
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26 Siehe Text bei Fn. 13. 27 Zurückhaltend CESR, Konsultation (Fn. 1), Ziff. 53 f., der zufolge ein Hinweis darauf, dass bei der Empfehlung die vorhandenen Kundeninformationen nicht ausgenutzt worden seien, unerheblich ist. Daran ist richtig, dass von einem verständigen Kunden nicht erwartet werden kann, dass er die Bedeutung dieses Hinweises durchschaut, weil er gleichwohl davon ausgehen wird, dass er in seiner Individualität angesprochen wurde. 28 Beispiele: Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehen, Radio, Internetseiten, die allgemein zugänglich sind (CESR, Konsultation [Fn. 1], Ziff. 56). 29 CESR, Konsultation (Fn. 1), Ziff. 60. 30 Das CESR, Konsultation (Fn. 1), Ziff. 63 f., hebt zutreffend darauf ab, dass dort, wo die Zielgruppe nach Kriterien der Geeignetheit bestimmt wird, keine Ansprache der Öffentlichkeit stattfindet. Ebenso wird kein Informationskanal benutzt, wenn verständige Adressaten in der Zielgruppe annehmen müssen, dass ihre persönlichen Umstände berücksichtigt worden sind. Deshalb ist das E-Mail-System ebenso wenig wie die Post ein genuiner Informationskanal. 31 Nach Art des Landes oder Art der Anlage (Aktie oder Anleihe). 32 Wenn ein Unternehmen empfohlen wird, das nur ein oder mehrere gleichwertige Finanzinstrumente vertreibt, ist dies der Empfehlung eines bestimmten Finanzinstruments gleichzuachten (CESR, Konsultation [Fn. 1], Ziff. 41).
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dann als Beratung zu qualifizieren sein kann, wenn sie sich auf mehr als ein einziges Finanzinstrument bezieht, stellt sich die Frage, an welchem Punkt die konkrete Empfehlung zur generischen wird. Dem Erfordernis der Empfehlung bestimmter Finanzinstrumente liegt wohl die gesetzgeberische Erwägung zugrunde, dass bei generischen Empfehlungen der Kunde gezwungen ist, in größerem Umfang eigenverantwortlich zwischen Alternativen abzuwägen. Er kann nicht ohne weiteres der Empfehlung folgen. Diesem Zwang zur größeren Selbständigkeit folgt eine Verminderung des Schutzes. Dort wo jedoch gleichwertige Alternativen33 empfohlen werden, braucht der Kunde keine weitergehenden Abwägungen vorzunehmen. Man kann hier deshalb davon ausgehen, dass bestimmte Finanzinstrumente empfohlen werden. Wie gezeigt, lassen sich auch hier Grauzonen nicht vermeiden, so dass, falls mehrere Finanzinstrumente oder eine Klasse von Finanzinstrumenten empfohlen werden, es zulässig sein sollte, klarstellend auf den Charakter der Kommunikation hinzuweisen.
II. Beratung im Sinn des § 34 Abs. 2a WpHG 1. Die Anlageberatung im Sinn des Aufsichtsrechts und des Zivilrechts Oben34 wurde der Begriff der Anlageberatung im Sinn des Aufsichtsrechts konkretisiert. Daneben existiert seit langem eine Haftung für fehlerhafte Anlageberatung, die von der Rechtsprechung überwiegend auf Verletzung eines Beratungsvertrages gestützt wird35. Hierbei wird nicht so scharf wie im Aufsichtsrecht zwischen mangelhaften Empfehlungen und mangelhafter Aufklärung über Tatsachen unterschieden. Auch spielt es keine Rolle, ob sich das Fehlverhalten auf die Empfehlung eines bestimmten Finanzinstruments bezieht oder ob bereits die Empfehlung einer bestimmten Art von Finanzinstrumenten zu beanstanden ist. Der Begriff der Anlageberatung im Sinn des Zivilrechts ist mithin weiter als der des Aufsichtsrechts. 2. Der Begriff Anlageberatung im Sinn des § 34 Abs. 2a WpHG Der aufsichtsrechtliche Begriff der Anlageberatung ist in § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 WpHG legaldefiniert. Auf den ersten Blick sollte man deshalb meinen, dass in dem § 34 Abs. 2a WpHG der Begriff „Anlageberatung“ im gleichen Sinne verwandt wird wie in § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 WpHG. In diese Richtung deutet auch der Gesetzentwurf der Bundesregierung36, in dem betont wird, dass die Aufsichtsbehörde in die Lage versetzt werden müsse, etwaige Übertreibungen der Chancen oder das Verschweigen von Risiken zu erkennen so-
__________ 33 Ebenso CESR, Konsultation (Fn. 1), Ziff. 38. 34 Siehe unter I. 35 Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 347 HGB Rz. 14 ff. m. N.; einschr. BGH, ZIP 2009, 2377, 2378 (Empfehlung erforderlich); ebenso Kienle in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch Bd. III, 2. Aufl. 2001, § 110 Rz. 3. 36 BR-Drucks. 180/09, S. 41.
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wie etwaige Kundenäußerungen zu berücksichtigen. Die gemeinsamen Empfehlungen des Rechts-, Agrar- sowie des Wirtschaftsausschusses stellen diesen Ansatz nicht in Frage. Allerdings bewegen sie sich auf zivilrechtlicher Ebene, soweit sie mit ihren Empfehlungen dafür sorgen wollen, dass bei Beratungsprotokollen, die nicht vollständig und richtig sind oder rechtzeitig vorgelegt werden, die Beweislast für die Falschberatung der Kunden umgedreht wird. Für ein zivilrechtliches Verständnis spricht ferner der Titel des Gesetzentwurfes „Entwurf eines Gesetzes … zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung“. Hier wird eindeutig eine individualrechtliche Position eingenommen. Auch die Redner der Regierungskoalition, die im Bundestag die Gesetzesvorlage begründet haben, argumentierten ausschließlich auf der individualrechtlichen Ebene37. Im Bericht des Rechtsausschusses vom 1. Juli 200938 dominiert gleichermaßen eine zivilrechtliche Betrachtungsweise. An dieser Stelle könnte man meinen, dass der Begriff Anlageberatung in § 34 Abs. 2a WpHG sowohl aufsichtsrechtliche als auch zivilrechtliche Ziele verfolge, aber konsequent im Sinn des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 WpHG interpretiert werden müsse. Zieht man den Entwurf der Neufassung des § 14 Abs. 6 Nr. 5 WpDVerOV39 in die Betrachtung mit ein, der zusammen mit dem Gesetzesvorschlag vorgelegt worden ist, so liegt es sogar nahe, den Begriff der Anlageberatung ausschließlich im Sinn eines Beratungsgesprächs zu verstehen; denn dem Entwurf zufolge ist nur die im Beratungsgespräch erteilte Empfehlung samt den für diese Empfehlung maßgeblichen Gründen zu protokollieren. In dieselbe Richtung deuten die im Bundestag40 und Bundesrat41 gehaltenen Reden. In Fällen schriftlicher Beratung müssen mithin die Empfehlung und die hierfür maßgeblichen Gründe nicht aufgezeichnet zu werden. § 14 Abs. 6 Nr. 5 WpDVerOV lässt dies noch deutlicher zutage treten, weil er die Formulierung „wesentliche Gründe“ verwendet. Man muss aber bedenken, dass bei einer schriftlichen Beratung dem Kunden ohnehin die Empfehlung und die hierfür genannten Gründe vorliegen, so dass aus der Sicht des Kunden eine Aushändigung eines Protokolls mit der Empfehlung und den Gründen überflüssig ist. Ohne Aufzeichnung der Empfehlung wird freilich die Finanzaufsicht nicht gerade erleichtert. Aus der Sicht des Kunden ist andererseits bei schriftlicher Beratung eine Aufzeichnung des Anlasses der Anlageberatung, der Kundenwünsche, der der Beratung zugrundeliegenden Informationen42 (§ 14 Abs. 6 Nr. 1, 3, 4 WpDVerOV)
__________ 37 Plenarprotokoll 1. Beratung des Deutschen Bundestages vom 14.5.2009, 16. Wahlperiode, 222. Sitzung, S. 24483 f. 38 BT-Drucks. 16/13672, S. 1. 39 BR-Drucks. 180/09, S. 16. 40 Bundestag-Plenarprotokoll 16/222, Anlage 10; Bundestag-Plenarprotokoll 16/231, Anlagen 9, 10. 41 Bundesrat-Plenarprotokoll 860 v. 10.7.2009, S. 315, 346. 42 Die Forderung, „die der Beratung zugrundeliegenden Informationen … über Finanzinstrumente und Wertpapierdienstleistungen“ zu protokollieren, bedarf der Einschränkung; denn bei der Empfehlung einer bestimmten Aktie müsste der Berater zum Beispiel sein gesamtes Wissen über Aktien im Allgemeinen und die empfohlene
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durchaus vorteilhaft. Der Kunde kann nämlich dieser Aufzeichnung nicht nur entnehmen, auf welcher Grundlage die Empfehlung erstellt worden ist, sondern vermag in einem Prozess wegen Falschberatung auch mit Hilfe der Ausfertigung des Protokolls darzutun, dass die schriftliche Empfehlung inkonsistent war. Man darf mithin die Anlageberatung i. S. d. § 34 Abs. 2a WpHG, § 14 Abs. 6 WpDVerOV nicht auf Beratungsgespräche beschränken. Wenn man diesen Schritt macht, so sollte der Umstand, dass schon in § 14 Abs. 6 WpDVerOV a. F. unter eindeutiger Bezugnahme auf das WpHG von Anlageberatung die Rede war, dieser Begriff in § 14 Abs. 6 WpDVerOV n. F. weiterhin verwandt wird und dass der Entwurf des § 14 Abs. 6 WpDVerOV n. F. zusammen mit der Neufassung des § 34 WpHG den für die Gesetzgebung maßgeblichen Gremien vorgelegen hat43, zu dem Schluss führen, dass § 34 Abs. 2a WpHG ausschließlich44 auf den Begriff der Anlageberatung i. S. d. §§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9, 31 Abs. 4 WpHG verweist, mag der § 34 Abs. 2a WpHG auch den Kunden individualrechtlichen Schutz versprechen. Daraus folgt, dass bloße Auskünfte oder Empfehlungen generischer Natur ebenso wenig zu protokollieren sind wie die Empfehlung von Wertpapierdienstleistungen45. 3. Einzelheiten Wenn § 34 Abs. 2a WpHG ein durch denjenigen, „der die Anlageberatung durchgeführt hat“, unterzeichnetes Protokoll vorschreibt, so hat die Norm offensichtlich nur Fälle im Auge, in denen ein Berater mit einem bestimmten Kunden spricht oder mit ihm schriftlich kommuniziert. Wie gezeigt, kann jedoch durch die Bereitstellung von automatisierten Selbsterkundungssystemen ebenfalls beraten werden46. Da es an einem Berater fehlt, entfällt eine Aufzeichnungspflicht. Dort, wo an eine Vielzahl von Personen Empfehlungen versandt wurden und die Adressaten annehmen durften, dass ihre persönlichen Verhältnisse berücksichtigt wurden, wird gleichfalls i. S. d. § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 WpHG beraten. Es stellt sich freilich ebenso die Frage, wer hier der Berater ist. Derjenige, der den Auftrag erteilt hat, die Empfehlungen zu versenden, oder derjenige, der sie versandt hat? Denkbar wäre es auch, anzunehmen, dass ein Kunde, der nicht zusammen mit der schriftlichen Empfehlung eine Ausfertigung eines Protokolls erhält, annehmen muss, dass die schriftliche Empfehlung nicht auf seine individuellen Bedürfnisse, Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen zugeschnitten ist und daher nicht in die Kategorie der Anlage-
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Aktie im Besonderen im Detail ausbreiten. Wie diese Forderung einzugrenzen ist, ist kaum erkennbar. Böhm, BKR 2009, 221, 223, will nur die wesentlichen Ausstattungsmerkmale protokolliert wissen. BR-Drucks. 180/09. Böhm, BKR 2009, 221, 224. Abw. Pfeifer, BKR 2009, 485, 486 (regelmäßig), 487 Fn. 37. Wenn in § 14 Abs. 6 Nr. 3 WpDVerOV auch „Informationen … über Wertpapierdienstleistungen“ erwähnt werden, so geht diese Formulierung ins Leere; denn der höherrangige § 34 Abs. 2a WpHG gebietet eben nur bei der Anlageberatung, ein Protokoll anzufertigen. Böhm, BKR 2009, 221, 224, sieht hier ein Redaktionsversehen. Siehe oben Text bei Fn. 6.
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beratung fällt. An dieser Stelle wird nur zu deutlich, wie wenig die Protokollierungspflicht mit der MiFID47 und der Durchführungsrichtlinie48 abgestimmt ist und wie sehr sich ein Verstoß gegen höherrangiges Europarecht aufdrängt49.
III. Schriftliches, unterzeichnetes Protokoll, Ausfertigungen „Schriftlich“ in § 34 Abs. 2a Satz 1 WpHG heißt zunächst nur, dass das Protokoll mit Schriftzeichen abgefasst sein muss, dass Tonbandprotokolle nicht genügen. Man könnte sich fragen, ob der Begriff „schriftlich“ im Sinn der §§ 126, 126a BGB zu interpretieren ist. Zwingend ist dies nicht; denn die §§ 126 f. BGB haben nach ihrem Standort im Abschnitt „Rechtsgeschäfte“ nur Willenserklärungen und rechtsgeschäftsähnliche Erklärungen im Auge, nicht aber die Schilderungen von tatsächlichen Abläufen. Allerdings wird zum Beispiel der Begriff „schriftlich“ herrschend in § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB im Sinn von „eigenhändig unterschrieben“ verstanden und verweist § 438 Abs. 4 Satz 1 HGB mit der Formulierung „Textform“ auf den § 126b BGB, obwohl beide Erklärungen weder Willenserklärungen noch rechtsgeschäftsähnliche Erklärungen enthalten. Ausschlaggebend ist der Wortlaut des § 34 Abs. 2a Satz 2 Halbs. 1 WpHG, wonach das Protokoll zu „unterzeichnen“ ist. Diese Formulierung kann nur eigenhändige Unterschrift, allenfalls elektronische Signatur im Sinn des § 126a BGB bedeuten50. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die dem Kunden zu übergebende Ausfertigung die Form eines dauerhaften Datenträgers annehmen kann. § 34 Abs. 2a Satz 2 Halbs. 2 WpHG verweist mit den Worten „dauerhafter Datenträger“ auf § 34 Abs. 2 Satz 5 WpHG, § 3 WpDVerOV. Danach muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen lediglich dafür sorgen, dass die Ausfertigung lesbar und für einen angemessenen Zeitraum die inhaltlich unveränderte Wiedergabe der Information möglich ist. Deshalb genügt die Übermittlung einer mit Schreibschutz versehenen PDF-Datei per Internet oder die Übergabe einer mit Schreibschutz versehenen CD-ROM, zumal wenn ein Ausdruck erfolgen kann. Entgegen § 3 Abs. 2 WpDVerOV kommt es auch nicht darauf an, ob der Einsatz eines dauerhaften Datenträgers in anderer Form als Papier angemessen ist und ob der Kunde sich für diese Art der Ausfertigung entschieden hat; denn das Gesetz stellt es dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen frei, die Art der Ausfertigung zu bestimmen. Dem Kunden zur Verfügung gestellte Ausfertigungen müssen ihrerseits nicht unterschrieben sein. Dauerhafte Datenträger sehen nämlich keine Möglichkeit für eine eigenhändige Unterschrift vor. Ausfertigung bedeutet im Übrigen nur, dass der Text der Ausfertigung mit der des Protokolls übereinstimmt. Dies zeigt beispielsweise ein Blick auf § 408 Abs. 2 HGB, in dem
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47 Richtlinie 2004/39/EG v. 21.4.2004, ABl. Nr. L 145, S. 1. 48 Richtlinie 2006/73/EG v. 10.8.2006, ABl. Nr. L 241, S. 26. 49 Vgl. Spindler/Kasten, AG 2006, 785, 789; dies., WM 2007, 1245, 1249; Möllers/ Wenninger, Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines „Gesetzes … zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung“ gegenüber dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages (abrufbar unter www.jura. uni-augsburg.de/fakultaet/lehrstuehle/moellers). 50 Dies verkennt Pfeifer, BKR 2009, 485, 488.
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davon die Rede ist, dass die Originalausfertigungen unterschrieben werden müssen, oder auf Art. 7 Montrealer Übereinkommen vom 28. Mai 1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, der unterschiedliche Unterschriften auf den einzelnen Ausfertigungen eines Luftfrachtbriefs vorsieht. Welchen Sinn hat dann die Unterschrift desjenigen, der beraten hat? Der Sinn kann nur in § 416 ZPO liegen. Der Kläger kann von diesem Beweismittel allerdings nur profitieren, wenn er im Prozess die Vorlage des unterschriebenen Protokolls verlangt. Hat er auf diesem Protokoll selbst unterschrieben, so kann ihm das allerdings auch zum Nachteil gereichen51. Das Protokoll ist „über die Anlageberatung“ anzufertigen. Damit kann die Empfehlung i. S. d. § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 WpHG, die Empfehlung als im Sinn des § 31 Abs. 4 Satz 2 WpHG „geeignet“ oder jedes vorbereitende Gespräch, mit dem eine Empfehlung erarbeitet werden soll, oder das Gespräch bzw. die Summe aller Gespräche gemeint sein, die zur Empfehlung geführt haben. In § 34 Abs. 2a Satz 2 Halbs. 2 WpHG ist vom „Abschluß der Anlageberatung“ die Rede und der Aushändigung der Kundenausfertigung. Wenn sich bei einem komplizierten Anlagegeschäft oder bei hohen zu investierenden Summen die Beratungen über mehrere Wochen hinziehen, so ist die Anlageberatung erst mit der Empfehlung abgeschlossen. Erst dann kann der Kunde eine Ausfertigung fordern, von dem Fall abgesehen, dass schon vor Abschluss der Beratungen Geschäfte getätigt werden, die aber ihrerseits empfohlen worden sein müssen. Da dem Kunden nicht ein Bündel von Ausfertigungen zur Verfügung zu stellen ist, ergibt sich klar, dass Gespräche erst dann zu protokollieren sind, wenn sie in eine Empfehlung gemündet sind. Waren mehrere Gespräche erforderlich, um zu einer Empfehlung zu kommen, so sind mithin diese Gespräche in einem Protokoll zusammenzufassen, sofern nicht bereits über die einzelnen Gespräche Protokolle erstellt und die Ausfertigungen ausgehändigt worden sind. Dem steht § 14 Abs. 6 Nr. 2 WpDVerOV nicht entgegen, in dem im Singular von „Dauer des Beratungsgesprächs“ die Rede ist. In einem Protokoll kann ohne weiteres unter Angabe der Tage, Stunden und Minuten die Dauer mehrerer Gespräche niedergelegt werden, zumal bei vorbereitenden Gesprächen ohnehin erst nach Erteilung der Empfehlung feststeht, ob es sich um Beratungsgespräche im Rechtssinn gehandelt hat. Andererseits brauchen nur solche Gespräche in die Zusammenfassung aufgenommen werden, bei denen von vornherein ersichtlich ist, dass die Gespräche auf eine Empfehlung hinauslaufen sollen52. Offensichtlich um den Protokollierungsaufwand in Grenzen zu halten, gestattet § 14 Abs. 6 Nr. 5 WpDVerOV, dass lediglich die für die Empfehlung ge-
__________ 51 Vgl. Strohmeyer, ZBB 2009, 197, 203. Im Bundesrat hatte Bayern vehement für eine Unterschrift des Kunden plädiert, war aber mit diesem Vorstoß gescheitert (BRDrucks. 640/3/09; Bundesrat-Plenarprotokoll 860, S. 314 f.). 52 Vgl. auch Böhm, BKR 2009, 221, 225, der darauf hinweist, es sei in der Praxis nahezu unmöglich, die Anlageberatung vom allgemeinen Kundengespräch sauber abzugrenzen.
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nannten wesentlichen Gründe aufzuzeichnen sind. Die aus der Sicht der Kunden wesentlichen Gründe sind damit wohl nicht gemeint; denn es bedarf der Rechtssicherheit wegen eines objektiven Maßstabs. Es empfiehlt sich, in diesem Zusammenhang auf die Figur des aufklärungsgerechten Verhaltens zurückzugreifen. Wesentlich sind mithin alle die Empfehlung begleitenden Gründe, die vernünftigerweise bei der Anlageentscheidung eine Rolle spielen. Diese Gründe müssen allerdings im Protokoll nicht im Detail ausgebreitet werden, sondern können zusammengefasst werden. Dort, wo die Beratung – wie vielfach – strukturiert abläuft, können Textbausteine verwandt werden53. Auch Hinweise darauf, dass Prospekte, auf die in dem Protokoll verwiesen wird54, erläutert worden sind, dürften genügen, wenn schlagwortartig bezeichnet wird, worauf sich die Hinweise im Kern beziehen. Hätte man die Anleger weitergehend schützen wollen, ohne die Wertpapierdienstleistungsunternehmen einer untragbaren Ungewissheit darüber auszusetzen, ob die Protokollierung vollständig ist, so hätte man ein Wortprotokoll vorschreiben müssen. Darauf hat man jedoch bewusst verzichtet. Im Übrigen sind die Kunden nicht gänzlich schutzlos; denn sie können vor Geschäftsabschluss darauf achten, dass die für sie wichtigen Gesichtspunkte gebührend im Protokoll erscheinen55.
IV. Rücktrittsrecht 1. Voraussetzungen des Rücktrittsrechts Ein Rücktrittsrecht gemäß § 34 Abs. 2a WpHG scheidet sicherlich aus, wenn dem Kunden in einem Beratungsgespräch eine Empfehlung erteilt, anschließend ein Protokoll erstellt, unterzeichnet sowie dem Kunden eine Ausfertigung des Protokolls übergeben und erst danach die Order angenommen56 wird. Ob das Protokoll vollständig oder richtig ist, bleibt unerheblich. Es wird vom Kunden erwartet, dass er das Protokoll vor Geschäftsabschluss kritisch zur Kenntnis nimmt57. Ein Rücktrittsrecht entsteht nicht einmal dann, wenn ihm bei einem Beratungsgespräch unter Anwesenden vor Geschäftsabschluss überhaupt keine Protokollausfertigung ausgehändigt worden ist58; denn auch bei
__________ 53 Die in den Bundestagsberatungen erhobene Forderung, Protokolle nicht umfassend zu standardisieren (BT-Plenarprotokoll 231, S. 26225), hat sich im Gesetz nicht niedergeschlagen. Allerdings kann das Protokoll nur standardisieren, soweit die Beratung strukturiert ist. Es wäre jedoch eine Illusion anzunehmen, dass Empfehlungen zu vertretbaren Kosten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erstellt werden können. 54 Diese Bezugnahme ist zulässig; Pfeifer, BKR 2009, 485, 488. 55 Ein Schutz der geschäftsungewandten Anleger geht damit freilich weitgehend ins Leere. Vgl. Strohmeyer, ZBB 2009, 197, 203; Köndgen, ZBB 2009, 160. 56 Erst mit der Annahme der Order ist der Geschäftsabschluss erfolgt. Die Order kann mithin bereits vor der Übergabe der Protokollausfertigung erteilt werden, ohne dass § 34 Abs. 2a WpHG eingreift. Allerdings kommen hier nur Orders in Betracht, die nicht vor dem frühestmöglichen Zugang der schriftlichen oder auf einem Datenträger enthaltenen Protokollausfertigung ausgeführt werden müssen. 57 Vgl. Böhm, BKR 2009, 221, 223. 58 Böhm, BKR 2009, 221, 225.
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dieser Variante kann der Kunde das Protokoll sofort anmahnen. Dem Wortlaut des § 34 Abs. 2a Satz 4 WpHG („In diesem Fall …“) nach muss nämlich ein Rücktrittsrecht nur angeboten werden, wenn der Kunde (!) für die Anlageberatung und(!) den Geschäftsabschluss Kommunikationsmittel gewählt (!) hat, die eine Übermittlung des Protokolls vor Geschäftsabschluss nicht gestatten (!). Dies ist auf den ersten Blick eindeutig der Fall, wenn der Kunde beim Wertpapierdienstleistungsunternehmen angerufen und um Beratung gebeten, eine Empfehlung erhalten sowie danach sofort telefonisch eine Order erteilt hat. Selbst unter diesen Umständen verbietet jedoch nicht gerade das Mittel der Kommunikation, das Telefon, die vorherige Übermittlung des Protokolls; denn das Telefon erlaubt es durchaus, während des Telefonats per Fax oder E-Mail ein Protokoll zuzusenden oder das Telefonat zu unterbrechen, um ein Protokoll zuzuleiten. Denkbar ist ferner, dass die telefonische Order erst nach Übermittlung des Protokolls angenommen wird. Nicht das Instrument der Kommunikation verhindert hier mithin die Aushändigung der Protokollausfertigung vor Geschäftsabschluss, sondern allenfalls die Art und Weise, wie das Kommunikationsmittel benutzt wurde. Hatte das Wertpapierdienstleistungsunternehmen beim Kunden angerufen, um ihm ein Finanzinstrument zu empfehlen, und geht der Kunde sofort auf die Empfehlung ein, so hat der Kunde nicht das Telefon als Kommunikationsmittel für seine Beratung „gewählt“, sondern sich lediglich auf das vom Wertpapierdienstleistungsunternehmen gewählte Kommunikationsmittel eingelassen. Nur hinsichtlich der Ordererteilung kann man von einer Wahl des Kunden sprechen59. § 34 Abs. 2a Satz 3 WpHG macht jedoch das Rücktrittsrecht davon abhängig, dass der Kunde sowohl für die Anlageberatung als auch für den Geschäftsabschluss ein Kommunikationsmittel gewählt hat, das die Übermittlung des Protokolls verhindert. Erst recht sind die Tatbestandsmerkmale des § 34 Abs. 2a Satz 3 WpHG nicht erfüllt, wenn das Wertpapierdienstleistungsunternehmen dem Kunden ohne gleichzeitige Übermittlung einer Protokollausfertigung per Post oder E-Mail eine Empfehlung erteilt und der Kunde diese telefonisch annimmt. Der Anlageberatung mittels Post oder E-Mail steht nämlich weder die gleichzeitige Übermittlung einer Protokollausfertigung im Wege, noch erfolgt die Empfehlung auf Wunsch des Kunden per Brief bzw. E-Mail. Hält man sich diese Fallgruppen vor Augen, so mutet die Konzeption des § 34 Abs. 2a WpHG als wenig einleuchtend an. Die Gesetzesmaterialien bieten für eine bessere Lösung keine ausreichende Hilfe. Das ursprüngliche Konzept „Aufzeichnung eines jeden Telefongesprächs“60 war aufgrund einer gemeinsamen Empfehlung des Agrar-, Rechts- und Wirtschaftsausschusses, die Dokumentation praxisgerechter auszugestalten, umgestoßen worden61. Die Erwägungen, die zu der Gesetz gewordenen Formulierung geführt haben, sind nicht ersichtlich. Den Reden, die in
__________ 59 Immer ist zu berücksichtigen, dass der Geschäftsabschluss einen zweiseitigen Akt darstellt, der erst mit der Annahme der Order durch das Wertpapierdienstleistungsunternehmen abgeschlossen ist. 60 Regierungsentwurf, BR-Drucks. 180/09, S. 15. 61 BR-Drucks. 180/1/09 v. 24.3.2009, S. 5.
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der zweiten Lesung im Bundestag62 und im Bundesrat63 zur überarbeiteten Fassung des § 34 Abs. 2a WpHG gehalten worden sind, lässt sich lediglich entnehmen, dass man an die Telefonberatung dachte. Der SPD-Abgeordnete Benneter bezog sich hierbei auf einen Fall, in dem der Kunde angerufen und um Beratung gebeten hatte. Auch die objektive ratio legis des § 34 Abs. 2a Satz 3 WpHG ist nicht hinreichend klar erkennbar. Verfehlt wäre es, den Sinn der Vorschrift darin zu erblicken, dass dem Kunden ein Rücktrittsrecht eröffnet werden soll, wenn er bei der Beratung durch das Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht unmittelbar nach Erteilung der Empfehlung ein Protokoll entgegennehmen kann, aber gleichwohl sofort eine Order erteilt; denn damit würde man sich über die einschränkenden Kriterien des § 34 Abs. 2a Satz 3 WpHG hinwegsetzen. Einer Analogie steht im Wege, dass der exakte Zweck der Vorschrift extrem unklar ist. Es bleibt mithin nur eine extensive, bis an die Grenze des Wortlauts gehende Interpretation, die verhindert, dass § 34 Abs. 2a Satz 3 WpHG gänzlich leer läuft. Danach ist in die Formulierung „Wählt der Kunde … Kommunikationsmittel, die …“ hineinzulesen „nach Art und Weise ihres Einsatzes“ die Übermittlung des Protokolls vor dem Geschäftsabschluss nicht gestatten. Bei dieser erweiternden Interpretation hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen dem Kunden unter Umständen ein Rücktrittsrecht zu gewähren, wenn er sich auf eigene Initiative hat telefonisch beraten lassen und in demselben Telefongespräch eine Order erteilt hat. § 34 Abs. 2a Satz 3 WpHG greift jedoch nicht ein, falls der Kunde vom Wertpapierdienstleistungsunternehmen angerufen oder angeschrieben worden ist, ohne dass im Anschluss an die Empfehlung eine Protokollausfertigung übermittelt worden ist, oder wenn der Kunde zwar auf seinen Anruf hin beraten worden ist, aber erst einige Zeit später telefonisch einen Auftrag erteilt, oder wenn er über eine dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen bekannte Faxnummer oder E-Mail-Adresse verfügte, über die ihm vor Auftragserteilung eine Protokollausfertigung hätte zugesandt werden können. 2. Rechtsnatur des Rücktrittsrechts Das Rücktrittsrecht ist, wenn man den Wortlaut des § 34 Abs. 2a WpHG ernst nimmt, vertraglicher Natur und greift nur ein, wenn es dem Kunden „gewährt“ worden ist. Hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen kein Rücktrittsrecht eingeräumt, so sind die Rechtsfolgen unklar. Verankert man § 34 Abs. 2a WpHG ausschließlich im Aufsichtsrecht, so hat die Übermittlung des Protokolls nach Geschäftsabschluss ohne Gewährung eines Rücktrittsrechts keine zivilrechtlichen Folgen. Sieht man in den Sätzen 3 und 4 des § 34 Abs. 2a WpHG auch zivilrechtliche Regeln, so entspringt der Formulierung „kann der Geschäftsabschluß aufgrund ausdrücklichem Wunsch des Kunden vor Erhalt des Protokolls erfolgen, wenn“ eine Verbotsnorm im Sinn des § 134
__________ 62 Plenarprotokoll 16/231, Anlagen 9, 10. 63 Plenarprotokoll 860 v. 10.7.2009, S. 315, 346.
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BGB64. Das Erfordernis dieses Wunsches macht deutlich, dass die Verbotsnorm nur dort wirksam werden kann, wo für das Wertpapierdienstleistungsunternehmen erkennbar war65, dass sich der Kunde bereits vorher hat beraten lassen. Unklar bleibt, warum der Gesetzgeber den Umweg einer Vereinbarung gewählt hat, anstatt klipp und klar zu sagen, dass dem Kunden unter bestimmten Voraussetzungen ein Rücktrittsrecht zustehen soll. Das Aufsichtsrecht hat es jedenfalls auf diese Weise nicht von Normen zivilrechtlicher Natur freigehalten.
V. Beweislast § 34 Abs. 2a WpHG soll, wenn man die Entstehungsgeschichte der Vorschrift ins Auge fasst, die Situation des Anlegers verbessern. Ob dies gelungen ist, erscheint allerdings mehr als fraglich. Wurde das Beratungsgespräch bei gleichzeitiger persönlicher Anwesenheit von Kunde und Berater geführt, so kommt es zu keiner Beweislastumkehr66. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen ist auch nicht verpflichtet, die Richtigkeit und Vollständigkeit des Protokolls zu beweisen. § 34 Abs. 2a Satz 6 WpHG greift nur in Fällen des § 34 Abs. 2a Satz 3, 4 WpHG ein. Die Situation des Kunden wird lediglich dadurch verbessert, dass er sich auf Beratungsfehler berufen kann, die sich unmittelbar67 aus dem Protokoll ergeben. Dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen bleibt es unbenommen, den Berater als Zeugen ins Feld zu führen. Allerdings muss es sich die Beweiswirkung des von diesem unterzeichneten Protokolls entgegenhalten lassen (§ 416 ZPO). Das Protokoll erzeugt jedoch keine widerlegliche Vermutung, so dass es letztlich Sache des Anlegers bleibt, dafür zu sorgen, dass Zweifel an seiner Darstellung weitestgehend ausgeräumt werden68. Hatte es das Wertpapierdienstleistungsunternehmen in Fällen, in denen der Berater unmittelbar mit dem Kunden gesprochen hatte, verabsäumt, vor Geschäftsabschluss ein Protokoll auszuhändigen, so sieht § 34 Abs. 2a WpHG keine Sanktionen vor69. Man wird hier dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen angesichts der beschränkten Beweiskraft des Protokolls nicht ohne weiteres den Vorwurf der Beweisvereitelung machen können. Haben die Parteien für Anlageberatung und Geschäftsabschluss Kommunikationsmittel gewählt, die die Übermittlung des Protokolls vor Geschäftsab-
__________ 64 Dies gilt nicht in Fällen, in denen der Kunde, der in unmittelbarem Kontakt mit dem Berater ein Gespräch geführt hat, das Geschäft abschließt, ohne sich vorher ein Protokoll aushändigen zu lassen. Vgl. auch Strohmeyer, ZBB 2009, 197, 203. 65 Zu weit geht es, Wertpapierdienstleistungsunternehmen dazu zu verpflichten, sich von den Kunden jeweils versichern zu lassen, dass sie sich nicht bereits anderweit haben beraten lassen. 66 Pfeifer, BKR 2009, 485, 489. 67 Zu weit Pfeifer, BKR 2009, 485, 489. 68 Der Anleger hat den Vollbeweis zu führen; § 286 ZPO. 69 Strohmeyer, ZBB 2009, 197, 201.
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schluss nicht gestatten70, so muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen dem Kunden, dem es ein Rücktrittsrecht zugestanden hat und der vom Vertrag zurücktreten will, beweisen, dass er das Protokoll erhalten hat sowie dass dieses richtig und vollständig war71. Dazu kann es den Anlageberater als Zeugen ins Feld führen. Anleger, die sich telefonisch ohne Zeugen haben beraten lassen, besitzen dann schlechte Karten. Unerlaubtes Mithören Dritter oder die nicht gestattete Aufzeichnung des Gespräches bringt dem Anleger keine Beweisvorteile72. Im Übrigen mindert § 34 Abs. 2a Satz 6 WpHG nicht die Beweislast des Kunden, wenn er die Falschberatung erst mehr als eine Woche nach Zugang des inhaltlich unrichtigen oder unvollständigen Protokolls bemerkt. Mit Ablauf der Frist ist nämlich das Rücktrittsrecht erloschen und für Schadensersatzansprüche gilt die allgemeine Regel, dass der Kunde den Vollbeweis der Falschberatung zu führen hat.
__________ 70 Siehe dazu oben unter IV. 1. 71 Zu pauschal Pfeifer, BKR 2009, 485, 489. 72 BGH, WM 1997, 2046; BAG, NJW 2010, 104; NJW 1998, 1331.
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Die „kalte“ Übernahme Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die „kalte“ Übernahme – Versuch einer Begriffsbestimmung III. Aktienrechtliches Regelungsumfeld 1. Einfluss des Aktionärs auf die Unternehmensstrategie? 2. Besetzung des Aufsichtsrats 3. Besetzung des Vorstands a) Bestellung b) Abberufung aa) Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung bb) Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung cc) Sonstige wichtige Gründe
4. Faktischer Konzern? IV. Übernahmerechtliches Regelungsumfeld 1. Kontrollschwelle 2. Zurechnung von Stimmrechten a) Abstimmung aufgrund Vereinbarung oder in sonstiger Weise b) Inhalt der Abstimmung aa) Ausübung von Stimmrechten in der Hauptversammlung bb) Zusammenwirken zwecks Änderung der unternehmerischen Ausrichtung c) Einzelfallausnahme V. Schlussbetrachtung
I. Einleitung Wer die „Kontrolle“ über eine börsennotierte Aktiengesellschaft erlangt, muss den übrigen Aktionären ein Angebot zum Erwerb ihrer Aktien unterbreiten (§ 35 WpÜG); „Kontrolle“ ist als das Halten von mindestens 30 % der Stimmrechte legaldefiniert (§ 29 Abs. 2 WpÜG). Im Ergebnis verbessert diese Regelung die rechtliche Stellung der Minderheitsaktionäre1. Im Rahmen des Pflichtangebots erhalten sie die Gelegenheit, zu einem angemessenen Preis aus der Gesellschaft auszutreten, wenn sich so viele Stimmrechte in einer Hand vereinigen oder von einer Hand in die andere übergehen, dass dem Erwerber die Möglichkeit zufällt, die unternehmerische Leitung der Gesellschaft zu übernehmen. Aus der Sicht des Erwerbers bedeutet dies, dass die angestrebten, durch die Kontrollbeteiligung vermittelten unternehmerischen Einflussmöglichkeiten nur um den Preis einer Mehrinvestition zu erlangen sind, deren Höhe im wesentlichen durch die Preisstellung des Pflichtangebots und das Annahmeverhalten der Minderheitsaktionäre bestimmt wird. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass findige Investoren nach Einflussmöglichkeiten unterhalb der Kontrollschwelle suchen. So erwarb die Grenzebach Maschinenbau GmbH (Grenzebach) in mehreren Schritten insge-
__________ 1 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 30; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 35 WpÜG Rz. 6 ff.
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samt 29,22 % der Stimmrechte an der KUKA AG2. Sie konnte zunächst erreichen, dass sich zwei Mitglieder des paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrats zur Niederlegung ihrer Ämter bereit erklärten3 und dass die anstehende Hauptversammlung der KUKA AG zwei enge Grenzebach-Vertraute zu neuen Mitgliedern des Aufsichtsrats wählte4. Nach einer öffentlich geführten Auseinandersetzung darüber, ob der amtierende Vorstand zuwenig gegen die starke Abhängigkeit von der krisengeschüttelten Automobilindustrie getan und bei der Erschließung von Wachstumsmärkten zu zögerlich agiert habe, erzwang sie die Amtsniederlegung der übrigen vier von den Aktionären gewählten Aufsichtsratsmitglieder und die Ablösung des Vorstandsvorsitzenden und des Finanzvorstands5. Die Vakanzen in Vorstand und Aufsichtsrat wurden mit Grenzebach-Vertrauten bzw. von Grenzebach benannten Kandidaten besetzt – mit einer Ausnahme: Der sechste Sitz der Anteilseigner im Aufsichtsrat ging an den mit 9,7 % der Stimmrechte beteiligten Finanzinvestor Guy WyserPratte6. Bei der AUGUSTA Technologie AG verbanden sich die DAH Beteiligungs GmbH (das Family Office der Familie Hopp aus Mannheim) und der Hedgefonds Lincoln Vale zu einem Stimmrechtspool und meldeten aufgrund abgestimmten Verhaltens (§ 22 Abs. 2 WpHG) einen kumulierten Stimmrechtsanteil von 26,84 %7. Auf der nächsten ordentlichen Hauptversammlung wurde gemäß einem Ergänzungsverlangen der DAH über die Abberufung der amtierenden und die Wahl neuer Mitglieder des Aufsichtsrats Beschluss gefasst. In einer Kampfabstimmung setzten sich die von der DAH vorgeschlagenen Kandidaten mit großer Mehrheit durch8. Kurz darauf wurde der Stimmrechtspool wieder aufgelöst9. Zu Veränderungen im Vorstand kam es nicht. Über unterschiedliche Auffassungen zu Fragen der Unternehmensstrategie drang nichts nach außen. Die Presse wusste zu berichten, dass DAH und Lincoln Value an der unabgestimmten und vom Aufsichtsrat auch auf Nachfrage nicht erläuterten Berufung eines neuen Vorstandsmitglieds Anstoß genommen hatten; Finanzkreisen zufolge hatte Lincoln Vale schon früher vergeblich auf eine Vertretung im Aufsichtsrat gedrängt10. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, das Phämomen des faktischen Kontrollerwerbs unterhalb der Pflichtangebotsschwelle aus aktien- und übernahmerechtlicher Sicht zu beleuchten. Nach dem Versuch einer Begriffsbestimmung werden die aktienrechtlichen Rahmenbedingungen untersucht, unter denen der nach Einfluss strebende Aktionär Vertrauensleute im Aufsichtsrat
__________
2 KUKA AG, Veröffentlichungen gemäß § 26 WpHG v. 3.12.2008, 12.3.2009, 21.4.2009, 15.6.2009. 3 KUKA AG, Pressemitteilung v. 2.4.2009. 4 KUKA AG, Pressemitteilung v. 29.4.2009. 5 KUKA AG, Pressemitteilungen v. 12.8.2009, 3.9.2009, 21.9.2009. 6 KUKA AG, Pressemitteilung v. 21.9.2009; zum Ganzen auch KUKA AG, Geschäftsbericht 2009, S. 9 f. 7 AUGUSTA Technologie AG, Veröffentlichung gemäß § 26 WpHG v. 12.4.2009. 8 AUGUSTA Technologie AG, Pressemitteilung v. 14.5.2010. 9 AUGUSTA Technologie AG, Veröffentlichung gemäß § 26 WpHG v. 21.5.2009. 10 Börsen-Zeitung, 17.4.2010, 14.5.2010.
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und im Vorstand der Gesellschaft platzieren kann. Weil dieser Aktionär bei anderen Aktionären regelmäßig Untestützung findet, stellt sich die Frage, ob und unter welchen Umständen diese Unterstützung ein abgestimmtes Verhalten (acting in concert) darstellt. Insofern hat das Risikobegrenzungsgesetz vom 12. August 200811 viele neue Fragen aufgeworfen.
II. Die „kalte“ Übernahme – Versuch einer Begriffsbestimmung Eine „kalte“ Übernahme ist im WpÜG nirgendwo definiert. Das Gesetz verwendet das Wort „Übernahme“ lediglich im Begriff der „Übernahmeangebote“ – Angebote, die auf den Erwerb der Kontrolle gerichtet sind (§ 29 Abs. 1 WpÜG). Das Gesetz normiert in seinen §§ 29 ff., §§ 35 ff. das Prinzip „kein Kontrollerwerb ohne öffentliches Angebot“, wobei das Angebot als Übernahme- oder Pflichtangebot ausgestaltet sein kann. Das Angebot muss sich auf alle Aktien erstrecken (§ 32 WpÜG) und bestimmten Mindestanforderungen an die Gegenleistung genügen (§ 31 WpÜG i. V. m. §§ 3 ff. WpÜG-AngVO). Ähnlich wie die Begriffsbildungen „kalte“ Enteignung oder „kaltes“ Delisting versucht die Begrifflichkeit der „kalten“ Übernahme zu beschreiben, dass das Ergebnis – Übernahme der unternehmerischen Kontrolle im untechnischen Sinn – außerhalb der dafür im Gesetz vorgesehenen Regularien (d. h. ohne öffentliches Angebot) erreicht wird. Versucht man, die Begrifflichkeit schärfer herauszuarbeiten, lässt sich die „kalte“ Übernahme beschreiben als (i) die Beteiligung mit weniger als 30 % der Stimmrechte (ii) durch einen Investor, der im Regelfall über die Dividendenzahlung hinausgehende Interessen hat, (iii) Änderungen in der personellen Besetzung der Verwaltung durchsetzt und (iv) von den neu bestellten Organmitgliedern in den Grenzen des rechtlich Zulässigen loyales Verhalten erwarten darf. Im Fall der KUKA AG ist dies dem Investor gelungen: Fünf von sechs Aktionärsvertretern im Aufsichtsrat sind Grenzebach-Vertraute bzw. von Grenzebach ausgewählte Personen. Den sechsten Sitz hat der Vertreter des Finanzinvestors inne, der – wie Grenzebach – den amtierenden Vorstand wegen des angeblich zu langsamen Umschwenkens auf Wachstumsmärkte kritisierte und die von Grenzebach ausgewählten Kandidaten für den Aufsichtsrat unterstützte. Der neue Vorstandsvorsitzende ist ebenfalls ein Grenzebach-Vertrauter; die übrigen heute amtierenden Vorstandsmitglieder wurden bestellt, als Grenzebach bereits wesentlich im Aufsichtsrat vertreten war. Nachdem Grenzebach anfänglich moniert hatte, dass der KUKA-Vorstand zu stark auf das zyklische Automobilgeschäft gesetzt und Chancen in Wachstumsmärkten nicht entschlossen genug genutzt habe, dürfte der nachhaltigen Förderung dieser Geschäftsbreiche unter dem neuen Führungsteam nichts mehr im Wege stehen. Im Fall der AUGUSTA Technologie AG ist zweifelhaft, ob eine „kalte“ Übernahme im beschriebenen Sinne vorliegt. Anders als im Fall der KUKA AG sind
__________ 11 Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz) v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, S. 1666.
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DAH und Licoln Vale keine strategischen Investoren, sondern Finanzinvestoren. Dem Hedgefonds Lincoln Vale, der sich selbst als „constructive activist equity hedge fund“ darstellt12, kann unterstellt werden, an schnellen Kursgewinnen innerhalb eines begrenzten Investitionszeitraums interessiert zu sein und – wie vor einigen Jahren am Beispiel der Deutsche Börse AG zu beobachten war – erforderlichenfalls Einfluss auf den Vorstand zu nehmen. Family Offices wie DAH können mit längerem Zeithorizont investieren. Wenn Beteiligungen in meldepflichtiger Höhe oder gar ganze Unternehmen erworben werden, sind diese häufig in demselben Industriesektor wie das Familienunternehmen tätig (hier: Technologie). Auch liegt es für Family Offices nicht fern, eine „buy and build“-Strategie zu verfolgen bzw. die gehaltenen PortfolioGesellschaften bei einer solchen Strategie zu unterstützen. Anders als bei der KUKA AG gingen die Investoren bei der AUGUSTA Technologie AG nicht so weit, den Vorstand auszuwechseln und zu versuchen, über Vorstandsmitglieder ihres Vertrauens das Tagesgeschäft zu kontrollieren. Nachdem die Finanzinvestoren die unzureichende Kommunikation über die Bestellung eines neuen Vorstandsmitglieds moniert hatten13, könnte es für ihre Zwecke und Ziele genügen, mit Vertrauensleuten im Aufsichtsrat vertreten zu sein und den Vorstand von dort zu überwachen.
III. Aktienrechtliches Regelungsumfeld 1. Einfluss des Aktionärs auf die Unternehmensstrategie? Nach der Konzeption des Aktiengesetzes ist nicht vorgesehen, dass einzelne Aktionäre zur Einflussnahme auf die unternehmerische Strategie der konzernfreien Aktiengesellschaft berechtigt wären. Die unternehmerische Leitung – und damit die Vorgabe der unternehmerischen Strategie14 – obliegt dem Vorstand in eigener Verantwortung (§ 76 AktG). Der Aufsichtsrat überwacht die Führung der Geschäfte durch den Vorstand (§ 111 AktG) – im Sinne einer vergangenheitsbezogenen Kontrolle der vom Vorstand bereits entfalteten Tätigkeit und im Sinne einer präventiven, in die Zukunft hinein wirkenden Kontrolle, die durch Beratung mit dem Vorstand auf die künftige Geschäftspolitik Einfluss nimmt15. Die Aktionäre können zwar in der Hauptversammlung Beschlüsse über wesentliche Gesellschaftsangelegenheiten fassen (§ 119 Abs. 1 AktG). Aber in Fragen der Geschäftsführung kommt ihnen keine Kompetenz zu (§ 119 Abs. 2 AktG). Im Rahmen der Investor Relations-Arbeit der Gesellschaft können sie mit Mitgliedern der Verwaltung sprechen und ihre Vorstel-
__________ 12 The Hedgefund Journal, March 2009. 13 Börsen-Zeitung, 17.4.2010. 14 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 76 AktG Rz. 9; Habersack in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 111 AktG Rz. 12 m. w. N. 15 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 111 AktG Rz. 4, 5; Habersack in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 76 AktG Rz. 2, § 111 AktG Rz. 12 m. w. N.
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lungen und Erwartungen artikulieren16. Aber ob der Vorstand diesen Vorstellungen und Erwartungen entsprechen will, ist seine Sache. Der Aktionär, der nachhaltigen Einfluss auf die Unternehmensstrategie nehmen will, muss daher zusehen, dass er im Aufsichtsrat mit genügend Vertrauenspersonen vertreten ist. Gegebenenfalls muss er von dort aus auf personelle Veränderungen im Vorstand hinwirken. 2. Besetzung des Aufsichtsrats Die Mitglieder des Aufsichtsrats werden grundsätzlich von der Hauptversammlung gewählt, soweit sie nicht als Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach dem Mitbestimmungsgesetz, dem Drittelbeteiligungsgesetz oder anderen Vorschriften von den Arbeitnehmern zu wählen sind (§ 101 Abs. 1 Satz 1 AktG). Von der Hauptversammlung zu wählende Mitglieder des Aufsichtsrats können nicht für längere Zeit als bis zur Beendigung der Hauptversammlung bestellt werden, die über ihre Entlastung für das vierte Geschäftsjahr nach dem Beginn ihrer Amtszeit beschließt (§ 102 Abs. 1 AktG). In der Praxis werden viele, wenn nicht die meisten Aufsichtsratsmitglieder für diesen – grob gerechnet fünfjährigen – Maximalzeitraum gewählt. Weil die Amtszeit der Aufsichtsratsmitglieder selten genau dann endet, wenn der nach Einfluss strebende Aktionär seinen Wunsch nach Vertretung im Aufsichtsrat zum Ausdruck bringt, stellt sich die Frage, wie die erforderlichen Vakanzen geschaffen und die vom Aktionär vorgeschlagenen Kandidaten bestellt werden können. Zunächst besteht die Möglichkeit einer konsensualen Lösung. Der Aktionär und die Gesellschaft (häufig unter Einbeziehung des Aufsichtsratsvorsitzenden) erzielen informell Einigkeit darüber, dass der Aktionär mit einer bestimmten Zahl von Vertetern im Aufsichtsrat repräsentiert sein sollte. Dann wird die erforderliche Zahl amtierender Mitglieder des Aufsichtsrats davon überzeugt, das Amt niederzulegen. Schließlich werden die Vertreter des Aktionärs unter den Voraussetzungen des § 104 AktG auf Antrag des Vorstands, eines Aufsichtsratsmitglieds oder des Aktionärs durch das zuständige Gericht zu Mitgliedern des Aufsichtsrats bestellt. Hinter den Kulissen kann die Konsensfindung mehr als nur gute Argumente erfordern. Aktionäre, deren Anteile zusammen mindestens 5 % des Grundkapitals oder den anteiligen Betrag von Euro 500.000 erreichen, können verlangen, dass bestimmte Gegenstände auf die Tagesordnung der Hauptversammlung gesetzt und bekanntgemacht werden, wenn sie nachweisen, dass sie seit mindestens drei Monaten vor dem Zeitpunkt des Bekanntmachungsverlangens Inhaber der Aktien sind (§ 122 Abs. 2 AktG). Grenzebach machte von diesem Recht Gebrauch: Als die ordentliche Hauptversammlung der KUKA AG bevorstand, stellte Grenzebach den Antrag, die Tagesordnung um die Beschluss-
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16 Vgl. Fleischer, ZGR 2009, 505, 511 ff.; Mutter in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 21 Rz. 8 ff., 11, 13; zum Ganzen auch Ekkenga, NZG 2001, 1, 5; Jäger, NZG 2000, 186, 188.
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fassung über die Abberufung der amtierenden und die Wahl neuer Aktionärsvertreter im Aufsichtsrat zu ergänzen. Grenzebach hatte zu diesem Zeitpunkt eine Beteiligung von mehr als 10 % der Stimmrechte gemeldet; die Schwelle des § 122 Abs. 2 AktG war also weit überschritten. Zu einer Kampfabstimmung kam es nicht: Die KUKA AG ließ verlauten, man habe Einigkeit über die angemessene Vertretung des Aktionärs im Aufsichtsrat erzielt17. Zwei Aufsichtsräte waren zur Niederlegung ihrer Ämter bereit, und die Hauptversammlung wählte zwei Grenzebach-Vertraute in den Aufsichtsrat. Wenn keine Hauptversammlung bevorsteht, kann der Aktionär die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung verlangen, um die amtierenden Aktionärsvertreter im Aufsichtsrat abberufen und neue Vertreter wählen zu lassen. Antragsberechtigt sind Aktionäre, deren Anteile zusammen mindestens 5 % des Grundkapitals erreichen und die nachweisen, dass sie seit mindestens drei Monaten vor dem Zeitpunkt des Einberufungsverlangens Inhaber der Aktien sind (§ 122 Abs. 1, § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG). Grenzebach setzte auch dieses Mittel ein; zu diesem Zeitpunkt hatte Grenzebach eine Beteiligung von mehr als 25 % der Stimrechte und gemäß § 27a WpHG die Absicht der Einflussnahme auf die Besetzung der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane der Gesellschaft gemeldet. Die KUKA AG nahm zu dem Antrag pflichtgemäß Stellung18 und teilte außerdem mit, dass es im Interesse des Unternehmens, seiner Aktionäre, Mitarbeiter und Kunden liege, den von Grenzebach angestrebten Wechsel im Vorstand und im Vorsitz des Aufsichtsrats einvernehmlich zu vollziehen. Die Bestellungen der zwei Vorstandsmitglieder wurden „einvernehmlich“ beendet, die vier nicht von Grenzebach unterstützten Aufsichtsräte legten ihre Ämter nieder, und Grenzebach nahm den Antrag auf Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung zurück19. Durch gerichtliche Bestellung zogen drei weitere Grenzebach-Vertraute und der mit 9,7 % der Stimmrechte beteiligte Finanzinvestor Wyser-Pratte in den Aufsichtsrat ein. Wenn – wie bei der AUGUSTA Technologie AG geschehen – kein Konsens gefunden wird, muss der nach Einfluss strebende Aktionär die Kampfabstimmung in der Hauptversammlung suchen. Lehnt die Gesellschaft die Einberufung der Hauptversammlung bzw. die Bekanntmachung der weiteren Beschlussgegenstände ab, „kann“ das Gericht die Aktionäre, die den Antrag gestellt haben, ermächtigen, die Hauptversammlung einzuberufen bzw. den Beschlussgegenstand bekanntzumachen (§ 122 Abs. 3 Satz 1 AktG). Nach allgemeiner Ansicht steht dem Gericht kein Ermessen zu; es muss im Sinne der Antragsteller entscheiden, wenn der an den Vorstand gerichtete Einberufungs- bzw. Ergänzungsantrag zulässig und begründet war20. Der Beschluss der Hauptver-
__________ 17 18 19 20
Pressemeldung KUKA AG v. 27.3.2009 und 2.4.2009. Pressemeldung KUKA AG v. 12.8.2009. Pressemeldung KUKA AG v. 3.9.2009. OLG Köln, WM 1959, 1402; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 122 AktG Rz. 11; Zöllner in KölnKomm.AktG, 1. Aufl. 1970, § 122 AktG Rz. 28; Kubis in MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2004, § 122 AktG Rz. 39.
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sammlung über die Abberufung bedarf grundsätzlich mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen (§ 103 Abs. 1 Satz 2 AktG). In der Satzung können jedoch eine andere Mehrheit und weitere Erfordenisse bestimmt werden (§ 103 Abs. 1 Satz 3 AktG). Viele börsennotierte Gesellschaften bestimmen in ihrer Satzung, dass Beschlüsse der Hauptversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst werden, soweit das Gesetz nicht zwingend eine höhere Mehrheit anordnet21. Damit ist die Schwelle für den Abberufungsbeschluss auf die einfache Stimmenmehrheit abgesenkt22. Auch eine spezifisch auf die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern zugeschnittene Satzungsbestimmung ist möglich. Im übrigen steht die Abberufung der von den Aktionären gewählten Aufsichtsratsmitglieder im freien Ermessen der Hauptversammlung23. Ein sachlicher oder gar wichtiger Grund in der Person des betroffenen Aufsichtsratsmitglieds ist nicht erforderlich24. Nach der Abberufung der amtierenden Aufsichtsratsmitglieder kann die Hauptversammlung neue Aufsichtsratsmitglieder wählen (§ 101 Abs. 1 Satz 1 AktG). Der Beschluss bedarf der einfachen Stimmenmehrheit (§ 133 Abs. 1 AktG), soweit die Satzung keine andere Bestimmung trifft (§ 133 Abs. 2 AktG). 3. Besetzung des Vorstands Die Amtszeit der Vorstandsmitglieder endet selten genau dann, wenn der nach Einfluss strebende Aktionär seinen Wunsch nach Vertretung im Vorstand umsetzen will. Für ihn stellt sich daher die Frage, ob er den amtierenden Vorstandsmitgliedern ein weiteres Vorstandsmitglied zur Seite stellen oder den gesamten Vorstand auswechseln will. Auch Ziele zwischen diesen beiden Extremen sind denkbar. a) Bestellung Vorstandsmitglieder werden vom Aufsichtsrat bestellt (§ 84 Abs. 1 Satz 1 AktG). Die Amtszeit ist auf fünf Jahre begrenzt; die wiederholte Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit ist zulässig (§ 84 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AktG). Die Höchstdauer von fünf Jahren gilt grundsätzlich auch für den Anstellungsvertrag (§ 84 Abs. 1 Satz 5 AktG).
__________ 21 22 von 30 DAX-Unternehmen haben eine solche Regelung in ihrer Satzung. 22 Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 103 AktG Rz. 11; Habersack in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 103 AktG Rz. 15; Scholz in Semler/v. Schenck, ArbHdb. für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 11 Rz. 31. 23 Hopt/Roth in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2006, § 103 AktG Rz. 13; Mertens in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, § 103 AktG Rz. 7; Habersack in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 103 AktG Rz. 12. 24 KG, NZG 2003, 441, 446; Habersack in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 103 AktG Rz. 12; einschränkend Uwe H. Schneider/Nietsch in FS Westermann, 2008, S. 1447, 1451 f.; der Grund für diese Regelung besteht in der Erwägung, dass Aufsichtsratsmitglieder das Vertrauen der Hauptversammlung haben sollen und daher der in der Abberufung zu sehende Vertrauensentzug für die Amtsbeendigung genügt, vgl. Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 103 AktG Rz. 3.
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Die Bestellung eines neuen Vorstandsmitglieds hat durch das Aufsichtsratsplenum zu erfolgen (§ 107 Abs. 3 Satz 3 AktG)25. Über die Bestellung entscheidet der Aufsichtsrat mit einfacher Mehrheit; die Satzung kann keine qualifizierte Mehrheit vorschreiben26. Der nach Einfluss strebende Aktionär sollte daher in der Lage sein, einen Kandidaten durchzusetzen, kurz nachdem es ihm gelungen ist, die Mehrheit der Sitze im Aufsichtsrat mit Personen seines Vertrauens zu besetzen. Bei paritätisch mitbestimmten Gesellschaften kann der „Durchmarsch“ ein wenig länger dauern, denn hier ist zusätzlich § 31 MitbestG zu beachten. Hiernach bedarf die Bestellung von Vorstandsmitgliedern einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen (§ 31 Abs. 2 MitbestG). Scheitert diese Bestellung, hat der nach § 27 Abs. 3 MitbestG gebildete, paritätisch besetzte Vermittlungsausschuss innerhalb eines Monats einen Vorschlag für die Bestellung zu machen. Danach bedarf die Beschlussfassung über die Bestellung der einfachen Stimmenmehrheit (§ 31 Abs. 3 MitbestG). Scheitert auch diese Bestellung, hat der Aufsichtsratsvorsitzende bei einer erneuten Abstimmung zwei Stimmen (§ 31 Abs. 4 MitbestG). Der nach Einfluss strebende Aktionär wird seinen Kandidaten daher nur sicher durchsetzen können, wenn sämtliche Aktionärsvertreter im Aufsichtsrat Personen seines Vertrauens sind. Wenn im ersten Wahlgang die Arbeitnehmervertreter gegen seinen Kandidaten stimmen, muss er außerdem den Beschlussvorschlag des Vermittlungsausschusses abwarten. Diese Verzögerungen werden vermieden, wenn im Aufsichtsrat platzierte Vertrauensleute des nach Einfluss strebenden Aktionärs gemäß § 105 Abs. 2 Satz 1 AktG zu Stellvertretern von fehlenden bzw. verhinderten Vorstandsmitgliedern bestellt werden. In paritätisch mitbestimmten Gesellschaften richtet sich das Beschlussverfahren nach zutreffender Auffassung nämlich nicht nach § 31 MitbestG, sondern nach § 29 MitbestG27. Hiernach genügt zur Beschlussfassung die Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 29 Abs. 1 MitbestG). Besteht bei der ersten Abstimmung Stimmengleichheit, hat der Aufsichtsratsvorsitzende bei erneuter Abstimmung mit Stimmengleichheit zwei Stimmen (§ 29 Abs. 2 MitbestG). Die Bestellung stellvertretender Vorstandsmitglieder kann einem Ausschuss übertragen werden, weil § 105 Abs. 2 AktG in § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG nicht genannt ist28.
__________ 25 Demgegenüber kann der Aufsichtsrat vorbehaltlich der Vergütungsentscheidungen gemäß § 87 AktG die Vorbereitung und Entscheidung über den Anstellungsvertrag einem Ausschuss überlassen; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 12; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 60 jeweils m. w. N. 26 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 108 AktG Rz. 8; Hopt/Roth in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2006, § 108 AktG Rz. 36; Habersack in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 108 AktG Rz. 24. 27 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 105 AktG Rz. 9; Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 105 AktG Rz. 16; Heidbüchel, WM 2004, 1317, 1319. 28 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 105 AktG Rz. 9; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2006, § 105 AktG Rz. 56; Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 105 AktG Rz. 16; Wiesner in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 24 Rz. 30; a. A. Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 105 AktG Rz. 31; zuvor schon Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrates, 1981, S. 231.
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b) Abberufung Der Aufsichtsrat kann die Bestellung zum Vorstandsmitglied nur widerrufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt (§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG). Die Kombination der in der Regel mehrjährigen Bestellung und des wichtigen Grundes als Abberufungsvoraussetzung soll die Unabhängigkeit des Vorstands schützen. Der Vorstand soll – zwar vom Aufsichtsrat beraten, aber abgeschirmt von unzulässigen Einmischungsversuchen – die Gesellschaft unter eigener Verantwortung leiten können29. Auch für den Widerruf der Bestellung der Vorstandsmitglieder ist das Aufsichtsratsplenum zuständig (§ 107 Abs. 3 Satz 3 AktG). Der nach Einfluss strebende Aktionär sollte daher in der Lage sein, den Vorstand vollständig mit Vertrauenspersonen zu besetzen, wenn er den Aufsichtsrat dominiert. In paritätisch mitbestimmten Gesellschaften folgt die Abberufung demselben mehrstufigen Verfahren, das auch für die Bestellung gilt (§ 31 Abs. 5 MitbestG). Folglich muss in der ersten Abstimmung über die Abberufung eine Zweidrittelmehrheit erreicht werden. Kommt sie nicht zustande, ist der Vermittlungsausschuss anzurufen30. In der zweiten Abstimmung entscheidet die einfache Mehrheit, und in der dritten Abstimmung hat der Aufsichtsratsvorsitzende zwei Stimmen. Der Konflikt zwischen der Monatsfrist des § 31 Abs. 3 Satz 1 MitbestG und der für die außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages zu wahrenden zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB wird nach herrschender Auffassung durch die Hemmung der Zweiwochenfrist gelöst, solange das Verfahren über den Widerruf der Bestellung noch nicht abgeschlossen ist31. Nach der Gegenauffassung ist die Monatsfrist nicht anwendbar und können sogar alle drei Abstimmungen in einer Aufsichtsratssitzung durchgeführt werden32. Nach allem wird der nach Einfluss strebende Aktionär die Abberufung von Vorstandsmitgliedern nur sicher durchsetzen können, wenn sämtliche Aktionärsvertreter im Aufsichtsrat Personen seines Vertrauens sind. Der Widerruf der Bestellung ist wirksam, bis seine Unwirksamkeit rechtskräftig festgestellt ist (§ 84 Abs. 3 Satz 4 AktG). Diese Vorschrift verleiht dem Aufsichtsrat eine starke Position, denn das abberufene Vorstandsmitglied wird in der Regel nicht in der Lage sein, eine rechtskräftige Entscheidung zu erstreiten, bevor die Restlaufzeit der Bestellung abgelaufen und damit der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. In der Praxis wird daher nur selten Rechtsstreit über den Widerruf der Bestellung geführt33.
__________ 29 Vgl. Begr. RegE bei Kropff, AktG, 1965, S. 106; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 26; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 84 AktG Rz. 98; krit. Peltzer in Semler/Peltzer, ArbHdb. für Vorstandsmitglieder, 2005, § 2 Rz. 95. 30 Krit. Peltzer in Semler/Peltzer, ArbHdb. für Vorstandsmitglieder, 2005, § 2 Rz. 98 (in Fn. 163). 31 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 25; Wiesner in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 20 Rz. 39; Oetker in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2008, § 31 MitbestG Rz. 25. 32 LG Ravensburg, EWiR 1985, 415; ähnlich Ulmer/Habersack in Ulmer/Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl. 2006, § 31 MitbestG Rz. 43. 33 Vgl. zum ganzen Peltzer in Semler/Peltzer, ArbHdb. für Vorstandsmitglieder, 2005, § 2 Rz. 96, 122.
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Die Bestellung kann nur dann widerrufen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt (§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG). Als wichtige Gründe nennt das Gesetz grobe Pflichtverletzung, Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung und Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung (§ 84 Abs. 3 Satz 2 AktG). Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift ist diese Aufzählung nicht abschließend34. Der Widerruf der Bestellung kann daher auf jeden Grund gestützt werden, der die Fortsetzung des Organverhältnisses bis zum Ende der Amtszeit für die Gesellschaft unzumutbar macht35. Der wichtige Grund muss nicht einmal in der Person des Vorstandsmitglieds liegen36. Nach herrschender Auffassung sind zur Feststellung der Unzumutbarkeit die Interessen der Gesellschaft und des betroffenen Vorstandsmitglieds gegeneinander abzuwägen, wobei die Interessen der Gesellschaft überwiegend berücksichtigt werden dürfen37. Dagegen tritt eine starke Literaturmeinung mit guten Gründen dafür ein, dass allein auf das objektive Interesse der Gesellschaft abzustellen ist38. Nach herrschender Auffassung hat der Aufsichtsrat dabei keinen Beurteilungsspielraum, so dass die Entscheidung gerichtlich voll überprüfbar ist39. In den seltensten Fällen wird eine grobe Pflichtverletzung gerade dann offenkundig, wenn der nach Einfluss strebende Aktionär Personen seines Vertrauens im Vorstand platzieren will. Daher stellt sich die Frage, ob eine Abberufung missliebiger Vorstandsmitglider wegen Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung in Betracht kommt, unter welchen Umständen die Hauptver-
__________ 34 Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 119. 35 BGH, AG 2007, 125 Rz. 2; BGH, NJW-RR 1988, 352, 353; OLG Stuttgart, AG 2003, 211, 212; OLG Karlsruhe, NZG 2000, 264, 265; OLG Hamm, AG 1991, 399, 400 f.; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 27; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 116. 36 OLG München, AG 2006, 337, 339; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 27; Kort in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 153; Wiesner in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 20 Rz. 45. 37 BGH, WM 1962, 811, 812; BGH, NJW-RR 1988, 352, 353; BGH, ZIP 2007, 119; KG, AG 2007, 745, 746 f.; OLG Stuttgart, NJW-RR 1995, 295, 296; OLG Stuttgart, AG 2003, 211, 212; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 26; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 121; Kort in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 140 f.; Fonk in Semler/v. Schenck, ArbHdb. für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 9 Rz. 304; Janzen, NZG 2003, 468, 470; Grumann/Gillmann, DB 2003, 770, 771. 38 Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 84 AktG Rz. 101; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 117; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 84 AktG Rz. 49; Oltmanns in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2007, § 84 AktG Rz. 20; Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrates, 1981, S. 132; Hoffmann-Becking, ZIP 2007, 2101, 2102; Wiesner in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 20 Rz. 44. 39 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 26; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 115; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 122; Oltmanns in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2007, § 84 AktG Rz. 20; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 84 AktG Rz. 49; a. A. Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrates, 1981, S. 138 ff.; Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 4. Aufl. 2008, Rz. 259; Peltzer in Semler/Peltzer, ArbHdb. für Vorstandsmitglieder, 2005, § 2 Rz. 96.
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sammlung Vorstandsmitgliedern das Vertrauen entziehen kann und welche weiteren, in § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG nicht ausdrücklich genannten wichtigen Gründe die Abberufung von Vorstandsmitgliedern rechtfertigen können. aa) Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung Die Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung kann die verschiedensten Gründe haben: fachliche Unzulänglichkeiten, persönliche Defizite, lange Krankheit, Wegfall der von Gesetz oder Satzung geforderten persönlichen Eigenschaften und viele Gründe mehr40. Für den nach Einfluss strebenden Aktionär ist von Interesse, ob der von ihm dominierte Aufsichtsrat missliebige Vorstandsmitglieder wegen Differenzen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat über grundsätzliche Fragen der Unternehmenspolitik abberufen kann. Ob derartige Differenzen den Widerruf der Bestellung rechtfertigen, wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Nach einer Meinung sind Streitigkeiten zwischen Vorstand und Aufsichtsrat nicht geeignet, die Abberufung von Vorstandsmitgliedern zu rechtfertigen, solange sich der Vorstand im Rahmen seines unternehmerischen Ermessens bewegt41. Hierfür wird angeführt, dass ein an Auseinandersetzungen zwischen dem Vorstand und dem Aufsichtsrat anknüpfendes Abberufungsrecht die Gefahr berge, dass die Vorstandsarbeit über die gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG festgelegten Zustimmungsvorbehalte hinaus vom Aufsichtsrat bestimmt werden könnte. Der Aufsichtsrat dürfe aber Maßnahmen der Geschäftsführung nicht an sich ziehen (§ 111 Abs. 4 Satz 1 AktG), und zwar weder direkt noch indirekt mithilfe eines weit ausgestalteten Abberufungsrechts. Überzeugender ist indes die Gegenauffassung42. Nicht ausräumbare Differenzen über grundsätzliche Fragen der Unternehmenspolitik gefährden die Entwicklung des Unternehmens43. Sie sollten allerdings nur dann auftreten, wenn der Aufsichtsrat die Geschäftsführung des Vorstands im Interesse der Gesellschaft für unzureichend oder unvertretbar hält. Weil jedoch der Aufsichtsrat dafür verantwortlich ist, dass der Vorstand den unternehmerischen Anforderungen uneingeschränkt gerecht wird, muss er berechtigt sein, den Vorstand neu zu besetzen, wenn dies nach seiner Meinung im Interesse der Gesellschaft liegt44. Würde man den Auf-
__________ 40 Vgl. statt aller die Zusammenstellungen bei Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 84 AktG Rz. 105 f. und Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 121. 41 Goette in FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 123, 129; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 28; Kort in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 176. 42 Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 126; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 121; Wiesner in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 20 Rz. 48; Fonk in Semler/v. Schenck, ArbHdb. für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 9 Rz. 306; Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 5 Rz. 24; Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrates, 1981, S. 133 f. 43 Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Aufl. 1996, Rz. 216. 44 Fonk in Semler/v. Schenck, ArbHdb. für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 9 Rz. 306.
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sichtsrat in dieser Situation darauf verweisen, gemäß § 111 Abs. 3 AktG die Hauptversammlung einzuberufen und zu beantragen, den betroffenen Vorstandsmitgliedern das Vertrauen zu entziehen, kann dies jedenfalls bei Publikumsgesellschaften zu einer Lähmung und schweren Schädigung der Gesellschaft führen45. Hiernach kann der nach Einfluss strebende Aktionär, der den Aufsichtsrat dominiert, missliebige Vorstandsmitglieder grundsätzlich wegen Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung abberufen. Weil allerdings nach Fusionen Meinungsverschiedenheiten hinzunehmen sein sollen46, stellt sich die Frage, ob dies auch bei einer „kalten“ Übernahme gilt und der nach Einfluss strebende Aktionär nach dem Einzug seiner Vertrauensleute in den Aufsichtsrat einer gewissen Karenzzeit unterworfen ist. Dies ist jedenfalls in dieser Allgemeinheit zu verneinen. Wenn es pflichtgemäß ist, den Vorstand auszuwechseln, muss der Aufsichtsrat sofort handeln. Im weiteren Zeitverlauf nach dem Beteiligungserwerb kann auch eine Abberufung wegen Defiziten im persönlichen Bereich in Betracht kommen, etwa wegen feindseligen Verhaltens von Vorstandsmitgliedern untereinander. Derartiger Umgang gefährdet die kollegiale Zusammenarbeit und kann sie sogar ganz ausschließen; dies kann die Gesellschaft schwer schädigen47. Wenn der nach Einfluss strebende Aktionär im Rahmen der „kalten“ Übernahme zunächst nur einen Vertrauten im Vorstand platziert, liegt eine Verfeindung zwischen Vorstandsmitgliedern nicht im Bereich des Unmöglichen. Früher oder später ergeben sich Meinungsverschiedenheiten, die in extremen Fällen zu persönlicher Feindschaft führen und in öffentlich ausgetragenem Streit eskalieren können. In dieser Situation kann sich für den Aufsichtsrat die Möglichkeit ergeben, die Vorstandsmitglieder, die nicht das Vertrauen des nach Einfluss strebenden Aktionärs genießen, wegen Unfähigkeit zur Amtsführung abzuberufen. Bei unheilbarer Verfeindung ist der Aufsichtsrat nämlich nicht verpflichtet, unbedingt das Vorstandsmitglied abzuberufen, von dem der Streit ausgeht48. Vielmehr hat der Aufsichtsrat die Lösung zu finden, die im Interesse der Gesellschaft die beste ist und einen möglichst dauerhaften Frieden und eine künftig möglichst reibungslose kollegiale Zusammenarbeit im Vorstand gewährleistet49. Diese Lösung kann so aussehen, dass sich der Aufsichtsrat für das fähigere, aber „schuldige“ Vorstandsmitglied entscheidet und das unfähigere „unschuldige“ Vorstandsmitglied abberuft50.
__________ 45 Wiesner in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2008, § 20 Rz. 48. 46 Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 121 a. E. 47 BGH, WM 1984, 29 f.; OLG Karlsruhe, NZG 2000, 264, 265 f.; OLG Koblenz, ZIP 1987, 1120, 1124; LG Stuttgart, AG 2003, 53. 48 BGH, AG 1998, 519, 520; BGH, ZIP 1992, 760, 761; OLG Koblenz, ZIP 1987, 1120, 1124; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 121. 49 Peltzer in Semler/Peltzer, ArbHdb. für Vorstandsmitglieder, 2005, § 2 Rz. 115. 50 BGH, AG 1998, 519, 520; BGH, ZIP 1992, 760, 761; OLG Koblenz, ZIP 1987, 1120, 1124; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 121.
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bb) Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung Der Vertrauensentzug durch den Mehrheitsaktionär setzt nach herrschender Auffassung grundsätzlich einen Beschluss der Hauptversammlung voraus51. Wird der Widerruf der Bestellung auf den Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung gestützt, kann der Aufsichtsrat die Bestellung erst nach der Beschlussfassung der Hauptversammlung widerrufen. Erforderlich ist ein endgültiger und uneingeschränkter Vertrauensentzug; die Missbilligung einzelner Maßnahmen genügt regelmäßig nicht52. Die Verweigerung der Entlastung ist dem Vertrauensentzug nach überwiegender Ansicht nicht gleichzustellen53. Der Beschluss über den Vertrauensentzug bedarf keiner Begründung54. Er stützt den Widerruf der Bestellung auch dann, wenn dem Vorstandsmitglied kein persönlicher Vorwurf gemacht werden kann55, und sogar dann, wenn das Vorstandsmitglied objektiv im Recht ist56. Der Vertrauensentzug kann jedoch nicht auf offenbar unsachliche Gründe gestützt werden (§ 84 Abs. 3 Satz 2 a. E. AktG). Ein unsachlicher Grund wäre etwa gegeben, wenn das Misstrauensvotum nur als Vorwand dient, willkürlich oder haltlos oder wegen des verfolgten Zwecks unredlich ist57 oder wenn sich die Misstrauensbekundung darauf stützt, dass sich das Vorstandsmitglied wei-
__________ 51 BGH, WM 1962, 811; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 30; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 84 AktG Rz. 109; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 127; Mutter in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 20 Rz. 16; zweifelnd Säcker in FS G. Müller, 1981, S. 745, 751 f.; ähnlich Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 127. 52 Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 84 AktG Rz. 107; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 127. 53 LG München I, AG 2005, 701; KG, AG 2007, 745, 746; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 30; Kubis in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 120 AktG Rz. 35; Zöllner in KölnKomm.AktG, 1. Aufl. 1970, § 119 AktG Rz. 41 f.; Fleischer, AG 2006, 429, 441; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 84 AktG Rz. 109; Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 5 Rz. 27; Messer in FS Nirk, 1992, S. 681, 684; Zimmermann in FS Rowedder, 1994, S. 593, 594 f.; Grumann/ Gillmann, DB 2003, 770, 771; Mutter in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 20 Rz. 16; differenzierend Spindler in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 127 („kann, muss jedoch nicht“), a. A. Mertens/ Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 127; Kort in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 165; Wiesner in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 20 Rz. 48; Oltmanns in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2007, § 84 AktG Rz. 24; Weber, BB 1994, 1088 f. 54 BGH, NJW 1954, 505; BGH, WM 1961, 569; öOGH, AG 1999, 140, 141; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 29; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 84 AktG Rz. 557; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 126. 55 BGH, WM 1955, 1222; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 27, 30; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 84 AktG Rz. 107; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 127. 56 BGH, AG 1975, 242; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 29; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 84 AktG Rz. 107; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 127. 57 BGHZ 13, 188, 193; LG Darmstadt, AG 1987, 318, 320; KG, ZIP 2003, 1042, 1046 f.
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gert, einem die Belange der Gesellschaft schädigenden Verlangen des Großaktionärs zu folgen58. Hingegen ist es kein unsachlicher Grund, dass ein Bieter nach erfolgreicher Übernahme der Gesellschaft einen Hauptversammlungsbeschluss über den Vertrauensentzug herbeiführt59. cc) Sonstige wichtige Gründe Als sonstige, in § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG nicht ausdrücklich genannte Widerrufsgründe werden die unterschiedlichsten Fälle und darunter insbesondere die Abberufung auf Druck Dritter diskutiert60. Die Rechtsprechung hat die Abberufung auf Druck eines Lieferanten mit dem Ziel, einen missliebigen Geschäftsleiter zu entfernen61, und die Abberufung auf Druck einer kreditgebenden Bank, die die Prolongation eines zur Abwendung der Insolvenz alternativlos erforderlichen Darlehens von der Abberufung des Vorstandsmitglieds abhängig gemacht hatte62, als wichtige Gründe im Sinne des § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG angesehen. Demgegenüber ist die Abberufung auf Druck des Mehrheitsaktionärs, der das Vertrauen in den Vorstand verloren hat, aber keinen Beschluss der Hauptversammlung herbeiführt, nach herrschender Auffasung nicht durch § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG gedeckt63. Für den Vertrauensentzug des Minderheitsaktionärs soll das erst recht gelten64. Auch die Änderung der Mehrheitsverhältnisse ist für sich allein kein Abberufungsgrund65. In der Literatur wird allerdings erwogen, den Vertrauensentzug durch den Mehrheitsaktionär außerhalb der Hauptversammlung ausnahmsweise als Abberufungsgrund anzuerkennen, wenn der Vorstand sich mit dem früheren Mehrheitsaktionär so stark identifiziert hatte, dass berechtigte Zweifel bestehen, ob das Vorstandsmitglied sein Leitungsermessen künftig unter loyaler Berücksichtigung der mit den Interessen der Gesellschaft konformen Interessen des neuen Mehrheitsaktionärs ausüben
__________ 58 Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 128. 59 Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 128; Kort in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 178. 60 Hierzu ausführlich Fleischer, DStR 2006, 1507. 61 BGH, DStR 1999, 1537 m. Anm. Goette (zur GmbH). 62 OLG München, NZG 2006, 313, 314; bestätigt duch BGH, ZIP 2007, 119. 63 BGH, WM 1962, 811; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 30; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 128; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 84 AktG Rz. 109, 117; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 127; Oltmanns in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2007, § 84 AktG Rz. 24; hinsichtlich § 31 MitbestG: Koberski in Wlotzke/ Wissmann/Koberski/Kleinsorge, Mitbestimmungsrecht, 3. Aufl. 2008, § 31 MitbestG Rz. 29; a. A. für Allein- oder Mehrheitsaktionär Säcker in FS G. Müller, 1981, S. 745, 751; für den Aufsichtsrat OLG München, AG 1986, 234, 235. 64 Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 84 AktG Rz. 117. 65 Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 128; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 124; Röder/Lingemann, DB 1993, 1341, 1342.
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wird66. Dies soll etwa der Fall sein, wenn das Vorstandsmitglied eine feindliche Übernahme vehement bekämpft hat und der erfolgreiche Bieter daher berechtigte Zweifel an seiner Loyalität haben darf67. Richtigerweise ist zu differenzieren: Wenn die Bestellung aus einem in § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG nicht ausdrücklich benannten Grund widerrufen wird, muss dieser Grund in seinem Gewicht den in § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG ausdrücklich benannten Gründen entsprechen; er darf nach Art und Schwere kein Minus gegenüber diesen Gründen darstellen68. Dies wäre etwa der Fall, wenn keine grobe, sondern nur eine gewöhnliche Pflichtverletzung vorläge69. Gleichermaßen kann auch nicht jeder Vertrauensverlust eine Abberufung aus unbenanntem wichtigen Grund rechtfertigen. Vielmehr müssen konkrete Tatsachen vorliegen, die zu berechtigten und schwerwiegenden Zweifeln an der Loyalität des Vorstandsmitglieds Anlass geben70. Die Identifikation mit dem früheren Mehrheitsaktionär allein kann dafür nicht ausreichen. Wenn aber Tatsachen hinzutreten, in denen sich die befürchtete Illoyalität manifestiert, kann dies die Abberufung aus unbenanntem wichtigen Grund rechtfertigen. Diese Tatsachen können schon vor dem Erwerb der Mehrheitsbeteiligung eingetreten sein71. Wenn etwa das Vorstandsmitglied konkrete, gezielt gegen den neuen Mehrheitaktionär gerichtete Maßnahmen ergreift (etwa ein feindliches Übernahmeangebot nachdrücklich bekämpft), liegen konkrete Tatsachen vor, auf die der neue Mehrheitsaktionär berechtigte und schwerwiegende Zweifel an der künftigen vertrauensvollen und loyalen Zusammenarbeit stützen darf. Wenn sich das Vorstandsmitglied im Übernahmekampf so stark exponiert, muss der neue Mehrheitsaktionär die Bestellung auch ohne Misstrauensvotum der Hauptversammlung widerrufen können. Weil die Stimmenmehrheit gesichert ist, wäre die Abhaltung einer Hauptversammlung eine leere Förmelei. Dies ist anders, wenn – wie im Fall der „kalten“ Übernahme – die Stimmenmehrheit nicht gesichert ist. Daher ist ein Minderheitsaktionär, auch wenn er auf konkrete Tatsachen gestützte schwerwiegende Zweifel an der Loyalität des Vorstandsmitglieds haben darf, darauf verwiesen, das Misstrauensvotum der Hauptversammlung herbeizuführen, bevor der Aufsichtsrat die Bestellung widerrufen kann.
__________ 66 Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 128; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 124; Oltmanns in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2007, § 84 AktG Rz. 25; Röder/Lingemann, DB 1993, 1341, 1342. 67 Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 124; Röder/Lingemann, DB 1993, 1341, 1342. 68 Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 84 AktG Rz. 111; Fleischer, AG 2006, 429, 442. 69 Fleischer, AG 2006, 429, 442; für Österreich Strasser in Jabornegg/Strasser, AktG, 4. Aufl. 2001, §§ 75, 76 AktG Rz. 40. 70 Kort in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 178. 71 Wohl a. A. Kort in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 178.
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4. Faktischer Konzern? Wenn die Vertrauten des nach Einfluss strebenden Aktionärs in den Aufsichtsrat bzw. Vorstand eingezogen sind, stellt sich die Frage, ob dadurch der Aktionär zum herrschenden Unternehmen und die Gesellschaft zur abhängigen Gesellschaft im Sinne des § 17 AktG geworden sind – mit der Folge, dass die Regeln der §§ 311 ff. AktG über den faktischen Konzern zur Anwendung kämen. Ein herrschendes Unternehmen ist ein Unternehmen, das auf die Aktiengesellschaft unmittelbar oder mittelbar beherrrschenden Einfluss ausüben kann (§ 17 Abs. 1 AktG). Die Möglichkeit der Einflussnahme genügt; es ist nicht erforderlich, dass der Einfluss tatsächlich ausgeübt wird72. Aus § 17 Abs. 2 AktG wird abgeleitet, dass der Einfluss beherrschend ist, wenn er seiner Art nach dem Einflusspotential einer Mehrheitsbeteiligung entspricht73. Mehrheitsgesellschafter können typischerweise über die Besetzung der Anteilseignerseite des Aufsichtsrats und mittels dort platzierter Vertrauenspersonen über die Besetzung des Vorstands bestimmen. Es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Organmitglieder an den Interessen des Mehrheitsaktionärs orientieren, um persönliche Nachteile zu vermeiden, und dass sie daher seinem Einfluss auch ohne rechtliche Verpflichtung nachgeben74. Demgemäß ist maßgeblicher Einfluss auf die personelle Besetzung der Verwaltungsorgane für die Annahme herrschenden Einflusses ausreichend75. Die Beschränkung der Aktionärsrechte bei paritätisch mitbestimmten Gesellschaften hat keine Auswirkung auf die Begründung herrschenden Einflusses76, weil sich die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat mit der Zweitstimme des Vorsitzenden durchsetzen und daher über die Zusammensetzung des Vorstands bestimmen können. Eine Sperrminorität allein begründet herrschenden Einfluss allerdings noch nicht, denn durch sie können Entscheidungen nur blockiert, nicht aber die Gesellschaft zu einem bestimmten Handeln veranlasst werden77.
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72 Begr. RegE AktG bei Kropff, Aktiengesetz, 1965, S. 31; BGHZ 62, 193, 201, 203. 73 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 17 AktG Rz. 5; Bayer in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 17 AktG Rz. 25, 28; Koppensteiner in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, § 17 AktG Rz. 21; Ulmer, ZGR 1978, 457, 461. 74 Bayer, ZGR 2002, 933, 935 f.; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 5. Aufl. 2008, § 17 AktG Rz. 7; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 17 AktG Rz. 5; Windbichler in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1992, § 17 AktG Rz. 20; Krieger in FS J. Semler, 1993, S. 503, 505; OLG Karlsruhe, NZG 2004, 334, 335. 75 OLG Düsseldorf, AG 1994, 36, 37; OLG Düsseldorf, AG 2003, 688, 689; OLG München, AG 1995, 383, 383; Bayer in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 17 AktG Rz. 26 f.; Koppensteiner in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, § 17 AktG Rz. 21; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, § 17 AktG Rz. 8; J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 17 AktG Rz. 6. 76 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 17 AktG Rz. 11; J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 17 AktG Rz. 7; Koppensteiner in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, § 17 AktG Rz. 120; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 68 Rz. 63. 77 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 17 AktG Rz. 10; Bayer in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 17 AktG Rz. 42 ff.; Koppensteiner in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, § 17 AktG Rz. 43 f.; Rittner, DB 1976, 1465, 1468.
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Die Möglichkeit der Einflussnahme muss beständig78 und gesellschaftsrechtlich fundiert79 sein, d. h. in die Binnenstruktur der Gesellschaft eingreifende Einflussmöglichkeiten erschließen. Auch eine Minderheitsbeteiligung kann ein derartiges Einflusspotential begründen. Allerdings müssen Umstände rechtlicher oder tatsächlicher Art hinzutreten, die die Minderheitsbetiligung wie eine Mehrheitsbeteiligung wirken lassen80. Hiervon ist auszugehen, wenn die Beteiligung aufgrund der Zusammensetzung des Aktionärskreises und der regelmäßigen Präsenzen in den vergangenen Jahren für eine Hauptversammlungsmehrheit ausreicht81. Eine Minderheitsbeteiligung vermittelt auch dann die Möglichkeit beherrschenden Einflusses, wenn weitere Beherrschungsmittel wie etwa die Identität von Leitungspersonen hinzutreten82. Bei Familiengesellschaften ist Familienverbundenheit allein noch kein Umstand, der eine Minderheitsbeteiligung wie eine Mehrheitsbeteiligung wirken lässt. Dies ist anders, wenn die Familienmitglieder als geschlossene Einheit auftreten83. Zufallsmehrheiten, die zustande kommen, weil andere Aktionäre freiwillig und unbeeinflusst mit dem Großaktionär stimmen und ihm so zur Hauptversammlungsmehrheit verhelfen, begründen keine Abhängigkeit84. Dies gilt auch dann, wenn ein hoher Streubesitz das Zustandekommen solcher Zufallsmehrheiten fördert85. Zuletzt wurde diskutiert, ob ein Aktionär, der die Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder bestimmen konnte und danach seine Beteiligung verrin-
__________ 78 BGHZ 135, 107, 114; OLG Frankfurt, AG 2004, 567, 567 f.; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 17 AktG Rz. 6, 8; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, 6. Aufl. 2010, § 17 AktG Rz. 13; J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 17 AktG Rz. 12. 79 BGHZ 90, 381, 395 ff.; OLG Düsseldorf, AG 2003, 688, 689 f.; OLG Karlsruhe, AG 2004, 147, 148; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 17 AktG Rz. 8. 80 BGHZ 69, 334, 347; v. Godin/Wilhelmi, Aktiengesetz: Kommentar, 4. Aufl. 1971, § 17 AktG Anm. 2; Rittner, DB 1976, 1465, 1513. 81 BGHZ 69, 334, 347; BGHZ 135, 107, 114; BGHZ 148, 123, 125 f.; OLG Düsseldorf, NZG 2005, 1012, 1013; OLG Karlsruhe, AG 2004, 147, 148; OLG Düsseldorf, AG 2000, 356, 366; OLG Braunschweig, AG 1996, 271, 273; OLG Düsseldorf, ZIP 1993, 1791, 1794; LG Mannheim, AG 2003, 216, 217 f.; LG Berlin, AG 1996, 230, 231; LG Berlin, AG 1997, 183, 184 f.; aus der h. Lit. statt aller Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 17 AktG Rz. 9 (mit Beispielen zur Präsenz); a. A. Schall in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 17 AktG Rz. 29 (bei börsennotierten Gesellschaften in Anlehnung an § 29 Abs. 2 WpÜG 30 % der Stimmrechte). 82 OLG München, AG 1995, 383; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 17 AktG Rz. 9. 83 BGHZ 80, 69, 73. 84 RGZ 167, 40, 49 f.; BGHZ 62, 193, 199; BGHZ 80, 69, 73; BGHZ 125, 366, 369; OLG Düsseldorf, AG 1994, 36, 37; OLG Düsseldorf, AG 2003, 688, 689; OLG Karlsruhe, AG 2004, 147, 148; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 5. Aufl. 2008, § 17 AktG Rz. 11; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 17 AktG Rz. 6; Koppensteiner in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, § 17 AktG Rz. 42; a. A. Bayer in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 17 AktG Rz. 50 (herrschender Einfluss, wenn der Großaktionär aufgrund Zufallsmehrheit den Aufsichtsrat komplett mit seinen Vertrauensleuten neu besetzen könnte); zustimmend J. Vetter in K. Schmidt/ Lutter, AktG, 2008, § 17 AktG Rz. 10, 12 (in Fn. 12). 85 OLG Düsseldorf, AG 2003, 688, 689; J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 17 AktG Rz. 12.
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gert, herrschendes Unternehmen sein kann, solange diese Mehrheit im Aufsichtsrat besteht86. Die KUKA AG geht laut Geschäftsbericht 2009 nicht davon aus, eine abhängige Gesellschaft zu sein87. Zum Ende des Geschäftsjahres war Grenzebach (einschließlich Zurechnungen) mit 26,56 % der Stimmrechte an der KUKA AG beteiligt. Diese Beteiligung reicht bei einer durchschnittlichen Hauptversammlungspräsenz von 53 bis 54 %88 für eine Hauptversammlungsmehrheit knapp nicht aus. Auch der Aufsichtsrat wird nicht von Grenzebach dominiert: Zwar ist der Vorsitzende ein Grenzebach-Vertrauter. Aber weil der sechste Sitz der Anteilseigner mit dem Finanzinvestor Wyser-Pratte besetzt ist und Grenzebach und Wyser-Pratte nach eigenen Angaben weder gemeinsame Pläne noch Absprachen getroffen haben89, kann Grenzebach nicht sicher sein, sich stets mithilfe des Zweitstimmrechts des Vorsitzenden durchsetzen zu können. Bei der AUGUSTA Technologie AG hatten die Aktionäre DAH und Lincoln Vale mit einer kumulierten Beteiligung von 26,84 % der Stimmrechte bei einer Präsenz von 43,7 % auf der Hauptversammlung 2010 zwar eine Hauptversammlungsmehrheit, die ihnen die Neubesetzung des Aufsichtsrats ermöglichte. Weil aber der Stimmenpool nach der Hautpversammlung wieder aufgelöst wurde, ist auch die AUGUSTA Technologie AG keine abhängige Gesellschaft.
IV. Übernahmerechtliches Regelungsumfeld 1. Kontrollschwelle Wie eingangs dargestellt muss derjenige, der die Schwelle von 30 % der Stimmrechte einer börsennotierten Aktiengesellschaft erreicht oder überschreitet, den übrigen Aktionären ein Angebot zum Erwerb ihrer Aktien unterbreiten (§§ 35, 29 Abs. 2 WpÜG). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen die Minderheitsaktionäre die Möglichkeit haben, zu einem angemessenen Preis aus der Gesellschaft auszutreten, wenn sich so viele Stimmrechte in einer Hand vereinigen oder von einer Hand in die andere übergehen, dass dem Erwerber die Möglichkeit zufällt, die unternehmerische Leitung der Gesellschaft zu übernehmen90. Anders gewendet: Die durch die Kontrollbeteiligung vermittelten unternehmerischen Einflussmöglichkeiten sollen nur um den Preis der durch das Pflichtangebot bedingten Mehrinvestition zu erlangen sein.
__________ 86 Bejahend Bayer in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 17 AktG Rz. 50, 59; J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 17 AktG Rz. 10. 87 Im Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung ist ein Abhängigkeitsbericht nicht erwähnt; vgl. KUKA AG, Geschäftsbericht 2009, S. 9 f. 88 Vgl. die Veröffentlichungen der KUKA AG unter http://www.kuka-ag.de/de/ investor_relations/general_meeting/archive. 89 Euro am Sonntag, 14.8.2009 (Wyser-Pratte); Welt Online, 23.8.2009 (Grenzebach). 90 RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 30; Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 35 WpÜG Rz. 6 ff.
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Mit Rücksicht auf die Rechts- und Planungssicherheit für den Bieter, die Zielgesellschaft und ihre Aktionäre einerseits und für die Aufsicht andererseits hat sich der Gesetzgeber des WpÜG für einen festen Prozentsatz der Stimmrechte als Auslöser des Pflichtangebots entschieden91. Die Einführung dieses festen Schwellenwertes war im Gesetzgebungsverfahren stark umstritten92. Teilweise wurde gefordert, völlig auf eine prozentuale Festlegung zu verzichten93. Der Gesetzgeber ist dem zurecht nicht gefolgt. Die Anknüpfung an einen anderen Auslöser als einen festen Prozentsatz wäre nicht nur unpraktikabel (wie die Erfahrungen mit dem Kontrolltatbestand des österreichischen Übernahmegesetz von 1999 gezeigt haben94), sondern würde darüber hinaus das Ziel der ökonomisch effizienten Allokation der Unternehmenskontrolle verfehlen95 und einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte des zum Angebot Verpflichteten bedeuten96. Mittlerweile schreibt die EU-Übernahmerichtlinie97 vor, dass sich „der prozentuale Anteil der Stimmrechte, der (die) Kontrolle … begründet, und die Art der Berechnung dieses Anteils“ nach den Vorschriften des Mitgliedstaats bestimmen, in dem die Zielgesellschaft ihren Sitz hat (Art. 5 Abs. 3). Die Anknüpfung an einen anderen Auslöser als einen festen Prozentsatz wäre daher auch nicht richtlinienkonform. Andere Stimmen traten für eine niedrigere98 oder höhere99 Kontrollschwelle ein. Hierzu ist zu bemerken, dass jeder Schwellenwert notwendigerweise willkürlich ist. Daher muss der Schwellenwert der Beteiligung möglichst nahe kommen, ab der in durchschnittlichen Aktiengesellschaften die faktische Kontrollmacht erworben wird100. Der Gesetzgeber hat sich folgerichtig davon leiten lassen, dass bei den Hauptversammlungspräsenzen börsennotierter Aktiengesellschaften eine Beteiligung von 30 % der Stimmrechte in den meisten Fällen eine Hauptversammlungsmehrheit verschafft101. Außerdem hat er sich an den seinerzeit bestehenden Regelungen in anderen europäischen Staaten orientiert, die den Auslöser des Pflichtangebots auf 30 % oder 33,3 % der Stimmrechte festgelegt hatten102. Auch nach Umsetzung der EU-Übernahme-
__________ 91 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 30; Möller in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 29 WpÜG Rz. 9. 92 Statt aller Möller in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 29 WpÜG Rz. 8. 93 Brenner-Heinacher, DB 1997, 2521, 2522. 94 Kaindl/Rieder, GesRZ 2006, 249; Huber, Übernahmegesetz, 2007, § 22 Rz. 4. 95 Krause, Das obligatorische Übernahmeangebot, 1996, S. 121 ff. 96 Vgl. Krause, Das obligatorische Übernahmeangebot, 1996, S. 205 f. 97 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. EG Nr. L 142 v. 30.4.2004, S. 12. 98 Strenger, WM 2000, 952. 99 Börsensachverständigenkommission, Standpunkte, 1999, S. 16; Assmann, AG 1995, 563, 571; Schuster, Die Bank 1995, 609, 611 f. 100 Krause, Das obligatorische Übernahmeangebot, 1996, S. 206. 101 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 53; zu Präsenzen und Auslöseschwelle bereits Krause, Das obligatorische Übernahmeangebot, 1996, S. 206 ff. 102 Österreich, Schweiz, Vereinigtes Königreich und Frankreich; vgl. Möller in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 29 WpÜG Rz. 9 m. w. N.
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richtlinie in sämtlichen EU-Mitgliedstaaten fällt die 30 %-Schwelle des § 29 Abs. 2 WpÜG nicht aus dem Rahmen103. Der übernahmrechtliche Kontrollbegriff steht somit neben dem aktienrechtlichen Abhängigkeitsbegriff. Eine Abhängigkeit einer Gesellschaft kann demnach im Einzelfall gegeben sein, ohne dass die Kontrollschwelle erreicht wird104. Angesichts der weit überwiegenden Vorteile einer Beteiligungsschwelle als Auslöser des Pflichtangebots musste der Gesetzgeber in Kauf nehmen, dass sich ein Aktionär rechtssicher knapp unterhalb der 30 %-Schwelle beteiligen und, wenn die Umstände des Einzelfalls dies zulassen, kraft dieser Beteiligung beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft ausüben kann, ohne ein Pflichtangebot abgeben zu müssen. 2. Zurechnung von Stimmrechten Der Schwellenwert von 30 % der Stimmrechte als Auslöser des Pflichtangebots bringt es mit sich, dass ein nach Einfluss strebender Aktionär sich rechtssicher mit bis zu 29,9 % der Stimmrechte an der Gesellschaft beteiligen und aus dieser Position die Neubesetzung des Aufsichtsrats und des Vorstands in Angriff nehmen kann, ohne ein Pflichtangebot auszulösen. In der Praxis werden die Dinge häufig so liegen, dass dieser Aktionär mit der Entwicklung des Börsenkurses, der finanziellen „Performance“ der Gesellschaft, der bestehenden Fokussierung der unternehmerischen Tätigkeit auf bestimmte Märkte oder aus anderen Gründen nicht zufrieden ist und hierfür die amtierende Führungsmannschaft verantwortlich macht. Wenn der Aktionär damit beginnt, die Ablösung der Führungsmannschaft zu betreiben, wird er im Aktionärskreis nach aller Lebenserfahrung Unterstützer finden. So fand Grenzebach Unterstützung bei Guy Wyser-Pratte, und DAH verbündete sich mit Lincoln Vale. Darüber hinaus wird es weitere Aktionäre geben, die ihr Stimmrecht im Sinne des nach Einfluss strebenden Aktionärs ausüben. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob und unter welchen Umständen sich der nach Einfluss strebende Aktionär die Stimmrechte seiner Unterstützer zurechnen lassen muss – mit der Folge, ein Pflichtangebot abgeben zu müssen, wenn die kumulierte Beteiligung 30 % der Stimmrechte erreicht oder überschreitet. Als Zurechnungstatbestand kommt im wesentlichen nur „abgestimmtes Verhalten“ (acting in concert) im Sinne des § 30 Abs. 2 WpÜG in Betracht. Nach dieser Vorschrift werden dem „Bieter“ Stimmrechte eines Dritten aus Aktien der Zielgesellschaft in voller Höhe zugerechnet, mit dem er sein Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft aufgrund einer Vereinbarung oder in sonstiger Weise abstimmt; ausgenommen sind Vereinbarungen in Einzelfällen (§ 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG). Ein abgestimmtes Verhalten setzt voraus, dass der Bieter und der Dritte sich über die Ausübung von Stimmrechten verständigen oder
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103 Vgl. Commission Staff Working Document: Report on the implementation of the Directive on Takeover Bids, SEC(2007)268 (21.2.2007), S. 12 f. 104 Möller in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 29 WpÜG Rz. 9.
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mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft in sonstiger Weise zusammenwirken (§ 30 Abs. 2 Satz 2 WpÜG). a) Abstimmung aufgrund Vereinbarung oder in sonstiger Weise Eine „Abstimmung“ im Sinne des § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG erfordert ein bewusst praktiziertes Zusammenwirken zwischen dem Bieter und dem Dritten105. Dies kann in Form einer Vereinbarung oder in jeder sonstigen Weise geschehen. Der Begriff der Vereinarung umfasst alle Verträge der Zivilrechtsdogmatik, d. h. Stimmbindungsverträge, Interessenwahrungsverträge, Gesellschaftsverträge und viele mehr106. Abstimmung in sonstiger Weise erfordert wenigstens eine Kommunikation zwischen dem Bieter und dem Dritten. Der Dritte muss kooperationswillig sein und mit dem Bieter bewusst zusammenwirken107. Dies kann der Fall sein, wenn die Partner unter Berufung auf den kaufmännischen Anstand, gemeinsame Interessen als institutionelle Anleger, die Interessen der Familie, die Interessen der Lieferanten oder Kunden u. ä. Übereinstimmung erzielen, ihr Verhalten in Bezug auf die Zielgesellschaft abzustimmen. Abstimmungen in einem förmlichen Familienrat oder informellen Familienkreis sind genauso ausreichend wie vergleichbare Abstimmungen institutioneller Anleger108. Die bloße Beratung oder der bloße Informationsaustausch zwischen dem Bieter und einem Dritten ist keine Abstimmung im Sinne der Vorschrift, selbst dann nicht, wenn er regelmäßig und zeitnah vor der Hauptversammlung erfolgt109. Informatorische Treffen können nicht einmal als Indiz für die Koordination der Interessen des Bieters und des Dritten gewertet werden110. Unabgestimmtes Parallelverhalten fällt ebenfalls nicht unter den Begriff der Abstimmung – auch dann nicht, wenn es objektiv den Interessen des Bieters dient111 oder die aus dem Aktionärsforum gemäß § 127a AktG bezogene Information über das Stimmverhalten anderer Aktionäre berücksichtigt112. Gleichförmiges Abstim-
__________ 105 OLG Frankfurt, AG 2004, 617, 618; Uwe H. Schneider in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 30 WpÜG Rz. 100; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 411. 106 Statt aller Uwe H. Schneider in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 30 WpÜG Rz. 99. 107 OLG Frankfurt, AG 2004, 617, 618; OLG München, AG 2005, 482, 483. 108 Statt aller Uwe H. Schneider in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 30 WpÜG Rz. 100. 109 OLG Stuttgart, AG 2005, 125, 129 (zu § 22 WpHG); Uwe H. Schneider, WM 2006, 1321, 1324; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 22 WpHG Rz. 151; Liebscher, ZIP 2002, 1005, 1007; Schwark in Schwark, KapMR, 3. Aufl. 2004, § 22 WpHG Rz. 20. 110 OLG Stuttgart, AG 2005, 125, 129 (zu § 22 WpHG); Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 22 WpHG Rz. 151; Liebscher, ZIP 2002, 1005, 1008. 111 Uwe H. Schneider in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 30 WpÜG Rz. 101; Uwe H. Schneider, WM 2006, 1321, 1324; OLG Stuttgart, AG 2005, 125, 129 (zu § 22 WpHG). 112 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/7438, S. 11.
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mungsverhalten begründet auch nicht die Vermutung eines abgestimmten Verhaltens113. b) Inhalt der Abstimmung Der Inhalt der Abstimmung kann entweder die Ausübung von Stimmrechten in der Hauptversammlung oder die Einflussnahme an der Hauptversammlung vorbei mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft zum Gegenstand haben (§ 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG). aa) Ausübung von Stimmrechten in der Hauptversammlung Die Ausübung von Stimmrechten in der Hauptversammlung ist der Kerntatbestand des abgestimmten Verhaltens. Vor der Einführung des § 30 Abs. 2 Satz 2 WpÜG durch das Risikobegrenzungsgesetz vom 12. August 2008114 hatte der BGH im Anschluss an die herrschende Literaturmeinung115 entschieden, dass abgestimmtes Verhalten gemäß § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG nur solche Vereinbarungen erfasst, die sich auf die Ausübung von Stimmrechten aus Aktien der Zielgesellschaft, d. h. nur die Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung, beziehen116. Mit der Einführung des § 30 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 WpÜG hat der Gesetzgeber anerkannt und explizit ausgesprochen, dass die Übereinkunft über die Ausübung von Stimmrechten in der Hauptversammlung abgestimmtes Verhalten im Sinne des § 30 Abs. 2 Satz 1 WpÜG darstellt117. bb) Zusammenwirken zwecks Änderung der unternehmerischen Ausrichtung Mit der Erweiterung der Voraussetzungen des abgestimmten Verhaltens auf das Zusammenwirken von Aktionären außerhalb der Hauptversammlung („in sonstiger Weise“) zum Zwecke der dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Zielgesellschaft durch das Risikobegrenzungsgesetz wollte der Gesetzgeber auf die angeblich zahlreichen Auslegungs-
__________ 113 Uwe H. Schneider in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 30 WpÜG Rz. 101. 114 Gesetz zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken (Risikobegrenzungsgesetz) v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, S. 1666. 115 Diekmann in Baums/Thoma, WpÜG, § 30 WpÜG Rz. 72 f.; Kuthe/Brockhaus, DB 2005, 1266, 1267; Louven, BB 2005, 1414, 1415; Pentz, ZIP 2003, 1478, 1481; Weiler/Meyer, NZG 2003, 909, 910; ähnlich Casper, ZIP 2003, 1469, 1476 f.; Seibt, ZIP 2004, 1829, 1833; v. Bülow in KölnKomm.WpÜG, 2003, § 30 WpÜG Rz. 114; Liebscher, ZIP 2002, 1005, 1007; a. A. Uwe H. Schneider in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 30 WpÜG Rz. 104. 116 BGHZ 169, 98, 105 Rz. 17; insoweit zustimmend Borges, ZIP 2007, 357, 363; Diekmann, DStR 2007, 445, 446, Fleischer, ZGR 2008, 185, 198 f.; Halasz/Kloster, Der Konzern 2007, 344, 346; Spindler, WM 2007, 2357, 2358; ablehnend Uwe H. Schneider, ZGR 2007, 440, 450 f. 117 Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/9821, S. 11.
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und Nachweisprobleme in der Praxis und auf die als zu restriktiv empfundene Rechtsprechung des BGH reagieren118. Zu diesem Zweck wurde das zur Zurechnung führende Zusammenwirken der Aktionäre in § 30 Abs. 2 Satz 2 WpÜG durch eine Legaldefinition konkretisiert. Anders als die Bundesregierung119 wollte der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages allerdings nicht jedes Verhalten erfassen, das geeignet ist, die unternehmerische Ausrichtung zu beeinflussen. Vielmehr sollten nur solche Fälle zur Zurechnung führen, bei denen die Einflussnahme tatsächlich Ziel des abgestimmten Verhaltens ist. Außerdem wollte er nur Fälle erfasst sehen, denen eine gemeinsame Strategie der Aktionäre zugrunde liegt, aufgrund ihres gesellschaftsrechtlich vermittelten Einflusses die unternehmerische Ausrichtung der Zielgesellschaft dauerhaft und erheblich zu ändern120. Wie der Bericht des Finanzausschusses ausführt, ging es dem Gesetzgeber für die neu erfassten, nicht auf die Ausübung von Stimmrechten gerichteten Fälle darum, nur Maßnahmen von großer Bedeutung und einer gewissen Nachhaltigkeit zu erfassen121. Von dieser Zielvorstellung getragen, hat der Gesetzgeber in Gestalt des § 30 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 WpÜG eine Regelung mit zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffen geschaffen, die im folgenden zu beleuchten sind. Der Begriff des Zusammenwirkens in sonstiger Weise bildet den Gegensatz zu der in § 30 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 WpÜG angesprochenen Verständigung über die Ausübung von Stimmrechten. Er zielt darauf ab, entgegen der restriktiven Rechtsprechung des BGH auch andere Arten der Einflussnahme als die Ausübung von Stimmrechten als tatbestandsmäßig zu definieren122. Nach dem Wortlaut („in sonstiger Weise“) wäre jedes Verhalten erfasst, das auch nur irgendwie unmittelbar oder mittelbar auf eine Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Gesellschaft abzielt. Dies entspricht jedoch nicht dem Schutzzweck der Regelungssysteme, in die § 30 Abs. 2 WpÜG und die durch das Risikobegrenzungsgesetz gleichermaßen geänderte, im wesentlichen wortgleich gefasste und nach dem Willen des Gesetzgebers gleich auszulegende123 Vorschrift des § 22 Abs. 2 WpHG eingebettet sind. Die Vorschriften der §§ 35, 29, 30 WpÜG dienen dem Minderheitenschutz im Fall eines Kontrollerwerbs, der nicht aufgrund eines öffentlichen Übernahmeangebots erfolgt124; die Vorschriften der §§ 21 ff. WpHG bezwecken die Information des Kapitalmarkts
__________ 118 119 120 121 122
Begr. RegE, BT-Drucks. 16/7438, S. 11. Vgl. § 30 Abs. 2 Satz 2 WpÜG-RegE. Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/9821, S. 12. Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/9821, S. 12. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/7438, S. 11, 13; Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008 (Aktualisierung), § 30 WpÜG Rz. 2; Schüppen/Walz in FrankfKomm. WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 30 WpÜG Rz. 65, 67. 123 Begr. RegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S. 53, 70; Begr. RegE RisikobegrenzungsG, BT-Drucks. 16/7438, S. 8, 13; Möller, AG 2002, 170, 174; kritisch Uwe H. Schneider in Assman/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 30 WpÜG Rz. 8; von Bülow in KölnKomm.WpÜG, 2003, § 30 WpÜG Rz. 8. 124 Krause/Pötzsch in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 35 WpÜG Rz. 8; von Bülow in KölnKomm.WpÜG, 2003, § 35 WpÜG Rz. 4.
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über Einflussmöglichkeiten aus Stimmrechten125. Die in diesen Regelungssystemen angeordneten Rechtsfolgen knüpfen an Stimmrechtsanteile an, weil Stimmrechte ab einer gewissen Höhe gesellschaftsrechtlichen Binneneinfluss vermitteln. Weil die als Umgehungsschutzvorschriften konzipierten § 30 WpÜG, § 22 WpHG keine weiterreichenden Schutzzwecke verfolgen können als die Vorschriften, vor deren Umgehung sie schützen sollen, erfassen die § 30 Abs. 2 Satz 2 WpÜG, § 22 Abs. 2 Satz 2 WpHG nur die Koordination des auf verschiedene Hände verteilten, durch Stimmrechte vermittelten gesellschaftsrechtlichen Binneneinflusses. Unter das Zusammenwirken in sonstiger Weise fallen demnach nur koordinierte Versuche der Einflussnahme auf das Unternehmen unter explizitem oder mittelbarem Verweis auf den Stimmrechtseinfluss der handelnden Personen126. Dies hat auch der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages so gesehen127. Demnach reichen Einflussnahmen allein aufgrund personeller Verflechtungen nicht aus128. Und auch Koalitionen innerhalb des Aufsichtsrats führen nicht zur Stimmrechtszurechnung129. Auch die Begrifflichkeit der unternehmerischen Ausrichtung bedarf der Auslegung. Der Gesetzgeber hat mit dieser Wortwahl nicht auf bewährte aktienrechtliche oder betriebswirtschaftliche Termini zurückgegriffen. Angelehnt an die in der Begründung des Regierungsentwurfs genannten Beispiele der Zerschlagung oder der die Gesellschaft lähmenden Sonderdividende130 und die im Bericht des Finanzausschusses aufgeführten Beispiele der grundlegenden Änderung des Geschäftsmodells oder der Trennung von wesentlichen Geschäftsbereichen131 sind unter der unternehmerischen Ausrichtung nur die grundlegenden strategischen Ziele des Unternehmens zu verstehen132. Demgegenüber versteht die BaFin unter der unternehmerischen Ausrichtung den satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand und die Unternehmenspolitik in der Form von Zielen und Maßnahmen, die das Unternehmen als Ganzes betreffen133. Nach anderer Auffasung ist die unternehmerische Ausrichtung die nach der aktienrechtlichen Kompetenzordnung vom Vorstand in den Grenzen des satzungsmäßigen Unternehmensgegenstands und der vom Aufsichtsrat aufgestellten Zustimmungsvorbehalte eigenverantwortlich zu definierende Unternehmenspolitik134. Gegen diese Auffassungen spricht allerdings, dass der Wortlaut des Gesetzes den Begriff der „Unternehmenspolitik“ nicht gebraucht und
__________ 125 Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Vor § 21 WpHG Rz. 19; Hirte in KölnKomm.WpHG, 2007, § 21 WpHG Rz. 3. 126 Von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1798. 127 BT-Drucks. 16/9821, S. 12; dies übersieht Korff, AG 2008, 692 f. 128 Von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1798. 129 Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/9821, S. 12 im Anschluss an BGHZ 169, 98, 105 f. (Rz. 17); Schüppen/Walz in FrankfKomm.WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 30 WpÜG Rz. 84. 130 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/7438, S. 11. 131 Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/9821, S. 12. 132 Schüppen/Walz in FrankfKomm.WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 30 WpÜG Rz. 84. 133 Hoppe/Michel, BaFinJournal April 2010, 3, 4. 134 Von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1798; wohl auch Korff, AG 2008, 692, 693.
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der Gesetzgeber die Begrifflichkeit der unternehmerischen Ausrichtung in den Materialien nicht anhand der aktienrechtlichen Kompetenzordnung erläutert hat. Es kommt hinzu, dass eine Unternehmenspolitik auch zu vielen weniger bedeutenden Fragen bestehen kann, während die Erläuterungen des Gesetzgebers deutlich machen, dass es bei Änderungen der unternehmerischen Ausrichtung um wesentliche strategische Änderungen geht. Das Zusammenwirken der Aktionäre muss auf eine dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Gesellschaft abzielen. Damit werden nur Änderungen von großer Bedeutung und einer gewissen Nachhaltigkeit erfasst. Eine geschäftlich geringfügige, aber zeitlich länger andauerndernde Änderung soll ebenso wenig erfasst sein wie eine einzelne gravierende Maßnahme ohne längerfristige Auswirkungen135. Die Änderung des Geschäftsmodells, die Trennung von wesentlichen Geschäftsbereichen136 oder die Zerschlagung des Unternehmens137 stellen dauerhafte und erhebliche Änderungen der unternehmerischen Ausrichtung dar. Ebenso dürften gravierende Veränderungen der Konzernstruktur als eine dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung anzusehen sein138. Ob Änderungen der Geschäftspolitik hinsichtlich des Einkaufs, der Produktion oder der Finanzierung eine dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung darstellen139, ist anhand ihrer Bedeutung und Nachhaltigkeit zu entscheiden. Ob, wie im Fall der KUKA AG, die Expansion in bestimmte Wachstumsmärkte mit dem Ziel der Verringerung der Abhängigkeit von der Automobilindustrie als dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung anzusehen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab; wenn die Gesellschaft bereits auf diesen Märkten tätig ist und dort 30 % ihres Umsatzes erwirtschaftet, wird dies wohl eher zu verneinen sein. Finanzwirtschaftliche Entscheidungen wie etwa über die Kapitalbeschaffung, die Kapitalstruktur oder die Dividendenpolitik bewirken grundsätzlich keine dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung140; dies ist selbstverständlich anders, wenn eine so hohe Sonderdividende gezahlt wird, dass sich bestimmte bislang verfolgte oder geplante strategische Vorhaben nicht mehr umsetzen lassen141. Absprachen finanzierender Banken über einen Kreditstopp142 begründen eine Zurechnung nur dann, wenn die maßgeblichen Banken in erheblichem Umfang Aktien der Gesellschaft halten, denn
__________ 135 Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/9821, S. 12; von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1798; Schüppen/Walz in FrankfKomm.WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 30 WpÜG Rz. 85. 136 Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/9821, S. 12. 137 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/7438, S. 11; Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008 (Aktualisierung), § 30 WpÜG Rz. 12. 138 Von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1798. 139 Befürwortend Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 22 WpHG Rz. 178. 140 Korff, AG 2008, 692, 693. 141 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/7438, S. 11; Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008 (Aktualisierung), § 30 WpÜG Rz. 12; ähnlich Korff, AG 2008, 692, 693. 142 Beispiel von Eidenmüller, DStR 2007, 2116, 2120.
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§ 30 Abs. 2 WpÜG erfasst nur die Koordinierung gesellschaftsrechtlich vermittelter Einflussmöglichkeiten143. Veränderungen in der Besetzung des Vorstands oder des Aufsichtsrats können für sich genommen die unternehmerische Ausrichtung der Gesellschaft nicht verändern144. Selbst wenn mehrere Aufsichtsratsmitglieder auf Veranlassung zusammenwirkender Aktionäre ausgewechselt werden, soll dies erst dann zur Stimmrechtszurechnung führen, wenn mit ihrer Bestellung konkrete unternehmerische oder finanzwirtschaftliche Entscheidungen beabsichtigt sind145. Dann jedoch wirken die Aktionäre bereits mit dem Ziel der Änderung der unternehmerischen Ausrichtung zusammen. Wenn diese angestrebte Änderung dauerhaft und erheblich ist, käme es auf die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder gar nicht an146. Auch aus einer höheren Zahl ausgewechselter Aufsichtsratsmitglieder allein lässt sich eine dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung nicht ableiten147. Die noch in der Begründung des Regierungsentwurfs vertretene gegenteilige Ansicht148 ist mit der unabhängigen Rechtsstellung der Aufsichtsratsmitglieder nicht vereinbar149. Sie wurde vom Bericht des Finanzausschusses zurecht nicht mehr aufgegriffen und ist auch von daher überholt. Das koordinierte Zusammenwirken für die Aufrechterhaltung des Status quo und gegen eine von der Verwaltung angestrebte Umgestaltung der unternehmerischen Ausrichtung ist keine „Änderung“ der unternehmerischen Ausrichtung150. An diesem Befund könnte man zweifeln, wenn man argumentiert, dass die Unternehmenspolitik vom Vorstand vorgegeben wird und jede von den Aktionären geforderte Abweichung von dieser Politik eine Änderung der unternehmerischen Ausrichtung darstellt. Diese Argumentation erscheint zu formalistisch, wenn es den Aktionären allein darum geht, eine von der Verwaltung angestrebte Änderung der unternehmerischen Ausrichtung zu verhindern oder kurzfristig wieder rückgängig zu machen. Im Ergebnis führt dies nämlich zur Erhaltung des Status quo, die nach dem im Bericht des Finanzausschusses mit-
__________ 143 Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008 (Aktualisierung), § 30 WpÜG Rz. 12. 144 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/7438, S. 11; von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1798; Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008 (Aktualisierung), § 30 WpÜG Rz. 12. 145 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/7438, S. 11; Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008 (Aktualisierung), § 30 WpÜG Rz. 10. 146 So auch Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008 (Aktualisierung), § 30 WpÜG Rz. 10. 147 Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008 (Aktualisierung), § 30 WpÜG Rz. 10. 148 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/7438, S. 11. 149 Zutreffend Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/9821, S. 12; Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008 (Aktualisierung), § 30 WpÜG Rz. 10. 150 Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/9821, S. 11; von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1798 f.; Schüppen/Walz in FrankfKomm.WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 30 WpÜG Rz. 84; Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008 (Aktualisierung), § 30 WpÜG Rz. 12.
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geteilten Willen des Gesetzgebers nicht zur Zurechnung der Stimmrechte führen sollte. Demnach hätte im Fall der vom Vorstand der Deutsche Börse AG geplanten und dann auf Druck verschiedener Hedgefonds abgesagten Übernahme der London Stock Exchange151 auch dann, wenn § 30 Abs. 2 WpÜG schon in der Fassung des Risikobegrenzungsgesetzes gegolten und die BaFin ein koordiniertes Vorgehen der Hedgefonds festgestellt hätte152, eine Stimmrechtszurechnung jedenfalls nicht deswegen erfolgen dürfen, weil die Hedgefonds mit dem Ziel der Änderung der unternehmerischen Ausrichtung zusammenwirkten; gerade daran fehlte es, weil sie sich insoweit für die Erhaltung des Stauts quo stark gemacht hatten. Ob die Stimmrechte wegen der von den Hedgefonds erhobenen Forderung nach einer Sonderdividende hätten zusammengerechnet werden müssen, ist ebenfalls zweifelhaft: Nach den vom Gesetzgebgeber geäußerten Vorstellungen würde eine Sonderdividende das Niveau der unternehmerischen Ausrichtung nur erreichen, wenn sie so hoch bemessen wäre, dass die Gesellschaft bestimmte bislang verfolgte oder geplante Strategien nicht mehr umsetzen könnte153. Damit wäre die weitere Frage aufgeworfen, ob die angestrebte, dann aber auf Druck der Aktionäre aufgegebene Übernahme der London Stock Exchange für diese Zwecke als eine „bislang verfolgte oder geplante Strategie“ zu berücksichtigen wäre oder nicht. Hierüber wird man trefflich streiten können. Schließlich ist nur das Zusammenwirken mit dem Ziel einer dauerhaften und erheblichen Änderung der unternehmerischen Ausrichtung tatbestandsmäßig. Anders als noch im Regierungsentwurf vorgeschlagen erfasst § 30 Abs. 2 Satz 2 WpÜG nicht jedes Verhalten, das lediglich geeignet ist, die unternehmerische Ausrichtung zu beeinflussen. Vielmehr sollen nur die Fälle erfasst werden, in denen Aktionäre eine Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Gesellschaft tatsächlich erreichen wollen154. Hierin liegt ein subjektives Element, das die Zurechnng ausschließt, wenn sich ein Aktionär dem Verhalten eines anderen Aktionärs lediglich anschließt155. Die Stimmrechtszurechnung wird bereits durch die Verabredung zum Zusammenwirken ausgelöst. Ob die Einflussnahme letztlich zum Erfolg führt, ist unerheblich156. Unerheblich ist auch, ob die Änderung gegen den Widerstand oder mit Zustimmung der Verwaltung angestrebt wird oder nicht. Demnach kann auch das Zusammenwirken mit dem Ziel, eine vom Vorstand befürwortete Änderung der unternehmerischen Ausrichtung zu unterstützen, die Zurechnung der Stimmrechte zur Folge haben157.
__________ 151 Vgl. hierzu Seifert, Invasion der Heuschrecken, 2006. 152 Ein abgestimmtes Vorgehen konnte nicht festgestellt werden; BaFin, Pressemitteilung v. 19.10.2005. 153 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/7438, S. 11. 154 Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/9821, S. 12. 155 Spindler, WM 2007, 2357, 2360. 156 Spindler, WM 2007, 2357, 2360; Wilsing/Goslar, DB 2007, 2467, 2468; von Bülow/ Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1799. 157 Von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1798.
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c) Einzelfallausnahme Der unterhalb der Kontrollschwelle beteiligte, nach Einfluss strebende Aktionär wird seine Vertrauenspersonen nicht selten deswegen im Aufsichtsrat platzieren können, weil er im entscheidenden Moment von einem oder mehreren Dritten unterstützt wird. Bei der KUKA AG schloss sich Guy Wyser-Pratte der von Grenzebach geübten Kritik an den Vorständen an158; bei der AUGUSTA Technologie AG fanden die von DAH nominierten Kandidaten für den Aufsichtsrat in der Hauptversammlung Zustimmung weit über den Stimmrechtsanteil von DAH und Licoln Vale hinaus159. Wenn der kumulierte Stimmrechtsanteil des nach Einfluss strebenden Aktionärs und des oder der Dritten die Kontrollschwelle160 übersteigt, ist die Frage aufgeworfen, ob sich die Beteiligten auf die Einzelfallausnahme des § 30 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 WpÜG berufen können und deswegen die Stimmrechtszurechnung unterbleibt. Nach ihrem Wortlaut gilt die Einzelfallausnahme nur für „Vereinbarungen“. Nach nahezu einhelliger Auffassung findet sie jedoch auch bei Abstimmungen „in sonstiger Weise“ Anwendung161, denn es wäre kaum nachzuvollziehen, dass die Ausnahme nur bei der Form der Abstimmung gelten soll, die wegen ihrer rechtlichen Verbindlichkeit besonders intensiv ist. Umstritten ist, ob die Einzelfallausnahme zur Verfügung steht, wenn die einmalige Abstimmung mit einer weitreichenden Zielvereinbarung einhergeht oder sie die Gesellschaft aus anderen Gründen nachhaltig beeinflusst. Die frühere Verwaltungspraxis der BaFin hielt die Auswirkungen der Abstimmung für entscheidend, denn sie stellte maßgeblich darauf ab, ob die zusammenwirkenden Aktionäre ein weitergehendes unternehmerisches Interesse oder einen Gesamtplan für die Gesellschaft verfolgten162. Sie wurde darin vom OLG München bestärkt, das die Einzelfallausnahme nicht formal, sondern materiell verstand und ihre Geltung ablehnte, wenn ein einmaliges abgestimmtes Verhalten auf eine bestimmte zeitliche Intensität oder nachhaltige Wirkungen auf die Herrschaftsverhältnisse der Zielgesellschaft angelegt ist163. Demgegenüber
__________ 158 Welt Online, 23.8.2009. 159 AUGUSTA Technologie AG, Pressemitteilung v. 14.5.2010. 160 Gleiches gilt für die Schwellen des § 21 Abs. 1 WpHG, denn das Unterlassen einer gemäß §§ 21, 22 Abs. 2 WpHG erforderlichen Stimmrechtsmitteilung hätte den Verlust der Stimmrechte gemäß § 28 WpHG und damit eine entscheidende Schwächung des nach Einfluss strebenden Aktionärs zur Folge. 161 Liebscher, ZIP 2002, 2005, 2008; Casper, ZIP 2003, 1469, 1476; von Bülow in KölnKomm.WpÜG, 2003, § 30 WpÜG Rz. 140; Pluskat, DB 2009, 383, 386; zum WpHG Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 30 WpHG Rz. 179; Opitz in Schäfer, Kapitalmarktrecht, § 22 WpHG Rz. 91; a. A. Wackerbarth, ZIP 2007, 2340, 2342 (in Fn. 26). 162 BaFin, Pressemitteilung 23.1.2004 (Beiersdorf) und Pressemeldung 19.10.2005 (Deutsche Börse); Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 3, 20 f. 163 OLG München, AG 2005, 482, 483 f.; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, 2003, § 30 WpÜG Rz. 24; Casper/Bracht, NZG 2005, 839 f.; Louven, BB 2005, 1414, 1415; Borges, ZIP 2007, 357, 363 f.; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 22 WpHG Rz. 179.
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wollten andere Oberlandesgerichte und Literaten rein formal auf die Häufigkeit des Abstimmungsverhaltens abstellen164. Der BGH ist dieser formalen Auffasung gefolgt und hat die materiell-rechtliche Betrachtungsweise mit klaren Worten verworfen165. Mit dem Inkrafttreten des Risikobegrenzungsgesetzes ist dies jedoch wieder streitig geworden. Die Begründung im Bericht des Finanzausschusses wird sowohl von den Befürwortern des formalen als auch den Befürwortern des materiellen Einzelfallbegriffs als Bestätigung ihrer Ansicht in Anspruch genommen166. Die BaFin will den Einzelfallbegriff nunmehr losgelöst von einem formellen oder materiellen Ansatz anhand der Gesetzesbegründung bestimmen. Sie sieht „längerfristig angelegte Strategie“ versus „punktuelle Einflussnahmen“ als zentrale Begriffe der Gesetzesbegründung und schließt daraus, dass der Gesetzgeber Fälle der Änderung der unternehmerischen Ausrichtung nicht als Einzelfälle angesehen habe, weil der Änderung der unternehmerischen Ausrichtung eine längerfristig angelegte Strategie zugrunde liege167. Weil eine dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung nicht punktueller Natur sein könne, verbleibe bei der Einflussnahme außerhalb der Hauptversammlung für die Einzelfallausnahme kein Anwendungsbereich168. Diese Praxis setzt sich jedoch über den klaren Willen des Gesetzgebers hinweg. Sie übersieht, dass der Gesetzgeber keine inhaltliche Änderung der Einzelfallausnahme vorgenommen hat. Er hat sogar den Bezug zu Vereinbarungen „über die Ausübung von Stimmrechten“ gestrichen, weil die Einzelfallausnahme ohne diese Streichung nicht auf Einflussnahmen außerhalb der Hauptversammlung anwendbar gewesen wäre. Dieser bewussten und gewollten Anpassung des Gesetzestextes ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber auch bei der Einflussnahme außerhalb der Hauptversammlung eine Einzelfallausnahme zulassen wollte. Daher ist – entgegen der neuen Praxis der BaFin – nach wie vor primär eine formale Betrachtungsweise geboten169. Einzelfälle im Sinne der Vorschrift sind daher zunächst alle Abstimmungen über eine nur einmalige Handlung, etwa ein bestimmtes Stimmverhalten bei einer Beschlussfassung in der Hauptversammlung der Gesellschaft, und zwar auch dann, wenn der Beschlussgegenstand nachhaltige oder dauerhafte Aus-
__________
164 OLG Frankfurt, ZIP 2004, 1309, 1314; OLG Stuttgart, AG 2005, 125, 128 f. (zu § 22 WpHG); Diekmann in Baums/Thoma, WpÜG, § 30 WpÜG Rz. 75, 80; Kuthe/ Brockhaus, DB 2005, 1266; Lange, ZBB 2004, 22, 27; Casper, ZIP 2003, 1469, 1476; von Bülow in KölnKomm.WpÜG, 2003, § 30 WpÜG Rz. 137 ff. 165 BGHZ 169, 98, 107 f. (Rz. 20 ff.); insoweit zustimmend Halasz/Kloster, Der Konzern 2007, 344, 349; mit Modifikationen: Diekmann, DStR 2007, 445, 447; Spindler, WM 2007, 2357, 2358; ablehnend Borges, ZIP 2007, 357, 363 f.; kritisch auch Fleischer, ZGR 2008, 185, 201 f. 166 Hoppe/Michel, BaFin-Journal April 2010, S. 3, 4; Schüppen/Walz in FrankfKomm. WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 30 WpÜG Rz. 79 (materiell); von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797 (formell); Kocher, Der Konzern 2010, 162, 163 f. (formell). 167 Hoppe/Michel, BaFin-Journal April 2010, S. 3, 4. 168 Hoppe/Michel, BaFin-Journal April 2010, S. 3, 5. 169 Von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1799; Kocher, Der Konzern 2010, 162, 163 f.
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wirkungen auf die Gesellschaft hat170. Hierfür spricht zunächst der Wortlaut des § 30 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 WpÜG, der allein die Einzelfallbezogenheit des Handelns in Bezug nimmt, nicht aber dessen Auswirkungen. Außerdem spricht hierfür der Aspekt der Rechtssicherheit: Würde man bereits die Vereinbarung zu einer einzelnen Abstimmung als ausreichend ansehen, sofern diese Abstimmung in der Zukunft eine hinreichend nachhaltige Wirkung entfaltet, wäre kaum sicher zu bestimmen, welchen Abstimmungsgegenständen eine derart hinreichende Bedeutung beizumessen wäre171. Dieses Argument ist durch das Risikobegrenzungsgesetz nicht entkräftet worden. Schließlich spricht für diese Auslegung, dass die Stimmrechtszurechnung gemäß § 30 Abs. 2 WpÜG voraussetzt dass die Koordination der Stimmrechte eine nachhaltige und beständige Einflussnahme auf die Gesellschaft bezweckt172. Folglich würde die Einzelfallausnahme leerlaufen, wenn alle Abstimmungshandlungen mit wesentlichen oder nachhaltigen Auswirkungen aus diesem Tatbestand ausgeklammert würden173. Einzelfälle sind aber auch mehrere einzelne Abstimmungen über unterschiedliche Beschlussgegenstände sowie wiederholte Abstimmungen über denselben Sachverhalt174. Erforderlich ist allerdings, dass die Koordination der Aktionäre jeweils auf einem neuen Entschluss beruht175. Auch die Abstimmung über mehrere Beschlussgegenstände auf derselben Hauptversammlung ist regelmäßig eine Abstimmung im Einzelfall und führt nicht zur Stimmrechtszurechnung176. Deshalb sind Abstimmungen über einen einheitlichen Lebenssachverhalt auch dann Einzelfälle im Sinne des § 30 Abs. 2 Satz 1 Hs. 2 WpÜG, wenn ihre Umsetzung mehrere, sich ggf. über einen längeren Zeitraum erstreckende Handlungen erfordert. Für die Besetzung des Aufsichtsrats gilt demnach Folgendes: Die einmalige Besetzung des Aufsichtsrats fällt unter die Einzelfallausnahme177. Dies ist im Bericht des Finanzausschusses deutlich ausgesprochen. Soweit sich der Bericht des Finanzausschusses mit der Besetzung des Aufsichtsrats befasst, führt er aus, dass es sich bei der Vorabstimmung über die Nominierung von Kandidaten für die Besetzung des Aufsichtsrats regelmäßig um eine Abstimmung im Einzelfall handele, die keine Stimmrechtszurechnung begründe178. Wie die Formulierung „Kandidaten für die Besetzung des Aufsichtsrats“ belegt, ist es
__________ 170 Von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1799; a. A. Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 22 WpHG Rz. 179 f. 171 BGHZ 169, 98, 107 (Rz. 21). 172 OLG Frankfurt, AG 2004, 617, 618 = ZIP 2004, 1309, 1312; OLG Stuttgart, AG 2005, 125, 128; LG Hamburg, AG 2007, 177, 179; Casper, ZIP 2003, 1469, 1476; Opitz in Schäfer, Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., § 22 WpHG Rz. 91; von Bülow in KölnKomm.WpHG, 2007, § 22 WpHG Rz. 165. 173 Von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1799. 174 Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/9821, S. 12. 175 Casper/Bracht, NZG 2005, 839, 841; Opitz in Schäfer, Kapitalmarktrecht, § 22 WpHG Rz. 91; von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1799. 176 Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/9821, S. 12. 177 Kocher, Der Konzern 2010, 162, 166. 178 Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 16/9821, S. 12.
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Die „kalte“ Übernahme
unerheblich, ob einer oder mehrere Sitze im Aufsichtsrat neu besetzt werden. Die weiteren Erläuterungen des Finanzausschusses beschränken sich darauf, ob die Abstimmung außerhalb der Hauptversammlung überhaupt als Abstimmung im Sinne der neuen Legaldefinition des § 30 Abs. 2 Satz 2 WpÜG anzusehen ist. Sie geben nichts dafür her, dass die Einzelfalausnahme wegen der Dauer der Amtszeit oder der Zahl der neu in den Aufsichtsrat gewählten Mitglieder unanwenbar sein könnte179. Damit hat der Gesetzgeber der von der BaFin und dem OLG München vertretenen Ansicht, der zufolge Absprachen, die der Umsetzung einer bestimmten Strategie dienen, immer zur Stimmrechtszurechnung führen, eine klare Absage erteilt180. Folglich ist die Einzelfallausnahme nur dann unanwendbar, wenn die beteiligten Aktionäre eine dauerhafte Abstimmung über die Besetzung des Aufsichtsrats getroffen haben, etwa wenn sie verabreden, sich immer wieder über die Besetzung des Aufsichtsrats abzustimmen oder wenn sie allgemeine, über eine konkrete Hauptversammlung hinausgehende Besetzungs- und Abberufungsrechte festlegen181.
V. Schlussbetrachtung Ein Aktionär, der eine Beteiligung unterhalb der Kontrollschwelle erwirbt, kann durch die Platzierung von Vertrauenspersonen im Aufsichtsrat und gegebenenfalls auch im Vorstand maßgeblichen Einfluss auf eine börsennotierte Aktiengesellschaft gewinnen, ohne ein Pflichtangebot abgeben zu müssen. Er kann maßgeblichen Einfluss sogar dann erlangen, wenn er davon absieht, den Aufsichtsrat so zu besetzen, dass er seine Entscheidungen sicher dominieren könnte. Er wäre dann nicht einmal als herrschendes Unternehmen zu qualifizieren. Die Platzierung der Vertrauenspersonen erfordert ein gehöriges Maß Konfliktbereitschaft. Wenn der Aktionär die Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung oder die Ergänzung der Tagesordnung einer bevorstehenden Hauptversammlung verlangt und im Zweifel bereit ist, eine Kampfabstimmung zu riskieren, ist es nicht unwahrscheinlich, dass die amtierende Verwaltung der Kampfabstimmung im Interesse der Gesellschaft aus dem Weg geht und der Aktionär im Ergebnis eine Vertretung im Aufsichtsrat erlangen kann. Durch geringe Hauptversammungspräsenz und die verbreitete Absenkung der für die Abberufung von Aufsichtsräten erfoderlichen Mehrheit in der Satzung wird der nach Einfluss strebende Aktionär begünstigt. Auch die Ablösung missliebiger Vorstandsmitglieder sollte dem Aktionär gelingen. Der hierfür erforderliche wichtige Grund muss nicht zwangsläufig der Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung sein.
__________ 179 Von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1800; Kocher, Der Konzern 2010, 162, 166; a. A. Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 22 WpHG Rz. 179; Schüppen/Walz in FrankfKomm.WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 30 WpÜG Rz. 80. 180 Von Bülow/Stephanblome, ZIP 2008, 1797, 1800. 181 Kocher, Der Konzern 2010, 162, 166.
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Wenn der Aktionär unterhalb der Kontrollschwelle beteiligt ist, löst dieses Vorgehen keine übernahmerechtlichen Folgen (wie etwa ein Pflichtangebot) aus. Allerdings können dem Aktionär die Stimmrechte aus Aktien anderer Aktionäre zugerechnet werden, wenn sie ihr Verhalten in Bezug auf die Gesellschaft in rechtlich relevanter Art und Weise mit dem Aktionär koordinieren. Gegenstand dieser Koordination muss nicht die Ausübung von Stimmrechten in der Hauptversammlung sein. Vielmehr kommt als Gegenstand der Absprache seit dem Inkrafttreten des Risikobegrenzungsgesetzes auch eine dauerhafte und erhebliche Änderung der unternehmerischen Ausrichtung der Gesellschaft in Betracht. Diese Regelung des Risikobegrenzungsgesetzes wirft viele bislang nicht geklärte Fragen auf, darunter auch die Frage nach dem Geltungsbereich der hergebrachten und an die neue Tatbestandsvariante angepassten Einzelfallausnahme. Die maßgebliche Verwaltungspraxis der BaFin, die der Einzelfallausnahme bei der Einflussnahme auf die unternehmerische Ausrichtung keinen Anwendungsbereich zugestehen will, ist mit dem klar geäußerten Willen des Gesetzgebers nicht vereinbar.
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Kooperation des Unternehmens mit der Staatsanwaltschaft im Compliance Bereich* Inhaltsübersicht I. Einführung II. Kooperation in laufenden Ermittlungsverfahren 1. Warum Kooperation? 2. Rechtspflicht des Vorstands zur Kooperation? 3. Interne Untersuchungen als Basis der Kooperation 4. Unternehmensinterne Amnestieprogramme 5. Prüfung von elektronischen Dateien 6. Befragung von Mitarbeitern 7. Vorbereitende Maßnahmen für eine Kooperation
III. Kooperation mit der Staatsanwaltschaft ohne laufendes Ermittlungsverfahren 1. Keine generelle Mitteilungspflicht für Korruptionsstraftaten 2. Mitteilung von Compliance Fällen als Ermessensentscheidung des Vorstands 3. Bestimmung von „Kontaktpersonen“ IV. Zusammenfassung
I. Einführung In Deutschland wird seit einigen Jahren das Thema Compliance intensiv diskutiert. Zu den rechtlichen Aspekten von Corporate Compliance hat sich der Jubilar in Veröffentlichungen und Vorträgen maßgeblich geäußert und hat die Diskussion wesentlich beeinflusst1. Gerade in jüngster Zeit beginnt im Rahmen der Compliance Diskussion ein intensiveres Nachdenken zum Thema Kooperation des Unternehmens mit der Staatsanwaltschaft, insbesondere bei Korruptionsverdacht. Eine Reihe von Korruptionsfällen bei deutschen Großunternehmen sind in der jüngeren Vergangenheit aufgedeckt worden. Sie sind zum Teil auch heute noch Gegenstand laufender staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen gegen Verantwortliche der betreffenden Unternehmen. Besondere Prominenz haben in der öffentlichen Berichterstattung die Fälle Siemens, Daimler, MAN und Ferrostaal erlangt. Wie die aufgeführten Fälle verdeutlichen, ist es nunmehr an der Zeit, Corporate Compliance als Pflichtaufgabe eines jeden Unternehmens zu begreifen und ein funktionierendes Compliance-System in die Unternehmensführung zu
__________ * Frau Referendarin Susanne Fischer gilt ein besonderer Dank für die Unterstützung bei der Vorbereitung des Beitrags. 1 Grundlegend bereits Uwe H. Schneider, ZIP 2003, 645.
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integrieren. Dies war und ist auch ein Anliegen des Jubilars2. Die Implementierung eines wirksamen Compliance-Systems muss ein wichtiger Baustein der Corporate Governance international tätiger Unternehmen sein3. Corporate Compliance erfasst dabei auch die Organisation des Verhaltens in Krisenfällen, wenn z. B. angesichts von Korruptionsvorwürfen die Staatsanwaltschaft mit einem Durchsuchungsbeschluss „vor der Türe“ steht, um umfangreiche Ermittlungen anzustellen, die in der Regel öffentlichkeitswirksam werden. In einer derartigen Situation steht das Unternehmen vor der Entscheidung, ob es mit den Ermittlungsbehörden kooperiert, sich auf die Verteidigung der eigenen Rechtsposition konzentriert oder ob es eine Mischform zwischen beiden Positionen wählt. Jedenfalls heutzutage entspricht es üblicher Praxis, dass das Unternehmen dann erklärt, mit der Staatsanwaltschaft kooperieren zu wollen. Was das aber genau heißt und wie die rechtlichen Rahmenbedingungen sind, bleibt in der Regel offen. Die Praxis ist auch sehr unterschiedlich. Der vorliegende Beitrag untersucht zunächst, wie eine Kooperation mit der Staatsanwaltschaft in laufenden Ermittlungsverfahren aussehen kann4, wie die Pflichtenlage des Vorstands einer Aktiengesellschaft einzuschätzen ist und welche Anforderungen an die interne Untersuchung in diesem Zusammenhang zu stellen sind. Davon zu unterscheiden und somit in einem separaten Teil zu behandeln sind Fragen, inwieweit eine Kooperation mit der Ermittlungsbehörde möglich und wann rechtlich geboten ist, wenn (noch) keine Ermittlungen gegen Verantwortliche des Unternehmens anhängig sind, intern aber Erkenntnisse vorliegen, die möglicherweise bei Bekanntwerden Ermittlungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft auslösen könnten5.
II. Kooperation in laufenden Ermittlungsverfahren Zunächst bedarf es der Klärung der Frage, inwieweit ein Unternehmen und die Ermittlungsbehörden in Verfahren kooperieren können, in denen die Staatsanwaltschaft aufgrund eigener Erkenntnisse oder durch Hinweise Dritter Ermittlungen gegen Mitarbeiter aufgenommen hat, von denen das Unternehmen erst durch eine Durchsuchung der Geschäftsräume erfährt. 1. Warum Kooperation? Das Wort „Kooperation“ leitet sich von dem lateinischen „cooperatio“, „Zusammenarbeit“, „Mitwirkung“, ab. Einer solchen inhärent ist in der Regel ein Nutzen für alle Beteiligten.
__________ 2 Siehe aus jüngster Zeit Uwe H. Schneider, NZG 2009, 1321 ff., Uwe H. Schneider/ Nowak in FS Kreutz, 2010, 855. 3 Kremer/Klahold, ZGR 2010, 113, 118 ff.; dies. in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 21; Campos Nave/Bonenberger, BB 2008, 734, 734 f.; Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703, 1703. 4 Siehe unter II. 5 Siehe unter III.
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Kooperation des Unternehmens mit der Staatsanwaltschaft im Compliance Bereich
Noch vor wenigen Jahren wurde dieser Nutzen von den Unternehmen nicht gesehen. Eine Kooperation des Unternehmens mit den Ermittlungsbehörden auch bei Korruptionsvorwürfen gegen aktuelle oder ehemalige Mitarbeiter war weitgehend unbekannt. Das Unternehmen erduldete die ihm von staatlicher Seite auferlegten Ermittlungsmaßnahmen, überwachte allenfalls die Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen und verhielt sich im Übrigen während der Dauer des Ermittlungsverfahrens weitestgehend passiv. Ermittlungen in Straf- und Bußgeldsachen wurden als ausschließlich staatliche Aufgabe betrachtet, weil sie der Durchsetzung des staatlichen Straf- bzw. Sanktionsanspruchs dienten und auch die StPO und das OWiG die Kooperation des Unternehmens nicht vorsehen. Erst wenn das Ergebnis der staatlichen Ermittlungen vorlag, z. B. eine rechtskräftige Geld- oder Gefängnisstrafe gegen den Mitarbeiter ausgesprochen wurde, zog das Unternehmen die Konsequenzen in seiner Sphäre und kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Mitarbeiter oder traf andere arbeitsrechtliche Maßnahmen. Bis dahin galt die Unschuldsvermutung. Mit der gestiegenen Sensibilität der Öffentlichkeit, der Kunden und Lieferanten für Compliance Themen stiegen auch die Reputationsrisiken für ein Unternehmen, gegen dessen Mitarbeiter wegen Korruptionsdelikten ermittelt wird. Das gilt insbesondere dann, wenn es zu Durchsuchungen bei dem Unternehmen gekommen ist. Eine intensive Berichterstattung in der Öffentlichkeit verstärkt den Reputationsschaden noch, wobei Durchsuchungen häufig als Bestätigung der Korruptionsvorwürfe wahrgenommen werden. Zudem haben die Fälle aus der jüngeren Vergangenheit gezeigt, dass Unternehmensgeldbußen, gestützt auf eine Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG einschließlich der sogenannten Gewinnabschöpfung, exorbitante Höhen erreichen können. Im Fall Siemens betrug die Unternehmensgeldbuße in Deutschland etwa 500 Mio. Euro, im Fall MAN etwa 150 Mio. Euro. Hinzu kommt die lange Dauer von Ermittlungsverfahren, die sich über Jahre erstrecken können und die Nachhaltigkeit des Reputationsschadens noch verstärken. Vor diesem Hintergrund besteht ein erhebliches Interesse des Unternehmens, die negativen Folgen für die eigene Geschäftstätigkeit zu vermeiden oder zumindest abzumildern. Das Mittel hierzu ist neben der Einrichtung wirksamer Compliance Programme die Kooperation mit der Staatsanwaltschaft in dem Ermittlungsverfahren. Kooperation meint dabei, dass sich das Unternehmen mit der Staatsanwaltschaft darauf verständigt, freiwillig Informationen zu dem Gegenstand des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft zur Verfügung zu stellen. Ziel der Kooperation aus Sicht des Unternehmens ist es im Allgemeinen, weitere öffentlichkeitswirksame Durchsuchungen und Verhaftungen zu vermeiden, ein zu erwartendes Bußgeld zu reduzieren und die Dauer des Ermittlungsverfahrens abzukürzen. Auch für die Staatsanwaltschaft ist die Kooperation von Interesse6. Sie kann unter Schonung der eigenen Ressourcen vom Unternehmen Sachverhalts-
__________ 6 Siehe die Hinweise bei Jahn/Budras, FAZ v. 18.5.2010.
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informationen einfach und schnell erhalten oder mit dem Unternehmen eine interne Untersuchung vereinbaren, deren Ergebnisse gegebenenfalls sogar mit einer rechtlichen Würdigung durch das Unternehmen bzw. durch seine Anwälte zu versehen sind, um sich im Anschluss Untersuchung und Ergebnis anzusehen und zu prüfen. Sollten die Ergebnisse aus Sicht der Staatsanwaltschaft unzureichend sein, bleibt immer noch die Möglichkeit, Untersuchungsmaßnahmen nach der StPO, wie Durchsuchungen und Beschlagnahme, durchzuführen. Dabei darf die Kooperation des Unternehmens aber auch nicht missbraucht werden. Es kann nicht Ziel sein, dass das Unternehmen Geständnisse von beschuldigten Mitarbeitern als Nachweis der Ernsthaftigkeit des Kooperationswillens beizubringen hat. Klare Spielregeln für die Kooperation des Unternehmens im Ermittlungsverfahren gibt es aber nicht. Dies wird in der Praxis gerade von Strafverteidigern heftig kritisiert7. Sie sehen die Gefahr, dass die Rechte der Beschuldigten nach der StPO im Rahmen der Kooperation unterlaufen werden. Dies gilt insbesondere für das Schweigerecht des Beschuldigten, das zu seinen strafprozessualen Grundrechten gehört. Arbeitsrechtler und Datenschützer wenden ein, dass eine enge Kooperation zwischen Staatsanwaltschaft und Unternehmen den Mitarbeiterschutz vernachlässigt. Ein geregeltes Amnestieverfahren für Unternehmen gibt es weder in der StPO noch im OWiG. Das ist im Kartellrecht anders. Vielfach besteht bei Kartellverfahren für Unternehmen die Möglichkeit, nach Maßgabe von sog. Kronzeugenprogrammen gegenüber den Kartellbehörden eine Selbstanzeige zu erstatten und auf diese Weise einen Bußgelderlass zu erlangen oder durch wesentliche Aufklärungsbeiträge ein zu erwartendes Bußgeld zu reduzieren8. Außerhalb des Kartellrechts ist ein Zusammenwirken von Ermittlungsbehörden und einem Unternehmen nicht gesetzlich vorgesehen9. Die Art und Weise der Kooperation ist im Einzelfall zwischen dem Unternehmen und der Staatsanwaltschaft abzustimmen. Dieser Regel folgt die Praxis. Die Verpflichtung staatlicher Behörden, Ermittlungen anzustrengen, besteht nach § 152 StPO, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für Straftaten vorliegen. Dass es in letzter Zeit zu einem verstärkten Einschreiten der Behörden gekommen ist, beruht nicht notwendigerweise darauf, dass es mehr Korruptionsfälle gibt als in früheren Zeiten. Vielmehr kann dieses Phänomen durch die erhöhte Presseberichterstattung und die dadurch gesteigerte Sensibilität der Öffentlichkeit erklärt werden. Auch ein erhöhtes Anzeigenaufkommen – häufig durch anonyme Meldungen – ist Ausdruck dieser Entwicklung.
__________ 7 Siehe Schönstein/Treser, Focus v. 17.5.2010 zum Fall Siemens; Hamm, NJW 2010, 1332. 8 Siehe zum Europäischen Kartellrecht Dieckmann in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 2. Aufl. 2008, § 46 Rz. 22 ff. 9 Zur Kronzeugenregelung für Beschuldigte (natürliche Personen), die zur Aufklärung oder Verhinderung von schweren Straftaten beitragen, siehe § 46b StGB und dazu Dann, CCZ 2010, 30 ff.
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Kooperation des Unternehmens mit der Staatsanwaltschaft im Compliance Bereich
2. Rechtspflicht des Vorstands zur Kooperation? Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Vorstand verpflichtet sein kann, mit den Ermittlungsbehörden im Rahmen eines laufenden Ermittlungsverfahrens zusammen zu arbeiten, ist gesetzlich nicht geregelt. Aus den allgemeinen Sorgfaltspflichten des Vorstands aus § 93 AktG wird man aber ableiten können, dass der Vorstand angesichts der gravierenden Auswirkungen eines Ermittlungsverfahrens zumindest verpflichtet ist, die Kooperation mit der Staatsanwaltschaft zu prüfen. Sind nach Kenntnis des Vorstands Korruptionsstraftaten von Mitarbeitern des Unternehmens begangen worden oder liegt dies zumindest nahe, greift die Schadensabwendungs- und Schadensminderungspflicht des Vorstands aus § 93 AktG. Daraus wird man vielfach eine Rechtspflicht des Vorstands zur Kooperation mit den Ermittlungsbehörden ableiten können, auch wenn stets eine Abwägung im Einzelfall erforderlich ist. Der Vorstand hat grundsätzlich ein unternehmerisches Ermessen, wie er ggf. die Kooperation gestalten will. Maßstab ist auch hier das Unternehmensinteresse. Danach ist es grundsätzlich geboten, diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus einer ex ante Beurteilung günstig für das Unternehmen auswirken, also potentiell Bußgeld mindernd wirken oder weitere rufschädigende Durchsuchungen in den Geschäftsräumen des Unternehmens verhindern. In der Praxis ist die Haltung der Staatsanwaltschaft zu Kooperationsangeboten des Unternehmens sehr unterschiedlich. Zum Teil weisen Staatsanwaltschaften umfassende Kooperationsangebote von Unternehmen zurück, weil sie eher auf die Effizienz der eigenen Ermittlungsmaßnahmen vertrauen. Andere Staatsanwaltschaften stehen den Kooperationsangeboten der Unternehmen eher positiv gegenüber10. Jedes Kooperationsangebot muss aber ernsthaft sein und nachhaltig verfolgt werden, sonst können die erhofften Vorteile der Kooperation für das Unternehmen nicht eintreten. 3. Interne Untersuchungen als Basis der Kooperation Die Staatsanwaltschaft wird Vergünstigungen für eine Kooperation nur gewähren, wenn sie für die eigenen Untersuchungen einen Mehrwert durch die Beiträge des Unternehmens erwartet. Möchte das Unternehmen mit der Staatsanwaltschaft kooperieren, stellt sich die Frage, wie ein solcher Mehrwert zu den staatlichen Ermittlungsmaßnahmen geschaffen werden kann. Hierfür ist in der Regel die unternehmensinterne Untersuchung der Rechtsverstöße erforderlich. Ergeben sich nachvollziehbare Verdachtsmomente für gravierende Gesetzesverletzungen und auch Verstöße gegen unternehmensinterne Compliance Richtlinien durch Mitarbeiter des Unternehmens, ist der Vorstand verpflichtet, unverzüglich alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Verstöße abzustellen und dafür Sorge zu tragen, dass sich vergleichbare Fälle in der Zukunft nicht wiederholen11. Dem vorgelagert ist dann die grundsätzliche Pflicht zu
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10 So wird es jedenfalls in den Fällen Siemens und MAN berichtet. 11 Siehe Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2177 f.
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einer Aufklärung und Untersuchung der maßgeblichen Sachverhalte12. Da es sich insoweit um eigene Verpflichtungen des Vorstands handelt, wird man nicht davon ausgehen können, dass staatliche Ermittlungen auf Basis der StPO zu den gleichen Sachverhalten die Vorstandspflichten aussetzen. Der Vorstand ist also auch bei laufenden Ermittlungsverfahren in der Pflicht, selbst eine interne Untersuchung einzuleiten. In diesem Zusammenhang hat er dafür Sorge zu tragen, dass die staatlichen Ermittlungen nicht gestört werden. Dies spricht dafür, eine interne Untersuchung mit den Ermittlungsbehörden abzustimmen13. Wesentlich für den Erfolg der internen Untersuchung ist auch, dass die Unternehmensspitze, insbesondere der Vorstandsvorsitzende, nach innen kommuniziert, dass er hinter der internen Untersuchung steht und sie voll umfänglich unterstützt. Mit der Durchführung der internen Untersuchung beauftragt das Unternehmen in der Regel eine externe Rechtsanwaltskanzlei, die über entsprechendes know-how verfügt14. Unternehmensintern fehlt dieses Wissen häufig und je nach Umfang der Untersuchung fehlt auch die erforderliche Kapazität. Zur Unterstützung der Rechtsanwälte werden forensische Experten – in der Regel eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft – zusätzlich beauftragt, die insbesondere die Bücher der betroffenen Gesellschaft auf Compliance Verstöße prüfen. Alternativ ist eine Beauftragung der internen Revision in Betracht zu ziehen. Der zuständige Betriebsrat sollte über die interne Untersuchung informiert werden. Gelegentlich wird auch der Abschluss einer Betriebsvereinbarung zu internen Untersuchungen empfohlen15. Sowohl die externen Rechtsanwälte als auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sind allein vom Unternehmen beauftragt, nicht von der Staatsanwaltschaft. Sofern die Rechtsanwälte bzw. Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ihre Erkenntnisse unmittelbar an die Staatsanwaltschaft berichten sollen, bedarf es dazu eines entsprechenden Auftrags seitens des Unternehmens. Ansonsten wäre die Weitergabe von Informationen an die Staatsanwaltschaft rechtswidrig und unzulässig. In diesem Zusammenhang kann das Unternehmen mit der Forderung der Staatsanwaltschaft konfrontiert werden, die mit der internen Untersuchung beauftragten externen Experten von ihrer beruflichen Verschwiegenheitspflicht zu entbinden16. Das ist im Einzelfall auch unter Berücksichtigung der Fürsorgepflichten gegenüber den Arbeitnehmern genau zu prüfen. Vielfach wird sich das Unternehmen dem Wunsch der Staatsanwaltschaft nicht entziehen können17.
__________ 12 Siehe Hauschka/Greeve, BB 2007, 165, 171; Wagner, CCZ 2009, 8, 13. 13 So auch die Empfehlung von Moosmayer, Compliance, 2010, S. 99. 14 Aus der Presse wurde bekannt, dass Siemens die amerikanische Rechtsanwaltskanzlei Debevois & Plimpton und MAN die ebenfalls amerikanische Kanzlei WilmerHale beauftragt haben. 15 Siehe z. B. Vogt, NJW 2009, 3755. 16 Vgl. Moosmayer, Compliance, 2010, S. 99 und Passarge, BB 2010, 591. 17 Moosmayer, Compliance, 2010, S. 99.
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Kooperation des Unternehmens mit der Staatsanwaltschaft im Compliance Bereich
Die interne Untersuchung zu leiten und zu führen, ist grundsätzlich Aufgabe des Vorstands, die er gegebenenfalls auf einen Chief Compliance Officer delegieren kann. Je nach Bedeutung der Angelegenheit für das Unternehmen ist der Aufsichtsrat bzw. dessen Prüfungsausschuss über den Fortgang regelmäßig zu unterrichten18. Von dieser generellen Zuständigkeitsverteilung sollte dann abgesehen werden, wenn ein oder mehrere Vorstandsmitglieder Beschuldigte des Ermittlungsverfahrens sind. Dann ist es angezeigt, dass der Aufsichtsrat die interne Untersuchung an sich zieht und insbesondere die externen Rechtsanwälte beauftragt. Bei den betreffenden Vorstandsmitgliedern entstünde in ihrer Doppelrolle einerseits als Beschuldigte und andererseits als zur Aufklärung des Sachverhalts im Unternehmensinteresse Verpflichtete ein Interessenkonflikt, der einer ordnungsgemäßen Aufklärung der Sachverhalte entgegenstehen könnte. Auch gegenüber der Staatsanwaltschaft ist der Kooperationsbeitrag des Unternehmens dann überzeugender. 4. Unternehmensinterne Amnestieprogramme Um die internen Untersuchungen wirksam zu gestalten und auf diese Weise die Aufklärung der von der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfe voranzutreiben, greift die Unternehmenspraxis gelegentlich zu so genannten internen Amnestieprogrammen. Amnestieprogramme gehören nicht zum Standardinstrumentarium einer unternehmensinternen Untersuchung. Mit Amnestieprogrammen kann dann gearbeitet werden, wenn die ersten Befragungsrunden der Mitarbeiter zu dem Eindruck führen, dass die Aufklärung „blockiert“ wird und das nicht nur von einzelnen Personen sondern einem größeren Kreis der Mitarbeiter. In dieser Situation kann ein Amnestieprogramm helfen, die „Wand des Schweigens“ zu durchbrechen19. Unter der auflösenden Bedingung, dass die am Amnestieprogramm teilnehmenden Mitarbeiter im Zuge der internen Ermittlungen kooperieren und nach bestem Wissen wahrheitsgemäß und umfassend aussagen, wird ihnen zugesagt, Schadensersatzansprüche des Unternehmens gegen sie entweder nicht geltend zu machen oder ganz zu erlassen und gegebenenfalls das Anstellungsverhältnis nicht einseitig zu beenden. Mit den internen Amnestieprogrammen sind eine Reihe von Rechtsfragen verbunden, die zum Teil noch nicht geklärt sind. Zusagen an Arbeitnehmer müssen den Erfordernissen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes genügen. Auch unter Berücksichtigung dessen wird man sagen können, dass die vorstehend genannten Zusagen an aussagewillige Mitarbeiter – einschließlich der im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren Beschuldigten – keine willkürliche Ungleichbehandlung und damit keinen Verstoß gegen den Gleichbe-
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18 Vgl. Ziffer 5.3.2 des Deutschen Corporate Governance Kodex und dazu Kremer in Kodex-Kommentar, 4. Aufl. 2010, Rz. 992a. 19 Vgl. Schürrle/Bolhöfer, Compliance-Verantwortung in der Aktiengesellschaft, 2009, 74.
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handlungsgrundsatz begründen, da sich der aufklärungswillige Mitarbeiter von den übrigen Beschuldigten durch sein ermittlungsvorantreibendes Wissen unterscheidet. Die Auflegung eines Amnestieprogramms verstößt auch nicht gegen die allgemeinen Sorgfaltspflichten des Vorstands aus § 93 AktG, soweit das Programm geeignet ist, die Aufklärung der Vorwürfe voranzutreiben oder erst zu ermöglichen und ex ante zu erwarten ist, dass dadurch ein größerer Schaden für das Unternehmen abgewendet wird. Andererseits darf ein Amnestieprogramm auch nicht den Eindruck erwecken, die Rechtsverstöße würden letztlich doch durch das Unternehmen gedeckt. Um diesen Grundsätzen Rechnung zu tragen, verzichtet das Unternehmen nicht vollständig auf Sanktionen gegenüber den aufklärungswilligen Mitarbeitern. Arbeitsrechtliche Maßnahmen wie Abmahnung, Versetzung, Streichung eines Bonus oder selbst Gehaltskürzungen bleiben in der Regel ebenso vorbehalten, wie die einvernehmliche Aufhebung des Anstellungsvertrages zu angemessenen Konditionen. Auch die Adressaten eines Amnestieprogramms sind sorgfältig und auf den Einzelfall bezogen auszuwählen. Mit Blick auf die organschaftliche Verantwortung wird es sich in der Regel empfehlen, Mitglieder des Vorstands oder des verantwortlichen Unternehmensorgans einer Tochtergesellschaft nicht in das Amnestieprogramm aufzunehmen. Hier kann gegebenenfalls über einzelfallbezogene Lösungen nachgedacht werden, wenn sie zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich erscheinen. In diesen Fällen ist es aber empfehlenswert, die Einzelfallregelung mit der Staatsanwaltschaft abzustimmen. Sie sollten hinter den Zusagen aus dem Amnestieprogramm zurückbleiben. Das Amnestieprogramm sollte zeitlich befristet sein. Laufzeiten von ein bis drei Monaten sind anzutreffen. Das Amnestieprogramm kann durch ein Schreiben des Vorstands an die Mitarbeiter unterstützt werden, in dem der Vorstand empfiehlt, von der Amnestie Gebrauch zu machen. In der Regel werden als Empfänger der Mitarbeiterinformationen die Rechtsanwälte benannt, die die internen Untersuchungen führen. Alternativ kann auch an einen besonders bestellten Ombudsmann als Informationsempfänger gedacht werden. Die Implementierung eines so gestalteten Amnestieprogramms bedarf keiner Zustimmung des Betriebsrats, da es sich um keinen nach § 95 BetrVG zustimmungspflichtigen Vorgang handelt20. Eine Information des Betriebsrats über das Amnestieprogramm ist aber zu empfehlen. Unternehmensinterne Amnestieprogramme können Mitarbeiter nicht von der strafrechtlichen Verfolgung freistellen. Vielmehr wird das Unternehmen die Aussagen der Mitarbeiter im Rahmen der Kooperation an die Staatsanwaltschaft in geeigneter Form berichten oder weitergeben und damit ein Risiko für die Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen die Mitarbeiter schaffen. Hierauf ist der aussagebereite Mitarbeiter ausdrücklich hinzuweisen. Andererseits sollte sich das Unternehmen gegenüber der Staatsanwaltschaft dafür einsetzen, dass die Kooperationsbereitschaft eines Arbeitnehmers von den Strafverfolgungsbehörden wohlwollend berücksichtigt wird. Die Praxis insbesondere
__________ 20 Das kann bei der systematischen Befragung von Mitarbeitern anders sein.
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Kooperation des Unternehmens mit der Staatsanwaltschaft im Compliance Bereich
im Fall Siemens hat gezeigt, dass die Staatsanwaltschaft bereit ist, diesem Gedanken weitgehend Rechnung zu tragen. 5. Prüfung von elektronischen Dateien Auch die Durchsicht von Geschäftsunterlagen und insbesondere der elektronischen Daten (E-Mail-Verkehr, etc.) gehört zu den technisch möglichen Instrumenten einer internen Untersuchung. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Einsicht gerade in die elektronischen Unterlagen sind streng. Einschlägig sind zunächst bestehende betriebliche Vereinbarungen und das Bundesdatenschutzgesetz. Ergänzende Regelungen können sich aus dem Telekommunikationsgesetz und dem StGB ergeben. Die rechtliche Zulässigkeit von Kontrollen firmeneigener elektronischer Daten hängt zunächst davon ab, ob der Arbeitgeber sein Netzwerk und insbesondere das E-Mail System nicht nur für die dienstliche sondern auch für die private Nutzung erlaubt hat. Bei einer erlaubten privaten (Mit-)Nutzung21 kann nach der Rechtsprechung eine E-Search am Arbeitsplatz des Mitarbeiters als Verletzung des Fernmeldegeheimnisses strafbar sein22, sofern der Mitarbeiter in die Durchsuchung nicht eingewilligt hat. Mit der Zulassung der privaten Nutzung wird der Arbeitgeber zum Dienstleistungsanbieter nach dem Telekommunikationsgesetz. Die private E-Mail-Kommunikation unterfällt dann dem Fernmeldegeheimnis23. In der Praxis ist vielfach die Erfahrung gemacht worden, dass Mitarbeiter ihre Einwilligung erteilen. Häufiges Motiv hierfür ist, dass die Mitarbeiter keinerlei Verständnis für die Verletzung von Compliance Bestimmungen haben und von daher der unternehmensinternen Untersuchung positiv gegenüber stehen und sie unterstützen24. Der Einwilligung sollte eine ausführliche Belehrung über das Ziel der Maßnahme vorgelagert sein, insbesondere sollte erläutert werden, was mit den erhobenen Daten weiter geschehen soll. Auch der Hinweis an den Mitarbeiter, dass eine einmal erteilte Einwilligung widerrufen werden kann, sollte gegeben werden. Insgesamt sollte auch bei einer E-Search mit Einwilligung darauf geachtet werden, dass die daraus gewonnenen Erkenntnisse im Unternehmen vertraulich behandelt werden. Das gebietet die Zielsetzung des Datenschutzes, fördert die Akzeptanz der Maßnahme und sollte selbstverständlich sein. In den Fällen, in denen der Arbeitgeber die Nutzung des firmeneigenen E-MailSystems ausschließlich für den dienstlichen Gebrauch zugelassen hat, kommen die vorerwähnten Restriktionen des Telekommunikationsgesetzes nicht zum Tragen. Die wesentlichen rechtlichen Grenzen der E-Search werden in § 28 und insbesondere in § 32 BDSG aufgezeigt. Danach dürfen zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten eines Arbeitnehmers nur dann er-
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21 Der Umfang der privaten Nutzung von Telekommunikationseinrichtungen des Unternehmens kann auch Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. 22 Vgl. § 206 StGB. 23 Vgl. § 88 Telekommunikationsgesetz. 24 Schürrle/Bolhöfer, Compliance Verantwortung in der Aktiengesellschaft, 2009, 64.
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hoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Arbeitnehmer im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat und die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung der personenbezogenen Daten zur Aufdeckung der Straftat erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten an dem Ausschluss der Erhebung, Verarbeitung oder der Nutzung nicht überwiegt25. Diese etwas rätselhafte Regelung des § 32 BDSG ist jedenfalls nicht geeignet, dem Unternehmen klare Instruktionen für die Ermittlung in personenbezogene Daten eines Mitarbeiters zu geben. Daher wird man auch in Fällen ausschließlicher dienstlicher Nutzung von firmeneigenen E-Mail-Systemen in der Praxis die Einwilligung des betroffenen Mitarbeiters in die Maßnahme einholen. Auch der Abschluss einer Betriebsvereinbarung ist erforderlich. 6. Befragung von Mitarbeitern Die Befragung von Mitarbeitern gehört zu den Standardelementen einer internen Untersuchung. Mitarbeiterbefragungen bei gleichzeitig laufendem Ermittlungsverfahren sollten aber immer mit der Staatsanwaltschaft abgestimmt werden26. Aus dem bestehenden Arbeitsvertrag ist ein Mitarbeiter grundsätzlich verpflichtet, im Rahmen einer Untersuchung des Arbeitgebers bei der Aufklärung unternehmensinterner Vorgänge, die seinen Verantwortungsbereich betreffen, mitzuwirken und Auskunft zu erteilen. Dies betrifft insbesondere Art und Umfang seiner eigenen Leistungen, Geschehnisse in seinem Arbeitsbereich und auch Wahrnehmungen des Mitarbeiters im Zusammenhang mit seiner Arbeitsleistung27. Der Umfang der Auskunftspflicht des Mitarbeiters richtet sich nach verschiedenen Kriterien, wie z. B. Aufgabengebiet, Betriebskenntnis, aber auch Schwere der Pflichtverletzung und bestehende Wiederholungsgefahr. Im Einzelnen ist hier noch viel an Klärungsarbeit zu leisten. Um Konflikte mit dem Betriebsrat im Zusammenhang mit der Mitarbeiterbefragung zu vermeiden, kann es sich empfehlen, hierzu eine Regelung mit dem Betriebsrat herbeizuführen. Dabei können z. B. Informationen der Mitarbeitergruppen über den Zweck der internen Untersuchung, die Informationsrechte des Betriebsrats, der Umfang der Mitarbeiterbefragung und der Verwendungszweck der erhobenen Daten geregelt werden28. Im Einzelfall kann streitig sein, ob und in welchem Umfang der Mitarbeiter die ihm gestellten Fragen beantworten muss. Schwierigkeiten bestehen insbesondere dann, wenn der Mitarbeiter sich selber belasten müsste und damit zu rechnen ist, dass das Unternehmen die Information an die Staatsanwaltschaft weitergibt. Hier kann ein Aussageverweigerungsrecht des Mitarbeiters bestehen29.
__________ 25 26 27 28 29
Siehe dazu etwa Salvenmoser/Hauschka, NJW 2010, 331, 333 f. Moosmayer, Compliance, 2010, S. 99. Schürrle/Bolhöfer, Compliance-Verantwortung in der Aktiengesellschaft, 2009, 59. Schürrle/Bolhöfer, Compliance Verantwortung in der Aktiengesellschaft, 2009, 58. Vgl. die Überlegungen von Schürrle/Bolhöfer, Compliance Verantwortung in der Aktiengesellschaft, 2009, 60.
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Auch wenn ein Arbeitnehmer grundsätzlich keinen Anspruch auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts bei seiner Befragung durch die Anwälte des Unternehmens hat, kann es sich doch empfehlen, dem Mitarbeiter einen Rechtsbeistand zur Verfügung zu stellen, um eventuelles Misstrauen abzubauen. Der Rechtsanwalt kann den Mitarbeiter über den Ablauf der Befragung und über seine Rechte aufklären sowie für Fragen zur Verfügung stehen und auch eingreifen, wenn sich der Mitarbeiter selbst belasten würde30. Aber auch das ist eine Einzelfallentscheidung. 7. Vorbereitende Maßnahmen für eine Kooperation Durchsuchungsmaßnahmen der Ermittlungsbehörden treffen das Unternehmen in der Regel überraschend. Verhalten sich die Mitarbeiter bei der Durchsuchung unprofessionell, kann „viel Porzellan“ im Verhältnis zu den Ermittlungsbehörden zerschlagen und eine (spätere) Kooperation deutlich erschwert werden. Daher ist es hilfreich, bereits im Vorfeld einen sog. „Notfallplan“ für das Verhalten bei Durchsuchungen auszuarbeiten und diesen insbesondere den Mitarbeitern, die mit den Behörden potentiell in Kontakt kommen, zu vermitteln. Empfangsmitarbeiter sind zu unterrichten, da sie die ersten „Kontaktpersonen“ der Beamten sind, so dass hier keine Fehler passieren dürfen31. Entscheidende Bedeutung kommt der Bildung eines „Krisenteams“ zu, mithin der Benennung einiger Personen, die bei Erscheinen der Ermittlungsbehörden durch die Empfangsmitarbeiter unmittelbar zu benachrichtigen sind und fortan das gesamte weitere Geschehen koordinieren, begleiten und insbesondere während der gesamten Durchsuchungsmaßnahmen anwesend sind. Das interne Krisenteam sollte im Einzelfall durch einen auf das Strafrecht spezialisierten externen Rechtsanwalt ergänzt werden. Dies kann die Kommunikation zu den die Durchsuchung leitenden Staatsanwälten deutlich erleichtern und dafür sorgen, dass ein kooperativer Meinungsaustausch gewährleistet werden kann, der eine von allen Beteiligten gewünschte Beschleunigung des Verfahrens nach sich zieht. In diesem Zusammenhang ist auch über die Möglichkeit einer freiwilligen Herausgabe von Unterlagen zu entscheiden. Ohne Herausgabe müssen die Unterlagen von den Ermittlungsbehörden aufwändig im Unternehmen gesucht und beschlagnahmt werden32. Sind die Durchsuchungsmaßnahmen vor Ort abgeschlossen, sollten die Mitglieder des Krisenteams mit dem zuständigen Staatsanwalt in einem Gespräch das weitere Vorgehen sondieren und eine vollumfängliche Kooperation signalisieren, falls dafür das Einverständnis des Vorstands vorliegt.
__________ 30 Schürrle/Bolhöfer, Compliance Verantwortung in der Aktiengesellschaft, 2009, 60. 31 Bereits an diesen Stellen werden die Weichen für das weitere Verfahren gestellt. Welch negative Folgen falsche Reaktionen von Mitarbeitern in einer derartigen Situation haben kann, schildert Park, Handbuch Durchsuchung und Beschlagnahme, 1. Aufl. 2002, Rz. 853 ff., speziell Rz. 855. 32 Moosmayer, Compliance, 2010, S. 98.
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Unternehmensintern kann mit der Auswertung der beschlagnahmten oder der Staatsanwaltschaft übergebenen Dokumente sowie potentieller, dagegen einzuleitender rechtlicher Schritte begonnen werden. Zudem sollte eine einheitliche Linie bezüglich der Information der Kunden und des Umgangs mit der Presse erörtert werden33.
III. Kooperation mit der Staatsanwaltschaft ohne laufendes Ermittlungsverfahren Die Frage der Kooperation des Unternehmens mit der Staatsanwaltschaft kann sich auch dann stellen, wenn kein Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche des Unternehmens läuft. Das hat z. B. der Fall MAN gezeigt. Bei MAN war angeblich bereits seit dem Jahr 2006 bekannt, dass es unzulässige Schmiergeldzahlungen gegeben hat34. MAN hatte den Fall durch die interne Revision untersucht und hatte Konsequenzen in organisatorischer wie in personeller Hinsicht gezogen35. Auf das Hinzuziehen der Staatsanwaltschaft wurde jedoch verzichtet. Erst zu Beginn des Jahres 2009 erfuhren die Strafverfolgungsbehörden von dem Sachverhalt und leiteten ein Ermittlungsverfahren ein36. Nach Auffassung von Transparency International hätte MAN die durch interne Revisionsprüfungen bekannt gewordenen Schmiergeldzahlungen der Staatsanwaltschaft melden müssen37. Doch ist ein Unternehmen tatsächlich rechtlich verpflichtet, von sich aus den Ermittlungsbehörden Hinweise zu liefern, die einen Anfangsverdacht für eine Straftat begründen und so staatsanwaltschaftliche Ermittlungen mit möglichen negativen Öffentlichkeitswirkungen nach sich ziehen? Das Problem liegt hier auf der Hand. Informiert das Unternehmen die Ermittlungsbehörden, tritt es möglicherweise umfangreiche Ermittlungen los. Meldet das Unternehmen die verdächtigen Umstände nicht und stellt den Verstoß intern ab, wahrt es seine Chance, dass kein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wird und die eventuelle Straftat verjährt. Bei den Überlegungen eines Unternehmens hinsichtlich der richtigen Vorgehensweise in derartigen Fällen darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass das Unternehmen in erster Linie die eigenen Interessen im Blick haben muss. 1. Keine generelle Mitteilungspflicht für Korruptionsstraftaten Ansätze für eine Mitteilungspflicht in begründeten Verdachtsfällen können sich grundsätzlich aus strafrechtlichen oder wertpapierhandelsrechtlichen Vor-
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33 Park, Handbuch Durchsuchung und Beschlagnahme, 1. Aufl. 2002, Rz. 887. 34 Handelsblatt v. 25.11.2009, „Schmiergeldaffäre: MAN ging erst spät an die Öffentlichkeit“, S. 22. 35 Presse-Information MAN AG v. 7.5.2009, www.man.eu. 36 Handelsblatt v. 25.11.2009, S. 22. 37 von Blomberg, Vizechef von Transparency International Deutschland spricht im Handelsblatt v. 25.11.2009, S. 22 davon, dass der Verzicht auf Strafanzeigen ein vermeidbarer, schwerwiegender Fehler gewesen ist.
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schriften oder aus den allgemeinen Sorgfaltspflichten der Vorstandsmitglieder ergeben. Unter strafrechtlichen Aspekten ergibt sich keine Mitteilungspflicht. Die im Katalog des § 138 StGB aufgeführten mitteilungspflichtigen geplanten Straftaten sind abschließend. Delikte wie Bestechung und Untreue sind keine Katalogtaten38. Strafrechtlich kann Niemandem ein Vorwurf gemacht werden, der Straftaten, die im Katalog nicht angeführt sind, der Staatsanwaltschaft auch nicht mitteilt. Auch aus den wertpapierhandelsrechtlichen Vorschriften des § 33 WpHG und § 12 WpDVerOV lassen sich keine Mitteilungspflichten ableiten. Es handelt sich um Spezialvorschriften zu Compliance bei Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Diese Unternehmen haben angemessene Maßnahmen zu ergreifen und Verfahren einzurichten, um der Aufsichtsbehörde BaFin eine effektive Ausübung ihrer Aufsicht zu ermöglichen. In der Praxis wird verschiedentlich die Auffassung vertreten, diese Vorschriften könnten auch auf Unternehmen anderer Sektoren, z. B. der Industrie, ausgeweitet und eine Mitteilungspflicht bei Compliance Verstößen an die Staatsanwaltschaft auslösen. Die Vorschriften geben hierfür aber keine Basis. Wertpapierdienstleistungsunternehmen unterliegen seit jeher der staatlichen Regulierung und Aufsicht. Dies erfordert auch bestimmte Berichtspflichten gegenüber der Aufsichtsbehörde, die dann aber gesondert geregelt werden. Ein entsprechendes regulatorisches Umfeld gibt es für andere Unternehmen, insbesondere aus dem Industriesektor, nicht. Die aktienrechtlichen Vorschriften sehen keine Mitteilungspflichten für Compliance Fälle an die Staatsanwaltschaft vor. Die allgemeinen Sorgfaltspflichten39 verlangen vom Vorstand ein am Interesse seines Unternehmens ausgerichtetes Handeln. Schon daraus lässt sich erkennen, dass eine Einzelfallbetrachtung erforderlich ist, bei der sich die allgemeinen Sorgfaltspflichten allenfalls in seltenen Fällen zu einer Mitteilungspflicht von Compliance Verstößen oder Verdachtsfällen verdichten können. Eine vertraglich vereinbarte Mitteilungspflicht z. B. zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer ist denkbar, dürfte aber nur in besonderen Fällen einschlägig sein40. 2. Mitteilung von Compliance Fällen als Ermessensentscheidung des Vorstands Aus den allgemeinen Sorgfaltspflichten nach § 93 AktG wird man jedenfalls bei schweren Verstößen eine Verpflichtung des Vorstands ableiten können, im Unternehmensinteresse eine Mitteilung des Compliance Falls an die Staatsanwaltschaft zu prüfen. Im Rahmen dieser Prüfung sind alle Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Zumeist wird es nach Abwägung aller Umstände nicht angezeigt sein, Ermittlungsbehörden von Unternehmensseite auf
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38 Ausländische Rechtsordnungen können weitergehende Offenlegungspflichten vorsehen. 39 § 93 Abs. 1 AktG, § 43 Abs. 1 GmbHG. 40 Siehe dazu Moosmayer, Compliance, 2010, S. 102.
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Compliance Fälle hinzuweisen41. Für eine Mitteilung kann z. B. sprechen, wenn bei einer freiwilligen Offenlegung signifikante Vorteile durch die Ermittlungsbehörde gewährt werden. Dies ist z. B. im Ordnungswidrigkeitenrecht vorstellbar42, gilt aber auch darüber hinaus43. Weiter kann es eine Rolle spielen, ob damit gerechnet werden muss, dass die Ermittlungsbehörde ohnehin Kenntnis von dem Compliance Fall erhalten wird44, z. B. über eine Mitteilung der Betriebsprüfung nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG. Auch generalpräventive Überlegungen können eine Rolle spielen. So kann durch eine Mitteilung von Compliance Fällen an die Staatsanwaltschaft eine „zero tolerance“ policy nach innen und außen unterstrichen werden. Andererseits beendet eine Mitteilung an die Staatsanwaltschaft und ein damit verbundenes Ermittlungsverfahren die ggf. bestehende Chance auf eine Verjährung des abgestellten45 Compliance Verstoßes und damit die Chance zur Vermeidung eines Bußgeldes und ggf. von Schadensersatzansprüchen Dritter. Mit der Mitteilung eines Compliance Verstoßes an Ermittlungsbehörden steigt faktisch auch das aus Unternehmenssicht bestehende Risiko, dass der Compliance Verstoß öffentlich wird und die Reputation des Unternehmens Schaden leidet. Compliance ist ganz wesentlich von dem Verständnis der einzelnen Mitarbeiter des Unternehmens für das Programm geprägt. Fordert man, bei erkannten Korruptionsfällen diese an die Ermittlungsbehörden heranzutragen, besteht die Gefahr, dass sich Mitarbeiter angesichts dieser Kooperation nicht mehr mit Informationen an den Compliance Officer wenden. Für die Entscheidung der Geschäftsleitung für oder gegen die Mitteilung gilt die sog. Business Judgement Rule46. Die Entscheidung ist deshalb sorgfältig zu begründen und zu dokumentieren, damit der Vorwurf einer Sorgfaltspflichtverletzung ausgeschlossen bzw. widerlegt werden kann. 3. Bestimmung von „Kontaktpersonen“ Um die Kooperation von Unternehmen und Staatsanwaltschaft zu erleichtern, kann es sich empfehlen, unabhängig von einem konkreten Einzelfall Ansprechpartner auf beiden Seiten zu benennen, die bei Bedarf eine kurzfristige Kontaktaufnahme und einen Informationsaustausch sicherstellen können. Auf Seiten des Unternehmens bieten sich hierzu Compliance Officer, Mitarbeiter der Rechtsabteilung oder auf Strafrecht spezialisierte externe Rechtsanwälte an. Letztere sollten dann aber keine Verteidigeraufgabe für Mitarbeiter des Unternehmens übernehmen, um keinen Interessenkonflikt zu begründen und ihre Akzeptanz bei der Staatsanwaltschaft nicht zu gefährden.
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41 Zutreffend Schürrle/Bolhöfer, Compliance-Verantwortung in der Aktiengesellschaft, 2009, 76. 42 Siehe Moosmayer, Compliance, 2010, S. 102. 43 Rogall in Karlsruher Kommentar OWiG, 3. Aufl. 2006, § 17 OWiG Rz. 64 ff. 44 Siehe Schürrle/Bolhöfer, Compliance-Verantwortung in der Aktiengesellschaft, 2009, 76. 45 Unabhängig von einer Mitteilung an die Strafverfolgungsbehörde muss ein Compliance Verstoß immer abgestellt werden. 46 Siehe dazu etwa Sven H. Schneider, DB 2005, 707, 710; Lutter, ZIP 2007, 841.
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IV. Zusammenfassung Es hat sich gezeigt, dass eine Kooperation des Unternehmens mit den Ermittlungsbehörden grundsätzlich zu befürworten und einer Compliance-Organisation in hohem Maße zuträglich ist. Sie hat meistens erhebliche Vorteile für das Unternehmen. Basis einer Kooperation ist in der Regel eine interne Untersuchung, die das Unternehmen auch mit Hilfe externer Experten wie spezialisierten Rechtsanwälten und Forensikern durchführt. Die Entscheidung über die interne Untersuchung ist zu dokumentieren. Auf die Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen des Arbeitsrechts einschließlich des Betriebsverfassungsrechts und des Arbeitnehmerdatenschutzes muss geachtet werden. Art und Umfang einer internen Untersuchung während eines laufenden Ermittlungsverfahrens sollten mit der zuständigen Ermittlungsbehörde abgestimmt werden. In allen Fällen, in denen der Vorstand oder die zuständigen Bereiche von Compliance Fällen Kenntnis erlangen, besteht die Pflicht, die Verstöße abzustellen. In der Regel besteht aber keine Pflicht, den Compliance Fall an die Staatsanwaltschaft zu melden. In Einzelfällen mag das anders sein.
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Beweislastumkehr und Informationsanspruch des Vorstandsmitglieds bei Schadensersatzforderungen nach § 93 Abs. 2 AktG Inhaltsübersicht I. Einführung II. Darlegungs- und Beweislast im Rechtsstreit III. Informationsanspruch aus § 810 BGB und aus Treu und Glauben 1. Grundlagen 2. Ausforschungsverbot und Erforderlichkeitsprüfung 3. Kein Recht auf Einsicht in interne Untersuchungsergebnisse der Gesellschaft 4. Kein Anspruch auf Gestattung von Mitarbeiterbefragungen
5. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse IV. Keine weitergehende Informationspflicht kraft Sorgfaltspflicht des Aufsichtsrats V. Keine weitergehenden Informationsrechte aufgrund der Ausstrahlungswirkung von Grundrechten VI. Rechtsfolgen unzureichender Informationserteilung 1. Wirksamkeit des Aufsichtsratsbeschlusses 2. Beweislastumkehr VII. Zusammenfassung
I. Einführung Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, sind der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet (§ 93 Abs. 2 Satz 1 AktG). Diese Haftung ist bekanntlich streng. Nicht nur, dass das Vorstandsmitglied für jede Fahrlässigkeit unbegrenzt und unbegrenzbar (§ 93 Abs. 4 Satz 3 AktG) haftet, das Gesetz ordnet auch noch eine Umkehr der Beweislast an: Ist streitig, ob das Vorstandsmitglied die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt hat, so liegt die Beweislast beim Vorstandsmitglied (§ 93 Abs. 2 Satz 2 AktG). Die Gesellschaft muss im Streitfall nur darlegen, dass ihr aus einem Verhalten (Handeln oder Unterlassen) des Vorstandsmitglieds ein Schaden entstanden ist, sie hat außerdem darzutun, dass das schadensursächliche Verhalten zumindest möglicherweise pflichtwidrig sein kann1. Dem Vorstandsmitglied obliegt dann der Beweis dafür, dass
__________ 1 BGHZ 152, 280, 284; ausführlich Goette, ZGR 1995, 648, 671 ff.; Kurzwelly in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 12 Rz. 7; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 93 Rz. 16; Wiesner in Münch.Hdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 26 Rz. 11; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 93 Rz. 208; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rz. 142; Krieger/Sailer-Coceani in K. Schmidt/ Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 93 Rz. 31.
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es die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt hat. Der Grundsatz, dass der Vorstand im Schadensersatzprozess den Entlastungsbeweis zu führen hat, wurde schon früh von der Rechtsprechung entwickelt2, in § 84 Abs. 2 Satz 2 AktG 1937 erstmals gesetzlich verankert und dann im AktG 1965 beibehalten. Die Begründung der Beweislastumkehr ist in der Rechtsprechung des Reichsgerichts undeutlich und wechselhaft. Vereinzelt wird sie aus der Auskunfts- und Rechenschaftspflicht des Organmitglieds abgeleitet3. Andernorts klingt die Überlegung an, es gehöre zur Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes Vorkehrungen zu treffen, die Gesellschaft vor Schaden zu bewahren; ein Schadenseintritt begründe deshalb die Vermutung, dass die Mitglieder des Geschäftsführungsorgans ihrer Sorgfaltspflicht nicht genügt hätten, und es sei dann ihre Sache, diese Vermutung auszuräumen4. Die Gesetzesbegründungen zum AktG 1937 und zum AktG 1965 geben zum Grund der Beweislastumkehr keine Hinweise als den, man wolle den in der Rechtsprechung schon entwickelten Gedanken, wonach der Vorstand in Schadensersatzprozessen den Entlastungsbeweis zu führen habe, gesetzlich verankern5. Die heutige Rechtsprechung und rechtswissenschaftliche Literatur sehen die Rechtfertigung der Beweislastumkehr darin, dass der Gesellschaft häufig die notwendigen Informationen fehlten, um die zur Begründung der Pflichtwidrigkeit nötigen Tatsachen darzulegen und zu beweisen, während das Vorstandsmitglied „näher daran“ sei6. Der Gedanke der größeren Sachnähe unterstellt, dass das Vorstandsmitglied die maßgeblichen Informationen besitze oder sie sich jedenfalls leichter beschaffen könne als der für die Schadensverfolgung zuständige Aufsichtsrat. Das trifft, wenn das Vorstandsmitglied noch im Amt ist, vielfach zu, ist aber selbst in dieser Situation nicht immer gewährleistet, denkt man etwa an Fälle, in denen die schadensstiftende Handlung lange zurückliegt oder in der Geschäftsführungszuständigkeit eines anderen Ressorts lag und der Vorwurf sich darauf richtet, das in Anspruch genommene Vorstandsmitglied habe seine Pflicht zur Überwachung der Ressortgeschäftsführung des zuständigen Vorstandskolle-
__________ 2 RGZ 13, 43, 46 (Genossenschaft); RGZ 98, 98, 100 (GmbH); RG, JW 1920, 1032, 1033 (AG); RG, JW 1931, 40, 42 (Genossenschaft); RG, JW 1936, 2313 (Genossenschaft); eingehend zu der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zur Behandlung der Beweislastfrage Goette, ZGR 1995, 648, 650 ff. 3 So RGZ 98, 98, 100. 4 So RG, JW 1936, 2313; in Anklängen auch schon RGZ 13, 43, 46. 5 Amtliche Begründung zu § 84 AktG 1937, abgedruckt bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien, 1937, S. 71; ohne jede weitere Erwähnung der Beweislastumkehr Begr. RegE AktG, abgedruckt bei Kropff, Aktiengesetz, 1965, S. 122 ff. 6 Vgl. etwa BGHZ 152, 280, 284 f.; Hopt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rz. 278; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rz. 162; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 93 Rz. 207; Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, AktG, 2008, § 93 Rz. 26.
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gen7 verletzt. In der Praxis richten sich Ersatzansprüche aber zumeist gegen ausgeschiedene Vorstandsmitglieder, die keinen unmittelbaren Zugriff auf Informationen und Unterlagen der Gesellschaft mehr besitzen, und in seltenen Fällen sind gar Hinterbliebene eines früheren Vorstandsmitglieds betroffen, denen jegliche Informationen fehlen. Vereinzelte Stimmen in der Literatur erwägen vor diesem Hintergrund, die Beweislastumkehr im Wege der teleologischen Reduktion des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG auf amtierende Vorstandsmitglieder zu beschränken8. Die herrschende Meinung wendet die Beweislastumkehr auch auf ausgeschiedene Vorstandsmitglieder an9, nimmt allerdings mit Recht die Rechtsnachfolger eines Vorstandsmitglieds davon aus10, weil der für die Beweislastumkehr maßgebliche Gesichtspunkt der größeren Sachnähe bei Rechtsnachfolgern offensichtlich nicht zutrifft11. Im Hinblick auf ausgeschiedene Vorstandsmitglieder bedürfe es einer teleologischen Reduktion des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG hingegen nicht, da dem ausgeschiedenen Vorstandsmitglied ein Anspruch gegen die Gesellschaft zustehe, dass diese ihm das in ihrem Besitz befindliche Beweismaterial zugänglich mache und ihm Einsicht in die Bücher und Schriften gewähre12, soweit das für seine Verteidigung erforderlich sei. Ein solches Einsichtsrecht des ausgeschiedenen Vorstandsmitglieds hatte schon das Reichsgericht bejaht13, und der BGH hat sich dem angeschlossen: Soweit zu seiner Verteidigung erforderlich, habe die Gesellschaft dem Ausgeschiedenen Einsicht in die dafür maßgeblichen Unterlagen zu gewähren14. Die Rechtsgrundlage nennt der Bundesgerichtshof nicht, das Reichsgericht sah sie in § 810 BGB15. Im Schrifttum wird zum Teil ebenfalls allein § 810 BGB als Rechtsgrundlage genannt16, während die meisten Autoren neben § 810 BGB zusätzlich die Treuepflicht der Gesellschaft gegenüber ihrem ehemaligen Organ-
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7 Zur Aufsichtspflicht über die Ressortgeschäftsführung der Kollegen vgl. etwa Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 77 Rz. 16 ff.; Krieger/Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 93 Rz. 27; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rz. 131 ff. 8 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 93 Rz. 17; Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, AktG, 2008, § 93 Rz. 29; für eine Änderung der Beweislastumkehr de lege ferenda auch Rieger in FS Peltzer, 2001, S. 339, 351. 9 BGHZ 152, 280, 285; Krieger/Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 93 Rz. 34; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 93 Rz. 211; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rz. 170. 10 Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rz. 170; Fleischer in Spindler/ Stilz, AktG, 2007, § 93 Rz. 211; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rz. 146; a. A. Kurzwelly in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 12 Rz. 15. 11 Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rz. 146. 12 Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rz. 170; Fleischer in Spindler/ Stilz, AktG, 2007, § 93 Rz. 211; Krieger/Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 93 Rz. 34. 13 RG, Warneyer 1908, Nr. 465. 14 BGHZ 152, 280, 285. 15 RG, Warneyer 1908, Nr. 465. 16 Kurzwelly in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 12 Rz. 15.
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mitglied heranziehen17 oder darauf hinweisen, dass das Informationsrecht über § 810 BGB hinausgehe18. Für die Praxis ist das Informationsrecht von erheblicher Bedeutung, hinsichtlich seiner Voraussetzungen und seines Umfangs jedoch weitgehend unklar. Wird ein ausgeschiedenes Vorstandsmitglied mit einem Schadensersatzanspruch konfrontiert, wird alsbald die Forderung erhoben, Einsicht in alle nur denkbaren Unterlagen zu nehmen, die auch nur im entferntesten mit dem Schadensfall in Zusammenhang stehen können, um diese daraufhin durchzusehen, ob sich aus ihnen etwas für die Rechtsverteidigung Nützliches ergibt. Wendet die Gesellschaft ein, angeforderte Unterlagen seien für die Rechtsverteidigung nicht erforderlich, wird ihr entgegengehalten, das habe nicht sie zu entscheiden, sondern das müsse das Vorstandsmitglied selbst beurteilen können. Kommt die Gesellschaft dem Einsichtswunsch nach, muss sie damit rechnen, immer neue Listen mit der Anforderung immer weiterer Dokumente zu erhalten, bis sich gelegentlich der Eindruck aufdrängt, dass es weniger um die Information als um die Entfaltung von Lästigkeit geht. Bei komplexen Sachverhalten mit mehreren betroffenen Vorstandsmitgliedern können die Informationswünsche so ausufern, dass sich die Informationserteilung nur noch durch Einrichtung eines (elektronischen) Datenraums bewältigen lässt, auf den die Vorstandsmitglieder und ihre Rechtsberater Zugriff haben. Aber hat das Vorstandsmitglied tatsächlich Anspruch darauf, nach Art einer Due Diligence die Geschäftsunterlagen der Gesellschaft prüfen zu können oder muss es nicht vielmehr dartun, dass und warum die Einsicht in eine konkrete Unterlage für seine Rechtsverteidigung erforderlich sei? Vielfach hat die Gesellschaft schon selbst den Sachverhalt umfassend untersucht, umfangreiche Mitarbeiterbefragungen durchgeführt und Untersuchungsberichte angefertigt. Können die Vorstandsmitglieder auch in solche Unterlagen Einsicht verlangen? Können Sie beanspruchen, dass die Gesellschaft ihnen die Möglichkeit eröffnet, selbst Mitarbeiter zu befragen? Und was sind die Rechtsfolgen, wenn die Gesellschaft Informationen zu Unrecht nicht erteilt?
II. Darlegungs- und Beweislast im Rechtsstreit Bevor der Frage nach den materiellrechtlichen Informationsansprüchen des Vorstandsmitglieds und ihrer möglichen Rechtsgrundlage nachgegangen wird, liegt es nahe, einen kurzen Blick auf die prozessuale Situation des Vorstandsmitglieds zu werfen, gegen das die Gesellschaft Ersatzansprüche erhebt. Die Beweislastumkehr des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG trifft das Vorstandsmitglied bei
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17 Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 93 Rz. 211; Bürgers/Israel in Bürgers/ Körber, AktG, 2008, § 93 Rz. 29; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rz. 170; ähnlich Hopt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rz. 297, der als Grundlage für das Einsichtsrecht § 810 BGB nennt, Umfang und Grenzen aber nach Treu und Glauben bestimmen will. 18 Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rz. 147; Krieger/SailerCoceani in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 93 Rz. 34; Wiesner in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 26 Rz. 12.
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Beweislastumkehr und Informationsanspruch nach § 93 Abs. 2 AktG
einer gerichtlichen Inanspruchnahme. In dieser Situation hält auch das Prozessrecht Schutzmechanismen bereit, um Informationsdefiziten des beklagten Vorstandsmitglieds Rechnung zu tragen: Im Schadensersatzprozess gegen ihr Vorstandsmitglied muss die Gesellschaft Anhaltspunkte darlegen, dass das dem Vorstandsmitglied angelastete Verhalten möglicherweise pflichtwidrig sein kann19. Erst dann greift die Umkehr der Darlegungs- und Beweislast ein, die es dem Vorstandsmitglied auferlegt, substantiiert Umstände vorzutragen, aus denen sich ergibt, dass das ihm vorgeworfene Verhalten nicht pflichtwidrig oder nicht schuldhaft gewesen sei. Informationsdefiziten der darlegungspflichtigen Partei tragen im Prozess die seit langem anerkannten Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast Rechnung. Danach trifft den Gegner der primär behauptungs- und beweisbelasteten Partei dann eine sekundäre Darlegungslast, wenn die eigentlich darlegungspflichtige Partei keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt und sich auch nicht verschaffen kann, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind20. Insoweit ergibt sich zwar aus dem Prozessrecht keine allgemeine Auskunftspflicht21. Es ist jedoch im Einzelfall zu prüfen, ob es dem Prozessgegner (der Gesellschaft) ausnahmsweise zuzumuten ist, der an sich darlegungs- und beweispflichtigen Partei (dem Vorstandsmitglied) einen prozessual ordnungsgemäßen Sachvortrag durch nähere Angaben über die zu seinem Wahrnehmungsbereich gehörenden Umstände zu ermöglichen, weil er diese Umstände im Gegensatz zu dem Darlegungspflichtigen kennt. Wird die sekundäre Darlegungslast nicht erfüllt, hat dies zur Folge, dass die Behauptung des primär Darlegungspflichtigen trotz ihrer Darlegungsmängel als zugestanden gilt. Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen: Wird ein ehemaliges Vorstandsmitglied auf Schadensersatz in Anspruch genommen, weil ein großes Investitionsprojekt zu Verlusten geführt hat und lautet der Vorwurf, der Vorstand habe die Risiken des Geschäfts nicht hinreichend geprüft und bewertet, ist es an sich Sache des Vorstandsmitglieds im Einzelnen darzulegen, welche Maßnahmen zur Risikoprüfung und Bewertung ergriffen wurden und dass diese der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters genügt hätten. Soweit das Vorstandsmitglied sich daran im Detail nicht mehr erinnern kann und ihm auch keine Unterlagen mehr zugänglich sind, genügt es seiner Darlegungslast jedoch schon mit einer allgemein gehaltenen Einlassung, wie etwa derjenigen, im Vorfeld der Entscheidungsfindung sei häufig im Vorstand über das Investitionsprojekt gesprochen worden, der Vorstand habe die Risikoszenarien unter Zugrundelegung selbst unwahrscheinlicher Risikoannahmen analysiert und im Ergebnis davon ausgehen können, dass die Risiken beherrschbar
__________ 19 Vgl. oben Fn. 1. 20 Ständige Rechtsprechung, vgl. schon BGH, NJW 1961, 826, 828; BGH, NJW 1990, 3151 f.; Wagner in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 138 Rz. 21; Borck in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl. 2007, § 138 Rz. 130 ff.; Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, ZPO, 68. Aufl. 2010, § 138 Rz. 30. 21 BGH, NJW 1990, 3151; vgl. dazu noch näher unten Ziff. VI.
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gewesen seien und die Chancen überwogen hätten. Es ist dann Sache der Gesellschaft im Rahmen der sekundären Darlegungslast anhand der bei ihr vorliegenden Dokumente Einzelheiten zu den Entscheidungsabläufen und Risikoanalysen vorzutragen. Tut sie das nicht, ist die Einlassung des Vorstands trotz ihrer ungenügenden Substantiierung zugestanden. Ergänzt werden diese Regeln durch die Vorschriften über die prozessuale Verpflichtung zur Vorlage von Urkunden. Nach § 142 ZPO kann das Gericht anordnen, dass eine der Parteien in ihrem Besitz befindliche Urkunden und sonstige Unterlagen vorlegt. Trägt also im obigen Beispiel die Gesellschaft im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast näher dazu vor, welche Risikoanalysen sich in den Unterlagen des Vorstands befunden haben und welche Erörterungen ausweislich der Vorstandsprotokolle Gegenstand der Vorstandssitzungen waren, kann das Gericht die Vorlage dieser Unterlagen anordnen. § 142 Abs. 1 ZPO erlaubt zwar keine Vorlageanordnung zur Ausforschung nicht vorgetragener Sachverhaltselemente22. Die Vorschrift ermöglicht dem Gericht jedoch, die Urkundsvorlage zum Zweck der Klärung undeutlichen oder lückenhaften Sachvortrags der Parteien (Aufklärungsfunktion) oder zum Zweck der Feststellung bestrittener Behauptungen (Beweisfunktion) anzuordnen23. Daneben stehen die prozessualen Vorlegungspflichten zur Führung des Urkundsbeweises (§§ 422 f., 429 ZPO). Alle diese prozessualen Grundsätze gelten naturgemäß auch im Schadensersatzprozess der Gesellschaft und helfen, das Vorstandsmitglied vor einer Überspannung seiner Darlegungs- und Beweislast zu schützen24. Die prozessualen Grundsätze wirken jedoch nur nach Erhebung der Klage und erlauben dem Vorstandsmitglied nicht, schon im Vorfeld des Prozesses Informationen zu verlangen. Sie geben dem Vorstandsmitglied auch innerhalb des Rechtsstreits kein Informationsrecht. Das Vorstandsmitglied kann aufgrund Prozessrechts nicht verlangen, dass ihm Fragen beantwortet oder Unterlagen zu Informationszwecken überlassen werden. Das Prozessrecht kennt keine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht, und es schafft keine Ansprüche einer Partei gegen die andere auf Erteilung von Auskünften, Herausgabe von Unterlagen usw., sondern das ist Sache des materiellen Rechts25.
III. Informationsanspruch aus § 810 BGB und aus Treu und Glauben Als Grundlage eines materiellen Informationsanspruchs des ausgeschiedenen Vorstandsmitglieds kommen § 810 BGB und die nachvertragliche Treuepflicht der Gesellschaft in Betracht. Aus diesen Grundsätzen lässt sich ein angemessenes Einsichtsrecht ableiten, es bestehen aber auch klare Grenzen:
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22 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/6036, S. 120 ff.; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 142 Rz. 1; Wagner in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, §§ 142 bis 144 Rz. 1; Smid in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl. 2007, § 142 Rz. 2. 23 Wagner in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, §§ 142 bis 144 Rz. 1; Smid in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl. 2007, § 142 Rz. 1. 24 BGHZ 152, 280, 284. 25 BGH, NJW 1990, 3151.
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Beweislastumkehr und Informationsanspruch nach § 93 Abs. 2 AktG
1. Grundlagen § 810 BGB gewährt bei entsprechendem rechtlichen Interesse ein Einsichtsrecht in Urkunden, die sich in fremdem Besitz befinden. Voraussetzung ist, dass die Urkunde im Interesse des Anspruchstellers errichtet wurde, in der Urkunde ein zwischen dem Anspruchsteller und einem anderen bestehendes Rechtsverhältnis beurkundet ist oder die Urkunde Verhandlungen über ein Rechtsgeschäft enthält, die zwischen dem Anspruchsteller und einem anderen geführt wurden. Der Anspruch richtet sich auf Einsicht in die betreffenden Unterlagen, Kopien können nicht verlangt werden, der Berechtigte darf sich aber Aufzeichnungen machen und grundsätzlich auch selbst Kopien fertigen26. Nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt § 810 BGB nur hinsichtlich eines sehr beschränkten Kreises von Unterlagen als Anspruchsgrundlage für ein Einsichtsrecht des ausgeschiedenen Vorstandsmitglieds in Betracht. Bei der ersten Tatbestandsalternative geht es um Urkunden, die im Interesse des die Einsicht Verlangenden errichtet wurden. Das ist der Fall, wenn die Urkunde zumindest auch dazu bestimmt ist, ihm als Beweismittel zu dienen27. Das kann insbesondere für Vorstandsprotokolle und ähnliche interne Aufzeichnungen zutreffen, die gerade auch dem Zweck dienen, im Hinblick auf die Business Judgment Rule des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG die der Entscheidung zugrunde liegenden Erwägungen festzuhalten. Die zweite Alternative betrifft Urkunden, die ein zwischen dem Anspruchsteller und einem anderen bestehendes Rechtsverhältnis wiedergeben; das passt auf Urkunden über Verträge, an denen das Vorstandsmitglied beteiligt ist, etwa seinen Dienstvertrag, wenn ihm dieser nicht mehr vorliegen sollte. Die dritte Tatbestandsalternative erfasst Urkunden, die Verhandlungen über ein Rechtsgeschäft enthalten, die zwischen dem Anspruchsteller und einem anderen geführt worden sind; bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wird das kaum Bedeutung haben. Wäre § 810 BGB so beim Wort zu nehmen, würden die meisten Unterlagen, die für das ausgeschiedene Vorstandsmitglied von Interesse sind, aus dem Anwendungsbereich herausfallen, und die Vorschrift würde kaum mehr decken als das Verlangen, in Vorstandsprotokolle und ähnliche Beweisaufzeichnungen Einsicht zu nehmen (§ 810 Alt. 1 BGB), während zum Beispiel sonstige interne Unterlage und Aufzeichnungen, die Korrespondenz, die Buchführung, Berichte des Abschlussprüfers usw. von § 810 BGB kaum erfasst wären. Es besteht jedoch Einigkeit, dass § 810 BGB nicht eng auszulegen ist28. Das Reichsgericht hat einem ehemaligen Vorstand, gegen den Ansprüche wegen einer angeblichen Pflichtverletzung geltend gemacht wurden, aus § 810 Alt. 2 BGB einen Anspruch auf Einsicht in „die Hauptbücher, die Warenversandbücher, die Kassabücher, die Memoriale und Journale der Aktiengesellschaft“
__________ 26 Habersack in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2009, § 810 Rz. 13; Staudinger/Marburger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 810 Rz. 5; Buck-Heeb in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 5. Aufl. 2010, § 810 Rz. 12; Sprau in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 810 Rz. 1. 27 BGH, WM 1971, 565; Sprau in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 810 Rz. 3. 28 Vgl. etwa BGHZ 55, 201, 203; Habersack in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2009, § 810 Rz. 7.
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zugebilligt29. Daran anknüpfend erstreckt auch die Kommentarliteratur das Einsichtsrecht nach § 810 Alt. 2 BGB auf die „Geschäftsbücher“ der Aktiengesellschaft30. Denn das Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der Gesellschaft umfasse „das gesamte Pflichtverhältnis, welches sich aus der gesetzlichen Organisation der Aktiengesellschaft und den dem Vorstand obliegenden gesetzlichen Verbindlichkeiten“ ergebe, und es müsse anerkannt werden, dass in den Geschäftsbüchern dieses Rechtsverhältnis beurkundet sei, weil sie „die urkundliche Unterlage für die Darlegung der ganzen Geschäftsführung des Vorstands, für die Erfüllung seiner aktienrechtlichen Verpflichtungen und seine Verantwortung hierüber bilden“31. Folgt man diesem sehr weitgehenden Ansatz, kann das Einsichtsrecht aus § 810 BGB alle Geschäftsunterlagen der Gesellschaft erfassen, in denen sich die Geschäftsführungstätigkeit des früheren Vorstandsmitglieds niederschlägt und die über seine Geschäftsführung und die Erfüllung seiner aktienrechtlichen Verpflichtungen Auskunft geben. Soweit § 810 BGB nicht reicht, kann ein weitergehendes Einsichts- und ein ergänzenden Auskunftsrecht aus § 242 BGB folgen32. Die dienstvertragliche Beziehung zwischen Gesellschaft und Vorstandsmitglied bringt, ebenso wie im Arbeitsverhältnis33, eine Fürsorgepflicht der Gesellschaft gegenüber dem Vorstandsmitglied mit sich (vgl. auch § 241 Abs. 2 BGB)34, die auch nach Beendigung des Dienstverhältnisses weiter besteht35. Überdies ist gewohnheitsrechtlich anerkannt, dass zwischen den Parteien einer Rechtsbeziehung gemäß § 242 BGB eine Auskunftspflicht besteht, wenn der Berechtigte in entschuldbarer Weise im Ungewissen ist, er sich die zur Vorbereitung und Durchsetzung eines Anspruchs notwendigen Auskünfte nicht auf zumutbare Weise selbst beschaffen kann und der Verpflichtete sie unschwer, d. h. ohne unbillig belastet zu werden, zu geben vermag36. Dieses Auskunftsrecht soll dazu dienen, bei einem erheblichen Informationsgefälle die eine Vertragspartei in die Lage zu versetzen, ihre materiellen Rechte wahrzunehmen. Es kann der Rechtsver-
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29 RG Warneyer 1908, Nr. 465. 30 Staudinger/Marburger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 810 Rz. 16; Gehrlein in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl. 2008, § 810 Rz. 3; Sprau in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 810 Rz. 7; Buck-Heeb in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 5. Aufl. 2010, § 810 Rz. 10. 31 RG Warneyer 1908, Nr. 465; ähnlich Staudinger/Marburger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 810 Rz. 16. 32 Gehrlein in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl. 2008, § 810 Rz. 1; Staudinger/Marburger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 810 Rz. 2. 33 Zur arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht vgl. etwa Düwell in MünchHdb. Arbeitsrecht, Band 1, 3. Aufl. 2009, § 83 passim; Künzl in Kasseler Hdb. Arbeitsrecht, Band 1, 2. Aufl. 2000, S. 391 ff.; Müller-Glöge in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2009, § 611 Rz. 981 ff. 34 BGHZ 50, 378, 383; OLG Düsseldorf, NZG 2004, 141, 144; Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 84 Rz. 41; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 87 Rz. 85; Krause, BB 2007, Special 8 zu Heft 28, S. 2, 8. 35 Zur nachvertraglichen Fürsorgepflicht vgl. etwa BAG, DB 1973, 622; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rz. 170. 36 Ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BGHZ 10, 385, 387; BGHZ 81, 21, 24; BGH, NJW 1995, 386, 387; BAG, NJZ 2005, 289, 291; BAG, NJZ 2005, 983, 984; aus der Literatur nur Grüneberg in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 260 Rz. 4 ff.
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folgung, aber auch der Rechtsverteidigung dienen37. Es kann Bedeutung gewinnen, wenn im Einzelfall die Einsicht in eine Unterlage nicht reicht, sondern zusätzliche Auskünfte nötig werden. Es kann auch das Einsichtsrecht des § 810 BGB, sollte es sich im Einzelfall doch als zu eng erweisen, auf von dieser Vorschrift etwa nicht erfasste Unterlagen erstrecken, wenn dies für eine angemessene Rechtsverteidigung des ehemaligen Vorstandsmitglieds erforderlich ist. Dass der Informationsanspruch aus § 242 BGB im Allgemeinen nur auf Unterrichtung über den Inhalt einer Urkunde, nicht aber auf deren Vorlage gerichtet ist38, muss dabei kein Hindernis sein. Denn auch das Informationsrecht aus Treu und Glauben kann in Ausnahmefällen einen Anspruch auf Einsichtnahme in die Urkunde begründen39. Das muss auch gelten, wenn bei komplexen Vorgängen eine bloß mündliche Auskunft über den Inhalt einer Urkunde den Informationszweck nicht erfüllen kann. 2. Ausforschungsverbot und Erforderlichkeitsprüfung Sowohl das Einsichtsrecht aus § 810 BGB als auch ein Auskunftsanspruch aus Treu und Glauben setzen voraus, dass ein billigenswertes Interesse an der Auskunft besteht und dem Verpflichteten die Auskunftserteilung zumutbar ist. Das ist in § 810 BGB ausdrücklich geregelt und für den Auskunftsanspruch nach Treu und Glauben anerkannt40. In Rechtsprechung und Literatur wird in diesem Zusammenhang teilweise davon gesprochen, der Auskunftsanspruch richte sich auf die Informationen, die zur Rechtsverteidigung des Vorstandsmitglieds „erforderlich“ seien41. Das kann auf der einen Seite nicht in dem Sinne gemeint sein, dass die konkrete Unterlage nur eingesehen werden kann, wenn sie Informationen enthält, die für die Rechtsverteidigung objektiv erheblich sind. Denn das lässt sich erst beurteilen, wenn man den Inhalt der Urkunde kennt, und es kann auch nicht Sache der Gesellschaft sein zu beurteilen, welche Informationen das Vorstandsmitglied für seine Rechtsverteidigung braucht. Zu einem fairen Verfahren gehört es, dass das Vorstandsmitglied grundsätzlich selbst entscheidet, ob es eine bestimmte Information zu seiner Rechtsverteidigung vortragen will oder nicht. Auf der anderen Seite kann das Auskunftsrecht aber auch nicht so weit gehen, dass dem ehemaligen Vorstandsmitglied unter Berufung auf § 810 BGB oder auf Treu und Glauben eine „Ausforschung“ der Gesellschaft gestattet und ihm das Recht eingeräumt wird, sich jedwede Unterlage vorlegen zu lassen, um zu prüfen, ob es darin etwas für seine Rechtsverteidigung Nützliches finden kann. Eine so weit gezogene Auskunftsverpflichtung wäre für die
__________ 37 BAG, NZA 2005, 983, 984. 38 Staudinger/Marburger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 810 Rz. 2. 39 Grüneberg in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 260 Rz. 15; Staudinger/Marburger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 810 Rz. 2. 40 BAG, NZA 2005, 983, 984; BGH, NJW 2007, 1806, 1808. 41 BGHZ 152, 280, 285; ähnlich Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, AktG, 2008, § 93 Rz. 23 („Zugang zu den notwendigen Informationen“); Hopt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rz. 297 („das erforderliche Material“).
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Gesellschaft nicht zumutbar, sondern würde den Grundsatz verletzen, dass keine Partei gehalten ist, dem Gegner das Material zu dessen Prozesssieg zu verschaffen42 und die Gewährung materiellrechtlicher Auskunftsansprüche die Darlegungs- und Beweissituation im Prozess nicht unzulässig verändern darf43. Deshalb ist zu § 810 BGB anerkannt, dass das Einsichtsrecht keine Ausforschung des Verpflichteten deckt44, und nichts anderes kann für einen auf Treu und Glauben gestützten Auskunftsanspruch gelten. Vielmehr gilt es, einen sachgerechten Mittelweg zu finden, der das Informationsrecht nicht uferlos macht, dem Vorstandsmitglied aber die Informationen gibt, die es vernünftigerweise für erforderlich halten darf. Das spricht für die Annahme, dass das Vorstandsmitglied im Hinblick auf die Unterlagen, die es einzusehen wünscht, nachvollziehbar darlegen muss, welche zu seiner Rechtsverteidigung geeigneten Informationen es aus den von ihm angeforderten Unterlagen glaubt gewinnen zu können45. Dazu gehört eine gewisse Konkretisierung des Inhalts der Informationen, eine Plausibilisierung der Annahme, dass diese Informationen in den angeforderten Unterlagen enthalten sind und im Zweifel auch eine nachvollziehbare Erläuterung, dass und warum diese Informationen für die Rechtsverteidigung möglicherweise hilfreich sein können. Hinzukommen muss, dass es sich um Informationen zu Fragen handelt, hinsichtlich derer im Rechtsstreit die Darlegungs- und Beweislast beim Vorstandsmitglied liegt, denn zu anderen Fragen werden Informationen nicht benötigt. Das Informationsrecht beschränkt sich daher vornehmlich auf Umstände, die für die Beurteilung der Pflichtverletzung und des Verschuldens des Vorstandsmitglieds von Bedeutung sein können, denn nur hierauf erstreckt sich die Beweislastumkehr des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG. Hingegen werden Informationen zum eingetretenen Schaden und seiner Höhe sowie zur Kausalität der dem Vorstandsmitglied vorgeworfenen Pflichtverletzungen für den Schaden von dem Informationsrecht zumeist nicht erfasst sein, da Schaden und Kausalität im Rechtsstreit ohnehin von der Gesellschaft darzulegen und zu beweisen sind. Etwas anderes gilt insoweit allerdings, wenn das Vorstandsmitglied den Einwand erheben will, dass der Gesellschaft durch die Pflichtverletzung Vorteile entstanden seien, die den Schaden minderten und daher im Wege der Vorteilsausgleichung berücksichtigt werden müssten. Nach ganz herrschender Auffassung gelten auch für den Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen ihre Vorstandsmitglieder die Grundsätze der Vorteilsausgleichung, so dass das Vorstandsmitglied etwa einwenden kann, dem aus einem Kartellverstoß oder einem Korruptionsdelikt für die Gesellschaft entstandenen Schaden stehe die erzielte Kartellrendite oder der Gewinn aus den durch
__________ 42 BGH, NJW 1990, 3151; BAG, NZA 2005, 289, 291. 43 BAG, NZA 289, 291. 44 BGHZ 109, 260, 267; BGH, NJW-RR 1992, 1072, 1073; Staudinger/Marburger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 810 Rz. 10; Gehrlein in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl. 2008, § 810 Rz. 5. 45 Krieger/Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 93 Rz. 34.
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Schmiergeldzahlungen erlangten Aufträgen entgegen46. Hierfür trifft die Darlegungs- und Beweislast nach allgemeinen Grundsätzen den Schädiger47, so dass auch der Auskunftsanspruch diese Vorteile erfassen muss. 3. Kein Recht auf Einsicht in interne Untersuchungsergebnisse der Gesellschaft Das Einsichtsrecht dient dazu, das Gedächtnis des Vorstandsmitglieds aufzufrischen, dem Vorgänge der Vergangenheit nicht mehr im Detail in Erinnerung sind. Es gewährt keinen Anspruch auf Einsicht in die Ergebnisse von Untersuchungen, die die Gesellschaft zur Aufarbeitung des Schadensfalles selbst angestellt hat. Von der Gesellschaft veranlasste Aufarbeitungen des Sachverhalts durch unternehmensinterne Stellen, externe Sachverständige, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte sind dem Einsichtsrecht daher ebenso entzogen wie z. B. Protokolle über eine von der Gesellschaft durchgeführte Befragung von Mitarbeitern. Solche Untersuchungen, die die Gesellschaft zur Aufklärung des Sachverhalts und damit als Grundlage für die Entscheidung über die Anspruchsverfolgung veranlasst hat, sind nicht von einem billigenswerten Einsichtsinteresse des Vorstandsmitglieds erfasst. Hier gilt vielmehr wiederum der Grundsatz, dass keine Partei gehalten ist, dem Gegner das Material für dessen Prozesssieg zu verschaffen und dass die Gewährung materiellrechtlicher Auskunftsansprüche die Darlegungs- und Beweissituation nicht unzulässig verändern darf48. Das muss auch gelten, wenn die Gesellschaft ihrerseits solche Untersuchungsberichte Dritten zur Verfügung gestellt hat. Die Aufarbeitung von Sachverhalten, bei denen mögliche Pflichtverletzungen von Vorstandsmitgliedern im Raume stehen, werden zunehmend von Ermittlungsverfahren in- und ausländischer Ermittlungsbehörden begleitet. Es ist nicht selten, dass solche Ermittlungsbehörden eine Kooperation der betroffenen Unternehmen erwarten und in Aussicht stellen, die Kooperationsbereitschaft des Unternehmens bei der Bemessung von Bußgeldern und Strafen gegen das Unternehmen zu berücksichtigen. Selbst deutsche Staatsanwaltschaften gehen anscheinend zunehmend dazu über, eigene Ermittlungstätigkeiten auf die Unternehmen zu verlagern und von diesen eine umfassende Aufarbeitung des Sachverhalts und eine Zurverfügungstellung der Ergebnisse zu erwarten. Die Unternehmen führen dann umfassende Untersuchungen durch, sichten eine Fülle von Dokumenten, befragen – teils unter Auflegung eines „Amnestieprogramms“ – ihre Mitarbeiter
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46 Zur Anwendbarkeit der Grundsätze über die Vorteilsausgleichung vgl. etwa Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rz. 56, 63; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 93 Rz. 34; Wilsing in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 27 Rz. 35 ff.; Krieger in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 3 Rz. 39; Marsch-Barner, ZHR 173 (2009), 723, 729; Zimmermann, WM 2008, 433, 439; ablehnend Säcker, WuW 2009, 362, 368; zurückhaltend Thole, ZHR 173 (2009), 504, 526 ff. 47 BGH, NJW 1985, 1539, 1544; BGH, NJW-RR 2004, 79, 81; Grüneberg in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, Vorb. v. § 249 Rz. 75. 48 Vgl. oben Fn. 42 u. 43.
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und leiten die Ergebnisse an die Ermittlungsbehörden weiter49. Auch das begründet ein Einsichtsrecht nicht. Denn der Auskunftsanspruch setzt ein Informationsungleichgewicht zu Lasten des Vorstandsmitglieds voraus, welches es nach Treu und Glauben erforderlich macht, diesem aus der Situation herauszuhelfen. Werden rechtsstaatliche Ermittlungsverfahren geführt, ist dies auszuschließen. Denn dann stellen bereits die Verfahrensordnungen, insbesondere durch das Recht auf Akteneinsicht, sicher, dass der Betroffene rechtzeitig die zu seiner Rechtsverteidigung erforderlichen Informationen erhält. 4. Kein Anspruch auf Gestattung von Mitarbeiterbefragungen In der Praxis beschränken sich Informationswünsche Betroffener nicht immer auf die Einsicht in Unterlagen, sondern gelegentlich wird die Forderung erhoben, die Gesellschaft möge dem ausgeschiedenen Vorstandsmitglied Gelegenheit geben, Mitarbeiter der Gesellschaft zu den in Rede stehenden Vorgängen zu befragen. Anders als § 810 BGB, der nur einen Anspruch auf Einsicht in Urkunden gewährt, kann der Auskunftsanspruch nach Treu und Glauben auch auf andere Formen der Informationserteilung gerichtet sein. Die Ermöglichung der Durchführung von Mitarbeiterbefragungen gehört nicht dazu. Das Auskunftsrecht aus § 242 BGB richtet sich gegen die Gesellschaft, nicht gegen Dritte. Es ist auf die Erteilung von Informationen beschränkt, die die Gesellschaft unschwer und ohne die Beeinträchtigung ihrer eigenen berechtigten Interessen erteilen kann. Auch hier gilt: Die Gesellschaft ist nicht gehalten, dem Gegner das Material für dessen Prozesssieg zu verschaffen50. Außerdem findet die Auskunftspflicht dort ihre Grenze, wo der Gesellschaft die mit der Vorbereitung und Erteilung der Auskunft verbundenen Belastungen nicht zumutbar sind51; auch deshalb kann sie nicht verpflichtet sein, Mitarbeiterbefragungen durch das Vorstandsmitglied zuzulassen, denn dadurch würden die betrieblichen Abläufe in unzumutbarer Weise belastet. 5. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Schwieriger zu beurteilen ist die Frage, ob das Einsichts- und Auskunftsrecht auch Betriebsgeheimnisse der Gesellschaft erfasst. Die Frage beantwortet sich nicht schon aus der Verpflichtung nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG, über Betriebsoder Geschäftsgeheimnisse Stillschweigen zu bewahren, denn die Verschwiegenheitspflicht gilt nur insoweit, wie keine Offenbarungsverpflichtung besteht. Vielmehr kommt es auch insoweit darauf an, ob die Gesellschaft durch die Offenlegung des Betriebsgeheimnisses unbillig belastet wird52. Die Frage wird man im Einzelfall danach entscheiden müssen, um welche Information
__________ 49 Näher hierzu und zu den damit verbundenen Rechtsproblemen etwa Kremer, in dieser FS, S. 701 ff.; v. Rosen (Hrsg.), Internal Investigations bei Compliance-Verstößen, Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 48, 2010; Hamm, NJW 2010, 1332. 50 BGH, NJW 1990, 3151; BAG, NZA 2005, 289, 291. 51 BGH, NJW 2007, 1806, 1808. 52 BGH, NJW 2007, 1806, 1808.
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es geht, wie dringend das Informationsinteresse des früheren Vorstandsmitglieds und wie schwerwiegend das Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft ist. In der Regel wird man annehmen müssen, dass ein an sich berechtigtes Informationsverlangen auch Betriebsgeheimnisse jedenfalls insoweit nicht ausnimmt, wie es um Informationen aus der Amtszeit des Vorstandsmitglieds geht. Denn diese Informationen waren dem Vorstandsmitglied auch während seiner Amtszeit zugänglich, und das ausgeschiedene Vorstandsmitglied trifft auch weiterhin die das Ende seines Amtes überdauernde Verschwiegenheitspflicht.
IV. Keine weitergehende Informationspflicht kraft Sorgfaltspflicht des Aufsichtsrats Wo die Informationsansprüche aus § 810 BGB und § 242 BGB ihre Grenzen finden, kann man versuchen, weitergehende Informationspflichten aus der Pflicht des Aufsichtsrats abzuleiten, das Bestehen von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegenüber ihren Vorstandsmitgliedern zu prüfen. Mit diesem Ansatz ist argumentiert worden, der Aufsichtsrat sei verpflichtet, den zum Schadensersatz verpflichtenden Tatbestand in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht festzustellen sowie das Prozessrisiko und die Beitreibbarkeit der Forderung zu analysieren. Diese Verpflichtung könne er aber nur dann zuverlässig und erschöpfend erfüllen, wenn er mögliche Einwände des Anspruchsgegners in sein Kalkül mit einbeziehe. Das wiederum setze voraus, dass der Anspruchsgegner zunächst umfassende Informationen über die ihm vorgeworfene Pflichtverletzung erhalte, wozu insbesondere auch die Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen und sonstigen internen Untersuchungen gehörten53. Diese Argumentation überdehnt die Prüfungspflichten des Aufsichtsrats bei weitem. Zwar ist es zutreffend, dass es zu den Sorgfaltspflichten des Aufsichtsrats gehört, vor Erhebung einer Schadensersatzklage den Sachverhalt zu ermitteln und rechtlich zu würdigen, die Prozessrisiken zu analysieren und die Beitreibbarkeit der Forderung einzuschätzen54. Bei der Frage, was für eine angemessene Prüfung der Prozessaussichten erforderlich ist, ist dem Aufsichtsrat aber ein weiter Beurteilungsspielraum einzuräumen. Auch wenn es sich hierbei nicht um eine unternehmerische Entscheidung handelt, lassen sich die Maßstäbe der Business Judgment Rule des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG heranziehen: Kann der Aufsichtsrat vernünftigerweise annehmen, dass er seine Beurteilung der Prozessaussichten auf der Grundlage angemessener Informationen trifft, und kann er auf dieser Basis davon ausgehen, dass die Prozessaussichten überwiegen, hat er seine Sorgfaltspflichten erfüllt55.
__________ 53 So Hassemer, unveröffentlichtes Rechtsgutachten vom 12. Juli 2009 über „Gründe und Grenzen von Informationsrechten ehemaliger Vorstandsmitglieder gegenüber dem Aufsichtsrat“, S. 12 f. 54 BGHZ 135, 244, 253 – ARAG/Garmenbeck. 55 Vgl. auch Krieger in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 3 Rz. 47.
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Um eine Entscheidung auf der Grundlage angemessener Informationen treffen zu können, kann es je nach Lage des Falles erforderlich sein, dem betroffenen Vorstandsmitglied Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Denn sorgfältiges Handeln kann sich in der Tat nicht darin erschöpfen, die Schlüssigkeit einer Klage zu prüfen, sondern muss die Analyse der Prozessaussichten auf die zu erwartende Rechtsverteidigung erstrecken. Das macht die Einholung einer Stellungnahme des Anspruchsgegners aber nicht in jedem Fall erforderlich, sondern wenn der Aufsichtsrat davon ausgehen kann, dass er den Sachverhalt hinreichend überblickt, kann er auf eine solche auch verzichten. Erst recht ist der Aufsichtsrat – dies sei auch an dieser Stelle angemerkt – nicht etwa verpflichtet, auf die Stellungnahme des Vorstandsmitglieds zu replizieren und mit diesem in eine Diskussion einzutreten. Ebenso wenig gebietet es die Sorgfaltspflicht des Aufsichtsrats, das Vorstandsmitglied in einer Sitzung persönlich anzuhören. Solche Forderungen betroffener Vorstandsmitglieder werden in der Praxis immer wieder erhoben, schießen aber über das Ziel weit hinaus. Sache des Aufsichtsrats ist es nicht, die mögliche gerichtliche Auseinandersetzung vorgerichtlich vorwegzunehmen, sondern zur endgültigen Aufklärung und rechtlichen Bewertung des Sachverhalts dient das Gerichtsverfahren56. Keinesfalls ist die Pflichtenlage des Aufsichtsrats geeignet, eigenständige und über die dem Vorstandsmitglied nach § 810 BGB und Treu und Glauben zustehenden Informationsrechte hinausgehende materielle Informationspflichten zu begründen. Selbst wenn der Aufsichtsrat im Einzelfall gehalten ist, dem Vorstandsmitglied Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, braucht er ihm nicht für seine vorgerichtliche Stellungnahme Informationen zu erteilen, die er ihm nicht einmal für die Rechtsverteidigung im Prozess erteilen müsste. Interne Untersuchungsergebnisse etwa, auf die das Vorstandsmitglied nach § 810 BGB und nach Treu und Glauben keinen Anspruch hat, muss der Aufsichtsrat bei seiner eigenen Meinungsbildung berücksichtigen, aber seine Sorgfaltspflicht zwingt ihn nicht, diese an das Vorstandsmitglied weiterzugeben.
V. Keine weitergehenden Informationsrechte aufgrund der Ausstrahlungswirkung von Grundrechten Ein weiterer Versuch, die aus § 810 BGB und nach Treu und Glauben sich ergebenden Informationsrechte auszudehnen, setzt bei der Ausstrahlungswirkung von Grundrechten und grundrechtsgleichen Prozessgrundrechten auf das Privatrecht an und argumentiert wie folgt: Das Institut der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte stelle klar, dass Grundrechte nicht nur im Verhältnis von Staat und Bürger gelten, sondern als objektive Werte unter bestimmten Umständen auch auf die privatrechtlichen Beziehungen von Privatrechtssubjekten untereinander ausstrahlen57. Mittlerweile sei dieses Verständnis der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten
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56 Näher Krieger in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 3 Rz. 47. 57 Vgl. etwa BVerfGE 7, 198, 205 f.
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Beweislastumkehr und Informationsanspruch nach § 93 Abs. 2 AktG
dahin modifiziert, dass der Staat wegen seiner grundrechtlichen Schutzpflichten den einzelnen Bürger auch vor Übergriffen von Privaten zu bewahren und durch das Ergreifen geeigneter Maßnahmen Rechtsgutverletzungen zu vermeiden habe58. Das Institut der Ausstrahlungswirkung von Grundrechten sei gerade für Fallkonstellationen wirtschaftlichen Ungleichgewichts entwickelt worden59, wie es aufgrund des Machtgefälles in finanziellen und personellen Ressourcen zwischen Gesellschaft und Vorstandsmitglied bestehe. Deshalb sei die Rechtsfigur der Drittwirkung von Grundrechten für die Frage des Informationsanspruchs des Vorstandsmitglieds gegenüber der Gesellschaft anwendbar und führe im Ergebnis zu einer Ausstrahlungswirkung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG), und des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), die es erforderlich machten, dem Vorstandsmitglied sämtliche relevanten Informationen zur Verfügung zu stellen, über die die Gesellschaft verfüge. Dazu gehörten insbesondere auch Unterlagen über die von der Gesellschaft in Auftrag gegebenen und bezahlten Untersuchungen des Schadensfalls einschließlich der Protokolle über die Befragung von Mitarbeitern. Denn wenn das Vorstandsmitglied über diese Informationen nicht verfüge, könne es nicht verantwortlich argumentieren und nicht auf Augenhöhe mit den anderen Beteiligten handeln. Es könne sich seiner Argumente nicht sicher sein, sondern „reise im Blindflug“60. Diese Argumentation ist auf der Basis des geltenden Zivil- und Prozessrecht nicht tragfähig. Es gibt im deutschen Recht keinen allgemeinen Auskunftsanspruch. Eine allgemeine Auskunftspflicht kennt weder das materielle Recht, noch haben sich Versuche, eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht zu begründen61, durchsetzen können62. Der Versuch, einen unbeschränkten Auskunftsanspruch mit der Ausstrahlungswirkung von Grundrechten zu begründen, ist letztlich nichts anderes als die Lehre von der allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht, die ebenfalls davon ausgeht, durch Art. 2 GG und das Rechtsstaatsprinzip sei ein auf Wahrheitsfindung angelegtes Rechtsschutzverfahren verfassungsrechtlich gewährleistet, das ohne eine umfassende Aufklärungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei nicht möglich sei63. Diese Lehre hat sich nicht durchsetzen können64. Der BGH hat mit Recht betont, der Grundsatz, dass im Zivilprozess die Wahrheitsermittlung wesentliche Bedeu-
__________ 58 Vgl. etwa Papier in Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Band II, 2006, § 55 Rz. 9. 59 Vgl. etwa BVerfGE 81, 242, 254 f.; BVerfGE 89, 214, 232. 60 So die Argumentation von Hassemer, unveröffentlichtes Rechtsgutachten vom 12. Juli 2009 über „Gründe und Grenzen von Informationsrechten ehemaliger Vorstandsmitglieder gegenüber dem Aufsichtsrat“, S. 17 ff. 61 Vgl. dazu etwa Arens, ZZP 96 (1983), 1 ff.; Stürner, Die Aufklärungspflichten der Parteien im Zivilprozess, 1976, passim; Schlosser, JZ 1991, 599, 606 ff. 62 Vgl. nur BGH, NJW 1990, 3151. 63 Näher Arens, ZZP 96 (1983), 1 ff. 64 BGH, NJW 1990, 3151; ablehnend z. B. Arens, ZZP 96 (1983), 1, 10 ff.; Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2005, § 138 Rz. 26; Gottwald, ZZP 92 (1979), 364, 366; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast, 1983, S. 137 ff.; Lüke, JuS 1986, 2, 3; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. 2004, § 108 Rz. 8.
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tung habe, erlaube nicht den Schluss, die Parteien seien generell zu dem Verhalten verpflichtet, das am besten der Wahrheitsfindung diene. Vielmehr bleibe es bei dem Grundsatz, dass keine Partei gehalten sei, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfüge65. Ebenso wenig kennt das materielle Recht eine allgemeine Auskunfts- oder Offenlegungspflicht66. Zutreffend wird vielmehr in der Literatur darauf hingewiesen, dass sich aus dem Prinzip des Rechtsstaats und den Grundwerten der Freiheit und Menschenwürde ebenso gut Argumente gegen wie für eine allgemeine Aufklärungspflicht gewinnen ließen67 und eine generelle Auskunftspflicht letztlich zu einem allgemeinen Transparenzgebot führe, das den Grundsätzen der allgemeinen Handlungsfreiheit, der Menschenwürde und der Rechtsstaatlichkeit zuwiderliefe und auch mit dem vom Bundesverfassungsrecht anerkannten Recht auf informationelle Selbstbestimmung68 in Konflikt geriete69.
VI. Rechtsfolgen unzureichender Informationserteilung Erteilt die Gesellschaft Informationen nicht, auf die das Vorstandsmitglied nach § 810 BGB und nach Treu und Glauben Anspruch erheben kann, steht dem Vorstandsmitglied insoweit ein im Rechtsweg durchsetzbarer Anspruch zu. Das nützt in der Praxis jedoch wenig, wenn die Gesellschaft bereits eine Schadensersatzklage erhoben hat, in welcher das Vorstandsmitglied zu seiner Rechtsverteidigung die Einsicht benötigt. 1. Wirksamkeit des Aufsichtsratsbeschlusses Anknüpfend an die Sorgfaltspflicht des Aufsichtsrats, im Rahmen seiner Prüfung der Prozessaussichten unter Umständen auch den Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, ist die Auffassung vertreten worden, eine Verletzung des Informationsanspruchs würde auf den Beschluss des Aufsichtsrats, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, durchschlagen mit der Folge, dass dieser Beschluss keinen Bestand haben könne70. Wäre der Aufsichtsratsbeschluss nichtig, würde es an einer ordnungsgemäßen Willensbildung über die Vertretung der Gesellschaft fehlen71, so dass die Klage wegen dieses Man-
__________
65 BGH, NJW 1990, 3151; BGH, NJW 1958, 1491; Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2005, § 138 Rz. 126. 66 BGH, NJW 1990, 3151; Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2005, § 138 Rz. 30. 67 Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2005, § 138 Rz. 30; Winkler von Mohrenfels, Abgeleitete Informationspflichten im deutschen Zivilrecht, 1986, S. 210 ff. 68 Grundlegend BVerfGE 65, 1, 43. 69 Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2005, § 138 Rz. 30. 70 Hassemer, unveröffentlichtes Rechtsgutachten vom 12. Juli 2009 über „Gründe und Grenzen von Informationsrechten ehemaliger Vorstandsmitglieder gegenüber dem Aufsichtsrat“, S. 43. 71 Zur Notwendigkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses als Voraussetzung für die Ausübung der aktiven Vertretungsmacht vgl. etwa Hopt/Roth in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2005, § 112 Rz. 72; Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 112 Rz. 13; Habersack in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 112 Rz. 21.
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gels abgewiesen werden müsste72. Man wird jedoch kaum annehmen können, dass ein Aufsichtsratsbeschluss über die Erhebung einer Schadensersatzklage nichtig sein kann, weil der Aufsichtsrat über die Klageerhebung entschieden hat, obwohl der Informationsanspruch des Vorstandsmitglieds nicht erfüllt war. Schon die Annahme, der Aufsichtsrat verletze in einer solchen Situation seine Sorgfaltspflichten, wird allenfalls in seltenen Ausnahmefällen zutreffen, in denen eine sachgerechte Entscheidung des Aufsichtsrats über die Klageerhebung ohne Einholung einer Stellungnahme des Vorstandsmitglieds unvertretbar und eine sachgerechte Stellungnahme des Vorstandsmitglieds ohne die Informationserteilung unmöglich ist. Solange der Aufsichtsrat vernünftigerweise annehmen darf, dass er auch ohne die Informationserteilung sachgerecht entscheiden kann, fehlt es schon an einer Verletzung der Sorgfaltspflicht. Aber selbst wenn man sich den – sehr theoretischen – Fall vorstellt, dass ein Vorstandsmitglied ohne die fehlende Information nicht sachgerecht Stellung nehmen und der Aufsichtsrat ohne eine sachgerechte Stellungnahme nicht ordnungsgemäß entscheiden konnte, wäre sehr zweifelhaft, ob dieser Mangel zur Nichtigkeit des Beschlusses über die Klageerhebung führen würde. Aufsichtsratsbeschlüsse sind nichtig, wenn der Beschluss seinem Inhalt nach gegen Gesetz oder Satzung verstößt oder wenn das Beschlussverfahren unter wesentlichen Verfahrensfehlern (z. B. mangelnde Beschlussfähigkeit, fehlerhafte Einladung u.ä.) leidet73. Ein seinem Inhalt nach zulässiger Aufsichtsratsbeschluss, der lediglich auf einem unsorgfältigen Abwägungsprozess beruht, lässt sich in diese Kategorien schwerlich einordnen74, und es wäre auch keine angemessene Rechtsfolge, einen Aufsichtsratsbeschluss schon deshalb als nichtig anzusehen, weil er auf einer unsorgfältigen Meinungsbildung beruht. Aber selbst wenn man das anders sehen wollte, so könnte es sich jedenfalls nicht um einen Mangel handeln, der eine uneingeschränkte Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses nach sich ziehen würde, auf die sich jeder Betroffene berufen darf. Vielmehr wäre dieser Mangel – ohne dass dies hier näher ausgeführt werden kann – allenfalls der Kategorie der bloß eingeschränkt nichtigen Aufsichtsratsbeschlüsse zuzuordnen, deren Mangelhaftigkeit nur von den Mitgliedern des Aufsichtsrats geltend gemacht werden kann75.
__________ 72 Dabei muss hier offenbleiben, ob eine etwaige Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses zur Unzulässigkeit der Klage wegen eines Vertretungsmangels (vgl. dazu etwa Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 112 Rz. 8) oder – wie im Falle von § 46 Nr. 8 GmbHG – zur Unbegründetheit wegen Fehlens einer materiellen Anspruchsvoraussetzung (vgl. dazu etwa BGH, NZG 2004, 962, 964; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 46 Rz. 61) führen würde. 73 Vgl. statt aller Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 108 Rz. 18; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rz. 735. 74 Anders allerdings BGHZ 135, 224, 251 ff. – ARAG/Garmenbeck (Nichtigkeit eines Beschlusses über eine sachlich nicht gerechtfertigte Ablehnung der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen); wie hier Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 108 Rz. 18; Kindler, ZHR 162 (1998), 101, 116. 75 Zur Differenzierung zwischen uneingeschränkter und eingeschränkter Nichtigkeit bei Verfahrensmängeln vgl. etwa Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rz. 736 ff. mit vielen Nachweisen.
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2. Beweislastumkehr In der Literatur wird gelegentlich angenommen, so lange die Gesellschaft die Einsicht verweigere, könne sie sich entsprechend den Regeln über die Beweisvereitelung auf die Beweislastumkehr des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG nicht berufen76. Das ist etwas unscharf. Beweisvereitelung liegt vor, wenn eine Partei dem beweispflichtigen Gegner die Beweisführung vorwerfbar unmöglich macht oder erschwert, indem sie vorhandene Beweismittel vernichtet oder sonstwie deren Benutzung verhindert77. Darum geht es hier jedoch nicht. Dem Vorstandsmitglied wird durch die Verweigerung des Einsichtsrechts nicht erst die Beweisführung, sondern schon die Darlegung der seiner Entlastung dienenden Umstände unmöglich gemacht. Darauf reagiert das Prozessrecht nicht mit den Grundsätzen über die Beweisvereitelung, sondern mit den oben unter II. dargelegten Grundsätzen über die subsidiäre Darlegungslast. Kann das Vorstandsmitglied Umstände, die seiner Entlastung dienen, nicht substantiiert vortragen, weil die Gesellschaft ihm die Einsicht verwehrt, genügt es seiner Darlegungslast schon dadurch, dass es zu seiner Verteidigung vorträgt, was es glaubt aus bestimmten Unterlagen herleiten zu können, die die Gesellschaft ihm vorenthält. Insoweit muss im Prozess nicht mehr vorgetragen werden als das, was das Vorstandsmitglied auch zur Konkretisierung seines Einsichtsanspruchs gegenüber der Gesellschaft vorzutragen hat (vgl. oben III. 2.). Es ist anschließend Sache der Gesellschaft, substantiiert zu erwidern und darzulegen, was sich aus den Unterlagen ergibt. Das Gericht kann sodann nach § 142 ZPO, ggf. auch nach §§ 422 f. ZPO, die Vorlegung anordnen.
VII. Zusammenfassung Es bleibt damit dabei, dass der Informationsanspruch des ehemaligen Vorstands auf die Rechte beschränkt ist, die § 810 BGB und der Grundsatz von Treu und Glauben gewähren. Darüber hinausgehende Informationspflichten lassen sich weder aus den Sorgfaltspflichten des Aufsichtsrats noch aus der Ausstrahlungswirkung von Grundrechten herleiten. Auch ohne solche, sachlich nicht begründete Ausdehnungsversuche steht dem ehemaligen Vorstandsmitglied ein relativ weit gezogenes Einsichtsrecht zu. Im Ergebnis kann Einsicht in die meisten Unterlagen der Gesellschaft (Entscheidungsvorlagen, Gesprächsnotizen, Sitzungsprotokolle, Korrespondenz, Vertragsunterlagen usw.) beansprucht werden, sofern diese für die Verteidigung gegen den Vorwurf der Pflichtverletzung nützliche Informationen enthalten können. Das Vorstandsmitglied muss nicht darlegen, dass die Einsicht für seine Rechtsverteidigung „erforderlich“ ist. Es muss aber darlegen, dass und warum es Grund zu der Annahme hat, dass sich aus der konkreten Unterlage, in die es Einsicht wünscht, Informationen ergeben können, die es vernünftigerweise für
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76 Krieger/Sailer-Coecani in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 93 Rz. 34; ebenso wohl Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rz. 170. 77 BGH, NJW 2008, 982, 984; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 68. Aufl. 2010, Anh. § 286 Rz. 27.
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seine Rechtsverteidigung als relevant ansehen kann. Unter dieser Voraussetzung können auch Unterlagen vorzulegen sein, in denen sich Geschäftsgeheimnisse befinden. Ein weitergehendes Recht auf Einsicht in alle Unterlagen, die man einsehen möchte, um auszuforschen, ob sich aus ihnen irgendetwas für die Rechtsverteidigung Nützliches ergibt, besteht hingegen nicht. Das Einsichtsrecht beschränkt sich überdies auf Unterlagen, aus denen sich möglicherweise Informationen zu der Frage gewinnen lassen, ob das Vorstandsmitglied seine Sorgfaltspflichten schuldhaft verletzt hat. Unterlagen zu Anspruchsvoraussetzungen, die ohnehin von der Gesellschaft darzulegen und zu beweisen sind, insbesondere Unterlagen, die die Höhe des Schadens oder die Kausalität der Pflichtverletzung betreffen, unterliegen dem Einsichtsrecht in der Regel nicht, weil insoweit ein rechtliches Interesse des Vorstandsmitglieds fehlt. Das ist jedoch anders, soweit das Vorstandsmitglied Informationen benötigt, um den Einwand der Vorteilsausgleichung zu erheben. Das Einsichtsrecht richtet sich nicht auf Unterlagen über interne Untersuchungen des Schadensfalls, sondern beschränkt sich auf die „Primärunterlagen“ aus denen sich Informationen zur Frage der Pflichtverletzung ergeben können. Unterlagen, die im Zusammenhang mit der internen Aufarbeitung entstanden sind, namentlich Aufarbeitungen des Sachverhalts durch unternehmensinterne Stellen, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte, Protokolle über die Befragung von Mitarbeitern und Gutachten zur rechtlichen Bewertung des Schadensfalls sind dem Einsichtsrecht entzogen. In solche Dokumente Einsicht zu gewähren ist der Gesellschaft nicht zumutbar und widerspricht dem Grundsatz, dass keine Partei gehalten ist, dem Gegner für seinen Prozesssieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt. Der Informationsanspruch kann klageweise geltend gemacht werden. Seine Verletzung hat nicht zur Folge, dass der der Klageerhebung durch die Gesellschaft zugrunde liegende Beschluss des Aufsichtsrats nichtig und die Klage schon deshalb abzuweisen wäre. Sie führt im Schadensersatzprozess auch nicht dazu, dass die Umkehr der Beweislast gemäß § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG hinfällig würde. Vielmehr wird das Vorstandsmitglied im Prozess durch Anwendung der Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast geschützt.
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Kapitalvermögen im Spannungsverhältnis der Steuerflucht zur Steuergerechtigkeit Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Steuerflüchtiges Kapitalvermögen III. Bekämpfung der Steuerhinterziehung durch den Ankauf von SteuersünderCD’s und durch den internationalen Auskunftsverkehr
V. Inflationsanfälligkeit von Kapitalvermögen und Besteuerung von Kapitalveräußerungseinkünften VI. Kapitalvermögen und Zukunftssicherung VII. Resümee
IV. Einkommen- und Erbschaftsteuergerechtigkeit
I. Einleitung In den Jahren 1982 bis 1988 meiner Lehr- und Forschungstätigkeit an der Technischen Universität Darmstadt habe ich mit Uwe H. Schneider stets eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet. In diesen Jahren sind wir Freunde geworden. Das sonntägliche Joggen der sportlich-wissenschaftlichen Trinität von Hans-Ulrich Küpper1, Uwe H. Schneider und Joachim Lang brachte uns nicht nur zum Keuchen, sondern auch zum Philosophieren, zumeist neben unserer Fächer, aber gelegentlich auch unser Fachwissen berührend, wenn dazu die Zeitungslektüre animierte. Damals standen diverse Parteispendenaffären im Fokus des öffentlichen Interesses. Aus dem Jogging-Thema wurde ein spannender wissenschaftlicher Diskurs, der uns schließlich veranlasste, auf der Jahresarbeitstagung der Fachanwälte für Steuerrecht Vorträge zu halten2. Ein Thema, das Uwe H. Schneider und ich immer wieder aufgriffen und das die schönen Sonntage des gemeinsamen Joggens überdauerte, war die Besteuerung von Kapitalvermögen und Kapitaleinkünften. Im Frühjahr 2007 rief mich Uwe H. Schneider besorgt an und beschwerte sich über die volle Besteuerung der Einkünfte aus der Veräußerung privater Kapitalanlagen, die zusammen mit
__________ 1 Universitätsprofessor für Betriebswirtschaftslehre (Rechnungswesen und Controlling). H.-U. Küpper setzte den sportlichen Maßstab. Er lehrt heute an der LMU München und berichtet in seinen Weihnachtsrundbriefen regelmäßig von seinen skitouristischen Großtaten (Haute Route von Chamonix nach Zermatt etc.). 2 Uwe H. Schneider, Unentgeltliche Zuwendungen durch Unternehmen als vertragsrechtliches und als gesellschaftsrechtliches Problem, JbFSt 1983/84, 165; J. Lang, Geschenke, Spenden und Schmiergelder im Steuerrecht, JbFSt 1983/84, 195.
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der abgeltenden Besteuerung der Kapitaleinkünfte eingeführt werden sollte3. Diese Verschärfung der Besteuerung könne durch die Vorzüge einer Abgeltungsteuer nicht ausgeglichen werde und schade daher empfindlich dem deutschen Kapitalmarkt. Seitdem haben wir unsere Finger nicht mehr gemeinsam in die schwärende Wunde der Kapitalbesteuerung gelegt. Deshalb ist mir dieser Beitrag zu Ehren meines Freundes Uwe H. Schneider ein willkommener Anlass, Grundfragen unseres disputablen Dauerbrenners zu erörtern, die letztlich zu einem philosophischen Diskurs über die Steuergerechtigkeit an einem schönen Sonntag einladen.
II. Steuerflüchtiges Kapitalvermögen Mit der Abgeltungsteuer wollte der Gesetzgeber das Interesse privater Anleger mindern, „Kapital allein aus steuerlichen Gründen in das Ausland zu verlegen“4. Es ist zweifelhaft, ob dies geglückt ist. Die nackte Zahl, dass nach wie vor etwa 500 Milliarden Euro deutsches Kapital im Ausland liegen5, spricht dagegen. International ist das Finanzkapital besonders mobil und daher der internationale Steuerwettbewerb6 besonders wirksam. Hinzukommt, dass die Besteuerung von Kapitaleinkünften keine Akzeptanz genießt und die Auffassung verbreitet ist, dass Einkommen aus gespartem Kapital zweimal besteuert wird. Hiergegen pflegen Steuerrechtler einzuwenden, dass Kapitaleinkünfte gegenüber dem Einkommen, mit dem das Kapital gebildet wird, neues Einkommen ist. Ökonomisch betrachtet hat jedoch die Besteuerung von Kapitaleinkommen einen Doppelbesteuerungseffekt, den bereits John Stuart Mill7 wegweisend erkannt hat: „Wofern daher die Ersparnisse nicht befreiet bleiben von der Einkommensteuer, werden die Kontribuenten für das, was sie für das, was sie sparen, zweimal, und für das, was sie verausgaben, nur einmal besteuert.“ Widerstand gegen die Besteuerung von Kapitaleinkünften wird nicht nur durch Steuerflucht in das Ausland geleistet. Die inländische Steuerflucht von Kapi-
__________ 3 Zur Verbindung der Reform der Besteuerung von Kapitaleinkünften des Privatvermögens mit der Unternehmensteuerreform 2008 siehe Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008, BT-Drucks. 16/4841 v. 27.3.2007, S. 33, umgesetzt durch Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, S. 1912. Das neue Steuerrecht für Kapitaleinkünfte gilt grundsätzlich ab 2009. I. E. ist seine Einführung in 18 (!) Absätzen des § 52a EStG geregelt. Grundsätzlich werden Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanlagen voll besteuert, die nach dem 31.12.2008 erworben worden sind (§ 52a Abs. 10 Satz 1 EStG). Bisher waren die Veräußerungsgewinne nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nur dann steuerpflichtig, wenn die Kapitalanlagen innerhalb eines Jahres angeschafft und veräußert wurden. 4 So Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 (Fn. 3), S. 1. 5 Schätzungen der Deutschen Bundesbank und der Deutschen Steuergewerkschaft. 6 Dazu m. zahlr. Nachw. J. Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl. 2010, § 8 Rz. 72 f. 7 Principles of Political Economy, Deutsche Ausgabe, 1869, Fünftes Buch, Zweites Kapitel, § 4.
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talvermögen hat Tradition. Die „rechtliche Misere der Zinsbesteuerung“ hat Klaus Tipke8 schon vor mehr als zwei Dekaden beklagt. Das Bundesverfassungsgericht wies in dem sog. Zinssteuerurteil von 1991 auf die Feststellung des Bundesrechnungshofs hin, dass 1985 nur etwa 25 Prozent der Zinseinkünfte versteuert worden seien9. Das Bundesverfassungsgericht forderte vom Steuergesetzgeber wirksamere Kontrollmöglichkeiten und stellte das Verifikationsprinzip an die Seite des Deklarationsprinzips10. 13 Jahre später erkannte das sog. Spekulationssteuerurteil von 2004 in dem von Klaus Tipke angestrengten Musterprozess, dass „strukturelle Vollzugsdefizite“ die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Besteuerungsgrundlage nach sich ziehen könnten11. Es entschied, dass § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG 1997 mit dem Gleichheitssatz „unvereinbar und nichtig“ sei, „soweit er Veräußerungsgeschäfte bei Wertpapieren“ beträfe12. Die gleichheitsrechtlich gebotene Beseitigung der strukturellen Vollzugsdefizite verstärkte die Tendenz, Kapitalvermögen in das Ausland zu transferieren. Dabei entzogen sich die Steuerflüchtlinge nicht nur der Einkommensteuer, sondern wesentlich auch der Erbschaftsteuer. Das Geldvermögen genießt seit jeher keine Bewertungsprivilegien; es ist grundsätzlich mit dem Nennwert anzusetzen (§ 12 Abs. 1 Satz 1 BewG i. V. m. § 12 Abs. 1 ErbStG). Die Erbschaftsteuer schöpft nach § 19 ErbStG bis zu 50 Prozent des Geldvermögens vor allem dann ab, wenn es zusätzlich zu einem großen Vermögen, z. B. zu einem Unternehmen vererbt wird. Demnach bezieht sich das Steuerhinterziehungskalkül auf die tarifliche Grenzsteuerbelastung, die bei der Erbschaftsteuer sehr viel höher ist als bei der Einkommensteuer, weil nicht nur Erträge, sondern Vermögenssubstanz abgeschöpft wird. Das ökonomische Steuerhinterziehungskalkül hängt wesentlich von der Entdeckungswahrscheinlichkeit ab13. Im April 2002 habe ich auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum gelernt, dass ein einfaches, transparentes und vom Steuerzahler als gerecht empfundenes Steuersystem der Steuerhinterzie-
__________ 8 K. Tipke, Die rechtliche Misere der Zinsbesteuerung, BB 1989, 157. 9 BVerfG v. 27.6.1991, BVerfGE 84, 239, 250 f. Dieser Feststellung lagen Stichproben bei Erbschaftsteuerstellen zugrunde. 10 BVerfG v. 27.6.1991 (Fn. 9), Leitsatz 2: „Hängt die Festsetzung einer Steuer von der Erklärung des Steuerpflichtigen ab, werden erhöhte Anforderungen an die Steuerehrlichkeit gestellt. Der Gesetzgeber muss die Steuerehrlichkeit deshalb durch hinreichende, die steuerliche Belastungsgleichheit gewährleistende Kontrollmöglichkeiten abstützen. Im Veranlagungsverfahren bedarf das Deklarationsprinzip der Ergänzung durch das Verifikationsprinzip.“. 11 BVerfG v. 9.3.2004, BVerfGE 110, 94, Leitsatz 1 sowie S. 112 ff. 12 BVerfG v. 9.3.2004 (Fn. 11), Entscheidungsformel. 13 Dazu Allingham/Sandmo, Income Tax Evasion: a theoretical analysis, Journal of Public Economics, Vol. 1, 1972, 323; Bayer/Reichl, Ein Verhaltensmodell zur Steuerhinterziehung, Finanzwissenschaftliche Forschungsarbeiten, N. F. Bd. 66, 1997.
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hung wesentlich entgegenzuwirken vermag14. Im Verhältnis zur Schweiz fiel das Kalkül zu Gunsten der Steuerhinterziehung aus. Die Entdeckungswahrscheinlichkeit war wegen der Festigkeit des Schweizer Bankengeheimnisses denkbar gering und das deutsche Steuerrecht empfinden die meisten Steuerzahler als zu kompliziert und auch ungerecht.
III. Bekämpfung der Steuerhinterziehung durch den Ankauf von Steuersünder-CD’s und durch den internationalen Auskunftsverkehr Die Brücke zur Steuerehrlichkeit durch Amnestie15 wurde kaum beschritten. Seit der Liechtensteiner Steueraffäre16 hat sich die Situation grundlegend gewandelt. Mittlerweile hat die Alterssicherung bankangestellter Informatiker durch den Verkauf von Steuersünder-CD’s Schule gemacht und die Steuerstaaten spielen mit. Die Entdeckungswahrscheinlichkeit hat sich dramatisch erhöht, weil die Steuerstaaten die illegal erworbenen Daten kaufen und dem Informatiker sogar eine neue Identität verschaffen, damit er vor Schweizer Strafverfolgung und Rachakten besonders mafioser Steuerflüchtlinge geschützt ist17. In Deutschland wird nun die Frage diskutiert, ob ein Rechtsstaat illegal erworbenes Datengut kaufen darf. Die Frage wird mehr politisch als straf- und steuerrechtlich diskutiert. Ob der Ankauf der CD rechtsstaatlich zulässig ist, muss zunächst unabhängig von der Annahme eines Verwertungsverbots entschieden werden, da eine fehlerhafte Beweiserhebung nicht zwangsläufig zu
__________ 14 Bizer/Falk/Lange, Am Staat vorbei, Transparenz, Fairness und Partizipation kontra Steuerhinterziehung, Finanzwissenschaftliche Forschungsarbeiten, N. F. Bd. 73, 2004, u. a. mit meinem Beitrag: Stärkung der Steuermoral durch Steuervereinfachung?, S. 91. Umfassend die Darmstädter Habilitationsschrift von K. Bizer, Steuervereinfachung und Steuerhinterziehung, Eine experimentelle Analyse zur Begründung von Steuereinfachheit, 2008. 15 Siehe Gesetz über die strafbefreiende Erklärung (Art. 1 des Gesetzes zur Förderung der Steuerehrlichkeit v. 23.12.2003, BGBl. I 2003, S. 2928). 16 Der Mitarbeiter der Vaduzer LTG Treuhand AG Heinrich Kieber verschaffte sich bereits 2002 illegal Kundendaten, die er dem Bundesnachrichtendienst Ende August für 4,2 Mio. Euro verkaufte. Die zahlreichen Strafverfolgungen wurden am 14.2.2008 mit der vom Frühstückfernsehen live begleiteten Durchsuchung der Kölner Villa von Post-Chef Klaus Zumwinkel begonnen. Krit. zur Liechtensteiner Steueraffäre U. Sieber, NJW 2008, 881; Trüg/Habeta, NJW 2008, 887; Göres/Kleinert, NJW 2008, 1353; B. Schönemann, NStZ 2008, 305; F. Salditt in FS H. Schaumburg, 2009, S. 1269, 1274 ff., sowie m. w. N. R. Seer in Tipke/Lang (Fn. 6), § 24 Rz. 13. 17 Heinrich Kieber erhielt vom Bundesnachrichtendienst zwei falsche Pässe. Hervé Falciani, der die Daten von Kunden der Genfer Tochter der britischen HSBC-Bank herunterlud und veräußerte, floh nach Nizza und wurde dort unter Polizeischutz gestellt und ihm eine neue Identität verschafft. In der Schweiz ist er polizeilich zur Fahndung ausgeschrieben.
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einem Verwertungsverbot führt18. Demnach darf bereits gekauftes Datengut strafprozessual verwertet werden, auch wenn es rechtsstaatswidrig oder sogar in strafbarer Weise erworben wurde. Zur Diskussion steht die Ankaufsbefugnis und nicht das Verwertungsverbot. Der Ankauf von Steuersünder-CD’s ist eine Maßnahme der Steuerfahndung, die nach § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO unbekannte Steuerfälle zu ermitteln hat19. Die Ermittlungsbefugnisse ergeben sich aus den Vorschriften des Steuerverfahrens (§§ 85 ff. AO). Die Strafprozessordnung ist nach § 404 AO nicht anwendbar, weil mit dem Ankauf der Steuersünder-CD’s konkrete Strafverfahren noch nicht begonnen haben. Die Steuerfahndungsbehörde kann von dem Datendieb nach § 97 Abs. 1 Satz 1 AO die Vorlage der Steuersünder-CD zur Einsicht und Prüfung verlangen20. Die Restriktionen des § 97 Abs. 2 und 3 AO gelten im Steuerfahndungsverfahren nicht (§ 208 Abs. 1 Satz 3 AO). Strafrechtlich kann der Datenerwerb durch die Finanzbehörde nicht als Hehlerei qualifiziert werden, weil Daten keine Sachen sind. Das Landgericht Bochum21 hat es dahingestellt sein lassen, ob der Datenankauf als Begünstigung i. S. d. § 257 Abs. 1 StGB und als Beihilfe zum Geheimnisverrat (§§ 17 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 UWG; § 27 Abs. 1 StGB) zu beurteilen ist. Diese Straftatbestände sind bei der Anwendung des § 97 AO nicht verwirklicht. § 257 Abs. 1 StGB kommt nicht in Betracht, weil die Steuerfahndungsbehörde nicht in der Absicht handelt, dem Datendieb die Vorteile der Tat zu sichern. Vielmehr diente der Erwerb der CD ausschließlich der Aufgabe der Steuerfahndungsbehörde, unbekannte Steuerfälle aufzudecken. Im Weiteren scheidet eine Beihilfe zum Geheimnisverrat a priori aus, weil die Übergabe der CD an die Steuerfahndungsbehörde eine nach § 97 Abs. 1 Satz 1 AO befugte Verwertung von Betriebsgeheimnissen darstellt. Nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG ist nur die unbefugte Preisgabe eines Betriebsgeheimnisses mit Strafe bedroht. Mithin kann
__________ 18 BVerfG, NJW 2000, 3557, und m. w. N. L. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, Einleitung, Anm. 55. Das LG Bochum verneint in dem Beschluss 2 Qs 10/08 v. 22.4.2008 bei der nicht weiter geprüften Strafbarkeit des Ankaufs eine unverhältnismäßige Verwertung der Daten. Die rechtswidrige Erlangung eines Beweismittels durch eine Privatperson schließe nach BGH, NJW 1978, 1390; 1989, 2760, seine Verwertung im Strafverfahren grundsätzlich nicht aus. Mit Beschluss 2 Qs 2/09 v. 7.8.2009 verwarf das LG Bochum die Beschwerden gegen den Durchsuchungsbeschluss 64 Gs 1491/08 des AG Bochum v. 10.4.2008, der nunmehr Gegenstand einer vom Bundesverfassungsgericht angenommenen Verfassungsbeschwerde ist. 19 Krit. zur Tätigkeit des BND F. Salditt (Fn. 16), S. 1277 ff. 20 § 97 AO liegt ein weiter Urkundenbegriff zugrunde, der i. V. m. § 147 Abs. 2 AO auch Datenträger umfasst (siehe R. Seer in Tipke/Kruse, AO, § 97 Rz. 2). 21 Beschluss v. 22.4.2008 (Fn. 18): „Auch wenn zu Gunsten der Beschwerde zunächst davon auszugehen wäre, dass deutsches Strafrecht über § 7 Abs. 1 Nr. 1 StGB zur Anwendung gelange und sich der Ankauf der DVD als Begünstigung im Sinne des § 257 Abs. 1 StGB, weil die Vortat den Tatbestand der Betriebsspionage nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG ausfülle, und sich als Beihilfe zum Geheimnisverrat gemäß §§ 17 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 UWG, 27 Abs. 1 StGB darstelle, folgt aus der Verwertung der Daten, soweit der angefochtene Beschluss betroffen ist, keine Unverhältnismäßigkeit“.
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die im Schrifttum22 diskutierte Frage, ob die Regelung des rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) Platz greift, dahinstehen. Die Zahlung von Geld für die Vorlage der CD ist rechtsstaatlich nicht zu beanstanden. Sie ist gemäß dem rechtsstaatlichen Übermaßverbot23 geeignet und erforderlich. Die Vorlage der CD nach § 97 Abs. 1 Satz 1 AO lässt sich unentgeltlich nicht erreichen und auf andere Weise lassen sich die auf der CD erfassten unbekannten Steuerfälle besonders wegen der Verweigerung zwischenstaatlicher Rechtshilfe nicht ermitteln. Schließlich ist der Ankauf der Steuersünder-CD auch verhältnismäßig im engeren Sinne, d. h. gegenüber den geschädigten Banken zumutbar. Sie missbrauchten nämlich das Bankengeheimnis mit dem Geschäftsmodell „Steuerhinterziehung“ und provozierten dadurch die Steuerfahndungsmaßnahme des Datenankaufs. Das Geschäftsmodell „Steuerhinterziehung“ praktizierten die Schweizer Banken bisher mit unverblümter, werbewirksamer Offenheit. Die Bankberater rieten z. B. zur Führung von zwei Konten. Wird der Steuerflüchtling an der Baseler Grenze mit einem hohen Geldbetrag ertappt, so offenbart er ein „weißes“, der deutschen Finanzbehörde bekanntes Konto. Wird er nicht ertappt, so wird das Bargeld auf ein der deutschen Finanzbehörde unbekanntes Konto eingezahlt. Mit derartigen Geschäftsmodellen verliert das Bankgeheimnis seine rechtliche Schutzwürdigkeit. Demgegenüber sind Steuern eine Existenzgrundlage des Staates, vor allem eines Sozialstaats, der seinen Bürgern Solidarität abverlangt. Der Sozialstaat benötigt die Solidargemeinschaft der Steuerzahler24, um seine Aufgaben erfüllen zu können. Demnach wird durch Steuerhinterziehung ein hohes Rechtsgut der solidarisch verpflichteten Allgemeinheit verletzt. Steuerhinterziehung gehört zur Schwerkriminalität, die mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bedroht ist (§ 370 Abs. 3 AO). Die Sicherstellung von Steuersünder-CD’s durch Ankauf hat hierzulande eine Diskussion um die rechtsstaatliche Zulässigkeit ausgelöst, wie sie in anderen Steuerstaaten25 nicht geführt wird. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Ankauf von Steuersünder-CD’s rechtsstaatlich unzulässig sei, würde die Entdeckungswahrscheinlichkeit dramatisch absenken. Die Schwei-
__________ 22 Siehe die in Fn. 16 zit. Beträge von U. Sieber, Trüg/Habeta, Göres/Kleinert u. B. Schönemann. Nach h. M. ist § 34 StGB zwar auch für staatliches Handeln anwendbar, jedoch nur dort, wo der Interessenkonflikt nicht durch öffentlich-rechtliche Vorschriften, d.s. hier die Vorschriften über die Befugnisse der Steuerfahndungsbehörde, abschließend geregelt sei (dazu m. w. N. Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 34 Anm. 7). 23 Zur steuerrechtlichen Anwendung des Übermaßverbots mit den Kriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit u. Zumutbarkeit (Verhältnismäßigkeit i. e. S.) m. w. N. J. Lang, Steuerrecht (Fn. 6), § 4 Rz. 209 ff. 24 Dazu grundlegend K. Tipke, Gleichmäßigkeit der Steuerrechtsanwendung, Ein Postulat im Interesse der Solidargemeinschaft der Steuerzahler, in H. Vogelgesang, Perspektiven der Finanzverwaltung, 1992, S. 95. 25 Z. B. haben Frankreich, Großbritannien, die Niederlande und die USA SteuersünderCD’s ohne öffentliche Diskussion um die rechtsstaatliche Zulässigkeit gekauft.
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zer Banken würden aufatmen und das Geschäftsmodell „Steuerhinterziehung“ wiederbeleben. Unversteuerte Milliardenbeträge würden erneut aus der deutschen Schattenwirtschaft in die Schweiz u. a. Steueroasenländer fließen. Bei der Bekämpfung von Schwerkriminalität arbeiten die Staaten über Interpol26 eng und kooperativ zusammen. Hingegen gilt für viele Staaten der Grundsatz, dass die Steuern der anderen Staaten deren Sache ist. Das Geschäftsmodell „Steuerhinterziehung“ wird staatlicherseits stillschweigend geduldet. Informationen über Bankkonten werden strikt verweigert, so dass sich die Frage der Völkerrechtswidrigkeit27 eigentlich nicht für den Ankauf der Steuersünder-CD’s stellt, sondern für die Verweigerung der Rechtshilfe bei der Bekämpfung schwerer Kriminalität, die zu der Notmaßnahme des CD-Ankaufs geführt hat. In jüngster Zeit ist ein Sinneswandel eingetreten28. Die G-8- und die G-20Staaten haben sich klar zur internationalen Sicherstellung des Steueraufkommens und Bekämpfung der Steuerhinterziehung bekannt. Die G-20-Staaten vereinbarten auf dem Londoner Gipfel am 2.4.2009, den Druck auf die Steueroasen zu erhöhen und eine „Sünderliste“ zu veröffentlichen. Da es sich ansonsten international hochangesehene Staaten nicht leisten können, in der internationalen Gemeinschaft wegen der Steuern als „Sünder“ angeprangert zu werden, lenken Staaten wie die Schweiz ein und öffnen sich dem internationalen Auskunftsverkehr. In dem Maße, in dem völkerrechtlich kooperiert wird, entfällt die Erforderlichkeit des Ankaufs illegal erworbener Bankdaten mit der Folge, dass der CDAnkauf nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip rechtsstaatlich unzulässig wird.
IV. Einkommen- und Erbschaftsteuergerechtigkeit Der internationale Auskunftsverkehr in Steuersachen leistet einen unverzichtbaren Beitrag zur Steuergerechtigkeit. Maßgeblich für die Steuerehrlichkeit ist jedoch die Gerechtigkeit des materiellen Steuerrechts29. Kapitalvermögen wird hauptsächlich wegen der Einkommensteuer und Erbschaftsteuer in das Ausland transferiert30. Am Vorabend eines effizienten internationalen Auskunftsverkehrs könnte den ansonsten nicht straffälligen Bür-
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26 Die „International Criminal Police Organization – Interpol“ wurde 1923 in Wien gegründet und dient der internationalen Verbrechensbekämpfung unter Wahrung der nationalen Souveränität. 27 LG Bochum verneint in dem oben (Fn. 18) zit. Beschluss v. 7.8.2009 zu Recht eine Umgehung völkerrechtlicher Abkommen. Dazu m. w. N. Bericht von W.-F. Schneider, Völkerrechtliches Verwertungsverbot für „gestohlene“ Daten im Steuerstrafverfahren?, RÜ 2010, 176. 28 Dazu umfassend Seer/Gabert, Der internationale Auskunftsverkehr in Steuersachen, StuW 2010, 3. 29 So das Ergebnis der in Fn. 14 zitierten Beiträge. 30 Je nach Rechtsgestaltung und Ausmaß der Steuerhinterziehung können auch betroffen sein die Körperschaftsteuer, die Umsatzsteuer und die Gewerbesteuer. Siehe i. E. § 1 Abs. 1 des in Fn. 15 zitierten Gesetzes über die strafbefreiende Erklärung.
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gern noch einmal eine „Brücke zur Steuerehrlichkeit“ durch eine SteuerAmnestie angeboten werden. Angesichts der gegenwärtig sehr hohen Entdeckungswahrscheinlichkeit infolge des CD-Ankaufs würden sich die Steuersünder auf der Brücke drängeln, ganz im Unterschied zur letzten Amnestie vor dem Hintergrund geringer Entdeckungswahrscheinlichkeit. Ein „reiner Tisch“ der Steuerehrlichkeit ist auch insofern vorteilhaft, als der Inhaber des Kapitalvermögens wieder ruhig schlafen und über sein Auslandsvermögen in Deutschland verfügen kann. Erben könnten z. B. das lang ersehnte Einfamilienhaus mit Auslandsgeldern finanzieren. Dem Gesetzgeber fällt die Aufgabe zu, für Steuergerechtigkeit zu sorgen. Dieses Ziel wird nachhaltig sowohl bei der Einkommensteuer als auch bei der Erbschaftsteuer verfehlt: a) Die Einkommensteuergerechtigkeit wird wesentlich durch das Prinzip der synthetischen Einkommensteuer bestimmt, nach dem alle Einkünfte einem einheitlichen Einkommensteuertarif unterworfen werden31. Die hohe Mobilität des Finanzkapitals drängte den Gesetzgeber zur Einführung der Abgeltungsteuer, welche die Einkünfte aus Kapitalvermögen aus der progressiven Tarifbelastung herauslöst. Mit der Abgeltungsteuer wurde partiell die duale Einkommensteuer32 verwirklicht, die konsequent Kapitaleinkommen niedrig proportional, hingegen Arbeitseinkommen weiterhin progressiv besteuert und die sich damit radikal von dem Gerechtigkeitsideal der synthetischen Einkommensteuer verabschiedet. Die Abgeltungsteuer wird als Reaktion auf den Steuerwettbewerb und Anreiz zu mehr Steuerehrlichkeit akzeptiert33. Der Gesetzgeber hat ein hochkomplexes Abgeltungsteuerrecht34 geschaffen, das die Möglichkeiten einer vereinfachten Steuererhebung konterkariert. Er schichtete die Kapitaleinkünfte in die Schedule des § 2 Abs. 2 Satz 2, Abs. 5b EStG ab und statuierte gleichwohl vier Veranlagungsarten35. Hier liegt im Kern die Unvereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz: Die Abgeltungsteuer ist gleichheitsrechtlich nur im Bereich abgeltender Besteuerung der Kapitaleinkünfte gerechtfertigt. Werden jedoch Kapitaleinkünfte in eine Veranlagung miteinbezogen, so sind die Kapitaleinkünfte ebenso wie andere Einkünfte synthetisch zu besteuern. Besonders ist die Verletzung des Nettoprinzips durch die Beschränkung des Werbungskosten-
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31 Dazu m. w. N. J. Lang, Steuerrecht (Fn. 6), § 9 Rz. 1. 32 Dazu umfassend Expertise von Sachverständigenrat/Max-Planck-Institut/Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, Reform der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung durch die Duale Einkommensteuer, BMF-Schriftenreihe Bd. 79, 2006, sowie m. w. N. J. Lang, Steuerrecht (Fn. 6), § 8 Rz. 75 f. 33 So insb. das Ergebnis des 66. DJT, Stuttgart 2006, Bd. II/1, Teil Q, S. 170, Beschluss Nr. 17: „Eine niedrige Abgeltungsteuer auf Zinsen, Dividenden und Veräußerungsgewinne (Aktienkursgewinne) kann die Steuererhebung vereinfachen und Besteuerungslücken schließen“; Referate von R. Mellinghoff, S. 85, 115: „Für eine moderate Abgeltungsteuer bei Zinseinkünften sprechen jedoch die erhebliche Vereinfachung und die außerordentlich hohe Mobilität des Finanzkapitals“; R. Seer, S. 247 f. (Abgeltungsteuer mit Veranlagungsoption). 34 Dazu m. w. N. J. Lang, Steuerrecht (Fn. 6), § 9 Rz. 492 ff. 35 J. Lang, Steuerrecht (Fn. 6), § 9 Rz. 503.
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abzugs durch die §§ 2 Abs. 2 Satz 2; 20 Abs. 9 EStG gleichheitsrechtlich nicht zu rechtfertigen36. Wenn demnach Kapitaleinkünfte in eine Veranlagung einbezogen werden, muss das Prinzip der synthetischen Einkommensteuer in vollem Umfange mit uneingeschränkter Geltung des Nettoprinzips Platz greifen37. b) Die Erbschaftsteuer stellt der Gesetzgeber einerseits in den Dienst gesellschaftlicher Chancengerechtigkeit38, konzentriert aber andererseits die Erbschaftsteuerlast auf das Kapitalvermögen, indem Unternehmenserben erbschaftsteuerlich verschont werden39, wenn sie das Unternehmen sieben Jahre fortführen40. Durch eine solche gleichheitswidrige Privilegierung41 wird die Chancengerechtigkeit zum Etikettenschwindel. Es ist zu befürchten, dass die Erbschaftsteuer dem Bundesverfassungsgericht ein drittes Mal42 vorgelegt wird. Die Erbschaft- und Schenkungsteuer ist ein gleichheitsrechtlich missglückter Kompromiss zwischen Steuergerechtigkeit und der Erkenntnis, dass die Steuer eine wachstumsfeindliche43, volkswirtschaftlich schädliche Fiskalverlust-
__________ 36 Dazu J. Hey, JZ 2006, 851, 858; dies., BB 2007, 1303, 1307; J. Englisch, StuW 2007, 234 ff., 238 f.; J. Lang, Steuerrecht (Fn. 6), § 9 Rz. 506; Rockoff/Weber, DStR 2010, 363, 366 f. 37 So § 53 Abs. 2 Nr. 5 EStG-Entwurf der Kommission Steuergesetzbuch, Stiftung Marktwirtschaft, Berlin 2008, unter der Voraussetzung, dass die gesamten abgeltend besteuerten Einkünfte in die Einkommensteuererklärung aufgenommen werden. 38 So Regierungsentwurf des Erbschaftsteuerreformgesetzes, BT-Drucks. 16/7918 v. 28.1.2008, S. 23: „Das Erbschaftsteuerrecht wird auch künftig einen erheblichen Beitrag dazu leisten können, durch die Besteuerung die Chancengerechtigkeit in der Gesellschaft zu erhöhen.“ 39 Dazu näher J. Lang, Gleichheitswidrigkeit und gleichheitsrechtliche Ausgestaltung der erbschaftsteuerlichen Verschonung, FR 2010, 49. 40 § 13a Abs. 8 ErbStG i. d. F. von Art. 6 Nr. 1 Buchstabe c Wachstumsbeschleunigungsgesetz v. 22.12.2009, BGBl. I 2009, S. 3950. 41 Dazu J. Lang (Fn. 39), sowie insb. R. Seer, Die Erbschaft- u. Schenkungsteuer im System der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, GmbHR 2009, 225, 235: Eine vollständige Steuerbefreiung sei „so überflüssig wie ein Kropf. Bereits der Verschonungsabschlag von 85 % ist verfassungsrechtlich intolerabel.“. 42 Nach BVerfG v. 22.6.1995, BVerfGE 93, 165, und BVerfG v. 7.11.2006, BVerfGE 117, 1, besonders wegen der Lockerungen der Verschonungsregelung durch das in Fn. 40 zit. Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Dazu J. Lang (Fn. 39), 57 f. 43 Nach einer Untersuchung des Centrums für angewandte Wirtschaftsforschung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster haben sich in den erbschaftsteuerfreien Ländern Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Steuereinnahmen dynamischer entwickelt als in den Ländern, die an der Erbschaftsteuer festgehalten haben (Stiftung Familienunternehmen [Hrsg.], Pro und Contra Erbschaftsteuer – Argumente und Erfahrungen im internationalen Vergleich, 2008). Fazit der Untersuchung: „Die Erbschaftsteuer ist eine überholte Form der staatlichen Einnahmenbeschaffung, für die es bei einer bereits umfassenden Einkommensbesteuerung in einem modernen Steuersystem keinen Platz mehr gibt. Als weitgehend willkürliche Substanzsteuer greift sie unmittelbar den volkswirtschaftlichen Kapitalstock an und beeinträchtigt Wirtschaftswachstum, Investitionen und Beschäftigung.“ Auf dieser Erkenntnis basiert intuitiv die Lockerung der erbschaftsteuerlichen Verschonungsregelung durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz (Fn. 40).
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steuer44 ist. Das gilt nicht nur für Unternehmen, sondern auch für das Kapitalvermögen, das nach wie vor dem deutschen Steuerstaat in dreistelliger Milliardenhöhe entzogen wird. Im Zeitalter der Globalisierung ist eine Steuer, die von allen Steuern den höchsten Widerstand auslöst, weil versteuertes Vermögen noch einmal massiv besteuert wird, nicht mehr universell nach dem Weltvermögensprinzip45 durchsetzbar; sie scheint sich auch hierzulande politisch wegen ihrer lobbyistischen Anfälligkeit nicht gleichheitsgerecht ausgestalten zu lassen. Man sollte den Weg Österreichs gehen46 und die Erbschaft- und Schenkungsteuer sowohl zugunsten des Fiskus als auch zugunsten der Steuergerechtigkeit abschaffen.
V. Inflationsanfälligkeit von Kapitalvermögen und Besteuerung von Kapitalveräußerungseinkünften Uwe H. Schneider hat Recht, wenn er sich über die volle Besteuerung der Kapitalveräußerungseinkünfte (§ 20 Abs. 2 EStG) aufregt. Die Besteuerung von Veräußerungseinkünften nach dem Nominalwertprinzip47 weitet die mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip unvereinbare Scheingewinnbesteuerung48 aus. Diese konterkariert das Gerechtigkeitsideal der synthetischen Einkommensteuer, indem sie wie eine Sondervermögensteuer auf bestimmte Einkunftsarten wirkt49. Das Kapitalvermögen ist am stärksten substanzbesteuert.
__________ 44 Mein Resümee, in J. Lang, Das verfassungsrechtliche Scheitern der Erbschaft- und Schenkungsteuer, StuW 2008, 189, 205: Die Erbschaft- und Schenkungsteuer sei „für die Deckung des staatlichen Finanzbedarfs weder geeignet noch erforderlich, weil die Ertragsteuerausfälle infolge Kapitalflucht, Abwanderung, Liquidation und Insolvenz von Unternehmen das erbschaftsteuerliche Nettoaufkommen übersteigen. Auf diese Weise produziert die Erbschaft- und Schenkungsteuer einen erheblichen Fiskalverlust, wozu die Erbschaftsteuerfreiheit Österreichs bedeutend beiträgt.“ 45 Im Falle der unbeschränkten Steuerpflicht (Erblasser, Schenker, Erwerber ist Inländer) unterliegt der gesamte Vermögensanfall inkl. Auslandsvermögen der Erbschaftund Schenkungsteuer (§ 2 Abs. 1 Satz 1 ErbStG). 46 Der österreichische Verfassungsgerichtshof (Erkenntnisse v. 7.3.2007 G 54/06 u. a., ö. BGBl. Abs. 1 Nr. 9/2007, sowie v. 15.7.2007 G 23/07 u. a., ö. BGBl. Abs. 1 Nr. 39/2007) hat die Erbschaft- und Schenkungsteuer für verfassungswidrig erkannt. Der ö. Nationalrat reagierte nicht mit einer Reform, sondern mit der Regelung, dass nach dem 31.7.2008 entstehende Erbschaft- oder Schenkungsteuerschulden nicht mehr erhoben werden (Beschluss v. 6.6.2008 über das Schenkungsmeldegesetz, Art. 2, ÖStZ 2008, 246, 250. 47 Dazu m. w. N. J. Lang, Steuerrecht (Fn. 6), § 9 Rz. 56 f. 48 Grundsätzlich zu Leistungsfähigkeitsprinzip und Inflation K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2. Aufl. 2003, S. 512 ff. („Das Leistungsfähigkeitsprinzip ist ein Realwert-, kein Nominalwertprinzip“). Zur Scheingewinnbesteuerung J. Lang (Fn. 47), dort m. N. in Fn. 30, sowie zuletzt umfassend F. Kleinmanns, Besteuerung inflationsbedingter Scheingewinne im System des deutschen Einkommensteuerrechts und ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung, 2009. 49 Dazu F. Kleinmanns, Scheingewinne (Fn. 48), S. 25 ff.
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Das Bundesverfassungsgericht50 hat die „gesteigerte Inflationsanfälligkeit“ der Einkunftsart „Kapitalvermögen“ anerkannt und eine abgeltende Quellensteuer auf Kapitaleinkünfte zugelassen. Allerdings wird das Problem der Scheingewinnbesteuerung mit einem niedrigen Abgeltungsteuersatz allenfalls typisiert gelöst51. Dabei deckt sich der Besteuerungsunterschied zwischen progressivem Grenzsteuersatz und Abgeltungssteuersatz nur selten und zufällig mit der aus der Scheingewinnbesteuerung resultierenden Steuerlast. Nur die Bemessungsgrundlage gewährleistet Inflationsneutralität, indem z. B. ein Teil der Zinsen als Ausgleich für die Geldentwertung steuerfrei gelassen wird52. Bei den Veräußerungsgewinnen kann der sog. Realgewinn durch Aufstockung von Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten ermittelt werden53. Je umfassender die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer Veräußerungseinkünfte erfasst, desto unabweisbarer besteht das Bedürfnis nach Inflationsbereinigung. Mit der Beschränkung der Besteuerung auf Veräußerungsgewinne, die innerhalb eines begrenzten Zeitraumes zwischen Anschaffung und Veräußerung erwirtschaftet werden54, wird die Scheingewinnbesteuerung vermieden55. Demgegenüber bleibt insbesondere die unternehmerische Gewinnermittlung diskriminiert. Indessen fordert das Gerechtigkeitsideal der synthetischen Einkommensteuer, dass alle Einkünfte inflationsbereinigt besteuert werden. Das führt zu den wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnissen der sog. optimal taxation, einer sog. konsumorientierten Besteuerung56, deren Methoden nicht nur Inflationsneutralität, sondern auch intertemporale Neutralität gewährleisten: Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer ist lebenszeitlich angelegt. Sie sorgt dafür, dass der Zukunftskonsum nicht höher belastet wird als der Gegenwartskonsum. Die periodische Besteuerung von Zinsen bewirkt nämlich einen
__________ 50 BVerfG v. 27.6.1991 (Fn. 9), 282: Es wäre „verfassungsrechtlich unbedenklich, die Geldwertabhängigkeit und damit die gesteigerte Inflationsabhängigkeit der Einkunftsart „Kapitalvermögen“ bei der Besteuerung zu berücksichtigen.“ Sodann lässt das BVerfG eine abgeltende Quellensteuer für die „geographisch nicht gebundene“ Erwerbsgrundlage „Finanzkapital“ ausdrücklich zu. 51 So F. Kleinmanns, Scheingewinne (Fn. 48), S. 81 ff., S. 91 (Die Besteuerungsdifferenz bewege sich „in einer Größenordnung“, die „einer typisierten Freistellung inflationsbedingter Scheingewinne entspricht.“). 52 So die sog. Zinsbereinigung. Dazu m. w. N. F. Kleinmanns, Scheingewinne (Fn. 48), S. 32 ff. 53 Siehe § 21 Abs. 1 EStG-Entwurf der Kommission Steuergesetzbuch (Fn. 37). 54 Zu einer derart begrenzten Besteuerung der Kapitalveräußerungseinkünfte bis 2008 siehe Fn. 3. 55 Dazu F. Kleinmanns, Scheingewinne (Fn. 48), S. 70 f. 56 Dazu näher J. Lang, Konsumorientierte Besteuerung von Einkommen aus rechtlicher Sicht, in FS M. Rose, 2003, S. 325; ders., Steuerrecht (Fn. 6), § 4 Rz. 110 ff. (m. zahlr. N.), sowie F. Kleinmanns, Scheingewinne (Fn. 48), S. 30 f.
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kontinuierlichen Anstieg der Steuerlast57, der mittels zweier Methoden verhindert wird, entweder durch partielle Steuerbefreiung von Zinsen (sog. Zinsbereinigung) oder durch nachgelagerte Besteuerung.
VI. Kapitalvermögen und Zukunftssicherung Die nachgelagerte Besteuerung ist die einfachste Methode, um Kapitaleinkünfte und Kapitalveräußerungseinkünfte sowohl inflationsneutral als auch intertemporal neutral zu besteuern. Diese Methode setzt sich weltweit bei der Besteuerung von Einkünften der Zukunftssicherung durch. In Deutschland wird sie mit bestimmten Typen der Zukunftssicherung verknüpft, der sog. Riester- und der Rürup-Rente58. Sie gilt als steuerliches Förderungsinstrument. Tatsächlich ist sie keine Steuersubvention, sondern die ökonomisch richtige, gerechte Besteuerungsart, die u. a. die Gleichbehandlung von Renten und Beamtenpensionen59 gewährleistet. Beamte sind seit jeher nachgelagert besteuert, weil der Erwerb der Beamtenpension steuerlich nicht belastet ist. Die spätere Besteuerung der Beamtenpension im Zeitpunkt des Zuflusses verteilt die Steuerlast lebenszeitlich und sorgt für eine gerechte Steuerbelastung des Lebenseinkommens. Mit der nachgelagerten Besteuerung entwickelt sich das Einkommensteuerrecht in die richtige Richtung. Letztlich sind alle Einkünfte aus Kapitalvermögen Einkünfte der Zukunftssicherung, die in ein einheitliches Konzept der nachgelagerten Besteuerung einbezogen werden sollten. Derzeit wird die Zukunftssicherung noch sehr unterschiedlich besteuert, teils nachgelagert, teils periodisch abgeltend und teils periodisch progressiv. Eine gerechte, besonders der Inflationsanfälligkeit des Kapitalvermögens gerecht werdende Besteuerung von Kapitaleinkünften wird nur erreicht, wenn das derzeitige Steuerchaos überwunden und Kapitaleinkünfte einheitlich nachgelagert besteuert werden60.
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57 Siehe Tabelle von M. Rose, abgebildet in dem FS-Beitrag (Fn. 56), S. 338: Bei einem konstanten Steuersatz von 30 Prozent steigt die finale Steuerbelastung der Ersparnis in einem Zeitraum von 40 Jahren von 30 auf 64,72 Prozent. Tabellenbeispiel: Ein 25Jähriger spart 10.000 Euro. Im Alter von 65 Jahren verfügt der Sparer bei eine Verzinsung von 6 Prozent über 102.857 Euro, wenn er sich der Besteuerung entzieht, über 36.292 Euro, wenn die Zinsen mit 30 Prozent besteuert werden, und über 72.000 Euro, wenn er nachgelagert besteuert wird. Die nachgelagerte Besteuerung sorgt für eine finale, intertemporal neutrale Steuerlast von 30 Prozent (30 Prozent von 102.857 Euro = 30.857 Euro). 58 Dazu J. Lang, Steuerrecht (Fn. 6), § 9 Rz. 574 ff. 59 Insb. gefordert von BVerfG v. 6.3.2002, BVerfGE 105, 61. 60 Zutreffend resümierend F. Kleinmanns, Scheingewinne (Fn. 48), S. 183: „Das Modell der nachgelagerten Besteuerung für die Altersvorsorge ist konzeptionell geeignet, um die Besteuerung inflationsbedingter Scheingewinne zu verhindern. Es ist aber paternalistisch, die so begünstigt besteuerte Kapitalanlage auf bestimmte zertifizierte Altersvorsorgeprodukte zu begrenzen. Eine Ausweitung auf alle Arten der Kapitalanlage erscheint zur Vereinfachung des Steuerrechts bei gleichzeitiger Nichtbesteuerung inflationsbedingter Scheingewinne wünschenswert.“ In diese Richtung weist auch der Vorschlag der Kommission Steuergesetzbuch (Fn. 37).
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VII. Resümee Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das inflationsanfällige Kapitalvermögen durch die Einkommensteuer und die Erbschaftsteuer zu stark substanzbesteuert wird. Dies ist ein wesentlicher Grund für die Steuerflüchtigkeit des Kapitalvermögens. Es diente der Steuergerechtigkeit, wenn die durch die Verschonung der Unternehmenserben ausgehöhlte Erbschaftsteuer abgeschafft würde und die Einkünfte aus Kapitalvermögen einheitlich nachgelagert besteuert würden. Erst dann wäre nach meiner Einschätzung ein Grad von Steuergerechtigkeit erreicht, der wirksam der Steuerflucht Einhalt zu gebieten vermag.
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Zur rechten Konkretisierung angemessener Vorstandsbezüge – Kapitalmarktrecht oder Verbandsrecht? Inhaltsübersicht I. Der klassische Regelungsrahmen II. Zur Unterscheidung von Kapitalmarktrecht und Verbandsrecht III. Zielrichtung 1. Vorstandsvergütung als Verbandsrecht 2. Vorstandsvergütung als Kapitalmarktrecht IV. Regelungsinstrumentarium 1. Organverantwortung 2. Anteilseignerkontrolle 3. Transparenz 4. Aufsichtsrechtliche Eingriffsbefugnisse
V. Zur Zuordnung einiger Neuregelungen 1. Kapitalmarktrechtliche Zielsetzung 2. Kapitalmarktrechtliche Mittel a) Branchenspezifische Regelung b) Einschränkung der Vertragstreue c) Information des Kapitalmarkts 3. Verbandsrechtliche Mittel des VorstAG a) Branchenübergreifender Ansatz b) Fokus auf Vorstandsgehältern c) Dispositivität transparenzschaffender Normen VI. Fazit: Asymmetrien zwischen Mittel und Ziel
Die Frage, wie die Bezüge des Vorstands einer Aktiengesellschaft auszugestalten seien, scheint auf den ersten Blick ein Klassiker des Verbandsrechts zu sein. Sie betrifft die Beziehung der Anteilseigner zur Verwaltung ihrer Gesellschaft und bedient sich mit der Konkretisierung von Sorgfaltspflichten, Informationsansprüchen und Haftungsnormen typisch verbandsrechtlicher Regelungsinstrumente. Seit die Finanzkrise ein Schlaglicht gerade auf die Vorstandsvergütung in Bankaktiengesellschaften geworfen hat, ist diese Zuordnung weniger evident geworden. Immerhin haben sich in deren Gefolge die verschiedensten Regelgeber vorgenommen, „schädliche Anreize“, die von der Ausgestaltung der Vorstandsbezüge in Banken ausgehen und die Stabilität des Finanzsystems bedrohen, einzudämmen1. Der deutsche Gesetzgeber hat im Sommer 2009 durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG)2 einen ersten Schritt mit Blick auf die Vergütung von Vorständen in Aktiengesellschaften getan. Das zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung noch im Gesetzgebungsprozess befindliche „Gesetz über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungssysteme von Instituten und Versicherungsunternehmen“ (im Folgenden: AVIVG)3 soll noch umfassender die von Entlohnungsstrukturen ausgehenden Handlungsanreize von Finanzmarktakteu-
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1 Zitat aus AT Nr. 7.1.4 MaRisk; gebräuchlicher das englische „perverse incentives“. 2 Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung v. 31.7.2009, BGBl. I 2009, S. 2509. 3 BT-Drucks. 17/1291.
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ren regulieren. Hintergrund für das erneute Tätigwerden des Gesetzgebers sind unter anderem die vom Rat für Finanzstabilität ausgearbeiteten Prinzipien4. Auf Europäischer Ebene befindet sich die „Richtlinie zur Änderung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG im Hinblick auf die Eigenkapitalanforderungen für Handelsbuch und Weiterverbriefung und im Hinblick auf die aufsichtliche Überprüfung der Vergütungspolitik“ (im Folgenden: Änderungsrichtlinie) im Gesetzgebungsprozess5. Die Verknüpfung von Finanzmarktstabilität und Vergütungsstruktur öffnet die Regelungsmaterie der Vorstandsbezüge zum Kapitalmarktrecht hin. Aus dieser Öffnung ergibt sich die Folgefrage nach einer Standortbestimmung der Gesetze(svorhaben) und noch allgemeiner nach einer Sichtung des in Betracht kommenden Regelungsinstrumentariums. Einige Gedanken hierzu seien Uwe H. Schneider, einem der freiesten Geister des deutschen Aktienrechts, gewidmet.
I. Der klassische Regelungsrahmen Die Festsetzung von Vorstandsbezügen hatte der deutsche Gesetzgeber vor der Finanzkrise im Herbst 2008 von zwei Seiten her eingefangen, nämlich durch verbandsrechtliche Organverantwortung und durch Transparenz. So enthielten die §§ 87 Abs. 1 a. F., 112 Satz 1 AktG gesetzgeberische Leitlinien für die Festsetzung der Vorstandsvergütung durch den Aufsichtsrat. Für Transparenz sorgte § 285 Nr. 9 HGB a. F., wonach bestimmte Einzelheiten der Vergütungsstruktur von Vorständen im Anhang der Bilanz anzugeben waren. Die Besonderheiten der Entlohnungssysteme innerhalb von Bankaktiengesellschaften waren bislang nur im Rahmen der Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) Gegenstand einer Regulierung6. Dieses Rundschreiben der BaFin konkretisiert auf der Basis des § 25a KWG Einzelheiten des aufsichtsrechtlich einzufordernden Risikomanagements der Institute. Es ist durch zwei weitere Rundschreiben vom 21.12.2009 konkretisiert worden. Ein Sonderrecht für Finanzinstitute hat außerdem das „Krisenrecht“ der Finanzmarktstabilisierungsgesetze geschaffen7. Nimmt ein Institut eine Stabilisierungsmaßnahme nach dem FMStFG in Anspruch, darf der Sonderfonds Finanz-
__________
4 Rat für Finanzmarktstabilität (Financial Stability Board – FSB), Prinzipien für solide Vergütungspraktiken („Principles for Sound Compensation Practices“) v. 2.4.2009; Standards für solide Vergütungspraktiken („Principles for Sound Compensation Practices Implementation Standards“) v. 25.9.2009; Leitlinien für eine solide Vergütungspolitik („High-level principles for Remuneration Policies“) des Ausschusses der Europäischen Bankaufsichtsbehörden (Committee of European Banking Supervisors – CEBS) v. 20.4.2009. 5 Rat der Europäischen Union v. 28.10.2009, 2009/0099 COD; Draft Report des Europäischen Parlaments v. 2.3.2010, 2007/0099 COD; legislative Entschließung des Europ. Parlaments und des Rates v. 7.7.2010. 6 Mindestanforderungen an das Risikomanagement, Rundschreiben 15/2009 v. 14.8.2009. 7 Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarkts v. 17.10.2008, BGBl. I 2008, S. 1982; Gesetz zur Errichtung eines Finanzmarktstabilisierungsfonds v. 17.10.2008, BGBl. I 2008, S. 1982; Gesetz zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung v. 17.7.2009, BGBl. I 2009, S. 1980.
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marktstabilisierung (SoFFin) Anforderungen nach § 10 Abs. 2 Nr. 3 FMStFG oder Bedingungen nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 FMStFV stellen. Das kann in Form einer vertraglichen Regelung oder durch die Abgabe einer Verpflichtungserklärung erfolgen, §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 5 Abs. 8 FMStFV8.
II. Zur Unterscheidung von Kapitalmarktrecht und Verbandsrecht Wir hatten eingangs gesagt, dass die Vorstandsvergütung ein typisch verbandsrechtliches Problemfeld ist. Das verlangt nach einer grobmaschigen Präzisierung des hier zugrunde gelegten Begriffs des Verbandsrechts und dessen Abgrenzung vom Kapitalmarktrecht. Kontrastiert man die von beiden Rechtsgebieten verfolgten Ziele mit Blick auf ihren Schutzzweck, erweist sich das Kapitalmarktrecht als weitgehend markt- und funktionsbezogen. Es soll im wesentlichen zu reibungslos laufenden Finanzmärkten sowie zur Systemstabilität beitragen. Werden individuelle Anleger geschützt, handelt es sich sozusagen um ein „Nebenprodukt“. Als solches ist es in den Systemzusammenhang des primär verfolgten Funktionenschutzes einzugliedern. Derartige drittschützende Haftungsnormen werden im Regelfall nur sekundär mit dem Zweck des Ausgleichs individuell erlittener Schäden eingesetzt. Primär geht es in einem kapitalmarktrechtlichen Kontext um Generalprävention und um die Nutzung des von Privaten ausgehenden Klagedrucks als Alternative zu staatlicher Sanktionierung. In Abhängigkeit davon, wie kosteneffizient sich Klagen privater Anleger durchsetzen lassen, mögen diese eine wirksamere Sanktionierung bieten als Vertrauen auf aufsichtsrechtliches Einschreiten. Das Aktienverbandsrecht nimmt demgegenüber neben der Struktur der Gesellschaft und ihrer Beziehung zu Dritten Aufgaben und Befugnisse von Organen und Gesellschaftern in den Blick. Der haftungsbewehrte Schutz einzelner Aktionäre vor Missbrauch von Leitungsmacht ist selbstverständlicher Bestandteil dieses Regelungsansatzes. Mit den unterschiedlichen Zielrichtungen beider Rechtsgebiete korrespondiert ein spezifisches Arsenal von Mitteln. Das Kapitalmarktrecht setzt auf die Herstellung informationseffizienter Märkte sowohl was die Veröffentlichung kursrelevanter Informationen angeht als auch mit Blick auf institutionelle Rahmenbedingungen. Verstöße gegen kapitalmarktrechtliche Normen werden im Regelfall öffentlich-rechtlich sanktioniert, das heißt durch Bußgeld, Strafe oder aufsichtsrechtliche Maßnahmen. Für das Aktienrecht sind hingegen privatrechtliche Instrumente typisch. Hierzu mag man Pflichtenbindungen der Organe, Mitentscheidungsrechte und Fragerechte der Aktionäre in der Hauptversammlung zählen. Auch bei der Sanktionierung von Verstößen gegen Aktienrecht gelangen mit Haftungsansprüchen, Kontrollrechten und Beschlussmängelverfahren charakteristisch privatrechtliche Mechanismen zum Einsatz.
__________ 8 Zu den Finanzmarktstabilisierungsgesetzen Langenbucher, ZGR 2010, 75.
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III. Zielrichtung 1. Vorstandsvergütung als Verbandsrecht Soweit man die Mechanismen zur Sicherstellung angemessener Vorstandsvergütung als Bestandteil des Verbandsrechts begreift, sind sie ein Mittel der Anteilseignerkontrolle. Bei der Festlegung der Höhe der Vergütung geht es dann um die möglichst zielgenaue Abbildung des Willens der Eigentümer sowie um die Gestaltung effizienter Anreize für die Unternehmensführer, zum Unternehmenswohle tätig zu werden. Angesprochen ist das in unzähligen Abhandlungen thematisierte Prinzipal-Agent-Problem9, mithin die Frage, ob und wie es den Aktionären gelingen kann, die für sie treuhänderisch tätige Verwaltung zur Hintanstellung eigener und Voranstellung fremder Interessen zu bewegen. Mit der Höhe der Vorstandsvergütung hat das zu tun, soweit man (i) überhaupt meint, dass monetäre Anreize Vorstände zur erwünschten Leistung motivieren und (ii) weiter davon ausgeht, dass durch ein geschicktes institutionelles Design der Vorstandsvergütung eine Abmilderung des Prinzipal-Agent-Konflikts erreicht werden kann10. Bejaht man beide Fragen, zeichnen sich gute Regeln über die Festsetzung der Vorstandsvergütung dadurch aus, dass sie ein solches institutionelles Design erzwingen oder jedenfalls fördern. In Aktiengesellschaften, insbesondere in börsennotierten, hat das PrinzipalAgent-Problem durch den Grundsatz der Leitungsverantwortung des Vorstands eine besondere Farbe11. Die Festlegung der Vorstandsvergütung wird zu den Geschäftsführungsaufgaben gezählt. Diese Zuordnung geht mit bestenfalls reduzierter Kompetenz der Anteilseigner einher. Deren Interessen werden im wesentlichen durch einen weiteren Agenten in Form des Aufsichtsrats wahrgenommen. Für die Normengestaltung bedeutet das, dass ein Dreiecksverhältnis zwischen Prinzipal sowie zwei Agenten entsteht, von denen einer den anderen zu überwachen hat12. In Abhängigkeit davon wie umfassend man die Berücksichtigung von stakeholder Interessen oder gesamtgesellschaftlichen Belangen als legitime Aufgabe des Verbandsrechts einordnet, sind bei der Ausarbeitung von Normen zur Regelung von Vorstandsgehältern außerdem Aspekte verteilender Gerechtigkeit
__________ 9 Vgl. z. B. Agrawal/Nasser, Blockholders on board and CEO Compensation, Turnover and Firm Valuation, http://ssrn.com/abstract=1443431; Bertrand/Mullainathan, The American Economic Review 2000, 203; dies., The Quarterly Journal of Economics 2001, 901; Cremers/Grinstein, Yale ICF Working Paper No. 09-11, July 2009. 10 Grundlegend a. A. Bebchuk/Fried, Pay without performance, 2004, passim; aus neuerer Sicht z. B. Rost/Osterloh, Schmalenbach Business Review 61 (2009), 119, 126 ff. im Anschluss hieran auch Cahn in FS Hopt, 2010, 431. 11 Zur Diskussion um die Anwendbarkeit bei der GmbH Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121; Döring/Grau, DB 2009, 2139; Gaul/Janz, GmbHR 2009, 959; Greven, BB 2009, 2154; Habersack, ZHR 174 (2010), 2; Meier, ZKF 2010, 7; Wübbelsmann, GmbHR 2009, 959. 12 Hierzu bereits Black, Agents watching agents: the promise of institutional investor voice, UCLA Law Review 1992, 811, 839 ff.
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zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist auch darüber zu entscheiden, ob sich Vorschriften über die absolute Höhe von Gehältern empfehlen13. 2. Vorstandsvergütung als Kapitalmarktrecht Ordnet man die Gewährleistung angemessener Vorstandsvergütung kapitalmarktrechtlich ein, steht sie in einem ganz anderen Begründungszusammenhang. Es kann die Höhe der für die Vorstandsvergütung zu bildenden Rückstellungen eigenkapitalrelevant sein. Das verlangt nach Bewertungsregelungen mit Blick auf die unterschiedlichen Gehaltskomponenten. Solche Regeln stehen in einem bankaufsichtsrechtlichen Zusammenhang. Seit der Finanzkrise richtet sich die Aufmerksamkeit des Kapitalmarktrechts zusätzlich auf Handlungsanreize, die vom Regelungsdesign der Vorstandsvergütung ausgehen. Allerdings liegt das Augenmerk dabei nicht auf der Incentivierung von Agenten, zum Wohl der Prinzipale tätig zu werden. Statt dessen geht es um Fehlanreize zu Handlungen, die sich destabilisierend auf den Finanzmarkt ausüben. Im Regelungszusammenhang des Kapitalmarktrechts besteht immer dann ein Anlass, normsetzend tätig zu werden, wenn sich herausstellt, dass durch rechtliche Regeln Verhalten mit destabilisierenden Wirkungen zurückgedrängt werden kann. Anders gesagt: Führt das gängige Design der Vorstandsvergütung dazu, dass in bedeutendem Umfang besonders risikoreiche Kapitalmarktgeschäfte stattfinden, ist das ein guter Grund auf diese Weise gefasste Vergütungsvereinbarungen zu untersagen oder jedenfalls zu erschweren. Der kapitalmarktrechtliche Fokus erfasst darüber hinaus die Vergütung nachgeordneter Mitarbeiterebenen, soweit auch hier Anreize zu Handlungen mit systemdestabilisierendem Potential entstehen. Höhe und Struktur der Vorstandsvergütung sind zuletzt noch unter dem Blickwinkel möglichst umfassender Transparenz am Kapitalmarkt bedeutsam. Begreift man Vorstandsgehälter als Bestandteil einer guten corporate governance, sind deren Einzelheiten nicht nur für Aktionäre, sondern auch für potentielle Investoren von Interesse, etwa um sich ein Bild über ein mögliches Anlageobjekt zu machen und damit eine informierte Anlageentscheidung treffen zu können. Auf diese Weise transparenzschaffende Regeln ordnen sich in den Kontext kapitalmarktrechtlicher Publizitätsvorschriften wie beispielsweise der §§ 37v ff. WpHG ein.
IV. Regelungsinstrumentarium Weiter oben wurde gesagt, dass mit den unterschiedlichen Zielen des Verbandsrechts einerseits und des Kapitalmarktrechts andererseits ein differenziertes Regelungsinstrumentarium einhergeht.
__________ 13 Nach Regelungszielen differenzierend Cahn in FS Hopt (Fn. 10).
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1. Organverantwortung Zu den verbandsrechtlichen Mechanismen gehört zunächst einmal der Versuch präziser Ausformung von Leitlinien für die Festlegung von Vorstandsbezügen. Will man Abmilderungen des – wie berichtet: dreiseitigen14 – Prinzipal-Agent-Konflikts erreichen, ist ein natürlicher Ansatzpunkt bei dem überwachenden Agenten, mithin im deutschen Recht beim Aufsichtsrat. Das führt zu der schwierigen Frage, inwieweit man die Entscheidung über die Höhe und die Struktur der Vorstandsbezüge rechtlich einfangen möchte. Solche Regeln lassen sich prozedural und materiell denken. Prozedurale Regeln setzen an der Struktur der Entscheidungsfindung an, materielle Normen versuchen sich an der Festlegung inhaltlicher Angemessenheitskriterien. Im deutschen Recht hat man sich mit § 87 AktG im Schwerpunkt für eine materielle Regelung entschieden. Die Norm gibt dem Aufsichtsrat die Herstellung eines angemessenen Verhältnisses zwischen der Vergütungshöhe einerseits, den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie der Lage der Gesellschaft andererseits vor. Die Vergütungsstruktur ist jedenfalls bei börsennotierten Gesellschaften auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten, § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG. Die Art und Weise der Gewähr variabler Vergütungsbestandteile wird reglementiert, § 87 Abs. 1 Satz 3 AktG. Verschlechtert sich die Lage der Gesellschaft, ist der Aufsichtsrat gehalten, die Vergütung nachträglich herabzusetzen, § 87 Abs. 2 AktG. Ob dieser materielle Ansatz Erfolg verspricht, ist zu Recht bezweifelt worden. Den flankierend erlassenen prozeduralen Normen kommt deshalb besondere Bedeutung zu. Als eine solche Vorschrift lässt sich § 107 Abs. 3 AktG einordnen, wonach der Aufsichtsrat seine Verantwortung im Plenum wahrzunehmen hat. Von dem Verbot, Vergütungsentscheidungen auf einen Ausschuss zu delegieren, darf man sich sowohl mehr Transparenz als auch eine erhöhte Identifikation des Gesamtorgans mit der zu treffenden Entscheidung versprechen. In jedem Fall betreffen verbandsrechtliche Normen nur die Vorstandsvergütung. Die Bezüge nachgeordneter Mitarbeiter sind kein direkter Gegenstand des Verbandsrechts. Werden auf dieser Ebene überhöhte Bezüge gewährt, hat dies allenfalls über den Umweg schadensersatzrechtlicher Verantwortlichkeit der Organe verbandsrechtliche Implikationen. Hier wird man freilich wegen § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nur selten zu einer Ersatzpflicht des Vorstands gelangen. 2. Anteilseignerkontrolle In engem Zusammenhang mit der Verschärfung der Regelungen für den „überwachenden Agenten“ steht die Verbesserung der Anteilseignerkontrolle. Das in Deutschland neu eingeführte „say on pay“ Votum, § 120 Abs. 4 AktG15, lehnt sich an Regelungsvorbilder im Vereinigten Königreich und an eine Emp-
__________ 14 Siehe oben III. 1. 15 Krit. Cahn in FS Hopt, 2010 (Fn. 10).
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fehlung der Kommission16 an. Künftig kann die Hauptversammlung börsennotierter Aktiengesellschaften einen Beschluss über die Billigung des Systems zur Vergütung der Vorstandsmitglieder fassen. Auf den ersten Blick wird mithin den Anteilseignern mehr Einwirkungspotential bei der Kontrolle der Verwaltung zugestanden. In den Gesetzgebungsmaterialien findet sich der Hinweis, den Aktionären werde „ein Instrument zur Kontrolle des bestehenden Vergütungssystems an die Hand gegeben“17. Bei näherem Hinsehen zeigt sich freilich, dass eine Verstärkung von Mitwirkungsrechten nicht intendiert war18. Das Prinzip der ausschließlichen Leitungsverantwortung des Vorstands soll unangetastet bleiben. Der Beschluss begründet weder Rechte noch Pflichten und ist nicht anfechtbar. Eine Instrumentalisierung des Votums durch „räuberische Aktionäre“ wird so vermieden. Bedeutung soll der Willensäußerung der Aktionäre durch die Öffentlichkeitswirkung des Abstimmungsergebnisses verschafft werden, von welcher man sich den Aufbau von Druck auf Vorstand und Aufsichtsrat verspricht. 3. Transparenz Zwischen Verbandsrecht und Kapitalmarktrecht positionieren sich Normen zur Erhöhung der Transparenz von Vergütungsstrukturen. Auf den ersten Blick ordnen sich solche publizitätsschaffenden Vorschriften in einen kapitalmarktrechtlichen Systemzusammenhang ein. Im Kontext hergebrachter ökonomischer Theorien zur Herstellung informationseffizienter Kapitalmärkte werden Emittenten verpflichtet, kursrelevante Informationen unverzüglich in den Markt zu geben. In diese Richtung weist etwa Erwägungsgrund (12) der Änderungsrichtlinie. Dort werden mit Blick auf „die Öffentlichkeit“ Informationen über den Entscheidungsprozess verlangt, der zur Festlegung der Vergütungspolitik führt. Auch Details über die innere Struktur von Entlohnungssystemen samt aggregierten, quantitativen Aufstellungen mit Blick auf die vereinbarten Vergütungsparameter werden empfohlen. Koppelt man die Herstellung von Transparenz an ein Votum der Hauptversammlung, rückt das Regelungsinstrument doch wieder in die Nähe einer verbandsrechtlichen Norm. So dürfte sich der deutsche Gesetzgeber einen Zuwachs an Transparenz versprochen haben, indem der Katalog gemäß § 295 Nr. 9 HGB im Anhang zur Bilanz veröffentlichungspflichtiger Angaben erweitert wurde. Die Kapitalmarktnähe dieser Regelung scheint § 285 Nr. 9 Satz 5 HGB zu belegen, besonders detailliert müssen nämlich nur börsennotierte Gesellschaften publizieren. Dass es sich im Kern gleichwohl um eine verbandsrechtliche Regelung handelt, ergibt sich aus § 286 Abs. 5 HGB: Auf die Veröffentlichungspflicht kann nach einem qualifizierten Hauptversammlungsbe-
__________ 16 Empfehlung der Kommission v. 14.12.2004 (2004/913/EG), ABl. EU 2004 Nr. L 385, 55. 17 Die Norm ist auf Initiative des Rechtsausschusses hin eingefügt worden, siehe BTDrucks. 16/13433, S. 18. 18 Ebenda (Fn. 17), S. 19.
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schluss verzichtet werden. Das ist innerhalb des Systemzusammenhangs des Verbandsrechts konsequent: Die Offenlegung der Vergütungsstruktur geschieht im Interesse der Anteilseigner, deren Informationsinteresse befriedigt werden soll. Konsequent steht sie auch zu ihrer Disposition. In einem kapitalmarktrechtlichen Kontext sind derartige Befugnisse systemfremd. Informationsempfänger sind hier nicht die Aktionäre, sondern sämtliche Akteure auf Finanzmärkten. Auf die Einhaltung von Publizitätsvorschriften darf deshalb die Anteilseignerversammlung nicht verzichten. 4. Aufsichtsrechtliche Eingriffsbefugnisse Ein genuin kapitalmarktrechtliches Instrument zur Regulierung der Höhe von Vorstandsbezügen sind aufsichtsrechtliche Eingriffsbefugnisse. Sie setzen naturgemäß voraus, dass die betreffenden Unternehmen der Aufsicht unterworfen sind, so dass sich dieses Instrument im wesentlichen nur für Finanzdienstleistungsunternehmen und Versicherungen eignet. Für diese Gesellschaften eröffnet sich ein Spektrum, welches von der Konkretisierung von Eigenmittelanforderungen über Anzeige- und Auskunftspflichten, Prüfungsrechte der Aufsicht bis zu Einzelfallmaßnahmen, Straf- und Bußgeldvorschriften reicht.
V. Zur Zuordnung einiger Neuregelungen 1. Kapitalmarktrechtliche Zielsetzung Die Änderungsrichtlinie, das VorstAG und auch das AVIVG haben mit der Finanzkrise vom Herbst 2008 einen kapitalmarktrechtlichen Anlass. Die Regelwerke stehen im Kontext internationaler Bemühungen zur Eindämmung schädlicher Anreize für die Finanzmarktstabilität. Dem entspricht es, dass sich der deutsche Gesetzgeber zum Ziel gesetzt hat „fehlerhafte Verhaltensanreize“, die „von kurzfristig ausgerichteten Vergütungsinstrumenten“ ausgehen, einzudämmen19. Ebenso wertet der europäische Gesetzgeber, wenn er davon ausgeht, unangemessene Vergütungsstrukturen hätten zur Finanzkrise beigetragen, Erwägungsgrund (1) Änderungsrichtlinie. Noch deutlicher formuliert Erwägungsgrund (16) der Änderungsrichtlinie, wonach die Aufsicht künftig kontrollieren soll, „ob Vergütungspolitik und -praxis die betreffenden Mitarbeiter zu einer übermäßigen Übernahme von Risiken animieren könnten“. 2. Kapitalmarktrechtliche Mittel Mit dem kapitalmarktrechtlichen Anlass korrespondiert im Europäischen Recht die Wahl eines kapitalmarktrechtlichen Regelungsinstrumentariums.
__________ 19 BT-Drucks. 16/12278, S. 5; zur Gesetzgebungsgeschichte Seibert, WM 2009, 1489; krit. Nikolay, NJW 2009, 2640; zum AVIVG Weber-Rey, VersR 2010, 599, 600; Müller-Bonanni/Mehrens, NZA 2010, 792.
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a) Branchenspezifische Regelung Im Fokus der Neuregelungen stehen nicht Vorstände sämtlicher Branchen, sondern Vorstände sowie leitende Mitarbeiter von Banken und Finanzdienstleistungsunternehmen, vgl. etwa Art. 1 Nr. 3 a, b der Änderungsrichtlinie. Die qualitative Bankenaufsicht soll sich künftig auf die Sicherstellung einer Vergütungspolitik und -praxis richten, die sich mit einem soliden Risikomanagement vereinbaren lässt, Art. 1 Nr. 2, 3 Änderungsrichtlinie. Die Höhe der zulässigen variablen Vergütung ist konsequent ins Verhältnis zur Eigenkapitalausstattung des Instituts zu setzen, Anhang V Abschnitt 11 Nr. 23 i) Änderungsrichtlinie. Hedging Strategien, vergütungs- oder haftungsbezogene Strategien von Mitarbeitern, welche dem in ihren Vergütungsregelungen verankerten Risikoprofil zuwiderlaufen, sollen untersagt werden, Anhang V Abschnitt 11 Nr. 23 t) Änderungsrichtlinie. Ähnlich werten die neuen Rundschreiben der BaFin. Sie richten sich an Geschäftsleiter und Mitarbeiter, die hohe Risikopositionen begründen können. Von deren Vergütungssystemen dürfen keine negativen Anreize zur Eingehung solcher Risikopositionen ausgehen20. Einen vergleichbaren Ansatz wählt das zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung noch im Gesetzgebungsprozess befindliche AVIVG. Es setzt an den Normen des KWG sowie des VAG und damit an Banken, Finanzdienstleistern und Versicherungen an, reguliert mithin nicht branchenübergreifend. Konsequent betrifft es nicht nur Organe, sondern auch nachgeordnete Mitarbeiter. Die kapitalmarktrechtliche Ausrichtung sowohl der Änderungsrichtlinie als auch des AVIVG spiegelt sich in den gewählten Sanktionen bei Nichtbeachtung der Richtlinienvorgaben wider. Die aufsichtsrechtlichen Eingriffsbefugnisse, welche Art. 54 der Richtlinie 2006/48/EG vorsieht, sollen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein, Art. 1 Nr. 4 Änderungsrichtlinie. Nach den § 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 KWG n. F., § 64b VAG n. F. soll die qualitative Aufsicht ihr Augenmerk künftig auch auf die Vergütungssysteme von Geschäftsleitern und Mitarbeitern richten. b) Einschränkung der Vertragstreue Auf der Grundlage des Erwägungsgrundes (10) der Änderungsrichtlinie soll die Aufsicht künftig verlangen dürfen, dass die variable Vergütung auf einen Prozentsatz der Nettoeinkünfte begrenzt wird, wenn diese Vergütung mit der Aufrechterhaltung einer soliden Eigenkapitalausstattung unvereinbar ist. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 KWG n. F. wird zu den bei unzureichenden Eigenmitteln oder unzureichender Liquidität zulässigen Maßnahmen die Untersagung oder Beschränkung der Auszahlung variabler Vergütungsbestandteile zählen.
__________ 20 Rundschreiben 22/2009 Aufsichtsrechtliche Anforderungen an die Vergütungssysteme von Instituten v. 21.12.2009, Nr. 3. 2., 4.1.1. (ebenso Rundschreiben 23/2009 Aufsichtsrechtliche Anforderungen an die Vergütungssysteme im Versicherungsbereich vom selben Tag Nr. 3.1.2.).
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Die verfassungsrechtliche Legitimation dieses gesetzgeberischen Eingriffs in vertraglich vereinbarte Vergütungsstrukturen ist kapitalmarktrechtlich ausgerichtet21: Die Zulässigkeit der nachträglichen Herabsetzung der Höhe der Vorstandsvergütung begründet der Gesetzgeber nicht etwa, indem er den Vertrauensschutz der Vorstandsmitglieder mit den Interessen der Anteilseigner kontrastiert. Statt dessen soll der Eingriff in das Prinzip der Vertragstreue zulässig sein, weil der Vertrauensverlust weniger gegenüber den Gefahren für die Systemstabilität aller zurückzutreten habe. c) Information des Kapitalmarkts Der Öffentlichkeit – nicht den Anteilseignern – sollen künftig Einzelheiten zur Vergütungspolitik von Mitarbeitern offen gelegt werden, deren Tätigkeit sich wesentlich auf das Risikoprofil auswirkt, Anhang XII Nr. 15 Änderungsrichtlinie. Diese Informationen sind auf der Internetseite oder einem anderen geeigneten Medium zu veröffentlichen22. Eine Entscheidung darüber, ob die Schaffung von Publizität gewünscht ist oder nicht, steht dem Unternehmen nicht zu. 3. Verbandsrechtliche Mittel des VorstAG In deutlichem Widerspruch zur international vorherrschenden Tendenz, sich eines kapitalmarktrechtlichen Regelungsinstrumentariums zu bedienen, stehen die deutschen Normen des VorstAG. Trotz des kapitalmarktrechtlichen Anlasses nutzt der deutsche Normgeber im Wesentlichen verbandsrechtliche Mittel. a) Branchenübergreifender Ansatz Nur als Verbandsrecht lässt sich bereits dessen Erstreckung auf sämtliche Aktiengesellschaften, nicht nur auf Unternehmen der Finanzbranche erklären23. Die befürchteten negativen Wirkungen von Gehaltsstrukturen für die Finanzmarktstabilität, welche international im Fokus der Neuregelungen stehen, legitimieren keine Neujustierung der Vorstandsgehälter aller Branchen: Fehlanreizen in der Vorstandsvergütung außerhalb von Finanzdienstleistungsunternehmen dürfte nur in Ausnahmefällen eine destabilisierende Wirkung am Kapitalmarkt zukommen, wenn nämlich ganz erhebliche Handelsaktivitäten solcher Unternehmen am Kapitalmarkt hervorgerufen werden.
__________ 21 BT-Drucks. 17/1291, S. 11 f. 22 Rundschreiben 22/2009 v. 21.12.2009 Nr. 4.3.1.; im Versicherungsbereich: Veröffentlichung „in geeigneter Form“, vgl. Rundschreiben 23/2009 Nr. 4.3. 23 Krit. Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 718.
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b) Fokus auf Vorstandsgehältern Zum Verbandsrecht zählt auch der Fokus auf die Vergütungsstruktur des Vorstands unter Außerachtlassung nachgeordneter Mitarbeiterebenen24. In einen aktiengesellschaftsrechtlichen Kontext fügt sich das nahtlos ein: Die Anteilseigner haben den Vorstand mit der Verwaltung der Gesellschaft betraut. Bei der Verhandlung seiner Bezüge soll der Aufsichtsrat die Interessen der Anteilseigner vertreten. Die Festlegung der Bezüge nachgeordneter Mitarbeiter gehört dagegen zu den Geschäftsführungsaufgaben des Vorstands und ist dem Zugriff der Hauptversammlung entzogen, sieht man von den beschränkten Kompetenzen zur Abstimmung über den Bilanzgewinn ab, § 119 Abs. 1 Nr. 2 AktG. Um die vom Kapitalmarktrecht herrührende Frage, ob die Vergütungsstrukturen des Vorstands nachteilige Wirkungen auf die Finanzmarktstabilität haben könnten, müssen sich die Anteilseigner nicht kümmern. c) Dispositivität transparenzschaffender Normen Weiter oben wurde bereits gesagt, dass sich der Gesetzgeber des VorstAG, was die Publizität im Anhang zur Bilanz angeht, für einen verbandsrechtlichen Ansatz entschieden hat25. Die Veröffentlichung der Angaben zu den Bezügen jedes einzelnen Vorstandsmitglieds unter Namensnennung, § 185 Nr. 9 a Satz 5 bis 8 HGB, stehen nach § 286 Abs. 5 Satz 1 HGB im Belieben der Hauptversammlung. Ganz anders der internationale Vergleich: Nach IAS/IFRS sind die Pflichtangaben ebenso vollständig offen zu legen wie nach US-GAAP26. Ähnliches gilt für den Hauptversammlungsbeschluss über die Vergütungsstruktur nach § 120 Abs. 4 AktG. Das Votum steht unter dem Vorbehalt einer abweichenden Willensäußerung der Anteilseigner und belegt damit einmal mehr seinen verbandsrechtlichen Hintergrund27. Intendiert ist nicht die Information des Kapitalmarkts über die Vergütungsstruktur eines potentiell attraktiven Emittenten, sondern die Verbesserung der Anteilseignerkontrolle. Die Öffentlichkeitswirkung des Votums wird instrumentalisiert, steht aber zur Disposition der Eigentümer. Zwar sind auch das Vorbild im Vereinigten Königreich28 sowie die hiervon inspirierte EU-Empfehlung29 auf den ersten Blick auf das Verbandsrecht hin ausgerichtet. Die Regelung im Vereinigten Königreich nutzt allerdings – ebenso wie übrigens eine im Entstehen begriffene US-amerikanische Novelle30 –
__________ 24 25 26 27
Krit. Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 718; Hohenstatt, ZIP 2009, 1349. Siehe oben III. 3. Lange in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2008, § 286 Rz. 73 f. Verbandsrechtliche Interpretation denn auch bei: Döll, WM 2010, 103, 108; Thüsing, AG 2009, 517. 28 Section 439 Companies Act (2006). 29 Empfehlung der Kommission v. 14.12.2004 (2004/913/EG), ABl. EU 2004 Nr. L 385, 55. 30 Corporate and Financial Institution Compensation Fairness Act of 2009, sec. 2, amending sec. 14 of SEA 1934, zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung noch im Gesetzgebungsprozess.
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die Öffentlichkeitswirkung des gesamten Kapitalmarkts, indem das Hauptversammlungsvotum zwingend ausgestaltet wird. Das Anlegerpublikum erfährt in jedem Fall, wie die Population der Anteilseigner über das Vergütungssystem denkt – und auch, ob daraufhin Modifikationen vorgenommen wurden.
VI. Fazit: Asymmetrien zwischen Mittel und Ziel Die Wahl verbandsrechtlicher Mittel zur Verfolgung eines kapitalmarktrechtlichen Ziels hat zu eigentümlichen Asymmetrien innerhalb des VorstAG geführt. Die Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats wird in sämtlichen Aktiengesellschaften verschärft, sowohl was seine Entscheidungsfreiheit insgesamt betrifft als auch soweit es um die Sanktionierung von Pflichtverletzungen bei der Festsetzung der Vergütung in Form persönlicher Haftung geht. Zugleich soll hierin ein Mittel zur Abmilderung fehlerhafter Verhaltensanreize liegen, die nur oder jedenfalls ganz überwiegend in Unternehmen des Finanzsektors beobachtet wurden31. Die Kontrolle über die Erfüllung dieser Pflichten des Aufsichtsrats scheint der Gesetzgeber in die Hände der „Öffentlichkeit“ legen zu wollen, er schränkt freilich den eigenen Ansatz sogleich wieder ein, wenn „insbesondere die Aktionäre“ von verbesserter Transparenz profitieren sollen32. Schwankend zeigt sich die Gesetzesbegründung auch bei der Erweiterung der Offenlegungspflichten in § 285 HGB. Diese soll dem „verständigen Anleger“ zugute kommen33, steht aber wie weiter oben erläutert zur Disposition der Aktionäre34. Rein verbandsrechtlich fällt wiederum die Begründung zur Änderung des § 87 Abs. 1 AktG aus, soweit auf Skandale der 30er Jahre wegen überhöhter Vorstandsvergütung Bezug genommen wird35. Mit der Finanzkrise, und damit mit Anlass und Ziel des Gesetzes, besteht allenfalls ein ganz loser Zusammenhang. Entsprechendes gilt für das Delegationsverbot des § 107 AktG36. Konsequent zeigt sich demgegenüber das AVIVG. Der dort in Kauf genommene Eingriff in Prinzipien der Vertragstreue37 lässt sich nur kapitalmarktrechtlich, also unter Hinweis auf die Systemstabilität, legitimieren.
__________ 31 32 33 34 35 36 37
BT-Drucks. 16/12278, S. 5. BT-Drucks. 16/12278, S. 5. BT-Drucks. 16/12278, S. 9. Siehe oben IV. 2. BT-Drucks. 16/12278, S. 6 ff. BT-Drucks. 16/12278, S. 7. Zum VorstAG krit. z. B. DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2009, 612, 613; Diller, NZG 2009, 1006, 1009; Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1352 f.; Koch, WM 2010, 49; zur Legitimation im Rahmen der Fremdinteressenwahrung Weller, NZG 2010, 7.
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Zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen Organmitglieder* Inhaltsübersicht I. Einleitung
III. Abhilfe
II. Schadensersatz und Corporate Governance
I. Einleitung 1. Uwe H. Schneider ist der Meister aller Rechtsprobleme um die Haftung von GmbH-Geschäftsführern und hat in fünf Auflagen des Scholz die reiche Judikatur zu diesem Thema tief geprägt1. Diese Rechtsprechung verdankt sich der Tatsache, dass im GmbH-Recht die an der Leistung von Schadensersatz interessierten Gesellschafter auch befugt sind, die Klage in Gang zu setzen und das Verfahren zu betreiben, § 46 Nr. 8 GmbHG2. Das gilt im Aktienrecht so nicht. Hier ist nur der Aufsichtsrat gegenüber den Mitgliedern und ehemaligen Mitgliedern des Vorstands zur Klage befugt, § 112 AktG3; und nur der Vorstand kann gegen die Mitglieder und ehemaligen Mitglieder des Aufsichtsrats vorgehen, § 78 AktG4. Das ist schon immer als problematisch angesehen worden: einen Vorstand, der gegen ein aktives Aufsichtsratsmitglied klagt, gibt es nicht. Und auch der Aufsichtsrat ist oft genug dem Vorstand in Loyalität verbunden. Außerdem haben beide Organe kein persönliches Interesse an solchen Verfahren: das eingeklagte Geld kommt nicht ihnen zugute. Im Gegenteil: die Gesellschaft und damit auch sie selbst kommen in eine unangenehme und ärgerliche Publizität. 2. Die Väter des Aktiengesetzes von 1965 haben das Problem offenbar geahnt; denn sie haben in § 147 AktG nicht nur die Hauptversammlung ermächtigt, über die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Organmitglieder verbindlich zu beschließen, sondern auch über die Bestellung von besonderen Vertretern dafür. Darüber hinaus kann, kommt ein solcher Beschluss nicht zustande, eine Aktionärsminderheit von einem Zehntel der Aktien der Gesellschaft oder nominell 1 Mio. Euro Aktien das Registergericht um die Bestellung
__________ * Verf. hat erst lange nach Abgabe seines Manuskripts von der Behandlung des gleichen Themas durch Martin Peltzer in diesem Buch erfahren: ein Indiz für den von beiden Autoren festgestellten Handlungsbedarf! 1 Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 6.–10. Aufl., Kommentierung zu § 43. 2 Dazu Eickhoff, Die Gesellschafterklage im GmbH-Recht, 1988. 3 BGHZ 130, 108, 111; 157, 151, 153; BGH, AG 2005, 239; st. Rspr. 4 Vgl. Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 116 Rz. 45; unstr.
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eines solchen besonderen Vertreters ersuchen. Bedenkt man aber, dass diese Aktien in der Regel ein Vielfaches an Wert haben gegenüber ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Nominalbetrag, so ist eine solche Bestellung eines besonderen Vertreters nahezu irreal5. 3. Zur Klärung des Sachverhalts mindestens ebenso wichtig ist die Sonderprüfung nach §§ 142 ff. AktG. Auch darüber beschließt die Hauptversammlung nach § 142 Abs. 1 AktG mit einfacher Mehrheit. Wird diese Mehrheit nicht erreicht, kann auch hier eine Minderheit mit nur einem Hundertstel des Kapitals oder nominell 100.000 Euro die Bestellung von Sonderprüfern durch das Gericht beantragen, „wenn Tatsachen vorliegen, die den Verdacht rechtfertigen, dass bei dem Vorgang Unredlichkeiten oder grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung vorgekommen sind“. Erfolgreiche Beschlüsse der Hauptversammlung dieser Art sind sehr selten geblieben, erfolgreiche Anträge an das Gericht noch seltener6. Eine gewisse Trendwende könnte hier durch die Absenkung der Schwellenwerte auf die heutige Höhe im UMAG7 eintreten8, vor allem aber durch den spektakulären Beschluss des OLG Düsseldorf vom 9. Dezember 20099 in der Sache Industriekreditbank AG (IKB), der den Leichtsinn von Vorstand und Aufsichtsrat dieser Gesellschaft im Zusammenhang mit Geschäften, die zur Bankenkrise geführt haben, sorgfältig dokumentiert. Der derzeitige Vorstand und der derzeitige Aufsichtsrat dieser Gesellschaft haben sich vehement gegen den Antrag auf Bestellung von Sonderprüfern gewehrt und damit dokumentiert, dass sie gar nicht daran denken, gegen die damaligen Organmitglieder auf Schadensersatz vorzugehen. 4. Darüber hinaus gewährt das Gesetz seit 2005 einer Aktionärs-Minderheit mit 1 % der Aktien der Gesellschaft oder nominell 100.000 Euro in einem zweistufigen Verfahren die Befugnis, für die Gesellschaft Organhaftungsansprüche einzuklagen, § 148 AktG. Abgesehen davon, dass das bei der Allianz noch immer 8 Mio. Euro und bei der Deutschen Bank gut 5 Mio. Euro wären, war der Gesetzgeber bei der Schaffung dieser Vorschrift getrieben von der Sor-
__________ 5 Eine Aktie der Allianz kostete im Oktober 2009 rd. 85 Euro, eine von Bayer rd. 47 Euro und eine der Deutschen Bank rd. 54 Euro: wer bitte, hat so viele Millionen? Im Übrigen: die HypoRealEstate hat keine Minderheitsaktionäre, die Industriekreditbank AG fast keine mehr. Der einzige mir bekannte Fall der Bestellung eines besonderen Vertreters betrifft die HypoVereinsbank AG in München. Diese beruhte auf einem Beschluss der Hauptversammlung, weil der Großaktionär vom Stimmrecht ausgeschlossen war. Vgl. dazu LG München I v. 27.8.2009, ZIP 2009, 2198 Anm. Lutter. 6 Vgl. die Auflistung bei Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., §§ 142–146 AktG Rz. 3 und bei Schröer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 142 Rz. 10 Fn. 9. 7 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts, BGBl. I 2005, S. 2802, in Kraft seit dem 1.11.2005. 8 Dazu Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 142 Rz. 5; Mock in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 142 Rz. 8. 9 OLG Düsseldorf, ZIP 2010, 28.
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ge, die sattsam bekannten räuberischen Aktionäre könnten diese Befugnis missbrauchen. Davon ist tatsächlich bis heute nichts zu merken; von den anderen Aktionären aber in den vergangenen vier Jahren auch nicht10. Das ist kein Wunder. Denn das Gesetz verlangt zum einen, dass gegen das fragliche Organmitglied „Tatsachen vorliegen, die den Verdacht rechtfertigen, dass der Gesellschaft durch Unredlichkeit oder grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung ein Schaden entstanden ist“. Darüber hinaus dürfen „keine überwiegenden Gründe des Gesellschaftswohls“ der Klage entgegenstehen. Das ist – fast schon – der Todesstoß. Denn die Organe der Gesellschaft, die selbst die Durchsetzung der Ansprüche ablehnen, werden mit beredten Zungen vortragen, dass es ganz und gar gegen die Interessen der Gesellschaft wäre, würde die Klage zugelassen werden: ständige negative Publizität, Unruhe im Unternehmen, geringes Vermögen der Beklagten etc. werden ins Feld geführt werden, um den Antrag der Minderheit zu Fall zu bringen11. Mit beiden Tatbestandselementen steht die Aktionärs-Minderheit also vollkommen in Gottes Hand. Denn was das Gericht als „grob“ einerseits und wann es „überwiegende Gründe des Gesellschaftswohls“ andererseits annimmt, ist völlig offen. Die Aktionärs-Minderheit trägt aber beim Scheitern ihres Antrags auf Klagezulassung die Kosten, § 148 Abs. 6 Abs. 1 AktG. Der Streitwert wird vom Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt (§ 3 ZPO, § 53 Abs. 1 GKG), wobei es sich an der geplanten Klagesumme orientieren wird12, die viele, viele Millionen Euro betragen kann. Das Risiko für die Aktionärsminderheit ist also hoch. Ein normaler Aktionär kann und wird es nicht tragen, da es in keinem Verhältnis zu seinem eigenen Nutzen steht. § 148 AktG ist also zugeschnitten auf Fonds und Aktionärsvereinigungen, die ihrerseits sparsam mit ihrem Geld umgehen müssen. § 148 AktG wird also keine Bedeutung gewinnen13 und vor allem die betroffene Gesellschaft nicht antreiben, selbst zu klagen. Denn wenn die Aktionärsminderheit die Klagezulassung erhält und tatsächlich klagt, kann die Gesellschaft entweder selbst klagen – womit die Klage der Minderheit unzulässig wird, § 148 Abs. 3 Satz 1 AktG – oder das Verfahren gar in jedem Stande über-
__________ 10 Ein Schwiegersohn von Herrn Kirch hatte im Jahre 2007 zur Bildung einer Aktionärsgemeinschaft aufgerufen, die gegen Herrn Breuer, den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank klagen sollte. Davon ist seither nichts mehr zu hören. Vgl. aber auch LG München I v. 29.3.2007, AG 2007, 458. 11 Genau so geschehen in der Sache IKB, nachzulesen im Beschluss des OLG Düsseldorf v. 9.12.2009, ZIP 2010, 28. 12 Schröer, ZIP 2005, 2081, 2088. 13 Ebenso Bosch/Lange, JZ 2009, 225, 226 und Hellwig in FS Maier-Reimer, 2010 sowie Peltzer in dieser Festschrift S. 953 ff.; zurückhaltend auch Mock in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 148 Rz. 15 ff.; ganz a. A., aber gewiss übertrieben („scharfes Schwert“) Baums, FAZ v. 29.10.2009, S. 16.
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nehmen – sie geht also keinerlei Risiko ein, wenn sie selbst zunächst nicht klagt, § 148 Abs. 3 Satz 2 AktG14. Das ist hart. Denn haben sich die Aktionäre durch das risikoreiche Vorverfahren gekämpft, verlieren sie so die Klagebefugnis und die Prozessherrschaft. Die Gesellschaft kann die Klage zurücknehmen und sich nach Ablauf von drei Jahren ohne Mitwirkung der klagenden Aktionäre, aber unter Mitwirkung der Hauptversammlung (§ 93 Abs. 4 Satz 3 AktG) über den Anspruch mit den fraglichen Organmitgliedern vergleichen. Das alles ist sehr aus dem vorgeblichen Interesse der Gesellschaft geregelt, so wie dieses Interesse eben der für die Gesellschaft handelnde Vorstand oder Aufsichtsrat sieht15. 5. Kurz: Die Möglichkeit der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen Organmitglieder ist theoretisch gegeben und ist ebenso theoretisch vom Bundesgerichtshof verlangt16, faktisch aber nicht gegeben17. Obwohl AktienBanken im Zusammenhang mit den heute toxisch genannten amerikanischen Wertpapieren Milliarden an Euro verloren haben18, hört man nichts von Organklagen bei der HypoRealEstate (HRE), der Industriekreditbank (IKB), der Westdeutschen Landesbank (WestLB) oder der Commerzbank: missverstandene Loyalität mit Kollegen spielt da gewiss genauso eine Rolle wie die Vorstellung vom Tropfen auf den heißen Stein19 und die Mühen eines langjährigen Prozesses20.
II. Schadensersatz und Corporate Governance Haftung von Organmitgliedern und ihre Durchsetzung ist zunächst einmal eine Frage der Wiedergutmachung von Schäden, die diese Organmitglieder angerichtet haben – gewiss. Aber sehr viel mehr ist sie eine Frage guter Corporate
__________ 14 Näher dazu Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 148 Rz. 36 ff.; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 148 Rz. 13 ff.; Mock in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 148 Rz. 114 ff. 15 Vgl. noch einmal die Argumente des Vorstands der IKB gegen die beantragte Sonderprüfung im Beschluss des OLG Düsseldorf v. 9.12.2009, ZIP 2010, 28. 16 BGHZ 135, 244 – ARAG. 17 Eine lobenswerte Ausnahme macht da der Aufsichtsrat von Siemens mit seiner Inanspruchnahme ehemaliger Vorstandsmitglieder im Zusammenhang mit den enormen Schäden aus der Bestechung potentieller Kunden. 18 Näher Lutter, ZIP 2009, 197 und BB 2009, 786. 19 Der Aufsichtsrat von Siemens macht rd. 12 Mio. Euro von früheren Vorstandsmitgliedern als Schadensersatz geltend bei einem Gesamtschaden von mindestens 2 Milliarden Euro. 20 Diese Abstinenz ist besonders problematisch dort, wo die öffentliche Hand Eigner der Aktien der geschädigten Bank ist, wie etwa bei der HRE (100 %) oder der Commerzbank (25 %); denn sie vergibt damit Gelder, die mittelbar dem Steuerbürger gehören. Unter diesem Gesichtspunkt ist es besonders bitter, dass keine der besonders betroffenen öffentlichen Banken wie die Sächsische Landesbank, die Bayerische Landesbank und die Westdeutsche Landesbank irgendeinen Schritt zur Wiedergutmachung horrender Schäden unternehmen.
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Governance. Denn das Gesetz verlangt in den §§ 93 Abs. 1 Satz 1, 116 AktG von den Organmitgliedern Vorstand und Aufsichtsrat „die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“. Was das genau ist, lässt sich natürlich allgemein umschreiben; und sehr viel Fleiß ist genau darauf schon verwandt worden21. Aber Vorstände und Aufsichtsräte glauben Professoren nichts, ehe nicht der Bundesgerichtshof die Meinung dieser Professoren von der in concreto erforderlichen Sorgfalt bestätigt hat. Eine Verbesserung der allgemeinen Sorgfalt bei der Amtsführung durch Vorstand und Aufsichtsrat und mithin eine Verbesserung der Corporate Governance verlangt also die Entscheidung konkreter Sachverhalte: – Was müssen die Vorstände und ihre direkten Mitarbeiter von der rechtlichen Struktur amerikanischer Wertpapiere wissen, in die investiert werden soll? – Können sich die Vorstände auf ein Triple-A des Ratings durch eine bekannte Agentur verlassen oder müssen sie eigene Recherchen anstellen? Hängt das vom Ausmaß des geplanten Investments ab? – Dürfen Vorstände in beliebiger Höhe in ausländische Papiere investieren oder muss das Risiko auch eines unwahrscheinlichen Ausfalls bedacht werden? – Spielt es eine Rolle, ob das Investment in diese Papiere kurzfristig finanziert werden soll? All das sind Fragen nur im Zusammenhang mit den riesigen Verlusten einiger Banken und der dadurch ausgelösten Wirtschaftskrise. Hier gehen die Meinungen der Vorstände einerseits und der Professoren andererseits über die vom Gesetz geforderte Sorgfalt weit auseinander: nur die Gerichte haben die Autorität, über die Antworten zu befinden. Ihr Spruch hebt im Zweifel den Sorgfalts-Standard und damit zugleich die Corporate Governance der Unternehmensführung in Deutschland. Aber dafür bedarf es entsprechender Verfahren.
III. Abhilfe Wissen wir somit, dass die Fälle und Fragen zur sorgfältigen Unternehmensführung aus den unterschiedlichsten Gründen der gerichtlichen Entscheidung bedürfen und wissen wir weiter, dass es zu diesen Entscheidungen mangels Kläger praktisch nicht kommen wird, dann müssen wir auf Abhilfe sinnen. 1. Der naheliegendste Gedanke wäre es, jedem einzelnen Aktionär zu erlauben, für die Gesellschaft und zur Leistung in ihre Kasse zu klagen. Diese sogenannte Aktionärsklage ist in der Schweiz (Art. 756 OR)22 und den USA23 außerordentlich erfolgreich und hat zu einer Fülle von Entscheidungen der Ge-
__________ 21 Die Kommentierung von Uwe H. Schneider zu § 43 GmbHG im Scholz umfasst 158 Druckseiten und 448 Randnummern, die von Klaus Hopt im Großkommentar AktG, 4. Aufl., zu § 93 AktG kommt auf 269 Druckseiten (mit Nachtrag 305 Druckseiten) und 527 Randnummern (mit Nachtrag 601 Randnummern). 22 Böckli, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. 2009, § 8 Rz. 1 ff., 225 ff. mit allen Nachw. 23 Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2006, Rz. 1031 ff.
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richte geführt. Anders als bei uns ist auf diese Weise in der Schweiz vielfach über die Aspekte der Sorgfalt von Mitgliedern des Verwaltungsrats einer AG judiziert worden24. 2. Diese Aktionärsklage ist in Deutschland stets abgelehnt worden, zuletzt auf dem Leipziger Juristentag im Jahre 200025, der sich stattdessen für das oben dargestellte Minderheitenrecht nach § 148 AktG ausgesprochen hat. Der Gesetzgeber ist ihm darin im UMAG von 2005 mit eben diesem § 148 AktG gefolgt26. Bei dieser Sachlage wäre jeder Vorstoß in diese Richtung völlig aussichtslos. 3. Hält man sich vor Augen, dass es um hohe Ansprüche von Aktiengesellschaften geht, die nach dem aktuellen Organsystem einfach verfallen27, so ist zu fragen, ob der Gesetzgeber in anderer Weise als durch Zulassung der Aktionärsklage eingreifen muss. Hier wird man unterscheiden müssen: a) Es gibt derzeit etwa 15.000 Aktiengesellschaften, von diesen sind aber nur rund 800 an der Börse notiert. Die somit gut 14.000 „privaten“ Aktiengesellschaften sind Tochtergesellschaften großer Unternehmen, Familiengesellschaften, mittelständische Unternehmen etc. Um die Tochtergesellschaften braucht man sich nicht weiter zu kümmern; sie sind in den Konzern integriert und Fragen zur Haftung ihrer Organe sind Fragen der Geschäftsführung ihrer Obergesellschaft. Die anderen aber haben in aller Regel eine sehr personale Struktur, in der die angesprochenen Probleme eben auch persönlich gelöst werden können: Es handelt sich um Gesellschafter, nicht um Anleger. Ein Eingriff von außen wäre hier verfehlt. b) Ganz anders ist die Lage bei den börsennotierten Aktiengesellschaften. Sieht man von den Großaktionären in diesen Gesellschaften einmal ab, dann sind die anderen Aktionäre in erster Linie Kapitalanleger und weniger Gesellschafter. Und als solche werden sie von der Rechtsordnung weit über die Regeln des Aktiengesetzes hinaus durchaus zu Recht geschützt28: sie sind die volkswirtschaftlich wichtigen Lieferanten von Kapital, das vor willkürlichen Eingriffen der Unternehmen und ihrer Leitungen bewahrt werden muss. Der Verzicht auf Ersatzansprüche aber greift unmittelbar in das Vermögen dieser Anleger ein. Das gilt zwar nicht minder für alle anderen unternehmerischen Entscheidungen des Managements, die sich als nachteilig erweisen. Dennoch ist dieser Verzicht von anderer Qualität; das wird schon daraus deutlich, dass das Gesetz
__________ 24 Vgl. nur Forstmoser/Sprecher/Töndury, Persönliche Haftung nach Schweizer Aktienrecht, 2005. 25 Verhandlungen des 63. Deutschen Juristentages, Leipzig 2000, Bd. II S. O 79 ff. (Beschlüsse), O 65 ff. (Referat Marsch-Barner). 26 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts v. 22.9.2005, BGBl. I 2005, S. 2802. 27 Die Haftungs-Ansprüche gegen Vorstände und Aufsichtsräte verjähren in nur fünf Jahren, § 93 Abs. 6 AktG. Über eine Verlängerung der Verjährungsfrist auf 10 Jahre wird in Berlin beraten; vgl. dazu Redeke, Zur Verlängerung der Verjährungsfristen für Organhaftungsansprüche, BB 2010, 910 ff. 28 WpHG und WpÜG sind dafür die wichtigsten Beispiele.
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den förmlichen Verzicht auf solche Ersatzansprüche in den ersten drei Jahren ihrer Existenz schlicht verbietet und danach einen Hauptversammlungs-Beschluss dafür verlangt, § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG. Der mittelbare Verzicht durch schlichtes Nichtstun bekommt da eine andere und besonders negative Qualität. Der Gesetzgeber ist mithin zum Schutz des Anlegers und zur Vermeidung des von ihm selber missbilligten Quasi-Verzichts auf Ansprüche aus §§ 93 Abs. 1, 116 AktG gehalten, die Durchsetzung dieser Ansprüche zu gewährleisten. 4. Wenn die Möglichkeit der Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 147 AktG und die Aktionärs-Minderheiten-Klage nach § 148 AktG das Problem nicht lösen können und mithin hohe Ansprüche börsennotierter Gesellschaften Gefahr laufen, verloren zu gehen, ist der Gesetzgeber erneut gefordert. Fraglich ist nur, welchen Rat man ihm geben kann. Die bisherige Behandlung des Problems führte zu Gesellschafts-internen Ansätzen: zunächst sind Vorstand und Aufsichtsrat zuständig, dann kann die Hauptversammlung nach § 147 AktG eingreifen, die Durchsetzung fordern und besondere Vertreter bestellen; und schließlich können die Aktionäre als Minderheit nach § 148 AktG tätig werden. Damit sind – verzichtet man traditionsgemäß weiterhin auf die Aktionärsklage – die Gesellschafts-internen Möglichkeiten erschöpft29 und es kommt nur noch eine Gesellschafts-externe Klagezulassung, kurz: die Klage eines außenstehenden Dritten, in Betracht. Drei Ansätze sind denkbar: a) Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erhält ein Klagerecht für Ansprüche börsennotierter Aktiengesellschaften aus §§ 93, 116 AktG. Diese Anstalt ist sowieso für börsennotierte Gesellschaften zuständig, kennt diese und ist mit deren Bilanzen und geschäftlichen Problemen vertraut. Man könnte ihr für Organ-Haftungsansprüche der Gesellschaft eine Klagezuständigkeit unter den Voraussetzungen des § 148 Abs. 1 Ziff. 3 und 4 AktG einräumen, allerdings nicht im zweistufigen Verfahren, das hier überflüssig wäre. Die Klagebefugnis wäre gleichzeitig Pflicht zur Klage unter den genannten Voraussetzungen von § 148 Abs. 1 Ziff. 3 und 4 AktG30. Eine solche Lösung zu gestalten wäre nicht schwierig31. Man sollte es aber doch nicht tun. Denn hier würde sich eine Behörde in die internen Verhältnisse einer privaten Gesellschaft aktiv einmischen. Zwar zeigt die Gesellschaft durch ihr Nichtstun, dass sie ihre eigenen Probleme nicht lösen kann oder will. Dafür dann aber eine Behörde einzusetzen, würde die Gesellschaft in die Rolle eines Mündels zwingen.
__________
29 RA Dr. Julian Redeke hat in einer Diskussion zur Debatte gestellt, ob und ggf. wie eingehend der Aufsichtsrat über seine Beratungen zur Frage einer etwaigen Haftungsklage gegen (ehemalige) Vorstandsmitglieder nach § 171 Abs. 2 AktG der Hauptversammlung berichten müsse. Diese Berichtspflicht ist tatsächlich anzunehmen. Denn der Aufsichtsrat hat über seine Prüfung (Aufsicht) zu berichten. Und dazu gehört es, über etwaige Pflichtverletzungen von Vorstandsmitgliedern und deren Folgen zu informieren und weshalb man von einer Haftungsklage abgesehen hat; vgl. dazu Lutter, AG 2008, 1, 8; E. Vetter, ZIP 2006, 257, 260; OLG Stuttgart, NZG 2006, 472, 475. 30 Allerdings müsste bei dieser Gelegenheit das „grob“ in der Ziff. 3 gestrichen werden. 31 So Hellwig in FS Maier-Reimer, 2010.
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b) In Betracht käme für diese Rolle auch die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung in Berlin (DPR). Sie ist ein privater Verein, kennt die Börsengesellschaften kraft ihrer Prüfpflicht genau und könnte sehr kompetent über eine solche Klage entscheiden32. c) Und schließlich könnte man an einen Ombudsmann oder eine Ombudsfrau denken. Um völlig unabhängig zu sein, müsste er/sie von den börsennotierten Unternehmen durch Wahl bestellt und von diesen durch Umlage – ähnlich wie bei der Berliner Prüfstelle – finanziert werden. Die Wahl unter den verbliebenen Lösungen b) und c) ist nicht leicht zu treffen. Die Betrauung der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung hätte den Vorzug, dass man an eine bestehende und unabhängige, sachverständige Organisation anknüpfen könnte, die sich ständig mit Rechtsfragen zu beschäftigen hat. Dieser Vorzug gilt auch für ihre Finanzierung, für die die Umlage unter den Börsengesellschaften nur unwesentlich erhöht werden müsste. Demgegenüber wäre die Einführung eines Ombudsmanns/-frau wesentlich persönlicher, technisch aber mit Wahl der Person und deren Finanzierung auch wesentlich aufwendiger. Da man Uwe H. Schneider leider über diese Frage kein Entscheidungsrecht einräumen kann, muss das durch die Politik geschehen.
__________ 32 Ebenso Peltzer, Finanzplatz (DAI), Mai 2009, S. 10 ff., der das Fehlen einer „wirtschaftspolizeilichen Instanz“ beklagt; ders. in dieser Festschrift, S. 953ff.
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Gedanken zum Public Corporate Governance Kodex Inhaltsübersicht I. Einführung II. Rechtsgrundlagen III. Anwendungsbereich des PCGK IV. Umsetzung des Public Kodex V. Regelungstechnik des Public Kodex VI. Regelungsbereiche des Public Kodex 1. Anteilseigner und Anteilseignerversammlung
2. Zusammenwirken von Geschäftsleitung und Überwachungsorgan 3. Geschäftsleitung 4. Überwachungsorgan 5. Transparenz 6. Rechnungslegung und Abschlussprüfung VII. Schlussbemerkung
I. Einführung Am 1. Juli 2009 hat die Bundesregierung Grundsätze guter Unternehmens- und Beteiligungsführung für den Bereich des Bundes beschlossen. Kernstück dieser Grundsätze ist ihr Teil A mit dem Public Corporate Governance Kodex, der die gute und verantwortungsvolle Unternehmensführung bei öffentlichen Unternehmen sicherstellen soll. Dieser Kodex wird ergänzt durch Hinweise für eine gute Beteiligungsführung (Teil B) sowie Richtlinien für die Berufung einzelner Personen in die Organe der Bundesunternehmen (Teil C). Während die Abschnitte B und C eine Aktualisierung früherer Verwaltungsrichtlinien1 darstellen, ist der Public Corporate Governance Kodex neu. Er formuliert erstmals Grundsätze zur Leitung und Überwachung von Unternehmen, an denen der Bund beteiligt ist. Bei den Ländern und Kommunen gibt es schon seit längerem ähnliche Regelwerke für Unternehmen, an denen die jeweilige Gebietskörperschaft beteiligt ist2. Der jetzige Public Corporate Governance Kodex des Bundes enthält dazu eine wichtige bundesweite Ergänzung, die zugleich den Anspruch erhebt, ein allgemeines Vorbild für Corporate Governance-Grundsätze von öffentlichen Unternehmen in Deutschland zu sein3. Fragen der Corporate Governance von öffentlichen Unternehmen, d. h. von Unternehmen, an denen die öffentliche Hand maßgebend beteiligt ist, werden bislang nur vereinzelt diskutiert4. Größere Aufmerksamkeit hat dieses Thema
__________ 1 2 3 4
Hinweise für die Verwaltung von Bundesbeteiligungen v. 24.9.2001, GMBl. 2001, 950. Vgl. die zahlreichen unter www.publicgovernance.de veröffentlichten Beispiele. S. Presseerklärung der Bundesregierung v. 1.7.2009 unter www.bmj.de. Vgl. insbesondere Schwintowski, NVwZ 2001, 607; Preußner, LKV 2003, 210; Budäus/ Hilgers in Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, S. 883; Ellerich/Schulte/Radde, ZCG 5/09, 201; Caruso, NZG 2009, 1419; Schürnbrand, ZIP 2010, 1105.
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erst im Zusammenhang mit der Verabschiedung der OECD-Grundsätze der Corporate Governance für Staatsunternehmen im Jahre 2005 erlangt5. Im Anschluss an diese – sehr allgemein gehaltenen6 – Grundsätze wurde auch hierzulande die Forderung nach einem speziellen Kodex für Staatsunternehmen laut. Einer dieser Befürworter ist der Jubilar7. Zu seinen Ehren soll deshalb im Folgenden den Besonderheiten des Public Corporate Governance Kodex (PCGK, Public Kodex) nachgegangen werden.
II. Rechtsgrundlagen Vorbild des Public Kodex ist erklärtermaßen der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK), der sich in erster Linie an börsennotierte Gesellschaften wendet8. Dieser Kodex wurde 2002 von der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex erlassen. Er wird seitdem von derselben Kommission alljährlich überprüft und bei Bedarf an neue Entwicklungen angepasst9. Die Mitglieder der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex werden zwar von der Bundesregierung bestellt. Die Kommission ist aber kein Rechtsetzungsorgan und der DCGK deshalb auch keine staatliche Rechtsquelle10. Um die vom DCGK angesprochenen Unternehmen zu verpflichten, sich alljährlich zur Befolgung der Empfehlungen des Kodex zu erklären, bedurfte es der gesetzlichen Regelung in § 161 AktG. Dabei werden die Empfehlungen des Kodex nicht schon mit ihrer Verabschiedung durch die Kommission wirksam, sondern erst dann, wenn sie vom BMJ im elektronischen Bundesanzeiger bekannt gemacht worden sind. Diese Art der Regelung unter staatlicher Mitwirkung hat zu einer Diskussion über die Frage geführt, ob der DCGK dem privaten oder dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist und ob nicht die Empfehlungen des DCGK selbst einer gesetzlichen Grundlage bedürfen11. Für den Publix Kodex spielen diese Überlegungen keine Rolle. Er wurde von der Bundesregierung als interne Verwaltungsanweisung erlassen und gehört damit unzweifelhaft zum öffentlichen Recht. Die regelmäßige Überprüfung des Public Kodex in der Zukunft und seine eventuelle Anpassung an neue Entwicklungen sind dem Bundesministerium der Finanzen zugewiesen, das als Etat- und Vermögensministerium die allgemeinen Aufgaben der Beteiligungsverwaltung für den Bund wahrnimmt. Einer gesetzlichen Ermächtigung bedurfte es dazu nicht. Die Aufstellung von Empfehlungen für eine verantwor-
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www.oecd.org/dataoecd/46/51/34803211.pdf. S. dazu etwa Schürnbrand, ZIP 2010, 1105, 1107. Uwe H. Schneider, AG 2005, 493 ff. Nicht börsennotierten Gesellschaften wird die Anwendung empfohlen, vgl. Ziff. 1 Präambel des DCGK a. E. 9 Vgl. Ziff. 1. Präambel des DCGK a. E. sowie die jüngsten Änderungen des Kodex v. 27.5.2010, veröffentlicht unter www.corporate-governance-code.de. 10 Vgl. BGH, NZG 2009, 342, 346; OLG München, ZIP 2009, 133, 134; LG München I, NZG 2008, 150, 151; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 161 Rz. 3; Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 158 ff. 11 S. dazu zuletzt Hoffmann-Becking in FS Hüffer, 2010, S. 337, 339 f.
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Gedanken zum Public Corporate Governance Kodex
tungsvolle Unternehmensführung und -überwachung bewegen sich im Rahmen der Aufgaben, die der Bundesregierung aufgrund der jeweiligen gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen des Bundes obliegen12.
III. Anwendungsbereich des PCGK Entsprechend der Zuständigkeit der Bundesregierung gilt der Public Kodex nicht für alle öffentlichen Unternehmen, sondern nur für Beteiligungsunternehmen des Bundes. Für die Beteiligungen der Länder und Kommunen sind die für diese bestehenden Gesetze und Verwaltungsgrundsätze zu beachten13. Von den Beteiligungen des Bundes sind zudem die Beteiligungen an börsennotierten Unternehmen ausgenommen. Für diese gelten allein die Empfehlungen und Anregungen des DCGK14. Zusätzliche Anforderungen des Public Kodex bestehen insoweit nicht. Allerdings gelten für die börsennotierten Beteiligungsunternehmen gesetzliche Sonderregelungen, die im DCGK nicht berücksichtigt sind. Dies betrifft z. B. die Berichtspflichten der Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat und deren Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht gemäß §§ 394, 395 AktG. Von den Beteiligungen des Bundes werden im Public Kodex außerdem nur die Unternehmen erfasst, an denen der Bund mehrheitlich beteiligt ist, wie z. B. die Deutsche Bahn AG. Unternehmen, an denen der Bund nur mit Minderheit beteiligt ist, wird die Anwendung des Public Kodex lediglich empfohlen. Das Gleiche gilt für Unternehmen in der Rechtsform der juristischen Person des öffentlichen Rechts, soweit nicht die jeweiligen Sonderbestimmungen vorgehen15. Von diesen Besonderheiten abgesehen gelten die Grundsätze des Public Kodex für alle Beteiligungsunternehmen, unabhängig von ihrer Rechtsform. Erfasst sind damit nicht nur Aktiengesellschaften, sondern auch GmbH sowie – über die Anwendungsempfehlung – auch Anstalten und Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dieser weite Anwendungsbereich auf Unternehmen mit unterschiedlicher Binnenstruktur und unterschiedlichem gesetzlichen Rahmen macht eine der wesentlichen Besonderheiten des Public Kodex aus. Im Unterschied zum DCGK, der allein auf Aktiengesellschaften16 zugeschnitten ist, umfasst der Public Kodex verschiedene Kapitalgesellschaften mit unter Umständen sehr unterschiedlicher Führungsstruktur. Die Empfehlungen und Anregungen sind demzufolge häufig recht allgemein gehalten und werden in den Anmerkungen durch Hinweise zur Ausgestaltung der internen Regelungen ergänzt.
__________ 12 Schürnbrand, ZIP 2010, 1105, 1107 f. 13 S. z. B. das Berliner Betriebe-Gesetz (BerlBG) v. 14.7.2006, GVBl. S. 827, und dazu Preussner, NZG 2006, 896 ff., sowie die Richtlinie guter Unternehmensführung der Stadt Frankfurt/M. v. 25.3.2010. 14 § 161 AktG und Ziff. 1.3 des PCGK. 15 Ziff. 1.3 PCGK. 16 Die SE wird nur in der Präambel kurz erwähnt; auf die KGaA geht der DCGK überhaupt nicht ein, obwohl allein im DAX drei KGaA vertreten sind (Merck KGaA, Henkel AG & Co KGaA, Fresenius Medical Care AG & Co KGaA).
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Anders als im DCGK umfasst der im Public Kodex verwendete Begriff des Unternehmens nicht auch die zum Konzern gehörenden Unternehmen17. In der Präambel heißt es stattdessen, dass sich der Public Kodex im Falle eines konzernleitenden Unternehmens auch an die Führung des Konzerns richte. Die Grundsätze des Kodex sollen damit auch bei allen Leitungsmaßnahmen gelten; die Konzernunternehmen selbst werden aber nicht in den Kodex einbezogen. Der Public Kodex ist damit von vornherein nicht konzerndimensional angelegt. Diese Zurückhaltung wird bei einzelnen Empfehlungen und Anregungen nur geringfügig modifiziert18. Auch die Rolle des Bundes als Unternehmen, insbesondere als herrschendes Unternehmen bei einer Mehrheitsbeteiligung, wird im Public Kodex nicht thematisiert. Nur im Teil C der eingangs erwähnten Grundsätze finden sich dazu einige kurze Hinweise19.
IV. Umsetzung des Public Kodex Von besonderem Interesse ist die Umsetzung des Public Kodex in den Unternehmen, die in seinen Anwendungsbereich fallen. Während der DCGK in Verbindung mit § 161 AktG die börsennotierten Gesellschaften unmittelbar anspricht, wendet sich der Public Kodex an die von ihm erfassten Unternehmen nur mittelbar. Diese werden nicht selbst auf den Kodex verpflichtet. Stattdessen hat das für die Führung der Beteiligung zuständige Bundesministerium die Beachtung des Kodex und seine Verankerung in dem Regelwerk der Unternehmen in der Rechtsform einer juristischen Person des Privatrechts sicherzustellen (Ziff. 1.4 Public Kodex). Dieses Vorgehen trägt dem Umstand Rechnung, dass auch für die Führung der Unternehmen mit Bundesbeteiligung allgemeines Gesellschaftsrecht gilt. Die vom Bund als dem alleinigen oder Mehrheitsgesellschafter gewünschte Ausrichtung auf den Public Kodex kann nicht etwa durch Verwaltungsakt angeordnet werden, sondern muss mit den Mitteln des Gesellschaftsrechts in das Unternehmen integriert werden. Es gibt insofern keine Überlagerung des Gesellschaftsrechts durch das Verwaltungsrecht, wie es früher einmal für die öffentlichen Unternehmen postuliert wurde20. Zum internen Regelwerk der Unternehmen in der Rechtsform der GmbH und AG gehören vor allem die Satzung sowie die Geschäftsordnungen für die Geschäftsleitung und das Aufsichtsorgan. Die Geschäftsordnung der Geschäftsleitung wird meist von dieser selbst, eventuell mit Genehmigung des Aufsichtsorgans erlassen21. Die Geschäftsordnung des Aufsichtsrates wird von diesem
__________ 17 Vgl. Ziff. 1 Präambel, drittletzter Absatz DCGK und Ziff. 1.3, vorletzter Absatz PCGK. 18 Vgl. Ziff. 4.1.2 PCGK (Compliance auch bei Konzernunternehmen), Anm. zu Ziff. 5.1.1 (effektive Wahrnehmung der Beteiligungsrechten) und Rn. 59 der Hinweise für eine gute Beteiligungsführung (Zustimmungskatalog in der Untergesellschaft). 19 Abschn. 2.3. (Rn. 38 bis 40) der Hinweise für gute Beteiligungsführung bei Bundesunternehmen. 20 Vgl. z. B. Stober, NJW 1984, 449, 455; Ossenbühl, ZGR 1996, 504, 512 ff.; dazu ausführlich Kropff in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2006, Vor § 394 Rz. 21 ff. 21 Vgl. Ziff. 4.2.2 PCGK sowie § 77 Abs. 2 AktG.
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beschlossen, soweit nicht die Satzung Regelungen vorsieht22. Eine Verpflichtung auf den Public Kodex in diesen Geschäftsordnungen könnte danach nur bei mehrheitlicher Besetzung dieser Organe durch Vertreter des Bundes „sichergestellt“ werden. Näher liegt es deshalb, die Leitungs- und Aufsichtsorgane in der Satzung auf den Public Kodex zu verpflichten23. Gegen eine entsprechende Satzungsbestimmung ergeben sich auch bei der Aktiengesellschaft trotz der Leitungsautonomie des Vorstandes gemäß § 76 AktG keine Bedenken, zumal der Public Kodex im Wesentlichen nur Verfahrensregeln enthält und keine unternehmerischen Entscheidungen vorwegnimmt24. Neben der Möglichkeit einer solchen Verankerung in der Satzung kommt auch eine freiwillige Selbstverpflichtung der Organe in Betracht. Eine unzulässige Selbstbindung liegt darin ebenfalls nicht. Inhaltlich bezieht sich die Verankerung des Kodex im Regelwerk der Unternehmen gemäß Ziff. 1.4 Public Kodex auf die Verpflichtung zur Abgabe der jährlichen Entsprechenserklärung durch die Geschäftsleitung und das Überwachungsorgan, die Begründung etwaiger Abweichungen von den Empfehlungen des Public Kodex sowie die dauerhafte Bekanntmachung der Erklärung auf der Internetseite der Gesellschaft oder im elektronischen Bundesanzeiger und ihre Veröffentlichung im Corporate Governance Bericht. Über diese Verankerung hinaus können die Unternehmen des Bundes auch einzelne Empfehlungen des Public Kodex in ihre internen Regeln, insbesondere in die Geschäftsordnungen für die Geschäftsleitung und das Aufsichtsorgan, übernehmen. Dies entspricht jedenfalls einer weit verbreiteten Praxis bei der Umsetzung des DCGK in den börsennotierten Gesellschaften. Werden nach diesem Vorbild z. B. bei einer GmbH die Berichtspflichten der Geschäftsleitung gegenüber dem Aufsichtsorgan entsprechend § 90 AktG in die Geschäftsordnung für die Geschäftsleitung übernommen, wird die zunächst unverbindliche Empfehlung in der Ziff. 3.1.3 des Public Kodex zu einer persönlichen Verpflichtung der Geschäftsführer verstärkt. Ein Verstoß gegen diese Berichtspflicht stellt dann eine Pflichtverletzung gemäß § 43 GmbHG dar25. Manche der dem DCGK unterliegenden Unternehmen haben zusätzlich einen Corporate Governance Beauftragten bestellt, dessen Aufgabe vor allem darin besteht, die Befolgung der Kodex-Empfehlungen laufend zu beobachten und auf diese Weise sicherzustellen, dass die Entsprechenserklärung nicht nur zu den jeweiligen Abgabeterminen, sondern auch in der Zeit dazwischen inhaltlich zutreffend ist. Eine solche laufende Kontrolle ist bei den börsennotierten Gesellschaften vor allem deshalb angebracht, weil eine fehlerhafte Entsprechenserklärung einen Anfechtungsgrund jedenfalls für die Entlastungsbe-
__________ 22 Vgl. Ziff. 5.1.3 PCGK und §§ 107 ff. AktG. 23 Ellerich/Schulte/Radde, ZCG 5/09, 201, 203; s. auch z. B. § 24 der Satzung der Deutschen Bahn AG. 24 Vgl. Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, Vorb. § 76 Rz. 10 ff.; zur möglichen Festlegung von Grundprinzipien der Unternehmensführung in der Satzung auch Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 76 Rz. 35. 25 Vgl. Marsch-Barner in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 2 Rz. 59.
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schlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat darstellen kann26. Dies soll nach der Rechtsprechung zwar nur gelten, wenn die Unrichtigkeit der Erklärung einen „nicht unwesentlichen Punkt“ betrifft27. Wann ein solcher Fall vorliegt, ist aber unklar. Die Anfechtbarkeit ist zudem auch dann gegeben, wenn die Entsprechenserklärung zwar ursprünglich richtig war, die ihr zugrunde liegende Praxis sich aber geändert hat und die Erklärung daraufhin nicht umgehend angepasst wurde28. Bei der inzwischen erreichten Vielzahl der Kodex-Empfehlungen besteht ein durchaus ernst zu nehmendes Risiko, dass die Entsprechenserklärung nicht immer der tatsächlichen Praxis entspricht. Diese Grundsätze lassen sich auf die Beachtung der Empfehlungen des Public Kodex allerdings nur eingeschränkt übertragen. Mangels einer gesetzlichen Verpflichtung der Bundesunternehmen auf den Public Kodex stellt eine unrichtige oder unvollständige Entsprechenserklärung keine Gesetzesverletzung dar. Ist die Verpflichtung zur jährlichen Abgabe der Entsprechenserklärung in der Satzung verankert, liegt allerdings ein Verstoß gegen die Satzung vor. Wie beim DCGK ist dabei davon auszugehen, dass die Entsprechenserklärung auch dann satzungswidrig ist, wenn sie zwar abgegeben wurde, inhaltlich aber unrichtig ist, weil die Verpflichtung nach der Satzung die Abgabe einer jederzeit zutreffenden Erklärung meint. Ob und wie ein solcher Verstoß bei einem Bundesunternehmen erkannt und gerügt wird, ist unklar; der Public Kodex äußert sich dazu nicht näher. Zwar mag das für die Führung der Beteiligung zuständige Ministerium auch darauf achten, dass die jährliche Entsprechenserklärung zu dem Public Kodex nicht nur regelmäßig abgegeben wird, sondern auch vollständig und richtig ist. Eine mit dem Anfechtungsrisiko bei den Publikumsgesellschaften vergleichbare Kontrolle wird dies aber kaum sein.
V. Regelungstechnik des Public Kodex Der Public Kodex folgt in vielerlei Hinsicht dem Vorbild des DCGK. Dies gilt insbesondere für die Regelungstechnik. Wie der DCGK enthält der Public Kodex drei verschiedene Regelungsarten. So werden wesentliche Aspekte des geltenden Rechts in beschreibenden Klauseln wiedergegeben. Dafür sind feststellende Formulierungen wie „wird“ oder „sind“ charakteristisch. Diese Wiedergaben dienen vor allem der Information der angesprochenen Unternehmen und aller sonst Interessierten. Sodann enthält der Public Kodex Empfehlungen in Bezug auf bestimmte Aspekte der Leitung und Überwachung der Beteiligungsunternehmen. Diese Empfehlungen sind durch die Verwendung der Worte „soll“ und „sollen“ gekennzeichnet. Sie sollen die Organe der Unternehmen
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26 Vgl. BGH, NZG 2009, 342, 345 Kirch/Deutsche Bank und BGH, NZG 2009, 1270, 1272 Umschreibungsstopp; zur Anfechtbarkeit einer Aufsichtsratswahl wegen einer entgegen dem DCGK nicht offengelegten Interessenkollision LG Hannover, NZG 2010, 744, 747 f. 27 BGH, NZG 2009, 1270, 3. Leitsatz und dazu Goette, GWR 2010, 459, 461. 28 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 161 Rz. 20; Lutter in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2006, § 161 Rz. 53, 56; Marsch-Barner in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 2 Rz. 68.
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zu einem bestimmten Verhalten veranlassen. Als dritte Kategorie enthält der Public Kodex schließlich mit den Ausdrücken „sollte“ und „kann“ Anregungen. Dabei handelt es sich ebenfalls um Vorschläge zu einem bestimmten Verhalten, im Unterschied zu den Empfehlungen erfordern diese aber seitens der Unternehmen keine ausdrückliche Reaktion. Wie beim DCGK müssen die betroffenen Unternehmen jährlich erklären, dass sie die Empfehlungen des Public Kodex befolgt haben und befolgen werden bzw. von welchen Empfehlungen sie abgewichen sind und künftig werden. Diese Erklärungspflicht mit einem Bezug zur Vergangenheit wie zur Zukunft bezieht sich nur auf die Empfehlungen und nicht auch die Anregungen des Kodex. Abweichungen von den Empfehlungen sind außerdem entsprechend dem Grundsatz „comply or explain“ zu begründen. Die Begründung soll dabei „nachvollziehbar“ sein. Damit ist die Pflicht zur Begründung von Abweichungen, wie sie für die Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz29 festgelegt wurde, auch in den Public Kodex übernommen worden. Die inhaltlichen Anforderungen an die Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG gelten damit auch für die Beteiligungsunternehmen des Bundes. Im Unterschied zum DCGK in Verbindung mit § 161 AktG begründen die Empfehlungen des Public Kodex allerdings, worauf bereits im Zusammenhang mit der Umsetzung hingewiesen wurde, keine unmittelbare Pflicht zur Stellungnahme durch die Organe der von Kodex erfassten Unternehmen. Der Public Kodex wendet sich insoweit vielmehr an die für die Führung der jeweiligen Bundesbeteiligungen zuständigen Ministerien30. Deren Aufgabe ist es dafür zu sorgen, dass die Geschäftsleitungen und Überwachungsorgane der Beteiligungsunternehmen alljährlich die vorgesehene Entsprechenserklärung abgeben und auf der Internetseite des Unternehmens oder im elektronischen Bundesanzeiger dauerhaft bekannt machen. Der Public Kodex erweist sich damit als eine interne Verwaltungsanweisung, die erst noch in jedem Einzelfall in Beschlüsse der jeweiligen Organe umgesetzt werden muss, während der DCGK Verhaltensregeln aufstellt, welche die erfassten Unternehmen über § 161 AktG unmittelbar verpflichten. Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen den Anspruch des DCGK auf Rechtsgeltung seiner Empfehlungen ohne staatliche Rechtssetzung erhoben werden31, gelten daher für den Public Kodex von vornherein nicht. Anders als der DCGK enthält der Public Kodex zu den meisten Regelungen Anmerkungen, die häufig ausführlicher sind als die Regelungen selbst. In diesen Anmerkungen wird vor allem auf den gesellschaftsrechtlichen Zusammenhang der jeweiligen Regelung näher eingegangen. Die Anmerkungen sind nicht Bestandteil des Public Kodex; sie sollen den Inhalt bestimmter Empfehlungen und Anregungen nur verdeutlichen. Tatsächlich enthalten die Anmer-
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29 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts v. 25.5.2009, BGBl. I 2009, S. 1102. 30 Vgl. Ziff. 1.4 a. E. PCGK. 31 S. dazu näher Hoffmann-Becking in FS Hüffer, 2010, S. 337, 341 f.; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 161 Rz. 4.
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kungen häufig aber selbst wieder Gestaltungsempfehlungen. Manche dieser Empfehlungen könnten auch im Kodex stehen, sind in diesen aber offenbar nur deshalb nicht aufgenommen worden, um den äußeren Gleichlauf mit dem DCGK zu wahren. Auch die Hinweise für eine gute Beteiligungsführung im Teil C der Grundsätze guter Beteiligungsführung im Bereich des Bundes enthalten Erläuterungen und Ergänzungen zu den Bestimmungen des Kodex. Der Public Kodex kann damit – anders als der DCGK – nicht allein aus sich selbst heraus, sondern nur zusammen mit den Anmerkungen und den anderen Teilen der „Grundsätze“ gewürdigt werden. Auch die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex hatte zu Beginn ihrer Tätigkeit erwogen, einzelne Regelungen durch Anmerkungen näher zu erläutern. Diese Absicht wurde dann jedoch zugunsten einer Kommentierung des Kodex aufgegeben32. Mit diesem Konzept kann besser und breiter auf die aktien- und kapitalmarktrechtlichen Zusammenhänge eingegangen werden.
VI. Regelungsbereiche des Public Kodex 1. Anteilseigner und Anteilseignerversammlung Der zweite Abschnitt des Public Kodex (Ziff. 2.1 bis 2.3) befasst sich mit der Versammlung der Anteilseigner und der Rolle des Bundes als Anteilseigner. Im Vergleich zu den entsprechenden Regelungen des DCGK (Ziff. 2.1.1 bis 2.3.4) sind die Bestimmungen im Public Kodex deutlich kürzer. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da sich der Public Kodex nicht mit den organisatorischen Fragen der Hauptversammlung von Publikumsgesellschaften befassen muss, sondern sich auf die Haupt- bzw. Gesellschafterversammlungen geschlossener Gesellschaften bezieht. Empfehlungen zur Dauer der Hauptversammlung und zur Unterstützung der Aktionäre bei der Ausübung ihrer Rechte fehlen demgemäß. Stattdessen wird – vor allem mit Blick auf die GmbH – empfohlen, die in der Tagesordnung zu behandelnden Punkte möglichst genau zu bezeichnen und damit den Anteilsinhabern ausreichend Gelegenheit zu geben, sich auf die Erörterungen und die Abstimmungen in der Versammlung vorbereiten zu können (Ziff. 2.3 Public Kodex). Dies ist für den Bund nicht zuletzt im Hinblick auf die interne Vorabstimmung zu den jeweils vorgesehenen Beschlussfassungen wichtig. Bemerkenswert ist die zusätzliche Empfehlung in der Anmerkung zur Ziff. 2.3, neben den Beschlüssen auch den wesentlichen Verlauf der Versammlung zu protokollieren. Die für die Hauptversammlung der börsennotierten AG vorgeschriebene Niederschrift ist dagegen nur ein Ergebnisprotokoll33. Von einer freiwilligen Protokollierung des gesamten Verlaufs wird bei einer Publikums-
__________ 32 Vgl. die Kommentierung von Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 4. Aufl. 2010. 33 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 130 Rz. 11.
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Hauptversammlung auch abgeraten34. An der Protokollierung des wesentlichen Verlaufs der Haupt- oder Gesellschafterversammlung ist bei den Bundesunternehmen vor allem die Beteiligungsverwaltung interessiert. Sie kann dann die gefassten Beschlüsse später anhand der dazu eventuell geführten Diskussion besser nachvollziehen. So sind z. B. auch abweichende Ansichten und Stimmabgaben der Bundesvertreter in die Niederschrift aufzunehmen35. Ein Verlaufsprotokoll kann ferner dann von Interesse sein, wenn bei einer GmbH ausnahmsweise kein Aufsichtsrat besteht. In einem solchen Fall hat die Geschäftsleitung der Anteilseignerversammlung wie gegenüber einem Aufsichtsrat zu berichten36. Soweit diese Berichterstattung mündlich erfolgt, muss sie in die Niederschrift der Anteilseignerversammlung mit aufgenommen werden. 2. Zusammenwirken von Geschäftsleitung und Überwachungsorgan Geschäftsleitung und Überwachungsorgan arbeiten nach dem Public Kodex wie nach dem DCGK zum Wohle des Unternehmens eng zusammen (Ziff. 3.1.1 Public Kodex). Der Public Kodex ergänzt dies mit der zutreffenden Feststellung, dass Grundlage hierfür das gegenseitige Vertrauen ist. Dies gilt selbstverständlich auch für die börsennotierten Gesellschaften, auch wenn dieser Gesichtspunkt im DCGK nicht auftaucht. Angesichts der bei den börsennotierten Gesellschaften ständig steigenden Anforderungen an die Mitglieder des Aufsichtsrats besteht bisweilen allerdings der Eindruck, als müsse sich der Aufsichtsrat von einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber dem Vorstand leiten lassen. Das ist jedoch nicht der Fall. Für die strategische Ausrichtung des Unternehmens ist in erster Linie die Geschäftsleitung zuständig; sie hat diese nach beiden Kodizes mit dem Überwachungsorgan abzustimmen37. Nach dem Public Kodex hat dies nicht nur auf der Grundlage des Unternehmensgegenstandes, sondern auch des Unternehmenszwecks zu geschehen (Ziff. 3.1.1 Abs. 2 Public Kodex). Darunter sind die öffentlichen Ziele zu verstehen ist, die mit der Beteiligung des Bundes verfolgt werden. Bei der Bindung an diese Ziele geht es um das „wichtige Interesse des Bundes“, das gemäß § 65 Abs. 1 Nr. 1 BHO Voraussetzung für die Beteiligung des Bundes ist. Dieses Interesse ist bei der strategischen Ausrichtung der Unternehmen mit Bundesbeteiligung zu berücksichtigen38. Ein Gegensatz zu dem Unternehmensinteresse ergibt sich daraus im Allgemeinen nicht. Die öffentliche Zweckbindung ist vielmehr, wie es in der Anmerkung zu Ziff. 3.1.1 des Public Kodex u. a. heißt, Grundlage für die auf das Wohl des Unternehmens gerichtete Zusammenarbeit der Organe.
__________ 34 Kubis in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 130 Rz. 62; eine stenografische Protokollierung des Verlaufs der Hauptversammlung ist im Hinblick auf die Verpflichtung der Gesellschaft zur Erteilung von Abschriften an die Aktionäre nicht mehr üblich. 35 Rn. 62 der Hinweise für gute Beteiligungsführung bei Bundesunternehmen. 36 Vgl. Rn. 43 der Hinweise für gute Beteiligungsführung bei Bundesunternehmen. 37 Vgl. Ziff. 4.1.2 DCGK sowie Ziff. 3.1.1 Abs. 2 und 4.1.1 Abs. 2 Public Kodex. 38 Vgl. letzter Absatz der Anmerkung zu Ziff. 3.1.1 PCGK.
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Auch für die Unternehmen des Bundes ist die umfassende Wahrung der Vertraulichkeit eine wesentliche Voraussetzung für die offene Diskussion zwischen Geschäftsleitung und Überwachungsorgan (Ziff. 3.2.1 Public Kodex). Hiervon besteht jedoch insoweit eine Ausnahme, als die Aufsichtsratsmitglieder, die auf Veranlassung des Bundes in den Aufsichtsrat entsandt oder gewählt worden sind, hinsichtlich der Berichte, die sie dem Bund zu erstatten haben, gemäß § 394 AktG keiner Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Auf diese Besonderheit aller öffentlichen Unternehmen geht der Public Kodex nur in den Anmerkungen ein. Dabei wird die begrenzte Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht nur auf die Aufsichtsratsmitglieder einer AG bezogen39. Nach überwiegender Ansicht gilt § 394 AktG entsprechend jedoch auch bei einer GmbH40. Voraussetzung für die Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht ist das Bestehen einer gesetzlichen Pflicht zur Berichterstattung. Diese Pflicht ergibt sich im Grundsatz aus der beamtenrechtlichen Weisungsgebundenheit, bei den Bundesunternehmen also aus § 62 Abs. 2 BBG (früher § 55 Abs. 2 BBG)41. Sie wird in den Hinweisen für die Beteiligungsführung im Teil B der Grundsätze guter Unternehmens- und Beteiligungsführung für den Bereich des Bundes näher konkretisiert42. Danach sind die jeweiligen Vertreter des Bundes gehalten, alle Vorlagen an das Überwachungsorgan an den Beteiligungsreferenten im zuständigen Bundesministerium weiterzuleiten, um eine sorgfältige und rechtzeitige Abstimmung zu ermöglichen. Dies gilt insbesondere vor wichtigen Entscheidungen des Aufsichtsrates43. Die Vertreter im Aufsichtsrat sind zudem verpflichtet, der beteiligungsführenden Stelle nachträglich über jede Sitzung des Aufsichtsrates schriftlich zu berichten. Diese Berichte sollen noch vor der zu erwartenden Sitzungsniederschrift erstellt werden und diese durch Hintergrundinformationen ergänzen. In den Berichten ist auch auf personelle Angelegenheiten einzugehen. Zudem sind die Gründe für das Abstimmungsverhalten des entsandten oder gewählten Bundesvertreters darzustellen. Diese vorherige und nachträgliche Berichterstattung der Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat durchbricht in mehrfacher Beziehung die sonst nach §§ 93 Abs. 1 Satz 3, 116 AktG bestehende Verschwiegenheitspflicht. Das gilt vor allem für die Schweigepflicht in Bezug auf alle vertraulichen oder geheimen Beratungs- und Beschlussgegenstände, darüber hinaus aber auch für das Ab-
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39 Vgl. zweiter Absatz der Anmerkung zu Ziff. 3.2.1 PCGK. 40 Kropff in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2006, §§ 394, 395 Rz. 9 ff.; Schall in Spindler/ Stilz, AktG, 2007, § 394 Rz. 4; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 52 Rz. 67; Schürnbrand, ZIP 2010, 1105, 1106; a. A. Oetker in K. Schmidt/ Lutter, AktG, 2008, § 394 Rz. 5; van Kann/Keiluweit, DB 2009, 2251, 2254. 41 Kropff in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2006, §§ 394, 395 Rz. 22 ff., 31 ff.; Lutter/ Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rz. 1430; Lutter/ Grunewald, WM 1984, 385, 394; Martens, AG 1984, 29, 33; Schall in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 394 Rz. 10; einschränkend Schmidt-Aßmann/Ulmer, BB 1988, Beilage 13, S. 8, 10; a. A. Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 394 Rz. 41; Zöllner, AG 1984, 147, 148 f. (zu § 55 BBG). 42 Vgl. Ziff. 3.1.3 Rn. 49 der Hinweise für eine gute Beteiligungsführung. 43 Vgl. Rn. 62 der Hinweise für gute Beteiligungsführung bei Bundesunternehmen.
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stimmungsverhalten der Aufsichtsratsmitglieder einschließlich der eigenen Stimmabgabe44. Neutralisiert wird diese Durchbrechung der Schweigepflicht dadurch, dass die Empfänger der Berichte ihrerseits zur Verschwiegenheit verpflichtet sind (§ 395 AktG). Damit wird die Verschwiegenheitspflicht insbesondere auf die beteiligungsführenden Referenten im zuständigen Ministerium ausgedehnt. Die Zahl der Geheimnisträger wird auf diese Weise allerdings vergrößert, was die tatsächliche Geheimhaltung erschweren dürfte45. 3. Geschäftsleitung Der Abschnitt über die Geschäftsleitung entspricht weitgehend dem Abschnitt des DCGK zum Vorstand. Allerdings besteht ein wichtiger Unterschied, der mit dem öffentlichen Auftrag der Bundesunternehmen zusammenhängt: Während der Vorstand einer börsennotierter Gesellschaft auf die Leitung des Unternehmens mit dem Ziel nachhaltiger Wertschöpfung im Unternehmensinteresse und damit zugleich zur Berücksichtigung der Belange der verschiedenen Stakeholder verpflichtet ist46, werden die Mitglieder der Geschäftsleitung eines Bundesunternehmens allein auf den Unternehmenszweck verpflichtet (Ziff. 4.4.2 Abs. 1 Public Kodex). Das Gleiche gilt für die Mitglieder des Überwachungsorgans (Ziff. 5.4.1 Abs. 1 Satz 1 Public Kodex). Mit dem Unternehmenszweck sind, worauf bereits oben hingewiesen wurde, die öffentlichen Ziele gemeint, die mit dem Beteiligungsunternehmen verfolgt werden. Um welche konkreten Ziele es dabei geht, ist dem Public Kodex allerdings nicht zu entnehmen47. Auch die Anmerkungen enthalten dazu keine weiterführenden Hinweise. Die öffentlichen Ziele, die vor allem unter dem Gesichtspunkt der Verhaltenssteuerung wichtig sind, sind für die Geschäftsleitung wie die Mitglieder des Überwachungsorgans nur dann verbindlich, wenn sie in der Satzung oder einer Geschäftsordnung festgelegt sind48. Fehlt eine präzise Bestimmung des Unternehmenszwecks, ist die Gesellschaft nach allgemeinen erwerbswirtschaftlichen Grundsätzen zu führen49. Unabhängig davon müssen auch die öffentlichen Unternehmen, schon um ihren Bestand zu sichern, dauerhaft profitabel arbeiten. Eine Orientierung der Geschäftsleitung auf eine nachhaltige Unternehmensführung wird deshalb
__________ 44 Der BGH hat ausdrücklich nur die Stimmabgabe anderer Aufsichtsratsmitglieder als vertraulich angesehen, vgl. BGHZ 64, 325, 332; die besseren Argumente sprechen jedoch dafür, auch das eigene Stimmverhalten als vertraulich anzusehen, dazu näher Marsch-Barner in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 12 Rz. 25 und Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rz. 267. 45 Schürnbrand, ZIP 2010, 1105, 1106. 46 Vgl. Ziff. 4.1.1 DCGK. 47 Kritisch insoweit auch Budäus/Hilgers in Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Handbuch Corporate Governace, 2. Aufl. 2009, S. 883, 900 und Schürnbrand, ZIP 2010, 1105, 1108. 48 Rn. 8 der Hinweise für gute Beteiligungsführung bei Bundesunternehmen. 49 Schön, ZGR 1996, 429, 440.
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zumindest bei der Festlegung der variablen Vergütung empfohlen (Ziff. 4.3.2 Abs. 1 Public Kodex). Die Geschäftsleitung der Bundesunternehmen wird im Übrigen deutlich enger an den Aufsichtsrat gebunden als dies bei den börsennotierten Unternehmen üblich ist. So muss die Geschäftsordnung der Geschäftsleitung stets vom Überwachungsorgan genehmigt werden50. Außerdem kann ein Sprecher der Geschäftsleitung nur vom Überwachungsorgan und nicht wie bei den privaten Unternehmen51 von der Geschäftsleitung selbst ernannt werden (Ziff. 4.2.2 Public Kodex). Ergänzt wird diese Linie durch verschiedene Empfehlungen in anderen Abschnitten des Kodex. So sollen Erstbestellungen von Mitgliedern der Geschäftsleitung generell auf drei Jahre beschränkt sein (Ziff. 5.1.2 Abs. 2 Public Kodex)52. Eine Wiederbestellung vor Ablauf eines Jahres vor dem Ende der Bestelldauer soll nur aus zwingenden Gründen erfolgen (Ziff. 5.1.2 Abs. 3 Public Kodex)53. Soweit bestimmte Geschäfte an die Zustimmung des Überwachungsorgans gebunden sind, muss die Zustimmung jeweils für den konkreten Fall erteilt werden. Eine pauschale Vorab-Zustimmung zu einem bestimmten Kreis von Geschäften soll es nur in Ausnahmefällen geben (Abs. 3 der Anm. zu Ziff. 3.1.2 Public Kodex). Diese engeren Vorgaben dürften damit zusammenhängen, dass die Stellung des Überwachungsorgans mit den Vertretern des Bundes gegenüber der Geschäftsleitung gestärkt werden soll. 4. Überwachungsorgan Nach § 65 Abs. 1 Nr. 3 BHO soll sich der Bund an einem privatrechtlich organisierten Unternehmen nur beteiligen, wenn er einen angemessenen Einfluss, insbesondere über den Aufsichtsrat oder ein entsprechendes Überwachungsorgan, erhält. Auswahl und Stellung der Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat sind daher von besonderer Bedeutung. Der Public Kodex enthält insoweit im achten Abschnitt eine Reihe von Regelungen, die von denen des DCGK abweichen und teilweise über diesen hinausgehen. So sollen die Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat in der Regel nicht mehr als drei Aufsichtsratsmandate gleichzeitig wahrnehmen (Ziff. 5.2.1 Satz 2 Public Kodex). Personen, die sich in einem wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Interessenkonflikt befinden, sollen gar nicht erst Mitglied eines Überwachungsorgans werden (Ziff. 5.2.1 Abs. 2 Public Kodex). Beratungsverträge sollen mit den Mitgliedern des Überwachungsorgans nicht geschlossen werden (Ziff. 5.4.2 Public Kodex)54.
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50 Offener § 77 Abs. 2 AktG, wonach sich der Vorstand grundsätzlich selbst eine Geschäftsordnung geben kann; Ziff. 4.2.1 Satz 2 DCGK äußert sich ergänzend nur zum Inhalt einer Geschäftsordnung. 51 Vgl. Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 84 Rz. 22; nur die Ernennung eines Vorstandsvorsitzenden ist dem Aufsichtsrat vorbehalten, § 84 Abs. 2 AktG. 52 Vgl. dazu die deutliche weichere Anregung in Ziff. 5.1.2 Abs. 2 Satz 1 DCGK, wonach bei Erstbestellungen die maximal mögliche Bestelldauer von fünf Jahren nicht die Regel sein sollte. 53 Nach Ziff. 5.1.2 Abs. 2 Satz 2 DCGK soll eine solche Wiederbestellung „nur bei Vorliegen besonderer Gründe“ erfolgen, s. dazu auch LG Frankenthal, BB 2010, 1626. 54 Vgl. damit die insoweit offeneren Formulierungen in Ziff. 5.4.5, 5.5.2 und 5.5.4 DCGK.
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An die fachliche Eignung der Mitglieder des Prüfungsausschusses werden ausdrücklich besonders hohe Maßstäbe angelegt (Ziff. 5.1.7 Abs. 1 Satz 2 Public Kodex). Wesentlich zurückhaltender ist der Public Kodex bei der Frage der Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder. Während der DCGK empfiehlt, dass dem Aufsichtsrat eine nach seiner Einschätzung ausreichende Anzahl unabhängiger Mitglieder angehört55, verlangt der Public Kodex nur allgemein, dass die Mitglieder des Überwachungsorgans hinreichend unabhängig sein sollen (Ziff. 5.2.1 Abs. 1 Satz 1 Public Kodex). Die Definition der Unabhängigkeit im DCGK56 wird dabei nicht übernommen. Für die börsennotierten Gesellschaften ist der Frage der Unabhängigkeit vor allem im Hinblick auf die erforderliche Wahl eines unabhängigen Finanzexperten im Sinne von § 100 Abs. 5 AktG von Bedeutung57. Diese gesetzliche, gerichtlich überprüfbare Verpflichtung gilt für die Bundesunternehmen des Public Kodex nicht, sodass die Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder dort allein der Einschätzung durch den Aufsichtsrat überlassen bleibt. Die wichtige Frage, ob dabei die Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat als unabhängig angesehen werden können, wird damit zugleich offen gelassen. Was die Ausschüsse des Aufsichtsrates angeht, so sollen diese nach dem Public Kodex grundsätzlich nur vorbereitende Aufgaben übernehmen. Von der Möglichkeit, einzelnen Ausschüssen auch Entscheidungskompetenzen zu übertragen, soll kein Gebrauch gemacht werden (Ziff. 5.1.8 Satz 1 Public Kodex). Dies mag mit der Überlegung zusammenhängen, dass andernfalls womöglich Ausschüsse entscheiden, denen kein Vertreter des Bundes angehört. Der Einfluss des Bundes wäre dann nicht ausreichend gewahrt. Vom Public Kodex nicht angesprochen wird die Frage, inwieweit die Vertreter des Bundes im Überwachungsorgan bei der Wahrnehmung ihres Mandates, insbesondere der Ausübung des Stimmrechts, weisungsgebunden sind. Die Frage ist deshalb von Bedeutung, weil Mitglieder des Aufsichtsrates ihre Aufgaben nicht durch andere wahrnehmen lassen können (§ 111 Abs. 5 AktG). Dieses Gebot der höchstpersönlichen Wahrnehmung bedingt, dass das Aufsichtsratsmitglied frei von Weisungen handelt. Dies gilt auch für Vertreter der öffentlichen Hand58. Die Bindung der Beamten an die ihnen gemäß § 62 Abs. 2 BBG erteilten Weisungen wird dadurch nicht in Frage gestellt. Entscheidender Gesichtspunkt ist nämlich, dass ein in den Aufsichtsrat gewählter oder entsandter Beamter dort nicht im Rahmen seines öffentlich-rechtlichen Dienst-
__________ 55 Ziff. 5.4.2 Satz 1 DCGK. 56 Ziff. 5.4.2 Satz 2 DCGK im Anschluss an Ziff. 13.1 der EU-Empfehlung zu den Aufgaben der nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats v. 15.2.2005. 57 Vgl. zur Unabhängigkeit in diesem Zusammenhang Gruber, NZG 2008, 12 ff. 58 Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 111 Rz. 83; Hopt/M. Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 111 Rz. 745; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 394 Rz. 28; Schwintowski, NJW 1995, 1316, 1318; Hoffmann-Becking in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 33 Rz. 7.
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verhältnisses tätig wird und damit insoweit auch keinen dienstlichen Weisungen unterliegt59. Die Hinweise für gute Beteiligungsführung bei Bundesunternehmen sehen dies möglicherweise anders, wenn darin die Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat z. B. verpflichtet werden, die Vorlagen an das Überwachungsorgan an den zuständigen Beteiligungsreferenten im Ministerium zur rechtzeitigen Abstimmung weiterzuleiten60. Ob es dabei auch um Weisungen geht, ist unklar. An anderer Stelle wird nur von einer Beratung des Stimmverhaltens mit dem Beteiligungsreferat gesprochen61. Sollte das Ergebnis einer solchen Beratung als Weisung gemeint sein, stellt sich die Frage, wie eine weisungsgemäße Stimmabgabe zu beurteilen ist, die nicht dem Unternehmensinteresse entspricht62. Widerspricht die Stimmabgabe dem Unternehmensinteresse, liegt aus der Sicht des Gesellschaftsrechts ein pflichtwidriges Verhalten vor. Falls dem eine Weisung zugrunde liegt, rechtfertigt dies die Stimmabgabe nicht63. Das Gesellschaftsrecht hat insoweit uneingeschränkten Vorrang64. 5. Transparenz Im sechsten Abschnitt „Transparenz“ wird insbesondere die individualisierte Offenlegung der Vergütung der Mitglieder der Geschäftsleitung und des Überwachungsorgans der Unternehmen im jeweiligen Corporate Governance Bericht empfohlen (Ziff. 6.2.1 und 6.2.2 Public Kodex). Diese Empfehlung entspricht dem gesetzlichen Standard für die börsennotierten Gesellschaften65, ist für die Bundesunternehmen aber ein Novum. Ob von dieser Empfehlung – wie bei einzelnen börsennotierten Gesellschaften – auch Abweichungen erklärt werden, bleibt abzuwarten. Die gesetzliche Ausnahmeregelung, wonach die Hauptversammlung von der individualisierten Offenlegung der Vergütung der Vorstandsmitglieder befreien kann66, wird im Public Kodex allerdings nicht erwähnt. Im Übrigen ist der Abschnitt deutlich kürzer als beim DCGK, da die zahlreichen Offenlegungsvorschriften des Kapitalmarktrechts für die nicht börsennotierten Bundesunternehmen keine Rolle spielen.
__________ 59 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 394 Rz. 29; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. 2008, Rz. 1426; a. A. VG Arnsberg, ZIP 2007, 1988 m. abl. Anm. Lutter und OVG Münster, GmbHR 2010, 92 zum fakultativen Aufsichtsrat einer kommunalen GmbH. 60 Rn. 49 der Hinweise für gute Beteiligungsführung bei Bundesunternehmen. 61 Vgl. Grundsätze guter Unternehmens- und Beteiligungsführung im Bereich des Bundes, Teil C Berufungsrichtlinien, Anlagen 1 und 2 Muster einer Erklärung für Mitglieder von Überwachungsorganen, die dem öffentlichen Dienst angehören. 62 Eine weisungsgemäße, dem Unternehmensinteresse entsprechende Stimmabgabe ist unproblematisch, vgl. Lutter/Grunewald, WM 1984, 385, 395 f.; Schwintowski, NJW 1990, 1009, 1013 f. und Kropff in FS Huber, 2006, S. 841, 848. 63 Schön, ZGR 1996, 429, 450 f. 64 Vgl. Habersack, ZGR 1996, 544, 555 f.; R. Schmidt, ZGR 1996, 345, 351. 65 §§ 285 Nr. 9 Buchst. a) Satz 5 bis 8, 314 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a) Satz 5 bis 8 HGB. 66 §§ 286 Abs. 5, 314 Abs. 2 Satz 2 HGB und Ziff. 4.2.4 Satz 2 DCGK.
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Gedanken zum Public Corporate Governance Kodex
6. Rechnungslegung und Abschlussprüfung Der siebte Abschnitt des Public Kodex gibt zunächst die gesetzliche Regelung wider, wonach die Aufstellung und Prüfung der Rechnungslegungsunterlagen der Bundesunternehmen nach den Vorschriften für große Kapitalgesellschaften zu erfolgen haben (§ 65 Abs. 1 Nr. 4 BHO). Bei der Abschlussprüfung werden dann im Wesentlichen die Empfehlungen des DCGK übernommen. Auf die Besonderheiten der Unternehmen im Mehrheitsbesitz des Bundes, dass nämlich der Bund nach den §§ 53, 54 HGrG eine Erweiterung des Prüfungsauftrages, insbesondere um eine Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung, verlangen kann, und dass der Prüfungsbericht dem Bund auf Verlangen unmittelbar zu übersenden ist, wird nur in den Anmerkungen und den Hinweisen für die Beteiligungsführung eingegangen67. Der Bericht des Abschlussprüfers soll danach auch einen Bericht über die Bezüge des Aufsichtsrats, der Geschäftsleitung und der leitenden Angestellten enthalten. Nur in den Hinweisen werden auch kurz die sich aus § 69 BHO ergebenden besonderen Informations- und Prüfungsrechte des Bundesrechnungshofs dargestellt.
VII. Schlussbemerkung Bei einem Vergleich des Public Kodex mit dem DCGK wird die besondere Situation der vom Public Kodex erfassten Unternehmen deutlich, die sich daraus ergibt, dass der Bund Mehrheitsgesellschafter ist. Vor allem um den Einfluss des Bundes über den Aufsichtsrat sicherzustellen, sind einige Empfehlungen des Public Kodex strenger als im Kodex für die börsennotierten Gesellschaften. Dies kann allerdings nicht zu der Empfehlung führen, solche weitergehenden Bestimmungen in den DCGK zu übernehmen68. Dafür sind die Verhältnisse bei der überschaubaren Anzahl der Bundesunternehmen69 und der weitaus größeren Zahl der börsennotierten Gesellschaften70 viel zu unterschiedlich. Zudem muss berücksichtigt werden, dass die börsennotierten Gesellschaften ihrerseits einer Reihe weitergehender Vorschriften außerhalb des Kodex unterliegen. Gerade in jüngster Zeit hat der Gesetzgeber zahlreiche, nur die börsennotierten Gesellschaften betreffende Vorschriften erlassen, die im Public Kodex keine Entsprechung finden. Dies gilt etwa für das Erfordernis, dass im Aufsichtsrat und insbesondere im Prüfungsausschuss mindestens ein Mitglied über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen muss (§§ 100 Abs. 5, 107 Abs. 4 AktG) sowie für die Erweiterung der Aufgaben des Prüfungsausschusses durch § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG. Die Reihe setzt sich fort mit den Vorgaben zur Vergütung der Vor-
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67 Vgl. Anm. zu Ziff. 7.2.2 Public Kodex und Ziff. 8 der Hinweise. 68 In diese Richtung Schürnbrand, ZIP 2010, 1105, 1110. 69 Nach dem Beteiligungsbericht des Bundes 2009, Anhang, S. 135 ff., ist der Bund an 90 Unternehmen unmittelbar und an weiteren 18 Unternehmen mittelbar über den SoFFin beteiligt. 70 Im September 2009 waren 1006 deutsche Gesellschaften an deutschen Börsen gelistet, v. Werder in Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 4. Aufl. 2010, Rz. 128b.
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standsmitglieder und einer möglichen Billigung des Vergütungssystems durch die Hauptversammlung (§§ 87 Abs. 1 Satz 2 und 3, 120 Abs. 4 AktG). Mitglieder des Vorstands einer börsennotierten Gesellschaft können grundsätzlich erst nach einer „Abkühlungszeit“ von zwei Jahren nach ihrem Ausscheiden in den Aufsichtsrat dieser Gesellschaft gewählt werden (§ 100 Abs. 2 Nr. 4 AktG). Börsennotierte Gesellschaften haben schließlich nicht nur einen Corporate Governance Bericht, sondern darüber hinaus auch eine Erklärung zur Unternehmensführung zu veröffentlichen (§ 289a HGB). Die Standards der börsennotierten Gesellschaften haben sich damit in einigen Punkten weiter entwickelt, ohne dass ein Ende dieser Entwicklung abzusehen wäre. Im Hinblick hierauf erscheint es wenig sinnvoll, weiter an einem Gleichlauf beider Kodizes festzuhalten. Wichtiger dürfte sein, die Besonderheiten des jeweiligen Regelungsbereichs im Auge zu behalten und auf dieser Grundlage beide Kodizes unabhängig voneinander weiterzuentwickeln. Dies würde auch den unterschiedlichen Regelungszielen beider Kodizes besser entsprechen. Während sich der DCGK nämlich vor allem an die derzeitigen und künftigen Anleger wendet, geht es beim Public Kodex in erster Linie darum, die mit der Beteiligung verfolgten Ziele sicherzustellen. Gerade diese Ziele sollten im Public Kodex allerdings deutlicher zum Ausdruck gebracht werden. Dann könnte der Public Kodex noch besser als Vorbild für die recht unterschiedlichen Beteiligungs-Kodizes der Länder und Gemeinden dienen und damit in diesem Bereich zu einer Vereinheitlichung beitragen.
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Progrediente Entwertung der Kreditsicherheiten aufgrund der neueren Rechtsprechung des BGH zur Vorausabtretung kontokorrentgebundener Forderungen – Dominoeffekt für Bankkontokorrent und AGB-Pfandrecht? –
Inhaltsübersicht I. Änderung der Rechtsprechung zur Insolvenzfestigkeit der kontokorrentgebundenen Forderungen 1. Kurzdarstellung des Falls 2. Die bisherige Rechtslage 3. Auswirkungen des Urteils des BGH vom 25. Juni 2009 (WM 2009, 1515) – Lösungswege für die Kreditsicherungspraxis II. Kritik an der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats 1. Bankseitiger Direkterwerb oder Durchgangserwerb des Anspruchs auf den kausalen Schlusssaldo 2. Das Verbot des Rechtserwerbs an Gegenständen der Insolvenzmasse: § 91 InsO versus § 15 KO
3. Die vor Insolvenzverfahrenseröffnung gesicherte Rechtsposition an abgetretenen oder verpfändeten Forderungen 4. Insolvenzanfechtung III. Zur Frage der Übertragbarkeit der neuen Rechtsprechung zum Handelskontokorrent auf das Bankkontokorrent 1. Reaktionsmöglichkeit der Bank bei Übertragbarkeit 2. Keine Übertragbarkeit auf das Bankkontokorrent IV. Gefährdung des AGB-Pfandrechts als Kreditsicherheit? V. Zusammenfassung und Ausblick
Eines von mehreren Forschungsgebieten des Jubilars ist das Bankrecht. Dem Recht der Kreditsicherheiten kommt hierbei eine wesentliche Bedeutung zu, häufig auch in der Schnittstelle zu seinem weiteren herausragenden Forschungsschwerpunkt des Gesellschafts- und Konzernrechts1. Ohne einen verlässlichen Rechtsrahmen für den Bestand und die Durchsetzbarkeit klassischer Kreditsicherheiten sind viele Bankgeschäfte nicht durchführbar. Angesichts neuer Tendenzen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung sah sich Obermüller vor kurzem zu einem Beitrag über die Kreditklemme und den Niedergang der Kreditsicherheiten, hauptsächlich im Insolvenzfall, veranlasst2.
__________ 1 Siehe nur beispielhaft Walther Hadding/Uwe H. Schneider, Untersuchungen über das Spar-, Giro- und Kreditwesen, Bände 16, 18, 24, 37, 38 zum Recht der Kreditsicherheiten in ausländischen Rechtsordnungen, Band 17 zu Gesellschaftsanteilen als Kreditsicherheit; Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998; Uwe H. Schneider in FS Stimpel, 1985, S. 887 zur konzernweiten Negativklausel. 2 NZI 2010, 201.
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Er spannt hierfür in zeitlicher Hinsicht zwar nur einen kurzen Bogen, umso bedrückender ist die Bandbreite und Vielzahl der von ihm zusammengetragenen Entscheidungen in der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung, insbesondere des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs. In einer neueren Entscheidung hat der Senat die frühere Rechtsprechung zur Insolvenzfestigkeit der Vorausabtretung kontokorrentgebundener Forderungen3, die auch in der Literatur auf breite Zustimmung gestoßen war4, überraschend aufgegeben5 und damit insbesondere eine weitere für die Kreditversorgung der mittelständischen Wirtschaft ganz wesentliche Kreditsicherheit, nämlich die Globalzession, im Ergebnis schwerwiegend beeinträchtigt. Hieran schließt sich zwar die Frage nach den Auswirkungen auf die Kreditsicherungspraxis an, d. h. ob sie dieser neuen Situation überhaupt in geeigneter Weise wird begegnen können. Mindestens ebenso wichtig ist aber die Frage, ob das zum Handelskontokorrent ergangene Urteil auch Auswirkungen auf das Bankkontokorrent hat und dorthin übertragbar ist, und ob demnächst auch der besonders wichtige Pfeiler der banküblichen Sicherung, nämlich das AGBPfandrecht (Nr. 14 AGB-Banken), fällt. Diesen durch die Rechtsprechung hervorgerufenen Besorgnissen geht der Festschriftbeitrag nach, ebenso der Frage, ob für die Kreditsicherungspraxis noch Handlungsspielräume bestehen, wenn man die insolvenzrechtliche Seite vom BGH als entschieden betrachtet.
I. Änderung der Rechtsprechung zur Insolvenzfestigkeit der kontokorrentgebundenen Forderungen 1. Kurzdarstellung des Falls Die spätere Insolvenzschuldnerin und deren Geschäftspartnerin (Beklagte) hatten ihre gegenseitigen Ansprüche aus der Geschäftsverbindung in ein Kontokorrent eingestellt, das bei der Beklagten geführt wurde. Im Rahmen einer Globalzession hatte die Insolvenzschuldnerin an ihre Bank u. a. auch die Forderungen aus dem Kontokorrent abgetreten. Nach Offenlegung der Abtretung und nach Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots überwies die Beklagte das Guthaben der Gemeinschuldnerin in Höhe von 71.467,97 Euro an die Bank. Ein weiteres Guthaben in Höhe von 15.804,35 Euro ergab sich aus dem nach Insolvenzverfahrenseröffnung weitergeführten Verrechnungskonto; gegenüber dem Insolvenzverwalter (Kläger) glich die Geschäftspartnerin das Guthaben unter Hinweis auf die fehlende Schlüssigkeit der Einzelforderungen jedoch nicht aus. Das Landgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung von
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3 BGHZ 70, 86, 94 f. = WM 1978, 137; siehe auch BGHZ 74, 253 I. 1. 4 Breuer in MünchKomm.InsO, 2. Aufl. 2008, § 91 Rz. 27; Lüke in Kübler/Prütting/ Bork, InsO, Stand Mai 2010, § 91 Rz. 35 f.; Kayser in HK-InsO, 5. Aufl. 2008, § 91 Rz. 21; Kuleisa in HmbKomm-InsO, 3. Aufl. 2009, § 91 Rz. 13; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 91 Rz. 14; Nerlich/Römermann/Wittkowski, InsO, Stand 2009, § 91 Rz. 19; Hess, Insolvenzrecht, 2007, § 91 Rz. 44; Smid, InsO, 2. Aufl. 2001, § 91 Rz. 5; Hopt in Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 34. Aufl. 2010, § 355 Rz. 23; Hadding/ Häuser in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2009, ZahlungsV Rz. A 235. 5 BGH, WM 2009, 1515.
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15.804,35 Euro und wies die Klage im Übrigen ab. Die von beiden Parteien eingelegten Rechtsmittel wurden vom Berufungsgericht zurückgewiesen. Die Revision des Klägers hatte Erfolg, die Anschlussrevision der Beklagten blieb erfolglos. 2. Die bisherige Rechtslage Sowohl nach altem Insolvenzrecht unter Geltung der früheren Konkursordnung als auch im Anwendungsbereich der Insolvenzordnung war es bisher nahezu einhellige Meinung in Rechtsprechung und Literatur, dass die Vorausabtretung kontokorrentgebundener Forderungen grundsätzlich insolvenzfest ist6. Die Erwerbsschranke des § 15 KO griff nicht ein, so dass jedenfalls der kausale Schlusssaldo aus einem mit der Verfahrenseröffnung beendeten Kontokorrent noch abtretbar war; hingegen ist schon seit langem geklärt, dass die Abtretung von in das Kontokorrent eingestellten Einzelforderungen wegen des Verlusts ihrer rechtlichen Selbständigkeit ausgeschlossen ist7. Im kausalen Schlusssaldo (Überschuss) sah der BGH indessen nicht einen künftigen Anspruch, der erst mit oder nach Verfahrenseröffnung entsteht8. Denn dieser Anspruch beruhe auf den während der laufenden Rechnungsperiode in das Kontokorrent eingestellten Einzelforderungen, die damit ihren rechtlichen Bestand nicht verloren hätten9. Der Saldoanspruch sei nicht erst mit Beendigung des Kontokorrentverhältnisses entstanden, sondern habe dem Grunde nach schon vorher mit Abschluss des Verrechnungsvertrags bestanden. Es könne allerdings dahingestellt bleiben, ob man in dem kausalen Saldoanspruch einen aufschiebend bedingten Anspruch sehen wolle. Für die Konkursfestigkeit der Vorausabtretung sei allein entscheidend, dass der kausale Saldo lediglich die Zusammenfassung der in der Verrechnungsperiode in das Kontokorrent eingegangenen Einzelforderungen darstelle, die bei Konkurseröffnung bereits bestanden, durch ihre Einstellung in das Kontokorrent in ihrem Bestand nicht berührt und mit der Konkurseröffnung zur saldomäßigen Geltendmachung frei wurden, ohne dass die Vertragspartner der Gemeinschuldnerin (als der Zedentin) in diesem Zeitpunkt – bei bzw. unmittelbar vor Konkurseröffnung – noch in der Lage gewesen wären, den Saldoanspruch durch à-conto-Zahlungen oder durch Begründung von Gegenforderungen zu beeinträchtigen10. Die Literatur ist damals dieser Sichtweise im Ergebnis nahezu ohne Einschränkungen gefolgt, wenn auch die Begründungen zum Teil unterschiedlich
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6 Fn. 3 und 4 sowie zu § 15 KO u. a. Kuhn, WM 1979, 742 (A I 5); Herget, ZIP 1980, 594 (I); Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, in der 5. Aufl. 1997, Rz. 6.209 zum alten Insolvenzrecht; Serick, BB 1978, 873, 878; ders., Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung, Band 5, 1982, S. 636. 7 BGH, WM 1971, 178; Entsprechendes gilt für anerkannte Saldoforderungen, soweit sie auf neue Rechnung vorgetragen und infolgedessen wieder in das Kontokorrent eingestellt werden, BGHZ 70, 86, 93. 8 BGHZ 70, 86, 93. 9 BGHZ 70, 86, 94; 49, 24, 26 f. 10 BGHZ 70, 86, 95 unter Verweis auf BGH IV ZR 154/54 v. 5.1.1955.
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ausfielen11. Dies gilt auch noch für den Zeitraum ab Inkrafttreten des neuen Insolvenzrechts am 1. Januar 1999. An die Stelle des früheren § 15 KO trat § 91 InsO. Die Äußerungen in der Literatur zur Insolvenzfestigkeit der Vorausabtretung des kausalen Schlusssaldos änderten sich hierdurch im Ergebnis aber bis auf wenige Gegenstimmen kaum12. Erst vor kurzem ist auch das OLG Frankfurt/M. bei der Verpfändung von Saldoansprüchen der bisherigen Rechtsprechung weiter gefolgt13. 3. Auswirkungen des Urteils des BGH vom 25. Juni 2009 (WM 2009, 1515) – Lösungswege für die Kreditsicherungspraxis „Die Vorausabtretung kontokorrentgebundener Forderungen und des kausalen Schlusssaldos aus dem Kontokorrent führt nicht zum Rechtserwerb des Abtretungsempfängers, wenn die Kontokorrentabrede erst mit der Insolvenzeröffnung erlischt (Aufgabe von BGHZ 70,86 = WM 1978,137)“. So lautet der amtliche Leitsatz des Urteils des IX. Zivilsenats des BGH vom 25. Juni 2009. Das Urteil wurde seitdem mehrfach kommentiert14. Hierbei wird angesichts der seit Jahrzehnten anerkannten Rechtsprechung verständlicherweise Überraschung15 zum Ausdruck gebracht, allerdings auch Verwunderung über die
__________ 11 Siehe Kuhn, WM 1979, 742 A I 5; Herget, ZIP 1980, 594 I; ders. in GK-HGB, 6. Aufl. 1999, § 355 Rz. 61; Blaurock, JA 1980, 695; Obermüller (Fn. 6), Rz. 6.209; Serick, BB 1978, 873, 878 (Entstehen des kausalen Schlusssaldos stets vor Konkurseröffnung); ders., Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübertragung, Band 5, 1982, S. 636 (Entstehungszeitpunkt abstrakter und kausaler Saldo eine logische Sekunde vor Konkurseröffnung); Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 11. Aufl. 1994, § 15 Rz. 10d (Augenblick der Konkurseröffnung); Henckel in Jaeger/Henckel, Konkursordnung, 9. Aufl. 1997, § 15 Rz. 97 (Schlusssaldoforderung ist mit Beginn der Rechnungsperiode haftendes Schuldnervermögen aufschiebend bedingt durch Bestehen eines Habensaldos zugunsten des Gemeinschuldners). 12 Breuer in MünchKomm.InsO (Fn. 4), § 91 Rz. 27, 29; Lüke in Kübler/Prütting/ Bork (Fn. 4), § 91 Rz. 35 f.; Kayser in HK-InsO (Fn. 4), § 91 Rz. 21; Kuleisa in HmbKomm-InsO (Fn. 4), § 91 Rz. 13; Uhlenbruck (Fn. 4), § 91 Rz. 14; Nerlich/ Römermann/Wittkowski, InsO, 2003, § 91 Rz. 19; Hess, Insolvenzrecht (Fn. 4), § 91 Rz. 44; Smid, InsO (Fn. 4), § 91 Rz. 5; Grundmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, Band 2, 2. Aufl. 2008/2009, § 355 Rz. 31; Koller/Roth/Morck, Handelsgesetzbuch – HGB, 6. Aufl. 2007, Rz. 17; Herget in Bankrecht und Bankpraxis, Stand 08/10, Rz. 4/582; Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2006, § 43 Rz. 67; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 7. Aufl. 2007, Rz. 6.208a; Wimmer, Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 5. Aufl. 2009, § 103 Rz. 32; Ganter in Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2007, § 90 Rz. 42, § 96 Rz. 100, 102; a. A. Langenbucher in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2009, Rz. 121; Canaris in Staub, Großkomm.HGB, 4. Aufl. 2004, § 355 Rz. 247; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007, Rz. 10.24. 13 ZInsO 2008, 977. 14 W. Servatius, WuB VI A. § 91 InsO 1.10; BGH, EWiR § 91 InsO 4/09, 777 (Junghans); Obermüller, NZI 2010, 201, 206; ders., ZInsO 2009, 1527; de Bra/Ganninger, NZI 2010, 600 f.; Seehafer, BB 2010, 2054 f.; Ganter, NZI 2010, 363, 365 f.; Berger, LMK 2009, 291793; Tetzlaff, GWR 2009, 355. 15 Obermüller, NZI 2010, 201, 206; ders., ZInsO 2009, 1527, 1529; Tetzlaff, GWR 2009, 355.
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Gutgläubigkeit der Praxis16. Ungerührt war der BGH offenbar von den überaus schwerwiegenden Auswirkungen seines Urteils auf die Kreditsicherungspraxis17. Aus Berichten von Sicherheitenprüfern18 in den Banken ist bekannt, dass der Globalzession im Kontext der Kontokorrentverhältnisse eine erhebliche praktische Bedeutung zukommt, insbesondere im Automobilhandel, bei ärztlichen Abrechnungsstellen, im Großhandel, bei Einkaufsgenossenschaften, bei Cash-Pools im Konzern, im Zusammenhang mit Rabattverrechnungen, Retouren oder der Rückgabe von Kommissionsware. Man fühlt sich vor diesem Hintergrund geradezu an die 1990iger Jahre erinnert, als es der Lobby der Insolvenzverwalter über mehrere Jahre gelungen war, die Rechtsprechung mit der Behauptung sittenwidriger Kreditsicherungsvereinbarungen wegen angeblich fehlender oder unzureichender Übersicherungsklauseln auf einen Irrweg zu leiten, bis endlich der Große Senat für Zivilsachen am 27. November 199719 für rechtliche und damit auch für ökonomische Klarheit sorgte. Ein ähnliches Phänomen zeichnet sich wohl erneut ab, wenn man den Beitrag von Obermüller20 zum Niedergang der Kreditsicherheiten in der gebotenen Weise als realistische Warnung ernstnimmt. Das Ergebnis der Entscheidung ist umso bedauerlicher, wenn man bedenkt, dass auch auf internationaler Ebene (Basel II) lange nachgearbeitet wurde, damit die Globalzession schließlich über die SolvV als berücksichtigungsfähige Kreditsicherheit anerkannt wurde. Insoweit passt das BGH-Urteil ganz und gar nicht in die aktuelle rechtspolitische Landschaft. Aus dem Urteil ergeben sich nachfolgende, möglicherweise auch noch nicht abschließend absehbare Konsequenzen, andererseits aber auch denkbare Lösungswege für die Praxis im Bereich des Handelskontokorrents. a) Im rechtlichen Ergebnis bedeutet die Entscheidung zunächst, dass eine insolvenzfeste Vorausabtretung oder Verpfändung periodisch anfallender kausaler Saldoansprüche nicht mehr möglich ist, weil die Gemeinschuldnerin nach Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots (§§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 24, 81 InsO) keinen schuldumschaffenden Rechnungsabschluss mehr anerkennen kann, um eine neue Saldoforderung zu begründen. b) Wegen des entgegenstehenden § 91 InsO ist auch der sog. kausale Schlusssaldo aus dem Kontokorrent kein taugliches Sicherungsmittel mehr, da er nunmehr wie die nicht selbständig abtretbaren kontokorrentgebundenen Einzelforderungen zu behandeln ist21. c) Die Vereinbarung eines früheren insolvenznahen Beendigungszeitpunkts für das Kontokorrent, nach der die Kontokorrentabrede unter die auflösende Bedingung eines Insolvenzantrags gestellt wird22, evtl. analog dem deutschen
__________ 16 W. Servatius, WuB VI A. § 91 InsO 1.10. 17 Auch Factoring-Institute sind betroffen und werden ihr Geschäftsmodell vermutlich überprüfen müssen. 18 Empirische Befunde sind allerdings nicht bekannt bzw. nicht weiter aufgearbeitet. 19 WM 1998, 227. 20 NZI 2010, 201. 21 Siehe hierzu die Erläuterung der Entscheidung von Ganter, NZI 2010, 363, 365. 22 So der Vorschlag von W. Servatius, WuB VI A. § 91 InsO 1.10.
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Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte, oder eine Kündigung des Kontokorrents vor Verfahrenseröffnung23, bieten sich als Lösung an, zumal § 119 InsO einer solchen Vorgehensweise nicht entgegensteht24. Indessen kann eine Kündigung nach §§ 130, 131 InsO anfechtbar sein25, wobei der Frage näher nachgegangen werden müsste, worin eine Gläubigerbenachteiligung läge (hat denn etwa die Masse einen Anspruch auf ein ungekündigtes Kontokorrentverhältnis?). Dies gilt zwar auch für die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung, jedoch dürfte der Zeitpunkt einer derartigen Vereinbarung eher selten26 in die bis zu drei Monate laufenden Anfechtungszeiträume der §§ 130, 131 InsO fallen, weil sie in der Praxis üblicherweise schon anlässlich der Sicherheitenbestellung getroffen würde. d) Betroffen von der BGH-Entscheidung sind mehrere Sicherheitenvordrucke, insbesondere sämtliche Sicherungszessionen, aber auch Verpfändungen27. Weiter betroffen sein können auch Poolverträge, wo nunmehr Risiken bei der Verpfändung von Bankguthaben zu beachten sein könnten28. Die isolierte Einzelabtretung einer Kontokorrentforderung ist zwar selten, kommt aber gelegentlich doch vor. Es ist daher schon auf Grund der SolvV29 erforderlich, die Formulare zur Mantelzession, Globalzession, Sicherungsübereignung mit Anschlusszession sowie die Verpfändungsformulare anzupassen. Im Rahmen der Bewertung ist für kontokorrentgebundene Forderungen und Kontokorrentsalden ein Abzug vorzunehmen wie dies bei Forderungen geschieht, die einem Abtretungsverbot oder einem branchenüblichen Eigentumsvorbehalt unterliegen30. Denn die Formulare enthalten üblicherweise das Recht der Bank auf Kündigung des Kontokorrentverhältnisses und Feststellung des gegenwärtigen Saldos, ferner die Forderungen aus gezogenen oder in Zukunft zu ziehenden Salden31. e) Weitere Konsequenz der Entscheidung ist das Recht der Bank, nach den Sicherungsvereinbarungen und nach Nr. 13 (1) und (2) AGB-Banken die Bestellung oder Verstärkung von Sicherheiten zu verlangen (Nachbesicherung), dies in Altfällen allein schon auf Grund des BGH-Urteils. Umgekehrt wird der Anspruch des Kunden auf Sicherheitenfreigabe nach Nr. 16 Abs. 2 AGB-Banken oder entsprechenden Sicherungsvereinbarungen eingeschränkt (Freigaberegelung).
__________ 23 So Obermüller, NZI 2010, 201, 206; ders., ZInsO 2009, 1527, 1529; ein Drittkonto würde allerdings die Ermächtigung der Bank zur Kontokorrentkündigung erfordern. 24 Zu Lösungsklauseln für den Fall der Zahlungseinstellung oder eines Insolvenzantrags siehe Huber in MünchKomm.InsO, 2. Aufl. 2008, § 119 Rz. 22, 28 m. w. N. sowie zur zulässigen AGB-rechtlichen Ausgestaltung in Rz. 50. 25 BGH, NJW 2009, 2600 mit Anm. Paulus. 26 Andere Sichtweise wohl W. Servatius, WuB VI A. § 91 InsO 1.10. 27 So zutreffend Obermüller, ZInsO 2009, 1527. 28 Zum AGB-Pfandrecht siehe unter IV. 29 Hierzu unter I. 3. nach j). 30 Obermüller, NZI 2010, 201, 206. 31 Obermüller, NZI 2010, 201, 206 mit Formularhinweisen in Fn. 44.
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f) Überlegenswert ist es, seitens der Bank dem Sicherungsgeber eine periodische, d. h. bis hin zum Staffelkontokorrent32 gehende Separierung33 kurzfristiger Kontokorrentsalden aufzuerlegen bzw. ihn dazu zu verpflichten, hierfür zu sorgen. Die Vereinbarung eines reinen Staffelkontokorrents, bei dem mit jeder Buchung ein neuer Saldo entsteht, erscheint ungeachtet praktischer Schwierigkeiten, seitens der Bank auf das Rechtsverhältnis ihres Kunden zu Dritten Einfluss zu nehmen, nicht als geeignete Lösung. Dies würde permanent zu einem Saldoanerkenntnis führen, wobei der so gebildete abstrakte Saldoanspruch ebenso permanent wieder im Kontokorrent verrechnet würde und somit kontokorrentgebunden wäre. g) Guthabensalden oder Einzeleingänge könnten aber – nach entsprechender formularmäßiger Ermächtigung der Bank – auf einem nicht kontokorrentgebundenen Konto, vergleichbar dem Sicherheitenerlöskonto, angesammelt werden und dort der Bank als Zessionarin zur Verfügung gestellt werden. Technisch wäre unter Einbindung der Bank eine Art von Sicherheiten-CashManagement zu strukturieren, bei dem unter entsprechender Zinskompensation auf ein kontokorrentfreies Zielkonto fortlaufend Guthabenbeträge aus Kontokorrentkonten übertragen werden bzw. Sollsalden auf Kontokorrentkonten vom Zielkonto ausgeglichen werden (Zweikonten-Modell)34. Die Frage wird sein, ob in den einzelnen Banken IT-Budgets für solche Projekte bereitgestellt werden (können). Es versteht sich, dass eine solche Vorgehensweise auch die Vereinbarung entsprechender Auskunfts-, Informations- und Erkundigungsrechte der Bank bzw. Mitteilungs- und Nachweispflichten des Sicherungsgebers erfordert35. h) Es wird auch vorgeschlagen, den Sicherungsgeber im Sinne einer Negativklausel36 dazu zu verpflichten, keine Kontokorrentkonten mit Geschäftspartnern zu vereinbaren (Kontokorrentverbot)37. Abgesehen davon, dass ein solches Verbot nur schuldrechtlich wirkt (§ 137 Satz 2 BGB), ohne die Verfügungsbefugnis nach außen zu beschränken38, ist eine solche Verbotsvereinbarung auch aus einem anderen Grund keineswegs ratsam. Der Bankkunde/Sicherungsgeber müsste sich hierdurch Geschäftschancen begeben, weil Kontokorrentvereinbarungen ganz üblicher kaufmännischer Geschäftspraxis entsprechen. Auch rechtlich könnte dies als bedenkliche Beschränkung des Sicherungs-
__________ 32 Das Gesetz geht in § 355 BGB vom Regelfall des Periodenkontokorrents aus. Die Verrechnung erfolgt beim Staffelkontokorrent hingegen sofort bei jeder neuen Einstellung eines Postens in die Rechnung und ergibt jeweils einen Abschlusssaldo im Rechtssinne, der zu einem neuen Saldo fortgeschrieben wird, siehe dazu BGH, WM 1972, 283 f.; Göppert, ZHR 102, 161 ff.; 103, 318, 337 ff. 33 de Bra/Ganninger, NZI 2010, 599, 601. 34 Zum Bankkontokorrent im eigenen Hause siehe III. 1. a). 35 Hierzu Seehafer, BB 2010, 2054 f.; ein genereller Verzicht auf Kontokorrentabreden und der einfache Rückgriff auf die Aufrechnungsbestimmungen der §§ 387 ff. BGB dürfte auch bei „Gestaltung“ der Aufrechnungslage für den Insolvenzfall praktischen Bedürfnissen nicht entsprechen. 36 Hierzu Merkel in Bankrechts-Handbuch (Fn. 12), § 98. 37 Seehafer, BB 2010, 2054 f. 38 Seehafer, BB 2010, 2054 f.
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gebers erscheinen, weil darin eine sittenwidrige Knebelung liegen kann39, mit der das Ziel, eine geeignete Kreditsicherungsmaßnahme zu implementieren, auch noch verfehlt würde. i) Eine Stufe tiefer, aber durchaus sinnvoll, läge die Vereinbarung einer Verpflichtung zur Mitteilung getroffener Kontokorrentabreden. Dies erlaubt es der Bank, ihre Sicherheitenposition jeweils aktuell zu bewerten und daraus erforderliche Maßnahmen abzuleiten. In praktischer Hinsicht bleibt dennoch die Frage, wie sehr alle diese denkbaren Maßnahmen die Kundenbeziehung wegen ihres teils aktionistisch anmutenden Charakters belasten werden und im Ergebnis die Einflussnahme der Bank auf den Kunden doch eher gering sein dürfte. j) Die Frage, ob die Bank außerhalb der Ebene des Handelskontokorrents, d. h. bei einem etwaigen Übergreifen der neueren Rechtsprechung auf das Bankkontokorrent (im eigenen Haus oder bei Drittinstituten) geschützt ist oder sich durch geeignete Maßnahmen schützen kann, ist unter III. und IV. zu beantworten. Zwischenfazit: Die Entscheidung des IX. Zivilsenats hat die Kreditwirtschaft an einer empfindlichen Stelle des Risikomanagements der Kreditsicherung getroffen. Wenn der Senat, wie noch zu zeigen ist, Entscheidungsspielraum hatte40, ist nicht verständlich, weshalb er zur Unzeit der Finanzmarktkrise und ihrer unschwer erkennbaren Auswirkungen auf die Realwirtschaft in der geschehenen Weise judizierte. Das Wort Kreditklemme war – und ist nach wie vor – in aller Munde. Das Urteil verteuert ohne Zweifel auch die Kredite, was schon aus den Offenlegungs- und Bewertungsvorgaben der SolvV folgt, wonach Sicherheiten nur dann risikomindernd auf das Eigenkapital angerechnet werden, wenn sie rechtlich wirksam und auch rechtlich durchsetzbar sind41; davon kann angesichts des neuen Verständnisses von § 91 InsO durch den BGH und angesichts dessen, dass zumindest Globalzessionen regelmäßig nur im Rahmen von Insolvenzverfahren verwertet werden nicht mehr ausgegangen werden. Es besteht zwar nicht schon bei der Sicherheitenbestellung ein Insolvenzanfechtungsrecht42, im Rahmen insolvenznaher Versuche einer Sicherheitenverwertung (z. B. Kündigung des Kontokorrents) könnte ein solcher Fall jedoch eintreten. Gleichwohl gibt es, wenn auch zum Teil komplexe und aufwendige Lösungsmöglichkeiten für Banken, um die schädlichen Auswirkungen des BGH-Urteils in Grenzen zu halten. Das Urteil hat somit dazu geführt, dass Jahrzehnte lang verwendete klassische Sicherheiten nicht mehr oder nur noch eingeschränkt einsetzbar sind. Das für die Finanzierung der mittelständischen Wirtschaft wesentliche Sicherungsmittel „Forderung“43 ist bei Kontokorrentverhältnissen dem volkswirtschaft-
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39 Vgl. Merkel in Bankrechts-Handbuch (Fn. 12), § 98 Rz. 116 f. 40 Unter 2. 41 Siehe § 154 Abs. 1 Satz 2 SolvV; ferner W. Servatius, WuB VI A. § 91 InsO 1.10 unter III. 42 Hierzu Zoepfel, Sichere Kreditsicherungsinstrumente im Kontext von Basel II, 2008, S. 19. 43 Dazu Ganter in Bankrechts-Handbuch (Fn. 12), § 90 Rz. 10, 79; § 96 Rz. 13.
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lichen Kreislauf entzogen und entgegen dem mit § 137 BGB durch den frühen BGB-Gesetzgeber verfolgten Zweck faktisch zu einer res extra commercium denaturiert. Ob der Ruf nach dem Gesetzgeber, als Folge des BGH-Urteils eine sachgerechte Lösung zu finden44, verfrüht ist, soll im folgenden noch untersucht werden. Ebenso zu untersuchen sind evtl. Auswirkungen auf das unmittelbare Bankgeschäft, soweit es um das Bankkontokorrent und das daran anknüpfende Pfandrecht nach Nr. 14 AGB-Banken geht. Im nächsten Abschnitt wird der Frage nachgegangen, was den BGH zu seiner Entscheidung veranlasst hat und ob Kritik daran berechtigt ist.
II. Kritik an der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats Das Echo in der Literatur auf die Entscheidung des BGH ist geteilt. Es reicht von Zustimmung45 bis Ablehnung46. Leider vermisst man eine ernsthafte Auseinandersetzung des IX. Senats mit der früheren Entscheidung des VIII. Senats vom 7. Dezember 197747. Der Einfachheit halber hat er sie argumentativ als eine vereinzelt gebliebene Entscheidung abqualifiziert48. Auch ging er kommentarlos über die umfangreiche, von ihm selbst zitierte und der Entscheidung aus 1977 nach wie vor zustimmenden Literatur hinweg49. Mit einem Satz wurde so ein langjähriges anerkanntes Sicherungsmittel einfach zerschlagen. Es wird im Folgenden gezeigt, dass das Erwerbsverbot von § 91 InsO selbst dann, wenn man am Ende der Linie des BGH von einem neuen Verständnis dieser Norm (Erfordernis einer gesicherten Rechtsposition des Zessionars vor Insolvenzeröffnung) folgt, nicht greift. 1. Bankseitiger Direkterwerb oder Durchgangserwerb des Anspruchs auf den kausalen Schlusssaldo Auf die Frage, ob der abgetretene kausale Schlusssaldo aufgrund Durchgangserwerbs zunächst dem Insolvenzschuldner oder im Wege des Direkterwerbs sogleich dem Zessionar zusteht, ist der BGH in seinem Urteil erst gar nicht eingegangen, sondern hat den Durchgangserwerb beim Insolvenzschuldner als Gläubiger der Forderung für „eine logische Sekunde“ unterstellt. Ansonsten wäre die Prüfung des Erwerbsverbots des § 91 InsO in der Tat nicht erforderlich gewesen50. Für einen Direkterwerb kommt es darauf an, dass grundsätzlich alle Voraussetzungen eines Forderungserwerbs erfüllt sind. U. a. hängt dies
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44 W. Servatius, WuB VI A. § 91 InsO 1.10. 45 Seehafer, BB 2010, 2054 (Begründung der früheren Rechtsprechung nicht mehr mit Rechtsprechung zu § 91 InsO vereinbar); W. Servatius, WuB VI A. § 91 InsO 1.10 (mit anderer Begründung als § 91 InsO); BGH, EWiR § 91 InsO 4/09, 777, 778 (Junghans); de Bra/Ganninger, NZI 2010, 599, 601 (indifferent, zumindest nicht ablehnend). 46 Obermüller, NZI 2010, 201, 206. 47 WM 1978, 137. 48 WM 2009, 1515 f. 49 WM 2009, 1515 f. 50 W. Servatius, WuB VI A. § 91 InsO 1.10 I.
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auch davon ab, ob eine bestehende oder eine künftige Forderung abgetreten wird. Nur bei einer künftigen Forderung stellt sich die Frage des Durchgangserwerbs. a) Es ist keineswegs selbstverständlich, den kausalen Schlusssaldo als künftige Forderung anzusehen. W. Henckel51rechnet die Schlusssaldoforderung schon mit Beginn der Rechnungsperiode zum haftenden Schuldnervermögen; er ist nur eben aufschiebend bedingt durch die Tatsache, dass ein Habensaldo zugunsten des Gemeinschuldners besteht. Der kausale Schlusssaldo ist danach anders als der abstrakte Schlusssaldo keine künftige Forderung, die erst mit oder nach Insolvenzverfahrenseröffnung entsteht52. Die Vertreter der Ansicht, es handele sich um eine künftige Forderung53, begründen dies nicht näher. Canaris54 sieht in § 161 Abs. 1 Satz 2 BGB zwar zutreffend den positivrechtlichen Ansatz dafür, weshalb bedingte Verfügungen insolvenzfest sind. Andererseits geht es an dieser Stelle noch nicht um die Zession als Verfügungsgeschäft, sondern um die Beurteilung der Forderung, d. h. den Rechtscharakter des (mit)abgetretenen kausalen Saldoanspruchs. Handelt es sich aber um eine bedingte Forderung, so ist sie eine bestehende Forderung55. Ein weiterer Gesichtspunkt, weshalb das Vorliegen einer nur künftigen Forderung verneint werden kann, ist die schlüssige Annahme, dass sich die Saldoforderung aus Restbeständen bereits vor Verfahrenseröffnung entstandener Forderungen zusammensetzt56 und es nach Insolvenzeröffnung nur noch um die betragliche Ermittlung des korrekten Saldos geht. b) Unterstellt man im folgenden, dass es sich bei dem Anspruch auf den Schlusssaldo um eine künftige Forderung handelt, bedarf es einer Auseinandersetzung mit der im Zivilrecht bisher weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur abschließend geklärten Frage, ob bei Vorausabtretung eines zukünftigen Rechts dieses unmittelbar in der Person des Zessionars entsteht oder zumindest für die sog. juristische Sekunde zum Vermögen des Zedenten gehört57. Frühere Rechtsprechung58, die zwischen Anwartschaftsrechts- und Vollrechtsübertragung differenziert, hilft vorliegend nicht weiter. Hingegen bietet der vom II. Zivilsenat in 2003 im Zusammenhang mit einem konkursrechtlichen Aufrechnungsverbot entschiedene „Zentralreguliererfall“59 Kriterien für die Beurteilung eines Direkt- bzw. Durchgangserwerbs. Ein Direkterwerb kann
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Jaeger/Henckel, Konkursordnung, 9. Aufl. 1997, § 15 Rz. 97. Herget, BuB 4/582 Fn. 2 m. w. N. Z. B. Breuer in MünchKomm.InsO (Fn. 4), § 91 Rz. 29. Canaris in Staub (Fn. 12), Rz. 247. Eindeutig keine bestehenden Forderungen sind Vergütungsansprüche, die durch Leistungserbringung nach Verfahrenseröffnung entstehen, siehe z. B. BGH, NJW-Spezial 2010, 438; siehe auch Ganter in Bankrechts-Handbuch (Fn. 12), § 90 Rz. 424 zum Absonderungsrecht bei einer aufschiebend bedingten Forderung. BGHZ 70, 86, 93 ff.; Serick, BB 1978, 873, 877, 880; Breuer in MünchKomm.InsO (Fn. 4), § 91 Rz. 29; Grundmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn (Fn. 12), § 355 Rz. 31; Heymann/Horn (Fn. 12), Rz. 52. Hierzu Hess, WuB VI B. § 55 KO 1.03; Müller, ZIP 1994, 342, 345. BGH, NJW 1956, 665; WM 1968, 198. BGH, WM 2003, 1717.
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danach angenommen werden, wenn die Rechtsgrundlage der Forderung gegen die spätere Gemeinschuldnerin schon vor der Vorausabtretung gelegt war und im Zeitpunkt der Forderungsentstehung noch fortbesteht. Ähnlich sind auch die Anforderungen der Literatur60, von der zusätzlich eine bestimmte Rechtsposition des Zedenten in Form einer Erwerbsaussicht oder Anwartschaft gefordert wird61. c) Diese Voraussetzungen können bei der Abtretung des kausalen Schlusssaldos als erfüllt angesehen werden: Zwischen der Schuldnerin und der Beklagten bestand ein Kontokorrentvertrag, demzufolge bei Beendigung des Kontokorrents – hier durch Insolvenzverfahrenseröffnung – gemäß §§ 115, 116 InsO ein Anspruch auf den kausalen Schlusssaldo entsteht. Die Rechtsgrundlage (Kontokorrentvertrag) bestand schon im Zeitpunkt der Abtretung des Saldoanspruchs an die Bank und war bis zur Forderungsentstehung vorhanden. Genau diese Rechtsposition bzw. Erwerbsposition wurde an die Bank zediert. Dieses Ergebnis kann nur in Frage gestellt werden, wenn man der Auffassung folgt, das Erlöschen der Kontokorrentabrede mit Insolvenzeröffnung als Beendigungstatbestand sei dem Entstehen des kausalen Saldoanspruchs nach materiellem Recht eine logische Sekunde zeitlich vorgelagert62. Diese Ansicht ist nicht näher unterlegt. Weder folgt dies ipso iure analog aus § 355 Abs. 3 HGB63 noch ergibt sich das aus § 115 Abs. 1 InsO, wo nur vom Erlöschen durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Rede ist. Materielles Recht, wonach eine künstliche Aufspaltung zwischen Kontokorrentbeendigung auf der einen Seite und Entstehung des kausalen Saldoanspruchs auf der anderen Seite vorzunehmen sei, ist nicht ersichtlich. Es spricht angesichts der Wortwahl des Gesetzgebers („durch“) mehr dafür, dass alle rechtlichen Vorgänge zeitgleich uno actu stattfinden und nicht in der Reihenfolge (1) Verfahrenseröffnung und (2) Entstehung des Schlusssaldos64. Geht man einen Schritt weiter und folgt dem Hinweis von Jaeger/Henckel65, dass getreu dem Gesetzeswortlaut nach § 1 KO (identisch § 35 Abs. 1 InsO) im Zeitpunkt der Konkurseröffnung entstehende Rechte grundsätzlich zur Insolvenzmasse gehören und § 15 KO (§ 91 InsO) grundsätzlich deren Ausscheiden aus der Insolvenzmasse verhindert, mag seine Schlussfolgerung zwar zutreffen, dass die Saldoforderung nicht unmittelbar vor Konkurseröffnung entsteht. In Wirklichkeit kommt es dann aber im Eröffnungszeitpunkt zu einer Konkurrenz zwischen der Insolvenzmasse und dem Zessionar, die als Prätendenten beide den Anspruch zeitgleich für sich reklamieren dürfen. Eine wertende Entscheidung fällt in dieser Situation jedoch zugunsten des Zessionars, weil sich
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Grüneberg in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 398 Rz. 14 m. w. N. Siehe die Nachweise bei Hess, WuB VI B. § 55 KO 1.03 II. So Canaris in Staub (Fn. 12), § 355 Rz. 245; W. Servatius, WuB VI A. § 91 InsO 1.10 I. Insoweit leitet Canaris in Staub (Fn. 12), § 355 Rz. 245 unter Hinweis auf BGHZ 74, 253, 255 hieraus zunächst auch nur den Entstehungszeitpunkt des kausalen Saldoanspruchs ab. 64 So Canaris in Staub (Fn. 12), § 355 Rz. 245. 65 (Fn. 12), § 15 KO Rz. 97.
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der Zedent (Insolvenzschuldner) seines Anspruchs im Voraus durch Abtretung begeben hat. Unterstützt wird diese Wertung ferner durch den Rechtsgedanken des § 356 HGB, wonach für Sicherungszwecke der Untergang von Einzelposten des Kontokorrents überall dort ignoriert wird, wo er den Verkehrsanschauungen und -bedürfnissen widersprechen und zu wirtschaftlich unsinnigen Folgen führen würde66. 2. Das Verbot des Rechtserwerbs an Gegenständen der Insolvenzmasse: § 91 InsO versus § 15 KO Der Bundesgerichtshof67 setzte sich in seinem Urteil mit den Fragen, ob der Anspruch auf den kausalen Schlusssaldo ein bestehender oder künftiger Anspruch ist, ob es sich bei dem Anspruch um einen Gegenstand der Insolvenzmasse handelt oder ob er zum Vermögen des Zessionars gehört, und ob Direktoder Durchgangserwerb stattfindet, nicht auseinander. Er prüfte nur, ob das Verbot des Rechtserwerbs an Gegenständen der Insolvenzmasse nach § 91 InsO greift. Dazu führte der BGH68 im Kern aus: Mit dem Erlöschen der Kontokorrentbindung durch Verfahrenseröffnung (§§ 115, 116 InsO) wirke gleichzeitig die Beschränkung des § 91 InsO, der zufolge Rechte auch am kausalen Schlusssaldo nicht mehr hätten erworben werden können. Der masseschützende Zweck des § 91 InsO setze das Wort „nach“ des Gesetzestextes in Beziehung zu dem gesamten Verfahren, welches mit dem Eröffnungsbeschluss beginne. Es sei zweckwidrig, wenn aus diesem Zeitraum der Zeitpunkt des Beginns als juristische Sekunde ausgeschlossen bleibe69. Diese Auslegung des Gesetzes ist das erste Begründungselement70 des Urteils; sie kann jedoch nicht überzeugen. Zunächst lässt sich nicht ignorieren, dass der Gesetzeswortlaut nun einmal von einem Rechtserwerb nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens spricht. Semantik ist zwar nicht alles, auch muss sie sich häufig der teleologischen Auslegung unterordnen. Dennoch bedarf es guter Gründe, wenn diese Auslegungsmethode den Gesetzeswortlaut mittels Generierung der sog. juristischen Sekunde genau in sein Gegenteil verändert (aus „nach“ mach „bei“, aus „bei“ mach „vor“). Angesichts der über den ent-
__________ 66 Vgl. Schimansky in Bankrechts-Handbuch (Fn. 12), § 47 Rz. 93 mit Hinweisen auch auf neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs; siehe aber BGH, WM 1978, 146 f., wonach Rückgriff auf Einzelansprüche nur für die Parteien des Kontokorrentverhältnisses zugelassen wird; Heymann/Horn (Fn. 12), Rz. 42, wonach kontokorrentgebundene Forderungen insoweit ihre Selbstständigkeit behalten. 67 WM 2009, 1515. 68 WM 2009, 1515 f. (10). 69 Unter Hinweis auf Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 25 Rz. 53; Jaeger/ Henckel/Windel, InsO, 2007, § 91 Rz. 60 bei Fn. 226; Häsemeyer, Insolvenzrecht (Fn. 12), Rz. 10.24. 70 Das weitere Begründungselement betrifft die Aufgabe der Rechtsprechung zu § 15 KO und der Hinweis, die jüngere Rechtsprechung fordere, dass der Zessionar vor Verfahrenseröffnung eine gesicherte Rechtsposition erlangt haben müsse, BGH, WM 2009, 1515 f. (11).
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schiedenen Einzelfall hinausgehenden gravierenden ökonomischen Auswirkungen der Entscheidung wäre jedenfalls Mephistos Hexen-Einmaleins71 nicht angebracht. a) Begründet wird die Vorgehensweise mit dem masseschützenden Zweck des § 91 InsO. Daran ist richtig, dass der Bestimmung masseschützender Charakter zukommt. Dies gilt aber nicht absolut. Es muss sich zum einen um einen Gegenstand der Insolvenzmasse handeln und zum anderen muss er nach Verfahrenseröffnung erworben worden sein. Beide Tatbestandsmerkmale sind aber streitig72. b) Der BGH setzt das Wort „nach“ in Beziehung zum gesamten Verfahren, das mit dem Eröffnungsbeschluss beginne, d. h. der Gesetzeswortlaut (neu) muss so gelesen werden:“ … Rechte können mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht wirksam erworben werden …“. Zu fragen ist, was ein gesamtes Verfahren ist. Es kann nämlich auch schon mit der Antragstellung beginnen; denkbar wäre sogar, den Verfahrensbeginn am Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung festzumachen. Die Festlegung durch den BGH erscheint danach willkürlich. c) Auch die Gesetzesbegründung zu § 91 InsO73 gibt weiter keinen Aufschluss darüber, dass der Gesetzgeber diese Vorschrift in dem Sinne verstanden wissen wollte, wie sie der BGH auslegt. Bedenkt man, dass die Insolvenzrechtsreform gut zwei Jahrzehnte lang dauerte und nach Abschluss der Arbeiten durch die Insolvenzrechtskommission in einem neuen Anlauf zahlreiche Gremien mit verschiedenen Entwürfen befasst haben, hätte man sich bei einer zentralen und bedeutsamen Vorschrift wie § 91 InsO – ebenso wie bei den Themen Insolvenzanfechtung und Aufrechnung – unmissverständlich geäußert, wenn man im neuen § 91 InsO die Vorgängervorschrift des § 15 KO hätte anders verstanden wissen wollen. Gerhardt74 setzt § 91 InsO mit § 15 KO vollkommen gleich, es sei nur die Neuerwerbsregelung des § 35 InsO zu berücksichtigen. So hätte es ganz nahe gelegen, nicht nur die Gesetzesbegründung zu § 91 InsO entsprechend zu fassen, sondern sogleich den Gesetzeswortlaut. Dieses ist aber gerade nicht geschehen, vielmehr wurde der Wortlaut im hier interessierenden Kontext unverändert gelassen, dies außerdem noch in Kenntnis der damals schon mehr als zehn Jahre alten Entscheidung des VIII. Zivilsenats, der § 15 KO seinerzeit nach dem Wortsinn auslegte75. Man kann dem Gesetzgeber deshalb nicht unterstellen, eine planwidrige Lücke geschaffen oder belassen zu haben. d) Zusammen betrachtet ist es wenig befriedigend, dass der BGH auf die vorstehend dargelegten und auch nahe liegenden Aspekte mit dem Hinweis auf die „vereinzelt gebliebene Entscheidung des früher für das Konkursrecht zu-
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Goethe, Faust 2, Verse 2540–2552. Siehe unter II. 1. Siehe dazu Uhlenbruck, Das neue Insolvenzrecht, 1994, S. 404 f. Verfügungsbeschränkungen in der Eröffnungsphase und nach Verfahrenseröffnung, in Kölner Schrift zur Insolvenzverordnung, 2. Aufl. 2000, S. 218 Rz. 51. 75 BGHZ 70, 86, 94 f., WM 1978, 137.
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ständigen VIII. Zivilsenats“ nicht weiter eingegangen ist. Sowohl der Gesetzgeber, die frühere Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats als auch die gesamte, in der entscheidungserheblichen Frage nahezu einhellige Literatur hätten eine Diskussion der relevanten Aspekte verdient gehabt. Folgt man der resignativ klingenden Empfehlung von Obermüller76, die Kreditsicherungspraxis möge diese Entscheidung (gleichwohl) zugrundelegen, erscheint es dennoch lohnenswert, sich mit der Frage zu befassen, wann denn nun der Dritte (Zessionar) nach dem Verständnis der neuen Rechtsprechung des IX. Zivilsenats eine insolvenzfeste bzw. gesicherte Rechtsposition erlangt hat. 3. Die vor Insolvenzverfahrenseröffnung gesicherte Rechtsposition an abgetretenen oder verpfändeten Forderungen Der BGH rechtfertigt die Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung (zweites Begründungselement) auch damit, dass die Auslegung von § 15 KO nicht mehr im Einklang mit der jüngeren Rechtsprechung77 stehe, welche das Erwerbsverbot des § 91 InsO nur dann zurücktreten lasse, wenn der Dritte bereits vor der Insolvenzeröffnung eine gesicherte Rechtsposition hinsichtlich der ihm abgetretenen oder verpfändeten Forderung erlangt hat78. Die Bank habe diese Rechtsposition aber nicht erlangt, weil der allein entscheidende (starke) vorläufige Insolvenzverwalter der Schuldnerin und die Beklagte, welche die laufende Rechnung fortgeführt haben, bis zur Beendigung des Kontokorrents durch weitere Verfügungen innerhalb desselben einen kausalen Saldoanspruch der Schuldnerin hätten beseitigen können. Hierzu ergeben sich folgenden Anmerkungen und Schlussfolgerungen: a) Für den BGH scheint es nicht von Bedeutung zu sein, dass ein starker Insolvenzverwalter (§ 22 Abs. 1 InsO)79 eingesetzt worden war, der (für den Schuldner) auf das Ergebnis des kausalen Schlusssaldos Einfluss nehmen konnte. Wäre nur ein schwacher Insolvenzverwalter (§ 22 Abs. 2 InsO) bestellt worden, hätte dem Schuldner zwar weiterhin die Verfügungsbefugnis zugestanden und Veränderungen am Ergebnis des kausalen Schlusssaldos wären allein auf ihn zurückzuführen gewesen (soweit das Gericht durch Anordnung die Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht an die des starken Verwalters angenähert hätte). Offenbar hält es der BGH aber für ausreichend, dass dann der Beklagte als Geschäftspartner des Insolvenzschuldners ebenfalls den kausalen Schlusssaldo hätten beseitigen können. Dies ist konsequent. b) Es fragt sich, was es bedeutet, dass die Kontokorrentparteien (mit oder ohne vorläufigen Insolvenzverwalter) den kausalen Schlusssaldo beseitigen können und welche Bedeutung dies auf die Rechtsposition der Bank als Zessionarin hat. Hierzu bedarf es zunächst einer Klarstellung des vom BGH verwendeten
__________ 76 NZI 2010, 201, 206. 77 BGH, WM 2006, 1343 Rz. 6; WM 2009, 416; in der weiteren Folge wohl auch BGH, NJW-Spezial 2010, 438. 78 BGH, WM 2009, 1515 f. Rz. 11. 79 Siehe dazu Tetzlaff, GWR 2009, 355.
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Begriffs der Rechtsposition. Die durch Abtretung oder Verpfändung erlangte Rechtsposition des Zessionars leitet sich ihrem Inhalt nach von der Rechtsposition des Zedenten ab. Der Zedent befindet sich mit seinem Geschäftspartner in einem Kontokorrentverhältnis nach § 355 HGB. Dieses ist nach erfolgter Vereinbarung gesetzlich umrissen. Inhaltlich gehört ebenso dazu, dass die Insolvenz einer Partei nach §§ 115, 116 InsO gleichsam einer (unechten) Rechtsbedingung zur Beendigung des Kontokorrents führt80 und damit ein kausaler Schlusssaldo entsteht. Dieser kann (i) zugunsten der einen oder der anderen Partei anfallen, er kann (ii) ausgeglichen sein, so dass keiner Partei ein Ausgleichsanspruch zusteht, er kann sich (iii) seit Beginn der Kontokorrentabrede betragsmäßig verändern, aber (iv) auch seit Abtretung oder Verpfändung der Forderung auf den Schlusssaldo. Mit diesem hier interessierenden Inhalt ist die Rechtsposition der abtretbaren Forderung rechtlich festgelegt. Der Zessionar erwirbt durch Abtretung nicht mehr, aber auch nicht weniger, d. h. weder betraglich noch rechtlich. c) Die vorstehend beschriebene Rechtsposition ist nach ihrem Inhalt und äußeren Rahmen fest umrissen. Daraus lässt sich die Forderung auf den Schlusssaldo nicht künstlich abspalten, sie erfährt bis zur Insolvenzverfahrenseröffnung auch keine vereinbarungswidrige Veränderung von außen. Sie ist deshalb nach § 91 InsO so sicher, dass sie in ihrem Forderungsinhalt weder vom Zedenten noch von Dritten beeinträchtigt oder gar beseitigt werden kann. Es ist rechtlich unerheblich, dass die Kontokorrentparteien „bis zur Beendigung des Kontokorrents durch weitere Verfügungen innerhalb desselben einen kausalen Schlusssaldo beseitigen“81, hinfällig machen bzw. „auf oder unter null reduzieren“82 können. Hierbei handelt es sich um eine rein ökonomische, nicht jedoch um die rechtlich gebotene Sichtweise; sie wird dem Wesen und Charakter des Gesamtinhalts einer Kontokorrentabrede nicht gerecht. Es liegt demgemäß in der Natur der Sache, dass der Zessionar den Schlusssaldo genau in dem Zustand erwirbt, wie er sich bei Kontokorrentbeendigung darstellt. Wenn durch Handlungen der Kontokorrentparteien der Saldo im Insolvenzeröffnungszeitpunkt ausgeglichen ist, geht der Anspruch des Zessionars und Absonderungsberechtigten nicht verloren, vielmehr läuft er nur betraglich ins Leere. Darin liegt jedoch das inhärente Risiko dieser Forderungsart, dessen sich der Zessionar bewusst ist und das er als Bank bei der Bewertung dieses Sicherungsmittels durch Bewertungsabschläge entsprechend berücksichtigt bzw. nach der SolvabilitätsVO berücksichtigen muss. Weder Zedent noch Zessionar gehen also bei der Abtretung von einem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ aus. Im schlimmsten Fall ist die Rechtsposition der Bank inhaltsleer mit einer nur noch äußeren formalen Rechtshülle.
__________ 80 Vgl. BGH, WM 2009, 1515 f. (10); Canaris in Staub (Fn. 12), § 355 Rz. 247; es liegt keine Rechtsbedingung im engeren Sinne vor, die zu einer schwebenden Unwirksamkeit des Kontokorrentvertrags führen würde, vielmehr tritt eine an die Tatsache der Insolvenzeröffnung geknüpfte Rechtsfolge ein, wofür §§ 158 ff. BGB nicht unmittelbar gelten, BGH, NJW 2004, 1595. 81 So BGH, WM 2009, 1515 f. (11). 82 Canaris in Staub (Fn. 12), § 355 Rz. 247.
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d) Canaris83 hält die vom BGH84 gegebene Begründung, die Vertragspartner der Gemeinschuldnerin als der Zedentin seien weder bei noch unmittelbar vor Konkurseröffnung in der Lage gewesen, den Saldoanspruch durch à contoZahlungen oder durch Begründung von Gegenforderungen zu beeinträchtigen, für „schlichtweg falsch“; richtig ist daran, dass die Bezugnahme des BGH auf sein früheres Urteil vom 5.1.195585 kein greifbarer Beleg für diese Auffassung ist. Im Übrigen ist der Bundesgerichtshof aber so zu verstehen, dass der Saldoanspruch rechtlich nicht beeinträchtigt werden kann86, wenngleich er wirtschaftlich/betraglich auch ausgeglichen oder zu Lasten des Zedenten gar negativ sein kann. Der kausale Saldoanspruch steht somit nicht einer künftigen Forderung gleich, sondern steht u. a. unter der (Rechts)-bedingung der Insolvenzeröffnung ohne Zutun der Parteien. Eine gesicherte Rechtsposition ist aber anzunehmen, wenn der Anspruch nur von einer Rechtsbedingung abhängt87; dies muss auch gelten, wenn die Bedingung nur als Rechtsfolge des vorausgegangenen Insolvenzereignisses eintritt. Das Recht entsteht auch ohne weiteres Zutun der Parteien; insoweit verweist der BGH88auf seine Rechtsprechungsgrundsätze zu § 95 InsO89, die auf § 91 InsO übertragbar seien. Dem Zessionar müsse danach das Absonderungsrecht nach § 51 InsO zustehen, da er in gleicher Weise schutzwürdig sei wie ein Gläubiger, der darauf vertrauen dürfe, dass er sich durch Aufrechnung würde befriedigen können. 4. Insolvenzanfechtung Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass selbst bei Überwindung der Hürde des § 91 InsO der Vorausabtretung des Saldoanspruchs die Anfechtbarkeit nach § 130 InsO entgegenstehen könnte90. Dies gilt im Hinblick auf die Abtretungserklärung selbst jedoch nur, wenn diese im Dreimonatszeitraum des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO vorgenommen wurde und nicht ein Bargeschäft anzunehmen ist. Dieser Fall ist allerdings weniger praktisch, vielmehr steht im Mittelpunkt der Fall, dass Kontokorrentverrechnungsvorgänge in anfechtbarer Zeit stattfinden. Gegebenenfalls sind auf der Ebene der Kontokorrentparteien dann einzelne Verrechnungen aus dem Saldo herauszunehmen, denn die Insolvenzanfechtung geht auf Rückgewähr an die Insolvenzmasse (§ 143 Abs. 1 Satz 1 InsO). Insoweit ist auf die Grundsätze der Rechtsprechung des BGH91 zu verweisen.
__________ 83 84 85 86 87 88 89 90
In Staub (Fn. 12), § 355 Rz. 247. BGHZ 70, 86, 95. WM 1955, 338. Siehe II. 3. c). BGH, WM 2010, 416, 418 (34). WM 2010, 416, 418 (32). BGH, WM 2004, 1691. W. Servatius, WuB VI A. § 91 InsO 1.10 III.; BGH, EWiR § 91 InsO 4/09, 777 f. (Junghans); Obermüller, NZI 2010, 201, 206. 91 Siehe Nachweise bei OLG München, WM 2010, 1375 f.
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Angefochten wird im Übrigen nicht die Rechtshandlung selbst, sondern deren gläubigerbenachteiligende Wirkung, die durch die Rechtshandlung verursacht wird92. Soweit bspw. im Anfechtungszeitraum Verrechnungen durchgeführt werden, die dazu führen, dass der Sollstand am Ende des Anfechtungszeitraums niedriger als zu dessen Beginn liegt, handelt es sich ggf. sogar um eine inkongruente Deckung nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Da es im Einzelnen auf die subjektive Kenntnislage des Kontokorrentpartners ankommt, müssen die Fälle der §§ 130, 131 InsO konkret geprüft werden. Dies erfordert eine ex-postBetrachtung, d. h. ein Insolvenzantrag muss begründet gewesen sein, was sich aber erst durch Eröffnung des Verfahrens erweisen kann. Geflissentlich wird übersehen, dass eine Grundvoraussetzung jeglicher Insolvenzanfechtung die Benachteiligung der Insolvenzgläubiger ist (§ 129 InsO); dies trifft nicht zu, wenn sich weder Aktiv- noch Passivmasse verändern93. Kommt es zu einer erfolgreichen Anfechtung, schlägt diese selbstverständlich auf die Ebene zum bzw. die Rechtsposition des Zessionars durch. Eine Beendigung des Kontokorrents durch Kündigung mit dem Ziel einer Saldierung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist möglich. Innerhalb von drei Monaten vor dem Insolvenzantrag könnte diese Rechtshandlung jedoch ebenso nach §§ 130, 131 InsO anfechtbar sein94. Durch eine solche Rechtshandlung seitens des Kreditnehmers würde wegen Wirksamwerden der Abtretung zwar die Sicherung der Bank ermöglicht95, der Saldoanspruch bei erfolgreicher Anfechtung aber wiederum erst nach Verfahrenseröffnung entstanden sein. Eine außerordentliche Kündigung des Kontokorrents bzw. Kredits durch die Bank innerhalb des Dreimonatszeitraums dürfte aber regelmäßig als Beginn der Verwertung der Sicherheit anzusehen sein. Die Bank befindet sich dann, wie Obermüller96 aus der Praxis heraus zutreffend feststellt, in dem Dilemma, zur Begründung der außerordentlichen Kündigung des Kredits die schlechte Vermögenslage des Kunden darzulegen und gleichzeitig die Kenntnis von Umständen zu bestreiten, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit des Kunden schließen lassen. Auch der Vorschlag von Servatius97, die Kontokorrentabrede unter die auflösende Bedingung eines – begründeten – Insolvenzantrags zu stellen, würde grundsätzlich zur Anfechtbarkeit nach § 130 InsO führen. Nach § 140 Abs. 1 InsO gilt eine Rechtshandlung als in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten, hier also zwischen der Insolvenzantragstellung und der Verfahrenseröffnung.
__________ 92 93 94 95
BGH, WM 2001, 1041; WM 2010, 772 f. (10). Hierzu BGH, WM 2010, 772 f. (10). BGH, NJW 2009, 2600; Obermüller, NZI 2010, 201, 206; siehe aber I. 3. c). Obermüller, ZInsO 2009, 1527, 1529 unter Hinweis auf BGH v. 14.5.2009 – IX ZR 63/08. 96 ZInsO 2009, 1527, 1529. 97 WuB VI A. § 91 InsO 1.10 III.
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III. Zur Frage der Übertragbarkeit der neuen Rechtsprechung zum Handelskontokorrent auf das Bankkontokorrent Eine für die Kreditwirtschaft entscheidende Frage ist es, ob nach dem partiellen Wegfall der (Global)zession als Kreditsicherheit hinsichtlich der im Handelskontokorrent gebundenen Forderungen die Einschläge durch die Rechtsprechung schon so nahe gekommen sind, dass auch das Bankkontokorrent als gefährdet anzusehen ist. Es stellt sich mithin die Frage, ob die Rechtsprechung zum Handelskontokorrent auf das Kontokorrent zwischen Bank und Kunde übertragbar ist98. Bejaht man dies, wäre der Bank nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Aufrechnungsmöglichkeit gegen ein Kundenguthaben genommen99 und wegen § 91 InsO könnte sie in der Folge am kreditorischen Schlusssaldo des Kontokorrents auch kein AGB-Pfandrecht (Nr. 14 AGB-Banken, Nr. 21 AGBSparkassen) mehr erlangen100. 1. Reaktionsmöglichkeit der Bank bei Übertragbarkeit Zu unterscheiden ist einerseits der Fall, dass das Bankkontokorrent in der Bank selbst geführt wird, und andererseits der Fall, dass es bei einem Drittinstitut geführt wird. In beiden Fällen sind allerdings die insolvenzanfechtungsrechtlichen Tatbestände im Auge zu behalten. a) Bei Führung des Bankkontokorrents im eigenen Hause bietet es sich an, Zahlungseingänge auf die an die Bank abgetretenen Forderungen, die dem Kontokorrentkonto gutzubringen sind, zunächst auf einem gesonderten Konto (Sicherheitenerlöskonto) zu buchen. Hierzu müsste zusätzlich der Anspruch des Bankkunden auf Gutschrift an die Bank abgetreten oder verpfändet werden. Dies ist unter Beachtung der §§ 675 Abs. 1, 613 Satz 2 BGB zulässig, weil § 613 Satz 2 BGB die Übertragung nur im Zweifel verneint, d. h. durch Vereinbarung oder auch konkludent ist die Übertragung möglich101, insbesondere wenn die Bank als Zessionarin des Anspruch die Dienstleistungsverpflichtete selbst ist. Das Risiko des Erlöschens des Anspruchs durch Konfusion (§ 362 Abs. 1 BGB)102 muss nicht eingegangen werden, wenn der Anspruch verpfändet anstatt abgetreten wird oder die Bank zur Buchung auf einem separaten Sicher-
__________ 98 Zu weiteren Übertragungen der Rechtsprechung auf §§ 95 Abs. 1 Satz 3, 96 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 InsO siehe BGH, EWiR § 91 InsO 4/09, 777 f. (Junghans); ferner Obermüller, NZI 2010, 201, 206 zu Nr. 15 AGB-Banken. 99 Berger, LMK 2009, 291793. 100 Tetzlaff, GWR 2009, 355 f.; Berger, LMK 2009, 291793; de Bra/Ganninger, NZI 2010, 600; a. A. Obermüller, ZInsO 2009, 1527, 1529 f. 101 Weidenkaff in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 613 Rz. 5; Bamberger/Roth, BeckOK BGB, Stand 1.5.2010, § 613 Rz. 3; siehe auch Escher/Weingart in Bankrecht und Bankpraxis, Stand 08/10, Rz. 6/164, wonach Anspruch auf Gutschrift zwar pfändbar, aber grundsätzlich nicht abtretbar ist. 102 Bei Sicherungsabtretung an einen Lebensversicherer wegen besonderer Interessenlage verneint von OLG Düsseldorf, NJW-RR 1999, 1406; so auch Olzen in Staudinger, BGB, 2006, § 362 ff. Rz. 33.
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heitenerlöskonto ermächtigt wird103. Die Implementierung eines solchen Prozesses einschließlich seiner Dokumentation wird nicht ohne erheblichen Aufwand auf Seiten der Banken zu leisten sein; ggf. sollte man sich auf die Fälle des Neugeschäfts beschränken und im Bestandsgeschäft auf individueller Basis agieren. b) Wird das Bankkontokorrent bei einem Drittinstitut geführt, ist die Vorgehensweise zwar weit komplizierter, sie ist aber gleichwohl in rechtswirksamer Weise gestaltbar. Im Abtretungsfall bedarf es einer Offenlegung der Abtretung, einer Kündigung des Kontokorrents und der anschließenden Geltendmachung des Saldoanspruchs. Bei einer Verpfändung müsste die Bank auf Grund einer erteilten Ermächtigung das Kontokorrent zunächst ebenfalls kündigen. Sie kann danach insbesondere verlangen, dass das Guthaben bis zur Fälligkeit ihrer gesicherten Forderungen für beide Parteien hinterlegt wird (§ 1281 Satz 2 BGB). 2. Keine Übertragbarkeit auf das Bankkontokorrent Indessen gibt es beachtliche Unterschiede zwischen einem einfachen Handelskontokorrent und einem Bankkontokorrent. Sie verbieten es, beide Kontokorrentsysteme im Insolvenzfall gleich zu behandeln: a) Der wesentliche Unterschied zum Handelskontokorrent besteht darin, dass das Bankkontokorrent mit einem Girovertragsverhältnis verbunden ist104. Dessen Inhalt und Umfang richten sich nach der Parteivereinbarung. Gerade dem hier hauptsächlich interessierenden Unternehmerbereich liegt regelmäßig eine vielgestaltige Geschäftsverbindung zugrunde. b) So steht dem Bankkunden aus dem Girovertrag insbesondere ein Anspruch auf Auszahlung der sich zwischen den Rechnungsabschlüssen ergebenden Tagesguthaben zu; der Tagessaldo ist zwar nur ein rechnerisch ermittelter Postensaldo und nicht auf die Herbeiführung eines Saldoanerkenntnisses gerichtet105. Gleichwohl ist er rechtlich von nicht unerheblicher Bedeutung106. Der Anspruch auf den Tagessaldo ist nicht kontokorrentgebunden und somit frei abtretbar107. Darin zeigt sich eine wesentliche Durchbrechung der strengeren Form des Handelskontokorrents, die – so die Kehrseite – gleichzeitig auch der Bank an diesem aus dem Kontokorrent herauslösbaren Anspruch des Bankkunden eine Zugriffsmöglichkeit für Sicherungszwecke108 verschafft.
__________ 103 Zur Lösungsklausel analog dem deutschen Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte siehe unter I. 3. c). 104 Schimansky in Bankrechts-Handbuch (Fn. 12), § 47 Rz. 37. 105 Ganter in Bankrechts-Handbuch (Fn. 12), § 96 Rz. 102; BGH, NJW 1985, 3010 f. 106 Schimansky in Bankrechts-Handbuch (Fn. 12), § 47 Rz. 47 ff. 107 BGHZ 84, 325, 329 f.; siehe aber Langenbucher in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2009, § 357 Rz. 3, 24, wonach § 357 HGB nur eine Ausnahmeregelung zugunsten des Pfändungsgläubigers darstelle und keinen Rückschluss auf die Möglichkeit auch seiner Abtretung zulasse. 108 Zur Komplexität dieser Möglichkeit siehe unter III. 1.
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c) Das Bankkontokorrent weist auch eine enge Verknüpfung mit Kreditsicherheiten auf, die über die Regelungen des § 356 HGB hinausgeht. Dies hängt insbesondere mit der Vielfalt der Nutzungsmöglichkeiten eines Bankkontokorrents zusammen, insbesondere im Rahmen der Krediteinräumung. Bei einer vom Sicherungsgeber gekündigten Drittsicherheit für einen Kontokorrentkredit beschränkt sich z. B. deren Haftungsumfang auf den Tagessaldo zum Zeitpunkt der Wirksamkeit der Kündigung109. d) Abgesehen davon, dass Banken aufsichtsrechtlich reguliert sind und zur Einhaltung des Bankgeheimnisses verpflichtet sind (Nr. 2 Abs. 1 AGB-Banken), wird die Bank-Kunden-Beziehung durch vielfältige in den AGB-Banken enthaltene Regelungen determiniert, die sich unmittelbar auf das gegenseitige Girokonto- und Kontokorrentverhältnis auswirken. Namentlich zu nennen sind hierbei insbesondere die Nrn. 18, 19 (Kündigungsrechte), Nr. 11 Abs. 4 (Auferlegung von Kontrollpflichten bei Tagesauszügen), Nr. 7 (Besonderheiten der Erteilung von Rechnungsabschlüssen) sowie Nr. 8 (1) und (2) (Stornorecht und Berichtigungsbuchung der Bank), wobei gerade letztere der Bank weitgehende Eingriffsmöglichkeiten in das Kontokorrent gestatten. e) Besonderheiten gelten auch im Rahmen der Wertstellung bei Zwischensalden (rechnerische Differenz von Soll- und Habenbuchungen bei unterschiedlichen Aktiv- und Passivzinssätzen). Solche treten in dieser Komplexität nur beim Bankkontokorrent auf110. f) Schließlich ist beim Bankkontokorrent auch nicht nur der Tagessaldo pfändbar. Außerhalb von § 357 HGB gibt es weitere Besonderheiten des Pfändungsschutzes, z. B. für auf das Bankkonto überwiesene Sozialleistungen nach § 55 SGB I. g) Eine Unsicherheit in der Frage der Übertragbarkeit der Rechtsprechung des IX. Senats liegt schließlich außerhalb des materiellen Rechts, die aber nicht unerwähnt bleiben darf. Soweit die Problematik den Bundesgerichtshof, z. B. im Kontext eines Bankkontokorrents, erneut erreichen sollte, ist nicht ausgeschlossen, dass diese je nach Fallkonstellation auch in die Zuständigkeit des XI. Senats fällt. und die zu treffende Entscheidung vom IX. Senat abweicht. Denkbar wäre dies, wenn ein solcher Fall stärker von der kontokorrentrechtlichen als von der insolvenzrechtlichen Seite geprägt wird.
IV. Gefährdung des AGB-Pfandrechts als Kreditsicherheit? Eng zusammen mit dem Schicksal des Bankkontokorrents hängt das Schicksal des AGB-Pfandrechts. Als Folge einer Übertragung der neuen Grundsätze des BGH zum Handelskontokorrent auf das Bankkontokorrent würde das AGBPfandrecht (Nr. 14 AGB-Banken, Nr. 21 AGB-Sparkassen) den kausalen Schlusssaldo nicht mehr erfassen. Außerhalb von Aufrechnungsmöglichkeiten müsste
__________
109 Schimansky in Bankrechts-Handbuch (Fn. 12), § 47 Rz. 48 m. w. N. aus der Rechtsprechung. 110 Dazu Schimansky in Bankrechts-Handbuch (Fn. 12), § 47 Rz. 61 ff.
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die Bank daher Guthaben an den Insolvenzverwalter herausgeben und wäre hinsichtlich solcher Kreditforderungen, die nach § 41 InsO erst durch Verfahrenseröffnung fällig werden, nur einfacher Insolvenzgläubiger111. a) Obermüller112 sieht zunächst Unterschiede zwischen dem Bankkontokorrent einerseits und dem Kontokorrent zwischen Bankkunden und Dritten andererseits, wobei diese Unterschiede unabhängig sind von den Fällen, wonach (i) der Bank an den Guthaben des Kunden (nur) das AGB-Pfandrecht zusteht und (ii) ihr zusätzlich Ansprüche gegen Drittschuldner ihres Bankkunden abgetreten wurden, die ihre Geldschuld durch Zahlung auf das bei der Bank geführte Kontokorrentkonto des Kunden erfüllen. Die Situation ist ähnlich dem Fall, dass die Bank zusätzlich zum AGB-Pfandrecht noch eine separate formularmäßige Verpfändung von gegen die Bank gerichteten Forderungen hereinnimmt113. Hierdurch kann sich die Sicherheitenposition der Bank aber keinesfalls verschlechtern, sondern nur verstärken. In beiden Fallkonstellationen kommt Obermüller114 zu demselben und auch richtigen Ergebnis, dass die Bank ein Pfandrecht nach Nr. 14 Abs. 1 Satz 2 AGB-Banken erwirbt, wenn nicht schon an dem Anspruch auf Gutschrift, so aber an dem neu entstehenden Anspruch aus der Gutschrift115. Die Ansprüche entstehen im Falle der Verursachung durch Verfahrenseröffnung auch mindestens eine logische Sekunde vor der Saldierung und damit vor der Verfahrenseröffnung. b) Diese überzeugenden Ausführungen können mit folgenden weiteren Gesichtspunkten untermauert werden: Das AGB-Pfandrecht konkretisiert anders als die Globalzession zu Recht nicht die Forderungsarten, insbesondere nicht die Besonderheiten beim Kontokorrentverhältnis, wie etwa den kausalen Schlusssaldo. Die Bank erwirbt das Pfandrecht nach Nr. 14 Abs. 1 Satz 2 AGBBanken vielmehr an den Ansprüchen, die dem Kunden aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung zustehen oder künftig zustehen werden, wobei beispielhaft Kontoguthaben erwähnt werden. c) Bei Kontoguthaben handelt es sich der Rechtsnatur nach um Forderungen des Kunden gegen die Bank selbst, d. h. die Bank erhält ein Pfandrecht an eigener Schuld. Nur über eine Verpfändung kann die Bank in dieser Situation auf einer rechtssicheren Grundlage überhaupt ein wirksames Sicherungsrecht erwerben, da bei Vereinbarung einer Abtretung jeweils Konfusion einträte116. Diese Konstellation ist im Vergleich zur Zession oder Verpfändung von Forderungen, die sich auf kontokorrentgebundene Forderungen eines Handelskontokorrents bezieht, rechtskonstruktiv grundverschieden. Daraus folgt, dass das
__________ 111 112 113 114 115
Obermüller, ZInsO 2009, 1527, 1529. Obermüller, ZInsO 2009, 1527, 1529 f. Hierzu Merkel in Bankrechts-Handbuch (Fn. 12), § 93 Rz. 212 ff. ZInsO 2009, 1527, 1529 f. ZInsO 2009, 1527, 1529 f. mit Hinweis auf BGH v. 12.2.2004 – IX ZR 98/03 und 26.6.2008 – IX ZR 47/05. 116 Ausnahmen werden bei diesem gesetzlich nicht geregelten Fall nur bei besonderer Interessenlage zugelassen, vgl. Grüneberg in Palandt (Fn. 60), Überbl. v. § 362 Rz. 4.
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AGB-Pfandrecht von den Besonderheiten der Anspruchsentstehung kontokorrentgebundener Forderungen und des kausalen Schlusssaldos gänzlich unberührt bleibt. Auch die Diskussion über juristische und logische Sekunden erübrigt sich, weil Schuldnerposition und Sicherheiten-Gläubigerposition – anders als bei abgetretenen Fremdforderungen – immer zeitgleich innerhalb ein und derselben Rechtsperson (Bank) zusammenfallen. Das AGB-Pfandrecht setzt sich infolgedessen durch, soweit nicht Zahlungseingänge auf dem Kontokorrentkonto nach allgemeinen Grundsätzen der Insolvenzanfechtung unterliegen.
V. Zusammenfassung und Ausblick Mit der Änderung seiner Rechtsprechung zur Vorausabtretung kontokorrentgebundener Forderungen des Handelskontokorrents, insbesondere des kausalen Schlusssaldos, hat der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs inmitten der Finanzmarktkrise die in vielen Medien beklagte sog. Kreditklemme der mittelständischen deutschen Wirtschaft nachhaltig verschärft. Kreditinstitute können seitdem die als klassische Kreditsicherheit anzusehende Globalzession nur noch eingeschränkt einsetzen, weil deren bisherige Insolvenzfestigkeit nach § 91 InsO nicht mehr gewährleistet ist. Die Kehrtwende des BGH in der Auslegung des § 91 InsO ist sachlich nicht gerechtfertigt. Auch der Gesetzgeber der Insolvenzrechtsreform wollte dies nicht. Bei näherer Betrachtung des Postulats der geänderten Rechtsprechung, wonach es für die Insolvenzfestigkeit bei § 91 InsO auf eine vor Insolvenzeröffnung gesicherte Rechtsposition des Zessionars oder Pfandgläubigers ankomme, zeigt sich, dass der Begriff der Rechtsposition am kausalen Schlusssaldo entgegen der Urteilsbegründung eine rechtliche und nicht eine betraglich-ökonomische Sichtweise erfordert. Eine Übertragung der zum Handelskontokorrent ergangenen Rechtsprechung auf das Bankkontokorrent ist nicht angezeigt. Zwischen beiden Kontokorrentsystemen bestehen gravierende Unterschiede, insbesondere auf Grund einer Überlagerung des Bankkontokorrents durch das Girovertragsverhältnis zwischen Bank und Kunde. Es gibt eine Reihe von gangbaren Lösungswegen, um die kreditsicherungsfeindlichen Auswirkungen der neuen Rechtsprechung, wenn auch mit erheblichem Aufwand, in Grenzen zu halten. Ziel muss es sein, Kontokorrentverhältnisse möglichst rechtzeitig aufzulösen. U. a. sind dafür Konstruktionen denkbar wie die Vereinbarung von Lösungsklauseln zur Befreiung vom Kontokorrent im Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung. Auch ist die Abtretung oder Verpfändung schon des einer Gutschrift vorgelagerten Anspruchs auf Gutschrift von den für das Kontokorrentkonto des Bankkunden vorgesehenen Zahlungseingängen in Erwägung zu ziehen. Eine Gefährdung des äußerst wichtigen Pfandrechts nach Nr. 14 AGB-Banken an Guthaben des Bankkunden auf dem Kontokorrentkonto besteht nicht. Insoweit ist kein Dominoeffekt des BGH-Urteils zu befürchten. Ein wesent808
Entwertung der Kreditsicherheiten aufgrund der neueren BGH-Rechtsprechung
licher Grund dafür liegt in der Besonderheit, dass diese Kreditsicherheit auf einem Pfandrecht an eigener Schuld beruht. Die neue Rechtsprechung fällt ohne dogmatische oder sonstige Not in ein diametrales rechtspolitisches Umfeld (Basel II, SolvV) und hinterlässt nicht nur in den Banken aufwendige Korrekturspuren. Die Lücke an Sicherungsmitteln, die dadurch entstanden ist, dass das knappe Sicherungsgut der kontokorrentgebundenen Forderungen de facto zu einer res extra commercium wurde, lässt sich nicht ohne weiteres schließen. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass sich ein anderer Senat des Bundesgerichtshofs zu einem späteren Zeitpunkt erneut mit der Thematik in den Schnittstellen des Handels-, Bank- und Insolvenzrechts zu befassen hat. Der Ruf nach dem Gesetzgeber117 ist gleichwohl nicht verfehlt, da er von der Rechtsprechung wohl missverstanden wurde und in progredienter Weise bereits neues Unheil im Hinblick auf eine mögliche Übertragung der neuen Rechtsprechung auf die Aufrechnungsvorschriften der §§ 95 Abs. 1 Satz 3, 96 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO118 und bei der Sicherungsabtretung von Forderungen, die dem Erwerb des Eigentums an Schecks und Wechseln nach Nr. 15 Abs. 2 AGB-Banken zugrunde liegen119, droht.
__________ 117 So W. Servatius, WuB VI A. § 91 InsO 1.10. 118 BGH, EWiR § 91 InsO 4/09, 777 (Junghans). 119 Siehe dazu Obermüller, NZI 2010, 201, 206.
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Der Nacherwerb beim Squeeze-out und beim Sell-out (§§ 39a, 39c WpÜG)* Inhaltsübersicht I. Einführung II. Das Meinungsspektrum 1. Rechtsprechung a) Beschluss des Landgerichts Frankfurt/M. vom 13. März 2009 b) Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. Dezember 2008 2. Literatur a) Erste Ansicht: Keine Berücksichtigung von Nacherwerb b) Zweite Ansicht: Berücksichtigung nur bei engem zeitlichen Zusammenhang c) Dritte Ansicht: Berücksichtigung auch späteren Nacherwerbs 3. Rechtsauffassung der BaFin 4. Zwischenergebnis III. Stellungnahme 1. Höherrangiges Recht a) Übernahmerichtlinie
b) Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) c) Zwischenergebnis 2. Auslegung der Regelung in §§ 39c, 39a WpÜG a) Wortsinn b) Objektiv-teleologische Kriterien c) Systematik der Regelung in §§ 39c, 39a WpÜG aa) § 39a Abs. 4 Satz 1 WpÜG als bloße Antragsfristregelung bb) § 39c Satz 2 WpÜG als bloße Andienungsfristregelung d) Gesetzgebungsgeschichte aa) Enger zeitlicher Zusammenhang bb) Beschränkte Berücksichtigung bedingten Nacherwerbs gemäß § 39a Abs. 4 Satz 2 WpÜG IV. Ergebnis
I. Einführung Bekanntlich eröffnet das Übernahmerecht die Möglichkeit, im Wege des Übernahmeangebots (§ 29 WpÜG) oder des Pflichtangebots (§ 35 WpÜG) eine Mehrheit der Aktien einer Aktiengesellschaft zu erwerben. In der Entscheidung, ob er ein Übernahmeangebot abgeben will, ist der Bieter frei. Dies ist Ausprägung der allgemeinen Vertragsautonomie und insbesondere der Kontrahierungsfreiheit. Das Übernahmeangebot ist auf den Erwerb der Kontrolle gerichtet (§ 29 Abs. 1 WpÜG). Kontrolle hat der Bieter erlangt, wenn er mindestens 30 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft hält (§ 29 Abs. 2 WpÜG). Hat er die Kontrolle erlangt, dann ist er zur Abgabe eines sogenannten Pflichtangebots verpflichtet. Insoweit wird der Grundsatz der Kontrahierungsfreiheit eingeschränkt. Die Frist für die Annahme des Angebots (Annahmefrist) wird grund-
__________ * Der Beitrag geht auf eine Anfrage aus der Praxis zurück.
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sätzlich vom Bieter bestimmt. Allerdings darf sie nicht weniger als vier Wochen und nicht mehr als zehn Wochen betragen (§ 16 Abs. 1 WpÜG). Allerdings kommt es in der Praxis nicht selten vor, dass eine proportional kleine Gruppe von Minderheitsaktionären nicht zum Verkauf bereit ist, was dann für den Mehrheitsaktionär einen erheblichen Verwaltungs- und Kostenaufwand nach sich zieht (Einberufung und Durchführung der Hauptversammlung, Auskunfts- und Fragerecht, Berichts-, Erläuterungs- und Prüfungspflichten etc.). Obgleich Minderheitsaktionäre oftmals nicht in der Lage sind, eine Sperrminorität aufzubauen und Hauptversammlungsbeschlüsse zu verhindern, können sie auch bei lediglich geringer Beteiligung solche Beschlüsse anfechten und damit notwendige Strukturmaßnahmen oder unternehmerische Entscheidungen blockieren. Die Praxis zeigt, dass das Missbrauchspotential derartiger Blockademaßnahmen nicht zu unterschätzen ist. Daher eröffnet das WpÜG die Möglichkeit, Restminderheiten in der Gesellschaft auszuschließen: Der Bieter kann, wenn ihm bereits 95 % oder mehr des stimmberechtigten Grundkapitals gehören, den Erwerb der verbleibenden Aktien beschleunigen, indem er bei Gericht beantragt, dass ihm die übrigen stimmberechtigten Aktien gegen Gewährung einer angemessene Abfindung durch Gerichtsbeschluss übertragen werden (squeeze-out). Darin bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass er die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit des ausschließenden Bieters bzw. Mehrheitsaktionärs und seine unternehmensstrategischen Interessen höher bewertet als die Vermögens- und Mitgliedschaftsrechte der Minderheitsaktionäre. Der Mehrheitsaktionär ist nunmehr in der Lage, notwendige Umstrukturierungen ohne große zeitliche Verzögerungen durchsetzen zu können1. Allerdings besteht für die verbleibenden Minderheitsaktionäre die Gefahr, dass sie mit ihrer Beteiligung in der Gesellschaft „eingesperrt“ bleiben2. Denn auch wenn die Gesellschaft weiter an der Börse notiert bleibt, kann in einer Aktiengattung, die zu mindestens 95 % von einem Hauptaktionär gehandelt wird, ein liquider Börsenhandel kaum mehr stattfinden. Die Preisbildung wird erheblich beeinträchtigt und der verkaufswillige Minderheitsaktionär kann nicht erwarten, einen angemessenen Kurs zu erhalten. Ein ordnungsgemäßer Börsenhandel ist in aller Regel auf Dauer nicht mehr gewährleistet3. Den Minderheitsaktionären ist es daher kaum möglich, sich von ihrer Beteiligung zu trennen und den Wert ihres darin gebundenen Vermögens zu realisieren. Es liegt ein klassischer Fall des in der Ökonomie so bezeichneten „Gefangenen-
__________ 1 Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 14. 2 Meyer, WM 2006, 1135, 1143. 3 Nach früherem Recht war in dieser Situation ohne weiteres der Widerruf der Zulassung des Wertpapiers möglich, siehe § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG a. F. Nach der neuen, seit dem 1.11.2007 geltenden Regelung in § 39 Abs. 1 BörsG kommt der Widerruf in diesem Fall nur noch dann in Frage, wenn hinzu kommt, dass die Börsengeschäftsführung die Notierung im regulierten Markt eingestellt hat; wortgleich die Regelung in § 62 Abs. 1 der Börsenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse in der Fassung vom 15.8.2008.
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Der Nacherwerb beim Squeeze-out und beim Sell-out (§§ 39a, 39c WpÜG)
dilemmas“ vor. Um dieses Dilemma zu verhindern, hat der Gesetzgeber verschiedene Vorkehrungen getroffen. So sieht § 16 Abs. 2 WpÜG bereits die sogenannte „Zaunkönig“-Regelung vor: Aktionäre der Zielgesellschaft, die ein Übernahmeangebot während der Annahmefrist nicht angenommen haben, können binnen zwei Wochen nach Veröffentlichung der nach Ablauf der Annahmefrist von dem Bieter gehaltenen Stimmrechtsanteile das Angebot nachträglich annehmen. Mit dieser Verlängerung der Annahmefrist soll der Entscheidungsdruck von den Minderheitsaktionären genommen werden. Diejenigen Aktionäre, die dem Angebot zunächst kritisch gegenüberstanden, sollen im Fall eines Kontrollwechsels doch noch die Möglichkeit haben, das Angebot anzunehmen4. Als weiteres Schutzinstrument hat der Gesetzgeber in § 39a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 WpÜG eine angemessene Abfindung jener Minderheitsaktionäre vorgesehen, die sich auch während der weiteren Annahmefrist nicht für die Annahme des Angebots entscheiden und nach Ablauf des Angebots vom Mehrheitsaktionär aufgrund des Verfahrens in §§ 39a und b WpÜG abgefunden werden. Verfassungsrechtlich ist die Regelung des squeeze-out dadurch abgesichert, dass der auszuschließende Aktionär für den Verlust seines Eigentums eine volle wirtschaftliche Entschädigung erhält5. Schließlich und drittens eröffnet der Gesetzgeber in § 39c WpÜG den Aktionären, die sich während der (weiteren) Annahmefrist nicht für die Annahme des Angebots entscheiden, ein Andienungsrecht (sell-out): Nach einem Übernahme- oder Pflichtangebot können die Aktionäre einer Zielgesellschaft, die das Angebot nicht angenommen haben, das Angebot innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Annahmefrist annehmen, sofern der Bieter berechtigt ist, einen Antrag nach § 39a WpÜG zu stellen6. Das Andienungsrecht nach § 39c WpÜG wurde durch das Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz eingeführt7. Mit der Vorschrift soll Art. 16 der Richtlinie betreffend Übernahmeangebote (nachfolgend: Übernahmerichtlinie) umgesetzt werden8. Wie sich zeigt, ist die Stellung des Bieters im Übernahmerecht relativ stark ausgestaltet. Hingegen werden die Interessen der Minderheitsaktionäre nachgeordnet, und es findet ein Schutz ihrer Vermögens- und Mitgliedschaftsrechte punktuell über die „Zaunkönig“-Regelung, das Erfordernis eines angemessenen
__________ 4 Statt vieler Steinmeyer in Steinmeyer/Häger, WpÜG-Kommentar, 2. Aufl. 2007, § 16 WpÜG Rz. 5 f. 5 BVerfG, NJW 2007, 3268. 6 Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BT-Drucks. 16/1003, S. 14. 7 Näher Merkt/Binder, BB 2006, 1285 ff. 8 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 betreffend Übernahmeangebote, ABl. L 142/12 v. 30.4.2004; nationale Vorbilder finden sich in Europa in der Schweiz, in Frankreich, in Italien und im Vereinigten Königreich, siehe Heidel/Lochner in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht – Kommentar, 2. Aufl. 2007, § 39c WpÜG Rz. 2.
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Abfindungsangebots und das Andienungsrecht statt9. Ob man dies rechtspolitisch für wünschenswert hält, soll bei den folgenden Überlegungen de lege lata keine Rolle spielen. Bedeutsam ist alleine, dass sich das geltende Recht in verfassungsrechtlich zulässiger Weise für diese Interessenbewertung entschieden hat10. An ihr hat sich daher auch eine Auslegung der Normen der §§ 29 ff., 35 ff., 39a ff. WpÜG zu orientieren. Der Gesetzgeber hat das Andienungsrecht des Minderheitsaktionärs in § 39c WpÜG gesetzestechnisch akzessorisch an die Regelung des Ausschlussrechts des Bieters in § 39a WpÜG angekoppelt. In der Literatur ist davon die Rede, das Andienungsrecht werde den Aktionären spiegelbildlich zum Recht des Bieters auf Durchführung des squeeze-out gewährt11. Das mag in einem recht formalen Sinn zutreffen. Aber in der Sache darf nicht übersehen werden, dass materielle „Waffengleichheit“ hier nicht besteht und nach der Wertung des Gesetzgebers auch nicht bestehen soll. Dem strategischen Unternehmensinteresse wird Vorrang gewährt12. Das Problem in der Praxis resultiert nun daraus, dass der Gesetzgeber das Andienungsrecht des Minderheitsaktionärs in § 39c WpÜG gesetzestechnisch akzessorisch an die Regelung des Ausschlussrechts des Bieters in § 39a WpÜG angekoppelt hat. Schon für § 39a WpÜG ist umstritten, wie im einzelnen zu bestimmen ist, ob dem Bieter nach dem Übernahmeangebot Aktien in Höhe von mindestens 95 % des Grundkapitals gehören und ob insbesondere ein Nacherwerb, also ein späterer Erwerb von Aktien, zu berücksichtigen ist. Dieser Streit wird durch die vom Gesetzgeber gewählte Regelungstechnik sozusagen in die Vorschrift des § 39c WpÜG importiert.
II. Das Meinungsspektrum 1. Rechtsprechung Die Rechtsprechung hatte bislang nur wenig Gelegenheit, zur Frage der Berücksichtigungsfähigkeit eines Nacherwerbs bei §§ 39c, 39a WpÜG Stellung zu beziehen. Veröffentlicht wurde bisher – soweit ersichtlich – nur eine Entscheidung des Landgerichts Frankfurt/M. vom 13. März 2009 (Interhyp), die zwischenzeitlich in der Rechtsmittelinstanz aufgehoben wurde. Ein weiteres Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. Dezember 2008 ist bislang nicht veröffentlicht.
__________ 9 Das wird vom Gesetzgeber implizit eingeräumt, siehe die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz, BTDrucks. 16/1003, S. 14. 10 BVerfG, NJW 2007, 3268. 11 Heidel/Lochner in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht – Kommentar, 2. Aufl. 2007, § 39c WpÜG Rz. 2. 12 Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG-Kommentar, 2. Aufl. 2008, § 39a WpÜG Rz. 3.
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a) Beschluss des Landgerichts Frankfurt/M. vom 13. März 2009 In seinem – mittlerweile aufgehobenen – Beschluss vom 13. März 200913 führt das Landgericht Frankfurt/M. aus, entgegen der Auffassung einiger Antragsgegner und Stimmen aus der Literatur verlange die gesetzliche Regelung des § 39a WpÜG weder, dass die 95 % innerhalb der Angebotsfrist, noch, dass sie in einem engen und zeitlichen Zusammenhang erreicht sein müssen. Zwar finde sich eine derartige Formulierung des engen zeitlichen Zusammenhangs auch in den Gesetzesmaterialien zu § 39a WpÜG, doch habe dies im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden. An einen derartigen, im Gesetzestext nicht manifestierten Willen des Gesetzgebers seien die Gerichte nicht nach Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 GG gebunden, und es gebiete auch der Respekt vor dem Gesetzgeber nicht die Berücksichtigung dieser im Gesetzgebungsverfahren gemachten Äußerungen. Vielmehr bestimme der Gesetzgeber durch den normativen Gesetzestext, unter welchen Voraussetzungen dem Bürger Rechte zuständen und welchen Inhalt es haben solle. Die gesetzliche Bestimmung des § 39a WpÜG verlange aber allein, dass der Antragsteller in einer Frist von drei Monaten nach Ende der Angebotsfrist den Antrag auf Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre stellen könne, wenn ihm mindestens 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals gehörten. Auf welcher Grundlage der Antragsteller bis zur Antragstellung diese Schwelle erreiche, gebe das Gesetz nicht vor. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht aus § 39c WpÜG. Vielmehr bestätige dies die Ansicht des Gerichts. Zwar knüpfe das dort geregelte Recht des sell-out binnen drei Monaten zunächst an das Ende der Annahmefrist an. Doch werde deutlich, dass auch der Gesetzgeber selbst davon ausgehe, dass innerhalb der Angebotsfrist das Erreichen der 95 %-Schwelle nicht zwingend sei, da er die Frist für einen sell-out nach § 39c WpÜG nicht vor der Mitteilung nach § 23 Abs. 1 Nr. 4 oder Satz 2 WpÜG beginnen lasse. Dies wäre überflüssig, wenn der Bieter die 95 %-Schwelle in der Angebotsfrist erreichen müsse. b) Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. Dezember 2008 Zum entgegengesetzten Ergebnis gelangt das Landgericht Berlin in seinem Urteil vom 11. Dezember 200814. Der Bieter habe nach Ablauf der Annahmefrist keineswegs drei Monate Zeit, um den Schwellenwert von 95 % zu erreichen und einen squeeze-out-Antrag zu stellen. Zwar heiße es in § 39a Abs. 4 Satz 1 WpÜG, dass ein Antrag auf Übertragung der Aktien nach Abs. 1 innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Annahmefrist gestellt werden müsse. Doch regle diese Vorschrift lediglich die formelle Antragsfrist, nicht aber die mate-
__________ 13 LG Frankfurt/M. v. 13.3.2009 – 3-5 O 328/08, AG 2009, 421, 422 = ZIP 2009, 1422 (Interhyp) mit zust. Anm. Martina Müller, EWiR 2009, 523. Der Beschluss wurde am 19.3.2009 im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht. Gegen diesen Beschluss hatte die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde eingelegt. Da allerdings der Squeezeout-Antrag während des Rechtsmittelverfahrens zurückgenommen wurde, hob das Oberlandesgericht Frankfurt/M. die erstinstanzliche Entscheidung durch Beschluss v. 13.4.2010 – WpÜG 1/09 (unveröffentlicht) auf. 14 LG Berlin v. 11.12.2008 – 93 O 22/08 (unveröffentlicht).
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riellen Voraussetzungen eines squeeze-out-Rechts. Das ergebe sich zum einen aus dem Wortlaut der Norm („ein Antrag auf Übertragung“), zum anderen aus dem systematischen Zusammenhang. Denn die Regelung der Frist in Abs. 4 nehme ausschließlich auf den in Abs. 1 genannten Antrag, nicht aber auf den dort genannten Schwellenwert von 95 % oder auf die in Abs. 1 genannte Wendung „nach einem Übernahme- oder Pflichtangebot“ Bezug. Unter Heranziehung der Gesetzgebungsmaterialien sei davon auszugehen, dass ein Erreichen der 95 %-Schwelle erst zwei Monate nach dem Ablauf der (gegebenenfalls verlängerten) Annahmefrist nicht mehr als ein Erreichen „nach einem Übernahme oder Pflichtangebot“ i. S. v. § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG aufgefasst werden könne. Schon die – sprachlich nicht sehr präzise – Erwägung 24 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote spreche gegen die Möglichkeit eines so langen Nacherwerbs nach Ablauf der Annahmefrist. Es heiße dort: „Die Mitgliedstaaten sollten die erforderlichen Vorkehrungen treffen, um einen Bieter, der im Zuge eines Übernahmeangebotes einen bestimmten Prozentsatz des stimmberechtigten Kapitals an der Gesellschaft erworben hat, die Möglichkeit zu geben, die Inhaber der übrigen Wertpapiere zum Verkauf ihrer Wertpapiere zu verpflichten.“ Aus der Formulierung „im Zuge eines Übernahmeangebotes“ ergebe sich, dass der Erwerb eines bestimmten Prozentsatzes der Anteile zumindest innerhalb einer kurzen Frist nach der Beendigung des Übernahmeangebotes erfolgen müsse. Deutlicher sei hingegen die Begründung des deutschen Gesetzgebers zu § 39a Abs. 1 WpÜG. Dort heiße es: „Unerheblich ist, auf welche Weise der Bieter die erforderlichen Mehrheiten erreicht. Sie müssen nicht auf der Annahme des Angebotes beruhen. So kann der Bieter die für den Ausschluss erforderlichen Schwellenwerte auch durch Transaktionen mit einzelnen Aktionären, z. B. durch Paketerwerbe, außerhalb des formellen Angebotsverfahrens erreicht haben, sofern die Transaktion in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot stehen.“ Danach berechtige ein Erreichen des Schwellenwertes nur dann zu einem squeeze-out-Antrag, wenn die Transaktion „in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot“ stehe. Ein Nacherwerb, der – wie in dem zu entscheidenden Sachverhalt – erst zweieinhalb Monate (oder, falls man auf die verlängerte Annahmefrist abstelle, zwei Monate) nach Ablauf der Annahmefrist zum Erreichen der 95 %-Schwelle führe, stehe aber nicht mehr in engem zeitlichen Zusammenhang zum Angebot. Anderenfalls würde das dazu führen, dass die Frist, in der der Bieter den Schwellenwert grundsätzlich erreichen kann und die gemäß § 16 Abs. 1 WpÜG vier bis zehn Wochen betrage, etwa verdoppelt würde. Von einem engen zeitlichen Zusammenhang zum Angebot könne aber nur dann gesprochen werden, wenn der Angebotszeitraum, in dem der Schwellenwert erreicht werden könne, allenfalls um einen – relativ zum Angebotszeitraum – kurzen Zeitraum erweitert werde. Das sei bei einer Verlängerung des Zeitraums von zehn Wochen um (mindestens) zwei Monate nicht mehr der Fall. Entgegen der Ansicht des Klägers sei es auch unter dem Gesichtspunkt, dass der Bieter das Andienungsrecht umgehen könne, nicht geboten, den Zeitraum, in dem der Bieter den Schwellenwert erreichen könne, weiter auszudehnen. 816
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Denn die Vorschriften des übernahmerechtlichen squeeze-out dienten nicht in erster Linie dazu, dem Aktionär ein Andienungsrecht zu verschaffen. Vielmehr sollten sie dem Bieter einen zügigen und kostengünstigen squeeze-out ermöglichen. Ein Andienungsrecht bestehe nur dann, wenn auch ein squeeze-outRecht bestehe. Eine Notwendigkeit, dem Bieter die Möglichkeit zu eröffnen, nach Ablauf der Annahmefrist noch für längere Zeit durch Nacherwerb den Schwellenwert zu erreichen, gebe es nicht. 2. Literatur In der Literatur werden im Wesentlichen drei Positionen zu der hier behandelten Frage vertreten. Nach einer strengen Ansicht kommt es für das Erreichen der 95 %-Schwelle auf den Zeitpunkt am Ende der (ggf. verlängerten) Annahmefrist an. Eine vermittelnde Ansicht orientiert sich an der Regierungsbegründung zum Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz und rechnet solchen Nacherwerb hinzu, der in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot steht. Dabei wird als äußerste Grenze eine Frist von sechs Wochen angesehen. Eine dritte Ansicht will Nacherwerb auch über diese Grenze des engen zeitlichen Zusammenhangs hinaus berücksichtigen. a) Erste Ansicht: Keine Berücksichtigung von Nacherwerb Nach einer von Andreas Meyer vertretenen Auffassung ist Nacherwerb zu berücksichtigen, „… solange die Transaktion in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Angebot steht“15. Der enge zeitliche Zusammenhang sei „… bei Erwerben während der Annahmefrist und der erweiterten Annahmefrist nach § 16 Abs. 1 und 2 WpÜG gegeben.“ Auch für Süßmann handelt es sich um „… ein Ausschlussverfahren, welches unmittelbar an ein vorausgehendes Übernahme oder Pflichtangebot anknüpft“16. Und weiter: „Aus der Formulierung in § 39a Abs. 1 WpÜG ‚nach einem Übernahme- oder Pflichtangebot‘ folgt, dass die Schwelle von 95 % nicht aufgrund des Erwerbs von Aktien, die in dem Übernahme- oder Pflichtangebot angedient worden sind, sondern auch von Aktien, die aufgrund von Paketerwerben oder aufgrund börslicher oder außerbörslicher Zukäufe von Aktien der Zielgesellschaft vor oder parallel zu dem Angebot bzw. dessen Annahmefrist erreicht werden.“ b) Zweite Ansicht: Berücksichtigung nur bei engem zeitlichen Zusammenhang Nach Deilmann muss ein Nacherwerb, wenn er berücksichtigungsfähig sein soll, „… in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot stehen. Von dem Erfordernis eines engen zeitlichen Zusammenhangs wird angesichts die-
__________ 15 Meyer, WM 2006, 1135, 1142. 16 Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG-Kommentar, 2. Aufl. 2008, § 39a WpÜG Rz. 2.
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ser Gesetzesbegründung und erster zustimmender Literaturstimmen bis zu einer gegenteiligen höchstrichterlichen Entscheidung auszugehen sein … In engem zeitlichem Zusammenhang stehen dabei nicht nur dem Angebot unmittelbar vorausgehende sowie parallele Erwerbsvorgänge, sondern auch solche, die dem Angebot (Ablauf der Annahmefrist) nachfolgen. Welchen Zeitraum der „enge zeitliche Zusammenhang“ genau abdeckt, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Erwerbsvorgänge binnen vier Wochen dürfen wohl noch in einem engen zeitlichen Zusammenhang stehen, wohl aber kaum solche über mehr als drei Monate, zumal der Antrag auf Übertragung der Aktien binnen drei Monaten nach Ablauf der Annahmefrist gestellt werden muss (§ 39a Abs. 5 Satz 1 WpÜG). Einem Bieter, der sich auf einen engen zeitlichen Zusammenhang berufen will, ist zu raten, Vorerwerbe möglichst nahe an das Angebot bzw. die Veröffentlichung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 WpÜG heranzulegen und sich mit Nacherwerben zu beeilen“17. Heidel/Lochner verweisen explizit auf die Formulierung der Regierungsbegründung zu § 39a Abs. 1 WpÜG, derzufolge es auf den engen zeitlichen Zusammenhang ankommt18. In gleichem Sinn und ebenfalls unter Verweis auf die Regierungsbegründung zu § 39a Abs. 1 WpÜG heißt es bei Johannsen-Roth/Illert: „Voraussetzung für die Berücksichtigungsfähigkeit von Aktienerwerben außerhalb des formellen Angebotsverfahrens ist jedoch, dass diese Transaktionen in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot stehen“19. Kießling setzt sich in seiner Dissertation eingehender mit der Frage der Berücksichtigungsfähigkeit von Nacherwerb auseinander und führt aus: „Wenn man den Nebenerwerb in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot zulässt, muss der Zeitraum in einer Weise bemessen sein, die dem Bieter Zukäufe auch tatsächlich ermöglicht. [Daher] wird man aufgrund der dargestellten Erwägungen praxisbezogen davon auszugehen haben, dass dem Bieter nach Ende der Annahmefrist eine Zeitspanne von sechs Wochen zugestanden werden muss, um auch bei unerwartet geringer Annahme seines öffentlichen Übernahmeangebots weitere Beteiligungserhöhungen realisieren zu können. … [E]ine weitere Ausdehnung der Frist stünde nicht mehr im Einklang mit der ratio legis eines unmittelbar an ein Übernahmeangebot anknüpfenden Ausschlussverlangens“20. Auch Seibt/Heiser stützen sich im Wesentlichen auf die Regierungsbegründung zu § 39a Abs. 1 WpÜG und meinen „Es ist also unerheblich, auf welche Weise der Bieter die Ausschlussschwelle erreicht, sofern nur ein enger zeitlicher Zusammenhang mit dem Angebot besteht. Erfasst sind insbesondere die typischen Paketerwerbe von Großaktionären außerhalb des Angebotsverfah-
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17 Deilmann, NZG 2007, 721, 722. 18 Heidel/Lochner, Der Konzern 2006, 653, 654; dies. in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht – Kommentar, 2. Aufl. 2007, § 39a WpÜG Rz. 19. 19 Johannsen-Roth/Illert, ZIP 2006, 2157, 2159. 20 Kießling, Der übernahmerechtliche Squeeze-out gemäß §§ 39a, 39b WpÜG, 2008, S. 52.
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rens, aber auch Aktienerwerbe über die Börse oder die Aktienerwerbe im Zeitraum der weiteren Annahmefrist (sog. „Zaunkönig“-Regelung; § 16 Abs. 2 WpÜG)“21. Dem schließt sich Santelmann an22. c) Dritte Ansicht: Berücksichtigung auch späteren Nacherwerbs Nach Holzborn/Müller gilt: „Der Bieter kann das übernahmerechtliche squeeze out […] auch dann durchführen, wenn er die erforderliche Beteiligungsquote erst durch Individualvereinbarung (z. B. Paketerwerb) mit den Aktionären erreicht hat, sofern dies innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Annahmefrist (§ 39a Abs. 4 Satz 1 WpÜG) geschehen ist“23. Auch Nagel befürwortet eine großzügige Berücksichtigung von Nacherwerb: „Einzig das Abstellen auf die Dreimonatsfrist nach § 39a Abs. 4 Satz 1 WpÜG vermag zu überzeugen. Eine Begrenzung der Berücksichtigungsfähigkeit durch die Verknüpfung mit der weiteren Annahmefrist oder sonstigen Wochenfristen hat im Gesetz keinen Niederschlag gefunden und ist aus teleologischen wie gesetzeshistorischen Gründen abzulehnen“24. Im gleichen Sinne führt Ott aus: „Erwirbt der Bieter nach Angebotsende, aber vor Ablauf der Frist zur Einleitung des übernahmerechtlichen squeeze-out zusätzliche Aktien der Zielgesellschaft, sind nach Sinn und Zweck des § 39a Abs. 1 WpÜG auch diese bei Ermittlung der für den squeeze-out notwendigen Beteiligungsquote zu berücksichtigen; hat der Bieter mithin im Rahmen des vorangegangenen Angebots die 95 %ige Ausschlussmehrheit knapp verfehlt, können die fehlenden Aktien innerhalb der 3-Monatsfrist des § 39a Abs. 4 WpÜG ‚nachgekauft‘ werden. Demgegenüber bleiben Aktien, die nach Stellung des Antrags gemäß § 39a Abs. 1 WpÜG erworben werden, unberücksichtigt“25. Schüppen/Tretter folgen dieser Auffassung: „Nach der Gesetzesbegründung sollen allerdings nur Transaktionen zu berücksichtigen sein, die ‚in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot stehen‘. Sofern es sich hierbei nicht um eine missverständliche Formulierung handelt, ist jedenfalls festzustellen, dass eine solche Anforderung im Gesetzeswortlaut keinerlei Niederschlag gefunden hat. Die zeitliche Dimension wird abschließend durch die dreimonatige Antragsfrist des Abs. 4 festgelegt. Darüber hinaus für den Erwerb der Schwellenbeteiligung irgendeine Art zeitlichen Zusammenhangs zu verlangen, wäre weder mit dem Wortlaut des WpÜG noch mit Art. 15 Übernahmerichtlinie zu vereinbaren“26.
__________ 21 Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 318. 22 Santelmann in Steinmeyer/Häger, WpÜG-Kommentar, 2. Aufl. 2007, § 39a WpÜG Rz. 15. 23 Holzborn/Müller in Bürgers/Körber, Heidelberger Kommentar zum AktG, 2008, Anh. § 327a/§§ 39a–39c WpÜG Rz. 7. 24 Nagel, AG 2009, 393, 395. 25 Ott, WM 2008, 384, 387. 26 Schüppen/Tretter in Haarmann/Schüppen, Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 39a WpÜG Rz. 17.
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Noch weiter geht Paefgen: Er lehnt jede zeitliche Beschränkung bei der Berücksichtigung von Nacherwerbsvorgängen ab. „Eine derartige Einschränkung ist […] mit dem Gesetzeszweck des Schutzes der unternehmensstrategischen Interessen des Bieters nicht zu vereinbaren. Dieser Schutz darf nicht vom Zeitpunkt des Erwerbs der Stimmrechte abhängen, die eine den Zwangsausschluss rechtfertigende überragende Stellung in der Zielgesellschaft begründen. Das Gesetz fordert allein, dass der Bieter den Minderheitsaktionären in einem voraus gehenden Übernahme- oder Pflichtangebot Gelegenheit zur freiwilligen Veräußerung ihrer Anteile gegeben und damit die Mühen und Kosten des Kontrollerwerbs auf sich genommen hat. Schließlich ist auch nicht einsehbar, warum den Minderheitsaktionären das spiegelbildlich an die Voraussetzungen des Zwangsausschlusses anknüpfende sell-out-Recht nach Art. 16 ÜR/ § 33c WpÜG nur deshalb nicht zustehen soll, weil der Bieter einen Teil seiner Aktien nicht zeitnah zu dem öffentlichen Angebot erworben hat“27. 3. Rechtsauffassung der BaFin Zwar hat die BaFin keine Entscheidungszuständigkeit für die Schwellenwertberechnung. Aber sie überwacht im Rahmen ihrer Aufsicht nach §§ 61, 60 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) WpÜG die Ordnungsmäßigkeit der Meldungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 WpÜG, weshalb sie die Berücksichtigungsfähigkeit von Nacherwerb inzident beurteilt. Die BaFin stimmt im Grundsatz der erstgenannten Auffassung zu, dass ein Nacherwerb nach Ablauf der (weiteren) Annahmefrist für die Prüfung, ob die 95 %-Schwelle erreicht ist, nicht zu berücksichtigen ist. Eine Ausnahme soll aber dann gemacht werden, wenn der Schwellenwert bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht dinglich, aber schuldrechtlich erreicht ist. Auf diese Fallvariante beziehe sich die Regierungsbegründung mit der Anforderung, dass ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen müsse. Es gehe also ausschließlich um den Vollzug schuldrechtlicher Verpflichtungen28. 4. Zwischenergebnis Die überwiegende Zahl der Literaturstimmen und die BaFin halten mit dem LG Berlin einen Nacherwerb unter Verweis auf die Regierungsbegründung zu § 39a Abs. 1 WpÜG nicht oder jedenfalls nur in engem zeitlichen Zusammenhang von allerhöchstens sechs Wochen nach Ablauf der Frist für die Annahme eines Übernahme- oder Pflichtangebots für berücksichtigungsfähig. Hingegen befürwortet eine Minderzahl von Autoren in Übereinstimmung mit dem LG Frankfurt/M., dass auch ein Nacherwerb zwei Monate nach Ablauf der Annahmefrist für die Berechnung des Schwellenwertes Berücksichtigung finden kann.
__________ 27 Paefgen, WM 2007, 765, 766; ders. in FS H. P. Westermann, 2008, S. 1221, 1248. 28 So die Haltung der Vertreter der BaFin nach Seibt/Heiser, AG 2006, 301, 318 und A. Meyer, WM 2006, 1135, 1142.
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III. Stellungnahme Bei der Beantwortung der Frage, ob und in welchem Umfang ein Nacherwerb für das Erreichen der Beteiligungsschwelle beim sogenannten Andienungsrecht gemäß § 39c WpÜG erheblich ist, ist zunächst das höherrangige Recht zu befragen und sodann vom Wortlaut der gesetzlichen Regelung auszugehen. Sofern der Wortlaut keine eindeutige Antwort gibt, sind die maßgeblichen Vorschriften auszulegen. 1. Höherrangiges Recht a) Übernahmerichtlinie Zu klären ist, ob und ggf. in welchem Umfang die Übernahmerichtlinie die Frage der zeitlichen Berücksichtigungsfähigkeit eines Nacherwerbs präjudiziert. In Erwägungsgrund 24 der Übernahmerichtlinie heißt es: „Die Mitgliedstaaten sollten die erforderlichen Vorkehrungen treffen, um einem Bieter, der im Zuge eines Übernahmeangebots einen bestimmten Prozentsatz des stimmberechtigten Kapitals einer Gesellschaft erworben hat, die Möglichkeit zu geben, die Inhaber der übrigen Wertpapiere zum Verkauf ihrer Wertpapiere zu verpflichten. Dementsprechend sollten die Inhaber der übrigen Wertpapiere die Möglichkeit haben, den Bieter, der im Zuge eines Übernahmeangebots einen bestimmten Prozentsatz des stimmberechtigten Kapitals einer Gesellschaft erworben hat, zum Erwerb ihrer Wertpapiere zu verpflichten. Diese Ausschluss- und Andienungsverfahren sollten nur unter bestimmten Bedingungen im Zusammenhang mit Übernahmeangeboten gelten. Die Mitgliedstaaten können unter anderen Umständen auf Ausschluss- und Andienungsverfahren weiterhin ihre nationalen Vorschriften anwenden.“ (Hervorhebungen hinzugefügt)
In Art. 15 der Übernahmerichtlinie heißt es: „(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Anschluss an ein an alle Wertpapierinhaber der Zielgesellschaft gerichtetes Angebot für sämtliche Wertpapiere die Absätze 2 bis 5 gelten. (2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Bieter von allen verbleibenden Wertpapierinhabern verlangen kann, dass sie ihm ihre Wertpapiere zu einem angemessenen Preis verkaufen. Die Mitgliedstaaten führen dieses Recht ein, wenn einer der folgenden Fälle vorliegt: a) Der Bieter hält entweder Wertpapiere, die mindestens 90 % des stimmberechtigten Kapitals der Zielgesellschaft und 90 % der Stimmrechte der Zielgesellschaft entsprechen, oder b) er hat durch Annahme des Angebots Wertpapiere erworben oder sich fest vertraglich verpflichtet, solche Wertpapiere zu erwerben, die mindestens 90 % des stimmberechtigten Kapitals der Zielgesellschaft und 90 % der vom Angebot betroffenen Stimmrechte entsprechen. Die Mitgliedstaaten können im Fall des Buchstabens a) einen höheren Schwellenwert festlegen, der jedoch 95 % des stimmberechtigten Kapitals und 95 % der Stimmrechte nicht überschreiten darf. (3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Vorschriften in Kraft sind, nach denen sich berechnen lässt, wann der Schwellenwert erreicht ist.“ (Hervorhebungen hinzugefügt)
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Aus diesen Regelungen ergibt sich, dass das übernahmerechtliche Ausschlussund Andienungsrecht nur im Zuge bzw. im Zusammenhang mit einem Übernahmeangebot gewährt werden soll. Da das Ausschluss- bzw. Andienungsrecht nach Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie das Erreichen der Ausschlussschwelle tatbestandlich voraussetzt, folgt daraus zugleich, dass auch das Erreichen der Schwelle nur im Zuge bzw. im Zusammenhang mit einem Übernahmeangebot den Anforderungen der Richtlinie entspricht. Zwar trifft es zu, dass diese Regelung der Übernahmerichtlinie dem Schutz der unternehmensstrategischen Interessen des Bieters dient. Aber dieser Schutz der unternehmensstrategischen Interessen wird gerade und speziell im Zusammenhang mit der Übernahme bezweckt. Insoweit muss die Regelung des Ausschluss- und des Andienungsrechts im systematischen Zusammenhang der Übernahme gesehen werden. Es geht, anders als beim aktienrechtlichen squeeze-out nach §§ 327a ff. AktG, um den Ausschluss zum Zweck der konsequenten und vollständigen Umsetzung des strategischen Ziels der Übernahme und insofern um einen besonderen Einsatzbereich des squeeze-out. Dem ist bei der Anwendung der Übernahmerichtlinie Rechnung zu tragen. Unvereinbar damit ist zunächst die Auffassung, dass ein Nacherwerb zeitlich unbeschränkt zu berücksichtigen wäre29. Denn ein Nacherwerb, der zu irgendeinem späteren Zeitpunkt stattfindet, mag zwar im weiten Sinn „nach dem Übernahmeangebot“ stattfinden, aber er findet eben nicht im Zuge bzw. im Zusammenhang mit dem Angebot statt und ist mithin vom Zweck der Übernahmerichtlinie nicht gedeckt. Dass die Richtlinie von einer gewissen zeitlichen Nähe der Schwellenüberschreitung zum Angebot ausgeht, zeigt ein Vergleich mit der französischen Fassung von Art. 15 Abs. 2 der Übernahmerichtlinie, wo es heißt: „(1) Les États membres veillent, lorsqu’une offre a été adressée à tous les détenteurs de titres de la société visée pour la totalité de leurs titres, à ce que les paragraphes 2 à 5 s’appliquent. (2) Les États membres veillent à ce qu’un offrant puisse exiger de tous les détenteurs des titres restants qu’ils lui vendent ces titres pour un juste prix. Les États membres introduisent ce droit dans un des deux cas suivants: a) lorsque l’offrant détient des titres représentant au moins 90 % du capital assorti de droits de vote et 90 % des droits de vote de la société visée, ou b) lorsque, à la suite de l’acceptation de l’offre, il a acquis ou s’est fermement engagé par contrat à acquérir des titres représentant au moins 90 % du capital assorti de droits de vote de la société visée et 90 % des droits de vote faisant l’objet de l’offre.“ (Hervorhebungen hinzugefügt)
Die Verwendung der Konjunktion „lorsque“, die sich in diesem Zusammenhang mit „als“ (zeitlich), „anlässlich“ oder „während“ übersetzen lässt30, macht
__________ 29 So aber Paefgen, WM 2007, 765, 766; ders. in FS H. P. Westermann, 2008, S. 1221, 1248. 30 Grappin/Charue/Nugue, Larousse – Großwörterbuch: französisch-deutsch, 2007.
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den kontemporalen Zusammenhang zwischen dem Angebot und dem Ausschlussrecht bzw. der Schwellenerreichung als dem entscheidenden Moment deutlich. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Übernahmerichtlinie in Art. 15 Abs. 5 die Höhe der Abfindung des ausgeschlossenen Aktionärs grundsätzlich nach der Höhe des Angebotspreises bemisst. Je länger der Zeitraum zwischen dem Ablauf der Angebotsfrist und dem Zeitpunkt ist, der für die Prüfung der Schwellenwerterreichung maßgeblich ist, desto größer ist die Gefahr, dass sich der Kurs zwischenzeitlich verändert hat und dass der Angebotspreis keine angemessene Abfindung mehr darstellt. Auch dies spricht dafür, dass der zeitliche Zusammenhang, den die Richtlinie selbst zwischen dem Angebot und der Schwellenwertprüfung herstellt, möglichst eng ist. Aus Art. 15 Abs. 3 der Übernahmerichtlinie ergibt sich schließlich, dass der nationale Gesetzgeber bei der Gestaltung der Regelungen zur Bestimmung der Schwellenwerterreichung Spielraum hat31. In Übereinstimmung damit hat etwa der englische Gesetzgeber in Sec. 979 (2) des Companies Act vorgesehen, dass der erforderliche Schwellenwert (in England: 90 %) „aus dem Stand“ erreicht werden muss, also ausschließlich durch eine ausreichende Annahme des öffentlichen Angebots32. Ein Nacherwerb ist danach ausgeschlossen. b) Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) Denkbar wäre, dass dem Eingriff in das Eigentumsrecht der auszuschließenden Minderheitsaktionäre bei § 39a Abs. 1 WpÜG in zeitlicher Sicht verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt sind. So ließe sich argumentieren, dass die Einbeziehung von Aktien aus Nacherwerb in die Berechnung der Ausschlussschwelle noch stärker in die eigentumsrechtlich geschützte Position der auszuschließenden Minderheitsaktionäre eingreift als es der squeeze-out bei Berücksichtigung allein solcher Aktien tut, die bis zum Ende der (weiteren) Annahmefrist erworben wurden. Wenn also dem Bieter gestattet wird, auch durch solche Aktien die Ausschlussschwelle zu erreichen, die er erst nach Ablauf der (weiteren) Annahmefrist erwirbt, dann wird ihm ein squeeze-out ermöglicht, der ihm anderenfalls versagt bliebe. Mehr noch: Je weiter der zeitliche Rahmen
__________ 31 Für einen Gestaltungsspielraum auch der DAV-Handelsrechtsausschuss in seiner Stellungnahme zum Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Übernahmerichtlinie, NZG 2006, 177, 181; anders Nagel, AG 2009, 393, 396, der – allerdings ohne nähere Begründung und entgegen Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie – aus Art. 15 Abs. 1 der Übernahmerichtlinie schließen will, dass dem nationalen Gesetzgeber für die Regelung zur Bestimmung der Schwellenwerterreichung kein Spielraum bleibe. 32 In Sec. 979 (2) Companies Act heißt es: „If the offeror has, by virtue of acceptances of the offer, acquired or unconditionally contracted to acquire (a) not less than 90 % in value of the shares to which the offer relates, and (b) in a case where the shares to which the offer relates are voting shares, not less than 90 % of the voting rights carried by those shares, he may give notice to the holder of any shares to which the offer relates which the offeror has not acquired or unconditionally contracted to acquire that he desires to acquire those shares.“ (Hervorhebung hinzugefügt).
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gesteckt wird, innerhalb dessen Nacherwerb berücksichtigungsfähig ist, desto stärker greift der squeeze-out in die Rechte der Minderheitsaktionäre ein. Mit anderen Worten: Der Vorrang der unternehmensstrategischen Interessen des Bieters vor den Eigentums- und Vermögensinteressen der Minderheitsaktionäre unterliegt in zeitlicher Sicht der Beschränkung. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum aktienrechtlichen squeeze-out nach §§ 327a ff. AktG aus dem Jahre 200733 darauf hingewiesen, dass eine squeezeout-Regelung unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG nur unter der Bedingung unbedenklich ist, dass eine volle wirtschaftliche Entschädigung gewährt wird und sichergestellt ist, dass die Abfindung einer unabhängigen Überprüfung zugänglich ist. Problematisch ist hier das Erfordernis der vollen wirtschaftlichen Entschädigung. Je mehr Zeit zwischen dem Ablauf Andienungsfrist und dem zu berücksichtigenden Nacherwerb verstreicht, desto größer ist die Gefahr, dass die Angemessenheitsfiktion des § 39a Abs. 3 Satz 2 WpÜG überspannt wird. Stiegen nämlich nach Ablauf der Andienungsfrist die Börsenkurse der Anteile erheblich über den gemäß § 39a Abs. 3 Satz 2 WpÜG als angemessen geltenden Preis, erhielten die später andienenden Aktionäre (evtl. sechs Monate nach Ablauf des Angebots) möglicherweise keine im Sinne der Verfassungsrechtsprechung ausreichende Entschädigung für ihre Aktien mehr. Hieraus ergibt sich allein schon aufgrund der Volatilität der Märkte eine zeitliche Verknüpfung zwischen der Angemessenheit der Entschädigung und dem Ende der Andienungsfrist als Bemessungszeitraum für den angemessenen Preis. c) Zwischenergebnis Es bleibt festzuhalten, dass die Übernahmerichtlinie zwar keine explizite Regelung zur Frage der Berücksichtigungsfähigkeit eines Nacherwerbs enthält. Allerdings geht sie von einem – eher engen – zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Angebot und der Prüfung der Schwellenwerterreichung aus. Auch das verfassungsrechtliche Gebot der angemessenen Entschädigung spricht für einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Erreichen der 95 %Schwelle und dem berücksichtigungsfähigen Erwerb. 2. Auslegung der Regelung in §§ 39c, 39a WpÜG Im Folgenden ist zu klären, ob sich im Wege der Auslegung der Regelung in §§ 39c, 39a WpÜG eine Antwort auf die Frage ergibt, ob Nacherwerb bei der Erreichung der 95 %-Schwelle zu berücksichtigen ist. a) Wortsinn Nach dem Wortlaut der Regelung in § 39c Satz 1 i. V. m. § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG können die Aktionäre, die das Angebot nicht angenommen haben, das
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33 BVerfG, NJW 2007, 3268.
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Angebot innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Annahmefrist annehmen, sofern der Bieter berechtigt ist, einen Antrag auf Übertragung der übrigen Aktien zu stellen, was der Fall ist, wenn ihm nach einem Übernahme- oder Pflichtangebot mindestens 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals gehören. Nun ist das in dieser Regelung angesprochene Verhältnis der Dreimonatsfrist des § 39c Satz 1 WpÜG zur Antragsberechtigung des Bieters nach § 39a Abs. 1 Satz 1 WpÜG nicht völlig klar. Insbesondere ist nach dem bloßen Wortlaut offen, welche Bedeutung der Gesetzgeber der Formulierung „… sofern der Bieter berechtigt ist …“ beimisst. Anders formuliert: Soll damit gemeint sein: „… wenn dem Bieter am Ende der Angebotsfrist mindestens 95 % der Aktien gehören …“, oder soll gemeint sein: „… wenn der Bieter im Laufe der Dreimonatsfrist mindestens 95 % der Aktien erlangt …“? Entsprechend dieser Überlegung ließe sich also der Sinn der Regelung zunächst so verstehen, dass ein Nacherwerb nicht zu berücksichtigen ist. Das Angebot können die Aktionäre nämlich nur dann innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Annahmefrist annehmen, wenn dem Bieter auch sogleich nach Ablauf der Annahmefrist mindestens 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals gehören, weil er nur dann berechtigt ist, einen Antrag auf Übertragung der übrigen Aktien zu stellen. Bei diesem Verständnis der Regelung steht das Andienungsrecht unter der Bedingung, dass dem Bieter vom ersten Tag der Dreimonatsfrist an mindestens 95 % der Aktien gehören. Dadurch wird das Andienungsrecht eingeschränkt, denn es entfällt, wenn dem Bieter nach Abschluss der Angebotsfrist weniger als 95 % der Aktien gehören. Allerdings schließt der Wortsinn der Regelung auch nicht explizit aus, dass ein Nacherwerb berücksichtigungsfähig ist. Es würde dann für die Entstehung des Andienungsrechts darauf ankommen, dass der Bieter irgendwann im Laufe der Dreimonatsfrist die 95 %-Schwelle erreicht oder überschreitet. Bei dieser Lesart würde das Andienungsrecht mithin ausgeweitet, denn es könnte während der gesamten Dauer der Dreimonatsfrist entstehen. Aus dem bloßen Wortsinn der Vorschriften selbst ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass nur die eine oder nur die andere Bedeutung zutreffend wäre. Da mithin der Wortsinn der Regelung in §§ 39c, 39a WpÜG keine eindeutige Antwort auf die Frage der Berücksichtigungsfähigkeit von Nacherwerb gibt, ist die Antwort auf diese Frage anhand der weiteren Auslegungskriterien zu ermitteln. b) Objektiv-teleologische Kriterien Im Rahmen der am objektiven Gesetzeszweck orientierten Auslegung ist von Bedeutung, dass sich der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Übernahmerichtlinie nicht für eine Ausgestaltung des Andienungsrechts als eigenes, dem Ausschlussrecht sozusagen korrespondierendes Institut, sondern als bloße Verlängerung der Annahmefrist für die übrigen Aktionäre entschieden
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hat34. In der Sache handelt es sich um eine verlängerte „Zaunkönig“-Regelung35. Eine solche Verlängerung setzt aber rechtskonstruktiv zwingend voraus, dass die 95 %-Schwelle unmittelbar im Anschluss an das Ende der Annahmefrist erreicht ist. Denn anderenfalls käme es zu einer Unterbrechung. Das ursprüngliche Übernahme- oder Pflichtangebot würde am Ende der Angebotsfrist erlöschen und für Zwecke des Andienungsrechts würde später bei Erreichen oder Überschreiten der 95 %-Schwelle ein neues Angebot gelten. Das aber wäre rechtskonstruktiv kein Fall der Verlängerung des ursprünglichen Übernahme- oder Pflichtangebots, sondern das In-Gang-Setzen einer neuen Frist. Hierfür mangelt es jedoch an einer gesetzlichen Anordnung. Diese Überlegung spricht gegen die Berücksichtigungsfähigkeit eines Nacherwerbs. c) Systematik der Regelung in §§ 39c, 39a WpÜG aa) § 39a Abs. 4 Satz 1 WpÜG als bloße Antragsfristregelung Bereits das Landgericht Berlin hat seiner unveröffentlichten Entscheidung vom 11. Dezember 2008 zutreffend darauf aufmerksam gemacht, dass die Vorschrift des § 39a Abs. 4 Satz 1 WpÜG, wonach ein Antrag auf Übertragung der Aktien nach Abs. 1 innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Annahmefrist gestellt werden muss, lediglich eine formelle Regelung der Antragsfrist enthält, nicht hingegen eine Regelung der materiellen Voraussetzungen für den Ausschluss der Minderheitsaktionäre36. Schon nach dem Wortlaut der Bestimmung geht es nur um den Antrag auf Übertragung, nicht hingegen um die materiellen Übertragungsvoraussetzungen. Auch inhaltlich nimmt Abs. 4 nur auf den in Abs. 1 genannten Antrag Bezug, nicht hingegen auf den dort genannten Schwellenwert von 95 % oder auf die weitere in Abs. 1 genannte Voraussetzung, dass der Bieter den Schwellenwert nach einem Übernahme- oder Pflichtangebot erreicht bzw. überschritten haben muss. Dies belegt, dass die dreimonatige Antragsfrist des Abs. 4 für die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Schwellenwert des Abs. 1 erreicht sein muss, keine Bedeutung hat. bb) § 39c Satz 2 WpÜG als bloße Andienungsfristregelung Das LG Frankfurt argumentiert in seiner Entscheidung vom 13. März 2009 im Kern, der Gesetzgeber selbst gehe davon aus, dass innerhalb der Angebotsfrist das Erreichen der 95 %-Schwelle nicht zwingend sei, da er die Frist für ein sellout nach § 39c WpÜG nicht vor der Veröffentlichung nach § 23 Abs. 1 Nr. 4 oder Satz 2 WpÜG beginnen lasse. Dies wäre überflüssig, wenn der Bieter die 95 %-Schwelle in der Angebotsfrist erreichen müsste37.
__________ 34 Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG-Kommentar, 2. Aufl. 2008, § 39a WpÜG Rz. 3; Schüppen/Tretter in Haarmann/Schüppen, Frankfurter Kommentar zum WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 39c WpÜG Rz. 2 und 7. 35 DAV-Handelsrechtsausschuss in seiner Stellungnahme zum Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Übernahmerichtlinie, NZG 2006, 177, 182. 36 LG Berlin v. 11.12.2008 – 93 O 22/08, S. 9 unter II. 2. a) (unveröffentlicht). 37 LG Frankfurt/M. v. 13.3.2009 – 3-5 O 328/08, AG 2009, 421, 422 (Interhyp).
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Diese Argumentation erscheint zweifelhaft. Denn sie versucht offensichtlich, eine Verbindung zwischen der Frist für das Erreichen der 95 %-Schwelle einerseits und der Andienungsfrist andererseits herzustellen. Eine solche Verbindung besteht aber weder nach dem Wortlaut der Vorschrift noch nach Sinn und Zweck der Reglung. § 39c WpÜG regelt explizit nur die Frist, innerhalb der die Minderheitsaktionäre ihr Andienungsrecht ausüben können (Andienungsfrist). Die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt ein Nacherwerb in die Berechnung der 95 %-Schwelle einbezogen wird, ist in § 39c WpÜG nicht geregelt. Beide Fristen sind voneinander zu trennen. Dass der Gesetzgeber in § 39c Satz 2 WpÜG den Beginn der Andienungsfrist an die Erfüllung der Veröffentlichungspflicht knüpft, dient erkennbar dazu, der Veröffentlichungspflicht zur Durchsetzung zu verhelfen. Die Verzögerung des Fristbeginns ist als Sanktion konzipiert. Das LG Frankfurt nimmt hingegen irrig an, mit dem Abstellen auf die Verpflichtung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 oder Satz 2 WpÜG habe der Gesetzgeber den hinter der Veröffentlichungspflicht stehenden Tatbestand des Erreichens der 95 %-Schwelle gemeint. Nur so ist zu erklären, warum das LG Frankfurt unzutreffend ausführt, die Regelung in § 39c Satz 2 WpÜG sei überflüssig, wenn der Bieter die 95 %-Schwelle in der Angebotsfrist erreichen müsse. Indessen ist es keineswegs so, dass im Fall der unterlassenen Veröffentlichung auch automatisch die 95 %-Schwelle noch nicht erreicht ist. Vielmehr sind das Erreichen der 95 %-Schwelle einerseits und die Veröffentlichung dieses Erreichens andererseits voneinander zu trennen. Es ist sehr wohl vorstellbar, dass die 95 %-Schwelle innerhalb der Angebotsfrist erreicht wird, dass aber die Veröffentlichung dieser Tatsache unter Verletzung von § 23 Abs. 1 WpÜG und zum Nachteil der Minderheitsaktionäre unterbleibt. Die systematische Auslegung spricht daher dagegen, die Dreimonatsfrist des § 39a Abs. 4 WpÜG für Nacherwerbe heranzuziehen. d) Gesetzgebungsgeschichte Schließlich ist im Rahmen der Auslegung auch zu fragen, welche Deutung der Regelungsabsicht des Gesetzgebers am besten entspricht, welches mit anderen Worten die „historische“ Wortbedeutung der Vorschrift ist. Dies ist ein anerkanntes Auslegungskriterium. Larenz erklärt in seiner Methodenlehre der Rechtswissenschaft die Regelungsabsicht des Gesetzgebers sogar zur verbindlichen Richtschnur für die richterliche Gesetzesauslegung38. Selbst wenn man nicht so weit gehen mag, wird man doch die Regelungsabsicht des Gesetzgebers, sein Verständnis der von ihm geschaffenen Regelung, so, wie es sich in den Gesetzgebungsmaterialien erschließt, als ein wichtiges Instrument bei der Gesetzesauslegung berücksichtigen und jedenfalls bei jüngeren Gesetzen, bei denen die zugrunde liegenden Wertvorstellungen des Gesetzgebers noch nicht zu weit von der Gegenwart entfernt sind39, als ergänzendes, das Ergebnis ande-
__________ 38 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 328 ff. 39 Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2005, S. 104 ff.
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rer Auslegungsmittel verifizierendes und bestätigendes Element begreifen können40. Insoweit ist es zwar zutreffend, wenn das Landgericht Frankfurt in seiner Interhyp-Entscheidung ausführt, an Formulierungen in den Gesetzesmaterialien, die im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden haben, seien die Gerichte nach Art. 20 Abs. 3 GG nicht gebunden41. Allerdings kann dies nicht bedeuten, dass das Gericht von den anerkannten Auslegungsgrundsätzen entbunden wäre. Und daher ist es methodisch verfehlt, die Gesetzesmaterialien bei der Auslegung unberücksichtigt zu lassen42. aa) Enger zeitlicher Zusammenhang Einen zentralen Hinweis für die hinter der Regelung des § 39a Abs. 1 Satz 1 WpüG stehende gesetzgeberische Regelungsabsicht enthält die von den Vertretern der herrschenden Ansicht als Beleg durchgängig herangezogene Begründung des Regierungsentwurfs des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetztes zu § 39a Abs. 1 WpÜG43. Dort heißt es: „Unerheblich ist, auf welche Weise der Bieter die erforderlichen Mehrheiten erreicht. Sie müssen nicht auf der Annahme des Angebots beruhen. So kann der Bieter die für den Ausschluss erforderlichen Schwellenwerte auch durch Transaktionen mit einzelnen Aktionären, zum Beispiel durch Paketerwerbe, außerhalb des formellen Angebotsverfahrens erreicht haben, sofern die Transaktionen in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot stehen.“ (Hervorhebung hinzugefügt)
Berücksichtigungsfähige Erwerbsvorgänge sollen also nach Vorstellung des Gesetzgebers in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot (nicht etwa: mit der Angebotsfrist oder dem Zeitpunkt ihres Ablaufs) stehen. Ob dies bedeutet, dass auch ein Nacherwerb nach Ablauf der Angebotsfrist zu berücksichtigen ist, wenn er nur kurze Zeit nach dem Ablauf erfolgt, erscheint keineswegs zwingend. Immerhin nennt die Begründung als Beispiel den Paketerwerb, der außerhalb des formellen Angebotsverfahrens stattfindet, sofern er nur in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot steht. Dies wäre auch der Fall, wenn der Paketerwerb vor Ablauf der Frist stattfinden würde. Denn auch in diesem Fall stände er in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem zuvor unterbreiteten Übernahme- oder Pflichtangebot. Im Lichte der bisherigen Ergebnisse sprechen die besseren Argumente gegen eine Berücksichtigung von Nacherwerbsvorgängen. Selbst wenn man aber der Ansicht folgt, dass nach der Regierungsbegründung auch ein Nacherwerb berücksichtigungsfähig ist, sofern er nur in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot steht, wird man sich bei der Bestim-
__________ 40 Bydlinsky, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, S. 449. 41 LG Frankfurt/M. v. 13.3.2009 – 3-5 O 328/08, AG 2009, 421, 422 (Interhyp). 42 Verfehlt auch Nagel, AG 2009, 393, 397, der – unter Hinweis auf mangelnden Anhalt in der Richtlinie! – den Gesetzesmaterialien in der hier zu klärenden Frage materielle Bedeutung pauschal abspricht. 43 BT-Drucks. 16/1003, S. 21.
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mung dessen, was unter einem entsprechenden engen zeitlichen Zusammenhang hier zu verstehen ist, mit dem Landgericht Berlin in seiner unveröffentlichten Entscheidung vom 11. Dezember 2008 an der Zeitspanne orientieren, die der Gesetzgeber selbst als Annahmefrist bestimmt hat. Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 WpÜG beträgt die Annahmefrist vier bis zehn Wochen. Eine Verlängerung dieser Frist um weitere zwei Wochen („Zaunkönig“-Regelung) ist nach § 16 Abs. 2 Satz 1 WpÜG möglich. Bestimmt man die Zeitspanne für den engen zeitlichen Zusammenhang anhand dieser Fristen, so wird man dem Landgericht Berlin darin zustimmen müssen, dass ein Erwerb zwei bzw. zweieinhalb Monate nach Ablauf der Angebotsfrist nicht mehr in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot steht. bb) Beschränkte Berücksichtigung bedingten Nacherwerbs gemäß § 39a Abs. 4 Satz 2 WpÜG Ein weiterer Anhaltspunkt ergibt sich aus der Regelung in § 39a Abs. 4 Satz 2 WpÜG. Danach kann der Bieter den Ausschließungsantrag ausnahmsweise schon vor Erreichen der 95 %-Schwelle stellen, wenn das Übernahme- oder Pflichtangebot in einem Umfang angenommen worden ist, dass ihm beim späteren Vollzug des Angebots Aktien in Höhe des zum Ausschluss mindestens erforderlichen Anteils am stimmberechtigten oder am gesamten Grundkapital der Zielgesellschaft gehören werden. In der ursprünglichen Fassung des Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes war diese Vorschrift noch nicht enthalten. Allerdings äußerte der Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren gegenüber dem Bundestag die Bitte, zu prüfen, ob es möglich wäre, die Antragsfrist nicht bereits mit Ablauf der Annahmefrist, sondern erst mit dem Eintritt etwaiger aufschiebender Bedingungen beginnen zu lassen. Der Regierungsentwurf berücksichtige nämlich nicht, dass ein Bieter das Angebot unter Bedingungen stellen könne. In der Praxis könnten Fälle auftreten, in denen der Bieter aufschiebende Bedingungen, etwa fusionskontrollrechtlicher Art, in zeitlicher Hinsicht nicht zu beeinflussen vermöge. Dem solle das Gesetz Rechnung tragen44. Der Gesetzgeber wählte allerdings mit der Regelung in § 39a Abs. 4 Satz 2 WpÜG eine andere Lösung für das Problem. Es wurde nicht der Beginn der dreimonatigen Antragfrist nach hinten verschoben, was bedeutet hätte, dass die Frist erst mit dem Bedingungseintritt bzw. dem dinglichen Rechtserwerb begonnen hätte. Vielmehr hielt der Gesetzgeber am Zusammenhang zwischen dem Ablauf der Annahmefrist und dem Beginn der dreimonatigen Antragsfrist fest. Dem Bieter wurde lediglich die Möglichkeit eingeräumt, für die Berechnung des erforderlichen Schwellenwertes die bedingten Erwerbsgeschäfte einzubeziehen. Damit ist gerade nicht ermöglicht worden, jeglichen Nacherwerb zu berücksichtigen. Berücksichtigt werden vielmehr nur Verpflichtungsgeschäfte bzw. bedingte Geschäfte, bei denen der dingliche bzw. endgültige Erwerb erst noch eintreten wird. Auch insoweit belegt die Gesetzgebungsgeschichte, dass ein Nacherwerb keine Berücksichtigung finden kann.
__________ 44 BR-Drucks. 154/06, S. 9 Ziff. 1.2.
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IV. Ergebnis 1. Die Übernahmerichtlinie enthält zwar keine explizite Regelung zur Frage der Berücksichtigungsfähigkeit eines Nacherwerbs. Allerdings hat sich gezeigt, dass sie von einem – eher engen – zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Angebot und der Prüfung der Schwellenwerterreichung ausgeht. Hingegen ergeben sich aus der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes keine konkreten Hinweise darauf, ob und in welchem Umfang Nacherwerb für die Schwellenwertprüfung berücksichtigungsfähig ist. 2. Die Auslegung der §§ 39a, 39c WpÜG ergibt, dass ein Nacherwerb nach Ablauf der (ggf. weiteren) Annahmefrist bei der Berechnung des Schwellenwertes für den squeeze-out bzw. sell-out keine Berücksichtigung findet. 3. Folgt man hingegen der Ansicht, dass nach der Regierungsbegründung auch ein Nacherwerb berücksichtigungsfähig ist, sofern er nur „in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot“ steht, wird man sich bei der Bestimmung dessen, was unter einem entsprechenden engen zeitlichen Zusammenhang zu verstehen ist, an der Zeitspanne orientieren, die der Gesetzgeber selbst als Annahmefrist bestimmt hat (vier bis zehn Wochen, ggf. zuzüglich der zweiwöchigen weiteren Frist). Nach diesem Maßstab steht ein Erwerb zwei Monate nach Ablauf der Annahmefrist sicherlich nicht mehr in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot.
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Systembrüche bei der Anwendung strafrechtlicher Grundprinzipien auf das kapitalmarktrechtliche Marktmanipulationsverbot* Inhaltsübersicht I. Das Marktmanipulationsverbot als Strafnorm 1. Kapitalmarktrecht als Querschnittsmaterie verschiedener Rechtsgebiete 2. Europäische Normvorgaben und deutsches Strafrecht 3. § 20a WpHG als Bezugsobjekt strafrechtlicher Blankettnormen 4. Konkretisierung von Strafnormen durch Rechtsverordnung II. Methodische Einordnungsschwierigkeiten am Beispiel der Tatbeteiligung mehrerer Personen und der Tatbegehung durch Unterlassen III. Unterlassungsstrafbarkeit
IV. Täterschaft und Teilnahme 1. „Scalping“ als sonstige Täuschungshandlung nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 MaKonV 2. Ausschluss der Zurechnung bei Sonderdelikten 3. „Scalping“ in mittelbarer Täterschaft V. „Anzeichen“ als bloße Hinweise an Strafverfolgungsbehörden oder eigenständige Tatbestandskonkretisierungen VI. Zusammenfassung und Ausblick 1. Die fehlende Anpassung des Marktmanipulationsverbots an die deutsche Strafrechtsdogmatik 2. Strafrechtssensible oder gespaltene Regelung vs. Absehen von Strafbewehrung
Mit Kollegen wie Klaus J. Hopt und Walther Hadding hat Uwe H. Schneider neben dem Gesellschaftsrecht vor allem das Kapitalmarktrecht in Deutschland in den letzten Jahrzehnten deutlich mitgeprägt1. Als Student durfte ich mehrere Semester den Vortragsreihen beiwohnen, die er zusammen mit Walther Hadding als Direktor des Instituts für deutsches und internationales
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Aufgrund einer gutachterlichen Stellungnahme orientieren sich die Ausführungen zum Teil an der Auseinandersetzung zwischen der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. (SdK) und dem im TecDAX notierten Zahlungsdienstleister Wirecard AG im Frühsommer 2008, die in mehrere Gerichtsverfahren mündete, s. „Ermittler durchsuchen SdK“, manager magazin v. 29.7.2008, abrufbar unter: www.managermagazin.de; „Wirecard verpasst SdK ein Veilchen“, boerse.ARD.de v. 23.7.2008, abrufbar unter: boerse.ard.de; „Wirecard reagiert auf SdK-Klage mit Gegenanzeige – Streit um Bilanz“, Süddeutsche Zeitung v. 18.7.2008, abrufbar unter: finanzen.sueddeutsche. de, Abruf jeweils am 17.3.2010. 1 Statt aller zu nennen ist vor allem das Grundlagenwerk Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009 sowie die Kommentierung zu den §§ 6, 19, 35–40, 43–44, 52 GmbHG in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006–2010.
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Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens in Mainz leitete. Diese frühen Erfahrungen haben meinen weiteren Werdegang ganz wesentlich geprägt.
I. Das Marktmanipulationsverbot als Strafnorm 1. Kapitalmarktrecht als Querschnittsmaterie verschiedener Rechtsgebiete Wie nur wenige Regelungsbereiche des WpHG liegt das Recht der Marktmanipulation in einem besonderen methodischen Spannungsfeld zwischen Kapitalmarktrecht und Strafrecht. Während das noch sehr junge Kapitalmarktrecht eine funktionale, praxisorientierte und flexible, bisweilen dadurch aber auch komplexe Regelungsmethodik kennzeichnet, zeichnet sich das über Jahrhunderte entstandene Strafrecht durch eine sehr dogmatische und prinzipienorientierte Herangehensweise aus2. Im Recht der Marktmanipulation treffen diese diametral gegensätzlichen Ansätze aufeinander, indem die kapitalmarktrechtlichen Ge- und Verbotsvorschriften des § 20a WpHG durch die Strafrechtsnormen der §§ 38, 39 WpHG in Bezug genommen und mit Strafe bewehrt werden. Dies stellt den Rechtsanwender vor die Herausforderung, das kapitalmarktrechtliche, von unbestimmten Rechtsbegriffen und blankettartigen Verweisungen geprägte Verbot der Marktmanipulation3 in das dem Gesetzlichkeits-, Bestimmtheits- und Demokratieprinzip unterworfene strafrechtsdogmatische System zu fügen. Erschwert wird dies dadurch, dass der gesamte Regelungsbereich Gegenstand ausgesprochen reger Normsetzungstätigkeit durch die Europäische Union ist und auch weite Teile des heutigen Marktmanipulationsverbots auf europäischen Vorgaben beruhen4. Da der deutsche Gesetzund Verordnungsgeber dazu neigt, EU-Vorgaben möglichst exakt umzusetzen, um unionsrechtlichen Tadel5 oder gar Staatshaftungsansprüche zu vermeiden6, fügen sich auf europäischen Vorgaben beruhende Normen häufig nur bedingt in die deutsche Strafrechtsdogmatik ein. Zudem werden kapitalmarktrechtliche Richtlinien im sog. Lamfalussy-Verfahren erlassen, weshalb bei der Rechtsanwendung neben Rahmen- und Durchführungsrichtlinie auch guidelines und recommendations des CESR zu beachten sind7. Bei § 20a WpHG kommt schließlich noch hinzu, dass die für sich genommen in weiten Teilen unbestimmten Normvorgaben erst durch eine Rechtsverordnung konkretisiert werden, mithin eine dritte Regelungsebene besteht, die Beachtung beansprucht.
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2 Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Vor § 20a Rz. 25. 3 Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Vor § 20a Rz. 26; Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2008, § 20a Rz. 19; Fleischer in Fuchs, WpHG, 2009, § 20a Rz. 1 ff. 4 S. hierzu die Nachweise in der Datenbank zum Europäischen Wirtschaftsrecht unter www.thomas-moellers.de. 5 EuGH v. 28.2.1991, Rs. C-131/88, Slg. 1991, I-825 ff. 6 EuGH v. 8.10.1996, verb. Rs. C-178/94, C-179/94 und C-188/94 bis C-190/94, Slg. 1996, I-4845 – Dillenkofer (MP Travel Line); EuGH v. 15.6.1999, Rs. C-140/97, Slg. 1999, I-3499 Rn. 72 ff. – Rechenberger; Herdegen, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rz. 232 ff.; Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 440. 7 Ferran, Building an EU Securities Market, 2004, S. 101; Möllers, ZEuP 2008, 480 ff.; Spindler/Hupka in Möllers, Geltung und Faktizität von Standards, 2009, S. 117 ff.
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§ 20a WpHG als Strafnorm
Dieses Normenbabylon hat zur Folge, dass bei komplexeren Sachverhalten eine Rechtsdurchsetzung häufig unterbleibt, da die Strafverfolgungsorgane fachlich und zeitlich mit der Normanwendung überfordert sind. Bereits die Vorgängerregelung des § 20a WpHG, der § 88 BörsG a. F., entfaltete nur wenig praktische Bedeutung8 und wurde nicht ganz zu Unrecht als „tote[s] Recht“9 bezeichnet. § 88 BörsG a. F. wurde dann durch die allgemeine Verbotsnorm des § 20a WpHG ersetzt und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die Aufgabe der Überwachung ihrer Einhaltung übertragen. Die erhoffte Wirkung der zunächst noch als „Meilenstein“10 bezeichneten Reform blieb jedoch bisher weitgehend aus11. Zwar erhöhte sich die Zahl der von der BaFin eingeleiteten Untersuchungen nach Einführung des § 20a WpHG. In den Jahren 2003 bis 2008 eröffnete die BaFin jährlich zwischen 51 (2003) und 77 (2008) neue Untersuchungen. Dabei wurden zwischen 13 (2003) und 41 (2008) Verfahren eingestellt, eine geringe Zahl an das Bußgeldreferat der BaFin weitergeleitet und zwischen sieben (2003) und 32 (2008) Fälle bei den zuständigen Staatsanwaltschaften angezeigt. Allerdings kam die Rechtsdurchsetzung hier nunmehr ins Stocken. Während in den Jahren 2003 kein und 2004 lediglich ein Verfahren rechtskräftig entschieden und in vier Fällen rechtskräftig Bußgelder verhängt wurden, kam es in den Jahren 2005 bis 2008 zwar zu einem leichten Anstieg der Zahlen, es ergab sich aber dennoch lediglich ein Maximum von fünf rechtskräftigen Verurteilungen im Jahr 200812. Während die BaFin noch eine relativ hohe Zahl an Untersuchungen einleitet13, die zu einem erheblichen Teil auch mit der Feststellung strafbaren Verhaltens enden und daher an die Staatsanwaltschaften abgegeben werden, bricht die Zahl der durch die Staatsanwaltschaften erfolgreich abgeschlossenen Verfahren dann rapide ein. Eine Strafrechtsdurchsetzung durch die Staatsanwaltschaften findet im Bereich der Marktmanipulation derzeit damit kaum statt. Während die BaFin über erhebliche Sachkompetenz im Bereich des Kapitalmarktrechts verfügt, dürfte eine solche bisher nur in einigen wenigen Staatsanwaltschaften zu finden sein. Die Komplexität und Unausgereiftheit des Marktpreismanipulationsverbots wirken sich voll aus und führen dazu, dass Verfahren durch
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8 Papachristou, Die strafrechtliche Behandlung von Börsen- und Marktmanipulationen, 2006, S. 92 ff.; Sorgenfrei, wistra 2002, 321; Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Vor § 20a Rz. 2; Mock/Stoll/Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Rz. 25; Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2008, § 20a Rz. 6 m. w. N. 9 Lenzen, ZBB 2002, 279, 280; Weber, NJW 2003, 18, 20; Frisch in Derleder/Knops/ Bamberger, Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, 2. Aufl. 2009, § 52 Rz. 88: „bedeutungslos“; Ziouvas, ZGR 2003, 113, 114: „Dornröschenschlaf“. 10 Fleischer, NJW 2002, 2977, 2978. 11 Park, NStZ 2007, 369, 375 stellt fest: „Der Straftatbestand der Marktmanipulation hat sich in der Praxis bisher als wenig effektiv erwiesen.“ 12 S. BaFin, Jahresberichte 2003 bis 2008, abrufbar unter: www.bafin.de, Abruf v. 20.3.2010. 13 Sorgenfrei bezeichnet die Zahl der derzeit durchgeführten Ermittlungsfälle als „geringfügig zunehmend“ gleichzeitig aber „gering bleibend“, Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2008, § 20a Rz. 18.
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zeitlich und fachlich überforderte Staatsanwälte lieber eingestellt, als ihrer Bedeutung entsprechend verfolgt werden. Dies ist nicht zuletzt deswegen sehr bedenklich, als empirische Untersuchungen zeigen, dass anlegerschützende Vorschriften und ihre Durchsetzung eine wesentliche Voraussetzung für entwickelte und liquide Märkte darstellen14, mithin die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte durch eine ausbleibende Rechtsanwendung gefährdet ist. Für das Insiderrecht wurde dieses Spannungsverhältnis zwischen Kapitalmarktrecht und Strafrecht bereits durch Park15 und Kohlmann16 erörtert. Eine entsprechende Auseinandersetzung mit der Problematik beim Marktmanipulationsverbot steht bisher jedoch noch aus. Dieser Beitrag will die bei der praktischen Anwendung des Marktmanipulationsverbots auftretenden Schwierigkeiten zunächst im Rahmen einer abstrakten Analyse und in einem zweiten Teil anhand konkreter Beispiele darstellen. Dabei sollen Lösungswege aufgezeigt und dem Rechtsanwender, vor allen den Staatsanwaltschaften, Handlungsanweisungen und Einordnungshilfen gegeben werden. Hierzu wird zunächst die Problematik des Zusammentreffens europäischer Richtlinien und nationalen Strafrechts diskutiert und die Schwierigkeiten, die das mehrstufige Verweisungssystem der nationalen Regelungen des Marktmanipulationsverbots bei der Rechtsanwendung bereiten, aufgezeigt (I.). Anschließend werden methodische Einordnungsschwierigkeiten bei der Anwendung der Unterlassungsstrafbarkeit (III.) und der Grundsätze von Täterschaft und Teilnahme (IV.) auf das Verbot der informationsgestützten Marktmanipulation17 erörtert, an denen sich konkret die enormen Schwierigkeiten bei der Anwendung der Strafrechtsdogmatik auf das öffentlichrechtlich und europarechtlich geprägte Marktmanipulationsverbot zeigen. Abschließend wird der Versuch einer Tatbestandskonkretisierung durch „Anzeichen“ kritisch gewürdigt (V.). Auf dieser Grundlage können dann ein Fazit gezogen und Lösungsvorschläge formuliert werden (VI.). 2. Europäische Normvorgaben und deutsches Strafrecht a) § 20a WpHG regelt als Nachfolgevorschrift des § 88 BörsG a. F. den Grundtatbestand des Verbots der Marktmanipulation18. Die dynamische Entwick-
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14 La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer/Vishny, 54 J.Fin. 1131 (1997); dies., 106 J.Pol.Econ. 1113, 1140 (1998); dies., 55 J.Fin. 1, 5 ff., (2000); Coffee Jr., 25 J.Corp.L. 1, 2 (1999); Modigliani/Perotti, 1-2 Int.Rev.Fin. 81 ff. (2000).; Black, 48 UCLA L.Rev. 781, 834 (2001). Kritisch aber Siems, 16 Int.Co.Com.L.Rev. 300 (2005); Spamann, Harv.L. & Econ. (2008), Discussion Paper No. 12, abrufbar unter: http://ssrn.com/abstract= 1095526. 15 Park, NStZ 2007, 369. 16 Kohlmann in FS Vieregge, 1995, S. 443. 17 Die Darstellung beschränkt sich dabei auf die informationsgestützte Marktmanipulation. 18 Nachdem das Verbot der Marktmanipulation bereits 1986 durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität geändert, im Rahmen des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes 2002 neu geregelt und ins WpHG transferiert worden war, wurde es 2004 erneut durch das Anlegerschutzverbesserungsgesetz modifiziert, s. Mock/Stoll/Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Rz. 29; Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2008, § 20a Rz. 1.
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lung der Regelung basiert vor allem auf gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierungsvorgaben19. Bereits die Neuregelung des § 88 BörsG a. F. im Rahmen des 2. WiKG beruhte in weiten Teilen auf Empfehlungen der Kommission20. Später setzte das AnSVG die Marktmissbrauchsrichtlinie21 um und passte damit das deutsche Verbot der Marktmanipulation an den einheitlichen europäischen Standard an22. Die Marktmissbrauchsrichtlinie wird ihrerseits durch die Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG konkretisiert23. Eine weitere Konkretisierung findet auch auf nationaler Ebene statt. Hier trifft die MaKonV24 als Nachfolgeregelung der KuMaKV25 nähere Bestimmungen u. a. darüber, wann sonstige Täuschungshandlungen i. S. d. § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG vorliegen können. Das Verbot der Marktmanipulation wird somit insgesamt durch einen Rechtsrahmen aus formellem deutschem Gesetz sowie europäischen Richtlinien und deutschen Rechtsverordnungen geprägt. Für sich genommen stellt § 20a WpHG eine kapitalmarktrechtliche Vorschrift dar. Allerdings erlangt die Norm nicht nur in Zusammenhang mit der öffentlich-rechtlichen Kapitalmarktaufsicht Bedeutung, sondern kann auch für das Zivilrecht relevant werden und ist straf- und bußgeldbewehrt26. So wird § 20a WpHG als öffentlich-rechtliches Verbot27 von der BaFin durch Verwaltungsmaßnahmen über § 4 WpHG durchgesetzt28. Andererseits können sich natürliche Personen strafbar machen, wenn sie gegen die Norm verstoßen29. Die Strafbewehrung des Verbots war dem deutschen Gesetzgeber nicht europarechtlich vorgegeben, die Marktmissbrauchsrichtlinie sieht in Art. 14 Abs. 1
__________ 19 Fleischer in Fuchs, WpHG, 2009, § 20a Rz. 3; Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Vor § 20a Rz. 5. 20 Möhrenschlager, wistra 1986, 123, 124. 21 Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates 2003/6/EG v. 28.1.2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation, ABl. 2003 L 96/16; s. zur Marktmissbrauchsrichtlinie Mock/Stoll/Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Rz. 33 ff.; Fleischer in Fuchs, WpHG, 2009, Vor § 20a Rz. 29 ff. 22 Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2008, § 20a Rz. 2; Mock/Stoll/ Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Rz. 29; Fleischer in Fuchs, WpHG, 2009, Vor § 20a Rz. 16. 23 Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2008, § 20a Rz. 5; Fleischer in Fuchs, WpHG, 2009, Vor § 20a Rz. 32 ff. 24 Verordnung zur Konkretisierung des Verbots der Marktmanipulation v. 1.3.2005, BGBl. I 2005, S. 515. 25 Verordnung zur Konkretisierung des Verbots der Kurs- und Marktmanipulation v. 18.11.2003, BGBl. I 2003, S. 2300. 26 Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 6; Mock/Stoll/ Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Rz. 113; Fleischer in Fuchs, WpHG, 2009, § 20a Rz. 2; zu den Rechtsfolgen insgesamt Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2008, § 20a Rz. 224 ff., 247 ff.; Fleischer in Fuchs, WpHG, 2009, § 20a Rz. 147 ff. 27 Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 2; Schwark in Schwark, KMRK, 3. Aufl. 2004, § 20a Rz. 2. 28 Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 4, 6; Mock/ Stoll/Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Rz. 113. 29 §§ 38 Abs. 2 i. V. m. 39 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 oder Abs. 2 Nr. 11 WpHG.
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vielmehr nur die Option einer Durchsetzung mit Mitteln des Strafrechts vor30. Die Zuständigkeit zum Erlass von Kriminalstrafrecht lag bislang allein bei den Mitgliedstaaten, der EU mangelte es an der Rechtssetzungskompetenz neue kriminalstrafrechtliche Tatbestände zu schaffen. Weitgehend anerkannt ist aber, dass eine Strafrechtsharmonisierung auf Seiten der Tatbestandsvoraussetzungen nationaler Sanktionsnormen durch Richtlinien unbedenklich ist31. b) Bedenken ergeben sich jedoch bezüglich einer anderen Frage: Darf die nationale Regelung auf Tatbestandsseite über die Vorgaben der Marktmissbrauchsund ihrer Durchführungsrichtlinie hinausgehen? In den letzten zwei Jahrzehnten verfolgte die Europäische Kommission das Konzept der Mindestharmonisierung32. Auch das Kapitalmarktrecht war davon geprägt, dass etwa in vielen Bereichen sog. Mindestklauseln ausdrücklich strengeres nationales Recht erlaubten33. Obwohl der Begriff der Vollharmonisierung an keiner Stelle erwähnt wird, finden sich keine Mindestklauseln mehr in neueren Rahmenrichtlinien34. Konkret auf die Marktmissbrauchsrichtlinie bezogen spricht für eine Vollharmonisierung, dass diese nur in bestimmten Einzelfragen die Mitgliedstaaten zu strengerem Recht ermächtigt35 und etwa in Erwägungsgrund 43 Spiegelstrich 10 die Kommission ermahnt wird, bei Erlass von Durchführungsmaßnahmen auf die Notwendigkeit zu achten „gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer durch Einführung gemeinschaftsweiter Regelungen zu erreichen, wann immer dies angezeigt ist“. Gleiche Wettbewerbsbedingungen setzten voraus, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten vereinheitlicht wurden36. Deshalb ist grundsätzlich von einer Vollharmonisierung durch die Marktmissbrauchsrichtlinie
__________ 30 Art. 14 Marktmissbrauchsrichtlinie (Fn. 21) „Unbeschadet des Rechts der Mitgliedstaaten, strafrechtliche Sanktionen zu verhängen“ haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, „dass bei Verstößen gegen die gemäß dieser Richtlinie erlassene Vorschriften gegen die verantwortlichen Personen geeignete Verwaltungsmaßnahmen ergriffen oder im Verwaltungsverfahren zu erlassende Sanktionen verhängt werden können. […]“. Schmitz, ZStW 115 (2003), 501, 513 ff.; Ziouvas, Das neue Kapitalmarktstrafrecht, 2005, S. 41 f.; Schröder, Handbuch Kapitalmarktstrafrecht, 2007, Rz. 108. 31 Satzger, Internationales und Europäisches Strafrecht, 3. Aufl. 2009, § 8 Rz. 35. 32 Köndgen in Basedow u. a., Economic Regulation and Competition, 2002, S. 27, 47 ff.; ders. in Everling/Roth, Mindestharmonisierung im Europäischen Binnenmarkt, 1997, S. 111. 33 Möllers, ZEuP 2008, 480; ders. in Gsell/Herresthal, Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009, S. 247, 250. 34 Nur die Transparenz-RL unterscheidet zwischen Voll- und Mindestharmonisierung, s. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 Transparenz-RL 2004/109/EG v. 15.12.2004, ABl. 2005 L 390/38. 35 S. etwa Erwägungsgrund 28, Art. 6 Abs. 2 Satz 2, 11 Abs. 2 Satz 2, 19 RL 2003/6/EG (Fn. 21). Ausdrücklich für eine Vollharmonisierung Büche, Die Pflicht zur Ad-hocPublizität als Baustein eines integeren Finanzmarkts, 2005, S. 85. 36 Zudem wird in den Erwägungsgründen 4–7 auf das Lamfalussy-Verfahren verwiesen, mit dem das Ziel verbunden ist, eine einheitliche Gesetzgebung und Rechtsanwendung sicherzustellen, Möllers, ZEuP 2008, 480, 500 m. w. N.
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auszugehen37. Konsequenz der Vollharmonisierung ist jedoch, dass strengeres nationales Recht in den harmonisierten Bereichen nicht mehr zulässig ist38. Trotz Vollharmonisierungskonzept bleibt die Frage der Konkretisierungskompetenz weiterhin im Detail zu klären39. Etwaige Überschreitungen der europäischen Regelungsvorgaben40 durch das deutsche Marktmanipulationsverbot könnten jedoch gegen das Europäische Vollharmonisierungskonzept verstoßen41. Im Ergebnis führt die gewollte Verdichtung und Konkretisierung durch das auch bei der Marktmissbrauchsrichtlinie angewandte Lamfalussy-Verfahren zu einer erhöhten Komplexität42. Auf nationaler Ebene kannte man bisher schon Gesetze, Rechtsverordnungen und das soft law der BaFin. Hinzu kommen jetzt die Rahmen-Richtlinien, Durchführungsrichtlinien und die recommendations und guidelines der dritten Stufe des Lamfalussy-Verfahrens43. Der Rechtsanwender hat mithin sechs verschiedene Regelungsstufen zu beachten, bevor er zu einer endgültigen rechtlichen Einschätzung gelangen kann. c) Anwendungsschwierigkeiten ergeben sich weiterhin daraus, dass der deutsche Gesetz- und Verordnungsgeber häufig die wortgetreue Übernahme von Richtlinienvorgaben in seine nationalen Bestimmungen wählt, um eine ordnungsgemäße Umsetzung sicherzustellen. Dabei wird jedoch sehr oft die Verknüpfung der so geschaffenen Norm mit anderen Normen und Rechtsgebieten nicht bedacht. Eine Anpassung an die dem jeweiligen Rechtsgebiet zugrunde liegende Dogmatik bleibt aus und System- und Wertungswidersprüche entstehen. Dies ist besonders dann virulent, wenn bei der Umsetzung Strafnormen modifiziert oder geschaffen werden. Die mangelnde Fundierung der so entstandenen Strafnormen in der deutschen Strafrechtsdogmatik führt dazu, dass eine Rechtsanwendung vor allem in den ohnehin schon rechtlich und faktisch komplexen Bereichen des Wirtschaftsrechts praktisch ausbleibt, da in dem streng am Wortlaut orientierten Strafrecht44 jede unbedachte Einbeziehung
__________ 37 Buchmann, Umsetzung vollharmonisierender Richtlinien, 2008, S. 100; Büche, Die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität als Baustein eines integeren Finanzmarkts, 2005, S. 85; Möllers in FS Horn, 2006, S. 473, 485; ders., ZEuP 2008, 480, 500; ders. in Gsell/ Herresthal, Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009, S. 247, 256 f. m. w. N.; ebenso Mülbert, ZHR 172 (2008), 170, 181. 38 Möllers, ZEuP 2008, 480, 501. 39 Möllers in Gsell/Herresthal, Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009, S. 247, 270. 40 Beispiele für überschießende Richtlinienumsetzung bei § 20a WpHG nennen Mock/ Stoll/Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Rz. 39 ff.; Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Vor § 20a Rz. 17. 41 Teilweise wird der deutsche Gesetzgeber im Wesentlichen nur noch als für die Sanktionsausgestaltung zuständig angesehen, Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Vor § 20a Rz. 19; Mock/Stoll/Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Rz. 68 ff. 42 Zu den Vor- und Nachteilen aus ökonomischer Sicht s. Möllers, AcP 208 (2008), 1 ff. 43 S. oben Fn. 7 und Möllers, 10 EBOR 379 ff. (2010). 44 Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 376.
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oder Verweisung zur Folge hat, dass sich der Akt der Rechtsfindung für den Rechtsanwender mannigfach verkompliziert45. 3. § 20a WpHG als Bezugsobjekt strafrechtlicher Blankettnormen a) Die Strafbarkeit der Marktmanipulation ergibt sich daraus, dass die Blankettstrafgesetze46 der §§ 38, 39 WpHG auf § 20a WpHG Bezug nehmen. Solche vor allem im Nebenstrafrecht vorkommenden Blankettstrafgesetze umschreiben Strafdrohungen, die hinsichtlich ihrer Strafbarkeitsvoraussetzungen auf andere Vorschriften verweisen47. Sinn und Zweck dieser Strafblankette ist es, eine außerstrafrechtliche Verhaltensanordnung strafrechtlich zu bewehren. Bei § 38 i. V. m. § 39 WpHG handelt es sich um echte Blankettstrafgesetze48, da auf andere Normen des WpHG verwiesen wird. Allerdings werden diese wiederum durch Rechtsverordnungen konkretisiert. So wird etwa in § 20a Abs. 5 WpHG das Bundesministerium der Finanzen zum Erlass von Rechtsverordnungen zur Konkretisierung einzelner Tatbestandselemente ermächtigt. Kohlmann bezeichnet diese vom Gesetzgeber verwendete Technik mehrfacher Verweisungen als „strafrechtlichen Overkill“49. Für das Insiderrecht weist Dierlamm darauf hin, dass der Rechtsanwender vor kaum zu bewältigende Probleme gestellt werde. Die hochabstrakte Gesetzesfassung mit ihren zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffen bewege sich im verfassungsrechtlichen Grenzbereich; das Gesetz sei „aus sich heraus“ kaum verständlich und anwendbar50. In weniger eindeutigen Fällen wird die Rechtsfindung durch die Vielzahl von Regelungsebenen und unbestimmter Rechtsbegriffe damit zum Hindernislauf51. b) Bei Normen, die sowohl in verwaltungs- bzw. zivilrechtlichem als auch strafrechtlichem Kontext Anwendung finden, kann es zudem zur sog. Norm-
__________ 45 Dazu z. B. Veit, Die Rezeption technischer Regeln im Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht unter besonderer Berücksichtigung ihrer verfassungsrechtlichen Problematik, 1989, S. 35 f. 46 Dieser Begriff geht auf Binding, Systematisches Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft, 1885, S. 179 f., zurück. 47 Roxin, Strafrecht AT, Band I, 4. Aufl. 2006, § 5 Rz. 40; Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 163; Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 217 m. w. N. 48 Nach Art und Qualität der in Bezug genommenen Norm wird zwischen echten und unechten Blankettvorschriften bzw. Binnen- und Außenverweisungen unterschieden. Wohingegen bei echten Blankettstrafgesetzen (Außenverweisung) allein die Strafdrohung in formellem Gesetz vorgesehen, die Ausfüllung aber anderen Organen überlassen ist, liegt eine unechte Blankettverweisung (Binnenverweisung) vor, wenn bezüglich der inhaltlichen Ausgestaltung des Verbots auf eine Ergänzungsnorm desselben Normgebers verwiesen wird, Dannecker, Das intertemporale Strafrecht, 1993, S. 463 f.; Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, 1970, S. 89, 95; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen im Nebenstrafrecht, 1969, S. 94. 49 Kohlmann in FS Vieregge, 1995, S. 443, 454. 50 Dierlamm, NStZ 1996, 519, 522. 51 Zum Insiderrecht Park, NStZ 2007, 369, 372, verdeutlicht durch die niedrige Zahl an Verurteilungen, s. Fn. 12.
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spaltung52 kommen, d. h. dass ein und dieselbe Norm in den verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedlich auszulegen ist. Angesichts der Garantiefunktion des Strafrechts (Art. 103 Abs. 2 GG) bleibt das Interpretationsinstrumentarium des Strafrechts (wie etwa Auslegung nur bis zur Wortlautgrenze, keine Analogie zu Lasten des Täters) hinter dem in anderen Rechtsgebieten verfügbaren zurück. In der Folge kann die Auslegung eines außerstrafrechtlichen Veroder Gebots danach variieren, ob die Norm in Verbindung mit einem Strafblankett oder in verwaltungs- oder zivilrechtlichem Kontext zur Anwendung kommt53. Wenn eine außerstrafrechtliche Norm von einer Strafnorm in Bezug genommen wird, sind die Besonderheiten des Strafrechts aber nicht nur bei der Auslegung, sondern auch bei der Anwendung der ganz eigentümlichen Strafrechtsdogmatik auf die Norm zu berücksichtigen. 4. Konkretisierung von Strafnormen durch Rechtsverordnung a) Auf einer letzten Stufe wird das Marktmanipulationsverbot durch die MaKonV konkretisiert. Ziel dieser Gesetzestechnik war es, flexibel und zeitnah auf neue Marktmanipulationstechniken reagieren zu können, ohne dabei die mit einem förmlichen Gesetzgebungsverfahren typischerweise verbundenen langwierigen Beratungen abwarten zu müssen54. Allerdings löste dieses Konkretisierungskonzept auch erhebliche Bedenken aus. So wurde vor allem die in § 20a Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 WpHG enthaltene Ermächtigung zur Konkretisierung des Begriffs der sonstigen Täuschungshandlung kritisiert55. Da dieser Begriff extrem unbestimmt und daher ausfüllungsbedürftig sei, stelle seine Konkretisierung im Rahmen einer Rechtsverordnung mehr als eine bloße Spezifizierung56 bereits durch formelles Gesetz bestimmten Rechts dar. Das gelte vor allem, weil die „sonstige Täuschungshandlung“ als Tathandlung im Mittelpunkt der Vorschrift stehe und sich direkt an den Täter richte57. Die Strafbarkeit muss jedoch vom förmlichen Gesetzgeber selbst bestimmt werden und darf nicht dem Verordnungsgeber überlassen bleiben58. Einzuräumen ist jedoch, dass auch aus anderen, vergleichbar komplexen Rechtsgebieten bekannt ist,
__________
52 Schüppen, Systematik und Auslegung des Bilanzstrafrechts, 1993, S. 180 m. w. N.; Tiedemann in FS Schaffstein, 1975, S. 195 ff. S. zum Ganzen Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 390 ff. 53 Satzger, Die Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 227; Cahn, ZHR 162 (1998), 1, 8 f.; Kalss in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 2006, § 20 Rz. 34. 54 Vgl. die Begründung, BT-Drucks. 14/8017, S. 90; Park, BB 2003, 1513, 1515; Fleischer in Fuchs, WpHG, 2009, Vor § 20a Rz. 137. 55 Waschkeit, Marktmanipulation am Kapitalmarkt, 2007, S. 238 m. w. N. 56 Die nach BVerfG v. 6.5.1987, BVerfGE 75, 329, 342; BVerfG v. 22.6.1988, BVerfGE 78, 374, 382 ausdrücklich zulässig wäre. So auch Fleischer in Fuchs, WpHG, 2009, § 20a Rz. 138; ders., DB 2004, 51, 54; Eichelberger, ZBB 2004, 296, 299 f.; Lenzen, ZBB 2002, 279, 286; Mock/Stoll/Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Rz. 94; Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Vor § 20a Rz. 21 und § 20a Rz. 7. 57 Tripmaker, wistra 2002, 288, 292; Pfüller/Anders, WM 2003, 2445, 2447 f.; Park, BB 2003, 1513, 1516 f.; a. A. Möller, WM 2002, 309, 314. 58 Vgl. Art. 103 Abs. 2 i. V. m. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG und ggf. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG, s. BVerfG v. 25.7.1962, BVerfGE 14, 245, 252; BVerfG v. 8.6.1988, BVerfGE 78, 249, 272.
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dass sich die formellen Gesetzesvorgaben ohne Bezugnahme auf „technische“ Rechtsverordnungen nicht ohne weiteres interpretieren lassen59. Der Gesetzgeber hätte diese Bedenken jedoch weitgehend ausräumen können, wenn er Unterkategorien sonstiger Täuschungshandlungen bereits im WpHG als förmliches Gesetz normiert hätte60. b) Aber auch die in der MaKonV getroffenen Bestimmungen tragen nicht immer effektiv dazu bei, die Regelungen des § 20a Abs. 1 WpHG für den Rechtsanwender näher zu spezifizieren und diesem eine praktikable Handlungsanweisung an die Hand zu geben. § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG setzt das Machen von Angaben über bzw. Verschweigen von Umständen voraus, die für die Bewertung eines Finanzinstruments erheblich sind. Die bei der Anwendung der MaKonV entstehenden praktischen Probleme zeigen sich sehr gut anhand der Konkretisierung des Begriffs der „Umstände, die für die Bewertung eines Finanzinstruments erheblich sind“ durch § 2 MaKonV. Einer Legaldefinition des Begriffs „bewertungserhebliche Umstände“ in Abs. 1 Satz 1, die in Abs. 1 Satz 2 durch eine Art Fiktion („gelten auch“) ergänzt wird, schließen sich in Abs. 2 Fallgruppen an, in denen „regelmäßig“ ein bewertungserheblicher Umstand vorliegt. In Abs. 3 werden dann konkrete Beispiele genannt, indem ausgeführt wird „bewertungserhebliche Umstände […] sind insbesondere“. Kurioserweise schließt sich in Abs. 4 dann eine weitere Aufzählung an, die Umstände erfasst, welche bewertungserhebliche Umstände sein „können“61. Wie die einzelnen Absätze in die klassische Strafrechtsdogmatik eingeordnet werden können, ist wenig geklärt. Während Abs. 2, der Fälle nennt, bei denen regelmäßig Bewertungserheblichkeit vorliegt, wohl als Regelbeispiel zu verstehen ist62 und Abs. 3 mit „insbesondere“ zum Ausdruck bringt, dass hier zwingende, aber nicht abschließende Beispiele für bewertungserhebliche Umstände genannt werden sollen, lässt sich Abs. 4 nicht mehr in die klassischen Kategorien der Strafrechtsdogmatik einordnen. Allenfalls lässt die unterschiedliche Formulierung in Abs. 2 („sind regelmäßig“) und Abs. 4 („können sein“) einen graduellen Unterschied dahingehend vermuten, dass bei den in Abs. 2 genannten Fällen gewöhnlich Bewertungserheblichkeit vorliegt, wohingegen bei denen des Abs. 4 lediglich die Möglichkeit der Bewertungserheblichkeit in Betracht zu ziehen ist. Insgesamt erinnert das Ganze an ein „terminologisches Glasperlenspiel“63. Die Auflistung bewertungserheblicher Umstände in § 2 Abs. 3 und Abs. 4 MaKonV ist zudem nicht abschließend. Damit wird der Rechtsanwender wiederum auf die Legaldefinition in § 2 Abs. 1 MaKonV zurück verwiesen und sieht sich erneut mit der Unbestimmtheit des Merkmals der Bewertungserheblichkeit konfrontiert64.
__________ 59 Schwark in Schwark, KMRK, 3. Aufl. 2004, § 20a Rz. 52, Fn. 147. 60 Waschkeit, Marktmanipulation am Kapitalmarkt, 2007, S. 237 m. w. N. 61 Diese für eine Strafrechtsnorm doch sehr untypische Regelung fand sich in ähnlicher Weise bereits in § 2 KuMaKV. 62 So jedenfalls Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2008, § 20a Rz. 40; Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 81, 88. 63 Schröder, Kapitalmarktstrafrecht, 2007, Rz. 419. 64 Schröder, Kapitalmarktstrafrecht, 2007, Rz. 421.
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Da dürfte es fast nicht stören, dass das Merkmal der Bewertungserheblichkeit wie es Eichelberger vielleicht etwas zu drastische ausrückt, „überflüssig“ ist65, denn „Angaben, die unrichtig bzw. irreführend und preiseinwirkungsgeeignet und gleichwohl für die Bewertung unerheblich sind, dürften eine eher theoretische Ausnahme darstellen“66. Obwohl schon während der Geltung des § 88 Nr. 1 BörsG a. F. die geringe Bedeutung des Merkmals bekannt war, wurde es in die neu geschaffene Regelung übernommen67. Dieses Merkmal verdeutlicht die Unausgereiftheit der Regelung des Verbots der Marktmanipulation besonders gut. Insgesamt sind die Konkretisierungsversuche durch die MaKonV unbefriedigend, da sie sich in vielen Bereichen in einer Auflistung unbestimmter Rechtsbegriffe erschöpfen68.
II. Methodische Einordnungsschwierigkeiten am Beispiel der Tatbeteiligung mehrerer Personen und der Tatbegehung durch Unterlassen Im Folgenden soll nun erörtert werden, ob die dem Strafrecht grundsätzlich fremde Rechtssetzungstechnik mit mehreren Regelungsebenen und mit mehrfachen Verweisungen dazu führt, dass das Regelungssystem des Verbots der Marktmanipulation mit den Mitteln der hergebrachten Strafrechtsdogmatik nicht oder jedenfalls nicht so zu begreifen ist, dass es ein praktikables Fundament für die tägliche Rechtsanwendung bietet. Das WpHG stellt die Kurs- und Marktpreismanipulation unter Strafe69 und bildet damit zusammen mit dem Verbot von Insidergeschäften70 das Kernstück des kapitalmarktrechtlichen Schutzes eines integeren Wertpapierhandels, d. h. der Zuverlässigkeit und Wahrheit der Preisbildung am Kapitalmarkt71. Die Marktmissbrauchsrichtlinie stellt es den Mitgliedstaaten frei, Marktmanipulation mit den Mitteln des Strafrechts zu verfolgen72. Der deutsche Gesetzgeber hat sich dazu entschieden, diese Möglichkeit wahrzunehmen, und führte ein Kombinationsmodell ein, in dessen Rahmen Verstöße entweder mit Verwaltungsakten (Bußgeld als Ordnungswidrigkeitenfolge, § 39 Abs. 1 Nr. 2 WpHG) oder mit strafrechtlicher Sanktion (Geld- oder Freiheitsstrafe, § 38 Abs. 2 WpHG) geahndet werden. Ob eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat vorliegt, hängt davon ab, ob durch die Tathandlung auf den Börsen- oder Marktpreis eingewirkt wurde und des
__________ 65 Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG), 2006, S. 265. 66 Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 73. 67 Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 68; Fleischer in Fuchs, WpHG, 2009, Vor § 20a Rz. 24; Mock/Stoll/Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Anh. I-§ 2 MaKonV Rz. 1. 68 Bisson/Kunz, BKR 2005, 186, 187; Park, NStZ 2007, 369, 376. 69 §§ 20a, 38 Abs. 2, 39 Abs. 1 Nr. 1–2, Abs. 2 Nr. 11 Abs. 4 WpHG. 70 §§ 12–14, 38 Abs. 1, 3–5, 39 Abs. 2 Nr. 3–4, Abs. 4 WpHG. 71 Begr. RegE 4. FMFG, BT-Drucks. 14/8017, S. 98; Fleischer in Fuchs, WpHG, 2009, Vor § 20a Rz. 1 m. w. N. 72 S. oben Fn. 30.
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weiteren, ob der Täter vorsätzlich oder nur leichtfertig handelte, § 39 Abs. 2 Nr. 11 WpHG73. Die informationsgestützte Marktmanipulation74 wird von § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 WpHG erfasst. Danach ist es verboten, unrichtige oder irreführende Angaben über bewertungserhebliche Umstände zu machen (Nr. 1) oder sonstige Täuschungshandlungen vorzunehmen (Nr. 3), wenn diese geeignet sind, auf den Preis eines Finanzinstruments einzuwirken. Sowohl mit Nr. 1 als auch Nr. 3 werden Richtlinienvorgaben umgesetzt75. Die Nr. 3 wird als Auffangtatbestand und lex generalis zu den Nr. 1 und 2 beschrieben, die nur eingreift, soweit diese Tatbestände nicht verwirklicht sind76. Die Nr. 3 bleibt anwendbar, wenn die Nr. 1 und 2 nicht erfüllt sind77. Insofern ist § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG keine streng subsidiäre Regelung. Methodische Einordnungsschwierigkeiten entstehen etwa bei der Tatbegehung durch mehrere Personen78. Marktmanipulationen werden häufig nicht durch eine einzige Person begangen, sondern unter Einbeziehung doloser oder gutgläubiger Dritter. Viele Täter wenden sich nicht selbst an die Öffentlichkeit, sondern versuchen ihre Spuren durch den Einsatz von Strohmännern zu verwischen. Das können Journalisten oder Vertreter von Anlegerschutzvereinigungen sein. So setzte etwa der stellvertretende Vorstandsvorsitzende einer Anlegerschutzvereinigung auf fallende Kurse einer börsennotierten AG. Er informierte den Vorstandsvorsitzenden über die Ergebnisse einer Recherche, die er angeblich zu dem Unternehmen durchgeführt habe und in deren Rahmen er
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73 BaFin, Emittentenleitfaden, Stand 2009, S. 112. 74 Bei informationsgestützten Manipulationen werden Kurse und Preise durch die Verbreitung von Nachrichten beeinflusst, Fleischer in Fuchs, WpHG, 2009, Vor § 20a Rz. 4; Mock/Stoll/Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Rz. 6 ff.; Vogel in Assmann/ Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Vor § 20a Rz. 32 ff.; Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2008, § 20a Rz. 23. 75 § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG ist Nachfolgevorschrift des § 88 Nr. 1 BörsG a. F. Der Norm liegen aber auch die europarechtlichen Vorgaben der Art. 1 Abs. 2 b) und c) der Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG (Fn. 21) sowie Art. 5 a) der Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG v. 22.12.2003 betreffend die Begriffsbestimmung und die Veröffentlichung von Insider-Informationen und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation, ABl. 2003, L 339/70 zugrunde, s. Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 57. § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG ist Nachfolgevorschrift des § 88 Nr. 2 BörsG a. F. und setzt zudem Art. 1 Abs. 2 b) Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG und Art. 5 b) der Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG um, s. Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 206. 76 Bisson/Kunz, BKR 2005, 186, 188; Knauth/Käsler, WM 2006, 1041, 1049; Mock/ Stoll/Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Rz. 201; Schönhöft, Die Strafbarkeit der Marktmanipulation gemäß § 20a WpHG, 2006, S. 123; Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 209; Ziouvas, ZGR 2003, 113, 127. 77 Bisson/Kunz, BKR 2005, 186, 188; Knauth/Käsler, WM 2006, 1041, 1049; Mock/ Stoll/Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Rz. 201; Schäfer in Schäfer/Hamann, KMG, Loseblatt, 2. Aufl. Stand 6/2007, § 20a WpHG Rz. 64; Vogel in Assmann/Uwe H. Scheider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 209. 78 Aus Art. 1 Abs. 1 EGStGB ergibt sich, dass die Vorschriften des Allgemeinen Teils des StGB für das Kapitalmarktstrafrecht, mithin auch für § 20a WpHG, Anwendung finden.
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auf erhebliche Ungereimtheiten bei der Bilanzierung der AG gestoßen sei. Seine wirtschaftlichen Eigeninteressen legte er dem Vorsitzenden gegenüber ebenfalls offen. Im Namen der Anlegerschutzvereinigung äußerte der Vorsitzende in der Folge gegenüber Medienvertretern Zweifel an der Rechnungslegung der AG. Der Aktienkurs brach massiv ein79. Neben der Strafbarkeit desjenigen, der als Interessenträger von einer entsprechenden Kursentwicklung profitiert, ist wenig geklärt, ob und wie derjenige zu bestrafen ist, der sich bewusst oder leichtfertig als Werkzeug von Manipulationsstrategien missbrauchen lässt. Ein weiterer methodisch schwieriger Bereich der Marktmanipulation liegt in der Tatbegehung durch Unterlassen, die teilweise bereits tatbestandlich erfasst ist80. Hier ist das Verhältnis zu § 13 StGB bzw. § 8 OWiG bisher völlig ungeklärt.
III. Unterlassungsstrafbarkeit 1. § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG verbietet es, unrichtige oder irreführende Angaben über Umstände zu machen, die für die Bewertung eines Finanzinstruments erheblich sind oder solche Umstände entgegen bestehender Rechtsvorschriften zu verschweigen. Der Tatbestand erfasst damit neben der Begehung durch aktives Tun (Alt. 1) auch die Tatbegehung durch Verschweigen, d. h. Unterlassen (Alt. 2). Umstritten ist, ob es sich damit bei § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 WpHG um ein echtes Unterlassungsdelikt81 handelt82. Für
__________ 79 S. oben S. 831. 80 § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 und § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG i. V. m. § 4 Abs. 1 MaKonV nennen die Möglichkeit der Begehung durch Unterlassen. 81 Echte Unterlassungsdelikte sind nach überwiegender Ansicht Straftaten, die sich in der Nichtvornahme einer vom Gesetz geforderten Handlung erschöpfen, sog. materieller Ansatz. Die Abwendung eines bestimmten Erfolges wird dem Unterlassenden nicht zur Pflicht gemacht. Dies unterscheidet die echten von den sog. unechten Unterlassungsdelikten, die dem Täter die Pflicht zur Erfolgsabwendung auferlegen. Die Gegenströmung, unterscheidet danach, ob das Gesetz ausdrücklich die Strafbarkeit des Unterlassens benennt (echtes Unterlassungsdelikt) oder das strafbare Verhalten nur als aktives beschrieben wird und sich die Strafbarkeit über § 13 StGB ergibt (unechtes Unterlassungsdelikt), sog. formaler Ansatz. In letzterem Fall macht sich der Unterlassende nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, d. h. er eine Garantenstellung inne hat, § 13 StGB. S. zum Ganzen Weigend in LK-StGB, 12. Aufl. 2007, § 13 Rz. 16 m. w. N. 82 Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 98; Mock/ Stoll/Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Rz. 165 m. w. N. Große Teile der Literatur setzen die Eigenschaft des § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 WpHG als echtes Unterlassungsdelikt ohne weitere Begründung einfach voraus, Schröder, Kapitalmarktstrafrecht, 2006, Rz. 449; Hellmann/Beckemper, Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. 2008, Rz. 69; Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG), 2006, S. 266; Schwark in Schwark, KMRK, 3. Aufl. 2004, § 20a Rz. 19; Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2008, § 20a WpHG Rz. 71. Differenzierend dagegen Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 98; Schönhöft, Die Strafbarkeit der Marktmanipulation gemäß § 20a WpHG, 2006, S. 86 f. Für die Einordnung als unechtes Unterlassungsdelikt Ziouvas, ZGR 2003, 113, 126.
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die Rechtsanwendung viel relevanter ist jedoch die Frage, ob auch die aktiv formulierte Handlungsalternative des § 20a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 WpHG durch Unterlassen begangen werden kann83. Dies hätte eine nicht unerhebliche Erweiterung der Strafbarkeit zur Folge, da sich nicht mehr nur derjenige strafbar macht, der Umstände entgegen explizit normierter Rechtsvorschriften verschweigt, sondern auch jegliches garantenpflichtwidrige Verschweigen erfasst wäre. Es sind durchaus Fälle denkbar, in denen zwar keine „bestehende Rechtsvorschrift“ die Kundgabe von Umständen ausdrücklich vorschreibt, aber dennoch Aufklärung nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen geboten ist. Zu denken ist hier insbesondere an die Pflicht zunächst gutgläubig gemachte falsche Angaben zu berichtigen. Gegen eine Anwendung des § 13 Abs. 1 StGB auf die erste Alternative spricht jedoch ein systematisches Argument. Eine Unterlassung soll ausweislich nur dann strafbar sein, wenn eine bestehende Rechtsvorschrift die Pflicht normiert, Auskunft zu geben84. In allen anderen Fällen, in denen eine Garantenstellung etwa durch Ingerenz und damit Unterlassungstäterschaft denkbar wäre, müsste eine Strafbarkeit dann ausscheiden. Die Gegenauffassung will im Anschluss an die zu § 264a StGB85 und § 82 GmbHG86 entwickelten Grundsätze eine sog. kommunikative Verkehrssicherungspflicht eingreifen lassen, die den Verantwortlichen zu Aufklärung verpflichtet87. 2. Tathandlung des § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG ist die Vornahme von sonstigen Täuschungshandlungen. § 4 Abs. 1 MaKonV definiert diese als Handlungen und Unterlassungen, die geeignet sind, einen verständigen Anleger über die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse an einer Börse oder einem Markt in die Irre zu führen. Damit bezieht der Verordnungsgeber ohne nähere Begründung sämtliche Unterlassungen mit ein88. Dabei beschränkt die Norm die Unterlassungsstrafbarkeit nicht wie § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 WpHG auf ein Unterlassen entgegen „bestehender Rechtsvorschriften“, sondern erfasst jegliches Unterlassen, das die Eignung aufweist Anleger in die Irre zu führen. Eine Garantenstellung oder Aufklärungspflicht scheint damit nicht gefordert, der Tatbestand mithin unendlich weit. In der Literatur wird vorgeschlagen, diese umfassende Unterlassungsstrafbarkeit durch eine restriktive Auslegung einzuschränken und auch bei § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG nur rechts- bzw. garantenpflichtwidriges Unterlassen erfasst zu sehen89.
__________ 83 Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 67; Schröder, Kapitalmarktstrafrecht, 2006, Rz. 395. 84 Schröder, Kapitalmarktstrafrecht, 2006, Rz. 395; § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 WpHG ebenfalls für vorrangig haltend Mock/Stoll/Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Rz. 160. 85 Tiedemann in LK-StGB, 11. Aufl. 2005, § 264a Rz. 58. 86 Tiedemann in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 82 Rz. 98. 87 Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 67. 88 Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 226; Mock/ Stoll/Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Anh. I-§ 4 MaKonV Rz. 5. 89 Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 226; Mock/ Stoll/Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Anh. I-§ 4 MaKonV Rz. 5. Diskutiert wird dabei vor allem eine Garantenstellung aus Geschäftsherrenhaftung im Sinne einer Verantwortlichkeit der Verbands- oder Unternehmensspitze für Manipulationen durch ihre Mitarbeiter, Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a
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3. Die derzeitige unklare Regelungslage im Hinblick auf die Strafbarkeit des Unterlassens bei informationsgestützten Manipulationen ist nicht auf europäische Regelungsvorgaben zurück zu führen, da diese die Begehung durch Unterlassen nicht erfassen90. Vielmehr wurden die gewählten Formulierungen unreflektiert den Vorgängerregelungen entnommen, eine Anpassung an die Strafrechtsdogmatik blieb aus. Geht man davon aus, dass mit der Marktmissbrauchsrichtlinie eine Vollharmonisierung des Rechts der Marktmanipulation bezweckt war91, stellt sich angesichts der Überschreitung der Richtlinienvorgaben die Frage nach einem Verstoß gegen Europäisches Recht92.
IV. Täterschaft und Teilnahme 1. „Scalping“ als sonstige Täuschungshandlung nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 MaKonV Auch die Behandlung der Tatbeteiligung mehrerer an Marktmanipulationen ist noch wenig geklärt. Während in einigen Bereichen Mehrpersonenverhältnisse bereits tatbestandlich erfasst sind93 und auf den ersten Blick der Täterkreis auf bestimmte Personen eingeschränkt wurde94, wird in anderen Bereichen die Tatbegehung durch mehrere ohne erkennbaren Grund nicht erwähnt95. Diese unterschiedliche Behandlung geht anders als bei der Unterlassungsstrafbarkeit auf europäische Vorgaben zurück, die hier eins zu eins in deutsches Recht umgesetzt wurden. Am Beispiel des „Scalping“ als Unterfall der „sonstigen Täuschungshandlungen“ des § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG zeigt sich, welche methodischen Schwierigkeiten die derzeitige Regelung bei der Tatbeteiligung mehrerer bereitet. Die auf dem nahezu gleichlautenden Art. 2 lit. c) der Marktmissbrauchsrichtlinie beruhende Norm des § 4 Abs. 3 Nr. 2 MaKonV bestimmt, dass eine „sonstige Täuschungshandlung“ auch die mediale Kundgabe einer Stellungnahme oder eines Gerüchts zu einem Finanzinstrument oder dessen Emitten-
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WpHG), 2006, S. 313, 337 ff.; Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht, 1. Aufl. 1979, S. 101 ff.; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, 2003, § 32 Rz. 137; a. A. Heise, Der Insiderhandel an der Börse und dessen strafrechtliche Bedeutung, 2000, S. 168 f. Weder die Strafbarkeit des „Verschweigens“ in § 20a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 WpHG noch des „Unterlassens“ in § 4 Abs. 1 MaKonV findet sich so in der Marktmissbrauchsoder der Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG, Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 57. S. oben I. 2. Zudem wirft der Tatbestand erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz auf, Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Vor § 20a Rz. 26 ff., § 20a Rz. 100. § 4 Abs. 3 Nr. 1 MaKonV „Sonstige Täuschungshandlungen sind insbesondere auch die Sicherung einer marktbeherrschenden Stellung […] durch eine Person oder mehrere in Absprache handelnde Personen.“ Etwa § 4 Abs. 2 MaKonV „Anzeichen für sonstige Täuschungshandlungen sind auch Geschäfte […] bei denen die Vertragspartner oder Auftraggeber oder mit diesen in enger Beziehung stehende Personen […]“. § 4 Abs. 3 Nr. 2 MaKonV.
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ten ist, nachdem Positionen über dieses Finanzinstrument eingegangen worden sind, ohne dass dieser Interessenkonflikt zugleich mit der Kundgabe in angemessener und wirksamer Weise offenbart wird. Der BGH führt hierzu in seiner Entscheidung zum Fall Sascha Opel aus, die Täuschungshandlung liege in der Tatsache, dass der „Scalper“ durch aktives Tun konkludent oder stillschweigend vortäuscht, seine Empfehlung sei „nicht mit dem sachfremden Ziel der Kursbeeinflussung zu eigennützigen Zwecken bemakelt“96. Im Grundfall des „Scalping“ nutzt der Täter seine Reputation, indem er selbst öffentlich Empfehlungen abgibt, die den Kurs eines Finanzinstruments beeinflussen. Diese Konstellation wird ohne weiteres von § 4 Abs. 3 Nr. 2 MaKonV erfasst. Häufig wird der Täter jedoch nicht das Risiko eingehen wollen, durch eigene öffentliche Äußerungen auf sich aufmerksam zu machen. Dann liegt der Einsatz eines Strohmannes nahe. 2. Ausschluss der Zurechnung bei Sonderdelikten a) Allerdings ist die Zurechnung von Tatbeiträgen eines Beteiligten an einen anderen bezüglich mancher Tatbestandsmerkmale ausgeschlossen, wenn es sich bei dem fraglichen Delikt um ein Sonderdelikt handelt. Bei Sonderdelikten kann täterschaftlich nur handeln, wer die besondere Täterqualifikation selbst aufweist97. Die täterschaftsbegründenden Herrschaftspositionen bei den Sonderdelikten stellen insoweit strafbegründende besondere persönliche Merkmale i. S. d. § 28 Abs. 1 StGB dar98. Das Marktmanipulationsverbot wird grundsätzlich als Jedermannsdelikt99 verstanden, dessen Begehung keine besondere Täterqualität voraussetzt100. Allerdings ist etwa bei § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 WpHG Normadressat nur derjenige, der auch Adressat einer Rechtsvorschrift ist, die ihm Offenlegungspflichten auferlegt101. Daher wird diese Begehungsalternative teilweise als Sonderdelikt eingeordnet102. Die in der Literatur weitverbreitete generelle Qualifizierung des § 20a Abs. 1 WpHG als Allgemeindelikt erfolgt oft vorschnell, da die Eingruppierung für jede Tatbestandsvariante separat vorzunehmen ist.
__________ 96 BGH v. 6.11.2003, BGHSt 48, 373, 380 – Opel. 97 Schünemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2007, § 25 Rz. 39, 162; Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, § 25 Rz. 6, 15; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 5. Aufl. 1996, § 63 I 3 b). 98 Schünemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2007, § 28 Rz. 53. 99 Für einen Überblick s. Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 54 ff.; Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2008, § 20a Rz. 28; Fleischer in Fuchs, WpHG, 2009, § 20a Rz. 8, 19. 100 Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 55; Schönhöft, Die Strafbarkeit der Marktmanipulation gemäß § 20a WpHG, 2006, S. 48. 101 § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 WpHG: „Es ist verboten, unrichtige oder irreführende Angaben über Umstände zu machen, die für die Bewertung eines Finanzinstruments erheblich sind, oder solche Umstände entgegen bestehender Rechtsvorschriften zu verschweigen […]“. 102 Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 20a Rz. 55; Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2008, § 20a Rz. 28; Eichelberger, Das Verbot der Marktmanipulation (§ 20a WpHG), 2006, S. 335 f.; Schönhöft, Die Strafbarkeit der Marktmanipulation gemäß § 20a WpHG, 2006, S. 48 f.
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b) Angesichts der besonderen Interessenlage, in der sich Täter beim „Scalping“ befinden und die das Delikt charakterisiert, kommt insbesondere das „Scalping“ für eine Eingruppierung als Sonderdelikt in Betracht. Zu klären ist hierfür, ob die Inhaberschaft von Positionen über das Finanzinstrument, bezüglich dessen Stellungnahmen kundgegeben wurden, ein die Tathandlung charakterisierendes Merkmal ist oder ob es sich dabei um ein den Täter charakterisierendes besonderes persönliches Merkmal handelt. Die zu dieser Frage verwendeten Abgrenzungsformeln sind allesamt verschwommen und gründen auf keiner fundierten teleologischen Basis103. Eine Entscheidung kann nur anhand wertender Betrachtungen getroffen werden. Der Wortlaut des § 4 Abs. 3 Nr. 2 MaKonV ist nicht eindeutig: Verlangt wird die Kundgabe einer Stellungnahme oder eines Gerüchts, nachdem Positionen über dieses Finanzinstrument eingegangen worden sind, ohne dass dieser Interessenkonflikt offenbart wurde. Gemeint sein kann damit sowohl die Inhaberschaft durch den sich Äußernden selbst als auch die eines Dritten. Für eine Einordnung als besonderes persönliches, den Täter charakterisierendes Merkmal spricht allerdings, dass der sozialwidrige Charakter des „Scalping“ gerade in dem beim Täter vorhandenen und nicht offenbarten Interessenkonflikt liegt104. Allein die Täuschung über diesen Interessenkonflikt stellt den strafwürdigen Kern des Verhaltens dar. Dann kann sich aber nicht ein Dritter, bei dem dieser Interessenkonflikt nicht vorhanden ist, durch seine Stellungnahmen strafbar machen, nur weil er von den Positionen eines anderen Kenntnis hatte. Im systematischen Vergleich wird auch das Insiderhandelsverbot für ein Sonderdelikt gehalten. Die Insiderstellung bestimme Status und Pflichten einer bestimmten Person in einer bestimmten Situation105. Eine vergleichbare statusbezogene Geheimhaltungspflicht normiert auch § 203 StGB. Hierauf ist nach herrschender Meinung106 § 28 Abs. 1 StGB anzuwenden. Dies müsse auch für das Insiderhandelsverbot gelten, die Insiderstellung mithin als täterbezogenes persönliches Merkmal eingestuft werden107. Vieles spricht dafür, auch in der Inhaberschaft von Positionen beim „Scalping“ ein solches besonderes, den Täter qualifizierendes Merkmal zu sehen. Damit schiede Mittäterschaft zwischen Interessenträger und dem sich ohne wirtschaftliche Eigeninteressen Äußernden aus, da letzterer als Täter nicht in Betracht kommt. 3. „Scalping“ in mittelbarer Täterschaft a) Jedoch kommt eine Zurechnung der Äußerungen eines Dritten über die Grundsätze der mittelbaren Täterschaft in Betracht. § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB
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103 Schünemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2007, § 28 Rz. 57. 104 S. Fn. 96. 105 Waßmer in Fuchs, WpHG, 2009, § 38 Rz. 70 m. w. N.; Kohlmann in FS Vieregge, 1995, S. 443, 448 ff. 106 Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, § 203 Rz. 49 m. w. N. 107 Waßmer in Fuchs, WpHG, 2009, § 38 Rz. 70; Hilgendorf in Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2008, § 12 u. a. Rz. 148; Schwark in Schwark, KMRK, 3. Aufl. 2004, § 13 Rz. 3; a. A. Heise, Der Insiderhandel an der Börse und dessen strafrechtliche Bedeutung, 2000, S. 91 ff., 178.
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sieht die Möglichkeit vor, eine Tat „durch einen anderen“ zu begehen. Kennzeichen der mittelbaren Täterschaft ist, dass sich der Täter eines anderen als Werkzeug bedient108. Dies ist der Fall, wenn der Täter kraft seines überlegenen Willens oder eines überlegenen Wissens die Tatherrschaft innehat, obwohl er zur Tatausführung auf das Handeln eines anderen zurückgreift109. Eine solche Situation kann etwa bei fehlendem Vorsatz des Vordermanns oder unwiderstehlichem Zwang entstehen110. b) Bei der informationsgestützten Marktmanipulation liegt mittelbare Täterschaft etwa dann vor, wenn sich der Interessenträger eines gutgläubigen Dritten, z. B. eines Journalisten, bedient111. Neben dieser recht eindeutigen Fallvariante der mittelbaren Täterschaft gibt es auch noch weitere, eher untypische Situationen, in denen mittelbare Täterschaft des „Scalpers“ in Betracht kommt. So ist mittelbare Täterschaft auch dann zu bejahen, wenn der Vordermann zwar vorsätzlich, aber ohne die besonderen persönlichen Merkmale handelt, die der jeweilige Tatbestand voraussetzt und die nur beim Hintermann gegeben sind112. Als Beispiel ist hier der Grundbuchbeamte zu nennen, der im Grundbuch eine Tatsache durch einen Nichtbeamten falsch beurkunden lässt. Der Grundbuchbeamte ist hier mittelbarer Täter, während der Nichtbeamte, trotz vollumfänglicher Kenntnis des Sachverhalts, nicht als Täter bestraft werden kann (sog. qualifikationsloses doloses Werkzeug)113. Die mittelbare Täterschaft ergibt sich in diesem Fall nach der sog. Lehre von den Garantensonderdelikten aus dem Umstand, dass das Sonderdelikt als Täter nur Garanten zulässt. Roxin entwickelte hierzu die Theorie der sog. Pflichtdelikte, wonach die Verletzung der Sonderpflicht unabhängig von Tatherrschaft und Täterwillen täterschaftliches Handeln darstellt114. Teilweise wird die Tatherrschaft hier auch normativ begründet115. c) Diese Grundsätze können auch auf das „Scalping“ unter Beteiligung mehrerer Personen übertragen werden, da nach hier vertretener Ansicht in der Inhaberschaft von Positionen über ein Finanzinstrument ein besonderes täter-
__________ 108 Schünemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2007, § 25 Rz. 61; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 5. Aufl. 1996, § 62 I 1; Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, § 25 Rz. 4; Cramer/Heine in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 25 Rz. 6. 109 BGH v. 15.9.1988, BGHSt 35, 347, 353 – Katzenkönig-Fall; BGH v. 13.9.1994, BGHSt 40, 257, 267; Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, § 25 Rz. 5; Cramer/Heine in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 25 Rz. 6a. 110 Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, § 25 Rz. 5; Schünemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2007, § 25 Rz. 69 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 5. Aufl. 1996, § 62 II; Cramer/ Heine in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 25 Rz. 8 ff. 111 Waßmer in Fuchs, WpHG, 2009, § 38 Rz. 67; Vogel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 38 Rz. 39; Altenhain in KK-WpHG, 2007, § 38 Rz. 133; Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2008, § 20a Rz. 85; Schröder, Kapitalmarktstrafrecht, 2006, Rz. 609, 614. 112 RG v. 14.1.1896, RGSt 28, 109 f.; Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, § 25 Rz. 5a; Schünemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2007, § 25 Rz. 133; Cramer/Heine in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 25 Rz. 18 ff. 113 Schünemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2007, § 25 Rz. 133. 114 Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Aufl. 2006, S. 352 ff. 115 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 5. Aufl. 1996, § 62 II 7.
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qualifizierendes Merkmal liegt und das „Scalping“ als Sonderdelikt zu begreifen ist. Nach den oben dargestellten Grundsätzen hätte in diesem Fall der Interessenträger, der die Stellungnahmen des Dritten beeinflusst oder sogar veranlasst, die normative Tatherrschaft inne. Im Ergebnis kann ihm damit die Kundgabe einer Stellungnahme oder eines Gerüchts auch durch dolos handelnde Dritte über § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB zugerechnet werden. d) Umgekehrt scheidet eine Zurechnung der Inhaberschaft von Positionen an den unmittelbar Handelnden über § 25 Abs. 2 StGB aus, da täterqualifizierende besondere persönliche Merkmal gem. § 28 StGB bei jedem Beteiligten selbst vorliegen müssen. Der sich äußernde Dritte kann damit nicht als Täter bestraft werden. Dies erscheint auch angemessen, da der besondere Unwert des „Scalping“ gerade darin liegt, dass der Täter, ohne seine Eigeninteressen offenzulegen, Stellungnahmen oder Gerüchte kundgibt und damit darüber täuscht, dass seine Aussagen mit einem Interessenkonflikt bemakelt sind116. Jedenfalls aber wird die ausführende Person regelmäßig wegen Beihilfe zu der durch den Interessenträger begangenen Marktmanipulation in mittelbarer Täterschaft strafbar sein117.
V. „Anzeichen“ als bloße Hinweise an Strafverfolgungsbehörden oder eigenständige Tatbestandskonkretisierungen Abschließend soll noch eine weitere Kuriosität der Regelung des Verbots der Marktmanipulation beleuchtet werden. In § 4 Abs. 2 MaKonV finden sich sog. „Anzeichen“ sonstiger Täuschungshandlungen. Diese Regelung beruht auf Art. 5 b) Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG118, nach welcher die Mitgliedstaaten Sorge dafür zu tragen haben, „dass die folgenden nicht erschöpfenden Signale – die als solche nicht unbedingt als Marktmanipulation anzusehen sind – berücksichtigt werden, wenn die Geschäfte oder Geschäftsaufträge von den Marktteilnehmern und den zuständigen Behörden geprüft werden“.
__________ 116 S. Fn. 96. 117 Jedoch müsste die Strafe nach § 28 Abs. 1 StGB gemildert werden, da der unmittelbar Handelnde das besondere persönliche Merkmal der Inhaberschaft von Positionen nicht aufweist. Ihm käme seine mangelnde eigene Inhaberschaft von Positionen dann allerdings sogar in doppelter Weise zugute, indem seine Strafe zunächst nach § 27 Abs. 2 StGB wegen Beihilfe obligatorisch gemildert und anschließend die bereits gemilderte Strafe wegen Fehlens eines strafbegründenden besonderen persönlichen Merkmals nochmalig gemildert würde, § 28 Abs. 1 StGB. Der BGH statuiert, dass eine zweimalige Strafmilderung dann nicht in Betracht kommt, wenn dabei ein und dasselbe Merkmal (hier die mangelnde Inhaberschaft von Positionen) zweimal zugunsten des Gehilfen in Ansatz gebracht würde, s. BGH v. 8.1.1975, BGHSt 26, 53; BGH v. 22.4.1988, wistra 1988, 303; BGH v. 1.3.2005, NStZ-RR 2006, 109; Schünemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2007, § 28 Rz. 83; Stree in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 49 Rz. 6; Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, § 28 Rz. 7. Mithin wird eine weitere Strafmilderung nach § 28 Abs. 1 StGB hier wohl ausscheiden. 118 Begr. BMF MaKonV, BR-Drucks. 18/05, S. 16.
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Unklar ist, was unter solchen „Anzeichen“ zu verstehen ist. Während die Lektüre der deutschen Gesetzesfassung durch ihre Formulierung den Anschein erweckt, sie bezwecke eine Konkretisierung der Tatbestandsmerkmale in § 20a Abs. 1 WpHG, legt die Formulierung in der Durchführungsrichtlinie nahe, dass die Regelung lediglich ein Hinweis an Strafverfolgungsbehörden dahingehend darstellen sollte, welche Signale bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 20a Abs. 1 WpHG zu erwarten sind. Danach würde es sich lediglich um eine verfahrensrechtlich zu verstehende Regelung handeln, die den Behörden Sachverhalte umschreibt, die Anlass für Ermittlungen bieten119. Auch Erwägungsgrund 6 der Durchführungsrichtlinie spricht für eine solche Intention der europäischen Regelung120. Allerdings war der deutsche Verordnungsgeber offenbar der Meinung, dass § 4 Abs. 2 MaKonV ebenfalls eigenständige Manipulationsfälle benennt und damit eine Tatbestandskonkretisierung vornimmt121. Damit würde die deutsche Regelung aber von der europäischen abweichen; europäische Regelungsvorgaben wären falsch umgesetzt worden. Höchst fraglich bleibt auch, wie dieser neue Regelungstyp in die deutsche Strafrechtsdogmatik einzuordnen ist. Nahe liegend wäre wohl, „Anzeichen“ als eine Form von Regelbeispiel bzw. -tatbestand zu verstehen122. Auch diese sind flexibel zu handhaben und bieten Raum für Abweichungen. Andererseits handelt es sich bei Regelbeispielen typischerweise um Strafzumessungsregeln123. Die „Anzeichen“ in § 4 Abs. 2 MaKonV wollen jedoch keinen besonders schweren Fall der Marktmanipulation nennen, sondern beschreiben vielmehr Signale für das Vorliegen von Marktmanipulationen an sich124. Die methodische Einordnung der „Anzeichen“ ist nicht von rein intellektuellem Interesse. Vielmehr entscheidet diese darüber, wie etwa die Eingrenzung des Täterkreises auf „Vertragspartner, Auftraggeber [von Geschäften oder einzelnen Kauf- oder Verkaufsaufträgen] oder mit diesen in enger Beziehung stehende Personen“ in § 4 Abs. 2 MaKonV im strafrechtlichen Kontext zu verstehen ist. Handelt es sich nämlich um eine tatbestandliche Eingrenzung des Täterkreises, scheidet eine Begehung durch andere als die genannten Personen
__________
119 Schröder, Handbuch Kapitalmarktstrafrecht, 2007, Rz. 486 zu den „Anzeichen“ in § 3 Abs. 1 MaKonV. 120 Erwägungsgrund 6 der Durchführungsrichtlinie 2003/124/EG (Fn. 75): „Um sowohl den Marktteilnehmern als auch den zuständigen Behörden Anhaltspunkte an die Hand zu geben, müssen bei der Prüfung möglicher manipulativer Verhaltensweisen entsprechende Signale berücksichtigt werden“. 121 Schröder, Kapitalmarktstrafrecht, 2006, Rz. 486 verweist in Zusammenhang mit § 3 Abs. 1 MaKonV hierfür auf die Begründung zur Verordnung zur Konkretisierung des Verbots der Marktmanipulation, S. 3, abrufbar unter: www.thomas-moellers.de. 122 So wohl auch Mock/Stoll/Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Anh. I-§ 4 MaKonV Rz. 2, die „Anzeichen“ dann aber doch als Merkmale des objektiven Verbotstatbestandes einordnen. 123 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 5. Aufl. 1996, § 82 II 3. 124 Mock/Stoll/Eufinger in KK-WpHG, 2007, § 20a Anh. I-§ 3 MaKonV Rz. 1 und § 4 MaKonV Rz. 2 halten „Reichweite und Grenzen der Konkretisierungswirkung“ der „Anzeichen“ des § 3 Abs. 1 und 4 Abs. 3 MaKonV für „bislang kaum geklärt“ und wollen diese auf der Ebene des objektiven Tatbestands ansiedeln.
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von vornherein aus. Sind „Anzeichen“ hingegen als bloße Anhaltspunkte oder Signale für das Vorliegen einer sonstigen Täuschungshandlung zu verstehend, drängt sich eine ganz andere Deutung auf. Wenn die Begehung durch mehrere Personen sogar ein Signal für das Vorliegen sonstiger Täuschungshandlungen darstellt, dann muss erst recht der Tatbestand selbst die Begehung durch mehrere erfassen. Die Begrenzung auf Vertragspartner, Auftraggeber und mit diesen in enger Beziehung stehende Personen erklärt sich dann so, dass gerade in diesen Fällen eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit für eine sonstige Täuschungshandlung vorliegt. Damit soll das Zusammenwirken andere Personen, die nicht in einer solch engen Beziehung zueinander stehen, aber keineswegs ausgeschlossen werden. Vieles spricht dafür, „Anzeichen“ als bloße Anhaltspunkte bzw. Signale für sonstige Täuschungshandlungen zu verstehen und ihnen nicht den Status eigenständiger Tatbestandskonkretisierungen zuzumessen. Auf diese Weise lassen sich die Tatbeteiligungen mehrerer angemessen erfassen und Wertungswidersprüche vermeiden.
VI. Zusammenfassung und Ausblick 1. Die fehlende Anpassung des Marktmanipulationsverbots an die deutsche Strafrechtsdogmatik a) Die Regelung des Marktmanipulationsverbots zeichnet sich durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe und ein komplexes Zusammenwirken mehrerer Regelungsebenen aus. Die Rechtsanwendung und -durchsetzung wird dabei nicht nur durch die Schwierigkeiten, die das Auffinden und die Einordnung der relevanten Normen bereitet, sondern v. a. durch das komplexe Zusammenspiel von Strafrecht und den verschiedenen, auch europarechtlichen Kapitalmarktrechtsnormen erschwert125. Wenn auch hierin noch kein Verstoß gegen das Gebot der Rechts- und Normklarheit zu erblicken ist126, so sind doch die erheblichen Anforderungen, die das Regelungsgefüge an den Rechtsanwender stellt, im Hinblick auf eine möglichst effektive Rechtsanwendung in hohem Maße unbefriedigend. Die Marktmissbrauchsrichtlinie fordert in ihrem Erwägungsgrund 38, dass „alle Verstöße gegen die gemäß dieser Richtlinie erlassenen Verbote und Gebote unverzüglich aufgedeckt und geahndet werden“127. Dies kann hier in Anbetracht der ausgesprochen geringen Zahl an Verurteilungen und Bußgeldverhängungen mit Recht bezweifelt werden128. Vielmehr macht eine bisweilen bis zu siebenstufige Prüfungsreihenfolge mit auf jeder Stufe teilweise mehreren unbestimmten Rechtsbegriffen129 die Rechtsanwendung bei nicht eindeutigen Fällen nahezu unmöglich.
__________ 125 126 127 128 129
Waschkeit, Marktmanipulation am Kapitalmarkt, 2007, S. 258. Waschkeit, Marktmanipulation am Kapitalmarkt, 2007, S. 258. Erwägungsgrund 38 der Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG (Fn. 21). S. Fn. 12. Sorgenfrei in Park, Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2008, § 20a Rz. 20 mit konkretem Beispiel in Fn. 95.
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b) Insgesamt lassen sich vier Kritikpunkte formulieren: (1) Bei einer bis zu sechs Regelungsebenen umfassenden Regelungsstruktur130 bedarf die Ahndung von Verstößen gegen das Marktmanipulationsverbot erheblicher zeitlicher und fachlicher Ressourcen. Es muss bezweifelt werden, ob sich eine solche Regelung für eine Strafbewehrung eignet. Da die Vorteile des Lamfalussy-Verfahrens für die Kapitalmarktgesetzgebung auf europäischer Ebene anerkannt sind131, ist v. a. eine Verschlankung der deutschen Regelung anzuraten, da kein Grund für eine dreistufige Regelung auf nationaler Ebene ersichtlich ist. Dabei ist insbesondere ein Verzicht auf die blankettartigen Verweisungen in §§ 38 und 39 WpHG und eine Regelung der Strafbarkeit direkt bei der Verbotsnorm anzuraten. Die Konkretisierung durch die MaKonV sollte hingegen beibehalten werden, da sie ein flexibles Reagieren auf neue Entwicklungen am Kapitalmarkt und damit einhergehende innovative Manipulationstechniken ermöglicht. (2) Da von einer Vollharmonisierung durch die Marktmissbrauchsrichtlinie auszugehen ist, ist die überschießende Richtlinienumsetzung durch die ausdrückliche Normierung der Unterlassungsstrafbarkeit v. a. in § 4 Abs. 1 MaKonV nicht nur unangemessen, sondern auch europarechtswidrig. Auch bei der Normierung von „Anzeichen“ in § 4 Abs. 2 MaKonV werden europäische Vorgaben nicht korrekt umgesetzt. Hier hätte sich der deutsche Verordnungsgeber enger an die europäischen Vorgaben halten müssen, aus denen deutlich hervorgeht, dass es sich bei den genannten Beispieltatbeständen nicht um eigenständige Tatbestandskonkretisierungen handelt, sondern bloße Hinweise an die Strafverfolgungsbehörden vorliegen, wann Ermittlungen angezeigt sind. Damit wäre auch Unklarheiten darüber, wann bei § 4 Abs. 1 MaKonV die Begehung durch mehrere Täter möglich ist, vorgebeugt worden. (3) Erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken bestehen gegen eine Konkretisierung des unbestimmten Tatbestandsmerkmals der „sonstigen Täuschungshandlungen“ in § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG durch eine Rechtsverordnung. Diese hätten durch eine Normierung von Unterkategorien in § 20a Abs. 1 WpHG selbst unschwer vermieden werden können. (4) Eine unbedachte Übernahme von Formulierungen und Tatbestandsmerkmalen aus Vorgängerregelungen (wie etwa des Erfordernisses „bewertungserheblicher Umstände“ in § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpHG) führt zu überflüssigen Regelungen, die einen hoch komplexen Regelungswust nach sich ziehen (§ 2 MaKonV), der die Rechtsanwendung wiederum unnötig verkompliziert. c) Die derzeitige unbefriedigende Regelungslage beruht weniger auf zu engen europarechtlichen Normvorgaben, sondern ist vielmehr Folge eines sklavischen Umsetzungsautomatismus und einer für die Bedürfnisse des Strafrechtsanwenders blinden Regelungstechnik. Anzuerkennen ist, dass die Vielschich-
__________ 130 Rahmenrichtlinie, Durchführungsrichtlinie und guidelines und recommendations des CESR auf europäischer Ebene; Strafblankett, blankettausfüllende Norm und konkretisierende Rechtsverordnung auf nationaler Ebene. 131 Möllers, ZEuP 2008, 480, 504 f.
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tigkeit der zu regelnden Materie sowie die Einschränkungen, denen der Gesetz- und Verordnungsgeber durch europäische Normvorgaben unterliegt, eine Regelung erschweren132. Dies entschuldigt jedoch nicht die aufgezeigten Regelungsdefizite. Der deutsche Gesetz- und Verordnungsgeber hat es in den vergangenen Jahren trotz mehrfacher Reform des Verbots der Marktmanipulation nicht geschafft, eine verständliche und dogmatisch stimmige Regelung zu schaffen. Es liegt damit der Schluss nahe, dass es sich bei der derzeitigen nationalen Regelung des Marktmanipulationsverbots um reine Alibi-Gesetzgebung handelt, die weniger darauf angelegt ist, praktische Anwendung zu finden, als vielmehr symbolischen Charakter aufweist und eine folgsame Umsetzung europäischer Vorgaben demonstrieren soll133. 2. Strafrechtssensible oder gespaltene Regelung vs. Absehen von Strafbewehrung Zur Abhilfe ist damit der deutsche Gesetz- und Verordnungsgeber berufen. Den Strafverfolgungsbehörden wäre dabei bereits geholfen, wenn sie mit klaren und mit dem ihnen zur Verfügung stehenden dogmatischen Handwerkszeug erfassbaren Regelungen ausgestattet würden. De lege lata könnte zudem eine stärkere Zusammenarbeit zwischen der BaFin und den derzeit zum Teil zeitlich und fachlich heillos überforderten Staatsanwaltschaften eine Durchsetzung des Verbots der Marktmanipulation auch mit Mitteln des Strafrechts befördern. Insgesamt bedarf es jedoch einer grundlegenden Reform des gesamten Regelungsbereichs. Das europarechtlich geprägte, von ökonomischen Erwägungen geleitete und auf Effizienz abzielende Kapitalmarktrecht134 ist mit den Strukturen und hohen dogmatischen Anforderungen des Strafrechts in Einklang zu bringen, bevor eine effektive Rechtsanwendung stattfinden kann. De lege ferenda muss der nationale Gesetzgeber daher die Grundsatzentscheidung treffen, ob er dem Rechtsanwender mit einer strafrechtssensiblen oder gar gespaltenen Regelung entgegen kommt, oder aber, was die europarechtlichen Vorgaben ebenfalls zulassen würden, ganz von einer Strafbewehrung des Verbots der Marktmanipulation absieht135.
__________ 132 So Kohlmann in FS Vieregge, 1995, S. 443, 455 für das Insiderstrafrecht. 133 Zum Insiderrecht Park, NStZ 2007, 369, 374; Kohlmann hielt bereits § 38 WpHG a. F. für das „Ergebnis einer gesetzgeberischen Pflichtübung“, Kohlmann in FS Vieregge, 1995, S. 443, 458. Allgemein zur Symbolgesetzgebung s. Schmehl, ZRP 1991, 251 ff.; Voß, Symbolische Gesetzgebung, 1989; Sendler, NJW 1989, 1761, 1763. 134 Möllers, AcP 208 (2008), 1; s. auch Köndgen in Fleischer/Zimmer, Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, Beiheft ZHR 2009, S. 100; Sester, ZGR 2009, 310. 135 S. hierzu etwa Arlt, Der strafrechtliche Anlegerschutz vor Kursmanipulation, 2004, S. 374 ff.
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Systemrelevanz Inhaltsübersicht I. Einleitung
aa) Durchbrechung von Hauptversammlungszuständigkeiten bb) Debt-Equity-Swap b) Ad-hoc-Feststellung der Systemgefährdung c) Verhältnis von Reorganisationsund Übertragungsverfahren d) Beitragspflichtigkeit aller Kreditinstitute zum Restrukturierungsfonds 3. Systemrelevanz als Enteignungstitel
II. Systemrelevanz 1. Systemrisiko als Vorbedingung für Systemrelevanz 2. Systemrelevanz a) Aufsichtspraxis b) Rechtliche Kategorie 3. Diskussion III. Ausgewählte Rechtsfragen 1. Allgemeines 2. Restrukturierungsgesetz-RegE a) Beschränkung auf Kreditinstitute mit Systemgefährdungspotential
IV. Schlussbemerkungen
Was ist eine systemisch relevante Bank?1 – Unter dieser Überschrift brachte der Jubilar in der für ihn charakteristischen Weise eine, wenn nicht gar die rechtspolitische Fragestellung des Frühsommers 2009 allgemeinverständlich auf den Punkt und gab mit der Prägung von drei Kategorien – vertikaler Dominoeffekt: Zusammenbruch weiterer Unternehmen im Finanzsektor – horizontaler Dominoeffekt: Zusammenbruch von Unternehmen der „Realwirtschaft“ – Effekt des Verlusts des Systemvertrauens sogleich eine sprachmächtige Antwort, um schließlich die Grundsatzfrage anzuschließen, ob auch andere Unternehmen wegen ihrer Größe, ihrer Schlüsselfunktion für die Wirtschaft, wegen des angesammelten Know-hows oder wegen ihrer Bedeutung für die Daseinsvorsorge systemrelevant sein können und was es bedeuten würde, wenn VW insolvent und liquidiert werden würde oder wenn Opel von Investoren aus einem Tigerstaat übernommen und das Knowhow abfließen würde2. Wenn dieser Beitrag das Thema Systemrelevanz gleichwohl nochmals aufgreift, dann nicht nur deshalb, weil dem Jubilar nach gängigen Messkriterien
__________ 1 Uwe H. Schneider, Zwischenruf – Was ist eine systemisch relevante Bank?, ZRP 2009, 119. 2 Uwe H. Schneider, ZRP 2009, 119, 120.
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wie Höhe der Assets – Kommentarwerke, Aufsätze und Zeitungskommentare – und Interconnectness – innerhalb der Wissenschaft, mit der Wirtschaft und mit der Praxis – offenkundig hohe Systemrelevanz zukommt. Vielmehr bestehen trotz des fragenden Zwischenrufs des Jubilars weiterhin Unklarheiten rund um die Systemrelevanz, so dass auch neuerliche Überlegungen hierzu darauf hoffen dürfen, der für den Jubilar so charakteristischen Frage „Was gibt es Neues?“ gerecht zu werden.
I. Einleitung Systemrelevanz – und unmittelbar damit verknüpft: Systemgefährdung – dürfte ein, wenn nicht der Karrierebegriff der Finanzkrise sein3. Dieser Feststellung ist jedenfalls kaum zu widersprechen, wenn man das Begriffspaar mit der Wendung „too big to fail“ zur Leit(d)begriffstrias der Finanzkrise erweitert. Ebenso trifft es freilich zu, dass das Verständnis dieses Begriffs durchaus unsicher ist und, in der Sache damit teilweise verknüpft, über den Umgang mit systemrelevanten Finanzmarktakteuren teils sehr unterschiedliche Auffassungen bestehen4. Ein erstes Indiz hierfür folgt schon aus der Gegenüberstellung dreier Zahlen. Der Financial Stability Board (FSB) hat nach vielfachen Presseberichten im zweiten Halbjahr 2009 eine Liste von 30 systemrelevanten Finanzinstitutionen erstellt, die künftig besonders intensiv beaufsichtigt werden sollen. Als deutsche Vertreter werden lediglich die Deutsche Bank AG und die Allianz SE genannt. Nach einer jüngsten Einschätzung könne abgesehen von vielleicht zwei oder drei Adressen keine deutsche Bank heute sicher von sich sagen, sie sei systemrelevant5. Demgegenüber gehen die BaFin und die Deutsche Bundesbank für Zwecke der Bankenaufsicht von einer ungleich größeren Zahl (hoch) systemrelevanter Institutionen aus, nämlich von etwa 40 Instituten im Sinne des § 1 Abs. 1b KWG6 und die BaFin für die Zwecke der Versicherungsaufsicht zudem von etwas über 50 Versicherungsunternehmen, inklusive Pensionsfonds7. Auf den zweiten Blick ist sogar ein veritables Paradoxon zu verzeichnen, das etwa beim soeben als Regierungsentwurf verabschiedeten Restrukturierungsgesetz in aller Deutlichkeit zu Tage tritt. Einerseits bleibt das dem Insolvenzplanverfahren nachgebildete Reorganisationsverfahren nach dem Kreditinsti-
__________ 3 Höfling, Finanzmarktregulierung – Welche Regelungen empfehlen sich für den deutschen und europäischen Finanzsektor?, Gutachten F zum 68. DJT, 2010, F55. 4 Höfling (Fn. 3), F55 f. 5 Schuster, Börsen-Zeitung v. 1.9.2010, Nr. 167, S. 2. 6 Systemrelevant i. S. d. § 6 Abs. 3 der von der BaFin im Einvernehmen mit der Deutschen Bundesbank erlassenen Aufsichtsrichtlinie aus dem Jahre 2008; dazu näher unten II. 2. a) bei Fn. 16 ff. 7 Günther, WM 2010, 825, 826 f. nennt für das Jahr 2008 insgesamt 39 Institute und 60 Versicherungsunternehmen. Aus dem Jahresbericht der BaFin für 2009 lassen sich keine genauen Zahlen ableiten, siehe BaFin, Jahresbericht 2009, S. 33, 99, 141.
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tute-Reorganisationsgesetz (§§ 7 ff. KredReorgG-E) solchen Instituten vorbehalten, deren Bestandsgefährdung eine Systemgefährdung im Sinne des § 48b KWG-E zur Folge hat. Ebenso bestehen die extensiven Eingriffsbefugnisse der BaFin nach dem schlagwortartig als „aufsichtsrechtliches Übertragungsverfahren“ zu kennzeichnenden neuen Unterabschnitt 4a „Maßnahmen gegenüber Kreditinstituten bei Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems“ (§§ 48a– 48s KWG-E) lediglich, wenn die Gefahr eines insolvenzbedingten Zusammenbruchs eines Kreditinstituts beim Unterbleiben korrigierender Maßnahmen besteht (§ 48b Abs. 1 KWG-E) und zu besorgen ist, dass sich diese Bestandsgefährdung in erheblicher Weise negativ auf andere Unternehmen des Finanzsektors, auf die Finanzmärkte oder auf das allgemeine Vertrauen der Einleger und anderer Marktteilnehmer in die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems auswirken (§ 48b Abs. 2 KWG-E). In konsequenter Fortführung dürfen schließlich die Mittel des auf der Grundlage des Restrukturierungsfondsgesetzes neu einzurichtenden Restrukturierungsfonds nur eingesetzt werden, um eine Bestands- und Systemgefährdung im Sinne des geplanten § 48b KWG-E zu überwinden (§ 3 RStruktFG-E). Andererseits sollen aber alle Kreditinstitute im Sinne des § 1 Abs. 1 KWG zum Restrukturierungsfonds beitragspflichtig sein (§ 2 RStruktFG-E), wobei sich die Beitragsbemessung gemäß § 12 Abs. 7 RStruktFG-E, und dies ist vorliegend entscheidend, am individuellen systemischen Risiko des einzelnen Instituts ausrichtet8. Mit gewisser Zuspitzung gilt für das Restrukturierungsgesetz also, dass unter dem Rettungsaspekt lediglich bestimmte Kreditinstitute systemrelevant sind, unter dem Mittelbeschaffungsaspekt hingegen alle. Ähnlich ambivalent äußerte sich schon der Jubilar in seinem eingangs erwähnten Zwischenruf, wenn er zunächst drei Kriterien für Systemrelevanz formulierte, um sodann festzustellen: „Natürlich sind Kreditinstitute immer in der einen oder anderen Weise systemrelevant. Genau dies rechtfertigt eine besondere Aufsicht, es rechtfertigt Sicherungseinrichtungen, besondere Anforderungen an das Eigenkapital, die Corporate Governance usw.“9 Dies indiziert bereits, dass nicht nur aus der ökonomischen und bankaufsichtsbehördlichen Perspektive, sondern auch einem rechtspolitisch-normativen Blickwinkel die Systemrelevanz von Instituten – und das gilt ganz allgemein für Unternehmen, aber auch sonstige systemrelevante Entitäten und Produkte – je nach Sachzusammenhang unterschiedlich zu beurteilen sein kann und dass Rechtsvorschriften je nach Regelungszweck differenzierte Tatbestandsvoraussetzungen vorsehen müssen oder jedenfalls sollten. Dementsprechend ist auch die normative Systemrelevanz eines bestimmten Instituts nicht etwa axiomatisch vorgegeben, sondern beurteilt sich für jeden Regelungssachverhalt gesondert. Die Zuerkennung der Eigenschaft „Systemrelevanz“ impliziert daher ent-
__________ 8 Begr. RegE eines Gesetzes zur Restrukturierung und geordneten Abwicklung von Kreditinstituten, zur Errichtung eines Restrukturierungsfonds für Kreditinstitute und zur Verlängerung der Verjährungsfrist der aktienrechtlichen Organhaftung (Restrukturierungsgesetz), Begründung A. II. 3. 9 Uwe H. Schneider, ZRP 2009, 119, 120.
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gegen gelegentlicher Tendenzen nicht etwa ein hierbei mitschwingendes Unwerturteil – oder sollte dies jedenfalls nicht10.
II. Systemrelevanz Karriere impliziert Aufstieg. In diesem Sinne wurde der Karrierebegriff Systemrelevanz in den letzten Jahren vom wirtschaftlichen Befund zur rechtlichen Kategorie. Dies ist im Folgenden knapp nachzuzeichnen, weil diese Entwicklung gerade auch aus rechtlicher Sicht einige präzisierende Klarstellungen angezeigt erscheinen lässt. 1. Systemrisiko als Vorbedingung für Systemrelevanz Systemrelevanz eines Finanzinstituts, und das gilt genereller für alle Unternehmen, setzt das Bestehen eines oder mehrerer systemischer Risiken voraus. IMF, BIZ und FSB haben auf der Grundlage einer Befragung von 30 Zentralbanken in einem gemeinsam verfassten Bericht zuhanden der G20 Finanzminister und Zentralbankgouverneure hierfür folgende Definition zugrunde gelegt: „… a risk of disruption to financial services that is (i) caused by an impairment of all or parts of the financial system and (ii) has the potential to have serious negative consequences for the real economy“11. Die Bezugnahme auf die Realwirtschaft im zweiten Teil der Definition erklärt sich daraus, dass ein Teil der für die Erstellung dieses Berichts befragten dreißig Zentralbanken systemische Risiken nicht lediglich anhand der Auswirkungen auf den Finanzsektor (Finanzstabilität), sondern eben anhand der Auswirkungen auf die Realwirtschaft definieren12. 2. Systemrelevanz a) Aufsichtspraxis Der soeben bereits erwähnte gemeinsame Bericht von IMF, BIZ und FSB nennt drei abstrakte Hauptkriterien, anhand derer die systemische Relevanz von Finanzinstitutionen, Märkten und Produkten bemessen werden kann: Größe,
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10 Siehe aber auch die Ergänzung des Zitats „Systemische Bank zu sein hat seinen Preis“ (Depenheuer in Depenheuer, Eigentumsverfassung und Finanzkrise, 2009, S. 3, 5) durch Höfling (Fn. 3), F58: „zu haben, muss man hinzufügen“; ferner Depenheuer ebenda, S. 6: an dieser Eigenschaft werden sich entsprechende Unternehmen „nur in begrenzter Weise erfreuen können und dürfen“. 11 International Monetary Fund/Bank for International Settlements/Financial Stability Board, Report to G20 Finance Ministers and Governors – Guidance to Assess the Systemic Importance of Financial Institutions, Markets and Instruments: Initial Considerations, October 2009, Tz. 7. Siehe auch ebenda: „definition requires serious spillovers“ (http://www.bis.org/publ/othp07.pdf). 12 Siehe International Monetary Fund/Bank for International Settlements/Financial Stability Board, Guidance to Assess the Systemic Importance of Financial Institutions, Markets and Instruments: Initial Considerations – Background Paper, October 2009, Tz. 15 (http://www.financialstabilityboard.org/publications/r_091107d.pdf).
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Austauschbarkeit und Vernetzungsdichte13. Was Finanzinstitutionen im Besonderen angeht, sei das Merkmal „Größe“ anhand der Verbindlichkeiten, des Umfangs der von ihnen getätigten Transaktionen und/oder der Höhe der Assets, jeweils auch im Lichte des Geschäftsmodells, der Gruppenstruktur und der Komplexität der jeweiligen Institution, zu beurteilen. Bei der Austauschbarkeit sei relevant, ob und in welchem Umfang die Institution systemisch relevante Infrastrukturleistungen wie Zahlungsverkehr, Clearing und Settlement oder Wertpapierverwahrung erbringe. Bei der Vernetzungsdichte gehe es um die Zahl und das jeweilige Volumen der mit anderen Marktteilnehmern bestehenden vertraglichen Verflechtungen, sei es auf der Aktiv- oder der Passivseite (direkter Ansteckungseffekt). Schließlich spielt das Ausmaß der Risikokorrelation mehrerer, gegebenenfalls auch kleinerer Institute – etwa aufgrund der Ähnlichkeit der Geschäftsmodelle oder der Risikokorrelation bei den bilanziellen Assets (z. B. parallele Investitionen in Subprime-Papiere: Ansteckungseffekt aufgrund sinkender Vermögenspreise) oder/und der Verbindlichkeiten etwa am Interbanken-Markt (informationsgetriebener Ansteckungseffekt: Lehman-Problem) sowie der außerbilanziellen Positionen (Derivate) – eine Rolle, ein wohl eigenständiges Risikokriterium neben Größe14 und Verflechtung15. Auf nationaler Ebene findet sich der Begriff der Systemrelevanz in § 6 Abs. 3 der von der BaFin im Einvernehmen mit der Deutschen Bundesbank erlassenen so genannten Aufsichtsrichtlinie16. Diese gestaltet den in Art. 124 der Richtlinie 2006/48/EG (sogenannte (revidierte) Bankenrichtlinie) zur Umsetzung der entsprechenden Vorgaben der zweiten Säule von Basel II vorgeschriebenen Supervisory Review und Evaluation Process näher aus. Nach § 6 Abs. 3 sind systemrelevante Institute solche, „deren Bestandsgefährdung aufgrund ihrer Größe und Intensität, ihrer Interbankbeziehungen und ihrer engen Verflechtungen mit dem Ausland erhebliche negative Folgeeffekte bei anderen Kreditinstituten auslösen und zu einer Instabilität des Finanzsystems führen könnten“. Welche Institute in diesem Sinne systemrelevant sind, legen BaFin und Bundesbank einvernehmlich fest. Grundlage hierfür ist ein von der Bundesbank erarbeitetes und mit der BaFin final abgestimmtes Risikoprofil auf der Grundlage einer zweidimensionalen Zwölf-Felder-Matrix, deren eine Dimension „Auswirkung auf Finanzstabilität“ die drei Stufen „niedrig/mittel/hoch“ vorsieht17. Systemrelevant im Sinne von § 6 Abs. 3 und damit Objekt einer
__________ 13 Zum Folgenden IMF/BIS/FSB (Fn. 11), Tz. 13 ff. 14 So die Zuordnung durch IMF/BIS/FSB (Fn. 11), Tz. 13. 15 In der Tendenz für Zuordnung hierzu Hellwig, Finanzmarktregulierung – Welche Regelungen empfehlen sich für den deutschen und europäischen Finanzsektor? – Finanzkrise und Reformbedarf –, Gutachten E zum 68. DJT, 2010, E29 f. 16 BaFin, Richtlinie zur Durchführung und Qualitätssicherung der laufenden Überwachung der Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute durch die Deutsche Bundesbank (Aufsichtsrichtlinie – AufsichtsRL) v. 21.2.2008 (http://www.bundesbank.de/ bankenaufsicht/bankenaufsicht_bafin.php). 17 Näher Deutsche Bundesbank/BaFin, Bankaufsichtliches Risikoprofil als Teil der bankaufsichtlichen Überprüfung und Bewertung von Instituten, November 2007 (http://www.bundesbank.de/bankenaufsicht/bankenaufsicht_bafin.php).
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intensivierten laufenden Aufsicht sind lediglich die als „hoch“ eingestuften Institute oder Institutsgruppen18. b) Rechtliche Kategorie Als explizite rechtliche Kategorie findet sich der Begriff „Systemrelevanz“ bislang lediglich in der Legaldefinition des § 1 Abs. 3 Nr. 2 lit. a RettungsG. Systemrelevanz ist danach gegeben, wenn die Sicherung der Finanzmarktstabilität eine Stabilisierung von Unternehmen des Finanzsektors (§ 2 Abs. 1 FMStFG) oder von Tochterunternehmen solcher Unternehmen erfordert. Demgegenüber spricht § 4 Abs. 1 Satz 1 FMStFG lediglich davon, dass über Stabilisierungsmaßnamen zugunsten von Unternehmen des Finanzsektors „unter Berücksichtigung der Bedeutung des jeweils von der Stabilisierungsmaßnahme erfassten Unternehmens des Finanzsektors für die Finanzmarktstabilität, der Dringlichkeit und des Grundsatzes des möglichst effektiven und wirtschaftlichen Einsatzes der Mittel des Fonds“ zu entscheiden ist. Dies wurde teils dahin verstanden, dass nur systemrelevante Institute durch den Finanzmarktstabilisierungsfonds gestützt werden könnten, was schon aus dem in § 2 Abs. 1 FMStFG niedergelegten Gesetzeszweck der Finanzmarktstabilisierungsgesetze folge19. Nach der Gegenposition war eine solche Beschränkung nicht erkennbar. System-unrelevante Finanzinstitute gebe es in Deutschland nicht20. Der RegE eines Restrukturierungsgesetzes verzichtet ebenfalls auf den Begriff der Systemrelevanz, obgleich der Diskussionsentwurf aus dem Jahre 2009 diesen Terminus in § 1 Abs. 1 Satz 2 KredReorgG-DiskE21 noch gebrauchte. Tatbestandliche Voraussetzung sowohl des neuen Reorganisationsverfahrens (§§ 7 ff. KredReorgG-E) als auch des neuen aufsichtsrechtlichen Übertragungsverfahrens (§§ 48a ff. KWG-E) ist stattdessen eine Bestandsgefährdung des betroffenen Instituts, für die eine erhebliche negative Auswirkung (i) auf andere Unternehmen des Finanzsektors, (ii) auf die Finanzmärkte oder (iii) auf das allgemeine Vertrauen der Einleger und anderer Marktteilnehmer in die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems zu besorgen ist (§ 48b Abs. 2 KWG-E). Auch die Gesetzesbegründung verwendet im Besonderen Teil weder bei der Erläuterung der §§ 7 ff. KredReorgG-E noch des § 48b KWG-E den Begriff der Systemrelevanz. Nachdem aber die Ausführungen im Allgemeinen Teil zu den Zielen des Gesetzes ganz auf die besonderen Probleme systemrelevanter Kredit-
__________ 18 Siehe Antwort der Bundesregierung, „Systemrelevanz“, BT-Drucks. 16/13870, S. 2. 19 Günther, WM 2010, 825; etwa zurückhaltender Becker/Mock, FMStG, 2009, § 4 FMStFG Rz. 41: in erster Linie; Jaletzke/Denzer in Jaletzke/Veranneman, FMStG, 2009, § 4 FMStFG Rz. 22: insbesondere. 20 Mann, DZWIR 2008, 496 f. 21 Systemrelevante Kreditinstitute waren danach „Kreditinstitute, deren Bestandsgefährdung aufgrund ihrer Größe, der Intensität ihrer Interbankbeziehungen und ihren engen Verflechtungen mit dem Ausland erhebliche negative Folgeeffekte bei anderen Kreditinstituten auslösen und zu einer Instabilität des Finanzsystems führen können“.
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institute fokussieren22, erscheint Systemrelevanz als implizite rechtliche Kategorie des Restrukturierungsgesetzes. 3. Diskussion23 Aus der Zusammenschau dieser verschiedenen Begriffsbestimmungen und Definitionsansätze lassen sich zumindest die folgenden neun Folgerungen ableiten: Ungeklärt ist erstens der zentrale Bezugspunkt für Systemrelevanz. Während BaFin und Bundesbank in § 6 Abs. 3 der Aufsichtsrichtlinie auf die Finanzsystemstabilität abstellen, also auf die Funktion des Finanzsystems zur Allokation von Finanzmitteln und Risiken und die Abwicklung von Zahlungen und Wertpapiertransaktionen in Krisensituationen, und der neue § 48b Abs. 2 KWG-E ebenfalls allein den Finanzmarkt und seine Akteure in den Blick nimmt, fokussieren IMF, BIZ und FSB auf die Realwirtschaft24. Der Jubilar schließlich verbindet mit dem horizontalen und dem vertikalen Dominoeffekt beide Sichtweisen. Welcher dieser Ansätze den Vorzug verdient, dürfte jedenfalls aus praktischer Sicht vielfach keine Rolle spielen. Denn eine nachhaltigere Beeinträchtigung der Finanzstabilität dürfte vielfach ohnehin gravierende Folgen auch für die Realwirtschaft nach sich ziehen. Gleichwohl bleibt nicht zu verkennen, dass die engere Fokussierung auf die Instabilität des Finanzsystems ein früheres Eingreifen ermöglicht und geringere Anforderungen an entsprechende Prognosen stellen wird. Aus wirtschafts- und rechtspolitischer Sicht geht es damit letztlich nicht um eine mit „richtig“ oder „falsch“ zu beantwortende Frage, sondern es kommt darauf an: insbesondere auf den Zweck einer geplanten Regelung, aber auch sonstige Aspekte. Auf der Hand liegt etwa, dass effiziente Reorganisationsmechanismen für Institute nicht nur für realwirtschaftlich systemrelevante Institute zur Verfügung gestellt werden können bzw. sollen, wogegen eine Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG eine durchaus höhere Systemrelevanz voraussetzen muss. Die Systemrelevanz auch der größten Institute beruht zweitens nicht in erster Linie auf vertikalen Dominoeffekten in der Realwirtschaft, die der Zusammenbruch eines oder mehrerer Institute nach sich zöge. Entscheidend ist vielmehr, dass Banken in sehr viel höherem Umfang als Unternehmen anderer Industrien vielfältig durch vertragliche Beziehungen oder in sonstiger Weise – etwa durch die Ähnlichkeit der Geschäftsmodelle, die hohe Risikokorrelation der jeweiligen Assets oder Verbindlichkeiten – miteinander vernetzt sind und dass aufgrund dieser intensiven Verflechtungen andere Banken sehr rasch in Mitleidenschaft gezogen werden. Soweit im Umkehrschluss den Unternehmen anderer Industriezweige die Eigenschaft „systemrelevant“ per se abgesprochen
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22 Begr. RegE eines Gesetzes zur Restrukturierung (Fn. 8), Begründung A. I. 23 Siehe auch Günther, WM 2010, 825 ff.; Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Die Zukunft nicht aufs Spiel setzen, Jahresgutachten 2009/10, Tz. 206 ff. (http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/gut acht/gutachten.php); Zimmer/Fuchs, ZGR 2010, 597, 600 ff. 24 Ebenso auch Günther, WM 2010, 825, 828.
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wird25, weil diese lediglich vertikal verflochten seien, nicht aber horizontal, und dass eine Insolvenz von Opel lediglich deren Zulieferer gefährde, nicht aber die großen Wettbewerber26, greift dies freilich zu kurz. Je nach vertikaler Verflechtung der betroffenen Zulieferer mit der nachgelagerten Wirtschaftsstufe kann auch der Ausfall von Zulieferern die Realwirtschaft nachhaltig beeinträchtigen. Horizontale Dominoeffekte treten drittens nicht nur bei direkten Geschäftsbeziehungen zwischen Instituten auf, sondern auch als indirekter Ansteckungseffekt dann, wenn mehrere Institute von einem Risiko aufgrund der Ähnlichkeit des Geschäftsmodells oder/und einer hohen Korrelation bei den Assets und/oder den Verbindlichkeiten ähnlich betroffen sind. Als Fall einer (drohenden) indirekten Ansteckung aufgrund der Gleichartigkeit des Geschäftsmodells kann die Hypo Real Estate AG gelten, für deren Systemrelevanz insbesondere auch auf ihre Stellung als bedeutende Pfandbriefemittentin und die hiervon ausgehende Gefährdung des Pfandbriefmarktes in seiner Refinanzierungsfunktion für die übrigen Pfandbriefemittenten verwiesen wurde27. Für diese (indirekten) Reputationseffekte spielt die Größe des gefährdeten Instituts gegebenenfalls eine ganz untergeordnete oder überhaupt keine Rolle. Dies illustriert etwa die Rettung der Düsseldorfer Hypothekenbank AG im Frühjahr 2008, die zwar lediglich etwa ein Sechzehntel der Bilanzsumme der Hypo Real Estate aufwies, deren Rettungsübernahme durch den Einlagensicherungsfonds des Bundesverbands deutscher Banken aber den erstmaligen Praxistest des von den Sicherungsmechanismen des Pfandbriefgesetzes intendierten vollkommenen Investorenschutzes mit etwaigen schwerwiegenden Reputationseinbußen vermied. Unabhängig davon kann viertens die Insolvenz eines Instituts auch dann direkte vertikale Dominoeffekte auslösen, wenn dieses ein maßgeblicher oder gar alleiniger Anbieter von Infrastrukturleistungen des Finanzbereichs ist, etwa als Träger eines Zahlungsverkehrssystems. Exemplarisches Beispiel hierfür ist die Clearstream Banking AG als (neben der EZB) derzeit einziger deutscher Wertpapiersammelbank; genannt seien aber auch die jeweilige Zentrale Gegenpartei (CCP) an den regulierten Märkten und Derivatebörsen. Fünftens bilden die auch als SIFIs (systemically important financial institutions) bekannten too big to fail-Institute lediglich eine, allerdings besonders bedeutsame, Untergruppe der Banken mit hoher systemischer Relevanz, wenn auch in der Diskussion teilweise eine In-Eins-Setzung der beiden Kategorien
__________ 25 So die Antwort der Bundesregierung (Fn. 18), S. 2 unter Verweis auf die mangelnde Übertragbarkeit des Begriffs, in der Sache aber möglicherweise als präventive Abwehrmaßnahme gegen Hilfsbegehren von Opel und anderen Industrieunternehmen. Im Grundsatz ferner Günther, WM 2010, 825, 827 f. mit Ausnahme für zentrale Unternehmen der Daseinsvorsorge. 26 Günther, WM 2010, 825, 827. S. aber auch Dudenhöffer, Börsen-Zeitung v. 28.5. 2009, Nr. 100, S. 9: Opel ist systemrelevant. 27 Siehe nur Hofmann, NVwZ 2009, 673, 676; Uwe H. Schneider, ZRP 2009, 119, 120. Zur breiter angelegten Argumentation des SoFFin in der Angebotsunterlage im Rahmen des öffentlichen Angebots v. 17.4.2009 siehe Günther, WM 2010, 825, 827.
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anzutreffen ist28. „Too big to fail“ meint nach verbreitetem Verständnis, dass ein Institut aufgrund seiner Größe, seiner Verflechtung oder aufgrund anderer Umstände nicht in die Insolvenz gehen kann, weil der Staat zur Vermeidung realwirtschaftlich inakzeptabler Folgewirkungen das Institut unter Einsatz öffentlicher Mittel letztlich retten wird (so genannte implizite Staatsgarantie). Für diese Kategorie der gefährlichsten Ungeheuer (Sanio) gilt in der Tat „size matters“. Denn wie die bereits erwähnte Rettungsübernahme der Düsseldorfer Hypothekenbank AG illustriert, wird die Kreditwirtschaft zur Vermeidung horizontaler Dominoeffekte im eigenen Interesse stützend eingreifen, es sei denn, das gefährdete Institut lässt sich aufgrund seiner Größe nur mit staatlicher Unterstützung retten. Finanzprodukte können sechstens nicht nur im Hinblick auf die Finanzstabilität systemrelevant sein, sondern auch ein unmittelbares systemisches Risiko für die Realwirtschaft begründen. In Betracht kommt etwa, dass sich Unternehmen in großem Umfang gegen Finanzrisiken, etwa Zinsrisiken oder Währungsrisiken, absichern, die ein (fast) unbegrenztes Verlustrisiko für die Unternehmen beinhalten. Märkten für Finanzprodukte (Finanzmärkte) kommt siebtens unter dem Aspekt der Systemrelevanz eine Doppelrolle zu. Einerseits, und diese Wirkung steht im Vordergrund, verstärken sie horizontale Dominoeffekte, indem sie die Vernetzung der Finanzmarktakteure erleichtern. Die Überführung des OTC-Handels von Kreditderivaten, Devisen etc. auf regulierte Märkte, gegebenenfalls mit Zwischenschaltung einer Zentralen Gegenpartei, mindert daher die systemische Relevanz der einzelnen Marktteilnehmer. Andererseits kann ein missspezifiziertes Regelwerk aber auch dazu führen, dass die Märkte selbst zur Quelle eines systemischen Risikos und damit selbst systemrelevant werden, etwa wenn das Regelwerk für die Wertpapierleihe ein temporäres großvolumiges „Abhandenkommen“ verliehener Wertpapiere ermöglicht oder Handhabungs- bzw. Bedienfehler auf Seiten der Marktakteure die Funktionsfähigkeit des Marktes substantiell beeinträchtigen (Stichwort: Börsencrash durch Fehleingabe). Der Finanzsektor als solcher lässt sich achtens nur mit Blick auf die Realwirtschaft als Systemrisiko begreifen. Hieran anknüpfend ist mit dem Jubilar festzustellen, dass „Kreditinstitute immer in der einen oder anderen Weise systemrelevant“ sind, also auch die kleinsten Institute. Systemrelevanz in diesem Sinne resultiert freilich nicht daraus, dass ein Institut mehr oder minder ausgeprägte horizontale oder gar vertikale Dominoeffekte auslösen könnte, sondern schlicht auf der Zugehörigkeit zum Finanzsektor als dem ultimativen Systemrisiko für die Realwirtschaft.
__________ 28 Siehe etwa Zwischenbericht der (Schweizer) Expertenkommission zur Limitierung der volkswirtschaftlichen Risiken durch Großunternehmen, April 2010: Definition des Begriffs too big to fail (S. 11), aber Vorschlag für eine Teilrevision des Bankengesetzes durch Schaffung eines 5. Abschnitts „systemrelevante Banken“ (http:// www.sif.admin.ch/dokumentation/00514/00519/00592/index.html?lang=de).
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Abschließend bleibt neuntens festzuhalten, dass das explizite oder jedenfalls implizite inhaltliche Verständnis des Begriffs Systemrelevanz in der Diskussion je nach Sachzusammenhang – und auch je nach wirtschaftspolitischer, rechtspolitischer oder gesellschaftspolitischer Intention – stark divergiert. Die beiden Endpunkte der Skala markieren die too big to fail-Kategorie einerseits und die jedes Institut-These. Etwas nuancierter ist die von Bundesbank und BaFin für Aufsichtszwecke entwickelte Drei-Klassen-Gesellschaft. In den letzten Jahren wurden darüber hinaus eine ganze Reihe qualitativ oder/und quantitativ ausgerichteter Analyseverfahren entwickelt, um die Systemrelevanz eines Instituts präziser zu erfassen29. Daher kann die Systemrelevanz eines Instituts, dies lässt sich schon an dieser Stelle festhalten, nicht ohne weiteres als Eingriffstitel, d. h. als Tatbestandsmerkmal oder Rechtfertigungsgrund von Eingriffsnormen, dienen. Für rechtspolitisch erwogene Regelungen ebenso wie für Vorschriften des geltenden Rechts muss vielmehr gleichermaßen gelten: Systemrelevanz ist nicht stets gleich Systemrelevanz30.
III. Ausgewählte Rechtsfragen 1. Allgemeines Der vom Finanzmarktbeben der Jahre 2007/2008 ausgelöste (bankaufsichtsrechtliche) Regulierungstsunami fokussiert explizit oder zumindest implizit auf die too big to fail-Problematik und bringt eine Welle neuer Mechanismen und Instrumente, die vor allem auch die von systemrelevanten Instituten ausgehenden Gefährdungen beseitigen oder jedenfalls vermindern sollen31. Bei der Implementierung des Instrumentenkastens zur Bewältigung der Systemrelevanzproblematik haben die USA im Mitte Juli verabschiedeten „Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act“ (H. R. 4173) konkrete gesetzgeberische Maßnahmen bereits realisiert; in der Schweiz32 und auch im
__________ 29 Überblick bei IMF/BIS/FSB (Fn. 12), Tz. 33 ff.; Sachverständigenrat (Fn. 23), Tz. 208 ff.; siehe ferner Tarashev/Borio/Tsatsaronis, The systemic importance of financial institutions, BIS Quarterly Review, September 2009, S. 75 ff.; dies., Attributing systemic risk to individual institutions, Bank for International Settlements Working papers 308, May 2010 (beide abrufbar unter http://www.bis.org/cbhub). 30 Siehe auch IMF/BIS/FSB (Fn. 11), Tz. 9: „nature of the assessment may be conditioned by its purpose“. 31 Für einen Überblick siehe Greene/Mcllwain/Scott, A closer look at ‚too big to fail‘: national and international approaches to addressing the risks of large, interconnected financial institutions, Capital Markets Law Journal 5 (2010), 117 ff.; Expertenkommission (Fn. 28), S. 22 ff.; knapper Sachverständigenrat (Fn. 23), Tz. 199 ff.; über die TBTF-Problematik hinausgreifend Freshfields Bruckhaus Deringer, Die Bank der Zukunft – Bankenregulierung nach der Krise, 2010, passim; Mülbert, JZ 2010, 834, 836 ff. 32 Siehe Expertenkommission (Fn. 28), S. 23 ff., S. 42 ff. (Vorschlag zur Anpassung des Bankengesetzes); knapp resümierend Zulauf, WM 2010, 1525, 1534.
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Vereinigten Königreich33 befindet sich die rechtspolitische Diskussion im fortgeschritteneren Stadium. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass die USA und Großbritannien im Verhältnis ungleich höhere öffentliche Mittel zur Stützung des Bankensektors einsetzen mussten als die Bundesrepublik34, sowie mit der Sondersituation der Schweiz als Heimatstaat zweier multinationaler Großbanken. Die praktische Bewährungsprobe dieser Instrumente steht allerdings noch bevor, und das gilt erst recht für alle Mechanismen wie systemrelevanzabhängige gestufte Aufschläge bei der bankaufsichtsrechtlich vorgeschriebenen Eigenmittelunterlegung der Risikoaktiva und contingent capital aufgrund der sich bereits abzeichnenden weiteren Revision des Basel II-Regelwerks (Basel III)35 in einer künftigen nochmaligen Revision der Capital Requirements Directive (so genannte CRD IV)36, die als unionsrechtliche Umsetzungsvorgaben Eingang in das deutsche Recht und das Recht der anderen EUMitgliedstaaten finden werden. Unabhängig davon lässt sich aus rechtlichem Blickwinkel jedoch schon heute festhalten, dass alle diese Mechanismen und Instrumente einer von zwei Kategorien zugeordnet werden können: Abstufung der Rechtsfolgen je nach Intensität der Systemrelevanz und Anknüpfung der Rechtsfolgen an eine Mindestschwelle an Systemrelevanz. Gradierungen der Systemrelevanz sind etwa im Hinblick auf die Intensität der Aufsicht durch die BaFin und die Höhe eines Aufschlags bei den regulatorischen Eigenkapitalanforderungen möglich, nicht aber bei der Frage, ob ein besonderes Reorganisationsverfahren, ein aufsichtsbehördliches Übertragungsverfahren oder ein Entflechtungsregime eröffnet ist. Hierfür gilt nämlich: ein bisschen Systemrelevanz gibt es nicht37 – und umso drängender stellt sich für diese Mechanismen und Instrumente die Frage, wie deren jeweilige tatbestandliche Voraussetzungen auszuformen sind und wer über deren Vorliegen im konkreten Fall entscheidet. 2. Restrukturierungsgesetz-RegE a) Beschränkung auf Kreditinstitute mit Systemgefährdungspotential Der RegE des Restrukturierungsgesetzes bleibt beim Anwendungsbereich weit hinter demjenigen der Finanzmarktstabilisierungsgesetze zurück. Während letztere über Institute im Sinne des § 1 Abs. 1b KWG hinausgehend alle Unternehmen des Finanzsektors betreffen (näher § 2 FMStFG), sollen lediglich sys-
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33 Financial Services Authority, Turner Review Conference Discussion Paper (DP09/4), October 2009; FSA, Summary of feedback to the Turner Review Conference Discussion Paper (DP09/4) (Feedback Statement 10/2), July 2010 (http://www.fsa.gov.uk/ pages/Library/Policy/DP/2010/fs10_02.shtml). 34 Siehe die Angaben bei Zulauf, WM 2010, 1525, 1529 Fn. 41: Bundesrepublik: rund 20 % des BIP; Großbritannien: mehr als 70 % des BIP; USA: mehr als 90 % des BIP. 35 Siehe Pressemitteilung „Group of Central Bank Governors and Heads of Supervision reach broad agreement on Basel Committee capital and liquidity reform package“, v. 26.7.2010, mit Annex Punkt V. (http://www.bis.org/press/p100726.htm). 36 Zu weiteren neuen, bereits näher detaillierten Elementen von Basel III/CRD IV siehe Manns/Schulte-Mattler, WM 2010, 1577 ff. 37 Schon Mülbert, JZ 2010, 834, 843 (trotz sinnentstellenden Fehlens des Wortes „nicht“).
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temrelevante Kreditinstitute (§ 1 Abs. 1 KWG) sich des Reorganisationsverfahrens bedienen können und dem aufsichtsrechtlichen Übertragungsverfahren unterliegen. aa) Durchbrechung von Hauptversammlungszuständigkeiten Diese Eingrenzung könnte aus gesellschaftsrechtlicher Sicht schon deswegen zwingend geboten sein, weil das Restrukturierungsgesetz bei der Aktiengesellschaft zwingende (§ 23 Abs. 5 AktG) Hauptversammlungszuständigkeiten im Falle von Strukturänderungen (faktisch) durchbricht. Für das Reorganisationsverfahren resultiert dies daraus, dass der gestaltende Teil des Reorganisationsplans nach § 11 KredReorgG-E ein funktionales Äquivalent zur Ausgliederung gemäß § 123 Abs. 3 UmwG in Form der Ausgliederung des Vermögens des Instituts oder von Teilen hiervon im Wege der Gesamtrechtsnachfolge (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 KredReorgG-E38) gegen Gewährung von Anteilen am übernehmenden Rechtsträger vorsehen kann. Im markanten Unterschied zur umwandlungsrechtlichen Ausgliederung bedarf die Ausgliederung nach § 11 KredReorgG-E jedoch keiner zustimmenden Entscheidung der Anteilseigner mit qualifizierter oder auch nur einfacher Mehrheit und kann sogar gegen den mehrheitlichen Willen der Anteilseigner beschlossen werden39. Zu den neuen Befugnissen der BaFin für Maßnahmen gegenüber bestandsgefährdeten Instituten mit Systemgefährdungspotential (§§ 48a ff. KWG-E) gehört insbesondere, dass die BaFin die im Wege der Gesamtrechtsnachfolge40 sich vollziehende Übertragung des Vermögens eines bestandsgefährdeten Kreditinstituts oder von Teilen eines solchen (§ 48k KredReorgG-E) auf ein so genanntes Brückeninstitut gegen eine primär in Anteilen am übernehmenden Rechtsträger bestehende Gegenleistung anordnen kann. Zudem kann die BaFin nach erfolgter Ausgliederung dem übertragenden Institut in bestimmten Fällen eine bindende Weisung zur Ausübung der Stimmrechte aus den als Gegenleistung erhaltenen Mitgliedschaftsrechten erteilen (§ 48l Abs. 2 KWG-E). Eine Zustimmung der Aktionäre ist jeweils nicht vorgesehen. Was die funktional einer Ausgliederung nach § 123 Abs. 3 UmwG entsprechende aufsichtliche Übertragung anbelangt, wird die vom Umwandlungsgesetz zwingend vorgesehene Hauptversammlungszuständigkeit faktisch durchbrochen41; im Falle der Anordnung betreffend die Stimmrechtsausübung wird eine nach der Holzmüller-/ Gelatine-Judikatur42 gegebenenfalls bestehende ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenz bei der Gruppenleitung außer Kraft gesetzt.
__________ 38 Begr. RegE eines Gesetzes zur Restrukturierung (Fn. 8), Begründung B. Zu Artikel 1 Zu § 11. 39 Siehe § 19 Abs. 2 KredReorgG. 40 Begr. RegE eines Gesetzes zur Restrukturierung (Fn. 8), Begründung B. Zu Artikel 2 Zu § 48g. 41 Anders Schuster, ZGR 2010, 325, 354: Eingriff in ungeschriebene Holzmüller-/ Gelatine-Zuständigkeit. 42 BHGZ 83, 122 = WM 1983, 388 (Holzmüller); 159, 30 = WM 2004, 1090 (Gelatine II); BGH, WM 2004, 1085 (Gelatine I).
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Die neuen Regeln bilden jedenfalls im Hinblick auf die faktische Durchbrechung der umwandlungsrechtlich zwingenden Hauptversammlungszuständigkeit eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Ob dies auch hinsichtlich der ungeschriebenen Holzmüller-/ Gelatine-Kompetenzen gilt, hängt zunächst davon ab, ob eine Schrankenbestimmung auch bei bloßer Außerkraftsetzung einer verfassungsrechtlich nicht gebotenen43 richterrechtlichen Regel vorliegt. Bejahendenfalls liegt auch insoweit jedenfalls eine verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmungen vor44, und dies würde wohl sogar bei der Einbeziehung nicht-systemrelevanter Institute gelten. bb) Debt-Equity-Swap Soweit diese Beschränkung darauf beruht, dass im Reorganisationsverfahren auch weitgehende Eingriffe in die Anteilseignerrechte durch einen Debt-EquitySwap (§ 9 KredReorgG-E) möglich sein soll, der keiner Zustimmung der Anteilseigner mit qualifizierter oder auch nur einfacher Mehrheit bedarf und sogar gegen deren mehrheitlichen Willen beschlossen werden kann45, 46, liegt hierin eine wichtige Weichenstellung im Hinblick auf die geplante, noch stärker am US-amerikanischen Chapter 11-Verfahren orientierte neuerliche Reform des Insolvenzrechts, soweit zur Erleichterung des Debt-Equity-Swap die Möglichkeit einer mehrheitlichen Beschlussfassung zur Diskussion steht47. Hält der Gesetzgeber die damit verbundenen Eingriffe in die Rechtsposition der widersprechenden Anteilseigner lediglich bei systemrelevanten Kreditinstituten für eine verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG und sollen zudem überhaupt nur Kreditinstitute systemrelevant sein können48, erscheint die Zulassung eines Debt-Equity-Swap kraft Mehrheitsbeschluss im Insolvenzplanverfahren der Insolvenzordnung allenfalls in engen Ausnahmefällen noch als eine verhältnismäßige und also zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung. b) Ad-hoc-Feststellung der Systemgefährdung Die Systemgefährdung als Folge der Bestandsgefährdung (§ 48b Abs. 2 KWG-E) ist sowohl für die Durchführung des Reorganisationsverfahrens als auch des aufsichtsrechtlichen Übertragungsverfahrens von der BaFin ad hoc festzustellen. Das ist insofern nicht ganz fernliegend, als die Systemrelevanz eines Insti-
__________ 43 Dazu Mülbert in FS Hopt, Bd. 1, 2010, S. 1039, 1063 f.; s. auch Ekkenga, ZGR 2003, 878, 899 f. 44 Ebenso Schuster, ZGR 2010, 325, 354 f. (ohne Eingehen auf Frage des „Widerrufs von Richterrecht“). 45 Siehe § 19 Abs. 2 KredReorgG-E. Erhebliche Bedenken hiergegen bei Schuster, ZGR 2010, 325, 349 ff. 46 Siehe Begr. RegE eines Gesetzes zur Restrukturierung (Fn. 8), Begründung A. II. 1. Krit. dazu Schuster, Börsen-Zeitung v. 1.9.2010, Nr. 167, S. 2. 47 Dazu etwa Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541, 545 ff.; Verse, ZGR 2010, 299 ff. 48 Oben II. 3. bei Fn. 25.
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tuts im Zeitablauf aufgrund von Änderungen seiner wirtschaftlichen Situation, aber auch wirtschaftlicher Verhältnisse, der Marktstrukturen und des rechtlichen Handlungsrahmens schwanken kann49. Andererseits ist die Systemrelevanz eines Instituts jedenfalls auf Sicht von wenigen Jahren weitgehend stabil, wie die von BaFin und Bundesbank für Aufsichtszwecke jährlich erstellten institutsindividuellen Risikoprofile zeigen. Zudem haben BaFin und Bundesbank den Instituten zwar untersagt, diese Bewertung der Aufsichtsbehörden bekannt zu geben oder gar damit zu werben50, um die Gefahr eines moral hazard zu vermeiden. Letzterer Gedanke war freilich schon bislang von allenfalls begrenzter Überzeugungskraft. Rating-Agenturen berücksichtigten schon bisher die aus der (vermuteten) Zugehörigkeit eines Instituts zur too big to fail-Kategorie resultierende Wahrscheinlichkeit für eine finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand mit einer besseren Bonitätsbewertung („support(ed) rating“). Vor allem aber gewinnt die Qualifizierung als systemgefährdend bzw. als systemrelevant vor dem Hintergrund des vom Restrukturierungsgesetz eingeführten besonderen Reorganisations- und Übertragungsregimes eine ganz neue Dimension insofern, als Aktionäre, aber auch Gläubiger bei einem solchen Institut für etwaige Krisenfälle größere Verlustgefahren einkalkulieren müssen. Die vom Restrukturierungsgesetz geschaffenen Verbesserungen sollen gerade ermöglichen, dass das Institut unter Belastung der Gläubiger und Anteilseigner abgewickelt werden kann, statt zu Lasten der öffentlichen Hand saniert zu werden. Als Kehrseite hierzu sollten die Marktteilnehmer dann aber auch in die Lage versetzt werden, ihr diesbezügliches Risiko ex ante einschätzen zu können. Unsicherheiten hierüber würden letztlich nur gegenüber den ohnehin nicht systemrelevanten Instituten zusätzliche Disziplinierungseffekte im Bezug auf deren Geschäftstätigkeit und Risikoprofil entfalten können. c) Verhältnis von Reorganisations- und Übertragungsverfahren Was das Verhältnis von Reorganisations- und aufsichtlichem Übertragungsverfahren angeht, begründet das Restrukturierungsgesetz einen starken Bias zugunsten des letzteren. Die Eröffnung eines Reorganisationsverfahrens durch das zuständige Oberlandesgericht setzt voraus, dass die BaFin überhaupt einen Antrag auf Durchführung eines solchen Verfahrens stellt (§ 7 Abs. 2 KredReorgG-E), wobei ihr ein weites Ermessen zukommen soll51. Beabsichtigt die BaFin dagegen die Durchführung eines aufsichtlichen Übertragungsverfahrens, gibt § 48c KWG-E der BaFin lediglich vor, dass sie dem Kreditinstitut eine Frist für die Vorlage eines Plans zur Abwendung der Bestandsgefährdung innerhalb von sechs Wochen (Wiederherstellungsplan) setzen kann – wofür der
__________ 49 Siehe auch IMF/BIS/FSB (Fn. 11), Tz. 9: „assessment is likely to be time-varying“. 50 Siehe Deutsche Bundesbank/BaFin (Fn. 17), S. 4 a. E. Näher zum aufsichtlichen Risikoprofil schon oben II. 2. a) bei Fn. 17. 51 Begr. RegE eines Gesetzes zur Restrukturierung (Fn. 8), Begründung B. Zu Artikel 1 Zu § 7.
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BaFin konsequenterweise ebenfalls ein weiter Ermessensspielraum zukommen muss – und dass sie ein Übertragungsverfahren auch während eines eingeleiteten Reorganisationsverfahrens anordnen kann, es sei denn es bestehen keine Zweifel an der rechtzeitigen Abwendung der Bestandsfährdung. Ein weiterer Aspekt dürfte die Tendenz zum Übertragungsverfahren noch verstärken. Die Systemgefährdung im Sinne des § 48b Abs. 2 KWG-E als Folge einer Bestandsgefährdung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der bei der Subsumtion eine wertende Prognoseentscheidung erforderlich macht, weswegen der BaFin nach den allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen hierbei ein gerichtlich nicht überprüfbarer Beurteilungsspielraum zukommt52. Stellt die BaFin aufgrund einer Anzeige des Kreditinstituts beim zuständigen Oberlandesgericht einen Antrag auf Durchführung eines Reorganisationsverfahrens, entscheidet dieses nach Anhörung von BaFin, Bundesbank und betroffenem Kreditinstitut, ob eine Bestandsgefährdung mit systemgefährdender Wirkung im Sinne des § 48b Abs. 1, 2 KWG-E vorliegt. Dass das Gericht hierbei auf die Prüfung beschränkt sein soll, ob die BaFin die Grenzen des Beurteilungsspielraums überschritten hat, ist nicht zu erkennen. Den hiermit verbundenen Unsicherheiten ist die BaFin enthoben, wenn sie sogleich das Übertragungsverfahren einleitet und auf die Stellung eines Antrags nach § 7 Abs. 2 KredReorgG-E von vornherein verzichtet. d) Beitragspflichtigkeit aller Kreditinstitute zum Restrukturierungsfonds Der neu einzurichtende Restrukturierungsfonds dient der Stabilisierung des Finanzmarktes, indem die von ihm angesammelten Mittel zur finanziellen Unterstützung der Reorganisation oder Abwicklung eines systemrelevanten Instituts – sei es mittels einer Übertragungsanordnung der BaFin nach § 48a KWG-E oder auf anderem Wege – Verwendung finden können (§ 3 RStruktFG-E). Dass gleichwohl alle Kreditinstitute im Sinne des § 1 Abs. 1 KWG beitragspflichtig sind (§ 2 RStruktFG-E) und zur Zahlung der Bankenabgabe genannten Sonderabgabe herangezogen werden, erklärt die Gesetzesbegründung mit der besonderen Sachnähe und Finanzierungsverantwortung dieser homogenen Gruppe und damit, dass die Kreditinstitute aufgrund der hohen Verflechtung untereinander eine Risikogemeinschaft bildeten. Die Beitragsbemessung sei an den unterschiedlichen Graden der Vernetzung und damit an der Risikolastigkeit des einzelnen Instituts auszurichten53. Diese Orientierung am systemischen Risiko des einzelnen Instituts leiste zugleich einen Beitrag für eine risikoadäquate Unternehmensführung bei den Kreditinstituten (Lenkungswirkung)54.
__________ 52 Siehe Günther, WM 2010, 825, 828 f. für die Begriffe Finanzstabilität/Systemrelevanz. 53 Begr. RegE eines Gesetzes zur Restrukturierung (Fn. 8), Begründung B. Zu Artikel 3 Zu § 2. 54 Begr. RegE eines Gesetzes zur Restrukturierung (Fn. 8), Begründung A. I.3.
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Kritiker bemängeln demgegenüber, dass Sparkassen und Genossenschaftsbanken angesichts der jeweils die Existenz eines Instituts sichernden Sicherungssysteme überhaupt kein systemisches Risiko darstellten und also nicht beitragspflichtig sein sollten55. In der Tat nimmt die Gesetzesbegründung auf zwei ganz unterschiedliche Aspekte von Systemrelevanz Bezug. Was zunächst die Einbeziehung aller Kreditinstitute in die Bankenabgabe angeht, lässt sich dies sub specie Systemrelevanz nur damit erklären, dass der Finanzsektor in toto für die Realwirtschaft systemrelevant ist und eben alle Institute umfasst. Dieser Begründungsstrang findet seine Erklärung darin, dass das BVerfG für die Verfassungskonformität einer Sonderabgabe neben einem besonderen Sachzweck auch die Sachnähe einer homogenen Gruppe mit damit einhergehender Finanzierungsverantwortung sowie eine gruppennützige Verwendung fordert56. Kann nämlich lediglich ein kleinerer Kreis an Instituten je eine systemgefährdende Wirkung im Sinne des § 48 Abs. 2 KWG-E haben, ist die Einbeziehung aller Institute in die Abgabepflicht nur damit zu rechtfertigen, dass die übrigen Institute von der Stabilität des Finanzsektors immerhin indirekt profitieren. Freilich haben gerade Sparkassen und Genossenschaftsbanken aufgrund der Institutssicherungssysteme im Gefolge der Lehman-Insolvenz hohe Mittelzuflüsse zu verzeichnen gehabt. Jedoch hat das BVerfG in der Entscheidung zu den Jahresbeiträgen nach dem Einlagensicherungs- und Entschädigungsgesetz einen sehr großzügigen Maßstab angelegt. Danach dürfen in die Abgabepflicht auch solche Unternehmen einbezogen werden, die nach ihrer Erlaubnis gar nicht befugt sind, sich Eigentum oder Besitz an Geldern oder Wertpapieren ihrer Kunden zu verschaffen. Auch diese Unternehmen würden, so das Gericht, von der marktstabilisierenden Stärkung des Kundenvertrauens in redliches Geschäftsgebaren profitieren57. Lässt sich danach auch die Einbeziehung aller Kreditinstitute in die Abgabepflicht rechtfertigen, steht im Lichte des Art. 3 GG sogar im Raum, ob auch die Finanzdienstleistungsinstitute im Sinne des § 1 Abs. 1a KWG und sogar bestimmte Versicherungsunternehmen58, etwa Lebensversicherungsunternehmen, einzubeziehen sein könnten. Was die Maßstäbe für die Beitragsbemessung anbelangt, rekurriert die Gesetzesbegründung mit dem Verweis auf die Vernetzungsintensität und Risikolastigkeit demgegenüber auf die horizontale oder finanzsektorinterne Dimension der Systemstabilität. Wenn die Einbeziehung aller Institute in die Bankenabgabe ihre Rechtfertigung letztlich darin findet, dass alle von der Erhaltung der Finanzmarktstabilität profitieren, ist die Bemessung der Beitragshöhe nach
__________ 55 Siehe etwa Zimmer, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.9.2010, Nr. 210, S. 12; Börsen-Zeitung v. 30.7.2010, Nr. 144, S. 3. Vgl. auch Zimmer, Finanzmarktregulierung – Welche Regelungen empfehlen sich für den deutschen und europäischen Finanzsektor?, Gutachten G zum 68. DJT, 2010, G47. 56 BVerfG, WM 2009, 2023, 2024; 2010, 17, 19. 57 BVerfG, WM 2010, 17, 23 f. 58 Für eine (Selbst-)Einschätzung der (geringen) systemischen Bedeutung der Versicherungswirtschaft siehe Geneva Association, Systemic Risk in Insurance – An analysis of insurance and financial stability, März 2010 (http://www.genevaassociation.org).
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der jeweiligen finanzsektorinternen Systemrelevanz aber jedenfalls nicht selbstverständlich. Insbesondere ist auch der Sachzusammenhang mit dem intendierten Lenkungszweck zweifelhaft. Das systemische Risiko des Finanzsektors in toto für die Realwirtschaft lässt sich gerade nicht eliminieren. 3. Systemrelevanz als Enteignungstitel In der Diskussion um die Rettung der Hypo Real Estate auch mittels einer Enteignung der Aktionäre der Hypo Real Estate Holding AG auf Grundlage des eigens hierfür geschaffenen Rettungsübernahmegesetzes hat sich die Vorstellung durchgesetzt, dass Systemrelevanz eine Enteignungsmaßnahme nach Art. 14 Abs. 3 GG rechtfertigen könne. Die Erhaltung der Finanzmarktstabilität sei eine öffentliche Aufgabe, an deren Verwirklichung ein ganz besonders schwerwiegendes und dringendes öffentliches Interesse bestehe, und bei deren durch weniger schwerwiegende Maßnahmen nicht zu beseitigender Gefährdung eine formale Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG auch angemessen sei59. Allerdings, und dieser Vorbehalt lässt doch ein gewisses Unbehagen erkennen, sei von dieser Möglichkeit extrem zurückhaltend, wohl sogar überhaupt nur bei Finanzinstitutionen Gebrauch zu machen, weil Systemrelevanz andernfalls einen Freibrief zugunsten staatlicher Enteignungsmaßnahmen begründen würde60. Mit dieser überaus berechtigten Warnung ist in der Tat ein zentrales Problem der Kategorie Systemrelevanz angesprochen. Systemrelevanz lässt sich gradierend abstufen, wogegen es im Rahmen des Art. 14 Abs. 3 GG um eine zweiwertige Frage geht. Die Systemrelevanz des Instituts begründet eine Art. 14 Abs. 3 GG genügende Gefährdung des Allgemeininteresses in Gestalt der Finanzstabilität61 – oder eben nicht. Der bloße Verweis auf die Systemrelevanz kann mit anderen Worten keine Begründung leisten oder ersetzen. Erforderlich ist vielmehr eine Explikation der gravierenden negativen Folgen für die Finanzstabilität, die aus der Schieflage oder Insolvenz eines Instituts resultieren. Wird diese Schwelle erreicht, mag man das Institut als (hoch) systemrelevant einstufen. Für die Zwecke des Art. 14 Abs. 3 GG bleibt dies aber ohne eigenständigen Erkenntnisgewinn62.
__________ 59 Siehe nur Möllers, ZBB 2009, 149, 150: hinreichende Gewichtigkeit des Allgemeinwohlbelangs ist völlig unproblematisch; ferner etwa Gurlit, NZG 2009, 600, 605; Hopt/Fleckner/Kumpan/Steffek, WM 2009, 821, 830; Marotzke, JZ 2009, 763, 770 (kaum zu bestreiten). 60 Zum Ganzen nur Bauer, DÖV 2010, 20, 24 f. m. w. N. 61 Sofern man für ein solches schon die Erhaltung der Finanzstabilität als solcher genügen lässt und nicht, strenger, die Vermeidung erheblicher negativer Auswirkungen für die Realwirtschaft infolge von Instabilitäten der Finanzmärkte fordert. Siehe auch oben II. 3. bei Fn. 24. 62 Siehe auch Höfling (Fn. 3), F59: nach der Risikoklassifikation durch BaFin und Bundesbank „hat jedes Institut irgendeine Systemrelevanz; in dieser Unspezifität aber vermag der Terminus sicherlich nicht als Eingriffstitel fungieren.
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IV. Schlussbemerkungen Zauberwort63 oder Totschlagsargument64 – jedenfalls ist Systemrelevanz eine diffizile Kategorie im Grenzbereich zwischen Wirtschaft, Rechtspolitik und geltendem (Aufsichts-)Recht. Im Laufe der Zeiten kann die systemische Bedeutung eines einzelnen Instituts entscheidend schwanken. Für das Werk des Jubilars gilt dies freilich ganz und gar nicht. Er war, ist und bleibt eine hoch systemrelevante Institution des deutschen Finanzmarktes und dessen Rechts.
__________ 63 So Zimmer/Fuchs, ZGR 2010, 597, 600. 64 So Amend, ZIP 2009, 589, 594.
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Die Flexibilisierung der Kapitalaufnahme bei der GmbH – Überlegungen zur Einführung des genehmigten Kapitals (§ 55a GmbHG) und der Kapitalerhöhung bis zum Höchstbetrag –
Inhaltsübersicht I. Flexibilisierungstendenzen bei der Kapitalaufnahme II. Das genehmigte Kapital bei der GmbH (§ 55a GmbHG) 1. Gesetzliche Regelung 2. Grundlage und Grenzen der Ermächtigung 3. Ausübung der Ermächtigung a) Grundsatz: Zuständigkeit der Geschäftsführer b) Keine Mitwirkung des Aufsichtsrats c) Pflicht zur Ankündigung gegenüber den Gesellschaftern 4. Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung? a) Grundsatz und Grenzen der Weisungsabhängigkeit b) Normzweck der Ermächtigungsmöglichkeit c) Notwendige Differenzierungen aa) Untersagungsweisung
bb) Durchführungsweisungen d) Ergebnis 5. Bezugsrechtsausschluss a) Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss aa) Gründungssatzung bb) Satzungsänderungen b) Ausschluss des Bezugsrechts durch die Geschäftsführung c) Ergebnis III. Kapitalerhöhung bis zum Höchstbetrag 1. Begriff und Zweck 2. Ausnutzung in verschiedenen Tranchen? a) Rechtsprechung b) Stand der Diskussion im Schrifttum c) Stellungnahme d) Ergebnis IV. Schluss
I. Flexibilisierungstendenzen bei der Kapitalaufnahme Im Aktienrecht hatte sich bereits beim AktG 1937 die Erkenntnis verwirklicht, dass es Situationen geben kann, in denen die Unternehmensleitung dazu ermächtigt sein sollte, das Grundkapital „rasch und sicher“1 zu erhöhen. Zugleich sollten die als ungünstig beurteilten Vorratsaktien abgeschafft werden, mit denen man zuvor versucht hatte, dieses zu erreichen2. Wie heute ging die Anregung hierzu auch damals schon vom englischen Recht aus, welches das „authorized capital“ bereits kannte3. Das Ergebnis, die §§ 202 ff. AktG, wurde vom AktG 1965 in weitgehend unveränderter Form übernommen und
__________
1 Amtl. Begründung zum AktG 1937, Klausing, S. 151. 2 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 202 Rz. 1; Priester, NZG 2010, 81, 86. 3 Hirte in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2006, § 202 Rz. 2 f.
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von der höchstrichterliche Rechtsprechung zu einem aus der heutigen Praxis der AG nicht mehr hinwegzudenkenden Instrument der Kapitalbeschaffung ausgebaut4. Für die GmbH war ein genehmigtes Kapital bislang dagegen nicht vorgesehen. Eine analoge Anwendung der aktienrechtlichen Vorschriften kam nach ganz herrschender Auffassung in Ermangelung eines praktischen Regelungsbedürfnisses nicht in Betracht5. Im Rahmen des MoMiG6 hat der Gesetzgeber diese zusätzliche Variante der Eigenkapitalbeschaffung nunmehr gleichwohl auch für die GmbH eröffnet. Die dazu geschaffene gesetzliche Regelung des § 55a GmbHG ist ein spätes Kind7 dieser Gesetzesreform. Manch einem stellt sich die Frage, ob sie überhaupt einen Verwandtschaftsgrad zur Rechtsform der GmbH aufweisen kann. Zu unterschiedlich erscheinen die vom Institut des genehmigten Kapitals vorausgesetzten Anforderungen an die innerverbandliche Kompetenzordnung gegenüber der AG. Anders als der Vorstand ist die Geschäftsführung der GmbH nicht eigenverantwortlich (§ 76 AktG), sondern gegenüber der Gesellschafterversammlung weisungsgebunden. Es fehlt der GmbH regelmäßig an einem Aufsichtsrat, der bei der AG als zusätzliches Kontrollorgan an der Ausnutzung des genehmigten Kapitals mitwirkt (§ 204 Abs. 1 Satz 2 AktG). Die gesetzliche Einberufungsfrist der Gesellschafterversammlung beträgt nur eine Woche (§ 51 Abs. 1 Satz 2 GmbHG), nicht wie bei der Hauptversammlung der AG mindestens 30 Tage (§ 123 AktG). Der Beschluss über die Kapitalerhöhung erscheint weniger anfechtungsgefährdet, dafür das Bedürfnis der Gesellschafter an der Mitwirkung und Wahrung der Beteiligungsquote angesichts der meist personalistischen Struktur der Gesellschaft aber umso ausgeprägter. Daher will insbesondere der bei der AG im Zusammenhang mit dem genehmigten Kapital so wichtige Bezugsrechtsausschluss nicht recht in das System der GmbH passen. Es kann folglich nicht verwundern, dass die Neuregelung im Schrifttum ganz unterschiedliche und vielfach ablehnende Reaktionen hervorgerufen hat8, man also – um bei dem Vergleich zu bleiben – nicht nur von einem späten, sondern auch von einem ungewollten Kind des MoMiG sprechen muss. Selbst die sie
__________ 4 Hierzu gehören insbesondere die allgemeine Begründung der Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss durch BGHZ 136, 133 (Siemens/Nold), die Verneinung einer Vorabberichterstattungspflicht des Vorstands und die Entwicklung eines eigenen hiergegen gerichteten und aus Sicht des Vorstands sicher sehr konfortablen Rechtsschutzinstrumentariums durch BGHZ 164, 231 (Mangusta/Commerzbank II); dazu Nietsch, WuB II. A. § 202 AktG 2006/1. 5 Vgl. Priester in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 55 Rz. 10; ders., GmbHR 2008, 1177, 1183; Ulmer in Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1997, § 55 Rz. 8; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 55 Rz. 2. 6 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen, BGBl. I 2008, S. 2026 ff. 7 Priester, GmbHR 2008, 1177. 8 Am praktischen Nutzen zweifelnd Bayer/Hoffmann, GmbHR 2009, R 161 f.; K. Schmidt, JZ 2009, 1, 17; mit Vorbehalten wohl auch im Ergebnis Priester, GmbHR 2008, 1177, 1183; krit. auch Kindler, NJW 2008, 3249, 3254 („insgesamt wenig ausgereift“).
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grundsätzlich begrüßenden Stellungnahmen relativieren in der Weise, es bliebe „abzuwarten, in welchem Maße und für welche Zwecke die Schaffung des genehmigten Kapitals bei der GmbH angenommen werde“9. Angesichts der vorstehend skizzierten Zweifelsfragen und der Spärlichkeit der gesetzlichen Regelung wird man von der Praxis freilich keinen größeren Wagemut erwarten dürfen10. Vielmehr ist es Aufgabe des Schrifttums, das auf die GmbH übertragene Institut des genehmigten Kapitals auf seine Vereinbarkeit mit dem System ihrer Binnenverfassung zu überprüfen und über erforderliche Anpassungen nachzudenken. Im Folgenden soll zunächst der Inhalt der gesetzlichen Regelung des § 55a GmbHG skizziert werden (II. 1. u. 2.) bevor auf die im Schwerpunkt zu behandelnden Fragen der Ausübung (II. 3.), des Weisungsrechts und des Bezugsrechtsausschlusses einzugehen ist (II. 4. u. 5.). Die vorstehenden Überlegungen sollen sich aber nicht nur auf das genehmigte Kapital beschränken. Ein weiteres, älteres und in seiner Funktion ebenfalls als Mittel der Flexibilisierung zu begreifendes Instrument der Kapitalerhöhung ist die „Kapitalerhöhung bis zum Höchstbetrag“. Dieses wurde in einer aktuellen Entscheidung des OLG München bestätigt11. Dabei ist die Frage aufgeworfen worden, ob diese dem Geschäftsführer ebenfalls ein bestimmtes Ausübungsermessen einräumt. Die Überlegungen, wie sich das genehmigte Kapital zur Möglichkeit der „Kapitalerhöhung bis zum Höchstbetrag“ verhält, runden den Beitrag ab (III.). Gewidmet sind diese Überlegungen meinem sehr verehrten und auch persönlich äußerst geschätzten akademischen Lehrer Uwe H. Schneider, der mir in meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl neben vielem anderen auch die tatsächlichen Wesensmerkmale der GmbH näher gebracht hat.
II. Das genehmigte Kapital bei der GmbH (§ 55a GmbHG) 1. Gesetzliche Regelung Die gesetzliche Regelung zum genehmigten Kapital bei der GmbH ist kurz. § 55a Abs. 1 GmbHG bestimmt: „Der Gesellschaftsvertrag kann die Geschäftsführer für höchstens fünf Jahre nach Eintragung der Gesellschaft ermächtigen, das Stammkapital bis zu einem bestimmten Nennbetrag (genehmigtes Kapital) durch Ausgabe neuer Geschäftsanteile gegen Einlagen zu erhöhen. Der Nenn-
__________ 9 Vgl. etwa Kindler, NJW 2008, 3249, 3254; Klett, GmbHR 2008, 1312, 1313; die Neuregelung dagegen vorbehaltlos begrüßend Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 55a Rz. 1. 10 Erste Erhebungen zeigen, dass von dem neuen Instrument allerdings durchaus, wenn auch verhalten, Gebrauch gemacht wird. Das war im ersten Jahr nach dem Inkrafttreten des § 55a GmbHG bei 125 Gesellschaften der Fall (vgl. Bayer/Hoffmann/ Lieder, GmbHR 2010, 9). 11 OLG München, NZG 2009, 1274.
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betrag des genehmigten Kapitals darf die Hälfte des Stammkapitals, das zur Zeit der Ermächtigung vorhanden ist, nicht übersteigen.“ Absatz 2 sieht vor, dass die Ermächtigung auch durch Abänderung des Gesellschaftsvertrags erfolgen kann, Absatz 3 stellt klar, dass Sacheinlagen nur zulässig sind, wenn die Ermächtigung es vorsieht. Die genannten Vorschriften entsprechen einerseits, sieht man von den terminologischen Anpassungen an das GmbH-Recht ab, wortgetreu denen des Aktienrechts, andererseits bilden sie diese nur lückenhaft ab. Dabei entspricht § 55a Abs. 1 Satz 1 GmbHG dem § 202 Abs. 1 AktG, sein Satz 2 dem § 202 Abs. 3 Satz 1 AktG, Abs. 2 dem § 202 Abs. 2 AktG und Abs. 3 dem § 205 Abs. 1 AktG. Mit der Regelungstechnik verbindet sich augenscheinlich die Vorstellung, bei der Anwendung des § 55a GmbHG auf die aktienrechtlichen Vorschriften zurückgreifen zu können, sofern nicht die Besonderheiten des Aktienrechts entgegenstehen12. Schwierigkeiten bereiten insoweit aber auch für den in § 55a GmbHG geregelten Teil die schon zuvor erwähnten Unterschiede in der Binnenverfassung, namentlich die Abhängigkeit des Geschäftsführers von der Gesellschafterversammlung und das Fehlen eines (obligatorischen) Aufsichtsrats. 2. Grundlage und Grenzen der Ermächtigung Das Institut des genehmigten Kapitals enthält eine Durchbrechung des Grundsatzes der Satzungsautonomie13. Es bedarf daher einer ausdrücklichen Ermächtigungshandlung der Gesellschafter, die bestimmte inhaltliche Grenzen zu beachten hat, damit sie an die Stelle des Beschlusses über die Erhöhung des Grundkapitals bei der ordentlichen Kapitalerhöhung treten kann (vgl. § 203 Abs. 1 Satz 2 AktG). Die Ermächtigung kann auf zweierlei Weise erfolgen: Einerseits schon in der Gründungssatzung – in diesem Fall beruht sie auf der Zustimmung aller Gesellschafter –, andererseits in beliebiger Wiederholung durch Satzungsänderung. Dazu muss das allgemein für Satzungsänderungen vorgesehene Verfahren, die notwendige Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen und die notarielle Beurkundung, gewahrt werden (§ 53 GmbHG)14.
__________ 12 Vgl. Priester, GmbHR 2008, 1177, 1178; Letzteres deutlicher bei Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 55a Rz. 1; so auch Schickerling/Blunk, GmbHR 2008, 337, 339; man mag die Konzeption auch als Ausdruck des generellen Verzichts auf eine perfektionistische Legalordnung sehen, vgl. Fleischer, GmbHR 2008, 673. 13 Vgl. Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 45 Rz. 6 ff. 14 Für Verwunderung hatte bei § 55a GmbHG zunächst gesorgt, dass es bei beiden Formen an einer Pflicht zur Verlautbarung der Ermächtigung im Handelsregister fehlte (vgl. dagegen § 39 Abs. 2 AktG), vgl. Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 55a Rz. 8. Dies hatte dazu geführt, dass sich einige Registergerichte weigerten, die Eintragung des genehmigten Kapitals vorzunehmen (vgl. Bayer/Hoffmann/ Lieder, GmbHR 2010, 9). Mit Inkrafttreten des ARUG (Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie v. 30.7.2009, BGBl. I 2009, S. 2479; in Kraft getreten 1.9.2009) ist diese Unsicherheit in der Weise beseitigt worden, dass § 10 Abs. 2 Satz 1 GmbHG die Eintragungsfähigkeit nunmehr ausdrücklich anordnet.
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Als zwingende inhaltliche Grenzen der Ermächtigung zur Schaffung genehmigten Kapitals nennt § 55a GmbHG die zeitliche Befristung auf fünf Jahre nach der Eintragung15 und die Begrenzung der Höhe des Nennbetrags auf die Hälfte des zur Zeit der Ermächtigung vorhandenen Stammkapitals. Zweck ist, wie im Aktienrecht, eine schrankenlose Selbstentmachtung der Gesellschafterversammlung zu unterbinden16. Die Gesetz gewordene Fassung weicht insoweit allerdings von dem Vorschlag des Bundesrats17 und der Literatur18 ab, die sich für einen Verzicht auf die Obergrenze ausgesprochen hatten. Neben den zwingenden Inhaltsbestimmungen kann der Ermächtigungsbeschluss fakultativ Konkretisierungen für die Ausübung des genehmigten Kapitals, etwa zu den Bedingungen und Zweck, Ausgabekurs und Nominalbetrag, Art möglicher Sacheinlagen, Aufstockung bestehender Geschäftsanteile usw. enthalten19. Derzeit wird in der Praxis hiervon lebhaft Gebrauch gemacht, was insbesondere für Gremienvorbehalte gilt20. Der Ermächtigungsbeschluss kann später durch gegenteiligen Beschluss der Gesellschafterversammlung geändert oder wieder aufgehoben werden. Vor der Eintragung genügt dafür die einfache Mehrheit, danach ist er zu behandeln wie jede andere Satzungsänderung21. Eine Aufhebung bedarf also wiederum der Dreiviertelmehrheit. 3. Ausübung der Ermächtigung a) Grundsatz: Zuständigkeit der Geschäftsführer Aufgrund der Ermächtigung tritt an die Stelle des eigentlich notwendigen Beschlusses der Gesellschafterversammlung die Entscheidung des Geschäftsführers. Dieser legt durch einen schriftlich niedergelegten Entschluss, bei mehreren Geschäftsführern deren Beschluss, die Art und Weise der Kapitalerhöhung und ihre Bedingungen fest. Insoweit heißt es üblicherweise, die Vornahme der Kapitalerhöhung sei zu einer Angelegenheit der Geschäftsführung geworden22. Dem Geschäftsführer obliegen hierbei sämtliche der zu treffenden, d. h. nicht schon durch den Ermächtigungsbeschluss oder verbindliche Weisungen festgelegte, Ermessensentscheidungen, namentlich über den Umfang der Kapital-
__________ 15 Dazu näher Schnorbus/Donner, NZG 2009, 1242; zur vom Aktienrecht abweichenden fehlenden Angabepflicht des genauen Datums auch Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 55a Rz. 4. 16 Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 55a Rz. 14; allg. dazu Ekkenga in Fleischer, Hdb. Vorstandsrecht, 2006, § 21 Rz. 14). 17 Vgl. Beschluss des BR, Drucks. 354/07, S. 19 und Stellungnahme, BT-Drucks. 16/6140, S. 68 f. 18 Schriebel/Otte, ZIP 2006, 311, 312. 19 Vgl. Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 55a Rz. 9 und 13. 20 Bayer/Hoffmann/Lieder, GmbHR 2010, 9, 15. 21 Vgl. Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 55a Rz. 7. 22 Bayer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 202 Rz. 68; Krieger in MünchHdb. GesR IV, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 28; Priester, GmbHR 2008, 1177, 1179; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 55a Rz. 5; abw. Zöllner in Baumbach/ Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 55a Rz. 12 (hinsichtlich § 111 Abs. 4 AktG).
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erhöhung und die Höhe des Ausgabepreises der jungen Anteile23. Einigkeit besteht, dass er die Ausnutzung auch in mehreren Tranchen vornehmen darf24. Zweifel bestehen bei § 55a GmbHG derzeit hinsichtlich der Befugnis des Geschäftsführers zur Anpassung des Gesellschaftsvertrags. Bei der AG kann die Fassungsänderung dem Aufsichtsrat übertragen werden (vgl. § 179 Abs. 1 Satz 2 AktG), was auch zumeist geschieht25. Bei der GmbH fehlt es regelmäßig am Aufsichtsrat, und § 55a GmbHG nimmt sich des Problems nicht an. Im Normalfall gilt, dass jede Änderung des Gesellschaftsvertrags, rein redaktionelle Änderungen eingeschlossen, Sache der Gesellschafter ist26. Gleichwohl ist man sich nahezu einig, dass diese Befugnis hier dem Geschäftsführer übertragen werden kann27. Dem ist zuzustimmen, weil durch die notarielle Befassung mit der Änderung28 letztlich derjenige Aufwand entstünde, der durch § 55a GmbHG vermieden werden soll29. Fraglich ist daher lediglich, ob man die Befugnis des Geschäftsführers zur Anpassung bereits im Wege der Annexkompetenz zur Ausübung begründen kann30 oder es dafür der ausdrücklichen Anordnung im Ermächtigungsbeschluss bedarf31. Ersteres dürfte aus praktischer Sicht vorzugswürdig erscheinen, weil es sonst leicht dazu kommen kann, dass die Ausübung im Bedarfsfall scheitert, weil man die Ermächtigung übersehen hat. Einwenden kann man dagegen freilich, dass auch der Aufsichtsrat bei der AG zur Vornahme der Satzungsänderung ermächtigt werden muss (§ 179 Abs. 1 Satz 2 AktG), das Gesetz also auch schlichte Fassungsänderungen stets von dem Entscheid der Gesellschafter abhängig macht. b) Keine Mitwirkung des Aufsichtsrats Anders als im Aktienrecht (§ 202 Abs. 3 Satz 2 AktG), wo die neuen Aktien nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats ausgegeben werden sollen, ist die Mitwirkung des Aufsichtsrats bei der Ausübung des genehmigten Kapitals nach § 55a GmbHG gesetzlich nicht vorgesehen32. Die fehlende Anwendbar-
__________ 23 Vgl. Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 55a Rz. 26. 24 Vgl. Bayer in MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2005, § 202 Rz. 86; Priester in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 55a Rz. 26; vgl. zu diesem Problem für die Kapitalerhöhung bis zum Höchstbetrag u. III. 25 Priester, GmbHR 2008, 1177, 1180. 26 Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 53 Rz. 17 u. 22 (str.). 27 Nur scheinbar a. A. Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 55a Rz. 19 (beschlussmäßige Ermächtigung des Geschäftsführers Verlegenheitslösung), der die Annexkompetenz letztlich aufgrund teleologischer Erwägungen für vertretbar hält (vgl. Rz. 31 a. E.). 28 Vgl. Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 55a Rz. 31. 29 Dazu noch sogleich u. 4. b). 30 So Priester, GmbHR 2008, 1177, 1180. 31 So die Empfehlungen von Klett, GmbHR 2009, 1312, 1314; Rawert/Katschinski, ZIP 2008, 1993, 1997; Wicke, GmbHG, 2008, § 55a Rz. 5. 32 Allg. Einschätzung, vgl. Klett, GmbHR 2009, 1312, 1315; Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 55a Rz. 18; Priester, GmbHR 2008, 1177, 1180; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 55a Rz. 8; Zöllner in Baumbach/ Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 55a Rz. 12.
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keit beruht auf dem von § 202 Abs. 3 Satz 2 AktG vorausgesetzten Aufsichtsrat und seiner systematischen Einbindung in die Ausübung des genehmigten Kapitals. Offen ist aber, wie beim Vorhandensein eines Aufsichtsrats in der GmbH zu verfahren ist. Im Schrifttum wird aus dem Fehlen einer Parallelvorschrift zu § 202 Abs. 3 Satz 2 AktG gefolgert, die Pflicht des Geschäftsführers beschränke sich darauf, den Aufsichtsrat lediglich über das geplante Vorhaben zu informieren33. Das wird jedoch weder der Bedeutung des Aufsichtsrats gerecht noch ist es dem Institut des genehmigten Kapitals förderlich. Man wird zu unterscheiden und zu berücksichtigen haben, dass der obligatorische Aufsichtsrat bei der GmbH vielfach dieselben Funktionen wahrnimmt wie bei der AG34. Dass § 52 Abs. 1 GmbHG nicht auf § 202 Abs. 1 Satz 2 AktG verweist, spricht daher allein nicht gegen dessen Zustimmungsvorbehalt, sondern dürfte wohl als Anpassungsversäumnis zu werten sein. Daher steht einer analogen Anwendung des § 202 Abs. 1 Satz 2 AktG nichts im Wege, für die vor allem spricht, dass mit der Annahme eines Zustimmungsvorbehalts des Aufsichtsrats anderenfalls notwendige Kontrollrechte der Gesellschafterversammlung verzichtbar erscheinen. Für den fakultativen Aufsichtsrat muss man hingegen bedenken, dass die Gründe für seine Bestellung in der GmbH ganz unterschiedlicher Natur sein können, was zur Folge hat, das von seiner Existenz nicht auf seine Befugnisse geschlossen werden kann. Demgemäß ist auch für die Geltung aktienrechtlicher Zustimmungsvorbehalte Zurückhaltung angezeigt35. Für die Errichtung eines satzungsmäßigen Zustimmungsvorbehalts auch beim fakultativen Aufsichtsrat spricht, dass die Notwendigkeit eines Weisungsrechts und Streitigkeiten über seinen Umfang und seine Mehrheitserfordernisse36 vermieden werden können. Nur bedarf es dazu einer satzungsmäßigen Grundlage. c) Pflicht zur Ankündigung gegenüber den Gesellschaftern Im Aktienrecht besteht bei der einfachen, d. h. bezugsrechtswahrenden Ausübung des genehmigten Kapitals keine Verpflichtung, diese vorher bekanntzugeben. Das folgt aus der Geltung der Regeln über Geschäftsführungsmaßnahmen. Umstritten ist die Rechtslage lediglich beim Bezugsrechtsausschluss37. Für die GmbH ist allein schon zur Beurteilung der Erfolgsaussichten der Ausübung der Kapitalerhöhung erforderlich, die Gesellschafter hiervon in Kenntnis zu setzen und zu befragen. Man wird aber wegen der möglichen Konse-
__________ 33 Vgl. Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 55a Rz. 18; Priester, GmbHR 2008, 1177, 1180. 34 Vgl. zur Bedeutung Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 52 Rz. 13 ff. 35 Vgl. zur Verweisung auf § 111 AktG freilich § 52 Abs. 1 GmbHG; näher zu beidem Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 52 Rz. 1 ff. u. 129 ff. 36 Dazu sogleich 4. 37 Dazu noch u. 5. b).
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quenzen der Maßnahme für die Beteiligungsstruktur generell eine dahingehende Informationspflicht des Geschäftsführers anzunehmen haben38. 4. Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung? Aus der Ersetzung des Hauptversammlungsbeschlusses durch den Ausübungsbeschluss des Vorstands wird für das Aktienrecht gefolgert, dass es sich bei der Nutzung des genehmigten Kapitals um ein allein den Regeln der Geschäftsführung unterliegendes Geschehen handelt39. Da diese allein beim Vorstand liegt (§ 76 AktG) und die Hauptversammlung hierüber nur befinden kann, wenn dieser es verlangt (§ 119 Abs. 2 AktG), hat sie nach der Eintragung des Ermächtigungsbeschlusses ohne dessen Aufhebung keinen Einfluss mehr auf die Ausübung des genehmigten Kapitals40. Das Problem, wie es sich damit nunmehr bei der GmbH verhält, kann man als die brennendste Frage des § 55a GmbHG bezeichnen. Hiervon hängt ab, ob es sich um eine substantielle Ermächtigung des Geschäftsführers oder eine mehr formale Durchführungserleichterung der Kapitalerhöhung handelt41. Die bisherigen Stellungnahmen gehen indirekt weitestgehend einhellig von Letzterem aus, indem sie der Gesellschafterversammlung ein Weisungsrecht nach allgemeinen Grundsätzen zubilligen42. Für dessen Ausübung soll die einfache Mehrheit genügen, weil es sich um eine Geschäftsführungsangelegenheit, nicht um eine Satzungsregelung handele43. Diese Position berücksichtigt die grundsätzliche, nicht in Frage zu stellende, Kompetenzverteilung zwischen der Gesellschafterversammlung und Geschäftsführung. Trotzdem erscheint es angezeigt, die Frage nach der Zulässigkeit von Weisungen der Gesellschafterversammlung genauer zu überdenken. a) Grundsatz und Grenzen der Weisungsabhängigkeit Sieht man in der Ausübung des genehmigten Kapitals wie im Aktienrecht eine den Regeln der Geschäftsführung unterliegende Maßnahme, so liegt ein Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung nahe. Bei der GmbH besteht der
__________ 38 Wie hier wohl Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 55a Rz. 12; a. A. Schnorbus/Donner, NZG 2009, 1242, 1245. 39 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 202 Rz. 6 u. 20; Krieger in MünchHdb. GesR IV, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 28. 40 Vgl. Bayer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 202 Rz. 34; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 202 Rz. 6 u. 20. 41 Dazu gleich näher u. b). 42 Vgl. Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 55a Rz. 9 u. 17; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 55a Rz. 7; Zöllner in Baumbach/ Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 55a Rz. 3 u. 12; vorsichtiger formuliert („dürften zu Weisungen befugt sein“) doch im Ergebnis ebenso Priester, GmbHR 2008, 1177, 1179). 43 Priester, GmbHR 2008, 1177, 1179; die Hinweise auf die vorgeblich a. A. von Klett, GmbHR 2009, 1312, 1315 und Wicke, GmbHG, 2008, § 55a Rz. 13 gehen m. E. fehl, weil hier nur davon die Rede ist, dass es keiner erneuten Zustimmung durch die Gesellschafterversammlung bedarf, auch das aber nur, sofern es im Ermächtigungsbeschluss keinen dahingehenden Vorbehalt gegeben hat.
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Grundsatz der Weisungsabhängigkeit44. Die Gesellschafterversammlung kann den Geschäftsführern in allen Bereichen der Unternehmensleitung Weisungen erteilen und ihre Aktivitäten hierdurch allgemein wie bei konkreten Maßnahmen steuern oder begrenzen. Im Gegensatz zur AG sind die Gesellschafter dem Geschäftsführer übergeordnet. Davon kann in zwei Richtungen durch den Gesellschaftsvertrag abgewichen werden: Zum einen lässt sich der Verantwortungsbereich des Geschäftsführers noch weiter begrenzen und seine Funktion auf die eines reinen Ausführungsorgans für Gesellschafterentscheide zurückdrängen45. Zum anderen lässt sich die Stellung des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschafterversammlung aber auch erweitern. Das ist etwa der Fall, wenn die Satzung in Anlehnung an § 76 AktG vorsieht, dass der Geschäftsführer die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten hat46. Wird ihm eine dergestalt vorstandsgleiche Stellung eingeräumt, so entscheidet er auch über die Unternehmenspolitik und ungewöhnliche Maßnahmen, es sei denn, es handelt sich um solche, die unmittelbar und tief in die Mitgliedschaftsrechte der Gesellschaft eingreifen47. Grundsätzlich ist er dann von Weisungen freigestellt48. Eine Ausnahme besteht, wo sich die Gesellschafter die Zustimmung oder Weisung für bestimmte Maßnahmen vorbehalten haben49. b) Normzweck der Ermächtigungsmöglichkeit Für die Ausübung des genehmigten Kapitals hängt die Entscheidung zunächst davon ab, welche Zielsetzung man mit § 55a GmbHG verbindet. Besteht diese lediglich in der Einsparung von Beurkundungskosten und einer Beschleunigung der Durchführung der Kapitalerhöhung in der Weise, dass kein notariell zu beurkundender Beschluss der Gesellschafterversammlung gefällt werden muss50, so wird man keinen Grund für die Weisungsfreiheit des Geschäftsführers erkennen können. Berücksichtigt man hingegen das Bestreben, der Gesellschaft die schnelle und unkomplizierte Aufnahme neuen Kapitals zu ermöglichen um ihr kurzfristig finanziellen Handlungsspielraum zu eröffnen, so fällt die Wertung umgekehrt aus. Zwar verhält es sich nicht so, dass mit der Weisungsmöglichkeit die Vorteile des genehmigten Kapitals praktisch zunichte gemacht würden51. Es liegt jedoch auf der Hand, dass sich dem Vorhaben in diesem Fall erhebliche Hindernisse in den Weg stellen können. Dasselbe gilt erst recht, wenn die Ausübung generell einem Zustimmungsvorbehalt unterworfen sein soll. Die Materialien zu § 55a GmbHG wollen beiden Regelungszielen Rechnung getragen sehen. Die Initiativbegründung des Bundesrats stellt allein auf den
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44 Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 37 Rz. 30. 45 Vgl. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 37 Rz. 1 u. 12; dort auch zur Grenze des Kernbereichs gesetzlicher Pflichtaufgaben des Geschäftsführers. 46 Vgl. BGH, ZIP 1991, 1007. 47 BGHZ 83, 131. 48 Vgl. RGZ 170, 358; Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 37 Rz. 54. 49 Vgl. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 37 Rz. 25. 50 So augenscheinlich Cramer, GmbHR 2009, 406, 407; Verspay, MDR 2009, 117, 120. 51 So hinsichtlich möglicher Zustimmungsvorbehalte Klett, GmbHR 2009, 1312, 1315.
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erweiterten Handlungsspielraum der Gesellschaft ab52. Die Begründung der endgültigen Fassung sieht dafür namentlich bei der personalistisch geprägten GmbH zwar augenscheinlich kein rechtes Bedürfnis. Zum Vorteil der schnellen und flexiblen Kapitalaufbringung heißt es dort, dieser Vorteil falle bei der GmbH weniger ins Gewicht, da es keine Probleme bereite, die Gesellschaft kurzfristig einzuberufen und eine reguläre Kapitalerhöhung bedarfsgerecht zu beschließen. Dennoch könne „auch eine GmbH Kosten sparen, da die Ausübung des genehmigten Kapitals keine weitere notariell beurkundete Änderung des Gesellschaftsvertrags erfordert, sondern nur die Anmeldung zum Handelsregister“53. Daraus kann man aber nicht den Willen folgern, dass der Regelungszweck des § 55a GmbHG auf den Kostenaspekt der Kapitalerhöhung reduziert werden sollte. Erstens entsteht ein Kostenvorteil ohnehin allenfalls bei der schon in die Gründungssatzung aufgenommenen Ermächtigung. Bei der Ermächtigung durch Satzungsänderung (§ 55a Abs. 2 GmbHG) fallen Kosten in gleicher Höhe an, wie bei einer ordentlichen Kapitalerhöhung mit dem nach § 53 GmbHG zu beurkundenden Beschluss54. Das genehmigte Kapital erweist sich gegenüber diesem sogar als noch kostenintensiver, weil weitere Aufwendungen für die Anmeldung, Eintragung und Bekanntmachung entstehen55. Stellt sich sodann innerhalb des Ermächtigungszeitraums kein Bedarf nach zusätzlichem Kapital ein, war alles umsonst. Schon deswegen dürfte eine Ermächtigung ohne absehbare Ausübungsgelegenheit nicht vorgesehen werden dürfen. Zweitens enthält die – zugegebenermaßen abschlägige – Bewertung des Flexibilitätsbedürfnisses bei der personalistischen GmbH durch die Regierungsbegründung zugleich indirekt die Anerkennung der Möglichkeit, dass es auch anders sein kann. Drittens zeigt zudem die gegenüber dem Vorschlag des Bundesrats vorgenommene Begrenzung der Ermächtigungshöhe, dass man von einer gewissen Autonomie des Geschäftsführers ausging. Denn diese erklärt sich, wie vorstehend gesagt, namentlich aus dem Bestreben, die schrankenlose Selbstentmachtung der Gesellschafterversammlung zu unterbinden56 und wäre bei einer rein formalen Durchführungsermächtigung nicht zu erklären. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass § 55a GmbH wie sein aktienrechtliches Vorbild eine Alternative zur ordentlichen Kapitalerhöhung schaffen möchte, deren Ziel darin besteht, die Durchführung durch Verlagerung der Entscheidungskompetenz auf die Geschäftsleitung zu erleichtern. c) Notwendige Differenzierungen Aus dem Umstand allein, dass sich eine wirkliche Flexibilisierung der Kapitalerhöhung nur mit einer gewissen Autonomie des ermächtigten Geschäfts-
__________ 52 Beschluss des BR, Drucks. 354/07 S. 19, S. 68 f. 53 Begr. RegE., BT-Drucks. 16/9737, S. 56. 54 Näher Cramer, GmbHR 2009, 406, 407 f.; so auch schon Priester, GmbHR 2008, 1177, 1183. 55 Cramer, GmbHR 2009, 406, 408. 56 Dazu bereits o. II. 2.
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führers erreichen lässt, wird man nicht schematisch für oder gegen ein Weisungsrecht entscheiden dürfen. Vielmehr ist zwischen untersagenden (destruktiven) und anweisenden (konstruktiven) Anordnungen zu unterscheiden. aa) Untersagungsweisung Gegen die Anerkennung einer Untersagungs-Weisung sprechen namentlich folgende Überlegungen: Zum einen handelt es sich bei der Ermächtigung ihrer Rechtsnatur nach um eine Satzungsregelung. Diese kann vor Ablauf ihrer Wirkungsdauer nur durch einen den Regeln der Satzungsänderung unterliegenden Beschluss aufgehoben werden. Die Einräumung eines Weisungsrechts aufgrund eines mit einfacher Mehrheit gefassten Beschlusses hätte die Umgehung dieses Umstands zur Folge. Ein Mehrheitsgesellschafter, dem für die Beseitigung der Regelung die erforderliche qualifizierte Mehrheit fehlt, hätte die Möglichkeit, dasselbe Ergebnis über Einzelweisungen zu erreichen57. Das wäre mit dem durch die Satzung angestrebten Schutz der Minderheitsgesellschafter oder neu hinzutretender Gesellschafter nicht vereinbar. So überhaupt, muss man deswegen für den Weisungsbeschluss die qualifizierte Mehrheit voraussetzen. Zum anderen muss bedacht werden, dass entgegen der im Rahmen des § 55a GmbHG teilweise vorzufindenden Sichtweise im Schrifttum, unter den Gesellschaftern nicht ausschließlich trautes Einvernehmen herrscht. Zwar trifft der Einwand zu, Gesellschafterbeschlüsse seien bei der GmbH nicht in gleicher Weise anfechtungsgefährdet, wie Hauptversammlungsbeschlüsse bei der AG58. Die Praxis der GmbH zeigt jedoch, dass es sehr wohl zu Beschlussanfechtungen kommt und diese die geschäftlichen Geschicke der Gesellschaft ebenso wie andere Streitigkeiten der Gesellschafter häufig auf Jahre hin lähmt. Hier mag ein im vorstehenden Sinne verstandener § 55a GmbHG die Möglichkeit einräumen, die Finanzverfassung der GmbH zu verschonen und Handlungsspielraum zu bewahren. Ergänzend erscheint eine Untersagungsbefugnis der Gesellschafterversammlung auch deshalb fraglich, weil die Gesellschafter durch die Höchstfrist der Ermächtigungsdauer geschützt werden und ein gewisses Verhinderungspotential schlicht in der Weise besteht, dass sie die jungen Geschäftsanteile nicht zu übernehmen brauchen. Das gilt natürlich nur, wenn das Bezugsrecht nicht ausgeschlossen ist und stellt auch dann ein zweischneidiges Schwert dar. Wenn die Ausnutzung des genehmigten Kapitals auf einen Höchstbetrag lautet, scheitert sie wie die „Bis zu“-Kapitalerhöhung59 nicht daran, dass keine vollständige Übernahme erfolgt60. Die Verweigerung der Teilnahme an der
__________ 57 Zu diesem Problem allg. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 37 Rz. 18. 58 Mit dieser Argumentation an der Zweckmäßigkeit der gesetzlichen Regelung zweifelnd etwa Cramer, GmbHR 2009, 406, 409, aber auch Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 55a Rz. 23. 59 Dazu u. III. 60 Vgl. Krieger in MünchHdb. GesR IV, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 53; Trapp, AG 1997, 115, 122.
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Kapitalerhöhung kann für den Gesellschafter somit die Verwässerung seiner Beteiligung zur Folge haben. Das allein vermag jedoch kein generelles Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung zu begründen. Zum einen bleibt bei einem missbräuchlichen Vorgehen des Geschäftsführers gerichtlicher Rechtschutz61. Zum anderen lassen sich die Folgen der unvollständigen Übernahme in der Ermächtigung regeln. Wem auch das nicht genügt, der kann die Ausübungsermächtigung mit einem Weisungsrecht oder gar einem Zustimmungsvorbehalt verbinden62. Nur bedarf es dafür einer Grundlage in der Satzung. bb) Durchführungsweisungen Für die Weisung zur Durchführung des Vorhabens verhält es sich insoweit anders, als es sich dabei um einen konstruktiven Akt handelt, welcher der Verwirklichung des mit der Ermächtigung verbundenen Zwecks dient. Darin kann auch keine verdeckte Satzungsänderung liegen. Zudem wird sich mit der Kapitalerhöhung regelmäßig eine unternehmenspolitische Neuausrichtung verbinden oder eine schon bestehende Ausrichtung verfestigen. Dabei ist die Geschäftsführungsbefugnis – trotz der gegen den Begriff der „Unternehmenspolitik“ gerichteten Bedenken63 – generell durch den Willen der Gesellschafterversammlung überlagert64. Eine Ausnahme hiervon wird man nur dann zu machen haben, wenn der Gesellschaftsvertrag den Grundsatz der Weisungsabhängigkeit unabhängig vom Vorliegen der Ermächtigung nach § 55a GmbHG abändert, indem dem Geschäftsführer allgemein in vorstandsgleicher Weise die eigenverantwortliche Leitung der GmbH überlassen wird. In diesem Fall ist wegen der ansonsten auftretenden inneren Widersprüchlichkeit der jeweiligen Satzungsbestimmungen zugleich ausgeschlossen, die Ermächtigung mit einem Zustimmungsvorbehalt der Gesellschafterversammlung zu verbinden65. d) Ergebnis Entgegen der bislang anzutreffenden Sichtweise besteht gegen die Ausübung des genehmigten Kapitals durch den Geschäftsführer kein allgemeines Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung. Vielmehr bedarf es hierzu eines ausdrücklichen Vorbehalts im Ermächtigungsbeschluss, also einer Satzungsregelung. Anordnende Weisungen sind zulässig, soweit der Geschäftsführer aufgrund der Satzung die GmbH nicht generell eigenverantwortlich leitet.
__________ 61 Zu den dabei freilich bestehenden Zweifelsfragen nach BGHZ 164, 241 Nietsch, WuB II A. 2006, § 202 AktG/1. 62 Zu dessen Grenzen sogleich u. bb). 63 Vgl. Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 37 Rz. 6 ff. 64 Vgl. Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 37 Rz. 4 ff. 65 Unberührt bleibt lediglich die statuarische Festlegung eines Zustimmungsvorbehalts des Aufsichtsrats.
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5. Bezugsrechtsausschluss Die überwiegende Auffassung im Schrifttum erkennt dem GmbH-Gesellschafter ein anteiliges Bezugsrecht nach dem Rechtsgedanken des § 186 AktG zu66. Insoweit fragt sich, ob dieses im Rahmen des genehmigten Kapitals ausgeschlossen werden kann. Im Aktienrecht stellt § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG dies ausdrücklich klar, bei § 55a GmbHG fehlt es an einer entsprechenden Regelung. a) Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss aa) Gründungssatzung Grundsätzlich kann der Ausschluss des Bezugsrechts auf den beiden Wegen erfolgen, auf denen auch die Ermächtigung zum genehmigten Kapital als solche erteilt wird, also entweder schon im Rahmen der Gründungssatzung oder bei der Satzungsänderung. Ersteres wird im Aktienrecht für zulässig erachtet, und zwar, ohne dass es eines zusätzlichen Schutzes der Gesellschafter bedürfen soll67. Der Grund wird darin gesehen, weil alle Gesellschafter ihr Einverständnis erklären müssen. Dem wird man für die GmbH nicht ohne weiteres folgen können. Zwar beruht die Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss auch auf der Gründungserklärung jedes einzelnen Gesellschafters. Der Geschäftsführer verfügt jedoch nicht über die Unabhängigkeit des Vorstands. Wegen seiner Folgepflicht bei (konstruktiven) Weisungen besteht generell die Möglichkeit, dass darüber Konflikte zwischen den Gesellschaftern ausgetragen werden. Man wird den Ausschluss des Bezugsrechts in der Gründungssatzung daher zusätzlich davon abhängig zu machen haben, dass der Geschäftsführer zugleich allgemein die Befugnis zu eigenverantwortlichem Handeln erhält. bb) Satzungsänderungen Wie bei der AG liegen die Probleme vor allem bei der durch Mehrheitsentscheidung, also im Beschlusswege, erteilten Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss. Im Ausgangspunkt besteht Einigkeit, dass hierzu die Möglichkeit bestehen muss68. Zweifelhaft ist aber, welche Voraussetzungen hierfür zu beachten sind, d. h. ob die dafür von der Rechtsprechung für das Aktienrecht entwickelten Vorgaben Geltung beanspruchen. Der BGH hatte für den Bezugsrechtsausschluss beim genehmigten Kapital ursprünglich dieselben Anforderungen wie bei der ordentlichen Kapitalerhöhung, also die von Kali+Salz69, gestellt70. Der Bezugsrechtsausschluss war danach nur zulässig, wenn nach der
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66 Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 55 Rz. 17; Priester, GmbHR 2008, 1177, 1181; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 55 Rz. 20; a. A. Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2008, § 55 Rz. 45 ff. 67 Vgl. Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 186 Rz. 25 a. E.; § 203 Rz. 22. 68 Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 55a Rz. 34; vgl. auch Cramer, GmbHR 2009, 406, 409. 69 BGHZ 71, 40, 43 ff. 70 BGHZ 83, 319 (Holzmann).
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Lage der Gesellschaft und dem Stand der Pläne für ihre Zukunft konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben waren, es könne sich innerhalb der dem Vorstand eingeräumten Frist als notwendig und auch im Hinblick auf die Interessen der betroffenen Aktionäre als vertretbar erweisen, bei der Ausgabe neuer Aktien das Bezugsrecht auszuschließen. Diese Voraussetzung hatte der Vorstand in seinem Bericht nach §§ 186 Abs. 4 Satz 2, 203 Abs. 2 Satz 2 AktG darzulegen. Nach hinlänglicher Kritik aus dem Schrifttum71 ist der BGH in der Siemens/ Nold-Entscheidung unter Berufung auf die Eigenständigkeit des genehmigten Kapitals hiervon abgewichen72. Bei der AG kann die Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss danach schon dann erteilt werden, „wenn die Maßnahme, zu deren Durchführung der Vorstand ermächtigt werden soll, im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt und der Hauptversammlung allgemein und in abstrakter Form bekannt gegeben wird“. Die Übertragung dieser Auffassung auf die GmbH wird im Schrifttum unter Berufung auf das Fehlen eines Aufsichtsrats und die Bedeutung der persönlichen Stellung der Gesellschafter bislang abgelehnt73. Ein Bezugsrechtsausschluss ließe sich demnach in Einklang mit der Holzmann-Entscheidung erst dann vornehmen, wenn die ihn veranlassende Maßnahme hinreichend konkret ist74. Dem wird man im Ausgangspunkt, jedoch nicht in der Folgerung, zuzustimmen haben75. Zutreffend ist, dass sich die Siemens/Nold-Grundsätze nicht auf die GmbH übertragen lassen. Ihre dogmatische Grundlage liegt in der Eigenverantwortlichkeit des Vorstands, der die Wahrung des Bezugsrechts als mitgliedschaftlichen Belang in treuhandähnlicher Verwaltung wahrnimmt76, und sie liegt in der Kontrollfunktion des Aufsichtsrats77. Wenn man dem vom BGH herausgestellten Gedanken der institutionellen Eigenständigkeit des genehmigten Kapitals gegenüber der ordentlichen Kapitalerhöhung folgen will, dann auf dieser Grundlage, nicht aber darüber hinaus. Hinzu kommt, dass die
__________ 71 Vgl. Heinsius in FS Kellermann, 1991, S. 115 ff.; Martens, ZIP 1992, 1677 ff. 72 BGHZ 136, 133, 138. 73 Cramer, GmbHR 2009, 406, 411; Klett, GmbHR 2008, 1312, 1314; Wicke, GmbHG, 2008, § 55a Rz. 11; Priester, GmbHR 2008, 1177, 1182, der aber andererseits die Ermächtigung der Geschäftsführer zum Bezugsrechtsausschluss nach den Siemens/ Nold-Grundsätzen für zulässig hält; teilw. abw. wohl auch Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 55a Rz. 23 a. E., wonach die Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss in der Ermächtigung zur Kapitalerhöhung gegen Sachlage (§ 55a Abs. 2 GmbHG) enthalten sei, diese aber ihrerseits nicht von einer Konkretisierung abhängig gemacht wird (vgl. Rz. 30 f.). 74 Priester, GmbHR 2008, 1177, 1182. 75 Ergänzend ist anzumerken, dass auch ein vereinfachter Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG nicht in Betracht kommt (vgl. dazu für die AG Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 203 Rz. 27), weil schon die Beteiligung eines nicht wohl gelittenen Gesellschafters in dieser Höhe für die GmbH hinreichend Sprengkraft besitzen kann. 76 Vgl. Kindler, ZGR 1998, 35, 52. 77 Vgl. zur unverkennbar tragenden Bedeutung des Aufsichtsrats die mannigfaltigen Bezugnahmen von BGHZ 164, 241 ff.
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lediglich allgemeine Beschreibung des Ausschlussgrundes nach Siemens/Nold auch nur für große börsennotierte Gesellschaften zu rechtfertigen ist78. Andererseits muss man für die GmbH deswegen nicht zwangsläufig auf die Grundsätze der Holzmann-Entscheidung verfallen und den Bezugsrechtsausschluss damit praktisch verneinen. Denn diese sahen sich ihrerseits ebenfalls der begründeten Kritik einer mangelnden Abgrenzbarkeit zwischen hinreichend konkreten und noch zu abstrakten Vorhaben (und damit einer unzulässigen Vorratsermächtigung) ausgesetzt79. Sodann ist zu bedenken, dass es zwar an einer dem § 203 Abs. 1 AktG entsprechenden Regelung fehlt, das Gesetz aber die Ermächtigung zur Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage ausdrücklich zulässt (§ 55a Abs. 2 GmbHG). Zwar kann diese auch bei einer bezugsrechtswahrenden Kapitalerhöhung zum Tragen kommen. Im Regelfall wird man jedoch an die Einbringung durch einen bestimmten Gesellschafter oder von dritter Seite denken. An der Ermächtigungsmöglichkeit des § 55a Abs. 2 GmbHG lässt sich demgemäß erkennen, dass das Gesetz den Bezugsrechtsausschluss grundsätzlich in Betracht zieht80. Deswegen dürfen an diesen keine Anforderungen gestellt werden, die praktisch nicht erfüllt werden können oder ein genehmigtes Kapital angesichts der bereits konkret anstehenden Erwerbsentscheidung überflüssig erscheinen lassen. Um den Bedenken gegen die Übertragbarkeit der Siemens/Nold-Grundsätze auf die GmbH Rechnung zu tragen, bieten sich vier Maßnahmen an: Erstens wird man den vorab erklärten Ausschluss des Bezugsrechts stets mit der Erlaubnis zur Ausgabe des Kapitals gegen Sacheinlage zu verbinden haben. Abgesehen werden kann davon nur, falls es eine satzungsmäßige Option zur Anteilserhöhung eines Gesellschafters gibt und das genehmigte Kapital hierzu genutzt werden soll. Zweitens muss die mit der Sacheinlage verbundene unternehmerische Ausrichtung zuvor durch die Gesellschafterversammlung beschlossen worden sein. Drittens ist der Ausschlussgrund in die damit vorgezeichnete Planung einzubetten und so konkret wie möglich zu beschreiben. Viertens besteht die Möglichkeit, die Ausübung mit einer der sogleich zu benennenden Kontrollmöglichkeiten bei der Ausübung zu verbinden81. b) Ausschluss des Bezugsrechts durch die Geschäftsführung Sofern man eine Ermächtigung der Geschäftsführer zum Bezugsrechtsausschluss dergestalt für zulässig erachtet, stellt sich die Frage, nach welcher Maßgabe
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78 Vgl. zu dieser Kritik Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 543; Lutter, JZ 1998, 50, 51 f.; gegen diese Unterscheidung Böttger, Der Bezugsrechtsausschluss beim genehmigten Kapital, 2005, S. 32 ff. 79 Dazu auch BGHZ 136, 133, 138; für die vorliegende Problematik Priester, der zu der Schlussfolgerung gelangt, dass sich die notwendigen Beurteilungen nur vornehmen lassen, wenn die anvisierte Maßnahme hinreichend konkretisiert ist (GmbHR 2008, 1177, 1182). In diesem Fall bedarf es dann keines genehmigten Kapitals. 80 Ob man noch darüber hinausgeht und jeder Erlaubnis zur Ausgabe des erhöhten Kapitals gegen Sacheinlage stets auch die Ermächtigung zum Ausschluss des Bezugsrechts entnimmt (so Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 55a Rz. 23 a. E.) soll hier offen bleiben. 81 Sogleich b).
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hiervon Gebrauch gemacht werden kann. Zu beachten sind dabei zunächst die allgemeinen, aus dem Aktienrecht bekannten, Grenzen – der Ausschluss bedarf der sachlichen Rechtfertigung –, sodann mögliche, aus der Ermächtigung folgende Vorgaben82. Sofern das Bezugsrecht zugunsten eines vorhandenen Gesellschafters ausgeschlossen werden soll, muss dies vor allem mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar sein. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Bezugsrechtsausschluss und die Ausgabe der neuen Anteile zum Erwerb eines Unternehmens als ungewöhnliche Maßnahme anzusehen sind, weswegen die Pflicht besteht, die Gesellschafter vorher zu informieren83. Um die Gesellschafter in die Lage zu versetzen, die geplante Maßnahme zu beurteilen, hat die Geschäftsführung einen Vorabbericht zu erstellen. Die äußerst umstrittene gegenteilige Ansicht für das Aktienrecht84 kann hier keine Geltung beanspruchen85. Sie ist auch für dieses in der Sache allein durch das dort zu vermeidende Prozessrisiko zu rechtfertigen86. Wegen der Bedeutung der Maßnahme sind die Gesellschafter darüber hinaus auch im Stadium der Ausübung zu beteiligen. Zu denken wäre hier einmal an einen Nachrang des genehmigten Kapitals gegenüber der ordentlichen Kapitalerhöhung für nicht dringliche Fälle87. Dagegen spricht jedoch, dass es zwischen beiden Arten keinerlei Rangverhältnis gibt, sich die verschiedenen Formen der Kapitalerhöhung „gleichrangig und gleichwertig“88 gegenüberstehen. Sodann sind die bekannten Abgrenzungsschwierigkeiten – wo beginnt ein dringender Fall? – vorprogrammiert und schließlich erscheinen andere Beteiligungsmöglichkeiten als vorzugswürdig. Sie können einmal durch einen Zustimmungsvorbehalt geschaffen werden, was aber den Nachteil hat, dass vor der Ausübung stets die Gesellschafterversammlung einberufen werden muss89. Denkbar und vorteilhafter erscheint, den Gesellschaftern ein an ein BeteiligungsQuorum, gebundenes Widerspruchsrecht zu geben, bei dessen Ausübung die Maßnahme zu unterbleiben hat. Dieses bedarf gemäß dem oben zur Weisung Gesagten einer Grundlage in der Satzung. Dabei sind auch dessen Voraussetzungen, insbesondere das erforderliche Quorum zu benennen. Die damit ver-
__________ 82 Vgl. Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 203 Rz. 35. 83 So für den vorliegenden Zusammenhang wohl Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 55a Rz. 12; allgemein hierzu Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 37 Rz. 12 ff. 84 Vgl. BGHZ 164, 241, 245; Cahn, ZHR 164 (2000), 113, 118; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 203 Rz. 36; Krieger in MünchHdb. GesR IV, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 45; a. A. etwa Bayer, ZHR 168 (2004), 132, 155; Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1996, § 203 Rz. 31. 85 A. A. Schnorbus/Donner, NZG 2009, 1242, 1246. 86 Vgl. Nietsch, WuB II. A. § 202 AktG, 2006/1. 87 Für Fälle fehlender Dringlichkeit noch weitergehend Priester, GmbHR 2008, 1177, 1182: Gelegenheit zur ordentlichen Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss. 88 OLG Karlsruhe, NZG 2002, 959, 960; vgl. auch Schnorbus/Donner, NZG 2009, 1242, 1244. 89 Für Fälle fehlender Dringlichkeit noch weitergehend Priester, GmbHR 2008, 1177, 1182: Gelegenheit zur ordentlichen Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss.
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bundenen Einschränkungen des Geschäftsführerermessens sollen hier nicht verschwiegen werden. Sie erscheinen aber unvermeidbar, um den ansonsten in der personalistischen GmbH entstehenden Konflikt durch Einführung eines unerwünschten neuen Gesellschafters oder der Verschiebung der bisherigen Kräfteverhltnisse zu lösen. Verzichten die Gesellschafter auf einen Widerspruchsvorbehalt, bleibt es allein bei den allgemeinen Schranken des Bezugsrechtsausschlusses. c) Ergebnis Die Ermächtigung an den Bezugsrechtsausschluss ist nicht an die für die AG überwundenen Grundsätze der Holzmann-Rechtsprechung zu knüpfen. Die Freiheit einer allgemeinen Umschreibung des Ausschlussgrundes nach Siemens/ Nold genügt jedoch gleichfalls nicht. Vielmehr sind die Gesellschafter gehalten, die als Ausschlussgrund anzuerkennenden Zwecke im Rahmen der Ermächtigung ihren Kategorien nach zu benennen. Schutz vor rechts- und sachwidrigem Handeln der Geschäftsleitung ist ihnen neben den allgemeinen Grenzen der sachlichen Rechtfertigung und der Gleichbehandlung sodann durch die Möglichkeit zur Einführung eines quorum-abhängigen Widerspruchsrechts zu gewähren.
III. Kapitalerhöhung bis zum Höchstbetrag Wie bereits erwähnt, kann die Kapitalerhöhung beim genehmigten Kapital auch in einzelnen Abschnitten erfolgen90. Umstritten ist das dagegen für die Kapitalerhöhung bis zum Höchstbetrag. 1. Begriff und Zweck Bei der sogenannten Kapitalerhöhung bis zum Höchstbetrag handelt es sich um eine ordentliche Kapitalerhöhung, bei der die Übernahme sämtlicher Anteile ungesichert erscheint. Nach allgemeiner Auffassung ist zulässig, bei der Kapitalerhöhung einen Höchstbetrag anzugeben91. So wird vermieden, dass die Kapitalerhöhung scheitert, wenn nicht alle jungen Anteile übernommen werden. Der endgültige Erhöhungsbetrag hängt davon ab, wie viele Anteile tatsächlich gezeichnet werden. Ein Nachteil besteht darin, dass die beschlossene Kapitalerhöhung nach wohl bislang ganz überwiegendem Verständnis hierdurch „verbraucht“ wird, d. h. der Höchstbetrag nicht mehr durch weitere Zeichnungen ausgeschöpft und so „aufgeteilt“ werden kann.
__________ 90 S. o. II. 3. a). 91 Ursprünglich OLG Hamburg, RJA 29, 266 (bei Priester, NZG 2010, 81); RGZ 55, 65, 68; OLG München, NZG 2009, 1274; Bayer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 202 Rz. 86; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 202 Rz. 20; Priester in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 55a Rz. 26; Schüppen, AG 2001, 125.
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2. Ausnutzung in verschiedenen Tranchen? a) Rechtsprechung Die Frage nach der Zulässigkeit einer Aufteilung der Kapitalerhöhung in mehrere Tranchen92 hat durch eine jüngere Entscheidung des OLG München neue Aktualität erfahren93. Darin wird die Zurückweisung der Eintragung einer weiteren Kapitalerhöhung durch das Registergericht mit der Begründung bestätigt, der tatsächliche Umfang der Kapitalerhöhung dürfe nicht der Entscheidung des Vorstands überlassen werden. Daher müsse eine nicht zu großzügig zu bemessene Frist für die Durchführung bestimmt werden, die bis zu 6 Monate betragen könne. Diese Zeitspanne war im entschiedenen Fall überschritten, so dass die Bestätigung der registergerichtlichen Entscheidung allein hierauf gestützt werden konnte. Ob eine weitere Kapitalerhöhung innerhalb dieser Frist und unter Vorbehalt weiterer Durchführung bei der Anmeldung zulässig sei, ließ das Gericht dabei aber offen. b) Stand der Diskussion im Schrifttum Als Reaktion auf den Beschluss des OLG München gibt es im Schrifttum Anzeichen, die damit verbundene Tranchenbildung für statthaft zu erklären94. Begründet wird dies einmal mit der entsprechenden Auffassung beim genehmigten Kapital, der das Vorstandsermessen einschränkenden Wirkung der kurzen Durchführungsfrist und der Notwendigkeit der ausdrücklichen Ermächtigung zu diesem Vorgehen95. Darüber hinaus sei eine Irreführung des Rechtsverkehrs nicht zu besorgen96. Dem wird von anderer Seite damit begegnet, dass es in diesem Fall zu einer unzulässigen Typenvermischung der Formen der Kapitalerhöhung käme97. Der Gesetzgeber habe sowohl für die AG wie auch die GmbH eigenständige Verfahren der Kapitalerhöhung vorgesehen. Man habe sich dem einen oder dem anderen zu bedienen. Zulässig sei zwar, beides in einem Beschluss zu verbinden. Dabei müssten aber die Voraussetzungen der jeweiligen Erhöhungsarten (kumulativ) erfüllt sein98. c) Stellungnahme Dem zuletzt genannten Einwand ist zuzugeben, dass sich ein Grundsatz der Typentrennung bei der Kapitalerhöhung den Materialien zum AktG 1965 entnehmen99 und in gedanklichen Zusammenhang mit dem allgemeinen verbandsrechtlichen Typenzwang stellen lässt. Letzteres ergibt sich daraus, dass
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92 Vgl. dazu bereits Schüppen, AG 2001, 125. 93 OLG München, NZG 2009, 1274. 94 Vgl. Bücker, NZG 2009, 1339; Kallweit, AG-Report 2009, 479; so schon Schüppen, AG 2001, 125. 95 Mit dieser Argumentation Schüppen, AG 2001, 125, 126. 96 Vgl. Bücker, NZG 2009, 1339, 1340. 97 Priester, NZG 2010, 81, 86. 98 So auch schon OLG Düsseldorf, NJW 1986, 2060. 99 Vgl. Begr. RegE, Vor §§ 207 ff. abgedr. bei Kropff, AktG 1965.
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hierbei eine Kompetenzverlagerung in der Binnenverfassung des Verbands stattfindet. Auch in der Rechtsprechung ist man um Trennung bemüht. So wird beispielsweise argumentiert, die 50 %-Grenze des genehmigten Kapitals könne nicht auf die ordentliche Kapitalerhöhung übertragen werden100. Andererseits beziehen sich die diese Folgerung tragenden Ausführungen zum AktG 1965 auf die mangelnde Verbindbarkeit der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln mit der gegen Einlagen als zwei rechtlich und wirtschaftlich grundverschiedenen Vorgängen. Bei der Kapitalerhöhung bis zum Höchstbetrag und dem genehmigten Kapital besteht keine vergleichbare Gegensätzlichkeit. Darüber hinaus hat sich Erstere auch nach Einführung der Letzteren behauptet und ist angesichts der nunmehr über 100-jährigen Dauer als gewohnheitsrechtlich verfestigt anzusehen, obwohl man nach der gesetzlichen Einführung des genehmigten Kapitals auch hätte anders entscheiden können. Das entspringt dem nachvollziehbaren praktischen Bedürfnis, der ordentlichen Kapitalerhöhung zur Wirksamkeit zu verhelfen, auch wenn sie sich nur teilweise als erforderlich/erfolgreich erweist. Hinzu kommt für die GmbH, dass im Innenverhältnis der Grundsatz der Vertragsfreiheit herrscht und von der Tranchierung keine Irreführung des Rechtsverkehrs ausgeht. Das gilt zumindest sofern – was in seiner Zulässigkeit freilich ebenfalls angezweifelt wird101 – die Eintragung der Durchführung in einem einheitlichen Vorgang erfolgt. Zu guter Letzt erscheint es auch nicht recht einzusehen, weswegen die Gesellschafter auf den Weg des genehmigten Kapitals verwiesen werden sollen, obwohl sich hiermit eine weitreichende Ermächtigung der Geschäftsleitung als bei der ordentlichen Kapitalerhöhung gegen Einlagen verbindet. Einen Einwand gegen die Zulässigkeit der Tranchenbildung wird man wohl lediglich aus zwei Schutzdefiziten herleiten können: Zum einen der damit verbundenen Kompetenzverlagerung auf die Geschäftsleitung, zum anderen der – im Gegensatz zum genehmigten Kapital – dabei aber fehlenden betragsmäßigen Begrenzung und den daraus folgenden Missbrauchsgefahren. Um diese zu bewerten, muss man zunächst klarstellen, worum es bei der „Tranchenbildung“ geht. Versteht man darunter die Ermächtigung des Geschäftsleiters, den Gesamtbetrag nach eigenem Ermessen einzuteilen und nur insoweit die Erhöhung vorzunehmen oder meint man die weitere Verwendung des – mangels Zeichnung – nicht voll ausgeschöpften Gesamtrahmens? Im zuletzt genannten Fall bestehen keine Bedenken. Eine mit § 55a GmbHG vergleichbare Ermächtigung des Geschäftsführers liegt nicht vor, weil die als „Bis zu“ beschlossene Kapitalerhöhung voll auszuschöpfen ist. Ein Ermessen der Geschäftsführung besteht im Ausgangspunkt nicht. Den Gesellschaftern
__________ 100 Vgl. OLG Hamburg, AG 2000, 326, 328. Die Hauptversammlung hatte am 28.8.2008 beschlossen, das Grundkapital von 120.000 Euro auf 170.000 Euro zu erhöhen. Am 23.12.2008 wurde die Durchführung dieses Beschlusses i. H. v. 21.250 Euro angemeldet und am 26.1.2009 ebenso wie die entsprechende Satzungsänderung in das Handelsregister eingetragen. Am 15.6.2009 meldete der Vorstand eine Erhöhung um weitere 13.500 Euro an, deren Eintragung vom Registergericht zurückgewiesen wurde. 101 Dazu noch Schüppen, AG 2001, 125, 126.
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ist die Gelegenheit der vollumfänglichen Zeichnung eingeräumt. Etwas anderes mag gelten, falls sich im Nachhinein herausstellt, dass der beschlossene Erhöhungsbetrag zu einem Kapitalüberschuss führt und nicht benötigt wird. Sofern es darüber Meinungsverschiedenheiten zwischen Gesellschafterversammlung und Geschäftsführung gibt, kann man sich hier mit dem allgemein bestehen Weisungsrecht behelfen102. Denn dieses steht, anders als bei § 55a GmbHG, nicht in innerem Widerspruch zu der mit der „Ermächtigung“ verfolgten Zielsetzung. Anders liegen die Dinge bei der dem Geschäftsführer anheim gestellten Tranchierung. Darin liegt in der Tat eine nicht gerechtfertigt erscheinende Verlagerung der Erhöhungskompetenz. Die 6-Monatsfrist allein bietet auch keine hinreichende Gewähr gegen Missbrauchsgefahren. Behelfen kann man sich bei der GmbH allerdings mit Beachtung der bei der „Bis zu“-Kapitalerhöhung gesetzlich nicht vorgesehenen 50 %-Höchstgrenze und weiteren Vorgaben für die Tranchierung. Eine Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss beinhaltet die Kapitalerhöhung bis zum Höchstbetrag nicht. d) Ergebnis Im Ergebnis bestehen keine Bedenken, dem Instrument des genehmigten Kapitals (§ 55a GmbHG) die zeitlich befristete, in mehreren Schritten bis zum Höchstbetrag ausnutzbare ordentliche Kapitalerhöhung als Maßnahe flexibler Innenfinanzierung zur Seite zu stellen.
IV. Schluss Bei einer Rechtsform, deren Erscheinungsbild so vielfältig ist, wie das der GmbH, fällt es schwer, die Zweckmäßigkeit einer gesetzlichen Neuregelung kategorisch mit Ja oder Nein zu beantworten. Das ist aber weder notwendig noch sollte man die rechtspolitische Bewertung von der Offenkundigkeit des quantitativen Nutzens abhängig machen. Entscheidend ist vielmehr, dass es Anwendungsfälle geben kann, in denen sich ein neu geschaffenes Instrument als sinnvoll erweisen und den vorhandenen Gestaltungsspielraum (als einem von mehreren für die Wahl der Rechtsform erheblichen Gründen) erweitern kann. Dieser Gesichtspunkt ist zugleich – darin liegt auch die Essenz des Phänomens der englischen Limited – für die Wettbewerbsfähigkeit einer Rechtsordnung und den Fortbestand ihrer einzelnen Disziplinen entscheidend. Die genannten Kriterien sind für das Instrument des genehmigten Kapitals für die GmbH entgegen der anfänglich verhaltenen Einschätzung klar zu bejahen. Die dabei erreichte Flexibilisierung der Kapitalisierung beschränkt sich dabei aber keinesfalls auf die „große“ GmbH mit kapitalistischer Beteiligung. Für sie mag das normative Grundgerüst des Aktienrechts zwar am ehesten plausibel erscheinen. Methodisch geht es allerdings nicht oder zumindest nicht allein
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102 S. zum Recht der konstruktiven Weisung durch die Gesellschafterversammlung o. II. 4. c) aa).
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um die Frage seiner Analogiefähigkeit, sondern um aus der Binnenverfassung der GmbH heraus zu begründende Anpassungen. Sie ebnet den Weg zur Beachtung des § 55a GmbHG auch für die personalistische GmbH. Dazu muss man sich freilich von der Vorstellung des Normzwecks als einer reinen Verfahrenserleichterung lösen und zu einer Ermächtigungsmöglichkeit des Geschäftsführers bekennen. Die damit eintretende Kompetenzverlagerung auf den Geschäftsführer steht zwar im Spannungsverhältnis zu den Befugnissen der Gesellschafterversammlung. Ihr ist aber durch den sorgsamen Umgang mit der konkret zu fassenden und in ihrer Reichweite zu begrenzenden Ermächtigungshandlung Rechnung zu tragen. Gleichwohl ist der Ermächtigung eine Beschränkung des Weisungsrechts der Gesellschafterversammlung immanent. Sie beschränkt sich auf anordnende und konkretisierende Anordnungen. Soll die Möglichkeit zur Untersagung der Ausübung (fort)bestehen, bedarf es eines Vorbehalts in der Ermächtigung. Diese ist allerdings nur zulässig, sofern es sich um eine GmbH handelt, bei der der Geschäftsführer nicht zu eigenverantwortlicher Leitung berechtigt ist. Beim Bezugsrechtsausschluss ist der Gesellschafterversammlung ein quorum-gebundenes Widerspruchsrecht zuzuerkennen.
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Festgelegte Stimmen vor und in der Hauptversammlung Inhaltsübersicht I. Die ergebnisoffene Hauptversammlung – oder etwa nicht? II. Einflusspotentiale der Verwaltung 1. Steuerung der Teilhabe 2. Informationsvorteil durch Kenntnis festgelegter Stimmen 3. Unterrichtung der Aktionäre III. Rechtliche Grenzen der Steuerungsoptionen 1. Angebot und Ausgestaltung ortsferner Stimmabgabe 2. Festgelegte Stimmen und Verfahrensdispositionen in der HV a) Grenzen der HV-Kompetenz b) Einzel- vs. Gesamt-/Listen-/ Blockentscheid
c) Abstimmungsdirektive und mutmaßlicher Aktionärswille d) Abstimmungstechnische Realisation IV. Vorschläge de lege ferenda 1. Modifikation der Verwaltungskompetenz? a) Informationsbarriere? b) Neutrale HV-Organisation und -leitung? c) Obligatorische Revision? 2. Begrenzung des Organisationsermessens? 3. Offenlegungspflicht? 4. Modernisierung des Teilnehmerverzeichnisses V. Fazit
I. Die ergebnisoffene Hauptversammlung – oder etwa nicht? Wie sich die Hauptversammlung einer AG tatsächlich abspielt, ist aus den Vorschriften der §§ 118 ff. AktG kaum abzuleiten. In Abhängigkeit von der Zusammensetzung des Aktionärskreises gibt es ganz unterschiedliche Versammlungen. Hier soll die Hauptversammlung (HV) einer börsennotierten Gesellschaft in den Blick genommen werden. Dort findet man im Grunde zwei Ausgangslagen. Einerseits gibt es das aus Sicht der „Verwaltung“1 sichere Abstimmungsergebnis, das von einem dominanten Großaktionär oder einem Konsortium getragen wird. Die Abstimmung ist hier bloße Formsache. Spannend wird es bei der zweiten Fallgruppe, bei der das Abstimmungsergebnis ex ante offen ist: So kann der Streubesitz dominieren, viele Investmentfonds engagiert sein, Inhaber größerer Aktienpakete gibt es nicht oder sie sind zerstritten. Eine ähnliche Situation tritt in Versammlungen beherrschter Gesellschaften auf, wenn der Großaktionär einem Stimmverbot unterliegt. Historischer und gesetzlich verankerter Ausgangspunkt der zuletzt genannten ergebnisoffenen Form ist die Zusammenkunft der Mitglieder eines Aktienver-
__________ 1 Damit werden Vorstand und Aufsichtsrat bezeichnet. Der praxisübliche Begriff wird im Aktiengesetz nur einmal verwandt (§ 126 Abs. 1 Satz 1 AktG).
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eins, die in freier Beratung aus dem Inbegriff ihrer Verhandlung zur Entscheidung finden. So „basisdemokratisch“ diese Anmutung ist, für die Verwaltung ist eine unsichere Abstimmung keine Wunschvorstellung. Wenn Kapitalerhöhungen oder Personalentscheidungen zum Aufsichtsrat zur Beschlussfassung stehen, ist dies sinnvollerweise vorzubereiten: Mit den Banken ist die Kapitalmaßnahme zu verabreden, Persönlichkeiten für den Aufsichtsrat sind anzusprechen. Diese im Gesellschaftsinteresse liegenden Planungen fallen gewiss leichter, wenn das Votum der HV hinreichend prognostizierbar oder sogar lenkbar ist. Diese Prognose ist angesichts neuerer Entwicklungen durchaus treffsicher möglich (unten III.) – und es wächst daraus für die nicht ganz so redliche Verwaltung ein Instrument für opportunistisches Verhalten heran.
II. Einflusspotentiale der Verwaltung 1. Steuerung der Teilhabe Aus Sicht des Vorstands, der vorbehaltlich der Aktionärsrechte nach §§ 122, 126, 127 AktG über die Verfahrensherrschaft verfügt, gibt es etliche Möglichkeiten zur Steuerung des Teilnahme- und Abstimmungsprozedere. So könnte der Vorstand die Teilhabeoptionen reduzieren, indem er bestimmte Teilnahme- und Teilhabeformen nicht anbietet. Das betrifft den gesellschaftsbenannten Vertreter, die Briefwahl und die elektronische Teilnahme (§ 118 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AktG). Des Weiteren könnte er die Abstimmungsoptionen reduzieren: So könnten die für die Briefwahl und die Bestellung eines von der Gesellschaft benannten Stimmrechtsvertreters vorgesehenen Formulare nur eine Abstimmung über die Vorschläge der Verwaltung vorsehen, auf oppositionelle Aktionärsanträge wird verzichtet. Gleiches gilt in Bezug auf die für die elektronische Teilnahme vorbereitete Internetseite. Infolgedessen ist die Zustimmung zu Aktionärsanträgen aufwendiger als die zu Verwaltungsvorschlägen, was sich wiederum nachteilig auf die Ergebnisaussichten dieser Anträge auswirken dürfte. Ferner ließe sich die rechtliche Mitwirkungsmacht reduzieren: In die Voraussetzungen für die Briefwahl und Stellvertretung durch den von der Gesellschaft benannten Stimmrechtsvertreter könnte man eine Bedingung aufnehmen, dass die Briefstimme nicht zählt bzw. der Stimmrechtsvertreter nicht abstimmen wird (sich enthält), wenn ein Gegenantrag (§ 126 AktG) zur Abstimmung steht, der nicht im Vorfeld der Hauptversammlung zugänglich gemacht wurde2. Ebenso wäre in Bezug auf Stimmen elektronisch zugeschalteter Teilnehmer zu verfahren, die zwar Voten für die Tagesordnungspunkte durch Betätigung entsprechender Auswahlfelder hinterlegt haben, aber auf Vorgänge in der Versammlung nicht unmittelbar – z. B. durch Bestätigung der Auswahl – reagieren.
__________ 2 Die Zugänglichmachung ist keine Voraussetzung für den Gegenantrag; auch in der HV kann ein vorab nicht zugänglicher Antrag zu Gegenständen der Tagesordnung gestellt werden (§ 124 Abs. 4 Satz 2 AktG).
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Schließlich lässt sich die Verfahrensherrschaft am HV-Tag nützen: Der Versammlungsleiter kann durch Vorziehen bestimmter Tagesordnungspunkte oder Verzögerung der Versammlung („Unterbrechung“) streitige Abstimmungspunkte zu einem Zeitpunkt zur Abstimmung stellen, der ihm günstig erscheint, z. B. weil zu diesem Zeitpunkt die per Internet zugeschalteten Aktionäre, die für die Opposition stimmen, faktisch noch nicht oder nicht mehr per Internet zugeschaltet sind3. Des Weiteren kann er die Abstimmungsverfahren modifizieren, z. B. mag man sich für Einzelabstimmung statt Sammel- und Blockabstimmung (et vice versa) entscheiden. Infolgedessen können im Fall von Briefwahl und weisungsgebundener Vertretung die vorab erteilten Direktiven als unklar erscheinen (dazu unten III. 2.). Vertreter könnten sich gehindert sehen, ihren Weisungen nachzukommen, Briefwahlstimmen mangels „klaren“ Inhalts bei der Abstimmung unberücksichtigt bleiben. 2. Informationsvorteil durch Kenntnis festgelegter Stimmen Die Position der Verwaltung ist vor allem dann gestärkt, wenn die Beschlussfassung gar nicht so ergebnisoffen ist wie dies zunächst den Anschein hat. Doch wie kann der Vorstand wissen, was die Aktionäre am HV-Tag beschließen werden? Neben den üblichen Möglichkeiten einer Aktionärsbefragung durch die Investor Relations Abteilungen bringen ortsferne Teilnahmeoptionen deutliche Informationsvorteile mit sich. Den anfangs skeptisch beurteilten4 gesellschaftsbenannten Vertreter (§ 134 Abs. 3 Satz 5 AktG) reguliert der Deutsche Corporate Governance Kodex mit der Empfehlung, der „Vorstand soll für die Bestellung eines Vertreters für die weisungsgebundene Ausübung des Stimmrechts“ sorgen (Nr. 2.3.3). Aus diesen dem Vorstand zur Kenntnis gelangenden Weisungen ist wenigstens ein Stimmungsbild zu gewinnen. Darüber hinaus lässt sich das Stimmgebaren gesellschaftsunabhängiger Vertretungspersonen in Erfahrung bringen, ein Befund, der zunächst verwundert. Dies betrifft vor allem die Stimmen der institutionellen Anleger, die zusammen genommen einen ganz erheblichen Anteil bilden. Diese Investoren nutzen vielfach Stimmrechtsagenturen5 wie Risk Metrics, Glass Lewis oder Proxy Governance, die der Gesellschaft (bzw. deren HV-Organisator) nicht nur die Bevollmächtigung nachweisen (§ 134 Abs. 3 Satz 3 AktG), sondern auch das beabsichtigte Stimmverhalten bereits im Vorfeld indizieren. Dies geschieht, um die Abstimmungstechnik (Stimmkarten etc.) vorzubereiten; man spricht in der Branche vom „virtuellen Raum“. Der Nebeneffekt dieser technisch begrün-
__________ 3 Dies mag man in Abhängigkeit von der Herkunft des Aktionärs nach Zeitzonen abschätzen. So ist unwahrscheinlich, dass sich ein US-amerikanischer Aktionär zum Zeitpunkt der HV-Eröffnung (i. d. R. vormittags) im Internet befindet, ein japanischer Aktionär wird das Ende einer deutschen HV regelmäßig nicht mehr wach erleben. 4 Zöllner, Stimmrechtsvertretung der Kleinaktionäre, in FS Pleyer, 2001, S. 661. 5 Zur Rolle und Problematik Uwe H. Schneider/Anzinger, Institutionelle Stimmrechtsberatung und Stimmrechtsvertretung – ‚a quiet guru’s enormous clout‘, NZG 2007, 88 ff. (zum Vorgänger ISS).
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deten Verfahrensweise ist freilich, dass der Vorstand einen weiten Einblick in das höchstwahrscheinlich erfolgende Abstimmungsverhalten der beteiligten Institutionellen hat. Des Weiteren ist die Briefwahl (§ 118 Abs. 2 AktG) zu nennen6. Diese wurde mit dem ARUG in Umsetzung von Art. 12 der Aktionärsrechte-Richtlinie 2007/36 eingeführt und erfreut sich regen Zuspruchs7. Die postalisch oder elektronisch abgegebenen Stimmen gehen vor der HV bei der Gesellschaft ein. Damit steht zur Kenntnis des Vorstands schon ein Abstimmungsteil fest. Dasselbe gilt für die durch § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG ermöglichte Online-Teilnahme jedenfalls dann, wenn die Stimmen schon zu Beginn der HV in das System eingespeist sind, was grundsätzlich möglich erscheint. Dass die OnlineStimme erst zum Zeitpunkt des (nicht vorhersehbaren und i. d. R. späten) Aufrufs durch den Versammlungsleiter abgegeben werden darf, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Das Verlangen nach einer 1:1-Abbildung der Verfahrensweise auf der Präsenz-HV wäre eine zweckwidrige Einschnürung des elektronischen Mediums. Damit ist festzuhalten, dass die Verwaltung auch bei vermeintlich ergebnisoffener Abstimmung in vielen Fällen über eine belastbare „Hochrechnung“ verfügt. Es sind die vorstehend beschriebenen festgelegten Stimmen, die diese Rechnung tragen. Die Festlegung muss nicht im Rechtssinne eine endgültige sein, nicht einmal bei der Briefwahl ist gesichert, ob sie unwiderruflich mit Zugang bei der Gesellschaft (oder erst bei dem Versammlungsleiter?) ist. Darauf kommt es nicht entscheidend an, sondern auf die faktische Bindung. Wer den gesellschaftsbenannten Vertretern eine Weisung erteilt hat, wer als institutioneller Investor über die Abstimmungsagenturen ein Mandat erteilt hat, ist in aller Regel aus dem Spiel und kümmert sich nicht mehr um den Vorgang. Die Anregung des DCGK, dass der gesellschaftsbenannte Vertreter für Weisungsänderungen während der HV erreichbar sein soll, ist lieb gemeint, geht aber praktisch ins Leere. Für die entscheidungsoffene Abstimmung kann die Kenntnis des vorab indizierten und (mehr oder weniger) fixierten Stimmverhaltens aus Briefwahl, von der Gesellschaft benannter Stimmrechtsvertretung, elektronischer Teilnahme oder dem aus Organisationsgründen geschaffenen „virtuellen Raum“ zum entscheidenden Informationsvorteil werden. Die Verwaltung mag versucht sein, durch taktisch geprägte Umstellungen des HV-Verfahrens aus dem Informationsvorsprung „etwas zu machen“, insbesondere mittels eines Abstimmungsmodus, bei dem ungünstige Stimmen nicht voll zur Geltung kommen.
__________ 6 Noack, Briefwahl und Online-Teilnahme an der HV, WM 2009, 2289 ff. 7 Von dieser Neuerung machten 2010 z. B. bereits die Allianz SE und die Münchener Rück AG Gebrauch, die unter den DAX-Werten traditionell die Vorreiterrolle einnehmen. Zahlreiche Aktiengesellschaften haben in der HV-Saison 2010 entsprechende Satzungsermächtigungen verabschiedet und werden im kommenden Jahr für die Briefwahl gerüstet sein.
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3. Unterrichtung der Aktionäre Die Situation der Aktionäre ist de lege lata weitaus weniger günstig (zu rechtspolitischen Vorschlägen unten IV.). Über das Abstimmungsgebaren der anderen weiß man nur in engen („konsortialen“) Zusammenhängen hinreichend Bescheid oder bei deren seltenen öffentlichen Kundgabe. Die gegenseitige Information über das Stimmverhalten ist auch nicht ungefährlich, da ein „abgestimmtes Verhalten“ durch Verständigung über die Ausübung von Stimmrechten drohend am Horizont steht (§ 22 WpHG; § 30 WpÜG) – die damit verbundenen Konsequenzen sind rigoros. Das Aktionärsforum im elektronischen Bundesanzeiger (§ 127a AktG)8, das mit dem UMAG im Jahr 2005 eingeführt wurde, ist so tot wie der Zentralfriedhof. Dort kann schon nach der gewählten Konstruktion einer Plakatwand im Internet – es sind nur „Aufforderungen“ möglich – ein Austausch nicht stattfinden. Eine gesetzliche Pflicht, dass der Vorstand oder Versammlungsleiter in der Hauptversammlung über die festgelegten Stimmen zu informieren haben, besteht nicht. Die Satzung oder Geschäftsordnung sind frei darin, eine solche Offenlegung vorzusehen. Einer expliziten Ermächtigung wie im österreichischen Recht9 bedarf es dafür nicht. Der Deutsche Corporate Governance Kodex sollte eine Empfehlung vorsehen, wonach die Hauptversammlung über das Briefwahlkontingent zu Beginn oder jedenfalls vor der Abstimmung ins Bild zu setzen ist. Zur Weiterentwicklung des Teilnehmerverzeichnisses de lege ferenda s. unten IV. 4. Kaum möglich erscheint mittels des Auskunftsrechts gemäß § 131 Abs. 1 AktG Licht ins Dunkel der (mehr oder minder) festgelegten Stimmen zu bringen. Nur bei einem weiten Verständnis der Gesellschaftsangelegenheiten10 und der Befürwortung eines allgemeinen Rechenschaftszwecks des Auskunftsanspruchs11 wird man dazu kommen, dass die Frage nach dem Anteil ortsunabhängig teilnehmender bzw. von Gesellschafts- und anderen institutionellen Vertretern und deren indiziertem Abstimmungsverhalten eine Angelegenheit der Gesellschaft ist, die zur Beurteilung eines Tagesordnungsgegenstands erforderlich ist. Nur in krassen Ausnahmefällen wird eine kapitalmarktrechtliche Offenlegungspflicht gemäß § 15 WpHG bestehen, nämlich wenn der Ausgang der Abstimmung geeignet ist, auf den Börsenkurs einzuwirken (Beispiel: umstrittene Auf-
__________ 8 Dazu Noack, Binnenkommunikation der Aktionäre, in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. II, 2007, S. 660, 670 ff. 9 § 128 Abs. 4 öAktG lautet: „Die Satzung einer börsennotierten Gesellschaft kann vorsehen, dass das individuelle Stimmverhalten der Aktionäre veröffentlicht wird.“ 10 Vgl. die Nachweise zu Rechtsprechung und Schrifttum dazu bei Kersting in KölnerKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 Rz. 91 und Fn. 91. 11 Dagegen z. B. Decher in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 Rz. 11; Kersting in KölnerKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 Rz. 9 m. w. N.; dafür z. B. BGHZ 86, 1, 19; OLG Düsseldorf, AG 1988, 53, 54; KG, AG 1996, 131, 132; KG, ZIP 1995, 1585, 1587; KG, AG 2001, 421; Zetzsche, Aktionärsinformation in der börsennotierten AG, 2006, S. 197 ff.
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sichtsratswahl12) und die vorab eingegangenen Briefwahlstimmen die Beschlussfassung vorwegnehmen. Nicht genügend für die Veranlassung einer Ad-hocMeldung ist hingegen der Umstand, dass weisungsgebundene Vertreterstimmen (ggf. im Verbund mit der Briefwahl) ein bestimmtes Beschlussergebnis erwarten lassen.
III. Rechtliche Grenzen der Steuerungsoptionen 1. Angebot und Ausgestaltung ortsferner Stimmabgabe Es kann Situationen geben, dass dem Vorstand daran gelegen ist, die Abstimmung auf die Präsenzteilnehmer der HV zu konzentrieren, etwa weil er sich von seinem persönlichen Auftritt dort Entscheidendes verspricht. Die im Gefolge des ARUG angepassten Satzungen börsennotierter Gesellschaften enthalten in der Regel nicht die Vorgabe, dass Briefwahl oder Online-Teilnahme anzubieten sind, sondern ermächtigen den Vorstand, solches vorzusehen13. Infolgedessen entscheidet dieser nach pflichtgemäßem Ermessen über Art und Modus der präsenzunabhängigen Abstimmungsmöglichkeiten. Entsprechendes gilt bei zeitiger Ankündigung einer Abweichung vom DCGK auch für das Angebot eines Gesellschaftsvertreters (§ 134 Abs. 3 Satz 3 AktG). Die Ausübung des Ermessens durch den Vorstand muss folgenden Aspekt berücksichtigen: Institutionelle Investoren, die binnen weniger Wochen ggf. auf hunderten Hauptversammlungen abstimmen müssen14, reagieren auf die Bereitstellung bestimmter Teilhabeformen durch Anpassung ihrer Abstimmungsorganisation15. Die Änderung des Prozedere bedarf eines größeren Vorlaufs als in dem kurzen Zeitraum zwischen Einberufung und letztem Anmeldetermin zu bewerkstelligen ist. Infolgedessen ist zu erwarten, dass der plötzliche Verzicht auf die elektronische Teilnahme oder Briefwahl zur geringeren oder Nichtbeteiligung derjenigen institutionellen Investoren führt, die sich in den Vorjahren dieses Modus bedienen konnten. Von einer gesellschaftsetablierten Praxis darf man jedenfalls dann nicht unvermittelt abrücken, wenn damit für bestimmte Aktionärsgruppen spürbare Mitwirkungshürden errichtet werden.
__________
12 Vgl. Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 15 Rz. 89; jede Stufe kann in einem mehrgliedrigen Entscheidungsvorgang eine mitteilungspflichtige Tatsache darstellen (ebendort Rz. 60). 13 Diese Satzungsdelegation an den Vorstand war den Gesellschaften sehr wichtig. Sie wurde in den Regierungsentwurf eines ARUG eingefügt, während der Referentenentwurf nur eine direkte Satzungsregelung vorsah; dazu etwa Stellungnahme Handelsrechtsausschuss DAV Nr. 36/08 (www.anwaltverein.de). 14 Vgl. zur Stimmpflicht § 32 Abs. 1 Satz 2 bis 4 InvG; entsprechenden Pflichten unterliegen z. B. US-Investment Companies, vgl. Release der U.S. Securities and Exchange Commission (SEC), Division of Investment Management vom 7.2.2003, „Proxy Voting by Investment Advisors“, 68 Fed. Reg. 6585; für US-Pensionsfonds vgl. den Release des Department of Labor vom 17.10.2008, „Interpretive Bulletin Relating to Exercise of Shareholder Rights“, 73 Fed. Reg. 61731 (Oct. 17, 2008). 15 Vgl. dazu Charles Nathan, „The Parallel Universes of Institutional Investing and Institutional Voting“, The Harvard Law School Forum on Corporate Governance and Financial Regulation, Blog-Eintrag v. 6.4.2010.
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Verfahrenskontinuität begründet Vertrauensschutz. Die Restriktion einmal eröffneter Abstimmungsmöglichkeiten bedarf daher rechtzeitiger Kundgabe. Bei der Ausgestaltung der ortsunabhängigen Stimmabgabe ist der Grundsatz der Aktionärsgleichbehandlung (§ 53a AktG) zu beachten, den Art. 4 der Aktionärsrechte-Richtlinie ausdrücklich auf die Stimmrechtsausübung erstreckt. Wenn die Briefwahl bzw. Online-Teilnahme angeboten wird, ist eine Unterscheidung nach Anteilsbesitz, Herkunft16 etc. nicht zulässig. Mit Blick auf die gebotene Verfahrensneutralität der Verwaltung unzulässig ist zudem eine Ausgestaltung ortsferner Teilhabeformen, die von vorneherein nur den Beschlussvorschlägen der Verwaltung Erfolgschancen einräumt. So dürfen sich der Auftrag eines Gesellschaftsvertreters oder die Auswahlfelder bei der Briefwahl oder elektronischen Teilnahme nicht darauf beschränken, für oder gegen die Beschlussvorschläge der Verwaltung zu stimmen. Käme es bei Ablehnung des (i. d. R. wohl aussichtsreichsten und deshalb zuerst abgestimmten) Verwaltungsantrags anschließend zum Abstimmungsgang über den Aktionärsantrag, fielen sonst die ortsfernen Stimmen für den Aktionärsantrag weg17. Die Pflicht zur Ermöglichung einer Aktionärsdirektive besteht selbstverständlich für gemäß §§ 122 Abs. 2, 124 Abs. 1 AktG bekannt gemachte Ergänzungen der Tagesordnung, aber richtigerweise auch für bloße Gegen(sach)anträge gemäß §§ 126, 127 AktG. Diese Auslegung wird im österreichischen AktG statuiert18. 2. Festgelegte Stimmen und Verfahrensdispositionen in der HV Im Mittelpunkt steht die Frage nach der Berücksichtigung der ortsfernen Stimmabgaben bzw. Stimmweisungen am Tag der Hauptversammlung. Der Versammlungsleiter ist berechtigt und verpflichtet, die Hauptversammlung sachgemäß abzuwickeln, den Verfahrensablauf zu sichern und die dafür erforderlichen Verfahrenshandlungen vorzunehmen19. Rechtsprechung und Literatur20 räumen ihm dabei mit dem Kriterium der Sachdienlichkeit ein weites
__________ 16 Zetzsche, Shareholder Passivity, Cross-Border Voting and the Shareholder Rights Directive, (2008) Journal of Corporate Law Studies 8:2, 289 ff. 17 In der HV-Saison 2010 waren insofern z. B. die Einberufungsunterlagen der Deutschen Telekom AG, der E.ON AG und der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft AG vorbildlich gestaltet. 18 § 126 Abs. 4 Satz 1 öAktG zur „Fernabstimmung“ (i. e. elektronische Teilnahme) lautet: „Wenn der Aktionär nach dem Verfahren zur Stimmabgabe ein Formular oder eine Eingabemaske zu verwenden hat, so ist vorzusorgen, dass die Aktionäre zu jedem Beschlussvorschlag gemäß § 108 Abs. 1 < scil.: der Verwaltung > und § 110 Abs. 1 < scil. der Aktionäre > abstimmen können.“ § 127 Abs. 2 Satz 1 öAktG zur „Abstimmung per Brief“ (Briefwahl) lautet: „Das Formular muss so gestaltet sein, dass die Aktionäre zu jedem Beschlussvorschlag gemäß § 108 Abs. 1 und § 110 Abs. 1 abstimmen können.“ 19 BGHZ 44, 245, 248; Kubis in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 119 Rz. 119. 20 Zöllner, ZGR 1974, 1, 9; Martens, WM 1981, 1010, 1015; Volhard in MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2004, § 134 Rz. 91 ff.; Reger in Bürgers/Körber, AktG, 2008, § 134 Rz. 30; OLG Hamburg, DB 1981, 80, 82.
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Ermessen ein. Nicht sachdienlich ist eine Versammlungsleitung, die auf Außerkraftsetzung festgelegter Stimmen gerichtet ist bzw. diese zwangsläufig zur Folge hat. Der Versammlungsleiter ist gehalten, dem Willen der partizipierenden Aktionäre möglichst umfassend Rechnung zu tragen. a) Grenzen der HV-Kompetenz Die HV kann zwar über das Verfahren in mancher Hinsicht befinden (sog. Anträge zur Geschäftsordnung), aber die Bedeutung festgelegter Stimmen zeigt sich gerade bei Abstimmungen über solche Verfahrensanträge: Briefwähler und von weisungsgebundenen Vertretern repräsentierte Aktionäre sind von der Abstimmung im ersten Fall de iure, im zweiten Fall de facto ausgeschlossen. Dieser Umstand schränkt die Zulässigkeit bestimmter Verfahrensanträge ein, die nach herkömmlicher Betrachtung unproblematisch waren. Spricht sich z. B. die Mehrheit der Briefwähler und der faktisch ohne Reaktionsmöglichkeit vertretenen Aktionäre für einen Beschlussvorschlag aus, ist bei unveränderter Sachlage die Vermeidung einer Sachabstimmung durch Vertagungs- oder Absetzungsbeschluss21 durch Abstimmung nur der ortsanwesenden Teilnehmer unzulässig. Beispiel: Eine besonders umstrittene AR-Personalie wird schon durch die Briefwähler entschieden (Abwahl). Die Fernabstimmenden kommen nicht mehr zur Versammlung, warum sollten sie? Dann kann es nicht richtig sein, dass die zufällig dort Präsenzversammelten den fraglichen TO-Punkt absetzen und sich mit dieser scheinbaren Verfahrensmaßnahme, die in Wirklichkeit eine Sachentscheidung für den Verbleib der betreffenden Person im Aufsichtsrat ist, über das Votum hinwegsetzen. Die ortsferne Partizipation beschränkt insoweit die Entscheidungsmacht der anwesenden Aktionäre (der „Versammlung“ i. e. S.). b) Einzel- vs. Gesamt-/Listen-/Blockentscheid Das Gebot, die Stimmabgabe aller teilhabenden Aktionäre zur Geltung zu bringen, beeinflusst auch das Entscheidungsermessen des Versammlungsleiters über die Durchführung vieler Einzel- statt einer Blockabstimmung22. Ist z. B. die Einzelabstimmung über die Entlastung oder AR-Wahl bekannt gemacht und wird entgegen der Bekanntmachung nachträglich auf Gesamtentlastung oder Listenwahl umgestellt, entfallen die Einzelstimmen der ortsfernen Aktionäre, die hinsichtlich Weisung bzw. Stimmabgabe nach einzelnen Kandidaten differenziert haben. Zu dem gleichen Ergebnis kommt, wer die Abstimmung über einzelne Tagesordnungspunkte in einer Blockwahl zusammenfasst.
__________ 21 Die dahingehende Versammlungskompetenz wird aus § 124 Abs. 4 Satz 2 AktG abgeleitet. 22 Darunter versteht man eine einheitliche Abstimmung über verschiedene Gegenstände ohne inhaltliche Differenzierungsmöglichkeit.
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Man könnte nun pauschal die Unzulässigkeit der Umstellung einer Einzel- auf Gesamt-/Listen- oder Blockabstimmung postulieren23. Dies führt zu einer übermäßig starren Verfahrensordnung jedenfalls in den Fällen, in denen keine differenzierte Stimmabgabe festgelegt wurde. Stattdessen sind die für die Präsenz-HV anerkannten Grundsätze nach Maßgabe des Schutzbedarfs ortsferner Aktionäre zu modifizieren. Auf die bisher für die Entscheidung zugunsten der Einzelabstimmung etc. anerkannten Kriterien, ob sich unter den Anwesenden Widerstand regt24 und den Anwesenden die Besonderheiten des Abstimmungsverfahrens unmissverständlich erklärt wurden25, kann es danach nicht mehr allein ankommen. Als zweites Kriterium ist heranzuziehen, ob unter den festgelegten Stimmen solche sind, die in mancher Hinsicht für JA und in anderer Hinsicht für NEIN gestimmt haben. Für Zwecke eines – ggf. impliziten26 – HV-Entscheids oder Minderheitsverlangens gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 AktG über die Frage der Gesamt- oder Einzelabstimmung sind solche Stimmen denjenigen Stimmen und Aktionären zuzurechnen, die sich explizit für die Einzelabstimmung verwenden. Beispiel: Gesellschaft verfügt über Grundkapital von 100.000 Euro. Aktionäre, die einen Grundkapitalanteil von 3.000 Euro repräsentieren, verlangen, an der Einzelabstimmung festzuhalten. Sind differenzierte Stimmen in einem Umfang abgegeben worden, die mindestens 2.000 Euro des Grundkapitals repräsentieren, ist an der Einzelabstimmung festzuhalten, weil das Quorum gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. AktG erreicht wurde. c) Abstimmungsdirektive und mutmaßlicher Aktionärswille Ein besonderes Problem wirft die vom Deutschen Corporate Governance Kodex empfohlene und in vielen HV-Einberufungen etablierte Weisungsbindung des Gesellschaftsvertreters auf. Rechtlich anders, tatsächlich aber identisch sind die Fragen, die sich bei der Auslegung von Briefwahldirektiven und hinterlegten Stimmen im virtuellen Raum und bei der elektronischen Teilnahme stellen. Zur Illustration ein Fallbeispiel27: Eine Aktionärsminderheit hat einen Vorschlag für die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds gemäß § 127 AktG unterbreitet, über den unter den Voraussetzungen von § 137 AktG vorrangig abzustimmen ist. Aus der Gesamtschau der Stimmindikationen der Institutionellen, der Stimmensammlung durch den gesellschaftsbenannten Stimmrechtsvertreter sowie der eingegangenen Briefwahlstimmen ergibt sich eine Mehr-
__________
23 Zu den Einschränkungsversuchen in der Literatur vgl. Volhard in MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2004, § 134 Rz. 96. 24 Zur Blockabstimmung über mehrere Verträge BGH, AG 2003, 625, 626; KG, AG 2003, 99; zur Listenwahl im Aufsichtsrat LG München I, AG 2004, 330, 331; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 101 Rz. 6. 25 Zöllner, ZGR 1974, 1, 20; Austmann in FS Sandrock, 1995, S. 277, 286. 26 Nach der anerkannten Praxis kommt es zur Einzelabstimmung nur, wenn die zur Abstimmung gestellte Gesamt-, Listen- oder Blockabstimmung nicht die erforderliche Stimmenmehrheit findet. Vgl. Volhard in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 134 Rz. 96. 27 Inspiriert durch Berichte über die Hauptversammlung der Infineon AG v. 11.2.2010.
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heit für den Gegenkandidaten. Diese festgelegten Stimmen sind entsprechend der Bekanntmachung der Tagesordnung für eine Blockwahl mit zwei Listen (Kandidaten 1–6 sowie 1–5 und 7) vorgesehen, während in der HV eine Einzelabstimmung über die Kandidaten vorgenommen wird. Dabei soll es zu einer Kampfabstimmung zwischen zwei AR-Kandidaten (Nr. 6 – Verwaltungspräferenz) und Nr. 7 – Oppositionspräferenz) kommen. Die Gretchenfrage ist, wie man in diesem Fall die festgelegten Stimmen berücksichtigt. Anders als nach österreichischem Recht28 und einem in der Schweiz diskutierten Entwurf29 fehlt eine gesetzliche Auslegungsregel. Man könnte deshalb nur explizit für den Gegenkandidaten im Rahmen der Kampfabstimmung abgegebene Stimmen zählen, während die im Rahmen der ursprünglich vorgesehenen Blockwahl für ihn votierenden Stimmen außer Betracht bleiben. Das ist eine formal durchaus mögliche Handhabung. Die Briefwahlstimmen entfallen; elektronische Teilnehmer und die Vertreter der nicht anwesenden Aktionäre sind in diesem Fall aufgerufen, den Gegenkandidaten in diesem – gewissermaßen ausgekoppelten – Wahlgang zu wählen, um die Intention ihres Vollmachtgebers zu wahren. Aber genau dieses geschieht ganz überwiegend nicht. Der gesellschaftsbenannte Vertreter sieht seine Weisungsbindung nicht materiell, sondern ganz formal: Er stimmt nur nach dem Abstimmungsformular (Blockwahl), an anderen Abstimmungsgängen beteiligt er sich nicht. Die Vertreter der institutionellen Anleger sind vor Ort anwesende Bankleute, die auch nicht geneigt sein werden, vom Schema abzuweichen. Rückfragen beim Auftraggeber, sei es die zwischengeschaltete Agentur oder sei es direkt der Institutionelle, sind nicht vorgesehen und oft schon aus Gründen der interkontinentalen Zeitverschiebung kaum machbar. Auch steht der Umstand der massenhaften Vertretung einer Eruierung des Individualwillens entgegen, wie es im Verhältnis Anwalt – Mandant üblich wäre. Elektronische Teilnehmer und Aktionäre, die ihrem Vertreter während der HV online Weisungen erteilen können, müssten sich just in diesem Moment vor dem Bildschirm befinden und aktiv werden – was bei einer vielstündigen Hauptversammlung völlig vom Zufall abhängt. Wenn in dieser Situation die Versammlungsleitung zu dem umgekehrten Subtraktionsverfahren als Abstimmungsmodus greift, bei dem JA-Stimmen und
__________ 28 § 126 Abs. 4 Satz 2 öAktG zur „Fernabstimmung“ (i. e. elektronische Teilnahme) und § 127 Abs. 2 Satz 2 öAktG zur „Abstimmung per Brief“ (Briefwahl) lauten wortgleich: „Abgegebene Stimmen sind nichtig, wenn der Beschluss in der Hauptversammlung mit einem anderen Inhalt gefasst wird als im Formular vorgesehen.“ 29 Art. 689c Obligationenrecht lautet in der Fassung des Entwurfs 08.080 des Bundesrates vom 5.12.2008 (BBl. 2009, 299) nach Modifikation durch den Ständerat und Verabschiedung durch die Kommission – Zweitrat (am 26.3.2010): Abs. 3: „Hat der unabhängige Stimmrechtsvertreter keine Weisungen zu angekündigten Anträgen erhalten, so enthält er sich der Stimme.“ Abs. 4: „Werden in der Generalversammlung nicht angekündigte Anträge gestellt, so übt er das Stimmrecht gemäss den Empfehlungen des Verwaltungsrats aus, sofern der Aktionär für diesen Fall nicht eine andere Weisung erteilt hat.“ (Hervorhebung durch Verf.).
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Enthaltungen von der Gesamtpräsenz abgezogen werden, ist das Ergebnis naheliegend: Nur ein kleiner Teil der Vertreter oder Aktionäre passt das Abstimmungsverhalten an und stimmt mit JA, der übrige Teil enthält sich oder verhält sich indifferent. Folge der Indifferenz ist, dass die von diesen Personen repräsentierten Stimmen als ein „Nein“ gewertet werden. Um es zu betonen: Dies ist eine Wertungsfrage. Es geht auch anders. Der Verweis auf die Weisungsbindung verfängt nicht, denn für die Fälle eines atypischen Versammlungsverlaufs liegt gerade keine Weisung vor. Es ist dann dem mutmaßlichen Aktionärswillen zu entsprechen (§ 665 Satz 1 BGB). Soweit der mutmaßliche Wille erkennbar ist, kann sich die Gesellschaft nicht auf anderslautende Vertragsbedingungen für den Gesellschaftsvertreter berufen. Denn das Gesellschaftsrecht kennt keine Stimmbotenschaft30 und damit keinen „blinden“ Transport in die Hauptversammlung hinein. Die Wertungsfrage stellt sich ebenso bei der Briefwahl oder elektronischen Teilnahme und deren Ausgestaltung durch die Teilnahmebedingungen. Auch hier geht es darum, wie die Stimmabgabe als Willenserklärung vom maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont aus zu verstehen ist. Wie aber lautet der mutmaßliche Aktionärswille? Differenzierte Auslegungsregeln sind bislang die Ausnahme31. Es bietet sich an, diese zur Vermeidung von Missverständnissen in der Satzung oder der bislang von der Praxis als Option ignorierten HV-Geschäftsordnung (§ 129 Abs. 1 Satz 1 AktG) zu verankern. Jenseits davon dürfte eine Auslegung wie folgt geboten sein: Für die Blockabstimmung, die auf ihre Einzelbestände herunter gebrochen wird, geht der mutmaßliche Aktionärswille dahin, dass über die separat zur Abstimmung gestellten Partikel des Tagesordnungsgegenstands mit gleichem Inhalt abgestimmt wird wie zur Blockabstimmung kundgetan wird. Dies hat neben zusammengefassten Kapitalmaßnahmen insbesondere für die Gesamtentlastung und die Listenwahl des Aufsichtsrats Bedeutung. Beispiel: Wird die Gesamtentlastung des Aufsichtsrats bekannt gemacht und wird gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 AktG oder kraft Ermessens des Versammlungsleiters per Einzelabstimmung entlastet, sind die JA- und NEIN-Stimmen für die Gesamtentlastung ebenso bei der Abstimmung über die einzelnen Kandidaten zu zählen. Zwar ließe sich erwägen, dass die Entscheidung über die Einzelentlastung oder -wahl von anderer Qualität als die Blockabstimmung sei, die sich als Kompromiss über verschiedene Kandidaten darstellt. Doch überzeugt dieser Einwand für die bei weitem überwiegende Anzahl Aktionäre nicht, die von den zum Tagesordnungspunkt eröffneten individuellen Aktionärsrechten keinen Gebrauch macht. Diese macht sich schlicht keine Gedanken über die Individuen, sondern billigt die Organarbeit im Ganzen.
__________ 30 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 134 Rz. 34. 31 Vgl. aber die Einberufung zur Hauptversammlung 2010 der E.ON AG: „Sollte zu einem Tagesordnungspunkt eine Einzelweisung stattfinden, gilt eine hierzu erteilte Weisung entsprechend für jeden einzelnen Unterpunkt.“
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Ebenso dürfte Inhaltskontinuität gewünscht sein bei der Umstellung der Form der Stimmabgabe (§ 134 Abs. 4 AktG)32 und einem etwaigen Absetzungs- und Vertagungsbeschluss: Die Zustimmung zu einem Sachantrag ist als Stimme gegen, die Gegenstimme als Zustimmung zur Absetzung respektive Vertagung zu werten. Bei nicht erkennbarem Aktionärswillen ist die Enthaltung geboten. So verhält es sich i. d. R., wenn gemäß § 124 Abs. 1 AktG eine separate oder erweiterte Bekanntmachung i. S. eines eigenen Tagesordnungspunktes erforderlich ist oder es sich gegenüber dem bekannt gemachten Antrag um einen Aliud- oder Eventual-Antrag handelt33. Danach besteht z. B. unter dem Tagesordnungspunkt „Entlastung“ kein mutmaßliches Interesse des Aktionärs, der die Entlastung verweigert, an einem Sonderprüfungsantrag, einem Vertrauensentzug, einer Abberufung (§ 103 Abs. 1 AktG) oder der Abwahl des Versammlungsleiters. Der Aktionär, der den Vorstand entlastet, will nicht zugleich auf Ersatzansprüche verzichten; der Aktionär, der einen Oppositionsantrag unterstützt, möchte nicht zugleich den Kandidaten der Opposition zum Versammlungsleiter wählen etc. d) Abstimmungstechnische Realisation Verfahrensrecht und technische Verfahren sind in der Hauptversammlung mit ortsferner Teilhabemöglichkeit eng verzahnt. Um dem Willen der Aktionäre, die ihre Stimmen festgelegt haben, Rechnung zu tragen, sind die vorgenannten Auslegungen abstimmungstechnisch umzusetzen. Abzulehnen ist bei einer nicht zeitig bekannt gemachten Änderung des Verfahrensablaufs die bislang überwiegend praktizierte Aktionslösung, wonach der Aktionär oder dessen Vertreter selbst aktiv werden müssen, damit die Stimmen als JA- oder NEIN-Stimme berücksichtigt werden, ohne solche Aktivität es dagegen automatisch zur Enthaltung kommt. Eine Stimmabgabe ergeht nicht in prozeduralen Vorstellungen und Termini, sondern ist auf die Sachentscheidung ausgerichtet. Das Prozedere dürfte vielfach gar nicht bekannt, jedenfalls aber nicht durchdrungen sein. Insbesondere in der Hektik einer taktisch geprägten, umstrittenen Hauptversammlung sind (häufig ausländische) institutionelle Investoren und selbst deren geschäftsmäßige Vertreter regelmäßig überfordert. Dieser Einwand ist nicht unter Hinweis auf das eigene Risiko des Vertreters oder Aktionärs wegzuwischen: Stünde hinter der Verwaltung nicht ein Expertenstab, verlören auch kundige und pflichtgemäß vorbereitete Verwaltungsmitglieder den Überblick, wenn von Block- auf Einzelabstimmung und gleichzeitig von Additions- auf umgekehrte Subtraktionsverfahren etc. umgestellt wird.
__________ 32 Z. B. Subtraktions- auf Additionsverfahren; Subtraktionsverfahren mit Abzug von NEIN-Stimmen und Enthaltung auf Subtraktionsverfahren mit Abzug der JAStimmen und Enthaltungen; von elektronischer auf Abstimmung durch Handaufhebung etc. 33 Dazu Zöllner, ZGR 1974, 1, 11 ff.
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Dieses aus Finanzmitteln der Aktionäre erworbene Expertenwissen muss neutral in den Versammlungsablauf einfließen. Dem mutmaßlichen Aktionärswillen ist am ehesten mit einer Widerspruchslösung gedient: Kommt es zu Verfahrensumstellungen, sind die festgelegten Aktionärsstimmen ohne Weiteres Zutun der Aktionäre oder Vertreter entsprechend dem vermuteten Willen auszulegen. Ortsfern teilhabende Aktionäre, die reagieren können, sind durch Umstellung der Auswahlfelder zu informieren und darauf hinzuweisen, dass sie die im System aufgrund des mutmaßlichen Willens voreingestellten Optionen bis zum Schluss der Abstimmung in der Versammlung verändern können34. Institutionelle Vertreter können passiv bleiben und vertrauen, dass die zuvor und in Ruhe getroffenen Sachentscheidungen des Aktionärs respektiert werden. Die Aktionslösung beschränkt sich dann auf die Fälle, in denen der mutmaßliche Aktionärswille nicht auszumachen ist (oben III. 2. c).
IV. Vorschläge de lege ferenda Wie gezeigt, sind bereits dem geltenden Recht Grenzen einer willkürlichen Einflussnahme zu entnehmen. Dies steht Überlegungen nach einer Optimierung de lege ferenda nicht entgegen. 1. Modifikation der Verwaltungskompetenz? a) Informationsbarriere? In Erweiterung des Gedankens von Uwe H. Schneider, wonach Aktionäre im Verhältnis zur Verwaltung geheim abstimmen können sollen35, könnte man de lege ferenda die Einführung einer Informationsbarriere zwischen den Organisationsstäben und der Verwaltung erwägen. Eine solche Barriere besteht nach dem österreichischen Aktiengesetz für die „Fernabstimmung“36 und die „Abstimmung per Brief“37. Dies würde indes nicht nur die vom Wohlwollen des Vorstands abhängigen Mitarbeiter an die Grenzen der Belastbarkeit führen. Eine Informationsbarriere ist auch nicht sinnvoll. Sie behinderte einerseits die Erfüllung der in Einzelfällen bestehenden kapitalmarktrechtlichen Offenlegungspflicht. Andererseits ist das Ringen um Mehrheiten zeit- und kostenintensiv. Sobald die Verwaltung
__________ 34 Dies geschieht durch entsprechende Mitteilung per Einblendung in der Hauptversammlung (als Chart-Bild und Live-Stream) sowie ggf. automatische Anpassung des Stimmenbildes im „virtuellen Raum“ und der Internetseite, über die Weisungen und Stimmen abgegeben werden. 35 FS Peltzer, 2001, S. 425, 433 f. 36 § 126 Abs. 3 öAktG lautet: „(3) Vor der Abstimmung in der Hauptversammlung ist sicherzustellen, dass das Stimmverhalten bei der Fernabstimmung dem Vorstand und dem Aufsichtsrat sowie den übrigen Aktionären nicht bekannt wird.“ 37 § 127 Abs. 3 öAktG lautet: „(3) Vor der Abstimmung in der Hauptversammlung ist sicherzustellen, dass das Stimmverhalten bei der Abstimmung per Brief dem Vorstand und dem Aufsichtsrat sowie den übrigen Aktionären nicht bekannt wird.“
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Entscheidungstendenzen absehen kann, kann sie ggf. auf eine Vertiefung des Konflikts mit der Opposition verzichten und ihre Aufmerksamkeit wieder dem Geschäftsbetrieb zuwenden; davon profitieren alle Aktionäre. b) Neutrale HV-Organisation und -leitung? In der Literatur wird erwogen, für kritische Hauptversammlungen einen neutralen Versammlungsleiter zu bestellen38. Dies greift für entscheidungsoffene Abstimmungen zu kurz: Die Hauptversammlung einer börsennotierten AG mit gestreutem Aktionärskreis ist kein an einem Tag abzuwickelnder Vorgang, sondern eine mehrwöchige Entscheidungsfindung. Die prozeduralen Weichen werden lange vor der HV gestellt. Unzureichend ist auch die in der Schweiz vorgeschlagene Lösung, wonach die Generalversammlung einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter wählt39. Das Problem, wie auf anderem Wege abgegebene Stimmen (Briefwahl, elektronisch, virtueller Raum) zu werten sind, bleibt ungelöst. Alternativ könnte man die HV-Vorbereitung und -leitung in die Hände von Dienstleistern geben, die von Aktionären gewählt und von der Gesellschaft analog § 122 Abs. 4 AktG vergütet werden40. Eine solche Maßnahme schießt für die zahlenmäßige Mehrheit der Hauptversammlungen über das Ziel hinaus, bei denen keine entscheidungsoffenen Tagesordnungspunkte zur Abstimmung stehen. Bei einer selektiven Wahl speziell für Hauptversammlungen mit entscheidungsoffenen Abstimmungspunkten wirkt sich dagegen wiederum die Verfahrensherrschaft der Verwaltung aus – dieses Mal bei der Wahl des neutralen Dienstleisters. c) Obligatorische Revision? Rechtsvergleichend wäre an eine obligatorische Revision der Verfahrensleitung und Stimmenwertung zu denken: Die US-amerikanischen Gesellschaftsrechte kennen den inspector, dem die Aktionärslegitimation und Zuordnung der proxy-Stimmen obliegt41. Sections 342 bis 351 des britischen Companies Act 2006 regeln für börsennotierte AGs detailliert die Berichterstattung über einen poll durch einen independent assessor auf Antrag einer Aktionärsminder-
__________ 38 Wilsing/von der Linden, Hauptversammlungsleitung durch einen Unternehmensfremden, ZIP 2007, 641. 39 Art. 689c Abs. 1 gemäß dem Entwurf des Ständerats vom 10.6.2009, angenommen durch die Kommission – Zweitrat am 26.3.2010. 40 Dafür Zetzsche, Corporate Governance in Cyberspace – A Blueprint for Virtual Shareholder Meetings, CBC-RPS No. 0011/1995, abrufbar: http://ssrn.com/abstract= 747347. 41 § 231 des Delaware General Corporation Law und § 7.29 des Revised Model Business Corporation Act (US-amerikanisches Modellgesetz, an dem sich viele Einzelstaaten orientieren) statuieren eine Pflicht zur Benennung mindestens eines unabhängigen inspectors für börsennotierte US-Gesellschaften, vorbehaltlich einer anderen Regelung in der Satzung und Geschäftsordnung. Die Regelung entspricht dem früheren Fallrecht, z. B. Williams v. Sterling Oil of Oklahoma, Inc., 273 A.2d 264 (Del. 1971); Preston v. Allison, 650 A.2d 646 (Del. 1994).
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heit42. Das kanadische Bundesgesellschaftsrecht gewährt u. a. jedem Aktionär ein Antragsrecht auf Überprüfung der Wahl von Verwaltungsmitgliedern und Wirtschaftsprüfern43. Entscheidet sich das anordnende Gericht für eine Neuwahl, kann es u. a. Regelungen für die Zwischenzeit und zur Stimmenzählung bei der Neuwahl treffen44. Nach französischem Aktienrecht sollen die zwei Teilnehmer mit der größten Stimmmacht die Stimmen zählen45. Für die hier diskutierte Einflussnahme auf den Wert festgelegter Stimmen würde die Benennung eines separaten Prüfungsorgans wenig ändern. Das Verfahren kann implizit im Anfechtungsverfahren geprüft werden, allerdings stoßen hier Gerichte an ihre fachlichen Grenzen; zudem erweisen sich die betroffenen institutionellen Investoren als anfechtungsscheu46. Die Installation eines privaten Akteurs ist jedenfalls nicht sinnvoll, soweit sich dessen Kompetenz – wie im Fall des inspectors47 – auf die Tatsachenfeststellung beschränkt. Der Sachstreit setzt sich dann im Streit um die Unabhängigkeit der Person des Experten fort. Hier liegt ein Schwerpunkt der anglo-amerikanischen Regelungen48. Das deutsche HV-Recht kennt demgegenüber mit dem Notar eine kraft Amtes neutrale und i. d. R. kundige Tatsachenfeststellungsinstanz für streitige Fälle. Es befindet sich damit in guter Gesellschaft anderer kontinentaler Rechte49. Daran ist festzuhalten.
__________ 42 Zum Berichtsinhalt vgl. s. 347 des Companies Act 2006: „(1) The report of the independent assessor must state his opinion whether (a) the procedures adopted in connection with the poll or polls were adequate; (b) the votes cast (including proxy votes) were fairly and accurately recorded and counted; (c) the validity of members’ appointments of proxies was fairly assessed; (d) the notice of the meeting complied with section 325 (notice of meeting to contain statement of rights to appoint proxy); (e) section 326 (company-sponsored invitations to appoint proxies) was complied with in relation to the meeting. (2) The report must give his reasons for the opinions stated. …“. 43 S. 145 des Canada Business Corporation Act (CBCA). 44 S. 145 c), d) CBCA. 45 Article R 224-101 zum Code de Commerce. Bei großen Hauptversammlung kann es nur um die Überwachung der Stimmenzählung gehen. 46 Vgl. die Statistik zur Anfechtungsklage von Vermeulen & Zetzsche, The Use and Abuse of Investor Suits: An Inquiry into the Dark Side of Shareholder Activism, European Company & Financial Law Review 2010, 1, 50 ff. 47 Vgl. American Bar Association – Section of Business Law, Handbook for the Conduct of Shareholders‘ Meetings, 2000, S. 41: „The inspectors‘ role … is ministerial in nature, and, as a consequence, inspectors should not pass judgment on the ultimate validity of any appointment form …“. 48 Vgl. zum britischen independent assessor ss. 344, 345 Companies Act 2006; § 231 (a) des Delaware General Corporation Law und § 7.29 (a) des Revised Model Business Corporation Act sehen eine Pflicht zur Vereidigung (!) vor. 49 Z. B. für alle Beschlussgegenstände Österreich (§ 120 Abs. 1 öAktG), für Änderungen der Statuten und des Grundkapitals die Schweiz (Art. 647, 650 OR) und die Niederlande (Buch 2:124 des Burgerlijk Wetboek), für außerordentliche Hauptversammlungen Italien (Art. 2375 Abs. 2 des Codice Civile).
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2. Begrenzung des Organisationsermessens? Statt Einbindung Gesellschaftsfremder könnte man die Grenzen des Organisations- und Leitungsermessens der Verwaltung gesetzlich fixieren. Dies geht statutarisch bereits de lege lata50. Mit weiterer Erkenntnis der Problematik dürfte die Kommission Deutscher Corporate Governance Kodex Empfehlungen für Hauptversammlungen mit entscheidungsoffenen Tagesordnungspunkten entwickeln. Weitere gesetzgeberische Maßnahmen sind nicht erforderlich. Auch ist die Effizienz restriktiver Vorgaben zu bezweifeln, weil die Materie stark einzelfallbezogen ist. Diese Einschätzung bestätigt der rechtsvergleichende Befund: Die Versammlungsleitung wird überwiegend mit wertungsoffenen Grundprinzipien, ohne Details geregelt51. 3. Offenlegungspflicht? Das Einflusspotential gründet sich auf einen Informationsvorteil. Naheliegend scheint deshalb eine Offenlegungspflicht für festgelegte Stimmen gemäß der Prämisse, Publizität unterwerfe die Verwaltung einem wünschenswerten Legitimationsdruck. Abzulehnen ist die Offenlegung im Vorfeld der HV. Sie bewirkte weitere Organisationspflichten unter hohem Zeitdruck kurz vor der Hauptversammlung und riefe die Frage nach der Rechtsfolge von Fehlangaben hervor. Zudem droht die Gefahr der Manipulation durch Aktionäre, indem diese Stimmfestlegungen bewusst zurückhalten. Aber auch eine Feststellung der festgelegten Stimmen vor jeder Abstimmung und Offenlegung analog § 130 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 6 AktG überträfe in der Mehrheit der Fälle das gewünschte Ergebnis, in denen nicht entscheidungsoffen abgestimmt wird. Zur Regelung von Einzelfällen ist das breite Schwert des mandatory disclosure zu kostenintensiv. Allenfalls zu erwägen ist eine Offenlegungspflicht nach dahingehendem Antrag einer bedeutenden Aktionärsminderheit (analog § 122 Abs. 1 AktG). Dabei handelte es sich aber um ein Novum: Auch bei der ortsgebundenen Versammlung kann kein Aktionär überprüfen, ob mit technischen Hilfsmitteln erfasste Stimmen korrekt gezählt und gewertet wurden. 4. Modernisierung des Teilnehmerverzeichnisses Reformbedürftig ist das Teilnehmerverzeichnis. Die Vorschrift des § 129 AktG trägt den in der letzten Dekade entwickelten Teilnahmeformen weder zeitlich noch inhaltlich Rechnung. Findet die Entscheidung teilweise im Vorfeld statt und hält man das Teilnehmerverzeichnis für eine wichtige Information, muss diese bereits vor der ortsgebundenen Versammlung zur Verfügung stehen. Vor-
__________ 50 Insbesondere für die gebotene Vorabinformation, die Abstimmungsform gemäß § 134 Abs. 4 AktG sowie die Ausgestaltung der Briefwahl und elektronischen Teilnahme gemäß § 118 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AktG. 51 Vgl. zu fairness und good faith als Leitprinzipien des US-case laws American Bar Association – Section of Business Law, Handbook for the Conduct of Shareholders‘ Meetings, 2000, S. 17 f., 22 f.
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bilder sind die Aktionärslisten nach US- und französischem Recht52. Das von den Gesellschaften bereits heute erstellte Verzeichnis der angemeldeten Stimmen sollte ab dem Anmeldeschluss allen Aktionären zugänglich sein. Der Inhalt des Verzeichnisses ist um Briefwähler, die nicht im Rechtssinn teilnehmen, zu ergänzen und nach Teilnahmeformen, zudem vertretene Stimmen nach der Person des (institutionellen) Vertreters zu gliedern. Bei der Ausgestaltung könnte man sich am österreichischen AktG und französischen Code de Commerce orientieren53. Bei dieser Gelegenheit ist die Vorschrift des § 129 Abs. 3 AktG zu streichen: Die auf traditionellem Wertpapierrecht gegründete, rechtspolitisch fragwürdige54 Konstruktion des Legitimationsaktionärs hat sich durch die Entwicklung zum depotgestützten Register- und Kontensystem überholt.
V. Fazit 1. Bei Reduktion der Teilhabemöglichkeiten begründet der Gedanke der Verfahrenskontinuität eine Obliegenheit zur frühzeitigen Ankündigung; ohne solche Ankündigung muss das Einberufungsorgan zumindest die gesellschaftsetablierten Teilhabemöglichkeiten anbieten. 2. Korrespondierend mit den Informationspflichten im Vorfeld der Hauptversammlung gemäß § 122 Abs. 2 i. V. m. §§ 124 Abs. 1, 125 Abs. 1 Satz 3, 126 Abs. 1, 127 AktG muss der Vorstand eine differenzierte Stimmabgabe der Aktionäre im Vorfeld der Hauptversammlung ermöglichen. 3. Der durch Stimmenfestlegung indizierte mutmaßliche Wille der ortsfernen Aktionäre ist im Rahmen der Versammlungsleitung zu berücksichtigen. Er steht Verfahrensentscheidungen des Versammlungsleiters und Aktionärsanträgen entgegen, die zur Nichtberücksichtigung festgelegter Stimmen führen, und ist bei der Ermittlung von Quoren und der Abstimmung über Geschäftsordnungsanträge einzubeziehen.
__________ 52 § 219 (a) des Delaware General Corporation Law; § 7.20 (a) des Revised Model Business Corporation Act der American Bar Association (3rd Ed., 2002/2005); Art. L225-116 Code de Commerce und Art. R225-90, 91 zum Code de Commerce betreffend das Verzeichnis stimmberechtigter Aktionäre (la liste des actionnaires). Das französische Recht kennt daneben ein Teilnehmerverzeichnis i. e. S. (la feuille de presence). 53 Gemäß § 120 Abs. 3 öAktG ist ein Verzeichnis der Fernteilnehmer und Briefwähler zur Niederschrift zu nehmen. Gemäß Art. R225-95 zum Code de Commerce muss das französische Teilnehmerverzeichnis (la feuille de presence) nach Teilnahmeformen differenzieren: Nr. 1: anwesende und bei elektronischer Teilnahme als solche geltende Teilnehmer; Nr. 2: vertretene Anteilseigner; Nr. 3: Vertreter; Nr. 4: Briefwähler. Der Versammlungsleiter kann auch nur die Gesamtanzahl der Vollmachten und Briefstimmen im Teilnehmerverzeichnis angeben, muss dann aber die Vollmachten und Briefstimmen im Original zum gleichen Zeitpunkt und unter den gleichen Bedingungen wie das Teilnehmerverzeichnis zur Einsicht auslegen. 54 Vgl. (für Namensaktie) Noack, Neues Recht für Namensaktionäre – Zur Änderung des § 67 AktG durch das Risikobegrenzungsgesetz, NZG 2008, 721.
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4. Eine festgelegte Stimmabgabe ist bei Abweichung von dem bekannt gemachten Prozedere nicht prozedural, sondern gemäß dem mutmaßlichen Aktionärsinteresse zu berücksichtigen. Dem mutmaßlichen Aktionärsinteresse ist ohne weiteres Zutun des Aktionärs oder Vertreters – unabhängig von den konkreten Bedingungen der ortsfernen Stimmausübung – Rechnung zu tragen. Nur wenn kein mutmaßliches Interesse erkennbar ist, ist eine Enthaltung geboten. Das mutmaßliche Interesse kann statutarisch oder in der HV-Geschäftsordnung definiert werden. 5. De lege ferenda sind die Bestimmungen zum Teilnehmerverzeichnis (§ 129 AktG) anzupassen. Die hier untersuchte Problematik des Umgangs mit festgelegten Stimmen zeigt, dass die herkömmliche Auffassung überholt ist, wonach am Tag der HV die Entscheidungen fallen. Jedenfalls bei den börsennotierten Gesellschaften ist das bisherige Vorfeld zum aktuellen Hauptfeld geworden, denn die hier beschriebenen Festlegungen werden zwischen Einberufung und HV-Termin getroffen. Mit der Verbreitung der Briefwahl wird dieser Paradigmenwechsel offenkundig. Die aktienrechtliche Ordnung ist auf den „Abschied vom Modell Landsgemeinde“55 noch nicht hinreichend vorbereitet. Ein Beitrag zur Weiterentwicklung der Rechtsvorstellungen auf diesem Gebiet könnte, so die Hoffnung der Verfasser, dem intensiv mit den Neuerungen im Wirtschaftsleben befassten Uwe H. Schneider gefallen.
__________ 55 Hofstetter, Von der „Landsgemeinde“- zur „proxy“-Generalversammlung: Vorschläge für einen Paradigmenwechsel in der Schweiz. Analoge Anregungen zur deutschen Hauptversammlung, ZGR 2008, 560 ff.
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Die Existenzvernichtungshaftung und das Beweisrecht Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Das zentrale Problem der Beweisführung über die Insolvenzverursachung 1. Zwei Schutzlücken – ein Haftungsinstitut 2. Die Verantwortung des Gesellschafters für einen Gesamtschaden 3. Das Kausalitätsproblem bei der Insolvenzverursachung III. Die beiden Beweiserleichterungen bei der Führung des Kausalitätsbeweises 1. Die Reduktion des Beweismaßes durch den Nachweis der Insolvenzvertiefung
2. Der Anscheinsbeweis für die Insolvenz als Begleitschaden IV. Folgerungen 1. Notwendige Beschränkung auf die Vorsatzhaftung 2. Notwendigkeit einer Binnenhaftung V. Das Problem der fehlenden Isolierbarkeit von Abflüssen ohne Gesellschaftereingriff VI. Ergebnis
I. Einleitung An Ausführungen zur Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs besteht wahrlich kein Mangel, und gerade der Jubilar hat bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt Maßgebliches zum Thema beigetragen1. Dennoch erzwingen das rasch anwachsende Fallmaterial2 und die ständig neu auftretenden Streit-
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1 Uwe H. Schneider, BB 1981, 249, 259. 2 Als existenzvernichtender Eingriff wurden geprüft: die Konditionen eines Management-Vertrages und einer Sicherungsübereignung (BGHZ 173, 246 = NJW 2007, 2689 – Trihotel); die unzureichende Ausgestaltung des Kapitals einer Beschäftigungsgesellschaft (BGHZ 176, 204 = NZG 2008, 547 – Gamma); Kündigung eines Absatzmittlungsvertrags der GmbH (BGH, NZG 2008, 187); das Inkasso von GmbH-Forderungen über ein Gesellschafterkonto (BGH, NZG 2008, 597); die Vereitelung der prozessualen Geltendmachung von Schadensersatzforderungen gegen den Geschäftsführer (BGHZ 179, 344 = NZG 2009, 545 – Sanitary; OLG Celle, NZG 2010, 181); die Führung eines Vereins wie eine Betriebsabteilung (BGH, NZG 2008, 670); das Stehenlassen eines Darlehens der Komplementär-GmbH bei der KG (OLG Frankfurt, Urt. v. 3.7.2009 – 25 U 75/08 [Juris], Rz. 43 ff.); der Ausschluss der GmbH von einem Cashpool (OLG Köln, NJW-Spezial 2009, 369); die Zahlung eines Geschäftsführermonatsgehalts von 6.550,– DM (OLG Brandenburg, Urt. v. 3.6.2009 – 6 U 56/08 [Juris], Rz. 87 ff., 98); eine Generalbereinigung zwischen Geschäftsführer und Alleingesellschafter über gegenseitige Forderungen (OLG Köln, Urt. v. 7.8.2008 – 18 U 55/06 [Juris], Rz. 52 ff.); die Veräußerung von Vermögensgegenständen und des Kundenstamms (OLG München, Urt. v. 20.5.2009 – 7 U 3724/08 [Juris], Rz. 90 ff.); die schlichte Insolvenz ohne besondere Anhaltspunkte, weil die GmbH zuvor unberechtigte Bauträgervorschüsse vereinnahmt hatten (OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.10.2008 – I-23 U 36/08 [Juris], Rz. 103 ff. und Urt. v. 14.10.2008 – I-23 U 5/08 [Juris], Rz. 92 ff.).
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fragen3 weiterhin eine präzise Systembildung, soll das Institut nicht die traurige Nachfolge der §§ 32a, 32b GmbHG a. F. antreten und künftig auf sämtliche Erscheinungsformen menschlichen Erwerbstriebs bis ins Detail durchdekliniert werden. Die folgenden Überlegungen wollen dazu einen Beitrag durch die These leisten, dass die Existenzvernichtungshaftung vor allem auf zwei Beweiserleichterungen beruht, deren nähere Konkretisierung den eigentlichen Sachkern der Debatte ausmacht. Die Darstellung beginnt mit einer Erörterung der beiden durch §§ 30, 31 GmbHG eröffneten Schutzlücken, die den Ausgangspunkt der Trihotel-Entscheidung bilden (II. 1.), analysiert das zentrale Problem der Führung des Kausalitätsbeweises (II. 2. und 3.) und zeigt, wie die Rechtsprechung diesen durch eine Beweismaßreduzierung (III. 1.) und einen Anscheinsbeweis (III. 2.) erleichtert. Nach einem kurzen Hinweis auf zwei dogmatische Folgerungen (IV.) runden Überlegungen zum systematischen Verhältnis zur Geschäftsführerhaftung wegen Insolvenzverschleppung das Bild ab (V.).
II. Das zentrale Problem der Beweisführung über die Insolvenzverursachung 1. Zwei Schutzlücken – ein Haftungsinstitut Der Zweck der neu geschaffenen Haftung beruht auf ihrer Funktion, Schutzlücken im Bereich der §§ 30, 31 GmbHG zu schließen4. Gemeint sind damit „Eingriffe des Gesellschafters, die als solche oder deren Folgen in der für § 30 GmbHG maßgeblichen Stichtagsbilanz zu fortgeführten Buchwerten nicht oder nur ungenügend abgebildet werden, so dass die Schutzfunktion der Kapitalerhaltungsvorschriften von vornherein versagt; ferner geht es um solche Eingriffe, bei denen eine Rückgewähr nach § 31 GmbHG allein die Insolvenz nicht mehr zu beseitigen vermag …“. Äußerlich betrachtet, scheint ein Haftungsinstitut zwei Schutzlücken zu schließen. Nicht unproblematisch könnten so einem Haftungstatbestand auch zwei Schutzzwecke zugrunde liegen. Hält man daher beide Schutzlücken zunächst gedanklich auseinander, fällt auf, dass sich die älteren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vor allem auf die erste Art von Lücke beziehen. Dort scheitern Ansprüche der GmbH gegen ihren Gesellschafter aus § 31 Abs. 1 GmbHG, weil die Eingriffe des Gesell-
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3 Vgl. die systematische Abgrenzung zur Geschäftsführerhaftung nach § 64 Satz 3 GmbHG (Strohn, ZHR 173 [2009], 589 ff.) und § 823 Abs. 2 BGB, § 15a InsO (Haas, GmbHR 2010, 1, 7 f.); die sich abzeichnende Abgrenzung zwischen einfachen Managementfehlern (Gehrlein, WM 2008, 761, 762; Goette, DStR 2007, 1593, 1594) und existenzvernichtendem Eingriff; die Rechtmäßigkeit von Realteilungen (Dauner-Lieb, DStR 2006, 2034, 2038; Kölbl, BB 2009, 1194, 1196; Weller, ZIP 2007, 1681, 1684); die Frage, welche Zuflüsse aus dem Gesellschaftervermögen als Kompensation für einen zuvor erfolgten Eingriff anerkannt werden (BGH, NZG 2008, 597); die Behandlung von Auslandsgesellschaften (Goette, ZIP 2006, 541; Krolop, NotBZ 2007, 265; Paefgen, DB 2007, 1907, 1912; Staudinger, AnwBl. 2008, 316) usw. 4 Dazu und zum folgenden Zitat BGHZ 173, 246 = NJW 2007, 2689, 2690 f. – Trihotel; ferner Goette, ZInsO 2007, 1177, 1181 f.; Röhricht in FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 83, 92 ff.; Strohn, ZInsO 2008, 706, 707.
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schafters in das Gesellschaftsvermögen in der Ausschüttungsbilanz nicht ausreichend abgebildet sind. Dafür lassen sich zwei Gründe vorstellen: Entweder ist die Stichtagsbilanz gar nicht geeignet, eine bestimmte Art von Eingriffen abzubilden, oder dies ist tatsächlich nicht möglich, weil die Gesellschaft die einschlägigen Belege nicht sorgfältig aufbewahrt oder die Vorgänge nur lückenhaft aufgezeichnet hat. Die frühen Entscheidungen lehren, dass beide Fälle vorkommen: In der Autokran-Entscheidung steht ein Leasinggeber sieben insolventen, als GmbH verfassten Leasingnehmern gegenüber, die von denselben Gesellschaftern gehalten werden. Im Entscheidungstext heißt es: „Dieser Sachverhalt enthält zunächst eine Anzahl von Behauptungen, mit denen jeweils eine bezifferbare Schmälerung des Vermögens einzelner Leasingnehmer-Gesellschaften durch bestimmte nachteilige Einzeleingriffe des Beklagten zu 1 dargelegt worden ist …“ Das Gericht geht indes keiner dieser Behauptungen näher nach, sondern kommt nach einem längeren obiter dictum auf das eigentliche Problem zu sprechen, dass „der Beklagte zu 1 die Leasingnehmer-Gesellschaften mit einer kaum zu übertreffenden Dichte seines Einflusses einheitlich geleitet hat. Aus der von ihm veranlaßten, nahezu lückenlosen Zentralisierung der Geschäftsführungsaufgaben für alle Gesellschaften und dem Einsatz ihrer Betriebsmittel nach Maßgabe des jeweiligen Konzernbedarfs ohne Rücksicht auf ihre vermögensmäßige Zuordnung zum Vermögen der jeweiligen Gesellschaften … ist außerdem zu ersehen, daß er die einzelnen Gesellschaften praktisch wie bloße Betriebsabteilungen eines einheitlichen Unternehmens organisiert und behandelt hat“5. Die weiteren Entscheidungsgründe verhalten sich im Hinblick auf die konkreten Nachweisschwierigkeiten leider etwas einsilbig, doch dürften vor allem die hohe Zahl der Vermögenstransaktionen, ihre dichte zeitliche Folge und das ständige Hin- und Herschieben von Zu- und Abflüssen zwischen den sieben GmbH Schwierigkeiten bei der Beurteilung bereiten, ob im Einzelfall tatsächlich ein Abfluss aus dem Gesellschaftsvermögen an den Gesellschafter nach § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG stattgefunden hat und ob dessen Folgen später durch einen Vermögenszugang nach § 31 Abs. 1 GmbHG kompensiert wurden. Bildhafter noch erscheint der TBB-Fall, in dem der maßgebliche Gesellschafter-Geschäftsführer sieben GmbH einem einheitlichen Cashmanagementsystem unterwarf, im Rahmen dessen sie einer Bank gesamtschuldnerisch für ein Kreditvolumen von rund 7 Mio. Euro hafteten. Anlässlich der zahlreichen Clearingvorgänge und Glattstellungen bedarf es nur geringer Fantasie, sich auszumalen, dass „sich in bestimmten Konzernlagen wegen der infolge der Dichte der Einflußnahme des herrschenden Unternehmens unübersichtlich gewordenen Verhältnisse einzelne schädigende Eingriffe nicht mehr isolieren lassen“6. Der Fall der Videoentscheidung belegt die zweite Ursache für das Versagen der Stichtagsbilanz: Der beklagte Gesellschafter führte den Niedergang der Gesellschaft auf Forderungsausfälle gegen Dritte in Millionenhöhe zurück. Diese waren im Nachhinein offensichtlich nur schwer
__________ 5 BGHZ 95, 330 = NJW 1986, 188, 190 – Autokran – im Anschluss an die Überlegungen des Arbeitskreises GmbH-Reform, Thesen und Vorschläge zur GmbH-Reform, Band 2, 1972, S. 59 und 67. 6 BGHZ 122, 123 = NJW 1993, 1200, 1202 – TBB.
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zu verifizieren, weil entsprechende Rückstellungen in der Bilanz und wohl auch Aufzeichnungen über die Vorgänge fehlten7. So entstand zwischen den Parteien Streit darüber, ob überhaupt ein Mittelabfluss in größerem Umfang stattgefunden hatte oder die Insolvenz der GmbH auf anderen Ursachen beruhte. Zur Revisionsinstanz gelangt dagegen wohl nie der praktisch relevantere Fall einer insolventen GmbH mit großem Fehlbestand, deren Ursachen deshalb nicht aufzuklären sind, weil in der kritischen Phase die Belege nicht oder nur in chaotischem Durcheinander aufbewahrt und keine Bücher geführt wurden. 2. Die Verantwortung des Gesellschafters für einen Gesamtschaden Dass sich die Vorgänge im Vorfeld der Insolvenz nicht mit Hilfe der Rechnungslegung der GmbH klären lassen, hat in jedem dieser Fälle eine einfache Konsequenz: Sicher identifizierbar ist nur ein Gesamtschaden (vergleichbar dem in § 92 Satz 1 InsO erwähnten), den die Gläubiger der GmbH durch eine Verminderung des Gesellschaftsvermögens erleiden. Aus diesem der Höhe nach feststehenden Fehlbestand lassen sich hingegen keine einzelnen verbotenen Ausschüttungen isolieren (§ 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG) und auf das Wirken des Gesellschafters zurückführen8. Dies führt zur Frage, ob und unter welchen rechtlichen Voraussetzungen der Gesellschafter für den Gesamtschaden Verantwortung tragen muss. Darauf wurden in der Vergangenheit eine Reihe von Antworten gegeben, die hinlänglich bekannt sind9: Die Haftung wurde zunächst aus der konzernrechtlichen Verantwortung des Gesellschafters begründet, womit der Gesamtschaden in vollem Umfang der Differenzhaftung des § 302 AktG unterfiel10. Später lieferte die Durchgriffshaftung wegen der Vermischung von Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen einen neuen Weg, dem Gesellschafter den Gesamtschaden zuzurechnen, weil in ihrem Rahmen sämtliche gegen die GmbH gerichteten Forderungen nun auch gegen den Gesellschafter geltend gemacht werden konnten11. Beide Ansätze teilten jedoch dasselbe Problem: Der umfassenden Rechtsfolge ließ sich kein klar abgrenzbarer Tatbestand vorschalten; das Prinzip der Haftungsbeschränkung (§ 13 Abs. 2 GmbHG) erfordert es indes, dass die Gesellschafterhaftung für den Gesamtschaden der GmbH die Ausnahme, nicht aber die Regel bildet12. Deshalb empfahl sich ein neuer Weg, dem Gesellschafter den Gesamtschaden zuzurechnen:
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7 BGHZ 115, 187 = NJW 1991, 3142, 3144 – Video. 8 § 31 Abs. 1 GmbHG funktioniert nur in Ausnahmefällen wie „Bremer Vulkan“, wo ein einziger riesiger Vermögensbetrag unstreitig aus dem Vermögen der GmbH in das ihrer Gesellschafterin transferiert wird und dort auf im Einzelnen schwer zu klärende Weise verschwindet: BGHZ 149, 10 = NJW 2001, 3622 – Bremer Vulkan; Altmeppen, ZIP 2001, 1837, 1839, rechte Spalte unten. 9 Vgl. zunächst nur den Überblick bei Habersack, ZGR 2008, 533 ff. 10 BGHZ 122, 123, 124 = NJW 1993, 1200 – TBB; BGH, NJW 1994, 446 – ETC; BGH, NJW 1994, 3288, 3289; BGHZ 95, 330 = NJW 1986, 188 – Autokran; BGHZ 115, 187 = NJW 1991, 3142 – Video. 11 Vgl. nur BGHZ 151, 181 = NJW 2002, 3024, 3025 – KBV; dazu auch Röhricht in FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 83 ff. 12 Dazu etwa Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34, 39; Paefgen, DB 2007, 1907, 1908; Röhricht in FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 83, 98 f.; Zöllner in FS Konzen, 2006, S. 999, 1108 f.
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Die Haftung konnte darauf beruhen, dass der Gesellschafter die Insolvenz der GmbH pflichtwidrig verursacht hatte. Darin liegt der Ursprung der Lehre vom existenzvernichtenden Eingriff. 3. Das Kausalitätsproblem bei der Insolvenzverursachung Der Vorwurf der Insolvenzverursachung beruht indes wie die Haftung aus § 826 BGB überhaupt auf Verhaltensunrecht und teilt so mit § 31 Abs. 1 GmbHG das grundlegende Beweisproblem: Es muss der Nachweis geführt werden, dass der Gesamtschaden kausal auf ein rechtswidriges Verhalten des Gesellschafters zurückzuführen ist. Denn § 826 BGB setzt unstreitig voraus, dass der Vermögensschaden kausal durch den vorsätzlich begangenen Sittenverstoß verursacht ist13. An dieser kritischen Stelle unterscheiden sich nun die Fälle des existenzvernichtenden Eingriffs von unproblematischeren Konstellationen schlichter Ausplünderung, die ebenfalls unter § 826 BGB subsumierbar sind (vgl. noch unten III. 2.). In einer kritischen Erörterung der Gamma-Entscheidung wurde etwa der Fall eines Pferdezuchtbetriebs zur Diskussion gestellt, bei dem der maßgebliche Gesellschafter sämtliche Zuchtpferde schlicht verhungern lässt und dadurch die Insolvenz der GmbH verursacht14. Dass der Gesellschafter hier eine Rücksichtnahmepflicht gegenüber seiner Gesellschaft verletzt hat, ist aber ebenso unproblematisch wie die Kausalität seines Verhaltens für die nachfolgende Insolvenz der GmbH. In solchen Konstellationen kommt übrigens auch § 823 Abs. 1 BGB in Betracht, weil anknüpfend an die Eigentumsverletzung (die dem Eingriff in den Gewerbebetrieb vorgeht) die Insolvenz im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität aufgrund eines einfachen Adäquanzurteils als weiterer Vermögensschaden zugerechnet werden kann. In den Fällen des existenzvernichtenden Eingriffs ist ein vergleichbares Adäquanzurteil indes nicht ohne weiteres möglich.
III. Die beiden Beweiserleichterungen bei der Führung des Kausalitätsbeweises Im Sachverhalt der Trihotel-Entscheidung verschlechterte sich die Lage der betroffenen GmbH über drei Jahre bis hin zum völligen Zusammenbruch. Selten lässt sich ein solcher Geschehensablauf jedoch auf eine einzige Ursache zurückführen, und gerade dies erschwert den Beweis, dass ein bestimmter vorsätzlicher Sittenverstoß des Gesellschafters für den Schaden der Gesellschaft (fehlende Schuldendeckungsfähigkeit) kausal wurde15. Dieser Schwierigkeit begegnet der Bundesgerichtshof durch zwei Beweiserleichterungen. Beide lassen sich zunächst nur schwer erkennen, weil es in der Entscheidungsbegründung unmissverständlich heißt, „dass die Gesellschaft als Gläubigerin die Dar-
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13 BGH, NZG 2008, 386 – Comroad VIII, Rz. 15; Oechsler in Staudinger, BGB, 13. Aufl., 3. Bearbeitung 2009, § 826 Rz. 60. 14 Erdacht von Waclawik, DStR 2008, 1486, 1488; dazu ähnlich wie hier Weber/Sieber, ZInsO 2008, 952, 955. 15 So BGHZ 179, 344 = NZG 2009, 545, 547 – Sanitary.
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legungs- und Beweislast für alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des Delikts trägt“16. Die Rechtsfolgen beider Institute sind jedoch systematisch im Beweisrecht angesiedelt: Denn einerseits reduziert das Erfordernis der Insolvenzvertiefung das Beweismaß in einer an § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB gemahnenden Weise (unten III. 1.) und andererseits hilft der Gesellschaft ein Anscheinsbeweis, der an die Schadensneigung des Eingriffs anknüpft (unten III. 2.). 1. Die Reduktion des Beweismaßes durch den Nachweis der Insolvenzvertiefung Vergleichbar den Fällen des § 64 Satz 1 GmbHG haftet der Gesellschafter nach § 826 BGB auch für Insolvenzvertiefung17. Allerdings besteht ein gewichtiger Unterschied: Nach § 64 Satz 1 GmbHG haftet der Geschäftsführer nur auf die nach Überschuldung erfolgte Zahlung, also seinen eigenen Vertiefungsbeitrag. Bei der Existenzvernichtungshaftung hingegen begründet die Insolvenzvertiefung eine Verantwortung für den vollständigen insolvenzbedingten Gesamtschaden. Das Konzept einer Haftung für Insolvenzvertiefung mag Parallelen zum amerikanischen Tort of Deepening Insolvency aufweisen18. Diese sind jedoch weniger interessant als die damit einhergehende praktische Reduzierung des Beweismaßes: Der Nachweis der Insolvenzvertiefung gelingt ja im Extremfall schon dann, wenn sich ein bestimmtes Gesellschafterverhalten nicht hinwegdenken lässt, ohne dass das aktuelle Ausmaß des Vermögensverfalls der GmbH entfällt, nicht aber die Insolvenz überhaupt. Es versteht sich, dass auch die Rechtsprechung nicht so weit geht, sondern eine erhebliche Vertiefung der Insolvenz voraussetzt19. Der zugrunde liegende Regelungsgedanke erinnert dabei systematisch an § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB. Diese Norm reduziert bekanntlich das Beweismaß für die Kausalität20 in Fällen, in denen auf den Geschädigten gleich mehrere Nebentäter eingewirkt haben und deshalb die Ursächlichkeit einzelner Tatbeiträge nicht ermittelt werden kann. An Stelle der Kausalität des Täterverhaltens muss das Opfer daher vier Voraussetzungen nachweisen: (1) Die eigenen Beweisschwierigkeiten müssen aufgrund des Wirkens mehrerer Beteiligter bestehen, (2) wobei die Ursachenzusammenhänge tatsächlich nicht aufzuklären sind; (3) jeder Beteiligte (auch der in Anspruch Genommene) hätte dabei potentiell
__________ 16 BGHZ 173, 246 = NJW 2007, 2689, 2693 – Trihotel. 17 Ausdrücklich BGHZ 173, 246 = NJW 2007, 2689, 2690 – Trihotel, Rz. 16: Existenzvernichtungshaftung als „Haftung des Gesellschafters für missbräuchliche, zur Insolvenz der Gesellschaft führende oder diese vertiefende ‚kompensationslose‘ Eingriffe …“. 18 Dazu Thole, ZIP 2007, 1590 ff. 19 So zu Recht OLG Thüringen, ZIP 2007, 1758. 20 So Wagner in Münchener Kommentar, BGB, 5. Aufl. 2009, § 830 Rz. 31. Der BGH hat sie zwischenzeitlich auch als Haftungstatbestand angesehen: BGHZ 72, 355, 358 = NJW 1979, 544 und NJW 1994, 932, 934, was nur schwer überzeugen kann. Auch dazu Wagner, a. a. O., Rz. 28.
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ursächlich werden können und (4) sämtliche Beteiligte haben in einem örtlich und zeitlich einheitlichen Vorgang agiert21. Diese Voraussetzungen finden sich im Tatbestand der Insolvenzvertiefung zum großen Teil wieder: Auch im Trihotel-Fall beruht die Beweisschwierigkeit darauf, dass die Insolvenz nicht nur auf eine Ursache und damit einen bestimmten Urheber zurückgeführt werden kann. In anderen Konstellationen würde der Gesellschafter sehr wahrscheinlich nicht auf den kompletten Gesamtschaden haften, etwa wenn sich beweisen ließe, in welchem Umfang genau seine Handlung der GmbH geschadet hat: Weist deren Vermögen im Zeitpunkt des Gesellschafterhandelns beispielsweise bereits eine Unterdeckung von 1 Million Euro auf, und beschränkt sich der Eingriff des Gesellschafters auf eine Vertiefung um weitere 100.000 Euro, kann eine Verantwortung für den Gesamtausfall von 1.100.000 Euro mit Blick auf § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB nur schwer begründet werden. In Konstellationen dieser Art liegt nämlich die zweite Voraussetzung der Norm nicht vor: Die Ursachenzusammenhänge können hier ja zweifelsfrei aufgeklärt werden. Die an eine Insolvenzvertiefung anknüpfende Existenzvernichtungshaftung zielt hingegen auf Fälle, in denen neben das Gesellschafterverhalten eine Reihe weiterer Faktoren tritt, die kombiniert in einem zeitlich-räumlichen Zusammenhang die Insolvenz auslösen. Allerdings wird bei der Insolvenzvertiefung – und dies kann man im systematischen Vergleich zu § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB kritisieren – nicht geprüft, welche anderen möglichen Urheber an der Insolvenz der GmbH mitgewirkt haben und ob auch sie potenziell ursächlich hätten werden können. Jedoch wird auch hier wie in § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB die potenzielle Urheberschaft des in Anspruch Genommenen vorausgesetzt. Denn führt man die Parallelen zu § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB fort, folgt eine entscheidende Erkenntnis für die notwendige Erheblichkeit der Insolvenzvertiefung. Diese dürfte vorliegen, wenn der Gesellschafter aufgrund seines Ursachenbeitrags potenziell auch als Alleintäter in Betracht käme. Oder anders formuliert: Im Rahmen einer hypothetischen Betrachtungsweise erscheint die durch einen Gesellschafter bewirkte Insolvenzvertiefung erheblich, wenn sich alle anderen Ursachen hinwegdenken lassen, ohne dass die Insolvenz der GmbH entfällt. Hier soll nicht verschwiegen werden, dass das Institut der Insolvenzvertiefung noch eine zweite Schutzrichtung dadurch entfalten kann, dass es die in Liquidation oder Insolvenz befindliche GmbH vor Gesellschaftereingriffen ebenso schützt wie die werbende22. Die mit dem Begriff verbundene Erleichterung des Beweismaßes lässt sich indes ebenso wenig leugnen. Sie wird in ihrer Wirkung noch durch einen Anscheinsbeweis verstärkt.
__________ 21 Vgl. etwa BGHZ 72, 355, 358 = NJW 1979, 544; Eberl-Borges in Staudinger, BGB, 13. Aufl., 3. Bearbeitung 2008, § 830 Rz. 67 ff.; Wagner (Fn. 20), § 830 Rz. 36 ff., der das Erfordernis des örtlichen und zeitlichen Zusammenhangs zu Recht kritisch beurteilt (a. a. O., Rz. 52). 22 So aber BGHZ 179, 344 = NZG 2009, 545, 548 – Sanitary; Heitsch, ZInsO 2007, 961, 965.
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2. Der Anscheinsbeweis für die Insolvenz als Begleitschaden Nur die erhebliche Insolenzvertiefung wirkt haftungsbegründend (oben III. 1.), und davon ist in Anlehnung an § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB auszugehen, wenn alle Tatbeiträge außer dem des Gesellschafters hinweggedacht werden können, ohne dass die Insolvenz entfällt. Auch dieser Nachweis ist allerdings praktisch nur schwer zu führen, weil alle Ursachen einer Insolvenz selten überblickt werden und über alternative Kausalverläufe dieser Art unendlicher Streit geführt werden kann. Deshalb hilft die Trihotel-Entscheidung mit einer weiteren Beweiserleichterung, einem Anscheinsbeweis. In dem komplizierten Geflecht aus Vereinbarungen, Eingriffen und Strukturmaßnahmen, dem die über drei Jahre finanziell verfallende GmbH unterworfen war, stellt der Bundesgerichtshof nämlich auf einen Einzelumstand ab: Die GmbH musste einen Managementvertrag mit einer weiteren, vom eigenen Gesellschafter kontrollierten GmbH abschließen, in dem eine Managementvergütung von 60 % vereinbart wurde. Der Bundesgerichtshof, der die Sache an die Berufungsinstanz zur weiteren Tatsachenaufklärung zurückverweist, erwägt eine Haftung des Gesellschafters für den Fall, dass „die im Vertrag vorgesehene Umsatzbeteiligung von zunächst 40 % derart unvertretbar niedrig war, dass eine Insolvenz der Schuldnerin als Folge einer solchen Unangemessenheit bereits zu jenem Zeitpunkt praktisch unausweichlich war“23. Von der betroffenen GmbH wird also nur verlangt, die Voraussetzungen eines Erfahrungssatzes zu beweisen: Wird bewiesen, dass die Gehaltsvereinbarung nicht dem Branchenüblichen entspricht und sie auch nicht durch die Verteilung der Betriebskosten zwischen GmbH und Managerin gerechtfertigt ist24, spricht ein Erfahrungszusammenhang dafür (das Gericht verwendet die Worte „praktisch unausweichlich“25), dass diese neben anderen Ursachen die Insolvenz vertieft hat. Dieser Erfahrungssatz erhält wiederum besonderes Gewicht, wenn man davon ausgeht, dass der Täter keinen Entlastungsbeweis führen darf, dass auch bei eigenem rechtmäßigem Handeln die Insolvenz eingetreten wäre26. Die Managementvergütung im Trihotel-Fall steht wiederum beispielhaft für eine Art des Eingriffs, bei dem die Schadensneigung so groß ist, dass seine Vornahme allein bereits den Anscheinsbeweis der Insolvenzverursachung bzw. -vertiefung trägt. Es handelt sich um die Fälle, die im Zentrum der zweiten vom Bundesgerichtshof erörterten Schutzlücke stehen (oben II. 1.): Dort werden sie als Eingriffe bezeichnet, bei denen eine Rückgewähr auf der Grundlage des § 31 Abs. 1 GmbHG allein die Insolvenz nicht mehr beseitigen kann. In diesem Zusammenhang erscheint die Insolvenz als ein unbedingt zu beseiti-
__________ 23 24 25 26
BGHZ 173, 246 = NJW 2007, 2689, 2694 – Trihotel. So die Kriterien in BGHZ 173, 246 = NJW 2007, 2689, 2694 – Trihotel. BGHZ 173, 246 = NJW 2007, 2689, 2694 – Trihotel, Rz. 50. So Paefgen, DB 2007, 1907, 1909; Schaefer/Steinmetz, WM 2007, 2265, 2269; J. Vetter, BB 2007, 1965, 1968. Die Rechtsprechung lässt allerdings eine Entlastung zu, wenn der mit dem Eingriff verbundene Abfluss aus dem Gesellschaftsvermögen später durch den Gesellschafter kompensiert wird: BGH, NZG 2008, 597.
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gender Begleitschaden (Kollateralschaden)27. Eines der ersten höchstrichterlich entschiedenen Beispiele stellt der KBV-Fall28 dar: Der Gesellschafter übernimmt sämtliche Schulden seiner GmbH gegen Übertragung des gesamten Aktivvermögens der Gesellschaft, wobei dieses die Schulden um 300.000 DM an Wert übersteigt29. Ein neueres Beispiel liefert der Sanitary-Fall: Der Geschäftsführer vereitelt, dass die in Liquidation befindliche GmbH gegen ihn eine Schadensersatzforderung in fünfstelliger Höhe durchsetzt, indem er dem Prozessbevollmächtigten der GmbH im entscheidenden Moment die Vollmacht entzieht, so dass die Klage der GmbH durch Versäumnisurteil abgewiesen wird30. Simplere Formen der Ausplünderung sind im Anwendungsbereich des § 826 BGB seit jeher bekannt31. Weil bei ihnen die Insolvenz jedoch evidentermaßen durch das Täterverhalten verursacht wird, gelangten sie praktisch nie in die Revisionsinstanz oder fanden in der Fachöffentlichkeit kaum Beachtung. Die Fälle des existenzvernichtenden Eingriffs unterscheiden sich demgegenüber insoweit, als bei ihnen nur die haftungsbegründende Kausalität des Täterverhaltens außer Frage steht, während die haftungsausfüllende Kausalität hin zur Insolvenz der GmbH schwer nachzuweisen ist. Denn der Gesellschafter fügt der GmbH zunächst vorsätzlich und sittenwidrig einen Vermögensschaden i. S. d. § 826 BGB zu, wenn er ihr ein unangemessen hohes Managementgehalt abtrotzt (Trihotel), sie zwingt, ihre Aktiva unter Wert abzugeben (KBV), oder wenn er die prozessuale Durchsetzung einer ihr zustehenden zentralen Schadensersatzforderung vereitelt (Sanitary). Fraglich ist allerdings, ob diese Ereignisse jeweils auch die Insolvenz der betroffenen Gesellschaften ausgelöst haben. Die damit verbundene Schwierigkeit, den Beweis über die Voraussetzungen der haftungsausfüllenden Kausalität zu führen, spiegelt das Ausgangsproblem sämtlicher Fälle der Existenzvernichtungshaftung wider und führt zum Ausgangspunkt der Überlegungen zurück (oben II. 2. und 3.): Stets stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen dem Gesellschafter der durch die GmbH-Insolvenz entstandene Gesamtschaden (§ 92 Satz 1 InsO) zugerech-
__________ 27 Der BGH – BGHZ 173, 246 = NJW 2007, 2689, 2691 – Trihotel – definiert den Begriff des Kollateralschadens im Sinne eines Versagens der „Grundregeln des Kapitalschutzes der GmbH“ (also der §§ 30, 31 GmbHG), „weil die eingriffsbedingte Schädigung des Gesellschaftsvermögens durch jene Primäransprüche nicht ausgeglichen werden kann, sondern deren negative Folgen darüber hinausreichen …“; zuvor Dauner-Lieb, DStR 2006, 2034, 2037 f.; Röhricht in FS 50 Jahre BGH, 2000, S. 83, 93 f.; Veil, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 2005, S. 107. 28 BGHZ 151, 181 = NJW 2002, 3024 – KBV. 29 BGH, NZG 2005, 214 – Handelsvertreter: Verkauf des Aktivvermögens an eine GmbH, die in Insolvenz geht, bevor sie den Kaufpreis entrichtet. 30 BGHZ 179, 344 = NZG 2009, 545, 546 f. – Sanitary. 31 Anschaulich OLGReport Naumburg 2001, 238: Der Alleingesellschafter lässt sich wertvollen Grundbesitz der GmbH weit unter Wert übertragen und finanziert den Erwerb zugleich durch ein Darlehen der GmbH. Das Darlehen tilgt er im Wege der Aufrechnung mit vermeintlichen Mietansprüchen gegen die GmbH. Denn dieser hat er den Grundbesitz zwischenzeitlich vermietet! Vgl. zu ähnlichen Fällen Oechsler (Fn. 13), § 826 Rz. 339b; vgl. auch die Fälle des planmäßigen Vermögensentzugs, Rz. 319 und 322.
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net werden kann. Darauf gibt der vorliegende Anscheinsbeweis eine mögliche und überzeugende Antwort: Fand im Rahmen der haftungsbegründenden Kausalität ein Eingriff mit hoher Schadensneigung statt, greift im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität ein Anscheinsbeweis, dass dieser die GmbH im Zweifel auch in die Insolvenz getrieben hat32. Wann ein Gesellschaftereingriff diese Schadensneigung zeitigt, muss bis zu einem gewissen Grad eine Frage des Einzelfalles bleiben und ist mit unvermeidbarer Rechtsunsicherheit verbunden. Doch zeigen die systematischen Zusammenhänge zur Erheblichkeit der Insolvenzvertiefung und zu § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB (oben III. 1.) mindestens so viel: Die Schadensneigung des Eingriffs muss so groß sein, dass dieser bei hypothetischer Betrachtung die Insolvenz der GmbH auch allein hätte herbeiführen können. Dies verdeutlichen gerade auch die Negativbeispiele aus der Judikatur des Bundesgerichtshofs. Durch Zulassungsbeschluss vom 7.1.2008 weist das Gericht nämlich folgenden Fall zur Aufklärung an die Berufungsinstanz zurück: Der Gesellschafter-Geschäftsführer hatte einen Absatzmittlungsvertrag (Repräsentantenvertrag) der GmbH mit einer Bank im März 1997 gekündigt und war später angeblich selbst in diesem Geschäftsbereich als Vertriebsagent der Bank aufgetreten. Auch hier stellte sich die Frage, ob der Eingriff (Kündigung des Absatzmittlungsvertrages) die Insolvenz verursacht hatte. Der Bundesgerichtshof deutet Skepsis an und gibt dem Berufungsgericht zu bedenken, „dass nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Zusammenhang mit der weitergehenden – rechtskräftigen – Klageabweisung weder eine Zahlungsunfähigkeit noch eine Überschuldung der späteren Gemeinschuldnerin vor dem 15.5.1997 vorgelegen hat und dass auch insoweit bis zu diesem Zeitpunkt die Entstehung oder Vertiefung einer Unterbilanz i. S. d. §§ 30, 31 GmbHG nicht ersichtlich ist“33. Die Faktenlage steht also offensichtlich einem Erfahrungszusammenhang zwischen Eingriff (Kündigung) und Insolvenz entgegen, so dass es an der Grundlage für einen einschlägigen Anscheinsbeweis fehlt34. Auch in einem weiteren Fall erscheint die Schadensneigung des Eingriffs schlicht nicht groß genug für einen Anscheinsbeweis: Der Gesellschafter hatte Forderungen der GmbH gegen Dritte auf seinem eigenen Konto eingezogen, worin man zunächst eine vorsätzliche Vermögensverletzung gegenüber der GmbH erkennen muss. Durch Zahlungen von diesem Konto bemühte er sich jedoch zugleich in seriöser Form um die Sanierung der GmbH, weshalb das Gericht einen existenzvernichtenden Eingriff „unter dem Blickwinkel der fehlenden Kausalität als auch der Sittenwidrigkeit verneint“35. Die Gamma-Entscheidung des Bundesgerichtshofs steht sicher unter anderen Vorzeichen (Stichwort: Unterkapitalisierung); aber auch sie fügt sich in die Systemzusammenhänge. Denn hier lag überhaupt kein Eingriff gegenüber der GmbH vor, an den ein Anscheinsbeweis hätte anknüpfen können: Der Gesellschafter hatte be-
__________
32 Ähnlich unterscheidet zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität Altmeppen, NJW 2007, 2657, 2660. 33 BGH, NZG 2008, 187, 188. 34 Ähnlich BGH, NZG 2005, 214 – Vertragshändler. 35 BGH, NZG 2008, 597, 598.
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kanntlich eine als GmbH verfasste Beschäftigungsgesellschaft finanziell unzureichend ausgestattet, so dass diese zu einem späteren Zeitpunkt in Vermögensverfall geriet. Das Gericht verneint einen existenzvernichtenden Eingriff, weil die fehlende Kapitalausstattung nur auf einem Unterlassen beruht habe und weil die Berücksichtigung einer Unterkapitalisierung bei der Gründung nicht in das System der Existenzvernichtungshaftung gehöre36. Man wird ergänzen dürfen, dass der Anscheinsbeweis für die Kausalität notwendig auf einem Eingriff mit hoher Schadensneigung beruht, der hier aber nicht vorlag. Denn das mögliche Fehlverhalten des Gesellschafters erfolgte zu einem Zeitpunkt (Errichtung der GmbH), in dem weder die GmbH (§ 11 Abs. 1 GmbHG) noch die Vor-GmbH als Rechtsträger existierte37. Es fehlt also schon an einem Rechtsträger, der Opfer eines Eingriffs hätte werden können.
IV. Folgerungen 1. Notwendige Beschränkung auf die Vorsatzhaftung Wenn die Haftung für einen existenzvernichtenden Eingriff in ihrem Kern auf eine Reduzierung des Beweismaßes für die Insolvenzverursachung und einen ergänzenden Anscheinsbeweis für die Insolvenzvertiefung zurückgeführt werden kann (oben III.), stellt sich die Frage, ob beide Rechtsfolgen notwendig an § 826 BGB gebunden sind oder ob sie nicht auch im Rahmen anderer Ansprüche zur Anwendung kommen können. Da der Gesellschafter und die GmbH in einer mitgliedschaftsrechtlichen Sonderbeziehung stehen, wird auch eine Haftung nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Diskussion gestellt, im Rahmen derer auch fahrlässige Begehung in Betracht kommt38. Allerdings besteht ein systematischer Unterschied zwischen den Sittengeboten in § 826 BGB, um deren Konkretisierung es bei der Existenzvernichtungshaftung geht, und den Pflichten nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB39. Dieser braucht hier allerdings nicht weiter vertieft zu werden, denn nicht wenige Fallgestaltungen des existenzvernichtenden Eingriffs fallen auch unter § 823 Abs. 1 BGB, weil sie zugleich eine Eigentumsverletzung oder einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellen40. Doch scheint die Beschränkung der Haftung auf den Vorsatzfall aus dem Interesse heraus gerechtfertigt, eine allgemeine Verantwortung für schlechte Unternehmensführung zu vermeiden41. Dagegen lässt sich zunächst ein systematisches Argument aus § 64 Satz 3
__________ 36 BGHZ 176, 204 = NZG 2008, 547, 548 – Gamma. 37 Die Vorgründungsgesellschaft fungiert dabei ebenfalls nicht als juristischer „nasciturus“, weil sie mit der späteren GmbH nicht identisch ist. 38 Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34, 43; Kölbl, BB 2009, 1194, 1195; M. Schwab, ZIP 2008, 341, 343; Strohn, ZHR 173 (2009), 589, 592; Weller, ZIP 2007, 1681, 1683. 39 Dazu Oechsler (Fn. 13), § 826 Rz. 15, 35, 324b. 40 Vgl. Veil, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 2005, S. 107 und Dauner-Lieb, DStR 2006, 2034, 2037 f.: Fortschaffen der für den Produktionsablauf zentralen Maschine; hier erfolgt eine Eigentumsverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB durch Besitzentziehung. 41 Paefgen, DB 2007, 1907, 1910; Oechsler (Fn. 13), § 826 Rz. 324b.
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GmbHG anführen: Der Geschäftsführer haftet ja auch bei fahrlässiger Begehung für die Insolvenzverursachung durch Zahlung an einen Gesellschafter42. Es stellt dann einen vermeintlichen Widerspruch dar, wenn der faktische Geschäftführer privilegiert haftet (§ 826 BGB), der wirkliche hingegen nicht (§ 64 Satz 3 GmbHG)43. Der Unterschied beider Haftungstatbestände erklärt aber gerade, warum die Existenzvernichtungshaftung auf Vorsatzfälle beschränkt werden muss. Denn der Geschäftsführer haftet nach § 64 Satz 3 GmbHG nur, wenn er die Insolvenz verursacht44. Dieses Erfordernis schränkt die Verantwortlichkeit des Geschäftsführers erheblich ein. Selbst wenn im Schrifttum teilweise erwogen wird, die Norm im Hinblick auf eine wesentliche Verursachung extensiv zu interpretieren45, bleibt die damit verbundene Beweiserleichterung deutlich hinter der Senkung des Beweismaßes bei der Insolvenzvertiefung und dem an die Schadensneigung anknüpfenden Anscheinsbeweis zurück46. Deswegen muss die Gesellschafterhaftung durch das Vorsatzerfordernis beschränkt werden. Denn die innere Rechtfertigung der im Falle des § 826 BGB greifenden Erleichterungen liegt gerade in der Gefährlichkeit des vorsätzlich unternommenen Eingriffs. Beweiserleichterungen, die an ein rechtswidriges Täterverhalten anknüpfen, gründen nämlich grundsätzlich auf der besonderen Schadensneigung dieses Verhaltens und reichen soweit, wie es das zugrunde liegende Schädigungspotenzial rechtfertigt47. Von der Vorsatztat des Gesellschafters geht aber für die betroffene Gesellschaft eine besonders große Gefährdung aus, mit der sich ein fahrlässig begangener Fehler nicht vergleichen lässt. Mögen die Folgen einer fahrlässig begangenen Verletzungshandlung auch noch so gravierend sein, so wird sie doch nicht unter genauer Kenntnis der abschöpfbaren Reserven der GmbH, der Profitabilität ihrer einzelnen Geschäftsfelder und der Orte ihrer Verletzbarkeit begangen. Umgekehrt rechtfertigt es die vorsätzliche Begehungsweise, dem Täter den Schutz des gegen ihn zu führenden Kausalbeweises zu entziehen und ihm die Last der weit reichenden Beweiserleichterungen aufzubürden (fraus omnia corrumpit)48.
__________ 42 Strohn, ZInsO 2009, 1417, 1422; vgl. auch Kölbl, BB 2009, 1194, 1199. 43 Strohn, ZHR 173 (2009), 589, 593. 44 § 64 Satz 1 GmbHG begründet daneben eine Haftung für Insolvenzvertiefung, allerdings mit einer gegenüber § 826 BGB begrenzten Rechtsfolge. 45 Vgl. nur Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2009, § 64 Rz. 105; Casper in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG – Ergänzungsband MoMiG, 2010, § 64 Rz. 109; ders. in Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 6.49; Greulich/Bunnemann, NZG 2006, 681, 684; Spliedt, ZIP 2009, 149, 160; a. A. allerdings unter Hinweis auf BT-Drucks. 16/6140, S. 46 f. Kleindiek, GWR 2010, 75, 77. 46 Ein wesentlicher Unterschied liegt auch darin, dass der Geschäftsführer nach § 64 Satz 3 GmbHG nur für die geleistete Zahlung und nicht wie der Gesellschafter für den durch die Zahlung bewirkten insolvenzbedingten Gesamtschaden haftet. 47 Für den ärztlichen Behandlungsfehler BGH, NJW 2004, 2011, 2012 f. 48 In der Deprivilegierung des Vorsatztäters liegt der zentrale Zweck des § 826 BGB: Oechsler (Fn. 13), § 826 Rz. 12 ff.; zur Kritik an diesem Ansatz Wagner (Fn. 20), § 826 Rz. 1 und 5; Hönn in Soergel, BGB, 13. Aufl. 2005, § 826 Rz. 7 und Spindler in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl. 2008, § 826 Rz. 1.
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2. Notwendigkeit einer Binnenhaftung Vergegenwärtigt man sich die Wirkungsweise der Existenzvernichtungshaftung, erscheint es selbstverständlich, dass die Verantwortung des Gesellschafters auf einer Binnenhaftung beruht. Denn für den Gesamtschaden, der durch den Vermögensverfall der GmbH eingetreten ist, haftet der Gesellschafter, weil er die Insolvenz der GmbH verursacht oder vertieft hat. Die Insolvenz wiederum erscheint als Begleitschaden einer zuvor der Gesellschaft zugefügten vorsätzlichen sittenwidrigen Vermögensschädigung49. Im Schrifttum wird daran vor allem das Ergebnis kritisiert, nämlich dass der Gläubiger nur umweghaft, über die Pfändung der Ansprüche aus § 826 BGB im Gesellschaftsvermögen, gegen den Gesellschafter vorgehen könne50. Allerdings fehlt es an Alternativen, wie dem Gesellschafter der Gesamtschaden der GmbH-Gläubiger auf andere Weise als über die Verursachung der GmbH-Insolvenz zugerechnet werden soll (oben II. 2. und 3.). Auch der Einwand, der Binnencharakter der Haftung sei dem § 826 BGB systemfremd51, kann nicht überzeugen: Gläubiger aus § 826 BGB ist stets der unmittelbar Geschädigte, das ist in den Fällen des existenzvernichtenden Eingriffs aber die GmbH. Zerstört der Gesellschafter das einzige Fabrikgebäude der GmbH durch Brandstiftung, ist selbstverständlich die GmbH die (unmittelbar) Geschädigte. Verursacht die Zerstörung ihre Insolvenz, kann die GmbH auch den damit verbundenen Schaden gegenüber dem Gesellschafter liquidieren, selbst wenn die ausfallenden Gläubiger mittelbar die wirtschaftliche Last tragen52.
V. Das Problem der fehlenden Isolierbarkeit von Abflüssen ohne Gesellschaftereingriff Im Rahmen der existenzvernichtenden Haftung trägt die hohe Schadensneigung des Gesellschaftereingriffs den zentralen Anscheinsbeweis für die anschließende Insolvenzverursachung bzw. -vertiefung (oben III. 2.). Fraglich ist nur, wie in den Fällen zu verfahren ist, in denen ein solcher Gesellschaftereingriff fehlt und dennoch aus dem Gesamtschaden einzelne Ausschüttungen i. S. d. § 30 Abs. 1 GmbHG nicht isoliert werden können. Es geht dabei gerade um die Konstellationen, bei denen die ganze Entwicklung ihren Ausgang nahm (oben II. 1.): Hier weisen die §§ 30, 31 GmbHG deshalb eine Schutzlücke auf, weil die Entstehung des Gesamtschadens in der Ausschüttungsbilanz nicht abgebildet ist. Fehlt es am vorsätzlichen sittenwidrigen Verhalten des Gesellschafters (Eingriff) oder ist dessen Schadensneigung nur sehr gering53, kommt ein Anscheinsbeweis für die Insolvenzverursachung bzw. -vertiefung im Rah-
__________ 49 So auch BGHZ 173, 246 = NJW 2007, 2689, 2692 – Trihotel, Rz. 33. 50 BGHZ 173, 246 = NJW 2007, 2689, 2693 – Trihotel, Rz. 36; zu den Nachteilen vgl. nur Weller, DStR 2007, 1166, 1167; zur praktischen Durchsetzung: Bayer, WM 2006, 999 ff. 51 Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34, 43; Weller, ZIP 2007, 1681, 1683. 52 Ähnlich Oechsler (Fn. 13), § 826 Rz. 324b. 53 Beispiel: BGH, NZG 2008, 597, 598.
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men der haftungsausfüllenden Kausalität nicht in Betracht. Die alte Haftung im qualifizierten faktischen Konzern konnte auch solche Konstellationen auf der Grundlage einer Analogie zu § 320 AktG erfassen, weil sie weniger an die Rechtswidrigkeit des Eingriffs als an seine Intensität anknüpfte. Dieser Vorteil wurde jedoch mit den bekannten Schwierigkeiten bei der Tatbestandskonkretisierung erkauft; ähnlich verhielt es sich bei der Durchgriffshaftung (oben II. 2.). Umgekehrt ist aber auch die präzisere Tatbestandsbildung in § 826 BGB nicht ohne Konsequenz: Sie führt dazu, dass Fälle ohne schadensgeneigten Gesellschaftereingriff nicht mehr erfasst werden können. Dennoch kommt wohl für einen Teil dieser Konstellationen eine Geschäftsführerhaftung in Betracht. Scheitert nämlich der Nachweis der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 GmbHG an der Verletzung der kaufmännischen Dokumentations- oder Aufzeichnungspflichten (praktisch an Mängeln der Aufbewahrung von Belegen oder der Buchführung), stellt sich die Frage, ob der Geschäftsführer nicht im Zweifel wegen Insolvenzverschleppung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO Verantwortung trägt. Diese Möglichkeit wird man ernsthaft erwägen müssen, weil die Insolvenzverschleppungshaftung seit jeher eine ähnliche Funktion im Verhältnis zur Haftung des Geschäftsführers nach § 64 Satz 1 GmbHG einnimmt: Sie schließt dort eine Schutzlücke, die entsteht, wenn nach Eintritt der Überschuldung Vermögenstransfers vorgenommen werden, die nicht mehr als einzelne Zahlungen i. S. d. § 64 Satz 1 GmbHG isoliert werden können54. Zugrunde liegt ein Zurechnungsproblem, das genau der hier einschlägigen Problematik entspricht: Ein im Einzelnen nicht mehr aufschlüsselbarer Gesamtschaden muss als solcher einem Verantwortlichen zugerechnet werden. Die Insolvenzverschleppungshaftung überwindet diese Schwierigkeit, indem sie eine pauschale Verantwortung für den Vermögensschwund während des Verschleppungszeitraums begründet (Quotenschaden) bzw. eine Haftung gegenüber jedem in dieser Zeit hinzutretenden Neugläubiger ermöglicht (Neueintrittsschaden). Der springende Punkt liegt nun darin, dass die Einstellung der ordnungsgemäßen Dokumentation und Aufzeichnung einen Anscheinsbeweis für die Voraussetzungen des § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO tragen könnte. Denn es dürfte einer nahe liegenden Erfahrung entsprechen, dass für einschlägiges Unterlassen in aller Regel nur dort Anlass besteht, wo eine negative Geschäftsentwicklung (vor den Gesellschaftern, Beiräten, anderen Geschäftsführern usw.) verborgen werden soll. Die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO) lässt sich bekanntlich vor den Gläubigern nicht durch Buchungstricks verdecken; dies gilt aber nicht für den Eintritt der Überschuldung. Im Anschluss an § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO liegt es daher nahe, dass drei Wochen ab Ende der ordnungsgemäßen Dokumentation und Aufzeichnung ein Anscheinsbeweis dafür begründet ist, dass die Voraussetzungen einer Insolvenzverschleppungshaftung vorliegen. In dieselbe Richtung weist eine in diesen Fällen möglicherweise vom Geschäftsführer zu verantwortende Beweisvereitelung. Diese setzt voraus, dass objektiv ein Beweis durch die Gegenseite verhindert wird und subjek-
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54 Haas, GmbHR 2010, 1, 7; ders. (Fn. 45), § 64 Rz. 110.
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Die Existenzvernichtungshaftung und das Beweisrecht
tiv mit Vorsatz oder Fahrlässigkeit das Beweismittel und seine Beweisfunktion beseitigt werden55. Dass dies durch die Unterdrückung von Belegen oder das Unterlassen von Aufzeichnungen erfolgen kann, bedarf hier keiner weiteren Ausführungen. Bei der Verletzung echter Befundsicherungspflichten, die im Zusammenhang mit groben ärztlichen Behandlungsfehlern stehen, neigt der BGH seit neuestem zu einer echten Beweislastumkehr, die er vor allem aus der hohen Schadensneigung des Behandlungsfehlers begründet56. In allen übrigen Fällen dürfte es bei der alten Grundlinie bleiben, dass eine Beweisvereitelung der Gegenseite Beweiserleichterungen für den Beweisbelasteten bis hin zur Beweislastumkehr nach sich zieht57. Dies passt auch eher auf die vorliegenden Fälle: Denn die Verstöße gegen Aufbewahrungs- und Dokumentationspflichten führen in der Regel den Schaden nicht selbst herbei, sondern verdecken ihn lediglich. Sie tragen daher nur einen Anscheinsbeweis für den Eintritt der Überschuldung, den der Geschäftsführer erschüttern kann, wenn er nachweist, dass andere Gründe als die Überschuldung für die Lücken verantwortlich sind. Wenn damit ein Teil des alten Fallmaterials zur Haftung für existenzvernichtende Eingriffe bzw. zur Verantwortung im qualifizierten faktischen Konzern systematisch in der Geschäftsführerhaftung aufgeht, entspricht dies der immer häufiger geforderten systematischen Annäherung beider Rechtsgebiete58. Diese vollzieht sich zurzeit aus beiden Richtungen: Einerseits kann der Geschäftsführer wohl selbst wegen existenzvernichtenden Eingriffs als Täter oder als Gehilfe nach § 830 Abs. 2 BGB Verantwortung tragen59. Anderseits hat der Gesetzgeber die Nähe des neu geschaffenen § 64 Satz 3 GmbHG zur Existenzvernichtungshaftung betont und einer Geschäftsführerhaftung deshalb den Vorzug gegeben, weil diese „beim Geschäftsführer als deren Auslöser oder Gehilfen“60 ansetzt. Auf diesen Auslöser muss deshalb auch in den vorerwähnten Fällen zurückgegriffen werden können. Dies gilt umso mehr, als gute Gründe dafür sprechen, die Insolvenzverschleppungshaftung des Geschäftsführers ebenfalls als Binnenhaftung zu verstehen: Denn sämtliche Argumente für den Binnencharakter der Verantwortung aus § 826 BGB greifen auch hier61.
__________ 55 Vgl. Prütting in Münchener Kommentar, ZPO, 3. Aufl. 2008, § 286 Rz. 82 f. 56 BGH, NJW 2004, 2011, 2013; diese gilt aber nur für grobe Behandlungsfehler: Laumen, NJW 2002, 3739, 3743 f. 57 BGH, NJW 1959, 1583; BGHZ 72, 132 = NJW 1978, 2337; Baumgärtel in FS Kralik, 1986, S. 63, 71 ff.; kritisch Prütting (Fn. 55), § 286 Rz. 88, der selbst die analoge Anwendung von Normen wie § 444 ZPO vorzieht; dazu auch Laumen, NJW 2002, 3739, 3743 f. 58 Vgl. Strohn, ZHR 173 (2009), 589 ff.; Haas, GmbHR 2010, 1, 7 f.; ferner Bäcker, DZWiR 2009, 30, 32; Heitsch, ZInsO 2007, 961, 962; Lutter/Banerjea, ZIP 2003, 2177 ff. 59 Für bloße Teilnahme Weller, ZIP 2007, 1681 ff.; für Täterschaft Heitsch, ZInsO 2007, 961, 962; Bäcker, DZWiR 2009, 30, 32. 60 BT-Drucks. 16/6140, S. 106; Strohn, ZHR 173 (2009), 589, 590; ders., ZInsO 2009, 1417, 1422; vgl. auch Kölbl, BB 2009, 1194, 1199. 61 Überzeugend Haas, GmbHR 2010, 1, 8; ders., ZIP 2009, 1257 ff.
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VI. Ergebnis In den Fällen der existenzvernichtenden Haftung wird der Gesellschafter für einen Gesamtschaden herangezogen, weil er die Insolvenz seiner Gesellschaft verursacht hat (II. 2.). Im Rahmen der Beweisführung über die Kausalität des Gesellschafterhandelns hilft die Rechtsprechung durch zwei Beweiserleichterungen: Indem sie eine Insolvenzvertiefung für die Zurechnung des Gesamtschadens genügen lässt, senkt sie das Beweismaß in einer an § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB gemahnenden Weise (III. 1.). Gleichzeitig knüpft sie an die Höhe der Schadensneigung des vom Gesellschafter ausgehenden Eingriffs einen Anscheinsbeweis, dass dieser die Insolvenz mitverursacht oder vor allem aber vertieft hat (III. 2.). Diese Beweiserleichterungen setzen auf der Seite des Gesellschafters eine vorsätzliche Begehungsweise voraus (IV. 1.) und erzwingen eine Binnenhaftung im Verhältnis Gesellschafter-GmbH (IV. 2.). Fehlt es an einem Gesellschaftereingriff mit ausreichender Schadensneigung, kommt bei fehlender Isolierbarkeit der Einzelforderungen der GmbH noch eine Insolvenzverschleppungshaftung des Gesellschafters in Betracht: Denn Aufbewahrungsoder Dokumentationsmängel bei der GmbH können einen Anscheinsbeweis für die Voraussetzungen des § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO tragen (V.).
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Die Gewinnverwendung in der GmbH & Co. KG und ihrer Unternehmensgruppe nach „Otto“ Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Gewinnfeststellung und Gewinnverwendung in der Einzelgesellschaft 1. Dispositiver Vollausschüttungsanspruch 2. Mitwirkung der Kommanditisten bei der Gewinnermittlung und Gewinnverwendung a) Ökonomische Verwandtschaft b) Gewinnfeststellung c) Gewinnverwendung d) Zwischenresümee 3. Anforderungen an Mehrheitsbeschlüsse über die Gewinnverwendung a) Bestimmtheitsgrundsatz b) Kernbereichslehre aa) Verhältnis zum Bestimmtheitsgrundsatz bb) Fehlende Kernbereichsrelevanz von Gewinnfeststellung und Gewinnverwendung
III. Gewinnverwendung im Konzern 1. Das Normalstatut der lex dispositiva a) Gewinn und Ausschüttung b) Kompetenz zur Ausübung von Beteiligungsrechten 2. Vertragsgestaltung a) Weiter Spielraum b) Bestimmtheitsgrundsatz c) Keine Kernbereichsrelevanz IV. Konzerndimensionale Auslegung von Thesaurierungsklauseln? 1. Problemstellung 2. Unzulässigkeit V. Treubindung als flexible Ausübungsund Gestaltungsschranke 1. Materielle Beschlussvoraussetzung 2. Darlegungs- und Beweislast VI. Ergebnisse
I. Einleitung Uwe H. Schneider hat bereits früh in seiner wissenschaftlichen Laufbahn ein besonderes Interesse an den Grenzen der Mehrheitsherrschaft in den Personengesellschaften und an deren Konzernrecht gezeigt1. In jüngerer Zeit ist dieses Rechtsgebiet durch das Otto-Urteil des BGH erneut in Bewegung gekommen2. Das weckt bei dem Verfasser die Hoffnung, dem hoch geschätzten Kollegen mit einem Beitrag zur Gewinnverwendung in der GmbH & Co. KG und deren Unternehmensgruppe eine Freude zum 70. Geburtstag zu bereiten. Dazu musste der Verfasser, dem der Jubilar erstmals als wohlwollender Rezensent
__________
1 Zum Konzernrecht Uwe H. Schneider in FS Bärmann, 1975, S. 873 ff.; ders., BB 1975, 1353 ff.; ders., ZHR 143 (1979), 485 ff.; ders., ZGR 1975, 253 ff.; ders., BB 1980, 1057 ff.; ders., ZGR 1980, 511 ff.; zu den Grenzen der Mehrheitsherrschaft ders., ZGR 1972, 357 ff. 2 BGHZ 170, 283 ff. – Otto.
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seiner eigenen Dissertation wissenschaftlich gegenüber getreten ist3, sich allerdings zunächst eines gewissen Unbehagens entledigen, gehen seine Gedanken doch nicht immer in eine Richtung, die dem mit diesem Beitrag zu Ehrenden und der von ihm prominent vertretenen Schule der „Lutteraner“ wohl richtiger erscheinen würde4. Am Respekt vor einem großen wissenschaftlichen Lebenswerk, das bekanntlich neben dem Recht der Personengesellschaften vor allem auch das Kapitalgesellschafts- und Kapitalmarktrecht umfasst, ändert das natürlich nichts. Möge Uwe H. Schneider noch viele Jahre die geistige und körperliche Kraft gegeben sein, das fruchtbare kritische Gespräch weiter zu führen. Die nachfolgenden Überlegungen nehmen ihren Ausgangspunkt bei der Gewinnfeststellung und Gewinnverwendung in der GmbH & Co. KG als nicht konzernverbundener Einzelgesellschaft (II.). Dem folgt eine Betrachtung der Regeln zur Gewinnverwendung in der GmbH & Co. KG, die an der Spitze eines faktischen Konzerns steht, und deren gesellschaftsvertraglicher Ausgestaltung (III.). Sodann sollen kurz die Auswirkungen von Thesaurierungsregelungen im Gesellschaftsvertrag der Konzernobergesellschaft auf die Gewinnverwendung im GmbH & Co. KG-Konzern in den Blick genommen werden (IV.). Dem folgen einige grundsätzliche Bemerkungen zur Treubindung des Gesellschafters als flexibler Schranke der Ausübung von Mehrheitsmacht bei der Beschlussfassung über die Gewinnverwendung (V.) Der Beitrag endet mit einer thesenartigen Zusammenfassung der Ergebnisse (VI.).
II. Gewinnfeststellung und Gewinnverwendung in der Einzelgesellschaft 1. Dispositiver Vollausschüttungsanspruch Dreh- und Angelpunkt der Gewinnverwendung in der GmbH & Co. KG und ihrer gesellschaftsvertraglichen Ausgestaltung ist der Gewinnausschüttungsanspruch des Kommanditisten. Grundlage dieses Anspruchs ist § 169 Abs. 1 Satz 2 HGB5. Die Vorschrift gibt jedem Kommanditisten, dessen Kapital-
__________ 3 Uwe H. Schneider, Rezension von Paefgen, Struktur und Aufsichtsratsverfassung der mitbestimmten AG, 1982, AG 1983, 139 f. 4 Statt vieler Beiträge von Marcus Lutter, dem Habilitationsvater des Jubilars, und seinen Schülern zur Notwendigkeit konzerndimensionaler Interpretation von Zuständigkeiten und Pflichtbindungen in der Unternehmensgruppe sei hier nur auf Lutters Aufsatz mit dem Titel „Das unvollendete Konzernrecht“ in der Festschrift für K. Schmidt, 2009, S. 1065 ff. verwiesen; zur Gewinnermittlung und -verwendung dort S. 1075. 5 Die Komplementär-GmbH ist typischerweise nicht am Kapital der KG beteiligt. Sie erhält aus steuerlichen Gründen nur eine geringfügige Gewinnbeteiligung für die Übernahme der Geschäftsführung und des Haftungsrisikos, so dass Ausschüttungsansprüchen nach § 122 Abs. 1 Alt. 2 HGB hier wirtschaftlich keine Bedeutung zukommt; Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, 20. Aufl. 2009, S. 216 f.; Gummert in MünchHdb. PersG, 3. Aufl. 2009, § 50 Rz. 22.
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anteil6 nicht durch Verlust oder Entnahme unter den Betrag der ausbedungenen Einlage herabgesunken ist bzw. durch die geplante Gewinnausschüttung herabsinken würde, das Recht auf Ausschüttung des gesamten ihm nach dem gesetzlichen (§§ 168, 121 Abs. 1 und 2 HGB) bzw. dem im Gesellschaftsvertrag festgelegten Gewinnverteilungsschlüssel zustehenden Gewinns. Dabei handelt es sich um eine Regelung, von der im Gesellschaftsvertrag abgewichen werden kann (§ 163 HGB). Zusammenfassend lässt sich diese gesetzliche Regelung als vertragsdispositive Vollausschüttung beschreiben7. 2. Mitwirkung der Kommanditisten bei der Gewinnermittlung und Gewinnverwendung Ob die KG in einem bestimmten Rechnungsjahr nach § 169 Abs. 1 Satz 2 HGB ausschüttbaren Gewinn erzielt hat, ist nach §§ 161 Abs. 2, 120 Abs. 1 HGB auf Grund der Bilanz der Gesellschaft zu ermitteln. Mit dieser Trennung von Gewinnermittlung und Gewinnverwendung folgt das Recht der Personenhandelsgesellschaften einem rechtsformübergreifenden, der Logik der Sache entspringenden gesellschaftsrechtlichen Grundsatz, wie er für die Kapitalgesellschaften in §§ 29 Abs. 1 und 2, 46 Nr. 1 GmbHG und §§ 172 ff., 58 AktG zum Ausdruck kommt. a) Ökonomische Verwandtschaft Unbeschadet der Richtigkeit und Notwendigkeit dieser kategorisch-dogmatischen Unterscheidung, darf allerdings nicht verkannt werden, dass die Gewinnermittlung und die Gewinnverwendung i. S. d. Entscheidung über die Einbehaltung oder Ausschüttung einmal als solcher ermittelter Gewinne im Hinblick auf die Höhe der einem Kommanditisten nach Gesetz und Gesellschaftsvertrag zukommenden Ausschüttung deutlich funktional vergleichbare Züge aufweisen. Dafür, wie viel der Kommanditist sich letztlich in die eigene Tasche stecken kann, kommt es nicht darauf an, ob der Gewinn der Gesellschaft bereits als solcher bei seiner Ermittlung der Höhe nach gekürzt wird oder ob der zwar als solcher durch Ausweis in der Rechnungslegung festgestellte Gewinn per Thesaurierungsentscheidung der Gesellschaft (zumindest vorläufig) seinem Zugriff entzogen wird8. Auf diese ökonomische Verwandtschaft von Bilanz-
__________ 6 Der Kapitalanteil stellt den Betrag der Beteiligung jedes einzelnen Kommanditisten am buchmäßigen Eigenkapital der KG dar; Hüttemann in Großkomm.HGB, 4. Aufl. 2002, § 264c Rz. 9; v. Falkenhausen/H. C. Schneider in MünchHdb. PersG (Fn. 5), § 22 Rz. 6; Sassenrath in Westermann, Handbuch PersG, Rz. I 575a (Stand Juni 2006). 7 Wertenbruch, ZIP 2007, 798 f. 8 Zur funktionalen Gewinnthesaurierung durch Ausübung von Ansatz- und Bewertungswahlrechten bei der Rechnungslegung BGHZ 132, 263, 272 ff. – Portland Zementwerk; Schulze-Osterloh, BB 1997, 1783, 1784 f.; W. Müller in Liber Amicorum Happ, 2006, S. 179, 193 f.; ders., ZGR 1981, 126, 142 (Aufwandsrückstellungen); Siegel, BB 1986, 841, 843. Die Problematik wurde allerdings durch die Streichung wichtiger Bilanzwahlrechte im BilMoG 2009 erheblich entschärft; näher dazu C. Schäfer in Großkomm.HGB, 5. Aufl. 2009, § 120 Rz. 25.
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politik und Gewinnverwendung wird noch zurück zu kommen sein (unten II. 3. b) bb)). b) Gewinnfeststellung Im Schrifttum hat insbesondere Ulmer überzeugend begründet, dass den Kommanditisten ein Recht auf Mitwirkung an der Beschlussfassung über die Rechnungslegung der KG zukommt9. Die Beschränkung der Unterzeichnung des Jahresabschlusses auf die Komplementäre (§ 245 Satz 2 HGB) steht dem nicht entgegen, da es sich dabei um eine ihrer Natur nach öffentlichrechtliche Verpflichtung handelt, durch welche die innergesellschaftliche Kompetenzaufteilung nicht betroffen wird. Auch das Bilanzprüfungsrecht des Kommanditisten nach § 166 HGB setzt dessen Ausschluss von der Feststellung des Jahresabschlusses nicht voraus; vielmehr unterstützt es dessen Mitwirkung in sinnvoller Weise. Schließlich wird auch die Einordnung der Bilanzfeststellung als einseitiges abstraktes Schuldanerkenntnis der angeblich allein zuständigen Komplementäre gegenüber den Kommanditisten10 deren Rechtsnatur als einverständlicher rechtsgeschäftlicher Festlegung der Bilanz und des Gewinns oder Verlustes der KG nicht gerecht, auf deren Grundlage die Verteilung des Gewinns oder Verlustes für das abgelaufene Geschäftsjahr und die Aufstellung der Anfangsbilanz für das nachfolgende Geschäftsjahr zu erfolgen hat. Der BGH hat sich dieser Argumentation von Ulmer im Portland ZementwerkUrteil ausdrücklich angeschlossen11. Die Beschlussfassung über den Jahresabschluss erweist sich damit als ein von der Geschäftsführungskompetenz der Komplementäre (§§ 114 ff., 164 Satz 1 HGB) abzugrenzendes Rechtsgeschäft der Gesellschafter untereinander, das mangels abweichender Regelung im Gesellschaftsvertrag der einstimmigen Beschlussfassung aller Gesellschafter einschließlich der Kommanditisten bedarf (§§ 119, 109 HGB)12. Im Bestreben, diese Abgrenzung terminologisch zum Ausdruck zu bringen, bezeichnet der BGH im Otto-Urteil die Feststellung des Jahresabschlusses als Grundlagengeschäft13. Dieser Begriffsbildung ist Priester zu Recht entgegen getreten14. Sie ist deswegen unglücklich, weil sie die Gefahr in sich birgt, dass die Feststellung des Jahresabschlusses mit solchen Maßnahmen in einen Topf geworfen wird, die die strukturellen Grundlagen des Gesellschaftsverhältnisses betreffen, wie etwa
__________
9 Zum Folgenden Ulmer in FS Hefermehl, 1976, S. 207, 210 ff.; Buchwald, JR 1948, 65 ff.; Hüffer in Großkomm.HGB, 4. Aufl. 2002, § 242 Rz. 46 ff. 10 So U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, 1970, S. 341 f. 11 BGHZ 132, 263, 266 f. – Portland Zementwerk; siehe auch schon BGHZ 76, 338, 342; BGHZ 80, 357, 358 (zur Bilanzfeststellung in der GbR). 12 Zur dogmatischen Einordnung als Beschluss Priester in FS Hadding, 2004, S. 607 ff. 13 BGHZ 170, 283, 287 – Otto; BGHZ 132, 263, 267 – Portland Zementwerk; den Begriff Grundlagengeschäft verwendend auch schon BGHZ 76, 338, 342; BGHZ 80, 357, 358 (zur Bilanzfeststellung in der GbR); C. Schäfer in Großkomm.HGB (Fn. 8), § 120 Rz. 18; Westermann, ZIP 2007, 2289, 2291; Graf/Bisle in FS Buchner, 2009, S. 258. 14 Priester, DStR 2007, 28 f.; krit. auch Wertenbruch, ZIP 2007, 798, 799.
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die Aufnahme neuer Gesellschafter, Umwandlungsmaßnahmen, der Abschluss von Unternehmensverträgen, die Vereinbarung stiller Beteiligungen oder auch die Veräußerung des gesamten Geschäftsbetriebes15. Zwar fallen solche Strukturänderungen ebenso wie die Feststellung des Jahresabschlusses unter das Einstimmigkeitserfordernis nach § 116 Abs. 2 HGB, da sie über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft hinausgehen16. Die Feststellung des Jahresabschlusses berührt jedoch die Grundlagen des Gesellschaftsverhältnisses gerade nicht. Sie dient vielmehr nur der Fortschreibung der finanziellen Parameter der Gesellschaft in Zeitverlauf. In einer anderen – dieses Mal zu begrüßenden Formulierung – des Otto-Urteils beinhaltet sie „eine den Gesellschaftern obliegende Angelegenheit der laufenden Verwaltung“17. Diese laufende Verwaltung hat im Einklang mit den Vorgaben von Gesetz und Gesellschaftsvertrag zu geschehen, ohne dass damit eine Änderung der Spielregeln verbunden wäre, die die Gesellschafter für die gemeinschaftliche Verfolgung des Gesellschaftszwecks vereinbart haben. Die Möglichkeit, solche Beschlüsse von Jahr zu Jahr neu zu fassen, ohne dass ihr Inhalt im einzelnen durch Gesetz und Gesellschaftsvertrag vorausbestimmt sein müsste, ist ein Paradebeispiel dafür, dass jede Gesellschaft, wie Lutter prägnant formuliert hat, ein „nach vorne offenes“ gemeinsames Unterfangen der Gesellschafter darstellt, das detaillierter rechtlicher Regelung nur in begrenztem Maße zugänglich ist18. Es wäre daher besser, sich vom Begriff des Grundlagengeschäfts im Zusammenhang mit der Feststellung des Jahresabschlusses zu verabschieden und stattdessen den Ausdruck „Organisationsmaßnahme“ zu verwenden19. c) Gewinnverwendung Einen Beschluss der Gesellschafter über die Verwendung des nach § 120 Abs. 1 HGB mit dem Jahresabschluss festzustellenden Gewinns sieht das HGB im gesetzlichen Normalstatut nicht vor. Das überrascht angesichts des in § 169 Abs. 1 Satz 2 HGB statuierten Vollausschüttungsgebotes nicht (vgl. oben II. 1.). Das Vollausschüttungsgebot ist jedoch der Abänderung im Gesellschaftsvertrag zugänglich (§ 163 HGB). Dazu bedarf es der Zustimmung aller Gesellschafter der KG einschließlich der Kommanditisten (§ 109 HGB, § 311 Abs. 1 BGB). Erlaubt der Gesellschaftsvertrag der KG die Gewinnthesaurierung, kann dieser nach § 119 Abs. 2 HGB auch die Beschlussfassung durch die Mehrheit
__________ 15 Zur Notwendigkeit qualifizierter gesellschaftsvertraglicher Mehrheitsklauseln für solche Beschlüsse Weitemeyer in FS Kreutz, 2010, S. 905, 919 f. 16 Siehe auch die weiteren Beispiele bei C. Schäfer in Großkomm.HGB (Fn. 8), § 116 Rz. 12 f. 17 BGHZ 170, 283, 289 – Otto, unter Berufung auf K. Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, S. 454, der von „Fragen der laufenden Geschäftsführung“ spricht. 18 Zur offenen Natur des Gesellschaftsverhältnisses im Gegensatz zum Austauschvertrag Lutter, AcP 180 (1980), 84, 91 ff. 19 K. Schmidt in FS Röhricht, 2005, S. 511, 524; Priester, DStR 2007, 28, 29; Westermann, ZIP 2007, 2289, 2291.
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der Gesellschafter anordnen20. Das Einstimmigkeitserfordernis für die Einführung von Thesaurierungskompetenzen der Gesellschaftermehrheit erweist sich damit als Konsequenz der den Gesellschaftsvertrag ändernden Natur solcher Klauseln21. Von der dogmatischen Begründung des Einstimmigkeitserfordernisses mit der Notwendigkeit einer Vertragsänderung ist streng zu unterscheiden, welche Anforderungen sich hinsichtlich der inhaltlichen Präzisierung von Mehrheitsklauseln zur Gewinnthesaurierung aus den Minderheitenschutzregeln des Personengesellschaftsrechts in der Form des Bestimmtheitsgrundsatzes und der Kernbereichslehre ergeben (dazu sogleich unter II. 3.)22. Wie bei der Gewinnfeststellung so schafft auch bei der Gewinnverwendungsentscheidung der Gesellschafter der Gebrauch des Begriffs „Grundlagengeschäft“ mehr Verwirrung als Nutzen, da er die Gewinnausschüttung und -thesaurierung mit strukturellen Einmal-Entscheidungen in einen Topf wirft. Bei rechtem Besehen betreffen aber nur die Letztgenannten die Grundlagen des Gesellschaftsverhältnisses (vgl. oben II. 2. b)). Dagegen ist der Gewinnverwendungsbeschluss wie die Feststellung des Jahresabschlusses Ausdruck der fortlaufenden und regelmäßig wiederkehrenden Organisation der finanziellen Angelegenheiten der Gesellschaft durch die Gesellschafter23. Auch für die Gewinnverwendung sollte daher i. S. terminologischer Klarheit der Begriff des Grundlagengeschäfts aufgegeben und in Zukunft von Organisationsmaßnahmen gesprochen werden24. Der BGH hat die Rechtsnatur der Gewinnthesaurierung als gleichsam zum Normalprogramm einer „nach vorne offenen“ KG gehörenden Maßnahme24a in seinem Urteil vom 10.5.1976, das eine nach kaufmännischer Beurteilung für notwendig befundene Gewinnthesaurierung aufgrund einer inhaltlich nicht weiter präzisierten gesellschaftsvertraglichen Mehrheitsklausel für zulässig erklärte, trefflich beschrieben: „Eine Schmälerung des Gewinnes der Gesellschafter, die hierdurch veranlasst ist, ist … nichts Ungewöhnliches, sondern stellt sich als etwas dar, das dem normalen Lauf und der Entwicklung einer Gesellschaft entspricht und mit dem die Gesellschafter, auch wenn der Gesellschaftsvertrag nichts dazu sagt, jedenfalls insoweit rechnen müssen, als ein angemessener Teil des Gewinnes … zur Stärkung des Unternehmens verwendet wird“25.
__________ 20
Man notiere den Unterschied zum GmbH-Recht, das den Weg für mehrheitliche Thesaurierungsbeschlüsse bereits im Gesetz durch § 29 Abs. 2 GmbHG eröffnet; C. Schäfer in Großkomm.HGB (Fn. 8), § 120 Rz. 41; Wertenbruch, ZIP 2007, 798, 801. 21 U. Huber in GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 203, 207 f.; Wertenbruch, ZIP 2007, 798, 801. 22 Diese unterschiedlichen Fragestellungen vermischend aber C. Schäfer in Großkomm.HGB (Fn. 8), § 120 Rz. 41: Einstimmigkeitserfordernis folge aus Einordnung der Ergebnisverwendung als Grundlagenentscheidung mit Kernbereichsrelevanz. 23 Die in BGHZ 170, 283, 289 hinsichtlich der Feststellung des Jahresabschlusses verwendete Formulierung „den Gesellschaftern obliegende Angelegenheit der laufenden Verwaltung“ (vgl. oben II. 2. b) bei Fn. 17) passt auch hier. 24 Vgl. oben II. 2. b) bei Fn. 19. 24a Vgl. oben II. 2. b) bei Fn. 18. 25 BGH, BB 1976, 948, 949.
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d) Zwischenresümee Als Zwischenresümee kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass sowohl die Feststellung des Jahresabschlusses wie auch die Beschlussfassung über die Gewinnverwendung nach dem gesetzlichen Normalstatut der GmbH & Co. KG der einstimmigen Beschlussfassung unter Mitwirkung aller Kommanditisten bedürfen. Gesellschaftsvertragliche Regelungen, die eine mehrheitliche Beschlussfassung vorsehen, sind sowohl hinsichtlich der Feststellung des Jahresabschlusses als auch der Gewinnverwendung grundsätzlich zulässig. Sie stellen in der Praxis im Übrigen auch den Regelfall dar, was dem Bedürfnis der Eindämmung von Blockademöglichkeiten renitenter Minderheitsgesellschafter entspricht. Ihrer Rechtsnatur nach unterscheiden Gewinnfeststellungs- und -verwendungsentscheidungen sich von strukturändernden Gesellschafterbeschlüssen dadurch, dass es sich um Beschlüsse handelt, die vom Beginn der Gesellschaft an als Normalprogramm deren zukünftiges geschäftliches Gebaren prägen und als solche grundsätzlich für die Kommanditisten auch keine unerwarteten Überraschungen in sich bergen können. Welche Bedeutung kommt nun vor dem Hintergrund dieser Einsichten dem Minderheitenschutz durch den Bestimmtheitsgrundsatz und die Kernbereichslehre zu? 3. Anforderungen an Mehrheitsbeschlüsse über die Gewinnverwendung a) Bestimmtheitsgrundsatz Im Portland Zementwerk-Urteil hatte der BGH für die Zulässigkeit mehrheitlicher Beschlussfassung über die Bilanzfeststellung einer KG gefordert, nach dem Bestimmtheitsgrundsatz müsse die zugrunde liegende Mehrheitsklausel auf jeden Fall die Angabe der Art des Beschlussgegenstandes enthalten, eine allgemeine Mehrheitsklausel, wie sie in casu nur vorlag, reiche dafür nicht aus26. Das entsprach noch dem hergebrachten Ansatz der Rechtsprechung, dem eine Mehrheitsklausel konsentierenden Gesellschafter Schutz durch konkrete Auflistung der mehrheitsfähigen Beschlussgegenstände zu gewähren und diesen dadurch vor unangenehmen Überraschungen hinsichtlich des zukünftigen Beschlussverhaltens seiner Mitgesellschafter zu bewahren27. Diesem „Wäscheleinen“-Ansatz des Minderheitenschutzes mit der bekannten misslichen Folge der Aufnahme aufgeblähter Kataloge mehrheitsfähiger Beschlussgegenstände in die Gesellschaftsverträge, die dann aber den beabsichtigten umfassenden Schutz letztlich doch nicht zu bewirken vermochten28, hat
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26 BGHZ 132, 263, 268 – Portland Zementwerk. 27 RGZ 91, 166, 168; RGZ 151, 321, 327; RGZ 163, 385, 391 f.; BGHZ 8, 35, 41 f.; BGHZ 48, 251, 253 ff.; C. Schäfer in Großkomm.HGB (Fn. 8), § 119 Rz. 34 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 410 f.; Uwe H. Schneider, ZGR 1972, 357, 370 ff.; Martens, DB 1973, 413, 414 f. 28 Berechtigte Kritik schon bei R. Fischer in FS Barz, 1974, S. 32, 41 f.; aus dem umfangreichen sonstigen Schrifttum insbesondere Ulmer/C. Schäfer in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2009, § 709 Rz. 87 ff.; Goette in FS Sigle, 2000, S. 145, 152, 160 (Gefahr des Ausschlusses nicht erwähnter Beschlussgegenstände im Wege des Umkehrschlusses); ebenso Weitemeyer in FS Kreutz (Fn. 15), S. 905, 911 f.
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der BGH im Otto-Urteil mit aller Deutlichkeit ein Ende bereitet29. Das Urteil verlangt zwar, den Ansatz der früheren Rechtsprechung fortführend, dass sich die Entscheidungsbefugnisse der Gesellschaftermehrheit einschließlich der Befugnis, über die Gewinnfeststellung und Gewinnverwendung zu beschließen, eindeutig aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben müssen30. In der ausdrücklichen Auflistung aller mehrheitsfähigen Beschlussgegenstände im Gesellschaftsvertrag sieht der II. Zivilsenat jedoch zu Recht eine unnötige „Förmelei“. Vielmehr soll es genügen, dass sich die Mehrheitskompetenzen dem Vertrag im Wege der Auslegung eindeutig entnehmen lassen31. Der Bestimmtheitsgrundsatz wird damit auf das Erfordernis einer „rein organisatorischprozeduralen Ermächtigung zur Fassung von Mehrheitsentscheidungen in der Personengesellschaft“ beschränkt32. Damit steht, soweit der Bestimmtheitsgrundsatz betroffen ist, der Weg für Mehrheitsbeschlüsse zur Feststellung des Jahresabschlusses und zur Gewinnverwendung aufgrund allgemeiner gesellschaftsvertraglicher Mehrheitsklauseln offen. Mit Blick auf die Abschlussfeststellung hat der BGH dies im OttoUrteil auch ausdrücklich so festgestellt33. Für die Beschlussfassung über die Gewinnverwendung – wie auch für alle sonstigen von den Gesellschaftern in den laufenden Angelegenheiten der Gesellschaft zu fassenden Beschlüsse – kann dann nichts anderes gelten34. Für die Vertragsgestaltung bei der GmbH & Co. KG hat dies zur Folge, dass ein allgemeiner Verweis im KG-Vertrag auf die nach dem Recht der GmbH mehrheitsfähigen Beschlüsse ausreicht. Das genügt, um Mehrheitsbeschlüsse über die Abschlussfeststellung und die Gewinnverwendung zu ermöglichen (§§ 29 Abs. 2, 46 Nr. 1 GmbHG)35.
__________ 29 BGHZ 170, 283, 286 f. – Otto; BGH NJW 2009, 669, 671 – Schutzgemeinschaft II; Weitemeyer in FS Kreutz (Fn. 15), S. 905, 913 f.; einschränkend für die kapitalistisch strukturierte KG bereits BGHZ 85, 350, 355 ff. – Freudenberg; zur Publikums-KG BGHZ 66, 82, 85 f.; BGHZ 71, 53, 58. 30 Dazu schon BGHZ 8, 35 ff. Goette in FS Sigle (Fn. 28), S. 145, 159 bemerkt zu Recht, bereits diesem frühen Leiturteil des II. Zivilsenats seien keine übertriebenen Anforderungen an die Feststellung eines Mehrheitsbeschlüsse legitimierenden Vertragswillens zu entnehmen. 31 BGHZ 170, 283, 287 – Otto; im Schrifttum so Martens in Schlegelberger, HGB, 5. Aufl. 1992, § 109 Rz. 19; K. Schmidt, ZGR 2008, 1, 10; ders., ZHR 158 (1994), 205 ff.; Goette in FS Sigle (Fn. 28), S. 145, 159 f.; Sigle in FS Hüffer, 2010, S. 973, 974. 32 K. Schmidt, ZGR 2008, 1, 8 f.; sinngleich Goette in FS Sigle (Fn. 28), S. 145, 158; krit. dagegen Reuter in FS K. Schmidt (Fn. 4), S. 1357, 1362 ff. In Abweichung von der früheren BGH-Rspr. (BGHZ 85, 350, 357 – Freudenberg) gilt dies auch für Publikumsgesellschaften und kapitalistisch verfasste große Familiengesellschaften; so zutr. Sigle in FS Hüffer (Fn. 31), S. 973, 974 f.; Weitemeyer in FS Kreutz (Fn. 15), S. 905, 917 f.; Priester, DStR 2008, 1386, 1388. 33 BGHZ 170, 283, 286 f. – Otto. 34 Für die Kautelarpraxis sollten die bisher in Gesellschaftsverträgen üblichen mit mehrheitsfähigen Beschlussgegenständen behangenen „Wäscheleinen“ nach dem OttoUrteil nicht mehr vorgeschlagen werden; wie hier Mussaeus in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG (Fn. 5), S. 319. 35 K. Schmidt, ZGR 2008, 1, 11 f.; Priester, DStR 2008, 1386, 1391.
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b) Kernbereichslehre aa) Verhältnis zum Bestimmtheitsgrundsatz Nach der auf einen qualifizierten Minderheitenschutz abzielenden Kernbereichslehre können bestimmte, die Rechtsstellung des Gesellschafters in ihrem Kern ausmachende Individualrechte diesem durch Regelung im Gesellschaftsvertrag nur mit seiner spezifischen und inhaltlich präzisen Zustimmung entzogen werden, sei es durch vertraglichen Ausschluss des Stimmrechts36 oder dadurch, dass die Verfügung über solche Rechte der Entscheidungsbefugnis der Gesellschaftermehrheit anheim gestellt wird37. Die Kernbereichslehre weist damit Überschneidungen mit dem Bestimmtheitsgrundsatz in seiner ursprünglichen Form auf, der ausgehend von der Rechtsprechung des Reichsgerichts insbesondere die Präzisierung von Mehrheitskompetenzen zur Erhöhung der Gesellschaftsbeiträge nach Ausmaß und Höhe forderte38. In seiner aktuellen, durch die Klarstellungen des BGH im Otto-Urteil verschlankten Form fordert der Bestimmtheitsgrundsatz nun allerdings nur noch die formale Legitimation von Mehrheitskompetenzen durch eine einfache Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag, die sich auch im Wege einer zu klaren und eindeutigen Ergebnissen führenden Vertragsauslegung feststellen lässt39. Das Verhältnis von Kernbereichslehre und Bestimmtheitsgrundsatz hat damit eine zu begrüßende Klarstellung erfahren. Die beiden Doktrinen gehen, wie K. Schmidt treffend formuliert hat, von „verschiedenen Bestimmtheitsebenen und Bestimmtheitserfordernissen“ aus40. Die Konkretisierung von mehrheitlichen Beschlusskompetenzen nach dem präzisen Inhalt des Beschlussgegenstandes sowie dem Ausmaß und der Höhe des zugelassenen Eingriffs in die Rechte der Gesellschafter ist nach dem Otto-Urteil nur noch im Anwendungsbereich der Kernbereichslehre erforderlich. Damit wird zugleich deutlich, dass für Mehrheitskompetenzen außerhalb der Kernbereichsrelevanz dem Bestimmtheitsgrundsatz als formalem Erfordernis gesellschaftsvertraglicher Legitimation von Mehrheitskompetenzen durchaus eine eigenständige Schutzfunktion verbleibt41.
__________ 36 So das für die Entwicklung der Kerbereichslehre grundlegende Urteil BGHZ 20, 363, 368 f. zum Ausschluss des Stimmrechts bei Beschlüssen, mit denen die Beteiligung eines Kommanditisten, dessen Haftsumme, seine Gewinnbeteiligung oder die Höhe seines Auseinandersetzungsguthabens durch Neufassung des Gesellschaftsvertrages geändert werden. 37 BGH, NJW 1985, 972, 973; BGH, NJW 1995, 194 ff.; Ulmer/C. Schäfer in MünchKomm.BGB (Fn. 28), § 709 Rz. 91 ff.; Hopt in Baumbach/Hopt, 34. Aufl. 2010, § 119 Rz. 36; Hüffer, ZHR 151 (1987), 396, 408; Goette in FS Sigle (Fn. 28), S. 145, 153 f. 38 RGZ 91, 166, 168; RGZ 151, 321, 327. 39 Vgl. oben II. 3. a) bei Fn. 31 f. 40 K. Schmidt, ZGR 2008, 1, 8 f.; Weitemeyer in FS Kreutz (Fn. 15), S. 905, 919; Priester, DStR 2008, 1386, 1387 f. 41 Wie hier K. Schmidt, ZHR 158 (1994), 205, 227 f.; ders., GesR, S. 456; Hopt in Baumbach/Hopt (Fn. 37), § 119 Rz. 36; a. A. auch nach dem Otto-Urteil noch Ulmer/ C. Schäfer in MünchKomm.BGB (Fn. 28), § 709 Rz. 86, 90 ff., die meinen, der Bestimmtheitsgrundsatz werde durch die Kernbereichslehre vollständig verdrängt.
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Der im vorliegenden Zusammenhang interessierende Anwendungsbereich der Kernbereichslehre i. S. von unentziehbaren Gesellschafterrechten bedarf klarer Abgrenzung von den gleichfalls dem Kernbereich zuzurechnenden unverzichtbaren Gesellschafterrechten, die Martens treffend als „elementare Grundrechte“ des Gesellschafters bezeichnet hat42. Dabei handelt es sich um solche Individualrechte, bei deren Wegfall die Mitgliedschaft ihre Bedeutung gänzlich verlieren würde43. Darunter fallen das Recht auf Teilnahme an Gesellschafterversammlungen44, Antrags- und Kontrollrechte der Gesellschafter45, das Recht zum Austritt aus wichtigem Grund46, wie auch das Verbot der Herauskündigung aus der Gesellschaft ohne sachlichem Grund47. bb) Fehlende Kernbereichsrelevanz von Gewinnfeststellung und Gewinnverwendung Welche Gesellschafterrechte im Einzelnen als unentziehbar anzusehen sind, ist umstritten und muss hier nicht weiter vertieft werden48. Was das Thema dieses Beitrags betrifft, so hatte der BGH im Portland Zementwerk-Urteil die Entscheidung über den Jahresabschluss der KG noch als „Grundlagengeschäft“ angesehen, das in den Kernbereich der Mitgliedschaft des Kommanditisten eingreife und daraus das Erfordernis abgeleitet, Ausmaß und Umfang der zulässigen Ausübung von Bilanzierungsermessen vertraglich festzulegen49. Im Otto-Urteil ist das Gericht dann von dieser Position abgerückt. Zur Begründung hat der II. Zivilsenat auf den wiederkehrenden und damit für den Kommanditisten voraussehbaren Charakter der Abschlussfeststellung als zum Normalbetrieb der Gesellschaft gehörende Maßnahme hingewiesen50. Das über-
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42 Martens in Schlegelberger (Fn. 31), § 119 Rz. 25; BGHZ 170, 287 f. – Otto; Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, 2004, S. 220; K. Schmidt, ZGR 2008, 1, 19; Weitemeyer in FS Kreutz (Fn. 15), S. 905, 916 f.; Priester, DStR 2008, 1386, 1388; Sigle in FS Hüffer (Fn. 31), S. 973, 976 f. 43 Goette in FS Sigle (Fn. 28), S. 145, 154. 44 Goette in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 2. Aufl. 2009, § 119 Rz. 53; Wiedemann, GesR II (Fn. 42), S. 209; Weipert in MünchHdb. PersG (Fn. 5), § 14 Rz. 37; Sigle in FS Hüffer (Fn. 31), S. 973, 977. 45 Zum Informationsrecht Wiedemann, GesR II (Fn. 42), S. 253 ff.; Goette in FS Sigle (Fn. 28), S. 145, 154 ff.; Sigle in FS Hüffer (Fn. 31), S. 973, 977; nicht richtig erkannt von BGH, NJW 1995, 194 ff.; zum Klagerecht des Gesellschafters grdl. BGHZ 25, 47, 50; Wiedemann, GesR II (Fn. 42), S. 279 ff. 46 Grdl. BGHZ 126, 226, 230; Wiedemann, GesR II (Fn. 42), S. 265 ff.; Sigle in FS Hüffer (Fn. 31), S. 973, 977. 47 Grdl. BGHZ 81, 263, 269; BGHZ 105, 213, 218 (zur GmbH & Co. KG); BGHZ 112, 103; Wiedemann, GesR II (Fn. 42), S. 407 ff.; Sigle in FS Hüffer (Fn. 31), S. 973, 977. 48 Dazu Westermann, Handbuch PersG (Fn. 6), Rz. I-524 ff.; C. Schäfer in Großkomm.HGB (Fn. 8), § 119 Rz. 41 ff.; Ulmer/C. Schäfer in MünchKomm.BGB (Fn. 28), § 709 Rz. 93; Wiedemann, GesR II (Fn. 42), S. 220 f.; Sigle in FS Hüffer (Fn. 31), S. 973, 978 ff. 49 BGHZ 132, 263, 268 – Portland Zementwerk. 50 BGHZ 170, 283, 288 f. – Otto mit der aus der Sicht der Unternehmenspraxis zu begrüßenden Bemerkung, es sei „schließlich auch nicht ersichtlich, wie die Feststellung bzw. Verbindlicherklärung des Jahresabschlusses als solche nach Art und Ausmaß vorab im Gesellschaftsvertrag sollte quantifiziert werden können“; ebenso
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zeugt51. Nicht recht zu überzeugen vermag dagegen das zusätzlich angeführte Argument, als der Gewinnverwendung vorgeschaltete Maßnahme der Gewinnermittlung könne die Abschlussfeststellung in die Vermögensrechte des Kommanditisten nicht eingreifen52. Denn dagegen ließe sich füglich die wirtschaftliche Vergleichbarkeit von bilanzieller Gewinnfeststellung und Gewinnverwendung im Hinblick auf die Ausschüttungsinteressen der Kommanditisten ins Feld führen (vgl. oben II. 2. a)). Fragt man nach der Kernbereichsrelevanz von Gewinnverwendungsbeschlüssen, so gilt es zunächst, das von Priester vorgetragene Argument als Trugschluss zu entlarven, ein Eingriff in den Kernbereich mitgliedschaftlicher Rechte der Kommanditisten liege schon deshalb nicht vor, weil deren Beteiligung durch die Einbehaltung von Gewinnen bei der Gesellschaft eine Wertsteigerung erfahre53. Dabei wird übersehen, dass es bei den hier geltend gemachten Rechten um Ausschüttungsansprüche geht, d. h. um die Zuführung fungiblen Vermögens an die Kommanditisten; cash is king54! Jedoch spricht die Rechtsnatur des Gewinnverwendungsbeschlusses als stetig wiederkehrende, für die Kommanditisten in ihrer Variabilität voraussehbare Organisationsmaßnahme der laufenden Verwaltung einer „nach vorne offenen“ Gesellschaft gegen das Erfordernis einer im Gesellschaftsvertrag nach Inhalt und Ausmaß geregelten Thesaurierungskompetenz (vgl. oben II. 2. c)). Darin unterscheidet die Gewinnverwendung sich von der klar dem Kernbereich der Mitgliedschaft zuzuordnenden Gewinnverteilung unter den Gesellschaftern (§§ 168, 121 HGB)55. Zudem hat Priester zu Recht auf den Wertungswiderspruch hingewiesen, der entstünde, wollte man bei der KG die Beschlussfassung über die Gewinnthesaurierung aufgrund einer im Gesellschaftsvertrag vereinbarten allgemeinen Mehrheitsklausel verbieten, während diese bei der GmbH aufgrund der in § 29 Abs. 2 GmbHG gesetzlich verankerten all-
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Goette in FS Sigle (Fn. 28), S. 145, 156; Westermann, ZIP 2007, 2289, 2294; Weitemeyer in FS Kreutz (Fn. 15), S. 905, 913 f.; näher dazu bereits oben II. 2. b); noch auf das Portland Zementwerk-Urteil verweisend aber Hopt in Baumbach/Hopt (Fn. 37), § 119 Rz. 36. K. Schmidt, ZGR 2008, 1, 21 f.; Wertenbruch, ZIP 2007, 798, 800; Graf/Bisle in FS Buchner, 2009, S. 258, 263 f. So K. Schmidt, ZGR 1999, 601, 606; Priester, DStR 2007, 28, 30 f.; ders., DStR 2008, 1386, 1390; Wertenbruch, ZIP 2007, 798, 800. Priester, DStR 2007, 28, 31; ders., DStR 2008, 1386, 1391; Graf/Bisle in FS Buchner (Fn. 51), S. 258, 264. Sinngleich Westermann, ZIP 2007, 2289, 2293, der treffend bemerkt, Priesters Argument werde diejenigen Gesellschafter nicht überzeugen, die ihre Anteile wegen der Abschließung des Gesellschafterkreises oder des Fehlens eines entsprechenden Marktes nicht veräußern könnten. Wie hier K. Schmidt, ZGR 2008, 1, 22 f.; für Kernbereichsrelevanz der Gewinnverwendung dagegen Ulmer in FS Lutter, 2000, S. 935, 944; C. Schäfer in Großkomm. HGB (Fn. 8), § 120 Rz. 42; Ulmer/C. Schäfer in MünchKomm.BGB (Fn. 28), § 721 Rz. 9 f., § 709 Rz. 93; Aderhold in Westermann, Handbuch PersG (Fn. 6), Rz. I 2429; Wertenbruch, ZIP 2007, 798, 800 f.; Hopt in FS Odersky, 1996, S. 799, 816; offen gelassen in BGHZ 170, 283, 290 – Otto.
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gemeinen Thesaurierungsklausel zulässig sei56. Last not least spricht für die Gleichbehandlung von Gewinnfeststellung und Gewinnverwendung deren wirtschaftlich-funktionale Vergleichbarkeit (vgl. oben II. 2. a))57. Gegen die hier vertretene Auffassung ist die Beschränkung der Zuschreibung einbehaltener Gewinne zum Kapitalanteil eines Kommanditisten auf die Höhe der Einlage nach § 167 Abs. 2 HGB geltend gemacht worden. Das „Stehenlassen“ von Gewinnen, die diesen Betrag überschritten, sei rechtlich als Beitragserhöhung anzusehen (§ 707 BGB), die als solche ohne Zweifel dem Kernbereichsschutz unterfiele und deren zulässiges Ausmaß und Höhe folglich in einer gesellschaftsvertraglichen Mehrheitsklausel zu präzisieren seien58. Das überzeugt deshalb nicht, weil das Belastungsverbot zum Zweck hat, den Gesellschafter vor unerwartetem zusätzlichen Aufwand von Vermögen zu schützen, dem dieser durch seinen Beitritt zu der Gesellschaft mit einer begrenzten Einlage weder ausdrücklich noch implizit zugestimmt hat. Dieser Schutzweck kommt bei der Gewinnthesaurierung als zum Normalprogramm der laufenden Verwaltung der Gesellschaftsangelegenheiten gehörender Organisationsmaßnahme, die für den Kommanditisten durchaus vorhersehbar und in sein Kalkül einbeziehbar ist, gerade nicht zum Tragen59.
III. Gewinnverwendung im Konzern 1. Das Normalstatut der lex dispositiva a) Gewinn und Ausschüttung Bei der Betrachtung der Regeln zur Gewinnverwendung in einer GmbH & Co. KG, die an der Spitze eines faktischen Konzerns steht, ist von der einfachen Einsicht auszugehen, dass der Ausschüttungsanspruch des Kommanditisten nach § 169 Abs. 1 Satz 2 HGB sich auf den nach § 120 Abs. 1 HGB im Einzelabschluss der KG auszuweisenden Gewinn bezieht. Wie dieser Gewinn zu berechnen ist, hat Schulze-Osterloh jüngst noch einmal mit Klarheit und Deutlichkeit ausgeführt: Gewinn oder Verlust der GmbH & Co. KG ist die nach den Regeln der kaufmännischen Buchführung ermittelte Vermehrung oder Verminderung des Gesellschaftsvermögens in der Rechnungsperiode nach Ab-
__________ 56 Priester, DStR 2007, 28, 31; ders., DStR 2008, 1386, 1391; dagegen aber Wertenbruch, ZIP 2007, 798, 800, mit dem Argument, nur bei Vorliegen einer bereits im Gesetz enthaltenen allgemeinen Mehrheitsklausel müsse ein Gesellschafter mit Gewinnthesaurierung rechnen; ähnlich Binz/Mayer, DB 2007, 1739, 1747. Das erscheint dem Verf. im Hinblick auf die berechtigten Erwartungen einer Person, die sich an einem Unternehmen beteiligt, realitätsfern. 57 A. A. Binz/Mayer, DB 2007, 1739, 1747. 58 Haar, NZG 2007, 601, 603; im Anschluss an U. Huber in GS Knobbe-Keuk (Fn. 21), S. 203, 209 f.; zur Kernbereichsrelevanz von Beitragserhöhungen BGHZ 170, 283, 285 – Otto; BGH, WM 2007, 2381 ff.; Hopt in Baumbach/Hopt (Fn. 37), § 109 Rz. 14 und § 119 Rz. 35; C. Schäfer in Großkomm.HGB (Fn. 8), § 119 Rz. 40. 59 Nicht überzeugend daher auch das Argument von Binz/Mayer, DB 2007, 1739, 1742, die Gewinnthesaurierung greife deshalb in den Kernbereich ein, weil der Kommanditist auf den einbehaltenen Gewinn Steuern zahlen müsse.
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zug von Einlagen und Hinzurechnung von Entnahmen in dieser Zeit60. In der Bilanz der haftungsbeschränkten GmbH & Co. KG, die nach § 264a Abs. 1 HGB wie eine Kapitalgesellschaft Rechnung zu legen hat, entspricht dieser Betrag dem nach § 264c Abs. 2 IV. HGB auf der Passivseite als Teil des Eigenkapitals auszuweisenden Jahresüberschuss bzw. Jahresfehlbetrag61. Dieser Betrag ist sorgfältig von dem nach § 158 AktG zu ermittelnden Bilanzgewinn zu unterscheiden, der die Auswirkung von Gewinn- und Verlustvorträgen sowie vor allem auch die Veränderungen in den Kapital- und Gewinnrücklagen mit einbezieht. Der Gewinn i. S. v. § 120 Abs. 1 HGB, auf den sich der Ausschüttungsanspruch des Kommanditisten nach § 169 Abs. 1 Satz 2 HGB bezieht, schließt Gewinne, die bei Tochter- und Beteiligungsgesellschaften der GmbH & Co. KG erwirtschaftet werden, nur dann mit ein, wenn bei der Tochter- bzw. Beteiligungsgesellschaft ein Gewinnverwendungsbeschluss gefasst worden ist, der einen in der Bilanz der KG zu verbuchenden Ausschüttungsanspruch begründet62. Für ausländische Tochter- und Beteiligungsgesellschaften kommt es darauf an, ob nach den Regeln des ausländischen Gesellschaftsstatuts Ausschüttungsansprüche zu Gunsten der KG entstanden sind63. Unerheblich für die Bemessung des Gewinns ist der in der konsolidierten Gewinn- und Verlustrechnung einer haftungsbeschränkten GmbH & Co. KG nach §§ 264a, 298, 275 Abs. 2 HGB auszuweisende Konzernüberschuss64. Das folgt nicht zuletzt auch daraus, dass für die normale KG mit unbeschränkter Haftung eine konsolidierte Rechnungslegung nach § 290 HGB erst gar nicht vorgeschrieben ist. Es kann daher festgehalten werden, dass nach dem gesetzlichen Normalstatut der GmbH & Co. KG weder eine konzerndimensionale Berechnung des Gewinns der KG nach § 120 Abs. 1 HGB65 noch auch eine konzerndimensionale
__________ 60 Schulze-Osterloh in FS K. Schmidt (Fn. 4), S. 1447 ff.; Weipert in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn (Fn. 44), § 169 Rz. 3 ff.; auf den nach Rücklagendotierung verbleibenden Bilanzgewinn abstellend dagegen Hopt in Baumbach/Hopt (Fn. 37), § 120 Rz. 7, der sich für seine Auffassung auf die Entscheidung BGHZ 58, 316, 320 f. beruft, wo es jedoch um die anders zu beurteilende Berechnung des bestimmungsgemäßen Ertrags eines nießbrauchbelasteteten Gesellschaftsanteils i. S. von § 99 Abs. 2 BGB ging; ebenso Ehricke in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn (Fn. 44), § 120 Rz. 63. 61 Der Jahresüberschuss wird unter Berücksichtigung der von den einzelnen Kommanditisten getätigten Einlagen und Entnahmen für die Gesellschaft als ganze zusammengefasst ausgewiesen; Hüttemann in Großkomm.HGB (Fn. 6), § 264c Rz. 5 und 13. 62 BGHZ 137, 378, 381 f. – Tomberger; Priester, DStR 2007, 28, 32; Westermann, ZIP 2007, 2289, 2294 f. 63 Kindler in MünchKomm.BGB, IntGesR, 4. Aufl. 2006, Rz. 591. 64 Zum Ausweis des Konzernüberschusses bzw. -fehlbetrages Kraft in Großkomm.HGB (Fn. 6), § 298 Rz. 89, 132; Förschle/Deubert in BeckBilKomm, 7. Aufl. 2010, § 298 Rz. 76. 65 Wie auch sonst im deutschen Gesellschafts- und Bilanzrecht ist die nach §§ 264a Abs. 1, 290 ff. HGB zu erstellende Konzernbilanz einer GmbH & Co. KG mit Haftungsbeschränkung eben nicht die von § 120 Abs. 1 HGB allein angesprochene Ausschüttungsbilanz; deutlich so auch BGHZ 170, 283, 296; zur gleichen Rechtslage hinsichtlich der Konzernbilanz der AG jüngst auch Lutter in FS K. Schmidt (Fn. 4),
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Berechnung des Ausschüttungsanspruchs der Kommanditisten nach § 169 Abs. 1 Satz 2 HGB vorgesehen ist. Da den Kommanditisten kein konzerndimensionaler Ausschüttungsanspruch zusteht, kann die Gestions-GmbH und die für sie handelnden Geschäftsführer bei der Ausübung von Gesellschafterrechten in Tochter- und Beteiligungsgesellschaften auch keine den legitimen Interessen an einer Gewinnthesaurierung a priori vorrangige Pflicht treffen, auf eine Vollausschüttung an die KG hinzuwirken66. Vielmehr muss es insoweit bei der allgemeinen Pflichtbindung der Geschäftsführungsorgane der KG und der GmbH bleiben, die dahin geht, Beteiligungsrechte der KG im Rahmen der durch Gesetz und Statut in der jeweiligen Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft vorgegebenen Bindungen nach pflichtgemäßem unternehmerischem Ermessen im besten Interesse der KG wahrzunehmen67. b) Kompetenz zur Ausübung von Beteiligungsrechten Bei der Ausübung von Beteiligungsrechten in anderen Gesellschaften wird die GmbH & Co. KG durch die Gestions-GmbH vertreten, die ihrerseits durch ihre Geschäftsführer handelt (§ 126 HGB, § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG). Im Innenverhältnis der KG hängt die Kompetenz zur Entscheidung über die Ausübung solcher Rechte einschließlich der Gewinnthesaurierung in Tochter- und Beteiligungsgesellschaften davon ab, ob die jeweilige Maßnahme den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes der KG betrifft oder darüber hinausgeht. Im erstgenannten Fall liegt die Entscheidung als Geschäftsführungsmaßnahme nach §§ 114 f., 116 Abs. 1 HGB allein bei den Komplementären. Handelt es sich dagegen um eine Entscheidung von außergewöhnlicher Bedeutung, ist nach §§ 116 Abs. 2, 119 Abs. 1, 164 Satz 1 Hs. 2 HGB ein einstimmiger Beschluss sämtlicher Gesellschafter erforderlich68. Der in dem zum Aktienrecht ergangenen Holzmüller-Urteil des BGH richterrechtlich postulierte und für die Aktiengesellschaft heftig umstrittene Grundsatz, dass schwerwiegende Eingriffe in die mitgliedschaftlichen Interessen der
__________ S. 1065, 1075. De lege ferenda plädiert Henssler in FS Zöllner Bd. I, 1998, S. 203, 230 f. für eine Aufwertung des Konzernabschlusses zur Bemessungsgrundlage für Gewinnverwendungsentscheidungen im Konzern. 66 Zutr. Westermann, ZIP 2007, 2289, 2292; Priester, DStR 2007, 28, 31, allerdings mit überzogenen Ableitungen aus einem treupflichtgestützten Ausschüttungsgebot; näher dazu sogleich unter V. 1.; a. A. OLG Hamburg, AG 2006, 45, 46 – Otto; Mülbert in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2007, KonzernR Rz. 97; Uwe H. Schneider, BB 1980, 1057, 1060; ders. in FS Bärmann (Fn. 1), S. 873, 887 f.; ders., ZHR 143 (1979), 485, 514 f.; Haar, NZG 2007, 601, 605. 67 Die aus dem Recht der Tochtergesellschaften folgenden Bindungen zu Recht betonend Westermann, ZIP 2007, 2289, 2292; zur Thesaurierung im Aktienkonzern ders. in FS Pleyer, 1986, S. 421, 440 ff.; insoweit zutr. auch Mülbert in MünchKomm.HGB (Fn. 66), KonzernR Rz. 97. 68 Uwe H. Schneider in FS Bärmann (Fn. 1), S. 873, 888; Wertenbruch, ZIP 2007, 798 f.; Westermann, ZIP 2007, 2289, 2291; Priester, DStR 2007, 1386, 1391; Haar, NZG 2007, 601, 604; offen gelassen von BGHZ 170, 283, 296 – Otto.
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Gesellschafter nicht ohne deren Mitwirkung erfolgen dürften69, ist damit für die KG eindeutig im Gesetz festgeschrieben70. Da das Mitwirkungsrecht der Kommanditisten alle Maßnahmen von außergewöhnlicher Bedeutung erfasst, muss eine Beschränkung auf die Begründung von Konzernverbindungen (Konzerneingangsschutz) unter Ausschluss nachträglicher Maßnahmen bei der Verwaltung erworbener Beteiligungen (Konzernleitungsschutz), wie sie im Rahmen der Holzmüller-Debatte von Teilen des aktienrechtlichen Schrifttums gefordert wird71, bei den Personenhandelsgesellschaften ausscheiden. Die Beschlussfassung über die Gewinnverwendung in Tochtergesellschaften erscheint damit deutlich auf dem Radarschirm möglicher außergewöhnlicher Geschäfte i. S. v. §§ 116 Abs. 2, 164 Satz 1 Halbs. 2 HGB72. Vom Mitwirkungsrecht der Kommanditisten von vornherein auszuschließen sind allerdings solche Thesaurierungsmaßnahmen, die das Recht der Untergesellschaft zwingend vorschreibt, was auch Rechtsbindungen nach § 311 AktG und Treubindungen gegenüber Minderheitsgesellschaftern der Untergesellschaft einschließt73. Denn insoweit käme den Kommanditisten wegen der auf ihrer mitgliedschaftlichen Einbindung in die Untergesellschaft beruhenden strikten Legalitätspflichten der KG ein Mitentscheidungsrecht in der Sache ohnehin nicht zu. Abzulehnen ist die besonders deutlich von Wertenbruch artikulierte Auffassung, jede Gewinnthesaurierung in einer Tochtergesellschaft der KG sei ungeachtet ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für das Gesamtergebnis der Obergesellschaft bei dieser schon deshalb als außergewöhnliches Geschäft i. S. d. § 116 Abs. 2 HGB anzusehen, weil eine solche Maßnahme, wäre sie in der Obergesellschaft getroffen worden, nach § 169 Abs. 1 Satz 2 HGB der Mitwirkung der Kommanditisten bedurft hätte74. Diese Auffassung beruht auf der
__________ 69 BGHZ 83, 122, 131 – Holzmüller; beschränkend auf Maßnahmen, die eine Mediatisierung des Einflusses der Aktionäre der Obergesellschaft durch Verlagerung von Aktivitäten auf Tochtergesellschaften zur Folge haben und Satzungsänderungen gleich kommen, BGHZ 159, 30 ff. – Gelatine; im Schrifttum krit. dagegen jüngst Hoffmann-Becking, ZHR 172 (2008), 231 ff.; Paefgen, ZHR 172 (2008), 42 ff. mit Überblick zum Streitstand. 70 Tröger in Westermann, Handbuch PersG (Fn. 6), Rz. I-4006, I-4008; Mülbert in MünchKomm.HGB (Fn. 66), KonzernR Rz. 71 ff.; Wertenbruch, ZIP 2007, 798, 802. 71 Martens, ZHR 147 (1983), 377, 417 ff.; Westermann, ZGR 1984, 352, 367; Kropff, ZGR 1984, 112, 131; a. A. Lutter in FS Stimpel, 1985, S. 825, 849 ff.); speziell zur Gewinnthesaurierung ders. in FS K. Schmidt (Fn. 4), S. 1065, 1076; Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, S. 429 ff. 72 Tröger in Westermann, Handbuch PersG (Fn. 6), Rz. I 4008, I 4017; C. Schäfer in Großkomm.HGB (Fn. 8), § 105 Anh Rz. 84; Mülbert in MünchKomm.HGB (Fn. 66), KonzernR Rz. 71 f.; Westermann, ZIP 2007, 2289, 2292; Wertenbruch, ZIP 2007, 798, 802. 73 Westermann, ZIP 2007, 2289, 2292 f.; Henssler in FS Zöllner (Fn. 65), S. 203, 218 ff.; deutlich so auch Tröger in Westermann, Handbuch PersG (Fn. 6), Rz. I 4016; allgemein dazu auch bereits oben III.1.a). 74 Wertenbruch, ZIP 2007, 798, 802, der sich dafür auf einen „Zurechnungsgrundsatz“ beruft; Tröger in Westermann, Handbuch PersG (Fn. 6), Rz. I 4017; Haar, NZG 2007, 601, 605; einschränkend aber Westermann, ZIP 2007, 2289, 2293.
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Prämisse, das Gesetz gewähre den Kommanditisten einen konzerndimensional zu bestimmenden Vollausschüttungsanspruch oder zumindest einen Anspruch darauf, dass die KG vorrangig auf Vollausschüttung in ihren Tochter- und Beteiligungsgesellschaften hinzuwirken habe. Das trifft, wie unter III. 1. a) ausgeführt wurde, jedoch nicht zu. Ein weiteres von Wertenbruch unter dem Stichwort der „akzessorischen Beschlussfassung“ vorgebrachtes Argument lautet, für die Ungewöhnlichkeit einer Maßnahme i. S. v. § 116 Abs. 2 HGB könne es nicht darauf ankommen, ob diese bei der KG selbst oder einer Tochtergesellschaft stattfinde75. Das ist im Kern wohl richtig, bedarf aber der Präzisierung. Entscheidend für die Ungewöhnlichkeit der Entscheidung über Gewinnthesaurierungen bei Untergesellschaften sind allein die finanziellen Verhältnisse der Obergesellschaft76. Das bezieht die finanzielle Situation von 100 %-igen Tochtergesellschaft ein, beschränkt sich aber nicht darauf. Vielmehr muss die Prüfung sich auf alle Beteiligungen der KG ungeachtet deren Höhe erstrecken. Entscheidend ist allein die Größe der Gewinnbeteiligung in der Tochter- oder Beteiligungsgesellschaft im Verhältnis zum Gesamtergebnis der KG77. 2. Vertragsgestaltung a) Weiter Spielraum Die Beurteilung, ob Gewinnthesaurierungen in Untergesellschaften als ungewöhnliche Geschäfte i. S. v. § 116 Abs. 2 HGB anzusehen sind, erfordert eine Betrachtung von Fall zu Fall, die in Anbetracht des Fehlens auch nur annähernd präziser Vorgaben durch die Rechtsprechung zu beträchtlicher Rechtsunsicherheit führen kann78. Das erinnert an die nach Ergehen des HolmüllerUrteils79 im Schrifttum zu Recht vorgetragene Kritik an der Offenheit der Formel vom tiefen Eingriff in die Mitgliedsrechte der Gesellschafter80. Während die ungeschriebenen Mitwirkungsrechte der Aktionäre nach der HolzmüllerDoktrin nach h. M. dem Grundsatz der aktienrechtlichen Satzungsstrenge un-
__________ 75 Wertenbruch, ZIP 2007, 798, 802 unter Berufung auf BGH, BB 1973, 212, 214; siehe auch bereits Uwe H. Schneider in FS Bärmann (Fn. 1), S. 873, 881 f. 76 Westermann, ZIP 2007, 2289, 2291 f.; Martens in Schlegelberger (Fn. 31), Anh. § 105 Rz. 16; Mülbert in MünchKomm.HGB (Fn. 66), KonzernR Rz. 89. Nicht mehr und nicht weniger dürfte gemeint sein, wenn es in BGH, BB 1973, 212, 214 heißt, bei 100 %-igen Tochtergesellschaften liege wirtschaftlich gesehen ein einheitliches Unternehmen vor. 77 Uwe H. Schneider in FS Bärmann (Fn. 1), S. 873, 887; Westermann, ZIP 2007, 2289; a. A. Tröger in Westermann, Handbuch PersG (Fn. 6), Rz. I 4016; Wertenbruch, ZIP 2007, 798, 802; zumindest so interpretierbar auch BGH, BB 1973, 212, 214. 78 Wertenbruch, ZIP 2007, 798, 802 spricht treffend von einer „offene[n] Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung.“ 79 BGHZ 83, 122, 131 – Holzmüller. 80 Statt vieler Martens, ZHR 147 (1983), 377 ff.; Westermann, ZGR 1984, 352 ff.; Heinsius, ZGR 1984, 383 ff.; Werner, ZHR 147 (1983), 429 ff.; Zusammenfassung der Kritik bei Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG, 2002, S. 512.
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terfallen (§ 23 Abs. 5 AktG)81, ist das Mitwirkungsrecht der Kommanditisten bei der Gewinnthesaurierung nach §§ 116 Abs. 2, 119 Abs. 1, 164 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 HGB allerdings dispositiv und daher der Präzisierung im Gesellschaftsvertrag der KG zugänglich (§ 163 HGB)82. Damit ist der Kautelarpraxis ein weiter Gestaltungsspielraum eröffnet, dessen Ausnutzung sich dringend empfiehlt83. Hinsichtlich der möglichen Vertragsgestaltungen ist zunächst an direkte Vorgaben zur Höhe von Thesaurierungen in Tochtergesellschaften zu denken; so sind etwa Klauseln vorstellbar, die einen Höchst- oder Mindestsatz vom Jahresabschluss der jeweiligen Tochtergesellschaft als Thesaurierungs- bzw. Ausschüttungssatz festlegen84. Dass kann allerdings zu misslichen Inflexibilitäten führen85. Richtiger und wichtiger erscheint es deshalb, im Gesellschaftsvertrag der KG eine an die relative Bedeutung der Größe (Umsatz, Bilanzsumme, Eigenkapital, investiertes Kapital) und/oder der Ertragskraft von Tochtergesellschaften (Jahresüberschuss, EBIT, EBITDA) für den Gesamtkonzern anknüpfende Relevanzschwelle aufzunehmen. Solange diese Schwelle nicht überschritten ist, kann dann die Gewinnthesaurierung bei den Töchtern gesellschaftsvertraglich als operative Maßnahme der Obergesellschaft eingeordnet werden, die in die alleinige Zuständigkeit der Gestions-GmbH und ihrer Geschäftsführer fällt. Bei Überschreiten der Relevanzschwelle wären nach dem Gesellschaftsvertrag die Kommanditisten zur Beschlussfassung über die Gewinnthesaurierung in solchen bedeutenden Tochtergesellschaften berufen. Denkbar ist auch eine allgemeine Mehrheitsklausel, die dann bestimmte Fälle (Tochtergesellschaften) als Ausnahmefälle auflistet, bei denen einstimmige Beschlussfassung erforderlich ist86. b) Bestimmtheitsgrundsatz Greift nach dem Gesellschaftsvertrag die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung ein, ist es zur Vermeidung von Blockademöglichkeiten renitenter
__________ 81 Martens, ZHR 147 (1983), 377, 390 ff.; Westermann, ZGR 1984, 352, 363; Lutter in FS Fleck, 1988, S. 169, 189; Paefgen (Fn. 80), S. 500 ff.; a. A. Heinsius, ZGR 1984, 383, 407 f.; Werner, ZHR 147 (1983), 429, 430, 450 f.; krit. auch Koppensteiner, DK 2004, 381, 385. 82 RGZ 136, 236, 243; OLG Celle, GmbHR 2000, 388 f.; Mülbert in MünchKomm.HGB (Fn. 66), KonzernR Rz. 98; Martens in Schlegelberger (Fn. 31), § 116 Rz. 35; C. Schäfer in Großkomm.HGB (Fn. 8), § 116 Rz. 37 ff.; Jickeli in MünchKomm.HGB (Fn. 66), § 116 Rz. 60 f. 83 Westermann, ZIP 2007, 2289, 2293 berichtet, Regelungen zur Gewinnthesaurierung in Tochtergesellschaften seien selbst in den Verträgen der Obergesellschaften großer Unternehmensgruppen eher selten zu finden. 84 Priester, DStR 2008, 1386, 1392; Graf/Bisle in FS Buchner (Fn. 13), S. 258, 266. 85 Auch wäre damit nur eine begrenzte Erhöhung der Rechtssicherheit verbunden, da die Berufung auf solche starren Regelungen im Einzelfall besonders anfällig dafür ist, als treuwidrig gerügt zu werden; Wiedemann, GesR II (Fn. 42), S. 228 f.; näher dazu unten V. 86 Priester, DStR 2008, 1386, 1391; Goette, JbFSt 2007/2008, S. 290 f.; Graf/Bisle in FS Buchner (Fn. 13), S. 258, 266.
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Minderheitsgesellschafter erforderlich, für die Beschlussfassung das Einstimmigkeitserfordernis nach § 119 Abs. 1 HGB abzuändern. Das lässt sich bei Zugrundelegung des verschlankten Bestimmtheitsgrundsatzes i. S. d. OttoUrteils auf einfache Weise bewerkstelligen. Wie bei der direkten Gewinnthesaurierung auf der Ebene der Obergesellschaft muss dafür erst recht auch bei der mittelbaren Gewinneinbehaltung auf der Ebene von Tochtergesellschaften eine einfache Mehrheitsklausel ausreichen. Bei der GmbH & Co. KG kann dies durch Verweis auf die einschlägigen Mehrheitsregeln des für die Gestions-GmbH geltenden Rechts – hier § 47 Abs. 2 GmbHG – geschehen (vgl. oben II. 3. a)). c) Keine Kernbereichsrelevanz Bei der Frage der Kernbereichsrelevanz von Gewinnthesaurierungen in Tochtergesellschaften kann an die Überlegungen zur Gewinnthesaurierung in der Einzelgesellschaft angeknüpft werden. Die Ausführungen unter II. 2. c) und 3. b) bb) zur Rechtsnatur von Thesaurierungsbeschlüssen in der nicht konzernverbundenen Einzelgesellschaft als stetig wiederkehrende, für die Kommanditisten in ihrer Variabilität voraussehbare und daher als implizit vorab konsentiert anzusehende Bestandteile des von einer unternehmenstragenden Gesellschaft abzuwickelnden Normalprogramms beanspruchen, wenn es um die bloß mittelbare Thesaurierung durch Gewinneinbehaltung bei Tochtergesellschaften geht, um so stärker Geltung. Auch sub specie der Kernbereichslehre muss daher eine einfache Mehrheitsklausel im KG-Vertrag genügen, um die zur Vermeidung von Blockademöglichkeiten renitenter Minderheitsgesellschafter erforderliche Aufhebung des Einstimmigkeitsgrundsatzes zustande zu bringen (§ 119 Abs. 2 HGB). Infolgedessen ist es nicht erforderlich, im KG-Vertrag die Tochtergesellschaften, die von der mehrheitlichen Thesaurierungskompetenz der Kommanditisten erfasst werden sollen, im Einzelnen aufzuführen. Auch ist es nicht zwingend geboten, das Ausmaß zulässiger Thesaurierung durch Festlegung von Höchstgrenzen zu präziseren. Das muss jedenfalls dann gelten, wenn der KG-Vertrag den Erwerb von Beteiligungen an Tochtergesellschaften ausdrücklich zulässt (Konzernklausel).
IV. Konzerndimensionale Auslegung von Thesaurierungsklauseln? 1. Problemstellung Nicht selten fehlt es in den Gesellschaftsverträgen von Konzernobergesellschaften in der Form der GmbH & Co. KG an konzernspezifischen Thesaurierungsklauseln87. Damit wird für die Praxis die Frage akut, welche Bedeutung Vertragsbestimmungen, die sich ihrem Wortlaut nach nur auf den Gewinn der Obergesellschaft beziehen, für die Gewinnthesaurierung in Tochtergesellschaften zukommt. Ein typisches Beispiel für diese Problematik ist der dem BGH im Fall „Otto“ vorgelegte KG-Vertrag, der zwar eine die Gewinnthesau-
__________ 87 Vgl. Fn. 83.
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rierung beschränkende Klausel enthielt, die aber ihrem Wortlaut nach nicht erkennbar auf das Gesamtergebnis des Otto-Konzerns bezogen war88. Das in erster Instanz entscheidende LG Hamburg hatte diese Klausel offenbar auf den Konzernüberschuss beziehen wollen89. Der BGH ließ die Frage mit der Begründung offen, dass es in casu nur um die rechtmäßige Feststellung des Einzelabschlusses der Konzernspitzen-KG ging, auf den Gewinne von Tochtergesellschaften nur insoweit Einfluss haben könnten, als diese nach dem Tomberger-Urteil auf Grund ordnungsgemäßen Ausschüttungsbeschlusses der Tochter bei der Mutter aktiviert werden dürften (vgl. oben III. 1. a))90. 2. Unzulässigkeit Uwe H. Schneider hat in einem ähnlichen Kontext zu dem hier angesprochenen Problem bemerkt, die für die Obergesellschaft geltenden Vorgaben zur Gewinnverwendung seien grundsätzlich auch bei der Ausübung von Gesellschafterrechten in Tochtergesellschaften zu beachten91. Das könnte allerdings von vornherein nur insoweit gelten, als einem solchen konzernweiten Geltungsanspruch die aus der mitgliedschaftlichen Einbindung der Obergesellschaft in die Untergesellschaft folgenden Rechts- und Treubindungen nicht entgegen stehen92. Auch ist zu bedenken, dass eine konzerndimensionale Auslegung auf den Einzelabschluss der Mutter bezogener Vertragsbestimmungen in der konkreten praktischen Handhabung zu erheblichen Anwendungsschwierigkeiten führen kann. Das ist jedenfalls dann so, wenn man dabei die Einzelergebnisse der Konzerngesellschaften – unter Berücksichtigung komplizierter Ausnahmen – addiert und zur Summe der konzernweit gebildeten Rücklagen ins Verhältnis setzt93. Setzt man zur Berechnung des bei der KG als Obergesellschaft verfügbaren Ausschüttungspotenzials den Konzernüberschuss ins Verhältnis zur Ge-
__________ 88 BGHZ 170, 283, 290 und 294 – Otto (§ 9 des Gesellschaftsvertrages: zwingende Thesaurierung von 20 % des Jahresüberschusses, darüber hinausgehend nur mit 76 %Stimmenmehheit); dazu Westermann, ZIP 2007, 2289, 2294. 89 Vgl. Westermann, ZIP 2007, 2289, 2294; offen gelassen von OLG Hamburg, AG 2006, 45, 46 f. – Otto. 90 BGHZ 170, 283, 294 ff. – Otto; dieser Beurteilung zust. Westermann, ZIP 2007, 2289, 2294. 91 Uwe H. Schneider, BB 1981, 249, 251, 253 (zur GmbH als Konzernspitze); die Frage des Durchschlagens eines Vollausschüttungsgebots in der Satzung der Mutter-GmbH auf die Gewinnverwendung in der Tochter-GmbH offen lassend BGH, DB 1997, 865 ff. 92 Vgl. oben III. 1. a) bei Fn. 67; so auch Uwe H. Schneider, BB 1981, 249, 258; dazu auch Beusch in FS Goerdeler, 1987, S. 25, 38 ff. 93 Siehe dazu etwa den Vorschlag von Lutter in FS Goerdeler (Fn. 92), S. 327 ff. zur vergleichbaren Problematik einer konzerndimensionalen Auslegung von § 58 Abs. 2 AktG; sowie die Kritik an einem solchen Vorgehen von Beusch in FS Goerdeler (Fn. 92), S. 25 ff., der auf S. 41 f. zu Recht bezweifelt, ob ein Wirtschaftsprüfer das von Lutter vorgeschlagene Konzernthesaurierungsregelement überhaupt prüfen könne. Mit Blick auf die Problematik bei der KG beachte man die Bemerkungen von Westermann, ZIP 2007, 2289, 2294 zu den offensichtlichen Schwierigkeiten, auf die das LG Hamburg bei dem Versuch stieß, die 20 %-Mindestthesaurierungsregel des Gesellschaftsvertrags der KG im Fall „Otto“ konzerndimensional anzuwenden.
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samtsumme der bei den Tochter-, Enkel- und Urenkelgesellschaften (usw.) gebildeten Gewinnrücklagen, lassen sich allfällige Defizite im Gewinnausweis der für Gewinnausschüttungen an die Kommanditisten allein maßgeblichen Einzelbilanz der KG zwar durch Auflösung von früher erfolgten Gewinnrücklagen und Gewinnvorträgen ausgleichen94. Das ändert aber nichts daran, dass bei der KG leicht Liquiditätsdefizite dadurch entstehen können, dass auf nachgeordneten Konzernstufen entstandene Gewinne zwar in den Konzernabschluss Eingang gefunden haben, als Cash Flow jedoch noch nicht bei der Obergesellschaft angekommen sind. Das dürfte kaum im Sinne der Erfinder einer nicht spezifisch konzerndimensional zugeschnittenen Thesaurierungsklausel liegen. Angesichts der aufgezeigten Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten wird sich die konzerndimensionale Interpretation auf den Einzelabschluss bezogener Thesaurierungsklauseln in aller Regel verbieten95.
V. Treubindung als flexible Ausübungs- und Gestaltungsschranke 1. Materielle Beschlussvoraussetzung Die formale Legitimation von Mehrheitsentscheidungen der Kommanditisten über die Gewinnfeststellung und Gewinnverwendung durch eine gesellschaftsvertragliche Mehrheitsklausel, wie sie der Bestimmtheitsgrundsatz fordert (vgl. oben II. 3. a) und III. 2. b)), vermag für sich allein die Rechtmäßigkeit solcher Beschlüsse nicht abschließend zu begründen. Dies anders zu sehen, hieße sich auf den rechtskulturellen Entwicklungsstand des in dem berühmten Hibernia-Urteil des Reichsgerichts statuierten Prinzips „Mehrheit ist Mehrheit“ zurück begeben zu wollen96. Für die Personengesellschaft müsste dies aus heutiger Sicht noch befremdlicher anmuten als für die Aktiengesellschaft. Wie im modernen Aktienrecht97, so ist es denn auch für das Personengesellschaftsrecht im Grundsatz unbestritten, dass die durch den Gesellschaftsvertrag formal legitimierte Mehrheitsmacht auf einer zweiten Prüfungsstufe einer auf die besonderen Umstände des Einzelfalles bezogenen Ausübungskontrolle bedarf98. Zu Recht hat der BGH jüngst dazu klargestellt, dass eine Ausübungskontrolle nicht nur im kernbereichsrelevanten Bereich des Mitgliedschafts-
__________
94 Vgl. W. Müller in Großkomm.GmbHG, 2006, § 29 Rz. 90 zur Gewinnverwendung bei der GmbH-Konzernspitze; zur Thesaurierung im Aktienkonzern Westermann in FS Pleyer (Fn. 67), S. 421, 442. 95 Zurückhaltend auch Westermann, ZIP 2007, 2289, 2294; zu Recht abl. gegenüber der pauschalen Übertragung des statutarischen Gewinnausschüttungsreglements einer Konzernspitzen-GmbH auf deren Tochtergesellschaften Henssler in FS Zöllner (Fn. 65), S. 203, 218 ff. 96 RGZ 68, 235, 244 ff. – Hibernia. 97 Grdl. BGHZ 71, 40 ff. – Kali + Salz. 98 C. Schäfer in Großkomm.HGB (Fn. 8), § 119 Rz. 52; Hopt in Baumbach/Hopt (Fn. 37), § 119 Rz. 37; Wiedemann, GesR I (Fn. 27), S. 411 f. und GesR II (Fn. 42), S. 227; R. Fischer in FS Barz, 1974, S. 32, 45 f.; Leenen in FS Larenz II, 1983, S. 371, 383 ff.; speziell zur Gewinnverwendung in der KG OLG Hamburg, AG 2006, 45, 46 – Otto; Priester, DStR 2007, 28, 31 f.; ders. in FS Quack, 1991, S. 373, 388 f.; Westermann, ZIP 2007, 2289, 2290; Haar, NZG 2007, 601, 603 f.; noch für Inhaltskontrolle nach § 138 BGB Hadding, ZGR 1979, 636, 646 f.; Uwe H. Schneider, ZGR 1972, 357, 381.
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rechts angezeigt ist99. Die Treubindung umfasst als allgemeine flexible Ausübungsschranke der Mehrheitsherrschaft vielmehr auch die Berücksichtigung solcher Minderheitsrechte, denen wie dem Ausschüttungsanspruch des Kommanditisten nach § 169 Abs. 1 Satz 2 HGB kein Kernbereichsschutz i. S. eines Erfordernisses qualifizierter inhaltlicher Präzisierung der Eingriffsvoraussetzungen in einer gesellschaftsvertraglichen Mehrheitsklausel zukommt (vgl. oben II. 3. b) bb) und III. 2. c))100. Der Sache nach handelt es sich bei der Ausübungskontrolle um eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Abwägung der Ausschüttungsinteressen der Gesellschafter gegen das Interesse der Gesellschaft, durch Gewinnthesaurierung für eine adäquate Kapitalausstattung zu sorgen und damit Risikovorsorge zu betreiben101. Dabei sind auf Seiten der Gesellschafter insbesondere auch deren steuerliche Interessen zu berücksichtigen. Ob man dies nach aktienrechtlichem Vorbild als Inhalts- bzw. Verhältnismäßigkeitskontrolle oder wie hier als Treubindung bezeichnet, ist dabei eher eine Frage der sprachlichen Etikettierung102. Wichtiger ist es, festzuhalten, dass bei der Abwägung weder von einem Verbot der Aushöhlung des Gewinnrechtes der Kommanditisten durch Gewinnthesaurierung103 noch auch vom grundsätzlichen Vorrang des Risikovorsorgeinteresses der Gesellschaft104 ausgegangen werden kann105. Bei der erforderlichen Abwägung können Treubindungen je nach Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages sowohl zu Gunsten einer Gesellschaftermehrheit als auch zu Gunsten von Minderheitsgesellschaftern wirken. Fehlt es an einer gesellschaftsvertraglichen Mehrheitsklausel, können Minderheitsgesellschafter kraft ihrer Treubindungen verpflichtet sein, die dann für eine angemessene Risikovorsorge erforderliche Einstimmigkeit bei Beschlussfassung über die Einbehaltung von Gewinnen herzustellen106. Enthält der Vertrag die erforderliche Mehr-
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99 BGH, NJW 2009, 669, 671 – Schutzgemeinschaft II; C. Schäfer in Großkomm.HGB (Fn. 8), § 119 Rz. 52; K. Schmidt, ZGR 2008, 1, 22 f.; anders noch BGHZ 170, 283, 287 f. – Otto; ebenso noch Goette in FS Sigle (Fn. 28), S. 145, 158; ders. in Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn (Fn. 44), § 119 Rz. 59. 100 Speziell zur Gewinnverwendung K. Schmidt, ZGR 2008, 1, 22 f. 101 BGH, NJW 2009, 669, 671 – Schutzgemeinschaft II; Hopt in Baumbach/Hopt (Fn. 37), § 119 Rz. 37; Wiedemann, GesR II (Fn. 42), S. 383; Goette in FS Sigle (Fn. 28), S. 145, 160 f.; zur konzerndimensionalen Thesaurierung Priester, DStR 2007, 28, 31 f.; ders., DStR 2007, 1386, 1391; Westermann, ZIP 2007, 2289, 2294. 102 Für ein Erfordernis sachlicher Rechfertigung der Mehrheitsentscheidung nach dem Vorbild von BGHZ 71, 40 ff. – Kali + Salz C. Schäfer in Großkomm.HGB (Fn. 8), § 119 Rz. 52; Ulmer/C. Schäfer in MünchKomm.BGB (Fn. 28), § 709 Rz. 100; Haar, NZG 2007, 601, 603 f. 103 In diese Richtung deutend aber Priester, DStR 2007, 28, 32. 104 BGHZ 132, 263, 276 – Portland Zementwerk. 105 Treffend Wiedemann, GesR II (Fn. 42), S. 383, der bemerkt, mangels Einigung unter den Gesellschaftern gebe es „keinen „naturgesetzlichen“ Vorrang des unternehmerischen Thesaurierungsinteresses oder des mitgliedschaftlichen Ausschüttungsinteresses.“ 106 Hopt in Baumbach/Hopt (Fn. 37), § 120 Rz. 5; H. Westermann in FS v. Caemmerer 1978, S. 657, 663 f.; Leenen in FS Larenz 1983, S. 383, 384.
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heitsklausel, können Minderheitskommanditisten der Wirksamkeit eines Beschlusses über eine Rücklagenbildung, die ihre Ausschüttungsinteressen unangemessen zurückstellt, die Treubindung der Mehrheitsgesellschafter entgegen halten. Entscheidend ist dann, ob die Thesaurierung kaufmännisch geboten erscheint. Bei dieser Einschätzung ist der Mehrheit grundsätzlich ein unternehmerischer Ermessensspielraum i. S. einer ihrem Grundgedanken nach auch für Gesellschafterbeschlüsse geltenden Business Judgment Rule zuzugestehen107. 2. Darlegungs- und Beweislast Die soeben dargelegte Zweistufigkeit der Überprüfung von Gewinnverwendungsbeschlüssen hat Auswirkungen auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Prozess um die Wirksamkeit solcher Beschlüsse. Unstreitig dürfte zunächst sein, dass die Gesellschaftermehrheit gegenüber dem den Beschluss angreifenden Kommanditisten bezüglich des Vorliegens der gesellschaftsvertraglichen Legitimationsgrundlage in der Form einer Mehrheitsklausel und der Einhaltung von deren Voraussetzungen darlegungs- und beweispflichtig ist108. Das folgt daraus, dass es sich bei der Mehrheitsklausel um eine als Einwendung geltend zu machende Ausnahme vom gesetzlichen Einstimmigkeitsprinzip handelt (§ 119 Abs. 2 HGB). Die tatsächlichen Voraussetzungen der Treuwidrigkeit eines Mehrheitsbeschlusses hat dagegen grundsätzlich der überstimmte Kommanditist darzulegen und zu beweisen, da es sich bei dem Einwand der Treuwidrigkeit um eine ihm günstige Gegenausnahme zu der in rein formaler Hinsicht gegebenen Rechtmäßigkeit der Ausübung vertraglich begründeter Mehrheitsmacht handelt109. Allerdings sollte der Beklagtenseite gegenüber dem von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Kommanditisten unter Heranziehung entsprechender Überlegungen zur aktienrechtlichen Anfechtungsklage die sekundäre Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Angemessenheit der gegen dessen Willen beschlossenen Gewinn-
__________ 107 Auf die Gefahr eines judicial second guessing der Mehrheitsentscheidung hinweisend auch Goette in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn (Fn. 44), § 119 Rz. 58. Die Überlegungen des Verfassers (Fn. 80), S. 185 ff., 233 ff. zum unternehmerischen Ermessen bei Hauptversammlungsbeschlüssen in der AG und dessen Grenzen könnten als Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Lehre vom unternehmerischen Ermessen der Gesellschafterversammlung der Personengesellschaft herangezogen werden. Das kann hier nur angedeutet werden. 108 Nach Rspr. und h. M. hat die Geltendmachung von Beschlussfehlern durch Beschlussnichtigkeitsfeststellungsklage nach § 256 ZPO zu erfolgen; BGH, NJW 1999, 3113 ff.; Goette in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn (Fn. 44), § 119 Rz. 75 ff.; Hopt in Baumbach/Hopt (Fn. 37), § 119 Rz. 32; Ulmer/C. Schäfer in MünchKomm.BGB (Fn. 28), § 709 Rz. 113; mit guten Gründen für sinngemäße Anwendung des kapitalgesellschaftsrechtlichen Beschlussmängelrechts aber K. Schmidt, ZGR 2008, 1, 24 ff.; sowie ausführlich M. Schwab, Das Prozessrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 420 ff. 109 BGHZ 170, 283, 288 – Otto; Goette in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn (Fn. 44), § 119 Rz. 59; ders. in FS Sigle (Fn. 28), S. 145, 161; Priester, DStR 2008, 1386, 1387; Weitemeyer in FS Kreutz (Fn. 15), S. 905, 916 f.; a. A. Haar, NZG 2007, 601, 603 f.
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thesaurierung treffen, wenn dieser Tatsachen vorträgt, die das Vorliegen eines Treupflichtverstoßes der Mehrheit plausibel erscheinen lassen110.
VI. Ergebnisse 1. Beschlüsse über die Feststellung des Jahresabschlusses und die Gewinnverwendung können in der GmbH & Co. KG aufgrund einfacher gesellschaftsvertraglicher Mehrheitsklauseln mit Stimmenmehrheit der Kommanditisten gefasst werden. Die besonderen Anforderungen hinsichtlich der Präzisierung von Art und Ausmaß der zulässigen Eingriffe in die Rechte von Minderheitsgesellschaftern, die den Kernbereich von deren Mitgliedschaftsrechten ausmachen, gelten für solche Beschlüsse nicht. 2. a) Hinsichtlich der Entscheidung über die Gewinnverwendung im faktischen Konzern, kommt den Gesellschaftern einer an der Spitze einer Unternehmensgruppe stehenden GmbH & Co. KG ein weit reichender Gestaltungsspielraum zu. Wie bei der unmittelbaren Gewinnthesaurierung in der Obergesellschaft genügt auch für die mittelbare Gewinnthesaurierung auf der Ebene von Tochtergesellschaften, Enkelgesellschaften usw. eine einfache gesellschaftsvertragliche Mehrheitsklausel. Auch hier findet die Kernbereichslehre keine Anwendung. b) Der KG-Vertrag kann und sollte zwecks Vermeidung von Rechtsunsicherheit bei der Anwendung von § 116 Abs. 2 HGB Relevanzschwellen festlegen, bei deren Erreichen an die Stelle der alleinigen operativen Zuständigkeit der Gestions-GmbH und ihrer Geschäftsführer die mehrheitliche Entscheidung der Gesellschafterversammlung der KG über die Gewinnverwendung auf nachgeordneten Konzernebenen tritt. Alternativ ist an eine allgemeine Mehrheitsklausel mit präzisen Ausnahmen für bestimmte Fälle (wichtige Konzerngesellschaften) zu denken. 3. Eine konzerndimensionale Auslegung von Thesaurierungsklauseln im KGVertrag, die ihrer Formulierung nach allein auf die Gewinnverwendung in der Obergesellschaft gemünzt sind, stößt nicht nur auf erhebliche praktische Umsetzungsschwierigkeiten. Sie ist vor allem auch mit dem Zweck solcher Klauseln nicht zu vereinbaren und daher als unzulässig anzusehen. 4. Hinsichtlich der unmittelbaren Gewinnverwendung in der GmbH & Co. KG wie auch der mittelbaren Gewinnverwendung in deren Konzern- und Beteiligungsgesellschaften durch Ausübung von Gesellschafterrechten unterliegt die formal durch eine Mehrheitsklausel im KG-Vertrag legitimierte Ausübung von Mehrheitsmacht einer einzelfallbezogenen Ausübungskontrolle anhand der Treubindungen der Gesellschafter untereinander. Dabei kommt der Mehrheit ein unternehmerischer Ermessensspielraum nach dem Grundgedanken der Business Judgment Rule zu.
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110 Vgl. zur aktienrechtlichen Anfechtungsklage Hüffer in FS Fleck (81), S. 151, 164 ff.; K. Schmidt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1996, § 246 Rz. 81; Zöllner in KölnKomm.AktG, 2. Aufl., § 243 Rz. 107; Paefgen (Fn. 80), S. 251 ff. (mit Differenzierungen für unternehmerische Entscheidungen).
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Das Zulassungsverfahren nach § 148 AktG wird von der Praxis nicht angenommen! Warum? Was nun?* Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Das Zulassungsverfahren wird von der Praxis nicht angenommen 1. Ergebnis einer Befragung 2. Die Methode der Ermittlung und deren Ergebnisse 3. Enttäuschte Erwartungen 4. Die Gründe für den Misserfolg a) Die Kostenfrage b) „Überwiegende Gründe des Gesellschaftswohls“ c) Die Hürde ist zu hoch d) Das entmutigende Substitutionsrecht der Gesellschaft 5. Alternative oder kumulative Lösungsansätze, um § 148 AktG aus der Totenstarre zu erwecken a) Eine bessere Austarierung zwischen den Interessen einer bona fide Minderheit und der Abwehr erpresserischer KleinAktionäre aa) Die Kostenfrage bb) Der Hinderungsgrund der „überwiegenden Gründe des Gesellschaftswohls“
cc) Wie soll der Antragsteller darlegen, dass „Tatsachen vorliegen, die den Verdacht rechtfertigen, dass der Gesellschaft durch Unredlichkeit oder grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung ein Schaden entstanden ist“? dd) Das Substitutionsrecht III. Gibt es andere Lösungsansätze außer demjenigen von § 148 AktG? 1. Die Grundstruktur von § 148 AktG 2. Weitere kritische Punkte des Verfahrens nach § 148 AktG 3. Vorschlag für ein neues Verfahren a) Darlegungslast der Minderheit b) Eignung der Prüfstelle c) Notwendigkeit der gesetzlichen Erweiterung des Auftrages der Prüfstelle d) Das Verhältnis zur BaFin 4. Ein einfacheres, schnelleres und effizienteres Verfahren IV. Zusammenfassung
I. Einleitung „Marlow was dead to begin with“, an jene berühmten ersten Worte aus Dickens „Christmas Carol“ wird man erinnert, wenn man gleich zu Beginn erfährt, dass das Zulassungsverfahren nach § 148 AktG von der Praxis nicht angenommen wird und mithin die Hoffnungen seiner Väter von Anfang an
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* Der Autor hat nach Abgabe des Manuskriptes festgestellt, dass Prof. Marcus Lutter und er über dasselbe Thema geschrieben haben und zu ähnlichen Schlussfolgerungen gekommen sind.
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getrogen haben. Aber ungeachtet aller bislang gescheiterter Versuche mit den Vorgängervorschriften von § 148 AktG und dieser Vorschrift selbst, sollte die Hoffnung nicht aufgegeben werden – denn auch Marlow war zwar tot, aber sein Geist in der Geschichte von Dickens bekanntlich doch noch sehr lebendig und aktiv.
II. Das Zulassungsverfahren wird von der Praxis nicht angenommen 1. Ergebnis einer Befragung § 148 AktG, der das Zulassungsverfahren regelt, trat mit dem UMAG am 1. November 2005 in Kraft1, also rechtzeitig zu der Banken- und Finanzkrise, die wesentlich durch Managementfehler verursacht wurde2, ohne dass diese Manager zur Verantwortung gezogen worden wären oder werden3. Dieser Befund war Veranlassung, der Frage nachzugehen, ob denn von dem Zulassungsverfahren überhaupt Gebrauch gemacht wird, denn, wenn nicht in einer Periode fataler und folgenschwerer Managementfehler, die das Gebäude der ganzen Wirtschaft zum Einsturz zu bringen drohten, wann dann? 2. Die Methode der Ermittlung und deren Ergebnisse Eine allgemein zugängliche Statistik schien nicht zu existieren. Eine Durchsicht des Elektronischen Bundesanzeigers, die ja einen Teil der Frage hätte beantworten sollen4, brachte nur zwei einschlägige Treffer, die aber nur Vorbereitungen eines Zulassungsverfahrens betrafen, nämlich die Suche im Elektronischen Bundesanzeiger nach Mitstreitern, um das notwendige Quorum von 100.000 Euro nominal zu erreichen5. Da eine Pflicht zur Veröffentlichung seitens der Gesellschaft erst nach rechtskräftiger Zulassung des Antrages besteht6 und eine derartige Veröffentlichung nicht gefunden wurde, hätte die Recherche eigentlich beendet werden können. Es sollte aber doch noch versucht werden, weitere Erkenntnisse durch eine schriftliche Befragung der Vorsitzenden der Kammern für Handelssachen zu gewinnen, die an den Landgerichten in den wirtschaftlichen Zentren der Republik für Zulassungsverfahren nach § 148 AktG zuständig sind.
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BGBl. I v. 27.9.2005, S. 2002, 2008. Z. B. OLG Düsseldorf, ZIP 2010, 28 ff. Lutter, ZIP 2009, 197 ff. § 149 Abs. 1 AktG. – Walther von Wietzlow, Aktionär der Deutsche Beamtenvorsorge Immobilienholding AG, wegen Schadensansprüchen gegen Herrn Klaus Thannhuber, Veröffentlichungsdatum 8.9.2006. – Dr. Dieter Hahn, Aktionär der Deutsche Bank AG, wegen Ansprüchen gegen deren ehemaligen Sprecher des Vorstandes und nachmaligen Aufsichtsratvorsitzenden wegen angeblicher schadensverursachender Äußerungen über einen Kreditnehmer – Veröffentlichungsdatum 5.5.2006. 6 § 149 Abs. 1 AktG.
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Das Zulassungsverfahren nach § 148 AktG wird von der Praxis nicht angenommen!
Die Befragung bestätigte die Vermutung, dass es so gut wie keine Zulassungsverfahren gab.7 Das BMJ hatte bereits vorher verlautet, dass ihm keine einschlägigen Informationen vorlägen8. Schließlich wurden noch zwei auf Anlegerschutz spezialisierte Anwaltssozietäten befragt, die ebenfalls keine Zulassungsverfahren betrieben hatten9. 3. Enttäuschte Erwartungen Die Erwartungen an § 148 AktG waren nach Verabschiedung des Gesetzes hoch gespannt, was nach den glücklosen Versuchen mit den Vorgängervorschriften nicht Wunder nimmt10. Ulmer und Baums hatten als Vordenker wesentliche Elemente der neuen Vorschrift konzipiert11. Fachmännisch ver-
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LG Berlin, Mitteilung v. 1.3.2010: Ein einziger Fall im Jahre 2007 vor der KfH 102 unter VRiLG Pade. Der Fall betraf eine kleine, nicht börsennotierte AG wegen angeblicher Pflichtverletzung eines Vorstandsmitgliedes; der Antrag wurde abgewiesen. LG Düsseldorf, Präsident des Landgerichts: Keine Verfahren nach § 148 AktG bekannt. LG Frankfurt v. 8.2.2010, Dr. Martin Müller: Am LG Frankfurt und den übrigen hessischen Landgerichten keine Verfahren nach § 148 AktG bekannt. LG Hamburg, Präsidialrichter Mundhenk: Beim Landgericht Hamburg keine Fälle nach § 148 AktG bekannt. LG Köln, Björn Höltje: Auskunft v. 17.2.2010: Nur ein Verfahren nach § 148 AktG bekannt, bei dem der Zulassungsantrag abgewiesen wurde. LG München, Vorsitzender Richter, 5. Kammer für Handelssachen Dr. Helmuth Krenek: Ein Verfahren nach § 148 AktG wegen überhöhter Vorstandsbezüge v. 29.3. 2007, Antrag abgewiesen (vgl. NZG 2007, 477), und diese Entscheidung vom OLG München bestätigt. Sonst keine Verfahren. LG Stuttgart, Stefan Vatter und Dr. Wolfgang Schmidt: Beim LG Stuttgart keine Verfahren nach § 148 AktG bekannt. Karsten Schmidt meint zwar, dass „Die Effektivität des Verfolgungsrechtes sich nicht an der Zahl oder an den Ergebnissen aktienrechtlicher Prozesse messen (lasse)“ – vgl. Karsten Schmidt, NZG 2005, 796, 801 re.Sp. – woran aber sonst? Im Übrigen hat die Finanzkrise die Situation verändert, Managementfehler liegen offen zutage und es passiert nichts! Schriftliche Mittelung von Ministerialrat Prof. Dr. Seibert an den Verfasser. Bei einer der Sozietäten wurde im Falle Siemens ein Zulassungsverfahren erwogen, dann aber wegen der zu erwartenden Entscheidung bei der HV „auf Eis gelegt“. Die Sozietät wies auf das Spannungsverhältnis zwischen § 148 AktG und der gleichzeitig überwältigenden Mehrheit einer anders entscheidenden Mehrheit hin. Die andere Kanzlei teilte mit, dass sie das Aktienforum, also die Suche nach Mitstreitern um das Quorum von 100.000 Euro zu erreichen, als wenig wirkungsvoll erachte und nicht mehr betreibe. Vgl. dazu Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 41 ff. Als Vorgängervorschrift war der alte § 147 Abs. 3 AktG anzusehen, demzufolge Aktionäre, die den 20. Teil des Grundkapitals auf sich vereinigten, oder den anteiligen Betrag von 500.000 Euro inne hatten, unter weiteren Voraussetzungen die Bestellung von besonderen Vertretern zur Geltendmachung von Ansprüchen gegen Organmitglieder verlangen konnten. Die Vorschrift wurde durch das KontraG eingeführt und bewährte sich in der Praxis nicht. Zum einem war das Quorum zu hoch. Weiterhin konnte die Minderheit das Verfahren nicht selbst betreiben. Vgl. auch Karsten Schmidt, NZG 2005, 796 ff. Ulmer, ZHR 163 (1999), 290 ff.
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sierte Volksvertreter äußerten ihre Zustimmung12. Der Gesetzgeber hatte eine überzeugende Begründung geliefert13. Die Schwächen der Vorgängervorschrift schienen eliminiert zu sein – und gleichwohl dieses enttäuschende Ergebnis! 4. Die Gründe für den Misserfolg Geht man der Sache auf den Grund, hat man ein „déjà vu“ Erlebnis14, indem man eine lange Liste aufstellen kann, warum das neue Institut von der Praxis nicht angenommen wird. Die (zunächst) ungewichtete Liste der Gründe, warum § 148 AktG kein Erfolg beschieden ist, zeigt folgendes Bild: Mit § 148 AktG sollte im Interesse guter Corporate Governance und zur Förderung eines funktionierenden Kapitalmarktes erreicht werden15, dass die alt bekannte Schwäche der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen beseitigt würde, die darin besteht, dass bei Ansprüchen gegen Vorstandsmitglieder der vertretungsberechtigte Aufsichtsrat von einer Geltendmachung zurückschreckt, weil er befürchtet, dass in einem Verfahren seine eigenen Versäumnisse bei der Überwachung aufgedeckt werden könnten oder aber aus einer (falsch verstandenen?) Solidarität mit dem fehlsamen Vorstandsmitglied. Umgekehrt wird der Vorstand als diesenfalls vertretungsberechtigtes Organ sich hüten, Schadensersatzansprüche gegen Mitglieder des Organs geltend zu machen, von dem die Verlängerung seiner Bestellung und die Entwicklung seiner Bezüge abhängen16. a) Die Kostenfrage Die Kostenfrage scheint eine mit entscheidende Rolle zu spielen. Auf den ersten Blick schien sie sehr abgewogen gelöst, aber bei näherem Hinsehen erweisen sich ihre Schwächen. Der (oder die) Antragsteller tragen die (relativ geringen17) Kosten des Zulassungsverfahrens bei Abweisung des Zulassungsantrages18 und müssen, wenn der Zulassungsantrag durchdringt, aber die dann erhobene Haftungsklage abgewiesen wird, für diese Kosten in Vorlage treten, können sie dann aber von der Gesellschaft erstattet verlangen19.
__________ 12 Vgl. das Protokoll über die Bundestagssitzung am Freitag, 18.3.2005, S. 15694, die Äußerungen der Abgeordneten Olaf Scholz, Friedrich Merz, Jutta Krüger-Jakob; kritisch demgegenüber Rainer Funke. 13 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, S. 43 ff. 14 Vgl. Heinrich Götz, AG 1997, Sonderheft „Die Aktienrechtsreform“, S 38 ff.; Hölters in FS Wiedemann, 2002, S. 975 ff. 15 Ulmer (Fn. 11), S. 318, 326 ff. 16 Opinio communis. Vgl. die Begründung des Gesetzgebers, S. 42; vgl. auch Diekmann/Leuering, NZG 2004, 249. 17 Siehe dazu Peltzer in Wellhöfer/Peltzer/Müller, Die Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer, 2008, § 16 Rz. 85–87. Bei Abweisung ist mit etwa 12.000 Euro Kosten zu rechnen. 18 § 148 Abs. 6 Satz 1 AktG. 19 § 148 Abs. 6 Satz 5 AktG.
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Das Zulassungsverfahren nach § 148 AktG wird von der Praxis nicht angenommen!
Auch einen „nur“ vierstelligen Betrag zu verlieren oder ggf. für ihn in Vorlage zu treten, ist für viele Menschen ein Problem. Dies wird noch empfindlich verschärft dadurch, dass ja auch sehr wohlhabende Aktionäre in ihrem in aller Regel breit gestreuten Depot nur selten Aktien einer Gesellschaft im Nominalwert von 100.000 Euro haben, so dass die Suche nach Verbündeten im Elektronischen Bundesanzeiger meist erforderlich sein dürfte. Das bedeutet aber gesamtschuldnerische Haftung für die Kosten20 und wer wird sich in eine solche Situation begeben mit Mitstreitern, deren Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit er nicht zuverlässig beurteilen kann. In diesem Zusammenhang muss die Grundfrage gestellt werden, ob denn eine Kostentragung durch die antragstellende Minderheit überhaupt geboten ist, um Missbräuche zu vermeiden. Missbräuche treten doch nur dann auf, wenn ein Vorteil erzielt werden kann und hier scheint das Zulassungsverfahren nicht viel zu bieten. Ein erfolgreiches Zulassungsverfahren, dem eine erfolgreiche Klage gegen ein Organmitglied (oder mehrere) folgt, kommt letztlich nur der Gesellschaft zu Gute und den Klägern nur pari passu zu ihrer (im Zweifel) winzigen Beteiligungsquote. Das Missbrauchspotential erscheint gering21, so dass man relativ gefahrlos das Kostenrisiko noch mehr der Gesellschaft aufbürden könnte22. Auf jeden Fall müsste eine gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Aktionäre (die sich zusammen tun, um das Quorum zu erreichen) für die Kosten des Verfahrens der Zulassung vermieden werden. Weiterhin müsste das verbleibende Kostenrisiko für den Einzelnen viel transparenter und berechenbarer sein. Kaum ein Aktionär ist bereit, ein Kostenrisiko zu übernehmen, das er nicht von vornherein übersieht. Geht es bislang um Kosten, also die Vermeidung von Nachteilen, so ist genau so wichtig, dass es auch keine – oder nur unter großen Mühen erringbare geringe – Vorteile gibt, die ein erfolgreiches Zulassungsverfahren bereit hält23. b) „Überwiegende Gründe des Gesellschaftswohls“ Ein weiteres Hindernis für die Antragsteller ist die Möglichkeit der Gesellschaft vorzutragen – und das Zulassungsverfahren damit zu Fall zu bringen – dass der Zulassung „überwiegende Gründe des Gesellschaftswohls entgegenstehen“. Dies ist fraglos notwendig und zielführend, soweit damit weitere Zulassungsanträge von Trittbrettfahrern zurückgewiesen werden können, wenn bereits ein Antrag zugelassen ist oder Aussicht hat, in naher Zukunft zugelassen zu werden. Im Übrigen dies ist ein heikles und schwieriges Thema: § 148 AktG ist entstanden, weil die Vertretung der Gesellschaft durch den Aufsichtsrat bei Ansprüchen gegen Vorstandsmitglieder und durch den Vor-
__________ 20 Die Zusammenschlüsse verschiedener Aktionäre zur gemeinsamen Stellung des Zulassungsantrages ist eine GbR, so dass § 735 Satz 2 BGB anzuwenden ist. 21 Allerdings auch der Anreiz, tätig zu werden. vgl. Baums Gutachten F zum 63. Deutschen Juristentag, 2000, S. F 29 ff. 22 Vgl. dazu die Überlegungen von Baums (Fn. 21), S. F 31. 23 Vgl. Ulmer (Fn. 11), S. 300; Baums (Fn. 21), S. F 25 ff.
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stand bei Ansprüchen gegen Aufsichtsratmitglieder einer wirkungsvollen und energischen Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen nicht gerecht wird. § 148 AktG soll die Blockade, die durch diese Art der Vertretung entstanden ist, auflösen. Dieses Ziel wird aber wiederum konterkariert, wenn eben jene Organe, die gute oder auch nicht so gute Gründe haben mögen, eine Schadensersatzklage zu vermeiden, das Zulassungsverfahren durch geschickt formulierte „überwiegende Gründe des Gesellschaftswohls“ von vornherein zu Fall bringen können. Welcher Aktionär wird nicht bei der Aussicht entmutigt werden, dass seine Mühe von Anfang an vergebens sein kann24. Die Lösung kann nur darin liegen, eine sehr restriktive Tatbestandsmäßigkeit für die überwiegenden Gründe des Gesellschaftswohls einzuführen, so dass jeder Versuch, Dinge unter den Teppich zu kehren, scheitert; das unvermeidliche Aufsehen, das ein Haftungsprozess gegen ein Organmitglied erregt, darf grundsätzlich keine Berücksichtigung finden25. c) Die Hürde ist zu hoch Die Hürde des § 148 Abs. 1 Ziffer 3 AktG ist (im Allgemeinen) zu hoch: Die Voraussetzung, dass „Tatsachen vorliegen, die den Verdacht rechtfertigen, dass der Gesellschaft durch Unredlichkeit oder grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung ein Schaden entstanden ist“26, wird vielfach erst zu ermitteln sein
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24 Vgl. dazu die Stellung des Bundesrates zum Parallelproblem bei der Sonderprüfung nach § 145 Abs. 4 AktG in BR-Drucks. 3/05 v. 18.2.2005, S. 11: „Eine Begrenzung der ‚überwiegenden Belange der Gesellschaft‘ auf Geschäftsgeheimnisse, die allein in der Begründung des Entwurfs genannt werden, ist in der Praxis auf Grund des Spannungsfelds zwischen Vorstand und Aktionärsminderheit nicht zu erwarten. Faktisch werden die Gerichte kaum einmal in der Lage sein, sachgerecht zu entscheiden, ob überwiegende Belange der Gesellschaft der Sonderprüfung entgegenstehen. Im Zweifel wird jeder Vorstand in der Lage sein, solche Belange plausibel zu behaupten. Überprüfungsmöglichkeiten des Gerichts sind auch im Rahmen des § 12 FGG nicht ersichtlich. Den Aktionären wird durch die Möglichkeit der inhaltlichen Beschränkung des Sonderprüfungsberichts auf Antrag des Vorstands durch das Gericht somit die bislang funktionierende Maßnahme Sonderprüfung als Kontrollmöglichkeit der Geschäftsführung praktisch entzogen.“ 25 Der Autor hat bei der Hachenburg-Gedächtnis-Vorlesung 1998 in Heidelberg vorgeschlagen, die Haftung von Organmitgliedern für mit nur leichter Fahrlässigkeit begangene schadensstiftenden Handlungen oder Unterlassungen auf eine bestimmte Höchstsumme zu begrenzen – nach dem Vorbild bei Wirtschaftsprüfern – die die Gesellschaft dann durch eine D&O Versicherung abdecken würde. Dies war vor Einführung der Business Judgement Rule. Vgl. Hommelhoff/Rowedder/Ulmer (Hrsg.), MaxHachenburg, 3. Gedächtnis-Vorlesung, 1998, S. 80 f. Seite 81 unten: „Schließlich würde eine derartige unterschiedliche Behandlung (gemeint zwischen grobfahrlässigem oder eigennützigem Handeln einerseits und leicht fahrlässigem Handeln oder Unterlassen andererseits) die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen bei leicht fahrlässigem Verhalten angemessen entdramatisieren und entemotionalisieren, ihr den Hexenjagdcharakter nehmen und verhindern, dass unternehmerischer Wagemut eingeschränkt und ein großer Teil der unternehmerischen Energie von vornherein auf den Aufbau von Verteidigungslinien gerichtet wird.“ Vgl. weiter Baums (Fn. 21), S. F 234 ff. und ders. (Hrsg.), Bericht der Regierungskommission Corporate Governance, 2001, Rz. 71 ff. 26 § 148 Abs. 1 Ziffer 3 AktG.
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durch eine Sonderprüfung, d. h. die Antragsteller müssen vorher ein weiteres zeitraubendes und umständliches Verfahren einleiten, das die gleichen schwierig zu erfüllenden Voraussetzungen hat, wie der Antrag im Zulassungsverfahren selbst27. Die Antragsteller werden ihrer diesbezüglichen Darlegungslast28 im Allgemeinen ohne eine Sonderprüfung kaum nachkommen können29. d) Das entmutigende Substitutionsrecht der Gesellschaft Eine ähnliche entmutigende Wirkung für die Betreibung eines Zulassungsverfahrens liegt in der Berechtigung der Gesellschaft, die Klage der Aktionäre, die das Zulassungsverfahren erfolgreich bestanden haben und nunmehr als Prozessstandschafter gegen ein Organmitglied vorgehen, schlicht zur Seite zu drängen30, um nunmehr den Prozess selbst zu führen. Das Substitutionsrecht der Gesellschaft mag auf dem Hintergrund der Erfahrungen mit den „räuberischen Klein-Aktionären“ eine sinnvolle Überlegung sein, aber sie ist gleichzeitig extrem entmutigend. Das gilt vor allem für diejenigen, die sich am ehesten um die Formierung einer Aktionärsgruppe mit dem notwendigen Quorum bemühen dürften, nämlich jüngere Anwälte, die sich einen Namen als Anlegerschützer machen wollen oder schon als Anlegerschützer tätig sind. Zweifellos gibt es dabei auch Vertreter, denen es nicht nur um Anlegerschutz geht, sodass diese Regelung durchaus ihre Berechtigung haben mag, aber sie bewirkt eben gleichzeitig, dass der Anreiz, ein Zulassungsverfahren zu betreiben, für eine ganze Gruppe wegfällt, die fürchtet, dass ihnen der erstrebte Ruhm, sich gegen einen indolenten Aufsichtsrat durchgesetzt zu haben, ohne weiteres Federlesens einfach genommen werden kann. Die Übernahme der bisher entstandenen Kosten31 der weg gedrängten Aktionäre ist eine Selbstverständlichkeit, die deren Enttäuschung kaum mildern wird. Der Gesetzgeber ist hier unter dem Eindruck der räuberischen KleinAktionäre wohl zu weit gegangen, die feine Austarierung zwischen einem vernünftigen Anreiz und der Verhinderung der Zielsetzung räuberischer KleinAktionäre ist nicht voll gelungen. Braucht die Gesellschaft wirklich noch ein Substitutionsrecht, wenn sie von sich aus nichts unternommen hat und die Antragsteller und späteren Kläger ganz leicht in einem viel früheren Stadium am Weitermachen hätte hindern können32? Mindestens müsste die Enttäuschung und der ja gerade am Anfang eines derartigen Verfahrens besonders hohe Arbeitsaufwand der Prozessstandschafter besser abgegolten werden als durch die bloße Erstattung bislang entstandener
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27 § 142 Abs. 2 Satz 1 AktG. Vgl. dazu Heinrich Götz, AG 1997, Sonderheft „Die Aktienrechtsreform“, S 38, 39 li. Sp. 28 Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 148 Rz. 8. 29 Gegenbeispiel hierzu sind allerdings wohl die Handlungen und Unterlassungen von Vorstand und Aufsichtsrat der Banken, die zu der Finanzkrise führten. Im Nachhinein scheinen die Vorgänge kaum nachvollziehbar; vgl. Lutter, ZIP 2009, 197 ff. 30 § 148 Abs. 3 AktG. 31 Gemäß § 148 Abs. 6 Satz 4 AktG. 32 § 148 Abs. 1 Ziffer 2 AktG.
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Kosten. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Gesellschaft das Verfahren und damit die Arbeitsergebnisse der verdrängten Aktionäre übernimmt33. Überdies müsste die Frage gestellt und geprüft werden, ob die in das Verfahren (so spät!) eintretende Gesellschaft wirklich daran interessiert ist, das für sie bestmögliche Ergebnis in der Auseinandersetzung mit dem fehlsamen Organmitglied zu erzielen. Fasst man die Gründe 4. a) – d) zusammen, so ergibt sich, dass der Gesetzgeber unter dem Eindruck mannigfaltigen missbräuchlichen Verhaltens „räuberischer Klein-Aktionäre“34 in der Prävention zu weit gegangen ist; die an sich löblichen Maßnahmen gegen den Missbrauch haben gleichzeitig die für eine gute Corporate Governance und im Interesse des Kapitalmarktes erwünschte Änderung von Fehlverhalten des Aufsichtsrates gewissermaßen im Keim erstickt. Es stellt sich nun die Frage, ob eine Reihe von kleineren Maßnahmen ausreicht, um eine bessere Austarierung der beiden Ziele zu erreichen: Einerseits die Kontrolle des Managements durch aktive Aktionäre, wenn der Aufsichtsrat versagt, oder es gar hintertreiben will, dass ein fehlsames Vorstandsmitglied zur Rechenschaft gezogen wird; andererseits soll verhindert werden, dass erpresserischer Druck auf die Gesellschaft ausgeübt wird, um eigensüchtige rechtswidrige Ziele zu erreichen. Wessen bedarf es? Eines Federstriches des Gesetzgebers, der Quadratur des Kreises oder genügt weiteres Zuwarten, um zu sehen, ob die Vorschrift vielleicht doch eines Tages greift? Sollte am Ende eine Kombination mit anderen Ingredienzen oder vielleicht sogar ein ganz neuer Weg gewählt werden? Hierüber ist nachzudenken. 5. Alternative oder kumulative Lösungsansätze, um § 148 AktG aus der Totenstarre zu erwecken a) Eine bessere Austarierung zwischen den Interessen einer bona fide Minderheit und der Abwehr erpresserischer Klein-Aktionäre aa) Die Kostenfrage Die Kostenfrage hat verschiedene Aspekte35: Sie ist generell zu sehr zu Ungunsten der Antragsteller gelöst. Es ist zwar richtig, dass die Antragsteller, deren Antrag abgewiesen wird, im Grundsatz die Kosten tragen sollen, aber die bisherige Lösung schreckt den bona fide Aktionär ab, er ist Gesamtschuldner
__________ 33 Das ist andererseits nicht unproblematisch, vgl. auch unten III. 1. 34 Baums u. a., ZIP 2007, 1629. 35 Zu der Kostenfrage bei der Vorgängerregelung des § 148 AktG vgl. Krieger, ZHR 163 (1999), 343, 351 unten. Auch dort war die Kostenfrage der „Zentrale Mangel“. Zutreffend Baums (Fn. 21), S. F 255: „Die Kostenregelung ist der maßgebliche Schlüssel für den angemessenen Einsatz dieses unverzichtbaren Managementkontrollinstruments.“ Prognostisch unrichtig (zu sehr zu Ungunsten der Gesellschaft) Linnerz, NZG 2004, 307, 312.
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in einer Aktionärsgruppe, die sich zusammen gefunden hat, um das Quorum von 100.000 Euro nominal zustande zu bringen, und muss vielleicht plötzlich feststellen, dass er der einzige Zahlungswillige und Zahlungsfähige in seinem Fähnlein ist, wenn die Kostenrechnungen fällig werden. Überdies sind die Punkte 4. a) und 4. c) zusammen zu sehen: Die Hürde der Darlegungslast für die Zulassung (vgl. oben 4. c)) ist extrem hoch, so dass nur eine geringe Erfolgsaussicht und spiegelbildlich ein hohes Risiko besteht, die Kosten des (erfolglosen) Zulassungsverfahrens tragen zu müssen. Die Lösung kann nur darin liegen, durch eine Kombination von kostensenkenden Maßnahmen das Kostenrisiko für das Zulassungsverfahren zu vermindern und dieses Kostenrisiko möglichst im Aktiengesetz selbst oder durch Verweisung im Aktiengesetz auf die Fundstelle zu verdeutlichen, so dass jeder Aktionär sich auch ohne Konsultation von sachverständigen Dritten über sein Kostenrisiko verlässigen kann, bevor er einer Gruppe beitritt, die sich zur Antragstellung zusammen findet. Entscheidend ist, dass es für den beitrittswilligen Aktionär nur ein quotales Kostenrisiko gibt, das seinem Anteil an dem Pool entspricht, der sich zum Zwecke der Betreibung des Zulassungsverfahrens zusammen findet. bb) Der Hinderungsgrund der „überwiegenden Gründe des Gesellschaftswohls“ Es wurde bereits oben darauf hingewiesen, dass die Untätigkeit des Aufsichtsrates bei schadensstiftenden Handlungen oder Unterlassungen des Vorstandes keinesfalls nur auf Indolenz zu beruhen braucht, sondern dass weit darüber hinaus ein aktives Interesse des Aufsichtsrates bestehen mag, nicht an der Sache zu rühren, da anderenfalls das eigene Aufsichtsversagen zu Tage treten könnte. Der Filter, es mit einer einzigen Klage genüge sein zu lassen, um auch unnötige Kosten für die Gesellschaft zu vermeiden, kann auch auf andere Weise erreicht werden, indem die erste Entscheidung, mit der ein Antragsteller oder eine Antragstellergruppe zugelassen wird, automatisch zum Ruhen anderer anhängiger Zulassungsverfahren führt. Erst wenn sich herausstellt, dass der erfolgreiche Antragsteller das Schadensersatzverfahren gegen das Organmitglied nicht sachgerecht oder nachlässig führt, sollte das Gericht auf Antrag einen zweiten geeigneten Antragsteller zulassen. Darüber hinaus sollte für die Geltendmachung überwiegender Gründe des Gesellschaftswohls wenig Raum gelassen werden. Jedenfalls ist es unabgewogen, wenn einerseits für das Zulassungsverfahren kaum überwindbare Hürden aufgebaut werden und die Verwaltung der Gesellschaft – etwa wenn sie spürt, dass die gewaltigen Hürden doch genommen werden könnten – das Zulassungsverfahren einfach damit zu Fall bringen kann, dass sie überwiegende Gründe des Gesellschaftswohls geltend macht. Die Gesellschaft ist mehrfach gegen Antragsteller und später Kläger gesichert, deren Anträge und im Erfolgsfalle deren Klagen sie für nicht vereinbar mit 961
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dem Interesse der Gesellschaft hält: Sie kann ihrerseits klagen, wenn sie den Antragsteller für ungeeignet hält und kann ihm damit den Zulassungsantrag aus der Hand schlagen36. Ist der Antragsteller erfolgreich, und wird er zugelassen und erhebt Klage, so kann die Gesellschaft ihn aus dem Verfahren drängen und dessen Verfahren übernehmen oder selbst klagen37. Wenn sie jetzt noch eine dritte Möglichkeit hat, den Antrag zu Fall zu bringen, indem sie einfach darlegt, das Verfahren verletze die Interessen der Gesellschaft, sprich der Verwaltung38, so beschleichen den Betrachter Zweifel, ob der Gesetzgeber ernsthaft die Installation eines Verfahrens gewollt hat, mit dem gute Corporate Governance und das Vertrauen des Kapitalmarktes gefördert werden sollte, oder ob hier nicht durch eine bewundernswert effektive Lobbyarbeit ein Potemkisches Dorf, die Attrappe einer effektiven Selbstreinigung, hingestellt wurde und das erst nach Jahren auffällt39. Jedenfalls sollte die Geltendmachung überwiegender Gründe des Gesellschaftswohls wenn nicht aus der Liste des Arsenals, mit dem die Gesellschaft die Zulassung von Antragstellern zu Fall bringen kann, gestrichen, so mindestens doch stark eingeschränkt werden. cc) Wie soll der Antragsteller darlegen, dass „Tatsachen vorliegen, die den Verdacht rechtfertigen, dass der Gesellschaft durch Unredlichkeit oder grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung ein Schaden entstanden ist“40? Hier sind die drei alternativen Tatbestände auseinander zu halten nach der Reihenfolge des Schwierigkeitsgrades: – Grobe Verletzung der Satzung: Hier kommt es auf die Prüfung an, ob die Satzung beachtet wurde, d. h. insbesondere, ob die geschäftlichen Aktivitäten der Gesellschaft vom satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand der Gesellschaft gedeckt sind oder gedeckt waren. Das ist eine verhältnismäßig leichte Subsumtionsübung der Aktivitäten der Gesellschaft unter den satzungsmäßig vorgegebenen Unternehmensgegenstand. – Grobe Verletzung des Gesetzes: Zur Sorgfaltspflicht „eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“41 gehört auch und vor allem die Beachtung der Gesetze, deren Verletzung für die Gesellschaft verheerende Folgen haben kann, wie etwa das Vitaminkartell oder die Bestechung ausländischer Amtsträger in jüngerer Zeit gezeigt haben. – Unredlichkeit: Hier handelt es sich nach allgemeinem Verständnis um Dinge, die bis zu strafbarem Handeln gehen42.
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§ 148 Abs. 1 Ziffer 2 AktG. § 148 Abs. 1 Ziffer 3 AktG. § 148 Abs. 1 Ziffer 4 AktG. Bei der Vorgängerregelung des § 148 AktG kam die Geltendmachung der Interessen der Gesellschaft gar nicht vor. Vgl. Krieger, ZHR 163 (1999), 343, 352. 40 § 148 Abs. 1 Ziffer 3 AktG. 41 § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG. 42 Hüffer, AktG (Fn. 28), § 148 Rz. 8.
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Das Zulassungsverfahren nach § 148 AktG wird von der Praxis nicht angenommen!
Vergleicht man die Qualifikationsanforderungen für die Zulassung, insbesondere die Darlegungslast, für die hier behandelten Tatbestände, so fällt sofort die gewaltige Kluft auf zwischen den Anforderungen im Zulassungsverfahren einerseits und den nach erfolgter Zulassung zu gewärtigenden Hindernissen andererseits. Die Darlegungslast im Zulassungsverfahren einerseits und im späteren Haftungsprozess andererseits klafft weit auseinander. Im Zulassungsverfahren ist eine sehr erhebliche Darlegungslast zu bewältigen, es müssen dem Gericht schwerwiegende Verstöße dargelegt werden, während im späteren Prozess das geringste Verschulden des Beklagten genügt und dieser sich diesbezüglich auch noch exkulpieren muss43. Es ist ein wenig so, als ob bei einem Leichtathletik-Wettkampf für Senioren in einem lokalen Sportverein als Nachweis für die Teilnahmeberechtigung gefordert würde, dass beim Hochsprung auch bei 2 Meter die Latte nicht gefallen sei. Hier liegt der Kern, warum § 148 AktG nicht akzeptiert wird. Es mag seine Berechtigung haben, dass die späteren Prozessstandschafter plausibel darlegen müssen, warum die beabsichtigte Schadensersatzklage aussichtsreich ist; aber die bisherige Erfahrung zeigt, dass der Nachweis zu schwierig ist und ohne Sonderprüfung kaum erbracht werden kann. Es würde für die Vorprüfung und Zulassung durch das Gericht durchaus genügen, wenn die Darlegungslast beschränkt würde durch folgende Verschärfungen gegenüber der Lage im Prozess: Die Antragsteller müssten darlegen, dass das fehlsame Organmitglied grob fahrlässig gehandelt habe und die Umkehr der Beweislast44 würde im Zulassungsverfahren entfallen. Dies würde vollauf genügen, um den realitätsfernen Abstand im Schwierigkeitsgrad zwischen der Zulassung einerseits und dem Haftungsprozess andererseits so zu vermindern, dass von der Möglichkeit des § 148 AktG Gebrauch gemacht würde. dd) Das Substitutionsrecht Nachdem die Antragsteller die hohe Hürde des Zulassungsverfahrens genommen haben und der von ihnen daraufhin als Prozessstandschafter angestrengte Schadensersatzprozess läuft, kann die Gesellschaft sie immer noch beiseite drängen und ihnen sogar die (ideellen) Früchte ihrer Arbeit wegnehmen, obwohl für sie schon mehrfach die konkrete Möglichkeit bestand, den Prozess selbst zu führen, nämlich bei der Aufforderung der Antragsteller Klage zu erheben45, während der ganzen Dauer des Zulassungsverfahrens und schließlich nach der gesetzlich vorgeschriebenen letzten Aufforderung der erfolgreichen Antragsteller vor deren eigener Klageerhebung46. Überdies kann die Gesellschaft die Zulassung auch noch durch Geltendmachung überwiegender Gründe des Gesellschaftswohls verhindern47.
__________ 43 44 45 46 47
§ 93 Abs. 2 Satz 2 AktG. § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG. § 148 Abs. 1 Ziffer 2 AktG. § 148 Abs. 4 Satz 1 AktG. § 148 Abs. 1 Ziffer 4 AktG.
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Das ist letztlich unabgewogen, wenn man im Prinzip bejaht, dass eben die Organmitglieder für pflichtwidriges, schuldhaftes und schadenstiftendes Verhalten im Interesse einer guten Corporate Governance und des Kapitalmarktes in Deutschland haften sollen. Schließlich kann die Nichtverfolgung der Ansprüche gegen ein Verwaltungsmitglied nicht nur auf Indolenz und Lethargie beruhen, sondern es kann die Absicht dahinterstecken, den Betreffenden zu schonen, eine Absicht, die man auch in der Vollstreckungsinstanz noch verfolgen kann.
III. Gibt es andere Lösungsansätze außer demjenigen von § 148 AktG? 1. Die Grundstruktur von § 148 AktG Die Grundstruktur von § 148 AktG, nämlich aktiven Aktionären das Recht zu geben, ihrerseits als Prozessstandschafter die Ansprüche der Gesellschaft für deren Rechnung zu verfolgen, ist im Prinzip richtig. Die Lethargie, mit der den schweren, systemgefährdenden Managementfehlern, die zu der Bankenkrise geführt haben, begegnet wird, ist bedrückend. Andererseits muss man bei der Durchmusterung des möglichen Arsenals sicherlich zurückhaltend sein, um eben eine mindestens ebenso schädliche Risikoaversion begabter Unternehmensführer zu vermeiden. Zu den sicherlich ungeeigneten Instrumenten gehört der Vorschlag, in diesem Fall generell und schrankenlos eine Prozessstandschaft der Aktionäre oder von Aktionärsminderheiten zuzulassen48. Ebenso ist wohl mit dem überwiegenden Teil der Literatur von einer Lösung abzuraten, die der erfolgreich klagenden Minderheit eine quota litis am Erfolg des Prozesses zusprechen will. Zweifellos ist der mangelnde persönliche finanzielle Anreiz einer der Hauptgründe, warum § 148 AktG nicht angenommen wird49, aber ebenso sicher würde eine derartige Beteiligung am Erfolg den räuberischen Klein-Aktionären ein neues Betätigungsfeld eröffnen, gewiss mit größerer Mühe zu beackern als die Anfechtungsklage, aber durch Quersubventionierung mit erfolgreichen Klagen vielleicht doch lohnend. Nachdem erkennbar das Austarieren der Anreize für bona fide Aktionäre und von Hindernissen für räuberische Klein-Aktionäre eine schier unlösbare Aufgabe ist, sollte man nach einem Verfahren suchen, das den aktiven bona fide Aktionären und damit der Gesellschaft schneller und unkomplizierter zum Erfolg verhilft. 2. Weitere kritische Punkte des Verfahrens nach § 148 AktG Mindestens bei komplizierteren Sachverhalten ist eine Sonderprüfung für die Minderheit, die sich entschlossen hat, das Zulassungsverfahren und die im Erfolgsfalle spätere Klage zu betreiben, unvermeidlich. Die Darlegungslast für
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48 Krieger, ZHR 163 (1999), 343, 344 ff. 49 Ulmer, ZHR 163 (1999), 290, 300.
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Das Zulassungsverfahren nach § 148 AktG wird von der Praxis nicht angenommen!
die Zulassung zwingt dazu50. Wird ein Schaden bekannt, der durch Tun oder Unterlassen eines Verwaltungsmitgliedes entstanden sein kann, so kommt es darauf an, wann die nächste Hauptversammlung ist, um der klagebereiten Minderheit zu gestatten, den Antrag auf Durchführung einer Sonderprüfung zu stellen51, vorausgesetzt die Hauptversammlung hat diesen Antrag zuvor abgelehnt52. Ein eigenes Recht, die Hauptversammlung einzuberufen, steht der Minderheit nicht zu53. Wenn die ordentliche Hauptversammlung gerade stattgefunden hat, bevor die Vorwürfe gegen Verwaltungsmitglieder bekannt werden, ist fast ein Jahr zu warten, bevor die Sonderprüfung beantragt werden kann. Es vergehen weitere Monate, bis die Sonderprüfer benannt und die Sonderprüfung durchgeführt wird. 3. Vorschlag für ein neues Verfahren Im angelsächsischen Rechtskreis gibt es eine Klagebefugnis der Kapitalmarktaufsichtsbehörde, die aber mindestens so lange nicht zu empfehlen ist, bis sich endgültig ein Marktversagen privatrechtlicher Lösungen herausgestellt haben sollte54. Das ist aber noch lange nicht der Fall. Die im Folgenden vorgeschlagene Lösung55 würde die oben unter III. 2. skizzierten Schwierigkeiten vermeiden und wesentlich schneller zu Ergebnissen führen, wobei die Ansätze des § 148 AktG, die sich bewährt haben, übernommen würden. Es bleibt bei einem Zulassungsverfahren, allerdings mit Hürden, die wesentlich niedriger und dem folgenden Prozess angepasster sind als bisher und es bleibt bei der Klagebefugnis der zugelassenen Minderheit. Das Zulassungsverfahren selbst würde wesentlich verändert und das Substitutionsrecht der Gesellschaft zurückgedrängt werden. a) Darlegungslast der Minderheit Sobald eine Minderheit, die den bisherigen gesetzlichen Anforderungen entspricht56, von einem schadenstiftenden Verhalten eines Verwaltungsmitgliedes Kenntnis erlangt, kann sie sich an die Prüfstelle für Rechnungslegung57 wenden, die ihrerseits den Fall untersucht und dem Antrag stattgibt oder ihn ablehnt. Die Antragsteller müssen dabei den Verdacht der groben Fahrlässigkeit
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50 § 148 Abs. 1 Ziffer 3 AktG. 51 § 142 Abs. 2 Satz 1 AktG. 52 Die vorgängige Ablehnung des Antrages durch die Hauptversammlung ist Voraussetzung des Antrages der Minderheit; Hüffer, AktG (Fn. 28), § 142 Rz. 18. 53 Die Minderheit, die ausreicht den Antrag auf Vornahme einer Sonderprüfung zustellen (1 % des Grundkapitals oder Aktien im Nominalwert von 100.000 Euro) reicht nicht aus, um nach § 122 Abs. 1 AktG die Einberufung einer HV zu verlangen. Dies allein ist ein sehr erhebliches Hindernis. 54 Baums (Fn. 21), S. F 32 ff. 55 Bereits kursorisch skizziert in „Finanzplatz“ Mai 2009, S. 12. 56 § 148 Abs. 1 Ziffer 1 AktG. 57 § 342b HGB.
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des betreffenden Organmitgliedes und dessen Ursächlichkeit für den Schaden darlegen. Eine Umkehr der Beweislast findet nicht statt58. Die Prüfstelle benachrichtigt die Gesellschaft und untersucht dort den Fall; findet sie den Verdacht bestätigt, lässt sie die Antragsteller als Kläger zu und weist anderenfalls den Antrag auf Zulassung ab. b) Eignung der Prüfstelle Die Prüfstelle ist aufgrund des dort versammelten Sachverstandes und der bereits in den wenigen Jahren der bisherigen Tätigkeit gewonnenen Erfahrungen in besonderer Weise für die Prüfung des Zulassungsantrages geeignet59. Sie ist eine private, keine öffentlich-rechtliche Institution und die von ihr jeweils für ein Jahr veröffentlichten Prüfungsschwerpunkte60 zeigen, dass die Prüfstelle alles andere als eine Versammlung von „Hakelmachern“ ist, sondern wirtschaftliche Vorgänge gründlich prüft und mindestens über die Qualifikation der Prüfer verfügt, die nach dem bisherigen System als Sonderprüfer benannt werden. c) Notwendigkeit der gesetzlichen Erweiterung des Auftrages der Prüfstelle Die Prüfstelle für Rechnungslegung hat ihre gesetzliche Grundlage im Gesetz zur Kontrolle von Unternehmensabschlüssen (BilKoG) vom 15. Dezember 200461. Sie prüft die Abschlüsse börsennotierter Gesellschaften bei Verdacht eines konkreten Verstoßes gegen Rechnungslegungsvorschriften, auf Verlangen der BaFin oder stichprobenweise62. Dieser Auftrag müsste durch Gesetz erweitert werden, um die Prüfung von Anträgen von Aktionären als Prozessstandschafter zugelassen zu werden, mit dem Ziel Schadensersatz für einen pflichtwidrigen und schadenstiftenden Verstoß eines Verwaltungsmitgliedes zu fordern. Die Prüfstelle würde den Antrag auf Schlüssigkeit und kursorisch auf Begründetheit prüfen, dem Antragsteller ggf. Gelegenheit zur Nachbesserung geben, die Gesellschaft verständigen und dort vor Ort dem Vorwurf nachgehen. Erweist sich der behauptete Sachverhalt als richtig, würden die Antragsteller als Kläger zugelassen, wobei sich die Gesellschaft binnen einer Frist zur eigenen Verfolgung des Anspruches entschließen kann. Verstreicht die Frist, kann sie das Verfahren nur übernehmen, wenn die Kläger den Prozess nachlässig führen oder wenn wesentliche neue Gesichtspunkte auftauchen. Die Kosten für die Bearbeitung eines Zulassungsantrages ergeben sich aus einer Tabelle, die Rahmen vorgibt, innerhalb derer die Prüfstelle die Gebühr nach Größe der Gesellschaft, Höhe des Schadens und Arbeitsaufwand pflichtmäßig bestimmt. Ist der erste Antrag zugelassen, besteht damit eine Sperre für die Zulassung weiterer Anträge.
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58 § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG. 59 Vgl. Scheffler, Der Konzern 2007, 589 ff. 60 Im Internet abrufbar auf der Website der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung www.frep.info. 61 BGBl. I 2004, S. 3408. 62 § 342 HGB.
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Das Zulassungsverfahren nach § 148 AktG wird von der Praxis nicht angenommen!
d) Das Verhältnis zur BaFin Bei der jetzigen Aufgabenstellung der Prüfstelle gilt ein zweistufiges Verfahren: Seit Anerkennung der Prüfstelle ist diese primär für die Überprüfung von Jahresabschlüssen von börsennotierten Gesellschaften zuständig und die BaFin greift erst ein, wenn die betreffende Gesellschaft sich weigert oder mit dem Ergebnis der Prüfung nicht einverstanden ist oder wenn erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses oder an der Ordnungsmäßigkeit der Durchführung bestehen63. Dieses sogenannte zweistufige Verfahren hat sich bewährt64. Es besteht kein Grund, hiervon für eine neue Aufgabenstellung der Prüfstelle abzuweichen, wobei davon auszugehen ist, dass genau wie bei der Überprüfung der Rechnungslegung die betroffenen Gesellschaften mitwirken und eine Zusammenarbeit mit der privatrechtlich organisierten Prüfstelle einer Prüfung durch die BaFin vorziehen. 4. Ein einfacheres, schnelleres und effizienteres Verfahren Richtig gehandhabt könnten aus einem derartigen System beachtliche Zeitund Kostengewinne und eine damit verbundene signifikante Verbesserung der Akzeptanz resultieren. Nach dem geltenden Recht müssen die Aktionäre, die über die notwendigen Aktien verfügen, und die eine Zulassung als Kläger betreiben wollen, und auf die Information aus einer Sonderprüfung angewiesen sind – erst in der nächsten HV eine Sonderprüfung beantragen und diese bei der zu gewärtigenden Ablehnung durch die HV nach § 142 Abs. 2 AktG beantragen, – dann bestellt das Gericht die Sonderprüfung, wobei § 142 Abs. 4 und 5 AktG mancherlei Hindernisse bereit hält, – die Aktionäre erhalten Kenntnis vom Sonderprüfungsbericht gemäß § 145 Abs. 6 AktG durch Einsicht beim Handelsregister oder indem sie den Bericht beim Vorstand anfordern. Stattdessen würde nach dem vorgeschlagenen System die Prüfstelle den Antrag der Aktionäre auf Schlüssigkeit und dann vor Ort kursorisch auf Begründetheit prüfen, wodurch die Sonderprüfung ersetzt wird. Die antragstellenden Aktionäre und das Handelsregister bekommen diesen Bescheid der Prüfstelle. Lässt die Prüfstelle die antragstellenden Aktionäre als Prozessstandschafter zu, ist dieses Verfahren kostenfrei. Wird der Antrag abgelehnt, müssen die Antragsteller eine Gebühr bezahlen. Sind die Antragsteller zugelassen, kommen Kosten nur dann auf sie zu, wenn sich im Schadensersatzprozess herausstellt, dass sie die Zulassung mit unrichtigen Angaben erschlichen und damit selbst die Prüfstelle getäuscht haben. Diesenfalls gelten die normalen Regeln (§ 91 ZPO).
__________ 63 § 37p WpHG. 64 Vgl. Scheffler, Der Konzern 2007, 589 ff., 597.
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Von der Stellung des Antrages bei der Prüfstelle bis zum Bescheid der Prüfstelle (Zulassung oder kostenpflichtige Ablehnung des Antrages) brauchen nur wenige Wochen zu vergehen, es entfallen mehrere Schritte bzw. Zwangspausen (warten auf die nächste HV, um die Sonderprüfung zu beantragen). Die Gesellschaft wird selbstverständlich während der Untersuchung der Prüfstelle vor Ort „gehört“ und kann überdies bis zur Entscheidung der Prüfstelle ihrerseits Klage erheben und damit den Antrag der Aktionäre (einmal) zu Fall bringen, es sei denn, die zugelassenen Aktionäre führen den Prozess nachlässig, welchenfalls die Gesellschaft eine nochmalige Chance hat, den Prozess zu übernehmen. Gegen die Entscheidung der Prüfstelle gibt es nur die Beschwerde an das OLG, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat.
IV. Zusammenfassung 1. § 148 AktG läuft leer, weil die Kostentragungsregelung für die klagewilligen Aktionäre zu unübersichtlich und damit zu riskant ist und weil die Zulassungshürde so hoch ist, dass sie allenfalls mit einer Sonderprüfung bezwungen werden kann. Die erfolgreiche Beantragung einer Sonderprüfung und das dann anschließende Zulassungsverfahren führen zu einem komplizierten Verfahren in vielen Schritten, das fast jeden Aktionär abschreckt. 2. Es ist denkbar, aber nicht sehr wahrscheinlich, dass man die Funktionsfähigkeit von § 148 AktG durch Justieren an vielen kleinen Stellschrauben herstellen kann. 3. Erfolgversprechender erscheint ein Neuanfang, in dem insbesondere Verfahrensschritte bei der Sonderprüfung und der Zulassung zusammen gelegt werden. Der Zulassungsantrag wird von der Prüfstelle (§ 342b HGB) bearbeitet und dann verbeschieden, wobei die Prüfstelle die Schlüssigkeit und kursorisch bei der Gesellschaft die Begründetheit des Zulassungsantrages prüft.
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Neue Perspektiven des italienischen Handelsrechts* Inhaltsübersicht I. Die Aktualität der Frage nach der Selbstständigkeit des Handelsrechts II. Die ersten Erfahrungen mit einer einheitlichen Kodifizierung: das Zivilgesetzbuch von Parma aus dem Jahre 1820 und das erste Zivilgesetzbuch von Québec (1866) III. Die Entwicklung der Handelsgesetzbücher in Italien im 19. Jahrhundert 1. Der Einfluss des französischen und des deutschen Modells auf das Handelsgesetzbuch von 1865 2. Die ausgeprägte Selbstständigkeit und der weite Anwendungsbereich des Handelsgesetzbuchs von 1882
IV. Die (politische) Entscheidung des italienischen Gesetzgebers von 1942 für eine Vereinheitlichung des Privatrechts V. Dennoch: Die Sonderstellung des Unternehmensrechts 1. Die Diskussionen über die Unabhängigkeit des Handelsrechts nach dem Ende des Faschismus 2. Die „Re-Kommerzialisierung des Handelsrechts“ zwischen europäischem Gemeinschaftsrecht und der sog. „Privatisierung der Regelsetzung“ VI. Die sog. Entkodifizierung und das Bemühen um einen systematischen Wiederaufbau: die Perspektiven des Handelsrechts unserer Zeit
I. Die Aktualität der Frage nach der Selbstständigkeit des Handelsrechts Das zweihundertjährige Bestehen des französischen Handelsgesetzbuchs („Code de commerce“ von 1807) bot Gelegenheit, über die Perspektiven des Handelsrechts in einer Zeit der Globalisierung nachzudenken1, denn die wirtschaftliche Globalisierung zieht unausweichlich auch die Globalisierung dieser
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* Die Wahl dieses Themas für den Beitrag erklärt sich durch die Neugier auf das italienische Recht, die der Jubilar stets in den vielen Diskussionen gezeigt hat, die wir in der über 35 Jahre langen Freundschaft geführt haben. Für die Übersetzung danke ich Frau Gudrun von der Laage, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gesellschaftsrecht (IfG) – Abt. 2: Kapitalgesellschaften, Bilanzrecht der Universität zu Köln. 1 Vgl. zu dieser Frage in Belgien das Sammelwerk: Bicentenaire du Code de commerce – Tweehonderd jaar Wetboek van Koophandel, 2007. Dazu Derijcke/Buyle, Rev. droit comm. (belg.) 2007, 523 ff., und in der italienischen Literatur Alpa, Nuova giur. civ. comm. 2007, II, 291 ff. Siehe zum zweihundertjährigen Bestehen des „Code de commerce“: 1807–2007. Le code de commerce – Livre du bicentenaire, 2007; 1807–2007. Bicentenaire du code de commerce: la transformation du droit commercial sous l‘impulsion de la jurisprudence, 2007; Negozianti e imprenditori – 200 anni dal Code de commerce, 2008.
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Rechtsmaterie nach sich. Dies gilt zumal im italienischen Privatrecht bezüglich der Frage, ob es auch weiterhin angebracht ist, eine Sonderstellung und damit Autonomie des Handelsrechts abzulehnen, wie es durch die sog. „Kommerzialisierung des Privatrechts“ erfolgte: 1942 kam es in Italien zur sog. „Vereinheitlichung des Privatrechts“, indem das Zivilgesetzbuch („Codice civile“) von 1865 und das Handelsgesetzbuch („Codice di commercio“) von 1882 durch einen einheitlichen Codice civile ersetzt wurden2. Dies führte u. a. dazu, dass das besondere Schuldrecht des Codice di commercio von 1882 in allgemeine Prinzipien des Privatrechts überführt wurde. Die immer noch währende Aktualität der Frage nach der Stellung des Handelsrechts zeigt sich zum einen in den in Deutschland in stetem Konflikt stehenden Thesen von Canaris und Karsten Schmidt (Letzterer in Weiterentwicklung der Lehre von Raisch)3, zum anderen in der Entscheidung des brasilianischen Gesetzgebers, für das Zivilgesetzbuch von 2002 das italienische Modell und damit die Verbindung von Schuldrecht und Unternehmensrecht in einem
__________ 2 Thesen für und wider eine Autonomie des Handelsrechts Müller-Freienfels in FS Caemmerer, 1978, S. 583 ff., welcher vertritt, dass die Autonomie des Handelsrechts nicht mehr der Zeit (von 1978) entspreche. Ähnliche Diskussionen zeigen sich heute in den 16 OHADA-Mitgliedstaaten von West- und Zentralafrika: Tchunkam, Rev. droit unif. 2009, 57 ff. 3 Zur problematischen Frage nach dem Bestehen eines modernen Handelsrechts vgl. die vielzähligen Veröffentlichungen von K. Schmidt (beginnend 1982 mit: Das HGB und die Gegenwartsaufgaben des Handelsrechts, 1990; bis hin zu: BB 2005, 837 ff.) und Raisch (Die Abgrenzung des Handelsrechts vom Bürgerlichen Recht als Kodifikationsproblem im 19. Jahrhundert, 1962; Geschichtliche Voraussetzungen, dogmatische Grundlagen und Sinnwandlung des Handelsrechts, 1965; JA 1990, 259, 328 ff., 369 ff.; ZHR 1990, 567 ff.). K. Schmidt sieht – den Gleichklang seiner These mit der von Raisch (basierend auf der Figur des „Unternehmers“) bestreitend – „das Handelsrecht als Außenprivatrecht der Unternehmen“ und befürwortet daher die Abschaffung der Figur des „Kaufmanns“, um gerade ein „Unternehmensprivatrecht“ mit Blick auf den „Unternehmensträger“ zu schaffen. Dieser These widerspricht u. a. Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 1, III, Rz. 23 ff., der einem „Außenprivatrecht der Unternehmen“ de lege lata entgegensetzt, dass das Handelsgesetzbuch auch nach der Reform von 1998 (zu dieser statt aller K. Schmidt, NJW 1998, 2161 ff.) auf dem „Kaufmannsbegriff“ basiere. De lege ferenda müsse sich die Frage gestellt werden, ob „es überzeugende Gründe dafür [gebe], die bisher außerhalb des Handelsrechts stehenden Unternehmensträger – also vor allem die Angehörigen der freien Berufe und Kleingewerbetreibenden – in dieses einzubeziehen“. (Das italienische Recht sieht in Art. 2083 c.c. die Figur des Kleinunternehmers vor, auf den bis auf wenige Ausnahmen die handelsrechtlichen Vorschriften Anwendung finden; unanwendbar sind v. a. die insolvenzrechtlichen Vorschriften, Art. 2221 c.c., die Verpflichtung zur Rechnungslegung, Art. 2214 Abs. 3 c.c., und die Handelsregistereintragung, Art. 2202 c.c. Von den Angehörigen der freien Berufe ist der „Kleinunternehmer“ dadurch zu unterscheiden, dass für diesen stets eine – zumindest kleine – wirtschaftliche Organisation erforderlich ist, Art. 2082 c.c.). Hierfür sei entscheidend, ob und inwieweit das Handelsrecht einen „genuinen Eigengehalt“ aufweise und sich damit vom Bürgerlichen Recht unterscheide. Trotz Anerkennung spezieller handelsrechtlicher Normen, die jedoch keine wirkliche „Grundlage“ für „eine eigenständige Rechtsdisziplin“ darstellen könnten, verneint Canaris jedenfalls im Grundsatz eine Autonomie des Handelsrechts mit der Begründung der engen Verwandtschaft zum Bürgerlichen Recht (§ 1, II, Rz. 20 ff., III, Rz. 30 ff.).
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einheitlichen Gesetzbuch zu wählen4, und nicht zuletzt wird die Aktualität sichtbar in der gänzlich anderen Entscheidung des österreichischen Gesetzgebers von 2005, aus dem Handelsgesetzbuch ein „Unternehmensgesetzbuch“ zu machen und so die Figur des Kaufmannes endgültig aufzugeben5.
II. Die ersten Erfahrungen mit einer einheitlichen Kodifizierung: das Zivilgesetzbuch von Parma aus dem Jahre 1820 und das erste Zivilgesetzbuch von Québec (1866) Das Verhältnis von Zivilrecht und Handelsrecht ist schon lange problematisch. Bereits in der Vorbereitung zum französischen Zivilgesetzbuch („Code civil“) stellte sich der Staatsrat Berlier in seiner Rede vom 15. Dezember 1801 die Frage: „[…] was wird das Handelsgesetzbuch sein, ein Gesetzbuch für die Landwirtschaft, wenn nicht eine Zusammenfassung von Regeln, die sich nicht von den Regeln des Hauptgesetzbuchs [sc. des Code civil] entfernen dürfen.“6
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4 Zwar wurde das brasilianische Handelsgesetzbuch („Código comercial“), welches weiterhin das Seerecht, aber nicht mehr das Insolvenzrecht (dieses wird nun von Lei Nr. 11.101 v. 9.2.2005 geregelt: Vieira (Hrsg.), Comentários à nova Lei de falências e recuperaçao de empresas, 2005; Jaeger Junior in Calvo Caravaca/Aréal Ludeña, Cuestiones actuales del Derecho Mercantil Internacional, 2005, S. 653 ff.) enthält, nicht aufgehoben. Im neuen brasilianische Zivilgesetzbuch („Código civil“) ist aber ein spezielles Buch zum Unternehmensrecht („Do direito de empresa“, Artt. 966– 1195) eingefügt worden. Dabei wurde es der Literatur überlassen, eine weiter bestehende Autonomie des „Handelsrechts“ als „Unternehmensrecht“ ausfindig zu machen, vgl. Mallmann Lippert, A empresa no código civil – Elemento de unificaçao no Direito Privado, 2003, v. a. S. 153 ff.; Jaeger Junior in Jayme/Schindler, Portugiesisch – Weltsprache des Rechts, 2004, S. 217 ff., m. w. N.; siehe auch Schreiber, Riv. dir. comm. 2006, I, 884, und allgemein das von Calderale herausgegebene Sammelwerk: Il nuovo codice civile brasiliano, 2003. Die gleiche Fragestellung wird zur Zeit auch in Polen diskutiert, wo – bereits vor Beginn des sozialistischen Systems – das Handelsgesetzbuch außer Kraft gesetzt wurde (1934) (einzelne Vorschriften des Gesellschaftsrechts wurden aber aufrecht erhalten) mit der Folge, dass ein monistisches System des Privatrechts geschaffen wurde: W» odyka in FS Schwark, 2009, S. 87 ff. 5 Zudem wurden in das österreichische Zivilgesetzbuch („ABGB“) die speziell zivilrechtlichen Bereiche eingegliedert, vgl. Krejci (Hrsg.), Reform-Kommentar UGB, 2007; Roth/Fitz, Unternehmensrecht, 2006. 6 „[…] ce que sera un Code de commerce, un Code rural sinon des collections de règles qui ne devront s’écarter de celles posées au Code principal [le Code civil]“, zu lesen in Santoro Passarelli in Studi per il centenario dell’unificazione legislativa italiana 1865– 1965, 1968, S. 19 (Padoa Schioppa, Saggi di storia del diritto commerciale, 1992, S. 76, berichtet, dass Berlier bei den Vorbereitungen zum Handelsgesetzbuch der Gruppe der Staatsräte angehörte, die dazu tendierten, „die Eigentümlichkeiten des Handelsrechts im Vergleich zum Zivilrecht auf ein Minimum zu reduzieren“.). Thaller, Traité élémentaire de droit commercial, 1. Aufl. 1898, Nr. 2, S. 2, erachtete das Handelsrecht als „einen abhängigen Teil des Privatrechts […]; einen Annex zum Titel „Der Allgemeine Teil der vertraglichen Schuldverhältnisse“ (Herv. im Original) und vertrat darauf konsequent aufbauend, dass „heutzutage nichts das Prinzip der Einheit des Privatrechts beseitigen k[ö]nn[e]“ (ders. in Le code civil (1804–1904). Livre du centenaire, Neuauflage 1969, S. 226, mit der Aussage, dass „das Handelsrecht eine Ausnahmerecht darstell[e]“.). Siehe aber zur Gegenansicht Delamarre/Poitvin, Traité théorique et pratique de droit commercial, I, 1861, §§ 2 und 3, Nr. 17 ff., S. 37: „Das Zivilgesetz-
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In eben diese Richtung tendierte 1815 auch in Italien die erste Kommission, die bei der Vorbereitung des Codice civile von Parma aus dem Jahre 1820 (das entgegen weit verbreiteter Behauptungen das erste Zivilgesetzbuch war, das die Einheit des Privatrechts bereits im Keim enthielt) sich dazu entschied, keinen eigenständigen Codice di commercio ins Leben zu rufen, „denn“ – so die Kommission – „dadurch, dass die Rechtsgebiete denselben Prinzipien [des Zivilrechts] unterliegen, erschien es überflüssig, die ‚Zweige der Gesetzgebung‘ ohne Nutzen zu vermehren“7. Ein geradezu entgegengesetztes Zeichen setzte wiederum die Kritik am ersten Zivilgesetzbuch von Québec von 1866, das ebenso auf ein Handelsgesetzbuch („Code de commerce“) verzichtete und so von der frankophonen Tradition abwich, obwohl es dem Code civil einen speziellen Teil mit handelsrechtlichen Besonderheiten (z. B. Wechselbriefe, „billet à ordre“, Scheck, Versicherungen, etc.) hinzufügte. Zudem ist es interessant, Ansichten aus der kanadischen Lehre aufzuzeigen, nach denen „trotz anderen Anscheins [der Gesetzgeber] das Handelsrecht nicht mit dem Zivilrecht, im juristischen Sinne des Wortes, ‚verschmolzen‘ hat. […] Eine Verschmelzung [könne] sich nicht allein daraus ergeben, dass beide Rechtsgebiete in einem Gesetzbuch mit gemeinsamen Vorschriften für zivilrechtliche und handelsrechtliche Vorgänge geregelt sind, während für manche handelsrechtliche Vorgänge dennoch spezielle Regeln bestehen“8.
__________ buch und das Handelsgesetzbuch sind zwei Spezialgesetze und gleichzeitig auch allgemeine Gesetze, eines vom anderen unabhängig“ (Herv. im Original). Für eine gleichgewichtige Wertung der Verhältnisses von Zivilgesetzbuch und Handelsgesetzbuch spricht sich Teti, Codice civile e regime fascista, 1990, S. 23 ff., aus. 7 Diese Aussage ist Padoa Schioppa (Fn. 6), S. 146, entnommen. Zur Bestätigung, dass das Zivilgesetzbuch von Parma, Piacenza und Guastalla das erste war, das im Keim die Einheit des Privatrechts umgesetzt hat, siehe Hamza, Die Entwicklung des Privatrechts auf römischrechtlicher Grundlage, 2001, S. 192; zu diesem Gesetzbuch im Allgemeinen Padoa Schioppa (Fn. 6), S. 146 ff.; Ranieri in Coing, Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, 3. Bd., 1. Teilbd., 1982, S. 254 ff. 8 „[…] malgré les apparences [des codificateurs] n’ont pas opéré une fusion du droit commercial et du droit civil au sens juridique du mot […] La fusion ne peut s’induire du seul fait de l’incorporation dans un même Code de règles communes aux opérations civiles et commerciales, alors que pour certaines opérations commerciales de règles spéciales y sont malgré tout réservées […]“, Baudouin, Les aspects généraux du droit privé dans la province de Québec, 1967, S. 934; mit gleichen Erwägungen Hamza (Fn. 7) zum Zivilgesetzbuch für die Staaten der italienischen Adelsfamilie Este, Modena, 1851, das ein vom Schuldrecht getrenntes Buch zum Handelsrecht enthielt, während das Gesellschaftsrecht im Schuldrecht geregelt war [zu diesem Gesetzbuch vgl. Padoa Schioppa (Fn. 6), S. 153 ff.; Ranieri (Fn. 7), S. 291 ff.]. Man kann sogar sagen, dass dies auch für das „Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten“ (ALR) von 1794 galt, das spezielle Normen für Handelsleute enthielt (§ 475 Abs. 2 Satz 8).
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III. Die Entwicklung der Handelsgesetzbücher in Italien im 19. Jahrhundert 1. Der Einfluss des französischen und des deutschen Modells auf das Handelsgesetzbuch von 1865 Um die Tragweite der Neuerung zu ermessen, die der italienische Codice civile von 1942 gegenüber dem vorher bestehenden Nebeneinander des Codice civile von 1865 und des Codice di commercio von 1882 gebracht hat, erscheint es zunächst erforderlich, einige Kennzeichen des Codice di commercio von 1865 (sowie des Vereinigten italienischen Reiches) und des Codice di commercio von 1882 kurz in Erinnerung zu rufen9. Der Codice di commercio von 1865, welcher sodann durch jenen von 1882 ersetzt wurde, war aufgrund der Eile, mit der er hervorgebracht wurde, im Wesentlichen vom französischen Code de commerce beeinflusst geblieben10: wie dieser hatte er eine auf das Handelsgeschäft (Art. 2 Codice di comm.) und auf den Kaufmannsbegriff (Art. 1 Codice di comm.) gestützte objektive Prägung – jedenfalls nach der herrschenden Meinung, die ich hier nicht in Frage stellen möchte11. Während das französische Vorbild aber keinerlei grundlegende Regeln für Handelsgeschäfte vorsah12, sondern sie nur im vierten Buch über die handelsrechtliche Gerichtsbar-
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9 Zum Handelsgesetzbuch von 1865, soweit es hier von Interesse ist, Padoa Schioppa (Fn. 6), S. 154 ff.; Asquini in Studi per il centenario (Fn. 6), S. 53 ff.; zum Handelsgesetzbuch von 1882 vgl. Teti (Fn. 6), S. 41 ff.; Padoa Schioppa, La genesi del codice di commercio del 1882; Casanova, Osservazioni in margine al codice di commercio del 1882; Auletta, L’impresa dal codice di commercio del 1882 al codice civile del 1942, alle im Sammelwerk: 1882–1982 – Cento anni dal codice di commercio, 1984, die letzten beiden Beiträge enthalten umfangreiche Vergleiche mit den vorherigen handelsrechtlichen Kodifizierungen. Zudem lesenswert: Ascarelli, Corso di diritto commerciale, 3. Aufl. 1962, S. 61 ff.; Galgano, Storia del diritto commerciale, 1976, S. 69 ff.; Cottino in Bonfante/Cottino, L’imprenditore, in Cottino, Trattato di diritto commerciale, I, 2001, S. 343 ff. 10 So Asquini (Fn. 9), S. 56. Auch wenn ihm insoweit zu widersprechen ist, als seiner Ansicht nach das Handelsgesetzbuch von 1865 eine einfache Übertragung des „Codice albertino“ von 1842 und dadurch auch des französischen Handelsgesetzbuchs gewesen ist, ist es sicherlich richtig, dass das System des französischen Gesetzbuchs leitend bleibt. 11 Siehe zu den Gegenansichten in der französischen Literatur Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen (Fn. 3), S. 168; für Casanova (Fn. 9), S. 59, war die Anerkennung der objektiven Prägung des französischen Handelsgesetzbuchs – das vom Gesetzgeber als „subjektives System“ angedacht war – ein Werk der französischen Literatur Anfang des 19. Jahrhunderts. Auf der anderen Seite äußert sich Auletta (Fn. 9), S. 75, dass „beim Abwechseln zwischen den sog. objektiven und subjektiven Systemen [sich keine] Sprünge, aber eine Evolution [feststellen lasse]“; während Canaris (Fn. 3), § 1, I, Rz. 3, sich bei einem Vergleich des HGB zum französischen Handelsgesetzbuch dahingehend äußert, dass beide Systeme am Ende „zu einer Mischung“ führten. 12 Teti (Fn. 6), S. 24 f., bemerkt: „[…] dieses Gesetzbuch [sc. das französische Handelsgesetzbuch] entstand nicht mit der Ambition (die aber den späteren handelsrechtlichen Kodifizierungen inne ist), eine „spezielle“ Disziplin bezüglich handelsrechtlicher Schuldverhältnisse und Verträge zu schaffen: für den französischen Gesetzgeber hätte die gesamte Disziplin über die Verhältnisse zwischen Privaten im monumentalen Zivilgesetzbuch geregelt werden müssen. Es war in der Tat nach der wiederholten feierlichen Anerkennung der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz und nach
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keit verankerte (Artt. 631–632), stellte das italienische Gesetzbuch eine Reihe von, wenn auch unvollständigen, Regeln über die handelsrechtlichen Schuldverhältnisse und Verträge auf, die sich für die Anforderungen des Rechtsverkehrs besser eigneten als die des Codice civile13. Zudem hatte sich der italienische Codice di commercio von 1865 am Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch von 186114 orientiert und übernahm von diesem die Vorschrift über den Vorrang der Handelsbräuche vor den allgemeinen Zivilrechtsnormen (Art. 1 ADHGB; Art. 89 Codice di comm.: „Die Handelsverträge werden von den speziellen handelsrechtlichen Gesetzen und Bräuchen und vom Codice civile geregelt.“) sowie die Vorschrift über die Vermutung der Gesamtschuldnerhaftung bei handelsrechtlichen Schuldverhältnissen (Art. 280 ADHGB; Art. 90 Codice di comm.)15. 2. Die ausgeprägte Selbstständigkeit und der weite Anwendungsbereich des Handelsgesetzbuchs von 1882 Der Codice di commercio von 1882 schloss in Italien den gerade beschriebenen Prozess der „Ausdehnung des Handelsrechts“ damit, dass er bei der Regelung von privaten Rechtsverhältnissen klar zwischen zivilrechtlichen und handelsrechtlichen Verhältnissen trennte16. Obwohl der italienische Codice di commercio dabei weiterhin die Struktur des französischen Code de commerce beibehielt, berücksichtigte er nun – wie Franz Mittermaier in einer ausführlichen Rezension herausstellte – die in Deutschland entstandenen rechtlichen Entwicklungen durch das ADHGB von 1861 sowie durch die Allgemeine deutschen Wechselordnung von 184817, als auch die weitgehenden, mit der zweiten industriellen Revolution verbundenen wirtschaftlichen Veränderungen18.
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der Absage an jede juristische Bevorzugung nicht denkbar, dass nun eine spezielle Disziplin für solche Verträge bestehen solle, die zwischen Kaufleuten bei Ausführung ihrer Tätigkeit geschlossen werden.“. Teti in Annali (7/2005) del Dipartimento di Scienze giuridico-sociali e dell’Amministrazione dell’Università degli Studi di Molise, 2006, S. 102. Zum ADHGB siehe statt aller Raisch, Die Abgrenzung des Handelsrechts (Fn. 3), S. 116 ff.; Wieland, Handelsrecht, 1. Bd., 1921, S. 24 ff.; Teti, Codice civile (Fn. 6), S. 39 ff.; Padoa Schioppa, Storia del diritto in Europa, 2007, S. 532 f.; Grossi, L’Europa del diritto, 2007, S. 210 f. Es entsprach daher nicht ganz der Wahrheit, (hierauf weist F. Mittermaier, ZHR 1884, 132 f., mit großem Erstaunen hin) was im „Mancini Bericht“ [= „Bericht des Justiz- und Kultusministers (Mancini) oder Darlegung der Motive zum Projekt des Handelsgesetzbuchs für das Italienische Reich, das dem Senat in der Sitzung vom 18. Juni 1877 vorgelegt wurde […]“], 1878, I, S. 8, zu lesen war, nämlich dass man in der Abfassung des Handelsgesetzbuchs von 1865 nicht „einfach weiter gehen [könne] [als die bisherigen Gesetze und Gesetzbücher], da zu dieser Zeit in Italien nicht weitere, radikalere Innovationen ohne Verdacht bewilligt worden wären. Zudem [lasse] der Meinungsstand es nicht zu, dass für die schwierigsten Argumente des Handelsrechts die italienische Gesetzgebung an die deutsche […] heranrück[e] und von dem Wissen der [deutschen] Rechtsgelehrten profitier[e] […]“. Teti (Fn. 13), S. 103 f. F. Mittermaier (Fn. 15), 132–181. Asquini in Enc. dir., VII, 1960, S. 251; Auletta (Fn. 9), S. 80.
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Dabei ist für diesen Beitrag von besonderem Interesse, dass das Gesetzbuch von 1882 bereits an erster Stelle entschlossen und deutlich (auch dies betonte Mittermaier) im Handelsrecht das Recht über die Handelsbräuche als vorrangige Rechtsquelle gegenüber dem Zivilrecht weiterhin anerkannte und das Zivilrecht nur bei Fehlen von Handelsbräuchen angewendet werden durfte (Art. 1). Dies bedeutete, dass das Handelsrecht als eigenständige Rechtsquelle und damit als selbstständiger Rechtsbereich anerkannt wurde. Das Gesetzbuch umgrenzte zudem das Handelsrecht (Art. 3) mit einem langen Katalog (Nr. 24) von objektiven Handelsgeschäften (darunter – als besondere handelsrechtliche Vorgänge und nicht als „Vorgänge im Allgemeinen“ – einige Unternehmenskategorien: z. B. Fabrik- und Bauunternehmen, sowie Produktionsunternehmen) und stellte sie den subjektiven, von Kaufleuten getätigten Geschäften gegenüber (Art. 4). Die Kaufleute selbst definierte Art. 8 des Codice di commercio als „diejenigen, die Handelsgeschäfte üblicherweise in ihrem Beruf tätigen, und die Handelsgesellschaften.“ Dem ist noch hinzuzufügen, dass: a) einige allgemeine Regeln aufgestellt wurden (Art. 36–52), die zum Ziel hatten, den Vertragsschluss (an erster Stelle den Vertragsschluss zwischen Abwesenden, Art. 36) und den Umlauf von Vermögen zu erleichtern; b) eine Reihe von Handelsverträgen geregelt wurden (Art. 59 ff.), von denen manche erstmalig (z. B. das Reportgeschäft, die Regelung des ADHGB imitierend, Art. 73– 75 Codice di comm.); c) dem Handelsgesetz auch die sog. einseitigen oder gemischten Handelsgeschäfte unterworfen wurden (wiederum in Anlehnung an das ADHGB: Art. 277 = § 345 HGB von 1897), was eine heftige Reaktion von Cesare Vivante – neben Levin Goldschmidt der wichtigste europäische Handelsrechtler der Zeit – auslöste: Er rügte, dass auf diese Weise „alle Bürger, die in Vertragsverhandlungen mit Kaufleuten traten, [gezwungen gewesen seien], sich einem Gesetz zu unterwerfen, das zugunsten dieser mit Abstand kleineren Gruppe [sc. der Kaufleute] geschaffen wurde“19. Daher forderte er zumindest anfangs mit Nachdruck, dass das Schuldrecht in allein einem Gesetzbuch geregelt werde20.
__________ 19 Vivante, Trattato di diritto commerciale, I, 5. Aufl. 1922, S. 12. 20 Noch vor der Introduzione al Trattato (Fn. 19), las man die berühmte Antrittsrede in Bologna (1888) von Vivante, „Per un codice unico delle obbligazioni“ in Monitore dei tribunali, 1888, S. 169 ff. (zur ursprünglichen „vivantianischen“ Position: Galgano (Fn. 9), S. 90 ff.; Teti (Fn. 6), S. 46 f.), die später auch die Aufmerksamkeit der ausländischen Lehre weckte: Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, 1891, § 3, S. 10, Fn. 3; Wieland (Fn. 14), § 1, Fn. 6; Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen (Fn. 3), S. 149 ff.; weitere Hinweise, auch zu verschiedenen Ländern, in Rotondi, AcP 1967, 3, der – nachdem Vivante die These zur Vereinheitlichung der Gesetzbücher des Privatrechts wieder verworfen hatte (Riv. dir. comm. 1925, I, 572 ff.: mit der Anerkennung der „Weltfunktion des Handels und des ihn flankierenden Rechts, Maßnahmen für den Bedarf des Marktes vorzusehen“) – ein Anhänger der These blieb (Rotondi in Studi dedicati alla memoria di Pier Paolo Zanzucchi (Gedenkschrift für Zanzucchi), 1927, S. 173 ff.).
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IV. Die (politische) Entscheidung des italienischen Gesetzgebers von 1942 für eine Vereinheitlichung des Privatrechts Es wird nicht erforderlich sein, alle Entwürfe für einen Codice di commercio, die es in den 60 Jahren zwischen dem Codice di commercio von 1882 und dem Codice civile von 1942 gegeben hat, Revue passieren zu lassen21. Letzten Endes hat sich der Gesetzgeber mit dem Codice civile von 1942 dagegen entschieden – wie auch der schweizerische Gesetzgeber bereits 188122 –, einen Codice di commercio neben dem Codice civile aufrecht zu erhalten, obwohl jener durch Inkrafttreten des letzten Entwurfs auf die neusten wirtschaftlichen Entwicklungen ausgerichtet worden wäre. Dies zeigt sich bereits dadurch, dass der letzte Entwurf eines Codice di commercio auf den 8. Juni 1940 zurückgeht23 und sehr innovativ war: Auf der einen Seite wurden die allgemeinen Vorschriften über die handelsrechtlichen Schuldverhältnisse in ein eigens hierfür vorgesehenes Buch des Codice civile (heute das 4. Buch: „Schuldrecht“)24 überführt. Im Codice di commercio blieben aber sowohl die notwendiger- oder
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21 Statt aller Asquini (Fn. 9), S. 58 ff.; ders. (Fn. 18), S. 251 ff.; Teti (Fn. 6), S. 43 ff. 22 Vgl. Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen (Fn. 3), S. 84 ff. (und S. 65 ff.); Wieland (Fn. 14), § 6, S. 36 ff.; kritisch zum schweizerischen Gesetzbuch des Schuldrechts Asquini, Riv. dir. comm. 1940, I, 512: „[…] weil die Vereinheitlichung des Schuldrechts […] zum Preis einer künstlichen Kompression der Bedürfnisse des Handels erfolgte“ („[…] perché l’unificazione del diritto delle obbligazioni […], era avvenuta al prezzo di una artificiale compressione delle esigenze del commercio“). An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass nach der modernen schweizerischen Lehre das „vereinheitlichte Gesetzbuch“ nicht zu einer „Kommerzialisierung des Privatrechts“ geführt hat. Dieser Lehre stehen aber durchaus andere Auffassungen entgegen: Von der vorwiegenden Ansicht, nach der der Gesetzgeber von 1881 einen „vernünftigen Mittelweg“ gefolgt ist mit der konsequenten Verteidigung der sog. Theorie der „gegenseitigen Integration“ des Zivil- und des Handelsrechts (Merz in Hundert Jahre Schweizerisches Obligationenrecht – Le centenaire du Code des Obligations, 1982, S. 17 ff.; Patry in Schweizerisches Privatrecht, VIII, 1, 1976, S. 17 ff.), bis zu der Auffassung, die mit Nachdruck von einer „Spezialität“ des Handelsrechts ausgeht – nach Rüstung gegen die Gefahren der „Kommerzialisierung des Zivilrechts“ – (Bucher in Festgabe für Meier-Hayoz, 1972, S. 1 ff.), und nicht zuletzt besteht die Meinung, die eine „relative“ Autonomie des neuen Handelsrechts in dem Maße schaffen möchte, in dem das Handelsrecht „berufliche Regeln“ vorsieht. Dies soll dadurch erreicht werden, dass eine Gesetzgebung gleichzeitig privatrechtliche wie auch öffentlichrechtliche Regelungen schaffen solle (Oftinger, Schweiz. Jurist. Zeitschrift, 1954, 162). Nach der Kodifizierung von 1942 in Italien wurden in den Niederlanden, soweit ich weiß, die Gesetze des Privatrechts im neuen holländischen Zivilgesetzbuch vereint (Nieuw Burgerlijk Wetboek = NBW, für einige Nachweise hierzu siehe Portale, Lezioni di diritto privato comparato, 2. Aufl. 2007, S. 96; zur Historie siehe Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen (Fn. 3), S. 142 ff.; zu neuesten Entwicklungen siehe die Darstellung von Meij in Derijcke/Buyle (Fn. 1), S. 523), zudem wurde das kürzlich in Aserbaidschan in Kraft getretene Zivilgesetzbuch, 1.1.2000, vom schweizerischen Gesetzbuch des Schuldrechts und vom holländischen Zivilgesetzbuch inspiriert, vgl. Hamza, Vita not. 2006, 1237; zum polnischen Recht siehe W» odyka (Fn. 4). 23 Asquini (Fn. 18), S. 253; Rondinone, Storia inedita della codificazione civile, 2003, S. 290. 24 Hierzu Hedemann, Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 1941, 305, mit der Anerkennung, dass dies „ein wirklich neues Stück achtungsgebietender Gesetzgebung“ darstelle.
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normalerweise mit der Ausübung eines Handelsbetriebes verbundenen Verträge als auch die Handelsbräuche als Rechtsquellen verortet, denen gegenüber das Zivilrecht nachrangig blieb (Art. 6 und 8). Auf der anderen Seite, und das ist der entscheidende Punkt, hat der Entwurf unter dem ausschlaggebenden Einfluss der Überlegungen von Mossa den Begriff des objektiven Handelsgeschäfts durch den Unternehmensbegriff ersetzt, so wie er in Deutschland vor allem von Wieland herausgearbeitet worden war: Das Unternehmen als eine organisierte berufliche Tätigkeit25. Kurz bevor dieser Entwurf eines neuen Codice di commercio als Gesetz verabschiedet werden sollte, hat man sich aus politischen Gründen, die erst in den letzten Jahren gänzlich geklärt wurden26, gegen die Selbstständigkeit eines Codice di commercio entschieden. Demzufolge wurde sein Inhalt in ein eigens dafür vorgesehenes Buch des vereinheitlichten Codice civile (5. Buch, mit dem Titel „Arbeitsrecht“ („Del lavoro“) in der endgültigen Fassung) eingefügt, jedoch mit einem grundlegenden Unterschied: in den „Bestimmungen über das Gesetz im Allgemeinen“ („Disposizioni sulla legge in generale“), die dem ersten Buch des Codice civile vorangestellt sind, wurde den Bräuchen, und damit auch den Handelsbräuchen, in keinerlei Hinsicht mehr ein Vorrang vor dem Gesetz oder vor Verordnungen zugesprochen27. Die in dieser Weise realisierte Vereinheitlichung von Codice civile und Codice di commercio wurde von Hedemann in einem Brief (Juli 1941) an Asquini als Erscheinen eines neuen Horizonts auch für deutsche Juristen begrüßt, ein Horizont, der „die Reform der Gesetzbücher in Deutschland in eine vergleich-
__________ 25 Von den vielen Veröffentlichungen von Mossa ist es hier ausreichend, folgende hervorzuheben: (die Antrittsvorlesung in Pisa von 1926) Riv. dir. comm. 1926, I, 233 ff. (mit Verweisen auf Wieland, Handelsrecht (Fn. 14) und Nussbaum, ZHR 1915, 325 ff.); das Sammelwerk: L’impresa nell’ordine corporativo, 1935 (insbesondere S. 60 ff.: Besprechung von Oppikofer, Das Unternehmensrecht, 1927). 26 Vgl. Asquini (Fn. 9), S. 62 f., und besonders die detaillierte Recherche von Rondinone (Fn. 23), S. 290 ff., 335 ff., 371, 382, 421 (siehe auch Kap. XVII und das letzte Kapitel). 27 Für Asquini (Fn. 9), S. 64 f.; ders. (Fn. 18), S. 254, ging in dieser Weise „die besondere, traditionelle Hierarchie der Handelsrechtsquellen verloren“; dem Umstand eine geringere Bedeutung beimessend Cian, Riv. dir. civ. 1974, I, 539: „[…] der Wegfall einer Norm wie Art. 1 des Handelsgesetzbuchs von 1882, verändert bei genauerer Betrachtung nicht die Rangfolge zwischen dem besonderen Handelsrecht und den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften“; Auletta (Fn. 9), S. 89; in einem anderen Zusammenhang Sacco in Visintini, Dieci lezioni di diritto civile, 2001, S. 3 ff. Dem ist hinzuzufügen, dass in Art. 1 des Schifffahrtsgesetzes („codice della navigazione“; wiederum 1942) die Schifffahrtsbräuche eine besondere Stellung beibehalten haben: sie sind zwar den geschriebenen Quellen dieser Materie nachgeordnet, aber vorrangig vor den allgemeinen Normen des Privatrechts (Xerri Salamone in Studi in onore di Leanza, 2008, S. 1905 ff.; Roppo, Istituzioni di diritto privato, 5. Aufl. 2005, S. 24; Querci, Diritto della navigazione, 1989, S. 26: „[…] im System des Schifffahrtsrechts sind […] dank Art. 1 Abs. 1 des Schifffahrtsgesetzes die Bräuche relevant und zwar nicht nur secundum legem, sondern sogar contra legem, d. h. auch, wenn sie dem gemeinen Recht widersprechen, es sei denn, sie verletzen nicht-dispositives Recht oder die öffentlichen Ordnung“; a. A. Sacco (Fn. 27), S. 14; Visintini, Nozioni giuridiche fondamentali. Diritto privato, 3. Aufl. 2005, S. 22, nach denen Seemannsbräuche „praeter legem und nicht – das [sei] ihre Besonderheit – contra legem sein können“).
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bare Richtung [würde] lenken [können]“28. Asquini selbst erläuterte die Bedeutung der Vereinheitlichung der beiden Gesetzbücher in einem auch in Deutschland (mit Hinweisen sowohl auf den Faschismus wie auch auf den Nationalsozialismus) veröffentlichten Beitrag mit dem aussagekräftigen Titel „Das Handelsrecht an einer historischen Wende“ („Una svolta storica del diritto commerciale“)29. Hieraus ist zu schließen, dass „die neue historische Tatsache“, die „Wende“, die „nach acht Jahrhunderten fruchtbarer Entwicklung das Problem der Autonomie des Handelsrechts ab imis wieder zur Diskussion stellt[e]“, im „Zusammentreffen [des Handelsrechts] mit den neuen korporativen30 Ordnungen“ der faschistischen Gesellschaft zusehen ist. Die Grundlage dieser faschistischen Gesellschaft war die „Charta der Arbeit“ („Carta del lavoro“), die als „Grundordnung der nationalen Wirtschaft“ erachtet werden musste und nicht lediglich als Instrument, um „Arbeitskonflikte“ zu regeln31. Unter diesem Blickwinkel erklärt sich auch, warum die Kategorie des isolierten (im Gegensatz zur Unternehmenstätigkeit) objektiven Handelsgeschäfts aufgegeben wurde, sowie der Grund dafür, dass die Figur des Kaufmanns, den man für einen Spekulanten hielt, durch die Gestalt des Unternehmens und des dieses führenden Unternehmers ersetzt wurde – bei der der Unternehmer „Hersteller neuen Reichtums“ sei. Unternehmen und Unternehmer erhalten dabei eine zentrale Stellung im italienischen Codice civile, was dieses von den Zivilgesetzbüchern französischer Tradition des 19. Jahrhunderts, die das Eigentumsrecht im Hauptblickfeld hatten, unterscheidet32.
V. Dennoch: Die Sonderstellung des Unternehmensrechts 1. Die Diskussionen über die Unabhängigkeit des Handelsrechts nach dem Ende des Faschismus Der vereinheitlichte Codice civile war bei seinem Inkrafttreten und auch später noch Gegenstand von lebhaften, kontroversen Diskussionen in der handelsrechtlichen Lehre33: Nach einer Ansicht war die Vereinheitlichung des Privatrechts eine reine Formalität und daher ohne jegliche Auswirkung auf die fortdauernde Autonomie des Handelsrechts gegenüber dem allgemeinen Privat-
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28 Dies schrieb Asquini selbst in einer Aufzeichnung an den „Duce“ (Mussolini) vom 15.7.1941, wiedergegeben von Rondinone (Fn. 23), S. 521. 29 Asquini (Fn. 22). Die Veröffentlichung in Deutschland trug folgenden Titel: „Das Handelsrecht an einer historischen Wende. Bemerkungen zur Kodifikation des italienischen Zivilrechts und zur Schaffung eines Deutschen Volksgesetzbuchs“, Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht 1941 (1. Mai), 138 ff. 30 In der deutschen Veröffentlichung des Beitrags von Asquini (Fn. 29) ist der Terminus „ordinamento corporativo“ mit „totalitärer Ordnung“ übersetzt worden, dabei scheint es sich aber um ein redaktionelles Versehen zu handeln. 31 Zur korporativen Ordnung und der „Charta der Arbeit“ („Carta del lavoro“) siehe statt aller Teti (Fn. 6), S. 81 ff., 99 ff., 203 f.; Rondinone (Fn. 23), S. 88 ff., 604 ff. 32 Statt vieler Galgano (Fn. 9), S. 80 ff.; Auletta (Fn. 9), S. 84. 33 Ein Katalog der verschiedenen Ansichten bei Cian (Fn. 27), 531 ff., und Rondinone (Fn. 23), S. 701 ff.
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recht. Eine andere Ansicht forderte nach dem Ende des Faschismus (und mit der sog. Entfaschistisierung der Gesetzbücher, also mit der Abschaffung der Normen mit einem Bezug auf die korporative Ordnung) die Rückkehr zur zweispurigen Kodifizierung. Nicht zuletzt gab es noch diejenigen, die in der Vereinheitlichung der Gesetzbücher die Bestätigung der These sahen, das Handelsrecht sei allein eine historische Kategorie (so auch heute noch in Deutschland Canaris), mit der Folge, dass seine Autonomie allein wissenschaftlicher und didaktischer Natur sei34. Nachdem die Diskussionen letztendlich abzuflauen schienen, weil man sich mit dem vereinheitlichten Codice civile als vollendete Tatsache abfand, erwachten sie in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts auf anderer Grundlage zu neuem Leben35. Besonders nach der Kenntnisnahme in Italien der beiden bekannten Monografien von Raisch36 begannen die Diskussionen zunächst zurückhaltend, dann aber und auch derzeit immer entschlossener. Ausgelöst wurden und werden sie durch die gereifte Überzeugung von der unbestreitbaren Selbstständigkeit des Handelsrechts oder von der, wie auf den Punkt gebracht formuliert wurde, „Re-Kommerzialisierung des Handelsrechts“37. Dabei wird das Handelsrecht nicht als eine Kodifizierung von Normen verstanden, die mehr oder weniger speziell dazu bestimmt sind, die Tätigkeit eines Unternehmens zu regeln (wie bspw. Art. 1330, nach dem im Todesfall oder bei nachträglichem Wegfall der Geschäftsfähigkeit eines nicht-kleinen Unternehmers Angebot oder Annahme eines Vertrages wirksam bleiben, oder Art. 2558, nach dem der Erwerber eines Unternehmens in nicht-höchstpersönliche Verträge eintritt)38. Vielmehr wird es nach einer Idee von Libertini als „Unternehmensprivatrecht“ erachtet, dem es im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung zufällt, mit der Herausbildung neuer Strukturen, neuer Konzepte und neuer Haftungsformen und mit der Schaffung neuer Disziplinen über die Kodifizierung hinauszugehen39. Ein „starkes“, spezielles Recht, das einem vom allgemeinen Privatrecht unabhängigen Recht entspricht und ausgerüstet ist mit eigenen
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34 Canaris (Fn. 3), § 1, IV, Rz. 45–46, zur Frage, ob es sich auch heutzutage noch lohnt, ein Lehrbuch zum Handelsrecht zu schreiben. 35 Libertini, Profili tipologici e profili normativi nella teoria dei titoli di credito, 1971 (Ausgabe nicht im Handel), S. 285 ff.; Cian (Fn. 27). 36 Die Bekanntmachung beider Monografien von Raisch (Fn. 3) in Italien ist ein Verdienst von Cian (Fn. 27). 37 In zeitlicher Reihenfolge: Portale, Banca, borsa 1984, I, 14 ff.; Buonocore, Le nuove frontiere del diritto commerciale, 2006, in sorgfältiger Abhandlung mit vielen Nachweisen und reich an Anregungen. 38 Zusätzlich zum Beitrag von Cian (Fn. 27) findet sich eine Liste der entsprechenden Normen bei Dalmartello in Enc. giur. Treccani, IX, 1988; Buonocore in Irti, Dizionario di diritto privato, im Erscheinen (grundlegend bleibt aber die in Fn. 36 zitierte Monografie von Buonocore); Di Marzio, D. disc. priv. – sec. civ., Aktualisierung 2007, 313 ff. Für einen guten Überblick über die Problembereiche, die mit den „Unternehmensverträgen“ zusammenhängen: Capo in Enc. giur. Treccani, Aktualisierung 2007. 39 Buonocore (Fn. 37), S. 266 ff.; Libertini (Fn. 35), S. 285 ff.; Portale (Fn. 37); Angelici in Campobasso, Il nuovo diritto delle società, Liber amicorum, I, 2006, S. 23 f.; erst kürzlich Costi, Giur. comm. 2009, I, 574 ff., und erneut Libertini, Jus (ital.) 2009, 273; vgl. auch K. Schmidt und Raisch (Fn. 3).
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Prinzipien, die Analogien offen stehen, ohne aber möglicherweise bestehende Lücken nicht auch mit allgemeinen Privatrechtsprinzipien schließen zu können40. 2. Die „Re-Kommerzialisierung des Handelsrechts“ zwischen europäischem Gemeinschaftsrecht und der sog. „Privatisierung der Regelsetzung“ All dies hat sich freilich in den letzten Jahrzehnten in Italien vollzogen und zur notwendigen Anerkennung der Existenz eines neuen Unternehmensrechts als „selbstständiges Sonderrecht“ geführt. Überdies hat bereits mit Inkrafttreten der republikanischen Verfassung von 1948, die in Art. 41 Abs. 1 die Freiheit der privatwirtschaftlichen Initiative gewährt41, und mit den Römischen Verträgen von 1957 zur Gründung der EWG das Unternehmensrecht den traditionellen Charakter der „Transnationalität des Handelsrechts“ wiedererlangt. Dadurch wurde es in Italien nicht nur möglich, viele angelsächsische Vertragstypen, wie Leasing, Factoring und Merchandising, zu übernehmen, sondern auch und insbesondere die Zulässigkeit neuer Verträge und Finanzinstrumente anzuerkennen, auch wenn diese sich nur schwer mit den Grundprinzipien unseres Zivilrechts wie dem Rechtsgrund („Causa“) als notwendiger Vertragsbestandteil, Art. 1325 c.c., oder dem Typenzwang im Wertpapierrecht vereinbaren lassen: zu nennen sind hier insbesondere die Einführung des „Garantievertrages“, die Ausgabe von verbrieften nachrangigen Darlehen sowie die Verbreitung verschiedener Arten von „Genussscheinen“. In erster Linie war es aber der energische Druck des europäischen Gemeinschaftsrechts, das mittels der jeweiligen Ausführungsgesetze zu einer starken Erosion der allgemeinen Grundsätze des Codice civile im Bereich des Vertragsrechts geführt hat42; Grundsätze, die sich immer öfter dann als nicht anwendbar erweisen, wenn ein Unternehmen und ein Unternehmer tätig werden. Beispielsweise ist in verschiedenen Bereichen des Unternehmensrechts an die Sanktion der Nichtigkeit bei Verträgen mit Verbrauchern zu denken43, die in unserem, sowie im österreichischen System einseitige Unternehmensverträge bleiben – mit der Konsequenz, dass zwei Disziplinen zusammentreffen und in Wettbewerb zueinander treten44. Weitere Beispiele sind die Besonderheiten bei den Regeln über die Nichtigkeit im italienischen Aktienrecht, die den Schutz
__________ 40 Zu diesem Argument siehe mit unterschiedlichen Positionen Cian, Riv. dir. civ. 2004, I, 849 ff.; Castronovo, Europa e diritto privato 2006, 398 ff.; Zoppini in Studi in onore di Lipari, 2008, Bd. 2, S. 3023 ff. 41 Zu Art. 41 Abs. 1 der italienischen Verfassung, der „privatwirtschaftlichen Initiative“, aus deutscher Sicht siehe Stern in FS Starck, 2007, S. 1005 ff., 1009. 42 Vgl. die klaren Äußerungen von Buonocore (Fn. 37), S. 48 ff., 104 ff., m. w. N., und von Scalisi, Riv. dir. civ. 2009, I, 425 ff. 43 Scalisi, Europa e diritto privato 2001, 494 ff. 44 Eine der Disziplinen betrifft den Verbraucherschutz. Siehe zum neuen österreichischen Unternehmensrecht Roth/Fitz (Fn. 5), S. 1 f., Rz. 1 ff., mit einer kurzen Klassifizierung der „Unternehmensverträge“; zum italienischen Recht Buonocore (Fn. 37), S. 90, 105 ff.; Di Marzio (Fn. 38), Nr. 12.
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der Stabilität der Gesellschaftsunternehmen bezwecken45, sowie das Verhältnis zwischen Wettbewerbs- und Vertragsrecht46. Dieser Druck des Gemeinschaftsrechts hat zudem die Einführung neuer Rechtsfiguren ins nationale Recht bewirkt, die sich nur schwer auf das Zivilrecht zurückführen lassen, so beispielsweise die sog. Finanzsicherheiten47, sowie die Anerkennung von neuen allgemeinen Grundsätzen, so die Auskunfts- und Transparenzpflichten48. Ferner zeichnet sich eine Entwicklung ab, wonach auf der einen Seite das sog. Unternehmensrisiko sich nicht nur im Rahmen der unerlaubten Handlungen zu einer objektiven Haftung im Sinne einer Unternehmenshaftung fortentwickelt, sondern sogar im vertraglichen Haftungsbereich49. Auf der anderen Seite führt die sog. Pluralisierung der Rechtsquellen, zumal im Hinblick auf den Regelungsbereich der Unternehmenstätigkeit, dahin, was in Deutschland als „Privatisierung der Regelsetzung“ bezeichnet wird. Gemeint sind damit die IFRS als sog. internationale Rechnungslegung, die verschiedenen Corporate Governance Kodizes oder mehr im Allgemeinen die verschiedenen, bereichsspezifischen Verhaltensregeln50. Nicht übersehen werden darf zudem, dass trotz Abschaffung der sog. Handelsgerichte in Italien im Jahre 1888 und damit der Handelsgerichtsbarkeit (anders als in anderen Ländern wie Frankreich und Deutschland, die spezielle Spruchkörper für Handelssachen vorsehen) einige Bereiche des Unternehmensrechts momentan den Regeln des allgemeinen Zivilprozessrechts entzogen werden. Beispielhaft sind hier die Rechtsmaterie des „antitrust“ (l. n. 287/1990), die des Verbraucherschutzes (Art. 139 ff. d.lgs. Nr. 206/2005: Art. 140-bis hat die „class action“ eingeführt) und im Gesellschaftsrecht das sog. gesellschaftsrechtliche Schiedsverfahren (Artt. 34–37 d. lgs. Nr. 5/2003) zu nennen.
__________ 45 Portale in Balzarini/Carcano/Ventoruzzo, La società per azioni oggi, 2007, S. 611 ff., m. w. N.; Angelici (Fn. 39), S. 21 f.; vor der Gesellschaftsrechtsreform siehe mehr im Allgemeinen Buonocore, Riv. giur. sarda 2002, 527 ff. 46 In der deutschen Literatur: Leisner, Richtiger Vertrag und lauterer Wettbewerb – Eine grundlagenorientierte Studie unter besonderer Berücksichtigung der europäischen Perspektive, 2007; Rittner, AcP 1988, 101 ff.; in der italienischen Literatur m. w. N.: Zoppini und Olivieri (beide) in Zoppini/Olivieri, Contratto e antitrust, 2008. 47 Statt vieler Macario in Lamandini/Motti, Scambi su merci e derivati su commodities, 2006, S. 735 ff.; ders., Riv. soc. 2008, 102 ff., zur Unterscheidung zwischen der „zivilen“ Insolvenz und der „kommerziellen“ Insolvenz; Gardella, Le garanzie finanziarie nel diritto internazionale privato, 2007. 48 Diesen Punkt hebt Buonocore (Fn. 37), S. 72, besonders hervor; ders. (Fn. 38), Nr. 6, und geht dabei so weit, zu sagen (Fn. 36, 66 und 275), dass es kein Handelsgesetzbuch mehr gebe, sondern an seiner Stelle, erzwungen von externen Faktoren oder wegen des Veralterns eines wichtigen Teils der Gesetze, eine sowohl qualitativ als auch quantitativ umfassende Spezialgesetzgebung getreten sei, die, obwohl sie weder nominell noch formal einem Handelsgesetzbuch gleich komme, ohne Zweifel einem solchen von der Substanz her entspreche. 49 Dies sah bereits Mossa (Fn. 25), 251, voraus. Zudem aktuell und ausführlich Buonocore (Fn. 37), S. 162, 185 ff. 50 Merkt, ZGR 2007, 532 ff. Zu diesem Thema Libertini, Riv. dir. comm. 2008, I, 599 ff.; siehe auch zu aktuellen Bezügen Rosapepe, Riv. delle soc. 2008, 181; Di Cataldo/ Sanfilippo (Hrsg.), Le fonti private del diritto commerciale, 2008.
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VI. Die sog. Entkodifizierung und das Bemühen um einen systematischen Wiederaufbau: die Perspektiven des Handelsrechts unserer Zeit Abgesehen von dieser letzten Darstellung lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen: a) Der italienische Codice civile von 1942 hat seine zentrale Stellung verloren51, denn unter dem Druck der Verfassungsrechtsprinzipien (besonders Art. 41 Abs. 1 der italienischen Verfassung, der die Freiheit der privatwirtschaftlichen Initiative garantiert) und des europäischen Gemeinschaftsrechts erscheint es mittlerweile schwierig, an einem autonomen Unternehmensrecht zu zweifeln – welches nach einem Teil der Literatur eher als „Marktrecht“ zu bezeichnen ist. b) Der Verlust seiner zentralen Stellung hat im Gegensatz zum „Internationalen Trend der Vereinheitlichung“52 zu einer starken Zersplitterung geführt, einer Zersplitterung sowohl innerhalb der Rechtsbereiche des Codice civile selbst als auch innerhalb des sich aus vielen, wirr erlassenen Spezialgesetzen (sog. Entkodifizierung) zusammensetzenden Unternehmensrechts, und dies obwohl sich in letzter Zeit eine Tendenz zur bereichsspezifischen Kodifizierung zeigte: so im Jahre 2005 durch das Verbrauchergesetzbuch (d.lgs. 6.9.2005, Nr. 206), durch das Versicherungsgesetzbuch (d.lgs. 7.9.2005, Nr. 209) und durch das Gesetzbuch über das geistige Eigentum (d.lgs. 10.2.2005, Nr. 30). Ob bei diesen Kodifizierungen überhaupt von „Gesetzbüchern“ gesprochen werden kann, möchte ich an dieser Stelle offen lassen. c) Entgegen einer erst kürzlich in Deutschland vertretenen Ansicht halte ich es jedoch zumindest in Italien für utopisch, zu einer sog. Re-Kodifikation im
__________ 51 Dies trotz jüngster (dabei aber vielleicht dennoch nostalgischer), die zentrale Stellung verteidigender Stimmen, vgl. Sirena, Nuova giur. civ. comm. 2005, II, 277 ff.; dagegen Buonocore (Fn. 37), S. 112, 158, welcher an die berühmten Beiträge von Irti erinnert. 52 Zur Auswirkung der Globalisierung der Märkte auf das internationale Handelsrecht einige kürzlich erschienenen Beiträge: Galgano, La globalizzazione negli scritti recenti, 2005; Alpa (Fn. 1), S. 308 ff.; Di Marzio (Fn. 38), Nr. 11, 19; und vor allem Bonell, American Journal of Comparative Law 2008, 1 ff., wo er übrigens den internationalen Fortschritt eines weltweiten Vertragsrechts analysiert. Diesbezüglich siehe ders., Dir. comm. int. 2000, 849 ff., sowie Lando, RIW 2004, 161 ff.; M. Lehmann in FS Canaris, 2007, Bd. 1, S. 729 ff., der allgemein über ein „Weltzivilrecht“ nachdenkt. Ein Bericht über den aktuellen Stand der Ausarbeitung eines europäischen Vertragsrechts findet sich bei Zimmermann, Contratto e impresa / Europa 2009, 101 ff., und Schulte-Nölke, NJW 2009, 2161 ff. An dieser Stelle ist es angebracht, Goldschmidt (Fn. 20), § 3, S. 11, zu zitieren, (auch wegen der Ähnlichkeit zu dem, was heute Irti, Norma e luoghi. Problemi di geodiritto, 2006, S. 78, vertritt) der sich schon vor mehr als einem Jahrhundert dahingehend äußerte, dass „ein kosmopolitisches Handelsrecht – ein wahres ius gentium im Sinne der römischen Theorie – […] denkbar [sei], während das bürgerliche Recht im Allgemeinen eine gewisse territoriale Abgeschlossenheit nicht zu überwinden [vermöge].“ (Herv. im Original).
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engeren Sinne des neuen Unternehmens- oder, wenn man möchte, „Marktrechts“ übergehen zu können53. Zum Schluss ist noch zu sagen, dass für das Verhältnis zwischen Unternehmens- und Zivilrecht Goldschmidts poetisches Bild mittlerweile nicht mehr zuzutreffen scheint, das Bild vom Handelsrecht als vereister Gletscherschnee, der ins Tal herabrutschend schmilzt („schmelzender Firn“) und sich mit den allgemeinen Niederschlägen, dem bürgerlichen Recht, vermischt, während sich auf der Bergspitze stetig neuer Schnee bildet; kurz gesagt: die ständige „Kommerzialisierung“ des Privatrechts, die heute noch in Deutschland Canaris vertritt54. Dagegen meine ich, dass im Grunde Beseler Recht hatte, als er in seinem klassischen Werk „Volksrecht und Juristenrecht“ schrieb: „Daß wir es nun beim Handelsrecht mit einem lebendigen, unmittelbar aus dem Geschäftsverkehr hervorgegangenem Volksrechte zu tun haben, steht für Kundige außer Frage: das römische Recht, die Gesetze, das Juristenrecht und bloße Gewohnheiten sind für das gemeine Handelsrecht nur Quellen von untergeordneter Bedeutung; es ist vielmehr in den Rechtsverhältnissen selbst enthalten, und will aus dem Leben erkannt werden [in Italien hätte Vivante vielleicht von der „Natur der Sache“ gesprochen]. Hier finden sich die leitenden Principien, welche der geschäftskundige Mann in unmittelbarer Anschauung mit Sicherheit anwendet, und der Jurist nur zur consequenten Deduction zu benutzen und für besondere Fälle in die rechte Beziehung zu den positiven Gesetzen und zu allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu bringen hat“55. In der Tat gehört „zum Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ auch heute und, wie ich glaube, nicht nur in Italien das stete Bemühen, die, wie gesagt, oft ungeordneten, wenn nicht sogar widersprüchlichen Rechtsvorschriften, aus denen hauptsächlich das gegenwärtige Unternehmensrecht besteht, in ein System zu bringen. Es geht darum, durch die Ausarbeitung neuer Konzepte, deren Bedeutung selbst von den Juristen des common
__________ 53 In diesem Sinne äußerte sich auch van Ommeslage in Derijcke/Buyle (Fn. 1), S. 523, für Belgien. In Deutschland der Vorschlag von K. Schmidt, BB 2005, 842, mit der österreichischen Reform vor Augen (siehe hierzu Fn. 5). Siehe zudem Kübler in FS K. Schmidt, 2009, S. 1041 ff., der Skepsis auch gegenüber der Idee einer Kodifizierung des Gesellschaftsrechts äußert und dabei hervorhebt, dass es nunmehr eine „Aktienrechtsreform in Permanenz“ gebe. 54 Goldschmidt (Fn. 20), S. 12: „[…] neigt es [sc. das Handelsrecht] dahin, das gesammte bürgerliche Recht mit seinen Tendenzen zu durchdringen und indem es dann in diesem aufgeht, seinen eigenen Kreis erheblich zu verengern, während doch gleichzeitig sein Umfang durch neu hinzutretende, den besonderen Handelsbedürfnissen entsprechende Rechtsätze wiederum wächst. Man mag es einem Gletscher vergleichen: in den unteren Regionen vereint sich sein schmelzender Firn mit den allgemeinen Niederschlägen, in den oberen findet stete neue Firnbildung statt.“; Canaris (Fn. 3), § 1, IV, Rz. 45: „[…] zwar ist Handelsrecht nicht geradezu eine ephemere, aber doch immerhin eine transitorische Materie“. 55 Beseler, Volksrecht und Juristenrecht, 1843, S. 225 f.
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law anerkannt ist56, und neuer Kategorien, wie es in Italien für die Kategorie der Unternehmensverträge erfolgt ist57, die nicht kontrollierbare Menge an (oft sogar nicht koordinierten) Rechtsnormen in eine Ordnung zu bringen, um auch dem gegenwärtigen Unternehmensrecht die historische Funktion, die dem Handelsrecht immer zu eigen war, gekennzeichnet durch Sicherheit und Schnelligkeit im Umlauf von Krediten und Vermögen im Allgemeinen, zuschreiben zu können.
__________ 56 Goode, Commercial law in the next millennium, 1998, S. 44 ff. In der italienischen Literatur siehe v. a. Oppo in Buonocore, Trattato di diritto commerciale, 2001, Teil I, Bd. 1, S. 46; Busnelli, Riv.dir. civ. 2009, I, 310; zudem zu den von der Globalisierung implizierten Konsequenzen Grossi, Prima lezione di diritto, 9. Aufl. 2007, S. 102: „Es bestehen keine Zweifel, dass die Globalisierung eine Bewegung der Praxis von (anfangs) im Wesentlichen gewohnheitsrechtlicher Natur ist. Weil es sich um eine außerstaatliche Bewegung handelt und weil man nicht auf das Gesetz als Instrument zurückgreifen kann, ist die Wissenschaft die große „Riduktorin“ der Intuitionen, die in der Praxis bestehen und befolgt werden, auf Prinzipien, die weise Zeichnerin von ausführlichen, regulierenden Prinzipien (bspw. der Verträge), die in der Komplexität des Marktlebens absolut notwendig sind.“ (Diesbezüglich siehe Fn. 52). 57 Oben in Fn. 38.
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Gewinnverwendung durch Mehrheitsentscheid bei Personengesellschaften Inhaltsübersicht I. Thema II. Gesetzliche Ausgangslage 1. Gewinnermittlung/Gewinnverteilung/Gewinnverwendung 2. Kompetenzzuteilung 3. Beschlussfassung III. Vertragliche Gestaltungsspielräume 1. Dispositives Einstimmigkeitsprinzip 2. Bestimmtheitsgrundsatz 3. Zweistufige Beschlusskontrolle a) Grundsatz b) Kernbereichsschutz, Belastungsverbot c) Individuelle Treupflichtkontrolle
IV. Konsequenzen für die Gewinnverwendung 1. Erfordernis eines gesellschaftsvertraglichen Rahmens? a) Reichweite des Bestimmtheitsgrundsatzes b) Thesaurierung – ein Kernbereichseingriff? c) Thesaurierung – eine Beitragserhöhung? d) Strukturunterschiede zur GmbH e) Gesellschaftsvertragliche Gestaltungsfreiheit 2. Begrenzung durch Treupflichten 3. Steuerentnahmerecht V. Fazit
I. Thema Mehrheitsentscheidungen zur Bilanzierung und – mittelbar – zur Unternehmensfinanzierung bei den Personengesellschaften haben den Bundesgerichtshof in jüngerer Zeit zweimal in Grundsatzentscheidungen beschäftigt: Ging es im Jahre 19961 um Kompetenz und Mehrheiten bei der Feststellung des Jahresabschlusses, stand im Jahre 20072 daneben die Befugnis zu Mehrheitsentscheidungen bei der Rücklagenbildung zur Debatte. Beide Urteile haben zu wichtigen Klärungen geführt. Dies gilt vor allem für das zweite, das sog. „Otto“-Urteil. Letzteres hat über die Bilanzierung hinaus die Grundlagen für Mehrheitsentscheidungen in der Personengesellschaft neu bestimmt und geordnet. Mit seinem Urteil „Schutzgemeinschaftsvertrag II“ hat der BGH seinen Standpunkt dann insoweit ausgebaut3 und ist dabei insgesamt auf Zustimmung gestoßen4.
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BGHZ 132, 263. BGHZ 170, 283 – Otto. BGHZ 179, 13. Karsten Schmidt, ZIP 2009, 737; Schäfer, ZGR 2009, 768; Wertenbruch, NZG 2009, 645.
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Nach wie vor Gegenstand kontroverser Stellungnahmen ist indessen die Frage, welche gesellschaftsvertraglichen Legitimationsgrundlagen für Mehrheitsentscheidungen zur Gewinnverwendung erforderlich sind, also dafür, ob Gewinne ausgeschüttet oder thesauriert werden. Konkret lautet sie: Muss der Gesellschaftsvertrag Obergrenzen einer Thesaurierung vorsehen? Der BGH hat das in seinem „Otto“-Urteil – nach Lage des Falles völlig zu Recht – ausdrücklich offen gelassen5. Eine Antwort auf diese Frage ist nicht nur für die Praxis von erheblicher Bedeutung, sondern wirft auch grundsätzliche Fragen der Finanzausstattung, der Grenzen von Mehrheitsmacht bzw. Minderheitenschutz und der Gestaltungsfreiheit bei den Personengesellschaften auf. Wenn ihnen in einer Festschrift für Uwe H. Schneider nachgegangen wird, mag dies auf den ersten schnellen Blick überraschen, hat er doch seit langem seinen Schwerpunkt im Kapitalgesellschafts-, Kapitalmarkt- und Bankrecht. Bei näherem Hinsehen wird jedoch rasch klar, dass unser Jubilar zum Recht der Personengesellschaften ebenfalls Grundlegendes beigetragen hat. Das gilt zunächst einmal für ihr Konzernrecht. Auf diesem Felde kann man ihn geradezu als „Entdecker“ bezeichnen6. Uwe H. Schneider hat sich darüber hinaus aber auch mit dem hier in Rede stehenden Minderheitenschutz bei Personengesellschaften näher auseinandergesetzt7. Vielleicht finden die nachfolgenden Überlegungen deshalb ein gewisses Interesse bei ihm.
II. Gesetzliche Ausgangslage 1. Gewinnermittlung/Gewinnverteilung/Gewinnverwendung Drei Begriffe sind sorgfältig zu trennen: Gewinnermittlung, Gewinnverteilung und Gewinnverwendung. Mit ihnen beschäftigen sich die §§ 120–122 HGB. In § 120 Abs. 1 HGB geht es um die Ermittlung des Jahresergebnisses, also darum, in welcher Höhe im abgelaufenen Geschäftsjahr ein Gewinn erzielt wurde oder ein Verlust entstanden ist. Mit § 121 HGB wird geregelt, wie dieses Jahresergebnis auf die Gesellschafter zu verteilen ist. Nach § 122 HGB können die Gesellschafter den Vorjahresgewinn im Grundsatz voll entnehmen, müssen ihn also nicht in der Gesellschaft belassen. Besonders wichtig ist dabei die Unterscheidung von Gewinnermittlung und Gewinnverwendung. Insofern hat Crezelius ebenso schön wie zutreffend formuliert: Erstere ist Rechnungslegung, letztere Finanzierung8. Von ausschlaggebender Bedeutung ist deshalb, wie die Grenzlinie zwischen Gewinnermittlung und Gewinnverwendung zu ziehen ist. Der Jahreserfolg
__________ 5 BGHZ 170, 283 Tz. 15; in casu war eine solche Obergrenze im Gesellschaftsvertrag enthalten; ebenso offenbar im Fall des BGH-Beschl., DStR 2009, 1544 f. 6 Zu nennen sind insbesondere die Aufsätze in FS Bärmann, 1975, S. 873; ZGR 1975, 253; BB 1975, 1353; ZHR 148 (1979), 485; BB 1980, 1057 und ZGR 1980, 511. 7 ZGR 1972, 357; AG 1979, 57. 8 Crezelius in FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 315, 317.
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ergibt sich zwar aus dem nach den gesetzlichen Regeln aufzumachenden Jahresabschluss. Vor dem BilMoG waren aber gerade den Personengesellschaften erhebliche Wahlrechte in Bezug auf Ansatz und Bewertung von Posten eingeräumt9. Je nach deren Ausübung kam es zu höheren oder niedrigeren Bilanzansätzen mit entsprechenden Auswirkungen auf das Jahresergebnis. Die Ausübung dieser Bilanzierungswahlrechte konnte, obwohl formell Gewinnermittlung, materiell doch Gewinnverwendung, nämlich Thesaurierung von Teilen des Jahresergebnisses sein. Der BGH hatte diesem Phänomen in seinem Urteil aus dem Jahre 1996 dadurch Rechnung getragen, dass er zwischen Bilanzierungsmaßnahmen unterschied, die der Darstellung des Gesellschaftsvermögens dienen und solchen, die der Sache nach Ergebnisverwendung sind10. Durch das BilMoG hat sich das Bild nicht unwesentlich verschoben, da die Mehrzahl der Wahlrechte im Interesse eines aussagekräftigeren Jahresabschlusses gestrichen worden ist11. Die legale Bildung stiller Reserven ist damit im Wesentlichen erledigt. Es spricht deshalb viel dafür, die Grenze nunmehr bei der Bildung offener Rücklagen zu ziehen12. Sie kann allerdings nach Maßgabe von § 268 Abs. 1 HGB bereits im Rahmen der Bilanzerstellung vorgenommen werden. Geschieht das, befinden wir uns insoweit im Bereich der Gewinnverwendung. 2. Kompetenzzuteilung Wie im Kapitalgesellschaftsrecht wird seit langem auch bei den Personengesellschaften zwischen Aufstellung und Feststellung des Jahresabschlusses unterschieden. Erstere meint die zusammenfassende Übernahme des Zahlenwerks der Buchführung in Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung unter Vornahme der notwendigen Abschlussbuchungen. Das ist allein Sache der geschäftsführenden Gesellschafter13. Die Aufstellung endet mit der Vorlage eines – fertigen – Entwurfes14. Bei der Feststellung handelt es sich dagegen um die Billigung des Jahresabschlusses und dessen Verbindlicherklärung im Verhältnis der Gesellschafter untereinander und im Verhältnis der Gesellschaft zu Dritten15. Das dazu berufene Organ sind bei der Personengesellschaft die Gesellschafter, und zwar alle-
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9 Übersicht bei Priester in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2006, § 120 Rz. 26. 10 BGHZ 132, 263, 274. 11 Hervorzuheben ist: Ein derivativer Firmenwert ist jetzt zwingend zu aktivieren (§ 246 Abs. 1 Satz 4 HGB n. F.); Abschreibungen auf erwartete Verluste im Umlaufvermögen (§ 253 Abs. 3 Satz 3 HGB a. F.) können nicht mehr vorgenommen werden. Gleiches gilt für die Bildung stiller Reserven nach § 253 Abs. 4 HGB a. F. Auch die bisherigen steuerlich bedingten Wahlrechte der §§ 247 Abs. 3, 254 HGB sind mit Abschaffung des steuerrechtlichen Prinzips der umgekehrten Maßgeblichkeit entfallen. Zu den gesellschaftsrechtlichen Implikationen des BilMoG Hommelhoff in GS Schindhelm, 2009, S. 365 ff. 12 Schäfer in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 120 Rz. 36. 13 BGHZ 132, 263, 266. 14 BGH, BB 1980, 122. 15 BGHZ 132, 263, 266.
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samt. Zuständig sind nach heutiger Auffassung auch die nicht geschäftsführenden Gesellschafter einer OHG sowie die Kommanditisten16. 3. Beschlussfassung Über die ihnen obliegende Feststellung des Jahresabschlusses entscheiden die Gesellschafter durch Beschluss. Auch das ist unstreitig. Unterschiedlich beurteilt wird nur die rechtliche Einordnung dieses Beschlusses. Überwiegend wird heute im Schrifttum vertreten, es handle sich um ein kausales Anerkenntnis, mit dem die Beteiligten ihre Ansprüche und Verbindlichkeiten gegenüber der Gesellschaft zum Bilanzstichtag festlegen und die Berechnungsgrundlage für das folgende Jahr bestimmen wollen17. Richtiger erscheint demgegenüber zwar, in der Bilanzfeststellung einen Organbeschluss zu sehen, denn die Gesellschafter handeln insoweit nicht als Vertragspartner, sondern als Organ der Gesellschaft18. Diese Streitfrage muss hier aber nicht weiter verfolgt werden. Jedenfalls erfordert der Feststellungsbeschluss nach der gesetzlichen Regel des § 119 Abs. 1 HGB ein positives Votum aller Gesellschafter.
III. Vertragliche Gestaltungsspielräume 1. Dispositives Einstimmigkeitsprinzip Das Einstimmigkeitsprinzip des § 119 Abs. 1 HGB trägt, ebenso wie § 709 BGB für die GbR, dem Leitbild der aus einem kleinen Kreis zu einer Arbeits- und Haftungsgemeinschaft zusammengeschlossenen Personen Rechnung. Entscheidungen sollen zu ihrer Sicherheit von allen Gesellschaftern getragen werden. Der Preis dafür ist freilich eine eingeschränkte Handlungsfähigkeit und Flexibilität der Gesellschaft19. Dem hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass er in § 119 Abs. 2 HGB Mehrheitsbeschlüsse auf gesellschaftsvertraglicher Basis zulässt. Der BGH hat denn auch die Freiheit der Personengesellschafter, Mehrheitsentscheidungen in Gesellschaftsverträgen vorzusehen, ausdrücklich bestätigt20. Von § 119 Abs. 2 HGB wird allerdings nur – wiederum dispositiv – ein Modus zur Errechnung der Mehrheiten angeboten. Zu Anforderungen an und Grenzen von Mehrheitsbeschlüssen sagt die Vorschrift dagegen nichts. 2. Bestimmtheitsgrundsatz Solche Anforderungen an die Begrenzung von Mehrheitsentscheidungen sind schrittweise von Rechtsprechung und Lehre entwickelt worden. Schon früh
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16 Letzteres ist seit BGHZ 132, 263, 266 nicht mehr streitig. 17 Nachweise bei Schäfer (Fn. 12), § 120 Rz. 19. 18 Priester in FS Hadding, 2004, S. 607, 611 ff.; Hadding/Kießling in Soergel, BGB, 12. Aufl. 2007, § 721 Rz. 5; Schulze-Osterloh in FS H. P. Westermann, 2008, S. 1487, 1491 f. 19 Goette in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl. 2008, § 119 Rz. 44 f. 20 BGHZ 85, 350, 354 – Freudenberg.
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war klar, dass generelle Mehrheitsklauseln gewöhnliche Geschäftsführungsangelegenheiten abdecken. Wie aber waren außergewöhnliche Entscheidungen zu behandeln, insbesondere Änderungen des Gesellschaftsvertrages? Das Reichsgericht meinte, insoweit müsse der Gesellschaftsvertrag klar zum Ausdruck bringen dass auch über solche Gegenstände mit Mehrheit abgestimmt werden könne21. Dieser Standpunkt hat unter dem Etikett „Bestimmtheitsgrundsatz“ über Jahrzehnte die Diskussion bestimmt. Der BGH hatte die reichsgerichtliche Rechtsprechung zunächst übernommen, dann aber dahin eingeschränkt, dass der Grundsatz auf Publikumsgesellschaften und auch auf Gesellschaften mit „körperschaftlicher Verfassung“ nicht anwendbar sein sollte22. In der Literatur war der Bestimmtheitsgrundsatz dagegen schon seit längerem auf Kritik gestoßen23. Hier hat das „Otto“-Urteil des BGH eine deutliche Zäsur gesetzt: Es genügt nunmehr, wenn sich aus dem Gesellschaftsvertrag – sei es auch durch dessen Auslegung – eindeutig ergibt, dass der infrage stehende Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen sein soll. Mit dieser Maßgabe sei jedoch, so hieß es weiter, an dem Bestimmtheitsgrundsatz festzuhalten24. Terminologisch wollte sich in der BGH also vom Bestimmtheitsgrundsatz nicht vollends verabschieden. Im nachfolgenden Urteil „Schutzgemeinschaftsvertrag II“ des BGH taucht dieser Begriff zwar noch auf, tritt aber in seiner Bedeutung hinter der klaren Feststellung zurück, eine Mehrheitsklausel als solche begründe nur eine „formelle Legitimation“ und sei eine „wertneutrale Verfahrensregel“25. 3. Zweistufige Beschlusskontrolle a) Grundsatz Mit der Legitimation des Beschlusses durch eine dem – „neuen“ – Bestimmtheitsgrundsatz genügende gesellschaftsvertragliche Mehrheitsklausel lässt es der BGH allerdings nicht bewenden. Auf einer zweiten Stufe will das Gericht den Mehrheitsbeschluss nämlich einer „inhaltlichen Wirksamkeitsprüfung“ darauf unterziehen, ob er in „schlechthin unverzichtbare“ oder in „relativ unentziehbare, d. h. in nur mit (ggf. antizipierter) Zustimmung des Betroffenen entziehbare“ Mitgliedschaftsrechte des einzelnen Gesellschafters eingreift26. Diese zweite Stufe bedarf nun freilich in Präzisierung der Ansicht des BGH einer Differenzierung. Es muss nämlich unterschieden werden zwischen solchen
__________ 21 RGZ 91, 166 ff.; RGZ 151, 321, 327. 22 BGHZ 71, 53, 58 (Publikumsgesellschaft); BGHZ 85, 350 – Freudenberg („körperschaftliche Verfassung“). 23 An dieser Kritik hat sich auch unser Jubilar beteiligt: Uwe H. Schneider, AG 1979, 57, 60 f. 24 BGHZ 170, 283 Tz. 9. 25 BGHZ 179, 13 Tz. 16. 26 BGHZ 170, 283 Tz. 10.
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Beschlüssen, die einer Zustimmung des Betroffenen bedürfen, und solchen, die aufgrund besonderer Umstände treuwidrig sind. b) Kernbereichsschutz, Belastungsverbot In die erste Kategorie gehören zum einen die sog. Kernbereichseingriffe. Dabei steht fest, dass der Kernbereich diejenigen Bestandteile der Mitgliedschaft umfasst, über die nicht ohne Einverständnis des Gesellschafters verfügt werden kann27. Nicht vollständig geklärt ist bisher allerdings, was diesen Kernbereich ausmacht. Dazu zählen dürften jedenfalls das Stimmrecht, die Gewinnteilhabe, das Abfindungsguthaben, die Beteiligung am Liquidationserlös und etwaige Sonderrechte28. Daneben erwähnt der BGH schlechthin unverzichtbare Rechte. Sie gehören aber bei Licht besehen nicht hierher, denn Eingriffe in sie sind auch gesellschaftsvertraglich, also unter Mitwirkung der Betroffenen, nicht erlaubt29. Zum anderen bedarf es einer Zustimmung des Betroffenen bei Auferlegung neuer Gesellschafterpflichten. Insofern schützt ihn das Belastungsverbot, von Wiedemann einmal als „mitgliedschaftliches Grundrecht“ bezeichnet30. Es hat seine Wurzel in § 707 BGB und Seitenregelungen in § 53 Abs. 3 GmbHG sowie in § 180 Abs. 1 AktG. Beide Schutzbereiche sind durchaus voneinander zu trennen. Das Belastungsverbot stellt quasi das Gegenstück zum Kernbereichsschutz dar: Anders als dieser betrifft das Belastungsverbot nicht Eingriffe in die Mitgliedschaft, sondern Zugriffe auf das außergesellschaftliche Vermögen des Gesellschafters. Eine Zustimmung zu Eingriffen in den Kernbereich oder zu neuen Belastungen kann freilich schon im Voraus erteilt werden, auch generell im Gesellschaftsvertrag. Dann ist aber eine Festlegung von Art und Umfang der möglichen Einschränkung erforderlich, vor allem in Gestalt von Obergrenzen31. c) Individuelle Treupflichtkontrolle Neben diesen generellen Schranken gesellschaftsvertraglich zugelassener Mehrheitsentscheidungen gibt es eine individuelle Beschlusskontrolle. Sie soll im Einzelfall Gesellschafterentscheide erfassen, die sich „treupflichtwidrig über beachtenswerte Belange der Minderheit hinweggesetzt“ haben32.
__________ 27 Dazu eingehend Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II Recht der Personengesellschaften, 2004, § 3 III, 2 d S. 219 ff. 28 Vgl. die Nachweise bei Enzinger in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2006, § 119 Rz. 70 f. 29 Für das GmbH-Recht: Priester/Veil in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 53 Rz. 44. 30 Wiedemann, ZGR 1977, 690, 692. 31 BGH, NZG 2008, 65, 66; allg. Ansicht; vgl. nur Weitemeyer in Oetker, HGB, 2009, § 105 Rz. 46. 32 BGHZ 170, 283 Tz. 10.
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Beide Beschlussmängel-Gruppen sind klar auseinander zu halten. Das zeigt sich besonders deutlich, wenn man auch im Personengesellschaftsrecht zwischen unwirksamen und lediglich anfechtbaren Beschlüssen unterscheiden will33. Treuwidrige Beschlüsse sind dann auch dem Betroffenen gegenüber nicht unwirksam, sondern müssen von ihm angefochten werden. Ein wichtiges Moment ist die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast. Sie wird vom BGH bei dem Gesellschafter verortet, der sich auf die Treuwidrigkeit des Beschlusses beruft34.
IV. Konsequenzen für die Gewinnverwendung 1. Erfordernis eines gesellschaftsvertraglichen Rahmens? a) Reichweite des Bestimmtheitsgrundsatzes In der Diskussion wird teilweise verlangt, der Gesellschaftsvertrag müsse zumindest einen ausdrücklichen Thesaurierungsvorbehalt aufweisen. Eine einfache Mehrheitsklausel, die die Rücklagenbildung „mit keinem Wort erwähnt“, könne Gewinneinbehalte zulasten einer dissentierenden Minderheit nicht rechtfertigen35. Auf den ersten Blick löst es in der Tat ein gewisses Unbehagen aus, wenn einem Gesellschafter aufgrund einer unspezifizierten Mehrheitsklausel der Zugriff auf erzielte Gewinne vorenthalten werden könnte. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich indessen, dass ein solcher Standpunkt im Ergebnis eine Rückkehr zum „alten“ Bestimmtheitsgrundsatz bedeutet, der bekanntlich eine Auflistung derjenigen Gegenstände im Gesellschaftsvertrag verlangt hatte, über die mit Mehrheit sollte entschieden werden können36. Nachdem der BGH nun aber entsprechende Kataloge als „Förmelei“ bezeichnet hat37 und im Bestimmtheitsgrundsatz eine formelle Verfahrensregel sieht, sollte man einen erforderlichen Schutz erst auf der zweiten Prüfungsstufe suchen. Dann kommt es zunächst darauf an, inwieweit die Rücklagenzuführung einen Kernbereichseingriff oder eine Beitragserhöhung enthält. Hätte man das zu verneinen, bliebe immer noch die individuelle Treupflichtkontrolle. b) Thesaurierung – ein Kernbereichseingriff? Nach einer im Schrifttum prominent und herrschend vertretenen Ansicht enthält die Rücklagenbildung einen Eingriff in das Gewinnrecht und damit in
__________ 33 Wie das vor allem Karsten Schmidt tut, zuletzt wieder in ZIP 2009, 737, 739. 34 BGHZ 170, 283 Tz. 10; zust. Wertenbruch, ZIP 2007, 798, 800; krit. dagegen Haar, NZG 2007, 601, 603 f. Wie der BGH auch OLG Stuttgart, DB 2007, 2587, 2591; OLG Brandenburg, ZIP 2009, 1955, 1958; dazu zust. Schodder, EWiR 2009, 639 f. 35 Binz/Mayer, DB 2007, 1739, 1742. 36 Vgl. oben III. 2. 37 BGHZ 170, 283 Tz. 9.
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den Kernbereich der Mitgliedschaft38. Deshalb müsse der Gesellschaftsvertrag Ausmaß und – angemessene – Grenzen der Mehrheitskompetenz definieren. Dazu bedürfe es allerdings keiner absoluten Obergrenze, vielmehr genüge eine relative in Gestalt eines maximalen Prozentsatzes des Jahresergebnisses. In Betracht komme auch – umgekehrt – die Festlegung eines verbindlichen Ausschüttungssockels39. Insoweit ist zunächst zu klären, was zum Kernbereich der Mitgliedschaft gehört: nur die Gewinnteilhabe oder auch der Gewinnbezug. Die Gewinnteilhabe macht in einer erwerbswirtschaftlichen und damit gewinnorientierten Gesellschaft gewiss einen mehrheitsfesten Bestandteil der Mitgliedschaft aus. Gesellschafter können zwar zulässigerweise im Gesellschaftsvertrag von Gewinnen ganz oder auch teilweise ausgeschlossen werden40, aber eben nur mit ihrer Zustimmung. Das bedeutet indes noch nicht, auch der Gewinnbezug, also die freie Verfügung über den auf einen Gesellschafter entfallenden Gewinn gehöre zum Kernbereich seiner Mitgliedschaft. Der BGH hat dies zwar in seinem Urteil von 1996 anders gesehen und deshalb für Feststellungsbeschlüsse mit Gewinnverwendungscharakter eine Zustimmung aller Gesellschafter verlangt. Es handle sich in einem solchen Fall – so meinte das Gericht damals – um ein „bilanzrechtliches Grundlagengeschäft“ mit „Kernbereichsrelevanz“41. Im „Otto“-Urteil hat das Gericht jedoch ausdrücklich offen gelassen, ob es an diesem Standpunkt festhalten will42. Richtig erscheint, den Gewinnbezug, also Entnahmemöglichkeiten oder Ausschüttungsansprüche mit der Gewinnteilhabe nicht gleichzusetzen43. Eine Thesaurierung entzieht dem Gesellschafter zwar die freie Verfügung über den auf ihn entfallenden Gewinn und verwehrt ihm infolgedessen anderweitige Investitionsentscheidungen. Der Gewinn als solcher bleibt ihm aber erhalten, da sich der Wert seiner Beteiligung erhöht. Man könnte deshalb formulieren: Eine Thesaurierung berührt den Randbereich, nicht aber den Kernbereich des Gewinnrechts. c) Thesaurierung – eine Beitragserhöhung? In Betracht käme allerdings, dass die Rücklagenbildung zwar keinen Kernbereichseingriff, wohl aber eine Beitragserhöhung darstellt. Wäre das so, müsste unter diesem Gesichtspunkt eine – hier freilich wohl feste44 – Obergrenze bestimmt werden.
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38 Vor allem: Ulmer in FS Lutter, 2000, S. 935, 944; Aderhold in Westermann, Handbuch der Personengesellschaften, Stand 2007, Rz. I 2429; Haar, NZG 2007, 601, 603; Wertenbruch, ZIP 2007, 798, 800 f.; Schäfer (Fn. 12), § 120 Rz. 42. 39 Schäfer (Fn. 12), § 120 Rz. 42. 40 Zur gewinnlosen Beteiligung Priester (Fn. 9), § 121 Rz. 37. 41 BGHZ 132, 263, 274. 42 BGHZ 170, 283 Tz. 15. 43 Ebenso Karsten Schmidt, ZGR 2008, 1, 22. 44 Schäfer (Fn. 12), § 120 Rz. 42.
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Gewinnverwendung durch Mehrheitsentscheid bei Personengesellschaften
Diese Sichtweise hat durchaus Anhänger gefunden45. Ihr ist aber im Ergebnis zu widersprechen. Durch das Stehenlassen von Gewinnen erhöht der Gesellschafter gewiss sein Engagement in der Gesellschaft. Beitragserhöhungen sind aber, wie die bereits angeführten § 707 BGB, § 53 Abs. 3 GmbHG und § 180 Abs. 1 AktG zeigen, immer Zuführungen aus der sonstigen Vermögenssphäre des Gesellschafters in die Gesellschaft und nicht das Belassen von Vermögenswerten in der Gesellschaft bzw. deren Nichtentnahme. Insofern bietet sich ein Vergleich mit dem Kapitalmarkt an: Es gibt ausschüttende und thesaurierende Fonds. Bei letzteren wird man nicht davon sprechen wollen, sie verlangten Nachschüsse. Eines ist dabei allerdings zu bedenken, nämlich die Pflicht des Personengesellschafters, seine Einkommensteuer auf den Gewinn der Gesellschaft auch dann zu bezahlen, wenn er keinerlei Gewinnausschüttung erhält46. Es geht also um das Steuerentnahmerecht. Nach unten noch darzulegender Auffassung steht dem Gesellschafter ein solches ex lege zu47. Jedenfalls aber müsste es ihm gesellschaftsvertraglich eingeräumt sein48. Anderenfalls würde eine vollständige Thesaurierung im wirtschaftlichen Ergebnis tatsächlich zu Nachschüssen führen. d) Strukturunterschiede zur GmbH Einer unlimitierten Rücklagenbildung durch einfachen Mehrheitsbeschluss nach dem Vorbild der GmbH wird von den Vertretern der herrschenden Auffassung ferner entgegengehalten, die Finanzierungsgrundlagen und damit auch die Ergebnisverwendungsregeln seien bei den Personenhandelsgesellschaften auf der einen und bei der GmbH auf der anderen Seite durch eine unterschiedliche gesetzliche Systematik gekennzeichnet49. Die GmbH-Gesellschafter hätten einen Ausschüttungsanspruch nur unter dem Vorbehalt eines Thesaurierungsbeschlusses durch die Gesellschaftermehrheit (§ 29 Abs. 2 GmbHG). Demgegenüber stünde den Gesellschaftern einer Personengesellschaft ein nur durch etwaige Gefahren für die Gesellschaft begrenzter Vollausschüttungsanspruch zu (§ 122 HGB)50. Hinzu komme, dass Gewinnrücklagen bei den Personengesellschaften im Unterschied zur GmbH gesetzlich nicht vorgesehen seien. Schließlich sei auch die Ausgangslage hinsichtlich der Mehrheitsentscheidungen eine durchaus unterschiedliche: Während bei den Personengesellschaften der Einstimmigkeitsgrundsatz der §§ 709 BGB, 119 Abs. 1 HGB gelte, gehe das GmbH-Recht vom Grundsatz der – einfachen – Mehrheit aus (§ 47 Abs. 1 GmbHG)51.
__________ 45 Insbes. Haar, NZG 2007, 601, 603 unter Bezugnahme auf U. Huber in GS KnobbeKeuk, 1997, S. 203, 209 f. 46 § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. 47 Unten IV. 3. 48 So im Falle OLG Stuttgart, DB 2007, 2587. 49 Haar, NZG 2007, 601, 603; Schäfer (Fn. 12), § 120 Rz. 41. 50 Binz/Mayer, DB 2007, 1739, 1742; Wertenbruch, ZIP 2007, 798, 801. 51 Schäfer (Fn. 12), § 120 Rz. 41.
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Hans-Joachim Priester
Diese Hinweise sind gewiss zutreffend. Sie ständen schlichten Mehrheitsklauseln bei OHG oder KG aber nur dann im Wege, wenn die ins Feld geführten Strukturunterschiede entsprechende gesellschaftsvertragliche Gestaltungen ausschließen würden. e) Gesellschaftsvertragliche Gestaltungsfreiheit Das Recht der Personengesellschaften wird vom Grundsatz der Vertragsfreiheit bestimmt52. Es kann sich also nur darum handeln, ob dieser Gestaltungsfreiheit im hier gegebenen Zusammenhang besondere Grenzen gesetzt sind oder ob es bei den allgemeinen Schranken, insbesondere aufgrund eines Sittenwidrigkeitsvorwurfs gemäß § 138 BGB bleibt. Hier zeigt sich: Die Kautelarpraxis kennt seit vielen Jahrzehnten eine Gestaltung von OHG- und KG-Verträgen nach dem Vorbild des Kapitalgesellschaftsrechts. Das hat seinen Grund nicht zuletzt darin, dass Kapitalgesellschaften stärker auf das Unternehmen als Organisation ausgerichtet sind, während das Personengesellschaftsrecht des BGB und des HGB eher auf den Zusammenschluss der Mitglieder abzielt: Der Gesetzgeber des 19. Jahrhunderts ging vom Modell eines mitunternehmerischen Zusammenwirkens der Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft aus53. Diese Anleihen beim Recht der Kapitalgesellschaften gelten auch und insbesondere für die Rechtsstellung der Gesellschafter. So werden deren Rechte, vor allem das Stimmrecht und der Gewinnbezug abweichend von den Regeln des Personengesellschaftsrechts an ihren Kapitalbeitrag angeknüpft. Hinzu kommen nicht zuletzt Regelungen zur Finanzierung, die sich insbesondere mit der Gewinnverwendung und damit auch der Rücklagenbildung befassen54. Vor solchem Hintergrund ist nicht erkennbar, warum gesellschaftsvertragliche Gewinnverwendungsbestimmungen, die bei der GmbH der gesetzlichen Regel entsprechen, bei der Personengesellschaft nicht statthaft sein sollten55. Auch die Schranke des § 138 BGB kann der Aufnahme entsprechender Klauseln in den Gesellschaftsvertrag jedenfalls nicht generell entgegenstehen. Eine andere Frage ist, ob sie im Einzelfall neben einer Treupflichtkontrolle zum Zuge kommen kann. 2. Begrenzung durch Treupflichten Schließt man sich der hier vertretenen Ansicht an, dass die generellen Schranken des Kernbereichseingriffs und des Belastungsverbots im Rahmen der vom
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52 Etwa: Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 109 Rz. 2; Enzinger (Fn. 28), § 109 Rz. 1: „Primat des Gesellschaftsvertrages“; eingehend Wiedemann, WM Sonderbeil. 8/1990, S. 16 ff. 53 Zur geschichtlichen Entwicklung des Rechts der Personengesellschaften Wiedemann (Fn. 27), § 112 a, S. 8 ff. 54 Vgl. dazu für die OHG Oldenburg in MünchHdb. GesR I, 6. Aufl. 2005, Form. II. 3, § 9 Abs. 4 (Stimmrecht), § 11 Abs. 3 (Gewinnverteilung); für die KG Riegger, wie vor, Form. III.3, § 8 Abs. 4 (Stimmrecht), § 11 Abs. 1(Gewinnverteilung). 55 Priester (Fn. 9), § 122 Rz. 55; zust. H. P. Westermann, ZIP 2007, 2289, 2293.
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Gewinnverwendung durch Mehrheitsentscheid bei Personengesellschaften
BGH eingerichteten zweiten Prüfungsstufe bei der Rücklagenbildung nicht zum Zuge kommen, verbleibt insoweit die individuelle Treupflichtkontrolle. Sie bildet auch in der Personengesellschaft das entscheidende Instrument zur Bändigung der Mehrheitsmacht bei Gewinnverwendungsbeschlüssen. Die Debatte über einen Minderheitenschutz vor mehrheitlich beschlossener Thesaurierung hat wegen der dort etwas anderen gesetzlichen Ausgangslage bisher schwerpunktmäßig im GmbH-Recht stattgefunden und wurde seinerzeit ausgelöst durch die Neufassung von § 29 GmbHG aufgrund des BiRiLiG aus dem Jahre 198556. Dabei herrscht Einigkeit, dass dem Verwendungsentscheid Grenzen gezogen sind. Einerseits dürfen Ausschüttungen an die Gesellschafter die Existenz der Gesellschaft nicht gefährden, andererseits sind die Gewinnbezugsinteressen der Gesellschafter zu berücksichtigen57. Das gilt vor allem dann, wenn die Gesellschaftermehrheit sonstige Leistungen von der Gesellschaft bezieht, etwa Geschäftsführergehälter oder Pachtzinsen58. Hinsichtlich der konkreten Grenzen werden dagegen unterschiedliche Standpunkte vertreten. Sie reichen von der Beschränkung auf eine reine Rechtsmissbrauchskontrolle59 bis zur Gestattung einer nur geringfügigen Rücklagenbildung60. Diese für das GmbH-Recht entwickelten Grundsätze lassen sich zwar nicht nahtlos auf die Personengesellschaften übertragen. Die Realstruktur vieler GmbH entspricht aber dem Regeltypus der Personengesellschaften: Kleiner Kreis einander verbundener Gesellschafter mit Geschäftsführungstätigkeit oder kommanditistenähnlicher Kapitalgeber. Bei solchen Übereinstimmungen bieten Rechtsprechung und Schrifttum zu § 29 GmbHG wertvolle Anhaltspunkte. Auch bei den Personengesellschaften muss die Entscheidung naturgemäß im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der Interessen der Mehrheit wie der Minderheit getroffen werden. Als Leitlinie lässt sich festhalten: Ein bloßes Verbot des „Aushungerns“ der Minderheit durch andauernde Gewinneinbehalte bzw. das Hinausdrängen finanzschwacher Minderheiten ist als Begrenzung deutlich unzureichend. Solche Fälle lassen sich bereits mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der §§ 138, 826 BGB bewältigen61. Entscheidend ist das Selbstfinanzierungsbedürfnis der Gesellschaft. Dabei kommt es für die Reservenbildung auf eine vernünftige kaufmännische Beurteilung an. Insoweit ist
__________ 56 Dieses Gesetz hatte die Bildung stiller Reserven bei der GmbH signifikant beschnitten, so dass eine Ablösung des Vollausschüttungsgebots in § 29 GmbHG a. F. als erforderlich angesehen wurde. 57 Insoweit wird etwa auf Darstellungen und Nachweise bei Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 29 Rz. 29 ff.; Hommelhoff in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 29 Rz. 21 ff.; Welf Müller in Großkomm. GmbHG, 2006, § 29 Rz. 82 ff. verwiesen. 58 Worauf Lutter, JZ 1981, 216, 219 und Hommelhoff, BB 1981, 944, 952 schon in der Entstehungsphase des Gesetzes aufmerksam gemacht haben. 59 So Joost in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 289, 303 f. 60 In diesem Sinne Ehlke, DB 1987, 671, 678. 61 Hommelhoff (Fn. 57), § 29 Rz. 23.
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der Gesellschaftermehrheit allerdings ein breiter unternehmerischer Ermessensspielraum zuzubilligen62. 3. Steuerentnahmerecht Eine Thesaurierung durch Mehrheitsmacht setzt – worauf bereits hingewiesen wurde63 – voraus, dass der Gesellschafter die Einkommensteuer auf seinen Gewinnanteil aus Mitteln der Gesellschaft bezahlen kann. Ob ihm ein solches Steuerentnahmerecht schon von Gesetzes wegen zusteht, oder durch den Gesellschaftsvertrag eingeräumt sein muss, ist streitig. Die ganz überwiegende Auffassung im Schrifttum, die auch von der Rechtsprechung teilweise gebilligt wird, hält den Gesellschafter für befugt, die auf ihn entfallenden persönlichen Steuern auf den anteiligen Gewinn der Gesellschaft zum entnehmen. Das folge aus einer treupflichtbedingten Auslegung von Gesetz oder Gesellschaftsvertrag64. Hier hat sich der BGH freilich in seiner bereits mehrfach herangezogenen Entscheidung aus dem Jahre 1996 auf den Standpunkt gestellt, ein Steuerentnahmerecht bedürfe der Regelung im Gesellschaftsvertrag. Soweit dieser nichts enthalte, sei es Sache des Tatrichters, über die Zuerkennung eines solchen Anspruchs zu befinden65. Diese Auffassung hat im Schrifttum heftige Kritik ausgelöst66, und zwar mit Recht. Zutreffend erscheint nämlich die Ansicht, das Steuerentnahmerecht leite sich als Aufwendungsersatzanspruch aus § 110 HGB ab. Die steuerrechtsdekretierte persönliche Zahlungspflicht des Gesellschafters ändert nichts daran, dass der Gewinn im Gesellschaftsvermögen erzielt wird und die Steuer im Ergebnis dasjenige Vermögen treffen muss, das durch die Gewinne vermehrt wird. Der Gesellschafter zahlt die Einkommensteuer gleichsam für Rechnung der Gesellschaft. Er macht Aufwendungen in Gesellschaftsangelegenheiten, die ihm nach § 110 HGB zu erstatten sind67.
V. Fazit Das Ergebnis der vorstehenden Ausführungen lässt sich wie folgt zusammenfassen: 1. Gewinneinbehalte greifen weder in den Kernbereich der Mitgliedschaft ein, noch stellen sie eine Beitragserhöhung dar. Die unterschiedliche gesetzliche
__________ 62 Hueck/Fastrich (Fn. 57), § 29 Rz. 34. 63 Oben IV. 1. c). 64 Vgl. dazu die umfangreichen Nachweise bei Schäfer (Fn. 12), § 122 Rz. 30; Priester (Fn. 9), § 122 Rz. 59. 65 BGHZ 132, 263, 277. 66 Etwa: Binz/Sorg, DB 1996, 969, 971 f.; Schön in FS Beisse, 1997, S. 471, 487; Ulmer (Fn. 38), S. 951 f. 67 Grundlegend Schön, StuW 1988, 253, 258 f. im Anschluss an Julius Lehmann in FS Heymann II, 1931, S. 733 ff.; zust. Karsten Schmidt in FS 50 Jahre Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht, 1999, S. 193, 198 f.
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Gewinnverwendung durch Mehrheitsentscheid bei Personengesellschaften
Ausgangslage bei den Personenhandelsgesellschaften und der GmbH schränkt die gesellschaftsvertragliche Gestaltungsfreiheit nicht ein. 2. Eine gesellschaftsvertragliche Bestimmung, die bei Fehlen zwingend entgegenstehenden Gesetzesrechts für Gesellschafterbeschlüsse generell einfache Mehrheiten zulässt, deckt Rücklagenzuführungen uneingeschränkt ab. Das gilt entgegen der herrschenden Schrifttumsmeinung auch dann, wenn die Klausel einen Rahmen für die Rücklagenbildung nicht vorsieht. 3. Notwendiger Minderheitenschutz muss durch eine individuelle Treupflichtkontrolle solcher Beschlüsse gewährleistet werden. 4. Voraussetzung ist allerdings, dass dem Gesellschafter ein Steuerentnahmerecht gesetzlich zuerkannt oder jedenfalls gesellschaftsvertraglich eingeräumt wird.
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Konflikte in Wirtschaftsunternehmen im Blickwinkel der rechtssoziologischen Konfliktforschung Inhaltsübersicht I. Konfliktpotentiale im Unternehmen II. Konstruktive und destruktive Konflikte III. Verteilungskonflikte und Meinungskonflikte IV. Personenbezogene Konflikte, Rollenkonflikte und Normkonflikte
V. Typologie der Konfliktregelungsverfahren VI. Konfliktregelung in wirtschaftlichen Unternehmen VII. Schluss
I. Konfliktpotentiale im Unternehmen Soziale Konflikte sind in allen menschlichen Gesellschaften eine alltägliche Erscheinung, und es gehört zu den zentralen Aufgaben des Rechts, sie zu lösen oder doch wenigstens in Grenzen zu halten. Manche sehen in der Konfliktbereinigung sogar die kennzeichnende und wichtigste soziale Funktion, welche die Rechtsordnung zu erfüllen hat1. Im Recht der Organisation und der „Governance“ wirtschaftlicher Unternehmen, welchem der Jubilar einen Hauptteil seines wissenschaftlichen Lebenswerks gewidmet hat, gehören sie zu den typischen Fakten der Lebenswelt, die auf die Rechtsbildung einwirken und auf die umgekehrt gesetzliche Regelungen, Gerichtsentscheide und rechtswissenschaftliche Erkenntnisse einwirken wollen. Die meisten von ihnen sind ihrer Art nach bestens bekannt und mit dem methodischen Instrumentarium der Jurisprudenz ausgiebig durchleuchtet, und es mangelt daher auch nicht an Vorschlägen zu ihrer rechtlichen Lösung. Nicht in gleichem Maße geläufig ist den Juristen die sozialwissenschaftliche Konfliktforschung. Fragt man danach, werden die meisten von ihnen heute auf die ökonomische Analyse des Rechts und insbesondere auf die Theorie der principal-agent-Beziehungen verweisen. Jenseits dieses Ansatzes sind ihnen jedoch soziologische und speziell rechtssoziologische Konflikttheorien kaum vertraut. Daher mag es gerechtfertigt sein, diese im Folgenden mit Blick auf das Unternehmensrecht aufzugreifen. Schon an dieser Stelle ist dazu allerdings der Vorbehalt nötig, dass es sich lediglich um einen ersten, unvermeidlich auf
__________ 1 So namentlich der US-amerikanische Theoretiker des Rechtsrealismus Karl Llewellyn, The Normative, the Legal and the Law-Jobs, Yale Law Journal 41, 1940, 1355; vgl. dazu in Deutschland namentlich Rehbinder, Rechtssoziologie, 7. Aufl. 2007, S. 94 ff.; Röhl, Rechtssoziologie, 1987, S. 53, 535 f.
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wenige Aspekte beschränkten und daher lückenhaften Anlauf handeln kann. Denn die Analyse und Theorie sozialer Konflikte ist eines der großen Forschungsgebiete der Soziologie, das inzwischen eine Fülle wichtiger Ergebnisse hervorgebracht hat2. Auch zu der interdisziplinären Frage, wie weit die gesellschaftswissenschaftlichen Begriffe, Klassifikationen, Problemformulierungen und Untersuchungserträge der Konflikttheorie in der rechtlichen Aufbereitung der Unternehmensorganisation zu neuen, juristisch relevanten Einsichten führen, erscheinen einstweilen nur erste Überlegungen möglich. Versuchen wir zu Beginn, einen Überblick über die Vielzahl und Vielgestaltigkeit der ins Auge zu fassenden Konfliktpotentiale im Unternehmen zu gewinnen. Sie lassen sich zunächst in externe Konflikte zwischen einem Unternehmen und seiner Umwelt und unternehmensinterne Konflikte gliedern. Allerdings müssen die externen Konflikte – mit Erwartungen und Bedürfnissen der Allgemeinheit, mit der öffentlichen Meinung und den auf diese einwirkenden Medien, mit den Staatsorganen und mit politischen Instanzen und Akteuren, mit konkurrierenden Unternehmen oder auch nur mit außen stehenden Einzelpersonen – hier schon aus Raumgründen ausgeblendet bleiben. Im Unternehmensinneren erweist sich die Unterscheidung von Konflikten zwischen Unternehmensorganen oder -bereichen und innerhalb eines Unternehmensorgans als nützlich. Wohlbekannte Beispiele für die erste Kategorie sind die Probleme ungeschriebener Hauptversammlungskompetenzen, der Mitverantwortung des Aufsichtsrats für die Unternehmensleitung und die häufigen Interessengegensätze zwischen mehreren Unternehmensbereichen bei Spartengliederung und im Konzern. Auch die de lege ferenda wichtige Frage gehört hierher, welche Gegenstände zum Inhalt einer Mitbestimmungsvereinbarung gemacht werden können, obwohl sie nach geltendem Recht in die Kompetenz der Hauptversammlung, des Aufsichtsratsplenums oder des Vorstands fallen. Noch komplexer, spannungsgeladener und daher rechtlich schwerer zu beherrschen sind Konflikte, die in einem Organ zwischen verschiedenen in diesem agierenden Personen oder Gruppen auftreten, in der Gesellschafterversammlung zum Beispiel zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaftern, mehreren Anteilseignerfamilien, Anleger- und Spekulationsaktionären, in der Unternehmensleitung, wenn es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen mehreren Vorstandsmitgliedern oder Geschäftsführern über die Unternehmenspolitik kommt. Im Vordergrund der wissenschaftlichen und öffentlichen Aufmerksamkeit stehen insoweit die pluralistisch besetzten Aufsichtsräte, in denen die divergierenden Interessen zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern ausbalanciert werden müssen und zudem auf beiden Seiten mit Gegensätzen auch innerhalb dieser Gruppen zu rechnen ist, bei den Anteilseignervertretern etwa zwischen gewählten und entsandten Aufsichtsratsmitgliedern, auf Seiten der Arbeitnehmer zwischen dem Unternehmen angehörenden Arbeitnehmern und Gewerkschaftsfunktionären, zwischen Repräsentanten der regulären Arbeitnehmer und der leitenden Angestellten oder Vertretern in- und ausländischer Konzernunternehmen.
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2 Vgl. zur Einführung Röhl, Rechtssoziologie, 1987, Kapitel 11.
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Konflikte in Unternehmen in der rechtssoziologischen Konfliktforschung
Zu einer dritten Kategorie gehören die ein einzelnes Organmitglied als individuelle Persönlichkeit treffenden Konflikte. Sie lassen sich noch einmal dreifach untergliedern: in die Konflikte zwischen den privaten Interessen eines Amtsträgers und dem Unternehmensinteresse und den Anforderungen des Amtes, in die Konflikte, welche entstehen, wenn eine Person zugleich an anderer Stelle außerhalb des Unternehmens engagiert ist, und in Konflikte, welche durch widersprüchliche mit dem Amt selbst verknüpfte Erwartungen hervorgerufen werden. Die Beispiele sind jedem Gesellschaftsrechtler geläufig: im ersten Fall Diskrepanzen zwischen den persönlichen Vergütungsforderungen eines Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieds und der finanziellen Leistungsfähigkeit des Unternehmens oder die private Ausnützung von dem Unternehmen zustehenden Geschäftschancen; im zweiten die Wahrnehmung mehrerer Aufsichtsratsmandate in konkurrierenden Unternehmen, die Berufung eines Vertreters der Hausbank in den Aufsichtsrat des von dieser finanzierten Unternehmens oder die Berufung von Gewerkschaftsführern, die kraft ihrer Position in der Gewerkschaft berechtigt sind, einen Arbeitkampf gegen das Unternehmen anführen. Der dritte Fall ist angesprochen, wenn mit der Verpflichtung des Vorstands zur Unternehmensleitung die Vorstellung verknüpft wird, dass das Amt von ihm gleichermaßen fordert, die Interessen der Anteilseigner, der Arbeitnehmer, der Allgemeinheit und der Öffentlichkeit wahrzunehmen und bei alledem das Unternehmen erfolgreich zu führen, obgleich die implizierten Interessen sich nicht selten widersprechen, so dass das eine nur auf Kosten der anderen verfolgt werden kann.
II. Konstruktive und destruktive Konflikte Die sozialwissenschaftliche Konflikttheorie geht von der Erkenntnis aus, dass Konflikte zum Wesen der menschlichen Gesellschaft gehören. Sie sind nichts anderes als normale Erscheinungsformen der Interaktion zwischen freien, zur Verfolgung ihrer eigenen Meinung und Interessen fähigen Individuen oder der eigene Ziele verfolgenden und auf diese ausgerichtete Aktivitäten entfaltenden menschlichen Kollektive. Konflikte entstehen, wenn B sich nicht so verhält, wie A es erwartet, A aber gleichwohl an seiner Erwartung festhält, in der soziologischen Terminologie also aus der Enttäuschung normativer Verhaltenserwartungen3. Da jeder Mensch danach strebt, seine persönlichen Lebensumstände zu verbessern, gerät er unvermeidlich in Widerspruch zu anderen Menschen. Gleiches gilt für alle Arten menschlicher Gruppierungen und Organisationen, welche ihre eigenen Ziele verfolgen. Die durch die Enttäuschung normativer Verhaltenserwartungen geschaffene Situation ist nun freilich ambivalent: Sie kann dazu führen, dass A sich der Gründe vergewissert, warum er an seiner Erwartung festhält, und damit auch Unterstützung in der ihn umgebenden Gesellschaft findet, so dass B isoliert und für sein abweichendes Verhalten möglicherweise sogar bestraft wird. In diesem Fall führt der Konflikt zu einer Bestätigung der bisher anerkannten
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3 Vgl. dazu Luhmann, Rechtssoziologie, 1972, Abschnitt II.
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Normen und Verhaltensweisen. Er entfaltet eine konservative, die Gesellschaft stabilisierende Wirkung. Umgekehrt kann A und die hinter ihm stehende Gruppe aus dem Verhalten des B auch die Konsequenz ziehen, seine Erwartung zu korrigieren oder aufzugeben. Eine solche Reaktion liegt vor allem nahe, wenn sich die Handlungsweise von B aus veränderten Umständen in der gesellschaftlichen Umwelt oder aus neuen Bedürfnissen und Wertvorstellungen erklärt, die eine Anpassung erfordern. In diesem Fall erweist sich der Konflikt als das bewegende Element in der Gesellschaft und der Motor des sozialen Wandels. Angesichts immer neuer Ereignisse und Herausforderungen bedarf nun jeder Mensch, jedes Unternehmen und jede Gesellschaft beides, sowohl eine gewisse Stabilität und Kontinuität ihrer normativen Struktur als auch die Flexibilität, sich neuen Verhältnissen anpassen zu können. In beiden Fällen erfüllen die Konflikte daher eine konstruktive und nützliche Funktion. Man kann sogar sagen, dass, je liberaler eine Beziehung oder eine Gesellschaft sind, desto häufiger werden die Konflikte in ihnen, desto größer ist aber auch ihre Fähigkeit, sie zu ertragen, in Grenzen zu halten und daraus zu lernen, ohne dass ihr Bestand gefährdet würde. Eine wichtige Aufgabe des Rechts geht dahin, sicherzustellen, dass die Prozesse der Konfliktbewältigung friedlich verlaufen und, sei es durch die Bestätigung der bisher geltenden Ordnung oder durch deren Anpassung an neue Umstände, zu zukunftsfähigen Ergebnissen führen. Gelingt es dagegen nicht, die entstehenden Konflikte einzugrenzen und zu beherrschen, entfalten sie eine destruktive Wirkung. Eine bestehende Beziehung bricht ab oder eskaliert zum offenen Kampf, ein Verband oder Unternehmen löst sich auf oder geht auf andere Weise zugrunde, die gesellschaftliche Solidarität geht verloren, es kommt zum Bürgerkrieg. Keine Beziehung oder Gesellschaft, die noch ein hinreichendes Maß an innerer Festigkeit aufweist und auf deren Erhaltung Wert legt, kann solche Prozesse hinnehmen. Daher gehört zur Aufgabe des Rechts auch, Institutionen und Verfahren auszubilden, die verhindern, dass die Konflikte außer Kontrolle geraten und eine zerstörerische Dynamik entfalten. Beziehen wir diese Erkenntnisse auf das Gesellschafts- und Unternehmensrecht, so zeigt sich schnell ihre Relevanz auch für die rechtlichen Regelungen und deren wissenschaftlichen Hintergrund. Grundsätzlich gewährt das geltende Recht allen Beteiligten die Freiheit, die Angelegenheiten des Unternehmens zu besorgen, die dabei auftretenden externen und internen Konflikte also selbst konstruktiv zu bewältigen. Doch setzt es der Freiheit zugleich zahlreiche teils in den Gesetzen ausformulierte, teils von der Rechtsprechung entwickelte Grenzen, welche die Funktion erfüllen, zu verhindern, dass die Konflikte in ein destruktives Chaos ausarten. Man kann die Mehrzahl der einschlägigen Gesetzesvorschriften und Bestimmungen des Corporate Governance Kodex so verstehen. Namentlich die vom Recht vorgeschriebene Einrichtung mehrerer Unternehmensorgane, welche sich wechselseitig kontrollieren, die Gewaltenteilung zwischen ihnen und die für sie geltenden Entscheidungsverfahren, dienen der konstruktiven Bewältigung der im Unternehmen aufeinander prallenden Gegensätze. 1002
Konflikte in Unternehmen in der rechtssoziologischen Konfliktforschung
Da die gesetzlichen Vorschriften gleichwohl nicht alle möglichen Fälle erfassen können, die Erfahrung vielmehr lehrt, dass es immer wieder auch zu offenen Konflikten im Unternehmen kommt, wird das durch die Gesetze geschaffene Gerüst überwölbt von der in der Rechtswissenschaft entfalteten Generalklausel der Treuepflicht und von dem Gedanken, dass diese auf das Unternehmensinteresse auszurichten ist. Die Treuepflicht ist also das letztlich maßgebliche rechtliche Instrument, die friedliche und konstruktive Bewältigung der Konflikte im Unternehmen sicherzustellen. Sie erweist sich als offen genug, je nach den Umständen im einen Fall die bestehende Ordnung gegenüber den auf eine Änderung drängenden Kräften zu bestätigen und zu stabilisieren, im anderen einer neuen Regelung zum Durchbruch zu verhelfen. So erfüllt sie die oben erwähnte doppelte Funktion, sowohl die Kontinuität des Unternehmens als auch seine Flexibilität gegenüber neuen Anforderungen zu sichern. Ungeachtet solcher elementaren Leistungen rechnet das geltende Recht jedoch auch damit, dass ein Konflikt nicht konstruktiv aufgefangen werden kann, sondern eine destruktive Dynamik entfaltet, die keinen anderen Ausweg lässt als eine Beziehung abzubrechen oder ein Unternehmen zugrunde gehen zu lassen. Einem untragbar gewordenen Vorstandsmitglied kann aus wichtigem Grund vorzeitig gekündigt, ein Obstruktion leistender Gesellschafter ausgeschlossen werden. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung zur Zwei-Personen-GmbH, die durch ein unüberbrückbares Zerwürfnis zwischen den beiden Gesellschaftern gelähmt wird. Der BGH prüft, wie man weiß, in solchen Fällen, ob sich das Unternehmen retten lässt, wenn einer der beiden Gesellschafter ausgeschlossen wird, was jedoch nur möglich erscheint, wenn dieser die Zerrüttung überwiegend zu verantworten hat. Trifft die Schuld dagegen beide Gesellschafter gleichermaßen, bleibt nicht anderes übrig als die Gesellschaft aufzulösen und dem Konflikt auf diesem Weg die Nahrung zu entziehen. Im Schrifttum wird das Entstehen eines destruktiven Konflikts oft auch im Zusammenhang mit der Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten von Großunternehmen befürchtet, zumal wenn die ein Aufsichtsratsmandat wahrnehmenden Gewerkschaftsfunktionäre einen Streik gegen das Unternehmen führen. Ein Ausweg aus einer derartigen Zuspitzung wird im Ernstfall nur darin gesehen, dass die Betroffenen das Aufsichtsratsmandat niederlegen, also gleichfalls die Beziehung zu dem Unternehmen beenden. Zum Glück war es bisher nie nötig, dass ein Gericht über einen solchen Fall entscheidet.
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III. Verteilungskonflikte und Meinungskonflikte4 Die soziologische Gegenüberstellung von Verteilungskonflikten und Meinungsoder Wertkonflikten dürfte den in der Interessenjurisprudenz geschulten Juristen vertraut erscheinen. In der gesellschaftlichen Realität stehen Interessenkonflikte, welche auf den Besitz von knappen Gütern gerichtet sind, welche von mehreren begehrt werden, ganz im Vordergrund. Sie können sich sowohl an materiellen als auch an immateriellen Gütern wie zum Beispiel Macht und Ansehen entzünden. Strukturell können solche Konflikte durch eine Teilung des umstrittenen Gutes oder eine wechselseitige Abstimmung ihres Gebrauchs bewältigt werden, die jedem Interessierten eine Anteil an dem Gut oder einen Einfluss auf den Gegenstand des Streits zukommen lassen. Es bietet sich an, die Lösung des Konflikts durch einen Kompromiss zu suchen, das heißt durch Verhandlungen mit dem Ziel, eine Einigung über die Verteilung zwischen den Beteiligten zu erreichen. Ein solcher Kompromiss ist sozialpolitisch auch erwünscht, weil er die Freiheit der Beteiligten achtet und weil der Konflikt friedlich und auf eine Weise gelöst wird, welche die größte Chance einer stabilen und zukunftsfähigen Regelung bietet. Er wird erleichtert durch die geltenden Gesetze, die als abstrakte Muster der Konfliktregelung den Streitenden als Vorbild und Orientierungspunkt dienen können und so eine Frieden stiftende Wirkung entfalten. Auch die in einem Unternehmen auftretenden Verteilungskonflikte werden am häufigsten und besten durch Kompromisse bereinigt, die sich an den Vorgaben der einschlägigen Gesetze orientieren. Meinungs- bzw. Wertkonflikte lassen sich dagegen nicht durch wechselseitiges Entgegenkommen lösen, sondern verlangen eine Entweder-Oder-, Alles oder Nichts-Entscheidung. Nur eine Partei kann gewinnen, hat Recht oder Unrecht. In solchen Fällen gelingt es den Beteiligten typischerweise nicht selbst, den Konflikt zu bereinigen, vielmehr muss die Regelung regelmäßig durch einen Dritten, im Gerichtsprozess durch den Richter, getroffen werden, der seinerseits an die geltenden Gesetze gebunden ist. Wichtig in der sozialwissenschaftlichen Konfliktforschung ist nun die Erkenntnis, dass es sich bei der Gegenüberstellung von Verteilungs- und Meinungskonflikten um Idealtypen handelt, die in der sozialen Realität nicht als strikte Alternativen in Erscheinung treten, sondern vermischt sind, in einander übergehen und von den Beteiligten in die eine oder andere Richtung stilisiert werden können. Insbesondere Interessenkonflikte werden, wenn sich eine einvernehmliche Kompromisslösung nicht finden lässt, zu Meinungskonflikten über Recht oder Unrecht umformuliert. Eine solche Umformulierung ist notwendig, damit über den Konflikt entschieden werden kann. Doch hat die Umformulierung Folgen, denn nun gibt es Sieger und Besiegte. Es ist damit zu rechnen, das der Unterlegene sich mit dem Ergebnis nicht zufrieden gibt, sondern weiterhin an seiner Meinung festhält und Obstruktion betreibt. Das
__________ 4 Vgl. dazu statt aller Aubert, Interessenkonflikt und Wertkonflikt, in Bühl (Hrsg.), Konflikt und Konfliktstrategie, 2. Aufl. 1973, S. 17 ff. Im englischen Original verwendet Aubert die etwas anders akzentuierten Begriffe competition und dissensus.
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Konflikte in Unternehmen in der rechtssoziologischen Konfliktforschung
Potential eines destruktiven Fortschwelens des Konflikts ist deutlich größer als beim Kompromiss. Das Recht muss durch zusätzliche Verfahrens- und Vollstreckungsvorschriften dafür sorgen, dass der Widerstand des Unterlegenen ins Leere läuft oder gebrochen wird5. Im Unternehmensrecht lassen sich alle diese Feststellungen nachvollziehen und demonstrieren. Es eignet sich vorzüglich als Anschauungsmaterial dafür. An dieser Stelle muss ein Beispiel genügen: Wenn der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft das Gehalt eines Vorstandsmitglieds kürzen will, weil es nach seiner Meinung angesichts der Leistungen des Betroffenen zu hoch ist, dieser sich jedoch dagegen wehrt, handelt es sich offenkundig um einen Interessenkonflikt. Kommt es darüber zum Prozess, muss stattdessen darüber gestritten und entschieden werden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Vergütung nach § 87 AktG erfüllt sind. Sozialwissenschaftlich kann analysiert werden, wie ein solcher Umformulierungsprozess abläuft, welche Elemente des Konflikts dabei ausgeblendet und vernachlässigt werden und welche neuen Gesichtspunkte hinzutreten, alles in allem: ob die juristische Stilisierung die Komplexität des realen Geschehens und die Relevanz des Konflikts für die Beteiligten noch angemessen widerspiegelt.
IV. Personenbezogene Konflikte, Rollenkonflikte und Normkonflikte Eine weitere, wiederum von Niklas Luhmann6 aufgegriffene und von Volkmar Gessner7 ausgearbeitete Typologie unterscheidet zwischen personenbezogenen, rollenbezogenen und normbezogenen Konflikten. Dabei ist auch hier hervorzuheben, dass es sich um für die wissenschaftliche Erkenntnis bestimmte Idealtypen handelt, zwischen denen in der gesellschaftlichen Realität fließende Grenzen und Mischformen festzustellen sind. Personenbezogen ist ein Konflikt, wenn er aus einer engen, in häufigen Begegnungen und gemeinsamem Erleben fundierten Beziehung entspringt, in der beide Beteiligten emotional miteinander verbunden sind und vielfältige, hoch komplexe wechselseitige Verhaltenserwartungen aufgebaut haben. Entsteht in einer solchen Beziehung ein Streit, tendiert er dazu, das spezielle Thema, an dem er sich entzündet hat, zu überschreiten und auf andere Berührungsebenen zwischen den Beteiligten überzugreifen, letztlich ihr ganzes Verhältnis zu einander zu überschatten und in Frage zu stellen. Konfliktthema werden, soziologisch ausgedrückt, die Beziehungen zwischen den Beteiligten in ihrer Gesamtheit. Typische Fälle sind Ehestreitigkeiten. Soll der Konflikt bereinigt werden, ist in solchen Fällen nicht nur die Klärung einer einzelnen Meinungsverschiedenheit nötig, sondern die Neuordnung des ganzen Verhältnisses. Es ist wahrscheinlich, dass dies nicht gelingt und die Verbindung daher aufgelöst werden muss oder zerbricht. Auf der anderen Seite birgt die Vielgestaltigkeit der Berührungsflächen zwischen den Beteiligten auch die Chance, den Konflikt
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5 Vgl. dazu ausführlich und eindrucksvoll Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969. 6 Luhmann, Rechtssoziologie, 1972, S. 85 ff. 7 Gessner, Recht und Konflikt, 1976, S. 170 ff.
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durch Entgegenkommen an anderer Stelle als an dem auslösenden Streitpunkt auszugleichen oder sogar zu überkompensieren, sodass er unter Umständen ebenso schnell wieder verschwindet wie er ausgebrochen ist. Am anderen Ende der Skala stehen die rein normbezogenen Konflikte, die in Verhältnissen entstehen, in denen der Kontakt zwischen den Konfliktpartnern anonym bleibt und sich auf wenige Einzelakte beschränkt. Beispiele sind der Besuch eines Kinos oder Theaters oder die Beziehungen zwischen Täter und Opfer einer unerlaubten Handlung. Konfliktthema ist hier lediglich die Geltung und Anwendung der den Vorgang beherrschenden rechtlichen und sozialen Normen, zum Beispiel, ob ein Schadensersatzanspruch besteht, in welcher Höhe er sich beziffern lässt und ob er durchgesetzt werden kann. Weitere Kontakte zwischen den Parteien bestehen nicht oder werden in den Konflikt nicht hineingezogen. In der Mitte zwischen beiden Endpunkten liegen Rollenkonflikte. Diese erwachsen aus dem zwar komplexen, aber doch begrenzten Bündel von Verhaltenserwartungen, die mit bestimmten sozialen, insbesondere beruflichen Rollen und Positionen verknüpft sind, zum Beispiel zwischen Arzt und Patient, Mitgliedern einer Sportmannschaft, Mieter und Vermieter, Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Auch soweit gesellschaftliche Organisationen als solche oder Kollektivorgane einer Organisation miteinander in dauerhaften Beziehungen stehen, sind diese durch die Rollen definiert, welche sie in der Beziehung jeweils spielen. Der Begriff der Rolle nimmt Bezug auf die soziologische Rollentheorie, welche die Struktur, Funktionsweise und gesellschaftliche Bedeutung derartiger Rollen als Instrument der Vermittlung zwischen individueller Freiheit und gesellschaftlich vorgeprägtem Verhalten und Zwang zu ihrem Gegenstand macht8. Die Komplexität von Rollenkonflikten geht über die der reinen Normkonflikte hinaus, weil sie das durch die Rolle festgelegte und von dem Rollenträger generell erwartete Verhalten betreffen und durchsetzen wollen. Entsprechend bedarf auch ihre Überwindung eigener Maßnahmen und Formen. Auf der anderen Seite lassen sie das Privatleben des Normbrechers und die Rollen unberührt, welche dieser an anderer Stelle spielt. Wenden wir die dreigliedrige Typologie von personenbezogenen, rollenbezogenen und normbezogenen Konflikten auf das Unternehmensrecht an, wird sogleich deutlich, dass die rollenbezogenen Konflikte im Vordergrund stehen. Alle Funktionsträger in einem Unternehmen – Gesellschafter und Aktionäre, Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer, Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner und der Arbeitnehmer – übernehmen bestimmte Rollen in Gesamtgefüge und Lebensprozess des Unternehmens, deren Erfüllung über die reine Normkonflikte kennzeichnende kurzfristige und anonyme Interaktion mit diesem hinausgeht, sich aber doch auf das begrenzte Arsenal der mit der Rolle verknüpften Aufgaben beschränkt und Raum für ein außerhalb der Rolle ste-
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8 Vgl. statt aller Dahrendorf, Homo Sociologicus. Ein Versuch zur Geschichte, Bedeutung und Kritik der Kategorie der sozialen Rolle, 1959, 16. Aufl. 2006; Popitz, Der Begriff der sozialen Rolle als Element der soziologischen Theorie, 1967; Raiser, Homo Oeconomicus, Homo Sociologicus, Homo Juridicus, in FS Rottleuthner, 2010.
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hendes Privatleben und für andere Rollen lässt. Auch die Organe einer Gesellschaft, also namentlich Hauptversammlung, Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft, und die in einen Konzern einbezogenen Gliedunternehmen nehmen die ihnen zugedachten Rollen im gemeinsamen Ganzen des Unternehmens oder Konzerns wahr. Welche Anforderungen jede dieser Rollen stellt, wird von den einschlägigen Gesetzen und Gerichtsurteilen mehr oder weniger dicht vorgegeben, in deren Rahmen von den sozialen Normen konkretisiert, welche die Allgemeinheit, der Staat und die anderen für das Unternehmen Handelnden mit den verschiedenen Rollen jeweils verbinden, und letztlich von der Treuepflicht und deren Bezug auf das Unternehmensinteresse gesteuert. Soweit vorgeprägte Verhaltenserwartungen fehlen oder umstritten sind, werden sie im Sinn der oben eingeführten Terminologie als Meinungsstreitigkeiten formuliert, welche in der Rechtswissenschaft diskutiert und abschließend vom Gesetzgeber oder von den Gerichten entschieden werden müssen. All dies ist für Juristen vertrautes Gelände. Die Feststellungen bedürfen aber der Relativierung, denn es finden sich auch Elemente der beiden anderen Interaktions- und Konflikttypen. Bei Publikumsaktionären, die, wenn überhaupt, einmal im Jahr zusammenkommen, anonym bleiben und sich im Einklang mit dem geltenden Recht und dem Zweck der Aktiengesellschaft mehr um ihre eigenen Interessen als Kapitalanleger als um das Unternehmensinteresse kümmern, überwiegt der unpersönliche und allein durch abstrakte Normen geordnete Bezug auf das Unternehmen. Zwar kann man auch von ihnen sagen, sie spielen als Publikumsaktionäre eine Rolle, doch verliert der Begriff dabei seinen spezifischen sozialwissenschaftlichen Gehalt. Kommt es zwischen einem von ihnen und der Gesellschaft zum Konflikt, bleibt es dabei, dass sich dessen Gegenstand auf das Einzelthema beschränkt, an dem er sich entzündet hat. Selbstverständlich liegen die Dinge bei Großaktionären, die ihre Mitgliedsrechte ausschöpfen, um aktiv in das Geschehen im Unternehmen einzugreifen, und bei Gesellschaftern einer GmbH anders. Hier bleibt der Rollencharakter ihrer Stellung unverkennbar. Auf der anderen Seite kommen bei den Rollen im Unternehmen, die eine enge und dauerhafte Zusammenarbeit mit anderen Rollenträgern verlangen, mehr oder weniger deutlich auch personenbezogene und emotional gefärbte Züge zum Vorschein. Bei mehreren Mitgliedern des Vorstands einer Aktiengesellschaft oder mehreren Geschäftsführern einer GmbH kommt es nicht nur darauf an, dass sie ihre Rolle einwandfrei erfüllen, sondern auch, dass sie „miteinander können“ und dass „die Chemie zwischen ihnen stimmt“. Kommt es in solchen Fällen zum Konflikt, wird es schwer, diesen ohne Rücksicht auf die innere Beteiligung der Partner allein nach den Anforderungen zu entscheiden, welche ihre Rolle als Unternehmensleiter an sie stellt. Die Erwägungen zeigen, dass die dargestellte Gliederung von Interaktions- und Konflikttypen heuristischen Charakter trägt und daher eine differenziertere Kennzeichnung bestimmter Positionen im Unternehmen oder sogar eines einzelnen Falles nicht ausschließt. Sie erweist sich aber gerade deshalb als ein geeignetes Instrument, die Fälle gedanklich zu erfassen. 1007
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V. Typologie der Konfliktregelungsverfahren Der „Clou“ der dargestellten dreigliedrigen Typologie sozialer Konflikte liegt nun in der Vermutung, dass sich jedem Konflikttyp eine diesem besonders angemessene Behandlungsart zuordnen lasse9. Um dieses im Hinblick auf die in einem Unternehmen auftretenden Konflikte ausführen und nachprüfen zu können, ist es nötig, sich zunächst einen Überblick über die Typen der Konfliktbewältigung zu verschaffen10. Dabei liegt es nahe, danach zu unterscheiden, ob die Regelung durch die Beteiligten selbst oder mit Hilfe Dritter gesucht wird und erfolgt. Als Mittel der Regelung durch die Beteiligten kommen fünf Alternativen in Betracht: Ausweichen oder Abbruch der sozialen Beziehung; Nachgeben eines Beteiligten und Obsiegen des anderen; Kompensation des Konfliktthemas durch Ausgleichsleistungen an anderer Stelle; Verhandlungen und Kompromiss; schließlich Kampf, zum Beispiel in Gestalt von Drohung, Behinderung, Erpressung oder Anwendung physischer Gewalt. Bei der Regelung mit Hilfe Dritter gelangen vier Möglichkeiten in das Blickfeld: Beratung durch den Dritten, Vermittlung, Schlichtung und gerichtliche Entscheidung zugunsten des einen oder anderen Kontrahenten. Dem anderen auszuweichen oder die Beziehung zu ihm abzubrechen sind der einfachste und häufigste Fall. Beide Verhaltensformen lösen den Konflikt zwar nicht, machen ihn jedoch unschädlich. Sie sind allerdings nur möglich, wenn die daraus entspringenden materiellen und immateriellen Nachteile – die sozialen Kosten – tragbar und nicht größer sind als die Vorteile einer Fortsetzung der Beziehung. Beispiele dafür lassen sich leicht finden. Häufig hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, ob sich die Beteiligten oder wenigstens einer von ihnen zugunsten einer solchen Lösung entscheiden. Wer einem Konflikt nicht ausweichen kann, aber auch keine Chance sieht, ihn zu gewinnen, muss nachgeben. Der Fall kann eintreten, wenn der Handelnde im Unrecht ist und deshalb damit rechnen muss zu unterliegen, falls es zu einem Gerichtsverfahren kommt. Problematischer ist der vermutlich noch häufigere Fall, dass der schwächere Teil der Übermacht des Gegners weicht. In solchen Situationen hängt das Konfliktverhalten nicht nur von einer Abwägung zwischen der Nützlichkeit und den Risiken der Gegenwehr ab, sondern auch vom persönlichen Selbstvertrauen und der Konfliktbereitschaft sowie davon, ob die zum Durchhalten des Konflikts nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen. Das Auffangen eines Konflikts durch Kompensation kommt in komplexen Sozialbeziehungen vor, wenn der Konflikt zwar selbst nicht beseitigt werden kann oder soll, der Gegner aber durch eine Zuwendung an anderer Stelle zum
__________ 9 Gessner, Recht und Konflikt, 1976, S. 177 ff. 10 Vgl. zum Folgenden aus dem deutschen rechtssoziologischen Schrifttum besonders Röhl, Der konflikttheoretische Ansatz in der Rechtssoziologie, Rechtstheorie, 1977, S. 93 ff.; ders., Rechtssoziologie, 1987 S. 469 ff., die Ausführungen im Text folgen meiner eigenen Darstellung in „Grundlagen der Rechtssoziologie, 5. Aufl. 2009, S. 296 ff.
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Nachgeben veranlasst werden kann. Auch solche Fälle sind häufig. Ein wichtiges Beispiel sind Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, denn in solchen Fällen kann es leicht dazu kommen, dass sich die Gewerkschaften zwar mit ihrer Hauptforderung nicht durchsetzen, dafür aber an anderer Stelle Zugeständnisse erreichen. Der Fall berührt sich mit dem vierten, in dem die Gegner den Konflikt durch Kompromiss klären. Ein solcher kann, wie bereits ausgeführt11, zustande kommen, indem die Gegner das umstrittene Gut teilen, zum Beispiel sich auf die Minderung des Preises infolge der Schlechtleistung des anderen Teils verständigen, oder wenn sie sich darauf einigen, künftig nur im wechselseitigen Einverständnis zu handeln. Der Vorteil eines Kompromisses liegt, wie gesagt, darin, dass die Teilung eines Gutes oder die Verständigung über eine Entscheidung für beide Seiten größere Vorteile bringt als ein Kampf um das ganze Gut oder die Alleinentscheidung. Ohnehin lässt es der moderne Rechtsstaat, der das Gewaltmonopol für sich beansprucht und allgemein zugängliche Gerichtsverfahren bereitstellt, nicht zu, dass ein Konflikt durch Kampf, das heißt durch die Anwendung von privaten Zwangsmitteln oder privater Gewalt gelöst wird12. Unterhalb der Schwelle gewaltsam ausgetragener Streitigkeiten können freilich Kämpfe um Reichtum und wirtschaftlichen Gewinn sowie um Macht, Ansehen und gesellschaftliche Positionen nicht verhindert werden. Sie kennzeichnen das tägliche Leben. Die dargestellte Typologie individueller Konfliktbereinigungstechniken muss ergänzt werden durch die Feststellung, dass Konflikte aller Art oft nicht isoliert zwischen zwei Personen entstehen und gelöst werden, sondern in das soziale Umfeld eingebettet sind, zu dem die Beteiligten gehören. Daher wird die Art der Bewältigung regelmäßig auch von der Reaktion Dritter beeinflusst. Beide Parteien suchen Verbündete, die ihre Position unterstützen und die Chance ihrer Durchsetzung vergrößern. Auf diesem Weg kann sich ein zunächst von zwei Personen ausgehender Streit leicht zu einem Gruppenkonflikt ausweiten mit der Folge, dass auch die Gruppeninteressen und die in den Gruppen herrschenden Wert- und Gerechtigkeitsvorstellungen ins Spiel kommen. Das Thema des Konflikts wird zwar objektiviert, aber zugleich auch verallgemeinert, der Streit verschärft sich. Ob der Vorgang die Bewältigung des Konflikts erleichtert oder erschwert, hängt wiederum von den Umständen ab. Es kann sein, dass sich eine überwiegende Meinung herausbildet, welche Gruppe Recht hat, so dass die andere nachgeben muss. Finden dagegen beide Parteien gleichermaßen Gefolgschaft, wird der Streit in der Regel nicht mehr ohne das Eingreifen eines unparteiischen Dritten beigelegt werden können. Den ersten Fall der Konfliktregelung mit Hilfe Dritter bildet die Beratung durch einen außen stehenden Sachverständigen, zum Beispiel durch einen Rechtsanwalt oder einen technischen Experten. Der Rat kann auf der sachlichen oder auf der rechtlichen Würdigung eines Streits einschließlich der
__________ 11 Siehe unter III. 12 Eine Ausnahme bilden zulässige Arbeitskämpfe.
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Aussichten eines Gerichtsverfahrens beruhen. Doch bleibt es dabei, dass die Beteiligten selbständig entscheiden, ob sie dem Rat folgen wollen. Trotzdem gelingt es häufig bereits aufgrund einer derartigen Klärung, die Grundlagen für eine einvernehmliche Lösung des Konflikts zu schaffen und so ein Gerichtsverfahren zu vermeiden. Intensiver greift der Dritte im Fall der Vermittlung (Mediation) in die streitige Beziehung ein, indem er selbst aktiv auf die Beteiligten einwirkt, sich zu ihren Argumenten äußert, neue Gesichtspunkte einbringt, das Verfahren vorantreibt, eigene Lösungsvorschläge unterbreitet und versucht, Widerstände durch Überzeugung oder auch Überredung zu überwinden. Wesentliches Kennzeichen der reinen Vermittlung ist jedoch, dass der Vermittler selbst nicht entscheidet, seine Intervention vielmehr nur dann Erfolg hat, wenn sich die Parteien, in der Regel in Form eines Kompromisses, auf seinen Vorschlag einigen. Die Erfolgschance der Vermittlung ergibt sich aus der Erfahrung, dass sich die Fronten zwischen den streitenden Gegnern oft so sehr verhärtet haben, dass sie sich aus eigener Kraft von ihren Positionen nicht mehr lösen können, oder dass hinter den Wortführern eines Konflikts eine Vielzahl von Personen steht, deren Erwartungen ihren Repräsentanten selbst keinen ausreichenden Spielraum lassen, sich aus eigener Initiative zu vergleichen. Wie man weiß, haben Vermittlungsverfahren deshalb seit einiger Zeit besondere Aufmerksamkeit des Gesetzgebers gefunden, der sich davon eine Entlastung der Gerichte erhofft. Auch im Gerichtsprozess selbst haben die Gerichte nach § 278 ZPO in einem davor geschalteten Güteverfahren auf eine gütliche Einigung der Parteien hinzuwirken. Der Übergang von der Vermittlung zur Schlichtung ist erreicht, wenn der unparteiische Dritte den Streit selbst entscheidet. Sie ist in Gestalt von Schiedsgerichten eine weit verbreitete Form der Konfliktbereinigung. Vom ordentlichen Gerichtsverfahren unterscheiden sich Schiedsverfahren durch eine geringere Förmlichkeit und höhere Flexibilität bei der Entscheidung. Ein Schiedsrichter kann in den Grenzen des geltenden Rechts Spielräume ausnützen und zweckmäßige Lösungen suchen, die geeignet sind, die Beziehungen zwischen den Parteien auch für die Zukunft zu gestalten. Auf der anderen Seite sind Schiedsverfahren der Gefahr einer mangelhaften institutionellen und personellen Absicherung von Qualifikation, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Schiedsrichter ausgesetzt. Daher behält sich der Staat das Recht vor, ihre Zulässigkeit zu beschränken, die Rechtstaatlichkeit des Schiedsverfahrens sicherzustellen und auch die Schiedsurteile zu kontrollieren. Gemäß § 1030 Abs. 1 ZPO sind Schiedsverfahren generell nur bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten zulässig, bei nichtvermögensrechtlichen Ansprüchen dagegen nur, wenn die Parteien berechtigt sind, sich über den Gegenstand des Streits zu vergleichen. §§ 1034 ff. ZPO sichern die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Schiedsrichter und ein rechtstaatliches Verfahren. Nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2a ZPO kann ein Schiedsspruch von einem staatlichen Gericht aufgehoben werden, wenn seine Anerkennung oder Vollstreckung der öffentlichen Ordnung widerspricht. Im Ergebnis kann sich der Gebrauch von Schiedsverfahren als 1010
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Mittel der Konfliktbereinigung also nicht frei entfalten. Der Staat sichert vielmehr den Vorrang des staatlichen Rechts und der staatlichen Gerichte. Im Gegensatz dazu entscheiden die Gerichte grundsätzlich rückblickend über einen abgeschlossenen Streitfall. Ihr Entscheidungsspielraum ist durch die Anträge der Parteien und durch deren Sachvortrag beschränkt, der das tatsächliche Geschehen tendenziell nur auszugsweise und zugespitzt auf Rechtsfragen wiedergibt. Eine Gestaltungsfreiheit steht ihnen im Urteilsspruch nicht zu, vielmehr haben sie zu jedem einzelnen Punkt alternativ zu entscheiden, ob eine Partei Recht oder Unrecht hat. Dabei sind sie streng an die geltenden Gesetze gebunden. Im Regelfall beschränkt sich ihre Funktion darauf, die individuellen Besonderheiten jedes einzelnen Konflikts zu würdigen, wozu der Gesetzgeber außerstande ist. Zur selbständigen Rechtsbildung sind sie im demokratischen Staat nur berechtigt – und dann freilich auch genötigt –, wenn der Gesetzgeber seine Aufgabe unvollständig erfüllt hat, insbesondere unklare, unpraktikable, lückenhafte oder widersprüchliche Vorschriften erlassen hat. Eine Folge dieser prekären Situation ist, dass die unterliegende Partei das Urteil nicht ohne weiteres annimmt, sondern zur Erfüllung gezwungen werden muss, so dass der Konflikt oft nicht wirklich beendet, sondern nur unterdrückt wird. Den gesetzlichen Vorschriften fällt in diesem Zusammenspiel eine dreifache Aufgabe zu. Sie haben die normative Ordnung einer Gesellschaft und damit die allgemeinen Muster für das friedliche Zusammenleben der Menschen in ihr festzulegen, sie wirken als verbindliches Leitbild für die Beurteilung konkreter Streitigkeiten, und sie sollen destruktive Konflikte möglichst verhüten13. So verklammern sie die Streitentscheidung mit der normativen Ordnung der Gesellschaft. In der rechtssoziologischen Theorie wurden die Vorteile dieser Funktionsteilung zwischen Gesetz und Richterspruch vor allem von Niklas Luhmann analysiert14. Das kann hier nur angedeutet werden. Als Beschluss eines demokratisch gewählten Parlaments genießt das Gesetz eine besonders hohe Legitimation. Es entlastet die Richter davon, das von ihnen angewandte Recht durch die Autorität ihrer Person oder ihres Amtes rechtfertigen zu müssen. Die sorgfältige Vorbereitung und Beratung erhöht auch die inhaltliche Richtigkeitsgewähr der Vorschriften eines Gesetzes. Die abstrakte Formulierung und generelle Geltung der Gesetze garantieren die Gleichheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit der Regelung ohne Ansehen der Person der Betroffenen. Demgegenüber gründet die Legitimität eines Gerichtsurteils auf der Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und beruflichen Erfahrung der Richter sowie auf dem ihnen durch die Prozessgesetze auferlegten Zwang, die besonderen Umstände jedes Streitfalls mit größtmöglicher Sorgfalt aufzuklären. Richter sorgen so für Einzelfallgerechtigkeit. Gesetzgeber und Richter ergänzen und kontrollieren sich gegenseitig. Als funktional verschiedene, aber aufeinander bezogene Konfliktregelungsinstanzen erhöhen sie zusammen die Leistungsfähigkeit der staat-
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13 Vgl. dazu die ausführlichen Analysen von Luhmann, Rechtssoziologie, 1972, Abschnitt IV. 14 Luhmann (Fn. 13).
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lichen Streitbereinigung und die Chancen, dass die Betroffenen den Urteilsspruch letztlich akzeptieren. Blickt man auf das Ganze, so ist leicht zu erkennen, dass die aufgezählten Arten von Konfliktregelungsverfahren nicht gleichwertig und einfach austauschbar sind. Vielmehr markieren sie, gemessen an der Schwere des Eingriffs in die Freiheit der Beteiligten, eine aufsteigende Linie. Der Vorrang gebührt allen Verfahren der freiwilligen Regelung durch die Beteiligten selbst. Denn die Freiwilligkeit liegt in der Natur des liberalen Rechtsstaats und der vom Wettbewerbsprinzip geprägten Marktwirtschaft. Gelingt eine freiwillige Regelung, bietet sie auch die beste Gewähr für eine endgültige und konstruktiv in die Zukunft weisende Beilegung eines Konflikts. Außerdem bleiben der Konflikt und seine Bewältigung in der Regel der Öffentlichkeit verborgen. Nicht zuletzt sparen die Parteien den für die Konfliktlösung mit Hilfe Dritter erforderlichen Aufwand und die daraus entstehenden Kosten. Auch Beratung, Vermittlung, Schlichtung und Gerichtsprozess bilden im Hinblick auf die Förmlichkeit des Verfahrens, auf die Höhe des Aufwands und auf das Gewicht des Eingriffs in die Freiheit der Betroffenen eine an Intensität zunehmende Stufenfolge. Die Annahme liegt nahe, dass die Anwendung dieser Konfliktlösungsverfahren mit der Schwere und Dramatik der zugrunde liegenden Konflikte und deren destruktivem Potential korrespondiert. Jedenfalls verhilft die Kenntnis der Stärken und Schwächen jedes dieser Verfahren zu ihrem besseren Verständnis. Sie bereitet somit den Weg, für bestimmte konkrete Konflikte das dazu passende Verfahren zu wählen.
VI. Konfliktregelung in wirtschaftlichen Unternehmen Für die Wissenschaft lohnt es sich, auch für den Bereich wirtschaftlicher Unternehmen die für die Regelung der in einem Unternehmen auftretenden Konflikte geeigneten und gebräuchlichen Konfliktlösungsalternativen herauszuarbeiten. Blicken wir zunächst auf den Fall des Ausweichens oder der Beendigung der sozialen Beziehung infolge des Konflikts, so fällt ein Unterschied zwischen dem freiwilligen und dem erzwungenen Abbruch einer Beziehung auf. Ein Beispiel für die Freiwilligkeit ist vor allem der Verkauf von Aktien, wenn ein Aktionär mit der Unternehmenspolitik oder der Entwicklung des Börsenkurses der Aktie nicht einverstanden ist. Hinzu kommen alle Akte des freiwilligen Rücktritts von einem Amt im Unternehmen und des Ausscheidens aus einem Unternehmensorgan. Die Vorgänge bleiben in der Regel geheim und sind daher wissenschaftlich schwer zu durchleuchten. Doch brauchen sie die Juristen auch nicht zu interessieren. Rechtssoziologisch könnte eine empirische Untersuchung darüber ins Auge gefasst werden, wie oft es im Verhältnis zu anderen Verfahren gelingt, einen Konflikt auf solche Weise zu beenden, und ob es dabei zu für beide Seiten billigen Ergebnissen kommt oder ob der Abbruch der Beziehung nur Ausdruck der Schwäche oder der Resignation des einen Teils ist. Fälle der erzwungenen Beendigung eines Konflikts sind der Ausschluss eines Gesellschafters aus der Gesellschaft oder die Auf1012
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lösung der Gesellschaft aufgrund der Klage einer Seite und eines daraufhin ergehenden Gerichtsurteils. Die Konfliktbewältigung durch Nachgeben kann schon aus begrifflichen Gründen nur freiwillig sein, obgleich die Umstände eines Konflikts ein solches Verhalten dringend nahe legen können. Im Unternehmensrecht kommt als Beispiel dafür die Resignation einer Gesellschafterminderheit angesichts des Mehrheitsprinzips und der Übermacht der Mehrheitsgesellschafter in Frage. Auch die Rücknahme einer gegen einen Gesellschafterbeschluss erhobenen Anfechtungsklage kann sich als Fall des Nachgebens darstellen. Die Beispiele lehren, dass ein wichtiges Motiv für eine solche Entscheidung die Erkenntnis der Aussichtslosigkeit eines weiteren Festhaltens an dem Konflikt sein kann, sei es, weil die Rechtslage gegen die Klage spricht, sei es, weil die Mittel fehlen, den Streit durchzustehen. Die Kompensation von bei einer einverständlichen Konfliktregelung in Kauf genommenen Nachteilen durch Vorteile an anderer Stelle erscheint vor allem für das Mitbestimmungsrecht charakteristisch. Dort ist sie nicht selten der praktikabelste Weg, einerseits die verschiedenen Interessen von Anteilseignern und Arbeitnehmern und andererseits die Erfordernisse einer Erfolg versprechenden Unternehmensleitung zum Ausgleich zu bringen. Auf der anderen Seite bieten derartige Koppelungsgeschäfte oft Anlass zur Kritik, weil sie heterogene Ansprüche miteinander verknüpfen. Ähnliches kann sich auch ereignen, wenn sich mehrere Gesellschafterstämme, die unterschiedliche Ziele verfolgen, einigen müssen. Die Frage ist dann, ob sich solche Kompensationsgeschäfte nicht zu Lasten des Unternehmens auswirken. Ein Kompromiss kommt überall in Frage, wo finanzielle Mittel eines Unternehmens oder Macht und Ansehen geteilt werden können oder wo sonst die Erledigung eines Streits durch wechselseitiges Entgegenkommen möglich ist. Kompromisse wird man daher auch in Wirtschaftsunternehmen als das häufigste und wichtigste Mittel der freiwilligen Konfliktbereinigung ansehen können. Beispiele sind leicht zu finden, namentlich wenn es um die Verteilung der Unternehmensgewinne geht. In der rechtssoziologischen Theorie werden Kompromisse, wie bereits angedeutet15, als das geeignete Instrument zur Beilegung von Rollenkonflikten betrachtet. Ihre Beobachtung und Analyse führt in jedem Fall zu der Frage, ob es sich um einen faulen Kompromiss handelt oder einen guten, der geeignet ist, den zugrunde liegenden Konflikt tatsächlich zu beenden, und der den Beteiligten ermöglicht, auch in Zukunft zum Nutzen des Unternehmens miteinander zu kooperieren. Offener und mit Gewalt ausgetragener Kampf ist im Rechtsstaat auch innerhalb wirtschaftlicher Unternehmen ausgeschlossen. Dagegen muss mit gewaltlosen und verdeckten Kämpfen um Macht, herausgehobene Positionen oder wirtschaftliche Vorteile überall gerechnet werden. Sie gehören zum Prinzip des Wettbewerbs. Stärker als andere Konfliktlösungsmechanismen drohen sie jedoch, eine destruktive Dynamik entfalten. Daher ist es dringlich, sie, nicht
__________ 15 Siehe oben IV.
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zuletzt mit den Mitteln des Rechts und der Macht des Staates, in Grenzen zu halten, die eine solche Eskalation verhindern. Die Formen der Konfliktentscheidung mit Hilfe Dritter können in Wirtschaftsunternehmen nach der Erfahrung nicht mit bestimmten Konfliktfällen in Beziehung gesetzt werden. Die Beratung durch Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und auch durch andere Experten wird in zahllosen Fällen in Anspruch genommen, welche der Öffentlichkeit nicht bekannt werden. Auch Rechtsgutachten erfüllen eine Beratungsaufgabe. Für die rechtssoziologische Betrachtung könnte die Frage aufgeworfen und untersucht werden, ob die Beratung überwiegend und typischerweise zur Beendigung eines Konflikts führt. Wenn beide Beteiligten sich von verschiedenen Sachverständigen beraten lassen, liegt die Vermutung nahe, dass es eher zu einer Eskalation kommt. Ein formelles Mediationsverfahren ist im Unternehmensbereich selten. Informelle Vermittlungen bleiben gleichfalls geheim, so dass sich zu ihrer Häufigkeit und zu den Erfolgsquoten wiederum nur Vermutungen anstellen lassen. Dagegen ist die Schlichtung von Streitigkeiten durch Schiedsgerichte häufig. Diese müssen, wie man weiß, in der Satzung einer Gesellschaft vorgesehen oder durch besonderen Schiedsvertrag eingesetzt werden, beruhen also auf einer Vereinbarung zwischen den Beteiligten. Die Gründe für die Beliebtheit der Schiedsgerichtsbarkeit sind im Unternehmensbereich so vielgestaltig wie sonst. Im Vordergrund stehen die geringere Förmlichkeit des Verfahrens, die spezielle Sachkunde von Schiedsrichtern, die keine Juristen zu sein brauchen, die schnellere und kostengünstigere Erledigung eines Streits als wenn er vor den staatlichen Gerichten ausgetragen wird, und der Wunsch, die mit dem ordentlichen Zivilprozess verbundene Publizität zu vermeiden. In diesem Rahmen werden Schiedsverfahren vorzugsweise bei Personengesellschaften und bei der GmbH als zur Konfliktregelung geeignet angesehen. Sie sind insbesondere auch gebräuchlich in Fällen, in denen sich die Interaktion zwischen den Beteiligten nicht in der Wahrnehmung ihrer formalen Rolle als Gesellschafter erschöpft, sondern zugleich langfristige persönliche und emotionale Bindungen erzeugt. Für derartige Fälle hat sich inzwischen ein starkes Bedürfnis nach einer großzügigen Zulassung der Schiedsgerichtsbarkeit entwickelt, dem der Bundesgerichtshof nach langem Zögern Rechnung getragen hat, indem er, abweichend von seiner früheren Judikatur16, nunmehr auch solche Schiedsklauseln als wirksam anerkennt, die sich auf Streitigkeiten über die Aufbringung des Stammkapitals oder auf Beschlussmängelstreitigkeiten beziehen17. Bei Aktiengesellschaften sind, soweit ersichtlich, vergleichbare Schiedsklauseln nicht üblich. Ein mit der GmbH vergleichbarer Druck, sie einzuführen, lässt sich nicht erkennen. Anscheinend werden sie infolge der anderen Struktur der Gesellschaft, der Vielzahl der Beteiligten und des bis ins Einzelne festgelegten Organisationsgefüges der Aktiengesellschaft nicht als passend und hilfreich
__________ 16 Noch in BGHZ 132, 278. 17 BGHZ 160, 127 und 180, 221.
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betrachtet. Auch bei Streitigkeiten, welche sich auf die Vergütung von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern beziehen, sind Schiedsverfahren wenig bekannt, vermutlich, weil der Aufsichtsrat als Kollegialorgan darüber entscheidet. Für die meisten anderen Konflikte, namentlich solche, die sich auf die Unternehmenspolitik, auf die Kompetenzabgrenzung zwischen mehreren Unternehmensorganen oder auf die Mitbestimmung beziehen, führt die gesetzliche Beschränkung der Schiedsgerichtsbarkeit auf vermögensrechtliche Angelegenheiten zur Unzulässigkeit von Schlichtungsvereinbarungen18. Diese müssen nach geltendem Recht vielmehr im regulären Gerichtsprozess geklärt werden, in dem die Gerichte an die geltenden Gesetze gebunden sind. Der oben dargestellte funktionale Unterschied zwischen Gesetz und Richterspruch und die wechselseitige Ergänzung und Kontrolle zwischen Gesetzgeber und Richter wirken sich auch bei unternehmensrechtlichen Streitigkeiten aus. Dabei fällt auf, dass das Gewicht zwischen beiden verschieden verteilt ist. Im Aktienrecht und auch im Mitbestimmungsrecht sind die gesetzlichen Vorschriften ungewöhnlich umfangreich und dicht. Da sie ganz überwiegend zwingendes Recht enthalten, lassen sie den Gerichten nur einen geringen Spielraum für eigenständige Regelungen. Auch soweit die Parteien privatautonome Konfliktlösungen anstreben, werden sie sich regelmäßig am Gesetz orientieren, denn eine Einigung zwischen ihnen ist nur rational, wenn keine Partei darauf hoffen kann, vor Gericht ein für sich besseres Ergebnis zu erreichen. Im Gegensatz dazu begnügt sich das GmbH-Gesetz mit einer weitmaschigen Regelung, die im Wesentlichen nur die Grundstruktur der Gesellschaft festlegt. Es lässt auf diesem Weg sowohl den Beteiligten als auch den zur Entscheidung von Streitigkeiten berufenen Gerichten einen weiten Gestaltungsspielraum. Aktienrecht ist überwiegend Gesetzesrecht, GmbH-Recht weitgehend Richterrecht.
VII. Schluss Als Ergebnis der vorstehenden Untersuchungen können wir nach alldem die Feststellung treffen, dass die rechtssoziologische Theorie, wonach für Rollenkonflikte Schlichtungsverfahren das am besten geeignete Konfliktbereinigungsinstrument bilden, im Unternehmensrecht nur begrenzt zutrifft. Am ehesten passt die Schlichtung für Streitigkeiten zwischen Gesellschaftern einer GmbH, während Schiedsverfahren bei der Aktiengesellschaft kaum eine Bedeutung haben. Der Grund liegt darin, dass der Staat die Zulässigkeit von Schiedsverfahren beschränkt, so dass diese sich nicht allein nach den Bedürfnissen der Unternehmenspraxis entfalten können, und dass das Aktienrecht dichte und überwiegend zwingende Vorschriften aufstellt, die es den Beteiligten nahe legen, sich auch zur Bereinigung ihrer Konflikte daran zu orientieren und, wenn die Entscheidung eines Streits durch einen Dritten notwendig wird, sich gleich an die staatlichen Gerichte zu wenden.
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18 Das könnte anders werden, wenn es zur gesetzlichen Zulassung von Mitbestimmungsvereinbarungen kommt.
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Eine weitere wichtige Einsicht betrifft den Unterschied zwischen der rechtsdogmatischen und der rechtssoziologischen Perspektive der Erforschung von sozialen Konflikten und Konfliktlösungsmethoden. Die Rechtssoziologie schaut auf soziale Konflikte gleichsam von unten. Sie analysiert und typisiert die Eigenart der Konflikte und die Wirkungsweise der zur Verfügung stehenden Konfliktlösungsinstrumente, und sucht dann nach den geeigneten Wegen, sie konstruktiv zu bewältigen. Dabei beschäftigt sie sich primär mit den in der Praxis gebräuchlichen, aber freiwilligen und daher unterhalb der Schwelle des Rechts und des formellen Rechtsgangs verbleibenden Methoden der Lösung. Im Gegensatz dazu setzt die Rechtsdogmatik bei dem in Gesetzen und Gerichtsurteilen enthaltenen geschriebenen Recht an und konzentriert sich auf deren Auslegung und Kritik. So erfasst sie die zugrunde liegenden realen Konflikte nur in einer ausgedünnten, auf Rechtsprobleme zugespitzten und beschränkten Gestalt. Die soziale Tragweite der Konflikte und die Wirkungsweise der in der Realität angewandten Konfliktlösungsinstrumente sind nicht ihr Thema. Sie blickt von einem hohen Berg auf das soziale Geschehen hinunter mit der Folge, dass sie viele Einzelheiten nicht mehr wahrnimmt.
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Haftung von Aufsichtsrat und Vorstand nach dem VorstAG Inhaltsübersicht Einleitung I. Wesentliche Neuerungen des VorstAG 1. Ausgestaltung der Vergütung 2. Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats 3. Kontrolle durch Aktionäre und Öffentlichkeit II. Änderung der Haftungsgrundlage? III. Haftung des Aufsichtsrats 1. Haftungsvoraussetzungen a) Sorgfaltspflichtverletzung aa) Sorgfaltsmaßstab bb) Business Judgement Rule b) Umfang der Sorgfaltspflichten im Einzelnen aa) Festsetzung angemessener Vorstands- und Versorgungsbezüge (1) Gebot der Angemessenheit (2) Gebot der Üblichkeit (3) Gebot der Nachhaltigkeit bb) Herabsetzung unbilliger Vorstandsbezüge (1) Verschlechterung der Lage der Gesellschaft
(2) Unbilligkeit der Weitergewährung der Bezüge (3) Soll-Vorschrift cc) Herabsetzung unbilliger Versorgungsbezüge (1) Voraussetzungen (2) Frist und Dauer (3) Kann-Vorschrift? c) Schaden d) Kausalität e) Verschulden 2. Darlegungs- und Beweislast 3. Haftungsmodalitäten 4. Haftungsausschluss und -beschränkungen 5. Geltendmachung und gerichtliche Zuständigkeit 6. Aufsichtsratshaftung in der GmbH IV. Haftung des Vorstands V. D&O-Versicherung VI. Schlussbemerkung
Einleitung Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) ist am 5. August 2009 in Kraft getreten1. Es hat im Bereich der Vorstandsvergütung neue Anforderungen an die Ausgestaltung von Vergütungsmodellen auf Vorstandsebene gestellt. Aufsichtsrat und Vorstand sind veranlasst, die bisherigen Vergütungsstrukturen zu überarbeiten und haben dabei eine Reihe von Parametern zu berücksichtigen. Mit steigenden gesetzlichen Anforderungen gewinnt die Frage der Haftung von Aufsichtsrats- und Vorstandsmitgliedern nach
__________ 1 BGBl. I 2009, S. 2509.
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dem VorstAG an Bedeutung. Der nachfolgende Beitrag soll dieser Frage gewidmet sein.
I. Wesentliche Neuerungen des VorstAG Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung zielt auf drei Aspekte ab. Erstens sollen die Anreize in der Vergütungsstruktur in Richtung einer auf Nachhaltigkeit und Langfristigkeit ausgerichteten Unternehmensführung gestärkt werden. Zweitens soll die Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats für die Ausgestaltung der Vorstandsvergütung konkretisiert werden. Drittens gilt es, die Transparenz der Vorstandsvergütung gegenüber den Aktionären und der Öffentlichkeit zu verbessern2. 1. Ausgestaltung der Vergütung Im Hinblick auf die Ausgestaltung der Vergütung wurde das Angemessenheitsgebot konkretisiert. Die Gesamtbezüge des Vorstandsmitglieds müssen künftig in einem angemessenen Verhältnis nicht nur zur Lage der Gesellschaft und den Aufgaben des Vorstandsmitglieds, sondern auch zu dessen Leistungen stehen (§ 87 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AktG)3. Zudem dürfen die Gesamtbezüge die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen (§ 87 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AktG). Bei börsennotierten Gesellschaften ist die Vergütungsstruktur auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten (§ 87 Abs. 1 Satz 2 AktG). Variable Vergütungsbestandteile sollen insofern eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben (§ 87 Abs. 1 Satz 3 Hs. 1 AktG) und für außerordentliche Entwicklungen soll eine Begrenzungsmöglichkeit vereinbart werden (§ 87 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 AktG). D&O-Versicherungen müssen zwingend einen Selbstbehalt des Vorstandsmitglieds von mindestens 10 % des jeweiligen Schadens bis mindestens zur Höhe des Eineinhalbfachen der jährlichen Festvergütung vorsehen (§ 93 Abs. 2 Satz 3 AktG). Ferner wurde die Wartezeit für die erstmalige Ausübung von Aktienoptionen von zwei auf vier Jahre verlängert (§ 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG). 2. Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats Was die gesteigerte Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats betrifft, darf die Entscheidung über die Vergütung des Vorstands künftig nicht mehr an einen Ausschuss delegiert werden, sondern ist vom Plenum des Aufsichtsrats zu treffen (§ 107 Abs. 3 Satz 3 AktG). Ein etwaiger Personalausschuss hat insofern nur noch vorbereitende Funktion. Die Regelung über die Herabsetzung von Vor-
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2 Vgl. BT-Drucks. 16/12278, S. 1. 3 Die Liste der beispielhaft aufgezählten, ausdrücklich zu berücksichtigenden Vergütungsbestandteile im Sinne des § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG wurde um „anreizorientierte Vergütungszusagen wie Aktienbezugsrechte“ erweitert. Damit ist lediglich eine Klarstellung bezweckt; auch bislang wurden Aktienoptionen und andere Vergütungen mit langfristiger Anreizwirkung zu den „Gesamtbezügen“ gezählt.
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standsvergütungen wurde modifiziert. Der Aufsichtsrat hat künftig nicht nur das „Recht“ der Herabsetzung im Fall einer „wesentlichen Verschlechterung“ der Lage der Gesellschaft, die zu einer „schweren Unbilligkeit“ im Hinblick auf die Fortzahlung der bisherigen Vergütung führt. Vielmehr soll er dies bereits bei einer bloß einfachen Verschlechterung und der daraus resultierenden Unbilligkeit tun (§ 87 Abs. 2 Satz 1 AktG)4. Zudem soll unter den genannten Voraussetzungen auch eine Herabsetzung von Ruhegehältern, Hinterbliebenenbezügen und Leistungen verwandter Art in den ersten drei Jahren nach Ausscheiden vorzunehmen sein (§ 87 Abs. 2 Satz 2 AktG). Darüber hinaus sieht das VorstAG nunmehr ausdrücklich eine Haftung des Aufsichtrats vor. Nach § 116 Satz 3 AktG machen sich die Aufsichtsratsmitglieder schadensersatzpflichtig, wenn sie die Vergütung unangemessen festsetzen5. 3. Kontrolle durch Aktionäre und Öffentlichkeit In Bezug auf das Ziel der Transparenz der Vorstandsvergütung können Hauptversammlungen börsennotierter Gesellschaften künftig einen Beschluss über die Billigung des Vergütungssystems fassen. Der nicht anfechtbare Beschluss begründet keine Rechte und Pflichten und befreit den Aufsichtsrat nicht von seiner Verantwortlichkeit für die Vergütungsfestsetzung (§ 120 Abs. 4 AktG). Ferner müssen im Anhang von Jahres- und Konzernabschlüssen künftig detaillierte Angaben zu den Leistungen an Vorstandsmitglieder bei vorzeitiger und regulärer Beendigung der Vorstandstätigkeit gemacht werden (§§ 285 Nr. 9a Satz 6; 314 Abs. 1 Nr. 6a Satz 6 HGB). Durch einen qualifizierten Hauptversammlungsbeschluss (sogenannter „Opt Out“) kann jedoch von einer Offenlegung der Vergütung im Fall des Ausscheidens abgesehen werden (§§ 286 Abs. 5 Satz 1, 314 Abs. 2 Satz 2 HGB).
II. Änderung der Haftungsgrundlage? Die Haftung für unangemessene Vergütung als solche ist kein Novum. Aufsichtsratsmitglieder haben sich schon bisher gemäß §§ 116, 93 AktG schadensersatzpflichtig gemacht6. Auch Vorstandsmitglieder hafteten nach überwiegen-
__________ 4 Bei Ruhegehältern, Hinterbliebenenbezügen und Leistungen verwandter Art ist eine solche Herabsetzungsmöglichkeit nur in den ersten drei Jahren nach Ausscheiden gegeben (§ 87 Abs. 2 Satz 2 AktG). 5 Zudem dürfen ehemalige Vorstandsmitglieder grundsätzlich erst nach einer zweijährigen Karenzzeit in den Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft wechseln. Eine Ausnahme ist nur für den Fall vorgesehen, dass die Wahl in den Aufsichtsrat auf Vorschlag von Aktionären erfolgt, die mehr als 25 % der Stimmrechte an der Gesellschaft halten (§ 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG). 6 LG München I, AG 2007, 458; Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 87 Rz. 8; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 87 Rz. 79; Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1988, § 87 Rz. 3; Kort in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2006, § 87 Rz. 70; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 87 Rz. 28; Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, AktG, 2007, § 87 Rz. 7; Wiesner in MünchHdb. GesR, Band 4, 3. Aufl. 2007, § 21 Rz. 29.
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der Meinung in der Literatur gemäß § 93 AktG7. Neu ist jedoch die Verschärfung der Haftung infolge gesteigerter Anforderungen an die Angemessenheit der Vorstandsvergütung. Aus dem VorstAG ergeben sich für Aufsichtsrat und Vorstand zusätzliche Haftungsrisiken. Zwar hat der Deutsche Corporate Governance Kodex schon seit der ersten Fassung von 2002 Grundsätze für die Vorstandsvergütung festgelegt. Die Vorgaben des VorstAG gehen indes über diese Grundsätze hinaus. Insgesamt ist daher Sorgfalt geboten. Nachfolgend werden zunächst die Aufsichtsratshaftung und sodann die Vorstandshaftung nach dem VorstAG thematisiert.
III. Haftung des Aufsichtsrats Die Grundnorm der Schadensersatzhaftung eines Aufsichtsratsmitglieds bildet die Vorschrift des § 116 i. V. m. § 93 AktG. Danach haben Aufsichtsratsmitglieder ihr Amt mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds auszuüben. Genügt ein Aufsichtsratsmitglied dieser Pflicht schuldhaft nicht, hat es der Gesellschaft den ihr hieraus entstehenden Schaden zu ersetzen. 1. Haftungsvoraussetzungen Ausgehend von den Grundlagen der Aufsichtsratshaftung lassen sich demnach für eine Schadensersatzpflicht wegen unangemessener Vorstandsvergütung vier Voraussetzungen aufstellen. Erforderlich sind das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung, der Eintritt eines Schadens sowie Kausalität und Verschulden. a) Sorgfaltspflichtverletzung Nach § 116 Satz 3 AktG sind Aufsichtsratsmitglieder zum Schadensersatz verpflichtet, wenn sie eine unangemessene Vergütung festsetzen. § 116 Satz 3 AktG verweist dabei auf § 87 Abs. 1 AktG. Nach dieser Vorschrift hat der Aufsichtsrat dafür Sorge zu tragen, dass die Gesamtbezüge in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen der Vorstandsmitglieder sowie der Lage der Gesellschaft stehen und die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen. Diese Pflichten richten sich dabei nicht nur an das Organ als Gesamtheit, sondern an jedes einzelne Mitglied.
__________ 7 Hefermehl in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, 1973/74, § 87 Rz. 10; Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1988, § 93 Rz. 30, 69; Fleischer in Spindler/ Stilz, AktG, 2008, § 87 Rz. 29; Semler in Liber amicorum Wilhelm Happ, 2006, S. 277 ff.; Ziemons in FS Huber, 2006, S. 1035, 1043; Schwark in FS Raiser, 2005, S. 377, 394 f.; Peltzer in FS Lutter, 2000, S. 571, 578; Kort, DStR 2007, 1127, 1132; a. A. BGH, ZIP 2006, 72, 81 (Mannesmann); Hopt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rz. 160; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 87 Rz. 9; Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), 155, 157.
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aa) Sorgfaltsmaßstab Die ordnungsgemäße Pflichtenerfüllung ist von allen Aufsichtsratsmitgliedern gleichermaßen geschuldet8. Jedes Mitglied muss im Sinne eines Mindeststandards die nötigen Kenntnisse aufweisen oder sich verschaffen, um die Angemessenheit der Vorstandsvergütung beurteilen zu können. Bei der Festsetzung der Vergütung haben sie die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds walten zu lassen (§ 116 Satz 1 i. V. m. § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG). Der Maßstab für die an sie gestellten Sorgfaltsanforderungen ist also ein objektiver. Liegen hingegen besondere spezielle berufstypische Kenntnisse – etwa als Vergütungsberater – vor, sind diese im Rahmen der Festlegung der zu erwartenden Sorgfalt zu berücksichtigen9. bb) Business Judgement Rule Durch den Verweis des § 116 Satz 1 AktG auf § 93 AktG gilt grundsätzlich auch die dort festgeschriebene Business Judgement Rule. Die Anwendbarkeit der Business Judgement Rule auf Vergütungsentscheidungen war in der Vergangenheit indes nicht unstreitig. Dagegen wurde vorgebracht, dass der Aufsichtsrat im Rahmen der Angemessenheitsentscheidung über einen breiten Beurteilungsspielraum verfüge. Ein zusätzliches Ermessen im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung sei deshalb nicht notwendig10. Mit der Business Judgement Rule ist jedoch kein zusätzliches Ermessen verbunden11. Sie bildet vielmehr den Rechtfertigungsgrund für den Beurteilungsspielraum. Sinn und Zweck ist es, dem Aufsichtsrat bei unternehmerischen Entscheidungen eine Einschätzungsprärogative einzuräumen. Es kommt darauf an, dass die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: Erste Voraussetzung ist, dass es sich bei der Festlegung der Vergütung um eine unternehmerische Entscheidung handelt. In den Grenzen des gesetzlich vorgegebenen Rahmens liegt es im unternehmerischen Ermessen, ob eher ein hohes oder niedriges Vergütungsniveau angestrebt wird12. Es obliegt daher grundsätzlich der Prognose des Organs, ob und mit welchen Anreizwirkungen der Unternehmenserfolg am wirksamsten sichergestellt werden kann. Hierbei hat es jedoch zu berücksichtigen, dass das VorstAG eine Orientierung am langfristigen Erfolg gegenüber einer Orientierung am kurzfristigen Erfolg vorschreibt13.
__________ 8 Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 116 Rz. 2 m. w. N. 9 Doralt in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 2. Aufl. 2003, § 13 Rz. 58. 10 Schwark in FS Raiser, S. 377, 391 f.; vgl. auch Kort, DStR 2007, 1127, 1132; Hopt/ Roth in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2006, § 93 Rz. 56 (keine Anwendung bei spezialgesetzlichen Vorschriften). 11 Vgl. bereits Brauer, NZG 2004, 502, 504. 12 Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1, 10; Hohaus/Weber, DB 2009, 1515, 1517; Hohenstatt, ZIP 2009, 1349; 1354; Lingemann, BB 2009, 1918, 1922 f.; Annuß/Theusinger, BB 2009, 2434, 2440; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 721; Spindler, NJOZ 2009, 3282; van Kann/Keiluweit, DStR 2009, 1587. 13 Vgl. Begründung des Fraktionsentwurfs, BT-Drucks. 16/12278, S. 1.
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Zweite Voraussetzung ist, dass das Aufsichtsratsmitglied annehmen darf, bei der Festsetzung der Vergütung zum Wohl der Gesellschaft zu handeln. Überhöhte Vergütungen, die ausschließlich dem Interesse des Vorstandsmitglieds dienen sollen, sind unzulässig. Dritte Voraussetzung ist, dass das Aufsichtsratsmitglied bei der Vergütungsentscheidung frei von Interessenkonflikten handelt. Solche Interessenkonflikte sind nicht selten. Das gilt etwa für den Aufsichtsrat in der Tochter, der seinerseits im Vorstand der Mutter sitzt und daher Interesse an einem konzernweit hohen Vergütungsniveau haben kann, oder für Aufsichtsräte, die als Lieferanten oder Berater ein Interesse an einem gewissen Wohlverhalten gegenüber dem Aufsichtsrat haben. Soweit derartige Interessenkonflikte bestehen, ist eine Berufung auf die Business Judgement Rule unzulässig14. Vierte und letzte Voraussetzung für die Anwendung der Business Judgement Rule ist, dass die Vergütungsentscheidung auf der Grundlage angemessener Informationen getroffen wird. Hier liegt der für die Praxis wichtigste Punkt. Vergütungsentscheidungen sind sorgfältig vorzubereiten und zu begründen15. Im Hinblick auf das Kriterium der Üblichkeit der Vergütung empfiehlt es sich, Vergütungsstudien für Vorstandsmitglieder heranzuziehen. Die Einhaltung des dort abgesteckten Vergleichsrahmens kann als Nachweis für die Üblichkeit der Vergütung dienen. Die Vielgestaltigkeit der Vergütungssysteme und die Individualität der Vorstandstätigkeit schließen indes eine 1:1-Übertragung in der Regel aus. Vergütungsstudien sind auf Vergütungstatbestände und -tendenzen ausgerichtet. Dem besonders gelagerten Einzelfall werden sie deshalb nicht immer gerecht. Insbesondere in Fällen, in denen die geplante Vergütung den oberen Vergleichsrahmen erreicht, ist es daher zur Vermeidung von Haftungsrisiken ratsam, ein individualisiertes Votum von Vergütungsberatern einzuholen. Auch bei der Beratung durch externe Sachverständige bleibt der Aufsichtsrat indes für die Angemessenheit der Vergütung verantwortlich. Die ratsuchenden Aufsichtsratsmitglieder müssen den Vergütungsexperten nicht nur sorgfältig informieren und kontrollieren. Nach dem Kodex haben sie insbesondere auch für dessen Unabhängigkeit von Vorstand und Unternehmen zu sorgen16. Der Vergütungsberater sollte deshalb nicht der laufende Berater der Gesellschaft sein. Zur eigenen Absicherung ist es insofern ratsam, von dem Vergütungsberater eine Art Unabhängigkeitserklärung einzuholen. Dieser hat dann zu erklären, ob und welche geschäftlichen Beziehungen zwischen ihm bzw. seiner Gesellschaft und der Aktiengesellschaft sowie deren Vorstandsmitgliedern bestehen17. Die Business Judgement Rule greift vor diesem Hintergrund nur, wenn der Aufsichtsrat Interessenkonflikte ausgeschlossen, den Vergütungsberater über sämtliche vergütungsrelevanten Umstände aufgeklärt und sein Votum auf Plausibilität geprüft hat18.
__________ 14 15 16 17 18
Lutter, ZIP 2007, 841, 847. Vgl. auch Nikolay, NJW 2009, 2640, 2642. Ziff. 4.2.2 DCGK i. d. F. v. 26.5.2010. Fleischer, BB 2010, 67, 71. Fleischer, BB 2010, 67, 70 f.
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Zusammenfassend ist danach festzuhalten, dass es sich bei der Festsetzung der Vorstandsvergütung um eine unternehmerische Entscheidung handelt. Die Aufsichtsratsmitglieder haben einen weiten Beurteilungsspielraum. Eine Pflichtverletzung ist ausgeschlossen, solange die Grenzen eines am Gesellschaftswohl orientierten Handelns auf sorgfältiger Informationsbasis nicht überschritten sind. b) Umfang der Sorgfaltspflichten im Einzelnen Nach § 116 Satz 3 AktG sind Aufsichtsratsmitglieder zum Ersatz verpflichtet, wenn sie eine unangemessene Vergütung festsetzen. Die Vorschrift verweist ausschließlich auf § 87 Abs. 1 AktG. Damit ist indes keine Einschränkung der bislang geltenden Haftungsgrundsätze verbunden. Ausweislich der Begründung des Fraktionsentwurfs hat § 116 Satz 3 AktG n. F. nur klarstellenden Charakter19. Aufsichtsratsmitglieder haften daher – wie bislang20 – auch, wenn sie entgegen § 87 Abs. 2 AktG eine Herabsetzung der unbilligen Vergütung unterlassen21. aa) Festsetzung angemessener Vorstands- und Versorgungsbezüge Bei der Festsetzung der Vergütung werden dem Aufsichtsrat nach § 87 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 AktG drei Gebote auferlegt. Er hat das Gebot der Angemessenheit, das Gebot der Üblichkeit und das Gebot der Nachhaltigkeit zu beachten. Die Gebote gelten nach § 87 Abs. 1 Satz 4 AktG sinngemäß für Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art. (1) Gebot der Angemessenheit Das Gebot der Angemessenheit ist nicht neu. Schon nach der alten Gesetzesfassung des § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG hatte der Aufsichtsrat dafür zu sorgen, dass die Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmitglieds und zur Lage der Gesellschaft stehen. Als zusätzliches Vergleichskriterium hat der Gesetzgeber nunmehr die Leistungen des Vorstandsmitglieds eingeführt. Es wurde bereits verschiedentlich konstatiert, dass damit keine Änderung der materiellen Rechtslage verbunden sei22. Dem ist zuzustimmen. Noch nicht abschließend geklärt ist indes, welcher Art und Weise die Leistungsbeurteilung zu sein hat. Die Frage gewinnt dabei gerade mit Blick auf die Vermeidung von Haftungsrisiken an Bedeutung. Drei Gesichtspunkte sollen herausgegriffen werden.
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19 Vgl. BT-Drucks. 16/12278, S. 8. 20 Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2008, § 87 Rz. 35; Kort in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 87 Rz. 302; Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1988, § 87 Rz. 302. 21 Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1, 10; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 731; Annuß/Theusinger, BB 2009, 2434, 2440; Greven, BB 2009, 2154, 2155; van Kann/Keiluweit, DStR 2009, 1587, 1591. 22 Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1; Lingemann, BB 2009, 1918; Bosse, BB 2009, 1650; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 718.
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Erstens ist die einzelne Leistung des Vorstandsmitglieds und nicht die Leistung des Gesamtgremiums maßgeblich23. Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex. Der Kodex a. F. hatte zusätzlich zur persönlichen Leistung des Vorstandsmitglieds auf die Leistung des Vorstands abgestellt24. Hiervon hat der Gesetzgeber abgesehen und in der Folge auch die Kodex-Kommission25. Zweitens sind die erbrachten Leistungen als Vorstandsmitglied der Gesellschaft und nicht die künftigen in Ansatz zu bringen26. Die Begründung des Fraktionsentwurfs spricht insofern davon, dass die Heranziehung der bisherigen Leistungen jedenfalls bei Vertragsverlängerungen sinnvoll sei27. Bei der Erstbestellung kann gegebenenfalls auf interne und externe Bewertungen zurückgegriffen werden; bei Vertragsverlängerungen müssen die für die Gesellschaft als Vorstandsmitglied erbrachten Leistungen in die Beurteilung einfließen28. Drittens ist auf den Erfolg der Leistungen des Vorstandsmitglieds abzustellen29. Der Erfolg der Vorstandsleistung wird im Erfolg des Unternehmens sichtbar. Dieser spiegelt sich zum einen in den Jahresabschlüssen wider. Zum anderen bieten sich zur Bemessung des Erfolges aber auch Zielvereinbarungen an, die mit den einzelnen Vorstandsmitgliedern vereinbart werden. Zusammenfassend handeln Aufsichtsratsmitglieder demnach unter dem Aspekt des Gebots der Angemessenheit pflichtwidrig, wenn sie bei der Festsetzung der Vorstandsbezüge gar nicht oder einseitig auf die Aufgaben oder Leistungen des Vorstandsmitglieds bzw. die Lage der Gesellschaft abstellen. Denkbar sind Pflichtverletzungen u. a. in folgenden Fällen: – Dem Vorstandsmitglied werden Bezüge gewährt, deren Höhe zwar die Lage der Gesellschaft noch rechtfertigen würde, die aber nicht aufgaben- und leistungsgerecht sind. – Möglich ist auch die umgekehrte Konstellation: Dem Vorstandsmitglied werden Bezüge gewährt, die zwar aufgaben- und leistungsgerecht sind, aber nicht die schlechte wirtschaftliche Lage der Gesellschaft berücksichtigen. – Ferner kann die Festsetzung von Bezügen unangemessen sein, wenn die Vorstandsbezüge zwar die Lage der Gesellschaft und den Aufgabenbereich des Vorstandsmitglieds, aber nicht seine persönlichen Leistungen spiegeln, die hinter dem Erfolg des Gesamtvorstands zurückbleiben.
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23 Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 719; Suchan/Winter, DB 2009, 2531, 2533; zweifelnd Fleischer, NZG 2009, 801, 802. 24 Vgl. Ziff. 4.2.2 Abs. 2 Satz 2 Kodex a. F. 25 Nach der an das VorstAG angepassten Ziff. 4.2.2 Abs. 2 Satz 2 des Kodex n. F. ist Kriterium der Angemessenheit nur die persönliche Leistung. 26 Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 718; a. A. Nikolay, NJW 2009, 2640, 2641; Annuß/ Theusinger, BB 2009, 2434, 2435. 27 BT-Drucks. 16/12278, S. 6. 28 Nikolay, NJW 2009, 2640, 2641; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 718. 29 Hoffmann-Becking, NZG 1999, 797, 798; ders., ZHR 169 (2005), 155, 158 f.; Ringleb in Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, DCGK, 3. Aufl. 2008, Rz. 710; zweifelnd Suchan/Winter, DB 2009, 2531, 2532.
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(2) Gebot der Üblichkeit Zusätzlich zum Gebot der Angemessenheit hat der Vorstand bei der Festsetzung der Vorstandsvergütung das Gebot der Üblichkeit zu berücksichtigen. In § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG n. F. heißt es, dass die Bezüge „die übliche Vergütung nicht ohne besondere Gründe übersteigen“ dürfen. Die Üblichkeit der Vergütung war als Vergleichskriterium auch schon bislang anerkannt; maßgebliche Basis war eine Vergütung, wie sie einem Vorstandsmitglied mit entsprechenden Aufgaben in einer vergleichbar großen Aktiengesellschaft in ähnlicher wirtschaftlicher Lage gezahlt wird30. Die ausdrückliche Verankerung im Gesetz wirft vor allem drei Fragen auf. In erster Linie ist das Verhältnis der Kriterien Angemessenheit und Üblichkeit näher zu bestimmen. Insofern kann als Faustregel der Satz gelten, dass eine übliche Vergütung in der Regel auch angemessen ist, wobei die Angemessenheit die Berücksichtigung der genannten Leistungskriterien erfordert. Heranzuziehen ist etwa der Vergleichsrahmen, wie er sich aus Vergütungsstudien ergibt31. Aus der Einführung des Kriteriums der Üblichkeit neben der Angemessenheit folgt indes keine Notwendigkeit zur Vereinheitlichung der Vorstandsbezüge. Aus dem Gesetz ergibt sich vielmehr, dass besondere Gründe eine überdurchschnittlich hohe Vergütung rechtfertigen können. Bei der Vergütungsentscheidung hat der Aufsichtsrat demnach zu fragen, ob die Vergütung üblich ist – und falls ja –, ob sie sich im Rahmen des Angemessenen hält bzw. – falls nein –, ob besondere Gründe das Überschreiten legitimieren32. In einem zweiten Schritt soll deshalb der Frage nachgegangen werden, wonach sich die Üblichkeit der Vergütung bemisst; bevor in einem dritten Schritt geklärt werden soll, was die besonderen Gründe sind, die eine Abweichung von der üblichen Vergütung rechtfertigen. Nach der Begründung des Fraktionsentwurfs und dem Bericht des Rechtsausschusses ist sowohl auf die horizontale als auch die vertikale Vergleichbarkeit der Vergütung abzustellen33. Die horizontale Vergleichbarkeit betrifft die Landesüblichkeit und Branchengröße. Grundsätzlich sind deshalb die Gesamtbezüge von Vorständen deutscher branchenzugehöriger Aktiengesellschaften gleicher Größe und Struktur Vergleichsbasis. Nur im Ausnahmefall kann unter Berufung auf besondere Gründe – dazu sogleich – auf die Verhältnisse ausländischer Gesellschaften abgestellt werden. Die vertikale Vergleichbarkeit betrifft das Lohn- und Gehaltsgefüge innerhalb des Unternehmens. Dabei soll darauf geachtet werden, dass die Gesamtbezüge des Vorstandsmitglieds nicht das erforderliche Maß und den Bezug zum Vergütungssystem im Unternehmen verlieren34. Konkrete Vorgaben zum zulässigen Gefälle zwischen Vorstand und Arbeitnehmern werden nicht gemacht.
__________ 30 31 32 33 34
Kort in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2006, § 87 Rz. 41 ff. Suchan/Winter, DB 2009, 2531, 2535. Lingemann, BB 2009, 1918; Bosse, BB 2009, 1650; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 719. BT-Drucks. 16/12278, S. 6; BT-Drucks. 16/13433, S. 15. Nach der an das VorstAG angepassten Ziff. 4.2.2 Abs. 2 Satz 2 des Kodex n. F. geht es um die Berücksichtigung „der Vergütungsstruktur, die ansonsten in der Gesellschaft gilt“.
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Vorschläge, die Vorstandsvergütung auf das 20-, 40- oder 60-fache der Arbeitnehmervergütung zu begrenzen, sind jedenfalls nicht Gesetz geworden35. Welche Bedeutung das Kriterium der vertikalen Üblichkeit tatsächlich in der Praxis spielen wird, bleibt deshalb abzuwarten. Im Hinblick auf ein etwaiges Auseinanderfallen von horizontaler und vertikaler Vergleichbarkeit wird jedenfalls von der herrschenden Meinung dem Prüfungsergebnis am Maßstab der horizontalen Vergleichbarkeit der Vorrang eingeräumt36. Vor diesem Hintergrund ist für einen Haftungsausschluss interessant, welche besonderen Gründe im konkreten Einzelfall eine Abweichung von der üblichen Vergütung rechtfertigen. Hierbei kann es sich nur um Ausnahmesituationen handeln. Der Aufsichtsrat muss sich jeweils fragen, ob eine unüblich hohe Vergütung zum Zweck des Wohls der Aktiengesellschaft notwendig ist. Insofern ist zwischen der horizontalen und der vertikalen Vergleichbarkeit zu unterscheiden. Die Heranziehung eines höheren Vergütungsniveaus bei ausländischen Gesellschaften erscheint zum Beispiel denkbar, wenn die Vorstandsposition angesichts internationaler Konkurrenzangebote nicht angemessen besetzt werden könnte; Beispiele bieten Unternehmen, dessen Hauptkonkurrenten nicht im Inland, sondern ausschließlich oder ganz wesentlich im Ausland anzutreffen sind37. Im Hinblick auf die gebotene Vergütungsstaffelung im Unternehmen wird man etwa unterschiedlichen Qualifikationsgefällen Rechnung tragen können. Der Vergleichsmaßstab der Vertikalität soll vornehmlich exzessiv überhöhte Vergütungen vermeiden38. An ihn dürften in der Praxis weniger strengere Anforderungen als an die horizontale Vergleichbarkeit gestellt werden. Zusammenfassend handeln Aufsichtsratsmitglieder demnach unter dem Aspekt des Gebots der Üblichkeit pflichtwidrig, wenn sie ungewöhnlich hohe Vergütungen festsetzen, ohne dass dafür ein besonderer Grund angeführt werden kann. – Denkbar ist dies namentlich dann, wenn bei der Festsetzung die maßgebliche Basis der horizontalen Vergleichbarkeit verlassen wird. Das ist der Fall, wenn sie Vorstandsbezüge gewähren, die von der Vergütung eines Vorstandsmitglieds mit entsprechenden Aufgaben in einer vergleichbar großen deutschen Aktiengesellschaft derselben Branche erheblich abweichen. Etwas anderes gilt nur, wenn im konkreten Einzelfall ausnahmsweise besondere Gründe vorliegen, die eine Vergütung auf diesem Niveau rechtfertigen. Eine Ausnahme ist z. B. gerechtfertigt, wenn eine über dem inländischen Ver-
__________ 35 Vgl. zur Forderung der Koppelung von Vorstands- und Arbeitnehmervergütung DGBStellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) v. 25.5.2009, S. 4. 36 Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1, 2; Fleischer, NZG 2009, 801, 802; Lingemann, BB 2009, 1918. 37 Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1; Fleischer, NZG 2009, 801, 802; Hohaus/Weber, DB 2009, 1515, 1516; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 720. 38 Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1; Lingemann, BB 2009, 1918, 1919.
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gütungsniveau liegende Vergütung gewährt wird, weil konkrete Abwerbungsgefahren seitens ausländischer Konkurrenten drohen. – Die Annahme einer Pflichtwidrigkeit wegen Außerachtlassung des vertikalen Vergleichsmaßstabs liegt demgegenüber weniger nahe. Der Maßstab der Vertikalität ist schwer justitiabel39. Dem Maßstab der Horizontalität dürfte regelmäßig Vorrang zukommen. Fälle, in denen die Vergütung das Lohnund Gehaltsgefüge des Unternehmens erheblich überschreitet, können mit Blick auf die Landes- und Branchenüblichkeit zu rechtfertigen sein. Ist dies nicht der Fall, sind sie aufgrund des horizontalen Vergleichs ohnehin bereits unzulässig. (3) Gebot der Nachhaltigkeit Für Aufsichtsratsmitglieder börsennotierter Gesellschaften hat der Gesetzgeber zusätzlich das Gebot der Nachhaltigkeit aufgewertet. Nach § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG ist die Vergütungsstruktur auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten. In welchem Umfang diese Anforderungen auch Einfluss auf die Vergütungsbestimmung nicht börsennotierter Unternehmen haben, ist mit Blick auf die künftige Rechtsprechung abzuwarten. Auch wenn der Gesetzeswortlaut das Gebot auf börsennotierte Gesellschaften beschränkt, so hat der Rechtsausschuss ausdrücklich ausgeführt, dass das Gebot der Nachhaltigkeit auch von nichtbörsennotierten Gesellschaften zu berücksichtigen ist40. Von daher ist auch den Aufsichtsratsmitgliedern nicht börsennotierter Gesellschaften zu raten, dem Aspekt der Nachhaltigkeit bei Entscheidungen über die Vorstandsvergütung Rechnung zu tragen41. Nach dem Wortlaut des § 87 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 AktG sollen variable Vergütungsbestandteile eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben. Die Bemessungsgrundlage kann dabei retrospektiv oder prospektiv ausgestaltet sein. Bei retrospektiver Bemessungsgrundlage wird die variable Vergütung auf Basis der Vergangenheitsergebnisse mehrerer Jahre ermittelt. Bei prospektiver Bemessungsgrundlage wird die variable Vergütung anknüpfend an das Ergebnis eines Geschäftsjahres von der zukünftigen Entwicklung der darauf folgenden Jahre abhängig gemacht42. Welche Anforderungen an die Mehrjährigkeit zu stellen sind, ist indes streitig. Nach einer Auffassung soll bereits ein zweijähriger Bemessungszeitraum genügen43; nach anderer Auffassung erst ein Zeitraum ab drei Jahren44, teilweise wird auch unter Bezugnahme auf die Warte-
__________ 39 Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 720. 40 BT-Drucks. 16/13433, S. 10. 41 Lingemann, BB 2009, 1918, 1919; Nikolay, NJW 2009, 2640, 2642. 42 Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1, 2. 43 Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1, 3; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 722; Suchan/Winter, DB 2009, 2531, 2138. 44 Deilmann/Otte, GWR 2009, 261, 262.
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frist für die erstmalige Ausübung von Aktienoptionen ein vierjähriger Zeitraum für notwendig gehalten45. Mit Blick auf ein etwaiges Haftungsrisiko ist hier jedenfalls bis zu einer höchstrichterlichen Klärung anzuraten, zumindest einen dreijährigen Bemessungszeitraum zugrunde zu legen46. Nach § 87 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 AktG soll der Aufsichtsrat für außerordentliche Entwicklungen eine Begrenzungsmöglichkeit vereinbaren. Im Gegensatz zur bisherigen Empfehlung im Kodex a. F.47 gilt die Vorschrift dabei nicht nur für variable Vergütungskomponenten mit langfristiger Anreizwirkung und Risikocharakter, sondern für alle variablen Vergütungsbestandteile. Außerordentliche Entwicklungen liegen vor, wenn sich wesentliche Vorstellungen, die Grundlage der Vergütungsentscheidung geworden sind, als falsch herausstellen und der Aufsichtsrat in Kenntnis dessen eine andere Vergütung festgesetzt haben würde. Der Bericht des Rechtsausschusses nennt als Beispiele für außerordentliche Entwicklungen Unternehmensübernahmen, Veräußerung von Unternehmensteilen, Hebung stiller Reserven und externe Einflüsse48. Im Hinblick auf die Begrenzungsmöglichkeit genügt es, wenn der Aufsichtsrat einen allgemein gehaltenen Vorbehalt in der Form vereinbart, dass er – gegebenenfalls nach Verhandlungen mit dem betroffenen Vorstandsmitglied – in der Lage ist, einseitig eine Begrenzung durchzusetzen49. Er kann aber auch eine finanzielle Höchstgrenze festlegen50. Die vom Gesetzgeber gewählte „Soll-Formulierung“ trägt dem Umstand Rechnung, dass das Ziel der Nachhaltigkeit der Unternehmensentwicklung mit verschiedenen Vergütungsinstrumenten erreicht werden kann. Für die Haftungsrelevanz folgt daraus, dass eine Nichtbeachtung der Sollvorschriften zwar eine Pflichtverletzung nahe legt, aber nicht automatisch begründet. Vielmehr ist entscheidend, ob durch die gewählte Vergütungsstruktur einem Kurzfristdenken im Ergebnis hinreichend entgegengewirkt wird51. Vor diesem Hintergrund können etwa erfolgsabhängige Jahresboni mit einjähriger Bemessungsgrundlage zulässig sein, wenn sie lediglich ein Element mehrerer variabler Vergütungselemente mit Langfristcharakter darstellen52. Des Weiteren ist es möglich, statt einer Begrenzungsmöglichkeit einen Beispiel-Katalog außerordent-
__________ 45 BT-Drucks. 16/12278, S. 6; Fleischer, NZG 2009, 801, 803; Bosse, BB 2009, 1650, 1651; Spindler, NJOZ 2009, 3282 (geringere Dauer als vier Jahre bedarf Begründung). 46 Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1, 3. 47 Vgl. Ziff. 4.2.2 Abs. 3 Satz DCGK a. F. 48 Vgl. BT-Drucks. 16/13433, S. 10. 49 Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1, 3; Hohenstatt/Kuhnke, ZIP 2009, 1981, 1989. 50 Vgl. BT-Drucks. 16/13433, S. 10; Lingemann, BB 2009, 1918, 1920; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 724. 51 Vgl. BT-Drucks. 16/13433, S. 10; Hohenstatt/Kuhnke, ZIP 2009, 1981, 1983 f., 1986; Seibert, WM 2009, 1489, 1490; Deilmann/Otte, GWR 2009, 261, 262; van Kann/ Keiluweit, DStR 2009, 1587, 1588. 52 Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1, 2; Deilmann/Otte, GWR 2009, 261, 262.
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licher Entwicklungen festzulegen, mit der Vorgabe, dass deren Ergebnisse nicht in die Bemessungsgrundlage für die variable Vergütung einfließen53. Zusammenfassend handeln Aufsichtsratsmitglieder demnach unter dem Aspekt des Gebots der Nachhaltigkeit pflichtwidrig, wenn das Gesamtgepräge der variablen Vergütungsbestandteile eher auf eine kurzfristige als auf eine langfristige Unternehmensentwicklung ausgerichtet ist. – Im Hinblick auf die Frage, welches Verhältnis zwischen kurz- und langfristigen variablen Vergütungsbestandteilen hergestellt werden muss, wird dabei der Grundsatz vertreten, dass die langfristigen variablen Vergütungsbestandteile von ihrer finanziellen Dotierung her mehr als die Hälfte der gesamten variablen Vergütung ausmachen54. Vergütungen, die dieses Verhältnis missachten, indizieren daher eine Sorgfaltspflichtverletzung. – Entscheidend ist allerdings stets das Gesamtbild aller Vergütungselemente. Im Einzelfall können besondere Umstände eine Übergewichtung des kurzfristigen Elements rechtfertigen. Ob solche Umstände vorliegen, ist eine unternehmerische Entscheidung im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Eine Sorgfaltspflichtverletzung scheidet etwa aus, wenn das Vorstandsmitglied durch andere Vorkehrungen am Risiko der Gesellschaft beteiligt ist. Denkbar ist dies z. B. bei der Verpflichtung, einen erheblichen Bestand an Aktien der Gesellschaft langfristig zu halten55. bb) Herabsetzung unbilliger Vorstandsbezüge Aufsichtsratsmitglieder haften nicht nur bei Festsetzung einer unangemessenen Vergütung, sondern auch bei Nichtherabsetzung unbilliger Vorstandsbezüge. Nach § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG n. F. „soll“ der Aufsichtsrat die Bezüge auf eine angemessene Vergütung im Sinne des § 87 Abs. 1 AktG herabsetzen, wenn „sich die Lage der Gesellschaft so verschlechtert, dass die Weitergewährung der Bezüge unbillig für die Gesellschaft wäre.“ Die Vorschrift stellt indes kein Instrument für eine dauerhafte Absenkung der Bezüge von Vorstandsmitgliedern dar, sondern hat für die Dauer der wirtschaftlichen Krise der Gesellschaft lediglich eine Korrekturfunktion. Daraus folgt, dass der Aufsichtsrat wieder zu einer Anhebung auf das ursprüngliche Vergütungsniveau verpflichtet ist, sobald eine Besserung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft eintritt56. Die gesetzliche Neuregelung hat in der Praxis erhebliche Rechtsunsicherheiten ausgelöst. Im Folgenden sollen die Voraussetzungen der Herabsetzungspflicht näher beleuchtet werden.
__________ 53 Dies ist in der Praxis insbesondere für die Fälle der Veräußerung ganzer Sparten oder Geschäftsbereiche von Bedeutung, durch welche der Veräußerungserlös gegebenenfalls in die Bemessungsgrundlage für die variable Vergütung einfließt. 54 Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1, 2; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 722. 55 Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1, 2. 56 Annuß/Theusinger, BB 2009, 2434, 2438.
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(1) Verschlechterung der Lage der Gesellschaft Nach der bisherigen Fassung des § 87 Abs. 2 AktG war eine „wesentliche“ Verschlechterung der Lage der Gesellschaft erforderlich. Diese Schwelle ist durch die gesetzliche Neuregelung herabgesetzt worden. Ausreichend ist nunmehr bereits eine einfache Verschlechterung der Gesellschaftslage. Insofern ist gerade mit Blick auf etwaige Haftungsrisiken relevant, welche Anforderungen an die Verschlechterung der Gesellschaftslage zu stellen sind. Die Frage wird rechtsverbindlich nur durch die Rechtsprechung geklärt werden können. Bis dahin empfiehlt sich die Beachtung folgender vorläufiger Grundsätze: Einerseits setzt der Eintritt einer Verschlechterung der Lage der Gesellschaft nicht notwendig voraus, dass eine existenzgefährdende Krise oder sogar eine Insolvenz des Unternehmens droht57. Andererseits ist der Wegfall des Kriteriums der Wesentlichkeit nicht so zu interpretieren, dass jede auch noch so marginale Verschlechterung der Gesellschaftslage eine Herabsetzungspflicht auslöst58. Aus dem systematischen Zusammenhang mit dem Kriterium der Unbilligkeit der Weitergewährung der Bezüge folgt vielmehr, dass die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage so gravierend sein muss, dass ein Festhalten an den vertraglichen Vergütungsregelungen nicht mehr vertretbar ist59. Vor diesem Hintergrund handelt der Aufsichtsrat z. B. pflichtwidrig, wenn er von einer Herabsetzung der Vorstandsbezüge absieht, obwohl die Gesellschaft Entlassungen oder Lohnkürzungen vornehmen muss und kumulativ nicht mehr in der Lage ist, Gewinne auszuschütten60. (2) Unbilligkeit der Weitergewährung der Bezüge Auch hinsichtlich der zweiten Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Bezüge sind die Anforderungen gesenkt worden. Nach dem bisherigen Recht war eine Herabsetzung nur dann zulässig, wenn eine Weitergewährung der Bezüge eine „schwere Unbilligkeit“ für die Gesellschaft bedeutete. Die gesetzliche Neuregelung begründet eine Herabsetzungspflicht demgegenüber bereits bei schlichter Unbilligkeit. Wann eine solche vorliegt, kann wiederum rechtsverbindlich nur durch die Rechtsprechung geklärt werden. Zum gegenwärtigen Stand ist die Beachtung folgender vorläufiger Grundsätze zu empfehlen: Einerseits setzt das Kriterium der Unbilligkeit einer Weiterzahlung der Bezüge nicht voraus, dass die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft durch pflichtwidriges Verhalten des Vorstands verursacht wurde61. Andererseits kommt eine Herabsetzung der Bezüge nach der Begründung des Fraktionsentwurfs nur in
__________ 57 BT-Drucks. 16/12778, S. 7; Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1, 5; Lingemann, BB 2009, 1918, 1920. 58 Kritisch auch Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 725 m. w. N. 59 Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1352; Annuß/Theusinger, BB 2009, 2434, 2438; vgl. auch Seibert, WM 2009, 1489, 1491 („nicht zumutbar“). 60 BT-Drucks. 16/12278, S. 7; Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1, 5; Lingemann, BB 2009, 1918, 1920 f. 61 BT-Drucks. 16/12278, S. 7; Lingemann, BB 2009, 1918, 1920 f.
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Betracht, wenn die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft in die Zeit seiner Vorstandsverantwortung fällt und ihm individuell zugerechnet werden kann62. Welche Anforderungen an eine solche individuelle Zurechenbarkeit zu stellen sind, ist noch ungeklärt. In tatsächlicher Hinsicht wird die wirtschaftliche Fehlentwicklung indes nur selten einem Vorstandsmitglied allein oder überwiegend zuzuweisen sein. Letztlich wird man im Rahmen dieser Prüfung dem Grundsatz der Gesamtverantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder Rechnung tragen müssen. Die Frage einer Gleichbehandlung aller Vorstandsmitglieder oder der Herabsetzung der Vergütung nur einzelner Vorstandsmitglieder aufgrund von Fehlsteuerungen ist indes noch unbeantwortet. (3) Soll-Vorschrift Nach § 87 Abs. 2 AktG a. F. war der Aufsichtsrat zur Herabsetzung „berechtigt“. Nach der Neufassung der Vorschrift „soll“ der Aufsichtsrat unter den genannten Voraussetzungen die Bezüge herabsetzen. Damit ist nach dem Bericht des Rechtsausschusses eine Verschärfung der Haftung bezweckt. Zur Haftungsvermeidung obliegt ihm daher eine kontinuierliche Beobachtungsund Prüfungspflicht hinsichtlich der Vorstandsvergütung, die sich mit Kriseneintritt weiter verdichtet63. Dem Aufsichtsrat soll aber auch die Möglichkeit gegeben werden, bei Vorliegen besonderer Umstände von einer Herabsetzung abzusehen64. Ob solche besonderen Umstände vorliegen, ist eine unternehmerische Entscheidung im Sinne der Business Judgement Rule. Um die Haftungserleichterung in Anspruch nehmen zu können, muss sich der Aufsichtsrat vor der Herabsetzung der Bezüge eine umfassende Informationsgrundlage verschaffen, insbesondere zur Bereitschaft des Vorstandsmitglieds, seine Tätigkeit trotz Herabsetzung fortzusetzen65. Eine Pflichtverletzung ist beispielsweise ausgeschlossen, wenn von einer Herabsetzung der Bezüge abgesehen wird, weil in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation auf ein Vorstandsmitglied nicht verzichtet werden kann und es im Interesse der Gesellschaft besser ist, nicht das Risiko einer vorzeitigen Kündigung durch das Vorstandsmitglied gemäß § 87 Abs. 2 Satz 4 AktG einzugehen66. cc) Herabsetzung unbilliger Versorgungsbezüge Eine wesentliche Erweiterung des Anwendungsbereichs der Herabsetzungspflicht folgt aus der Erstreckung auf Ruhegehälter, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art gemäß § 87 Abs. 2 Satz 2 AktG. Diese können nunmehr innerhalb der ersten drei Jahre nach dem Ausscheiden des Vorstands-
__________ 62 63 64 65 66
BT-Drucks. 16/12278, S. 7; Lingemann, BB 2009, 1918, 1920 f. Fleischer, NZG 2009, 801, 804. BT-Drucks. 16/13433, S. 16. Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 731. Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1, 5; siehe auch Hohaus/ Weber, DB 2009, 1519, 1519.
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mitglieds aus der Gesellschaft herabgesetzt werden. Auch diese Vorschrift weist in ihrer Anwendung indes zahlreiche Probleme auf. So stellt sie nicht nur einen Systembruch dar, weil bislang ein Eingriff in den bereits verdienten Umfang der Versorgungsanwartschaft ausgeschlossen war67. Sie wirft vielmehr auch verfassungsrechtliche Bedenken auf, weil sie neben ihrem rückwirkenden Charakter Vorstandsmitglieder und GmbH-Geschäftsführer ungleich behandelt68. Es ist daher davon auszugehen, dass dieser Teil der gesetzlichen Neuregelung nicht nur den Bundesgerichtshof, sondern auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigen wird. Ungeachtet dessen sollen im Hinblick auf gegebenenfalls drohende Schadensersatzprozesse die Voraussetzungen im Einzelnen näher beleuchtet werden. (1) Voraussetzungen Klarzustellen ist zunächst, dass eine Herabsetzung von Versorgungsleistungen nach § 87 Abs. 2 Satz 2 AktG nur in Betracht kommt, wenn die Voraussetzungen der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft und eine daraus resultierende Unbilligkeit der Weitergewährung der ungekürzten Versorgungsbezüge gegeben sind. Hierzu gehört richtigerweise auch die Zurechenbarkeit der Verschlechterung der Gesellschaftslage. Ein Eingriff in Ruhegehalts- und Versorgungsansprüche kommt deshalb nach zutreffender Auffassung nur in Betracht, wenn die wirtschaftliche Verschlechterung der Gesellschaft auf solchen Ursachen beruht, welche in den Bestellungszeitraum des Vorstandsmitglieds fallen. (2) Frist und Dauer Nach § 87 Abs. 2 Satz 2 AktG können Ruhegehalts- und Versorgungsansprüche „nur in den ersten drei Jahren nach Ausscheiden aus der Gesellschaft“ herabgesetzt werden. Die Drei-Jahresfrist gilt dabei nach einhelliger Auffassung in der Literatur nur für die Ausübung der gesetzlichen Herabsetzungsbefugnis69. Für die Dauer der Herabsetzung gilt diese Frist aber nicht; vorbehaltlich der Überwindung der Gesellschaftskrise und des damit einhergehenden Anspruchs auf Wiedereinräumung der ungekürzten Vorstandsbezüge ist die Herabsetzung der Versorgungsbezüge daher grundsätzlich zeitlich unbegrenzt möglich70. Unter dem Ausscheiden ist mit Blick auf die Anknüpfung an die amtszeitbezogene Vorstandsverantwortlichkeit das Ende der organschaftlichen Stellung zu verstehen. Es ist folglich nicht auf den Ablauf des Dienstvertrages abzustellen71. Hierauf hat der Aufsichtsrat bei der Berechnung der
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67 Dies folgte aus dem BetrAVG und der hierzu ergangenen BGH-Rechtsprechung; vgl. auch Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1, 5. 68 Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1, 6. 69 Hohenstatt, ZIP 2009, 1349, 1353; Lingemann, BB 2009, 1918, 1921; Bauer/Arnold, AG 2009, 1006; Seibert, WM 2009, 1489, 1491. 70 Lingemann, BB 2009, 1918, 1921. 71 Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage NZG Heft 26/2009, 1, 6; a. A. Lingemann, BB 2009, 1918, 1921; Bauer/Arnold, AG 2009, 717, 728.
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Drei-Jahres-Frist gesondert zu achten, da in der Praxis das Ende der Organstellung einerseits und die Beendigung des Dienstvertrages andererseits häufig auseinander fallen. (3) Kann-Vorschrift? § 87 Abs. 2 Satz 2 AktG spricht davon, dass die Versorgungsbezüge herabgesetzt werden „können“. Das bedeutet indes nicht, dass die Aufsichtsratsmitglieder lediglich zur Herabsetzung berechtigt sind, mit der Folge, dass im Fall des Unterlassens eine Haftung ausscheidet. Vielmehr erstreckt sich die „SollVorgabe“ des § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG auf die Herabsetzung von Versorgungsbezügen; die Kann-Vorschrift soll lediglich das begrenzte Zeitfenster für die Herabsetzungsmöglichkeit verdeutlichen. Ob und welche besonderen Umstände das Absehen von einer Herabsetzung der Versorgungsbezüge bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen rechtfertigen können, ist eine der offenen Fragen. Mit Blick auf die aufgezeigten verfassungsrechtlichen Bedenken sollte indes ein restriktiver Umgang mit der Herabsetzung von Ruhegehältern tendenziell gerechtfertigt sein. c) Schaden Zweite Voraussetzung der Ersatzpflicht nach § 116 Satz 3 AktG ist, dass der Gesellschaft ein Schaden entstanden ist. Im Gegensatz zum Fraktionsentwurf enthält die Vorschrift keine systemfremde Festlegung eines „Mindestschadens“. Es bleibt deshalb bei der Maßgeblichkeit des Schadensbegriffs der §§ 249 ff. BGB72. Nach der insoweit geltenden Differenzhypothese ist ein Vermögensschaden gegeben, wenn der aktuelle Wert des Vermögens geringer ist als der Wert, den das Vermögen ohne das die Ersatzpflicht begründende Ereignis haben würde. Danach wird man im Fall der Festsetzung einer überhöhten Vergütung regelmäßig als Schaden den Mehrbetrag der festgesetzten gegenüber der angemessenen Vergütung ermitteln können. Im Fall der pflichtwidrig unterlassenen Herabsetzung von Vorstands- und Versorgungsbezügen bemisst sich der Schaden an dem Mehrbetrag der ungekürzten gegenüber der angemessenen Vergütung. Für die Ermittlung des Schadens im Prozess dürfte dabei grundsätzlich die Beweiserleichterung des § 287 Abs. 1 ZPO gelten. d) Kausalität Dritte Voraussetzung ist, dass das Aufsichtsratsmitglied den Schaden der Gesellschaft durch sein pflichtwidriges Verhalten verursacht haben muss. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Schadensersatzrechts muss daher zwischen Pflichtverletzung und Schaden ein Ursachenzusammenhang im Sinne der Adäquanztheorie bestehen. In der Regel wird die Nichtbeachtung der Vergütungsvorgaben den Schaden kausal herbeigeführt haben. Der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens ist grundsätzlich zulässig. Anwendungs-
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72 Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1, 10.
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fälle sind im Bereich unangemessener Vergütungsentscheidungen indes kaum denkbar. Vor allem kann sich das Aufsichtsratsmitglied bei Beschlussmehrheit nicht darauf berufen, dass sein pflichtgemäßes Stimmverhalten für den konkreten Vergütungsbeschluss unerheblich gewesen wäre. § 116 AktG ordnet eine Solidarhaftung der Aufsichtsratsmitglieder an. Daraus ergibt sich, dass die Organpflichten von allen Aufsichtsratsmitgliedern gleichermaßen zu erfüllen sind73. e) Verschulden Vierte und letzte Voraussetzung ist, dass das Aufsichtsratsmitglied ein Verschulden trifft. Verschulden setzt nicht voraus, dass das Aufsichtsratsmitglied das Bewusstsein hat, die Gesellschaft zu schädigen. Das Verschuldenserfordernis richtet sich allein auf die Pflichtwidrigkeit seines Handelns. Fehlendes Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit kann den Vorsatz ausschließen. Das Aufsichtsratsmitglied trifft aber der Vorwurf der Fahrlässigkeit, wenn es nicht die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Aufsichtsratsmitglieds beachtet. Praktisch sind indes nur wenige Sachverhalte denkbar, in denen zwar ein pflichtwidriges Handeln bei der Vergütungsentscheidung, aber kein Verschulden vorliegt. 2. Darlegungs- und Beweislast Die Darlegungs- und Beweislast beurteilt sich nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG. Die Aktiengesellschaft muss den Eintritt und die Höhe des Schadens sowie die adäquate Kausalität zwischen Schaden und Handlung beweisen. Die Beweislast für die fehlende Pflichtwidrigkeit und das fehlende Verschulden liegt dagegen beim Aufsichtsratsmitglied. Die Aufsichtsratsmitglieder haben demnach darzulegen und zu beweisen, dass sie bei der Festsetzung der Bezüge der Vorstandsmitglieder auf der Grundlage ausreichender und angemessener Informationen vernünftigerweise annehmen durften, zum Wohl der Gesellschaft zu handeln. Vor diesem Hintergrund ist eine sorgfältige und vollständige Dokumentation der Vergütungsentscheidungen dringend erforderlich74. Namentlich sollten die zugrunde liegenden Recherchen und Prognosen solange aufbewahrt werden, bis die Verjährungsfrist für eine Haftungsklage abgelaufen ist. Ferner ist es ratsam, Verlaufsprotokolle der Aufsichtsratssitzungen zu fertigen, die neben dem Ergebnis auch den Diskussionsprozess während der Aufsichtsratssitzung aufzeigen. 3. Haftungsmodalitäten Die Aufsichtsratsmitglieder haften der Gesellschaft infolge der gemeinsamen Entscheidungszuständigkeit im Plenum als Gesamtschuldner (§§ 421 ff. BGB); jedes Aufsichtsratsmitglied kann auf den vollen Schaden in Anspruch genom-
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73 Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2008, § 93 Rz. 202 ff. 74 Annuß/Theusinger, BB 2009, 2434, 2440.
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men werden, der durch die unangemessene Vergütung entstanden ist. Untereinander sind die Aufsichtsratsmitglieder grundsätzlich zu gleichen Teilen ausgleichspflichtig. Je nach Grad des Verschuldens und Schwere der Pflichtverletzung kann sich jedoch eine abgestufte Ausgleichspflicht ergeben. Eine solche ist etwa vorstellbar, wenn die Vergütungsentscheidung auf einen vorbereitenden Ausschuss übertragen wurde und die übrigen Aufsichtsratsmitglieder (lediglich) ihre Überwachungspflicht verletzt haben. 4. Haftungsausschluss und -beschränkungen Das neu eingeführte Vergütungsvotum der Hauptversammlung börsennotierter Gesellschaften lässt die Verpflichtungen des Aufsichtsrats nach § 87 AktG unberührt (§ 120 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 AktG) und führt deshalb zu keinem Haftungsausschluss75. Ein Verzicht oder Vergleich ist erst drei Jahre nach Anspruchsentstehung und nur dann möglich, wenn die Hauptversammlung zustimmt und nicht eine Minderheit von 10 % des Grundkapitals Widerspruch zur Niederschrift erhebt (§ 93 Abs. 4 Satz 3 AktG). Verjährung tritt innerhalb von fünf Jahren ab Anspruchsentstehung ein (§ 93 Abs. 6 AktG). 5. Geltendmachung und gerichtliche Zuständigkeit Ansprüche gegen den Aufsichtsrat auf Schadensersatz sind vom Vorstand geltend zu machen. Eine Anspruchsverfolgung kann indes auch von der Hauptversammlung im Klageerzwingungsverfahren (§ 147 AktG) bzw. von einer Aktionärsminderheit im Klagezulassungsverfahren (§ 148 AktG) betrieben werden. Unabhängig davon gibt § 93 Abs. 5 AktG den Gesellschaftsgläubigern ein unmittelbares Klagerecht im eigenen Namen auf Zahlung an sich gegen die Aufsichtsratsmitglieder bis zur Deckung ihrer Forderung. Zuständig ist das ordentliche Gericht am Sitz der Gesellschaft (§ 29 ZPO) bzw. Wohnsitz des Aufsichtsratsmitglieds (§ 13 ZPO). 6. Aufsichtsratshaftung in der GmbH Ungeklärt ist, ob die Neuregelungen des § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG76 auch für die mitbestimmte GmbH gelten77. § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG verweist auf § 116 AktG, der seinerseits auf § 87 Abs. 1 AktG verweist. Nach der Gesetzesbegründung soll § 87 AktG indes auch nicht über den Verweis in § 116 AktG anwendbar sein78. Ob der Verweis Bedeutung erlangt, bleibt deshalb abzuwar-
__________ 75 Fleischer, AG 2009, 677, 684. 76 Anders als die AG nach § 87 Abs. 2 AktG kennt die GmbH kein einseitiges Herabsetzungsrecht; dort ist der Geschäftsführer verpflichtet, bei wesentlicher Verschlechterung der Gesellschaftslage einer Herabsetzung seiner Bezüge zuzustimmen (BGH, NJW 1992, 2894, 2896). 77 Bei GmbH mit fakultativem und drittelmitbestimmtem Aufsichtsrat liegt die Vergütungskompetenz bei der Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr. 5 GmbHG). 78 BT-Drucks. 16/13433, S. 10.
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ten. Der BGH hält den Aufsichtsrat für verpflichtet, eine mit den Anteilseignerinteressen vereinbare Vergütungsentscheidung zu treffen; die Frage einer analogen Anwendung des § 87 AktG hat er offen gelassen79.
IV. Haftung des Vorstands Auch die Haftung des Vorstands wegen unangemessener Vergütung ist nicht neu80, sondern die Verschärfung der Haftungsrisiken infolge gesteigerter Anforderungen an die Angemessenheit der Vergütung81. Nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG muss das Vorstandsmitglied durch eine schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzung kausal einen Schaden der Gesellschaft herbeigeführt haben. Insofern verstößt das Vorstandsmitglied mit der Annahme unangemessen hoher Bezüge zwar nicht gegen § 87 AktG; Adressat des Angemessenheitsgebots ist ausschließlich der Aufsichtsrat82. Es verletzt aber seine Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft; diese verpflichtet zur Rücksichtnahme auf das Gesellschaftsinteresse. Verstößt das Vorstandsmitglied dagegen, so haftet es der Gesellschaft für den daraus entstandenen Schaden, d. h. in Höhe der Differenz zwischen angenommener und angemessener Vergütung.
V. D&O-Versicherung Der Gesetzgeber hat im Anschluss an die bisherige Kodex-Empfehlung in Ziff. 3.8 DCGK a. F. eine aktienrechtliche Pflicht zur Vereinbarung eines Selbstbehalts des Vorstandsmitglieds eingeführt. In § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG heißt es: „Schließt die Gesellschaft für den Vorstand eine D&O-Versicherung ab, ist ein Selbstbehalt von mindestens 10 % des Schadens bis mindestens zur Höhe des Eineinhalbfachen der festen jährlichen Vergütung des Vorstandsmitglieds zu vereinbaren.“ Auf Aufsichtsräte findet die Vorschrift keine Anwendung (§ 116 Satz 1 AktG)83. In der Praxis wirft der Pflichtselbstbehalt eine Reihe kritischer Fragen auf; herausgegriffen werden sollen drei Aspekte aus Anwen-
__________ 79 BGH, BB 1984, 9, 11. 80 Hefermehl in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, 1973/74, § 87 Rz. 10; Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1988, § 93 Rz. 30, 69; Fleischer in Spindler/ Stilz, AktG, 2008, § 87 Rz. 29; Semler in Liber amicorum Wilhelm Happ, 2006, S. 277 ff.; Ziemons in FS Huber, 2006, S. 1035, 1043; Schwark in FS Raiser, 2005, S. 377, 394 f.; Peltzer in FS Lutter, 2000, S. 571, 578; Kort, DStR 2007, 1127, 1132; a. A. BGH, ZIP 2006, 72, 81 (Mannesmann); Hopt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rz. 160; Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 87 Rz. 9; Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), 155, 157. 81 Zurückhaltend Hanau, NJW 2009, 1652, 1653 (keine Normierung durch Gesetzgeber); a. A. Annuß/Theusinger, BB 2009, 2334, 2440 (Haftung nur bei Beihilfe zur Untreue des Aufsichtsrats). 82 Hierauf stellen ab Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 87 Rz. 9; Wiesner in MünchHdb. GesR, Band 4, 3. Aufl. 2007, § 21 Rz. 29. 83 Die Vereinbarung eines Selbstbehalts für Aufsichtsräte wird in Ziff. 3.8 DCGK n. F. empfohlen.
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Haftung von Aufsichtsrat und Vorstand nach dem VorstAG
dungsbereich, Voraussetzungen und Rechtsfolgen84: Betroffen sind börsennotierte und nicht börsennotierte Aktiengesellschaften85. Der Selbstbehalt muss mindestens 10 % des einzelnen Schadensfalls (Untergrenze) und darf bei einem großen Schadensfall bzw. bei Kumulierung mehrerer Schadensfälle in einem Jahr höchstens 150 % des Jahresfestgehalts betragen (Obergrenze)86. Wird ein Versicherungsvertrag ohne Selbstbehalt abgeschlossen, sind die Rechtsfolgen streitig. Für möglich gehalten wird die Unwirksamkeit des Versicherungsvertrages nach § 134 BGB, dessen Teilunwirksamkeit bzw. die Ahndung als reine Pflichtverletzung87.
VI. Schlussbemerkung Das VorstAG hat die Haftungsrisiken wegen unangemessener Vorstandsvergütung verschärft. Es normiert neue Anforderungen für die Aufsichtsratsarbeit und die Ausgestaltung von Vorstandsverträgen. Für die Praxis stellt vor allem die sachgerechte Umsetzung der Gebote der Angemessenheit, der Üblichkeit und der Nachhaltigkeit der Vorstandsvergütung eine Herausforderung dar. Praktisch ebenso wichtig ist die Entscheidungszuständigkeit des Aufsichtsratsplenums. Ob die gesteigerte Verantwortlichkeit zu einem Anstieg von Haftungsprozessen führt, bleibt abzuwarten; der weite Beurteilungsspielraum und das damit verbundene Prozessrisiko lassen dies eher nicht erwarten.
__________ 84 Vgl. etwa zur Frage des für die Berechnung des Selbstbehalts relevanten Jahres, der Behandlung von Abwehrkosten, des Umgangs mit dem Selbstbehalt bei Konzernpolicen, der Geltung des Selbstbehalts für Innen- und/oder Außenhaftung, der Versicherbarkeit des Pflichtselbstbehalts Lange, VersR 2009, 1011 ff.; Olbrich/Kassing, BB 2009, 1659 ff. 85 GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat sind nach § 52 Abs. 1 GmbHG ausgenommen. Nach ganz h. M. gilt die Vorschrift auch nicht für paritätisch oder drittelmitbestimmte GmbH. 86 Hoffmann-Becking/Krieger, Beilage zu NZG Heft 26/2009, 1, 6. 87 Gädtke, VersR 2009, 1565, 1571 (Nichtigkeit); Olbrich/Kassing, BB 2009, 1659, 1660 (Teilnichtigkeit); Dauner-Lieb/Tettinger, ZIP 2009, 1555 (Pflichtverletzung).
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Peter Reusch
Die Versicherungsperiode nach § 12 VVG Inhaltsübersicht I. Einführung und Problemstellung 1. LG Bamberg 2. OLG Bamberg 3. Folgen II. Systematische Einordnung und Bedeutung der Versicherungsperiode 1. Wortlaut 2. Motive zum VVG 3. Versicherungsperiode, Fälligkeit und Zahlungsweise III. Zwischenergebnis IV. Neue Musterbedingungen des GDV 1. Die Klauseln und ihre systematische Einordnung
2. Klauselkontrolle a) § 11 VVG b) Vorvertragliche Anzeigepflichten c) Teilrücktritt, Teilkündigung d) Vorzeitige Vertragsbeendigung e) Kündigung im Schadenfall f) Hagelversicherung g) Veräußerung der versicherten Sache aa) § 95 VVG bb) § 96 VVG h) Lebensversicherung aa) § 165 VVG bb) § 168 VVG V. Ergebnis
I. Einführung und Problemstellung Weniger bekannt ist, dass der Jubilar neben seinen vielfältigen wissenschaftlichen Tätigkeitsfeldern etwa im Bereich des Gesellschafts-, des Kapitalmarktund Wertpapierhandelsrechtes sich gelegentlich auch mit Fragen des Versicherungsrechtes beschäftigt hat. Es liegt daher nahe, zu seinem Jubiläum sich einem Thema zu widmen, das zum einen besonders aktuell erscheint und zum anderen an der Schnittstelle zwischen Versicherungs- und Kreditrecht liegt. Vor diesem Hintergrund sollen Fragen erörtert werden, die im Zusammenhang mit § 12 VVG, nämlich der Versicherungsperiode, aufgetaucht sind. Diese bisher wenig Aufmerksamkeit erregende Vorschrift besagt, dass als Versicherungsperiode der Zeitraum eines Jahres gilt, falls nicht die Prämie nach kürzeren Zeitabschnitten bemessen ist. Die Vorschrift ist, wie sogleich zu zeigen sein wird, in einem auf den ersten Blick etwas überraschend erscheinenden Zusammenhang in das Blickfeld der Diskussion geraten. In zahlreichen AVBRegeln bieten die Versicherer ihren Versicherungsnehmern an, ihre Prämien1 als Einmalbeitrag oder als laufende Prämien zu bezahlen. Eine Klausel lautete:
__________ 1 Im Folgenden wird überwiegend der Begriff Prämie gebraucht, weil das Gesetz in seinem 3. Abschnitt durchgehend diesen Begriff verwendet. Im Bereich der Lebens- und Krankenversicherung wird traditionell von Beiträgen gesprochen. Die Begriffe werden synonym verwendet. Auch hier im Text wird dann von „Beiträgen“ gesprochen, wenn es um Aspekte der Lebensversicherung geht.
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Peter Reusch „Die laufenden Beiträge zu Ihrer Rentenversicherung werden als Jahresbeiträge entrichtet. Die Jahresbeiträge werden zu Beginn eines jeden Versicherungsjahres fällig. Nach Vereinbarung können Sie die Jahresprämie auch in halbjährlichen, vierteljährlichen oder monatlichen Raten zahlen. Bei Zahlung der Prämien in unterjährigen Raten werden Ratenzahlungszuschläge von 2 % bei halbjährlicher, 3 % bei vierteljährlicher und 5 % bei monatlicher Zahlungsweise erhoben.“
Diese für eine Rentenversicherung von einem Unternehmen verwendete Klausel ist ebenso wie zahlreiche ähnliche Klauseln in anderen Versicherungsbedingungen ins Blickfeld der Verbraucherschützer geraten. Diese haben insbesondere mangelnde Transparenz beanstandet und gemeint, die Bedingung sei wegen des fehlenden Ausweises des effektiven Jahreszinssatzes unwirksam. Dem Kunden werde insbesondere vorenthalten, dass bei einem 5 %igen Zuschlag der tatsächliche effektive Jahreszins bei 11,35 % liege. Wüssten die Versicherungsnehmer von diesen zusätzlichen Belastungen, würden viele eine andere Zahlungsweise, nämlich eine Jahresprämie oder eine Einmalprämie wählen und sich ggf. auf anderem Wege finanzieren. Die Versicherungswirtschaft verheimliche bewusst die hieraus erzielten Zinserträge und dies sei zu einem guten Geschäft geworden. 1. LG Bamberg Das Landgericht Bamberg ist in einer Entscheidung vom 18.1.20062 dieser Argumentation weitgehend gefolgt und hat ausgeführt, die oben genannte Klausel verstoße gegen § 6 Preisangabenverordnung (PAngV), weil es hier nämlich um die Gewährung eines Zahlungsaufschubes gegen Zuschläge gehe und es fehle die Angabe eines effektiven Jahreszinses. Die Gewährung eines Zahlungsaufschubes sei als Kreditierung im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 PAngV anzusehen. Die laufenden Beiträge seien als Jahresbeiträge jeweils zu Beginn eines Versicherungsjahres zu entrichten. Die Bedingungen erlaubten dem Kunden die Möglichkeit, den Fälligkeitszeitpunkt hinauszuschieben. Gleichzeitig würden hierfür Ratenzahlungszuschläge erhoben. Diese Situation entspreche damit der eines klassischen Zahlungsaufschubes gegen Entgelt. Es könne auch keine Rolle spielen, dass es sich hier um ein Dauerschuldverhältnis handele. Entscheidend sei die jeweilige Jahresrate, deren Fälligkeit hinausgeschoben werde. Unter Berufung auf verschiedene Fundstellen in der Lehre3 wird ausgeführt, für dieses Hinausschieben der Fälligkeit verlange der Versicherer einen Zuschlag, folglich handele es sich um einen Zahlungsaufschub. Die gegenteilige Ansicht, die meine, es stünden bei derartigen Tarifgestaltungen Rabattgesichtspunkte im Vordergrund4, überzeuge nicht, denn die unterjährige Zahlungsweise führe zu einer Verteuerung der Versicherung. Anders sei es nur dann, wenn der VN bei Zahlung der gesamten Prämie zu Beginn des
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2 LG Bamberg, Az. 2 O 764/04. 3 Es wird wie folgt zitiert: Habersack in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2004, § 499 Rz. 10; Graf von Westphalen/Emmerich, Verbraucherkreditgesetz, 2. Aufl. 1996, § 1 Rz. 168; Kessal-Wulf in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2004, § 499 Rz. 9. 4 Das Landgericht zitiert hierzu: Erman/Rebmann, Verbraucherkreditgesetz, 10. Aufl. 2000, § 1 Rz. 26; Soergel/Häuser, Verbraucherkreditgesetz, 12. Aufl. 1998, § 1 Rz. 54.
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Die Versicherungsperiode nach § 12 VVG
Versicherungsjahres hierfür mit einem Prämienabschlag belohnt werde. Das sei jedoch vorliegend nicht der Fall. Auch § 9 VVG a. F.5 – also die Versicherungsperiode – gehe davon aus, dass im Regelfall die Versicherungsprämie jährlich im Voraus zu zahlen sei. Dies spreche ebenfalls dagegen, dass Rabattgesichtspunkte im Vordergrund stünden. 2. OLG Bamberg Das OLG Bamberg6 hat in der Berufungsentscheidung die hier in Rede stehende Klausel gänzlich anders gesehen und eine Angabe des effektiven Jahreszinses nicht für notwendig erachtet. Während sich das Landgericht nur mit einem Satz zur Versicherungsperiode geäußert hat, rückt diese Vorschrift beim Oberlandesgericht viel stärker ins Blickfeld. Im Wesentlichen hat es zur Begründung ausgeführt, es sei zwar richtig, dass § 499 Abs. 1 BGB von seinem Anwendungsbereich her eröffnet sei. Aber schon die EG-Verbraucherkreditlinie7 sehe vor, dass ein Kredit auch in Form eines Zahlungsaufschubes oder einer sonstigen ähnlichen Finanzierungshilfe gewährt werden könne, allerdings Verträge über kontinuierliche Erbringung von Dienstleistungen, die für die Dauer der Erbringung ermöglichten, Teilzahlungen zu leisten, ausdrücklich nicht als Kreditverträge im Sinne dieser Richtlinie anzusehen seien. Unter Berufung auf die ganz herrschende Lehrmeinung definiert das Gericht in einem Zahlungsaufschub ein vertragliches Hinausschieben der Fälligkeit der gegen den Verbraucher gerichteten Forderung zu seinen Gunsten durch Vereinbarung eines vom dispositiven Recht abweichenden Fälligkeitszeitpunktes verbunden mit der Begründung einer Vorleistungspflicht des Vertragspartners8. Ein entsprechender Zahlungsaufschub werde hier nicht gewährt, weil bei der Wahl unterjähriger Zahlungsperioden es nicht zu vom Gesetz abweichenden Fälligkeitszeitpunkten komme. Wann Prämien fällig seien, sei im VVG geregelt. § 35 Satz 1 a. F. (§ 33 Satz 1 n. F.) bestimme, dass dann, wenn laufende Prämien vereinbart seien, die erste Prämie nach Abschluss des Vertrages zu zahlen ist. Nur insoweit regele das VVG als Spezialgesetz zu § 271 BGB die Fälligkeit hinsichtlich der Folgeprämien. Enthalte das VVG keine Regelung, gelte somit § 271 BGB. Der Gläubiger könne die Leistung im Zweifel also sofort verlangen. Bei Dauerschuldverhältnissen sei bei positiven Handlungspflichten auf den ersten Akt der auf Dauer angelegten Leistungsverpflichtung abzustellen. Für das Versicherungsverhältnis bedeute dies, dass die Prämie ab Beginn der jeweiligen Versicherungsperiode zu zahlen ist. Für die Versicherungsperiode bestimme § 9 VVG, dass diese ein Jahr betrage, falls nicht die Prämie nach kürzeren Zeitabschnitten bemessen sei. § 9 VVG betreffe damit schon von seinem Wortlaut her keine Regelung über die Fälligkeit der Prämie, sondern
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5 = § 12 VVG 2008. 6 OLG Bamberg, VersR 2007, 529. 7 Verbraucherkreditrichtlinie 87/102/EWG v. 22.12.1986 ABl. EG v. 12.2.1987 Nr. L 42, S. 48–53. 8 OLG Bamberg (Fn. 6).
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über die Dauer der Versicherungsperiode. Deren Dauer und damit nur mittelbar der Zeitpunkt der Prämienfälligkeit richte sich nach den vereinbarten Zeitabschnitten zur Zahlung. Deshalb könne, ohne dass § 9 VVG entgegenstehe, die Fälligkeit im Rahmen des § 307 BGB frei vereinbart werden. Hier liege keine Vereinbarung über die Fälligkeit der Prämie vor. Diese ergebe sich vielmehr aus dem Gesetz. Zwar könne die Formulierung „Können Sie die Jahresbeiträge auch …“ so verstanden werden, dass der Zeitabschnitt für die Prämienzahlung in allen Fällen ein Jahr betrage. Es sei aber nicht von einer Jahresprämie, sondern von einem Jahresbeitrag die Rede, womit ersichtlich der Betrag gemeint sei, der pro Jahr zu zahlen ist, wenn keine kürzere Zahlungsperiode genannt werde. Es handele sich bei dem Betrag nur um einen Vergleichsmaßstab dafür, der genannt werde, um wie viel sich dieser Betrag bei einer unterjährigen Zahlungsweise erhöhe und es sei nicht so zu verstehen, dass der Zeitabschnitt für die Zahlung der Prämie in allen Fällen ein Jahr sei. Entscheidender Maßstab für die Dauer der Versicherungsperiode sei nach § 9 VVG die Länge der Zeitabschnitte für die Zahlung der Prämie. Aus einer Entscheidung des OLG Köln9 ergebe sich nichts anderes. Das OLG Köln hatte dort ausgeführt, eine kürzere Bemessung der Versicherungsperiode sei nicht bereits dann gegeben, wenn eine ratenweise Zahlung der Versicherungsprämie unter Berechnung eines Aufschlages vereinbart werde10. Das OLG Bamberg stimmt dem ausdrücklich zu, wenn die Zahlung einer Jahresprämie vereinbart ist. Sei das wie hier nicht ausdrücklich geschehen, müsse es im Rahmen des § 9 VVG auf die tatsächlichen Zahlungsperioden ankommen. Diese legten mittelbar auch den gesetzlichen Fälligkeitstermin fest. Das OLG beschäftigt sich dann weiter ausführlich mit der Frage, ob im Sinne des § 499 Abs. 2 BGB a. F. auf Versicherungsverträge die Regeln über das Verbraucherkreditgesetz Anwendung finden, was zu Recht verneint wird, hier aber nicht Gegenstand weiterer Erörterungen sein soll11. Das OLG Bamberg hat die Revision ausdrücklich zugelassen und im Revisionsverfahren kam es – aus welchen Gründen auch immer – zu einem Anerkenntnis am 29.7.200912. In der Sache hat der BGH daher nicht entschieden, sondern rechtskräftig ist die Entscheidung des Landgerichts. 3. Folgen In der Folge hat insbesondere die Verbraucherzentrale Hamburg zahlreiche Versicherer wegen ähnlicher Klauseln abgemahnt und Unterlassung verlangt. Als Reaktion auf diese Entwicklungen hat sich der GDV dazu entschlossen, seine Musterbedingungen zu überarbeiten, um offenbar vorsorglich klarzustellen, dass bei unterjähriger Zahlungsweise kein entgeltlicher Zahlungsaufschub vorliege. Der GDV war der Auffassung, in seinen Muster AVB deshalb Zahlungs-
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9 OLG Köln, r+s 1992, 260, 261. 10 Ebenso LG Lüneburg, VersR 1978, 658. 11 Vgl. hierzu überzeugend Hadding, VersR 2010, 697 ff.; Looschelders, VersR 2010, 977 f. 12 BGH I ZR 22/07.
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weise und Versicherungsperiode aneinander koppeln zu müssen. Jedenfalls werden damit Regelungen mittelbar auch zur Dauer der Versicherungsperiode getroffen, was in den Musterbedingungen – soweit ersichtlich – bisher nicht der Fall war. Allein schon dies lässt es als gerechtfertigt erscheinen, sich einmal etwas genauer mit der „Versicherungsperiode“ zu beschäftigen. Es soll geklärt werden, was eigentlich die Versicherungsperiode ist und welchen Sinn und Zweck sie in der gesetzlichen Systematik hat. In einem weiteren Teil soll untersucht werden, ob die neuen AVB-Regelungen den Anforderungen einer Bedingungskontrolle genügen.
II. Systematische Einordnung und Bedeutung der Versicherungsperiode 1. Wortlaut Der Wortlaut der Vorschrift des § 12 VVG ist: „Als Versicherungsperiode gilt, falls nicht die Prämie nach kürzeren Zeitabschnitten bemessen ist, der Zeitraum eines Jahres“13. Aus dem Wortlaut der Regelung ergeben sich bereits zwei Aspekte besonders deutlich: Zum einen geht es offenbar um einen „Zeitraum“, nämlich um denjenigen, für den die Prämie „bemessen ist“, und zum anderen wird dieser Zeitraum als „der Zeitraum eines Jahres“ im Wege einer gesetzlichen Fiktion definiert – „gilt“ –, wenn die Prämie nicht nach kürzeren Zeitabschnitten bemessen ist. Allerdings lässt dieser Wortlaut durchaus Interpretationen zu. Ist bei der Vereinbarung unterjähriger Zahlungsweise – der Versicherungsnehmer will z. B. monatliche Prämien zahlen –, die Prämie nach kürzeren Zeitabschnitten „bemessen“? Oder kann von einer Bemessung nach kürzeren Zeitabschnitten nur dann ausgegangen werden, wenn der Versicherer seine Prämien anhand seiner Kalkulationsunterlagen auf monatlicher Basis kalkuliert hat? Einen ersten Aufschluss bietet die systematische Stellung der Vorschrift. Die Vorschrift ist nicht im „Abschnitt 3. Prämie“ zu finden, sondern befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Regelungen, die sich mit Beginn und Ende der Versicherung, § 10 VVG, und hier noch wichtiger, mit der Verlängerung und der Kündigung, § 11 VVG, also dem Ende des Versicherungsverhältnisses, beschäftigen. Auch wenn die Regelung im novellierten VVG 2008 unverändert gegenüber dem § 9 a. F. des VVG 1908 ist, hat sie ihren systematischen Zweck doch im mit der Novelle aufgegebenen Grundsatz der Unteilbarkeit der Prämie. 2. Motive zum VVG Das hat schon der historische Gesetzgeber erkannt und in den Motiven deutlich herausgestellt14. Die wesentlichen Überlegungen zur Bedeutung des § 9
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13 Im VVG 1908 war die Regelung wortgleich als § 9 enthalten. 14 Motive zum VVG 1908, Neudruck 1963, S. 84.
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VVG a. F. unter der Geltung des VVG 1908 lassen sich wie folgt skizzieren: Die Versicherungsperiode war bei der Beendigung des Versicherungsverhältnisses bei der zeitlichen Begrenzung von Ansprüchen der Beteiligten immer dann maßgeblich, wenn das Versicherungsverhältnis vorzeitig beendet wurde, etwa durch Kündigung oder Rücktritt oder infolge des Wegfalls der versicherten Sache. Dann sah jedenfalls das alte VVG vor, dass dem Versicherer ein Prämienanspruch bis zum Ablauf der zur Zeit der Beendigung laufenden Versicherungsperiode gewährt wurde, so z. B. in §§ 40 und 68 Abs. 2 VVG a. F. Danach ist unter Versicherungsperiode also der Zeitraum zu verstehen, nach welchem die Bemessung der Prämie erfolgt, entweder weil es sich um einen kalendermäßig berechneten Zeitraum oder, etwa wenn wie bei der Transportversicherung eine einzelne Reise versichert werden soll, eben um einen in anderer Weise festgelegten Zeitraum handelt. Weil der historische Gesetzgeber davon ausging, dass der Versicherer in den meisten Fällen die Prämie nach einem einjährigen Zeitraum bemessen habe, sah er im Wege der gesetzlichen Fiktion vor, dass unter der Versicherungsperiode der Zeitraum eines Jahres zu verstehen sein soll. War die Prämie hingegen nach einem kürzeren Zeitraum bemessen, soll der kürzere Zeitabschnitt maßgebend sein. Dass es lediglich um die Bemessung der Prämie geht, wird auch daran ersichtlich, wenn der Gesetzgeber darauf hinweist, dass dann, wenn die Prämie nach längeren Zeitabschnitten „berechnet“ wird, die Versicherungsperiode dennoch nicht mehr als ein Jahr betragen soll. Man sieht hieran deutlich, dass es um Aspekte der Laufzeit, also um einen Zeitraum, für den die Prämie zu zahlen ist, geht; nicht aber um Fragen der Kalkulation oder der Fälligkeit der Prämie. Man stelle sich etwa vor, dass eine Vertragslaufzeit von mehreren Jahren vereinbart ist. Ohne die Regelung des § 9 a. F. bzw. § 12 VVG könnten Versicherer und Versicherungsnehmer ja auch eine Gesamtprämie für diesen Zeitraum vereinbaren, die der Versicherungsnehmer dann lediglich als laufende Prämie in Teilabschnitten zu zahlen hätte. Käme es dann zu einer vorzeitigen Beendigung des Vertrages, hätte der Versicherer ohne die Regel des § 9 a. F. nach VVG 1908 unter der Geltung des Grundsatzes der Unteilbarkeit der Prämie einen Anspruch auf die gesamte noch ausstehende Prämie. Wäre es etwa bei einer auf drei Jahre vereinbarten Vertragsdauer nach wenigen Monaten nach Beginn des Versicherungsverhältnisses zu einer Beendigung des Vertrages gekommen, hätte sich der Versicherungsnehmer ohne die Regel des § 9 a. F. einem Prämienanspruch des Versicherers für einen Zeitraum von mehr als 2 Jahren gegenübergesehen. Dies hat der Gesetzgeber zu Recht als unbillig angesehen und daher eine Begrenzung des Zeitraums der Bemessungsgrundlage für die Prämie als erforderlich angesehen. Dies allein ist der systematische Bedeutungsgehalt der Vorschrift. Versicherungsperiode hat also nichts mit monatlicher oder jährlicher Fälligkeit oder der Zahlungsweise der Prämie zu tun, sondern sie bestimmt den Zeitraum, für den die Prämie bemessen ist15, oder einfacher ausgedrückt: zu
__________ 15 Ebenso Fausten in MünchKomm.VVG, 2010, § 12 Rz. 9.
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zahlen ist. Ob der Versicherer seine Prämie unterjährig auf monatlicher Basis kalkuliert hat oder als Jahresprämie, ist ebenso irrelevant. Da es sich bei Versicherungsverträgen um Dauerschuldverhältnisse handelt, dient die Versicherungsperiode bei mehrjährigen Laufzeiten und laufender Prämienzahlung dazu, die Prämie nach Zeitabschnitten zu bemessen, so wie es etwa auch bei dem vom Mieter zu zahlenden Mietzins im Rahmen eines Mietverhältnisses ist. Dem Versicherungsnehmer kann damit mitgeteilt werden, welche Prämie er, und in diesem Zusammenhang maßgeblich – für welchen Zeitabschnitt – zu zahlen hat. Die Intention des Gesetzgebers mit der Vorschrift bei Einführung des VVG 1908 bei Geltung des Grundsatzes der Unteilbarkeit der Prämie lag in der zutreffenden Erwägung, wenn in einer anderen zugunsten des Versicherungsnehmers als halbzwingend ausgestalteten Vorschrift eine bestimmte Zeitgrenze eingehalten werde, dann in den AVB, die diese Vorschrift betreffen, der Zeitraum der maximal einjährigen Versicherungsperiode nicht zuungunsten des Versicherungsnehmers verlängert werden dürfe16. Hätten die Parteien etwa eine Versicherungsperiode von zwei Jahren vereinbart, was an sich möglich gewesen wäre, und wäre es nach etwa einem halben Jahr zu einer Gefahrerhöhung gekommen, die der Versicherer zum Anlass genommen hätte, zu kündigen, hätte er auch unter der Geltung des VVG 1908 eben nur einen Prämienanspruch bis zum Ablauf eines Versicherungsjahres, nämlich dem der ersten laufenden Versicherungsperiode gehabt und hätte sich nicht darauf berufen können, dass die Versicherungsperiode mehr als ein Jahr betrage17. Aber auch im Begriff der „Bemessung“ kommt der systematische Zweck noch nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck. Es geht nämlich auch nicht um kalkulatorische Aspekte, etwa ob der Versicherer eine Jahres- oder monatliche Prämie kalkuliert hat. Tatsächlich soll die Vorschrift den Zeitraum festlegen und begrenzen, für den dem Versicherer ein Prämienanspruch gegen den Versicherungsnehmer zustehen soll, wenn es abweichend von der vereinbarten Laufzeit zur vorzeitigen Beendigung des Versicherungsvertrages kommt. Hinzu kommen noch die Fallgestaltungen in der Lebensversicherung, wo die Verträge auf langjährige Laufzeiten ausgerichtet sind, und der Versicherungsnehmer von seinem Kündigungsrecht Gebrauch macht. Der Gesetzgeber hatte hier die Wahl, etwa Kündigungsfristen vorzusehen oder bei der Grundannahme einer höchstens einjährigen Versicherungsperiode an diese anzuknüpfen. Er hat sich für Letzteres entschieden, was unter der Geltung des Grundsatzes der Unteilbarkeit der Prämie stimmiger und gesetztechnisch gesehen systematisch überzeugender war18. Auch wenn in der kapitalbildenden Lebensversicherung im hier interessierenden Zusammenhang Regelungszweck ist, dem Versicherungsnehmer durch seine Beiträge angespartes Kapital zu erhalten bzw. zugute kommen zu lassen, geht es auch darum, den Zeitraum festzulegen bzw. zu
__________ 16 Motive zum VVG 1908, Neudruck 1963, S. 85. 17 Motive zum VVG 1908, Neudruck 1963, S. 84, 85 unter Hinweis auf § 42 VVG a. F. 18 Vgl. §§ 165 Abs. 1, 174 Abs. 1 und 3, 176 Abs. 3 VVG a. F. und §§ 165 Abs. 1 und 3, 168 Abs. 1 und 169 Abs. 3 VVG n. F.
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begrenzen, zu dem der Versicherer noch Beiträge erhalten darf bzw. sie ihm zustehen sollen. Mit dem VVG 2008 neu hinzugekommen ist die rückwirkende Vertragsanpassungsmöglichkeit des Versicherers in § 19 Abs. 4 VVG. Beim Abstellen auf die Versicherungsperiode soll der Zeitraum begrenzt werden, zu dem – bei Schuldlosigkeit des Versicherungsnehmers – der Versicherer andere Bedingungen rückwirkend einführen und ggf. auch eine höhere Prämie verlangen kann. Bedenkt man diese Zusammenhänge, wird auch deutlich, dass es bei der Versicherungsperiode auch nicht um den Haftungszeitraum, also den Zeitraum des materiellen Versicherungsschutzes gehen kann, sondern um die technische Versicherungsdauer und den damit einhergehenden Zeitabschnitt, für den die Pflicht, die Prämie zu zahlen, besteht. Aus all dem kann geschlossen werden, dass bspw. auch vereinbart werden könnte, den Beginn der Versicherungsperiode auf den 1.1. eines Jahres zu legen, gleichzeitig aber die Fälligkeit bei Vereinbarung der Prämie jedoch hinauszuschieben, indem dem Versicherungsnehmer eingeräumt wird, diese etwa erst zu einem späteren Zeitpunkt des Jahres in einem Einmalbeitrag oder bei entsprechender Vereinbarung auch in mehreren Teilen zu zahlen. Immer handelt es sich um Vereinbarungen zur Zahlungsweise und zur Fälligkeit, die, wie das Beispiel zeigt, ohne Einfluss auf die Versicherungsperiode sind. Nur dann, wenn die Parteien keine Vereinbarung getroffen haben, kommt nach der gesetzlichen Intention zum Schutz des Versicherungsnehmers die im § 12 VVG enthaltene Fiktion, nämlich dass dann die Prämie nur für den Zeitraum eines Jahres bemessen gilt, zur Anwendung19. Umgekehrt scheint aber nach dem Ausgeführten nahezuliegen, dass eine Versicherungsperiode von mehr als einem Jahr nicht wirksam vereinbart werden könnte. Teilweise wird dies auch ohne Einschränkung angenommen20. Dies gilt aber nur dann, wenn die Vorschriften, in denen auf die Versicherungsperiode Bezug genommen wird, halbzwingend sind21. Zu Recht hat daher das OLG Hamm im Hinblick auf § 40 Abs. 1 VVG a. F. eine Klausel für unwirksam angesehen, die die Versicherungsperiode zuungunsten des Versicherungsnehmers für einen über ein Jahr hinausreichenden Zeitraum festlegen wollte. Als technischer Versicherungsbeginn und prämienbelasteter Zeitraum war der 1.9. vereinbart und das Versicherungsjahr sollte demgemäß am 31.8. des nächsten Jahres enden. In den AVB war aber vorgesehen, dass in den Fällen, in denen der Versicherungsvertrag nicht am 1.1. beginne, das Versicherungsjahr im Falle der Beendigung zum 31.12. des darauf folgenden Jahres ende. Im zu entscheidenden Fall, wo es um die vorzeitige Beendigung des Versicherungsverhältnisses wegen arglistiger Täuschung des Versicherungsnehmers ging, hätte der Versicherungsnehmer damit für mehr als ein Jahr noch Prämie entrichten müssen, was das
__________ 19 Ebenso wohl Prölss in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl. 2010, § 12 Rz. 3. 20 Muschner in HK-VVG, 2009, § 12 Rz. 5. 21 Fausten in MünchKomm.VVG (Fn. 15), § 12 Rz. 22. Johannsen in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. 2008, § 12 Rz. 2; C. Schneider in Looschelders/Pohlmann, VVG, 2010, § 12 Rz. 6.
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Die Versicherungsperiode nach § 12 VVG
OLG zu Recht als unwirksam, weil zum Nachteil des Versicherungsnehmers gegen das Gesetz verstoßend (§§ 40 Abs. 1, 42 VVG a. F.), angesehen hat22. Längere Versicherungsperioden als ein Jahr waren demgemäß unter altem wie neuem Recht allerdings im Falle der Großrisiken, § 210 VVG (§ 187 VVG a. F.), möglich. Ebenso wenn die Vorschriften, in denen auf die Versicherungsperiode Bezug genommen wird, nicht halbzwingend ausgestaltet sind. Das ist etwa bei der Kündigung nach dem Versicherungsfall, § 92 Abs. 2 VVG, und bei der Kündigung in der Hagelversicherung der Fall, § 92 Abs. 3 VVG. Die praktische Bedeutung ist gering. Regelungen, wonach ausdrücklich eine Versicherungsperiode von mehr als einem Jahr vorgesehen wird, kommen in der Praxis in Versicherungsverträgen nicht vor. Auch in der Projekt- oder in der Bauleistungsversicherung werden zwar bestimmte Laufzeiten – z. B. 20 oder 24 Monate – vereinbart. Aber auf Regelungen zur Dauer der Versicherungsperiode wird verzichtet. Überhaupt ist mit dem Wegfall des Grundsatzes der Unteilbarkeit der Prämie und der Einführung des § 39 VVG diese Frage von keiner Relevanz mehr23. Nachdem nun die systematische Stellung der Versicherungsperiode behandelt wurde, soll im Folgenden auf das Verhältnis von Versicherungsperiode, Fälligkeit und Zahlungsweise eingegangen werden. 3. Versicherungsperiode, Fälligkeit und Zahlungsweise Wie bereits dargelegt, geht es bei der Versicherungsperiode um die Bemessungsgrundlage der Prämie bzw. den Zeitraum, für den insbesondere im Fall der vorzeitigen Beendigung des Versicherungsverhältnisses die Prämie zu zahlen ist. Die Versicherungsperiode hat aber nichts mit der Prämienfälligkeit oder der Modalität der Zahlungsweise zu tun. Dies ist sorgfältig voneinander zu trennen. Der Zusammenhang zwischen Zahlungsweise und Versicherungsperiode ist vielmehr folgender: Nur dann, wenn die Parteien für den Versicherungsvertrag eine Einmalprämie oder eine Jahresprämie vereinbart haben, ergibt sich ohne entsprechende Regelung aus der gesetzlichen Fiktion des § 12 VVG, dass damit auch eine Versicherungsperiode von einem Jahr als vereinbart gilt. Umgekehrt ist dies aber keineswegs der Fall. So ergibt nicht etwa die gesetzliche Fiktion von der Versicherungsperiode als im Zweifel eines Jahres, dass damit auch eine Jahresprämie vereinbart wäre. Auch die Fälligkeit der Prämie hat an sich mit der Versicherungsperiode nichts zu tun. Es sei denn, die Parteien vereinbaren Entsprechendes. Die Fälligkeit der Einmal- und Erstprämie ist im § 33 VVG geregelt. Danach hat der Versicherungsnehmer die einmalige Prämie oder, wenn laufende Prämien vereinbart sind, die erste Prämie unverzüglich nach Ablauf von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins zu zahlen. Für die Lebensversicherung sieht § 152 Abs. 3 VVG einen Zeitraum von 30 Tagen vor. Ist wie meist das Lastschriftverfahren vereinbart und zieht der Versicherer die Prämie dementspre-
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22 OLG Hamm, VersR 1981, 725. 23 Ebenso C. Schneider in Looschelders/Pohlmann (Fn. 21), § 12 Rz. 6.
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chend ein, ist der Versicherungsnehmer nach § 33 Abs. 2 VVG zur Übermittlung der Prämie erst verpflichtet, wenn er vom Versicherer hierzu in Textform aufgefordert wurde. Dies sind im VVG die Regeln, die die Fälligkeit der Prämie betreffen. § 12 VVG als Vorschrift zur Versicherungsperiode hat wie dargelegt einen anderen systematischen Zweck, nämlich im Zweifel die Festlegung und Begrenzung des Zeitraums, für den die Prämie geschuldet wird. Die Fälligkeit der Folgeprämien ist auch im neuen VVG gesetzlich nicht geregelt. Insoweit gilt § 271 BGB, wonach die Leistung im Zweifel sofort fällig wird24. Für die Folgeprämie ist daher maßgeblich, ob, wie § 271 Abs. 1 BGB ausführt, Versicherer und Versicherungsnehmer eine Zeit für die Leistung vereinbart haben oder ob diese aus den Umständen zu entnehmen ist. Tatsächlich wird die Zahlungsweise vereinbart, indem der Versicherungsnehmer von der ihm regelmäßig angebotenen Möglichkeit, entweder eine Einmalprämie oder laufende Zahlungen zu leisten, bei Antragstellung entsprechend Gebrauch macht. Welche Wahl er getroffen hat, wird im Versicherungsschein dokumentiert. Auf die Versicherungsperiode kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. So ist es zutreffend, wenn darauf hingewiesen wird, dass von der Versicherungsperiode die Zahlungsweise strikt zu unterscheiden ist25 oder festgehalten wird, dass § 12 VVG keine Regelung zur Fälligkeit der Prämie, sondern zur Dauer der Versicherungsperiode trifft26. Der Aussage, wonach bei Vereinbarung einer Zahlungsweise von monatlich, vierteljährlich usw. keine darin abweichende Abrede von der ein Jahr betragenden Versicherungsperiode, sondern eine Vereinbarung über die Zahlungsweise, die den Zeitraum der Versicherungsperiode unberührt lässt, vorliegt, kann man demgemäß ebenso zustimmen27. Regelmäßig finden sich jedoch in den AVB entsprechende vertragliche Vereinbarungen, denn unabhängig von der Versicherungsperiode kann damit die Fälligkeit der Prämien im Rahmen der Privatautonomie frei vereinbart werden28. § 12 VVG enthält lediglich eine Fiktion für den Fall, wenn die Parteien keine Regelung für die Dauer der Versicherungsperiode getroffen haben. Dann gilt die Versicherungsperiode als Zeitraum eines Jahres. Es ist offensichtlich, dass die Fälligkeit und Zahlungsweise der Prämien nicht zwingend von der Dauer der Versicherungsperiode abhängen, sondern es auch ohne Weiteres möglich ist, darauf zu verzichten, die Prämienfrage mit der Versicherungsperiode zu verbinden29. Die Versicherungsperiode kann auf Monate, ggf. auch auf Tage, bspw. bei Veranstaltungsversicherungen, verkürzt werden. Maßgeblich ist, was die Parteien vereinbart haben. So hat das Landgericht Köln zutreffend entschieden, dass aufgrund der zugrunde liegenden Verein-
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24 Michaelis in Schwintowski/Brömmelmeyer, VVG, 2008, § 33 Rz. 1; Knappmann in Prölss/Martin (Fn. 19), § 35 Rz. 1. 25 Fausten in MünchKomm.VVG (Fn. 15), § 12 Rz. 18. 26 Ebers in Schwintowski/Brömmelmeyer (Fn. 24), § 12 Rz. 1. 27 Römer in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl. 2003, § 9 Rz. 1. 28 Muschner in HK-VVG (Fn. 20), § 12 Rz. 6; Fausten in MünchKomm.VVG (Fn. 15), § 12 Rz. 19; Hahn in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 2008, § 12 Rz. 26. 29 So bereits zutreffend Möller in Bruck/Möller, 8. Aufl. 1960, § 40 Anm. 4.
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barung die Parteien nicht nur verabredet hatten, dass die Prämien für den abgeschlossenen Versicherungsvertrag zu Beginn eines jeden Kalendervierteljahres fällig gestellt werden sollten, sondern dass darüber hinaus ausdrücklich die Bemessung der Versicherungsperiode auf ein Vierteljahr begrenzt war. Im Versicherungsschein hieß es nämlich nicht nur, dass der Beitrag vierteljährlich im Voraus zu zahlen sei, sondern dass bei Beendigung des Vertrages die Beitragspflicht mit dem laufenden Vierteljahr ende. Wobei noch hinzu kam, dass die Beiträge entweder als Einmalbeitrag oder als Vierteljahresbeiträge zu zahlen waren30. Auch das OLG Braunschweig hat zu Recht darauf hingewiesen, aus § 9 VVG a. F. könne man nicht folgern, dass eine Versicherungsperiode nicht geringer bemessen werden könne als für den Zeitraum eines Jahres. Es hat betont, das VVG kenne eine derartige Beschränkung nicht31. Aus all dem ergibt sich, dass die Parteien als Zeitabschnitt der Versicherungsperiode etwa in den AVB oder im Versicherungsschein auch verbindlich die Dauer eines Jahres vereinbaren könnten, was bisher zumindest in der Praxis nicht üblich war. Schließlich fingiert auch ohne Vereinbarung das Gesetz diesen Zeitraum, was dann aber wiederum bestätigt, dass Entsprechendes auch vereinbart werden könnte, denn damit würde nur der ohnehin mangels abweichender Abrede vom Gesetz unterstellte Fall geregelt. Selbstverständlich bedeutet dies allein noch keine Abrede über die Fälligkeit und insbesondere die Zahlungsweise. Auch bei verbindlicher Festlegung der Versicherungsperiode von einem Jahr könnte dem Versicherungsnehmer monatliche Zahlungsweise eingeräumt werden32 und diese Vereinbarung bedeutet dann ebenso wenig, dass es sich ohne weitere Anhaltspunkte damit um Teilzahlungen einer geschuldeten Jahresprämie handeln würde. Auch das hängt von der getroffenen Vereinbarung ab. Umgekehrt wäre es aber möglich, die Versicherungsperiode an die Zahlungsweise zu koppeln und bei monatlicher Zahlungsweise eine Versicherungsperiode von einem Monat, bei vierteljährlicher eine Versicherungsperiode von einem Vierteljahr und bei halbjährlicher Zahlungsweise eine Versicherungsperiode von einem halben Jahr vorzusehen. All dies unterliegt der Privatautonomie und diese wird nur durch andere halbzwingende Vorschriften begrenzt, wenn diese an die Versicherungsperiode anknüpfen und wenn insoweit ein Nachteil zulasten des Versicherungsnehmers die Folge wäre. Durch eine monatliche, vierteljährliche oder halbjährliche Zahlungsweise ändert sich grundsätzlich an der Versicherungsperiode nichts. Ist die Prämie aufgrund einer Jahresbasis kalkuliert, wird lediglich diese einheitliche Prämie in Teilbeträgen gezahlt. Unabhängig von der Versicherungsperiode kann damit die Zahlungsweise und die Fälligkeit der Prämie in den Grenzen des § 307 Abs. 1 BGB frei vereinbart werden33. In diesem Zusammenhang muss man sich vergegenwärti-
__________ 30 31 32 33
LG Köln, VersR 1951, 17. OLG Braunschweig, VersR 1952, 146, 147. OLG Düsseldorf, VersR 1990, 1261. Muschner in HK-VVG (Fn. 20), § 12 Rz. 6; Karczewski in HK-VVG (Fn. 20), § 33 Rz. 1; Fausten in MünchKomm.VVG (Fn. 15), § 12 Rz. 19; Prölss in Prölss/Martin (Fn. 19), § 12 Rz. 3; Hahn in Beckmann/Matusche-Beckmann (Fn. 28), § 12 Rz. 26.
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gen, dass der Versicherungsvertrag ein Dauerschuldverhältnis ist. Insoweit ist die Situation zur Miete, auf die das OLG Bamberg hingewiesen hat, nämlich zum § 556b Abs. 1 BGB, durchaus vergleichbar. Auch das BGB unterstellt, dass die Miete für den Zeitraum, für den sie bemessen ist, jeweils bis zum Beginn des einzelnen Zahlungsabschnittes zu entrichten ist. Berücksichtigt man dies, ergibt sich, dass bei monatlicher Zahlung von Versicherungsprämien auch dann, wenn hierfür Ratenzahlungszuschläge erhoben werden, von einer Kreditierung im Sinne des § 506 BGB n. F. nicht gesprochen werden kann. Tatsächlich wird nämlich dem Versicherungsnehmer mit der Möglichkeit, statt mittels einer Jahres- die Prämie monatlich zu zahlen, kein entgeltlicher Zahlungsaufschub gewährt. Denn ein entgeltliches vertragliches Hinausschieben der Fälligkeit der gegen den Verbraucher gerichteten Forderung zu seinen Gunsten durch Vereinbarung eines vom dispositiven Recht abweichenden Fälligkeitszeitpunktes verbunden mit einer Begründung einer Vorleistungspflicht oder der Abbedingung der gesetzlichen Vorleistungspflicht des Verbrauchers liegt nicht vor, weil es keine im VVG vorgesehene gesetzliche Vorleistungspflicht gibt. § 12 VVG enthält jedenfalls keine entsprechende Regel. Damit ist mit der Vereinbarung von Zuschlägen, die der Versicherungsnehmer bei unterjähriger Zahlungsweise zahlen soll, auch nicht die Gegenleistung für die zeitweilige Nichteinforderung des geschuldeten Geldbetrages vereinbart, denn der Versicherungsnehmer schuldet nach dem VVG keine Jahresoder Einmalprämie34.
III. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis kann daher Folgendes festgehalten werden: Der Zeitraum der Versicherungsperiode kann von den Parteien frei vereinbart werden. Er kann jedoch grundsätzlich nicht länger als ein Jahr betragen. Vereinbaren die Parteien hierzu nichts, beträgt die Versicherungsperiode ein Jahr, auch wenn die Prämienzahlung monatlich, viertel- oder halbjährlich erfolgt. Die Zahlungsweise der Prämie allein hat keine Auswirkung auf die Dauer der Versicherungsperiode. Auch wenn ausdrücklich vereinbart würde, dass die Versicherungsperiode ein Jahr betragen soll, aber monatliche Zahlungsweise vorgesehen wird und Zuschläge bei monatlicher Zahlungsweise gegenüber einer dem VN auch eingeräumten Möglichkeit, die Jahresprämie in einem Betrag als Einmalprämie zu bezahlen, erhoben werden, ändert dies nichts an der Dauer der Versicherungsperiode. Sie beträgt hier unverändert ein Jahr. Gelegentlich wird in diesem Zusammenhang von sog. „unechter unterjähriger Prämienzahlung“ gesprochen.
__________ 34 Vgl. hierzu eingehend Hadding, VersR 2010, 697 f. sowie Weidenkaff in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, Vorbemerkung vor § 499 Rz. 6; Sänger in Erman, BGB, 12. Aufl. 2008, § 499 Rz. 5; Kessal-Wulf in Staudinger, BGB, §§ 491 bis 507 (Verbaucherdarlehen), Neubearbeitung 2004, § 499 Rz. 5; Godefroid, Verbraucherkreditverträge, 3. Aufl. 2008, Teil 2 Rz. 4.
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Das ist missverständlich, weil dies voraussetzen würde, dass die Prämie jährlich im Voraus zu zahlen ist. Das ist aber nach den geltenden VVG-Vorschriften nicht der Fall, sondern nur dann, wenn die Parteien dies vereinbart haben. Nur dann kann von unechter unterjähriger Prämienzahlung gesprochen werden. Das ist eher die Ausnahme und war auch in der vom OLG Bamberg zu entscheidenden Klausel nicht der Fall. Immer dann, wenn der Versicherungsnehmer ein Wahlrecht hat, die Prämie als einmalige Prämie oder in halb-, vierteljährlicher oder monatlicher Zahlungsweise zu entrichten, liegt diese Fallgestaltung bereits nicht mehr vor. Von „echter unterjähriger Zahlungsweise“ bzw. „echten unterjährigen Prämien“ oder Beiträgen kann man hingegen dann sprechen, wenn Zahlungsweise und Versicherungsperiode unterjährig festgelegt und aneinander gekoppelt werden35. Eine Ratenzahlung oder Stundung kann dann in keinem Fall vorliegen, weil die Versicherungsperiode als Zeitraum, für den die Prämie bemessen ist, dem Zeitraum, für den die Prämie zu zahlen ist, entspricht. Teilzahlungen im Sinne eines kreditierten Zahlungsaufschubs können bei echter unterjähriger Zahlungsweise damit nicht vorliegen.
IV. Neue Musterbedingungen des GDV 1. Die Klauseln und ihre systematische Einordnung Der GDV hat offenbar deshalb den Mitgliedsunternehmen unverbindlich Bedingungen mit echter unterjähriger Zahlungsweise empfohlen. § 7 Abs. 1 2010 der Musterbedingungen des GDV für die kapitalbildende Lebensversicherung lautet: „Die Beiträge zu Ihrer Lebensversicherung können Sie je nach Vereinbarung in einem einzigen Beitrag (Einmalbeitrag), durch Monats-, Vierteljahres-, Halbjahres- oder Jahresbeiträge (laufende Beiträge) entrichten. Die Versicherungsperiode umfasst bei Einmalbeitrags- und Jahreszahlung ein Jahr, bei unterjähriger Beitragszahlung entsprechend der Zahlungsweise einen Monat, ein Vierteljahr bzw. ein halbes Jahr.“
Man hat offenbar, um keinerlei Zweifel aufkommen zu lassen, die Zahlungsweise an die Versicherungsperiode gekoppelt, um damit auch bei unterjähriger Zahlung deutlich zu machen, dass jedenfalls keine Teilzahlungen im Sinne des § 506 BGB vorliegen können. Auch die Musterbedingungen 2010 für die Sachversicherung – Abschnitt B §§ 2–6 – hat man geändert, wobei hier offenbar aus Klarstellungsgründen weitere Eingriffe vorgenommen wurden, die sich allerdings bei näherem Hinsehen als überwiegend redaktionell entpuppen. Jedenfalls lautet die hier interessierende Klausel:
__________ 35 Zu den Begriffen vgl. allerdings missverständlich Winter in Bruck/Möller, VVG, 8. Aufl. 1988, Lebensversicherung, Anm. E 8 und E 136.
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Peter Reusch § 3 Prämien, Versicherungsperiode: „Je nach Vereinbarung werden die Prämien entweder durch laufende Zahlungen monatlich, viertel-, halbjährlich, jährlich oder als Einmalprämie im Voraus gezahlt. Entsprechend der Vereinbarung über laufende Zahlungen umfasst die Versicherungsperiode einen Monat, ein Vierteljahr, ein halbes Jahr oder ein Jahr. Bei einer Einmalprämie ist die Versicherungsperiode die vereinbarte Vertragsdauer, jedoch höchstens ein Jahr.“
Bei beiden Varianten geht es ersichtlich darum, die Versicherungsperiode mit der Zahlungsweise zu verkoppeln, was möglich ist. Jedenfalls wird deutlich, dass auch bei unterjähriger Zahlungsweise die Bemessung der Prämie monatlich, viertel- oder halbjährlich erfolgt. Das wirft allerdings Fragen auf, denen im Folgenden nachgegangen werden muss. Zwar ist § 12 VVG abdingbar, enthält also kein zwingendes Recht. Schon die Motive hatten darauf hingewiesen, dass entsprechende Regelungen überflüssig wären. Das ergibt sich ganz zwanglos daraus, dass § 12 VVG nur eine gesetzliche Fiktion erhält und dann, wenn die Parteien nichts vereinbart haben, die Versicherungsperiode von einem Jahr als Zeitraum für die Bemessung der Prämie vereinbart gilt. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass dann, wenn in anderen AVB Regelungen enthalten sind, die zum Nachteil des Versicherungsnehmers unter Bezugnahme auf die Versicherungsperiode Inhalte vorsehen, die gegen halbzwingende oder relativ zwingende Vorschriften verstoßen, diese insoweit unwirksam wären36. 2. Klauselkontrolle Zu prüfen ist also, ob bei der Vereinbarung einer Versicherungsperiode von einem Monat bei monatlicher Zahlungsweise bzw. einem Vierteljahr bei vierteljährlicher Zahlungsweise oder einem halben Jahr bei halbjährlicher Zahlungsweise in den Muster AVB 2010 des GDV Regelungen enthalten sind, die sich zum Nachteil des Versicherungsnehmers auswirken. Prüfungsmaßstab sind zum einen die halbzwingenden Vorschriften des VVG und zum anderen die BGB-Vorschriften zu AGB, insbesondere die §§ 307–309 BGB. Das hat zur Folge, dass eine Regelung, die nach den halbzwingenden Regelungen des VVG nicht zu beanstanden ist, dennoch z. B. wegen Intransparenz unwirksam sein kann. Allgemein lässt sich sagen, dass Klauseln, die von gesetzlichen Regelungen abweichen, und insbesondere das Hauptleistungsversprechen modifizieren oder einschränken, nur dann zulässig sind, wenn hierfür ein sachlich rechtfertigender Grund gegeben ist und dem berechtigten Interesse des Kunden hinreichend Rechnung getragen wird, insbesondere keine überwiegenden Belange des Kunden entgegenstehen37.
__________ 36 Motive zum VVG 1908, Neudruck 1963, S. 84 f.; Römer in Römer/Langheid (Fn. 27), § 9 Rz. 2; Prölss in Prölss/Martin (Fn. 19), § 12 Rz. 2; Fausten in MünchKomm.VVG (Fn. 15), § 12 Rz. 22. 37 So jedenfalls der allgemeine Maßstab, den die höchstrichterliche Rechtsprechung bei der Klauselkontrolle zugrunde legt. BGHZ 141, 137 = VersR 1999, 710; BGHZ 127, 35 = NJW 1994, 2693; BGHZ 106, 42, 46; BGH, NJW 1993, 590, 591; VersR 1997, 345; OLG Hamburg, VersR 1996, 1102, 1103; Grüneberg in Palandt (Fn. 34), § 307 Rz. 8;
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a) § 11 VVG In § 11 Abs. 2 Satz 1 VVG ist bestimmt, dass dann, wenn ein Versicherungsverhältnis auf unbestimmte Zeit eingegangen ist, es von beiden Vertragsparteien nur für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode gekündigt werden kann. Nach Abs. 3 der Vorschrift muss die Kündigungsfrist für beide Parteien gleich sein. Sie darf nicht weniger als einen Monat und nicht mehr als drei Monate betragen. Im Breitengeschäft kommt es sehr selten vor, dass ein Versicherungsverhältnis auf unbestimmte Zeit eingegangen wird. Meist wird ein Jahres- oder auch ein Dreijahresvertrag vereinbart. Schwierigkeiten könnten dann entstehen, wenn die Bedingungen vorsehen würden, dass die Kündigung des Versicherungsverhältnisses zum Schluss der laufenden Versicherungsperiode zu erfolgen hat und bei monatlicher Zahlungsweise und Koppelung der Versicherungsperiode an die Zahlungsweise, also ebenfalls monatlicher Versicherungsperiode, nur noch wenige Tage bis zum Ablauf der Versicherungsperiode bleiben. Das Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers würde damit unverhältnismäßig verkürzt. Soweit ersichtlich, enthalten die Musterbedingungen des Verbandes entsprechende Regelungen mit ausdrücklicher Bezugnahme auf die Versicherungsperiode nicht. In Anlehnung an § 11 Abs. 3 VVG sehen die meisten Bedingungen Kündigungsfristen von einem oder drei Monaten vor38. Eine Abweichung von den Regelungen des § 11 VVG zu Ungunsten des Versicherungsnehmers ist dann nicht ersichtlich. b) Vorvertragliche Anzeigepflichten In § 19 Abs. 4 VVG zu den vorvertraglichen Anzeigepflichten ist vorgesehen, dass bei einer grob fahrlässigen Verletzung der Anzeigepflicht durch den Versicherungsnehmer das Rücktrittsrecht und das Kündigungsrecht des Versicherers dann ausgeschlossen sind, wenn der Versicherer den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, allerdings auch zu anderen Bedingungen geschlossen hätte. Diese anderen Bedingungen werden auf Verlangen des Versicherers rückwirkend bei einer vom Versicherungsnehmer nicht zu vertretenden Pflichtverletzung ab der laufenden Versicherungsperiode Vertragsbestandteil. Soweit ersichtlich, verwenden die Versicherer entsprechende Klauseln in ihren Bedingungswerken, z. B. in Abschnitt B § 1 Nr. 2a AFB 2008, VGB 2008, VHB 2008, § 6 Abs. 9 Satz 2 ALB 2008. Beträgt wie bisher die Versicherungsperiode ein Jahr, bedeutet dies für den Versicherungsnehmer, dass in dem für ihn ungünstigsten Fall eben für den Zeitraum von fast einem Jahr der Versicherer die Möglichkeit hat, rückwirkend geänderte Bedingungen in den lau-
__________ Kieninger in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2007, § 307 Rz. 151; A. Fuchs in Ulmer/ Brandner/Hensen, AGB-Recht, 10. Aufl. 2006, § 307 BGB Rz. 58; Wandt, Versicherungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rz. 194 f.; Bruns in MünchKomm.VVG (Fn. 15), 307 BGB Rz. 32 f. 38 Z. B. jeweils Abschnitt A § 3 Nr. 2 und 3 VGB 2008 (Wert 1914), VGB 2008 (Wohnflächenmodell), AFB 2008, AWB 2008, AStB 2008, VHB 2008, AERB 2008, AGlB 2008. Man darf wohl davon ausgehen, dass die Versionen 2010 sich insoweit nicht ändern.
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fenden Vertrag einzufügen. Beträgt die Versicherungsperiode hingegen nur einen Monat, ein Viertel- oder ein halbes Jahr liegt eine Abweichung zugunsten des Versicherungsnehmers vor, denn er steht besser als bei der gesetzlichen Regelung. Die gesetzliche Regelung unterstellt schließlich, dass der Versicherer als Folge einer Verletzung des Versicherungsnehmers gegen die Anzeigepflicht etwa einen Risikoausschluss oder eine sonstige Bedingung einfügt, die im Regelfall nicht vorteilhaft für den Versicherungsnehmer sein wird. Sie kann auch mit einer Prämienerhöhung einhergehen. Wenn diese weniger als 10 % ist, könnte der Versicherungsnehmer auch nicht kündigen. Bei der Verkürzung der Versicherungsperiode und Koppelung an die unterjährige Zahlungsweise stellt sich dies in jedem Fall als vorteilhaft für den Versicherungsnehmer dar. Die entsprechenden Klauseln sind daher in Bezug auf § 19 Abs. 4 VVG unbedenklich. Die praktische Bedeutung ist dennoch gering. Ohnehin erscheint die gesetzliche Regelung problematisch, bei Schuldlosigkeit des Versicherungsnehmers dem Versicherer ein rückwirkendes Anpassungsrecht einzuräumen39. c) Teilrücktritt, Teilkündigung § 29 VVG behandelt den Teilrücktritt, die Teilkündigung und die teilweise Leistungsfreiheit. Abs. 2 bestimmt, dass dann, wenn der Versicherer von seinem Recht zum Rücktritt oder zur Kündigung hinsichtlich eines Teiles der Gegenstände oder der Person Gebrauch macht, der Versicherungsnehmer berechtigt ist, das Versicherungsverhältnis hinsichtlich des restlichen Teils zu kündigen. Das Gesetz sieht vor, dass die Kündigung spätestens zum Abschluss der Versicherungsperiode erklärt werden muss, in der der Rücktritt oder die Kündigung des Versicherers wirksam wird. Die praktische Bedeutung der Vorschrift ist wiederum gering. Demgemäß lässt sich in den Musterbedingungen des Verbandes, soweit ersichtlich, auch keine entsprechende Regelung finden. Gleichwohl liegt auf der Hand, dass bei unterjähriger Zahlungsweise und Koppelung der Versicherungsperiode mit einer Teilbeendigung durch den Versicherer kurz vor Ablauf der Versicherungsperiode die Frist für den Versicherungsnehmer, nun seinerseits zu reagieren und das Versicherungsverhältnis hinsichtlich des übrigen Teiles zu beenden, unangemessen kurz sein kann. Der Versicherer ist dann gehalten, eine Kündigung des Versicherungsnehmers nicht als verspätet zurückzuweisen, sondern ihm eine angemessene Zeit für die Kündigung einzuräumen. Man wird hierfür einen Zeitraum von mindestens einem Monat annehmen müssen40.
__________ 39 Reusch, VersR 2007, 1313, 1318; Knappmann in Beckmann/Matusche-Beckmann (Fn. 28), § 14 Rz. 112, räumt ein, dass dieser Fall in der Reformkommission in der Tat nicht erörtert worden sei. Für teleologische Reduktion Looschelders in Looschelders/Pohlmann (Fn. 21), § 19 Rz. 63; a. A. Langheid in MünchKomm.VVG (Fn. 15), § 19 Rz. 153. 40 Im Ergebnis ähnlich unter Berufung auf Treu und Glauben: Wandt in MünchKomm.VVG (Fn. 15), § 29 Rz. 33; Heiss in Bruck/Möller (Fn. 21), § 29 Rz. 31.
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Diese Maßstäbe müssen allgemein gelten, wenn Fristen kurz vor Ablauf der jeweiligen Versicherungsperiode zu laufen beginnen. d) Vorzeitige Vertragsbeendigung § 39 VVG in der Fassung des novellierten VVG 2008 spiegelt die Aufgabe des bisherigen Grundsatzes der Unteilbarkeit der Prämie bei der Vertragsbeendigung wieder. Die Regel sieht nun den pro rata temporis Grundsatz, also das Prinzip der Risikoproportionalität, vor. Das bedeutet, dass dem Versicherer bei einer Beendigung des Versicherungsverhältnisses vor Ablauf der Versicherungsperiode für diese Versicherungsperiode nur noch derjenige Teil der Prämie zusteht, in dem Versicherungsschutz bestanden hat41. Wird bei unterjähriger Zahlungsweise die Versicherungsperiode an die Zahlungsweise gekoppelt, ist für den Versicherungsnehmer keine nachteilige Abweichung von den Regelungsinhalten der Vorschrift hiermit verbunden, denn auch bei monatlicher Zahlungsweise und einer Versicherungsperiode von einem Monat wäre ggf. taggenau abzurechnen. Die Verkürzung der Versicherungsperiode auf einen Monat bei unterjähriger Zahlungsweise, vierteljährlicher Zahlungsweise oder halbjährlicher Zahlungsweise verstößt daher nicht gegen § 39 VVG. e) Kündigung im Schadenfall Auch § 92 VVG, die Schadenfallkündigung, enthält Regelungen zur Versicherungsperiode. Versicherer und Versicherungsnehmer können nach dem Eintritt des Versicherungsfalles den Versicherungsvertrag kündigen. Die Kündigung ist allerdings nur bis zum Ablauf eines Monats seit dem Schluss der Verhandlungen über die Entschädigung zulässig. Nach § 92 Abs. 2 Satz 3 VVG kann der Versicherungsnehmer nicht für einen späteren Zeitpunkt als den Schluss der laufenden Versicherungsperiode kündigen. Die Vorschrift ist allerdings nicht halbzwingend, sondern vollständig dispositiv. Abweichungen vom gesetzlichen Kern unterliegen allerdings der Bedingungskontrolle. Wird die Versicherungsperiode auf einen Monat verkürzt, kann dem Versicherungsnehmer damit sein Kündigungsrecht bei bestimmten zeitlichen Konstellationen – Abschluss der Verhandlungen kurz vor Monatsende – faktisch genommen werden. Die insoweit vom Verband geänderten Muster AVB versuchen, dem dadurch Rechnung zu tragen, indem dem Versicherungsnehmer das Recht eingeräumt wird, „das Versicherungsverhältnis mit sofortiger Wirkung oder zu jedem späteren Zeitpunkt bis zum Ablauf des Versicherungsjahres zu kündigen“42. Damit ist die gesetzliche Intention, die für die Versicherungsperiode den Zeitraum eines Jahres unterstellt, wieder hergestellt. Der Versicherungsnehmer steht also nicht schlechter als bei der gesetzlichen Regelung des § 92
__________ 41 Die Regierungsbegründung zu § 12 VVG führt zu Recht aus, dass der bisher geltende Grundsatz der Unteilbarkeit der Prämie vielfach zu einer Benachteiligung des Versicherungsnehmers führe. Regierungsbegründung, BT-Drucks. 16/3945, S. 72. 42 Vgl. etwa Abschnitt B § 15 Nr. 2 AFB 2010, VGB 2010, VHB 2010, AERB 2010, AStB 2010, AWB 2010; AGlB 2010.
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Abs. 2 VVG. Das gilt auch, wenn die Versicherungsperiode ein Viertel- oder ein halbes Jahr beträgt. Auch hier kann der Versicherungsnehmer spätestens zum Ablauf des Versicherungsjahres kündigen. f) Hagelversicherung § 92 Abs. 3 VVG enthält eine Sonderregelung für die Hagelversicherung. Hier kann der Versicherer nur für den Schluss der Versicherungsperiode kündigen, in welcher der Versicherungsfall eintritt. Falls der Versicherungsnehmer zu einem früheren Zeitpunkt kündigt, steht dem Versicherer dennoch die Prämie für die laufende Versicherungsperiode zu, § 92 Abs. 3 Satz 2 VVG. Die Vorschrift ist allerdings abdingbar. Auf die Frage, ob mit Koppelung von Zahlungsweise und Versicherungsperiode eine zum Nachteil des Versicherungsnehmers verbundene Abweichung vom Regelungsinhalt des § 92 Abs. 3 VVG verbunden ist, braucht deshalb nicht eingegangen zu werden, weil nach § 6 Nr. 5 AHagB 2008 sowohl das Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers wie des Versicherers zulässigerweise ausgeschlossen ist. Auf die Dauer der Versicherungsperiode kann es daher nicht ankommen. g) Veräußerung der versicherten Sache aa) § 95 VVG Bei der Veräußerung der versicherten Sache haften nach § 95 Abs. 2 VVG der Veräußerer und der Erwerber für die Prämie, die auf die zur Zeit des Eintritts des Erwerbers laufende Versicherungsperiode entfällt, als Gesamtschuldner. Die Vorschrift bedeutet eine Abweichung von § 95 Abs. 1 VVG, wonach der Erwerber in die sich während der Dauer seines Eigentums aus dem Versicherungsverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten des Veräußerers als des bisherigen Versicherungsnehmers eintritt. An sich würde danach nur der Veräußerer für den Teil der Prämie bis zum Eigentumsübergang des Versicherers haften, für die spätere Prämie aber nur der Erwerber. Weil der Versicherer sich aber den Erwerber als neuen Vertragspartner nicht hat aussuchen können, ordnet Abs. 2 die gesamtschuldnerische Haftung für die zur Zeit der Veräußerung laufende Versicherungsperiode an. Beträgt diese ein Jahr, bedeutet das im für den Veräußerer ungünstigsten Falle, dass er noch für die gesamte Jahresprämie einstehen muss. Wird die Versicherungsperiode auf einen Monat begrenzt, ist dies in jedem Fall vorteilhaft für den Veräußerer. Allerdings ist es zum Nachteil des Versicherers. Wenn er jedoch entsprechende Bedingungen vorsieht, kann er hieraus nichts herleiten. Im Übrigen ist die Vorschrift des § 98 VVG als halbzwingende Norm nur zugunsten des Erwerbers ausgestattet, nicht zugunsten des Versicherers. bb) § 96 VVG § 96 VVG behandelt die Kündigung nach Veräußerung. Abs. 2 räumt dem Erwerber das Recht ein, nach Übergang der versicherten Sache auf ihn das Ver1056
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sicherungsverhältnis mit sofortiger Wirkung oder für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode zu kündigen. Das erscheint auf den ersten Blick in Bezug auf Koppelung von Versicherungsperiode auch mit unterjähriger Zahlungsweise unproblematisch. Man muss allerdings in diesem Zusammenhang die Regelung des § 96 Abs. 3 VVG im Auge behalten. Kommt es zur Kündigung des Erwerbers, und zwar auch zum Schluss der laufenden Versicherungsperiode, ist nach wie vor der Veräußerer zur Zahlung der Prämie verpflichtet. Ausdrücklich führt das Gesetz aus, eine Haftung des Erwerbers für die Prämie bestehe nicht. Beträgt die Versicherungsperiode ein Jahr und kündigt der Erwerber etwa zu Beginn des Jahres zum Ablauf der Versicherungsperiode, so ist dies für ihn ausgesprochen vorteilhaft, denn er erlangt dadurch auf Kosten des Veräußerers kostenlos Versicherungsschutz für die Restlaufzeit des vereinbarten Versicherungsjahres, und zwar deshalb, wie das Gesetz ausdrücklich ausführt, weil der Veräußerer weiterhin zur Zahlung der Prämie verpflichtet bleibt. Eine Haftung des Erwerbers für die Prämie besteht nicht. An dieser Stelle ändert sich trotz des pro rata temporis Grundsatzes und dem Wegfall des Prinzips der Unteilbarkeit der Prämie gegenüber dem bisherigen Recht nichts. Die vom Veräußerer bezahlte Prämie darf der Versicherer behalten. Hat der Veräußerer die Prämie noch nicht vollständig bezahlt, sondern war monatliche Zahlungsweise vereinbart, kann der Versicherer jedenfalls bis zum Ablauf der Versicherungsperiode die rückständige Prämie vom Veräußerer verlangen43. Das Gesetz regelt in § 98 VVG ausdrücklich, dass Abweichungen zulasten des Erwerbers unwirksam sind. Dieses für den Veräußerer missliche Ergebnis lässt sich dadurch vermeiden, wenn in dem Veräußerungsvertrag eine klare Regelung dahingehend getroffen wird, dass der Erwerber nach dem Übergang intern jedenfalls für die Prämienzahlungsverpflichtung gegenüber dem Versicherer auch dann einzustehen hat, wenn er die Kündigung zum Ende der Versicherungsperiode erklärt. Man kann insoweit auch nicht unbedingt von einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers bei der Umsetzung des VVG 2008 ausgehen, sondern dem Versicherer soll ein Prämienanspruch deshalb zustehen, weil er eben bis zum Ablauf der Versicherungsperiode auch Versicherungsschutz gewährt. Besser wäre allerdings gewesen, wenn das Gesetz in dem Fall, in dem der Erwerber von seinem fristlosen Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht und zum Ende der Versicherungsperiode kündigt, ab dem Zeitpunkt des Überganges diesem auch die Haftung für die Prämie auferlegt hätte. Diesen systematischen Zusammenhängen muss daher die Versicherungswirtschaft bei der Koppelung von Versicherungsperiode an die unterjährige Zahlungsweise in ihren Bedingungen Rechnung zu tragen. Soweit ersichtlich, ist
__________ 43 Eingehend Reusch in MünchKomm.VVG (Fn. 15), § 96 Rz. 112 f.; nicht eingehend aber im Ergebnis wohl auch Heyers in Looschelders/Pohlmann (Fn. 21), § 96 Rz. 8; Staudinger in Bruck/Möller (Fn. 21), § 96 Rz. 44.
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dem mit der Klausel in Abschnitt A § 14 Nr. 2b entsprochen worden44. Danach ist der Erwerber berechtigt, das Versicherungsverhältnis mit sofortiger Wirkung oder zu jedem späteren Zeitpunkt bis zum Ablauf des Versicherungsjahres zu kündigen“. Damit wird der Zustand hergestellt, der besteht, wenn die Versicherungsperiode ein Jahr beträgt, so dass eine Schlechterstellung des Erwerbers mit dieser Klausel nicht verbunden ist. h) Lebensversicherung Auch in der Lebensversicherung wird an verschiedenen Stellen auf die Versicherungsperiode Bezug genommen. aa) § 165 VVG In § 165 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 3 VVG geht es darum, dass der Versicherungsnehmer jederzeit für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode die Umwandlung in eine prämienfreie Versicherung verlangen kann, wenn die dafür vereinbarte Mindestversicherungsleistung erreicht wird. Die prämienfreie Leistung ist für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode unter Berücksichtigung von Prämienrückständen zu berechnen. Beträgt die Versicherungsperiode einen Monat und nicht mehr ein Jahr, ist für den Versicherungsnehmer hiermit kein Nachteil verbunden. Die Umwandlung findet, wenn die vereinbarte Mindestversicherungsleistung erreicht wird, schneller statt, was für den Versicherungsnehmer vorteilhaft ist. bb) § 168 VVG Nach § 168 VVG kann der Versicherungsnehmer, wenn, wie regelmäßig vereinbart, laufende Prämien zu zahlen sind, das Versicherungsverhältnis jederzeit für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode kündigen. Beträgt die Versicherungsperiode einen Monat, kann der Versicherungsnehmer damit monatlich kündigen. Entsprechendes war allerdings in den bisherigen AVB auch schon vorgesehen. Irgendwelche Nachteile sind also bei Vereinbarung der Versicherungsperiode für einen Zeitraum von einem Monat für den Versicherungsnehmer hiermit nicht verbunden. Kommt es durch die Kündigung des Versicherungsnehmers oder durch Rücktritt oder Anfechtung des Versicherers zur Beendigung des Lebensversicherungsvertrages, so muss der Versicherer den Rückkaufswert erstatten. Nach § 169 Abs. 3 Satz 1 VVG ist er das nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation zum Schluss der laufenden Versicherungsperiode errechnete Deckungskapital. Auch dies stellt für den Versicherungsnehmer bei einer monatlichen Versicherungsperiode keinen Nachteil dar, weil der Versicherer zügiger und schneller den Rückkaufswert berechnen muss.
__________
44 So jeweils Abschnitt A § 14 Nr. 2b AFB 2010, AERB 2010, AStB 2010, AWB 2010; AGlB 2010, § 18 Nr. 2b VGB 2010 (Wert 1914), § 16 Nr. 2b VGB 2010 (Wohnflächenmodell).
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V. Ergebnis Die Versicherungsperiode ist der Zeitabschnitt, für den die Prämie bemessen und insbesondere im Fall der vorzeitigen Beendigung des Vertrages noch zu zahlen ist. Die Versicherungsperiode kann grundsätzlich höchstens ein Jahr oder auch einen kürzeren Zeitraum umfassen. Die Versicherungsperiode kann nicht mit der Zahlungsweise oder der Fälligkeit der Prämie gleichgesetzt werden. Der Versicherer kann aber Versicherungsperiode und unterjährige Zahlungsweise aneinander koppeln. Hierfür bedarf es allerdings entsprechender Vereinbarungen in den AVB. Nicht nur die Klauseln zur Prämie müssen dann modifiziert werden, sondern an allen Stellen an denen das VVG auf die Versicherungsperiode Bezug nimmt, muss dem in den Versicherungsbedingungen Rechnung getragen werden. Besondere Probleme bereitet dies nicht.
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Das IOSCO Multilateral Memorandum of Understanding – Fundament der internationalen Zusammenarbeit in der Wertpapieraufsicht Inhaltsübersicht I. Bedarf an internationaler Kooperation II. Das IOSCO Multilateral Memorandum of Understanding als Mechanismus für den Informationsaustausch im enforcement 1. Entstehung 2. Inhalt a) Anwendungsbereich b) Allgemeine Prinzipien zur gegenseitigen Unterstützung und zum Informationsaustausch c) Umfang der Amtshilfe aa) Weitgehende Unterstützung bb) Nach dem MMoU zu übermittelnde Informationen cc) Keine unzulässige Einschränkung der Übermittlung d) Zulässige Weitergabe der erhaltenen Informationen e) Vertraulichkeitsstandard
3. Bewerbungsverfahren a) Fragebogen b) Evaluierungsprozess 4. Monitoring Group III. Neuere Entwicklungen auf der Grundlage des IOSCO MMoU; von der Zusammenarbeit im enforcement zur Zusammenarbeit in der laufenden Wertpapieraufsicht 1. MoUs in der Versicherungs- und in der Bankenaufsicht a) MoUs in der Versicherungsaufsicht b) MoUs in der Bankenaufsicht 2. Muster-MoU für die Zusammenarbeit der Aufseher in der laufenden Aufsicht a) Die Prinzipien b) Das Sample-MoU for Supervisory Cooperation IV. Ausblick
I. Bedarf an internationaler Kooperation Globalisierung, Innovation, Wettbewerb und zunehmende Verflechtung prägen nachhaltig die Entwicklung der internationalen Kapitalmärkte und stellen Aufseher zugleich vor große Herausforderungen. Ohne feste Regeln drohen die Finanzmärkte abzustürzen und zu zerbersten. Von jeher ist es die Kernaufgabe des Aufsehers, Regeln und auch Verhaltensregeln durchzusetzen. Und schon immer birgt die Aufgabe, Verhaltensregeln durchzusetzen – im Regulierungsjargon enforcement genannt – besondere Schwierigkeiten, wenn es gilt, Regeln über staatliche Grenzen hinweg durchzusetzen. Zumal die Globalisierung leider nicht nur positive Veränderungen an den Finanzmärkten mit sich bringt, sondern auch beispiellose Möglichkeiten bietet, betrügerische Geschäfte zu betreiben und zu manipulieren. Bewusst agie-
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ren Täter über Ländergrenzen hinweg, wenn sie Anleger illegal um deren Vermögen zu bringen versuchen. Häufig gehen sie ihrem manipulatorischen Handwerk im Rahmen von pump and dump schemes auf verschiedenen Handelsplattformen in mehreren Ländern nach. Sie erwerben zunächst Aktien von einem in der Regel kurz zuvor gegründeten oder umfirmierten und im Ausland ansässigen Unternehmen, welche im wenig transparenten Freiverkehr gehandelt werden. Anschließend empfehlen sie diese Papiere in Börsenbriefen, SpamEmails oder in Telefonanrufen massiv zum Kauf, um den Kurs der Aktie auf diese Weise kurzfristig in die Höhe zu treiben und sie dann gewinnbringend zu verkaufen. In der Folge stürzt der Kurs der Aktie deutlich ab. Das Nachsehen haben die getäuschten Anleger. Täter, die Insiderhandel betreiben, nutzen gerne Konten in Offshore-Finanzzentren, um sich bei ihren dubiosen Geschäften der staatlichen Kontrolle und Aufsicht zu entziehen. Auch boiler rooms betreiben ihre unerlaubten Finanzdienstleistungen meist über Staatsgrenzen hinweg. Typischerweise wählen die Täter für ihre Machenschaften kostengünstige Quartiere – daher der Name boiler room – und üben massiven Druck auf potentielle Käufer aus. Sie werben arglose Kunden mit drängenden Telefonanrufen oder Emails und geben ihnen falsche oder irreführende Informationen. Drahtzieher, Verkäufer und Opfer befinden sich dabei üblicherweise jeweils in einem anderen Land. Geldwäscher schätzen die schützende Wirkung nationaler Grenzen ebenfalls. Sie schaffen ihr Geld in Länder mit geringen client due diligence-Anforderungen, um dessen Herkunft zu verschleiern. So ist es nicht verwunderlich, dass Ermittlungen einen Aufseher oft über nationale Grenzen hinaus führen. Um erfolgreich zu ermitteln, sind Aufseher auf eine gute und effektive Zusammenarbeit mit ihren Kollegen im Ausland angewiesen. Wichtigste Voraussetzung für eine funktionierende Kooperation ist der Austausch von Informationen. In der Vergangenheit hat sich die Vereinbarung eines bilateralen oder multilateralen Memorandum of Understanding (MoU) als wirkungsvoller Mechanismus für einen vereinfachten grenzüberschreitenden Austausch von Informationen erwiesen. Memoranda of Understanding (MoUs) sind Vereinbarungen zwischen Aufsehern über den Austausch von Informationen. In MoUs werden Auskunftsersuchen standardisiert und Übermittlungsverfahren festgelegt1. Auch die BaFin hat auf der Grundlage von § 7 Abs. 7 Gesetz über den Wertpapierhandel (Wertpapierhandelsgesetz, WpHG) die Möglichkeit, MoUs mit anderen, im Ausland zuständigen Stellen abzuschließen. Sie hat von dieser Befugnis bereits des Öfteren Gebrauch gemacht und zahlreiche bilaterale MoUs2 abgeschlossen. Zudem hat die BaFin im Januar 1999 das multilaterale CESR MMoU3 und im November 2003 das
__________ 1 Schlette/Bouchon in Fuchs, 1. Aufl. 2009, § 7 WpHG Rz. 10. 2 Die bilateralen MoUs aus jüngerer Vergangenheit sind auf der BaFin-Webseite einsehbar unter: http://www.bafin.de/cln_179/nn_722842/DE/BaFin/Internationales/Gemein sameStandpunkte/gemeinsamestandpunkte__node.html?__nnn=true. 3 CESR ist die Abkürzung für Committee of European Securities Regulators. Der Text des MMoU ist einsehbar unter: http://www.cesr.eu/popup2.php?id=190.
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Das IOSCO Multilateral Memorandum of Understanding
IOSCO Multilateral Memorandum of Understanding Concerning Consultation and Cooperation and the Exchange of Information4 unterzeichnet.
II. Das IOSCO Multilateral Memorandum of Understanding als Mechanismus für den Informationsaustausch im enforcement Das IOSCO Multilateral Memorandum of Understanding Concerning Consultation and Cooperation and the Exchange of Information (im Folgenden: IOSCO MMoU) hat sich für das enforcement auf globaler Ebene als eine der wichtigsten internationalen Vorkehrungen für den grenzüberschreitenden Informationsaustausch zwischen Wertpapieraufsehern verschiedener Nationen entpuppt. Die IOSCO, gegründet im Jahr 1983, hat als internationales Expertengremium5 im Jahr 2002 das MMoU verabschiedet. Inzwischen hat es sich zu einem weltweit anerkannten Standard für den grenzüberschreitenden Informationsaustausch entwickelt. Am 15. Juli 2010 hatten bereits 71 Wertpapieraufsichtsbehörden das MMoU unterzeichnet; sie sind in Annex A des MMoU aufgelistet. Weitere 36 Aufsichtsbehörden hatten bis zu diesem Zeitpunkt eine Absichtserklärung abgegeben, mit der sie sich verpflichten, Hindernisse, die einer Zeichnung des MMoU entgegenstehen, zu beseitigen; sie sind in Annex B aufgelistet. Diese Erfolgsgeschichte ist Grund genug, das IOSCO MMoU der deutschen Fachöffentlichkeit in seinen wesentlichen Einzelheiten vorzustellen. 1. Entstehung Die IOSCO knüpft mit ihrem MMoU an eine Reihe von Arbeiten an, die sie zuvor schon unternommen hatte, um die internationale Kooperation im enforcement zu stärken. Aufgrund der steigenden Zahl internationaler Geschäfte an Wertpapiermärkten sah die IOSCO bereits frühzeitig den Bedarf, die Kooperation von Aufsehern zu verbessern. In ihrer Rio Declaration von 19866 rief die IOSCO ihre Mitglieder dazu auf, sich gegenseitig stärker zu unterstützen. Im Jahr 1989 empfahl die Resolution on Cooperation7 bereits den Abschluss bilateraler und multilateraler MoU, mit denen sich die Unterzeichner dazu
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4 IOSCO ist die Abkürzung für International Organization of Securities Commissions. Der Text des MMoU ist einsehbar unter: http://www.iosco.org/library/pubdocs/pdf/ IOSCOPD126.pdf. 5 Carny in KölnKomm.WpHG, 1. Aufl. 2007, § 7 Rz. 17; Diplock in Opening Ceremony Address – 2009 IOSCO Annual Conference Tel Aviv, S. 3, einsehbar unter: http:// www.iosco.org/library/annual_conferences/pdf/ac23-1.pdf. Nähere Informationen zur IOSCO finden sich auf deren Webseite: http://www.iosco.org/ und in Berkenbusch, Grenzüberschreitender Informationsaustausch im Banken-, Versicherungs- und Wertpapieraufsichtsrecht, 2004, S. 46 ff. 6 IOSCO Executive Committee, Resolution Concerning Mutual Assistance, November 1986, abrufbar unter: http://www.iosco.org/library/resolutions/pdf/IOSCORES1.pdf. 7 IOSCO Executive Committee, Resolution on Cooperation, Juni 1989, abrufbar unter: http://www.iosco.org/library/resolutions/pdf/IOSCORES2.pdf.
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verpflichten, sich gegenseitig auf der Grundlage entsprechender Ersuchen Auskünfte und Dokumente zu übermitteln, selbst wenn das unter Ermittlung stehende Verhalten keinen ausdrücklichen Verstoß gegen das eigene nationale Recht darstellt. Daran anschließend verabschiedete die IOSCO im Jahr 1991 allgemeine Prinzipien für Memoranda of Understanding8. Diese zehn Prinzipien sollen als Vorund Grundlage für den Abschluss von MoU zwischen Aufsehern dienen. Es handelt sich dabei um einen Konsens der IOSCO-Mitglieder darüber, wie MoU als effiziente Instrumente des Informationsaustauschs unter Aufsehern ausgestaltet sein sollten, um Marktmissbrauch an Wertpapiermärkten zu bekämpfen. Auf der Basis dieser Prinzipien schlossen Aufseher zahlreiche MoU ab, die jedoch von sehr unterschiedlicher Qualität waren. Bis heute reicht – je nach den Befugnissen der Unterzeichner – die Palette der MoU von reinen politischen Willensbekundungen, besser zusammenzuarbeiten, bis hin zu deutlichen Absichtserklärungen, einander effektiv und geregelt in Angelegenheiten des enforcements oder der laufenden Aufsicht über Institute mit Informationen zu versorgen. Im Jahr 1994 unterzogen sich die IOSCO-Mitglieder einer Selbsteinschätzung. Es ging darum, die eigenen Fähigkeiten in Bezug auf den effektiven Austausch von aufsichtsrelevanten Daten zu bewerteten. Dabei stellte sich heraus, dass einer erheblichen Anzahl von Aufsehern nicht alle notwendigen Informationen zur effektiven Verfolgung von Wertpapierhandelsdelikten, insbesondere solche zur Identifizierung des wirtschaftlich Berechtigten von Transaktionen, zur Verfügung standen – und zwar aufgrund eingeschränkter Befugnisse und weil das Bankgeheimnis dem entgegenstand9. Hierauf reagierte die IOSCO 1997 mit einer Resolution zu Prinzipien über den Erhalt von Informationen, Enforcementbefugnissen und die gegenseitige Kooperation10 und mit einer Resolution zu Enforcementbefugnissen11. Die Mitglieder verpflichteten sich in diesen Resolutionen dazu, alle Anstrengungen zu unternehmen, um eine detaillierte Aktenführung, eine umfassende Informationsbeschaffung und eine ungehinderte Durchsetzbarkeit der Informationsbegehren zu gewährleisten. Auch die im Jahr 1998 verabschiedeten IOSCO-Prinzipien für eine ordnungsgemäße Wertpapieraufsicht, die in der Vergangenheit bereits überarbeitet wurden, enthalten jeweils drei Prinzipien
__________ 8 IOSCO Technical Committee, Principles for Memoranda of Understanding, 1991, abrufbar unter: http://www.iosco.org/library/pubdocs/pdf/IOSCOPD17.pdf. 9 Report on the Self-Evaluation Conducted by IOSCO Members Pursuant to the 1994 IOSCO Resolution on Commitment to Basic IOSCO Principles of High Regulatory Standards and Mutual Cooperation and Assistance, November 1997, abrufbar unter: http://www.iosco.org/library/pubdocs/pdf/IOSCOPD76.pdf. 10 IOSCO Presidents’ Committee, Resolution On Principles For Record Keeping, Collection of Information, Enforcement Powers and Mutual Cooperation to Improve the Enforcement of Securities and Futures Laws, November 1997, abrufbar unter: http://www.iosco.org/library/resolutions/pdf/IOSCORES15.pdf. 11 IOSCO Presidents’ Committee, Resolution on Enforcement Powers, November 1997, abrufbar unter: http://www.iosco.org/library/resolutions/pdf/IOSCORES14.pdf.
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zum enforcement und zur internationalen Kooperation12. Auf der Basis dieser Entwicklungen und Arbeiten, aber auch unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September 2001 schlossen die IOSCO-Mitglieder das IOSCO MMoU ab. Die furchtbaren Ereignisse jenes Tages und der nachfolgende politische Druck haben maßgeblichen Einfluss auf den Umfang der Amtshilfe gehabt. 2. Inhalt Artikel 7 (a) des MMoU verpflichtet die Unterzeichner dazu, sich gegenseitig im Rahmen des Zulässigen volle Unterstützung zu gewähren. Im Wesentlichen geben die Unterzeichner des IOSCO MMoU mit ihrer Unterschrift einander die Zusage, für die Verfolgung von Wertpapierhandelsdelikten notwendige Informationen zu übermitteln. Zudem verpflichten sie sich, die Nutzung dieser Informationen in zivilen oder verwaltungsrechtlichen Enforcementverfahren und in bestimmten Fällen auch die Weiterleitung dieser Informationen an die sogenannten self-regulatory organizations (SROs)13 sowie an strafrechtliche Verfolgungsbehörden zuzulassen. Ferner versichern die Unterzeichner, dass sie die Informationen, die sie von anderen Unterzeichnern erhalten, vertraulich behandeln. Zudem gibt das MMoU in Artikel 8 in Verbindung mit Annex C Kriterien für die Gestaltung von Amtshilfeersuchen vor und trägt so zur Standardisierung der Ersuchen bei. Für manche mögen die im MMoU verwendeten Formulierungen recht weich klingen14, doch hat die IOSCO den Text auf dem Papier im Verlauf der Jahre mit Leben gefüllt und näher konkretisiert. Dabei hat die IOSCO sich an den Bedürfnissen der Aufseher orientiert. Im Folgenden werden einige Kernaspekte des MMoU näher beleuchtet. a) Anwendungsbereich Artikel 7 definiert – in Verbindung mit Artikel 4 – die Bereiche, in denen das IOSCO MMoU die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit zur – unter Umständen auch zwangsweisen – Beschaffung und zum grenzüberschreitenden Austausch von Informationen verlangt. Nach Artikel 7 (a) unterstützen sich die Unterzeichnerbehörden gegenseitig unter voller Ausnutzung ihrer jeweiligen rechtlichen Möglichkeiten, um zu gewährleisten, dass Aufsichtsrecht – laws and regulations – eingehalten wird. Artikel 4 definiert den in Artikel 7 verwendeten Begriff laws and regulations näher. Laut Artikel 4 (a) fallen hierunter zunächst solche Vorschriften, die die Verhinderung von Marktmiss-
__________ 12 IOSCO Objectives and Principles of Securities Regulation, Mai 2003, abrufbar unter: http://www.iosco.org/library/pubdocs/pdf/IOSCOPD154.pdf. Aufgrund der Finanzkrise war eine erneute Überarbeitung der Prinzipien erforderlich. Diese war bis zum 15.7.2010 noch nicht vollständig abgeschlossen. 13 Unter dem Begriff SROs versteht man im Sprachgebrauch der IOSCO üblicherweise solche Mechanismen, nach denen Private (quasi-)hoheitliche Befugnisse der Verwaltung ausüben, in etwa vergleichbar mit dem Status der Beliehenen. 14 Vgl. Kurth, Problematik grenzüberschreitender Wertpapieraufsicht, WM 2000, 1521, 1529, der dies jedoch allgemein über Memoranda of Understanding und nicht speziell im Hinblick auf das IOSCO MMoU anmerkt.
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brauch und anderen betrügerischen oder manipulatorischen Praktiken zum Gegenstand haben. Ferner umfasst der Begriff nach Artikel 4 (b) Vorschriften zu Registrierung, Emission und Veräußerung von Wertpapieren sowie den entsprechenden Berichtspflichten, nach Artikel 4 (c) Vorschriften zu Intermediären15 und Investmentfonds16 und nach Artikel 4 (d) Vorschriften zu Handelsplätzen sowie zu Clearing und Settlement Organisationen. Die Aufzählung des Artikels 4 orientiert sich nicht an Rechtsbegriffen eines bestimmten nationalen Rechts. Vielmehr enthält die Vorschrift Begriffe, welche die IOSCO-Mitglieder autonom auslegen. Rechtsbegriffe aus einzelnen Rechtsordnungen einschließlich der einschlägigen EU-Richtlinien sind nicht zwingend ausschlaggebend. Das MMoU darf nur zeichnen, wer nachweist, dass sein nationales Recht den Austausch vertraulicher Informationen in allen von Artikel 4 aufgezählten Bereichen der Wertpapieraufsicht gestattet. Die in Artikel 4 (a)-(d) aufgezählten Begriffe sind weit auszulegen, da sie nicht zuletzt auch durch andere Rechtsordnungen geprägt wurden, die im Vergleich zu den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen ein anderes Verständnis vom Begriff der Wertpapieraufsicht haben und im Hinblick auf die Kompetenzen der Wertpapieraufsichtsbehörden andere Abgrenzungen vornehmen. Daher verlangt Artikel 4 (a) beispielsweise auch die Fähigkeit zur Amtshilfe bei der Verfolgung unerlaubter Geschäfte, etwa von boiler-room-Fällen. Gelegentliche Meinungsverschiedenheiten der Unterzeichner über den Anwendungsbereich wurzeln in den unterschiedlichen sachlichen Zuständigkeiten der Zeichner. Unstreitig geht der Anwendungsbereich des MMoU über die Zuständigkeiten hinaus, wie sie sich aus den sonst speziell für den Wertpapierbereich einschlägigen EU-Richtlinien17 ergeben. So gehört etwa die Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche nach gängiger Praxis zum Anwendungsbereich des IOSCO MMoU. Anknüpfungspunkt für die Einbeziehung der Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche dürfte Artikel 4 (b) sein. Historisch erklärt sich dies daraus, dass das MMoU nur wenige Monate nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ausgehandelt und verabschiedet wurde. Der Druck von Seiten der Politik war hoch; man wollte die Kooperation der Aufsichtsbehörden verbessern. Auch die Amtshilfe bei Unternehmensübernahmen wird unter Artikel 4 (b) subsumiert. Schließlich müssen die Unterzeichner nicht nur bei der Überwachung des Handels von Wertpapieren sondern auch bei der Überwachung von Geschäften in Derivaten in der Lage sein, Unterstützung zu leisten. Selbst wenn ein Unterzeichner keine Befugnisse für die Aufsicht über den Derivatehandel besitzt, etwa weil in seiner Jurisdiktion (noch) kein Markt für Derivate
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15 Der Begriff Intermediäre umfasst Anlage- und Handelsberater, die einer Erlaubnisoder Registrierungspflicht unterliegen, sowie Broker und Dealer. 16 Der Begriff Investmentfonds umfasst nicht nur richtlinienkonforme OGAWs, sondern auch nicht harmonisierte Fonds wie z. B. Hedge Fonds. 17 Im Wertpapierbereich sind dies insbesondere folgende Richtlinien: Marktmissbrauchsrichtlinie (RL 2003/6/EG), MiFID (RL 2004/39/EG), Transparenzrichtlinie (RL 2004/ 109/EG), OGAW-Richtlinie (RL 2009/65/EG) und Prospektrichtlinie (RL 2003/71/ EG).
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existiert, muss er anderen Unterzeichnern bei der Überwachung des Derivatehandels Unterstützung leisten können. So muss er zum Beispiel Auskunft über den Strom von Geldern erteilen können, die im Zusammenhang mit einer verdächtigen Transaktion in Derivaten geflossen sind, sofern diese auf oder über Konten geleitet werden, die sich in seinem Hoheitsbereich befinden. b) Allgemeine Prinzipien zur gegenseitigen Unterstützung und zum Informationsaustausch Artikel 6 des IOSCO MMoU enthält allgemeine Prinzipien über die gegenseitige Unterstützung und den Austausch von Informationen. Danach entfaltet das MMoU keine rechtlich verbindlichen Verpflichtungen. Es kann auch nationales Recht nicht verdrängen oder ersetzen. Nach Artikel 6 (e) darf die ersuchte Behörde ein Amtshilfeersuchen ablehnen, wenn sie durch Erfüllung des Ersuchens nationales Recht verletzten würde, wenn bereits strafrechtliche Verfahren gegen dieselben Personen aufgenommen wurden, die auf denselben Fakten basieren, oder dieselben Personen bereits rechtskräftig bestraft wurden (Gedanke des ne bis in idem). Auch wenn das Ersuchen nicht den Anforderungen des MMoU entspricht oder wenn Gründe des Allgemein- oder nationalen Interesses entgegenstehen, kann ein Ersuchen abgelehnt werden. Das MMoU enthält keine nähere Definition zum unbestimmten Begriff des Allgemein- bzw. des nationalen Interesses. Denkbar wäre zum Beispiel, dass manche MMoU-Unterzeichner aus Gründen der nationalen Sicherheit ein Amtshilfeersuchen ausländischer Aufsichtsbehörden auf der Grundlage ihres nationalen Rechts nach eigenem Ermessen ablehnen. Die Auslegung des Begriffs des Allgemein- oder des nationalen Interesses darf jedoch nicht dazu führen, dass ein mustergültiges, den Anforderungen des MMoU entsprechendes Amtshilfeersuchen abgelehnt wird. Denn eine solch weitreichende Auslegung unterliefe den Zweck des MMoU, der darin besteht, den Informationsaustausch zu vereinfachen. Daher haben sich Unterzeichner in der Vergangenheit durch entsprechend klarstellende Formulierungen in den Bewerbungsberichten zu einer MMoU-konformen Ermessensausübung verpflichtet und zugesichert, die Ausführung von Amtshilfeersuchen, die den Anforderungen des MMoU entsprechen, nicht aus Gründen des Allgemein- oder nationalen Interesses zu verweigern. c) Umfang der Amtshilfe Artikel 7 ist eine der Kernvorschriften des IOSCO MMoU, da er den Umfang der zu leistenden Amtshilfe festlegt. aa) Weitgehende Unterstützung Artikel 7 (a) verpflichtet die Unterzeichner, sich gegenseitig bestmöglich bei der Überwachung der Einhaltung aufsichtsrechtlicher Regeln zu unterstützen. Um diese Verpflichtung zu erfüllen, müssen die Unterzeichnerbehörden in der 1067
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Lage sein, die Einholung von Auskünften gegenüber natürlichen und juristischen Personen durchzusetzen. Die Durchsetzung des Anspruchs auf Auskunftserteilung wird in der Regel durch die Möglichkeit abgesichert, bei Verweigerung von Auskünften Sanktionen zu verhängen. So kann die BaFin gemäß § 39 Abs. 3 Nr. 1 a i. V. m. § 4 Abs. 3 WpHG ein Bußgeld in Höhe von bis zu 100 000 Euro verhängen, wenn eine Person der Aufforderung, eine Auskunft zu erteilen, nicht nachkommt. Das MMoU legt keinen Mindeststandard für die Höhe von Sanktionen zur Durchsetzung von Auskunftsrechten fest. Die Idee, einen konkreten Minimumstandard einzuführen, ließe sich angesichts unterschiedlicher wirtschaftlicher Verhältnisse in den Unterzeichnerländern auch nur schwer umsetzen. Allerdings müssen Unterzeichner in der Lage sein, angemessene Maßnahmen mit abschreckender Wirkung zu ergreifen, damit sie den Erhalt von Auskünften auch tatsächlich durchsetzen können. In einigen Ländern räumt das nationale Recht Aufsichtsbehörden für die Entscheidung, ob sie eine Information an ausländische Aufsichtsbehörden übermitteln, einen Ermessenspielraum ein oder macht den Informationsaustausch davon abhängig, dass bestimmte Kriterien erfüllt sind. Häufig sollen oder dürfen Informationen nur dann ausgetauscht werden, wenn der Austausch von Informationen auf Gegenseitigkeit beruht, die ersuchende Behörde also der ersuchten Behörde in einem umgekehrt gelagerten Fall ebenfalls helfen könnte, oder wenn die übermittelten Informationen einem Vertraulichkeitsstandard unterliegen, der dem für die jeweilige Aufsichtsbehörde geltenden Standard entspricht. In einigen Ländern ist ferner der Anspruch an die Substantiierung des Ersuchens insoweit hoch, als diese ausreichen sollte, um einen gewissen ersten oder Anfangsverdacht zu begründen: Mit diesem Anspruch der ersuchten Aufsichtsbehörde sollen sogenannte fishing expeditions ausgeschlossen werden, bei denen eine Behörde ohne hinreichenden Anfangsverdacht großflächig Informationen abfragt, um überhaupt erst konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Delikts zu finden. Auch nach § 7 Abs. 7 WpHG steht die Zusammenarbeit mit Aufsichtsbehörden aus Drittstaaten im Ermessen der Aufsichtbehörde, also der BaFin. Grenzen der Zusammenarbeit ergeben sich neben den in § 7 WpHG genannten Einschränkungen insbesondere aus § 8 Abs. 1 WpHG. Danach darf die BaFin Informationen nur dann mit ausländischen Stellen austauschen, wenn diese Stellen und die von der ausländischen Stelle beauftragten Personen einer dem § 8 Abs. 1 Satz 1 WpHG entsprechenden Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Personenbezogene Daten übermittelt die BaFin dann nicht, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass sie dadurch gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstieße oder schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt würden. Bei der Abwägung, ob schutzwürdige Interessen eines Betroffenen beeinträchtigt würden (§ 4b Abs. 2 Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz, BDSG), muss die BaFin berücksichtigen, dass der effektiven internationalen Kooperation der 1068
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Aufsichtsbehörden eine besondere Bedeutung zukommt18. Die BaFin legt die Vorschriften des WpHG daher kooperationsfreundlich aus. Sie geht regelmäßig davon aus, dass andere Unterzeichner des IOSCO MMoU vergleichbaren Vertraulichkeitsstandards unterliegen. Denn diese müssen sich vor der Unterzeichnung einem Verfahren unterziehen, in dem ihre Fähigkeit, Informationen vertraulich zu behandeln, überprüft wird19. Richtet ein anderer Unterzeichner ein Ersuchen an die BaFin, das den Anforderungen des MMoU entspricht, wird sie diesem Ersuchen daher in der Regel nachkommen. Nur wenn konkrete Anhaltspunkte vorlägen, die Zweifel an der Vergleichbarkeit des Vertraulichkeitsstandards begründeten, lehnte die BaFin das Ersuchen eines anderen MMoU-Unterzeichners ab. Auch andere Unterzeichner haben in dem Bewerbungsprozess vor Unterzeichnung des MMoU zugesichert, nationale Rechtsvorschriften im Lichte des MMoU auszulegen. In der Praxis bedeutet dies, dass ein dem MMoU entsprechendes Amtshilfeersuchen üblicherweise als den nationalen Kriterien entsprechend angesehen und erfüllt wird. Manchmal müssen Aufsichtsbehörden aufgrund einschlägiger nationaler Vorschriften bei der Überprüfung, ob die für den Informationsaustausch einzuhaltenden Kriterien erfüllt sind, andere inländische staatliche Stellen konsultieren, zum Beispiel Ministerien. Einige Wertpapieraufsichtsbehörden müssen sogar bei der Überprüfung, ob ein Amtshilfeersuchen den Vorgaben des nationalen Rechts entspricht, die ausdrückliche Zustimmung anderer nationaler Behörden einholen, bevor sie dem Ersuchen nachkommen können. Davon betroffene Aufsichtsbehörden sicherten aber ebenfalls vor Unterzeichnung des MMoU zu, dass ein mustergültiges MMoU-Ersuchen die nationalen Vorgaben für den Austausch von Informationen erfüllt und dass der nach ihrem nationalen Recht erforderliche Konsultationsprozess der Übermittlung ersuchter Informationen nicht entgegensteht. Daneben reichen sie regelmäßig auch eine formelle Zusicherung, ein sogenanntes undertaking, ein, in dem die anderen in den Konsultationsprozess involvierten nationalen Stellen zusichern, dass sie MMoU-konforme Ersuchen als den nationalen Vorgaben entsprechend ansehen. Ferner verpflichten sich die anderen in den Prüfungsprozess einzubeziehenden nationalen Stellen mit der Abgabe solcher undertakings bereits im Vorfeld dazu, dass sie bei Vorliegen MMoU-konformer Amtshilfeersuchen ihre Zustimmung zum Informationsaustausch erteilen werden, so dass die Informationen nach dem durch das IOSCO MMoU vorgegebenen Standard übermittelt und genutzt werden können (upfront approval). Dabei muss sichergestellt werden, dass die Unterzeichnerbehörde die einzige Ansprechpartnerin für die ersuchende Behörde ist.
__________ 18 Dreyling/Döhmel in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 7 WpHG Rz. 28. 19 Nähere Ausführungen zum Verfahren finden sich unter II. 3.
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bb) Nach dem MMoU zu übermittelnde Informationen Artikel 7 (b) konkretisiert, welche Informationen die Unterzeichner nach dem MMoU untereinander austauschen müssen. In der Praxis geht es meist um den Austausch von Informationen zur Verfolgung von Marktmissbrauchsfällen. Dies ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass einer der Kernpunkte guter Finanzmarktregulierung darin besteht, Marktmissbrauch zu verhindern. Schließlich verlieren Investoren und andere Marktteilnehmer ohne effektive Bekämpfung von Marktmissbrauch schnell das Vertrauen in den Markt20. Um Marktmissbrauch effektiv bekämpfen zu können, muss es möglich sein, dass MMoU-Unterzeichner, entweder direkt oder indirekt über eine andere nationale Stelle, konkrete Informationen über Transaktionen, insbesondere über Kunden, Ausführungsbevollmächtigte, Volumen der gehandelten Wertpapiere, Broker sowie Zeit und Preis der Transaktion, erhalten. Die Unterzeichner müssen in der Lage sein, von sämtlichen natürlichen oder juristischen Personen Auskünfte einholen zu können, und zwar auch von solchen Personen, die nicht direkt ihrer Aufsicht unterliegen. Dementsprechend sieht § 4 Abs. 3 Satz 1 WpHG beispielsweise vor, dass die BaFin von jedermann Auskünfte, die Vorlage von Unterlagen und die Überlassung von Kopien verlangen sowie Personen laden und vernehmen kann, soweit dies auf Grund von Anhaltspunkten für die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften des WpHG erforderlich ist. Überdies müssen die Unterzeichner auch Informationen über Bankkonten an andere Unterzeichnerbehörden übermitteln können. Denn um Marktmissbrauch effektiv verfolgen zu können, benötigen Wertpapieraufsichtsbehörden neben den genauen Daten über die Transaktionen in den Wertpapieren auch Daten über den Fluss der Gelder, die im Gegenzug für die fraglichen Wertpapiere gezahlt wurden. Entscheidend sind aber nicht nur Gelder, die unmittelbar im Zusammenhang mit der im Blickpunkt stehenden Wertpapiertransaktion gezahlt wurden. Geldflüsse von oder auf andere Konten, die vor oder nach der eigentlichen Transaktion stattfinden, geben ebenfalls entscheidende Hinweise. Daher ist es sehr wichtig, dass MMoU-Unterzeichner Daten über Geldkonten erhalten und austauschen können. Allerdings haben nicht alle Unterzeichnerbehörden direkten Zugriff auf Daten über Bankkonten, wie ihn etwa die BaFin hat, denn dieser Zugriff ist häufig den Zentralbanken vorbehalten. Manche der betroffenen Unterzeichnerbehörden haben bereits mit den Zentralbanken ihrer Jurisdiktion ein bilaterales MoU über den Austausch von Informationen über Bankkonten geschlossen, das auch den Anforderungen des IOSCO MMoU genügt. Soweit ein solches MoU nicht besteht, helfen auch in diesen Fällen undertakings weiter. Darin verpflichten sich die Zentralbanken, mit den Wertpapieraufsichtsbehörden ihrer Jurisdiktion zu kooperieren und diesen, wenn das Ersuchen, das an sie gerichtet wurde, MMoU-konform ist, Informationen über Bankkonten zu über-
__________ 20 Clausen/Engsig Sørensen, Stock Exchange Mergers – The New Driver in the Harmonisation of Securities Market Regulation?, ECFR 2009, 29, 44.
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mitteln, die die ersuchten Behörden dann an die ersuchende Behörde ohne Einschränkungen, die einer Nutzung der Informationen nach den Vorgaben des MMoU entgegenstehen, weiterleiten können. Wichtig ist auch in solchen Fällen, dass die ersuchte Unterzeichnerbehörde einzige Ansprechpartnerin der ersuchenden Behörde ist. Die ersuchte Behörde darf die ersuchende Behörde beispielsweise nicht an die Zentralbanken verweisen, sondern muss als Brücke für den Informationsaustausch dienen. So wird eine Vereinfachung des Informationsaustausches gewährleistet, weil die ersuchende Behörde nur einen einzigen Ansprechpartner kontaktieren und nicht zugleich mit mehreren Behörden im Ausland in Verbindung treten muss. Zentrale Voraussetzung zur Aufklärung von Verstößen gegen das Verbot des Marktmissbrauchs ist die Identifizierung der natürlichen Person, die von den fraglichen Transaktionen in Wertpapieren profitiert, unabhängig davon, welche – wie auch immer konstruierte – juristische Person zur Abwicklung der Transaktionen gewählt wurde. Daher ist es wesentliche Voraussetzung, dass die Unterzeichner die Fähigkeit besitzen, untereinander Daten über den tatsächlich wirtschaftlich Berechtigten einer Transaktion auszutauschen. Zum Nachweis dieser Fähigkeit müssen Aufsichtsbehörden im Bewerbungsverfahren vor Unterzeichnung des MMoU regelmäßig einen Überblick über die in ihrer Jurisdiktion existierenden juristischen Personen geben und erklären, wie die Inhaber von Anteilen identifiziert werden können. Schließlich müssen die Aufsichtsbehörden darlegen, dass die Verfügbarkeit aller Daten, die nach dem IOSCO MMoU ausgetauscht werden können, durch eine gewisse für die Aufbewahrung geltende Mindestfrist abgesichert wird. Fünf Jahre werden üblicherweise als ausreichende Mindestfrist angesehen. cc) Keine unzulässige Einschränkung der Übermittlung Nach Artikel 7 (c) darf eine ersuchte Behörde die Amtshilfe nicht verweigern, weil das Verhalten, das Gegenstand der Untersuchung der anfragenden ausländischen Aufsichtsbehörde ist, keine konkrete Verletzung des nationalen Aufsichtsrechts der ersuchten Behörde beinhaltet. Wenn eine Aufsichtsbehörde aufgrund nationaler Vorschriften vor dem Austausch von Informationen erst überprüfen muss, ob die von einer ausländischen Behörde untersuchten Handlungen eines Marktteilnehmers auch das in ihrer eigenen Jurisdiktion geltende nationale Recht verletzten, wenn sie dort erfolgt wären (Erfordernis der sogenannten dual illegality), dann ist sie nicht in der Lage, die Anforderungen des IOSCO MMoU einzuhalten. In manchen Ländern dürfen Aufsichtsbehörden nur dann mit anderen ausländischen Aufsichtsbehörden Informationen austauschen, wenn der in Frage stehende Verstoß gegen ausländisches Recht zumindest vergleichbar mit Ver- oder Geboten des eigenen nationalen Rechts der ersuchten Behörde ist. Auch § 7 Abs. 1 Satz 2 WpHG bestimmt, dass die BaFin im Rahmen der Zusammenarbeit mit ausländischen Aufsichtsbehörden von ihren Befugnissen Gebrauch machen darf, wenn dies der Überwachung der Einhaltung der Verbote und Gebote des WpHG sowie der Verbote und Gebote ausländischer Staaten 1071
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dient, die denen des WpHG oder des Börsengesetzes entsprechen. Somit muss auch die BaFin überprüfen, ob der nach ausländischem Recht untersuchte Verstoß eine Parallele zum deutschen Recht aufweist. Solche Anforderungen nach nationalem Recht stehen nur dann im Einklang mit dem IOSCO MMoU, wenn die Aufsichtsbehörde darlegen kann, dass alle in Artikel 4 des MMoU erfassten Verstöße auch nach dem für sie geltenden nationalen Recht anerkannt sind, so dass sie anderen Unterzeichnern in allen durch das MMoU geregelten Bereichen Unterstützung gewähren kann. Da die aufsichtsrechtlichen Befugnisse der BaFin sich nicht nur auf solche des WpHG beschränken, ist die BaFin insgesamt in der Lage, andere Aufsichtsbehörden in allen der in Artikel 4 aufgezählten Bereiche zu unterstützen. Sie kann also diese Anforderung des IOSCO MMoU einhalten. Genauso wenig mit dem MMoU vereinbar wie das Erfordernis der dual illegality ist das Erfordernis des sogenannten independent interest. Ein solches liegt vor, wenn eine Aufsichtsbehörde nur dann kooperieren kann, wenn sie in demselben Fall, in dem sie um Zusammenarbeit gebeten wurde, selbst auch zuständig ist und gemäß nationalen Vorschriften Ermittlungen aufnehmen könnte oder dies bereits getan hat. d) Zulässige Weitergabe der erhaltenen Informationen Artikel 10 des MMoU definiert, in welchem Umfang eine Behörde die Informationen, die sie von einem anderen Unterzeichner erhalten hat, nutzen darf. Danach darf sie die Informationen nur für den im Ersuchen konkret genannten Zweck oder innerhalb eines allgemein aus ihrem Ersuchen hervorgehenden Rechtsrahmens nutzen. So dürfen die Informationen für zivile oder verwaltungsrechtliche Verfahren verwendet werden, soweit diese in der Wertpapieraufsicht der Durchsetzung von aufsichtsrechtlichen Ge- oder Verboten oder der Ahndung von Verstößen gegen Aufsichtsrecht dienen. Ferner dürfen Aufsichtsbehörden die Informationen auch an SROs weiterleiten, um diese bei ihren Überwachungsaufgaben zu unterstützen, soweit diese SROs in die Aufsicht über den Handel oder die in Frage stehenden Aktivitäten involviert sind. Schließlich dürfen Unterzeichner die Informationen, die sie erhalten, zur Verfolgung von wertpapieraufsichtsrechtlichen Delikten auch an Strafverfolgungsbehörden weiterleiten. Als zulässige Unterstützung von Strafverfolgungsbehörden nach Art. 10 IOSCO MMoU gilt nicht nur die Nutzung der erhaltenen Informationen im Rahmen der Ermittlungsphase. Vielmehr dürfen Strafverfolgungsbehörden die erhaltenen Informationen auch zu Beweiszwecken im Strafprozess verwenden. Artikel 10 IOSCO MMoU beschränkt insoweit die Nutzbarkeit von Informationen für Strafverfolgungsbehörden nicht. Die Zulässigkeit der Weitergabe erhaltener Informationen an Strafverfolgungsbehörden ist auch für die BaFin ein sehr wichtiger Aspekt, da sie nach § 4 Abs. 5 Satz 1 WpHG Tatsachen, die den Verdacht einer Straftat nach § 38 WpHG begründen, unverzüglich der zuständigen Staatsanwaltschaft anzeigen muss. Wenn eine Aufsichtsbehörde Auskünfte, die sie von einem anderen Unterzeichner erhalten hat, für andere als die in Artikel 10 erwähnten Zwecke nutzen möchte, 1072
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muss sie hierzu das Einverständnis der ersuchten Unterzeichnerbehörde einholen. Informationen dürfen nur für die Überwachung und Verfolgung von wertpapieraufsichtsrechtlich relevanten Vorschriften weitergeleitet werden. Nichtöffentliche Informationen, die eine Aufsichtsbehörde von einer anderen Unterzeichnerbehörde erhalten hat, dürfen daher nicht zur Eintreibung von Steuern oder zur Durchsetzung steuerrechtlicher Vorschriften verwendet werden. IOSCO MMoU-Unterzeichner müssen daher in der Lage sein, Anfragen von Steuerbehörden nach vertraulichen Informationen, die sie von einer anderen Unterzeichnerbehörde erhalten haben, abzulehnen. Sofern nationales Recht die Weitergabe von Informationen an andere nationale Stellen nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässt oder in das Ermessen der Aufsichtsbehörde stellt, müssen die betroffenen Aufsichtsbehörden vor Unterzeichnung des MMoUs zusichern, dass diese Vorschriften einer nach Artikel 10 des MMoU zugelassenen Weitergabe von Informationen nicht entgegenstehen, bzw. dass das Ermessen im Einklang mit Artikel 10 MMoU ausgeübt wird. e) Vertraulichkeitsstandard Von besonderer Wichtigkeit ist Artikel 11 des IOSCO MMoU. Er schreibt vor, dass die Unterzeichner nicht-öffentliche Informationen, die sie von anderen Unterzeichnern erhalten haben, vertraulich behandeln müssen. Diese Vorschrift ist aufgrund der durch europäisches und deutsches Recht vorgegebenen hohen Anforderungen an den Datenschutz aus Sicht der BaFin von essentieller Bedeutung für die internationale Kooperation. Allerdings kann nach Artikel 11 (a) Satz 2 MMoU nach Rücksprache mit der ersuchenden Behörde die Tatsache, dass ein Ersuchen einer ausländischen Aufsichtsbehörde vorliegt, und nicht das Ersuchen selbst, offengelegt werden, wenn dies erforderlich ist, um dem Ersuchen nachzukommen. Dies kann insbesondere dann sinnvoll sein, wenn die ersuchte Behörde Informationen direkt von Marktteilnehmern einholen muss. Denn diese möchten in aller Regel wissen, ob die Aufsichtsbehörde die Datenabfrage für eigene oder fremde Ermittlungszwecke durchführt. Weiterleiten darf eine Behörde Informationen, die sie nach den Vorschriften des MMoU erhalten hat, gem. Artikel 11 (b) nur in den nach Artikel 10 zugelassenen Fällen oder aufgrund eines gesetzlich durchsetzbaren Auskunftsbegehrens Dritter, also etwa von Seiten eines Gerichts oder eines Ministeriums (legally enforceable demand). Um den Anforderungen des MMoU zu entsprechen, muss eine Aufsichtsbehörde jedoch über Möglichkeiten zum Schutz der erhaltenen Informationen verfügen. Als Beispiel sei das Recht genannt, Einspruch gegen eine gerichtliche Anordnung auf Informationsherausgabe zu erheben. Diese Schutzmöglichkeiten können neben ausdrücklich durch Gesetz eingeräumten Rechten auch auf (verfassungs-)rechtlichen Prinzipien oder international üblichen Gewohnheiten beruhen. Ein MMoU-Unterzeichner muss von allen ihm zur Verfügung stehenden Schutzmöglichkeiten Gebrauch machen und alle Anstrengungen unternehmen, die Offenlegung vertraulicher Informationen zu vermeiden, bevor er einem gesetzlich durchsetzbaren Auskunfts1073
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begehren nachkommt. Ferner muss er, bevor er die Informationen weiterleitet, um ein Auskunftsbegehren zu erfüllen, die betroffene ersuchte Unterzeichnerbehörde über die Weitergabe informieren. Artikel 11 (b) MMoU trägt dem Umstand Rechnung, dass die Mehrzahl der Wertpapieraufsichtsbehörden unter bestimmten Umständen anderen nationalen staatlichen Stellen gegenüber, zum Beispiel Strafgerichten, oder anderen Dritten gegenüber zur Auskunft verpflichtet sind. Allerdings steht es nicht in Einklang mit Artikel 11 MMoU, wenn Dritte weitreichende Ansprüche auf Auskunftserteilung gegenüber einer Aufsichtsbehörde haben und diese keine Möglichkeiten hat, die Auskunft zu verweigern bzw. die erhaltenen Informationen zu schützen. Ebenso verstößt es gegen Artikel 11, wenn Dritte routinemäßig durch Gerichtsanordnung Aufsichtsbehörden zwingen können, Informationen herauszugeben. Insbesondere ist es nicht MMoU-konform, wenn die Information zu Zwecken weitergeleitet wird, die nicht vom MMoU abgedeckt sind. Ein solch unzulässiger Fall der Weiterleitung liegt beispielsweise vor, wenn die nach dem MMoU erhaltenen Informationen in Zivilverfahren zur Durchsetzung individueller privatrechtlicher Ansprüche verwendet werden. Um den Anforderungen des Artikel 11 MMoU zu entsprechen, muss eine Aufsichtsbehörde außerdem darlegen, dass das für sie arbeitende Personal strengen Verschwiegenheitsverpflichtungen unterliegt und dass ein Verstoß dagegen mit abschreckenden Sanktionen bewährt ist. Die Verschwiegenheitsverpflichtungen müssen auch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus dauerhaft fortgelten. 3. Bewerbungsverfahren Das IOSCO MMoU können, wie oben bereits angedeutet, nur solche Aufsichtsbehörden unterzeichnen, die sich zuvor einem Bewerbungsverfahren unterzogen haben, in dem die Fähigkeit der Bewerber zum grenzüberschreitenden Informationsaustausch überprüft wird. Annex B des MMoU regelt das Bewerbungsprozedere. a) Fragebogen Die Bewerber müssen zunächst den in Annex B IV MMoU enthaltenen Fragebogen beantworten und darlegen, dass sie ausreichende rechtliche Befugnisse besitzen, um die Anforderungen des IOSCO MMoU zu erfüllen. Daneben müssen sie die Gesetzesmaterialien einreichen, aus denen sich ihre aufsichtsrechtlichen Befugnisse ergeben. Die Bewerbungen sind in einer der vier offiziellen IOSCO-Sprachen21 beim IOSCO-Sekretariat22 einzureichen. Um Bewerbern das Ausfüllen des Fragebogens zu erleichtern, hat die IOSCO nützliche FAQs erarbeitet, die nähere Ausführungen zu den Anforderungen an den Inhalt der Antworten der Bewerber enthalten.
__________
21 Die offiziellen Sprachen sind Englisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch. 22 Das IOSCO-Sekretariat hat seinen Sitz in Madrid.
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Der Fragebogen enthält insgesamt neun Fragen, von denen die ersten sechs der Überprüfung dienen, ob ein Bewerber die Anforderungen des Artikels 7 erfüllen kann. In den Antworten auf die ersten beiden Fragen muss der Bewerber darlegen, ob er Zugang zu sämtlichen für die Verfolgung von Wertpapierdelikten notwendigen Auskünften und Dokumenten hat. Die dritte Frage soll klären, ob der Bewerber die Informationen auch an ausländische Aufsichtsbehörden weiterleiten kann. In der Antwort auf die vierte Frage muss der Bewerber ausführen, dass er andere Unterzeichner in allen nach Artikel 4 festgelegten Bereichen der Wertpapieraufsicht unterstützen kann. Mit der fünften Frage wird überprüft, ob ein Bewerber Amtshilfe auch ohne Vorliegen eines eigenständigen Interesses (independent interest) gewähren kann. Die sechste Frage steht in engem Zusammenhang mit der ersten Frage und dient der Überprüfung, ob es für die nach dem MMoU auszutauschenden Daten auch Aufbewahrungspflichten von gewisser Mindestdauer (in der Regel fünf Jahre) gibt. Die siebte Frage soll klären, ob es in der Jurisdiktion des Bewerbers Vorschriften gibt, die dem Austausch von Informationen entgegenstehen. Als Beispiel mögen hier solche Vorschriften dienen, die vorgeben, das Bankgeheimnis strikt zu wahren. Mit der achten Frage wird kontrolliert, ob die für den Bewerber geltenden Rechtsvorschriften auch eine nach Artikel 10 MMoU zulässige Informationsweitergabe ermöglichen. Die letzte Frage dient schließlich der Überprüfung des für den Bewerber geltenden Standards im Hinblick auf die vertrauliche Behandlung sensibler Informationen. b) Evaluierungsprozess Für die Überprüfung der eingereichten Bewerbungen ist die IOSCO Screening Group zuständig. Diese besteht aus Mitgliedern des IOSCO Standing Committee 4 des Technical Committee und der IOSCO Working Group 4 des Emerging Markets Committee23. Beide Arbeitsgruppen befassen sich mit Fragen zum enforcement und zum Austausch von Informationen. Um die Überprüfung der eingereichten Bewerbungen effizient zu gestalten, hat die Screening Group, zu deren Mitgliedern auch die BaFin zählt, mehrere kleinere Verification Teams eingerichtet. Jedes Mitglied der Screening Group ist Mitglied in einem der insgesamt sieben Verification Teams, und jedes Verification Team hat mindestens drei Mitglieder. In jedem Team sind Mitglieder aus verschiedenen Regionen24 und mit unterschiedlichem Rechtshintergrund25 vertreten. Auf diese Weise will die IOSCO für Ausgewogenheit und ein breites Wissensspektrum bei der Bearbeitung der Bewerbungen sorgen.
__________ 23 Informationen zur Struktur der IOSCO und zu den Aufgaben der einzelnen Standing Committees und Working Groups sind abrufbar unter: http://www.iosco.org/about/. 24 Soweit möglich, erfolgt eine ausgewogene Zusammensetzung mit Vertretern aus dem afrikanischen, dem amerikanischen, dem asiatisch-pazifischen und dem europäischen Raum. 25 In der Regel wird bei der Zusammensetzung auch darauf geachtet, dass einem Verification Team sowohl Vertreter aus Common Law- als auch aus Civil Law-Jurisdiktionen angehören.
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Die Verification Teams sind für die genaue Durchsicht und Analyse der Bewerbungsmaterialien zuständig. Nachdem die Bewerber die Bewerbungsmaterialien beim IOSCO-Sekretariat eingereicht haben, findet zunächst eine summarische Überprüfung statt, ob der Bewerber die Fragen in ausreichender Form beantwortet hat. Sind die Fragen in ausreichendem Umfang beantwortet, erhält ein Verification Team die eingereichten Materialien zur Überprüfung. Ein Mitglied des Verification Teams übernimmt in Absprache mit den anderen Mitgliedern die Federführung für die Bewerbung. Aufgabe dieses Mitglieds ist es, den Kontakt mit dem Bewerber bei eventuellen Rückfragen zu pflegen, die Koordination der Analyse im Team zu übernehmen, einen Bericht über die Bewerbung mit positivem oder negativem Votum zu erstellen und diesen im Rahmen eines Treffens den anderen Mitgliedern der Screening Group vorzustellen. Bevor der Bericht jedoch der Screening Group präsentiert wird, erhält der Bewerber den Bericht zur abschließenden Kontrolle der Richtigkeit der dort getroffenen Aussagen. Anschließend berät die gesamte Screening Group über die von den einzelnen Verification Teams vorgelegten Berichte und die darin enthaltenen Voten. Auf diese Weise werden die Bewerbungen in einem größeren Kreis erneut überprüft. Allerdings kontrolliert die Screening Group nicht die eingereichten Materialien selbst. Vielmehr überprüft sie, ob die Bewerbungsberichte alle Fragen abschließend klären und schlüssig sind. Am Ende der Überprüfung bestätigt die Screening Group das Votum des Verification Teams oder ändert es ab. Der Bericht wird ggf. entsprechend ergänzt oder abgeändert. Für die abschließende Entscheidung über die Bewerbungen sind als oberstes Entscheidungsgremium jeweils der oder die Vorsitzende des IOSCO Executive Committee, des IOSCO Technical Committee und des IOSCO Emerging Markets Committee zuständig. Müssen aufgrund der Ergebnisse der Diskussionen innerhalb der Screening Group der Bericht und/oder das Votum des Verification Teams geändert werden, erhält der Bewerber vor der Weitergabe an die drei Vorsitzenden als das abschließend zuständige Entscheidungsgremium noch einmal Gelegenheit zur Stellungnahme. Nachdem die drei Vorsitzenden eine abschließende Entscheidung getroffen haben, wird der Bewerber entsprechend informiert und bei positivem Votum zur Zeichnung des IOSCO MMoU eingeladen. 4. Monitoring Group Artikel 12 (a) des MMoU sieht vor, dass die Aufsichtsbehörden sich in regelmäßigen Abständen über das MMoU und Fragen zu dessen Funktionsweise austauschen. Diese Konsultationen sollen sicherstellen, dass der Informationsaustausch funktioniert und ständig verbessert wird. Im Einklang mit Annex B III des MMoU erfolgen die Konsultationen in der so genannten Monitoring Group, die aus sämtlichen Unterzeichnern des IOSCO MMoU besteht. In der Regel trifft sich die Monitoring Group einmal jährlich, um allgemein über Angelegenheiten zu beraten, die das MMoU betreffen. So überprüft die Monitoring Group beispielsweise jährlich durch entsprechende Statistiken, in wel1076
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chem Umfang die Unterzeichner das MMoU nutzen. Die Monitoring Group ist auch für Fragen der Auslegung des MMoU zuständig, wenn Unterzeichner verschiedene Auffassungen zum Text des MMoU haben. Sie ist ferner einzuschalten, wenn beim Informationsaustausch zwischen zwei Unterzeichnern Probleme auftreten. In solchen Fällen kann die Monitoring Group zu einer Schlichtung beitragen. Wenn ein Unterzeichner nicht mehr willens oder, etwa aufgrund von Änderungen des nationalen Rechts, nicht mehr in der Lage ist, Informationen nach den Anforderungen des MMoU auszutauschen, kann die Monitoring Group über geeignete Maßnahmen zur Abhilfe des Problems entscheiden. Als mögliche Optionen kommen beispielsweise eine erneute Überprüfung der Befugnisse des betroffenen Unterzeichners, eine öffentliche Mitteilung über die Defizite und die Aussetzung bzw. Beendigung der Mitgliedschaft im Unterzeichnerkreis in Betracht. Bisher sind beim Informationsaustausch nach dem MMoU noch keine signifikanten Probleme aufgetreten. Allerdings wächst die Zahl der Unterzeichner stetig, so dass es nur eine Frage der Zeit sein wird, bis erste ernsthafte Meinungsverschiedenheiten über die Interpretation des MMoU-Textes auftreten werden. Dann wird sich zeigen, inwieweit die Monitoring Group ihrer Rolle als Mediatorin und Überwacherin des MMoU-Standards gerecht wird.
III. Neuere Entwicklungen auf der Grundlage des IOSCO MMoU; von der Zusammenarbeit im enforcement zur Zusammenarbeit in der laufenden Wertpapieraufsicht Das IOSCO MMoU bietet eine gute Grundlage für den Austausch von Informationen im enforcement, also dann, wenn Aufseher Unterstützung bei der Aufklärung vermuteter Gesetzesverstöße benötigen. Angesichts der Finanzkrise kamen die IOSCO-Mitglieder jedoch schnell zu dem Schluss, dass auch für die laufende Aufsicht insbesondere von grenzüberschreitend tätigen Wertpapiermarktakteuren wie etwa Börsen, Banken, Rating Agenturen, Hedge Funds und sogenannten Central Counterparties (CCPs)26 eine bessere Kooperation und ein stärkerer Austausch von Informationen erforderlich sind. Mit Fragen zur Verbesserung der Zusammenarbeit in diesem Bereich beschäftigte sich ein Bericht der IOSCO Task Force on Supervisory Cooperation, in dem auch ein Beispiel-MoU für die Zusammenarbeit in der laufenden Aufsicht dieser Unternehmen enthalten ist. Bevor dieser Bericht der IOSCO näher dargestellt wird, erfolgt aufgrund der Sachnähe zunächst ein kurzer Überblick über die typischen Merkmale von MoUs im Bereich der Versicherungs- und der Bankenaufsicht.
__________ 26 Central Counterparties (CCP), sog. zentrale Gegenparteien, stehen vor allem an Börsen rechtlich zwischen Käufer und Verkäufer und spielen bei der Verrechnung und Abwicklung von Ansprüchen eine international zunehmend wichtige Rolle, vor allem beim Handel in Derivaten.
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1. MoUs in der Versicherungs- und in der Bankenaufsicht MoUs in der Versicherungs- und in der Bankenaufsicht dienen der besseren Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden bei der laufenden Solvenzaufsicht. a) MoUs in der Versicherungsaufsicht Die ersten bilateralen MoUs in der Versicherungsaufsicht schlossen die BaFin bzw. das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen, eine ihrer Vorgängerbehörden, überwiegend mit osteuropäischen Ländern ab – und zwar vom Jahr 2001 an, also zu einem Zeitpunkt, an dem sich zumindest die Annäherung dieser Länder an die Europäische Union (EU) abzeichnete. Innerhalb der EU war seit der Deregulierung der Versicherungsmärkte 1994 ein Informationsaustausch unter Versicherungsaufsichtsbehörden für Aufsichtszwecke ohnedies rechtlich zulässig. Inhaltlich lehnten sich die Vereinbarungen der MoUs stark an ein Muster-MoU an, das die International Association of Insurance Supervisors (IAIS) im Jahr 1997 als guidance paper27 beschlossen hatte. In der Aufsicht über Finanzunternehmen sind Vereinbarungen zum Informationsaustausch in aller Regel bei einer home-host-situation zweckdienlich, dann also, wenn ein Aufseher seinen direkten Informationsbedarf nicht hinreichend zuverlässig selbst decken kann, weil maßgebliche Unternehmenseinheiten des Unternehmens, das er beaufsichtigt, in einem anderen Staat domizilieren. Den Wunsch, Informationen auszutauschen, hat sowohl der home supervisor (Heimatlandaufseher), der beispielsweise aussagekräftige Informationen über die Geschäftstätigkeit eines Tochterunternehmens benötigt, als auch der host supervisor (Gastlandaufseher), der sich über Finanzkraft und Unternehmensqualität einer Konzernmutter ein besseres Bild machen möchte, weil ein Scheitern des Unternehmens Marktverwerfungen auslösen könnte. Daneben gibt es aber auch Vereinbarungen, die mit dem Ziel abgeschlossen werden, die gegenseitigen Beziehungen zu verbessern, und die den beteiligten Behörden nicht unmittelbar einen Ertrag bringen. Ausgangspunkt für die Vereinbarungen ist generell der Wille auf beiden Seiten, relevante Aufsichtsinformationen auszutauschen. Die ursprünglich verwendeten Klauseln wurden im Verlauf der Zeit fortlaufend erweitert und verfeinert. Üblicherweise enthalten sie heute zum Beispiel explizite Klauseln zur Zusammenarbeit bei der Beaufsichtigung von Versicherungsgruppen oder bei der Verfolgung von Geldwäsche. Praktisch bedeutsam sind die – in jüngerer Zeit öfter vereinbarten – Rechte, Prüfungen bei Unternehmen im Gastland vorzunehmen. Hieran knüpfen sich viele Rechtsfragen, die einem Praxistest noch entgegensehen. Da MoUs keine rechtliche Bindungswirkung entfalten, dürfte es allerdings in der Praxis kaum je zu Streitigkeiten darüber kommen, wie sie auszulegen und anzuwenden sind.
__________ 27 Der Text des Muster-MoU ist abrufbar unter: http://www.iaisweb.org/__temp/ Models_memoradum_of_understanding_.pdf.
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Das im Jahr 2007 abgeschlossene multilaterale IAIS MMoU28 nimmt eine Sonderrolle ein. Ebenso wie beim Beitritt zum IOSCO MMoU müssen sich beitretende Mitglieder einem intensiven und zeitaufwändigen Verfahren unterziehen und hierbei eine Anzahl von Fragen zu ihrem jeweiligen Rechtssystem beantworten. Ein Validation Team schlägt auf der Grundlage seines Berichts einen Beitritt vor oder empfiehlt eine Ablehnung. Die Prüfung der rechtlichen Gegebenheiten durch das von der IAIS beauftragte Team entbindet das Land jedoch nicht von eventuellen zusätzlichen Prüfungen, ob es die einschlägigen IAIS-Aufsichtsstandards (Insurance Core Principles) einhält29. b) MoUs in der Bankenaufsicht Das erste bilaterale MoU zur Regelung der Zusammenarbeit in der Bankenaufsicht hat das damalige Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, eine der drei BaFin-Vorgängerbehörden, mit der französischen Commission Bancaire bereits im Jahr 1992 abgeschlossen. Es folgten Vereinbarungen mit Behörden in nahezu allen EU-Mitgliedstaaten. Da die Zusammenarbeit zwischen den (Bank-)Aufsichtsbehörden der EU-Mitgliedstaaten jedoch durch Richtlinien und deren nationale Umsetzung inzwischen weitestgehend harmonisiert ist, spielen bilaterale Vereinbarungen mit Behörden dieser Länder keine besondere Rolle mehr. Anders verhält es sich bei den bilateralen MoUs mit Behörden so genannter Drittstaaten. Sie sind nach wie vor von großer Bedeutung, um die Zusammenarbeit zu regeln und auf eine formale Grundlage zu stellen. Anlass für Verhandlungen bietet – wie auch in der Versicherungsaufsicht – regelmäßig eine aktuelle oder bevorstehende home-host-situation, wenn es also Tochterunternehmen oder Zweigniederlassungen deutscher Kreditinstitute im jeweiligen Staat (oder umgekehrt) gibt oder solche geplant sind. In inhaltlicher Hinsicht werden die MoU zwar stets individuell an die konkreten Bedürfnisse der beteiligten Behörden angepasst. Typischerweise finden sich aber als Mindestinhalt Regelungen über den Informationsaustausch für den Fall, dass Zweigniederlassungen oder Tochterunternehmen eingerichtet werden oder bereits bestehen, und etwa für den Fall, dass Beteiligungen erworben werden sollen. Dabei geht es zum Beispiel um die fachliche Eignung und Zuverlässigkeit potentieller und bereits tätiger Geschäftsleiter bzw. potentieller Erwerber von Beteiligungen. In solchen MoU finden sich regelmäßig auch Klauseln zur Zusammenarbeit bei Vor-Ort-Prüfungen, bei der Verfolgung unerlaubter Tätigkeit, bei der Geldwäschebekämpfung und -verfolgung oder auch im Krisenfall. Inzwischen bestehen nahezu 50 bilaterale MoUs, welche die Zusammenarbeit der BaFin mit ausländischen Aufsichtsbehörden auf dem Gebiet der Bankenaufsicht regeln, und die fortschreitende Globalisierung wird die Zahl wohl weiter steigen lassen. So lagen der BaFin im April 2010 mehrere Anfragen zum
__________ 28 Der Text des IAIS MMoU ist abrufbar unter: http://www.iaisweb.org. 29 Der Text der IAIS Core Principles ist abrufbar unter: http://www.iaisweb.org.
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Abschluss eines MoU von Bank- und anderen Aufsichtsbehörden aus verschiedenen Drittstaaten vor. Neben den bilateralen Banken-MoUs, die die Zusammenarbeit mit ausländischen Aufsichtsbehörden auf abstrakt-genereller Ebene regeln, werden seit einigen Jahren zunehmend institutsspezifische Vereinbarungen abgeschlossen. So schlossen nach der Übernahme der Hypovereinsbank durch UniCredit die BaFin und die Banca d’Italia eine solche Vereinbarung. In diesem Zusammenhang sind auch die von der Bankenrichtlinie 2006/48/EG in Artikel 131a vorgesehenen Aufsichtskollegien zu nennen. Diese werden für grenzüberschreitend tätige Bankengruppen gebildet und setzen sich aus der konsolidierenden Aufsichtsbehörde und den Host-Aufsichtsbehörden zusammen. Die Modalitäten der Zusammenarbeit der Aufsichtskollegien sind nach der Bankenrichtlinie ausdrücklich schriftlich zu regeln. Die BaFin wird also in Zukunft auch viele multilaterale Vereinbarungen zu Aufsichtskollegien für verschiedene Bankengruppen abschließen. 2. Muster-MoU für die Zusammenarbeit der Aufseher in der laufenden Aufsicht Eine zentrale Schlussfolgerung der IOSCO aus der Finanzkrise von 2007 war, dass die Zusammenarbeit der Aufseher in der Wertpapieraufsicht nicht auf die Verfolgung von Verstößen gegen wertpapierrechtliche Vorschriften, das enforcement, beschränkt sein kann, sondern sich vielmehr auch auf die laufende Aufsicht über international tätige Finanzmarktakteure erstrecken muss, wenn man vermeiden will, dass Aufseher nur lückenhafte Kenntnis der oft globalen Geschäfte gerade auch systemrelevanter Unternehmen erlangen können. Als Reaktion darauf veröffentlichte die IOSCO im Mai 2010 einen Bericht, der Prinzipien der Zusammenarbeit von Wertpapieraufsehern bei der laufenden Aufsicht formuliert und darüber hinaus auch ein Muster-MoU zur Konsultation, Kooperation und zum Informationsaustausch bei der Aufsicht über grenzüberschreitend tätige Institute umfasst30. a) Die Prinzipien Die mit diesem Bericht verabschiedeten Prinzipien statuieren ein übergeordnetes Konzept der supervisory cooperation. Gegenseitige Konsultation, laufender Informationsaustausch, gegenseitige Hilfe bei der Auswertung von Informationen und der Vornahme von Prüfungen bei Unternehmen im Gastland sowie die Bereitschaft, der Kooperation entgegenstehende Hindernisse auszuräumen, bilden die Grundpfeiler dieses Konzepts – mit dem Ziel, systemrelevante Risiken rechtzeitg zu erkennen und Gefahren für die Kapitalmärkte abzuwehren. Mit der Einbeziehung von Intermediären, Börsen und anderen Märkten für Finanzinstrumente, Clearing- und Settlement-Systemen, Investment-
__________ 30 Der Text Principles Regarding Cross-Border Supervisory Cooperation – Final Report ist abrufbar unter: http://www.iosco.org/library/pubdocs/pdf/IOSCOPD322.pdf.
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fonds, Hedge Fonds und so genannten reputational gatekeepers – das heißt Wirtschaftsprüfern, Rating Agenturen, Research Analysten – ist der Anwendungsbereich dieser Prinzipien sehr weit gefasst worden. Als taugliche Mechanismen einer fortlaufenden Kooperation bei der Aufsicht über die internationalen Aktivitäten dieser Unternehmen identifiziert der Bericht unter anderem Aufsichtskollegien, Netzwerke von Aufsichtsbehörden und den Abschluss von bi- oder multilateralen MoUs. Das dem Bericht als Annex A anhängende Sample-MoU der IOSCO soll – anders als ein ModelMoU und anders als das IOSCO MMoU – keine bindende Vorgabe für die IOSCO-Mitglieder darstellen und nur eine Orientierungshilfe für den Abschluss vor allem bilateraler MoUs sein. Die praktische Bedeutung ist aber aufgrund des zu erwartenden Rechtfertigungsdrucks bei Abweichungen vom Muster nicht zu unterschätzen. So ist zu erwarten, dass künftige bi- oder multilaterale MoUs am Maßstab des Muster-MoU ausgerichtet werden. b) Das Sample-MoU for Supervisory Cooperation Das Sample-MoU bezieht sich in seinen in Artikel 2 festgelegten allgemeinen Vorgaben ausdrücklich auf das IOSCO MMoU und versteht sich als Ergänzung zu diesem. Zusammenarbeit der unterzeichnenden Aufseher ist in Artikel 3 insbesondere vorgesehen für die Aufnahme zulassungspflichtiger Tätigkeiten der oben unter a) genannten Unternehmen im Hoheitsbereich anderer Aufseher sowie für die laufende Aufsicht über ein grenzüberschreitend tätiges Unternehmen und für hoheitliche Maßnahmen eines Aufsehers, die Auswirkungen auf die Operationen des Unternehmens im anderen Land haben können. Dabei sollen sich die Aufseher vorab über relevante Änderungen des jeweils einschlägigen Aufsichtsrechts unterrichten, desgleichen über Ereignisse, die die Tätigkeit des Unternehmens maßgeblich nachteilig beeinflussen können, und über Maßnahmen eines Aufsehers, welche die Tätigkeit des Unternehmens einschränken – wie etwa den Entzug oder die Änderung der Zulassung sowie Sanktionen. Zusätzlich sollen auf Anfrage eines Aufsehers Informationen und Unterlagen zur Finanzlage und zur operationellen Verfassung des Unternehmens, dem Aufseher vorliegende aufsichtliche Meldungen des Unternehmens und von den Aufsehern erstellte Aufsichtsberichte ausgetauscht werden, die sonst öffentlich nicht zugänglich wären. Über diese Zusammenarbeit hinaus wird in Artikel 4 auch rudimentär das Vorgehen bei Aufsichtsbesuchen einer Aufsichtsbehörde im Zuständigkeitsbereich und auf dem Territorium einer ausländischen Aufsichtsbehörde geregelt. Artikel 6 statuiert die Pflichten der Zeichner im Umgang mit vertraulichen Informationen, die sie von anderen Behörden erlangt haben, insbesondere für den Fall, dass diese Informationen für ein Sanktionsverfahren genutzt werden sollen. Schließlich macht Artikel 7 Vorgaben zur vertraulichen Behandlung der übermittelten Informationen und umreißt die Möglichkeiten, diese an dritte Stellen weiterzuleiten. Während diese Regelungen im Hinblick auf die insbesondere in der Bankenaufsicht bereits bestehenden bilateralen MoUs durchaus nicht außergewöhnlich 1081
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erscheinen, sind sie doch für die Wertpapieraufsicht neu und legen aufgrund des weiten Anwendungsbereichs, der sich, wie erwähnt, auch auf Börsen, CCPs, Wirtschaftsprüfer, Rating Agenturen und Investmentfonds jeder Art erstreckt, die Grundlage für einen großen Fortschritt in der grenzüberschreitenden Aufsichtstätigkeit. In dem Maße, in dem das Sample-MoU durch biund multilaterale MoUs zur Geltung gelangt, könnten Aufsichtsinformationen, die bislang nur dem nationalen Aufseher zugänglich waren, künftig mehr und mehr mit ausländischen Aufsehern geteilt werden, in deren Zuständigkeitsbereich ein Unternehmen tätig wird. Mit den vielen neuen Möglichkeiten, die sich dadurch für die aufsichtliche Beobachtung grenzüberschreitend tätiger Unternehmen wohl ergeben, wird in Zeiten wachsender Verflechtung der Wertpapier- und Derivatemärkte und einer wachsenden Zahl von Marktstrukturen, die für das globale Finanzsystem relevant sind, ein entscheidender Vorwärtsschritt in Richtung einer nahtlosen grenzüberschreitenden Aufsicht getan – wobei das IOSCO MMoU gewissermaßen als Sprungbrett dient. Mit den erweiterten Möglichkeiten der Kontrolle wächst die Notwendigkeit aufsichtlicher Abstimmung. Aufsichtliche Interventionen dürfen sich dadurch, dass weitere Aufseher involviert sind, nicht in sinnloser Weise vervielfachen. Das Ziel einer angemessenen grenzüberschreitenden Aufsicht lässt sich nur erreichen, wenn die für ein grenzüberschreitend tätiges Unternehmen zuständigen Aufseher die Aufsichtstätigkeit eines Aufsehers aus ihrem Kreis – das ist typischerweise der für das Unternehmen in dessen Sitzland zuständige Heimatlandaufseher – anerkennen und berücksichtigen, indem sie insoweit eine entsprechende aufsichtliche Zurückhaltung an den Tag legen. Bei der Ausgestaltung der konkreten MoUs werden daher die Aufsichtsbedürfnisse und Kompetenzen der jeweiligen Aufseher eine wichtige Rolle spielen. Vor allem dann, wenn zwei oder mehrere Aufsichtsbehörden mit unterschiedlich weit gefassten Kompetenzen über ein MoU verhandeln, wird man Wert auf ein ausgewogenes Gegenseitigkeitsverhältnis der Parteien legen. Auf mittlere Sicht allerdings wird die IOSCO vermutlich darüber nachdenken müssen, das Sample-MoU auf dieselbe Verbindlichkeitsstufe zu erheben wie das IOSCO MMoU. Vorher muss sich das Sample-MoU aber als in der Praxis als hilfreich und effektiv erwiesen haben.
IV. Ausblick Das IOSCO MMoU hat im Verlauf der vergangenen Jahre den Status eines international anerkannten Standards für den Austausch von Informationen erlangt. Seine große Bedeutung spiegelt sich auch in den bereits erwähnten IOSCO-Prinzipien für die ordnungsgemäße Wertpapieraufsicht wider31. In deren
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31 Die Prinzipien wurden bereits unter II. 1. genannt. Im Rahmen des Financial Sector Assessment Program – kurz FSAP – verwendet der Internationale Währungsfonds die IOSCO-Prinzipien als maßgebliche Kriterien zur Überprüfung des jeweiligen Wertpapieraufsichtsregimes.
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2003er Version enthalten die Prinzipien acht bis zehn über das enforcement und die Prinzipien 11–13 über die Zusammenarbeit zwar weitergehende Anforderungen als die im MMoU verankerten Voraussetzungen. Aber sie reflektieren den Inhalt des MMoU und etablieren ihn als Mindeststandard für den Informationsaustausch im enforcement. Das IOSCO Presidents’ Committee hat daraus die Konsequenzen gezogen und im Jahr 2005 mit seiner Resolution on the International Benchmark for Enforcement Related Cooperation and Exchange of Information32 festgelegt, dass alle IOSCO-Mitglieder bis Anfang 2010 das Bewerbungsverfahren zur Zeichnung des MMoU durchlaufen mussten. Je nach Ergebnis der Überprüfung sollten sie dann entweder das MMoU zeichnen oder sich zur Beseitigung bestehender Defizite verpflichten. Die IOSCO-Mitglieder, die sich verpflichtet haben, bestehende Schwachstellen zu beseitigen, sind heute in Annex B des MMoU aufgelistet. Bis auf wenige Ausnahmen haben alle IOSCO-Mitglieder das Bewerbungsverfahren bis zum Ablauf der 2010-Frist durchlaufen. Aufsichtsbehörden, die noch kein IOSCO-Mitglied sind, können nach der genannten Resolution nur noch Mitglied der IOSCO werden, nachdem sie das MMoU unterzeichnet haben. Das IOSCO MMoU ist daher heute auch die Eintrittskarte, die ein Land zu lösen hat, wenn es in die IOSCO-Gemeinschaft aufgenommen werden möchte. Länder, deren Wertpapieraufsichtsbehörde nicht der IOSCO angehört, sind damit als Außenseiter mit zweifelhafter Reputation gebrandmarkt. Dadurch ist der Druck auf die Länder entscheidend erhöht worden, die sich bisher der Kooperation verweigert haben. Einige Länder, mit denen die IOSCO aufgrund negativer Erfahrungen in der Zusammenarbeit in den Dialog getreten war, haben inzwischen Defizite, die eine effektive Kooperation behinderten, beseitigt und das MMoU gezeichnet. So überrascht es denn nicht, dass auch das Financial Stability Board33, das höchstrangige global ausgerichtete Regulierungsgremium, das IOSCO MMoU als Standard für den Informationsaustausch anerkannt hat. Als eine der Lehren aus der Finanzkrise hat es sich das FSB zur Aufgabe gemacht, die Kooperation unter den Aufsichtsbehörden zu verbessern und die weiterhin unkooperativen Länder zu einer Aufgabe ihrer Haltung zu zwingen. Bei der Überprüfung der Kooperationsfähigkeit eines Landes zieht das FSB neben anderen international anerkannten Standards der Finanzaufsicht, wie etwa den Länderüberprüfungen im Rahmen des Financial Sector Assessment Program (FSAP) des Internationalen Währungsfonds, auch das IOSCO MMoU heran.
__________ 32 Der Text der Resolution ist abrufbar unter: http://www.iosco.org/library/resolutions/ pdf/IOSCORES24.pdf. 33 Das Financial Stability Board (FSB), vormals Financial Stability Forum (FSF), wurde eingerichtet, um sich mit Schwachstellen der Finanzregulierung zu befassen und im Interesse der Finanzstabilität solide Finanzaufsichtspolitik zu entwickeln und zu betreiben. Nähere Informationen sind abrufbar unter: http://www.financialstability board.org/.
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Um die Stellung des IOSCO MMoU als international anerkannten Standards zu wahren, ist es wichtig, dass die Anforderungen an die MMoU-Unterzeichner nicht weichgespült werden. Mit steigender Zahl der Unterzeichner wächst jedoch die Gefahr der Verwässerung, da die Unterzeichner aus unterschiedlichen Rechts- und Kulturkreisen stammen. Die Folge wird sein, dass Fragen zur Interpretation des MMoU-Textes aufkommen werden und die Zahl der unterschiedlichen Auslegungen steigen wird. Es wird die vordringlichste Aufgabe der IOSCO Screening Group und der Monitoring Group sein, für eine weltweit einheitliche Anwendung der Standards des IOSCO MMoU zu sorgen. Es wird aber nicht ausreichen, das Niveau des heutigen MMoU zu bewahren. Die IOSCO muss auch über die Weiterentwicklung der Standards nachdenken. Wie bereits zu Beginn erwähnt, erfreuen sich grenzüberschreitende Verstöße gegen geltendes Aufsichtsrecht wachsender Beliebtheit, und die Globalisierung bietet Tätern unzählig viele Möglichkeiten, wirtschaftliche Vorteile zu ergaunern – und zu sichern. Um Wertpapierhandelsdelikte unattraktiv zu machen, müsste dafür gesorgt werden, dass den Tätern der Gewinn, den sie sich durch Marktmissbrauch erschlichen haben, entzogen und nach Möglichkeit den geprellten Anlegern zurückgegeben wird. Derzeit besitzen jedoch nur wenige Aufsichtsbehörden nennenswerte Befugnisse zur Beschlagnahme oder gar Rückführung illegal erlangten Vermögens; die BaFin gehört leider nicht dazu. Noch weniger Aufsichtsbehörden sind in der Lage, solche Befugnisse zu nutzen, um die Arbeit ausländischer Aufsichtsbehörden zu unterstützen. Und die Rückführung illegal erlangten Vermögens an die Opfer ist nur in den allerseltensten Fällen vorgesehen. So ist das kanadische Wertpapieraufsichtsrecht, welches den regionalen Aufsehern diese Kompetenz gibt, in dieser Hinsicht durchaus Vorbild und Ausgangspunkt für Regulierungsüberlegungen anderer Länder, wo die Opfer bislang nur den zivilrechtlichen Weg beschreiten können, um eventuelle Schadensersatzansprüche gegenüber dem Täter geltend zu machen – fast immer ein aussichtsloses Unterfangen. In der großen Diskussion über den Verbraucherschutz im Finanzsektor, der in jüngster Vergangenheit in Deutschland zu Recht immer mehr an Bedeutung gewonnen hat, sollten gerade auch die Opfer harter Finanzkriminalität nicht vergessen werden.
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Wodurch entsteht die Gesellschaft bei der Gründung? Inhaltsübersicht I. Einführung II. Die Entstehungsvoraussetzungen bei den Personenhandelsgesellschaften 1. Zum Regelungsgehalt des § 123 HGB 2. Der Tatbestand der Geschäftsaufnahme; insbesondere Zustimmungserfordernis
IV. Conclusio: Die Entstehung der GbR 1. Zur Entstehung der Außen-GbR durch Geschäftsbeginn (analog § 123 Abs. 2 HGB) 2. Zu Einzelfragen beim Zustimmungserfordernis sämtlicher Gesellschafter V. Zusammenfassung
III. Die Entstehung der Vorgesellschaft
I. Einführung Uwe Schneider ist nicht nur im Bank- und Kapitalmarktrecht zu Hause, mit dem man ihn vielleicht an erster Stelle verbindet, sondern selbstverständlich auch im Gesellschaftsrecht. Und weil ihn Spezialitäten ebenso interessieren wie Grundsätzliches, dürfte ihm auch diese kleine Studie zu einer vermeintlich eindeutig und einfach zu beantwortenden Grundsatzfrage reizvoll erscheinen, nämlich wodurch eine Gesellschaft entsteht – das jedenfalls hofft der Autor, der sie ihm zum Geschenk machen möchte. Die auf den ersten Blick zu weit formulierte Frage nach „der“ Gesellschaft lässt sich bei näherem Zusehen letztlich auf die (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zuspitzen. Zum einen entsteht bei der Gründung jede Gesellschaft zuerst als Personengesellschaft; denn die Registereintragung, welche AG und GmbH erst „als solche“ entstehen lässt (§ 41 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 11 Abs. 1 GmbHG), ist ja im engeren Sinne kein Gründungs-, sondern ein Umwandlungstatbestand, eben ein gesetzlicher Formwechsel zwischen Vorgesellschaft und Körperschaft. Außerdem ist die konstitutive Wirkung der Eintragung bei den Körperschaften so eindeutig gesetzlich angeordnet, dass sich jede weitere Überlegung erübrigt: Nicht schon der Vertragsschluss (die Feststellung der Satzung) bringt die Körperschaft hervor, sondern erst ihre Registrierung. Diese Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Wirksamkeit ist freilich typisch für alle Außengesellschaften. Das Recht der Personenhandelsgesellschaften differenziert ebenso, allerdings mit dem Unterschied, dass die Gesellschaft zusätzlich durch Geschäftsbeginn (§ 123 Abs. 2 HGB) entstehen kann (näher sogleich unter II. 1.). Für die GbR fehlt hingegen eine klare Regelung, zumal die §§ 705 ff. BGB für den Unterschied zwischen Innen- und Außengesellschaften wahrlich „schlecht 1085
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gerüstet“ sind1. Üblicherweise beschränkt man sich deshalb auf die Feststellung, dass die Gesellschaft (schon) durch Vertragsschluss (bzw. mit dessen Wirksamwerden) entstehe2. Andererseits ist nicht erst seit BGHZ 146, 3413 klar, dort aber mit der erforderlichen Deutlichkeit bestätigt, dass (nur) die am Rechtsverkehr teilnehmende Außen-GbR als eigenes Rechtssubjekt anzuerkennen ist. Deshalb verbindet sich mit der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Außen-GbR, die in materieller Hinsicht mittlerweile lückenlos gewährleistet ist4, gleichsam naturgemäß die Frage, ob auch der Entstehungstatbestand der Außen-GbR ein weiteres, im Gesetz nicht explizit angesprochenes Element enthält, das sich eben auf ihre Entstehung „nach außen“ bezieht, und wenn ja, welcher Inhalt ihm beizulegen ist. Hierum soll es im Folgenden gehen. Zunächst sind die gesetzlichen Entstehungsvoraussetzungen bei den Personenhandels- und Kapitalgesellschaften nach Parallelen und Vorbildern durchzumustern und einer Analyse ihres Regelungshintergrunds zu unterziehen (unter II. und III.). Hierbei wird sich die allseits konsentierte Geschäftsaufnahme als das verallgemeinerungsfähige Merkmal der Entstehung einer Außengesellschaft herausstellen. Die gewonnenen Erkenntnisse sind im letzten Schritt auf die Außen-GbR zu übertragen und zu verfeinern (unter IV.).
II. Die Entstehungsvoraussetzungen bei den Personenhandelsgesellschaften 1. Zum Regelungsgehalt des § 123 HGB Das Gesetz unterscheidet für OHG und KG zwischen der Entstehung im Innenverhältnis durch Vertragsschluss (§ 105 HGB) und der „Wirksamkeit im Verhältnis zu Dritten“ (§ 123 HGB). Entsprechendes sagt auch § 7 Abs. 1 PartGG für die Partnerschaftsgesellschaft, die allerdings nach außen nur durch Eintragung entsteht. Ob die Gesellschaft im Innenverhältnis sogleich OHG oder zunächst „nur“ GbR ist, hängt davon ab, ob sie schon ein (ist-)kaufmännisches Gewerbe i. S. v. § 1 HGB betreibt. Zwar wird typischerweise der Wille von OHG/KG-Gründern darauf gerichtet sein, im Innenverhältnis sogleich Handelsrecht zur Anwendung zu bringen5, weil dies aber insbesondere bei den Vorschriften über Gestaltungsklagen (§§ 117, 127, 133, 140 HGB) auf Grenzen stößt, ist die Gesellschaft in diesem Falle auch im Innenverhältnis noch keine
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1 So die Formulierung von K. Schmidt in FS Beuthien, 2009, S. 211, 223. 2 Ulmer in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2009, § 705 Rn. 6; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 59 II 1 a; vgl. aber auch Timm/Schöne in Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl. 2007, § 705 Rn. 20 mit explizitem Hinweis darauf, dass die GbR durch Teilnahme am Rechtsverkehr zum verselbständigten Rechtssubjekt erwachsen könne – dazu noch sogleich im Text. 3 Dazu eingehend und mit zahlr. Nachw. Ulmer in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2009, § 705 Rn. 301 ff. 4 Aktuelle Übersicht bei K. Schmidt in FS Beuthien, 2009, S. 211, 224 f. 5 Vgl. nur BGHZ 32, 307, 314; K. Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2006, § 123 Rn. 15; Habersack in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 123 Rn. 3.
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Handelsgesellschaft, sondern eine GbR, auf die teilweise schon das Innenrecht der OHG/KG zur Anwendung kommt6. Hierauf ist an dieser Stelle indessen nicht weiter einzugehen; denn es geht um den vollständigen Entstehungstatbestand, mithin um die in § 123 HGB bezeichnete Wirksamkeit der OHG im Rechtsverkehr. Üblicherweise wird allerdings gesagt, dass § 123 HGB mit der Entstehung der Außengesellschaft entgegen dem durch Überschrift und systematische Stellung hervorgerufenen Anschein nichts zu tun habe7: Wer eine OHG oder KG gründe, bringe vielmehr „sogleich“ eine Außengesellschaft zustande; § 123 HGB betreffe allein die Frage, ob diese Gesellschaft schon vor oder erst nach ihrer Eintragung Handelsgesellschaft sei8. Letzteres bezieht sich auf die „kannkaufmännische“ Gesellschaft i. S. v. § 2 HGB sowie die vermögensverwaltende, die wegen des ausdrücklichen Vorbehalts in § 123 Abs. 2 HGB zweifellos nicht schon durch Geschäftsbeginn, sondern eben erst durch die Eintragung als OHG entstehen. Während demnach offenbar die Außengesellschaft allgemein schon mit Vertragsschluss, also spontan entsteht, sollen die Regeln der fehlerhaften Gesellschaft (bzw. des fehlerhaften Verbands) nach ganz h. M. erst dann zur Anwendung kommen, wenn der Gesellschaftsvertrag „vollzogen“ wurde9. Hierin zeigt sich schon ein gewisser Widerspruch, zumal wenn man die entscheidende Begründung für die Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft eben in der Entstehung eines Verbands als eigenständigen Rechtssubjekts sieht10. Das legt es von vornherein nahe, beide Tatbestände – Entstehung der Außengesellschaft und Anwendbarkeit der Lehre vom fehlerhaften Verband – parallel zu bestimmen11. Schon Flume hat diesen Zusammenhang betont und zugleich die Rechtsprechung zum Vollzugskriterium kritisiert; für sie sei der Vollzug der Gesellschaft nichts weiter als ein Faktum, das „aus pragmatischen Erwägungen Anlass
__________ 6 Schäfer in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 105 Rn. 50; Habersack in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 123 Rn. 3. 7 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 11 IV 1, S. 295 f. und ders. in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2006, § 123 Rn. 3; Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 123 Rn. 17; von Gerkan/Haas in Röhricht/von Westphalen, HGB, 3. Aufl. 2008, § 123 Rn. 1, 3; ebenso im Ausgangspunkt auch Habersack in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 123 Rn. 4, der aber gleichwohl i. S. d. hier vertretenen Auffassung für die analoge Anwendung des § 123 Abs. 2 HGB auf die GbR plädiert (Rn. 20) – dazu näher im Text. 8 So pointiert K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 11 IV 1, S. 296. 9 BGHZ 3, 285, 288; Ulmer in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2009, § 705 Rn. 331; s. a. K. Schmidt, AcP 186 (1986), 441, der – wohl im gleichen Sinne – vom „Ingangsetzen einer verfassten Organisation“ spricht; eingehend zur Berechtigung und Auslegung dieses Merkmals Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 157 ff., 252 ff. 10 So erstmals ausdrücklich K. Schmidt, AcP 186 (1986), 421; vgl. ferner Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 137 ff.; der Sache nach ähnlich auch Ulmer in FS Flume II, 1978, S. 301, der maßgeblich auf den organisationsrechtlichen Charakter des Gesellschaftsvertrages abstellt. Vgl. ferner die Nachw. bei Ulmer in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2009, § 705 Rn. 354 f. 11 Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 157 ff.
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für die Begrenzung der Nichtigkeitsfolgen“ gegeben habe12. Demgegenüber sei es gerade der Vollzug der Gesellschaft, der diese als Personengemeinschaft vollende; erst mit dem Vollzug trete sie als Organisationseinheit in das Rechtsleben. Das trifft ins Schwarze und lässt bereits erkennen, dass Vollzug und Geschäftsbeginn synonyme, weil den gleichen Zwecken dienende Begriffe sind. Doch im Einzelnen: Zutreffend an der Interpretation des § 123 HGB durch die h. M. ist zunächst gewiss, dass nicht jede Außengesellschaft erst durch Eintragung entsteht. Das trifft sowohl auf die „istkaufmännische“ OHG zu, die ihre Geschäfte schon vor Eintragung aufnimmt und sich somit nach § 123 Abs. 2 HGB eben durch diese Geschäftsaufnahme als Außengesellschaft manifestiert. Es trifft aber erst recht auf die GbR zu, für die ein Register bekanntlich nicht existiert. Zweifelsfrei ist überdies, dass eine „kannkaufmännische“ und vermögensverwaltende OHG zuerst als GbR entstehen kann13; näherer Überprüfung bedarf hingegen die These, dass sie in jedem Falle schon eine Außen-GbR ist. Richtig erscheint vielmehr: Sie ist eine Außen-GbR erst dann, wenn sie deren Entstehungsvoraussetzungen erfüllt. Beachtlich ist insofern, dass § 123 Abs. 2 HGB mit dem Begriff des Geschäftsbeginns ein Merkmal enthält, dass bei näherem Zusehen gerade nicht, wie die übrigen, lediglich die Konsequenzen aus dem Kaufmannsbegriff zieht; vielmehr spiegelt es den eigenständigen Verkehrsschutzzweck der Norm wider. Anders gewendet: Soweit § 123 HGB die Erlangung der Rechtsform der OHG an die Registereintragung bzw. den Betrieb eines Gewerbes in kaufmännischem Umfang knüpft, ist er sicherlich nicht auf sämtliche Personengesellschaften anwendbar. Dass er aber die zwingende Geltung des OHG-Außenrechts gerade vom Auftreten der Gesellschaft im Rechtsverkehr abhängig macht, hat mit dem Kaufmannsbegriff nichts zu tun, sondern verdeutlicht, dass die Norm zusätzlich auch dem Schutz des Rechtsverkehrs dient14. Richtigerweise tritt als Pendant zu diesem Verkehrsschutzzweck noch das Ziel des (Mit-)Gesellschafterschutzes hinzu, nämlich vor eigenmächtigem Handeln der Geschäftsführer. Es manifestiert sich im Erfordernis der Zurechnung des Entstehungstatbestands gegenüber sämtlichen Gesellschaftern. Hinsichtlich der Eintragung, durch die eine Personenhandelsgesellschaft nach § 123 Abs. 1 HGB (ausnahmsweise) entsteht, wenn sie zuvor noch nicht im Rechtsverkehr aufgetreten ist, zeigt sich dieses Zurechnungserfordernis darin, dass sämtliche Gesellschafter gem. § 108 HGB an der Anmeldung mitzuwirken haben; und im Falle des § 123 Abs. 2 HGB äußert es sich im Erfordernis der Zustimmung aller Gesellschafter hinsichtlich des Geschäftsbeginns. Die Vorschrift setzt somit Verkehrs- und Gesellschafterschutz in ein insgesamt ausgewogenes Verhältnis,
__________ 12 S. vor allem Flume, Allgemeiner Teil 1977, I/1, § 2 III, S. 17 f. 13 Vgl. nur BGHZ 116, 7, 10 = NJW 1992, 241; Habersack in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 123 Rn. 4. 14 Deutlich etwa Habersack in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 123 Rn. 1; Hommelhoff, ZIP 1998, 8, 12; Hueck, Das Recht der OHG, 4. Aufl. 1971, § 5 II 2; Emmerich in Heymann, HGB, 2. Aufl. 1996, § 123 Rn. 1.
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um der besonderen Situation bei Gründung gerecht zu werden: Während der Verkehrsschutz bei der einmal entstandenen Gesellschaft unbedingten Vorrang gegenüber dem Schutz der Mitgesellschafter vor eigenmächtigem Verhalten der Geschäftsführer genießt (§ 126 HGB), gilt dies im Gründungsstadium nur eingeschränkt, nämlich unter der Voraussetzung, dass die Gesellschafter wenigstens mit der Geschäftsaufnahme als solcher (bzw. mit dem Geschäft, durch das sie sich manifestiert) einverstanden sind. Weil die Gesellschafter mit der Entstehung der Gesellschaft nach außen das volle Haftungsrisiko tragen (§ 128 HGB), sollen sie wenigstens den Zeitpunkt bestimmen können, zu dem dieses Risiko unumkehrbar virulent wird (näher sogleich unter 2.). Abstrahiert man das beschriebene Zweckcompositum aus Verkehrs- und Gesellschafterschutz vom Kaufmannsbegriff, so zeigt sich, dass gerade § 123 Abs. 2 HGB mit dem einvernehmlichen Geschäftsbeginn das allgemein maßgebliche Merkmal für die Wirksamkeit gegenüber Dritten enthält15, naturgemäß ohne die einschränkende Bezugnahme auf § 2 HGB als Referenz auf den Kaufmannsbegriff. Es erscheint sogar umgekehrt naheliegend, Abs. 1 eine (eigenständige) Drittschutzfunktion ganz abzusprechen und ihn allein in Bezug zum Kaufmannsbegriff zu setzen16. Zwar dient die Handelsregistereintragung im Allgemeinen selbstverständlich dem Verkehrsschutz, und zwar ist an der gesetzlichen Dekretion der Außenwirksamkeit durch Eintragung in § 123 Abs. 1 HGB wegen des klaren Gesetzesbefehls für die Personenhandelsgesellschaft nicht zu zweifeln. Doch ist andererseits unverkennbar, dass ein entsprechendes Verkehrsschutzbedürfnis so lange nicht besteht, wie die Gesellschaft im Verkehr noch nicht als solche gehandelt hat. Es kann deshalb jedenfalls für die Anwendbarkeit der Lehre vom fehlerhaften Verband (LfV) gesagt werden, dass die Registereintragung insofern belanglos ist17. Wenn man so will, ordnet § 128 Abs. 1 HGB lediglich mit Rücksicht auf die Publizitätsfunktion des Handelsregisters die Entstehung der Personenhandelsgesellschaft selbst für den unwahrscheinlichen Fall an, dass sie erst nach der Eintragung im Rechtsverkehr als solche in Erscheinung tritt, ohne dass aber die LfV diese typisierende Entscheidung des Gesetzgebers nachvollziehen müsste. Zusammenfassend ist also festzuhalten: Hinsichtlich der Entstehung enthält § 123 Abs. 2 HGB in Gestalt des Geschäftsbeginns wegen der mit diesem Begriff verknüpften Verkehrs- und Gesellschafterschutzzwecke die maßgebliche Entstehungsvoraussetzung für sämtliche Außengesellschaften; denn diese Zwecke stehen in keinem Zusammenhang mit dem Kaufmannsbegriff und sind
__________ 15 Konsequentermaßen reichen insofern rein innergesellschaftliche Vorgänge nicht aus, vgl. BGH, WM 1990, 586, 588; Habersack in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 123 Rn. 17; näher unter II. 2. 16 So Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 159. 17 Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 157 f.; ebenso im Ergebnis Ulmer in Staub, HGB, 4. Aufl. 1988, § 105 Rn. 343; K. Schmidt in Schlegelberger, HGB, 5. Aufl. 1992, § 105 Rn. 209; Goette, DStR 1996, 266, 268; a. A. namentlich Hueck. Das Recht der OHG, 4. Aufl. 1971, § 7 III 6, S. 98; Wiedemann, WM 1990, Beil. 8, S. 26.
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deshalb auf sämtliche Außengesellschaften übertragbar18, bei denen Verkehrsund Gesellschafterschutz in der Gründungsphase allgemein in ein angemessenes Verhältnis gesetzt werden müssen. Mit dem einvernehmlichen Geschäftsbeginn tritt die Gesellschaft in die Welt, so dass ihre Gesellschafter sich fortan nicht mehr darauf berufen können, nach ihren internen Abreden solle die Gesellschaft erst später Wirksamkeit erlangen (s. § 123 Abs. 3 HGB). Das lenkt den Blick auf die genaue Auslegung dieses Merkmals. 2. Der Tatbestand der Geschäftsaufnahme; insbesondere Zustimmungserfordernis Für eine Geschäftsaufnahme ist es zwar unstreitig nicht erforderlich, dass die Gesellschaft ihre laufenden Geschäfte innerhalb des Unternehmensgegenstandes aufnimmt; vielmehr reichen auch vorbereitende Handlungen wie der Erwerb eines Fabrikgrundstücks oder die Einrichtung eines Bankkontos aus19, sofern sie mit einer Außenwirkung verbunden bzw. hierauf berechnet sind20. Denn es geht um die Bestimmung des Zeitpunkts, an dem die Gesellschaft sich als solche im Rechtsverkehr präsentiert. Deshalb ist andererseits die Wahrnehmbarkeit von außen zugleich unverzichtbar; die h. M. bringt dies mit Recht darin zum Ausdruck, dass sie rein interne Vorgänge, wie Einlageleistungen, vom Geschäftsbeginn ausnimmt21. Nach ebenfalls zutreffender h. M. bedarf die Geschäftsaufnahme außerdem der Zustimmung aller Gesellschafter22. Wie schon erwähnt, ergibt sich diese ungeschriebene Voraussetzung sowohl aus einem systematischen Vergleich mit
__________ 18 In der Sache ebenso Habersack in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 123 Rn. 4 (Auftreten als Außengesellschaft); auch K. Schmidt in Schlegelberger, HGB, 5. Aufl. 1992, § 123 Rn. 3 stellt hauptsächlich auf den Geschäftsbeginn ab. Vgl. auch Ulmer, ZIP 1999, 554, 559 (§ 123 dient der „Festlegung des Wirksamwerdens“). 19 Hueck, Das Recht der OHG, 4. Aufl. 1971, § 5 II 2. 20 Zutr. etwa BGHZ 3, 285, 288; Hueck, Das Recht der OHG, 4. Aufl. 1971, § 7 III 6; Habersack in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 123 Rn. 9; K. Schmidt in MünchKomm. HGB, 2. Aufl. 2006, § 123 Rn. 9. 21 RGZ 166, 51, 59; Habersack in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 123 Rn. 17; K. Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2006, § 123 Rn. 9; Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 123 Rn. 9 f.; grds. auch BGH, WM 1990, 586, 588 (wo allerdings der Vermögenserwerb durch Gesamtrechtsnachfolge bei „anwachsender Verschmelzung“ einer OHG auf eine GbR irreführend mit deren Geschäftsbeginn gleichgesetzt wird, dagegen zutr. Habersack, a. a. O.); a. A. RG, DR 1943, 1221 und dem folgend von Gerkan/Haas in Röhricht/von Westphalen, HGB, 3. Aufl. 2008, § 123 Rn. 10. 22 ROHGE 12, 406, 409 f.; OLG Stuttgart, NZG 2002, 910, 912; Habersack in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 123 Rn. 20; Hueck, Das Recht der OHG, 4. Aufl. 1971, § 5 II 2; Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 123 Rn. 12; Koller in Koller/ Roth/Morck, HGB, 6. Aufl. 2007, § 123 Rn. 4; Emmerich in Heymann, HGB, 2. Aufl. 1996, § 123 Rn. 13a; offenlassend BGH, ZIP 2004, 663, 664; a. A. K. Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2006, § 123 Rn. 10, der auch den Gesellschafter haften lassen will, der nicht zugestimmt hat; das ist indessen mit der Wertung des § 176 Abs. 1 HGB unvereinbar; für die LfV teilweise noch abweichend auch Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 254 f. (Zustimmung zweier Gesellschafter ausreichend); daran wird nicht festgehalten.
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der Entstehung der Handelsgesellschaft durch Eintragung nach § 123 Abs. 1 HGB, die gleichfalls der Mitwirkung sämtlicher Gesellschafter bedarf (vgl. § 108 HGB), als zusätzlich auch aus der Wertung des § 176 Abs. 1 Satz 1 HGB, wonach der Kommanditist bis zur Eintragung der neugegründeten Gesellschaft nur dann unbeschränkt persönlich haftet, wenn er dem Geschäftsbeginn vor Eintragung zugestimmt hat. Das mit dem Geschäftsbeginn notwendig verbundene Haftungsrisiko aus § 128 HGB schränkt also den im Übrigen ganz im Vordergrund stehenden Verkehrsschutz bis zur Entstehung der Gesellschaft ein. Bis hierhin gilt: Das mit der Wirksamkeit nach außen unumkehrbar gewordene Haftungsrisiko soll nur denjenigen treffen, der wenigstens generell damit einverstanden ist, dass die Gesellschaft am Rechtsverkehr teilnimmt und folglich Verbindlichkeiten eingeht. Aus §§ 125, 126 HGB lässt sich naturgemäß nichts Gegenteiliges herleiten; denn es geht eben gerade um die Frage, von welchem Moment an diese Vorschriften zur Anwendung gelangen. Auf diese Weise werden Verkehrsschutz und Gesellschafterschutz in ein insgesamt angemessenes Verhältnis gesetzt. In der Sache entsprechend entscheidet der BGH auch für die Vorgesellschaft: Das Risiko aus der Vorbelastungs- bzw. Unterbilanzhaftung trifft die Gesellschafter nur, sofern sie mit dem Geschäftsbeginn einverstanden sind (dazu unter III.)23. Es wird nicht mehr überraschen, wenn hier nochmals betont wird, dass konsequenterweise nichts anderes auch für die Anwendbarkeit der Lehre vom fehlerhaften Verband durch „Vollzug“ der Gesellschaft gelten kann24. Als Ergebnis ist für die Personenhandelsgesellschaft somit festzuhalten: Die Geschäftsaufnahme kann sich grundsätzlich in jedem (Rechts-)Geschäft manifestieren, durch das die Gesellschaft als solche, nicht lediglich ihre Gesellschafter, nach außen in Erscheinung tritt; erforderlich hierfür ist aber das Einverständnis sämtlicher Gesellschafter. Auf die rechtliche Behandlung zustimmender Gesellschafter, wenn einzelne Gesellschafter nicht zustimmen, ist zurückzukommen (unten IV. 2.).
III. Die Entstehung der Vorgesellschaft Die Kapitalgesellschaft entsteht als Körperschaft erst mit der Eintragung; bis dahin existiert lediglich eine Vorgesellschaft als (bei der Gründung) notwendiges Durchgangsstadium25; sie stellt nach ganz h. M. eine rechtsfähige (Außen-) Gesamthandsgesellschaft eigener Art dar26, nach anderer Auffassung soll sie
__________ 23 BGHZ 80, 129, 1208 und dazu Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2005, § 11 Rn. 68 ff. 24 S. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 252 ff.; zustimmend insoweit Ulmer in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2009, § 705 Rn. 331 (der allerdings entgegen der h. M. auch interne Vorgänge in den Tatbestand des Vollzuges einbeziehen will – dem ist aus den genannten Gründen nicht zu folgen). 25 Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2005, § 11 Rn. 6. 26 S. nur Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2005, § 11 Rn. 10 ff. m. w. N.; zur abweichenden, aber nach einh. M. heute überholten Vorstellung des historischen Gesetzgebers s. K. Schmidt in FS Beuthien, 2009, S. 211, 218 ff.
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eine Vorstufe zur juristischen Person sein27, worauf es hier nicht ankommt. Es liegt daher in jedem Falle nahe, dass für ihre Entstehung das Gleiche gilt wie für die Personenhandelsgesellschaft, obgleich auch hier – wie für die GbR – üblicherweise gesagt wird, die Vorgesellschaft entstehe schon durch Vertragsschluss28. Demgegenüber gilt auch für die Vorgesellschaft, dass diese erst mit dem einvernehmlichen Geschäftsbeginn als Außengesellschaft entsteht; für eine abweichende Interessenlage gegenüber der Personenhandelsgesellschaft ist nichts ersichtlich. Zwar ist die Gründerhaftung nach h. M. hier keine Außenhaftung, sondern eine quotale Innenhaftung29; der BGH beschränkt aber die Vertretungsmacht der Geschäftsführer gleichwohl mit Rücksicht auf diese Haftung auf die gründungsnotwendigen Geschäfte, sofern die Gesellschafter nicht in die – darüber hinausgehende – Geschäftsaufnahme eingewilligt haben30. Dem ist auch zuzustimmen, zumal es eben keinen allgemeinen Grundsatz unbeschränkter Vertretungsmacht schon in der Gründungsphase gibt (oben II. 2.). Dennoch fällt ein Unterschied zur Personenhandelsgesellschaft ins Auge: Die Kapitalgesellschaft ist, legt man die zu § 123 Abs. 2 HGB geltenden Maßstäbe an, längst nach außen entstanden, wenn sie ihre eigentliche Geschäftstätigkeit, und sei es durch Vorbereitungshandlungen, aufnimmt. Das hängt mit den für Kapitalgesellschaften typischen sog. gründungsnotwendigen Geschäften zusammen, zu denen mit Rücksicht auf die vor Anmeldung regelmäßig auf ein Konto der Gesellschaft zu leistenden (Mindest-)Geldeinlagen (§ 54 Abs. 3 AktG)31 in aller Regel die Einrichtung eines Bankkontos gehört, was für die Entstehung als Außengesellschaft nach allgemeinen Grundsätzen ausreicht. Die Gesellschafter haben indessen nicht die Wahl, ihre Zustimmung insofern zu verweigern; denn anderenfalls käme der Gründungsvorgang nicht voran. Schon seit jeher gilt deshalb: Für die gründungsnotwendigen Geschäfte ergibt sich die Vertretungsmacht der Geschäftsführer ohne weiteres schon aus dem Zweck der Vorgesellschaft, mithin aus dem gemeinschaftlichen Willen, eine Kapitalgesellschaft zu gründen. Folglich kann sich die „Ermächtigung“ der Geschäftsführer zur Aufnahme nicht gründungsnotwendiger Geschäfte nicht auf die Entstehung der Vorgesellschaft beziehen, sondern nurmehr auf die Vertretungsmacht der Geschäftsführer und somit nur indirekt auf die Gründerhaftung: Weil sie ihre Zustimmung für die gründungsnotwendigen Geschäfte bereits mit der Gründung erteilt haben, bleiben sie ausnahmsweise auch für die Zeit nach Entstehung der Vorgesellschaft durch Geschäftsbeginn schutzwürdig;
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27 K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 11 Rn. 24 f. 28 Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2005, § 11 Rn. 5; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 34 III 3 a, S. 1016. 29 BGHZ 134, 333, 341; Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2005, § 11 Rn. 79 ff.; a. A. (§ 128 HGB analog) K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 11 Rn. 82 ff., jew. m. w. N. 30 BGHZ 80, 129, 139; Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2005, § 11 Rn. 68; a. A. K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 11 Rn. 64. 31 Zur umstr. entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift auf die GmbH s. einerseits Ulmer in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2005, § 7 Rn. 32, andererseits Schäfer in Bork/Schäfer, GmbHG 2010, § 7 Rn. 18 (verneinend).
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und dieses Schutzbedürfnis lässt sich allein durch eine andauernde Beschränkung der Vertretungsmacht der Geschäftsführer befriedigen. Es zeigen sich somit für die Vorgesellschaft Gemeinsamkeiten ebenso wie auch Besonderheiten, die auf der kapitalgesellschaftsrechtlichen Kategorie des gründungsnotwendigen Geschäfts beruhen: Auch die Vorgesellschaft gelangt erst mit Geschäftsbeginn als Außengesellschaft zur Entstehung; erst von diesem Moment an sind auch die Regeln der fehlerhaften Gesellschaft anwendbar. In aller Regel lässt aber schon ein gründungsnotwendiges Geschäft, zu dem die Gesellschafter keine besondere Zustimmung erteilen müssen, die Vorgesellschaft nach außen entstehen. Der von der h. M. auch hier zu Recht für erforderlich gehaltene Gesellschafterschutz vor eigenmächtigem Geschäftsführerhandeln kann deshalb nicht mit der Entstehung verknüpft werden, sondern muss bei der Vertretungsmacht der Geschäftsführer in der Vorgesellschaft ansetzen. Die gleichsam technischen Gründe, die zur Abweichung zwingen, haben aber ersichtlich nichts mit dem grundsätzlich „richtigen“ Ausgleich zwischen Verkehrs- und Gesellschafterinteressen in der Gründungsphase zu tun, und berühren daher das unter II. gefundene Ergebnis nicht.
IV. Conclusio: Die Entstehung der GbR 1. Zur Entstehung der Außen-GbR durch Geschäftsbeginn (analog § 123 Abs. 2 HGB) Nach allem wäre es geradezu verwunderlich, sollte sich für die rechtsfähige Außen-GbR hinsichtlich ihrer Entstehung etwas anderes als das bisher Festgestellte als richtig erweisen. Zwar findet sich keine Vorschrift nach Art des § 123 HGB im BGB-Gesellschaftsrecht. Wie schon erwähnt, besagt dies aber wenig; denn der historische Gesetzgeber des BGB ging zunächst von der römisch-rechtlichen societas, einem reinen Schuldverhältnis, aus32, bei der das Problem einer besonderen Wirksamkeit nach außen nicht auftreten kann. Die heute systemgerecht durchgesetzte allgemeine Vorstellung von der Rechtsfähigkeit der (Außen-)Gesellschaft33 war ihm überdies noch völlig fremd. Schließlich unterscheiden die §§ 705 ff. BGB generell nicht zwischen Innenund Außengesellschaft. Nur für die Außengesellschaft bedarf die Frage ihrer Wirksamkeit (nach außen) aber einer Regelung. Kurz: Das Recht der GbR ist in dieser (wie manch anderer) Hinsicht lückenhaft. Wenn aber die GbR als Außengesellschaft ebenso wie die Personenhandelsgesellschaft rechtsfähig ist und wenn ihre Gesellschafter mittlerweile ebenso streng persönlich haften wie diejenigen in der OHG, nämlich (analog) §§ 128, 130 HGB34, bzw. wie der Kommanditist einer nicht eingetragenen KG (§ 176
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32 Vgl. Flume, Allgemeiner Teil 1977, I/1, § 1 II, S. 2 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 8 III 4 d; Ulmer in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2009, § 705 Rn. 155. 33 Dazu schon die Hinweise oben in Fn. 4. 34 BGHZ 146, 341, 358; BGHZ 142, 315, 319; BGH, NJW 2006, 3716, 3717; näher dazu etwa Ulmer/Schäfer in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2009, § 714 Rn. 31 ff.; K. Schmidt, NJW 2003, 1897.
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Abs. 2 HGB), so ist die Interessenlage exakt die gleiche wie bei diesen Gesellschaften. Die zur Entstehung der Außengesellschaft dort in § 123 Abs. 2 HGB anerkannten Grundsätze sind, nachdem man diese Vorschrift von ihrer Bezugnahme auf den Kaufmannsbegriff befreit hat, im Analogiewege auf die GbR übertragbar; denn der Vorschrift liegt, wie gesehen (oben II. 1.), eine abgewogene Zweckmischung aus Verkehrs- und Gesellschafterschutz zugrunde. Auch wenn – eigenartigerweise – selbst für die Außen-GbR immer noch verbreitet gesagt wird, sie entstehe schon mit dem Vertragsschluss35, erweist es sich deshalb als überzeugender, insofern ebenfalls auf den einvernehmlichen Geschäftsbeginn abzustellen. Spätestens seit Verschärfung der persönlichen Haftung durch BGHZ 142, 315 besteht in der GbR das gleiche Spannungsfeld zwischen Gläubiger- und Gesellschafterinteressen wie in der OHG, das § 123 Abs. 2 HGB für die Entstehungsphase zugunsten eines begrenzten Gesellschafterschutzes auflöst. § 123 Abs. 2 HGB, soweit er durch Bezug auf §§ 2, 105 Abs. 1 HGB nicht lediglich die Konsequenzen aus dem Kaufmannsbegriff zieht, beschreibt damit einheitlich für alle Gesamthandsgesellschaften die durch Geschäftsbeginn erlangte Außenwirksamkeit. 2. Zu Einzelfragen beim Zustimmungserfordernis sämtlicher Gesellschafter Wie schon ausgeführt (II. 2.), verlangt die h. M.36 bei § 123 Abs. 2 HGB zu Recht, dass sämtliche Gesellschafter dem Geschäftsbeginn zugestimmt haben, damit die Gesellschaft entsteht. Konsequenterweise existiert also überhaupt keine Gesellschaft (hier GbR), solange auch nur ein Gesellschafter mit dem Geschäftsbeginn nicht einverstanden ist. Unberührt bleibt dann selbstverständlich die Haftung des Handelnden als Vertreter ohne Vertretungsmacht nach § 179 Abs. 1 BGB. Für die GbR kann insofern nichts anderes gelten als bei der OHG, seit auch in der Außen-GbR nach §§ 128, 130 HGB (analog) gehaftet wird (unter 1.)37. Während damit die Grundsatzfrage entschieden ist, bedarf die Rechtslage für den Fall, dass nur ein Teil der Gesellschafter (nicht) zugestimmt hat, ergänzender Überlegungen. Der in § 123 Abs. 2 HGB mit dem Zustimmungserfordernis verfolgte Zweck des (begrenzten) Gesellschafterschutzes, der diesen eine unbeschränkte Haftung nur dann zumutet, wenn sie der Aufnahme der (risikoträchtigen) Geschäfte zugestimmt haben, wirkt naturgemäß nur zugunsten derjenigen, die entweder nicht gefragt wurden oder ihre Zustimmung verweigert haben. Demgegenüber rechtfertigt er es nicht, den Gläubigern die Haftung solcher Gesellschafter vorzuenthalten, die ihre Zustimmung erteilt haben. Ihnen muss jedenfalls im Ergebnis der Einwand versperrt bleiben, ein anderer
__________ 35 S. die Nachw. in Fn. 2. 36 S. die Nachw. in Fn. 22. 37 Grundsätzlich zustimmend Habersack in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 123 Rn. 20 (allerdings mit der zumindest missverständlichen Einschränkung, dass die Gesellschafter [allein?] durch die Einräumung einer Alleinvertretungsbefugnis schon dem Geschäftsbeginn zustimmten).
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Wodurch entsteht die Gesellschaft bei der Gründung?
Gesellschafter habe seine Zustimmung verweigert, weshalb die Gesellschaft nicht entstanden sei und auch sie nicht zu haften hätten. Damit wird freilich das Erfordernis allseitiger Zustimmung nicht ernsthaft in Frage gestellt. Zum einen sollte selbstverständlich sein, dass die (volle) Wirksamkeit der Gesellschaft nur einheitlich beurteilt werden kann. Es kommt also nicht in Betracht, die Gesellschaft nur im Verhältnis zu den zustimmenden Gesellschaftern als (außen-)wirksam zu betrachten, im Übrigen aber nicht. Anderenfalls entstünde ein schwer auflösbares Spannungsverhältnis zwischen der Wirksamkeit im Innenverhältnis (unter allen Gesellschaftern) und im Außenverhältnis (nur unter den Zustimmenden). Aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit verträgt die Außenwirksamkeit indessen keine (subjektiven) Relativierungen; sie ist gewissermaßen unteilbar. Denkbar wäre es allerdings, die Gesellschaft schon dann als wirksam zu betrachten, wenn wenigstens ein oder zwei38 Gesellschafter zugestimmt haben, und die übrigen von der Haftung nach § 128 HGB auszunehmen. Das ist das Modell von § 176 Abs. 1 HGB: Die Kommanditisten sind danach vor einer unbeschränkten persönlichen Haftung geschützt, wenn sie mit dem Geschäftsbeginn nicht einverstanden waren. Im Übrigen müssen sie es aber hinnehmen, dass die Gesellschaft auch nach außen wirksam wird; denn von der (einheitlichen) Wirksamkeit der Gesellschaft geht § 176 Abs. 1 HGB offensichtlich aus. Diese Haftungsfreistellung für die Kommanditisten stellt aber gleichsam nur den Mindestschutz im Falle partiell fehlender Zustimmung dar und ist richtigerweise auf die (Sonder-)Situation des Kommanditisten zu beschränken. Dass § 176 Abs. 1 HGB nur die Position des Kommanditisten, nicht aber diejenige des Komplementärs bzw. persönlich haftenden Gesellschafters regelt, lässt sich gerade damit erklären, dass letztere in der Vorstellung des Gesetzgebers vor einer persönlichen Haftung schon dadurch geschützt sind, dass die Gesellschaft ohne ihre Mitwirkung gar nicht ins Leben tritt, während es insofern auf die Zustimmung der Kommanditisten offensichtlich nicht ankommen soll. Ohnehin ließe sich für die persönlich haftenden Gesellschafter auf diese Weise kein ausreichender Schutz bewerkstelligen; denn im Unterschied zu den Kommanditisten (§ 167 Abs. 3 HGB) sind sie über ihre unbeschränkte Gewinnund Verlustbeteiligung an den Risiken des Unternehmens in vollem Umfang beteiligt; diese mittelbare Verlusthaftung trifft sie naturgemäß auch dann, wenn sie von einer Außenhaftung befreit sind. Deshalb sind sie von unternehmerischen Misserfolgen ungleich stärker betroffen als Kommanditisten; ihr ungleich höheres Schutzbedürfnis lässt sich somit nur durch die Verknüpfung von Zustimmung und Entstehung befriedigen, wie es eben der h. M. zu § 123 Abs. 2 HGB entspricht. Das Modell der bloßen Haftungsfreistellung, wie es § 176 Abs. 1 HGB verfolgt, muss also den Kommanditisten vorbehalten bleiben. Zwar ließe sich theoretisch auch an eine Beschränkung der Vertretungsmacht wie bei der Vorgesellschaft denken; doch ist dieses Modell den Beson-
__________ 38 So noch Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 254 f. in Bezug auf die LfV – daran wird nicht festgehalten.
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derheiten des Kapitalgesellschaftsrechts mit seiner – unwiderleglich vermuteten – Zustimmung aller Gesellschafter zu den gründungsnotwendigen Geschäften geschuldet, und daher nicht verallgemeinerbar. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass es für die Inanspruchnahme der zustimmenden Gesellschafter keiner Korrektur der h. M. bedarf. Denn ihre Haftung lässt sich ohne weiteres auf die Grundsätze der Rechtsscheinhaftung stützen. Danach haftet bekanntlich derjenige, der durch sein Verhalten zurechenbar den Rechtsschein einer in Wahrheit (noch) nicht existenten OHG und damit seiner persönlichen Haftung nach § 128 HGB erzeugt hat39. Während zwar nicht schon die bloße Mitwirkung am Vertragsschluss es gestattet, den vom Geschäftsführer gesetzten Rechtsschein einer OHG (samt entsprechender Gesellschafterhaftung) den Gesellschaftern zuzurechnen, gilt dies für ihre Zustimmung zum Geschäftsbeginn durchaus. Mit dieser Ergänzung zeigt sich ein in sich stimmiges Konzept: Hat auch nur ein Gesellschafter seine Zustimmung zum Geschäftsbeginn nicht erteilt, entsteht durch den Geschäftsbeginn (noch) keine Gesellschaft. Diejenigen Gesellschafter, die jedoch zugestimmt haben, haften kraft Rechtsscheins als Scheingesellschafter. Zusätzlich haftet der handelnde Geschäftsführer als Vertreter ohne Vertretungsmacht nach § 179 BGB.
V. Zusammenfassung 1. § 123 Abs. 2 HGB beschreibt mit dem einvernehmlichen Geschäftsbeginn aufgrund der insofern verfolgten Schutzzwecke die allgemeingültige Entstehungsvoraussetzung für alle (Personen-)Außengesellschaften. 2. Das Zustimmungserfordernis dient dem Gesellschafterschutz vor eigenmächtigem Geschäftsführerverhalten; es ergibt sich aus einem systematischen Vergleich mit § 123 Abs. 1 HGB sowie aus der Wertung des § 176 Abs. 1 HGB: Den Beginn der – risikoträchtigen – Geschäftsfähigkeit sollen die Gesellschafter bestimmen können; die Interessen des Rechtsverkehrs treten insofern zurück. 3. Auch die Vorgesellschaft entsteht durch Geschäftsbeginn als Außengesellschaft. Dass zusätzlich eine Beschränkung der Vertretungsmacht der Geschäftsführer gilt, solange nicht alle Gesellschafter sie zur Aufnahme der (nicht gründungsnotwendigen) Geschäfte ermächtigt haben, beruht auf Besonderheiten des Kapitalgesellschaftsrechts mit seiner Kategorie der gründungsnotwendigen Geschäfte. 4. Haben nur einige Gesellschafter dem Geschäftsbeginn zugestimmt, andere aber nicht, bleibt es dabei, dass die Gesellschaft nicht entstanden ist. Die zustimmenden Gesellschafter haften aber als Scheingesellschafter. Hinzu kommt die Haftung der machtlosen Vertreter (§ 179 BGB).
__________ 39 Vgl. zur Lehre vom Scheinkaufmann bzw. Scheingesellschaft nur K. Schmidt, Handelsrecht, 5. Aufl. 1999, § 10 VIII 2, S. 325, 326 sowie BGHZ 17, 13.
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Der Handel von Aktien insolventer, insb. US-amerikanischer Gesellschaften an deutschen Börsen Inhaltsübersicht I. Insolvenz und Börsennotierung II. Handel von Aktien insolventer Gesellschaften an deutschen Börsen III. Folgen der Beendigung des Insolvenzverfahrens nach Chapter 11 US Bankruptcy Code
IV. Erlöschen der beiderseitigen Leistungspflichten? 1. Regelung der §§ 275, 326 BGB 2. Regelung § 19 AGB-Freiverkehr FWB a.F. 3. Regelung in der Schweiz V. „Periculum est emptoris“ bei Rechtsgeschäften an deutschen Börsen?
Der Jubilar ist seit Jahrzehnten ein engagierter Vertreter des Finanzplatzes Deutschland und seiner Kapitalmärkte. So waren es maßgeblich die von ihm vorgetragenen juristischen Argumente, die um die Jahrtausendwende verhinderten, dass der Handel mit Dax- und MDax-Werten von Frankfurt nach London und der Alternative Investment Market (AIM) von London nach Frankfurt kommen und dort mit dem – bereits 2004 wieder eingestellten – „Neuen Markt“ verbunden werden sollte. Aber auch ohne solche Wanderungsbewegungen von Börsen hat die Internationalisierung vor diesen nicht Halt gemacht. So werden inzwischen an sämtlichen deutschen Börsen – mit unterschiedlicher Gewichtung der Weltregionen – ausländische Wertpapiere (meist im privatrechtlich organisierten Freiverkehr) gehandelt. Dabei treten im Falle einer Insolvenz der Gesellschaft Fragen im Zusammenspiel von ausländischem Gesellschafts-, Wertpapier- und Insolvenzrecht und deutschem Börsen- und Kaufvertragsrecht auf.
I. Insolvenz und Börsennotierung Die Stellung eines Insolvenzantrages, die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führen nicht zu einem Entfallen der Börsennotierung sondern allenfalls zu einer vorübergehenden – nach der derzeitigen Praxis der deutschen Börsen üblicherweise eine Stunde dauernden – Aussetzung der Notierung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 BörsG1. Eine Einstellung der Börsennotierung oder ein deklaratorischer Hinweis auf
__________ 1 Warmer, Börsenzulassung und Insolvenz der AG, 2009, S. 46 f., 82 f.; Gebhardt in Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, Loseblatt, Bd. II KMG, § 38 BörsG Rz. 30; Grub/Streit, BB 2004, 1397 ff.; W. Ott/Brauckmann, ZIP 2004, 2117 ff.
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eine Erledigung der Börsenzulassung erfolgt typischerweise erst mit Abschluss des Insolvenzverfahrens oder der Mitteilung des Insolvenzgerichts, dass die Gesellschaft vermögenslos oder erloschen ist2. Dies gilt gleichermaßen für inwie ausländische Aktiengesellschaften und war Anlass für umfangreiche Diskussionen über die auch nach Insolvenzeintritt bis zur Beendigung der Gesellschaft aufgrund der Börsennotierung fortbestehenden Börsenzulassungsfolgepflichten insb. im regulierten Markt3. Dementsprechend sind die Aktien zahlreicher, bekannter oder weniger bekannter deutscher und ausländischer Aktiengesellschaften auch nach Insolvenzeröffnung an deutschen Börsen gehandelt worden4. I. d. R. werden die Aktien nach Insolvenzeröffnung nur noch mit minimalen Werten als sog. Penny-Shares gehandelt, bei denen bereits eine Kursveränderung von nur einem Eurocent eine hohe prozentuale Veränderung des Kurswertes darstellen kann. Meist werden nur Hoffnungswerte gehandelt und der Handel in diesen Aktien ist hochspekulativ. Vielfach sind es DayTrader, die die Aktien von in der Insolvenz befindlichen, „geeigneten“ Aktiengesellschaften mit hoher Umschlagshäufigkeit in der Absicht der Erzielung von kurzfristigen Kursgewinnen kaufen und verkaufen. Rechtsfragen ergeben sich insbesondere dann, wenn zwischen dem Abschluss des Kaufvertrages an der Börse über Ein- bzw. Verkaufskommissionäre und der Erfüllung des Kaufvertrages – typischerweise innerhalb von zwei bzw. drei Börsentagen – die Beendigung der Aktiengesellschaft z. B. durch Löschung im Handelsregister oder – bei ausländischen Gesellschaften – der entsprechenden Maßnahme im Ausland erfolgt. Ist der letzte Käufer noch zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet, obwohl ihm – eine Beteiligung an der Gesellschaft vermittelnde – Aktien als Gegenleistung nicht mehr übereignet werden (können)? Bei hoher Umschlagshäufigkeit in den letzten Tagen der Existenz der Gesellschaft bzw. der Aktien5 kann eine ganze Kette von Käufern/Verkäufern noch nicht beliefert worden sein, bei der sich die Frage gleichermaßen stellt.
II. Handel von Aktien insolventer Gesellschaften an deutschen Börsen Die schuldrechtlichen Verträge über US-amerikanische Aktien an deutschen Börsen werden zwischen den Ein- bzw. Verkaufskommittenten und den von ihnen jeweils beauftragten Kommissionären nach deutschem Kommissions-
__________
2 M. Weber, ZInsO 2001, 385, 388; Gebhardt in Schäfer/Hamann, Bd. II KMG, § 38 BörsG Rz. 29 ff. 3 Vgl. dazu BVerwG, NZI 2005, 510 = NZG 2005, 895; Hirte, ZInsO 2006, 1289 ff.; Warmer, Börsenzulassung und Insolvenz der AG, 2009, S. 95 ff. m. w. N.; Stein, Börsennotierte Aktiengesellschaften in der Insolvenz, 2009, S. 64 ff., 100 ff. 4 So z. B. Arcandor (vormals Karstadt-Quelle), Babcock Borsig, Brokat, Cargo Lifter, CIT Group, Escada, German Brokers, Gontard & Metall Bank, Herlitz, Hucke, Kampa, Micrologica, november AG, Philipp Holzmann, Refugium, Rohwedder, Sachsenmilch, Washington Mutual, WCM, Ymos – in einigen Fällen gelang in der Insolvenz der turnaround und der Gesellschaft gelang die Rückkehr zu einer werbenden Gesellschaft. 5 Im Falle eines Verfahrens nach Chapter 11 Bankruptcy Code der USA können lediglich die Aktien für wertlos erklärt werden, die Gesellschaft jedoch auf der Basis neuer Aktien fortbestehen – dazu sogleich.
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Handel von Aktien insolventer insb. ausländischer Gesellschaften an deutschen Börsen
und zwischen den Ein- bzw. Verkaufskommissionären an der Börse nach deutschem Kaufvertragsrecht abgeschlossen. Dabei spielt es für die Anwendung deutschen Rechts auf die schuldrechtlichen Verträge keine Rolle, dass heute die meisten US-amerikanischen Aktien nicht mehr verbrieft sind und nicht einmal eine Globalurkunde besteht, sondern die Wert“papiere“ lediglich elektronisch in „entmaterialisierter“ Form nach § 8-404 Uniform Commercial Code der USA (bzw. dessen Umsetzung in den US-amerikanischen Bundesländern) bestehen6. In den USA erfolgt die Übertragung auch der entmaterialisierten Wertpapiere in einer Depotpyramide über die Depository Trust & Clearing Corporation (DTCC) bzw. deren Tochtergesellschaften, der zentralen Verwahrstelle, der Depository Trust Corp. (DTC), sowie der National Securities Clearing Corp. (NSCC)7. Auch nach deutschem Recht können Aktien ohne Verbriefung bestehen, da der Verbriefung nur deklaratorische Bedeutung zukommt, wie § 41 Abs. 4 Satz 2 AktG zu entnehmen ist. Sie sind dann die Gesamtheit der Rechte und Pflichten des Aktionärs an der Aktiengesellschaft8 und werden nicht nach den sachenrechtlichen Grundsätzen der §§ 929 ff. BGB sondern nach Zessionsrecht gemäß §§ 398 ff. BGB übertragen9. Börsenfähig sind derartige nicht verbriefte deutsche Aktien grds. nicht, da nach § 32 BörsG zulassungsfähig nur umlauffähige Wertpapiere des Kapitalmarktes (als Sachen) sind10 und in Ermangelung einer Verbriefung die h. L. eine Umlauffähigkeit nicht für gegeben erachtet11. Bei den Verträgen über Aktien deutscher Gesellschaften handelt es sich um solche über Rechte und Sachen12 in der Form des Gattungskaufs13. Die Verträge über die zum größten Teil unverbrieften (entmaterialisierten) USamerikanischen Aktien sind gleichfalls Rechtskaufverträge nach § 453 BGB, bereits da unverbriefte Beteiligungen an US-amerikanischen Aktiengesellschaf-
__________ 6 Donald, WM 2008, 526, 529; bereits seit 1995 ist in den USA vorgesehen, dass sämtliche Kapitalmarktpapiere „immobilisiert“ in Depotkonten verbucht sein müssen – vgl. Section 17 A para. e) SEA sowie Donald, a. a. O. 7 Vgl. Donald, WM 2008, 526, 529 ff.; Ege, Das Kollisionsrecht der indirekt gehaltenen Wertpapiere, 2006, S. 45 ff. – beide m. w. N. 8 Vgl. Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 5 Rz. 12 ff. 9 Vgl. Eder, NZG 2004, 107, 108; Groß in Happ, Aktienrecht, 3. Aufl. 2007, 5.01 Rz. 5 – unstr. 10 Gebhardt in Schäfer/Hamann, KMG, § 30 BörsG Rz. 11; Einsele, Wertpapierrecht als Schuldrecht, 1995, S. 11 m. w. N.; Heidelbach in Schwark, KapitalmarktrechtsKommentar, 3. Aufl. 2004, § 30 Rz. 8 (unstr.). 11 Hier kann nicht der Frage nachgegangen werden, ob hinsichtlich des Wertpapierbegriffs zwischen in- und ausländischen Wertpapieren zu differenzieren ist und welche Differenzierungskriterien zugrunde zu legen sind. 12 Vgl. dazu auch Groß in Happ, Aktienrecht, 3. Aufl. 2007, 5.01 Rz. 1; Weidenkaff in Palandt, BGB, 69. Aufl. 2010, § 453 Rz. 1, 10 (primär Rechtskauf mit Sachkauf des Wertpapiers) – beide m. w. N.; zum Schweizer Recht vgl. Ernst in FS E. Bucher, 2009, S. 89, 93 („Kauf des Rechts in seiner verbrieften Gestalt“). 13 So auch zum Schweizer Recht Ernst in FS E. Bucher, 2009, S. 89, 99.
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ten gehandelt werden14. Auch für diese schuldrechtlichen Verträge gelten die §§ 275, 280 ff., 311a, 326 BGB. Gehen nach Abschluss des Rechtskaufvertrages aber vor Erfüllung die für die Erfüllung vorgesehenen Aktien unter (dazu unter III.), ist in Betracht zu ziehen, dass (objektive, nachträgliche) Unmöglichkeit der Erfüllung gemäß §§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB eingetreten ist und beide Parteien von ihren Leistungspflichten frei werden (dazu unter IV.).
III. Folgen der Beendigung des Insolvenzverfahrens nach Chapter 11 US Bankruptcy Code Durch ein Insolvenzverfahren nach Chapter 11 US Bankruptcy Code (BC) werden die Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners eingefroren, die Insolvenzmasse bestimmt und als Verfügungsberechtigter über die Insolvenzmasse ein Insolvenzverwalter oder der Insolvenzschuldner selbst (debtor in possession) bestimmt15. Der – i. d. R. innerhalb von 18 Monaten aufzustellende16 – Reorganisationsplan besteht im Wesentlichen aus einer Vereinbarung zwischen dem Schuldner, also der Aktiengesellschaft, und den Gläubigern über die Unternehmensfortführung. Meistens gehen die Altaktionäre bei dem Reorganisationsplan leer aus, ihre Aktien verfallen wertlos und die Rekapitalisierung der Aktiengesellschaft erfolgt durch einen sog. „debt-equity-swap“, bei dem die Altgläubiger ihre Insolvenzforderungen in Eigenkapital wandeln, i. d. R. verbunden mit der Zuführung neuen Kapitals durch eine Kapitalerhöhung17. Der Reorganisationsplan ist von dem Insolvenzgericht zu genehmigen18. Mit der gerichtlichen Genehmigung des Planes bindet dieser sowohl die Aktiengesellschaft als Schuldner, ihre Gläubiger und die Aktionäre (und deren Aktienrechte erlöschen, soweit dies vorgesehen ist). Spätestens mit der – veröffentlichten – Aufstellung des Reorganisationsplans ist es trotz noch ausstehender Genehmigung durch das Insolvenzgericht für jeden Altaktionär absehbar, dass seine Aktien wertlos verfallen werden. Wer in einer solchen Situation Aktien der Gesellschaft noch aktiv handelt, ist i. d. R. ein „hard-core Spekulant“. Mit Rechtskraft des Reorganisationsplans tritt im Falle des Untergangs der Altaktien weltweit eine Unmöglichkeit ein, diese an einen Käufer zu übertragen, da die nicht verbrieften Rechte der Altaktionäre aufgehört haben zu existieren.
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14 Es kann hier nicht der Frage nachgegangen werden, nach welchem Recht sich die Erfüllung dieser Verträge richtet; vgl. zum Wertpapierrechtsstatut, Wendehorst in MünchKomm.BGB, Bd. 10 IPR, 4. Aufl. 2006, Art. 43 Rz. 194 ff. m. w. N.; zum Wertpapiersachstatut Ege, Das Kollisionsrecht der indirekt gehaltenen Wertpapiere, 2006, S. 49 ff.; allg. zu den kollisionsrechtlichen Grundlagen Dittrich, Effektengiroverkehr mit Auslandsberührung, 2002, S. 31 ff. 15 Vgl. Meyer-Löwy/Poertzgen/Eckhoff, ZInsO 2005, 735, 737 ff.; Podewils, ZInsO 2010, 209, 210 ff.; Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2006, Rz. 1478 ff. und 1483 ff. 16 Häufig wird bei großen Gesellschaften jedoch sehr viel mehr Zeit für die Aufstellung benötigt. 17 Meyer-Löwy/Poertzgen/Eckhoff, ZInsO 2005, 735, 739. 18 Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2006, Rz. 1489 f.
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IV. Erlöschen der beiderseitigen Leistungspflichten? 1. Regelung der §§ 275, 326 BGB Mit Abschluss des Insolvenz- bzw. Reorganisationsverfahrens in den USA hört entweder die wirtschaftliche und rechtliche Existenz der Gesellschaft auf (in Deutschland mit Löschung im Handelsregister, wenn sie kein Vermögen besitzt19) oder jedenfalls erlöschen die Altaktien der aus der Reorganisation hervorgehenden Gesellschaft. Besteht über die Altaktien eine Globalurkunde oder liegen diese sogar gedruckt vor, hören die Aktienurkunden auf, Wertpapier zu sein20. Bestanden die Aktien ohnehin nur in entmaterialisierter Form als Bucheffekten, hat ihre Löschung im Verwahrsystem dieselbe Folge. Für die gesamte Gattung dieser Aktien tritt (nachträgliche) Unmöglichkeit der Leistung dieser Aktien ein21 und damit gemäß §§ 275 Abs. 1, 326 BGB grds. ein Erlöschen von Leistungs- und Gegenleistungspflicht22. Das BGB weist damit das Beschaffungsrisiko grundsätzlich dem Schuldner (Verkäufer) zu und das Verwendungsrisiko dem Gläubiger (Käufer)23. 2. Regelung § 19 AGB-Freiverkehr FWB a. F. § 19 AGB-Freiverkehr der FWB in seiner bis 1. November 2007 geltenden Fassung verwies auf die Bedingungen der FWB für den regulierten Markt und speziell für den Fall der Nichtlieferung von verkauften Aktien den Käufer auf die Regelungen der Zwangsregulierung (gemäß §§ 13 bis 15 BedFWB a. F. für den regulierten Markt). Bei der Regelung von § 19 handelt es sich nicht um AGB im Rechtssinne, da diese nicht einseitig von einer Partei gestellt wurden, sondern um „Handelsbräuche“ i. S. v. § 346 HGB, die auf dem übereinstimmenden Willen beider Vertragsparteien beruhten24. Neben der Beschränkung der Rechte des Käufers auf die Zwangsregulierung sah § 16a Abs. 5 Halbs. 2 BedFWB a. F. vor, dass ein Börsenschiedsgericht dem Käufer „ausnahmsweise“ gestatten konnte, von dem Kaufvertrag zurückzutreten. Diese Regelung wurde in einem Umkehrschluss dahingehend verstanden, dass der Käufer i. d. R. nicht statt der Zwangsregulierung vom Vertrag zurücktreten konnte sondern dies nur mit Gestattung eines Börsenschiedsgerichts zulässig sein sollte. Nach diesem Ver-
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19 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2009, Rz. 7.24 ff. m. w. N. 20 Unstr., vgl. RGZ 96, 184 f.; ebenso zum Schweizer Recht Ernst in FS E. Bucher, 2009, S. 89, 122. 21 Bucheffekten sind nicht mehr lieferfähig und die Lieferung von ausgedruckten Aktienurkunden stellt keine Leistung im ursprünglichen Sinne mehr dar, weil es sich bei diesen ggf. noch um Sammelobjekte, nicht mehr jedoch um Aktien im Rechtssinne handelt, RGZ 96, 184, 186; vgl. zum Schweizer Recht BGE 128 III 317 E.5 = Pra 91 (2002) Nr. 190, 1012 ff. 22 So schon das RG in mehreren nicht den Börsenhandel betreffenden Entscheidungen zu Kaufverträgen über Aktien bzw. Anleihen, RGZ 96, 184 ff.; RG, JW 1928, 3110 (Chile-Anleihe); RG, SeuffA 86 (1932), 296; RGZ 143, 20; Fleckner, WM 2009, 2064, 2065. 23 Henssler, Risiko als Vertragsgegenstand, 1994, S. 41 ff., 82 ff. m. w. N. 24 Insoweit i. E. unstr., vgl. Hadding in FS Schwark, 2009, S. 697, 701; Fleckner, WM 2009, 2064, 2070 f. (Bundesgewohnheitsrecht) – beide m. w. N.
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ständnis wurden die Rechte der Gläubiger auch im Falle der objektiven Unmöglichkeit beschränkt und die Vorschriften über Leistungsstörungen durch die §§ 13 bis 16a BedFWB a. F. verdrängt25. Da im Falle der objektiven Unmöglichkeit wegen Wegfalls der Gattung auch eine Zwangsregulierung unmöglich war, bliebt der Käufer nach dieser Auffassung grundsätzlich zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet, so dass er i. E. mit Abschluss des Kaufvertrages in Abweichung von der in §§ 275, 326 BGB niedergelegten gesetzgeberischen Vorstellung mit Abschluss des Kaufvertrages das Risiko des Untergangs der Gattung trug. Mit der Anpassung der Bedingungen für Geschäfte an der FWB an die MiFID bzw. das Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz26 zum 1. November 2007 ist die Regelung des § 16a BedFWB a. F. ersatzlos entfallen. Hieran hat sich die Diskussion entzündet, ob die – weiterhin geltenden – Regelungen über die Zwangsregulierung als abschließend (und damit auch die objektive Unmöglichkeit erfassend) anzusehen sind27 oder diese ungeregelt bleibt und damit die gesetzliche Regelung Anwendung findet, wobei jedoch auch nach der letztgenannten Auffassung „ein Rücktritt nur innerhalb der von den börsenrechtlichen Vorschriften über die Zwangsregulierung vorgesehenen Fristen (§ 9 BedFWB n. F.)“ soll vorgenommen werden können28. Von der letztgenannten Auffassung wird zu Recht die Forderung erhoben, dass zur Beseitigung der Rechtsunsicherheit eine Regelung der objektiven Unmöglichkeit in die Bedingungen der FWB aufgenommen werden sollte29. Für den Freiverkehr an der FWB gelten heute über § 3 Abs. 2 bzw. § 4 Abs. 2 der Handelsordnung für den Freiverkehr die §§ 2 bis 28 der Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse für den regulierten Markt entsprechend. Für beide Marktsegmente gilt somit § 28 Satz 1 BedFWB, demzufolge „zivilrechtliche Ansprüche der Geschäftsparteien … auf Aufhebung und Anpassung von Geschäften sowie das Recht zur Anfechtung von Geschäften“ ausgeschlossen sind. Gemäß Satz 2 sind „im Fall der Aufhebung von Geschäften durch die Geschäftsführung [scil. insbesondere nach §§ 25 bis 27 BedFWB n. F.] gegenseitige Ansprüche der Parteien auf Schadensersatz ausgeschlossen“. Dieser Regelung könnte nach ihrem – nicht eindeutigen – Wortlaut auch die „Erklärung eines Rücktritts“ gemäß § 326 Abs. 5 BGB im Falle des Freiwerdens des Schuldners nach § 275 Abs. 1 BGB als einen „Anspruch auf Aufhebung“ erfassen. Näherliegend erscheint es jedoch, dass § 28 BedFWB n. F.
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25 So ausführlich Hadding in FS Schwark, 2009, S. 697, 702 ff. auch unter Verweis auf entsprechende Regelungen in den Bedingungswerken anderer Börsen; dagegen Fleckner, WM 2009, 2064, 2069 ff., der eine Verdrängungswirkung nur für die subjektive Unmöglichkeit und die Leistungsverweigerung anerkennen will. 26 BGBl. I, S. 1330 ff. v 16.7.2007. 27 So Hadding in FS Schwark, 2009, S. 697, 704 ff. 28 So Fleckner, WM 2009, 2064, 2072 f. 29 Die Bedingungen für Geschäfte an der Düsseldorfer Börse sowie der Börse Stuttgart und der Börse Hamburg/Hannover sehen jeweils per April 2010 in § 16 Abs. 5 weiterhin eine § 16a BedFWB a. F. entsprechende Regelung vor und lassen damit weiterhin den Umkehrschluss auf den grds. Ausschluss der gesetzlichen Regelungen der objektiven Unmöglichkeit als naheliegend erscheinen.
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Handel von Aktien insolventer insb. ausländischer Gesellschaften an deutschen Börsen
aufgrund seiner Stellung im Zusammenhang mit § 25 BedFWB (Aufhebung von Geschäften von Amts wegen), § 26 BedFWB (Umsetzung von Geschäftsaufhebungen) und § 27 BedFWB (Löschung von Orders) „nur“ die in diesem Zusammenhang bestehenden „zivilrechtlichen Ansprüche auf Aufhebung“ zu regeln beabsichtigt. Im Ergebnis enthalten daher die Bedingungen der FWB derzeit keine ausdrückliche Regelung des Eintritts der objektiven Unmöglichkeit, so dass dem Petitum von Fleckner nach einer ausdrücklichen Regelung in den Bedingungen der FWB uneingeschränkt zuzustimmen ist. 3. Regelung in der Schweiz Das Schweizerische Bundesgericht30 hatte 2003 in einem sehr instruktiven Fall die Frage zu entscheiden, ob es bei einem – außerbörslichen – Verkauf von Aktien einer Gesellschaft mit der Vereinbarung einer Sukzessivlieferung der Aktien gestreckt über mehrere Jahre den Kaufpreisanspruch entfallen lässt, wenn die Aktiengesellschaft nach Abschluss des Kaufvertrages aber vor vollständiger Lieferung insolvent und das Konkursverfahren mangels hinreichender Aktiva eingestellt und die Gesellschaft gelöscht wird. Der Sachverhalt entsprach damit weitgehend einem Sachverhalt, über den auch schon das RG31 zu entscheiden hatte. Das BG befand in Anwendung von Art. 185 Abs. 1 OR Schweiz, dass mit Abschluss des Kaufvertrages die Gefahr der Sache auf den Erwerber übergeht32. Die Entscheidung verdeutlicht, dass das Schweizer Recht – anders als das BGB33 – den römisch-rechtlichen Grundsatz „periculum est emptoris“ beibehalten hat und bei Gattungskäufen der Käufer die Preisgefahr für jedes Zufallsereignis trägt, das die gesamte Gattung untergehen lässt. Dies wird damit gerechtfertigt, dass das römische Kaufrecht ein – vom Aedil als dem Marktaufseher geschaffenes – Recht des Marktkaufes war und ein Aufschub der Abwicklung von Verträgen über „präsente Waren“ regelmäßig vom Käufer veranlasst und nicht im Interesse des Verkäufers war, weshalb der Käufer das Risiko des Untergangs der Ware tragen sollte34. Das Schweizer Recht gelangt damit institutionalisiert zu demselben Ergebnis, das das RG35 durch Vertragsauslegung erreichte, indem es Umstände für möglich hielt, die es nahe legten, dass der Käufer das Risiko des Konkurses übernommen hat.
__________ 30 ZEuP 2003, 884 ff. (= BGE 128 III 370 ff.); dazu Pfeifer, ZEuP 2003, 887 ff.; Ernst in FS E. Bucher, 2009, S. 89 ff. 31 Urt. v. 6.7.1932 – I 54/32, SeuffA 86 (1932), 296 ff. 32 Und keine diesen Grundsatz einschränkenden gesetzlichen Ausnahmeregelungen vorlagen. 33 In §§ 275 Abs. 1, 326 BGB bzw. §§ 446, 447 BGB. 34 Vgl. BGE 128 III 370, 373 m. w. N.; E. Bucher in FS Huwiler, 2007, S. 137, 140 ff.; Pfeifer, ZEuP 2003, 887 ff. 35 RGZ 143, 20, 22.
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V. „Periculum est emptoris“ bei Rechtsgeschäften an deutschen Börsen? Die häufig an dem Prinzip des „periculum est emptoris“ vorgebrachte Kritik fokussiert darauf, dass der Käufer mit Abschluss des Kaufvertrages mit dem Risiko des zufälligen Unterganges der Sache belastet wird, obgleich er nicht in den Genuss der Nutzung der Sache durch den Abschluss des Kaufvertrages, sondern erst mit Besitzübergang oder Übereignung gelangt36. Der zunächst als Marktrecht entwickelte Grundsatz hatte seinen Ursprung darin, dass es der Käufer war, der die Ware (noch) nicht abnehmen wollte37. Zumindest in derartigen Situationen erscheint der Grundsatz und die mit ihm verbundene Risikoverteilung auch heute noch gerechtfertigt ebenso wie in Situationen, in denen die Nutzung der Sache für den Käufer schon ohne Besitzübergang gegeben ist. Bei außerhalb der Börse geschlossenen Kaufverträgen über Aktien können die Parteien dies ausdrücklich vereinbaren oder sich ein dahingehend übereinstimmender Parteiwille ausdrücklich oder konkludent aus den – meist schriftlichen – Vereinbarungen ergeben38. An der Börse werden Verträge jedoch mündlich oder allenfalls elektronisch und jedenfalls in standardisierter Form geschlossen. Eine Übereinstimmung der Parteien wird aus Gründen der Effizienz nur hinsichtlich der essentialia negotii, also Kaufgegenstand, Menge und Preis herbeigeführt und alle anderen Aspekte den Regelwerken der jeweiligen Börsen überlassen. Hinsichtlich der Fruchtziehung aus den veräußerten Aktien, insb. also der mit diesen verbundenen Nebenrechten wie Dividendenrechten, Bezugsrechten etc. enthalten die Regelwerke sämtlicher deutscher Börsen dahingehende Regelungen, dass die Wertpapiere mit den Rechten und Pflichten zu liefern sind, die bei Geschäftsabschluss bestanden39. Dementsprechend steht dem Käufer von Aktien auch eine nach Kaufvertragsabschluß aber vor Lieferung der Aktien fällig gewordene Dividende zu und wird ihm und nicht dem (noch) Eigentümer gezahlt. Die Regelwerke der deutschen Börsen behandeln den Käufer somit so, als wäre ihm die Aktie bereits bei Abschluss des Kaufvertrages übergeben worden. Diese Regelungen der Börsenbedingungen sind konsequent. Aktien sind vorrangig Rechte an einer Gesellschaft, die lediglich zu ihrer Verkehrsfähigkeit verbrieft und damit einem sachenrechtlichen Regime insb. mit der Verkehrsschutzregelung des § 932 BGB unterworfen sind. Die auch in Deutschland zunehmend eingetretene Entmaterialisierung der Aktien durch Verbriefung sämtlicher Aktien einer Gesellschaft in einer einzigen Globalurkunde, die nur noch durch Buchungen „übereignet“ werden bei gleichzeitigem Ausschluss des
__________ 36 Vgl. dazu Pfeifer, ZEuP 2003, 887, 889 f. m. w. N. 37 Vgl. dazu oben bei IV. 3. 38 Wie etwa in den Fällen RG, SeuffA 86 (1932), 296 ff. und RGZ 143, 20, 22 als stillschweigende Vereinbarung für möglich gehalten. 39 Vgl. etwa § 22 BedFWB, § 29 Bedingungen für Geschäfte an der Düsseldorfer Börse, § 33 Bedingungen für Geschäfte an der Börse Berlin, § 29 Bedingungen für die Geschäfte an der Hanseatischen Wertpapierbörse Hamburg, § 29 Bedingungen für die Geschäfte an der Baden-Württembergischen Wertpapierbörse.
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Anspruchs der Aktionäre auf Ausdruck und Übergabe der Aktien durch § 10 Abs. 5 AktG i. V. m. der Satzung der Gesellschaft verdeutlicht dies augenfällig. Dies gab bereits Anlass zu der Bezeichnung des „Wertpapierrechts als Schuldrecht“40. Im Schuldrecht kann die veräußerte Forderung durch Abtretung nach §§ 398 ff. BGB unmittelbar nach Abschluss des Kaufvertrages übergehen und das Preisrisiko trägt der Erwerber. Dies gilt umso mehr für US-amerikanische Wertpapiere, die nicht einmal mehr in einer festliegenden Globalurkunde verbrieft sondern nur noch Rechte sind. Ebenso wie es von den Bedingungen der Regelwerke der Börsen konsequent ist, hinsichtlich des Verkaufs der Nebenrechte auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses und nicht auf den Zeitpunkt der Übereignung des Wertpapiers abzustellen, erscheint es konsequent, auch das Risiko mit dem Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses übergehen zu lassen. Zudem behandeln die Kommissionäre die Anschaffung von ausländischen Wertpapieren für ihre Kommittenten nach § 12 Abs. 3 der bankeneinheitlich verwendeten „Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte“ i. d. R. als „Gutschrift in Wertpapierrechnung“, d. h. die Wertpapiere werden den Kommittenten nicht übereignet, sondern diesen wird „nur“ ein schuldrechtlicher Anspruch gegen den Kommissionär als Treuhänder für den Kommittenten eingeräumt und der Kommissionär unterhält für den Kommittenten im Ausland einen – gegen die Insolvenz des Kommissionärs geschützten – Wertpapierbestand als Deckungsbestand. Es wird also auf die sachenrechtliche Übereignung des Wert“papiers“ – soweit im Ausland wie z. B. in den USA überhaupt noch vorhanden – verzichtet und das Wertpapier wie ein Recht behandelt. Auch dies spricht für einen Gefahrübergang bei Börsengeschäften bereits zum Zeitpunkt des Kauf- und nicht des Übertragungsvertrages. Schließlich darf auch die Bewusstseinslage der Kommittenten als der Auftraggeber der das Börsengeschäft abschließenden, als Kommissionäre tätig werdenden Banken nicht unberücksichtigt bleiben. Den Kommittenten ist bekannt, dass sie Penny-Shares von einer in der Insolvenz oder Reorganisation befindlichen Gesellschaften als hochspekulative Hoffnungswerte handeln. Ihnen ist bewusst, dass sie das Risiko eingehen, dass die Aktien nahezu jederzeit wertlos verfallen können. Bereits mit Abschluss des Kaufvertrages (bzw. der Beauftragung des Kommissionärs) wollen sie dieses Risiko eingehen und es willentlich übernehmen. Realisiert sich das Risiko und die erworbenen Aktien verfallen wertlos, haben sie sich verspekuliert. In dieser Situation wäre es eine nicht gerechtfertigte Risikoumverteilung entgegen dem ursprünglichen Parteiwillen, wenn sie das Risiko deshalb nicht tragen müssten, weil die Abwicklung des Verbuchungsvorganges noch nicht abgeschlossen und das Risiko deshalb nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 275, 326 BGB noch nicht übergegangen ist. Das Risiko realisierte sich dann nicht bei demjenigen, der als letzter in der Kette der Kaufverträge das Risiko übernehmen wollte, sondern rein zufällig bei
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40 So das gleichnamige Werk von Einsele, 1994; zu der dadurch ausgelösten Diskussion etwa Horn, WM 2002, Sonderbeilage 2; Habersack/Mayer, WM 2000, 1678 ff.; Hirte/ Knopf, WM 2008, 7 ff. und 49 ff.; Böning, ZInsO 2008, 875 ff.; Mentz/Fröhling, NZG 2002, 201 ff.; Eder, NZG 2004, 107 ff.; Schäfer in Schwintowski/Schäfer, Bankrecht, 2004, § 17 Rz. 11 ff.
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einem früheren Käufer, der das Risiko bereits an einen anderen übertragen und dem es ein anderer abnehmen wollte. Da es sich nach den Vorstellungen der Kommittenten bei derartigen Wertpapieren primär um die Übernahme von Risiko und nicht um ein Instrument von Anlagegeldern handelt, das nur aus Gründen der Standardisierung in einem Wertpapierkauf gekleidet ist, erscheint es verfehlt, die allgemeinen Regelungen für die Bestimmungen des Zeitpunktes des Risikoüberganges anzuwenden. Richtiger ist, das Risiko des Unterganges des Wertpapiers bereits mit Abschluss des Kaufvertrages auf den Käufer übergehen zu lassen. Eine Vergleichsüberlegung bestätigt die Richtigkeit des vorstehend gefundenen Ergebnisses. Würden in einem Fall ausnahmsweise Aktien gehandelt, die in Stücken ausgedruckt sind, könnte der Verkäufer noch die Papiere übereignen, auch wenn diese keine Aktien im Rechtssinne sondern nur noch Sammelobjekte sind41. Da diese Wertpapiere den Kaufgegenstand bilden, bleibt der Käufer bei Übertragung zur Zahlung verpflichtet, wenn ihm das mit den Papieren verbundene Risiko bekannt war und er es übernehmen wollte42. Kann eine Übereignung nur deshalb nicht erfolgen, weil es keine ausgedruckten (wenn auch wertlosen) Stücke gibt, sondern die Wert“papiere“ nur elektronisch bestanden, kann das Ergebnis kein anderes sein. Es wäre wirtschaftlich sinnlos, die – wertlosen – Bucheffekten solange elektronisch existieren zu lassen, bis der letzte Käufer in der Kette sie in seinem Depot eingebucht bekommt, nur damit sie dann endgültig gelöscht und bei dem letzten Käufer aus dem Depot ausgebucht werden können. Ein Käufer, der dieses verlangt um seiner Leistungspflicht zu entgehen handelt treuwidrig und verstößt gegen § 242 BGB43. Soweit die Bedingungen der deutschen Börsen Anhaltspunkte dafür geben, dass sie die objektive Unmöglichkeit der Lieferung einer Gattung regeln wollen44, gilt nach dem derzeitigen Stand der Grundsatz „periculum est emptoris“ als von der allgemeinen Regelung des BGB abweichende segmentspezifische Gefahrtragungsregelung für Geschäfte an Börsen. Soweit die Bedingungen keine Regelung treffen und lückenhaft sind, wie derzeit insbesondere bei der Börse Frankfurt, ist diese Lücke nach den mutmaßlichen Parteiwillen und in Anlehnung an die Regelungen der übrigen deutschen Börsen zu füllen durch die Geltung des Grundsatzes „periculum est emptoris“.
__________ 41 Vgl. dazu oben Fn. 21. 42 So ausdrücklich das RG, SeuffA 86 (1932), 296 f.; RGZ 143, 20 ff. 43 Vgl. RGZ 96, 184 ff. mit Bezug auf bestimmte Stückenummern und RG, SeuffA 86 (1932), 296, 298 mit Bezug auf das willentlich übernommene Risiko des Insolvenzeintritts. 44 So die Handelsbedingungen der Börsen Berlin, Düsseldorf, Hamburg und Stuttgart – vgl. dazu oben Fn. 39.
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Sicherstellung und Bestätigung der Finanzierung von Übernahmeangeboten Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Aussteller der Bestätigung 1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen 2. Unabhängigkeit III. Umfang der Bestätigung 1. Einzubeziehende Aktien 2. Neugeschaffene Aktien 3. Refinanzierung der Zielgesellschaft 4. Nachträgliche Erhöhung der Gegenleistung IV. Inhalt der Bestätigung und Haftung 1. System
2. Charakter der Bestätigung 3. Haftung und Due Diligence 4. Vertragliche Absicherung V. Einzelmaßnahmen 1. Darlehensfinanzierung 2. Anleihen 3. Gesellschafterfinanzierung 4. Kapitalerhöhung 5. Künftige Eigenmittel 6. Vorhandene Eigenmittel VI. Zusammenfassung
Da ich mich in meiner Dissertation über das Konzernrecht der Personengesellschaft eingehend mit den Arbeiten von Uwe H. Schneider beschäftigt habe1, hätte ein Beitrag zu diesem Thema für eine Festschrift zu seinen Ehren nahe gelegen. Da wir uns aber beide mittlerweile anderen Themen zugewandt haben, hoffe ich, dass auch ein übernahmerechtliches Thema das Interesse des Jubilars findet, der Mitherausgeber eines Kommentars zum WpÜG ist.
I. Einleitung Das deutsche Übernahmerecht sieht im Einklang mit Artikel 3 Abs. 1e) der Übernahmerichtlinie (Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote) ein „certain funds“-Konzept vor. Der Bieter hat vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass ihm die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs auf die Gegenleistung zur Verfügung stehen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 WpÜG). Zur weiteren Sicherung der Aktionäre verlangt das Gesetz für Barangebote eine europarechtlich nicht vorgeschriebene Finanzierungsbestätigung eines vom Bieter unabhängigen Wertpapierdienstleistungsunter-
__________ 1 Schiessl, Die beherrschte Personengesellschaft, 1985, inspiriert von Uwe H. Schneider, ZGR 1975, 253; BB 1975, 1353; BB 1980, 1057; ZGR 1980, 511.
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nehmens mit dem Inhalt, dass der Bieter die notwendigen Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Barmittel zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs auf die Geldleistung zur Verfügung stehen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 WpÜG). Die Finanzierungsbestätigung ist eine „ergänzende Angabe“ i. S. d. § 11 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Satz 3 Nr. 4 WpÜG und wird deshalb zusammen mit der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 2 und 3 WpÜG veröffentlicht. Sie ist der BaFin zusammen mit der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 1 WpÜG zu übermitteln und von dieser zu prüfen. Die Vorschriften haben sich offenbar so bewährt, dass sie außer in der Anfangszeit des WpÜG kaum diskutiert wurden, wenngleich das Fehlen einer ordnungsgemäßen Bestätigung in Einzelfällen zur Untersagung des Angebots geführt hat2. Durch die Finanzkrise ist die Finanzierungsbestätigung jedoch bedeutender geworden. Prominentester Fall war das Übernahmeangebot für die Continental AG. Nachdem das Angebot von einer ausreichenden Zahl von Aktionären angenommen worden war und nur noch unter Kartellvorbehalt stand, wurden nach der Lehman-Insolvenz die im Rahmen des Übernahmeangebots bereits verkauften Aktien an der Börse zwar über dem Kurs der nicht verkauften, separat notierten Continental-Aktien gehandelt, aber deutlich unter dem Angebotspreis. Dies war erstaunlich, weil das Kartellverfahren allgemein für unproblematisch gehalten wurde, so dass der Markt davon ausgehen konnte, dass die Aktien beim Closing in naher Zukunft gegen Zahlung des Angebotspreises übertragen werden konnten, und die Aktien deshalb eigentlich ungeachtet der Turbulenzen an der Börse und des Absturzes des Continental-Kurses zum Angebotspreis mit einem geringen Abschlag hätten gehandelt werden müssen. Der Grund war offenbar, dass der Markt Zweifel an der Finanzierung des Angebots hatte, zumal auch die Bank, die die Finanzierungsbestätigung abgegeben hatte, von der Krise betroffen war. Ferner hat der „credit crunch“ dazu geführt, dass Finanzierungen und Finanzierungsbestätigungen für Akquisitionen in der Praxis allgemein schwieriger zu bekommen sind als in den M&A-Boomjahren zuvor. Es besteht die Befürchtung, dass überzogene Anforderungen an die Voraussetzungen der Bestätigung sich negativ auf den Markt für öffentliche Übernahmen und damit letztlich die Aktionäre, die sie schützen soll, auswirken können. Dies soll Anlass sein, einen Blick auf Recht und Praxis der Finanzierungsbestätigung zu werfen.
II. Aussteller der Bestätigung 1. Wertpapierdienstleistungsunternehmen Taugliche Wertpapierdienstleistungsunternehmen sind entsprechend der Legaldefinition des § 2 Abs. 4 WpHG Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute und nach § 53 Abs. 1 Satz 1 KWG tätige Unternehmen, die Wertpapierdienst-
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2 Strunk/Salomon/Holst in Veil, Übernahmerecht in Praxis und Wissenschaft, 2009, S. 1, 4.
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leistungen erbringen. Neben Kreditinstituten mit Sitz in Deutschland oder einem anderen Staat des europäischen Wirtschaftsraums sind damit auch Kreditinstitute mit dem Sitz in Drittländern wie der Schweiz oder den USA zugelassen, soweit sie der deutschen Bankenaufsicht unterliegende Zweigstellen oder Niederlassungen in Deutschland betreiben und die Bestätigung über diese abgegeben wird3. 2. Unabhängigkeit Mit dem Merkmal der Unabhängigkeit soll nach der Regierungsbegründung nur verhindert werden, dass aufgrund einer gesellschaftsrechtlichen Verbindung zwischen Bieter und Wertpapierdienstleistungsunternehmen oder einer faktischen Einflussnahme auf den Bieter Gefälligkeitsbescheinigungen ausgestellt werden. Die Regel soll jedoch nicht ausschließen, dass es sich bei dem die Bescheinigung erteilenden Unternehmen um ein solches handelt, das den Bieter bei der Vorbereitung der Durchführung des Angebots berät4. Desgleichen kann die Bestätigung auch von einem Kreditinstitut abgegeben werden, das Mitglied des die Akquisition finanzierenden Bankenkonsortiums ist. In der Praxis wird es sich auch anbieten, entweder die das Angebot als Finanzberater betreuende Investmentbank oder die Konsortialführerin mit der Abgabe der Bestätigung zu betrauen, da diese Institute mit der Angelegenheit am besten vertraut sind und die Voraussetzungen am besten prüfen können. Sie werden die Dienstleistung regelmäßig auch zu einem geringeren Preis erbringen können als eine im Übrigen in den Prozess nicht involvierte Bank. Während eine Personenidentität auf Vorstandsebene zwischen Bieter und Wertpapierdienstleistungsunternehmen regelmäßig schädlich sein wird, stehen Aufsichtsratsmandate der Unabhängigkeit grundsätzlich nicht entgegen. Dies gilt sowohl, wenn ein Vertreter des Bieters im Aufsichtsrat des Wertpapierdienstleistungsunternehmens vertreten ist als auch im umgekehrten Fall, wenn ein Bankenvertreter im Aufsichtsrat des Bieters sitzt5. Solche Mandate begründen keine Befürchtung, dass eine Gefälligkeitsbescheinigung zum Nachteil der auf sie vertrauenden Aktionäre abgegeben wird. Sitzt ein Vertreter der Bank im Aufsichtsrat der Zielgesellschaft, mag dies zwar eine Interessenkollision auslösen. Diese ist aber auf der Ebene des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft zu lösen und disqualifiziert nicht die Bank, eine Finanzierungsbestätigung abzugeben.6
__________ 3 Vogel in Frankfurter Komm. WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 13 Rz. 95; Marsch-Barner in Baums/Thoma, WpÜG, § 13 Rz. 45; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 13 Rz. 90. 4 Regierungsentwurf BT-Drucks. 14/7034, S. 44. 5 Krause (Fn. 3), § 13 Rz. 96; Marsch-Barner (Fn. 3), § 13 Rz. 48; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1160 a. A. Möllers in Kölner Komm.WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 13 Rz. 78; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, 2003, § 13 Rz. 6; Berrar, ZBB 2002, 174, 176 f. 6 Krause (Fn. 3), § 13 Rz. 97; Marsch-Barner (Fn. 3), § 13 Rz. 48; Häuser in FS Hadding, 2004, S. 833, 845.
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III. Umfang der Bestätigung 1. Einzubeziehende Aktien § 13 Abs. 1 Satz 2 WpÜG spricht von den „zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mitteln“. Deshalb ist für die Berechnung des zu bestätigenden Betrags grundsätzlich eine vollständige Angebotsannahme einschließlich der von der Zielgesellschaft gehaltenen eigenen Aktien zu unterstellen. Auch wenn fest damit gerechnet werden kann, dass bestimmte Aktionäre oder Aktionärsgruppen das Angebot nicht annehmen, zum Beispiel weil bewusst nur ein unattraktiver Mindestangebotspreis angeboten wird, ist auf das gesamte ausstehende Aktienkapital abzustellen. Nach der Praxis der BaFin können nur die dem Bieter oder mit ihm gemeinsam handelnden Personen gehörenden Aktien ausgenommen werden. So wurden beispielsweise 2008 bei dem Pflichtangebot der Porsche Automobil Holding SE an die Aktionäre der AUDI AG, deren Anteile zu 99,14 % von der Volkswagen AG, einem Tochterunternehmen von Porsche, gehalten wurden, die von Volkswagen gehaltenen Aktien ausgeblendet, nachdem diese sich verpflichtet hatte, das Angebot nicht anzunehmen. Demgegenüber sollen die Aktien anderer Aktionäre auch dann berücksichtigt werden, wenn diese verbindlich erklärt haben, das Angebot nicht annehmen zu wollen7. Dadurch wird der zu bestätigende Finanzierungsbedarf unnötig erhöht, was die Angebote erschwert und verteuert. Selbstverständlich reichen bloße Absichtserklärungen der Aktionäre nicht aus. Wenn aber vertraglich gesichert ist, dass der betreffende Aktionär sich nicht umentscheiden und auch die Aktien nicht an Dritte weiter veräußern darf, die ihrerseits das Angebot annehmen könnten, können die fraglichen Aktien ohne eine Einbuße an Aktionärssicherheit aus dem Anwendungsbereich des § 13 Abs. 1 WpÜG ausgenommen werden. Hierfür sollten schuldrechtliche Vereinbarungen ausreichen. Eine Finanzierungsbestätigung nur für den höchst unwahrscheinlichen Fall, dass die Aktionäre ihren Vertragspflichten zuwider handeln, ist nicht erforderlich. Solche Vereinbarungen verstoßen auch nicht gegen die übernahmerechtlichen Schutzvorschriften der §§ 19, 32 WpÜG8. Diese Vorschriften wollen einen unangemessenen Druck auf Aktionäre und eine Benachteiligung einzelner Aktionäre durch Teilangebote verhindern, sie stehen aber freiwillig geschlossenen Verträgen nicht entgegen. Auch allgemeine Grundsätze wie § 3 Abs. 1 oder § 3 Abs. 2 WpÜG führen zu keinem anderen Ergebnis. Die Gleichbehandlungspflicht schließt nicht aus, mit einzelnen Aktionären, die nicht verkaufsbereit sind, entsprechende Vereinbarungen zu schließen, um das zu bestätigende Finanzierungsvolumen und die Kosten des Angebots zu verringern. Solche Vereinbarungen werden in der Praxis auch nur Paketaktionäre und keine Privatanleger mit einem Informationsdefizit schlie-
__________ 7 Wie die BaFin Wackerbarth in Münchener Komm. AktG, 2. Aufl. 2004, § 13 WpÜG Rz. 7; Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 13 Rz. 10; Krause (Fn. 3), § 13 Rz. 17; a. A. Marsch-Barner (Fn. 3), § 13 Rz. 16; Noack/Holzborn in Schwark/ Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl. 2010, § 13 WpÜG Rz. 2. 8 A. A. Oechsler (Fn. 5), § 13 Rz. 2, § 19 Rz. 8; Wackerbarth (Fn. 7), § 13 Rz. 7, § 19 Rz. 26.
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ßen, sodass auch ein Schutz nach dem Gedanken des § 3 Abs. 2 WpÜG entbehrlich ist. 2. Neugeschaffene Aktien § 13 Abs. 1 WpÜG stellt auf die vollständige Erfüllung des Angebots zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs auf die Gegenleistung, d. h. auf das Closing der Transaktion ab. Dennoch müssen während des Laufs des Angebots neu ausgegebene Aktien nur dann berücksichtigt werden, wenn der Bieter mit der Erhöhung der Anzahl der Zielaktien sicher rechnen muss. Deshalb wird man bei Optionen verlangen müssen, dass sie bis zum Closing ausübbar und „in the money“ sind9. Bei Kapitalerhöhungen, z. B. aus genehmigtem Kapital, wird eine allgemeine Ankündigung der Maßnahme nicht ausreichen. Zu verlangen ist vielmehr, dass der Kapitalerhöhungsprozess bereits begonnen hat, d. h. zumindest, dass Vorstand und Aufsichtsrat die entsprechenden Beschlüsse gefasst haben. Soweit danach Umfang und Zeitpunkt der Kapitalerhöhung noch unsicher sind, werden die Pflichten des Bieters erst dann ausgelöst, wenn die Bezugsfrist oder das Bookbuilding begonnen haben und weitgehende Platzierungssicherheit besteht10. Diese Themen sind in der Praxis mit der BaFin im Einzelfall abzustimmen. 3. Refinanzierung der Zielgesellschaft In der Literatur ist zum Teil überlegt worden, die Finanzierungsbestätigung auch auf die Fremdfinanzierung der Zielgesellschaft zu erstrecken, da diese zur Gesamtfinanzierung der Transaktion gehöre11. Nach dem eindeutigen Wortlaut bezieht sich § 13 Abs. 1 WpÜG aber nur auf die Mittel, die den Aktionären als Gegenleistung für ihre Aktien zufließen sollen. Demgemäß folgt die Praxis der BaFin dieser Auffassung zu Recht nicht. Allerdings muss der Bieter selbstverständlich wirtschaftlich die Verschuldung der Zielgesellschaft in seine Kalkulation einbeziehen und gegebenenfalls in der Angebotsunterlage dazu Stellung nehmen (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 WpÜG), da die Verschuldung der Zielgesellschaft den Finanzierungsspielraum der neuen Gruppe einschränkt. Ferner müssen Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaft in ihrer Stellungnahme nach § 27 WpÜG die Aktionäre auf solche Probleme hinweisen. Der Umgang mit den Verbindlichkeiten der Zielgesellschaft hängt jedoch von den Umständen des Einzelfalls ab, so dass eine pauschale Erstreckung der Finanzierungsbestätigung nicht gerechtfertigt wäre, zumal dem Bieter jedenfalls bei einer mit der Zielgesellschaft nicht abgestimmten Übernahme regelmäßig wichtige Informationen hierzu fehlen werden. Bei einer fremdfinanzierten Übernahme
__________ 9 Marsch-Barner (Fn. 3), § 13 Rz. 23. 10 Darüber hinausgehend Krause (Fn. 3), § 13 Rz. 27; Marsch-Barner (Fn. 3), § 13 Rz. 23; Vogel (Fn. 3), § 13 Rz. 72. 11 Noack/Holzborn (Fn. 7), § 13 WpÜG Rz. 2; Möllers (Fn. 5), § 13 Rz. 54; Georgieff/ Hauptmann, AG 2005, 277, 278 f.; a. A. Marsch-Barner (Fn. 3), § 13 Rz. 24; Süßmann (Fn. 7), § 13 Rz. 10; Krause (Fn. 3), § 13 Rz. 20.
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werden allerdings in der Praxis die die Finanzierung bereitstellenden Banken sich intensiv mit dem Thema beschäftigen, um Probleme nach dem Closing zu verhindern. Dabei spielen das zu erwartende Rating des Bieters und der Zielgesellschaft nach der Übernahme, das Vorhandensein einer Change of ControlKlausel in den Finanzierungsverträgen sowie die Wahrscheinlichkeit der Ausübung dieses Kündigungsrechts, die etwaige Verletzung von Covenants, die Restlaufzeit sowie das Marktumfeld für etwa notwendige Refinanzierungen eine Rolle. Soweit die Übernahme über eine prospektpflichtige Kapitalerhöhung oder die Ausgabe eines Bonds finanziert werden soll, sind diese Fragen auch in dem hierfür zu erstellenden Prospekt zu behandeln. 4. Nachträgliche Erhöhung der Gegenleistung Wird die Gegenleistung im Wege einer Änderung des Angebots (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG) erhöht, setzt dies eine erhöhte Finanzierungsbestätigung voraus (§ 21 Abs. 3 i. V. m. § 13 Abs. 1 Satz 2 WpÜG). Allerdings ist es gängige Praxis, dass die Erhöhungen des Angebotspreises nicht über eine förmliche Änderung des Angebots vorgenommen werden, sondern mit Hilfe der die Gleichbehandlung aller Aktionäre bezweckenden Vorschrift des § 31 Abs. 4 WpÜG, wonach eine außerhalb des Angebots gewährte oder vereinbarte höhere Gegenleistung für einzelne Aktionäre auch allen anderen Angebotsempfängern der jeweiligen Aktiengattung zu zahlen ist. Der Erwerb einer einzigen Aktie zu einem höheren Preis führt automatisch zu einer Erhöhung des Angebotspreises. Nach richtiger Verwaltungsauffassung der BaFin sind mangels Verweises auf § 21 WpÜG die dort geregelten Schutzmechanismen (Finanzierungsbestätigung, Rücktrittsrechte, Verlängerung der Annahmefrist mit Änderungssperre) sämtlich nicht anwendbar12. Eine analoge Anwendung des § 13 Abs. 1 WpÜG ist auch nicht geboten. Angesichts der klaren Systematik des Gesetzes ist schon zweifelhaft, ob es sich um eine planwidrige Regelungslücke handelt. Deshalb würde eine Änderung meines Erachtens das Eingreifen des Gesetzgebers erfordern. Dies ist rechtspolitisch auch nicht unbedingt erforderlich, wenngleich ein gewisser Wertungswiderspruch nicht zu leugnen ist. Angebotserhöhungen erfolgen in der Praxis, um den Widerstand der Verwaltung der Zielgesellschaft zu überwinden, die das Angebot nicht für angemessen erachtet und deshalb die Ablehnung empfehlen möchte, um in einem Bieterwettbewerb den konkurrierenden Bieter zu übertreffen oder um wegen der Höhe des Angebotspreises zögernde Aktionäre von dem Angebot zu überzeugen. In all diesen Fällen ist Schnelligkeit geboten und auch im Interesse der Aktionäre, denen eine Angebotserhöhung zugute kommt. Deshalb sollten die formalen Anforderungen nicht überspannt werden, weil die Aktionäre für den Hauptteil der Gegenleistung bereits durch die ursprüngliche Finanzierungsbestätigung gesichert sind.
__________ 12 Dazu Strunk/Salomon/Holst (Fn. 2), S. 19 f. Wie die BaFin Marsch-Barner (Fn. 3), § 13 Rz. 22; Süßmann (Fn. 7), § 13 Rz. 14; Krause (Fn. 3), § 13 Rz. 25; a. A. Oechsler, NZG 2001, 817, 826; Berrar, ZBB 2002, 174, 179; Häuser (Fn. 6), S. 853.
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IV. Inhalt der Bestätigung und Haftung 1. System § 13 Abs. 1 Satz 1 WpÜG verpflichtet den Bieter, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass ihm die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs die Gegenleistung, d. h. zum Closing zur Verfügung stehen. Der Gesetzgeber hätte die Prüfung dieser Maßnahme der BaFin als Aufsichtsbehörde überlassen können. Stattdessen hat er den Weg gewählt, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen prüft und bestätigt, dass die Maßnahmen ordnungsgemäß vorgenommen worden sind. Der Gesetzgeber baut also statt auf die Prüfung durch die Aufsichtsbehörde auf die Prüfung durch das unabhängige Wertpapierdienstleistungsunternehmen. Damit wird auch die Verantwortung von der Aufsichtsbehörde auf das Wertpapierdienstleistungsunternehmen verlagert, das gemäß § 13 Abs. 2 WpÜG zum Schadensersatz verpflichtet ist. Dieses Haftungsrisiko kann dazu führen, dass die Aussteller der Bescheinigung sehr hohe und im Einzelfall überzogene Anforderungen an den Nachweis der Finanzierung stellen. Dies liegt auf den ersten Blick im Interesse der Aktionäre, kann aber Übernahmen erschweren oder verteuern, was sich im Ergebnis zu Lasten der Aktionäre auswirken würde. Insbesondere besteht die Gefahr, dass die Wertpapierdienstleistungsunternehmen wegen des Haftungsrisikos höhere Anforderungen an die Bieter stellen als von § 13 Abs. 1 WpÜG vorgeschrieben. Deshalb soll ein Blick auf die Haftungsvoraussetzungen geworfen werden, bevor die einzelnen von § 13 Abs. 1 WpÜG geforderten Maßnahmen untersucht werden. 2. Charakter der Bestätigung Die Bestätigung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens ist keine Garantie und begründet auch keine garantieähnliche Haftung. Während der Referentenentwurf noch eine Bestätigung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens vorsah, dass dem Bieter die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen, für die es erfolgsbezogen und verschuldensunabhängig haften sollte13, schließt die Gesetz gewordene Fassung des § 13 Abs. 1 WpÜG eine Erfolgshaftung aus, da vorausgesetzt ist, dass der Bieter die notwendigen Maßnahmen nicht getroffen hat und aus diesem Grunde die notwendigen Mittel nicht zur Verfügung stehen. Damit handelt es sich um eine kapitalmarktrechtliche Haftung für die abgegebene Wissenserklärung, die der Haftung der Emissionsbanken für den Inhalt eines Börsenprospekts ähnelt. 3. Haftung und Due Diligence Aus der erwähnten Änderung des § 13 Abs. 1 WpÜG im Gesetzgebungsverfahren und der Regierungsbegründung ergibt sich, dass der Bieter zum Zeitpunkt
__________ 13 Kritisch dazu DAV, Stellungnahme zum RefE WÜG, NZG 2001, 420, 424.
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des Angebots noch nicht über die Mittel verfügen muss, sondern dass es ausreicht, dass er zu diesem Zeitpunkt alle Schritte unternommen hat, um die Ansprüche der Aktionäre bei Fälligkeit erfüllen zu können14. Hat der Bieter die nach § 13 Abs. 1 Satz 1 WpÜG notwendigen Maßnahmen getroffen und stehen die Mittel dennoch beim Closing nicht zur Verfügung, haftet das Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht. Zu denken ist beispielsweise an den Fall der Insolvenz der die Transaktion finanzierenden Bank zwischen der Veröffentlichung der Angebotsunterlage und dem Closing. Auch wenn der Bieter die notwendigen Maßnahmen nicht getroffen hat, kann sich das Wertpapierdienstleistungsunternehmen exkulpieren, wenn es nachweist, dass es die Unrichtigkeit seiner Bestätigung nicht gekannt hat und diese Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht (§ 12 Abs. 2 i. V. m. § 13 Abs. 3 WpÜG). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße außer Acht gelassen wurde15. Deshalb muss das Wertpapierdienstleistungsunternehmen – wiederum vergleichbar der Vorbereitung eines Börsenprospekts – eine Due Diligence-Prüfung der Maßnahmen des Bieters durchführen. Dabei wird sich das Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht auf eine Erklärung des Bieters verlassen können, alle Maßnahmen unternommen zu haben, wenngleich solche Bestätigungsschreiben in der Praxis nicht unüblich sind. Zusätzlich müssen insbesondere die Finanzierungszusagen überprüft werden. Dazu gehört die Prüfung der Wirksamkeit der Verträge sowie etwaiger Auszahlungshindernisse wie beispielsweise Bedingungen, die über die Bedingungen des Angebots hinausgehen. Nicht erforderlich sind demgegenüber Maßnahmen, die über die Überprüfung der Sicherstellung der Finanzierung hinausgehen. Beispielsweise ist eine Verpfändung von Vermögensgegenständen des Bieters an das Wertpapierdienstleistungsunternehmen, die in der Literatur zum Teil empfohlen wird16, weder notwendig noch ratsam. Ferner nicht erforderlich ist eine Bonitätsprüfung der Eigenund Fremdkapitalgeber, die sich zur Bereitstellung der für die Übernahme benötigten Mittel gegenüber dem Bieter verpflichtet haben17. 4. Vertragliche Absicherung Demgegenüber kann es je nach den Umständen des Einzelfalls empfehlenswert sein, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen bestimmte Pflichten des Bieters und gegebenenfalls dritter Parteien vertraglich absichert. Dazu gehören der Ausschluss der Verwendung von Eigenmitteln für andere Zwecke, die Ausübung von Gestaltungsrechten, das Verbot der Aufhebung und Kündigung von Verträgen sowie Sicherungsmaßnahmen hinsichtlich zukünftiger Geldzuflüsse (z. B. aus einem Unternehmensverkauf). Es ist auch denkbar, dass in den Vereinbarungen Informationspflichten und Covenants nach dem Muster von Kreditverträgen vereinbart werden, die die Einhaltung der Pflichten des Bieters
__________ 14 15 16 17
Regierungsbegründung BT-Drucks. 14/7034, S. 44. Vogel (Fn. 3), § 13 Rz. 19 m. w. N. Marsch-Barner (Fn. 3), § 13 Rz. 53 (Sicherung etwaiger Regressansprüche). Krause (Fn. 3), § 13 Rz. 119; Marsch-Barner (Fn. 3), § 13 Rz. 53.
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sicherstellen, die für die Bereithaltung der Mittel am Closing erforderlich sind. In der Praxis finden sich recht ausführliche Vereinbarungen, die zum Teil auch das Verhalten des Bieters gegenüber der Zielgesellschaft und ihren Aktionären regeln und zum Beispiel Erhöhungen des Angebotspreises (einschließlich solcher über § 31 Abs. 4 WpÜG) an die Zustimmung des Wertpapierdienstleistungsunternehmens binden.
V. Einzelmaßnahmen 1. Darlehensfinanzierung In den meisten Fällen werden öffentliche Übernahmen ganz oder teilweise durch Kredite finanziert. Im Regelfall wird dafür der Abschluss rechtsverbindlicher Verträge erforderlich sein, d. h. ein Term Sheet, in dem die wesentlichen Vertragsbestimmungen ohne rechtliche Bindung zusammengestellt sind, reicht nicht aus18. Eine Ausnahme wird man nur dann machen können, wenn das Term Sheet ausnahmsweise bereits rechtsverbindlich ist und der Bieter unabhängig von der Unterzeichnung des Kreditvertrags zur Ziehung berechtigt ist. Umgekehrt darf der Kreditvertrag nicht zu einem so frühen Termin ordentlich kündbar sein, dass die Banken sich vor dem Closing ihrer Finanzierungspflicht entziehen können. Unschädlich sind demgegenüber die gesetzlich vorgeschriebenen Rechte zur Kündigung des Kredites aufgrund der Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Kreditnehmers (§ 490 BGB)19. Allerdings wird § 490 BGB zum Teil in den Finanzierungsverträgen für die Zeit bis zum Closing des Angebots abbedungen. Bei vertraglich vereinbarten Bedingungen für die Auszahlung der Darlehensvaluta ist zu unterscheiden: Soweit die Bedingungen des Kreditvertrags den Bedingungen des Angebots entsprechen, kommt beim Ausfall der Bedingung kein Kaufvertrag zwischen Bieter und Aktionär zustande. Bei Pflichtangeboten sind außer den öffentlich-rechtlichen Genehmigungsvorbehalten, d. h. vor allem der Fusionskontrolle, allerdings keine Bedingungen des Angebots zulässig. Bei freiwilligen Angeboten ist zu berücksichtigen, dass die BaFin auf der Grundlage des § 18 Abs. 1 WpÜG, der Potestativbedingungen ausschließt, sogenannte „material adverse change“-Klauseln nur in engen Grenzen zulässt. Für eine auf das Geschäft der Zielgesellschaft bezogene „business MAC“-Klausel verlangt die BaFin in ständiger Verwaltungspraxis seit dem Fall Bosch/Buderus, dass die Klausel an konkret nachprüfbare Ereignisse wie die Zahlungsunfähigkeit und die Überschuldung der Zielgesellschaft oder an mathematisch nachprüfbare Veränderungen bestimmter Kennzahlen (z. B. Netto-Eigenkapital der konsolidierten Bilanz der Zielgesellschaft, EBIT oder EBITDA) anknüpft. Ferner verlangt die BaFin eine so präzise Formulierung, dass eine Einschätzungsprärogative des Bieters ausscheidet. Zu diesem Zweck wird an den Charakter der
__________
18 Marsch-Barner (Fn. 3), § 13 Rz. 33; Krause (Fn. 3), § 13 Rz. 52; Vogel (Fn. 3), § 13 Rz. 85; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1164. 19 Marsch-Barner (Fn. 3), § 13 Rz. 34; Vogel (Fn. 3), § 13 Rz. 85; Möllers (Fn. 5), § 13 Rz. 66; a. A. Georgieff/Hauptmann, AG 2005, 277, 281.
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Insiderinformation und korrespondierende Veröffentlichungspflichten nach den §§ 13 ff. WpHG angeknüpft und die Überprüfung relevanter Veränderungen der Kennziffern durch einen unabhängigen Dritten wie einem Wirtschaftsprüfer verlangt20. Hinsichtlich eines sogenannten „market MAC“ lässt die BaFin allgemeine formulierte Klauseln nicht zu. Allerdings kann auf die Entwicklung geeigneter Indices wie des DAX oder den Eintritt eines bankenrechtlichen Moratoriums abgestellt werden21. Ein „business MAC“, der sich auf das Geschäft des Bieters bezieht, ist nicht zulässig. Neben den inhaltlichen Grenzen ist zu beachten, dass die BaFin für den Eintritt der Bedingungen nach der Praxis der BaFin wegen der Systematik des § 16 WpÜG zum Schutz der Aktionäre auf das Ende der Annahmefrist nach § 16 Abs. 1 WpÜG abstellt mit der Folge, dass nach diesem Zeitpunkt, aber vor dem Closing eingetretene Veränderungen das Angebot und die zustande gekommenen Kaufverträge unberührt lassen22. Die Kreditverträge sehen jedoch häufig darüber hinausgehende Covenants und Bedingungen vor, auf deren Grundlage die Banken unter Umständen die Auszahlung verweigern könnten. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Übernahme aus bestehenden Kreditlinien finanziert, d. h. der Vertrag schon zuvor unabhängig von dem Akquisitionsvorhaben abgeschlossen wurde. Solche Klauseln können aber durchaus mit § 13 Abs. 1 Satz 1 WpÜG in Einklang stehen, so dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen auch die Bestätigung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 WpÜG abgeben kann. Allerdings wird das Wertpapierdienstleistungsunternehmen in einem solchen Fall verpflichtet sein, im Rahmen seiner Due Diligence zu prüfen, ob Umstände bestehen, die eine Zahlungsverweigerung auf der Grundlage dieser Vertragsklauseln befürchten lassen. Dabei darf das Wertpapierdienstleistungsunternehmen jedoch davon ausgehen, dass der Bieter sich vertragsgemäß verhält und beispielsweise Pflichten aus dem Kreditvertrag zur Information der Banken, zur Übermittlung von Unterlagen, zur Einholung von erforderlichen Zustimmungen und weitere Covenants erfüllt. Bei einer „default“-Klausel muss auch die faktische Möglichkeit einer Verletzung geprüft werden. Hier sind an die Prüfung hohe Anforderungen zu stellen, um den Schutz der Aktionäre, die auf die Sicherstellung der Finanzierung und die Finanzierungsbestätigung vertrauen, zu gewährleisten. Bei Bedingungen, die über die im Angebot selbst vorgesehenen Bedingungen hinausgehen, ist große Vorsicht geboten. Dies gilt insbesondere bei der auf das Geschäft der Zielgesellschaft bezogenen „business MAC“. Soweit diese nach der Verwaltungsauffassung der BaFin nicht genehmigungsfähig sind, wird sich das Dienstleistungsunternehmen wohl kaum auf seine Exkulpationsmöglichkeit nach § 12 Abs. 2 i. V. m. § 13 Abs. 3 WpÜG berufen können. In der Praxis werden solche in den Finanzierungsverträgen enthaltenen MAC-Klauseln deshalb auch häufig für die Zeit bis zum Closing des Angebots abbedungen.
__________ 20 Zur BaFin-Praxis Strunk/Linke in Veil/Drinkuth, Reformbedarf im Übernahmerecht, 2005, S. 3, 27 f. Überblick auch bei Hopt in FS K. Schmidt, 2009, S. 681, 690 ff. 21 Strunk/Linke (Fn. 20), S. 28. Weitere Beispiele bei Hopt (Fn. 20), S. 702 f. 22 Strunk/Linke (Fn. 20), S. 29 f.
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2. Anleihen Neben der Kreditfinanzierung durch Bankdarlehen gibt es eine Reihe weiterer Formen der Finanzierung durch Fremd- und Mezzanine-Kapital. Die in der Praxis wichtigste ist die Finanzierung durch Ausgabe einer Anleihe. Soweit die mit der Emission beauftragten Banken die Platzierung im Wege des „firm commitment underwriting“ garantieren oder eine Übernahmegarantie eines Dritten vorliegt, ist die Finanzierung sichergestellt und die Finanzierungsbestätigung kann abgegeben werden. Soweit die Platzierung noch ungewiss ist, wird man gerade im derzeitigen Umfeld nicht davon ausgehen können, dass vor der Platzierung die Finanzierung sichergestellt ist. Dies gilt auch dann, wenn sämtliche Vorbereitungsmaßnahmen abgeschlossen sind und mit einer Platzierung gerechnet werden kann. 3. Gesellschafterfinanzierung Die Mittel können statt von Dritten auch von den Gesellschaftern bereitgestellt werden. Dies ist typischerweise der Fall, wenn ein Akquisitionsvehikel eingesetzt wird, das erst zur Vorbereitung des Closing mit den erforderlichen Mitteln von den Gesellschaftern ausgestattet wird. Solche Akquisitionsvehikel sind sowohl bei strategischen Bietern als auch bei Private EquityFonds aus steuerlichen und finanzierungstechnischen Gründen häufig anzutreffen. In Betracht kommen aber auch andere Bieter, die für die Finanzierung ganz oder teilweise Eigenkapital ihrer Gesellschafter benötigen. Dabei kann es sich sowohl um Gesellschafterdarlehen wie um neues Eigenkapital handeln. Diese Mittel werden üblicherweise erst kurz vor dem Closing der Akquisitionsgesellschaft zur Verfügung gestellt, weil erst dann feststeht, in welchem Umfang das Angebot angenommen worden ist und welcher Betrag genau benötigt wird. Auch hier ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass ein rechtlich bindender „equity commitment letter“ oder Gesellschafterdarlehensvertrag vorliegt. Auch wenn dies in der Praxis zum Teil verlangt wird, ist es nicht erforderlich, dass die Beträge vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage an die Akquisitionsgesellschaft überwiesen werden. Allerdings muss sich das Wertpapierdienstleistungsunternehmen vergewissern, dass die Gesellschafter rechtlich wirksam verpflichtet sind. In einzelnen Fällen sind in der Praxis „legal opinions“ hierzu verlangt worden. 4. Kapitalerhöhung Auch bei Kapitalerhöhungen setzt § 13 Abs. 1 WpÜG voraus, dass die Bereitstellung der Mittel bis zum Closing gesichert erscheint. Schwierigkeiten bereiten hier vor allem Publikumsgesellschaften. Bei ihnen ist jedenfalls erforderlich, dass die Hauptversammlung bzw. beim genehmigten Kapital Vorstand und Aufsichtsrat die erforderlichen Beschlüsse gefasst haben. Ferner ist zu prüfen, ob die Beschlüsse an Mängeln leiden und Klagen erhoben sind, die dem Wirksamwerden der Kapitalerhöhung entgegen stehen. Allerdings stellt sich 1117
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auch hier die Frage, welche Platzierungssicherheit vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage erreicht sein muss. Liegen bereits verbindliche Übernahmeerklärungen vor, ist es nicht erforderlich, dass die Beträge bereits einbezahlt und die Durchführung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister eingetragen wurde. Das Platzierungsrisiko muss aber grundsätzlich ausgeschlossen sein. Soweit das Bezugsrecht ausgeschlossen werden kann, wird die Verpflichtung eines Investors, die Aktie zu übernehmen, wohl auch dann ausreichen, wenn versucht wird, die Aktien anderweit bestmöglich zu platzieren. Bei einer Bezugsrechtsemission wird es ebenfalls ausreichen, wenn die Konsortialbanken einen Festpreis garantieren oder ein Dritter eine „backstop“-Platzierungsgarantie abgibt. Dabei wird man wohl die in Übernahmeverträgen üblichen „force majeure“-Klauseln als unschädlich ansehen können. Allerdings sollte nach Möglichkeit dabei vermieden werden, dass die Emissionsbanken sich über den Inhalt der „Material Adverse Change“-Klausel im Übernahmeangebot hinaus absichern, damit keine Sicherungslücke programmiert wird23. 5. Künftige Eigenmittel Der Bieter kann sich bis zum Closing auch Eigenmittel über den cash-flow beschaffen, insbesondere durch den Verkauf wichtiger Aktiva wie Unternehmensbeteiligungen. Auch hier ist Voraussetzung, dass rechtlich verbindliche Verträge vorliegen. Ein Letter of Intent, Memorandum of Understanding oder nicht rechtlich bindender Vorvertrag reichen nicht aus. Auch bei rechtlich verbindlichen Verträgen ist es erforderlich, dass mit hinreichender Sicherheit von einem Mittelzufluss vor dem Closing des Angebots ausgegangen werden kann. In der Praxis werden die Zeitpläne ganz überwiegend von den erforderlichen behördlichen Genehmigungen bestimmt. Dies sind im Regelfall Fusionskontrollverfahren. Dazu können branchenspezifische Genehmigungserfordernisse wie beispielsweise nach dem KWG, Genehmigungserfordernisse bei dem Erwerb durch Ausländer nach dem AWG und vergleichbare behördliche Verfahren nach ausländischen Rechtsordnungen kommen. Bei der Beurteilung der Sicherheit des Mittelzuflusses aus Verkäufen kommt es also auf die Einschätzung der Dauer der Verfahren an. Dabei sollte im Regelfall für das Übernahmeangebot ein für realistisch gehaltenes kurzes Verfahren und damit ein früherer Closingzeitpunkt und umgekehrt für das Verfahren, von dem der Vollzug des Verkaufs abhängt, innerhalb des realistisch zu erwartenden Rahmens die längstmögliche Dauer unterstellt werden. Dafür sollte insbesondere mit den Kartellbehörden im Vorfeld versucht werden zu klären, ob eine „Phase II“ zu erwarten ist. Das Wertpapierdienstleistungsunternehmen wird sich in einer solchen Konstellation sehr intensiv mit den Details des Zeitplans beschäftigen müssen, um seinen Sorgfaltspflichten zu genügen. Bei liquiden Wertpapieren ist denkbar, dass der Verkauf erst nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage stattfindet. In diesem Fall sollten allerdings die Modalitäten zwischen dem Bieter und dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen vertraglich ver-
__________ 23 Vgl. auch Krause (Fn. 3), § 13 Rz. 47; Marsch-Barner (Fn. 3), § 13 Rz. 30.
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einbart werden. Zu denken ist beispielsweise an die Pflicht des Bieters zum Verkauf bei einem bestimmten Kurs. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, ob und unter welchen Voraussetzungen angesichts der Größe des zu verkaufenden Pakets der Markt aufnahmefähig ist. Im Regelfall wird es sich empfehlen, bereits vorab verbindliche Verträge mit Investoren zu schließen oder Risiken, die sich aus dem Kursverlauf oder einer etwaigen Marktenge ergeben können, über Put-Optionen oder andere Derivate abzusichern. 6. Vorhandene Eigenmittel Große strategische Bieter werden den Angebotspreis jedenfalls bei kleineren Übernahmen häufig aus vorhandenen Eigenmitteln bezahlen können. Auch bei größeren Übernahmen ist denkbar, dass die Finanzierung zum Teil aus vorhandenen Eigenmitteln aufgebracht wird. In einem solchen Fall stellt sich die Frage, welche Maßnahmen unternommen werden müssen, um eine anderweitige Verwendung der Eigenmittel vor dem Closing auszuschließen. Deshalb muss sich das Wertpapierdienstleistungsunternehmen nicht nur vergewissern, dass die Eigenmittel vorhanden sind, sondern auch, dass eine anderweitige Verwendung nicht erfolgt. Im Regelfall wird dazu eine entsprechende vertragliche Verpflichtung des Bieters gegenüber dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen erforderlich sein. In der Praxis wird darüber hinaus von den Wertpapierdienstleistungsunternehmen jedoch häufig die Einzahlung auf ein Sperrkonto, zum Teil darüber hinaus auch eine Verpfändung des Kontos an das Wertpapierdienstleistungsunternehmen verlangt24. Allerdings geht die überwiegende Zahl der Autoren wohl davon aus, dass eine solche Absicherung nicht nach § 13 Abs. 1 WpÜG geboten ist, sondern eine darüber hinausgehende Absicherung im Interesse des Wertpapierdienstleistungsunternehmens darstellt25. Wenn aber die Einrichtung eines Sperrkontos über die nach § 13 Abs. 1 Satz 1 WpÜG geforderten Maßnahmen hinausgeht, ist sie aber auch nicht erforderlich, um den Pflichten des Wertpapierdienstleistungsunternehmens nach § 13 Abs. 1 Satz 2 WpÜG zu genügen. Selbst wenn man daran Zweifel hätte, handelt es sich jedenfalls nicht um einen Fall grober Fahrlässigkeit, was die Haftung gemäß § 13 Abs. 3 i. V. m. § 12 Abs. 2 WpÜG voraussetzt. Auch zeigt sich hier ein eindeutiger Wertungswiderspruch zu den zuvor erörterten Finanzierungsmöglichkeiten. Dort reichen vertragliche Ansprüche aus, die sicherstellen, dass der Bieter bis zum Closing die erforderlichen Mittel erhält. Deshalb ist nicht einsichtig, warum bei vorhandenen Eigenmitteln Voraussetzung sein soll, dass die Mittel auf einem Sperrkonto geparkt werden oder dieses sogar an das Wertpapierdienstleistungsunternehmen verpfändet wird. Auch hier muss es ausreichen, dass der Bieter sich vertraglich verpflichtet, die Mittel nicht anderweit zu verwenden und dass dies gegebenenfalls über Kontrollrechte und Informationspflichten im Verhältnis des Bieters zum Wertpapier-
__________ 24 Vgl. auch Krause (Fn. 3), § 13 Rz. 40; Marsch-Barner (Fn. 3), § 13 Rz. 27; Möllers (Fn. 5), § 13 Rz. 65. 25 Wackerbarth (Fn. 7), § 13 Rz. 11; Vogel (Fn. 3), § 13 Rz. 81; Oechsler (Fn. 5), § 13 Rz. 3; Singhof/Weber, WM 2002, 1158, 1162; Berrar, ZBB 2002, 174, 178.
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dienstleistungsunternehmen abgesichert wird. In diesem Bereich läuft die Praxis Gefahr, den Bieter über das gesetzlich Geforderte und zum Schutz der Aktionäre Erforderliche hinaus zu belasten. Dies wirkt sich besonders stark aus, wenn man der oben geschilderten Auffassung der BaFin folgt, dass die Finanzierungsbestätigung auch auf die Aktien solcher Aktionäre zu erstrecken ist, die sich vertraglich verpflichtet haben, das Angebot nicht anzunehmen, und auch die Bank auf einem Sperrkonto für den Gesamtbetrag beharrt, obwohl durch die vertragliche Vereinbarung ausgeschlossen ist, dass hinsichtlich der Aktien dieser Aktionäre ein Kaufvertrag zustande kommt.
VI. Zusammenfassung § 13 Abs. 1 Satz 1 WpÜG verlangt, dass der Bieter vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage die notwendigen Maßnahmen trifft, um sicherzustellen, dass ihm die zur vollständigen Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs auf die Gegenleistung zur Verfügung stehen. Dies und nur dies hat das Wertpapierdienstleistungsunternehmen nach § 13 Abs. 1 Satz 2 WpÜG zu bestätigen. Nur für den Inhalt dieser Bestätigung kann es haften. Dennoch werden in der Praxis darüber hinausgehende Anforderungen an die Bieter gestellt. Auch wenn das Sicherungsbedürfnis verständlich ist, sollte diese Entwicklung beendet werden. Sie führt dazu, dass Übernahmen sich verteuern und im Extremfall unmöglich werden. Dies wirkt im Endeffekt zu Lasten der Aktionäre der Zielgesellschaften, die durch die Regeln des § 13 Abs. 1 WpÜG geschützt werden sollen. Insbesondere muss es ausreichen, wenn Finanzmittel vertraglich zugesagt und damit gesichert sind. Umgekehrt sind eine Bereitstellung der Finanzierung und eine Finanzierungsbestätigung nicht erforderlich für Aktien, für die vertraglich ausgeschlossen ist, dass sie in das Angebot eingeliefert werden.
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SEDA – Finanzierungssicherheit in schwierigem Marktumfeld durch Equity-Lines Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Funktionsweise und Struktur III. Bereitstellen von Eigenkapital 1. Nutzung eines genehmigten Kapitals a) Ermächtigung des Vorstands aa) Grundlagen bb) Volumen cc) Laufzeit dd) Ausgabebetrag und Einlage ee) Zweckbestimmung ff) Bezugsrechtsausschluss b) Berichtspflichten im Zusammenhang mit der Ermächtigung aa) Erleichterter Bezugsrechtsausschluss bb) Regulärer Bezugsrechtsausschluss c) Wiederholtes Erteilen der Ermächtigung d) Erteilung einer Stufenermächtigung e) Durchführung der Kapitalerhöhung durch den Vorstand aa) Festsetzung der Ausgabebedingungen bb) Bezugsrechtsausschluss (1) Erleichterter Bezugsrechtsausschluss (1a) Ausgabepreis – Discount (1b) Breite Platzierung (1c) Mehrfaches Ausnutzen der 10 %-Grenze (2) Regulärer Bezugsrechtsausschluss cc) Bezugsrechtsemission mit Backstop-Vereinbarung dd) Kapitalaufbringung (1) Keine verdeckte Sacheinlage
(2) Kein Hin- und Herzahlen (3) Emissionsbankenprivileg ee) Registerverfahren ff) Berichtspflichten im Zusammenhang mit der Durchführung 2. Einsatz eigener Aktien a) Der Erwerb eigener Aktien b) Vorgaben zur Verwendung und Veräußerung c) Bezugsrechtsausschluss d) Die Equity-Line-Vereinbarung als Derivat auf eigene Aktien aa) Vorverlagerung des Anwendungszeitpunktes der §§ 71 ff. AktG bb) Ausübung der Option cc) Geschäftsführungsbefugnis zum Abschluss von Optionsgeschäften IV. Kapitalerhaltung V. Inhalt der Equity-Line-Vereinbarung 1. Laufzeit 2. Abruf des Kapitals 3. Exklusivitätsabrede 4. Preisgarantien 5. Begrenzung des Übernahmerisikos 6. Kosten und Gebühren VI. Prospektpflicht und Börsenzulassung 1. Börsenzulassung 2. Prospektpflicht a) Prospektpflicht anlässlich der Zulassung aa) Zulassung von weniger als 10 % der bereits zugelassenen Aktien bb) Zulassung von mehr als 10 % der bereits zugelassenen Aktien
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c) Prospektpflicht anlässlich der Weiterplatzierung VII. Transparenz- und Publizitätspflichten VIII. Zusammenfassung
I. Einleitung Equity-Line-Finanzierungen, nach der amerikanischen Nomenklatur des zugrunde liegenden Vertrages, dem „Standby Equity Distribution Agreement“, prägnant auch als „SEDA“ bezeichnet1, werden von börsennotierten Unternehmen verstärkt in Zeiten unsicherer und volatiler Märkte nachgefragt. Auch wenn bereits eine Reihe von Aktiengesellschaften von diesem Konzept Gebrauch gemacht hat2, hat sich dieses Finanzierungsinstrument – anders als im US-amerikanischen Rechtskreis – in Deutschland allerdings noch nicht fest etabliert. Die Auswirkungen der internationalen Wirtschaftskrise haben börsennotierte Unternehmen in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit allerdings vermehrt wieder auf dieses Instrument zurückgreifen lassen3 und die Diskussion um diese Finanzierungsform wieder entfacht4. Dies bietet Anlass, einen Überblick über die einer Equity-Line-Finanzierung zugrunde liegenden Transaktionsformen und rechtlichen Erwägungen zu geben. Aufgrund vielfältiger kapitalmarktrechtlicher Implikationen hoffen die Autoren damit die besondere Beachtung des Jubilars zu erlangen, der als langjähriger Beobachter und Kommentator der Entwicklungen des internationalen Wirtschaftsrechts das aus den USA stammende Produkt der Equity-Lines sicherlich mit Interesse verfolgt hat.
II. Funktionsweise und Struktur Eine Equity-Line-Finanzierung soll kapitalsuchenden Unternehmen die Möglichkeit zur flexiblen und planungssicheren Eigenkapitalaufnahme nach eigenem Ermessen erschließen: Indem sich ein Finanzierungspartner vertraglich verpflichtet, über einen bestimmten Zeitraum auf Verlangen der Gesellschaft
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1 Je nach Finanzierungsanbieter weichen die Bezeichnungen teilweise ab. Vereinzelt wird die Struktur auch als „Step-up Equity Finanzierung“ (SEF) bezeichnet, siehe hierzu z. B. die (Ad-hoc) Mitteilung der Colonia Real Estate AG v. 16.11.2007. 2 Darunter etwa die WILEX AG (Ad-hoc Mitteilung v. 23.3.2010), die SYGNIS Pharma AG (Ad-hoc Mitteilung v. 19.10.2009), die MediGene AG (Ad-hoc Mitteilung v. 22.12.2008 sowie die Colonia Real Estate AG (Ad-hoc Mitteilung v. 16.11.2007). Vgl. zu den bislang vereinzelten SEDA-Transaktionen in der weiteren Vergangenheit, etwa der net AG und der Wapme Systems AG, Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635 mit Fn. 2. 3 Siehe hierzu die (Ad-hoc) Mitteilungen der WILEX AG v. 23.3.2010, der SYGNIS Pharma AG v. 19.10.2009 und der MediGene AG v. 22.12.2008. 4 Kallweit, BB 2009, 2495 ff.; von Ilberg/Göhring, Going Public „Kapitalmarktrecht 2010“, S. 74 f.; von Dryander, Börsen-Zeitung v. 23.6.2010, S. 2; vgl. auch den Bericht über die SEDA-Transaktion der WILEX AG in der Börsen-Zeitung v. 24.3.2010, S. 12.
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Finanzierungssicherheit in schwierigem Marktumfeld durch Equity-Lines
deren neue oder eigene Aktien zu erwerben, wird die Gesellschaft in die Lage versetzt, Eigenkapital unabhängig von der aktuellen Aufnahmefähigkeit der Kapitalmärkte zu erhalten („Eigenkapital auf Abruf“). Auf diese Weise wird versucht, den individuellen Bedürfnissen der Vertragspartner Rechnung zu tragen. In schwierigem Marktumfeld lässt sich so etwa eine Absicherung gegen die ungünstige Entwicklung des eigenen Aktienkurses durch die Aufnahme eines Mindestabnahmepreises für junge oder eigene Aktien (floor) erreichen. Gegenüber „herkömmlichen“ Emissionen fallen bei Equity-Line-Finanzierungen zudem oftmals (etwas) verringerte Transaktionskosten an. Schließlich bietet der Zugriff auf eine Equity-Line die Möglichkeit zu einer besonders maßvollen, an unternehmerische Entscheidungen angepasste Eigenkapitalaufnahme. Hiermit geht eine die Aktionäre schonende Glättung von Verwässerungseffekten und ein verringertes Risiko negativer Kursentwicklungen einher. Eines der strukturellen Kernelemente der Equity-Line-Finanzierung bildet das – bis zu einem Maximalvolumen wiederholt ausübbare – Andienungsrecht der Gesellschaft gegenüber dem Finanzierungspartner. Wirtschaftlich wird die Gesellschaft so gestellt, als hätte sie vom Finanzierungspartner eine Verkaufsoption (put) erworben5. Als Gegenleistung entrichtet die Gesellschaft eine Optionsprämie, die in das Gesamtentgelt für die Equity-Line-Finanzierung eingepreist wird. Mit (jeder) Ausübung der Option (draw down) wird der Vertragspartner zur Abnahme von Aktien der Gesellschaft verpflichtet. Die Aktien, mit denen das Andienungsrecht unterlegt wird, kann die Gesellschaft aus verschiedenen Quellen, typischerweise aus einem genehmigten Kapital6, ggf. aber auch seltener aus einem Bestand an eigenen Aktien, bereitstellen. Durch die Abgabe der Aktien (zunächst) nur an den Finanzierungspartner erfolgt die Bereitstellung unter Ausschluss des Bezugsrechts der Altaktionäre. In beiden Varianten kann die Ausgabe der (jungen oder alten) Aktien schnell und flexibel durch eine Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstands veranlasst werden. Im Nachfolgenden soll untersucht werden, in wie weit solche Strukturen auch nach deutschem Recht einsetzbar sind.
III. Bereitstellen von Eigenkapital 1. Nutzung eines genehmigten Kapitals Zur Unterlegung der Equity-Line-Finanzierung wird zunächst ein genehmigtes Kapital im Wege der Satzungsänderung durch einen entsprechenden Hauptversammlungsbeschluss geschaffen. Darin wird der Vorstand (mit Zustimmung des Aufsichtsrats) ermächtigt, eine Kapitalerhöhung ohne weitere Beteiligung der Hauptversammlung durchzuführen und dabei das Bezugsrecht der Aktionäre auszuschließen.
__________ 5 Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635, 636. 6 Mit einem genehmigten Kapital waren etwa auch die Equity-Lines der oben genannten MediGene AG und der SYGNIS Pharma AG unterlegt.
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a) Ermächtigung des Vorstands aa) Grundlagen Der Hauptversammlungsbeschluss über ein genehmigtes Kapital bedarf grundsätzlich der einfachen Stimmenmehrheit und zusätzlich einer Mehrheit von drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals (§ 202 Abs. 2 Satz 2 AktG)7. Der Inhalt der Ermächtigung kann über die gesetzlich vorgegebenen Mindestinhalte8 und Schranken9 hinaus durch weitere fakultative Inhalte näher ausgestaltet werden. Im Übrigen bleibt die Durchführung der Kapitalerhöhung dem Ermessen des Vorstands überlassen. Wird die EquityLine-Vereinbarung ausnahmsweise vor dem Beschluss der Hauptversammlung abgeschlossen, sollten Regelungen für den Fall einer möglichen Ablehnung der Ermächtigung durch die Hauptversammlung oder Beschlussanfechtung getroffen werden10. bb) Volumen Die Ermächtigung muss den Nennbetrag des genehmigten Kapitals, d. h. den Höchstbetrag, bis zu dem der Vorstand das Grundkapital der Gesellschaft erhöhen darf, festlegen. Dieser darf die Hälfte des zur Zeit der Ermächtigung vorhandenen Grundkapitals nicht überschreiten11. Diese Obergrenze besteht daher gleichermaßen auch für das Volumen einer mit neuen Aktien aus genehmigtem Kapital unterlegten Equity-Line12.
__________ 7 Die Satzung kann ggf. eine größere Kapitalmehrheit und weitere Erfordernisse bestimmen. Sind mehrere Aktiengattungen vorhanden, müssen ggf. Sonderbeschlüsse gefasst werden. Vgl. Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 43 Rz. 5. 8 Zwingend festzulegen ist etwa der Nennbetrag des genehmigten Kapitals (§ 202 Abs. 1 AktG). Zu den Einzelheiten siehe sogleich. 9 U. a. darf der Nennbetrag des genehmigten Kapitals die Hälfte des Grundkapitals nicht überschreiten (§ 202 Abs. 3 Satz 1 AktG), zudem darf die Ermächtigung auf höchstens fünf Jahre erteilt werden (§ 202 Abs. 1 AktG). Zu den Einzelheiten siehe sogleich. 10 Üblicherweise wird im Rahmen einer Equity-Line-Finanzierung allerdings auf ein bereits bestehendes genehmigtes Kapital zurückgegriffen. Anders etwa bei der WILEX AG, die die Hauptversammlung erst nach Abschluss der Vereinbarung um einen entsprechenden Beschluss ersuchte, siehe hierzu die (Ad-hoc) Mitteilung der WILEX AG v. 23.3.2010. 11 Maßgeblich für die Berechnung ist insoweit der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Ermächtigung, d. h. mit der Eintragung des genehmigten Kapitals in das Handelsregister. Vgl. Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 43 Rz. 8; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 8; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 202 Rz. 14. 12 Insbesondere durch den zusätzlichen Einsatz eigener Aktien kann die Gesamtmenge verfügbarer Aktien erhöht werden, wenngleich dies praktisch – wegen der typischerweise in Anspruch genommenen Erleichterungen bei Bezugsrechtsausschluss und Prospektpflicht – selten so gehandhabt werden dürfte. Vgl. dazu auch unten unter III. 2. und VI.
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cc) Laufzeit Die Ermächtigung kann für einen Zeitraum von maximal fünf Jahren geschaffen werden, wobei die konkrete Geltungsdauer im Hauptversammlungsbeschluss genau fixiert werden muss13. Soll das genehmigte Kapital im Rahmen der Equity-Line-Finanzierung verwendet werden, bietet es sich an, deren Vertragslaufzeit an die Laufzeit der Ermächtigung zu binden. Die volle Ausschöpfung der maximalen Ermächtigungsdauer durch die Hauptversammlung ermöglicht es dem Vorstand, auch die Equity-Line-Vereinbarung über fünf Jahre abzuschließen. Grundsätzlich können aber auch längere Laufzeiten erreicht werden, wenn etwa die die Ermächtigungsdauer überschreitende Vertragsdauer unter die Bedingung der Gewährung einer neuen Ermächtigung durch die Hauptversammlung gestellt wird14. dd) Ausgabebetrag und Einlage Die Festsetzung eines Ausgabebetrages der neuen Aktien durch die Hauptversammlung ist nicht erforderlich und wird üblicherweise dem Vorstand überlassen15. Dieser erhält dadurch die Flexibilität, den Preis, zu dem der Finanzierungspartner neue Aktien zeichnen soll, in der Equity-Line-Vereinbarung frei festzulegen. Abgesehen von Preisanpassungs- und -sicherungselementen16 wird der Ausgabebetrag für neue Aktien im Rahmen der Equity-Line-Vereinbarung typischerweise an einem volumengewichteten Durchschnittspreis der Aktien orientiert und mit einem Abschlag versehen17. Allerdings hat der Vorstand bei der Festlegung des Ausgabepreises (neben den Vorgaben der Hauptversammlung) insbesondere das Verbot der Ausgabe unter pari (§ 9 Abs. 1 AktG) und gegebenenfalls die durch die Anforderungen an einen erleichterten Bezugsrechtsausschluss (§ 186 Abs. 3 Satz 4 AktG) gezogenen Grenzen zu beachten.
__________ 13 In der Praxis ist die Nennung eines genauen Enddatums üblich, obwohl der Beschluss den Lauf der fünf Jahre auch vom Datum der Handelsregistereintragung des genehmigten Kapitals abhängig machen könnte. Vgl. hierzu Busch in MarschBarner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 43 Rz. 10; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 13; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 202 Rz. 11. 14 Siehe hierzu auch unten unter III. 1. c) und d) sowie V. 1. Auch für diesen Fall sollten vorsorglich Regelungen aufgenommen werden, die einer möglichen Anfechtung der neuen Ermächtigung (und insbesondere der dadurch verursachten Verzögerung) Rechnung tragen. Als „Ersatzlösung“ bietet sich etwa der Einsatz von eigenen Aktien an. 15 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 43 Rz. 11; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 11; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 202 Rz. 16. 16 Dabei handelt es sich beispielsweise um Mindestpreisvorgaben (floor), Höchstpreisbegrenzungen (cap) oder Verwässerungsschutzklauseln. Zu diesen und weiteren, siehe unten unter V. 4. 17 So hat etwa die SYGNIS Pharma AG den Emissionspreis im Rahmen ihrer EquityLine etwa mit „dem niedrigsten volumengewichteten Durchschnittspreis der SYGNISAktie an einem der fünf Handelstage nach Abruf der jeweiligen Tranche, abzüglich eines Rabatts von 5 %“ festgelegt, vgl. hierzu die (Ad-hoc) Mitteilung der SYGNIS Pharma AG v. 19.10.2009; vgl. auch von Dryander, Börsen-Zeitung v. 23.6.2010, S. 2.
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Im Rahmen von Equity-Line-Finanzierungen wird die Einlage auf die neuen Aktien im Regefall in bar geleistet. Die Erbringung von Sacheinlagen durch den Finanzierungspartner ist zwar theoretisch denkbar, würde aber den Transaktionsprozess verkomplizieren und hätte zumindest eine Verzögerung der Aktienausgabe sowie einen Anstieg der Transaktionskosten zur Folge. ee) Zweckbestimmung In ihrem Ermächtigungsbeschluss kann die Hauptversammlung zudem konkrete Zweckvorgaben hinsichtlich des genehmigten Kapitals treffen18. Diese dürfen der Verwendung des genehmigten Kapitals im Rahmen der Equity-LineFinanzierung nicht entgegenstehen. ff) Bezugsrechtsausschluss Um die jungen Aktien im Rahmen der Equity-Line-Finanzierung alleine an den Finanzierungspartner ausgeben zu können, muss das gesetzliche Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschlossen werden19. Im Rahmen des genehmigten Kapitals kann die Hauptversammlung zwar auch selbst unmittelbar über einen Ausschluss des Bezugsrechts entscheiden (§§ 186 Abs. 3 Satz 1, 203 Abs. 1 Satz 1 AktG). Auch hier wird diese Entscheidung jedoch – wie in der Praxis üblich – dem Vorstand übertragen (§ 203 Abs. 2 Satz 1 AktG). Die Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss muss in den Wortlaut des Ermächtigungsbeschlusses aufgenommen werden und bedarf neben den in Gesetz oder Satzung für die Kapitalerhöhung aufgestellten Erfordernissen einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst (§§ 203 Abs. 2 Satz 1, 202 Abs. 2 Satz 2 AktG). Über die formalen Anforderung an die Beschlussfassung hinaus muss der Ausschluss des Bezugsrechts bzw. die Ermächtigung hierzu, sachlich gerechtfertigt sein. Im Allgemeinen ist dies der Fall, solange die avisierte Maßnahme im überwiegenden Interesse der Gesellschaft liegt und sie zur Erreichung des im Interesse der Gesellschaft liegenden Zwecks geeignet, erforderlich sowie verhältnismäßig ist20. Bewegt sich die Ermächtigung innerhalb des durch § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG vorgegebenen Rahmens, wird die sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses insoweit vermutet21. Danach muss die Kapital-
__________ 18 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 43 Rz. 11 f.; die Schaffung eines genehmigten Kapitals ohne jede konkrete Zwecksetzung ist zulässig. 19 Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635, 637; Kallweit, BB 2009, 2495, 2496. Alternativ können auch nicht bezogene Aktien aus einer Bezugsrechtsemission verwendet werden, siehe hierzu unten III. 1. e) cc). 20 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 43 Rz. 18; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 17; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 203 Rz. 27. 21 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 42 Rz. 89; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 56 Rz. 86; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 203 Rz. 27.
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erhöhung gegen Bareinlagen erfolgen und darf 10 % des Grundkapitals der Gesellschaft nicht übersteigen. Zudem darf der Ausgabebetrag der neuen Aktien den Börsenkurs nicht wesentlich unterschreiten. Einer darüber hinausgehenden sachlichen Rechtfertigung bedarf es nicht22. Auf die Einzelheiten wird im Zusammenhang mit der Durchführung der Kapitalerhöhung zurückzukommen sein. Die Hauptversammlung kann eine Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss bereits dann erteilen, wenn die Maßnahme, zu deren Durchführung der Vorstand ermächtigt werden soll, lediglich allgemein umschrieben ist. Dies ist bei Schaffung eines genehmigten Kapitals regelmäßig der Fall, da hierdurch eine in der Zukunft liegende und damit aktuell selten in allen Einzelheiten bekannte Maßnahme autorisiert wird („Vorratsermächtigung“). Bei der Prüfung der sachlichen Rechtfertigung kann die Hauptversammlung daher regelmäßig nur abstrakt beschriebenen Tatsachen zugrunde legen. Diese werden im zu erstattenden Vorstandsbericht dargestellt23. Nach den vom BGH in seiner Siemens/ Nold-Entscheidung entwickelten Grundsätzen24 ist ein solches Vorgehen zulässig und die daraus resultierende, lediglich eingeschränkte Kontrolldichte hinnehmbar25. Die konkrete Beurteilung der sachlichen Rechtfertigung verschiebt sich dabei in das pflichtgemäße Ermessen des Vorstands im Zeitpunkt der Ausübung der Ermächtigung: Dann ist das Vorliegen der sachlichen Rechtfertigung durch den Vorstand anhand der konkreten Umstände zu prüfen26. b) Berichtspflichten im Zusammenhang mit der Ermächtigung Der Vorstand hat der Hauptversammlung einen schriftlichen Bericht über den Grund des vorgesehenen Bezugrechtsausschlusses bzw. der vorgesehenen Bezugsrechtsausschlussermächtigung zu erstatten (§ 186 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. § 203 Abs. 2 Satz 2 AktG). In diesem sind der Hauptversammlung das Vorhaben abstrakt-generell zu umschreiben sowie darzulegen, warum dieses im überwiegenden Gesellschaftsinteresse liegt27. An die Ausführungen in seinem Bericht über den Bezugsrechtsausschluss ist der Vorstand nach einer verbreite-
__________ 22 Bayer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 203 Rz. 77; Krause in Habersack/ Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 5 Rz. 32. 23 Dazu sogleich. 24 BGH, NJW 1997, 2815 (Siemens/Nold). 25 BGH, NZG 2006, 20, 22 (Mangusta/Commerzbank II); Busch in Marsch-Barner/ Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 43 Rz. 24; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 17; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 203 Rz. 26. 26 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 43 Rz. 20; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 19; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 203 Rz. 29. 27 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 43 Rz. 24 f.; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 18; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 203 Rz. 25.
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ten Meinung im Schrifttum gebunden28. Es sollten daher solche Ausführungen vermieden werden, die als Einschränkung für eine Verwendung des genehmigten Kapitals als Unterlegung für eine Equity-Line verstanden werden könnten29. aa) Erleichterter Bezugsrechtsausschluss Wird die Ermächtigung zu einem erleichterten Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG erteilt, so reicht die Darstellung der Voraussetzungen dieser Norm unter Angabe der Gründe für die Ermächtigung aus30. Sofern eine Equity-Line-Finanzierung noch nicht konkret geplant ist, muss der Bericht eine solche nicht erwähnen31. Die in der Praxis regelmäßig verwendete Formulierung, dass die neuen unter erleichtertem Bezugsrechtsausschluss bereitgestellten Aktien institutionellen Investoren im In- und Ausland angeboten werden sollen, deckt auch den Abschluss einer Equity-Line-Finanzierung ab32. bb) Regulärer Bezugsrechtsausschluss Soll dem Vorstand eine Ermächtigung zum regulären Bezugsrechtsausschluss erteilt werden, darf der Vorstandsbericht nach den Siemens/Nold-Grundsätzen zwar ebenfalls in abstrakt-genereller Form erstattet werden33. Bereits zur Ver-
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28 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 43 Rz. 11; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 15; Groß/Fischer in Heidel, Aktienrecht, 2. Aufl. 2007, § 203 Rz. 87; Hirte in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2001, § 203 Rz. 80; Cahn, ZHR 163 (1999), 554, 566 f.; unklar BGHZ 136, 133, 139; a. A. Ekkenga, AG 2001, 567, 578. 29 Die Aufzählung einzelner Verwendungsbeispiele im Vorstandsbericht führt grds. nicht zu einer Beschränkung der Einsatzmöglichkeiten des genehmigten Kapitals. Die Formulierungen sollten jedoch so gewählt werden, dass sie auch tatsächlich als nicht abschließende Aufzählung ausgelegt werden können. Abzuraten ist von der Angabe nur eines einzigen „Beispiels“ ohne entsprechende Zusätze („z. B.“). Besteht eine Bindungswirkung, kann diese nur durch eine „Umwidmung“ der Ermächtigung durch einen neuen Beschluss der Hauptversammlung beseitigt werden, Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 43 Rz. 11; Cahn, ZHR 163 (1999), 554, 566 f. 30 Marsch-Barner in Bürgers/Körber, AktG, 2008, § 203 Rz. 9; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 21; Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635, 640; Schlitt/ Schäfer, AG 2005, 67, 75; vgl. auch das Muster bei Happ in Happ, Aktienrecht, 3. Aufl. 2007, 12.06 S. 1601 f. 31 Nähere Ausführungen werden grundsätzlich erst beim Vorliegen konkreter Tatsachen hinsichtlich der Ausnutzung der Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss erforderlich: Bayer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 203 Rz. 151; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, AktG, 2008, § 203 Rz. 12; Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635, 640. Zu Abgrenzungsfragen zwischen vorläufiger und konkreter Planung siehe auch Strauß, AG 2010, 192, 195. 32 Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635, 640; vgl. das Muster bei Happ in Happ, Aktienrecht, 3. Aufl. 2007, 12.07 S. 1650 mit Rz. 22. 33 Vgl. statt aller nur Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 18. Etwas anderes gilt freilich auch hier, falls die Equity-Line-Finanzierung bereits konkret geplant ist, vgl. oben Fn. 29.
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ringerung des Anfechtungsrisikos ist jedoch eine ausführlichere Begründung als beim einfachen Bezugsrechtsausschluss zu empfehlen. Demnach bietet es sich an, die mögliche Inanspruchnahme einer Equity-Line-Finanzierung als in Betracht kommende Maßnahme in den Vorstandsbericht auf zu nehmen34. Dabei sollte etwa der für die Gesellschaft erzielbare Zugewinn an Flexibilität durch die von der Aufnahmefähigkeit der Kapitalmärkte unabhängige Eigenkapitalabrufmöglichkeit bei bestehen bleibender Entscheidungsgewalt der Gesellschaft über Volumen und Zeitpunkt ebenso wie die möglicherweise verringerten Transaktionskosten und die Sicherheit der Abnahme der neuen Aktien dargestellt werden. Zweckmäßig ist zudem auch der Hinweis auf die Möglichkeit zur besonders maßvollen Eigenkapitalaufnahme. Dies ist vor allem für die Aktionäre wegen der insoweit dosierten und damit gegenüber herkömmlichen Kapitalmaßnahmen verringerten Verwässerung vorteilhaft. Darüber hinaus erleichtert die maßvolle Eigenkapitalaufnahme auch die zum Erhalt der Beteiligungsquote erforderlichen Zukäufe und verringert das Risiko einer negativen Kursentwicklung. c) Wiederholtes Erteilen der Ermächtigung Aufgrund der zumeist mehrjährigen Laufzeit der Equity-Line-Vereinbarung kann es vorteilhaft sein, den Vorstand in diesem Zeitraum mehrmals (von neuem) zu einer bezugsrechtsfreien Kapitalerhöhung nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG zu ermächtigen. Dabei besteht Einigkeit darüber, dass dies jedenfalls einmal jährlich in Höhe von 10 % möglich ist35. Ob eine Ermächtigung zur Anwendung von § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG auch mehrfach innerhalb eines Jahres beschlossen werden kann, ist umstritten. In der Literatur wird dies teilweise verneint36, andererseits aber für zulässig erachtet, solange die Ausnutzung nicht rechtsmissbräuchlich ist37. Überzeugend ist die letztgenannte Ansicht, da dem Gesetzeswortlaut eine Beschränkung auf eine einmalige Vornahme pro Jahr nicht zu entnehmen ist38. Jedenfalls kann eine weitere 10 %-Kapitalerhöhung vor Ablauf eines Jahres nach der letzten durchgeführt werden, wenn die Hauptversammlung eine neue Ermächtigung erteilt hat. In diesem Fall ist die Möglichkeit zum erleichterten Bezugsrechtsausschluss von der Zustimmung der Altaktionäre gedeckt. d) Erteilung einer Stufenermächtigung Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Hauptversammlung nicht auch ein genehmigtes Kapital in Höhe von bis zu 50 % des Grundkapitals schaffen
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34 Zu den Vorteilen der Equity-Line-Finanzierung siehe bereits oben II. 35 Hirte in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2001, § 203 Rz. 116; Trapp, AG 1997, 115, 117; Groß, DB 1994, 2431, 2439. 36 Vgl. Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67, 69; Hirte in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2001, § 203 Rz. 116 m. w. N. 37 Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67, 69; Trapp, AG 1997, 115, 117; Schwark in FS Claussen, 1997, S. 357, 376; Groß, DB 1994, 2431, 2439. 38 Trapp, AG 1997, 115, 117; Groß, DB 1994, 2431, 2439.
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und den Vorstand ermächtigen kann, das Bezugsrecht der Altaktionäre nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG mehrfach auszuschließen, d. h. das Kapital in mehreren Tranchen ohne Bezugsrecht um jeweils bis zu 10 % zu erhöhen. Die Equity-Line-Finanzierung könnte dann mit diesem hohen Volumen von bis zu 50 % des Grundkapitals unterlegt werden. Während sich die instanzgerichtliche Rechtsprechung39 und eine verbreitete Auffassung in der Literatur40 gegen eine solche Stufenermächtigung ausspricht, ist diese richtigerweise als zulässig anzusehen41. Das Verständnis der ablehnenden Auffassung, die 10 %-Grenze sei auf die Erteilung der Ermächtigung zu beziehen, so dass diese von vornherein nur für maximal 10 % des Grundkapitals erteilt werden könne, überzeugt nicht. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG nimmt nach seinem Wortlaut („die Kapitalerhöhung“) auf die konkrete Kapitalerhöhung und daher nur auf die jeweilige Ausnutzungsentscheidung Bezug. Die Norm soll daher nicht die Ermächtigungskompetenz der Hauptversammlung beschränken. Angesichts des Meinungsstreits ist die Erteilung einer Stufenermächtigung jedoch unter Transaktionssicherheitsgesichtspunkten nicht zu empfehlen. e) Durchführung der Kapitalerhöhung durch den Vorstand aa) Festsetzung der Ausgabebedingungen Die Ausnutzung der durch die Hauptversammlung gewährten Ermächtigung – bei der Equity-Line-Finanzierung im Wege des Draw Downs – stellt für den Vorstand eine Geschäftsführungsmaßnahme dar42. Nach pflichtgemäßem Ermessen und innerhalb des durch die Ermächtigung vorgegebenen Rahmens entscheidet er insbesondere über den Umfang der Kapitalerhöhung, den Ausschluss des Bezugsrechts, den Inhalt der Aktienrechte und die Bedingungen der Aktienausgabe (§ 204 Abs. 1 AktG). Die Entscheidung trifft der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats43.
__________ 39 OLG München, AG 1996, 518, 518; Vorinstanz LG München I, AG 1996, 138, 139 f. 40 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 186 Rz. 39c; Bayer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 203 Rz. 167 f.; Ihrig/Wagner, NZG 2002, 657, 661. 41 Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67, 69; Hirte in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2001, § 203 Rz. 115. 42 Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 28; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 202 Rz. 20. 43 Die Mitwirkung des Aufsichtsrates ist zwar nach § 202 Abs. 3 Satz 2 AktG nur durch eine „Sollvorschrift“ gefordert. Nach § 204 Abs. 1 Satz 2 AktG muss der Aufsichtsrat jedoch der Festlegung des Inhalts der Aktienrechte und den Bedingungen der Aktienausgabe zustimmen. Beide Entscheidungen werden in der Praxis regelmäßig in einem einheitlichen Beschluss gefasst, dem der Aufsichtsrat dann insgesamt zustimmt.
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bb) Bezugsrechtsausschluss Bei der Ausnutzung der Ermächtigung zur Zuteilung der neuen Aktien (nur) an den Finanzierungspartner, hat der Vorstand zu prüfen, ob der Bezugsrechtsausschluss nunmehr auch konkret gerechtfertigt ist44. (1) Erleichterter Bezugsrechtsausschluss Zum erleichterten Ausschluss des Bezugsrechts führt der Vorstand die Kapitalerhöhung im Umfang bis maximal 10 % des Grundkapitals gegen Bareinlagen unter Berücksichtigung der nachfolgenden Vorgaben durch. (1a) Ausgabepreis – Discount Bei der Festlegung des Ausgabepreises nicht wesentlich unterhalb des Börsenkurses können Vorstand und Aufsichtsrat auf den gewichteten Durchschnittskurs eines Börsentages oder auf den Schlusskurs des börslichen Handelssystems mit der größten Liquidität abstellen45. Sind die Aktien der Gesellschaft an mehreren Börsen notiert, ist der Börsenplatz maßgeblich, der die meisten Umsätze in Aktien der Gesellschaft aufweist46. Der so festgestellte liquideste Kurs ist zugleich der marktgerechteste. Nach allgemeiner Auffassung darf der Ausgabepreis der jungen Aktien maximal 3–5 % unterhalb des so ermittelten Referenzkurses liegen, um in seiner Abweichung noch als unwesentlich angesehen zu werden47. Es bietet sich an, den dem Finanzierungspartner maximal zu gewährenden Abschlag bereits in der Equity-Line-Vereinbarung festzulegen48. Im Übrigen sind bei der Preisfestsetzung die durch die Ermächtigung der Hauptversammlung gezogenen Grenzen zu beachten. Eine absolute gesellschaftsrechtliche Untergrenze bildet der mindestens einzufordernde geringste Ausgabebetrag (§ 9 Abs. 1 AktG). (1b) Breite Platzierung Bei einem erleichterten Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG wird teilweise die Einhaltung weiterer ungeschriebener Tatbestandsmerkmale
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44 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 43 Rz. 19; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 19; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 203 Rz. 33. 45 Ries in Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2009, S. 57; Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67, 71. 46 Ries in Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2009, S. 57; Ihrig in Liber Amicorum Happ, 2006, S. 109, 121; Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67, 71; Marsch-Barner, AG 1994, 532, 536. 47 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 12/7848, S. 9; Ries in Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2009, S. 57; Busch in Marsch-Barner/ Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 42 Rz. 87; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 56 Rz. 77; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 186 Rz. 39d; strenger Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1995, Nachtrag zu § 186 Rz. 15, der 3 % als maximalen Abschlag ansieht. 48 Siehe hierzu bereits oben III. 1. a) dd).
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gefordert49. So wird teilweise eine breite Streuung der neuen Aktien im Markt und damit die Zuteilung an mehrere Investoren als erforderlich angesehen50. Die Ausgabe ausschließlich an eine Person, wie im Rahmen der Equity-LineFinanzierung an den jeweiligen Finanzierungspartner, ist jedoch mit der vorzugswürdigen Gegenansicht51 grds. als zulässig anzusehen. Bereits der Wortlaut des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG lässt keinen Rückschluss darauf zu, dass eine breite Platzierung der neuen Aktien erforderlich wäre. Ebenso lässt sich auch der Gesetzesbegründung nicht entnehmen, dass die Ausgabe der jungen Aktien an einen einzigen Übernehmer ausgeschlossen sein soll52. Solange jedenfalls die Platzierung an den Finanzierungspartner diesem weder zu einer Beteiligung verhilft, durch die er Einfluss auf die Herrschaftsstruktur der Gesellschaft nehmen kann, noch dies zu einem substantiellen Einflussverlust der bestehenden (Groß-)Aktionäre führt, ist diese Vorgehensweise im Rahmen der unternehmerisch vorteilhaften Equity-Line-Finanzierung daher zulässig. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich der Finanzierungspartner gegenüber der Gesellschaft verpflichtet, sich jeder über die gewöhnliche Stimmrechtsausübung hinausgehenden Einflussnahme auf die Gesellschaft zu enthalten. Die Abgabe der neuen Aktien an den Finanzierungspartner ist freilich dann zulässig, wenn dieser zu einer Weiterveräußerung der Aktien verpflichtet ist53, da dann eine breite Streuung im Regelfall auf diesem Weg erreicht wird. (1c) Mehrfaches Ausnutzen der 10 %-Grenze Bestehen neben einem genehmigten Kapital mit vereinfachtem Bezugsrechtsausschluss auch Ermächtigungen zur Veräußerung eigener Aktien (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 Halbs. 2 AktG) oder zur Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen54 unter vereinfachtem Bezugsrechtsausschluss, wird es als erforderlich angesehen, jeweils durch wechselseitige Anrechnungsklauseln in den jeweili-
__________ 49 Neben den nachfolgend dargestellten zusätzlichen Voraussetzungen werden teilweise auch weitere ungeschriebene Tatbestandsmerkmale, wie etwa eine tatsächlich bestehende Zukaufsmöglichkeit, verlangt, vgl. etwa Kraft/Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 56 Rz. 89 und 92; Krause in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 5 Rz. 32; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, AktG, 2008, § 186 Rz. 36; Peifer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 186 Rz. 88. 50 Bayer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 203 Rz. 78 f., 81 und 137 f.; Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1995, Nachtrag zu § 186 Rz. 31; Schumann, Bezugsrecht und Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalbeschaffungsmaßnahmen von Aktiengesellschaften, 2001, S. 218/219; in diese Richtung auch Hirte, ZIP 1994, 356, 358. 51 Aubel, Der vereinfachte Bezugsrechtsausschluss, 1998, S. 81 f.; Groß, DB 1994, 2431, 2439; Groß in Happ, Aktienrecht, 3. Aufl. 2007, Muster 12.07 Rz. 22; Kraft/Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 56 Rz. 91; Marsch-Barner, AG 1994, 532, 538 und 540; Schiessl, AG 2009, 385, 388; Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67, 72; Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 144; Trapp, AG 1997, 115, 115 f.; wohl auch Martens, ZIP 1994, 669, 677. 52 So auch Ihrig in Liber Amicorum Happ, 2006, S. 109, 124 f. 53 Siehe hierzu auch unten III. 1. e) dd) (3). 54 Bei der Ermächtigung zur Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen ist die Vorschrift des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG nach ganz h. M. entsprechend anwendbar, vgl. hierzu etwa Habersack in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 221 Rz. 190.
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gen Ermächtigungen sicher zu stellen, dass während der Laufzeit sämtlicher Ermächtigungen die 10 %-Grenze insgesamt nicht überschritten wird55. Da dem Gesetzeswortlaut eine solche Anrechung nicht zu entnehmen ist, erscheint es zwar vorzugswürdig, ein Nebeneinander dieser Ermächtigungen auch ohne eine solche als zulässig anzusehen und einem möglichen Missbrauch durch eine Kontrolle im Einzelfall zu begegnen56. Aus Gründen der Transaktionssicherheit und Vermeidung eines erhöhten Anfechtungsrisikos sollte die Gesellschaft solche Anrechnungsklauseln jedoch sicherheitshalber in ihre Ermächtigungen aufnehmen bzw. eine Anrechnung auch tatsächlich vornehmen57. (2) Regulärer Bezugsrechtsausschluss Da die Darlegung des Merkmals der sachlichen Rechtfertigung den Emittenten wegen seiner immer noch fehlenden Konturierung in der Praxis große Schwierigkeiten bereitet, hat diese Variante des Bezugsrechtsausschlusses wenig praktische Bedeutung58. Im Vergleich zum Regelfall der klassischen Emissionspraxis, lässt sich die sachliche Rechtfertigung eines regulären Bezugsrechtsausschlusses zum Zweck des Abschlusses einer Equity-Line-Vereinbarung zwar leichter bejahen59. Die wirtschaftlichen Vorteile der Equity-Line und ihre Notwendigkeit müssen im Zeitpunkt der Ausnutzung der Ermächtigung aber auch konkret bestehen. Hierbei wird es vor allem auf den konkreten Finanzierungsbedarf und den Nutzen der geplanten Maßnahmen für die Gesellschaft ankommen. cc) Bezugsrechtsemission mit Backstop-Vereinbarung Damit stellt sich die Frage, ob Equity-Line-Transaktionen sicher auch in einer Größe von mehr als 10 % des Grundkapitals durchgeführt werden können. So ist denkbar, die Transaktion auch als Bezugsrechtsemission zu strukturieren. Insoweit erhält die Equity-Line den Charakter einer sog. Backstop-Transaktion60: Der Finanzierungspartner verpflichtet sich, sämtliche Aktien zu er-
__________ 55 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 44 Rz. 19; Groß in Happ, Aktienrecht, 3. Aufl. 2007, Muster 12.04 Rz. 11; Ihrig/Wagner, NZG 2002, 657, 662; Reichert/Harbarth, ZIP 2001, 1441, 1443 f. 56 Krause in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 5 Rz. 29 und 54/55; Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67, 70; a. A. Ihrig/ Wagner, NZG 2002, 657, 662. 57 Unterstellt man, dass sämtliche „10 %-Ermächtigungen“ als Einheit zu betrachten sind, ist es folgerichtig, wenn nach Ausschöpfung des 10 %-Volumens die Erneuerung einer dieser Ermächtigungen zu einer Freigabe aller übrigen Ermächtigungen („Reset“) führt, so zutreffend Reichert/Harbarth, ZIP 2001, 1441, 1444. 58 Näher hierzu Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 7 Rz. 31. 59 Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635, 639; Kallweit, BB 2009, 2495, 2496. Siehe zu den Argumenten, mit denen der Bezugsrechtsausschluss begründet werden kann oben II. und III. 1. b) bb). 60 Näher hierzu im Allgemeinen etwa Schäfer in Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2009, S. 152; C. Schäfer, ZGR 2008, 455, 471.
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werben, die im Rahmen des Bezugsangebotes der Gesellschaft nicht von den Altaktionären bezogen wurden61. Eine solche Vereinbarung ist als zulässig anzusehen, da sie zu einer lediglich einseitigen Bindung des Finanzierungspartners führt und die Bezugsrechte der Aktionäre unberührt lässt62. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Übernahme der neuen Aktien durch den Finanzierungspartner unter den Vorbehalt des Bezugsrechts der Aktionäre (subject to claw back) gestellt wird63. Da die Gesellschaft über nicht bezogene Aktien grundsätzlich frei verfügen kann64, ist die Abgabe der verbleibenden Aktien an einen Investor wie etwa dem Finanzierungspartner, statthaft65. Dieser hat dabei mindestens den im Kapitalerhöhungs- bzw. Ausnutzungsbeschluss festgesetzten Ausgabebetrag zu entrichten66. Zur Vermeidung eines Pflichtangebotes wird die Maximalzahl der vom Investor auf diesem Wege zu erwerbenden Aktien in der Regel auf unter 30 % des Grundkapitals beschränkt67. dd) Kapitalaufbringung Durch einen Draw Down der Gesellschaft wird der Finanzierungspartner verpflichtet, neue Aktien aus genehmigtem Kapital zu zeichnen und eine entsprechende (Bar-)Einlage zu erbringen. Die Einlage ist ordnungsgemäß erbracht, wenn sie endgültig zur freien Verfügung des Vorstands, etwa durch Gutschrift auf ein Konto der Gesellschaft, einbezahlt worden ist68. An der ordnungsgemäßen Aufbringung dieses Kapitals könnten im Rahmen einer Equity-LineFinanzierung in mehrerer Hinsicht Zweifel bestehen, da der Finanzierungs-
__________ 61 Eine ähnlich lautende Vereinbarung wurde beispielsweise im Rahmen der Bezugsrechtsemission der Infineon Technologies AG 2009 abgeschlossen, siehe die Ad-hoc Meldung der Gesellschaft vom 10.7.2009. Zu weiteren Beispielen aus der Praxis wie Conergy II und Premiere I, vgl. Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 145 mit Fn. 136. 62 So zutreffend Seibt/Wunsch, Konzern 2009, 195, 206. Vgl. hierzu auch Wiedemann in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1995, § 187 Rz. 6 und Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 187 Rz. 5. Zur Zulässigkeit von Zusicherungen hinsichtlich junger Aktien, die (auch) die Gesellschaft binden sollen – insbesondere im Hinblick auf § 187 AktG – siehe unten V. 3. 63 Zur möglichen Prospektfreiheit dieser Strukturierung siehe unten unter VI. 2. 64 Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2183; Herfs in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 4 Rz. 98 ff.; Wiedemann in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1995, § 186 Rz. 97; Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 Rz. 25; Peifer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 186 Rz. 44; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 186 Rz. 16; Vaupel/Reers, AG 2010, 93, 96. 65 Vgl. Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2183; Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 145; Herfs in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 4 Rz. 99. 66 Die Unterschreitung dieses Betrags würde zunächst ein erneutes Bezugsangebot über die verbleibenden Aktien zu diesem niedrigeren Ausgabebetrag voraussetzen, Schlitt/ Seiler, WM 2003, 2175, 2183; Wiedemann in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1995, § 186 Rz. 97; Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 Rz. 25; Kraft/Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 56 Rz. 73. 67 So etwa bei der Backstop-Vereinbarung der Infineon Technologies AG, siehe die Adhoc Meldung der Gesellschaft v. 10.7.2009. Allgemeines zum Höchstbetrag der vom Finanzierungspartner zu übernehmenden Aktien, siehe unten V. 1. mit Fn. 140. 68 Vgl. § 54 Abs. 3 AktG.
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partner als Gegenleistung für den Abschluss der Vereinbarung und ggf. auch für jeden Kapitalabruf eine Vergütung erhält – eine Situation, in der es wirtschaftlich zu einem Einlagenrückfluss an den Inferenten kommt. Aufgrund des Umstands, dass der der Equity Line zugrunde liegende Vertrag vor der eigentlichen Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital abgeschlossen wird, könnte zudem argumentiert werden, dass der Mittelrückfluss vorabgesprochen sei. Anders als bei „klassischen“ Aktienemissionen unter Einschaltung von Emissionsbanken, wie etwa bei einem IPO, stellt sich diese Frage des potentiellen Mittelrückflusses hier wegen der Aktienübernahme des Finanzierungspartners in einem lediglich „einstufigen Verfahren“: Der Finanzierungspartner ist zur Zahlung eines Ausgabepreises verpflichtet, der sich am Marktpreis der Aktien abzüglich eines Abschlags orientiert69. Dies hat zur Folge, dass diese Zahlung als Einlage zur Gänze dem Kapitalaufbringungsgrundsatz unterstellt ist. Damit liegt die Situation anders als beim im Rahmen von „klassischen“ Aktienemissionen angewendeten „zweistufigen Verfahren“: Hierbei zeichnen die Emissionsbanken die neuen Aktien lediglich zum Nennbetrag (zu pari) und verpflichten sich zur späteren Auskehr des überschießenden Platzierungserlöses lediglich schuldrechtlich (schuldrechtliches Agio). Da dieses nach h. M. jedoch den Kapitalaufbringungsgrundsätzen nicht unterliegt, darf hiermit eine Verrechnung der Vergütungsansprüche der Emissionsbanken vorgenommen werden70. (1) Keine verdeckte Sacheinlage Durch den in Form der Vergütung erfolgenden Mittelrückfluss an den Finanzierungspartner verbleibt der Gesellschaft bei wirtschaftlicher Betrachtung in Höhe des Mittelrückflusses nur die durch den Finanzierungspartner geschuldete bzw. erbrachte Leistung aus der Equity-Line-Vereinbarung. Führte dieser Umstand dazu, dass die Bareinlage bei wirtschaftlicher Betrachtung und auf Grund einer dahingehend getroffenen Abrede vollständig oder teilweise als Sacheinlage zu bewerten wäre, läge eine verdeckte Sacheinlage vor (§ 27 Abs. 3 Satz 1 AktG). Das Bestehen einer entsprechenden Abrede wird bei Vorliegen eines engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs zwischen Einlageleistung und Rückgewähr vermutet71. Ob ein solcher Zusammenhang vorliegt, beurteilt sich aufgrund von Indizien im Einzelfall72. Solche Indizien sind bei
__________ 69 Dies ist dem Umstand geschuldet, dass das Risiko der Marktentwicklung gerade vom Finanzierungspartner getragen werden und nicht durch einen – ggf. verminderten Platzierungserlös – an die Gesellschaft durchgereicht werden soll. 70 Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 146; Herfs in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 4 Rz. 68; Busch in Marsch-Barner/ Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 42 Rz. 60; Peifer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 186 Rz. 109; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 186 Rz. 48. Näher zum schuldrechtlichen Agio auch Schäfer, ZGR 2008, 455, 475 ff. 71 BGHZ 125, 143; 132, 133, 139; Wiesner in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 16 Rz. 35; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 27 Rz. 30; Röhricht in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1996, § 27 Rz. 203; Bayer/Schmidt, ZGR 2009, 805, 843. 72 Vgl. Pentz in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 27 Rz. 96.
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Equity-Line-Finanzierungen wegen der zeitlichen Nähe von Vergütungszahlungen zur Entstehung der Einlageschuld73 sowie dem Umstand, dass die Leistung des Finanzierungspartners bereits vor der Durchführung der Barkapitalerhöhung vereinbart wird und damit (theoretisch) auch als (Sach-)Einlage hätte berücksichtigt werden können, grds. vorhanden. Der Finanzierungspartner erbringt im Rahmen der Equity-Line-Finanzierung allerdings eine (Finanz-)Dienstleistung74. Ob Dienstleistungen überhaupt Gegenstand einer verdeckten Sacheinlage sein können, war bislang umstritten. Aufgrund der mangelnden Sacheinlagefähigkeit von Dienstleistungen (§ 27 Abs. 2 Halbs. 2 AktG) wurde die Anwendbarkeit der Regeln über verdeckte Sacheinlagen einerseits bestritten75, andererseits unter Hinweis auf den Schutzweck dieser Normen „erst recht“ gefordert76. Zumindest für die Praxis hat der BGH diesen Streit entscheiden77. Danach kann Gegenstand einer verdeckten Sacheinlage nur eine sacheinlagefähige Leistung sein78. Diese Voraussetzungen erfüllen Verpflichtungen zu Dienstleistungen nicht79. Gleiches gilt grds. auch für Ansprüche auf Vergütung der Dienstleistung, da künftige, von einer Dienstleistung abhängige Forderungen den Dienstleistungen gleichgestellt sind80. Aufgrund dessen verneinte der BGH die Anwendbarkeit der Grundsätze über verdeckte Sacheinlagen auf Dienstleis-
__________ 73 Auch wenn die Vergütung für die Equity-Line möglicherweise bereits länger als die für den engen zeitlichen Zusammenhang üblicherweise geforderten 6 Monate zurückliegt, weisen zumindest Vergütungen, die aufgrund des jeweiligen Abrufs fällig werden, in der Regel eine enge zeitliche Nähe auf. 74 Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635, 636. So zutreffend auch Kallweit, BB 2009, 2495, 2498 f. Diese umfasst im Wesentlichen das Eingehen der vom Willen der Gesellschaft abhängigen Zeichnungsverpflichtung („Stillhalterposition in Geld“) und damit das Verfügbarhalten der für die potentielle Zeichnung erforderlichen finanziellen Mittel. Ggf. wird auch die Weiterplatzierung der neuen Aktien geschuldet. 75 Aus dem neueren Schrifttum etwa: Giedinghagen/Lakenberg, NZG 2009, 201, 203; Arnold in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 27 Rz. 92; Bayer/Lieder, NZG 2010, 86, 87. Vgl. hierzu auch den Überblick über den Streitstand bei Theusinger/Liese, NZG 2009, 641, 643 m. w. N. 76 Heidinger in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 27 Rz. 123 f.; allerdings in der Neuauflage aufgegeben: Heidinger/Benz in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 27 Rz. 146; aus dem GmbH-Recht: Pentz, GmbHR 2009, 505, 508; Winter/Westermann in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 5 Rz. 78; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 19 Rz. 35 ff. 77 Zunächst für das GmbH-Recht, BGH, DB 2009, 780 ff. („Qivive“) und schließlich auch für das Aktienrecht: BGH, DB 2010, 550 ff. („Eurobike“). 78 BGH, DB 2009, 780, 782 („Qivive“); BGH, DB 2010, 550, 552 („Eurobike“). 79 BGH, DB 2009, 780, 781 („Qivive“); BGH, DB 2010, 550, 551 f. („Eurobike“); zustimmend: Giedinghagen/Lakenberg, NZG 2009, 201, 202; Theusinger/Liese, NZG 2009, 641, 643; Kallweit, BB 2009, 2495, 2498; kritisch: Pentz, GmbHR 2009, 505, 508 f. 80 BGH, DB 2009, 780, 782 („Qivive“); BGH, DB 2010, 550, 552 f. („Eurobike“). Da die Entstehung der Vergütungsforderung von der Erbringung der Dienstleistung abhängt, ist diese ebenso mit den für die Kapitalaufbringung bestehenden Nachteilen von Dienstleistungen (z. B. mangelnde Aussonderungsfähigkeit aus dem Vermögen des Inferenten, Schwierigkeiten bei der Durchsetzung nach §§ 887, 888 Abs. 3 ZPO) „behaftet“.
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tungen und deren Vergütung. Richtigerweise darf die Rechtsordnung nachteilige Rechtsfolgen nicht an die Nichteinhaltung eines Verfahrens knüpfen, das sie für den betreffenden Vorgang nicht bereitstellt81. Entgeltliche Dienstverträge mit einem Inferenten sind daher de lege lata nicht verboten82. Die Erbringung einer Finanzdienstleistung im Rahmen einer Equity-Line-Finanzierung und deren Vergütung können daher zumindest im Grundsatz nicht zu einer verdeckten Sacheinlage führen. Davon zu unterscheiden und nicht von der neuen Rechtsprechung des BGH erfasst83, sind jedoch Fälle, in denen dem Finanzierungspartner noch aus der Zeit vor Entstehen seiner Bareinlageschuld eine offene Vergütungsforderung gegen die Gesellschaft (Altforderung) aufgrund bereits erbrachter Dienstleistungen zusteht84. Wurde die Dienstleistung erbracht, „haftet“ der korrespondierenden Vergütungsforderung nicht mehr die mit der Erbringung der Dienstleistung verbundenen Nachteile für die Kapitalaufbringung85 an. Die so vom „Makel“ der bloßen Dienstleistung befreite Forderung ist wie jede andere Forderung gegen die Gesellschaft (verdeckt) sacheinlagefähig86. Die Gesellschaft sollte daher, sofern für den Finanzierungspartner keine Ausnahme von der verdeckten Sacheinlage eingreift87, die Forderungen des Finanzierungspartners auf Vergütung seiner Dienstleistung zeitnah und vor einem Kapitalabruf begleichen88. (2) Kein Hin- und Herzahlen Vorgänge, die – wie Vergütungszahlungen aus Equity-Line-Vereinbarungen – zu einem Mittelrückfluss an den Inferenten führen, können jedoch, auch wenn
__________
81 BGH, DB 2009, 780, 782 („Qivive“); BGH, DB 2010, 550, 552 („Eurobike“); Hoffmann, NZG 2001, 433, 435. 82 BGH, DB 2009, 780, 782 („Qivive“); BGH, DB 2010, 550, 552 („Eurobike“). 83 Hier hatte der BGH hinsichtlich der „verdeckten Sacheinlagefähigkeit“ der Dienstleistungsvergütung lediglich über solche Fälle zu entscheiden, in denen der Anspruch entweder erst nach Entstehung der Einlageschuld zur Entstehung gelangte (Neuforderung) oder zwar bereits vor Begründung der Bareinlageschuld entstanden war (Altforderung), aber sogleich durch Erfüllung zum Erlöschen gebracht wurde (BGH, DB 2009, 780, 782 („Qivive“); BGH, DB 2010, 550, 552 („Eurobike“)). 84 Dies könnte etwa der Anspruch auf Provision für den Abschluss der Equity-LineVereinbarung selbst sein, sofern dieser durch die Gesellschaft noch nicht beglichen wurde. 85 Diese sind u. a. die mangelnde Aussonderungsfähigkeit aus dem Vermögen des Inferenten oder die Schwierigkeiten bei der Durchsetzung aufgrund der §§ 887, 888 Abs. 3 ZPO. 86 Vgl. zu der Frage der generellen Sacheinlagefähigkeit von Forderungen, insbesondere zu den damit verbundenen Bewertungsfragen, Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 27 Rz. 28; Röhricht in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1996, § 27 Rz. 80; Pentz in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 27 Rz. 29. 87 Hierzu sogleich unter III. 1. e) dd) (3). 88 Dann liegt eine Situation vergleichbar mit der durch den BGH entschiedenen vor. Denkbar wäre daher auch eine Vertragsgestaltung, bei der der Finanzierungspartner die Vergütung für seine Dienstleistung erst mit der Beendigung der Equity-LineVereinbarung erhält und so sämtliche Vergütungsforderungen von der vollständigen Erbringung der Gesamtdienstleistung abhängig ist.
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sie nicht als verdeckte Sacheinlage zu qualifizieren sind, als ein unzulässiges Hin- und Herzahlen anzusehen sein. Dieser, zur verdeckten Sacheinlage subsidiäre Tatbestand89, ist erfüllt, wenn es an einer Bareinlagenleistung zur freien Verfügung des Vorstands90 fehlt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Einlagebetrag absprachegemäß91 umgehend wieder an den Einleger zurückfließt oder die grds. unverzichtbare Einlageforderung gegen eine schwächere schuldrechtliche Forderung gegen den Inferenten ausgetauscht wird92. Auf eine Sacheinlagefähigkeit kommt es im Rahmen des Austauschvorgangs nicht an93. Durch seine wirtschaftliche Vergleichbarkeit steht dem Hin- und Herzahlen auch das Her- und Hinzahlen gleich, bei dem Einlagenmittel nicht an die Gesellschaft zurückfließen, sondern die Gesellschaft dem Inferenten die Einlagemittel schon vor der Zahlung der Einlage aus ihrem Vermögen zur Verfügung stellt und die Einlage des Inferenten damit finanziert94. Zu einer Ersetzung der Einlageschuld durch eine schwächere schuldrechtliche Forderung kommt es im Rahmen der Equity-Line-Finanzierung grundsätzlich nicht: Mit der Zahlung der Vergütung an den Finanzierungspartner wird keine Forderung der Gesellschaft gegen diesen begründet, sondern lediglich eine bestehende (Neu-)Forderung des Finanzierungspartners getilgt. Durch die Vergütungszahlung könnte es jedoch an der freien Verfügbarkeit der Mittel gefehlt haben, die der Finanzierungspartner als Bareinlage auf die neuen Aktien erbracht hat. Dazu müsste jedoch die Einlage des Finanzierungspartners zu seiner Bezahlung reserviert, d. h. dem Geldkreislauf der Gesellschaft vorenthalten worden sein95. Eine solche Absonderung ist aber weder durch die Equity-LineVereinbarung vorgesehen, noch findet sie in deren Umsetzung faktisch statt: Aufgrund der Ausgestaltung als Optionsvertrag steht der gesamte Vorgang des Kapitalabrufs (und damit auch seiner Vergütung) im Ermessen und unter der Kontrolle des Vorstands. Die vom Finanzierungspartner erbrachte Einlage fließt der Gesellschaft damit derart zu, dass sie uneingeschränkt für deren Zwecke verwendet werden kann. Zu Zwecken der Gesellschaft werden Einlagenmittel nach der Rechtsprechung insbesondere dann verwendet, wenn damit tatsächlich erbrachte Dienstleistungen eines Gesellschafters bezahlt werden, die die
__________ 89 Das ist im Gesetz in § 27 Abs. 4 Satz 1 nunmehr ausdrücklich klargestellt. Vgl. zum Verhältnis beider Rechtsinstitute etwa Bayer/Lieder, NZG 2010, 86, 88; Henkel, NZI 2010, 84, 85. 90 Vgl. § 54 Abs. 3 AktG. 91 Eine Vorabsprache wird – ebenso wie bei der verdeckten Sacheinlage – bei Vorliegen eines engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs zwischen Einlageleistung und Rückgewähr vermutet. Siehe hierzu auch bereits oben unter III. 1. e) dd) (1). 92 BGH, DB 2009, 780, 782 f. („Qivive“); BGH, DB 2010, 550, 553 („Eurobike“); Bayer/ Lieder, NZG 2010, 86, 87; Henkel, NZI 2010, 84, 85; Theusinger/Liese, NZG 2009, 641, 644; Giedinghagen/Lakenberg, NZG 2009, 201, 203. 93 Kallweit, BB 2009, 2495, 2499. Dies folgt bereits aus der Subsidiarität des Hin- und Herzahlens (§ 27 Abs. 4 Satz 1 AktG). 94 BGH, DB 2010, 550, 553 („Eurobike“); BGH, DB 2006, 1889; BGH, DB 2004, 1199; Pentz in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 27 Rz. 98. 95 BGH, DB 2009, 780, 783 („Qivive“); BGH, DB 2010, 550, 553 („Eurobike“).
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Gesellschaft ansonsten anderweitig hätte einkaufen müssen96. Die gezahlte Vergütung muss hierbei einem Drittvergleich standhalten und die entgoltene Dienstleistung objektiv werthaltig sein97. Die vom Finanzierungspartner angebotene Finanzdienstleistung wird im Rahmen einer Equity-Line sowohl durch das bloße Bereitstellen von Eigenkapital auf Abruf sowie ggf. im Rahmen konkreter Draw Downs tatsächlich erbracht. Diese Dienstleistung ist aus Sicht der Gesellschaft als Absicherung gegen volatile Kapitalmärkte und zur Sicherstellung einer konstanten Mittelaufnahme werthaltig. Da Equity-Line-Finanzierungen in den USA gängig und in Deutschland bereits praxiserprobt sind, kann sich die Gesellschaft, etwa durch Einholung vergleichender Angebote, mit dem Finanzierungspartner leicht auf eine Vergütung einigen, die einem Drittvergleich standhält. (3) Emissionsbankenprivileg Unabhängig von der Frage, inwieweit Dienstleistungen und deren Vergütung Gegenstand einer verdeckten Sacheinlage oder eines Hin- und Herzahlens sein können, wird bereits seit längerem über eine generelle Privilegierung von Emissionsunternehmen im Rahmen der Kapitalaufbringungsgrundsätze diskutiert98. Der BGH hat sich in mehreren Urteilen auf den Standpunkt gestellt, dass die Grundsätze der verdeckten Sacheinlage nicht gelten, wenn ein Emissionsunternehmen im Rahmen der technischen Abwicklung einer Kapitalerhöhung im Wege des mittelbaren Bezugsrechts ohne eigenes wirtschaftliches Interesse an den Aktien als fremdnütziger Treuhänder tätig wird99. Zulässig ist dann etwa die Tilgung eines durch das Emissionsunternehmen gewährten Darlehens aus Einlagemitteln, obwohl dieser Vorgang normalerweise eine verdeckte Sacheinlage darstellen würde100. Diese Privilegierung gilt, solange das Emissionsunternehmen die reine Abwicklung verfolgt101 und endet u. a. mit der Ausübung von Rechten aus den gezeichneten Aktien102, beim Erwerb der
__________ 96 BGH, DB 2009, 780, 783 („Qivive“). 97 BGH, DB 2010, 550, 553 („Eurobike“). 98 Singhof/Weber in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 3 Rz. 62 ff.; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 42 Rz. 62; Pentz in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 27 Rz. 93; Frese, AG 2001, 15 ff.; Kraft/Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 56 Rz. 111; Vaupel/Reers, AG 2010, 93, 99; Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 146; kritisch: Schäfer, ZGR 2008, 455, 479 ff. 99 BGHZ 118, 83, 96 ff. („BuM III“); BGHZ 122, 180 ff. („co op“); BGH, NJW 1995, 2486 („BuM IV“); Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 42 Rz. 62; Kraft/Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 56 Rz. 111. 100 BGHZ 118, 83, 96 ff. („BuM III“); Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 42 Rz. 62; Kraft/Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 56 Rz. 111. 101 Die Verwertung nicht bezogener Aktien wird noch als Tätigkeit im Rahmen der Abwicklung angesehen. 102 So etwa die Ausübung des Stimmrechts auf der Hauptversammlung, Frese, AG 2001, 15, 20; Schnorbus, AG 2004, 113, 121.
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Aktien im Wege des Selbsteintritts103 oder beim Einbehalt von im Rahmen der Verwertung erzielten Überschussbeträgen104. Im Schrifttum wurde bislang die analoge Anwendung dieser Privilegierung auf andere Transaktionsformen diskutiert, in denen sich ein Finanzdienstleister in ähnlicher Weise ohne eigenes wirtschaftliches Interesse auf die bloße Abwicklung einer Emission konzentriert105. Auch wenn die höchstrichterliche Rechtsprechung bislang noch nicht über eine Erweiterung des Anwendungsbereichs zu entscheiden hatte, kann der Finanzierungspartner nach richtiger Ansicht auch im Rahmen einer EquityLine-Finanzierung auf die Privilegierung zurückgreifen106, da er regelmäßig keine strategische Beteiligung anstrebt und im Rahmen seiner Finanzdienstleistung ohne wirtschaftliches Interesse an der Mitgliedschaft selbst tätig wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich der Finanzierungspartner in der EquityLine-Vereinbarung verpflichtet, die bezogenen Aktien innerhalb eines bestimmten Zeitraumes weiterzuveräußern und sämtliche (über eine angemessene Vergütung hinausgehende) Veräußerungserlöse an die Gesellschaft auszukehren. Er darf darüber hinaus die bezogenen Aktien weder durch einen „Selbsteintritt“ erwerben, noch Gesellschafterrechte aus den Aktien ausüben. ee) Registerverfahren Sind alle Aktien der auszugebenden Tranche gezeichnet und die Einlagen erbracht worden, ist die Durchführung der Kapitalerhöhung vom Vorstand gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden (§§ 203 Abs. 1, 188 AktG). Mit der Anmeldung der Durchführung wird in der Regel auch die Neufassung des Satzungswortlauts eingereicht, die durch das Unrichtigwerden des bisherigen Wortlauts u. a. in den Regelungen über die Höhe des Grundkapitals, der Zahl der Aktien und des genehmigten Kapitals erforderlich wird (§ 181 Abs. 1 Satz 2 AktG). Eine Pflicht, in der Anmeldung der Durchführung der Kapitalerhöhung (vorsorglich) sämtliche Begleitumstände der Kapitalerhöhung, wie etwa das Bestehen einer Equity-Line-Vereinbarung, offen zu legen, besteht grundsätzlich nicht107. Weder kann eine solche Pflicht auf § 27 Abs. 4 Satz 2
__________ 103 BGHZ 118, 83, 99 („BuM III“); Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 42 Rz. 62. Dies ist möglicherweise bereits dann gegeben, wenn sich das Emissionsunternehmen nicht mehr um eine zeitnahe Platzierung bemüht und sich damit mit der Rolle als Aktionär abfindet. 104 BGH, NJW 1995, 2486 („BuM IV“); BGHZ 118, 83, 98 („BuM III“). Diese müssten, um die Privilegierung zu erhalten, an die Gesellschaft abgeführt werden, vgl. auch Schnorbus, AG 2004, 113, 120 f. 105 Genannt werden hier etwa Kapitalerhöhungen unter Ausschluss des Bezugsrechts, Stabilisierung und Kurspflegemaßnahmen, Umplatzierungen oder Fälle des Hard Underwritings, vgl. Schnorbus, AG 2004, 113, 114; Kraft/Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 56 Rz. 111; Kallweit, BB 2009, 2495, 2498; Vaupel/Reers, AG 2010, 93, 99. 106 Kallweit, BB 2009, 2495, 2498. 107 So aber offenbar Kallweit, BB 2009, 2495, 2497.
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AktG108 noch auf die Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht im Registerverfahren (§ 27 Abs. 2 FamFG)109gestützt werden. Die Prüfung durch das Registergericht erfolgt ausschließlich anhand der bei der Anmeldung abgegebenen Erklärungen und eingereichten Urkunden, von deren Richtigkeit das Gericht auszugehen hat110. Ergeben sich aufgrund einer Plausibilitätskontrolle daran begründete Zweifel, sind von Amts wegen weitere Nachforschungen anzustellen (Amtsermittlungsgrundsatz, § 26 FamFG)111. Hierzu darf auch die Vorlage weiterer Unterlagen (etwa die mit dem Inferenten bestehende Equity-LineVereinbarung) verlangt werden112. Unabhängig von der Frage des Bestehens einer Offenbarungspflicht bietet es sich in der Praxis jedoch grundsätzlich an, Kapitalmaßnahmen im Vorfeld eng mit dem zuständigen Registergericht abzustimmen um den reibungslosen Ablauf des Verfahrens sicherzustellen. ff) Berichtspflichten im Zusammenhang mit der Durchführung Nach h. M. berichtet der Vorstand im Nachhinein über die durchgeführte Kapitalerhöhung auf der nächsten ordentlichen Hauptversammlung113. Unmittelbar vor der Durchführung der Kapitalerhöhung ist der Vorstand zur Berichterstattung nicht verpflichtet114. 2. Einsatz eigener Aktien Alternativ zur Ausgabe von neuen Aktien aus genehmigtem Kapital können Equity-Line-Finanzierungen mit eigenen Aktien unterlegt werden. Deren Veräußerung bietet eine erhöhte Flexibilität, da diese aufgrund des um die Han-
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108 Eine solche Pflicht könnte sich überhaupt nur dann ergeben, wenn es im Rahmen der Equity-Line-Finanzierung tatsächlich zu einem Hin- und Herzahlen käme. Dies ist jedoch nach den oben, unter III. 1. e) dd) (2) dargestellten Rechtsprechungsgrundsätzen nicht der Fall. 109 Die Vollständigkeitspflicht stellt lediglich eine allgemeine Ergänzung der Wahrheitspflicht insoweit dar, als dass ein Beteiligter den Sachverhalt nicht durch bewusst und gezielt lückenhaftes Vorbringen verfälschen darf, vgl. Prütting in Prütting/Helms, FamFG, 2009, § 27 Rz. 14. Von einer Verfälschung des Sachverhaltes kann jedoch keinesfalls ausgegangen werden, wenn die Gesellschaft von der ordnungsgemäßen Kapitalaufbringung überzeugt ist und die aktiengesetzlichen Anforderungen an den Inhalt der Anmeldung der Kapitalerhöhung erfüllt. 110 OLG Karlsruhe, DB 2002, 889; Happ in Happ, Aktienrecht, 3. Aufl. 2007, 12.01 Rz. 34; Krafka/Willer/Kühn, Registerrecht, 8. Aufl. 2010, S. 52 Rz. 159. 111 OLG Karlsruhe, DB 2002, 889; Happ in Happ, Aktienrecht, 3. Aufl. 2007, 12.01 Rz. 34; Krafka/Willer/Kühn, Registerrecht, 8. Aufl. 2010, S. 52 Rz. 159. 112 BayObLG, ZIP 2002, 1484, 1485 f.; Happ in Happ, Aktienrecht, 3. Aufl. 2007, 12.01 Rz. 34. 113 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 43 Rz. 38; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 45; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 203 Rz. 37. Str. ist, inwieweit ein Bericht stattdessen bzw. daneben auch im Anhang des Jahresabschlusses erstattet werden kann bzw. muss, vgl. hierzu Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 45 mit Fn. 98, Strauß, AG 2010, 192, 198. 114 BGH, NZG 2006, 18 ff. („Mangusta/Commerzbank I“); Busch in Marsch-Barner/ Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 43 Rz. 38; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 58 Rz. 45; Strauß, AG 2010, 192, 198.
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delsregisteranmeldung schlankeren Verfahrens und die bereits bestehende Börsenzulassung, leichter und schneller als die Ausgabe junger Aktien aus genehmigten Kapital erfolgen kann. Zudem stellen sich die vorstehend dargestellten Fragen der Kapitalaufbringung bei der Ausgabe junger Aktien nicht. a) Der Erwerb eigener Aktien Eigene Aktien der Gesellschaft werden üblicherweise aufgrund einer Rückkaufermächtigung der Hauptversammlung erworben (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG)115. Diese höchstens für fünf Jahre gewährbare (vor dem Rückkauf zu erteilende) Ermächtigung legt u. a. den niedrigsten und höchsten für die Aktien zu leistenden Gegenwert, den maximal zurückzuerwerbenden Anteil am Grundkapital (höchstens 10 %) sowie die übrigen Parameter des Rückkaufprogramms für den Vorstand fest. Da der Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung keine Satzungsänderung darstellt, kann dieser (abgesehen von einem gleichzeitig erfolgenden Bezugsrechtsausschluss) grds. mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst werden116. Eine Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister ist weder erforderlich noch möglich117. b) Vorgaben zur Verwendung und Veräußerung Die Hauptversammlung ist nicht verpflichtet, dem Vorstand Erwerbszwecke für die eigenen Aktien vorzugeben118. Dessen ungeachtet hat die Hauptversammlung allerdings das Recht, solche Vorgaben zu machen119. Diese sind bindend120 und dürfen somit einer Verwendung im Rahmen von Equity-LineFinanzierungen nicht entgegenstehen. c) Bezugsrechtsausschluss Auf eigene Aktien steht den Aktionären kraft Gesetzes grundsätzlich ein dem Bezugsrecht auf neue Aktien ähnliches Erwerbsrecht zu, da die Veräußerung
__________ 115 Zu den weiteren Möglichkeiten des Erwerbs eigener Aktien vgl. die übrigen Alternativen in § 71 Abs. 1 AktG und hierzu Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 71 Rz. 7 ff. 116 § 133 Abs. 1 AktG; vgl. Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 71 Rz. 124; Oechsler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 71 Rz. 193; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 71 Rz. 110; Merkt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2007, § 71 Rz. 259. 117 Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 71 Rz. 124; Schäfer/Gätsch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 50 Rz. 27; Oechsler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 71 Rz. 193. 118 Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 71 Rz. 138; Oechsler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 71 Rz. 206; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 71 Rz. 93. 119 Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 71 Rz. 138; Oechsler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 71 Rz. 207; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 71 Rz. 96. 120 Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 71 Rz. 138; Oechsler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 71 Rz. 207.
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eigener Aktien teilweise eine ähnliche (Verwässerungs-)Wirkung wie die Ausgabe neuer Aktien entfaltet121. Wie beim genehmigten Kapital ermächtigen die meisten in der Praxis verbreiteten Ermächtigungen den Vorstand allerdings entsprechend § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG zum erleichterten Ausschluss des „Bezugsrechts“ bei der Veräußerung der eigenen Aktien. Erwerbsermächtigung und Bezugsrechtsausschluss haben (sicherheitshalber) in einem Beschluss zu erfolgen122. Dieser bedarf zusätzlich zu der bereits genannten einfachen Stimmenmehrheit einer zusätzlichen Kapitalmehrheit von 75 % des bei Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals (§ 186 Abs. 3 Satz 1 AktG). Da nach verbreiteter Auffassung im Rahmen des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG eine gegenseitige Anrechnung von erleichterten Bezugsrechtsausschlüssen anderer Maßnahmen stattfindet123, ist es nicht möglich, dem Finanzierungspartner mehr als 10 % des Grundkapitals, etwa in Form von eigenen Aktien und jungen Aktien aus genehmigtem Kapital erleichtert bezugsrechtsfrei zur Verfügung zu stellen. Die oben im Rahmen der Schaffung und Ausnutzung eines genehmigten Kapitals gemachten Ausführungen zu den weiteren sich in Bezug auf die 10 %-Grenze stellenden Fragen (z. B. das mehrfache unterjährige Ausnutzen oder Erteilen)124 gelten hier, ebenso wie auch die übrigen Ausführungen zu den Voraussetzungen des erleichterten Bezugsrechtsausschlusses (z. B. Erstattung eines Vorstandsberichts)125, entsprechend. Soll die Equity-Line mit einem größeren Volumen als 10 % des Grundkapitals unterlegt werden, kann diese jedoch – auch im Hinblick auf die (zusätzliche) Verwendung eigener Aktien – wie oben dargestellt als Bezugsrechtsemission strukturiert werden126. d) Die Equity-Line-Vereinbarung als Derivat auf eigene Aktien Wie oben dargestellt, verpflichtet der Abschluss der Equity-Line-Vereinbarung den Finanzierungspartner, auf Verlangen der Gesellschaft deren Aktien abzunehmen und bildet damit wirtschaftlich den Erwerb einer Put-Option durch
__________ 121 Diese sind in der Gesamtbetrachtung zwar geringer als bei der Ausgabe neuer Aktien, da etwa eine Stimmrechtsverwässerung durch die Ausgabe alter Aktien schon dadurch nicht eintritt, dass lediglich der Status Quo vor dem Rückkauf wieder hergestellt wird. Zu den Auswirkungen dieses Umstands und dem Wesen des „Erwerbsrechts“ vgl. Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 71 Rz. 176; Oechsler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 71 Rz. 247 ff.; Merkt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2007, § 71 Rz. 81. 122 Auch wenn im Ergebnis Zweifel an diesem Erfordernis bestehen, sollte die Praxis der Transaktionssicherheit wegen den Auffassungen von Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 71 Rz. 180 und Oechsler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 71 Rz. 256 durch eine entsprechende Gestaltung Rechnung tragen. Vgl. zu den Argumenten, die gegen das Erfordernis sprechen: Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635, 637 mit Fn. 20. 123 Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 71 Rz. 183; Cahn in Spindler/ Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 71 Rz. 143. Näheres zur Anrechnung siehe oben bereits unter III. 1. e) dd) (1) (1c). 124 Siehe oben unter III. 1. c) und d). 125 Siehe oben unter III. 1. a) ff) und b) aa) sowie III. 1. e) bb) (1). 126 Siehe oben unter III. 1. e) cc).
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die Gesellschaft ab. Ist vorgesehen, dass die Gesellschaft dem Finanzierungspartner bei einem Abruf (auch) eigene Aktien andienen darf, erhält die Finanzierungsvereinbarung den Charakter einer Option auf eigene Aktien. Der Einsatz von solchen Instrumenten wirft grundsätzlich die Frage nach der Anwendbarkeit der §§ 71 ff. AktG auf127. aa) Vorverlagerung des Anwendungszeitpunktes der §§ 71 ff. AktG Im Schrifttum wird teilweise die Vorverlagerung der Voraussetzungen und Beschränkungen der Veräußerung eigener Aktien auf den Abschluss eines Optionsvertrags über eigene Aktien diskutiert, sofern die Option derart ausgestaltet ist, dass die Gesellschaft die Kontrolle über die Ausübung der Option aus der Hand gibt128. Anders als etwa bei der Veräußerung einer Kaufoption, bei der es der Vertragspartner in der Hand hat, die Lieferung eigener Aktien von der Gesellschaft zu verlangen, führt der Erwerb einer Verkaufsoption durch die Gesellschaft jedoch nicht zu einem solchen Ergebnis: Sie selbst entscheidet, ob und wann die Lieferung eigener Aktien an den Vertragspartner erfolgt. Dieser Umstand führt dazu, dass der Abschluss des Optionsvertrages (hier der EquityLine-Vereinbarung) nicht mit der Veräußerung eigener Aktien gleichzusetzen ist129. bb) Ausübung der Option Indessen kommt es durch die Ausübung der Option zur Veräußerung eigener Aktien. Der Vorstand darf den Draw Down daher nur dann vornehmen, wenn die Veräußerung von der entsprechenden Hauptversammlungsermächtigung gedeckt ist und das Bezugsrecht entsprechend (erleichtert) ausgeschlossen wurde. Dabei ist auch an dieser Stelle sicherzustellen, dass die Voraussetzungen des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG gewahrt sind, sofern auf diesen zurückgegriffen wurde. Die oben zum erleichterten Bezugsrechtsausschluss gemachten Ausführungen gelten hier entsprechend, d. h. insbesondere darf der dem Finanzierungspartner gewährte Discount im Vergleich zum aktuellen Marktpreis 3–5 % nicht überschreiten130. cc) Geschäftsführungsbefugnis zum Abschluss von Optionsgeschäften Optionsgeschäfte beinhalten stets ein spekulatives Element, da sie in der Erwartung einer bestimmten Entwicklung des zugrunde liegenden Basiswertes abgeschlossen werden. Der Vorstand handelt dann nicht pflichtwidrig und ist zum Abschluss eines solchen Spekulationsgeschäftes grundsätzlich befugt,
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127 Siehe hierzu ausführlich Cahn in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 71 Rz. 185 ff. 128 Cahn in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 71 Rz. 205; spiegelbildlich für den Einsatz von Derivaten beim Erwerb: Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 71 Rz. 36; Oechsler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 71 Rz. 81. 129 So für den Erwerb einer Put-Option auch Cahn in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 71 Rz. 209. 130 Siehe oben unter III. 1. e) bb) (1).
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solange er sich damit innerhalb des Unternehmensgegenstandes hält und keine unverhältnismäßigen Risiken eingeht131. Wird eine Option auf eigene Aktien der Gesellschaft begeben, ist zusätzlich das Verbot des Handels in eigenen Aktien zu beachten (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 AktG). Der sich hieraus ergebende allgemeine Rechtsgedanke, dass die Gesellschaft eigene Aktien grundsätzlich nicht einsetzen darf, um Trading-Gewinne zu erzielen132, gilt auch bzw. wegen der möglicherweise erzielbaren Hebelwirkung „erst recht“ auch für den Abschluss von Optionsverträgen auf eigene Aktien. Einer Equity-Line-Vereinbarung liegt bei Einräumung der Put-Option für die Gesellschaft aber weder eine solche Gewinnerzielungsabsicht noch ein unzulässiges Spekulationsgeschäft zugrunde: Das Andienungsrecht garantiert der Gesellschaft die flexible Aufnahme von Eigenkapital und dient somit der Absicherung gegen das Risiko nicht ausreichend aufnahmefähiger oder volatiler Kapitalmärkte. Das Verlustrisiko der Gesellschaft beschränkt sich im Wesentlichen auf die im Vorfeld feststehende Vergütung des Finanzierungspartners. Die Gesellschaft ist daher auch keinen unnötigen oder spekulativen Kostenrisiken ausgesetzt. Sofern die Erlöse aus dem abgerufenen Eigenkapital auch wie geplant für Zwecke der Gesellschaft verwendet werden, liegt die Maßnahme daher alleine im Gesellschaftsinteresse. Ein unzulässiges Spekulationsgeschäft liegt mit dem Abschluss einer Equity-Line-Vereinbarung daher grundsätzlich nicht vor.
IV. Kapitalerhaltung Leistungsbeziehungen der Gesellschaft zu ihren Aktionären bergen ein potentiell erhöhtes Risiko des ungerechtfertigten Mittelabflusses und unterliegen daher einer besonderen Kapitalerhaltungskontrolle. So darf Aktionären aus dem Gesellschaftsvermögen grundsätzlich nur der Bilanzgewinn ausgeschüttet und Einlagen nicht zurückgewährt werden (§ 57 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AktG). Ein absolutes Verbot von Rechtsgeschäften zwischen Gesellschaft und Aktionären ist damit nicht verbunden. Eine Einlagenrückgewähr liegt insbesondere dann nicht vor, wenn das Geschäft einem Drittvergleich standhält; hierfür müssen die Leistung der Gesellschaft und die Gegenleistung durch den Aktionär objektiv ausgewogen sein133. Bei Abschluss einer Equity-Line-Vereinbarung ist der Finanzierungspartner regelmäßig noch nicht Aktionär. Equity-Line-Vereinbarungen sind jedoch auf den Erwerb der Aktionärsstellung durch den Finanzierungspartner gerichtet. Das Verbot der Einlagenrückgewähr findet auch gegenüber künftigen Aktionä-
__________ 131 BGHZ 119, 305, 332; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rz. 58; Oechsler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 71 Rz. 84. 132 RegBegr. BT-Drucks 13/9712, S. 13; Lutter/Drygala in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 71 Rz. 153 ff.; Oechsler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 71 Rz. 214; Cahn in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 71 Rz. 111 ff.; Merkt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2007, § 71 Rz. 275 ff. 133 Bayer in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 57 Rz. 31 ff.; Henze in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2000, § 57 Rz. 40 ff.; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 57 Rz. 8 ff.; Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1998, § 57 Rz. 15 ff.
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ren Anwendung, wenn zwischen der Erlangung der Aktionärsstellung und der Vornahme einer Leistung aus dem Gesellschaftsvermögen ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht134. Ein solcher Zusammenhang ist im Rahmen einer Equity-Line-Finanzierung typischerweise gegeben, da der Finanzierungspartner eine Vergütung (auch) für die alsbald erfolgende Übernahme der Aktien und damit gerade im Hinblick auf den Erwerb der Aktionärsstellung erhält. Die Gesellschaft darf eine Equity-Line-Finanzierung daher nur zu Drittkonditionen, d. h. gegen eine angemessene Vergütung in Anspruch nehmen. Diese Vorgabe erfüllt der Vorstand, solange er die Equity-Line-Vereinbarung maximal zu den für diese geltenden Marktpreisen abschließt135.
V. Inhalt der Equity-Line-Vereinbarung Nachfolgend sollen die wesentlichen Regelungsgegenstände der Equity-LineVereinbarung skizziert werden136. 1. Laufzeit Die Equity-Line-Vereinbarung wird regelmäßig mit einer Laufzeit abgeschlossen, die maximal derjenigen der zugrunde liegenden Ermächtigungen entspricht137. Bei Unterlegung mit genehmigtem Kapital oder eigenen Aktien beträgt diese bis zu fünf Jahren (§ 202 Abs. 1 und 2, § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 AktG). Sofern eine Ermächtigung zum erleichterten Bezugsrechtsausschluss mehrfach ausgenutzt werden soll, kann eine Laufzeitverlängerung von der Erneuerung der Ermächtigung durch die Hauptversammlung abhängig gemacht werden138. Führt die Equity-Line-Finanzierung zur einer Prospektpflicht139, könnte eine Laufzeitverlängerung über die 12 Monate begrenzten Gültigkeitsdauer des Prospektes (§ 9 Abs. 1 WpPG) hinaus unter die Bedingung der Neuerstellung und -einreichung des Prospektes gestellt werden. Üblicherweise endet die Equity-Line-Vereinbarung entweder durch Zeitablauf oder – unter Umständen vorzeitig – dann, wenn der vom Finanzierungspartner zugesagte
__________ 134 Bayer in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 57 Rz. 57; Henze in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2000, § 57 Rz. 80; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 57 Rz. 14; Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1998, § 57 Rz. 40. 135 Bayer in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 57 Rz. 38; Henze in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2000, § 57 Rz. 41; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 57 Rz. 9; Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1998, § 57 Rz. 17. Siehe zum Drittvergleich auch bereits schon oben unter III. 1. e) dd) (2). 136 Siehe hierzu ausführlich Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635, 640 ff. sowie von Dryander, Börsenzeitung v. 23.6.2010, S. 2 und von Ilberg/Göhring, Going Public „Kapitalmarktrecht 2010“, S. 74 f. 137 Die Laufzeiten der Equity-Lines der SYNGIS Pharma AG und der MediGene AG betrugen beide 36 Monate; siehe hierzu die (Ad-hoc) Mitteilungen der MediGene AG vom 22.12.2008 und der SYGNIS Pharma AG v. 19.10.2009. 138 Zur Zulässigkeit der wiederholten Ausnutzung einer (alten) Ermächtigung siehe oben unter III. 1. d). 139 Siehe hierzu unten unter VI. 2.
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Maximalbetrag der Finanzierung (aggregate investment amount)140 durch den Abruf der Gesellschaft erreicht wurde141. 2. Abruf des Kapitals Der Finanzierungspartner ist verpflichtet, auf die Abrufmitteilung der Gesellschaft hin (draw down notice) entweder einen den Vorgaben des § 185 AktG entsprechenden Zeichnungsschein für die neuen Aktien aus genehmigtem Kapital zu übergeben oder, im Fall der Unterlegung der Equity-Line mit eigenen Aktien, dieser ein Angebot auf Abschluss eines entsprechenden Kaufvertrages zu machen142. Auf den Zugang einer korrespondierende Annahmeerklärung der Gesellschaft hinsichtlich des Zeichnungs- oder Kaufvertrags wird nach § 151 BGB verzichtet. Mit Zustandekommen des Vertrags wird der Finanzierungspartner zur Leistung des Ausgabebetrages für die neuen Aktien bzw. des Kaufpreises für die eigenen Aktien verpflichtet. Die Equity-Line-Vereinbarung enthält neben dem Gesamtvolumen der Finanzierung in der Regel Mindest- und Maximalvolumina sowohl für den einzelnen Draw Down wie auch für bestimmte Zeitperioden (minimum und maximum draw down amount). Um die Preisbestimmung bei einem Draw Down zu vereinfachen, wird dessen Übermittlung oftmals nur an Börsenhandelstagen gestattet und darüber hinaus für solche Zeiträume ausgeschlossen, in denen der Handel in Aktien der Gesellschaft oder an dem betreffenden Markt insgesamt ausgesetzt oder länger als nur unerheblich unterbrochen ist. 3. Exklusivitätsabrede Teilweise sehen Equity-Line-Vereinbarungen eine Pflicht der Gesellschaft vor, den zur Unterlegung vorgesehenen Teil eines genehmigten Kapitals für den Finanzierungspartner zu reservieren, d. h. diesen nicht anderweitig zu verwenden143. Teilweise wird vertreten, dass die Durchführung einer Kapitalerhöhung wegen ihres satzungsändernden Charakters nicht zum Gegenstand schuldrechtlicher Verpflichtungen gemacht werden dürfe und alleine der Entscheidungskompetenz der Hauptversammlung vorbehalten werden müsse144. Diese Bedenken könnten auch eine Exklusivitätsabrede betreffen, da diese die schuldrechtliche Verpflichtung begründet, die Kapitalerhöhung nur in einer
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140 Der Maximalbetrag wird regelmäßig unter 30 % liegen, da der Finanzierungspartner ansonsten zur Abgabe eines Pflichtangebotes nach § 35 WpÜG verpflichtet wäre. 141 Das Erreichen dieses Betrags wird regelmäßig als auflösende Bedingung ausgestaltet. 142 Bei Verwendung eigener Aktien bietet sich eine lediglich schuldrechtlich (und nicht dinglich) ausgestaltete Option an, da die wesentlichen essentialia negotii für den Kaufvertrag typischerweise erst bei einem Draw Down aufgrund einer Ermächtigung nach § 315 BGB (Leistungsbestimmungsrecht) konkretisiert werden (z. B. Volumen, Ausgabepreis) und erst auf dieser Basis die spätere Übereignung stattfindet. 143 Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635, 640. 144 Herfs in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 4 Rz. 66; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 56 Rz. 11; Bayer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 202 Rz. 35; Seibt/Wunsch, Konzern 2009, 195, 206.
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bestimmten Art und Weise (d. h. nur gegenüber dem Finanzierungspartner) durchzuführen. Dagegen lässt sich im Rahmen eines genehmigten Kapitals argumentieren, dass dessen Ausnutzung eine Geschäftsführungsmaßnahme ist, die der Vorstand ohne Beteiligung der Hauptversammlung, und damit ohne Konflikt mit der Organverfassung der Gesellschaft durchführen kann145. Darüber hinaus wenden sich die Vertreter der genannten Auffassung gegen die schuldrechtliche Pflicht zur tatsächlichen Durchführung einer Kapitalerhöhung. Mit dieser ist die bloße Verpflichtung, ein genehmigtes Kapital nicht anderweitig zu verwenden, jedoch nicht vergleichbar. Dies befreit den Vorstand freilich nicht davon, die längerfristige Eingehung einer solchen Verpflichtung nach pflichtgemäßem Ermessen abzuwägen146. Sofern die Hauptversammlung den Vorstand zum Ausschluss des Bezugsrechts ermächtigt hat, muss der Vorstand nach richtiger Ansicht auch keine Vorbehalte hinsichtlich des Bezugsrechts der Altaktionäre in die Exklusivitätsvereinbarung aufnehmen (§ 187 Abs. 1 AktG)147. Schließlich wird die Equity-Line-Vereinbarung – wie im Regelfall – erst nach der Beschlussfassung der Hauptversammlung über das genehmigte Kapital abgeschlossen; da beim genehmigten Kapital der Ermächtigungsbeschluss an die Stelle des Kapitalerhöhungsbeschluss tritt, steht dann auch § 187 Abs. 2 AktG einer Exklusivitätsabrede nicht entgegen148. Das Vorstehende gilt entsprechend bei Verwendung eigener Aktien149. 4. Preisgarantien Um die Eigenkapitalaufnahme möglichst kalkulierbar zu gestalten und den zu erzielenden Erlös weiter von der Entwicklung des Marktes abzukoppeln, kann die Gesellschaft mit dem Finanzierungspartner einen Mindestabnahmepreis für die Aktien vereinbaren (back stop price oder floor)150. Für diese Übernahme des Risikos sinkender Kurse wird jedoch regelmäßig eine hohe Prämie zu entrichten sein151.
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145 Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635, 640 f.; v. Falkenhausen/Bruckner, AG 2009, 732, 734; Technau, AG 1998, 445, 457; kritisch hierzu: Bayer in MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2005, § 202 Rz. 35. 146 Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635, 640 f.; v. Falkenhausen/Bruckner, AG 2009, 732, 736. 147 Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635, 640 f.; v. Falkenhausen/Bruckner, AG 2009, 732, 734. 148 Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635, 640 f.; v. Falkenhausen/Bruckner, AG 2009, 732, 734. 149 In der Vereinbarung einer solchen Abrede ist der Vorstand bereits dann frei, wenn man § 187 AktG (etwa aufgrund des fehlenden Verweises in § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG) als auf eigene Aktien nicht anwendbar ansieht. Bejaht man die Anwendbarkeit, findet das oben Dargestellte zumindest entsprechende Anwendung und führt zu einem entsprechenden Ergebnis, vgl. Wieneke, NZG 2004, 61, 64. 150 Zur Unterlegung der Equity-Line mit nicht bezogenen Aktien aus einer Bezugsrechtsemission mit Backstop-Vereinbarung, siehe oben III. 1. e) cc). 151 Insbesondere bei der Veräußerung eigener Aktien sind zuweilen strukturierte Instrumente anzutreffen (sog. „variable forwards“), bei denen dieser erhöhte Optionspreis durch die „Veräußerung der Gewinnchance“ bei einem Kursanstieg (etwa in Form einer entsprechend ausgestalteten Kaufoption, sog. „upside potential“) er-
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5. Begrenzung des Übernahmerisikos In die Equity-Line-Vereinbarung werden regelmäßig Schutzmechanismen aufgenommen, die das Übernahmerisiko des Finanzierungspartner begrenzen sollen. So wird die Wirksamkeit des einzelnen Kapitalabrufs typischerweise vom Nichteintritt eines die allgemeine Marktverfassung erheblich störenden Ereignisses (force majeure event) oder einer wesentlich nachteiligen Veränderung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft (material adverse change) sowie der Richtigkeit der gegebenen Zusicherungen und Garantien (representations und warranties) und der ordnungsgemäßen Erfüllung der Zulassungsfolgepflichten abhängig gemacht. 6. Kosten und Gebühren Die Transaktionskosten, d. h. insbesondere die Kosten- und Gebühren für ein Börsenzulassungs- und ggf. auch für ein Prospektbilligungsverfahren152 sowie die beiderseitige rechtliche Beratung, werden üblicherweise der Gesellschaft zugewiesen. Darüber hinaus wird teilweise eine Ausgleichszahlung für den Fall vereinbart, dass die Gesellschaft die Equity-Line nicht in Anspruch nimmt (commitment fee). Sie ist die unmittelbare Gegenleistung für die jederzeitige Abnahmebereitschaft des Finanzierungspartners durch die dieser ständig Liquidität im Hinblick auf einen möglichen Abruf vorhalten muss. Solange die Ausgleichszahlung diese Leistung des Finanzierungspartners angemessen vergütet, liegt kein unzulässiger (faktischer) Zwang zur Ausnutzung des genehmigten Kapitals vor153.
VI. Prospektpflicht und Börsenzulassung 1. Börsenzulassung Um die Zulassung der jungen Aktien aus der Equity-Line zum regulierten Markt zu erhalten, stellt die Gesellschaft gemeinsam mit einem Emissions-
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bracht wird. Wirtschaftlich entspricht diese Kombination einem sog. „EquityCollar“, bei dem die Gesellschaft aufgrund der Kombination eines floors mit einem cap (nur noch) im Rahmen eines nach unten und oben begrenzten Kurskorridors profitiert. Diese Konstruktion wirft weitere zusätzliche Rechtsfragen u. a. im Rahmen der Voraussetzungen des Bezugsrechtsausschluss, der Einlagenrückgewähr und der Financial Assistance auf. 152 Für die Billigung und Hinterlegung eines einteiligen Prospekts durch die BaFin fallen gemäß Ziffer 7 des Gebührenverzeichnisses, Anlage zu § 2 Abs. 1 WpPGebV (BGBl. I 2005, S. 1875), Gebühren in Höhe von 4.000 Euro an. Durch die Zulassung der Aktien zum Handel am regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse entstehen weitere Kosten in Höhe von 3000 Euro Zulassungsgebühr gemäß § 11 Abs. 1 i. V. m. Tabelle IV GebührenO (FWB) v. 1.1.2010 und 2.500 Euro Einführungsgebühr gemäß § 14 Abs. 1 i. V. m. Tabelle VII GebührenO (FWB). 153 Wird die Ausgleichszahlung im Vergleich zu den übrigen Vergütungskomponenten der Equity-Line zu hoch angesetzt, könnten sich die oben unter V. 3. dargestellten Fragen hinsichtlich der Zulässigkeit einer Verpflichtung der Gesellschaft zur Ausnutzung eines genehmigten Kapitals auch hier stellen.
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begleiter154 einen Antrag bei der Geschäftsführung der jeweiligen Börse (§ 32 Abs. 2 Satz 1 BörsG). Für die Aufnahme der Aktien in ein besonderes Börsensegment, wie etwa den Prime Standard der Frankfurter Wertpapierbörse, bedarf es eines zusätzlichen Antrags155. Sofern eigene Aktien an den Finanzierungspartner veräußert werden, erübrigt sich eine Zulassung, da diese bei existierenden Aktien bereits vorliegt. Die Zulassung setzt in materieller Hinsicht das Vorliegen der allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen der §§ 1 bis 12 BörsZulV und grds. die Veröffentlichung eines von der BaFin gebilligter Börsenzulassungsprospektes voraus156. Zeitlich sind für das Zulassungsverfahren etwa 5 bis 10 Tage einzuplanen157. Verzögerungen können durch die Stellung des Zulassungsantrags bereits im Vorfeld vermieden werden158. 2. Prospektpflicht a) Prospektpflicht anlässlich der Zulassung aa) Zulassung von weniger als 10 % der bereits zugelassenen Aktien Die Zulassung der Wertpapiere zum regulierten Markt setzt, wie oben bereits dargestellt, zwar grds. die Veröffentlichung eines Börsenzulassungsprospektes voraus (§ 3 Abs. 3 WpPG). Die Zulassung von Aktien, die über einen Zeitraum von zwölf Monaten weniger als zehn Prozent der Zahl der bereits zugelassenen Aktien derselben Gattung ausmachen, ist jedoch prospektfrei möglich (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 WpPG)159. Auf diese Ausnahme kann auch im Rahmen der EquityLine-Finanzierung zurückgegriffen werden160. Der Referenzwert für die Bestimmung der dabei maßgeblich 10 %-Schwelle wird durch die Anzahl der zugelassenen Aktien zum Zeitpunkt der gewünschten Zulassung bestimmt161. Daraus folgt, dass jede Nutzung der 10 %-Ausnahme eine zwölfmonatige Frist in Gang setzt, innerhalb derer maximal zehn Prozent minus eine Aktie des zu diesem Zeitpunkt zugelassenen Aktienbestands prospektfrei zugelassen wer-
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154 Bei dem Emissionsbegleiter muss es sich um ein Kreditinstitut, einen Finanzdienstleister oder ein nach § 53 Abs. 1 Satz 1 oder § 53b Abs. 1 Satz 1 KWG tätiges Unternehmen handeln. Besitzt der Finanzierungspartner selbst die Befähigung zum Emissionsbegleiter, kann mit ihm die Zulassung beantragt werden. 155 § 42 Abs. 1 BörsG i. V. m. § 63 Abs. 1 Satz 1 BörsO (FWB). Die Geschäftsführung prüft hiernach u. a., ob Umstände bekannt sind, wonach der Emittent die Zulassungsfolgepflichten des Prime Standard nicht erfüllen kann. 156 Vgl. § 32 Abs. 3, 4 BörsG und § 3 Abs. 3 WpPG. 157 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 9 Rz. 55. Das Verfahren wurde durch das Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz deutlich gestrafft. 158 Schlitt/Schäfer, AG 2007, 227, 228 f. 159 Anders als beim vereinfachten Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG beträgt das Volumen hier maximal 10 %-1 Aktie, vgl. Meyer in Habersack/ Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 30 Rz. 9. 160 von Ilberg/Göhring, Going Public „Kapitalmarktrecht 2010“, S. 74; von Dryander, Börsen-Zeitung v. 23.6.2010, S. 2. 161 Schlitt/Schäfer in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, Kommentar zum WpPG/ VerkProspG, 2. Aufl. 2010, § 4 Rz. 40.
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den dürfen162. Werden eigene Aktien im Rahmen der Equity-Line-Finanzierung eingesetzt, so ist deren Veräußerung an den Finanzierungspartner auf die maßgebliche 10 %-Grenze freilich nicht anzurechnen, da diese bereits zugelassen sind163. bb) Zulassung von mehr als 10 % der bereits zugelassenen Aktien Übersteigt das Volumen neuer Aktien aus der Equity-Line 10 % der bereits zugelassenen Aktien, haben die Zulassungsantragsteller grds. einen Prospekt zu veröffentlichen (§ 3 Abs. 3 WpPG). Sofern die Equity-Line als Bezugsrechtsemission strukturiert wird164, kann allerdings eine Ausnahme von der Prospektpflicht genutzt werden: Sofern neue Aktien ausschließlich im Kreis der Altaktionäre angeboten werden, kann auch die Zulassung von mehr als 10 % des Grundkapitals prospektfrei erfolgen (§ 4 Abs. 2 Nr. 7 WpPG)165. Bei Berufung auf diese Ausnahme sollten nicht bezogene Aktien sicherheitshalber nicht an Dritte abgegeben werden, da hiermit die Grenzen des Bezugs ausschließlich im Kreis der Altaktionäre verlassen würden. Zur Übernahme der verbleibenden Aktien durch den Finanzierungspartner (zum Bezugspreis) sollte dieser daher bereits vor Beginn der Bezugsrechtsemission Aktionär der Gesellschaft sein. Ist ein Prospekt zu erstellen, wird dessen Inhalt maßgeblich durch die Vorgaben der Prospekt-VO166 bestimmt. Nach seiner Veröffentlichung ist der Prospekt zwölf Monate lang gültig (§ 9 Abs. 1 WpPG). Dies eröffnet der Gesellschaft die Möglichkeit, ihn für die Zulassung aller Aktien zu nutzen, die während dieses Zeitraums durch einen Kapitalabruf geschaffen werden. Die Nutzung des Prospekts steht dann allerdings unter dem Vorbehalt einer erforderlichen Aktualisierung durch Nachträge (§ 16 WpPG)167. Als Prospektformat eignet sich der einteilige Prospekt (§ 12 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 WpPG). Da die Ausstattung der Aktien bei allen Tranchen des Kapitalabrufs im Rahmen der Equity-Line gleich ist, bedarf es keiner abtrennbaren Wertpapierbeschreibung (§ 12 Abs. 1 Satz 4 WpPG).
__________ 162 Schlitt/Schäfer in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, Kommentar zum WpPG/ VerkProspG, 2. Aufl. 2010, § 4 Rz. 40; Lachner/v. Heppe, WM 2008, 576, 578 f. So können bei aufeinander folgenden Kapitalerhöhungen mit erleichtertem Bezugsrechtsausschluss sich überscheidende Zwölf-Monats-Fristen entstehen, vgl. Lachner/ v. Heppe, WM 2008, 576, 578. 163 Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635, 637. 164 Siehe hierzu oben III. 1. e) cc). 165 Schlitt/Schäfer in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, Kommentar zum WpPG/ VerkProspG, 2. Aufl. 2010, § 4 Rz. 51; kritisch hierzu: Vaupel/Reers, AG 2010, 93, 104. 166 Berichtigte Fassung in ABl. EU Nr. L 186 v. 18.7.2005, S. 3; zu den inhaltlichen Anforderungen an den Prospekt Schlitt/Schäfer, AG 2005, 498 ff.; vgl. auch Schlitt/ Singhof/Schäfer, BKR 2005, 251, 252 ff. 167 Seitz in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, Kommentar zum WpPG/VerkProspG, 2. Aufl. 2010, § 9 Rz. 30.
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cc) Prospektbilligung und -aktualisierung Vor seiner Veröffentlichung ist der Prospekt der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zur Billigung vorzulegen (§ 13 Abs. 1 WpPG). Die Entscheidung hierüber wird innerhalb von zehn Tagen mitgeteilt (§ 13 Abs. 2 Satz 2 WpPG). Ist der Prospekt bei der Einreichung unvollständig oder bedarf er ergänzender Informationen, steht der BaFin eine erneute zehntätige Entscheidungsfrist ab Erhalt der benötigten Informationen offen (§ 13 Abs. 3 Satz 1 WpPG). Um das Billigungsverfahren möglichst zeiteffizient durchzuführen, sollte die Möglichkeit der frühzeitigen Abstimmung des Prospekts mit der BaFin genutzt werden, bei dem sich in der Praxis ein berechenbarer Regelzeitplan eingespielt hat168. Der gebilligte Prospekt ist bei der BaFin zu hinterlegen und unverzüglich, spätestens einen Werktag vor der Einführung der Wertpapiere zu veröffentlichen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 WpPG). Nachträge zum Prospekt werden von der BaFin innerhalb einer Frist von sieben Tagen gebilligt und sind anschließend in derselben Art und Weise wie der ursprüngliche Prospekt zu veröffentlichen (§ 16 Abs. 1 Satz 3 und 4 WpPG). Das nach § 16 Abs. 3 WpPG bestehende Widerrufsrecht, welches dem Anleger die Möglichkeit einräumen soll, Erwerbsentscheidungen, die er vor der Veröffentlichung des Nachtrags zugesagt hat, gegebenenfalls nach der Veröffentlichung wieder zurückzunehmen169, steht dem Finanzierungspartner nicht zu, da er seine Entscheidung, Aktien des Emittenten zu übernehmen, nicht aufgrund des Prospekts, sondern als Ergebnis von Verhandlungen über die EquityLine-Vereinbarung trifft170. b) Prospektpflicht anlässlich der Lieferung an den Finanzierungspartner Prospektpflichtig ist grds. nicht nur die Zulassung von Wertpapieren zum Handel am regulierten Markt sondern auch ein öffentliches Angebot von Wertpapieren (§ 3 Abs. 1 WpPG). Ein solches öffentliches Angebot liegt mit der gezielten Abgabe der Aktien an den Finanzierungspartner allerdings nicht vor. Die Abgabe an einzelne, dem Anbieter bekannte Abnehmer stellt schon keine für das Vorliegen eines öffentlichen Angebotes erforderliche Ansprache eines „Publikums“171, d. h. eines unbestimmten Personenkreises dar172. Diese Prospektfreiheit besteht auch dann, wenn der Finanzierungspartner nicht bezogene Aktien aus der als Bezugsrechtsemission strukturierten Equity-Line173 über-
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168 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 9 Rz. 68; Meyer in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 30 Rz. 62. 169 Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 15/5219, S. 3 f. 170 Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635, 643. 171 Schnorbus, AG 2008, 389, 394; Groß, Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2009, § 2 WpPG Rz. 16. 172 Ritz/Zeising in Just/Voß/Ritz/Zeising, Kommentar zum WpPG, 2009, § 2 Rz. 101; Meyer in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 30 Rz. 6. 173 Siehe hierzu oben III. 1. e) cc).
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nimmt, da das vorausgehende Bezugsangebot der neuen Aktien im Kreis der Altaktionäre kein öffentliches Angebot darstellt, sofern kein börslicher Bezugsrechtshandel stattfindet174. c) Prospektpflicht anlässlich der Weiterplatzierung Überwiegend wird angenommen, dass bei einer durch einen Finanzintermediär im Wege des öffentlichen Angebots erfolgenden Weiterplatzierung auch eine Prospektpflicht des ursprünglichen Emittenten in Betracht kommt, soweit diesem das Angebot zugerechnet werden kann175. Eine Zurechnung erfolgt danach beispielsweise dann, wenn der Intermediär zur Weiterplatzierung der Aktien verpflichtet wurde176. Ist bereits wegen der Zulassung der Aktien ein Wertpapierprospekt erstellt worden, ist die nochmalige Erstellung eines Prospekts bei der Weiterveräußerung entbehrlich177. Sollen die neuen Aktien aus der Equity-Line allerdings prospektfrei weiterplatziert werden, wäre ein öffentliches Angebot durch den Finanzierungspartner zu vermeiden. Dies gelingt durch den Rückgriff auf diejenigen Angebotstatbestände, die nicht zu einem öffentlichen Angebot führen (vgl. § 3 Abs. 2 WpPG). Werden die Aktien etwa an einige qualifizierte Anleger veräußert (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WpPG), ist sowohl die im Rahmen des erleichterten Bezugsrechtsausschlusses teilweise ge-
__________ 174 So die Verwaltungspraxis der BaFin, vgl. hierzu Workshop: 100 Tage WpPG, Rechtsfragen aus der Anwendungspraxis, Präsentation v. 3.11.2005, S. 4; BaFin, Ausgewählte Rechtsfragen in der Aufsichtspraxis, Präsentation vom 4.9.2007, S. 5; BAWe, Bekanntmachung zum Wertpapier-Verkaufsprospektgesetz v. 6.9.1999, BAnz. Nr. 177 v. 21.9.1999, S. 16180, unter I. 2. f. Aus der Lit: Ponick in Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2009, S. 205; Schnorbus, AG 2008, 389, 397; Meyer in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 30 Rz. 6; kritisch hierzu: Vaupel/Reers, AG 2010, 93, 104. 175 Von Kopp-Colomb/Gadjos in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, Kommentar zum WpPG/VerkProspG, 2. Aufl. 2010, § 3 Rz. 39; Heidelbach/Preuße, BKR 2008, 10; Schlitt/Schäfer, AG 2005, 498, 501; CESR /09-103, Frage 56, abstellend auf ein „acting in association“. Der Emittent sei dann als Anbieter im Sinne des § 2 Nr. 10 WpPG anzusehen: Hamann in Schäfer/Hamann (Hrsg.), KMG, 2. Aufl. 2008, § 3 WpPG Rz. 28 und § 2 WpPG Rz. 60 ff. A. A. offenbar European Securities Markets Expert Group (ESME), Report on Directive 2003/71/EC of the European Parliament and of the Council on the prospectus to be published when securities are offered to the public or admitted to trading, Bericht v. 5.9.2007, S. 15; vgl. auch Zeising in Just/Voß/Ritz/Zeising, Kommentar zum WpPG, 2009, § 3 Rz. 74. 176 Schnorbus, AG 2008, 389, 391. 177 Zeising in Just/Voß/Ritz/Zeising, Kommentar zum WpPG, 2009, § 3 Rz. 10 f. und Rz. 74. So auch der zur Revision der Prospektrichtlinie klarstellende Änderungsvorschlag der Europäischen Kommission v. 23.9.2009, COM (2009) 491 final, 2009/ 0132 (COB), einsehbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/securities/prospec tus/index_en.htm, S. 17 Nr. 3 (b): „Bei jeder späteren Weiterveräußerung von Wertpapieren und jeder endgültigen Platzierung von Wertpapieren durch Finanzintermediäre schreiben die Mitgliedstaaten keinen weiteren Prospekt mehr vor, wenn ein gültiger Prospekt im Sinne von Artikel 9 vorliegt und der Emittent oder die für die Erstellung des Prospekts zuständige Person dessen Verwendung zugestimmt haben.“.
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forderte „breite Platzierung“178 erreicht, ohne dass ein öffentliches Angebot vorliegen dürfte179. Die zur Vermeidung des öffentlichen Angebotes erforderlichen Umstände, d. h. die zulässigen Varianten einer prospektfreien Weiterplatzierung, sollten in die Equity-Line-Vereinbarung aufgenommen werden.
VII. Transparenz- und Publizitätspflichten Neben den bereits dargestellten Publizitätspflichten, wie beispielsweise die Handelsregisteranmeldung, Vorstandsberichterstattung oder Prospektpflicht, kann der Abschluss einer Equity-Line-Vereinbarung sowie ihre jeweilige Inanspruchnahme auch ad-hoc-publizitätspflichtig sein (§ 15 Abs. 1 WpHG). Dies dürfte bereits für den Abschluss der Vereinbarung gelten, da die Sicherung von großvolumigem Eigenkapital auf Abruf regelmäßig kurserheblich sein dürfte180. Dies gilt umso mehr, wenn die Equity-Line mit einem genehmigten Kapital unterlegt wird, da ab diesem Zeitpunkt für die Laufzeit der Vereinbarung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Durchführung der Kapitalerhöhung indiziert werden dürfte181. Kurserheblich kann daneben – je nach Umfang und Zeitpunkt – auch der einzelne Kapitalabruf sein. Dem steht auch nicht die Tatsache entgegen, dass nach Offenlegung des Abschlusses der Equity-Line-Vereinbarung das Anlegerpublikum mit der Ausübung der Verkaufsoption rechnet182. Während sich auf der Seite des Finanzierungspartners – sofern börsennotiert – die Frage der Ad-hoc-Publizitätspflicht mangels Kurserheblichkeit in der Regel nicht stellt, treffen diesen jedoch Mitteilungspflichten gemäß §§ 21 ff. WpHG, sobald er durch die Übernahme bzw. die Weiterplatzierung der Aktien die maßgeblichen Beteiligungsschwellen überschreitet, erreicht oder wieder unterschreitet.
VIII. Zusammenfassung Mit Equity-Line-Finanzierungen lässt sich eine Eigenkapitalfinanzierung in Zeiten unsicherer und volatiler Märkte flexibel und kalkulierbar über einen längeren Zeitraum hinweg steuern. Durch die so möglich werdende maßvolle Eigenkapitalaufnahme werden zugunsten der Altaktionäre zudem Verwässerungseffekte geglättet und das Risiko einer negativen Kursentwicklung der Aktie verringert. Indem sich ein Finanzierungspartner über die Laufzeit der
__________ 178 Siehe oben unter III. 1. e) bb) (1) (1b). Die Vertreter der Auffassung über die Erforderlichkeit einer breiten Platzierung bei vereinfachtem Bezugsrechtsausschluss verlangen keine derart breite Streuung, dass hierdurch ein öffentliches Angebot ausgelöst wird, vgl. etwa Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 42 Rz. 88. 179 Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67, 72; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 42 Rz. 88. 180 Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635, 644. 181 Zu zukünftigen Umständen als Insiderinformation vgl. statt aller nur Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 13 WpHG Rz. 23 ff. 182 Schlitt/Ponick/Gottmann, FB 2005, 635, 644.
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Vereinbarung verpflichtet, auf Verlangen der Gesellschaft deren Aktien zu erwerben, sichert sich die Gesellschaft die volle Entscheidungsfreiheit über den Zeitpunkt und das Volumen eines Kapitalabrufs. Unter (erleichtertem) Bezugsrechtsausschluss wird hierzu ein genehmigtes Kapital oder eigene Aktien bereitgestellt. Die Entrichtung der Vergütung für die Dienstleistung des Finanzierungspartners begegnet bei sorgfältiger Ausgestaltung der Equity-Line-Vereinbarung selbst bei einer zeitlichen und sachlichen Nähe zur Zeichnung junger Aktien grundsätzlich keinen Bedenken im Hinblick auf Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung. Bei Unterlegung der Equity-Line mit eigenen Aktien ist die Gestaltung der Vereinbarung als Verkaufsoption auf eigene Aktien zulässig und zweckmäßig. Bleibt das jährlich abgerufene Volumen der Equity-Line unterhalb der Grenze von 10 %, kann die Zulassung neuer Aktien zudem prospektfrei erfolgen.
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Vom Sonderrecht der „führungslosen GmbH“ zur subsidiären Selbstorganschaft? – Überlegungen im Anschluss an das MoMiG –
Inhaltsübersicht I. Zum Thema 1. Eine Generation Geschäftsführungsrecht 2. Führungslosigkeit: ein Problem der sog. Drittorganschaft 3. Wann liegt Führungslosigkeit vor? 4. Der Fall scheinbarer Führungslosigkeit II. Was tun bei Führungslosigkeit? 1. § 6 Abs. 1 GmbHG: eine lex imperfecta 2. Abhilfe durch § 29 BGB, § 57 ZPO? 3. Die neuen Regeln 4. Rechtspolitische Ziele des MoMiGGesetzgebers?
III. Keine subsidiäre Selbstorganschaft 1. Die Frage und die Antwort des Gesetzgebers 2. Bewertung 3. Zur Insolvenzverschleppung durch Gesellschafter IV. Offene Folgeprobleme 1. Erfüllung von Anmeldungspflichten beim Handelsregister 2. Formalia bei Zustellungen nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG 3. Notgeschäftsführerbestellung in der Insolvenz 4. Einfluss auf die Praxis zu § 29 BGB und § 57 ZPO 5. Führungslosigkeit in Permanenz: ein Löschungstatbestand?
I. Zum Thema 1. Eine Generation Geschäftsführungsrecht Seit über 30 Jahren – man nennt eine solche Periode „eine Generation“ – kommentiert Uwe H. Schneider das Recht der Geschäftsführung im „Scholz“1. Der von einem Senatspräsidenten am Preußischen Oberverwaltungsgericht begründete und durch fünf Auflagen allein verantwortete2 Kommentar zum GmbH-Gesetz wurde, beginnend im Jahr 1977, von einem eigens zu diesem Zweck zusammengetretenen Autorenteam3 im Kern neu verfasst, in Einzellieferungen als sechste Auflage vorgelegt und auf die Höhe des Großkommentars gehoben, auf der er sich gegenwärtig unter Einschluss des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen
__________ 1 Vgl. zuerst in der 6. Aufl., Lieferung 1983; vorerst zuletzt in der 10. Aufl. 2007–2010. 2 Die fünfte Auflage war nach dem Tod von Franz Scholz mit einem Nachtrag von Hefermehl/Winter im Jahr 1964 erschienen. 3 Volker Emmerich, Hans-Joachim Priester, Karsten Schmidt, Uwe H. Schneider, Manfred Skibbe, Klaus Tiedemann, Harm Peter Westermann, Heinz Winter.
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(MoMiG)4 in der zehnten Auflage präsentiert5. Der Jubilar und der Verfasser dieses Beitrags sind für diese ganze Periode als Kommentatoren in dem traditionsreichen Werk verbunden. Uwe H. Schneider, durchgehend zuständig für Geschäftsführung und Aufsichtsrat, hat darin auch die neuen Sonderregeln über die Führungslosigkeit dargestellt6. Ihnen und ihm sind die nachfolgenden Ausführungen gewidmet, und zwar nicht im Sinne einer umfassenden Erläuterung der neuen Regelungen (dieser Aufgabe nehmen sich die allmählich auf dem Stand des MoMiG neu erscheinenden GmbH-Kommentare an), sondern in Form von Betrachtungen, zu denen die neuen MoMiG-Regeln einladen. 2. Führungslosigkeit: ein Problem der sog. Drittorganschaft Lässt man einmal die Stiftungen beiseite, so ist Führungslosigkeit ein den Körperschaften vorbehaltenes, den Personengesellschaften dagegen prinzipiell fremdes Phänomen. Das hängt mit der Grundverfassung dieser gegensätzlichen Verbände zusammen, genauer: mit dem Prinzip der Selbstorganschaft bei den Personengesellschaften. Das bedarf der Erklärung. Es hat sich terminologisch eingebürgert, zwischen der Selbstorganschaft bei den Personengesellschaften und der Fremd- oder Drittorganschaft bei den Kapitalgesellschaften zu unterscheiden7 und bei den letzten deshalb von Fremd- oder Drittorganen zu sprechen, weil auch Nicht-Gesellschafter als Vorstände oder Geschäftsführer bestellt werden können8. Auch Uwe H. Schneider hat sich diese vorherrschende Terminologie zu eigen gemacht9. Erhellend ist diese vorherrschende Begrifflichkeit, nach der der Kern der Selbstorganschaft im Verbot der Drittorganschaft besteht, nicht. Natürlich wird niemand bestreiten, dass zwischen einem Gesellschafter-Geschäftsführer und einem Drittgeschäftsführer – z. B. hinsichtlich seiner korporativen Rechte und Pflichten – große Unterschiede bestehen10. Auch ist mit der herrschenden Auffassung davon auszugehen, dass, abgesehen von der Liquidation11, bei einer
__________ 4 Gesetz v. 23.10.2008, BGBl. I 2008, S. 2026. 5 Scholz, GmbHG, 10. Aufl., Bd. I 2007, Band II 2007, Band III 2010. 6 Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, Band III, Nachtrag MoMiG § 35 Rz. 9 ff. 7 Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 409 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 343 ff.; ders., Gesellschaftsrecht II, 2004, S. 333 ff. 8 Vgl. etwa Grunewald, Gesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2008, 1 A Rz. 42 (allerdings mit Hinweis auf Zweifel an der Tragfähigkeit); v. Ditfurth in MünchHdb. GesR I, 3. Aufl. 2009, § 7 Rz. 8 ff.; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 6 Rz. 8; Ulmer/Schäfer, Gesellschaft bürgerlichen Rechts, 5. Aufl. 2009, § 709 Rz. 5; Oetker/Weitemeyer, HGB, 2009, § 114 Rz. 16. 9 Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, Band I, § 6 Rz. 15: „Grundsatz der Drittorganschaft“, weil auch Nichtgesellschafter als Geschäftsführer bestellt werden können. 10 Vgl. über Stimmrechte des Gesellschafter-Geschäftsführers Zöllner in Baumbach/ Hueck (Fn. 8), § 47 Rz. 76 ff.; über Treuepflichten des Gesellschafter-Geschäftsführers BGH, NJW 1999, 781; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 14 Rz. 25. 11 Vgl. Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 146 Rz. 2.
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Personengesellschaft deutschen Rechts12 nur persönlich haftende Gesellschafter als Vertretungsorgane in Betracht kommen13. Dass damit der „Grundsatz der (Fremd- oder) Drittorganschaft“ bzw. umgekehrt der „Grundsatz der Selbstorganschaft“ funktionsgerecht beschrieben wäre, ist aber doch zu bestreiten. Wie an anderer Stelle ausführlicher dargestellt14, ist die Unzulässigkeit der organschaftlichen Vertretung einer Personengesellschaft durch Dritte nur ein Effekt, nicht aber der innere Kern des Rechtsprinzips „Selbstorganschaft“; entsprechend trifft die Zulassung von Nicht-Gesellschaftern oder Nicht-Aktionären nicht den Kern des Rechtsprinzips „Fremdorganschaft“. Selbstorganschaft besagt, dass die Personengesellschaft Organe nicht durch einen Bestellungsakt verliehen bekommt, sondern kraft ihrer personengesellschaftlichen Verfassung Organe „hat“15. Die „Fremd“- oder „Drittorganschaft“ bei den Kapitalgesellschaften besteht also in ihrem Kern in nichts als dem Fehlen der „Selbstorganschaft“, m. a. W. darin, dass das Gesellschaftsorgan der Bestellung bedarf. Diese erfolgt bei der Aktiengesellschaft zwingend durch den Aufsichtsrat (§ 84 Abs. 1 Satz 1 AktG). Die GmbH erhält ihren Geschäftsführer nach § 6 Abs. 3 Satz 2 GmbHG durch „Bestellung“ (!), und zwar „entweder im Gesellschaftsvertrag“ oder „nach Maßgabe der Bestimmungen des dritten Abschnitts“ (m. a. W. nach § 46 Nr. 5 GmbHG). Im Sinne der konkurrierenden Rechtsprinzipien ist also jeder Geschäftsführer, auch als Gesellschafter-Geschäftsführer (wenn man sich an der missverständlichen, jedoch eingeführten Terminologie nicht stört) „Fremd“- oder „Drittorgan“16, nämlich Organ nur kraft kollektiver Bestellung durch Satzung oder Beschluss17. Das wiederum bedeutet: Eine Aktiengesellschaft kann führungslos sein (vgl. § 78 Abs. 1 Satz 2 AktG), ebenso eine GmbH (§ 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG), wenn der nach dem Gesetz notwendige Geschäftsführer (§ 6 Abs. 1 GmbHG) nicht vorhanden ist. Eine Personengesellschaft kann grundsätzlich nicht führungslos sein. Sie ist es ausnahmsweise, wenn ihr einziger18 Komplementär eine ihrerseits führungslose Körperschaft ist (man mag hier von „geliehener Führungslosigkeit“ sprechen). Im Folgenden soll es um die führungslose GmbH gehen19. Sie ist der klassische Fall der Führungslosigkeit, und so ist es kein
__________ 12 13 14 15
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Anders bekanntlich Artt. 16, 19 EWiV-VO. Vgl. für viele BGHZ 26, 330, 332; Wiedemann (Fn. 7), S. 343. Karsten Schmidt (Fn. 7), S. 409 ff., 995; ders. in GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 303 ff. Vgl. ebd.; zust. Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 47, 242 f.; wohl auch Westermann in FS Lutter, 2000, S. 955, 957; insofern treffend auch Windbichler, Gesellschaftsrecht, 22. Aufl. 2010, § 2 Rz. 12 („sie führen die Geschäfte selbst“), aber dann doch wieder Rückfälle in das herrschende Verständnis (§ 15 Rz. 8 und öfter). Nur empirisch, aber nicht juristisch treffend spricht Windbichler (Fn. 15), § 20 Rz. 8, von „de facto Selbstorganschaft“. Das gilt selbst für den Einpersonen-Gesellschafter-Geschäftsführer und für den mit einem satzungsmäßigen Geschäftsführungs-Sonderrecht. Es versteht sich, dass dasselbe gilt, wenn mehrere führungslose Gesellschaften unbeschränkt haftende Gesellschafter sind. Richtigerweise ist die Vor-GmbH als bereits körperschaftlich verfasste Gesellschaft einzubeziehen.
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Zufall, dass die hier zu diskutierenden Regeln Erzeugnisse der GmbH-Reform, also des MoMiG, sind. 3. Wann liegt Führungslosigkeit vor? a) Abstrakt definiert ist die Führungslosigkeit in § 10 Abs. 2 Satz 2 InsO: Eine juristische Person ohne Vertretungsorgan ist führungslos. Speziell für die Kapitalgesellschaften ist die Führungslosigkeit geregelt in § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG bzw. in § 78 Abs. 1 Satz 2 AktG. Führungslosigkeit liegt danach vor, wenn die Gesellschaft keinen Geschäftsführer (Vorstand) hat. Im Fall einer aufgelösten Gesellschaft bedeutet dies aufgrund der §§ 66, 69 GmbHG bzw. des § 264 AktG ohne weiteres und mit Selbstverständlichkeit, dass Führungslosigkeit vorliegt, wenn kein Liquidator (Abwickler) vorhanden ist20. Im Einzelnen ist die Tatbestandsabgrenzung weniger einfach, als sie auf den ersten Blick scheinen mag. Der klassische Fall besteht darin, dass kein Geschäftsführer (Vorstand) bestellt ist. Dem steht aber der Fall gleich, dass die Bestellung unwirksam ist21 oder dass der Geschäftsführer (Vorstand, Liquidator) das Amt nicht angenommen22 oder der einzige Geschäftsführer (Vorstand, Liquidator) sein Amt niedergelegt hat23. b) Jenseits dieser formal abgrenzbaren Fälle wird es schwierig. Unstreitig ist, dass die bloße Untätigkeit eines Geschäftsführers oder seine vorübergehende Unerreichbarkeit keine Führungslosigkeit der Gesellschaft begründet24. Das endgültige Abtauchen des Geschäftsführers wird dagegen als ausreichend angesehen25. Da die Endgültigkeit nicht ohne weiteres ex ante erkennbar wird, ist bereits hiermit die Gefahr einer Unklarheit dokumentiert. Von bloß vorübergehender Unerreichbarkeit wird man nur ausgehen dürfen, wenn die grundsätzliche Bereitschaft des Geschäftsführers zur Wahrnehmung seiner Aufgaben außer Frage steht.
__________ 20 So auch Uwe H. Schneider (Fn. 6), Nachtrag MoMiG § 35 Rz. 11; die von Schneider vorgetragene redaktionelle Rüge, der Gesetzgeber hätte die abstrakte und genauere Formel des § 10 Abs. 2 InsO in § 35 GmbHG verwenden sollen, überzeugt in Anbetracht der Verweisung in § 69 GmbHG nicht; richtig Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 35 Rz. 10. 21 Wisskirchen/Kuhn in Ziemons/Jaeger, Beck’scher Online-Kommentar GmbHG, Stand 2009, § 35 Rz. 41; Kleindiek, ZGR 2007, 276, 289; Wicke, GmbHG, 2008, § 35 Rz. 26. 22 Zum Erfordernis der Amtsannahme für eine wirksame Bestellung als Geschäftsführer vgl. BFH, GmbHR 2000, 1211, 1214; Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2006, § 35 Rz. 16; Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, Band II, § 35 Rz. 54 („Bereiterklärung“); Karsten Schmidt, ebd., § 46 Rz. 79. 23 Altmeppen (Fn. 20), § 35 Rz. 10; Wicke (Fn. 21), § 35 Rz. 26. 24 AG Hamburg, NJW 2009, 304; Altmeppen (Fn. 20), § 35 Rz. 10; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff (Fn. 10), § 35 Rz. 44, Anh. § 64 Rz. 42; Römermann, NZI 2008, 641, 645; Uwe H. Schneider (Fn. 6), Nachtrag MoMiG § 35 Rz. 10. 25 Gehrlein, BB 2008, 846, 848 (wenn im Abtauchen eine konkludente Amtsniederlegung zu sehen ist); a. A. AG Hamburg, NJW 2009, 304, sowie Römermann, NZI 2008, 641, 645 (Führungslosigkeit nur bei Tod des Geschäftsführers oder Amtsniederlegung).
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c) Damit stellt sich die Frage, ob eine mit einem nur „faktischen Geschäftsführer“ ausgestattete Gesellschaft im Rechtssinne führungslos ist. Dies ist umstritten26. Für die Antwort sind die unterschiedlichen Sachverhalte in ihrer Eigenart zu würdigen. – Vor allem im Strafrecht begegnen nicht selten Fälle, in denen die Geschäftsführung auf einen nur nominellen de-iure-Geschäftsführer (der, obwohl ordnungsgemäß bestellt, die Gesellschaft nicht führt) und einen de-factoGeschäftsführer (der als „Strohmann“-Geschäftsführer ohne Bestellung die Geschäfte führt) „aufgeteilt“ ist27. Eine solche Gesellschaft ist nicht führungslos28. Die wirksame Bestellung des de-iure-Vertreters, verbunden mit der Amtsannahme steht dem entgegen (zum Sonderfall fehlender Registereintragung vgl. unten IV. 1.). Der de-iure-Geschäftsführer hat alle Rechte, und ihn treffen alle Pflichten eines Geschäftsführers29. Insbesondere ist er ein tauglicher Passivvertreter und ist im Insolvenzfall nach § 15a InsO antragspflichtig30. Dies ist allerdings der nur faktische Geschäftsführer auch31, nicht aber sind es – mangels Führungslosigkeit – die Gesellschafter32. – Fehlt es gänzlich an einem wirksam bestellten Geschäftsführer, so ist die Gesellschaft führungslos, auch wenn ein faktischer Geschäftsführer, z. B. der Mehrheitsgesellschafter für sie handelnd zu Gebote steht33. Diesen treffen die gesetzlichen Geschäftsführerpflichten, z. B. aus § 266a StGB, § 15a InsO34. Aber daneben kommen die Regeln der Führungslosigkeit zur Anwendung. Es ist beispielsweise nicht ausgeschlossen, dass im Fall der Insolvenzverschleppung die Gesellschafter nach § 15a Abs. 3 InsO neben dem faktischen Geschäftsführer verantwortlich sind35. – Ist dagegen ein für die Gesellschaft handelnder Geschäftsführer bestellt, ist aber die Bestellung dieses einzigen Geschäftsführers nichtig36, so liegt ein
__________ 26 Für Führungslosigkeit in diesem Fall: Altmeppen (Fn. 20), § 35 Rz. 10; Kleindiek (Fn. 24), Anh. zu § 64 Rz. 42; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck (Fn. 8), § 35 Rz. 105a; Karsten Schmidt in Scholz (Fn. 6), Anh. § 64 Rz. 26; gegen Führungslosigkeit: Schmahl, NZI 2008, 6, 7. 27 Vgl. nur BGHSt 31, 118; BGHSt 46, 62; KG Berlin, wistra 2002, 313. 28 Vgl. z. B. Kleindiek (Fn. 24), Anh. zu § 64 Rz. 42. 29 Vgl. z. B. OLG Frankfurt, GmbHR 2009, 317; Zöllner/Noack (Fn. 26), § 43 Rz. 2. 30 Kleindiek (Fn. 24), Anh. zu § 64 Rz. 49; vgl. zu § 84 a. F. Ransiek in Ulmer/Habersack/Winter (Fn. 22), § 84 Rz. 36. 31 Casper in Ulmer/Habersack/Winter (Fn. 22), § 64 Rz. 39; Kleindiek (Fn. 24), Anh. zu § 64 Rz. 49. 32 Vgl. Kleindiek (Fn. 24), Anh. zu § 64 Rz. 42. 33 Vgl. etwa Altmeppen (Fn. 20), § 39 Rz. 10. 34 BGHZ 104, 44, 46 ff. = NJW 1988, 1789; BGHZ 150, 61, 68 ff. = NJW 2002, 1803, 1805; BGH, ZIP 2005, 1550 (alle zu § 64 GmbHG a. F.); Altmeppen (Fn. 20), vor § 64 Rz. 57; Karsten Schmidt (Fn. 26), Anh. § 64 Rz. 23; Hirte, ZInsO 2008, 689, 702; a. M. Haas, DStR 2003, 423 f. 35 Karsten Schmidt (Fn. 26), Anh. § 64 Rz. 22. 36 Diesen Fall des faktischen Geschäftsführers akzeptiert auch Stein, Das faktische Organ, 1984, S. 115 ff.; bloße Anfechtbarkeit der Bestellung steht dem nicht gleich; vgl. Wicke (Fn. 21), § 35 Rz. 26.
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Zweifelsfall vor37. Den Ausschlag sollte geben, dass kein Geschäftsführer vorhanden ist, dessen Kompetenz außer begründetem Zweifel steht. Das spricht für die Bejahung des Führungslosigkeitstatbestands. Dritte sind im Hinblick auf Rechtshandlungen des fehlerhaft bestellten Geschäftsführers durch Vertrauensschutzregeln – insbesondere durch § 15 Abs. 3 HGB – geschützt38. Dieser unterliegt seinerseits – nicht anders als ein „rein“ faktischer Geschäftsführer – den Geschäftsführerpflichten, insbesondere auch der sog. Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a InsO39. Aber wenn den Gesellschaftern die Nichtigkeit der Bestellung ebenso wenig wie die Insolvenz der Gesellschaft entgangen sein sollte und der nichtig bestellte Geschäftsführer gegen § 15a InsO verstößt, können wiederum auch die Gesellschafter nach § 15a Abs. 3 InsO verantwortlich sein. 4. Der Fall scheinbarer Führungslosigkeit Die Regeln der § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG (§ 78 Abs. 1 Satz 2 AktG), § 170 Abs. 3 ZPO, § 15 Abs. 1 Satz 2 und § 15a Abs. 3 InsO helfen in den geschilderten Fällen objektiver Führungslosigkeit. Eine nur geringe Rolle werden Fälle bloß scheinbarer Führungslosigkeit spielen. Soweit es um ordnungsgemäß bestellte, aber (noch) nicht im Handelsregister eingetragene und bekannt gemachte Geschäftsführer geht, kommt Dritten, wenn sie sich auf § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG berufen wollen, § 15 Abs. 1 HGB zugute40. Sie können, wenn ihnen die Geschäftsführerbestellung unbekannt war, die Führungsunfähigkeit geltend machen, auch wenn sich diese später als nur vermeintlich vorhanden herausstellte. Aber auch dann, wenn nach bekannt gewordener Führungslosigkeit neue Geschäftsführer noch nicht auf Firmenbögen gekennzeichnet sind (§ 35a Abs. 1 Satz 1 GmbHG), wird man gutgläubigen Dritten die Wohltat des § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG konzedieren müssen.
II. Was tun bei Führungslosigkeit? 1. § 6 Abs. 1 GmbHG: eine lex imperfecta a) Aus § 6 Abs. 1 GmbHG ist zu ersehen, dass die Geschäftsführung ein notwendiges Organ der GmbH ist41. Die Gesellschaft muss einen oder mehrere Geschäftsführer haben. Zuständig sind die Gesellschafter als Herren der Satzung (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 2 GmbHG) und als Willensbildungsorgan der Gesell-
__________ 37 Für Führungslosigkeit: Kleindiek (Fn. 24), § 35 Rz. 44, Anh. zu § 64 Rz. 42; Zöllner/ Noack (Fn. 26), § 35 Rz. 105a; a. M. Schmahl, NZI 2008, 6, 7. 38 Stein (Fn. 36), S. 35 ff.; Karsten Schmidt in Scholz (Fn. 22), § 46 Rz. 78; Zöllner/ Noack (Fn. 26), § 35 Rz. 8. 39 Altmeppen (Fn. 20), Vorbem. § 64 Rz. 57 ff.; Kleindiek (Fn. 24), Anh. zu § 64 Rz. 49. 40 Zur Anwendung des § 15 Abs. 1 HGB auf Fälle des § 39 GmbHG vgl. Krebs in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2005, § 15 Rz. 26. 41 Uwe H. Schneider (Fn. 6), Nachtrag MoMiG § 35 Rz. 10.
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schaft (vgl. § 46 Nr. 5 GmbHG)42. Uwe H. Schneider hebt hervor, dass es keine durchsetzbare oder gar schadensersatzbewehrte Pflicht der Gesellschafter gibt, das Vorhandensein von Geschäftsführern zu überwachen, Vorkehrungen für den Empfang von Willenserklärungen und von Zustellungen zu treffen und ggf. durch Bestellung von Geschäftsführern die Führungslosigkeit zu beenden43. Dem ist zuzustimmen. Wenn es in § 6 Abs. 1 GmbHG heißt, die Gesellschaft „müsse“ einen oder mehrere Geschäftsführer (im Auflösungsfall demnach: Liquidatoren) haben, so bedeutet dies nur, dass die Führungslosigkeit ein den GmbH-rechtlichen Normativbestimmungen widersprechender Zustand, eine GmbH ohne Geschäftsführer also nicht eintragbar ist (vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG). Irgendwelche etwa vom Registergericht direkt erzwingbare oder gar durch Schadensersatz oder Strafe sanktionierbare Pflichten sind dem „Muss“Tatbestand des § 6 Abs. 1 GmbHG nicht zugeordnet. b) Allerdings hatte das Bayerische Oberste Landesgericht schon vor einem Jahrzehnt entschieden, dass der Alleingesellschafter einer GmbH und einzige Geschäftsführer missbräuchlich handelt, sofern er das Geschäftsführeramt niederlegt, ohne einen neuen Geschäftsführer zu bestellen44. Es hat dann sogar die Bestellung eines Notgeschäftsführers in einer zerstrittenen GmbH abgelehnt, weil es die Abberufung der vorhandenen Geschäftsführerin als nichtig erachtete45. Eine zustimmende Urteilsbesprechung verstieg sich danach zu folgenden Ausführungen46: „Die Gesellschafter, die durch die Gründung einer GmbH einen selbständigen Rechtsträger schaffen, trifft die Obliegenheit, dafür zu sorgen, dass dieser handlungsfähig bleibt. Dies gilt nicht nur für den bequemen Idealfall harmonischer Zusammenarbeit, sondern auch und gerade dann, wenn die Gesellschafter zerstritten sind. In solchen Fällen ist es nicht hinnehmbar, dass die Beteiligten zu Lasten der Allgemeinheit die RegGer. bemühen bzw. instrumentalisieren. Fehlendes Verantwortungsbewusstsein der Gesellschafter kann nicht durch staatliches Eingreifen kompensiert werden. Machtkämpfe um den Einfluss im Unternehmen sind allein der Privatsphäre der Beteiligten zuzurechnen, es besteht kein Anlass für eine hoheitliche Regulierung. Zudem stellt sich dann, wenn die Gesellschafter nicht mehr in der Lage sind, selbst einvernehmliche Lösungen zu finden, nicht nur die Frage nach einer Notgeschäftsführung, sondern auch die Frage nach dem Sinn einer weiteren gemeinsamen Betätigung.“
Indes haben diese Ausführungen nichts mit einer durchsetzbaren Pflicht der Gesellschafter zur Übernahme eines Geschäftsführeramts zu tun. Sie sollen nur der Bestellung von Notgeschäftsführern Grenzen setzen (dazu sogleich). c) Um zu beurteilen, wie der MoMiG-Gesetzgeber die Probleme der Führungslosigkeit angefasst hat, gilt es, einen kurzen Blick auf die vorausgegangene
__________ 42 Gesellschaftsorgan der GmbH ist nicht die Gesellschafterversammlung, sondern es sind die Gesellschafter; vgl. Karsten Schmidt (Fn. 22), § 45 Rz. 5; a. M. Hüffer in Ulmer/Habersack/Winter (Fn. 22), § 45 Rz. 6, 15; ders. in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 521 ff. 43 Uwe H. Schneider (Fn. 6), Nachtrag MoMiG § 35 Rz. 17. 44 BayObLG, BB 1999, 1782 = ZIP 1999, 1599. 45 BayObLG, NZG 2000, 98 m. Anm. Kögel. 46 Kögel, NZG 2000, 99.
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Rechtslage zu werfen. Als notwendiges Handlungsorgan (§ 6 Abs. 1 GmbHG)47 nimmt der Geschäftsführer namentlich folgende Zuständigkeiten wahr: die Vertretung im Außenverhältnis (§ 35 GmbHG), die Führung der Gesellschaft (Geschäftsführung im engeren Sinne)48, die Erfüllung von Anmeldungspflichten beim Handelsregister (§§ 7, 40, 54, 57, 57i, 58 Abs. 1 Nr. 3, 78 GmbHG), die Buchführung (§ 41 GmbHG), die Aufstellung des Jahresabschlusses und ggf. des Lageberichts (§§ 42, 42a GmbHG), die Einberufung der Gesellschafterversammlung (§ 49 Abs. 1 GmbHG), die Erfüllung von Informationspflichten gegenüber den Gesellschaftern (§ 51a GmbHG) und ggf. die Stellung eines Insolvenzantrags (§ 15 Abs. 1 Satz 1 InsO). Für das Vorhandensein eines Geschäftsführers zu sorgen – sei es durch Satzungsbestimmung (§ 6 Abs. 3 Satz 2 GmbHG), sei es durch Bestellungsbeschluss (§ 46 Nr. 5 GmbHG) – ist, sofern nicht ein Aufsichtsrat zuständig ist49, Sache der Gesellschafter. Da aber die Annahme des Amtes nicht erzwungen50 und selbst eine vertragswidrige Niederlegung des Amtes nicht verhindert werden kann51, können die Gesellschafter den Eintritt der Führungslosigkeit nicht mit rechtlichen Mitteln verhindern. Auch nachträglich beseitigen können sie diesen unerfreulichen Zustand nur, wenn ein Kandidat und eine für diesen stimmende Gesellschaftermehrheit (§ 46 Nr. 5 GmbHG) vorhanden ist, woran es vor allem in der 50:50-Zweipersonen-GmbH – z. B. einem Gemeinschaftsunternehmen – fehlen kann. Die Führungslosigkeit von Gesellschaften mbH, auch wenn sie nur in Einzelfällen akut wurde, begleitet deshalb als latente Gefahr manche Gesellschaft. Zu einem wahren Ärgernis auch für Dritte wurde sie bei gescheiterten Gesellschaften, wenn deren Anteile von sog. Firmenbestattern erworben und die Gesellschaften geschäftsführerlos ins Nirwana entlassen wurden52. 2. Abhilfe durch § 29 BGB, § 57 ZPO? a) Zwei Behelfslösungen stellte der Gesetzgeber bisher schon zur partiellen Überwindung der Handlungsunfähigkeit zur Verfügung: Analog § 29 BGB konnte schon vor dem MoMiG durch das Amtsgericht „in dringenden Fällen für die Zeit bis zur Behebung des Mangels“ auf Antrag eines Beteiligten ein Notgeschäftsführer bestellt werden53. Als „Beteiligter“ antragsberechtigt ist nicht nur jeder Gesellschafter54, sondern auch ein Dritter, z. B. ein Gläubi-
__________ 47 48 49 50 51
Uwe H. Schneider (Fn. 9), § 6 Rz. 2; ders. (Fn. 6), Nachtrag MoMiG § 35 Rz. 10. Vgl. Uwe H. Schneider (Fn. 6), Nachtrag MoMiG § 35 Rz. 11. Dazu Uwe H. Schneider (Fn. 9), § 6 Rz. 39 ff. Vgl. Uwe H. Schneider (Fn. 9), § 6 Rz. 56. BGHZ 121, 257, 261 = GmbHR 1993, 216; Uwe H. Schneider (Fn. 22), § 38 Rz. 87 m. umfangr. Nachw. 52 Dazu AG Memmingen, GmbHR 2004, 952; BegrRegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 26; Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2009, S. 366; Hirte, ZInsO 2003, 833. 53 RGZ 68, 172, 180; 116, 116, 118; 138, 98, 101; BGHZ 33, 189, 193; BayObLG, ZIP 1997, 1785, 1786; OLG Frankfurt, GmbHR 2001, 436; eingehend Hohlfeld, GmbHR 1986, 181, 182 ff. 54 Vgl. Uwe H. Schneider (Fn. 9), § 6 Rz. 61.
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ger55. Allerdings liegt ein dringender Fall nicht vor, wenn die Gesellschafter in der Lage sind, rechtzeitig für Abhilfe zu sorgen56. Wir haben es also mit einem im Ausgangspunkt wirksamen, aber auf „dringende Fälle“ beschränkten Instrument zu tun, dessen Handhabung durch das FG-Gericht57 – nicht zuletzt in Bezug auf die notwendige Vergütungsregelung58 – erheblichen bürokratischen Aufwand mit sich bringt. Selbst ein Gesellschafter kann nicht gegen seinen Willen zum Notgeschäftsführer bestellt werden59. Hinzu kommt, dass die Geschäftsführungsbefugnis auf den notwendigen Umfang zu beschränken ist60. Deshalb kann nicht verwundern, dass § 29 BGB als Instrument, Führungslosigkeit zu beseitigen, immer wieder Kritik gefunden hat61. b) Einfacher zu handhaben, aber nur für Dritte und nur für Passivprozesse der Gesellschaft geschaffen, ist die Bestellung eines Prozesspflegers durch das Prozessgericht nach § 57 ZPO62. Danach kann das Prozessgericht auf Antrag des Klägers für eine „nicht prozessfähige Partei“ – die GmbH ist nach der Prozessrechtsdoktrin ungeachtet der Anderes lehrenden Organtheorie63 in diesem Sinne „nicht prozessfähig“64 – bis zum Eintritt des gesetzlichen Vertreters einen „besonderen Vertreter“ bestellen. Dieser sog. Prozesspfleger ist nicht etwa bloß Passivvertreter für die Zustellung der Klageschrift, sondern er nimmt, begrenzt auf den konkreten Prozess, die Stellung eines gesetzlichen Vertreters der Prozesspartei ein65. Die hiermit verbundene Vertretungsmacht umfasst nicht nur die einer Passivpartei im Rahmen des Streitgegenstands zukommenden Rechtshandlungen – auch Aufrechnung66 und Vergleich67 gehören z. B. dazu!68 –, sondern der Prozesspfleger muss auch imstande sein, im Anwaltsprozess einen
__________ 55 Vgl. etwa Kutzer, ZIP 2004, 654; Wilhelm (Fn. 52), Rz. 1204 mit Fn. 1956; Helmschrott, ZIP 2001, 636, 637. 56 BayObLG, BB 1995, 2388; OLG Frankfurt, GmbHR 2006, 204. 57 Bumiller/Harders, FamFG, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 9. Aufl. 2009, § 375 FamFG Rz. 52. 58 Vgl. Uwe H. Schneider (Fn. 9), § 6 Rz. 5; für analoge Anwendung des § 85 Abs. 3 AktG etwa Kleindiek (Fn. 24), vor § 35 Rz. 24; für eine Analogie zu § 265 Abs. 4 AktG bei der Bestellung von außerordentlichen Liquidatoren nach § 66 Abs. 2 GmbHG bzw. Notliquidatoren analog §§ 48, 29 BGB Karsten Schmidt (Fn. 26), § 66 Rz. 50. 59 KG Berlin, NZG 2000, 650. 60 BayObLG, DB 1998, 2359; BayObLG, NZG 2000, 41; OLG Düsseldorf, ZIP 2002, 481 = EWiR 2002, 911 m. Anm. Reimann. 61 Vgl. nur Kögel, NZG 2000, 20 ff.; Helmschrott, ZIP 2001, 636 ff. 62 Zu ihr vgl. Kutzer, ZIP 2000, 654. 63 Das Handeln durch Gesellschaftsorgane ist in diesem Sinne Selbsthandeln der Körperschaft; vgl. Otto von Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 1887 (Nachdruck 1963), S. 603 ff. 64 Krit. Happ, Die GmbH im Prozess, 1997, § 3 Rz. 3. 65 Vgl. Lindacher in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2008, § 57 Rz. 19; Weth in Musielak, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 37 Rz. 5. 66 Vgl. nur Lindacher (Fn. 65), § 57 Rz. 20. 67 Soweit ersichtlich, schweigt die Literatur; zu Prozessvergleichen mit Prozesspflegern wird es, schon aus Haftungsgründen, nur in Sonderfällen kommen. 68 Enger wohl Bork in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2004, § 57 Fn. 27: „Erstreckung auf Willenserklärungen …, die der Rechtsverteidigung dienen“; großzügiger Vollkommer in Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2008, § 57 Rz. 9 i. V. m. § 81 Rz. 10.
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Prozessbevollmächtigten zu bestellen69. Das ist, wenn auch begrenzt auf den konkreten Prozess, nicht wenig an Vertretungsmacht. Soweit dies ausreicht, ist kein Raum für die auf „dringende Fälle“ beschränkte Notgeschäftsführerbestellung analog § 29 BGB70. Aber dem MoMiG-Gesetzgeber war dies nicht genug. c) Zweifelhaft ist, ob die fehlende Aktivvertretung bei der Geltendmachung von Sozialforderungen ausreichender Anlass für eine actio pro socio71 ist. Eine solche Gesellschafterklage, rechtskonstruktiv eine Prozessstandschaft72, ist zulässig, wenn die Gesellschaft Sozialansprüche gegen Geschäftsführer oder (ausgeschiedene) Gesellschafter unberechtigterweise nicht geltend macht73. Die Gesellschafterklage ist subsidiär in dem Sinne, dass eine Beschlussfassung nach § 46 Nr. 8 GmbHG Vorrang genießt74. Genau hierin liegt ein Zusammenhang mit der Führungslosigkeit: Wer geltend macht, dass sich die Gesellschaftermehrheit sowohl der Neubestellung eines Geschäftsführers als auch der Beschlussfassung über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach § 46 Nr. 8 GmbHG in den Weg stellt, kann den Weg der actio pro socio gehen. Eine praktisch bedeutende Rolle spielt diese Möglichkeit allerdings, schon wegen des Prozesskostenrisikos, nicht. 3. Die neuen Regeln Die wesentlichen Gesetzesbestimmungen sind die folgenden: – Nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG wird die führungslose Gesellschaft bei der Entgegennahme von Willenserklärungen und Zustellung von Schriftstücken durch die Gesellschafter vertreten, und zwar, wie sich aus § 35 Abs. 2 Satz 2 GmbHG ergibt, in Einzelvertretung. Diese Regelung gilt auch, wenn ein Aufsichtsrat vorhanden ist. Die in eine andere Richtung weisende Paragraphenkette § 52 Abs. 1 GmbHG, §§ 112, 78 Abs. 1 Satz 2 AktG tritt insofern zurück75. – § 15 Abs. 1 Satz 2 InsO gibt im Fall der Führungslosigkeit jedem Gesellschafter ein Recht zur Stellung eines Eigenantrags auf Insolvenzeröffnung. Allerdings beschränkt sich diese Einzelvertretung auf die Insolvenzeröffnungsgründe der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) und der Überschuldung (§ 19 InsO). Einen Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit können nach § 18 Abs. 3 InsO nur die organschaftlichen Vertreter in vertretungsberechtigter Zahl stellen76. Ein Antragsrecht des Aufsichtsrats kennt das Gesetz bezüglich der GmbH selbst im Fall der Führungslosigkeit nicht.
__________
69 Die Kommentare gehen hierauf, soweit ersichtlich, nicht ein. 70 OLG Zweibrücken, NZI 2001, 378. 71 Nicht: „actio pro societate“; vgl. zur Wortbildung Flume, Die juristische Person, 1983, S. 301 f. 72 Karsten Schmidt (Fn. 7), S. 636. 73 Vgl. nur OLG Köln, GmbHR 1993, 816; OLG Düsseldorf, GmbHR 1996, 689, 695 f. 74 Karsten Schmidt (Fn. 22), § 46 Rz. 161. 75 Vgl. Zöllner/Noack (Fn. 26), § 52 Rz. 116. 76 Mönnig in Nerlich/Römermann, InsO, 17. ErgLfg. 2009, § 18 Rz. 36 ff.
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Ist ein solcher vorhanden, so liegt ein Rückgriff auf die die Aktiengesellschaft betreffende Regel in § 15 Abs. 1 Satz 2 InsO nahe77, doch ist das Vorhandensein einer diesbezüglichen Lücke zu bezweifeln, zumal auch die Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 3 InsO im Fall einer GmbH auf die Gesellschafter beschränkt und nicht auf den Aufsichtsrat erstreckt ist78. 4. Rechtspolitische Ziele des MoMiG-Gesetzgebers? Bezogen auf die Ziele der Modernisierung („Mo“) und der Bekämpfung von Missbräuchen („Mi“) gehören die neuen Regeln über die führungslosen Gesellschaften nicht in den „Mo“-Bereich, sondern sie zielen klar auf den „Mi“Bereich. Sie zielen nicht wirklich auf Abhilfe in Fällen der Führungslosigkeit, sondern sie wollen die Flucht in die Führungslosigkeit verhindern. In der Regierungsbegründung lesen wir79: „Missbräuche durch sogenannte Firmenbestatter, die angeschlagene GmbHs durch Abberufung von Geschäftsführern und durch Aufgabe des Geschäftslokals einer ordnungsgemäßen Insolvenz und Liquidation zu entziehen suchen, werden vor allem auf zwei Wegen bekämpft: Erstens wird die Zustellung an die GmbH in solchen Fällen erleichtert. Zweitens werden bei Führungslosigkeit und Insolvenzreife der Gesellschaft auch die Gesellschafter verpflichtet, den Insolvenzantrag zu stellen. Zudem werden die Geschäftsführer zur Erstattung verpflichtet, wenn Zahlungen an Gesellschafter die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft herbeiführen mussten. Durch das Zusammenspiel der Maßnahmen sollen redliche Unternehmer und ihre Geschäftspartner geschützt werden.“
Die Regelungen über die führungslose GmbH zielen in eine dreifache Richtung: – Sie zielen zuallererst auf Dritte. Es soll bei Erklärungen und Zustellungen vermieden werden, dass diese mangels zuständiger Adressaten ins Leere gehen, und ein Ausweichen auf die öffentliche Zustellung (§ 185 ZPO) soll nur ganz hilfsweise, nämlich bei Unmöglichkeit der Zustellung unter der eingetragenen Anschrift erforderlich sein (§ 185 Nr. 2 ZPO), nicht dagegen schon bei bloßem Verschwinden oder Fehlen des nach §§ 170 f. ZPO notwendigen Vertreters80. – Sie zielen sodann auf den Schutz des Rechtsverkehrs gegen Insolvenzverschleppungsschäden: Eigenanträge auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens dürfen nicht am Fehlen eines antragsberechtigten (§ 15 InsO) und ggf. antragspflichtigen (§ 15a InsO) Geschäftsführers scheitern81. Der Gesetzgeber spricht insofern davon, es solle „eine Umgehung der Insolvenzantragspflicht verhindert werden“82.
__________ 77 Dafür Karsten Schmidt/Bitter in Scholz (Fn. 6), vor § 64 Rz. 67. 78 Zur fehlenden Antragspflicht der Aufsichtsratsmitglieder vgl. Karsten Schmidt (Fn. 26), Anh. § 64 Rz. 24. 79 BegrRegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 26. 80 BegrRegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 42, 53 f. 81 BegrRegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 55. 82 BegrRegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 55.
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– Sie zielen damit mittelbar – und am Ende entscheidend (!) – auf die Gesellschafter, in deren Hand es liegt, den Eintritt der Führungslosigkeit zu beenden bzw. ihn von vornherein zu verhindern. In den Worten der Gesetzesbegründung soll hiermit „ein mittelbarer Anreiz geschaffen werden, wieder ordnungsgemäß aktionsfähige Vertreter für die juristische Person zu bestellen, da die Verpflichtung zur Antragstellung für die Gesellschafter lediglich subsidiärer Natur ist“83. Die Vorschriften über die Führungslosigkeit der Gesellschaft werden hiernach ihre wahre Stärke nicht durch die Häufigkeit ihres Eingreifens unter Beweis stellen, sondern durch die – freilich nur hypothetisch feststellbare – Verhinderung von Führungslosigkeit84. Dass von einer regelrechten Rechtspflicht hierzu keine Rede sein kann, hat der Gesetzgeber auch dadurch unterstrichen, dass er – vielleicht doch zu kleinmütig85 – den Gesellschafter einer GmbH von der subsidiären Insolvenzantragspflicht freispricht, wenn er „von der Zahlungsunfähigkeit und (?)86 der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis“ hat (§ 15a Abs. 3 InsO), was er allerdings darlegen und im Streitfall beweisen muss87. Dazu lesen wir in der Regierungsbegründung88: „Eine ausufernde Nachforschungspflicht wird dem einzelnen Gesellschafter hiermit nicht auferlegt. Hat der Gesellschafter oder das Aufsichtsratsmitglied Kenntnis vom Insolvenzgrund, so ist dies für ihn freilich Anlass nachzuforschen, warum der Geschäftsführer keinen Insolvenzantrag stellt. Der Gesellschafter wird dann meist die Führungslosigkeit erkennen. Umgekehrt hat auch der Gesellschafter, der die Führungslosigkeit kennt, Anlass nachzuforschen, wie es um die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft steht. Dabei hat naturgemäß der kleinbeteiligte Gesellschafter (10 Prozent) weniger oder keinen Anlass zu solchen Überlegungen, weshalb ihm die Entlastung regelmäßig und ohne Schwierigkeiten gelingen wird. Mit Kenntnis im Sinne der Vorschrift ist die positive Kenntnis gemeint; Kennenmüssen genügt grundsätzlich nicht …“ Ergänzt wird freilich, Kenntnis könne nach der zu vergleichbaren Fällen ergangenen Rechtsprechung auch vorliegen, „wenn sich eine Person dieser Kenntnis bewusst verschlossen habe“89.
Warnend wird allerdings darauf hingewiesen, dass diese Erweiterung auf offenkundige Fälle der Führungslosigkeit beschränkt bleiben muss und nicht in eine Beobachtungspflicht der Gesellschafter einmünden darf90.
__________ 83 BegrRegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 55. 84 Vgl. schon Karsten Schmidt in VGR (Hrsg.), Die GmbH-Reform in der Diskussion, 2006, S. 143, 149. 85 Mit Recht kritisch die Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucks. 16/6140, S. 71; ganz gegenteilig sogar zur Gesetzesfassung Römermann, NZI 2008, 641, 646 („fragwürdig“ aufgrund der daran anknüpfenden strafrechtlichen Sanktion gemäß § 15a Abs. 4 InsO). 86 Dazu Karsten Schmidt (Fn. 26), Anh. § 64 Rz. 28; Römermann, NZI 2008, 641, 646. 87 BegrRegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 55; Römermann, NZI 2008, 641, 646. 88 BegrRegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 55. 89 BegrRegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 56; so auch Kleindiek (Fn. 24), Anh. zu § 64 Rz. 46. 90 Vgl. etwa Kleindiek (Fn. 24), Anh. zu § 64 Rz. 46 a. E.
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III. Keine subsidiäre Selbstorganschaft 1. Die Frage und die Antwort des Gesetzgebers a) Der Verfasser hat im Zuge der GmbH-Reform die Überlegung angestellt, ob nicht die Hilfszuständigkeiten und -verantwortlichkeiten der Gesellschafter einer führungslosen GmbH im Sinne einer subsidiären Selbstorganschaft fortgedacht werden könnten91. Das liefe darauf hinaus, dass eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, wie eine gesetzestypische Personengesellschaft, niemals führungslos würde, dass also die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse bei Fehlen eines Geschäftsführers den Gesellschaftern zuwüchsen, zweckmäßigerweise mit Einzelvertretungsbefugnis im Außenverhältnis wie bei der offenen Handelsgesellschaft. Die Gesetzesverfasser sind diesem Gedanken erkennbar nicht nähergetreten92. Die Führungslosigkeit von Gesellschaften auszuschließen, lag außerhalb ihres rechtspolitischen Plans. Dieser beschränkt sich auf singuläre, vordringlich erscheinende Rechtsfolgen der Führungslosigkeit. Allerdings sind diese, wie schon bemerkt, so beschaffen, dass die Gesellschafter selbst zur Vermeidung von Führungslosigkeit aufgerufen sind. b) Die bloße Passivvertretung bei Willenserklärungen und Zustellungen (§ 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG) ist ohne Zweifel gegenüber der Selbstorganschaft ein Aliud. Weder kann der Gesellschafter ein ihm zugegangenes Angebot annehmen, noch kann er auf eine ihm zugestellte Klage replizieren oder auch nur einen Anwalt für den Prozess bestellen. Konsequent hat deshalb der BGH kurz vor dem Erscheinen dieser Festschrift entschieden, dass die durch Zustellung an Gesellschafter erhobene Klage bis zur Bestellung eines Notgeschäftsführers oder Prozesspflegers unzulässig bleibt92a. c) Eher kann man schon in der Insolvenzordnung von Spuren einer subsidiären Selbstorganschaft sprechen. Nach § 10 Abs. 2 Satz 2 InsO sind, wo im Insolvenzverfahren eine Anhörung des Schuldners geboten ist, in Fällen der Führungslosigkeit die Gesellschafter zu hören. § 15 Abs. 1 Satz 2 InsO gibt jedem Gesellschafter, im Fall einer AG oder Genossenschaft daneben auch jedem Aufsichtsratsmitglied, das Recht, für die Gesellschaft einen Eigenantrag auf Insolvenzverfahrenseröffnung zu stellen. Indes: Mit einer Aktivvertretung der Gesellschaft hat dies wenig zu tun. Die Anhörung der Gesellschafter nach § 10 Abs. 2 Satz 2 InsO wurde keineswegs im Interesse der Gesellschafter oder auch nur der Gesellschaft eingeführt, sondern nur, um dem Gericht Verfahrensverzögerungen durch zwingend gebotene Anhörungen zu ersparen93: „Dem Gericht wird diesbezüglich ein Ermessen eingeräumt. Auf diese Weise wird die Möglichkeit geschaffen, anhand des konkreten Einzelfalls individuell zu entscheiden, ob eine Anhörung notwendig und sinnvoll erscheint. Dies wird bei großen Publikumsgesellschaften selten der Fall sein. Zu einem anderen Ergebnis wird man jedoch häufig
__________ 91 92 92a 93
Karsten Schmidt (Fn. 84), S. 143, 149 ff.; ders. GmbHR 2007, 1, 2. Karsten Schmidt, GmbHR 2008, 449, 451. BGH, DB 2010, 2719; dazu auch Verf. in GmbHR Heft 3/2011. BegrRegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 55.
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Karsten Schmidt bei kleinen überschaubaren Kapitalgesellschaften – regelmäßig bei GmbHs – kommen, wenn die Anhörung der beteiligten Personen Erfolg verspricht.“
Und das Insolvenzantragsrecht der Gesellschafter in Fällen der Führungslosigkeit (§ 15 Abs. 1 Satz 2 InsO), immerhin ein Fall einer Aktivvertretung, wurde vollends nur eingeführt, um die Insolvenzverschleppungshaftung der Gesellschafter in Führungslosigkeitsfällen (§ 15a Abs. 3 InsO) zu rechtfertigen94: „Dem nach dem vorgeschlagenen § 15a Abs. 3 (vgl. Nummer 3) zur Stellung eines Insolvenzantrags verpflichteten Gesellschafter muss auch ein entsprechendes Antragsrecht zustehen. § 15 wird daher durch die Neuregelung entsprechend ergänzt.“
Auch § 101 Abs. 1 Satz 2 InsO, 2. Halbsatz, wonach im Fall der Führungslosigkeit die Gesellschafter die Auskunfts- und Mitwirkungshandlungen der GmbH als Insolvenzschuldnerin nach § 97 InsO vorzunehmen haben95, behebt nicht die Führungsunfähigkeit, sondern soll nur das alsbaldige Steckenbleiben des Insolvenzverfahrens verhindern. 2. Bewertung Man wird dem Gesetzgeber im Grundsatz Recht geben müssen. Auf den ersten Blick erscheint zwar die subsidiäre Selbstorganschaft als eine Lösung von bestechender Konsequenz und Einfachheit, weil ja die Gesellschaft unter keinen Umständen mehr handlungsunfähig würde. Aber am Ende wäre allen Beteiligten mit einer solchen Lösung wohl weniger gedient als mit den nunmehr eingeführten Regelungen. Das hat im Wesentlichen drei Gründe: – Erstens sollte es dabei bleiben, dass das Fehlen des notwendigen (§ 6 Abs. 1 GmbHG) Leitungsorgans ein den Normativbestimmungen des GmbH-Gesetzes widersprechender Rechtszustand ist und dass sich Gesellschafter mbH nicht in einer selbstorganschaftlich verfassten geschäftsführerlosen GmbH gemütlich einrichten dürfen. Die Regelungen über die Führungslosigkeit sollten deshalb gezielt provisorischen Charakter haben und Anreiz zur Behebung der Führungslosigkeit geben. – Zweitens würde ein Konzept der subsidiären Selbstorganschaft wenig Rechtssicherheit, vor allem für Dritte, schaffen, sofern man nicht den Tatbestand der Geschäftsführerlosigkeit seinerseits zu einer eintragungsbedürftigen Tatsache machte und daran die Publizitätsfolgen der §§ 15 Abs. 1 und 3 HGB knüpfte. Das wiederum ist aus den oben genannten Gründen keine hoffnungsvolle Perspektive. – Drittens wäre eine subsidiäre Selbstorganschaft mit dem schwierigen Folgeproblem verknüpft, ob sie als Einzelgeschäftsführung und Einzelvertretung ausgestaltet werden soll. Dies wäre einerseits zweckmäßig, würde jedoch auf der anderen Seite zu neuen Zerreißproben unter streitenden Gesell-
__________ 94 BegrRegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 55. 95 Dazu Uhlenbruck in Karsten Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 4. Aufl. 2009, Rz. 7.148.
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schaftern führen und auch die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft nach außen nicht verbessern. Den Vorzug verdient deshalb die vom Gesetzgeber gewählte Lösung. 3. Zur Insolvenzverschleppung durch Gesellschafter § 15a Abs. 3 InsO – also die sog. Insolvenzantragspflicht der Gesellschafter in Fällen der Führungsunfähigkeit – ist, wie schon anklang, nicht Ausdruck subsidiärer Selbstorganschaft. Zwar ist die Insolvenzverschleppungshaftung im deutschen Recht so konstruiert, dass sie als Versäumung eines nach § 15 InsO möglichen und nach § 15a InsO gebotenen Insolvenzantrags im Namen der Gesellschaft erscheint96. Seinem entscheidenden Unrechtsgehalt nach aber besteht die Gesetzeswidrigkeit einer Insolvenzverschleppung nicht in der Versäumung eines in Vertretung der Gesellschaft zu stellenden Antrags bei Gericht, sondern im „wrongful trading“, also in der unerlaubten Fortführung eines materiell insolventen Unternehmens97. § 15a Abs. 3 InsO dehnt diese Haftung im Fall der Führungslosigkeit auf jeden Gesellschafter aus, es sei denn, diese Person hat von der Zahlungsunfähigkeit oder98 der Überschuldung oder der Führungslosigkeit keine Kenntnis. In der Praxis bedeutet dies, dass jeder Gesellschafter, sobald er von der Führungslosigkeit erfährt, die Solvenz der Gesellschaft prüfen und, wegen Insolvenzverschleppung zur Verantwortung gezogen, seine Nicht-Kenntnis unter Beweis stellen muss. Es ist dies eine wirksame Waffe gegen die Praxis der sog. Firmenbestattungen und ein wirksamer Hebel, der die Gesellschafter in Fällen der Krise anhalten wird, auf die Bestellung eines Geschäftsführers hinzuwirken. Anders als dieser können ja die Gesellschafter ihre Verantwortung nicht durch Amtsniederlegung abschütteln.
IV. Offene Folgeprobleme 1. Erfüllung von Anmeldungspflichten beim Handelsregister Mangels subsidiärer Selbstorganschaft fehlt es an einer Ersatzzuständigkeit der Gesellschafter im Handelsregisterrecht99. Die Notwendigkeit von Registeranmeldungen wird deshalb als ein ausreichender Grund für die Bestellung eines Notgeschäftsführers angesehen100. Die Frage ist von Belang bei nicht bloß eintragungsfähigen, sondern eintragungspflichtigen Tatsachen. Das Fehlen eines zur Anmeldung befugten Geschäftsführers ist z. B. unschädlich in den Fällen der §§ 7 f., 54, 57 GmbHG, denn hier wirkt die Eintragung konstitutiv
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96 Strafrechtlich wird der Verstoß als Unterlassungsdelikt aufgefasst (vgl. nur Tiedemann in Scholz [Fn. 6], vor §§ 82 ff. Rz. 31) jedoch nach der Ansicht des Verf. zu Unrecht; vgl. Karsten Schmidt (Fn. 26), § 64 Rz. 2; ders. in FS Rebmann, 1989, S. 419 ff. 97 Karsten Schmidt in Karsten Schmidt/Uhlenbruck (Fn. 95), Rz. 11.1 ff. 98 Im Gesetz: „und“; vgl. dazu aber Fn. 86. 99 So jetzt auch Schwab, DStR 2010, 333, 335. 100 Vgl. OLG München, FGPrax 2007, 281.
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und ist nicht erzwingbar (vgl. § 79 Abs. 2 GmbHG). Im Fall des § 39 GmbHG kann sich ein neu zu berufender Geschäftsführer selbst anmelden101. Dagegen lässt der Fortfall des einzigen oder letzten Geschäftsführers, obwohl nach § 39 Abs. 1 GmbHG anmelde- und eintragungspflichtig102, die Anmeldebefugnis auch bezüglich dieser eintragungspflichtigen Tatsache entfallen103. Die Möglichkeit einer Registerberichtigung von Amts wegen nach §§ 142 f. FGG, § 19 HRV (jetzt § 395 FamFG), auf die Schneider, wohl im Einklang mit der jüngeren registergerichtlichen Einschätzung, beschwichtigend hinweist104, setzt einen großzügigen Umgang mit dem Gesetzeswortlaut voraus, der eine unzulässige (nicht bloß unrichtige) Eintragung voraussetzt105. Jedenfalls regelmäßig wird die Beendigung des Geschäftsführeramts in diesen Fällen nur im Zusammenhang mit einer Neubestellung angemeldet und liegt dann in den Händen des Nachfolgers. Die Anmeldung nach § 39 GmbHG ist aber deklaratorisch, obligatorisch und durch Zwangsgeld erzwingbar (§ 78 GmbHG, § 14 HGB, §§ 388 ff. FamFG). Nur gibt es, wenn keine Geschäftsführer oder Liquidatoren vorhanden sind, niemanden, der nach §§ 78 f. GmbHG Adressat eines Erzwingungsverfahrens wäre. Das gilt für die Auflösung der Gesellschaft (§ 65 GmbHG)106, ebenso aber auch für das die Führungslosigkeit begründende Erlöschen des Geschäftsführeramts. Diesbezüglich ist aber, weil § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG hier keinerlei Hilfe bietet, solange kein Notgeschäftsführer bestellt ist, eine anmeldebefugte und anmeldepflichtige Person schlicht nicht vorhanden107. Insofern bedarf es des Nachdenkens über die bisher herrschende Auffassung, wonach sich der Registerzwang immer nur gegen anmeldepflichtige Personen richten kann (an denen es in den hier behandelten Fällen fehlt) und nicht gegen die Gesellschaft als juristische Person108. Wäre die Gesellschaft selbst, gesetzlich vertreten, als anmeldungspflichtig anzusehen, so könnten Zwangsgelder gegen sie, vertreten durch die Gesellschafter, verhängt werden. 2. Formalia bei Zustellungen nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG a) Bezüglich der Zustellung ist die Frage aufgetreten, wer in die Zustellungsurkunde aufzunehmen ist. Nach § 182 Abs. 2 ZPO enthält die Zustellungs-
__________ 101 OLG Köln, GmbHR 2001, 924; Kleindiek (Fn. 24), § 39 Rz. 6. 102 OLG München, FGPrax 2007, 281. 103 BayObLG, GmbHR 1982, 214; OLG Frankfurt, ZIP 1983, 1072; OLG Zweibrücken, GmbHR 1999, 479; Uwe H. Schneider (Fn. 22), § 39 Rz. 14; Winter/Veil in Scholz (Fn. 6), § 78 Rz. 11. 104 Uwe H. Schneider (Fn. 22), § 39 Rz. 14; s. auch OLG Zweibrücken, GmbHR 1999, 479. 105 Über Inhaltsmängel als Fälle unzulässiger Eintragungen vgl. Krafka in MünchKomm.ZPO, 3. Aufl. 2010, § 395 FamFG Rz. 11; nur auf den Fall eines gerichtlichen Tätigkeitsverbots passt BayObLG, NJW-RR 1989, 934. 106 Karsten Schmidt (Fn. 26), § 65 Rz. 7. 107 Treffend Winter/Veil (Fn. 103), § 78 Rz. 11. 108 Vgl. zu dieser h. M. Winter/Veil (Fn. 103), § 79 Rz. 18; ausdrücklich Haas in Baumbach/Hueck (Fn. 8), § 79 Rz. 5: „… nicht der Gesellschaft und den Gesellschaftern …“.
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urkunde die Bezeichnung der Person, der zugestellt werden muss (Nr. 1) und die Bezeichnung der Person, an die der Brief oder das Schriftstück übergeben wurde (Nr. 2). Der Umgang mit dieser Regel wäre einfach, wenn man als unter Nr. 1 fallend die Partei, also die Gesellschaft, anzusehen hätte und als unter Nr. 2 fallend den Geschäftsführer oder im Fall der Führungslosigkeit den Gesellschafter. So verhält es sich aber im Recht der zivilprozessualen Zustellung nicht. Als Zustellungsadressat wird bei einem gesetzlich vertretenen Zustellungsempfänger nicht dieser letztere angesehen, sondern dessen gesetzlicher Vertreter109. Das ist bei einer Gesellschaft deren Vertretungsorgan. Unter der Person, an die das zuzustellende Dokument übergeben wurde, versteht man im Rahmen des § 182 ZPO dagegen den rein tatsächlichen Empfänger, also gewissermaßen auch den Empfangsboten110. Diese Person anzugeben, ist leicht. Schwieriger kann es dagegen in Fällen wirklicher oder vermeintlicher Führungslosigkeit sein, einen gesetzlichen Vertreter zu benennen. Dies hat bei Uwe H. Schneider die Besorgnis aufkommen lassen, es müsse vielleicht der individuelle Gesellschafter in der Zustellungsurkunde aufgeführt werden, was, wie Schneider überzeugend bemerkt, mit dem Sinn und Zweck des § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG als einer die Zustellung erleichternden Vorschrift schwerlich vereinbar wäre111. Indes ist diese Befürchtung unbegründet112. Für eine Zustellung „im Geschäftslokal“ hat der Bundesgerichtshof anerkannt, dass die gesetzlichen Vertreter nicht namentlich genannt werden müssen113, und dies entspricht inzwischen einer ständigen Gerichtspraxis und der herrschenden Auffassung114. Auch die Bezeichnung eines in Wahrheit ausgewechselten Vertretungsorgans an Stelle des Nachfolgers ist demnach unschädlich115, und nicht anders ist es, wenn nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG an Stelle der in der Urkunde genannten „Geschäftsführer“ inzwischen die Gesellschafter als Passivvertreter der Gesellschaft berufen sind. Ihre fehlende oder unrichtige Benennung in der Urkunde hindert die wirksame Zustellung nicht. b) Eine andere Frage, z. B. bei der Erhebung einer Klage gegen die Gesellschaft, ist die nach der Zustellungsanschrift. Ohne weiteres reicht ein Eingang bei der Privatadresse aus116. Aber da die Gesellschafterliste nur den Wohnort der Gesellschafter enthält (vgl. § 40 Abs. 1 GmbHG), wäre sie bei einer Zustellung an die Gesellschafteranschrift keine verlässliche Hilfe. Die Zustellung kann jedoch bei der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsadresse (§ 10 Abs. 1
__________ 109 BGHZ 107, 296, 299 = NJW 1989, 2689; BGH, NJW 1997, 1584, 1586; VGH Kassel, NJW 1998, 920; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Aufl. 2009, § 182 Rz. 6; Häublein in MünchKomm.ZPO (Fn. 65), § 182 Rz. 5; Stöber in Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 182 Rz. 5. 110 Vgl. Häublein (Fn. 109), § 182 Rz. 6. 111 Uwe H. Schneider (Fn. 6), Nachtrag MoMiG § 35 Rz. 23 f. 112 Vgl. bereits zuvor Kleindiek in Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 8.48. 113 BGHZ 107, 296, 299 = NJW 1989, 2689. 114 Angaben bei Häublein (Fn. 109), § 182 Rz. 5. 115 Ähnlich Kleindiek (Fn. 112), Rz. 8.46 a. E. („… treffende Bezeichnung ihrer gesetzlichen Vertreter … unerheblich …“); vgl. auch Altmeppen (Fn. 20), § 35 Rz. 62. 116 Uwe H. Schneider (Fn. 22), § 35 Rz. 402; Wisskirchen/Kuhn (Fn. 21), § 35 Rz. 41.
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GmbHG) vollzogen werden117, und zwar bei Abwesenheit des in dem Schriftsatz benannten Gesellschafters auch durch Ersatzzustellung an eine bei der Gesellschaft beschäftigte Person (§ 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Zustellungsprobleme sind demgemäß in den von § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG erfassten Fällen praxisgerecht lösbar. 3. Notgeschäftsführerbestellung in der Insolvenz Soll ein Insolvenzverfahren unter dem Regime der Führungslosigkeit nicht bloß eröffnet, sondern auch betrieben werden, steht also kein Gesellschafter für die Übernahme des Geschäftsführeramts bereit, so wird die Praxis weiterhin nicht ohne die Bestellung eines Notgeschäftsführers analog § 29 BGB auskommen118. Damit stellt sich allerdings sogleich ein weiteres Problem: Der Notgeschäftsführer wird das Amt nicht antreten, wenn nicht ein Geschäftsführervertrag zustande kommt, der zu seinen Gunsten Masseforderungen nach § 55 InsO begründet119. Der Insolvenzverwalter seinerseits wird aber am Abschluss eines solchen Vertrags kein Interesse haben. Helfen kann dann nur die – aus dem Gesetz freilich nicht ablesbare – Befugnis des Gerichts zur Begründung eines solchen Vertrags an Stelle der gesetzlich vertretenen Gesellschaft120. Diese Befugnis ist mit den Folgen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO auszustatten121. Das Wissen darum, dass Masseforderungen auch ohne sein Zutun entstehen können, wird möglicherweise auch den Insolvenzverwalter zur Einsicht bringen. 4. Einfluss auf die Praxis zu § 29 BGB und § 57 ZPO Wenig geklärt sind auch noch mögliche Rückwirkungen der neuen Regeln auf die geschilderte Bestellung von Notgeschäftsführern oder Prozesspflegern. Eine Prozesspflegerbestellung nach § 57 ZPO setzt voraus, dass Gefahr im Verzug ist. Die Prozesspflegerbestellung hat Vorrang vor der Bestellung eines Notgeschäftsführers analog § 29 BGB122, wird ihrerseits durch die Möglichkeit einer Notbestellung jedenfalls nicht ausgeschlossen123. Aber die Annahme einer Notsituation („Gefahr im Verzug“) ist auch hier erforderlich. Dazu bedarf es nicht unbedingt einer ernstlichen Gefährdung oder Vereitelung von Rechten124. Es genügt, dass dem Kläger erhebliche Nachteile drohen125. Als ausreichender Grund für eine Prozesspflegerbestellung galt bisher die drohende
__________
117 Altmeppen (Fn. 20), § 35 Rz. 28; Zöllner/Noack (Fn. 26), § 35 Rz. 105b; Steffek, BB 2007, 2077, 2080. 118 Vgl. Cranshaw, jurisPR-InsR 7/2007 Anm. 2. 119 Vgl. Haas, GmbHR 2006, 729, 732; s. auch Zöllner/Noack (Fn. 26), § 35 Rz. 7 a. E. 120 Vgl. Weick in Staudinger, BGB, Neubearb. 2005, § 29 Rz. 12, sowie Bauer, Der Notgeschäftsführer in der GmbH, 2006, S. 201 f. 121 Vgl. Cranshaw, jurisPR-InsR 21/2008 Anm. 6. 122 OLG Zweibrücken, ZIP 2001, 973; Uwe H. Schneider (Fn. 9), § 6 Rz. 60 a. E.; Kutzer, ZIP 2000, 654; wohl a. A. OLG Köln, ZIP 2000, 280, 283. 123 OLG Dresden, GmbHR 2002, 163; OLG Zweibrücken, GmbHR 2007, 544; OLG München, NZG 2008, 160. 124 Dazu OLG Dresden, ZIP 2005, 1845, 1846. 125 RGZ 105, 401, 404 f.; Bork (Fn. 68), § 58 Rz. 4.
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Vom Sonderrecht der „führungslosen GmbH“ zur subsidiären Selbstorganschaft?
Verfristung einer Beschlussanfechtungsklage. So lesen wir etwa in einem Beschluss des OLG München126: „Um die Anfechtungsfrist zu wahren, ist erforderlich, dass die Klage spätestens am letzten Tag der Frist durch Zustellung der Klageschrift erhoben wird (§ 253 Abs. 1 ZPO). Zwar genügt gem. § 167 ZPO auch die rechtzeitige Einreichung der Klageschrift bei Gericht, jedoch nur insofern als die Zustellung demnächst, d. h. in nicht allzu erheblichem zeitlichen Abstand vom Fristablauf erfolgt (vgl. Hüffer, AktG, 7. Aufl., § 246 Rz. 23). Eine Zustellung kann jedoch … an die Beklagte so lange nicht bewirkt werden, als sie keine organschaftliche Vertretung hat. Da nicht abzusehen ist, wann ein gesetzlicher Vertreter für die Beklagte bestellt wird, sondern vielmehr damit zu rechnen ist, dass dies nicht alsbald geschehen wird, besteht für den Kläger die Gefahr, dass die Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG analog abläuft.“ Dies, so das OLG, verpflichte das Prozessgericht zu der vom Kläger beantragten Prozesspflegerbestellung. Es liegt auf der Hand, dass das in Anbetracht von § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG n. F. so nicht mehr gelten kann. Der Antrag auf Bestellung eines Prozesspflegers kann nicht mehr auf das bloße Zustellungshindernis gestützt werden, weil das Fehlen des Geschäftsführers kein solches Hindernis mehr ist. Wohl aber gibt die durch die Klagezustellung am Gesellschafter nicht behobene Prozessunfähigkeit der beklagten Gesellschaft Grund für die Bestellung126a. 5. Führungslosigkeit in Permanenz: ein Löschungstatbestand? Das Gesetz kennt keinen Löschungstatbestand, keine Zwangsauflösung der Gesellschaft (§ 62 GmbHG) und keine Auflösungs- (§ 61 GmbHG) bzw. – was im Effekt dasselbe ist127 – Nichtigkeitsklage (§ 75 GmbHG), wenn eine Gesellschaft – und sei es sogar dauerhaft – führungslos ist. Auf den ersten Blick mag das verwundern. Ein nennenswertes Bedürfnis für ein solches Instrument scheint aber nicht vorhanden zu sein. Sofern die Führungslosigkeit darauf beruht, dass sich Gesellschafter auf der Gesellschafterebene dauerhaft blockieren, kann diese Pattsituation u. U. selbst ein zur Auflösungsklage berechtigender wichtiger Grund i. S. v. § 61 GmbHG sein128. Das fügt sich in das Bild der herrschenden Auffassung ein: Es liegt im Interesse der Gesellschafter und in ihrem Aufgabenbereich, den Zustand der Führungslosigkeit zu beenden. Der unter ihnen bestehende Interessenkonflikt kann Grund für eine Auflösung der Gesellschaft sein. Die Führungslosigkeit als solche ist es nicht.
__________ 126 OLG München, NZG 2008, 160. 126a Vgl. Fn. 92a. 127 Karsten Schmidt (Fn. 7), S. 142; ders. (Fn. 26), § 75 Rz. 1; Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 139 ff.; Kleindiek (Fn. 24), § 75 Rz. 1. 128 Karsten Schmidt/Bitter in Scholz (Fn. 6), § 61 Rz. 18.
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Sven H. Schneider
(Mit-)Haftung des Geschäftsführers eines wegen Existenzvernichtung haftenden Gesellschafters Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Grundsätze der Haftung von Nichtgesellschaftern wegen Existenzvernichtung 1. Deliktsrechtlicher Anknüpfungspunkt der Existenzvernichtungshaftung 2. Keine Haftung von Nichtgesellschaftern nach § 826 BGB 3. Keine Haftung von Nichtgesellschaftern nach § 830 Abs. 1 BGB 4. Mögliche Haftung von Nichtgesellschaftern nach § 830 Abs. 2 BGB
III. Mögliche Haftung des Geschäftsführungsmitglieds der Obergesellschaft nach § 830 Abs. 2 BGB? 1. Ausgangspunkt der Überlegungen 2. Entwicklung des Haftungskonzepts der Existenzvernichtung 3. Argumente für eine (Mit-)Haftung des Geschäftsführungsmitglieds nach § 830 Abs. 2 BGB 4. Argumente gegen eine (Mit-)Haftung des Geschäftsführungsmitglieds nach § 830 Abs. 2 BGB IV. Zusammenfassung der Ergebnisse
I. Einleitung Der Jubilar, mein lieber Papa, ist – wie man auf Neu-Deutsch sagt – ein „Allround-Jurist“. Zu seinem selbstgeschaffenen Aufgabengebiet gehört eine Vielzahl wirtschaftsrechtlicher Fachrichtungen. Dazu zählt nicht nur das klassische Gesellschaftsrecht, bei dem ihn von jeher neben dem Konzernrecht und der Unternehmensfinanzierung auch Pflichten und Haftung der Geschäftsführer bzw. Vorstände und Aufsichtsräte in GmbH, AG und Personengesellschaft besonders beschäftigen. Der Jubilar ist darüber hinaus auch seit Jahren einer der Vorreiter bei der Erschließung der jüngeren Gebiete des geschriebenen und ungeschriebenen Wirtschaftsrechts, allen voran des Wertpapierhandels- und Übernahmerechts sowie der Corporate Governance und Corporate Compliance. Die Verknüpfung dieser vielfältigen Bereiche mit der, nicht nur gedanklichen, Gleichberechtigung von Forschung, Lehre und Praxis im Inund Ausland dürften mitentscheidend dafür sein, dass der Jubilar stets neben dem geschriebenen Gesetzeswortlaut die volkswirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Gesamtzusammenhänge in den Blick nimmt, sowohl im Sinne der Interessenjurisprudenz bei Anwendung des geltenden Rechts als auch durch rechtspolitische Stellungnahmen. Dem Jubilar sei ein Beitrag gewidmet, der seine weite Arbeitsweise aufzugreifen sucht. Von den vielen sich anbietenden Themen sei aus aktuellem Anlass die Fragestellung herausgegriffen, ob das (einzige) (Fremd-)Geschäftsführungsmitglied eines als juristische Person verfassten (Allein-)Gesellschafters einer 1177
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(Tochter-)GmbH unmittelbar gegenüber der (Tochter-)GmbH wegen Existenzvernichtung nach § 826 BGB haften kann. Zur sprachlichen Vereinfachung wird im Folgenden der (Allein-)Gesellschafter auch als „Obergesellschaft“ bezeichnet (ohne dass damit ein Konzern angenommen wird), die potentiell geschädigte (Tochter-)GmbH als „Untergesellschaft“ und das (einzige) (Fremd-)Geschäftsführungsmitglied der Obergesellschaft als „Geschäftsführungsmitglied“. Auf die Rechtsform der Obergesellschaft kommt es für die hier aufgeworfene Fragestellung nicht an, es wird sich in praxi aber oft ebenfalls um eine GmbH handeln.
Juristische Person („Obergesellschaft“) (Fremd-)Geschäftsführer („Geschäftsführungsmitglied“) Existenzvernichtung
(Allein-) Gesellschafter
GmbH („Untergesellschaft“)
Die auf den ersten Blick komplex anmutende Fragestellung ist von hoher Relevanz. Zahlreiche, insbesondere auch mittelständische Unternehmen sind als Gesellschaftsgruppen oder Konzerne mit Holdingstrukturen organisiert. Der Jubilar hat dies schon früh aufgegriffen, etwa durch seine Forderung nach der Einführung eines Konzernregisters1 oder durch seine laufende umfassende Forschung zur Zurechnung im Konzern. Wegen des Generationenwechsels werden die Holdinggesellschaften (hier: die Obergesellschaft) zunehmend durch Fremdgeschäftsführer geleitet. In der Insolvenz der Gruppe macht der Insolvenzverwalter der Untergesellschaft oft auch Ansprüche gegen die für die verhängnisvolle Geschäftsstrategie oft primär verantwortlichen Manager der Holding geltend. Deshalb soll im Folgenden untersucht werden, ob der Insolvenzverwalter mit Ansprüchen wegen existenzvernichtenden Eingriffs in die Belange der Untergesellschaft erfolgreich sein kann. Daneben wird der Insolvenzverwalter auch eine Haftung gegen die Geschäftsführer der Untergesellschaft wegen (Teilnahme an einer) Existenzvernichtung prüfen2. Auf diese treffen die folgenden Überlegungen im Ausgangspunkt eben-
__________ 1 Uwe H. Schneider, WM 1986, 181 ff. 2 Dazu Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 43 Rz. 287 f.; ausführlich auch Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402 ff.
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(Mit-)Haftung bei Existenzvernichtungshaftung
falls zu3. Dort stehen aber regelmäßig Ansprüche wegen Sorgfaltspflichtverletzung gegenüber der Tochtergesellschaft (§ 43 Abs. 2 GmbHG) und spezifisch mit der Insolvenz im Zusammenhang stehende Ansprüche (z. B. nach § 64 Satz 3 GmbHG) im Vordergrund, insbesondere wegen der geringeren Haftungsvoraussetzungen4. Im Folgenden soll deshalb der Schwerpunkt auf den Manager der Holding, also das Geschäftsführungsmitglied gelegt werden. Weitgehend außer Betracht bleiben außerdem andere Haftungsgrundlagen einer unmittelbaren Haftung des Geschäftsführungsmitglieds der Obergesellschaft gegenüber der Untergesellschaft (etwa nach § 309 AktG analog im Vertragskonzern)5 wie auch eine Innenhaftung des Geschäftsführungsmitglieds gegenüber „seiner“ Obergesellschaft (etwa nach § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2, 3 AktG)6. Im Folgenden werden zunächst die Grundsätze der Haftung von Nichtgesellschaftern wegen Existenzvernichtung im Allgemeinen dargestellt (unter II.) bevor auf dieser Grundlage auf die Frage einer möglichen Haftung des Geschäftsführungsmitglieds der Obergesellschaft eingegangen wird (unter III.).
II. Grundsätze der Haftung von Nichtgesellschaftern wegen Existenzvernichtung 1. Deliktsrechtlicher Anknüpfungspunkt der Existenzvernichtungshaftung Die nach wie vor relativ neue Dogmatik der Existenzvernichtungshaftung7, deren Ende allerdings Einige schon wieder einläuten wollen,8 führt nach der „Trihotel“-Entscheidung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zu einer „Haftung des Gesellschafters für missbräuchliche, zur Insolvenz der GmbH führende oder diese vertiefende kompensationslose Eingriffe in das der Zweckbindung zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger dienende Gesellschaftsvermögen“9. Der Haftungstatbestand soll „wie eine das gesetzliche Kapitalerhaltungssystem ergänzende, aber deutlich darüber hinaus-
__________ 3 Auch für Aufsichtsratsmitglieder der Untergesellschaft bzw. Obergesellschaft können sich ähnliche Fragen stellen. 4 Witt, DNotZ 2008, 220, 226. 5 Auch die durch die „Sanitary“-Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH (BB 2009, 1037) „eingeführte“ Haftung von Gesellschaftern wegen vorsätzlicher sittenwidriger Verletzung der Liquidationsvorschriften soll im Folgenden nicht behandelt werden. Es gelten aber ähnliche Grundsätze, weil es sich ebenfalls um einen deliktsrechtlichen Anspruch aus § 826 BGB handelt. 6 Dazu Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 43 Rz. 1 ff.; zu den verschiedenen Anspruchsgrundlagen gegen Manager siehe auch etwa Sven H. Schneider in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 8. 7 Teilweise wird in der Literatur auch der Begriff „Insolvenzverursachung“ verwendet (Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, Schlussanhang Konzernrecht, Überschrift vor Rz. 121), der allerdings verschleiert, dass auch insolvenzvertiefende Eingriffe haftungsbegründend sein können. 8 Altmeppen, ZIP 2008, 1201 ff. 9 BGHZ 173, 246 = ZIP 2007, 1552 („Trihotel“), 1. Leitsatz.
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Sven H. Schneider
gehende Entnahmesperre wirken, indem sie die sittenwidrige, weil insolvenzverursachende oder -vertiefende ‚Selbstbedienung‘ des Gesellschafters vor den Gläubigern der Gesellschaft durch die repressive Anordnung der Schadensersatzpflicht in Bezug auf das beeinträchtigte Gesellschaftsvermögen ausgleichen“ soll10. Dogmatischer Anknüpfungspunkt des Haftungstatbestands ist nicht mehr wie früher das Gesellschafts- bzw. Konzernrecht11 sondern die „deliktsrechtliche Generalklausel“12 des § 826 BGB. Die Existenzvernichtung ist also ein Unterfall der allgemeinen (Schadensersatz-)Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Diese dogmatische Verortung hat im Schrifttum sowohl Lob13 – nicht zuletzt durch den Jubilar –14 als auch Kritik15 erfahren, letzteres insbesondere wegen der § 826 BGB immanenten Begrenzung auf eine Vorsatzhaftung und – was zwar im „Trihotel“-Urteil ausdrücklich „festgelegt“ wird, aber sich nicht schon aus § 826 BGB ergibt – wegen der Beschränkung auf eine Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft (also keine Außenhaftung auch gegenüber den Gesellschaftsgläubigern)16. 2. Keine Haftung von Nichtgesellschaftern nach § 826 BGB § 826 BGB ist eine allgemeine Haftungsnorm des zivilrechtlichen Deliktsrechts, deren objektiver und subjektiver Tatbestand von jedermann erfüllt werden kann, ohne dass der Täter ein besonderes persönliches Merkmal erfüllen muss. Aus dem Kriterium der „Sittenwidrigkeit“17 leitet die ganz herrschende Meinung jedoch ab, dass der II. Zivilsenat des BGH die Existenzvernichtung als Sonderdelikt18 begreift19, das nur von einem Gesellschafter als (Haupt-)Täter
__________ 10 11 12 13
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BGH, ZIP 2008, 1232 („Gamma“). Zur historischen Entwicklung noch unten III. 2. Altmeppen, ZIP 2008, 1201, 1203. Vgl. etwa Altmeppen, NJW 2007, 2657 ff.; Hölzle, DZWiR 2007, 397 ff.; Gehrlein, WM 2008, 761 ff.; Leuering/Rubner, NJW Spezial 2007, 363 f.; Paefgen, DB 2007, 1907 ff.; Schaefer/Steinmetz, WM 2007, 2265 ff.; Schröder, GmbHR 2007, 934 f.; J. Vetter, BB 2007, 1965 ff.; Weller, ZIP 2007, 1681 ff.; Witt, DNotZ 2008, 220, 222. Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 43 Rz. 25c: „Der Wende der Rechtsprechung ist nachhaltig zuzustimmen. Gesellschafter haften nicht für fahrlässig fehlerhafte Weisungen. Eine solche fahrlässige Verhaltenshaftung wäre eine höchst problematische Durchbrechung der institutionalisierten Haftungsbeschränkung …“. Vgl. etwa Lieder, DZWIR 2008, 145 ff. Dazu etwa Altmeppen, ZIP 2008, 1201, 1202 f. m. w. N.; kritisch bezüglich einer reinen Innenhaftung auch Witt, DNotZ 2008, 220, 226. Zur Prüfung des Sittenwidrigkeitsmerkmals im Rahmen der Existenzvernichtung allgemein Kölbl, BB 2009, 1194, 1196 f. Teilweise wird auch der gleichbedeutende Begriff „Pflichtdelikt“ verwendet, vgl. etwa Witt, DNotZ 2008, 220, 225; im Zivilrecht wird auch von „eigenhändigen Delikten“ gesprochen, Wagner in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2009, § 830 Rz. 13. Andere Sonderdelikte im Gesellschaftsrecht sind etwa § 399 Abs. 1 Nr. 4 AktG (Handelsregisteranmeldung von Grundkapitalerhöhungen) und § 92 Abs. 2 AktG (Insolvenzantrag), vgl. Wagner in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2009, § 830 Rz. 13 m. w. N.
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(Mit-)Haftung bei Existenzvernichtungshaftung
begangen werden kann20. Der Sittenwidrigkeitsvorwurf beziehe sich gerade auf den planmäßigen eigen- oder fremdnützigen Entzug von Gesellschaftsvermögen, das der vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger diene. Hierin komme die besondere Verantwortung und Verpflichtung gegenüber dem für die Gläubiger reservierten Haftungsfonds zum Ausdruck, wie sie nur einen Gesellschafter treffe21. Über diese dogmatische Begründung kann man streiten. Nicht zu verkennen ist aber, dass auch der BGH offensichtlich in der „Trihotel“-Entscheidung davon ausging, dass nur Gesellschafter als (Haupt-)Täter in Frage kommen. Der II. Zivilsenat weist nämlich darauf hin, dass „Adressat einer Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs auch derjenige [ist], der zwar nicht an der geschädigten GmbH, wohl aber an einer Gesellschaft beteiligt ist, die ihrerseits Gesellschafterin der GmbH ist (Gesellschafter-Gesellschafter); dies gilt jedenfalls dann, wenn er einen beherrschenden Einfluss auf die geschädigte Gesellschaft ausüben kann … In dieser Lage ist nicht auf die formaljuristische Konstruktion, sondern auf die tatsächliche Einflussmöglichkeit abzustellen. Es wäre unbillig, wenn sich derjenige, in dessen Händen die Entscheidungsstränge der verschiedenen Gesellschaften zusammenlaufen, mit dem Hinweis auf seinen nur mittelbaren Anteilsbesitz der Verantwortung entziehen und die Gläubiger auf eine Inanspruchnahme der zwischengeschalteten Gesellschaft verweisen könnte. Wer in einer solchen Konstellation wie ein Gesellschafter handelt, muss sich auch als solcher behandeln lassen“22. Diese, an das überkommene gesellschafts- bzw. konzernrechtliche Haftungskonzept anknüpfende, Begründung macht deutlich, dass der II. Zivilsenat die Haftung eines Nichtgesellschafters für existenzvernichtende Eingriffe als besonders zu rechtfertigende Ausnahme begreift. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass nicht Jedermann (Haupt-)Täter sein kann23. Dem ist jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen. Nur zur Vollständigkeit kurz beleuchtet sei die Frage, ob für ein (Fremd-)Geschäftsführungsmitglied der Obergesellschaft ausnahmsweise etwas anderes gilt, so dass auch dieses tauglicher Täter des „Sonderdelikts Existenzvernichtung“ sein kann (oder gar sein muss). Ansatzpunkt einer solchen Überlegung
__________ 20 Weller, ZIP 2007, 1681, 1687; ihm folgend etwa Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 43 Rz. 86 und § 13 Rz. 101 ff.; Gehrlein, WM 2008, 761, 764; Kölbl, BB 2009, 1194, 1198; Habersack, ZGR 2008, 533, 546; Schaefer/Steinmetz, WM 2007, 2265, 2271; Hönn, WM 2008, 769, 770; insoweit auch J. Vetter, BB 2007, 1965, 1969; a. A. aber Servatius, BeckOK GmbHG, Stand 1.9.2009, Konzern Rz. 484.1: kein Sonderdelikt; so auch noch – vor der „Trihotel“-Entscheidung – Wagner in FS Canaris, 2007, S. 473, 496. 21 Witt, DNotZ 2008, 220, 225. 22 BGHZ 173, 246, 263 f., Rz. 44. 23 Nicht abschließend geklärt, hier aber nicht weiter zu untersuchen, ist die Frage, ob neben dem Gesellschafter-Gesellschafter auch ein „faktischer Gesellschafter“ dem unmittelbaren Gesellschafter gleichzustellen sein und deshalb als Haupttäter haften kann, dafür etwa Kölbl, BB 2009, 1194, 1198, dagegen Witt, DNotZ 2008, 220, 225; dagegen wohl auch Schröder, GmbHR 2007, 934, 935.
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ist nicht die Gleichsetzung mit einem unmittelbaren Gesellschafter, sondern der Umstand, dass die Obergesellschaft durch das Geschäftsführungsmitglied handelt. Die Obergesellschaft kann als juristische Person nicht aufgrund eigenen (objektiven und subjektiven) Verhaltens nach § 826 BGB haften. Erforderlich ist vielmehr die Zurechnung sowohl (des Handelns oder Unterlassens24) im objektiven Tatbestand als auch des Vorsatzes auf Ebene des subjektiven Tatbestandes. Zurechnungsträger ist das (einzige) Geschäftsführungsmitglied der Obergesellschaft, § 31 BGB25 analog. Die Obergesellschaft haftet mit anderen Worten nur aufgrund des (objektiven und subjektiven) Verhaltens ihres Geschäftsführers wegen Existenzvernichtungshaftung. Nun wird im Zusammenhang mit § 31 BGB insbesondere bei Verkehrssicherungspflichten seit langem die Frage diskutiert, ob die Pflicht zum Handeln nur eine solche der juristischen Person zu sein braucht, oder ob sie (auch) deren Geschäftsführer treffen muss26. Vorliegend geht es zwar nicht um Verkehrssicherungspflichten, das Grundproblem aber bleibt. Hintergrund der Diskussion ist nämlich u. a. der Wortlaut von § 31 BGB, der den Eindruck erweckt, die Haftung der juristischen Person setze die deliktische Haftung des Geschäftsführers voraus. Teilweise wurde deshalb die Ansicht vertreten, Verkehrssicherungspflichten der juristischen Person seien in Wahrheit (allein) Verkehrssicherungspflichten ihres Organwalters, der bei Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht unmittelbar deliktisch hafte, „vorrangig“ vor der nur abgeleitet nach § 31 BGB haftenden juristischen Person27. Selbst die Rechtsprechung kam im Bereich der Verkehrssicherungspflichten zu diesem Ergebnis28. Sie ordnete solche Pflichten zwar nicht allein dem Organwalter zu, sondern zusätzlich auch der juristischen Person. Dies ändert aber nichts an dem Ergebnis einer nur abgeleiteten Haftung der juristischen Person neben dem primär deliktisch haftenden Geschäftsführer. Übertragen auf die Existenzvernichtungshaftung würde dies bedeuten, dass gerade das Geschäftsführungsmitglied tauglicher (Haupt-)Täter des Sonderdelikts sein müsste, damit im Falle seiner Haftung auch die Obergesellschaft in die Haftung einbezogen werden könnte. Dass dieses Ergebnis nicht richtig sein kann, liegt auf der Hand. Vielmehr dient, ausgehend von der „erweiterten“ Organtheorie, § 31 BGB nicht nur der Ausdehnung der Haftung für deliktisches Handeln von Organwaltern, sondern auch der Zurechnung des
__________ 24 Zur Haftung für Existenzvernichtung wegen pflichtwidrigen Unterlassens insbesondere des einer Überwachungspflicht unterliegenden Geschäftsführers der geschädigten Untergesellschaft siehe Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 43 Rz. 287a. 25 § 31 BGB lautet: „Der Verein ist für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.“ Die Vorschrift gilt für juristische Personen entsprechend. 26 Reuter in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 31 Rz. 31. 27 Brüggemeier, AcP 191 (1991), 33 f. 28 BGHZ 109, 297 = NJW 1990, 976.
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(objektiven und subjektiven) Verhaltens der Organwalter29. Vorliegend kommt es also allein auf die besondere Täterqualität der Obergesellschaft an, nicht auch auf diejenige ihres Geschäftsführungsmitglieds. Darüber hinaus ergeben sich aus § 31 BGB oder der besonderen Stellung des Geschäftsführungsmitglieds gegenüber der Obergesellschaft auch keine Anhaltspunkte für eine Übertragung der Sonderdeliktseigenschaft (auch) auf das Geschäftsführungsmitglied. Dieses kann mit anderen Worten nicht als (Haupt-)Täter aus § 826 BGB haften (ohne dass sich dadurch an der möglichen Haftung der Obergesellschaft etwas ändert). 3. Keine Haftung von Nichtgesellschaftern nach § 830 Abs. 1 BGB Mit der Einordnung der Existenzvernichtungshaftung als ein nur von Gesellschaftern (oder diesen aufgrund besonderer Umstände gleichgestellten Personen) begehbares Sonderdelikt ist zwar die Haftung des Geschäftsführungsmitglieds der Obergesellschaft und sonstiger Dritter als alleiniger Haupttäter ausgeschlossen. Möglich ist aber aufgrund des deliktsrechtlichen Ausgangspunktes eine Haftung nach § 830 BGB. Allerdings scheidet eine Haftung als Mittäter gemäß §§ 826, 830 Abs. 1 BGB30 aus. Auch beim Mittäter müssen bei einem Sonderdelikt die besonderen Tätereigenschaften vorliegen31. 4. Mögliche Haftung von Nichtgesellschaftern nach § 830 Abs. 2 BGB In Betracht kommt aber bei Existenzvernichtung nach herrschender Meinung eine Haftung Dritter nach §§ 826, 830 Abs. 2 BGB32 als Anstifter oder Gehilfe, also als Teilnehmer, neben dem Gesellschafter33. Durch diese im Gesellschafts-
__________ 29 Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person – zugleich zur Eigenhaftung von Unternehmensleitern, 1997, S. 238 ff., 320 ff., 356; Reuter in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2006, § 31 Rz. 31; i. E. auch Dühn, Schadensersatzhaftung börsennotierter Aktiengesellschaften für fehlerhafte Kapitalmarktinformation, 2003, S. 118 f. Zu dem gleichen Ergebnis kommt man bei Anwendung der Organtheorie in ihrer „klassischen“ Ausprägung. 30 § 830 Abs. 1 BGB lautet: „1Haben mehrere durch eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung einen Schaden verursacht, so ist jeder für den Schaden verantwortlich. 2Das Gleiche gilt, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von mehreren Beteiligten den Schaden durch seine Handlung verursacht hat.“ 31 Eberl-Borges in Staudinger, BGB, Stand November 2007, § 830 Rz. 57. 32 § 830 Abs. 2 BGB lautet: „Anstifter und Gehilfen stehen Mittätern gleich.“ 33 Weller, ZIP 2007, 1681, 1687; für den Geschäftsführer der Untergesellschaft ausdrücklich Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 43 Rz. 287a; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 43 Rz. 86 und § 13 Rz. 101 ff.; Gehrlein, WM 2008, 761, 764; Kölbl, BB 2009, 1194, 1198; wohl auch Habersack, ZGR 2008, 533, 546; Schaefer/Steinmetz, WM 2007, 2265, 2271; a. A. J. Vetter, BB 2007, 1965, 1969. In der „Trihotel“-Entscheidung verweist der BGH auf eine mögliche Mithaftung eines (vorübergehend) nicht als Gesellschafter beteiligten Schädigers nach § 830 BGB (lässt dies aber i. E. dahinstehen).
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recht zunehmend an Bedeutung gewinnende Vorschrift34 können etwa Banken, Berater, wirtschaftlich starke Vertragspartner der Obergesellschaft sowie Geschäftsführer der Untergesellschaft in die Haftung einbezogen werden35. Bei Teilnehmern brauchen die bei einem Sonderdelikt für Haupttäter und Mittäter erforderlichen Tätereigenschaften nicht vorzuliegen36. Dies gilt auch beim existenzvernichtenden Eingriff37. Darauf hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich klarstellend hingewiesen38. Die Mithaftung nach § 830 Abs. 2 BGB ist im Gesellschaftsrecht trotz der erwähnten steigenden Bedeutung bislang noch relativ ungewöhnlich. Im weiteren Kontext des Unternehmensrechts ist sie aber schon jetzt verbreitet. Insbesondere im Kapitalmarktrecht, in dem deliktsrechtliche Haftungsnormen eine größere Bedeutung haben (vgl. etwa den zunehmend wichtigen Bereich der Informationsdelikthaftung wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformation)39, hat die Rechtsprechung bereits mehrfach die Mithaftung von Geschäftsführern und anderen mit dem Haupttäter „zusammenwirkenden Personen“ erörtert, etwa im Zusammenhang mit betrügerischen Kapitalanlagemodellen40. Auf der Rechtsfolgenseite ergibt sich kein Unterschied zwischen dem nach § 826 BGB haftenden Haupttäter und „seinem“ nach § 830 Abs. 2 BGB erfassten Anstifter oder Gehilfen. Anders als im Strafrecht ist weder der Gehilfe noch erst recht der Anstifter „Sünder zweiter Klasse“, der geringer „bestraft“ wird41. Vielmehr haften, weil es im Zivilrecht um Schadenskompensation geht, Haupttäter und Teilnehmer gleichrangig als Gesamtschuldner, § 840 BGB42.
__________ 34 Vgl. nur Fleischer, Gegenwarts- und Zukunftsfragen des Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts, in: Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, STABWECHSEL, Ansprachen aus Anlass des Wechsel im Direktorium, 2009, S. 29, 35. 35 Weller, ZIP 2007, 1681, 1687; enger J. Vetter, BB 2007, 1965, 1969. Nach streitiger Ansicht soll auch ein Mitgesellschafter, der den Eingriff bewusst nicht verhindert, aber nicht ohne weiteres einer Garantenstellung unterliegt, wegen Unterlassens in die Teilnehmerhaftung mit einbezogen werden können (dafür Schaefer/Steinmetz, WM 2007, 2265, 2271; Paefgen, DB 2007, 1907, 1909; zögerlich bis ablehnend Gehrlein, WM 2008, 761, 764). 36 BGHZ 105, 121, 133 f. („Kerkerbachbahn“); Fleischer, AG 2008, 265, 273. 37 Gehrlein, WM 2008, 761, 761. 38 BGHZ 173, 265, Rz. 46. 39 Zur Entwicklung BGHZ 160, 134 = AG 2004, 543 („Infomatec I“); BGHZ 160, 149 = AG 2004, 546 („Infomatec II“); BGH, NJW 2004, 2668 („Infomatec III“); BGH, NZG 2005, 672 („Haffa/EM.TV“). 40 Vgl. die Zusammenstellung der Beispiele bei Fleischer, AG 2008, 265, 268 f. 41 Zwischen den beiden Teilnahmeformen „Anstiftung“ und „Beihilfe“ gibt es im Zivilrecht keine wesentlichen Unterschiede. Deshalb wird im Folgenden auf den in der Praxis der Existenzvernichtung vor allem relevanten Fall der „Beihilfe“ Bezug genommen. 42 Vgl. Weller, ZIP 2007, 1681, 1687.
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(Mit-)Haftung bei Existenzvernichtungshaftung
Unterschiedlich sind allerdings die Haftungsvoraussetzungen. Der zivilrechtliche Teilnahmebegriff folgt im Ausgangspunkt dem Strafrecht43. Eine Teilnehmerhaftung verlangt deshalb die Haftung des Haupttäters44. Das Geschäftsführungsmitglied haftet mit anderen Worten niemals allein für existenzvernichtende Eingriffe, sondern nur zusammen mit der Obergesellschaft45. Weiterhin muss durch den Teilnehmer in objektiver Hinsicht ein Beitrag geleistet werden, der in irgendeiner Weise die Ausführung der Haupttat fördert oder für diese relevant ist46. Außerdem muss der Gehilfe einen zweifachen (zumindest bedingten) Vorsatz haben, nämlich sowohl hinsichtlich der Begehung der Haupttat durch den Gesellschafter als Haupttäter als auch hinsichtlich seiner Teilnahmehandlung (doppelter Teilnehmervorsatz)47. Danach verlangt die Teilnahme in subjektiver Hinsicht neben der Kenntnis der Tatumstände wenigstens in groben Zügen den Willen des Beteiligten, die Tat als fremde zu fördern48. Nach der herrschenden Meinung zur neuen Existenzvernichtungshaftung wird durch diese zusätzlichen Tatbestandsmerkmale gewährleistet, dass Dritte nicht vorschnell in die Haftung mit einbezogen werden49. Außerdem sei eine Haftung Dritter bei Vorliegen der zusätzlichen Voraussetzungen gerechtfertigt. Wer bewusst an einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung mitwirke, der bedürfe keines Schutzes50.
III. Mögliche Haftung des Geschäftsführungsmitglieds der Obergesellschaft nach § 830 Abs. 2 BGB? 1. Ausgangspunkt der Überlegungen Auf den ersten Blick betrifft die Möglichkeit einer Teilnehmerhaftung auch – und in der Praxis gerade – das hier betrachtete Geschäftsführungsmitglied der Obergesellschaft. Weitergehend hat es sogar den Anschein, als seien die zusätzlichen Voraussetzungen für die Haftung von Gehilfen im Hinblick auf das Geschäftsführungsmitglied nur theoretisch. Wie bereits dargestellt, haftet die Obergesellschaft als juristische Person nicht aufgrund eigenen (objektiven und
__________ 43 Daraus darf freilich entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht nicht der Schluss gezogen werden, eine Teilnehmerhaftung käme nur bei einem Haupttäter in Form einer natürlichen Person in Betracht, weil im Strafrecht nur natürliche Personen Haupttäter sein können, so aber offenbar Möllers/Leisch in KölnKomm.WpHG, §§ 37b, 37c Rz. 80. 44 Wagner in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2009, § 830 Rz. 8 ff. 45 Die einmal entstandenen parallelen Haftungsansprüche können sich allerdings unterschiedlich entwickeln, etwa wenn nur bei einem der beiden Ansprüche die Verjährung durch rechtzeitige Klageerhebung verhindert wird. 46 Fleischer, AG 2008, 265, 269 mit Verweis u. a. auf BGHZ 89, 383, 389. 47 Weller, ZIP 2007, 1681, 1687; Kölbl, BB 2009, 1194, 1198. 48 Fleischer, AG 2008, 265, 269 mit Verweis u. a. auf BGHZ 89, 383, 389. 49 Weller, ZIP 2007, 1681, 1687. 50 Kölbl, BB 2009, 1194, 1198.
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subjektiven) Verhaltens nach § 826 BGB. Erforderlich ist vielmehr nach § 31 BGB analog und den Vorgaben der Organtheorie die Zurechnung sowohl des Handelns oder Unterlassens im objektiven Tatbestand als auch des Vorsatzes auf Ebene des subjektiven Tatbestandes durch das Geschäftsführungsmitglied als Zurechnungsträger. Die Obergesellschaft haftet mit anderen Worten nur wegen Existenzvernichtungshaftung, weil ihr das Verhalten ihres Geschäftsführers zugerechnet wird. Dann aber erscheint es zumindest in der Praxis schwer vorstellbar, dass ein Gericht einen doppelten Vorsatz und die sonstigen zusätzlichen Voraussetzungen der Teilnehmerhaftung bei dem Geschäftsführungsmitglied verneinen wird, hat doch gerade dessen bewusstes Verhalten das Malheur verursacht. Die (Mit-)Haftung des Geschäftsführungsmitglieds der Obergesellschaft erscheint danach wie ein „Selbstläufer“. Dieser Ansatz würde allerdings zu kurz greifen. Man kann zwar eine Teilnehmerhaftung nicht schon mit dem zu formalen Argument ablehnen, es fehle an der für eine Teilnahmehandlung erforderlichen „Gemeinschaftlichkeit des Handelns“ weil der Geschäftsführer für die Gesellschaft handele51. Zu beachten ist aber, dass das Geschäftsführungsmitglied der Obergesellschaft in der Regel kein persönliches Interesse an dem Eingriff in das Gesellschaftsvermögen der Untergesellschaft hat. Das Geschäftsführungsmitglied handelt deshalb primär nicht für sich selbst, sondern als Organ der Obergesellschaft. Auf diese Fallkonstellation ist § 830 Abs. 2 BGB, der für unabhängig voneinander handelnde (natürliche) Personen geschaffen wurde, konzeptionell nicht zugeschnitten52. In verschiedenen anderen Bereichen, bei denen es um eine deliktische Gehilfenhaftung von Managern zusammen mit „ihrer“ Gesellschaft geht, kommt deshalb die herrschende Meinung nach Abwägung der in dem jeweiligen Zusammenhang bestehenden gesetzgeberischen Wertentscheidungen und des den Bereich regelnden Normenkomplexes zu dem Befund, dass eine (Mit-) Haftung des Geschäftsführers nach § 830 Abs. 2 BGB ausscheidet. Dogmatisch begründet wird dies dann meist vor allem damit, dass der Geschäftsführer aufgrund seines Handelns als Organ nicht den für die Haftung erforderlichen eigenen Gehilfenbeitrag leistet53. Besonders deutlich wird dies bei der zivilrechtlichen Haftung für Verletzung der Vorschriften über die Veröffentlichung von Ad Hoc-Mitteilungen. Nach
__________ 51 So aber im Zusammenhang mit der sogleich noch genauer zu erläuternden Haftung des Vorstands für fehlerhafte Ad Hoc-Mitteilungen des Emittenten. Dogan, Ad-hocPublizitätshaftung, 2005, S. 219; Zimmer in Schwark (Hrsg.), KapitalmarktrechtsKommentar, 3. Aufl. 2004, §§ 37b, 37c WpHG, Rz. 130; wohl auch Maier-Reimer/ Webering, WM 2002, 1857, 1864. 52 Dühn, Schadensersatzhaftung börsennotierter Aktiengesellschaften für fehlerhafte Kapitalmarktinformation, 2003, S. 118 f.; Maier-Reimer/Webering, WM 2002, 1857, 1864. 53 Fleischer, AG 2008, 265, 273; Maier-Reimer/Webering, WM 2002, 1857, 1864; Dühn, Schadensersatzhaftung börsennotierter Aktiengesellschaften für fehlerhafte Kapitalmarktinformation, 2003, S. 118 f.
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(Mit-)Haftung bei Existenzvernichtungshaftung
§ 37b WpHG54 bzw. § 37c WpHG55 kann ein Emittent von börsengelisteten Finanzinstrumenten Anlegern auf Schadensersatz haften, wenn er eine nach § 15 WpHG erforderliche Ad Hoc-Mitteilung nicht (rechtzeitig) veröffentlicht oder eine von ihm veröffentlichte Ad Hoc-Mitteilung unrichtig ist. Nach herrschender Meinung sind diese Haftungsnormen deliktsrechtlicher Natur (und
__________ 54 § 37b WpHG lautet: „(1) Unterlässt es der Emittent von Finanzinstrumenten, die zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen sind, unverzüglich eine Insiderinformation zu veröffentlichen, die ihn unmittelbar betrifft, ist er einem Dritten zum Ersatz des durch die Unterlassung entstandenen Schadens verpflichtet, wenn der Dritte 1. die Finanzinstrumente nach der Unterlassung erwirbt und er bei Bekanntwerden der Insiderinformation noch Inhaber der Finanzinstrumente ist oder 2. die Finanzinstrumente vor dem Entstehen der Insiderinformation erwirbt und nach der Unterlassung veräußert. (2) Nach Absatz 1 kann nicht in Anspruch genommen werden, wer nachweist, dass die Unterlassung nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht. (3) Der Anspruch nach Absatz 1 besteht nicht, wenn der Dritte die Insiderinformation im Falle des Absatzes 1 Nr. 1 bei dem Erwerb oder im Falle des Absatzes 1 Nr. 2 bei der Veräußerung kannte. (4) Der Anspruch nach Absatz 1 verjährt in einem Jahr von dem Zeitpunkt an, zu dem der Dritte von der Unterlassung Kenntnis erlangt, spätestens jedoch in drei Jahren seit der Unterlassung. (5) Weitergehende Ansprüche, die nach Vorschriften des bürgerlichen Rechts auf Grund von Verträgen oder vorsätzlichen unerlaubten Handlungen erhoben werden können, bleiben unberührt. (6) Eine Vereinbarung, durch die Ansprüche des Emittenten gegen Vorstandsmitglieder wegen der Inanspruchnahme des Emittenten nach Absatz 1 im Voraus ermäßigt oder erlassen werden, ist unwirksam.“ 55 § 37c WpHG lautet: „(1) Veröffentlicht der Emittent von Finanzinstrumenten, die zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen sind, in einer Mitteilung nach § 15 eine unwahre Insiderinformation, die ihn unmittelbar betrifft, ist er einem Dritten zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dadurch entsteht, dass der Dritte auf die Richtigkeit der Insiderinformation vertraut, wenn der Dritte 1. die Finanzinstrumente nach der Veröffentlichung erwirbt und er bei dem Bekanntwerden der Unrichtigkeit der Insiderinformation noch Inhaber der Finanzinstrumente ist oder 2. die Finanzinstrumente vor der Veröffentlichung erwirbt und vor dem Bekanntwerden der Unrichtigkeit der Insiderinformation veräußert. (2) Nach Absatz 1 kann nicht in Anspruch genommen werden, wer nachweist, dass er die Unrichtigkeit der Insiderinformation nicht gekannt hat und die Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht. (3) Der Anspruch nach Absatz 1 besteht nicht, wenn der Dritte die Unrichtigkeit der Insiderinformation im Falle des Absatzes 1 Nr. 1 bei dem Erwerb oder im Falle des Absatzes 1 Nr. 2 bei der Veräußerung kannte. (4) Der Anspruch nach Absatz 1 verjährt in einem Jahr von dem Zeitpunkt an, zu dem der Dritte von der Unrichtigkeit der Insiderinformation Kenntnis erlangt, spätestens jedoch in drei Jahren seit der Veröffentlichung. (5) Weitergehende Ansprüche, die nach Vorschriften des bürgerlichen Rechts auf Grund von Verträgen oder vorsätzlichen unerlaubten Handlungen erhoben werden können, bleiben unberührt. (6) Eine Vereinbarung, durch die Ansprüche des Emittenten gegen Vorstandsmitglieder wegen der Inanspruchnahme des Emittenten nach Absatz 1 im Voraus ermäßigt oder erlassen werden, ist unwirksam.“
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beruhen nicht auf Vertrags- oder Vertrauensschutzgesichtspunkten)56. Trotz dieser Einordnung nimmt die herrschende Meinung aber an, dass eine Mithaftung der Organmitglieder nach § 830 Abs. 2 BGB nicht in Betracht kommt. Die Vorgabe des Gesetzgebers, dass für fehlerhafte Ad Hoc-Mitteilungen nur der Emittent haften soll, entfalte insoweit eine Sperrwirkung57. Der Vorstand solle nur im Innenverhältnis haften. Dies gilt im Hinblick auf die Haftung der Geschäftsführer nach wohl herrschender Meinung nicht nur bei grob fahrlässigen Verstößen (die, wie jeweils Abs. 2 von §§ 37b, 37c WpHG zeigen, neben einer Vorsatztat ebenfalls für eine Haftung ausreichen), sondern selbst bei Vorsatz58. Eine Außenhaftung soll nur eintreten, wenn einem Organmitglied ein über die fehlerhafte Ad Hoc-Mitteilung hinausgehendes Fehlverhalten zur Last gelegt werden kann, etwa eine Straftat oder eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung bestimmter Anleger59. Die Frage ist nun, ob ähnliche Wertungen auch im Rahmen des existenzvernichtenden Eingriffs bestehen und deshalb dazu führen, dass eine Haftung des Geschäftsführungsmitglieds neben „seiner“ Obergesellschaft ausscheiden muss. Dies lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern bedarf einer Analyse von Sinn und Zweck der Existenzvernichtungshaftung, der Gründe ihrer dogmatischen Neuverortung und der anderen den Gesamtbereich regelnden Normen und Haftungsfiguren. 2. Entwicklung des Haftungskonzepts der Existenzvernichtung In den Blick zu nehmen sind zunächst die, an anderer Stelle bereits hinlänglich beschriebenen, Hintergründe des Haftungsinstituts „existenzvernichtender Eingriff“ und dessen Entwicklung. Ausgangspunkt war bekanntlich die Erkenntnis, dass das an die Erhaltung der bilanziellen Stammkapitalziffer anknüpfende Kapitalschutzsystem der §§ 30, 31 GmbHG bestimmte, allgemein als missbräuchlich und „haftungswürdig“ angesehene Fallkonstellationen nicht erfasst60. Insbesondere ging es schon früh um Fälle nicht bilanzwirksam werdender betriebsfremder Eingriffe, wie etwa
__________
56 Sethe in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, §§ 37b, 37c Rz. 17 ff., 23 m. w. N. auch zur a. A.; Möllers/Leisch in KölnKomm.WpHG, 2007, §§ 37b, 37c Rz. 80; für Vertrauensschutzhaftung aber etwa Dogan, Ad-hoc-Publizitätshaftung, 2005, S. 218; Zimmer in Schwark (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, 3. Aufl. 2004, §§ 37b, 37c WpHG Rz. 130. 57 Fleischer, AG 2008, 265, 273; Möllers/Leisch in KölnKomm.WpHG, 2007, §§ 37b, 37c Rz. 80; plakativ Eberl-Borges in Staudinger, BGB, Stand November 2007, § 830 Rz. 57: Die „juristische Person handelt (und unterlässt) durch ihre Organe. Die Organmitglieder als Anstifter oder Gehilfen der juristischen Person anzusehen, würde die juristische Konstruktion überstrapazieren“; a. A. Sethe in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, §§ 37b, 37c Rz. 131; Reichert/Weller, ZRP 2002, 49, 54. 58 Maier-Reimer/Webering, WM 2002, 1857, 1864; a. A. wohl Fleischer, AG 2008, 265, 273. 59 Eberl-Borges in Staudinger, BGB, Stand November 2007, § 830 Rz. 57. 60 Skeptisch gegenüber dem Bestehen einer Schutzlücke zumindest auf der Tatbestandsseite aber unter Berufung auf das Insolvenzrecht Rubner, Der Konzern 2007, 635, 640 f.
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(Mit-)Haftung bei Existenzvernichtungshaftung
den Abzug von Mitarbeitern oder nicht bilanzierungsfähigen Vermögenswerten61. Schwer zu greifen waren diese Fälle immer dann, wenn keine speziellen Haftungsvorschriften helfen konnten (z. B. gesetzliche Wettbewerbsverbote62) und auch eine Haftung wegen Verletzung von Treupflichten dogmatische Schwierigkeiten bereitete, also vor allem bei Einmanngesellschaften (wie in dem hier zugrunde gelegten Beispiel)63. Eine mit Hilfe solcher Maßnahmen oftmals vorgenommene „kalte Liquidation“ der Gesellschaft unter Umgehung der in der Insolvenzordnung und in §§ 65 ff. GmbHG vorgesehenen Gläubigerschutzvorschriften wird allgemein als nicht hinnehmbar angesehen64. Weiterhin geht es um „solche Eingriffe, bei denen eine Rückgewähr nach § 31 GmbHG allein die Insolvenz nicht mehr zu beseitigen vermag“65, weil die Rückgewähr bereits eingetretene „Kollateralschäden“ nicht kompensieren kann66. Die Lösung des Problems suchte die Rechtsprechung ursprünglich in einem konzernrechtlichen Ansatz durch eine analoge Anwendung von §§ 302, 303 AktG67. Dies führte zunächst zu einer Ausfallhaftung des herrschenden Gesellschafters im „qualifiziert-faktischen Konzern“ gegenüber den Gläubigern der abhängigen und vermögenslosen GmbH, wenn der herrschende Gesellschafter deren Geschäfte dauernd und umfassend selbst führte. In der Folgezeit wurde die Ausfallhaftung zu einer Verlustübernahmepflicht ausgedehnt68, es blieb aber bei dem konzernrechtlichen Konzept. Begründet wurde die Haftung mit einer besonderen „Konzerngefahr“: Während (herrschende) Gesellschafter normalerweise am Wohlergehen ihrer Gesellschaft interessiert seien, könne sich dies im Konzern ändern, weil der herrschende Gesellschafter noch andere wirtschaftliche Interessen verfolge. Diese Begründung zeigte jedoch zugleich die Schwäche des Ansatzes. Auch ein herrschender Gesellschafter, der neben seiner Mitgliedschaft keine anderweitigen wirtschaftlichen Interessenbindun-
__________ 61 Seit „Abschaffung“ der Grundsätze des „November“-Urteils des II. Zivilsenats (BGHZ 157, 9 = BB 2004, 293 f.) durch den durch das MoMiG (Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23. Oktober 2008, BGBl. I 2008, S. 2026 ff.) geänderten § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG erscheint zumindest fraglich, ob auch der, mit den Vorgaben des § 30 GmbHG in Einklang stehende, bilanzneutrale Abzug von Liquidität ein existenzvernichtender Eingriff sein kann, vgl. Kölbl, BB 2009, 1194, 1197; diese Fallgruppe aber wohl in Bezug nehmend Habersack, ZGR 2008, 533, 537 („Entzug betriebsnotwendiger Liquidität“). 62 Vgl. etwa das von der Rechtsprechung entwickelte Wettbewerbsverbot des dominierenden Gesellschafters, BGHZ 89, 162, 165 ff. = NJW 1984, 1351 („Heumann/ Ogilvy“); BGH, ZIP 2005, 296. 63 Vgl. Habersack, ZGR 2008, 533, 535 f., der zu Recht darauf hinweist, dass die richtungsweisenden Entscheidungen des II. Zivilsenats zum qualifiziert-faktischen Konzern bzw. zum existenzvernichtenden Eingriff stets zur Einpersonen-GmbH oder jedenfalls zur GmbH mit geschlossen agierendem Gesellschafterkreis ergangen sind. 64 Habersack, ZGR 2008, 533, 542. 65 BGHZ 173, 246, 256, Rz. 24. 66 Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 43 Rz. 25a; Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34, 37. 67 BGH, NJW 1986, 188 ff. („Autokran“). 68 BGHZ 107, 7, 15 ff. = NJW 1989, 1800 („Tiefbau“).
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gen mit konzernrelevantem Gefährdungspotenzial betreibt und dessen Beherrschung deshalb nicht zu einem Konzern führt, kann „seine“ Gesellschaft zulasten der Gläubiger bewusst schädigen wollen69. Zunächst wurde versucht, diese konzeptionelle Schwäche zu beseitigen, indem – dogmatisch nicht völlig stimmig im Rahmen des konzernrechtlichen Ansatzes – die Haftung ausgedehnt wurde auf einen geschäftsführenden Alleingesellschafter, der zugleich ein einzelkaufmännisches Unternehmen führte und weitere Beteiligungen an GmbHs hielt70. Als deutlich wurde, dass dies dauerhaft nicht weiterführte, leiteten die folgenden Leitentscheidungen des Bundesgerichtshofs insoweit eine Wende ein, als haftungsbegründend nunmehr der Umstand sein sollte, dass „der die GmbH beherrschende Unternehmensgesellschafter die Konzernleitungsmacht in einer Weise ausübt, die keine angemessene Rücksicht auf die eigenen Belange der abhängigen Gesellschaft nimmt, ohne dass sich der ihr insgesamt zugefügte Nachteil durch Einzelausgleichsmaßnahmen kompensieren ließe“71. Die endgültige Abkehr von der konzernrechtlichen Verankerung des Haftungsinstituts (und damit vom „qualifiziert-faktischen Konzern“) hin zu einer „einfach-gesellschaftsrechtlichen“ Durchgriffshaftung für existenzvernichtende Eingriffe erfolgte durch die „Bremer Vulkan“-Entscheidung72 des II. Zivilsenats, die durch die „KBV“-Entscheidung73 fortgesetzt wurde. Der dogmatische Anknüpfungspunkt konnte nie abschließend geklärt werden74, wurde aber mehrheitlich in einer teleologischen Reduktion von § 13 Abs. 2 GmbHG75 und/oder einer analogen Anwendung von § 128 HGB gesehen76. Schon bald zeigten sich allerdings die Schwächen der durch die „Bremer Vulkan“-Entscheidung geschaffenen „gesellschaftsrechtlichen Form“ des existenzvernichtenden Eingriffs. Wegen des Konzepts der Durchgriffshaftung musste der betroffene Gesellschafter für sämtliche Schäden der Gläubiger der geschädigten GmbH eintreten, obwohl in der Regel sein zu missbilligender Eingriff in die Geschäfte der GmbH nur teilweise zum Schaden der Gläubiger beigetragen hatte. Oft hatte sich die betreffende GmbH nämlich bereits in der Schieflage befunden, so dass die Forderungen der Gläubiger schon vor dem Eingriff des Gesellschafters nicht mehr vollwertig waren77. Zusätzlich kam im Zuge des europäischen Binnenmarktes und der diesen unterstützenden Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs „Centros“78,
__________ 69 Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 277 im Anschluss an Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402, 407. 70 Vgl. etwa BGHZ 115, 187, 189 = NJW 1991, 3142 („Video“). 71 BGHZ 122, 123, 130 = NJW 1993, 1200 („TBB“). 72 BGHZ 149, 10, 16 f. = NJW 2001, 3622 („Bremer Vulkan“). 73 BGHZ 151, 181, 186 ff. = NZG 2002, 914 („KBV“). 74 Vgl. etwa Wagner in FS Canaris, 2007, S. 473, 475 f., 482 ff. 75 Altmeppen, ZIP 2002, 1553, 1555 f.; Bitter, WM 2001, 2133, 2139 f. 76 Altmeppen, ZIP 2002, 1553, 1559 f.; Bitter, WM 2001, 2133, 2139; Bruns, WM 2003, 815, 816; vgl. auch die Zusammenfassung bei Wagner in FS Canaris, 2007, S. 473, 483. 77 Habersack, ZGR 2008, 533, 541. 78 EuGH, Slg., 1999, I-1459 = NJW 1999, 2027 ff. („Centros“).
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„Überseering“79 und „Inspire Art“80 der Wunsch auf, mit dem Haftungskonzept nicht nur deutsche Gesellschaften mit beschränkter Haftung zu erfassen, sondern auch vergleichbare Gesellschaften ausländischer Rechtsform81. Letztere machten zunehmend hierzulande Geschäfte und wurden – zumindest vorübergehend – auch von deutschen Unternehmern als Gesellschaftsmodell verstärkt genutzt. Deshalb sollte zum Schutz sowohl deutscher Gläubiger als auch der deutschen „GmbH“ eine Gleichberechtigung (level playing field) der Gesellschaftsformen sichergestellt werden82. Diese Umstände führten schließlich zu der in der „Trihotel“-Entscheidung vorgenommenen dogmatischen Neuverortung des existenzvernichtenden Eingriffs in § 826 BGB als Figur des allgemeinen Deliktsrechts. Vorliegend bedeutsam ist der sowohl bei dem konzernrechtlichen Haftungsinstitut des „qualifiziert-faktischen Konzerns“ als auch bei dem „existenzvernichtenden“ Eingriff in seiner ursprünglichen gesellschaftsrechtlichen Fundierung gegebene Umstand, dass als Haftungsadressat nur der (herrschende) Gesellschafter in Betracht kam, nicht aber ein Geschäftsführungsmitglied des Gesellschafters oder sonstige Dritte. Im Gegenteil hatte der II. Zivilsenat in der „Bremer Vulkan“-Entscheidung eine Haftung des Geschäftsführers der herrschenden Gesellschaft ausdrücklich abgelehnt83. Mit anderen Worten ist erst durch die Neuverortung des existenzvernichtenden Eingriffs im Deliktsrecht eine mögliche Mithaftung des Geschäftsführungsmitglieds der Obergesellschaft auf den Plan getreten, nämlich aufgrund der jetzt gegebenen Teilnehmerhaftung gemäß § 830 Abs. 2 BGB, die dem Gesellschaftsrecht und Konzernrecht in dieser Form fremd sind. Weiterhin zeigt die Untersuchung, dass die Teilnehmerhaftung nicht, zumindest nicht primär, Ziel des II. Zivilsenats bei der Neuverortung des Haftungstatbestandes war. Grund der mehrfachen Neuorientierung waren die dargestellten Schwächen des Konzernrechts und allgemeinen Gesellschaftsrechts als Haftungsgrundlage. Die seit dem „Trihotel“-Urteil also, je nach Fortgang dieser Untersuchung, unter Umständen quasi automatisch eintretende Mithaftung des Geschäftsführungsmitglieds wäre mit anderen Worten eine unbeabsichtigte Nebenfolge.
__________ 79 80 81 82
EuGH, Slg., 2002, I-9919 = NJW 2002, 3614 ff. („Überseering“). EuGH, Slg., 2003, I-10155 = NJW 2003, 3331 ff. („Inspire Art“). Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 276; J. Vetter, BB 2007, 1965, 1965. In der Zwischenzeit werden allerdings vor dem Hintergrund des Internationalen Privatrechts und Europarechts Zweifel geäußert, ob die beabsichtigte Ausdehnung der Haftung auf Gesellschafter von (Schein-)Auslandsgesellschaften sich mit Hilfe von § 826 BGB erreichen lässt, dazu etwa Gehrlein, WM 2008, 761, 769; Schanze, NZG 2007, 681, 685 f.; Weller, ZIP 2007, 1681, 1688; J. Vetter, BB 2007, 1965, 1969 f. 83 BGHZ 149, 10, Rz. 13 („Bremer Vulkan“); dazu Wagner in FS Canaris, 2007, S. 473, 495 f.
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3. Argumente für eine (Mit-)Haftung des Geschäftsführungsmitglieds nach § 830 Abs. 2 BGB Die Erkenntnis, dass die Eröffnung einer Mithaftung des Geschäftsführungsmitglieds der Obergesellschaft kein Primärziel der Neuverortung des existenzvernichtenden Eingriffs war, bedingt freilich noch nicht zwingend den Ausschluss einer Haftungsmöglichkeit nach § 830 Abs. 2 BGB. Immerhin lassen sich nämlich bei Untersuchung des Gesamtzusammenhangs verschiedene Argumente für eine solche Mithaftung finden: Bemerkenswert ist zunächst, dass in der vertraglich beherrschten AG und GmbH sowie bei der faktisch konzernierten AG die gesetzlichen Vertreter der Obergesellschaft neben dieser Obergesellschaft persönlich und unmittelbar im Außenverhältnis auf Schadensersatz haften können. Namentlich bei fehlerhafter Erteilung von Weisungen im Vertragskonzern (§ 309 AktG) bzw. bei Veranlassung der Untergesellschaft zu nachteiligen, später nicht ausgeglichenen Maßnahmen im faktischen Aktienkonzern (§ 317 AktG) haften die Manager der Obergesellschaft persönlich (§ 309 Abs. 2 AktG bzw. § 317 Abs. 3 AktG). Zumindest § 309 AktG gilt entsprechend bei der konzernierten GmbH84. Weiterhin können nach herrschender Meinung zumindest bei einer Untergesellschaft in der Rechtsform einer AG die Geschäftsführer einer Obergesellschaft persönlich nach § 117 AktG haften, wenn sie vorsätzlich unter Benutzung ihres Einflusses auf die Untergesellschaft ein Vorstandsmitglied oder Aufsichtsratsmitglied, einen Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigten dazu bestimmen, zum Schaden der Untergesellschaft oder ihrer Aktionäre zu handeln85. Die unmittelbare (Mit-)Haftung von Managern einer Obergesellschaft für ein von ihnen getriebenes Fehlverhalten bei einer Untergesellschaft ist also keineswegs ungewöhnlich. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint eine Haftung auch im Kontext der Existenzvernichtung durchaus stimmig. Außerdem kann man darauf hinweisen, dass die dargestellte Nichtanwendung von § 830 Abs. 2 BGB auf Vorstandsmitglieder im Rahmen fehlerhafter Ad Hoc-Mitteilungen offenbar vor allem die Fallgruppe der (grob) fahrlässigen Pflichtverletzung in den Blick nimmt. Vorliegend geht es jedoch um die Beteiligung an vorsätzlichem und sogar sittenwidrigem Fehlverhalten. In solch gravierenden Fällen erscheint eine unmittelbare Mithaftung eher gerechtfertigt.
__________ 84 Sven H. Schneider in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 8 Rz. 66; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, Anhang § 13 GmbHG Rz. 79; Emmerich in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2006, Anhang § 13 GmbHG (Konzernrecht) Rz. 183 f. 85 Eine analoge Anwendung von § 117 AktG auf die GmbH wird teilweise vertreten, hat sich aber bislang nicht durchgesetzt, dafür aber Burgard, WuB II. C. § 13 GmbHG 1.02; Burgard, ZIP 2002, 827, 837 f.; Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter für Einflußnahmen auf die Geschäftsführung der GmbH, 1996, S. 212 ff.
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(Mit-)Haftung bei Existenzvernichtungshaftung
4. Argumente gegen eine (Mit-)Haftung des Geschäftsführungsmitglieds nach § 830 Abs. 2 BGB Es gibt allerdings auch eine Reihe von – im Ergebnis m. E. ausschlaggebenden – Argumenten gegen die Möglichkeit einer Mithaftung des Geschäftsführungsmitglieds einer Obergesellschaft für existenzvernichtende Eingriffe bei der Untergesellschaft. Was den soeben angestellten Vergleich mit der unmittelbaren Geschäftsführerhaftung bei § 117 AktG betrifft, so hilft dieser vorliegend nur bedingt weiter. Bei § 117 AktG geht es nicht um eine Teilnehmerhaftung nach § 830 Abs. 2 BGB, sondern um eine direkte Eigenhaftung des Organmitglieds der Obergesellschaft, weil § 117 AktG anders als der Existenzvernichtungstatbestand kein Sonderdelikt ist86. Darüber hinaus ist gegen eine – wie dargestellt in aller Regel automatische – Mithaftung ins Feld zu führen, dass die „Erfindung“ des existenzvernichtenden Eingriffs (bzw. zuvor des qualifiziert-faktischen Konzerns) mit dem Ziel erfolgte, die Ansprüche gegen den Gesellschafter aus §§ 30, 31 GmbHG zu komplementieren. Bei Ansprüchen aus diesen Haftungsnormen ist eine Mithaftung unabhängiger Dritter, jedenfalls solange sie nicht Zahlungsempfänger sind, nicht vorgesehen87. Dies wäre durch einen „Federstrich des Gesetzgebers“ ohne weiteres möglich gewesen, so wie es etwa bei §§ 309, 317 AktG geschehen ist. Offensichtlich sah der Gesetzgeber jedoch für gläubigerschädigende Eingriffe in die Stammkapitalziffer nur die Gesellschafter in der Pflicht. Dann aber wäre es ein Widerspruch zu dieser legislativen Wertungsentscheidung, wenn ein durch Richterrecht geschaffenes ergänzendes Haftungsinstitut auch zu einer automatischen – und das ist der Unterschied zu sonstigen Dritten – Haftung der Geschäftsführer des Gesellschafters führen würde. Das gleiche Bild zeigt sich bei dem gesellschaftsrechtlichen Haftungskonzept der Treupflichtverletzung. Jeden Gesellschafter trifft gegenüber den anderen Gesellschaftern sowie, zumindest bei Vorhandensein weiterer Gesellschafter, gegenüber der Gesellschaft eine Pflicht zu getreulichem Verhalten. Inhalt der Treupflicht ist es, als Mitglied der GmbH deren Interessen zu wahren, sie insbesondere nicht durch schädigendes Verhalten zu beeinträchtigen88. Besondere Bedeutung kommt der Treuepflicht wegen der spezifischen Gefährdungslage in Abhängigkeitssituationen bzw. im Konzern zu. Eine Haftung kommt hier insbesondere in Betracht, wenn ein herrschendes Unternehmen gegenüber einer abhängigen GmbH schuldhaft schädliche Weisungen erteilt89. Im vorliegenden
__________ 86 Zur nach ganz herrschender Meinung deliktsrechtlichen Natur von § 117 AktG siehe BGH, NJW 1992, 3167, 3172; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 117 Rz. 2; a. A. aber Voigt, Haftung aus Einfluss auf die Aktiengesellschaft (§§ 117, 309, 317 AktG), 2004, S. 58 ff., 72 ff. 87 Unstr. Ekkenga in MünchKomm.GmbHG, 2010, § 31 Rz. 28; Habersack in Großkomm.GmbHG, 2006, § 31 Rz. 14 ff. 88 Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 13 Rz. 21. 89 Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 109.
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Zusammenhang beachtlich ist, dass nach herrschender Meinung eine (Mit-) Haftung des Geschäftsführungsmitglieds des Gesellschafters ausscheidet, wenn der Gesellschafter wegen Treupflichtverletzung haftet90. Dogmatisch ließe sich eine solche Mithaftung etwa durch eine analoge Anwendung von § 317 Abs. 3 AktG begründen91. Die herrschende Meinung lehnt dies aber bewusst ab92. Nun sind die Fälle einer Treupflichtverletzung in der Unternehmensgruppe oft denen einer Existenzvernichtung sehr vergleichbar, mit dem einzigen Unterschied, dass es Minderheitsgesellschafter gibt, die eine Haftung wegen Treupflichtverletzung (dogmatisch ermöglichen und) durchsetzen93. Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn durch die deliktsrechtliche Verortung des existenzvernichtenden Eingriffs nunmehr auch der Geschäftsführer des Gesellschafters zur Haftung herangezogen würde, obwohl dies bislang bei den im Hinblick auf den Unrechtsgehalt vergleichbaren Treupflichtverstößen vermieden wurde. Weiterhin ist eine in der Sache vergleichbare Zurückhaltung hinsichtlich einer Ausdehnung der Managerhaftung von einer Meinung bereits für den Geschäftsführer der Untergesellschaft geäußert worden94. Danach soll die Haftung des Geschäftsführers der Untergesellschaft im Innenverhältnis nachrangig sein gegenüber der Haftung des Gesellschafters. Dann aber kann für den Geschäftsführer des Gesellschafters zumindest keine weitergehende Haftung gelten, wie sie eine automatische Mithaftung als Gesamtschuldner aus §§ 830 Abs. 2, 840 BGB darstellen würde.
__________ 90 OLG Bremen, AG 1999, 466, 467 = NZG 1999, 724; Habersack in Emmerich/ Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, Anhang § 318 AktG Rz. 30 Fn. 81; Sven H. Schneider in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 2. Aufl. 2010, § 8 Rz. 68. 91 Trotz seines missverständlichen Wortlauts betrifft § 317 Abs. 3 AktG nach ganz herrschender Meinung die gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens, vgl. etwa Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl. 2010, Anhang § 317 AktG Rz. 22. 92 OLG Bremen, AG 1999, 466 = NZG 1999, 724; Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 109; für eine entsprechende Anwendung aber Altmeppen, Die Haftung des Managers im Konzern, 1998, S. 78 ff. und 84 ff.; Altmeppen, ZIP 2009, 49, 55; Jungkurth, Konzernleitung bei der GmbH, 2000, S. 188 ff.; jetzt wohl auch Mülbert/Leuschner, NZG 2009, 281, 284 („in Erwägung zu ziehen“). 93 Ansprüche aus Treupflichtverletzung sind – anders als die Haftung wegen Existenzvernichtung (Kölbl, BB 2009, 1194, 1197; Schanze, NZG 2007, 681, 683) – grundsätzlich disponibel, entstehen also nicht bei Einverständnis aller Gesellschafter oder sind jedenfalls durch Gesellschafterbeschluss verzichtbar (Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, Schlussanhang Konzernrecht, Rz. 110, auch zur möglichen Ausnahme von der Disponibilität bei bewusster Gläubigerschädigung). In der Einmanngesellschaft versagt daher nach herrschender Meinung eine Haftung wegen Treupflichtverletzung (Zöllner in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, Schlussanhang Konzernrecht Rz. 110). 94 Casper in Großkomm.GmbHG, 2008, Anhang zu § 77 Rz. 123 – 125 im Anschluss an Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402, 407 (der Beitrag erschien vor der „Trihotel“-Entscheidung aber nach der „KBV“-Entscheidung).
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(Mit-)Haftung bei Existenzvernichtungshaftung
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass eine Haftung des Geschäftsführungsmitglieds zwar im Einzelfall gerechtfertigt sein mag, dies aber dann in aller Regel auch ohne Rückgriff auf §§ 826, 830 Abs. 2 BGB sichergestellt werden kann. Dies gilt vor allem, wenn das Geschäftsführungsmitglied zugleich der Geschäftsführung der Untergesellschaft angehört. In diesen Fällen wird zumindest eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO wegen Insolvenzverschleppung bzw. nach § 43 Abs. 2 GmbHG und/oder § 64 GmbHG im Verhältnis zu Untergesellschaft vorliegen. Und auch wenn das Geschäftsführungsmitglied der Obergesellschaft nicht zugleich Organwalter der Untergesellschaft ist, wird es doch regelmäßig haften, und zwar im Innenverhältnis gegenüber der Obergesellschaft wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht (§ 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2, 3 AktG). Eines Rückgriffs auf §§ 826, 830 Abs. 2 BGB bedarf es deshalb auch nicht wegen einer sonst drohenden Haftungslücke. Die besseren Gesichtspunkte sprechen deshalb dafür, dass das Geschäftsführungsmitglied der Obergesellschaft nicht nach § 830 Abs. 2 BGB zusammen mit der Obergesellschaft für existenzvernichtende Eingriffe in die Belange der Untergesellschaften haften kann. Dogmatisch ergibt sich dies daraus, dass der Geschäftsführer aufgrund seines Handelns als Organ nicht den für die Haftung erforderlichen eigenen Gehilfenbeitrag leistet.
IV. Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Dogmatischer Anknüpfungspunkt des existenzvernichtenden Eingriffs ist nicht mehr das Konzernrecht (damals noch „qualifiziert-faktischer Konzern“ genannt) oder das einfache Gesellschaftsrecht, sondern die „deliktsrechtliche Generalklausel“ des § 826 BGB. 2. Der Sittenwidrigkeitsvorwurf des existenzvernichtenden Eingriffs bezieht sich nach herrschender Meinung auf den planmäßigen Entzug von Gesellschaftsvermögen, das der vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger dient. Die darin zum Ausdruck kommende besondere Verantwortung und Verpflichtung gegenüber dem für die Gläubiger reservierten Haftungsfonds trifft nur die Gesellschafter. Der existenzvernichtende Eingriff ist deshalb ein Sonderdelikt, dessen Täter im Sinne von § 826 BGB nur ein Gesellschafter oder eine einem Gesellschafter gleichzusetzende Person (insbesondere ein Gesellschafter-Gesellschafter) sein kann. Dritte scheiden als Täter aus. Dies gilt auch für eine Mittäterschaft nach § 830 Abs. 1 BGB. 3. Dritte können als Anstifter oder Gehilfe gemäß § 830 Abs. 2 BGB an dem existenzvernichtenden Eingriff eines Gesellschafters teilnehmen und haften dann mit diesem als Gesamtschuldner. Erforderlich ist in objektiver Hinsicht ein für die Haupttat relevanter Unterstützungsbeitrag sowie subjektiv ein doppelter Teilnehmervorsatz, bezogen auf die Haupttat des Gesellschafters und die eigene Unterstützungsleistung. Durch diese zusätzlichen Tatbestandsmerkmale wird in der Regel gewährleistet, dass Dritte nicht vorschnell in die Haftung mit einbezogen werden.
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4. Ein als juristische Person verfasster Gesellschafter kann nur wegen Existenzvernichtung haften, weil ihm das tatbestandsbegründende objektive und subjektive Verhalten seines Geschäftsführers zugerechnet wird. Dies könnte dazu führen, dass der Geschäftsführer die zusätzlichen Teilnehmervoraussetzungen stets erfüllt und deshalb „automatisch“ als Teilnehmer mithaftet. 5. Der Geschäftsführer handelt nicht für sich selbst, sondern in seiner Eigenschaft als Organ des Gesellschafters. Ein solches fremdbezogenes Handeln, für das § 830 Abs. 2 BGB konzeptionell nicht angelegt ist, kann nur dann als Gehilfenbeitrag angesehen werden, wenn dies der gesetzgeberischen Wertentscheidung entspricht. In anderen Bereichen, etwa bei der Ad Hoc-Pflicht, wird deshalb eine Mithaftung des Geschäftsführers abgelehnt. 6. Sowohl beim „qualifiziert-faktischen Konzern“ als auch beim existenzvernichtenden Eingriff in seiner ursprünglichen Ausgestaltung als gesellschaftsrechtliches Haftungskonzept kam eine Mithaftung des Geschäftsführers des Gesellschafters nicht Betracht. 7. Die neue dogmatische Einordnung des existenzvernichtenden Eingriffs im Deliktsrecht diente nicht dem Zweck einer Haftungsausdehnung auf den Geschäftsführer des Gesellschafters, sondern verfolgte andere Ziele. 8. Für eine Mithaftung des Geschäftsführers neben „seiner“ Obergesellschaft sprechen dennoch verschiedene Gesichtspunkte: Die persönliche Haftung des Managers für bestimmte nachteilige Maßnahmen bei einem abhängigen Tochterunternehmen ist im Vertragskonzern für AG und GmbH sowie im faktischen Konzern zumindest für die AG (§ 309 Abs. 2 AktG (analog) bzw. § 317 Abs. 3 AktG) anerkannt. Auch § 117 AktG lässt eine persönliche Außenhaftung der gesetzlichen Vertreter der Obergesellschaft zu. Eine solche persönliche Haftung ist also nicht ungewöhnlich und man kann argumentieren, dass sie sich stimmig ins Gesamtkonzept einfügt. 9. Die besseren Argumente sprechen nach einer Gesamtschau des gesetzgeberischen Willens gegen eine – faktisch automatische – Mithaftung des Geschäftsführers des Gesellschafters: Insbesondere ergänzt die Existenzvernichtungshaftung §§ 30, 31 GmbHG, die keine Mithaftung des Geschäftsführers der Obergesellschaft kennen, so dass auch das diese ergänzende Institut nicht zur Haftung führen darf. Das Gleiche folgt aus dem Umstand, dass im Rahmen einer Treupflichtverletzung eine Mithaftung des Geschäftsführers der Obergesellschaft ausscheidet. Dogmatisch formuliert fehlt es an einem eigenen Gehilfenbeitrag des Geschäftsführers, weil er nur als Organ des Gesellschafters handelt.
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Normadressat der Pflicht zur Abgabe einer Entsprechenserklärung Inhaltsübersicht I. Ausgangspunkt: „Vorstand und Aufsichtsrat erklären …“ II. Meinungsstand III. Gesellschaft als erklärendes Subjekt 1. Funktion und Struktur der Organe 2. Konzeption des § 161 AktG 3. Entsprechenserklärung als Teil der Erklärung zur Unternehmensführung
4. Zwischenfazit IV. Folgerungen 1. Zwang zu einer einheitlichen Erklärung 2. Möglichkeit der Außenhaftung V. Ergebnis
I. Ausgangspunkt: „Vorstand und Aufsichtsrat erklären …“ Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten Aktiengesellschaft sowie nunmehr auch bestimmter anderer kapitalmarktaktiver Aktiengesellschaften haben nach § 161 Abs. 1 AktG jährlich zu erklären, dass den vom Bundesministerium der Justiz bekannt gemachten Empfehlungen der „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“ entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet werden und warum nicht. Dieser Mechanismus einer gesetzlichen Pflicht zur Abgabe einer Entsprechenserklärung zu einem als solchen nicht verbindlichen Verhaltenskodex hat dessen Empfehlungen in kürzester Zeit ein hohes Maß an praktischer Durchsetzung verschafft1. Weiterhin hat der BGH inzwischen unmissverständlich klargestellt, dass es sich dabei auch keineswegs um insgesamt nicht sanktioniertes „soft law“ handelt. Denn seiner Rechtsprechung zufolge können zugunsten der Verwaltungsmitglieder gefasste Entlastungsbeschlüsse anfechtbar sein, wenn die Erklärung von der tatsächlichen Praxis der Gesellschaft in einem nicht unwesentlichen Punkt abweicht2. Schließlich wurde das Regelungsregime der Entsprechenserklärung durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz nachjustiert3. Nunmehr sind zum einen Abweichungen von den
__________ 1 Vgl. die periodischen Berichte von v. Werder/Talaulicar, DB 2009, 689; zuletzt DB 2010, 853. 2 BGHZ 180, 9 Tz. 19 ff. = AG 2009, 285 – „Kirch/Deutsche Bank“; BGH, AG 2009, 824 Tz. 16 ff. – „Umschreibungsstopp“; BGH, ZIP 2010, 879 Tz. 9; zur Einordnung Goette in FS Hüffer, 2010, S. 225 ff.; Mutter, ZGR 2009, 787 ff.; E. Vetter, NZG 2009, 561 ff. 3 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts v. 25.5.2009, BGBl. I 2009, S. 1102.
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Empfehlungen des DCGK zu begründen4; zum anderen ist die Entsprechenserklärung in die nach § 289a HGB abzugebende Erklärung zur Unternehmensführung aufzunehmen, welche dann ihrerseits zum Bestandteil des Lageberichts zu machen ist. Zwar sind die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den mit der Entsprechenserklärung verbundenen Anspruch des Kodex auf Rechtsgeltung als mittelbare Rechtsquelle ohne staatliche Rechtssetzung immer noch nicht abschließend ausgeräumt5. Ungeachtet dessen haben sich die Unternehmen jedenfalls einstweilen auf die geschilderte Rechtslage einzustellen und damit zu rechnen, dass der Prozess zunehmender Verrechtlichung der schon bisher intensiv geführten Diskussion um eine mögliche Bedeutung der Entsprechenserklärung oder gar des Kodex selbst für eine Verantwortlichkeit der Organmitglieder im Innenverhältnis zur Gesellschaft und im Außenverhältnis gegenüber den Anlegern neuen Auftrieb verleiht6. Im Folgenden ist jedoch weder vom Inhalt der Entsprechenserklärung noch von den in Betracht kommenden Sanktionsmechanismen zu handeln, vielmehr ist die vorgelagerte Frage zu erörtern, wer eigentlich Adressat der Pflicht zur Abgabe der Erklärung ist. Die Antwort fällt unspektakulär aus, soweit es um die betroffenen Gesellschaften geht. Ursprünglich richtete sich § 161 AktG lediglich an alle börsennotierten Gesellschaften im Sinne des § 3 Abs. 2 AktG. Mit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz wurde der Anwendungsbereich dann – den Vorgaben von Art. 46a Abs. 3 der geänderten Bilanzrichtlinie7 Rechnung tragend – auch auf diejenigen Aktiengesellschaften erstreckt, die ausschließlich andere Wertpapiere als Aktien zum Handel an einem organisierten Markt im Sinn von § 2 Abs. 5 WpHG ausgegeben haben und deren ausgegebene Aktien auf eigene Veranlassung über ein multilaterales System im Sinn des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 WpHG gehandelt werden8. Davon betroffen sind namentlich Gesellschaften, die nur Schuldverschreibungen zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen haben, deren Aktien aber zugleich im Freiverkehr gehandelt werden. Nach Einschätzung des Gesetzgebers ist die Anzahl der erfassten Unternehmen freilich verschwindend gering9. Daher ist es aus einer systematischen Perspektive umso bedauerlicher, dass neben den börsen-
__________ 4 Vgl. dazu v. Falkenhausen/Kocher, ZIP 2009, 1149 ff.; zur bisherigen Praxis v. Werder/ Talaulicar/Pissarczyk, AG 2010, 67 ff. 5 Näher Hohl, Private Standardsetzung im Gesellschafts- und Bilanzrecht, 2007, S. 40 ff.; Hoffmann-Becking in FS Hüffer, 2010, S. 337 ff.; Hommelhoff/Schwab in Hommelhoff/Hopt/v. Werder, Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, S. 71, 83 ff.; Kort in FS K. Schmidt, 2009, S. 945, 949 ff. 6 Im Überblick dazu Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 161 AktG Rz. 25 ff.; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 161 AktG Rz. 63 ff.; Marsch-Barner in Marsch-Barner/ Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 2 Rz. 74 ff. 7 Vierte Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den Abschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsform, zuletzt geändert durch Art. 1 RL 2009/49/EG v. 18.6.2009, ABl. Nr. L 164/42. 8 Näher zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen Kozikowski/Röhm-Kottmann in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 7. Aufl. 2010, § 289a HGB Rz. 3 ff. 9 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/10067, S. 104; s. dazu auch Ernst/Seidler, ZGR 2008, 631, 674; Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2008, 612, 616; Kuthe/Geiser, NZG 2008, 172 f.
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notierten Gesellschaften des § 3 Abs. 2 AktG und den kapitalmarktorientierten Gesellschaften des § 264d HGB eine weitere gesetzliche Kategorie am Kapitalmarkt aktiver Unternehmen eingeführt wurde, die allein dazu dient, den Anwendungsbereich der Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung und der Erklärung zur Unternehmensführung abzustecken10. Innerhalb der Gesellschaft wiederum sind „Vorstand und Aufsichtsrat“ zur Abgabe der Erklärung berufen. Trotz des scheinbar eindeutigen Wortlauts ist bei näherem Hinsehen überaus zweifelhaft, ob die Erklärung von den Organwaltern persönlich, den Organen Vorstand und Aufsichtsrat oder aber von der durch ihre Organe vertretenen Gesellschaft ausgeht. Die zutreffende Erfassung des Normadressaten ist jedoch für das Verständnis des Rechtsinstituts der Entsprechenserklärung grundlegend. Das soll im Anschluss an eine nähere theoretische Fundierung anhand zweier Folgefragen exemplifiziert werden. Zu klären ist zum einen, ob Vorstand und Aufsichtsrat sich verschieden äußern dürfen oder ob gegenüber dem Kapitalmarkt zwingend eine einheitliche Entsprechenserklärung abzugeben ist. Zum anderen wirkt sich die Qualifikation entscheidend darauf aus, ob im Außenverhältnis den Anlegern gegenüber neben den einzelnen Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats auch die Gesellschaft für eine fehlerhafte Entsprechenserklärung auf Schadensersatz haften kann11.
II. Meinungsstand Einigkeit besteht noch darüber, dass die Norm nicht auf die einzelnen Organwalter abzielt12. Ein solches Verständnis liegt in der Tat schon vom Wortlaut her fern. Es wäre aber vor allem in der Sache unsinnig, wenn alle Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats je für sich eine eigene persönliche Erklärung abgäben. Diese könnte weder für die betroffenen Organe noch gar für die Gesellschaft insgesamt rechtserheblichen Charakter entfalten. Während des laufenden Jahres hinzutretende Mitglieder wären an sie in keiner Weise gebunden. Für den Kapitalmarkt wäre eine solche Information daher kaum von Wert. Nicht durchzusetzen vermochte sich freilich auch die These, dass zwar Vorstand und Aufsichtsrat die Entsprechenserklärung abgäben, sie dabei als geschäftsführungs- und insofern auch vertretungsbefugte Organe der Gesellschaft agierten und im Zuge dessen die Gesellschaft insgesamt verpflichteten13. Seine Rechtfertigung findet dieser Ansatz im Ausschlussprinzip. Zu ver-
__________ 10 Diesen Umstand lediglich konstatierend Melcher/Mattheus, DB 2008, Beil. zu Heft 7, S. 52, 53. 11 Näher dazu unter IV. 12 Semler in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 161 AktG Rz. 69; Spindler (Fn. 6), § 161 AktG Rz. 18; Kiem in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2008, § 13 Rz. 17. 13 So namentlich Semler (Fn. 12), § 161 AktG Rz. 73; ders. in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 1 Rz. 86; dem folgend Runte in Bürgers/Körber, AktG, 2008, § 161 AktG Rz. 4; s. auch Kozikowski/RöhmKottmann (Fn. 8), § 289a HGB Rz. 12.
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werfen ist danach nämlich nicht nur die Vorstellung einer Erklärung der einzelnen Organwalter, sondern auch diejenige einer Verpflichtung der Organe selbst. Da die Organe der Aktiengesellschaft nicht rechtsfähig seien, sei eine solche von vornherein undenkbar14. Eine Erklärung der Gesellschaft selbst hingegen füge sich bruchlos in die allgemeinen Lehren des Gesellschaftsrechts ein. Die ganz überwiegende Meinung sieht es indessen genau umgekehrt; die Erklärungspflicht treffe allein die Organe Vorstand und Aufsichtsrat und gerade nicht die Gesellschaft selbst15. Dies entspreche dem Wortlaut der Vorschrift und sprenge auch keineswegs die Grenzen juristischer Dogmatik. Zwar seien Vorstand und Aufsichtsrat als Gesellschaftsorgane im Allgemeinen nicht verpflichtungsfähig. Soweit sie aber in gesetzlichen Vorschriften als solche angesprochen würden, seien sie auch Verpflichtungssubjekte16. Das zeige das Vorbild etwa des § 91 Abs. 2 sowie des § 92 AktG, welche die Pflichten der Organe gegenüber der Gesellschaft konkretisierten. Mit derselben Stoßrichtung wird darüber hinaus argumentiert, es müsse sich auch deswegen um eine unmittelbar die beiden Organe treffende organschaftliche Verpflichtung im Innenverhältnis handeln, weil es einerseits im Außenverhältnis an einem Berechtigten als Gegenpol fehle und andererseits eine Qualifikation als öffentlich-rechtliche Pflicht mangels entsprechender Sanktionsmöglichkeiten ausscheide17. Eine Einbindung allein von Vorstand und Aufsichtsrat trage schließlich in der Sache dem Umstand Rechnung, dass die Erklärungspflicht sich vornehmlich auf Verhaltensvorgaben für diejenigen Organe beziehe, welche die Leitung und Überwachung der Gesellschaft betreffen18. Durch die Pflicht zur Entsprechenserklärung solle gerade nicht eine – weitere – anonyme Erklärung der Gesellschaft abgegeben, sondern gezeigt werden, dass für die Corporate Governance Vorstand und Aufsichtsrat selbst Verantwortung trügen19.
III. Gesellschaft als erklärendes Subjekt 1. Funktion und Struktur der Organe Eine Auseinandersetzung mit der aufgeworfenen Problematik hat von den theoretischen Grundlagen des Organisationsrechts auszugehen. Danach bedarf die Aktiengesellschaft gerade deshalb der Organe, weil sie als bloßes Rechtskonstrukt anders als ein Mensch nicht wollen und handeln kann. Das Rechts-
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14 Semler (Fn. 12), § 161 AktG Rz. 71. 15 Vgl. neben den Nachw. in Fn. 16 bis 19 noch Borges, ZGR 2003, 508, 527; Hommelhoff/Schwab (Fn. 5), S. 74; Kiem (Fn. 12), § 13 Rz. 17; Lutter in Ringleb/Kremer/ Lutter/v. Werder, Kommentar zum Deutschen Corporate Governance Kodex, 4. Aufl. 2010, Rz. 1515; Peltzer, NZG 2002, 593, 595; Seibt, AG 2002, 249, 252 f. 16 Hüffer (Fn. 6), § 161 AktG Rz. 6; Lutter in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2006, § 161 AktG Rz. 13; Spindler (Fn. 6), § 161 AktG Rz. 18. 17 Mülbert in FS Konzen, 2006, S. 561, 564; dem folgend Buck-Heeb in FS Westermann, 2008, S. 845, 857. 18 Hüffer (Fn. 6), § 161 AktG Rz. 6; Lutter (Fn. 16), § 161 AktG Rz. 13; Kirschbaum in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2007, § 161 AktG Rz. 14. 19 Radke, Die Entsprechenserklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex nach § 161 AktG, 2004, S. 78.
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institut der Organschaft gibt mit anderen Worten eine Antwort auf die Frage, wie der handlungsunfähige Verband seiner Bestimmung gemäß am Rechtsverkehr teilnehmen kann. Bei näherem Hinsehen vollzieht sich die Umsetzung menschlicher Kenntnisse und Absichten in solche der Aktiengesellschaft durch einen Mechanismus doppelter Zurechnung20. Das Handeln des einzelnen Organmitglieds oder der gemeinschaftlich handelnden Organmitglieder wird in einem ersten Schritt dem Organ, also etwa dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat, zugerechnet. Erst in einem zweiten Schritt erfolgt dann eine Zuordnung an den Verband selbst. Strikt zu unterscheiden ist also zwischen den Organwaltern als den tatsächlich handelnden natürlichen Personen und dem Organ als einer abstrakten Verbandsinstitution. Das Organ ist dabei aus der Außenperspektive des Rechtsverkehrs nichts anderes als ein interner „Zuständigkeitskomplex“ mit institutionellem und funktionalem Charakter21. Funktional kommt ihm innerhalb der Organisation allein eine dienende Aufgabe zu; es agiert nicht für sich selbst, sondern lediglich mit Wirkung für und gegen den Verband. Im Einzelnen ist die Entscheidung über die Ausübung aller der Gesellschaft zugeordneten Rechte und die Erfüllung der ihr auferlegten Pflichten ebenso wie der dem vorgelagerte Prozess interner Meinungsbildung mittels des durch Gesetz und Satzung aufgespannten Kompetenzgefüges bestimmten Organen oder einem Zusammenwirken mehrerer Organe zugewiesen. Mit dieser ebenso bedeutsamen wie begrenzten Rolle korrespondiert die institutionelle Einordnung. Organe sind als integraler Bestandteil der Verbandsverfassung im Gesetz und Statut der Gesellschaft vorgeformt; sie entstehen deshalb mit deren Gründung und existieren auch im weiteren Verlauf unabhängig vom Wechsel ihrer Inhaber, der einzelnen Organwalter oder Organmitglieder. Die Organe sind Teil des Verbandes und diesem damit gleichsam „eingegliedert“22, bilden aber eine selbständige Einrichtung des Verbandslebens. Verselbständigt sind sie freilich zunächst nur in organisatorischer, hingegen gerade nicht in rechtlicher Hinsicht. Ihre Eigenständigkeit bezieht sich mit anderen Worten nur auf das Innenverhältnis des Verbandes und geht nicht so weit, dass sie selbst am Rechtsverkehr teilnehmen. Eben weil sie nur Aufgaben für den Verband wahrnehmen und nicht nach außen in Erscheinung treten, lassen sie sich zusammenfassend als „Durchgangssubjekte der Zurechnung“ kennzeichnen23.
__________ 20 BGHZ 109, 327, 331 = NJW 1990, 975; Kling, ZGR 2009, 190, 211; Mülbert/Gramse, WM 2002, 2085 f.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. 2, 2004, S. 293; Kort in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2003, § 76 AktG Rz. 20; abweichend Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 76 AktG Rz. 80. 21 Grundlegend Wolff, Organschaft und juristische Person, Zweiter Band: Theorie der Vertretung, 1934, S. 236; Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht II, 4. Aufl. 1976, § 74 I f (S. 48); eingehend Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 43 ff.; vgl. daneben noch Fleischer, NJW 2006, 3239, 3243; Ulmer in MünchKomm.BGB, 5. Aufl. 2009, § 705 BGB Rz. 256a. 22 So BGHZ 16, 17, 25 = WM 1955, 150; ganz ähnlich BGHZ 43, 261, 263 = WM 1965, 422; BGHZ 135, 48, 52 = NJW 1997, 1985; zur Einordnung Schürnbrand (Fn. 21), S. 48 f. 23 Grundlegend Wolff (Fn. 21), S. 250; s. daneben Schürnbrand (Fn. 21), S. 58.
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Der Befund ändert sich erst dann, wenn man den Blick auf das Innenverhältnis richtet. Während sich Organschaft aus der Außenperspektive in einem Handeln für den Verband erschöpft, müssen intern nämlich die Kompetenzen der einzelnen Organe und die Beziehungen zwischen den verschiedenen Funktionsträgern geregelt werden. Auf das Innenrecht bezogen sind die Organe somit durchaus Adressaten von Vorschriften, die ihnen Aufgaben zuweisen und Pflichten auferlegen. Plastisch formuliert sind „auf der Organebene die Organe keine Organe mehr“24, sondern vielmehr „Zurechnungsendsubjekte“ von Innenrechtssätzen25. Wenn ein Organ auf den Verband bezogene Aufgaben erledigt, so handelt es nach außen für seinen Verband; nach innen, das heißt im Verhältnis zu den anderen Organen des Verbandes, nimmt es dagegen die ihm zugewiesenen Aufgaben, also seine Zuständigkeit wahr. Aus diesem Grund ist es konzeptionell ohne weiteres vorstellbar, dass Organe innerhalb der Gesellschaft über wehrfähige Rechtspositionen verfügen, die sie eigenständig in einem Zivilprozess durchsetzen können. Das ist für die in § 245 Nr. 4 AktG verankerte Anfechtungsbefugnis des Vorstands weithin anerkannt26. Nach im Vordringen befindlicher Ansicht sind freilich auch jenseits dessen echte Organstreitverfahren zwischen den Organen der Aktiengesellschaft zur Durchsetzung der ihnen eingeräumten Kompetenzen denkbar27. 2. Konzeption des § 161 AktG Die Entsprechenserklärung erschöpft sich nicht in einem Internum, sondern ist an den Kapitalmarkt gerichtet. Weil aber gegenüber dem Rechtsverkehr nur die Gesellschaft selbst und nicht ihre Organe in Erscheinung treten, legen die vorstehenden Ausführungen zu den Grundlagen des Organisationsrechts nahe, dass die Gesellschaft die Entsprechenserklärung abgibt. Mit dem Vorstand und Aufsichtsrat wären folglich nur diejenigen Organe angesprochen, die für die innergesellschaftliche Willensbildung und die Kommunikation nach außen zuständig wären. Von dem damit zugrunde gelegten Grundsatz, dass Vorstand und Aufsichtsrat im Allgemeinen als Gesellschaftsorgane nicht verpflichtungsfähig sind, geht freilich auch die davon abweichende herrschende Meinung aus28. Jedoch ergibt sich aus ihrer Sicht gerade aus der gesetzgeberischen Konzeption des § 161 AktG ein abweichendes Ergebnis. Weil die Norm ausdrücklich Vorstand und Aufsichtsrat als Adressaten benenne, seien sie insofern auch
__________ 24 So pointiert Schnapp, Rechtstheorie 9 (1978), 275, 285. 25 Grundlegend Wolff (Fn. 21), S. 248; s. daneben Kling, ZGR 2009, 190, 211; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl. 2009, § 21 Rz. 26. 26 Hüffer (Fn. 6), § 245 AktG Rz. 30; K. Schmidt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1996, § 245 AktG Rz. 33; abweichend Zöllner in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, 2007, Band 2, 10. Kap. Rz. 85. 27 Umfassende Aufarbeitungen des Problemfeldes zuletzt bei Jacoby, Das private Amt, 2007 S. 439 ff.; Schwab, Das Prozessrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 562 ff.; Schürnbrand (Fn. 21), S. 359 ff.; ablehnend aber nach wie vor etwa Mertens/Cahn (Fn. 20), Vor § 76 AktG Rz. 3 ff.; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, Vor § 76 AktG Rz. 49 ff. 28 Vgl. nochmals die Nachw. in Fn. 16.
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denkbare Verpflichtungssubjekte. Die dafür angeführten weiteren Beispiele vermögen diese These bei näherem Hinsehen allerdings nicht zu untermauern. So wird unter anderem darauf hingewiesen, dass dem Vorstand auch die Stellung des Insolvenzantrags obliege. In der Tat hat früher § 92 Abs. 2 AktG a. F. ausdrücklich den Vorstand verpflichtet, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen; gleichsinnig zieht heute § 15a Abs. 1 InsO ganz allgemein die Mitglieder des Vertretungsorgans der juristischen Person heran. Ungeachtet dieser Formulierungen ist aber der grundlegenden Weichenstellung des § 13 Abs. 1 Satz 3 InsO gemäß neben den Gläubigern allein der Schuldner, mithin die Gesellschaft selbst antragsberechtigt. Daran anknüpfend besteht im einschlägigen Schrifttum denn auch Einvernehmen darüber, dass der Vorstand bei der Antragstellung nicht im eigenen Namen, sondern im Namen der Gesellschaft handelt29. Die Funktion der §§ 92 Abs. 2 AktG a. F., 15a InsO liegt vor diesem Hintergrund darin, das innerhalb der Gesellschaft zuständige Organ zu bestimmen und mit der Indienstnahme bestimmter Organwalter zugleich den Anknüpfungspunkt für weitergehende zivil- oder strafrechtliche Sanktionen zu schaffen. Dieses Muster einer verkappten Zuständigkeitsregelung im Gewande einer vermeintlichen Ansprache des Organs als Verpflichtungssubjekt wiederholt sich vielfach. So hält zwar § 91 Abs. 1 AktG explizit den Vorstand an, die erforderlichen Bücher zu führen. Dies geschieht aber nur deswegen, weil die nach § 238 Abs. 1 HGB materiell buchführungspflichtige Aktiengesellschaft hierzu nicht in der Lage ist30. Schließlich handelt der Vorstand anerkanntermaßen im Namen der Aktiengesellschaft, soweit er seiner Verpflichtung aus § 181 Abs. 1 AktG entsprechend eine Satzungsänderung zur Eintragung zum Handelsregister anmeldet31. Konsequent anders zu beurteilen sind demgegenüber Handlungen im Innenverhältnis. Getreu der eben referierten Einsicht, dass die Organe auf der Organebene keine Organe, sondern vielmehr Zurechnungsendsubjekte von Innenrechtssätzen sind, können Vorstand und Aufsichtsrat (und nicht etwa nur die einzelnen Mitglieder der betreffenden Organe) insoweit durchaus Adressaten von Rechtspflichten sein. Daher erfüllt der Vorstand gegenüber der Hauptversammlung eine eigene Pflicht, wenn er ihr nach § 92 Abs. 1 AktG den Verlust der Hälfe des Grundkapitals anzeigt. Desgleichen sind Vorstand und Aufsichtsrat durch § 124 Abs. 3 AktG unmittelbar als Organe in der Verantwortung, der Hauptversammlung zu jedem Gegenstand der Tagesordnung einen Beschlussvorschlag zu unterbreiten.
__________ 29 Vgl. Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 92 AktG Rz. 28; Ehricke/Rotstegge in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, 2007, Band 2, 25. Kap. Rz. 85; Müller in Jaeger, 2004, § 15 InsO Rz. 6; s. für die GmbH K. Schmidt/Bitter in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2010, Vor § 64 GmbHG Rz. 63; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh. zu § 64 GmbHG Rz. 41. 30 Sehr prägnant für die GmbH Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 41 GmbHG Rz. 1. 31 Vgl. BGHZ 105, 324, 327 f. = NJW 1989, 295 (GmbH); Hüffer (Fn. 6), § 181 AktG Rz. 4; Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 181 AktG Rz. 7.
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3. Entsprechenserklärung als Teil der Erklärung zur Unternehmensführung Damit hat sich der Befund weiter verfestigt, dass es die Gesellschaft selbst sein muss, welche die Entsprechenserklärung gegenüber dem Kapitalmarkt abgibt. Dafür sprechen aber keineswegs nur dogmatisch-konstruktive Erwägungen; vielmehr harmoniert diese Einordnung auch bestens mit dem Inhalt der Erklärung32. Auskunft zu erteilen ist nämlich über die Organisationsverfassung und Leitungsstruktur der Gesellschaft insgesamt. Die Verhaltensanforderungen des DCGK betreffen zwar primär, aber keineswegs ausschließlich Vorstand und Aufsichtsrat. Ganz im Gegenteil richten sich bestimmte Empfehlungen nur an den Vorstand oder nur an den Aufsichtsrat; andere wiederum sprechen einzelne Vorstandsmitglieder, den Aufsichtsratsvorsitzenden oder einzelne Aufsichtsratsmitglieder an; manche schließlich sind von der Hauptversammlung umzusetzen33. Schon im Ausgangspunkt besteht daher eine Divergenz zwischen den Adressaten des Kodex einerseits und des § 161 AktG andererseits34. Die von Vorstand und Aufsichtsrat abzugebende Entsprechenserklärung geht mit anderen Worten über den ihnen nach der Organisationsverfassung zugewiesenen Verantwortungsbereich hinaus. Das aktienrechtliche Kompetenzgefüge bleibt davon freilich unberührt35. Vorstand und Aufsichtsrat können mit verbindlicher Wirkung nur über diejenigen Verhaltensempfehlungen beschließen, die in ihren jeweiligen Kompetenzbereich fallen. Hinsichtlich des Verhaltens einzelner Organmitglieder kann dagegen eine positive Erklärung nur erfolgen, soweit jedes einzelne Mitglied individuell zugestimmt hat36. Was endlich die Hauptversammlung angeht, so kann die Verwaltung lediglich Vorschläge unterbreiten; Bindungswirkung gegenüber der Hauptversammlung entfalten diesbezügliche Äußerungen in der Entsprechenserklärung hingegen nicht37. Wenn aber Vorstand und Aufsichtsrat nicht eine abschließend von ihnen gemeinsam zu verantwortende Erklärung gegenüber dem Kapitalmarkt abgeben, dann liegt es nahe, dass sie insofern nicht für sich selbst handeln, sondern im Namen der Gesellschaft über deren Organisationsverfassung berichten. Weiterhin steht die Entsprechenserklärung seit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz nicht mehr für sich, sondern bildet einen Teil der nach § 289a HGB abzugebenden Erklärung zur Unternehmensführung. Neben der Entsprechenserklärung hat diese relevante Angaben zu Unternehmensführungspraktiken und eine Beschreibung der Arbeitsweise von Vorstand und Aufsichtsrat sowie der Zusammensetzung und Arbeitsweise von deren Ausschüssen zu ent-
__________ 32 So auch, freilich nur aus rechtspolitischer Sicht Spindler (Fn. 6), § 161 AktG Rz. 18. 33 Näher dazu mit Einzelnachw. Lutter (Fn. 16), § 161 AktG Rz. 19, 37; ders. in FS U. Huber, 2006, S. 871, 874; Krieger in FS Ulmer, 2003, S. 365, 367 f. 34 Pointiert Kiem (Fn. 12), § 13 Rz. 16. 35 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 173 f.; Hüffer (Fn. 6), § 161 AktG Rz. 10; Semler (Fn. 12), § 161 AktG Rz. 86 ff.; Spindler (Fn. 6), § 161 AktG Rz. 20 ff.; a. A. Sester in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 161 AktG Rz. 15. 36 Näher Lutter in FS U. Huber (Fn. 32), S. 875 ff.; Kiem (Fn. 12), § 13 Rz. 25. 37 Krieger (Fn. 33), S. 373; Spindler (Fn. 6), § 161 AktG Rz. 22.
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halten38. Sie ist im Grundsatz in den Lagebericht aufzunehmen und bildet dort einen eigenen Abschnitt. Schon deswegen kann kein Zweifel bestehen, dass die Erklärung zur Unternehmensführung von der Gesellschaft selbst ausgeht. Auch Art. 46a Abs. 1 der Bilanzrichtlinie benennt ausdrücklich die Gesellschaft selbst als Normadressaten. Obwohl die Erklärung sich in wesentlichen Aspekten auf die Tätigkeit des Aufsichtsrats bezieht, wird die Gesellschaft aus rechtssystematischen Gründen insofern allein vom Vorstand vertreten39. Der Aufsichtsrat hat die Erklärung im Zuge seiner Befassung mit dem Lagebericht gemäß § 171 Abs. 1 AktG aber immerhin zu prüfen und ist so in der Sache ausreichend in die Verabschiedung des Textes eingebunden. Nun mag es rechtskonstruktiv vorstellbar sein, dass die von den Organen Vorstand und Aufsichtsrat eigenständig abzugebende Entsprechenserklärung in die von der Gesellschaft zu veranlassende Erklärung zur Unternehmensführung nachrichtlich zu übernehmen ist. Weitaus überzeugender ist demgegenüber die schon bei isolierter Betrachtung des § 161 AktG vorzugswürdige Einordnung: Die Gesellschaft selbst berichtet – handelnd durch ihre Organe – in allen Teilen der Erklärung zur Unternehmensführung über ihre Organisationsverfassung. Schließlich erscheint infolge der gesetzlichen Neuregelungen des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes auch das Argument fehlender Sanktionierung in neuem Lichte. Immerhin war ja zuvor geltend gemacht worden, dass eine Erklärungspflicht der Gesellschaft im Außenverhältnis mangels eines Berechtigten als Gegenpol nicht in Betracht komme und auch eine Qualifikation als öffentlich-rechtliche Pflicht mangels entsprechender Sanktionsmöglichkeiten ausscheide40. Nun mag dahingestellt bleiben, ob nicht auch eine Erklärung der Gesellschaft gegenüber der Öffentlichkeit denkbar ist, für deren Beachtung der Gesetzgeber neben gesellschaftsinternen Sanktionen vor allem auf eine Disziplinierung durch den Kapitalmarkt setzt. Richtig ist jedenfalls, dass früher gemäß § 285 Nr. 16 HGB im Anhang lediglich Rechenschaft darüber abzulegen war, dass die Entsprechenserklärung überhaupt abgegeben wurde; eine Verantwortlichkeit wegen einer Falscherklärung kam daher aus öffentlich-rechtlicher Perspektive allenfalls unter dem kaum je einschlägigen Gesichtspunkt des § 400 AktG in Betracht41. Demgegenüber ist die Entsprechenserklärung nunmehr Bestandteil der in den Lagebericht aufzunehmenden Erklärung zur Unternehmensführung und hat daher an den einschlägigen Sanktionsmechanismen teil. Zwar erstreckt sich die Abschlussprüfung gemäß § 317 Abs. 2 Satz 3 HGB
__________ 38 Im Überblick dazu Merkt in Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 289a HGB Rz. 3 f.; Kuthe/Geiser, NZG 2008, 172, 173 f.; Melcher/Mattheus, DB 2008, Beil. zu Heft 7, S. 52 ff. 39 Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2008, 612, 616; Kocher, DStR 2010, 1034; a. A. Kozikowski/Röhm-Kottmann (Fn. 8), § 289a HGB Rz. 12; Paetzmann, ZCG 2009, 64, 65. 40 Mülbert (Fn. 17), S. 564. 41 Näher zum Ganzen Ch. Schlitt, DB 2007, 326 ff.; s. daneben Spindler (Fn. 6), § 161 AktG Rz. 78 f.; Lutter (Fn. 16), § 161 AktG Rz. 108 f.
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nicht auf die Angaben nach § 289a HGB42. Jedoch liegt nach § 334 Abs. 1 Nr. 3 HGB eine Ordnungswidrigkeit sowohl bei Nichtabgabe als auch bei unvollständiger oder fehlerhafter Erklärung vor43. Darüber hinaus mag je nach Lage der Dinge womöglich sogar der Straftatbestand des § 331 Abs. 1 Nr. 1 HGB einschlägig sein, weil die Verhältnisse der Kapitalgesellschaft im Lagebericht unrichtig wiedergegeben oder verschleiert wurden44. 4. Zwischenfazit Daher kann nunmehr festgehalten werden: Sowohl aus inhaltlichen wie aus rechtskonstruktiven Gründen spricht alles dafür, dass es entgegen der ganz überwiegenden Meinung im Schrifttum die Gesellschaft ist, die die Entsprechenserklärung abgibt. Mit „Vorstand und Aufsichtsrat“ sind im Gegenzug nur die Organe angesprochen, die im Namen der Gesellschaft handeln.
IV. Folgerungen 1. Zwang zu einer einheitlichen Erklärung Theoretische Weichenstellungen schlagen sich unweigerlich in der Behandlung konkreter Rechtsfragen nieder; das gilt auch für die Bestimmung des Normadressaten der Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung. So ist umstritten, ob Vorstand und Aufsichtsrat sich zwingend auf den Inhalt der Entsprechenserklärung einigen müssen oder ob sie berechtigt sind, notfalls auch divergierende Erklärungen abzugeben. Die herrschende Meinung hält eine unterschiedliche Positionierung zu einzelnen Empfehlungen zwar für ein den Kapitalmarkt verstörendes und daher aus praktischer Sicht in aller Regel untunliches, aus rechtlicher Sicht aber nicht zu beanstandendes Signal45. Das Gesetz verlange eben gerade keine gemeinschaftliche Erklärung von Vorstand und Aufsichtsrat, vielmehr erfülle auch eine in sich widersprüchliche Erklärung die beabsichtigte Informationsfunktion gegenüber dem Kapitalmarkt. Bei Lichte betrachtet sei die Dokumentation fehlender Einigungsfähigkeit für die Marktteilnehmer sogar besonders aufschlussreich. Schließlich wird noch auf die Vorschrift des § 124 Abs. 3 AktG verwiesen, die ebenfalls Vorstand und Aufsichtsrat verpflichtet, der Hauptversammlung zu den Gegenständen der Tagesordnung Beschlussvorschläge zu unterbreiten, und in der Tat ganz über-
__________ 42 Näher Hopt/Merkt (Fn. 38), § 317 HGB Rz. 7; Habersack/Schürnbrand in Staub, HGB, 5. Aufl. 2010, § 317 HGB Rz. 20. 43 Kozikowski/Röhm-Kottmann (Fn. 8), § 289a HGB Rz. 48. 44 So jedenfalls Theusinger/Liese, DB 2008, 1419, 1421; Tödtmann/Schauer, ZIP 2009, 995, 999. 45 Hüffer (Fn. 6), § 161 AktG Rz. 11; Krieger (Fn. 33), S. 369 f.; Hoffmann-Becking in MünchHdb. Gesellschaftsrecht, Band 4: AG, 3. Aufl. 2007, § 29 Rz. 61; MarschBarner (Fn. 6), § 2 Rz. 66; Spindler (Fn. 6), § 161 AktG Rz. 23; Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 790; Kiethe, NZG 2003, 559, 560; Erle/Helm/Berberich in Beck’sches Handbuch der AG, 2. Aufl. 2009, § 10 Rz. 141; Radke (Fn. 19), S. 84.
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wiegend dahingehend interpretiert wird, dass der Aufsichtsrat durchaus von den Empfehlungen des Vorstands abweichen darf46. Diese Position hat Einiges für sich, wenn man davon ausgeht, dass die Organe selbst die Erklärung abgeben. Das trifft richtigerweise aber nur für das Innenverhältnis zu, wo sich die Organe unmittelbar als Verpflichtungssubjekte gegenüber stehen. Daher können Vorstand und Aufsichtsrat im Rahmen des § 124 Abs. 3 AktG der Hauptversammlung durchaus je eigene Abstimmungsvorschläge vorlegen. Auf die gegenüber dem Kapitalmarkt abzugebende Entsprechenserklärung lässt sich dieses Konzept indessen nicht übertragen. Hier berichtet die Gesellschaft selbst über ihre Organisationsstruktur; Gegenstand des Berichts kann dann aber nur die Mitteilung sein, dass sie eine bestimmte Empfehlung befolgt oder nicht. Divergierende Erklärungen dienen im Übrigen nicht der Stärkung des Anlegervertrauens und widersprechen daher auch dem Zweck der Entsprechenserklärung. Daher ist im Ergebnis zwingend eine einheitliche Erklärung abzugeben47. Da eine etwaige Meinungsverschiedenheit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat nach der Konzeption des § 161 AktG nicht durch die Hauptversammlung beigelegt werden kann48, muss zunächst dem Organ der Entscheidungsvorrang zukommen, in dessen Kompetenzbereich die betreffende Empfehlung fällt. Soweit Empfehlungen sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat ansprechen, ist hingegen ein Entscheidungsvorrang eines Organs nicht zu begründen. Da dann auch eine Umsetzung in der Gesellschaft nicht gewährleistet ist, bleibt nur der Ausweg, eine insofern negative Erklärung zu veröffentlichen49. 2. Möglichkeit der Außenhaftung Seit Einführung des § 161 AktG wird intensiv diskutiert, ob eine fehlerhafte Entsprechenserklärung eine Außenhaftung der Organmitglieder oder der Gesellschaft gegenüber ihren geschädigten Anlegern begründen kann. In diesem Zusammenhang wurden als mögliche Anspruchsgrundlagen neben der Vertrauenshaftung vor allem deliktische Anspruchsgrundlagen ins Auge gefasst, namentlich die Verletzung von Schutzgesetzen und die vorsätzlich sittenwidrige Schädigung50. Die insofern unverkennbar zu konstatierende Zurückhaltung wird noch deutlicher, wenn es um die Frage einer Zurechnung des pflichtwidrigen Verhaltens der Organwalter an die Gesellschaft geht. Ungeachtet der Verwirklichung einzelner Tatbestandsmerkmale soll eine Außenhaftung der Gesellschaft nach verbreiteter Auffassung nämlich schon deswegen ausschei-
__________
46 Vgl. nur OLG Dresden, AG 1999, 517, 518; Kubis in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 124 AktG Rz. 45; Willamowski in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 124 AktG Rz. 10; F.-J. Semler in MünchHdb. Gesellschaftsrecht, Band 4: AG, 3. Aufl. 2007, § 35 Rz. 53. 47 So auch Lutter (Fn. 16), § 161 AktG Rz. 41; Hommelhoff/Schwab (Fn. 5), S. 91; Kirschbaum (Fn. 18), § 161 AktG Rz. 25; Seibt, AG 2002, 249, 253; Strieder, DB 2004, 1325, 1326. 48 Dafür aber Hommelhoff/Schwab (Fn. 5), S. 92 f. 49 Lutter (Fn. 16), § 161 AktG Rz. 40; Semler (Fn. 12), § 161 AktG Rz. 82. 50 Im Überblick Kort in FS Raiser, 2005, S. 203 ff.; Lutter (Fn. 16), § 161 AktG Rz. 94 ff.
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den, weil sie mit dem Kapitalerhaltungsprinzip unvereinbar wäre51. Indessen lässt der Grundsatz der Vermögensbindung nach der zu fehlerhaften Ad-hocMitteilungen ergangenen Rechtsprechung des BGH Ersatzansprüche der Aktionäre unberührt, die nicht auf der mitgliedschaftlichen Sonderrechtsbeziehung als Aktionäre, sondern auf ihrer Stellung als deliktische Drittgläubiger beruhen52. Dieser überzeugend begründete Vorrang des Anlegerschutzes beansprucht aber folgerichtig auch für die fehlerhafte Entsprechenserklärung Geltung53. Durchgreifende Bedenken gegenüber einer Außenhaftung der Gesellschaft ergeben sich demgegenüber, wenn man die hier infrage gestellte herrschende Konzeption zugrunde legt, wonach Vorstand und Aufsichtsrat die Entsprechenserklärung abgeben. Wie einige ihrer Verfechter zu Recht betonen, dürfte für eine Zurechnung pflichtverletzenden Verhaltens an die Gesellschaft mittels der Vorschrift des § 31 BGB dann in der Tat kein Raum sein54. Ihrem Grundgedanken zufolge muss sich der Verband das Verhalten seiner Organe nämlich gerade deswegen ausnahmslos zurechnen lassen, weil er durch sie überhaupt erst zu einer Willens- und Wirkungseinheit wird55. Agieren Vorstand und Aufsichtsrat aber im eigenen Namen, fehlt die Basis für eine uneingeschränkte Einstandspflicht. Eine Zurechnung kommt dann folgerichtig nur in Betracht, wenn die Gesellschaft im Rahmen der Erfüllung eigener Pflichten den Inhalt der Entsprechenserklärung wiedergibt56. Genau das geschieht zwar im Rahmen der Erklärung zur Unternehmensführung. Eine Verantwortlichkeit der Gesellschaft lässt sich aber gleichwohl noch mit einem Fragezeichen versehen, weil der Vorstand insofern lediglich die von ihm und dem Aufsichtsrat andernorts abgegebene Entsprechenserklärung nachrichtlich wiederzugeben hat und daher womöglich keine neue eigenständige Pflichtverletzung begeht. Jedenfalls aber müsste eine Haftung der Gesellschaft für ein Fehlverhalten lediglich des Aufsichtsrats ausscheiden, da die Erklärung zur Unternehmensführung, wie schon erörtert, allein vom Vorstand ausgeht57. Das kann indessen nicht das letzte Wort sein. Auch nach der hier angegriffenen herrschenden Meinung agieren die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder nämlich nicht für sich persönlich, sondern für ihr jeweiliges Organ. Die Verbandsbezogenheit der Erklärung sollte jedoch auch im Haftungsrecht ihren Niederschlag finden und zur Verantwortlichkeit desjenigen führen, in dessen Namen
__________ 51 Ulmer, ZHR 166 (2002), 150, 169; Hüffer (Fn. 6), § 161 AktG Rz. 29; Abram, NZG 2003, 307, 312; Reichert/Weller, ZRP 2002, 49, 52 ff. 52 BGH, NJW 2005, 2450, 2452 – „EM.TV“; BGH, NZG 2007, 269, 270; BGH, NZG 2008, 386, 387; vgl. zur Einordnung Bayer in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 57 AktG Rz. 15 ff.; Sethe in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, §§ 37b, 37c WpHG Rz. 6, 128a; Henze in FS Schwark, 2009, S. 425 ff. 53 Ebenso Sester (Fn. 35), § 161 AktG Rz. 56; Spindler (Fn. 6), § 161 AktG Rz. 68. 54 Sehr zurückhaltend bis ablehnend Hüffer (Fn. 6), § 161 AktG Rz. 29; Kirschbaum (Fn. 18), § 161 AktG Rz. 86; Radke (Fn. 19), S. 268; s. auch Mülbert (Fn. 17), S. 654 f. 55 Eingehend K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 10 IV (S. 273 ff.); Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, 1997, S. 117 ff., 151 ff., 206 ff.; Schürnbrand (Fn. 21), S. 99 ff. 56 Vgl. Radke (Fn. 19), S. 268. 57 Vgl. nochmals oben II. 3. bei Fn. 39.
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und Interesse die Entsprechenserklärung abgegeben wurde. Es ist angemessen, wenn dieser den Gläubigern neben den handelnden Organmitgliedern als weiterer, oftmals wirtschaftlich potenterer Schuldner zur Verfügung steht. Die Organe selbst kommen hierfür mangels eigenen Vermögens nicht in Betracht. Die allein sachgerechte Mithaftung der Gesellschaft ergibt sich hingegen zwanglos, wenn man nur mit den vorstehenden Ausführungen die Gesellschaft als Erklärenden ansieht, welche sich dann das Verschulden ihrer Organe nach § 31 BGB ohne Exkulpationsmöglichkeit zurechnen lassen muss.
V. Ergebnis Entgegen der ganz herrschenden Meinung sind Normadressaten der Pflicht zur Abgabe der Entsprechenserklärung nicht die Organe Vorstand und Aufsichtsrat. Vielmehr gibt die Gesellschaft selbst diese Erklärung ab, während mit Vorstand und Aufsichtsrat im Wortlaut des § 161 AktG nur die Organe benannt sind, die für die Gesellschaft zu handeln berechtigt und verpflichtet sind. Die Auswirkungen dieser Neuorientierung konnten nicht abschließend untersucht werden. Immerhin hat das hier entwickelte Verständnis einerseits zur Folge, dass Erklärungen der Organe mit divergierendem Inhalt unzulässig sind. Andererseits entsteht Raum für eine Zurechnung pflichtwidrigen Organverhaltens an die Gesellschaft nach § 31 BGB. Damit ist jedenfalls im konstruktiven Ausgangspunkt denkbar, dass neben den Organwaltern auch die Gesellschaft gegenüber Anlegern für eine fehlerhafte Entsprechenserklärung haftet.
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Gute Aktionäre – Schlechte Aktionäre1: Räuberische Aktionäre und die Interessenabwägung im Freigabeverfahren – Bericht aus dem Gesetzgebungsverfahren zum ARUG Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Der Referentenentwurf des ARUG III. Der Regierungsentwurf des ARUG IV. Die Stellungnahmen zum Regierungsentwurf V. Die erste Lesung VI. Die Anhörung im Rechtsausschuss
VII. Die weiteren Beratungen mit den Berichterstattern im Rechtsausschuss 1. Berichterstattergespräch vom 21. April 2009 2. Berichterstattergespräch vom 5. Mai 2009 VIII. Der Bericht des Rechtsausschusses IX. Schluss
I. Einleitung Zum Ende der 16. Wahlperiode ist das sogenannte ARUG verabschiedet worden und am 1. September 2009 Kraft getreten2. Anders als der Gesetzestitel vermuten lässt, ging es dort nicht nur um die Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie, sondern auch um die Teilumsetzung der geänderten Zweiten Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie (Stichwort: vereinfachte Sacheinlage), die Übernahme der Neuregelung zur verdeckten Sacheinlage und zum Hin- und Herzahlen aus der GmbH-Reform (MoMiG3) in das Aktienrecht, um die Deregulierung des Depotstimmrechts – ein ganz leidiges Thema, für das eine ideale Lösung kaum zu finden ist –; es ging ferner um die Neuordnung des Fristenregimes im Vorfeld der Hauptversammlung und – vor allem – um die räuberischen Aktionäre. Gerade die Regelungen zum letzten Themenkomplex haben die größte Aufmerksamkeit hervorgerufen und waren im Gesetzgebungsver-
__________ 1 Dritter Beitrag zu dem Oberthema: „Gute Aktionäre – Schlechte Aktionäre“ – nach den früheren: „Gute Aktionäre – Schlechte Aktionäre: Aktive Finanzinvestoren und Stimmrecht“ in FS Westermann, 2008, S. 1505 ff. und „Gute Aktionäre – Schlechte Aktionäre: Private Equity und gesellschaftsrechtliche Maßnahmen gegen befürchtete Missbräuche, Unternehmensrecht zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ in FS Eberhard Schwark, 2009, S. 261 ff. 2 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie v. 30.7.2009, BGBl. I 2009, S. 2479. 3 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 23.10.2008, BGBl. I 2008, S. 2026.
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fahren von alles überdeckendem Interesse. Von den verschiedenen im Gesetz unternommenen Versuchen, systemimmanent4 das Geschäftsmodell der erpresserischen Anfechtungsklage weiter zu erschweren und zurückzudrängen, soll hier nur einer behandelt werden: die Neuformulierung der Interessenabwägungsklausel in § 246a AktG. Zu dieser Abwägungsklausel sollen die Überlegungen wiedergegeben werden, die im Gesetzgebungsverfahren und dort insbesondere in den Berichterstattergesprächen eine Rolle gespielt und letztlich zu der nun geltenden Gesetzesfassung geführt haben. Auf die Vorgeschichte braucht hier wenig eingegangen zu werden5; die letzte größere Bemühung, der räuberischen Aktionäre Herr zu werden, hatte das UMAG6 unternommen. Das hatte Wirkung erzielt, aber keineswegs durchschlagenden Erfolg. Zwar sind die „Lösegeldzahlungen“ in der Höhe zurückgegangen und beschränkten sich – wie man vermuten muss – auf die Übernahme der Anwaltshonorare der Kläger. Das Klägerfeld ist in der Zeit nach dem UMAG aber größer und breiter geworden, und viele Trittbrettfahrer scheinen aufgesprungen zu sein. Nachgezeichnet finden sich die Entwicklung bei Baums/Keinath/Gajek7 und die ersten Überlegungen zu rechtspolitischen Konsequenzen in einem Beitrag des Verfassers8.
II. Der Referentenentwurf des ARUG Der Referentenentwurf wurde am 6. Mai 2008 der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Zeit wurde schon knapp zum Ende der Wahlperiode; viele Kräfte im Gesellschaftsrechtsreferat des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) waren durch die große GmbH-Reform und viele andere politisch aufregende Vorhaben (so die Änderung des VW-Gesetzes, die sicherlich einige eigene Festschriftbeiträge wert wäre) gebunden. Eine Neufassung der Interessenabwägungsklausel in § 246a Abs. 2 AktG und den Parallelvorschriften wurde im RefE wie folgt vorgeschlagen: „(2) Ein Beschluss nach Absatz 1 darf nur ergehen, […] 3. wenn das alsbaldige Wirksamwerden des Hauptversammlungsbeschlusses vorrangig erscheint, weil die vom Antragsteller dargelegten wesentlichen Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den
__________ 4 Sehr gute Darstellung der rechtspolitischen Zwänge zu einer kleinen, systemimmanenten Lösung bei Florstedt, Die Reform des Beschlussmängelrechts durch das ARUG, AG 2009, 465 ff. 5 Vgl. zu Einzelheiten die vorzüglichen Darstellungen bei Schwab in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 246a Rz. 4 ff. und Dörr in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 246a Rz. 22 ff. 6 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts v. 22.9.2005, BGBl. I 2005, S. 2802. 7 Fortschritte bei Klagen gegen Hauptversammlungsbeschlüsse? Eine empirische Studie, ZIP 2007, 1629 ff. 8 Berufsopponenten – Anfechtungsklage – Freigabeverfahren – Haftungsklage: Das UMAG, eine Rechtsfolgenanalyse, NZG 2007, 841 ff.
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Gute Aktionäre – Schlechte Aktionäre Antragsgegner überwiegen und der Eintragung nicht die Schwere der mit der Klage geltend gemachten Rechtsverletzungen entgegensteht“9.
Das waren keine sehr auffälligen Unterschiede zum damals geltenden Recht, das wie folgt lautete: „(2) Ein Beschluss nach Absatz 1 darf nur ergehen, […] wenn das alsbaldige Wirksamwerden des Hauptversammlungsbeschlusses nach freier Überzeugung des Gerichts unter Berücksichtigung der Schwere der mit der Klage geltend gemachten Rechtsverletzungen zur Abwendung der vom Antragsteller dargelegten wesentlichen Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre vorrangig erscheint.“
Einer meiner Studenten hat in einer Vorlesung sogar gemeint, das sei doch dasselbe. Nicht ganz! Bisher musste die Eintragung zur Abwendung von wesentlichen Nachteilen für die Gesellschaft erforderlich sein und im Lichte der Abwägung zusätzlich auch noch vorrangig erscheinen. Ferner fand eine Abwägung der Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre gegen, ja gegen was eigentlich statt? Im Text steht nichts von den Nachteilen für den Anfechtungskläger, sondern nur etwas von der Berücksichtigung auch der Schwere der behaupteten Rechtsverletzung10. Man musste wohl auch die Nachteile für den Kläger abwägen, es fand aber eine Gesamtabwägung statt, in die alles einfließen konnte. Die damalige Formulierung ist von vielen als schwer auslegbar, ja kryptisch kritisiert worden11. Die Neufassung differenziert nun sehr deutlich: Die Nachteile für die Gesellschaft und die Aktionäre einer verzögerten Eintragung einerseits werden gegen die Nachteile für den Anfechtungskläger andererseits abgewogen. Die Nachteile des Klägers können nur wirtschaftlicher Natur sein, andere (psychologische oder sentimentale Gründe, eine Verletzung des Rechtsgefühls etc.) sind bei einem Aktieninvestment eher selten und sollten nur sehr zurückhaltend anerkannt werden. Es geht also um eine rein ökonomische Abwägung. In diesem Sinne auch die Begründung des Referentenentwurfs: „Der Vorteil dieser Klarstellung ist, dass unzweifelhaft eine Abwägung zwischen dem Interesse des Klägers einerseits und den wirtschaftlichen Interessen der Gesellschaft und ihrer übrigen Aktionäre andererseits vorzunehmen ist. Die Formulierung macht aber zugleich klar, dass eine Freigabe selbst bei überwiegendem Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre dann dennoch nicht erfolgen darf, wenn die mit der Klage geltend gemachte Rechtsverletzung besonders schwer ist. Dabei ist abzustellen auf die Bedeutung der verletzten Norm und das Ausmaß der Rechtsverletzung. Durch diese abgestufte Regelung kann verhindert werden, dass Aktionäre mit sehr geringer Beteiligung durch den Vortrag von weniger bedeutenden Verstößen wichtige unternehmens-
__________ 9 RefE eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 6.5. 2008, S. 19. 10 Heidel, Status: Recht 4/2008, 116, 117 nennt dies einen Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen. In die gleiche Richtung gehend schon Heidel, AktG, 2. Aufl. 2007, § 246a Rz. 19. 11 Rubel, Die Interessenabwägungsklausel im Freigabeverfahren nach dem ARUG – Bestandsaufnahme und Anwendungshinweise, DB 2009, 2027, 2028 m. w. N.
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strukturelle Maßnahmen der Gesellschaft blockieren können. Diese Aktionäre, die mit ihrem Vorgehen auch keinen Rückhalt bei den übrigen Aktionären haben, da der Beschluss ansonsten nicht von der Hauptversammlung gefasst worden wäre, werden dadurch aber nicht rechtlos gestellt, sondern können die Rechtswidrigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses weiter verfolgen, aber nur noch mit dem Ziel auf Schadensersatz. Diese Regelung ist daher sehr viel schonender, als eine Versagung des Anfechtungsrechts insgesamt. Zugleich aber bietet diese gestufte Regelung auch Kleinaktionären, die jedenfalls die Bagatellschwelle überschreiten, weiterhin die Möglichkeit, bei schweren Verletzungen des Rechts oder der Satzung doch eine Anfechtungsklage zu erheben und die Umsetzung eines Beschlusses zu verhindern. Es entspricht dies dem Gedanken des § 148 Abs. 1 Nr. 3 AktG, der ebenfalls durch das UMAG eingeführt worden war. Auch dort wird für das Klagezulassungsverfahren gegen Organe sichergestellt, dass eine Aktionärsminderheit die Möglichkeit hat, eine Haftungsklage durchzusetzen, wenn Tatsachen vorliegen, ‚die den Verdacht rechtfertigen, dass der Gesellschaft durch Unredlichkeit oder grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung ein Schaden entstanden ist‘“12. Zugleich aber bedeutet dies, dass auf der Ebene der Interessenabwägung in beide Richtungen keine inhaltliche Beurteilung stattfindet. Etwas unscharf sagt die amtliche Begründung des RegE: „Überwiegen die wirtschaftlichen Nachteile des Klägers (Antragsgegners) und kommt das Gericht aufgrund seiner Darlegung und Glaubhaftmachung zu dem Ergebnis, dass die Klage begründet sein dürfte, so gibt es nicht frei.“ Tatsächlich muss man das Stufenmodell wohl so verstehen, dass auch dann, wenn die Klage nicht offensichtlich unbegründet ist, wenn hinsichtlich der Begründetheit nach dem Vorbringen der Parteien ein non liquet besteht, die wirtschaftlichen Nachteile für den Kläger aber überwiegen, nicht freigegeben wird. Nochmals: Auf der Stufe der Interessenabwägung keine Bewertung der Erfolgsaussicht in der Sache! Die Schwere der geltend gemachten Rechtsverletzung findet also weiterhin Berücksichtigung, aber außerhalb der Interessenabwägung. Wenn die ökonomische Interessenabwägung – und wie bei Klagen unbedeutend beteiligter Aktionäre zu erwarten: fast immer – zugunsten der Gesellschaft ausgeht, dann kann die besondere Schwere der Rechtsverletzung sich doch gegen die ökonomische Abwägung durchsetzen. Ein gerechtes Ergebnis, das allerdings nur eingreifen kann als letzte Notbremse, wenn eine Eintragung ohne vertiefte Prüfung für das Rechtsgefühl schlicht unerträglich wäre. Schön formuliert es Florstedt: „Nur bei sehr vordergründiger Lesart entspricht das dem Bisherigen. Denn wenn die dargelegten Nachteile und Rechtsverstöße aufhören, lose Orientierungspunkte in einem richterlichen Abwägungsprozess zu sein, wenn Nachteil und Rechtsverstoß nunmehr zwei klar hierarchisch geordneten Prüfungsstufen zugeordnet werden, entsteht […] eine klare Abstufung der Kassationsmacht“13.
__________ 12 (Fn. 9), S. 63. 13 (Fn. 4), S. 469.
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III. Der Regierungsentwurf des ARUG Der Regierungsentwurf (RegE) wurde am 5. November 2008 vom Kabinett verabschiedet – damit kam er mitten hinein in die Finanzmarktkrise. Zum großen Glück hatte das Bundesministerium der Justiz die Einarbeitung der Stellungnahmen, die Auswertung der umfangreichen Literatur zum Referentenentwurf und die Vorbereitung des Regierungsentwurfs im Wesentlichen schon abgeschlossen, bevor die Hektik der Finanzmarktgesetzgebung ab dem 11. Oktober über uns hereinbrach. Der Regierungsentwurf hat viele Änderungen gebracht, die Interessenabwägungsklausel aber fast unverändert gelassen: „3. das alsbaldige Wirksamwerden des Hauptversammlungsbeschlusses vorrangig erscheint, weil die vom Antragsteller dargelegten wesentlichen Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den Antragsgegner überwiegen, es sei denn, es liegt eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes vor“14.
Geändert wurde also nur die Beibringungslast für die besondere Schwere, was in der Formulierung „es sei denn“ zum Ausdruck kommt. Es sollte also Aufgabe des Anfechtungsklägers sein, eine solche besondere Schwere darzulegen und glaubhaft zu machen15. Dazu führt die amtliche Begründung des RegE aus: „Die Formulierung macht aber zugleich klar, dass eine Freigabe selbst bei überwiegendem Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre dann dennoch nicht erfolgen darf, wenn der mit der Klage geltend gemachte Rechtsverstoß besonders schwer ist. Dabei ist abzustellen auf die Bedeutung der verletzten Norm und das Ausmaß der Rechtsverletzung. Für die Bedeutung der Norm ist die Unterscheidung des Gesetzgebers zwischen nichtigen, anfechtbaren, durch Eintragung heilbaren und bestätigungsfähigen Beschlüssen zu beachten (§§ 241, 242 Abs. 1, §§ 243, 244 AktG). Für das Ausmaß des Verstoßes ist etwa zu fragen, ob es sich um einen gezielten Verstoß handelt, der den Kläger im Vergleich zu der Mehrheit ungleich trifft. Zu denken ist auch daran, ob der Kläger schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile erleidet, die sich nicht auf andere Weise, etwa durch Schadensersatzansprüche ausgleichen lassen. Ganz allgemein kann es sich auch um einen Verstoß handeln, der so krass rechtswidrig ist, dass eine Eintragung und damit Durchführung ‚unerträglich‘ wäre. Umgekehrt kann eine besondere Schwere des Verstoßes auch dann abzulehnen sein, wenn ein Nichtigkeitsgrund nach § 241 AktG anzunehmen ist. Nicht jeder Nichtigkeitsgrund wegen eines kleinen formalen Fehlers führt zu einer besonderen Schwere des Verstoßes. Die Darlegungslast für die besondere Schwere des Verstoßes trägt der Antragsgegner“16.
__________ 14 RegE eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 7.11. 2008, BR-Drucks. 847/08, S. 14 = BT-Drucks. 16/11642 v. 21.1.2009. 15 Dies begrüßen u. a. Drinhausen/Keinath, RegE eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) – Überblick über die Änderungen gegenüber dem RefE, BB 2008, 64, 69. 16 (Fn. 14), S. 64. Ebenso schon zur alten Rechtslage dezidiert Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 246a Rz. 9 f.
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Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme17 besonderes Augenmerk auf die Problematik der räuberischen Aktionäre gelegt, hat die Verlagerung auf das Oberlandesgericht als Eingangsinstanz gefordert, das 100-Euro-Quorum in § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG-E für zu gering erachtet18 etc., hat sich aber zur Interessenabwägung nicht geäußert.
IV. Die Stellungnahmen zum Regierungsentwurf Wie üblich war der Referentenentwurf breit gestreut worden an alle beteiligten Kreise, Verbände, Bundesländer etc. Auch zur Neufassung des § 246a AktG hatten sich viele geäußert. Aber – und das ist nicht mehr unbedingt üblich – zum RegE sind nochmals umfangreiche Stellungnahmen eingereicht worden. Dabei sei die Bemerkung erlaubt: 20–30seitige Stellungnahmen zum RefE gegenüber dem Ministerium sind durchaus sinnvoll und haben Aussicht auf kritische Würdigung. Ebenso lange Stellungnahmen zu einem RegE – also im Grunde wohl gegenüber dem Parlament – sind in ihrer Wirkung zweifelhafter und dürften oft nur nach innen, also in die eigene Verbandsmitgliedschaft als Tätigkeitsnachweis und zur Apologie gedacht sein. Will man Änderungen am Entwurf erreichen, dürfte es sinnvoller sein, sich auf Wesentliches zu konzentrieren und den Kleinkram wegzulassen, da die Aufnahmefähigkeit der Parlamentarier, die mit vielfältigen Verfahren befasst sind, nicht unbeschränkt ist. Vier besonders wichtige Stellungnahmen zum RegE seien hier ausführlicher zitiert: Der BDI hat in seiner immerhin 24-seitigen Stellungnahme vom 13. Februar 2009 zum ARUG-Entwurf19 neben vielem anderen auch die Neufassung der Interessenabwägungsklausel kritisiert: „Wir halten die Einschränkung in § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG-E für verfehlt, wonach die Freigabe selbst bei überwiegendem Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre nicht erfolgen darf, wenn eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes vorliegt. Bereits das unbestimmte Merkmal der Schwere des Rechtsverstoßes ist aufgrund seines Streitpotentials geeignet, das Freigabeverfahren zu Lasten der Gesellschaft hinauszuzögern. Sollte es zudem bei der Bagatellschwelle von nur 100 Euro bleiben20, so führt eine entsprechende Rechtsverletzung21 auch nur eines (Kleinst-) Aktionärs zu einem Eintragungsstopp. Das überzeugt nicht, da damit in unverhältnismäßiger Weise in die berechtigten Interessen der Gesellschaft und der anderen Aktionäre an einem handlungsfähigen Unternehmen eingegriffen
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17 Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 19.12.2008, BR-Drucks. 847/08 (B), insb. S. 12 ff. 18 Das Quorum wurde im weiteren parlamentarischen Prozess tatsächlich auf 1.000 Euro erhöht. Diese Entwicklung hat Sauter, Offene Fragen zum RefE eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), ZIP 2008, 1706, 1712 vorausgesagt. 19 Die Stellungnahme erging speziell zum Regierungsentwurf; zuvor war eine ebenso umfangreiche zum Referentenentwurf eingereicht worden. 20 Der BDI forderte eine Schwelle von 500.000 Euro Nennbetrag oder 5 % – alle anderen Anfechtungsklagen, selbst bei allerschwersten Rechtsverstößen, sollten danach lediglich auf Schadensersatz gerichtet sein können. 21 Gemeint ist evtl. die Behauptung einer schweren Rechtsverletzung?
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wird. Wir fordern daher folgende Worte in Nr. 3 des zweiten Absatzes von § 246a AktG-E ‚… es sei denn, es liegt eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes vor‘ zu streichen“22. Das war interessengelenkter Vortrag zugunsten der Vorstände in extremer Einseitigkeit, denn nach der vorgeschlagenen Regelung hätten selbst schwerste Rechtsverstöße, etwa eine Beschlussfassung ohne Einladung der Aktionäre, bei rein ökonomischer Abwägung nicht mehr kassiert werden können. Ganz anders der Handelsrechtsausschuss des DAV, der in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf23 begrüßte, dass im Hinblick auf die Darlegungsund Beweislast der letzte Satzteil der Abwägungsklausel: „… es sei denn, es liegt eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes vor“ gegenüber dem RefE geändert worden war. Es sei auch hilfreich, dass die Begründung des Entwurfs Beispiele für das Ausmaß der Schwere des Rechtsverstoßes nenne und klarstelle, dass nicht jeder Nichtigkeitsgrund wegen eines formalen Fehlers eine besondere Schwere bedeute, die der Freigabe entgegenstehen würde. Denselben Tenor enthielt die Stellungnahme des GdV vom 29. Januar 2009: „Uneingeschränkt zu begrüßen ist die Überarbeitung der einleitenden Formulierung in Absatz 2 („Ein Beschluss nach Absatz 1 ergeht dann, wenn …“) sowie die weitere Schärfung der Interessenabwägungsklausel. Begrüßt wird auch, dass in der Gesetzesbegründung ausdrücklich klargestellt wird, dass nicht jeder Nichtigkeitsgrund wegen eines formalen Fehlers zu einer besonderen Schwere des Verstoßes führt, die eine Freigabe hindert“24. – Sehr interessant daran ist die Abweichung gegenüber der extremen Sichtweise des BDI. Das Deutsche Aktieninstitut hat zum RegE eine 32-seitige Stellungnahme vorgelegt und die Ausführungen zu den räuberischen Aktionären mit ganz eigenen und neuen Konzepten verbunden und zum Schwerpunkt gemacht: „Die Regelung des RegE enthält im Gegensatz zum RefE in der Abwägungsklausel den Bezug zu den Anfechtungsgründen nicht mehr; es fehlt der Zusatz ‚der mit der Klage geltend gemachten Rechtsverletzung‘. Dies trägt grundsätzlich dem Umstand Rechnung, dass es für die Ablehnung der Freigabe nicht ausreichen darf, dass der Anfechtungskläger im Freigabeverfahren eine schwere Rechtsverletzung schlüssig vorträgt. Das Deutsche Aktieninstitut hatte auf dieses Problem in seiner Stellungnahme zum RefE hingewiesen. Auch hier muss gelten, dass keine offensichtliche Unbegründetheit vorliegt. Die Änderung ist insofern grundsätzlich zu begrüßen. Im Vergleich zur derzeitigen Fassung des § 246a Abs. 2 AktG könnte jedoch auch der Schluss gezogen werden, dass die geltend gemachte Rechtsverletzung nicht mehr (ausschließlich) den Umfang der gerichtlichen Prüfung bestimmt und auch andere mögliche schwerwiegende Rechtsverletzungen in die Interessenabwägung eingestellt werden könnten. Zwar ist das Freigabeverfahren das Spiegelbild des Anfechtungsverfahrens, aber auch durch die Unternehmen werden im Rahmen der Darlegung der Nachteile
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22 Stellungnahme des BDI zum RegE des ARUG, S. 21. 23 Abgedruckt in NZG 2009, 96, dort Seite 98; Stellungnahme zum RefE abgedruckt in NZG 2008, 534. 24 Stellungnahme des GdV zum RegE des ARUG.
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(neue) Kriterien in die Abwägung eingestellt, so dass eine andere Sichtweise nicht ausgeschlossen wäre. Daher sollte der Bezug zum Vortrag aus dem Anfechtungsverfahren in diesem Zusammenhang genannt werden. Mit dieser Neuregelung wird das Ziel einer wesentlichen Beschleunigung von Freigabeverfahren nach Einschätzung des Deutschen Aktieninstituts aber dennoch nicht erreicht. Dies liegt v. a. daran, dass eine Freigabe nicht bei ‚schweren Rechtsverletzungen‘ erfolgt. Es handelt sich hierbei um eine Rechtsfrage, nicht nur um eine Tatsachenfrage. Was solche Rechtsverletzungen sind, wird jedenfalls durch das Aktiengesetz unzureichend beantwortet, so dass den Gerichten wie bisher ein erheblicher Auslegungsspielraum zukommt. Es ist anzunehmen, dass die Praxis der Gerichte, dies weit auszulegen, fortgesetzt wird. Daher sollte das Anfechtungsrecht materiell grundlegend reformiert werden und die gesetzliche Bewertung durch stärkere Differenzierung der Rechtsfolgen (Verstöße neben der Folge der Nichtigkeit und bloßen Anfechtbarkeit) stärker zum Ausdruck kommen. Dies könnte eine weitergehende Differenzierung der Rechtsfolgen leisten. Wünschenswert wären eine Reduzierung des Katalogs der Nichtigkeitsgründe und eine Revision der Rechtsfolgen bei den Anfechtungstatbeständen. Die Gerichte sollten – damit sie die Drei-Monatsfrist einhalten können – von einer allzu vertieften Prüfung entlastet werden. Deshalb sollte die Anleitung der Gerichte bzgl. des Korrektivs der ‚Schwere der Rechtsverletzung‘ zumindest eindeutiger gefasst werden. Schon die Begründung zum RegE des UMAG25 hat klargestellt, dass die Bestandskraft des Beschlusses geradezu unerträglich sein muss, um die Freigabe zu verhindern. In der Stellungnahme zum RefE hat das Deutsche Aktieninstitut angeregt, diese Wendung in den Gesetzeswortlaut aufzunehmen. Deshalb ist es zu begrüßen, dass zumindest die Begründung zum RegE diese Klarstellung aufnimmt. Das Deutsche Aktieninstitut regt neben der Reform der Registersperre an, dass den Gerichten im Freigabeverfahren bzw. Blockierungsverfahren zumindest mehr Handlungsspielraum gegeben werden sollte. Die Gerichte sollen beispielsweise die Möglichkeit erhalten, die Freigabe unter Auflagen zu erteilen. Wenn etwa beim Squeeze Out die vom Hauptaktionär gestellte Bankgarantie fehlerhaft ist und vom Gericht als ‚schwere Rechtsverletzung‘ qualifiziert wird, muss die Möglichkeit bestehen, den Fehler vor der Eintragung zu heilen, dann aber auch die Freigabe zu erteilen.“ Ende des Zitats der Äußerung des DAI26.
V. Die erste Lesung Am 29. Januar 2009 war die erste Lesung im Deutschen Bundestag27. Die Bedeutung der Maßnahmen gegen räuberische Aktionäre nahm großen Raum
__________ 25 RegE eines Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts v. 7.1.2005, BR-Drucks. 3/05, S. 60. 26 Stellungnahme des Deutschen Aktieninstituts zum RegE des ARUG. 27 Stenographisches Protokoll der 202. Sitzung des Deutschen Bundestages, S. 21915.
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ein – auch schon im Hinblick auf Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, wie die Finanzmarktkrise sie erwarten ließ. Die Interessenabwägungsklausel wurde kaum gestreift, allerdings ist sie auch für Parlamentsreden wenig geeignet.
VI. Die Anhörung im Rechtsausschuss Am 26. März 2009 fand im Rahmen eines Berichterstattergesprächs eine Anhörung zum ARUG statt. Technisch handelte es sich also nicht um eine öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses, sondern nur um ein Gespräch der Berichterstatter mit dem Ministerium, welches um einige Experten erweitert wurde. Dies ist ein gebräuchliches und sehr sinnvolles Vorgehen, das insbesondere Zeit spart, wenn der Terminkalender des Rechtsausschusses stark beansprucht ist. Das Bundesjustizministerium war durch Herrn PSt Hartenbach und die Mitarbeiter des Gesellschaftsrechtsreferats, also auch mich, vertreten. An Berichterstattern waren erschienen: MdB Gerhard Schick, Die Grünen, MdB Elisabeth Winkelmeier-Becker, CDU/CSU, MdB Friedrich Merz (kein förmlicher Berichterstatter) und MdB Mechthild Dyckmans, FDP; MdB Wolfgang Neskovic, Die Linke, war verhindert. Als externe Sachverständige waren gekommen: Prof. Dr. Heribert Hirte, Universität Hamburg, Prof. Dr. Michael Hoffmann-Becking, Vorsitzender des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins, Harald Petersen, Stellvertretender Vorsitzender der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V., München, Prof. Dr. Ulrich Noack, Universität Düsseldorf, Eberhard Stilz, Präsident des Staatsgerichtshofs für das Land Baden-Württemberg, Präsident des OLG Stuttgart und Dr. Tim Florstedt, Universität Frankfurt/M. Vorab darf gesagt werden, dass das ARUG bei dem Hearing insgesamt außerordentlich gelobt wurde, was die folgenden Beratungen sicherlich deutlich erleichtert hat. Nach dem mündlichem Statement von Stilz war die Abwägungsklausel „grundsätzlich nicht zu beanstanden“ – er setzte sich vor allem für das Oberlandesgericht als erste Instanz für Freigabeverfahren ein. In seinem schriftlichen Statement erklärte er zur Abwägungsklausel kritischer: „Hier geht es um eine klarstellende Präzisierung der bisherigen Klausel, wie sie sich in der Rechtsprechung ohnedies durchgesetzt hat. Die Bestimmung ändert nichts Wesentliches an der Rechtslage, unterstreicht aber noch einmal die […] konzeptionelle Sackgasse, in der sich das Freigabeverfahren befindet. Allerdings hat die Neuregelung eine problematische überschießende Komponente: Während nach der – von der Rechtsprechung rezipierten – Begründung des UMAG schwere Mängel lediglich bei der Gewichtung der Interessen zu berücksichtigen sind, stellen solche Mängel nun einen Ausschlussgrund dar“28. Für Noack ist das Freigabeverfahren ein dogmatisch inkonsistenter Notbehelf. Das ARUG führe statt eines starren Anfechtungsquorums nun ein flexibles ein.
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28 Stellungnahme von Stilz zum RegE des ARUG.
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Hirte ging in seinem schriftlichen Statement ausführlicher auf die Abwägungsklausel ein: „Die Interessenabwägung erlaubt die Freigabe selbst bei offensichtlicher Begründetheit der Beschlussmängelklage, ja wie jetzt ausgeführt wird, sogar im Falle der Nichtigkeit des Beschlusses, soweit das Vollzugsinteresse überwiegt. Während Gerichte im Freigabeverfahren eine Abwägungsentscheidung treffen, findet im Anfechtungs- und Nichtigkeitsprozess eine echte Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die dauerhafte Bestandskraft, die durch das erfolgreiche Freigabeverfahren etabliert wird, beschränkt die Wirkung des Hauptsacheverfahrens aber auf eine Entscheidung über Schadenersatz gem. § 246a Abs. 4 AktG. Grundsätzlich handelt es sich bei der vorgeschlagenen Abwägungsregel zudem um ein über das Bagatellquorum hinausgehendes weiteres Quorum ‚durch die Hintertür‘. Denn es werden nicht die Interessen aller Aktionäre, sondern nur die der Anfechtungskläger auf Seiten des Aussetzungsinteresses berücksichtigt. Ein höherer Anteilsbesitz des Anfechtungsklägers erhöht deshalb das Gewicht im Rahmen der Abwägung. Erst ab einer besonderen Schwere der Rechtsverletzung kommt es nicht mehr auf die Interessen der Anfechtungskläger an. Der Regierungsentwurf propagiert mithin faktisch zwei Quoren: Ein Bagatellquorum, das absolut gilt und damit auch bei schwersten Rechtsverletzungen zum Tragen kommt; des Weiteren eine Berücksichtigung der Anteilshöhe bei der Abwägung, die jedoch bei schweren Rechtsverletzungen ausgesetzt wird. Die ‚Polizeifunktion‘ der Anfechtungsklage bleibt damit nur für schwerste Rechtsverletzungen erhalten. Alle anderen Rechtsverletzungen durch Gesellschaft oder Mehrheit werden damit in der Zukunft praktisch sanktionslos bleiben“29. Und ferner: „Vor diesem Hintergrund ist vor allem die ausschließliche Berücksichtigung der Klägerinteressen im Rahmen des Freigabeverfahrens nicht überzeugend. Denn die Anfechtungsklage dient aufgrund der ‚rationalen Apathie‘ des normalen Aktionärs, aber auch mit Blick auf die (bisher) zurückhaltende Staatsaufsicht im Aktienrecht dazu, die Interessen aller nicht einen Beschluss tragenden Aktionäre durchzusetzen. Auch die nicht klagenden Aktionäre können daher bislang – mit anderen Worten – darauf vertrauen, dass ‚die Gerichte es schon richten werden‘, wenn nur ein einziger Kläger ein möglicherweise rechtswidriges Verhalten zum Gegenstand einer Klage macht. Das wäre auf der Basis des vorgeschlagenen Gesetzestextes in der Zukunft nicht mehr möglich. Richtig wäre es demgegenüber, die Gerichte zu zwingen, ganz bewusst auch die Interessen der nicht klagenden Aktionäre in ihre Abwägung mit einzubeziehen“30. Petersen von der SdK meinte, das UMAG sei keineswegs wirkungslos gewesen, die Zahl der Vergleiche gehe zurück. Zur Abwägungsklausel konkret äußerte er sich nicht.
__________ 29 Stellungnahme von Hirte zum RegE des ARUG. 30 (Fn. 29).
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Nach Hoffmann-Becking ist das Freigabeverfahren lediglich eine „Krücke, als Hilfsmittel gegenwärtig aber unverzichtbar und für die Praxis auch handhabbar“31. Nach einem im Ausschuss verteilten schriftlichen – nicht veröffentlichten – Statement Florstedts sollte die Abwägungsklausel noch klarer gefasst werden: „Beim Begriff der ‚besonderen Schwere des Rechtsverstoßes‘ ist (noch stärker) klarzustellen, dass dieser nicht schon immer dann anzunehmen ist, wenn ein Nichtigkeitsgrund (möglicherweise) vorliegt. Es ist noch deutlicher zu sagen, welche Schwerstverstöße eine Kassation rechtfertigen. Bei der Nachteilsabwägung ist klarer zu sagen, dass das Unternehmensinteresse das der Berufskläger mit Kleinstanteilen im Zweifel überwiegt.“
Florstedt befürchtete insbesondere vor dem Hintergrund der amtlichen Begründung zum ARUG-RegE und nach persönlichen Gesprächen mit Richtern und Anwälten, dass die Praxis bald zur Tagesordnung übergehen und die Rechtsprechung sich nicht ändern werde. Er schrieb: „Die Begründung der Beschlussempfehlung sollte klar aussprechen, dass die ‚besondere Schwere‘ nicht schon bei jedem als schwer empfundenen Rechtsverstoß anzunehmen ist. Notwendig ist, dass der Verstoß für sich betrachtet die Kassation rechtfertigt. Erwogen werden sollte, die besondere Schwere (wenigstens) in der Begründung durch Regelbeispiele zu illustrieren“32.
Florstedt hat einen alternativen Formulierungsvorschlag unterbreitet: „Der Freigabebeschluss ergeht […] wenn der Kläger nicht binnen einer Woche nach Antragsstellung eigene, wesentliche Nachteile dargelegt hat, die nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für die Gesellschaft und ihrer Aktionäre überwiegen, es sei denn, es liegt eine besondere Schwere eines zur Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Beschlusses führenden Rechtsverstoßes vor.“
VII. Die weiteren Beratungen mit den Berichterstattern im Rechtsausschuss Im Anschluss an die Anhörung wurde dem Rechtsausschuss eine Synopse mit 54 Änderungen gegenüber dem RegE übermittelt als Diskussionsgrundlage für die weiteren Gespräche. Dabei handelte es sich insbesondere um technische Feinheiten oder Eingehen auf die Stellungnahme des Bundesrates: 20 Änderungen gingen auf Änderungsvorschläge des Bundesrats aus dessen Stellungnahme vom 19. Dezember 200833 zurück, denen die Bundesregierung in der Gegenäußerung vom 21. Januar 200934 zugestimmt hatte, oder waren Folgeänderungen hierzu. Sechs Änderungen beruhten auf Anregungen der Verbände (Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, Deutsches Aktieninstitut). Sie waren technischer
__________ 31 32 33 34
Stellungnahme Hoffmann-Becking. Florstedt, schriftliche Stellungnahme. (Fn. 17). Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates, BTDrucks. 16/11642, S. 57 ff. (Anlage 5).
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Natur oder betrafen minimale sprachliche Varianten. Sieben Änderungen betrafen die Übernahme der Regelungen der verdeckten Sacheinlage aus dem MoMiG, für die sich im erweiterten Berichterstattergespräch alle Sachverständigen ausgesprochen hatten. Drei Änderungen beruhten auf Anpassungsbedarf im VW-Gesetz aufgrund der Aktionärsrechterichtlinie. Fünf Änderungen waren Folgeänderungen zum EHUG35, die der Entbürokratisierung und Kostenentlastung dienten. Vier Änderungen waren Folgeänderungen zum MoMiG bzw. betrafen Redaktionsversehen des ARUG-Regierungsentwurfs. Neun Änderungen beruhten auf den parallel laufenden Gesetzgebungsverfahren zum BilMoG36 und VorstAG37 bzw. betrafen die Korrektur von Redaktionsversehen des BilMoG. Zur Abwägungsklausel fand sich keine Änderung, man wollte hier erst die Beratungen mit den Abgeordneten abwarten und hielt jedenfalls das bisher Vorgebrachte nicht für so zwingend, dass sich eine Änderung aufgedrängt hätte. In den folgenden Berichterstattergesprächen sind vor allem die Fragen der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Oberlandesgerichts und die Interessenabwägungsklausel sehr intensiv erörtert worden. Es muss darauf hingewiesen werden, dass entgegen einem verbreiteten Vorurteil diese von PSt Hartenbach bzw. MdB Benneter geleiteten Gespräche der Berichterstatter mit den Vertretern des Ministeriums auf einem fachlich hohen Niveau und mit einem erstaunlichen Detaillierungsgrad geführt wurden. Man kann sagen: Das hat intellektuell Spaß gemacht und war in der Sache fruchtbar. 1. Berichterstattergespräch vom 21. April 2009 Insbesondere MdB Merz äußerte Bedenken gegen die sowohl im Regierungsentwurf als auch in dem Vorschlag Florstedts enthaltene Formulierung „es sei denn, es liegt eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes vor“. Er kritisierte, dass die besondere Schwere des Rechtsverstoßes einen eigenständigen Prüfungspunkt bilde, der das über die Freigabe entscheidende Gericht in eine bisher nicht durchzuführende Sachprüfung zwinge. Zudem würde so räuberischen Aktionären die Möglichkeit eröffnet, sich unabhängig von der Wertigkeit ihrer Interessen im Rahmen der Interessenabwägung auf die besondere Schwere des Rechtsverstoßes zu berufen. Dagegen wurde eingewandt, dass es sich nur um ganz massive Verstöße handeln könne. Die Berichterstatter von CDU/CSU und FDP zeigten Sympathie dafür, die Schwere des Rechtsverstoßes lediglich und wie bisher im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Der Verfasser wies darauf hin, dass allein ökonomische Interessen im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen seien; dies ergebe sich auch klar aus dem
__________ 35 Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister v. 10.11.2006, BGBl. I 2006, S. 2553. 36 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz) v. 25.5.2009, BGBl. I 2009, S. 1102. 37 Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung v. 31.7.2009, BGBl. I 2009, S. 2509.
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systematischen Zusammenspiel zwischen den beiden Halbsätzen des § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG-E. Er gab zu bedenken, dass die Einbeziehung des schweren Rechtsverstoßes in die Interessenabwägung die ohnehin schon eingeschränkte Polizeifunktion der Anfechtungsklage weiter aushöhlen würde. Die gegenwärtige Entwurfsfassung böte ein Korrektiv, das verhindern könne, dass die Gerichte trotz gravierender, von der Rechtsordnung schlechterdings nicht hinnehmbarer Rechtsverstöße die Freigabe erteilen müssten. Insoweit sei der schwere Rechtsverstoß bezogen auf die objektive Rechtsordnung und gerade losgelöst von den individuellen Interessen des Anfechtungsklägers. Auch dies diene letztlich dem aktienrechtlichen Minderheitenschutz. MdB Winkelmeier-Becker kritisierte, dass bislang noch nicht hinreichend klar sei, wann ein Rechtsverstoß als „besonders schwer“ im Sinne des § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG-E anzusehen sei. PSt Hartenbach verwies insoweit auf die ausführliche Regierungsbegründung, schloss aber weitere Klarstellungen auch im Wortlaut der Vorschrift nicht aus. Die Berichterstatter baten das BMJ, einen Vorschlag zur klareren Konturierung der Interessenabwägungsklausel zu übersenden. Umstritten blieb, ob der besonders schwere Rechtsverstoß als interessenunabhängiger Prüfungspunkt bestehen bleiben oder lediglich als ein Element in die Abwägung mit einfließen sollte. 2. Berichterstattergespräch vom 5. Mai 2009 Wieder stand die Interessenabwägung (neben dem Oberlandesgericht als Eingangsinstanz) im Zentrum der Diskussion. Besprochen wurde auch eine – nicht veröffentlichte – Formulierungshilfe des BMJ für eine überarbeitete Interessenabwägungsklausel: Alternative 1: „3. das alsbaldige Wirksamwerden des Hauptversammlungsbeschlusses vorrangig erscheint, weil der Antragsgegner nicht innerhalb von einer Woche nach Zustellung des Antrags eigene, wirtschaftliche Nachteile darlegt, welche die Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre überwiegen, es sei denn, es liegt ein besonders schwerer Rechtsverstoß vor.“
Alternative 2: Sollte der „schwere Rechtsverstoß“ wieder in die Abwägungsklausel integriert werden, so wurde vom BMJ vorgeschlagen, bei der bisherigen Gesetzesformulierung zu bleiben, da ansonsten die Regelung zu krass die Kläger benachteiligen würde. MdB Winkelmeier-Becker bat die anwesenden Mitarbeiter des BMJ darum, noch einmal die Neuerungen der im ARUG-RegE vorgesehenen Abwägungsklausel gegenüber der geltenden gesetzlichen Regelung darzustellen. Der Verfasser kam dem nach: Einerseits führe der RegE dazu, dass trotz Freigabeverfahrens grob rechtswidrige Beschlüsse auch auf die Klage eines Kleinaktionärs hin kassiert werden können. Andererseits mache die Neuregelung deutlich, dass auch klar rechtswidrige oder sogar nichtige Beschlüsse freigegeben werden können, solange kein besonders schwerer Rechtsverstoß vorliege. Der Vorteil des RegE 1223
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sei eine scharfe Trennung der Prüfungsstufen38, der Nachteil der geltenden Regelung, dass alle Kriterien „ineinander gemuddelt“ seien. MdB Merz deutete an, dass er es bei einer Eingangszuständigkeit des Oberlandesgerichts im Freigabeverfahren für vertretbar halte, die besondere Schwere des Rechtsverstoßes abwägungsresistent auszugestalten. Daraufhin wurde allseits Einvernehmen dahin erzielt, dass die im ARUG-RegE enthaltene Abwägungsklausel unverändert übernommen werden sollte. Im Bericht des Rechtsausschusses sollte nochmals klargestellt werden, dass ein „besonders schwerer Rechtsverstoß“ nur dann anzunehmen sei, wenn die Freigabe des Beschlusses „unerträglich“ sei und daher von der Rechtsordnung auf keinen Fall hingenommen werden könne. Dies komme etwa bei einer Verletzung „elementarer Aktionärsrechte“ in Betracht. Allerdings führe nicht jeder Nichtigkeitsgrund automatisch zu einem „besonders schweren Rechtsverstoß“39.
VIII. Der Bericht des Rechtsausschusses Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages hat in seiner 141. Sitzung am 13. Mai 2009 zum Tagesordnungspunkt 6: Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrichtlinie (ARUG)“, BTDrucksache 16/11642, mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE beschlossen, dem Bundestag zu empfehlen, den Gesetzentwurf in der Fassung der Ausschussdrucksache 16(6)302 anzunehmen40. § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG (Abwägungsklausel) blieb unverändert. In der Beschlussempfehlung und dem Bericht finden sich die folgenden Ausführungen zur Interessenabwägungsklausel: „Nach ausführlicher Erörterung hat der Rechtsausschuss die Interessenabwägungsklausel in § 246a Abs. 2 Nummer 3 AktG-E in der Fassung des Regierungsentwurfs unverändert übernommen. § 246a Abs. 2 AktG-E ist durch den Entwurf klarer strukturiert worden. Die Freigabe hat danach ohne Weiteres und ohne Interessenabwägung zu erfolgen, wenn die Klage unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (1) oder wenn der Kläger (Antragsgegner) nicht nach (2) den erforderlichen Mindestaktienbesitz nachweist. Liegen die Freigabemöglichkeiten der Nummern 1 und 2 nicht vor, so sind die Voraussetzungen der Nummer 3 zu prüfen. Im Rahmen der dort vorgesehenen Interessenabwägung hat das Gericht das wirtschaftliche Interesse des klagenden Aktionärs – nicht das der Aktionärsgesamtheit – gegen die Unternehmensnachteile und die Nachteile der anderen Aktionäre abzuwägen. Die Neu-
__________ 38 Diese stell deutlich heraus: Verse, Das Beschlussmängelrecht nach dem ARUG, NZG 2009, 1127, 1129 f. 39 Zum von ihm sogenannten „Schwerstverstoß“ auch ausführlich Rubel (Fn. 11), S. 2028 m. w. N. 40 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung – Drucksache 16/11642 – Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), v. 20.5.2009, BT-Drucks. 16/13098.
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fassung stellt klar, dass wirtschaftliche Interessen abzuwägen sind, denn die Schwere des Rechtsverstoßes ist nicht mehr in die Interessenabwägung aufzunehmen, sondern ist außerhalb der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Überwiegen die wirtschaftlichen Nachteile des Klägers (Antragsgegners) und kommt das Gericht aufgrund seiner Darlegung und Glaubhaftmachung zu dem Ergebnis, dass die Klage begründet sein dürfte, so gibt es nicht frei. Überwiegen die Nachteile der Gesellschaft, so gibt es ohne weiteres frei. Wesentliche Nachteile auf Seiten der Gesellschaft sind keineswegs nur Insolvenzgefahr oder ähnliche extreme Szenarien. In die Abwägung sind alle nicht vernachlässigbaren wirtschaftlichen Nachteile einzubeziehen, auch die Kosten der Wiederholung einer Hauptversammlung, Zinseffekte etc. Bei der Nachteilsdarlegung durch die Gesellschaften mag ein Geheimhaltungsschutz durch die Gerichte entwickelt werden. Da diese Abwägung bei Aktionären mit geringer Beteiligung schwerlich zu ihren Gunsten ausgehen wird, sieht der Entwurf eine letzte Rechtsschutzmöglichkeit41 vor: die Geltendmachung eines besonders schweren Rechtsverstoßes. Wird ein solcher vom Gericht angenommen, so führt dies ohne wirtschaftliche Abwägung zur Versagung der Freigabe. Es muss sich dann aber um einen ganz gravierenden Rechtsverstoß handeln, der vom Anfechtungskläger (Antragsgegner) zur freien Überzeugung des Gerichts dargelegt und glaubhaft gemacht ist (Absatz 3 Satz 2). Keineswegs genügt schon jeder Fall der Beschlussnichtigkeit, es geht nur um Fälle, in denen es für die Rechtsordnung „unerträglich“ wäre, den Beschluss ohne vertiefte Prüfung im Hauptsacheverfahren eintragen und umsetzen zu lassen. Dies kommt etwa in Betracht bei einer Verletzung elementarer Aktionärsrechte, die durch Schadensersatz nicht angemessen zu kompensieren wäre. Als Beispiel ist die Beschlussfassung in einer „Geheimversammlung“ zu nennen, die bewusst zu diesem Zweck nicht ordnungsgemäß einberufen wurde; ferner etwa absichtliche Verstöße gegen Gleichbehandlungsgebot und Treupflicht mit schweren Folgen; völliges Fehlen der notariellen Beurkundung bei der börsennotierten Gesellschaft. Umgekehrt begründet keinesfalls jeder Einberufungsmangel per se einen „besonders schweren Rechtsverstoß“. Andererseits kann auch ein Verstoß gegen nicht individualschützende Normen zur Versagung der Freigabe führen, etwa wenn ein Beschluss mit besonders grundlegenden Strukturprinzipien des Aktienrechts nicht vereinbar wäre (Herabsetzung des Grundkapitals der AG endgültig auf einen Nennbetrag unter 50000 Euro). Um einen besonders schweren Rechtsverstoß festzustellen, müssen in jedem Fall die Bedeutung der Norm sowie Art und Umfang des Verstoßes im konkreten Einzelfall bewertet werden. Es kann sich um gezielte und besonders grobe Verstöße handeln (vgl. § 148 Abs. 1 Nr. 3 AktG). Insbesondere formale Fehler, die möglicherweise von professionellen Klägern provoziert worden sind, können keinesfalls einen schweren Rechtsverstoß im Sinne der Vorschrift darstellen“42.
__________ 41 „Auffangfunktion“, s. Bosse, Grünes Licht für das ARUG: Das Aktiengesetz geht online, NZG 2009, 807, 811. 42 (Fn. 40), S. 60 f. Schöne Gegenüberstellung der markanten Unterschiede der amtlichen Begründung des RegE des ARUG und dem Bericht des Rechtsausschusses bei Florstedt (Fn. 4), S. 471.
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IX. Schluss So ist die neue Interessenabwägungsklausel nun Gesetz geworden und am 1. September 2009 in Kraft getreten43. Mit den klaren Worten des Berichts des Rechtsausschusses sollte die Regelung nun nicht mehr missverstanden werden können. Die rechtspolitische Strategie, die hier verfolgt wurde, ist die eines langsamen Herantastens an den neuralgischen Punkt, den Punkt nämlich, ab dem die Anfechtungsklage als Geschäftsmodell an Attraktivität verliert44, die Anfechtungsklage als Instrument des Aktionärsschutzes aber wirksam bleibt. Und das liegt wohl auch auf der Linie Goettes, wenn er mahnt: „… dass wir gut beraten sind, nicht wegen dieser missbräuchlichen Verhaltensweisen das ganze System der Ausbalancierung von Machtausübung und -kontrolle […] funktionslos werden zu lassen“45. Es ist gewiss zuzugeben, dass das Freigabeverfahren ein Notbehelf und das gesamte Recht der Beschlussmängelanfechtung wenig konsistent ist – und man es gewiss anders machen würde, wenn heute Stunde Null wäre46. In der gewachsenen Situation, in der wir aber nun einmal sind, wird man zunächst abwarten, ob das ARUG nicht die Probleme so entschärft hat, den oben erwähnten Punkt so gut getroffen hat, dass der Reformdruck danach ganz erheblich abnimmt. Sollte das so sein, und die ersten Stimmen aus der Praxis deuten darauf hin, so wird man sich angesichts stets knapper Ressourcen in der Gesetzgebung und einer gewissen Reformmüdigkeit der Unternehmenspraxis gegen eine Komplettrevision des Beschlussmängelrechts entscheiden. Das Streben nach einem Schönheitspreis wird als Grund für ein solches großes Reformvorhaben nicht ausreichen und er wird ja auch gar nicht vergeben.
__________ 43 Gesetz v. 30.7.2009, BGBl. I 2009, S. 2479. 44 Die stringentere Interessenabwägungsklausel kann u. a. das Risiko der Anfechtungskläger erhöhen, dass es nicht zu einem Vergleich kommt, Koch/Wackerbeck, Der Schutz vor räuberischen Aktionären durch die Neuregelung des ARUG, ZIP 2009, 1603, 1606 – und der Vergleich ist ja das einzige Verfahrensziel des missbräuchlichen Klägers. 45 Aktuelle Entwicklungen im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht im Lichte der höchstrichterlichen Rechtsprechung, DStR 2009, 51, 56. 46 Für eine „Umkehrung“ des Freigabeverfahrens wirbt bspw. auch nach Inkrafttreten des ARUG K.Schmidt, Reflexionen über das Beschlussmängelrecht, AG 2009, 248, 256 f. Martens/Martens, Rechtsprechung und Gesetzgebung im Kampf gegen missbräuchliche Anfechtungsklagen, AG 2009, 173, 177, planen dagegen den Entwurf einer gesetzlichen Missbrauchsregel im Nachgang eines entsprechenden Urteils des OLG Frankfurt/M. v. 13.1.2009 – 5 U 183/07, WM 2009, 309.
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Das VorstAG – ein in weiten Teilen überflüssiges Gesetz Inhaltsübersicht I. Vorbemerkung II. Die Gesamtbezüge eines Vorstandsmitglieds 1. Bezüge, die in der Bestellungszeit zufließen 2. Bezüge, die erst nach Ablauf der Bestellung zufließen a) Erfassung der Bezüge, die nach Ablauf der Bestellung zufließen b) Bewertung der Bezüge, die erst nach Ablauf der Bestellung zufließen c) Vergütungen, die nach Ablauf der Bestellung zufließen, als Teil der Gesamtbezüge während der Bestellungszeit
3. Die Angemessenheit der Gesamtbezüge a) Berücksichtigung der Verantwortung für die Gesamtleitung b) Kein sorgfaltsbegründender Beratungsbedarf III. Zur sachgerechten Festsetzung der Bestandteile der Gesamtvergütung 1. Die Vorschriften des VorstAG 2. Festgehalt 3. Erfolgsvergütung 4. Altersversorgung IV. Zur Verantwortlichkeit der Organmitglieder bei der Festsetzung von Vorstandsbezügen
I. Vorbemerkung Es gibt technisch gut gemachte Gesetze und technisch schlecht gemachte Gesetze. Das VorstAG ist ein schlecht gemachtes Gesetz. Es missachtet (oder verletzt) wesentliche Grundsätze des Aktienrechts. Es ist ein Gesetz, dass aufgrund zu missbilligender Ereignisse im Bereich der Vorstandsvergütung ohne eingehende Vorbereitung ad hoc entstanden ist1. Es lässt eine klare Ermittlung der Ursachen für die missbilligten Ereignisse vermissen und setzt darum mit seinen neuen Vorschriften an systemwidrigen Hebeln an. Es verkennt, dass Eingriffe in die Bestellungs- und Anstellungskompetenz des Aufsichtsrats zugleich Veränderungen in dessen Verantwortlichkeit bewirken. Allerdings enthält das Gesetz auch systemgerechte Vorschriften (z. B. Zuständigkeit des ARPlenums, Normierung eines Selbstbehalts u. a. m.).
__________ 1 Vgl. dazu Hoffmann-Becking/Krieger, Leitfaden zur Anwendung des Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), NZG 2009, Beilage Heft 26; Jahn, Das VorstAG: Neue Vorschriften gegen „unangemessene“ Managerbezüge, GWR 2009, 135; van Kann, Zwingender Selbstbehalt bei der D&O-Versicherung – gut gemeint, aber auch gut gemacht?, NZG 2009, 1010; zur Entstehung Seibert, Das VorstAG – Regelungen zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung und zum Aufsichtsrat, WM 2009, 1489; ders., Die Koalitionsarbeitsgruppe „Managervergütungen Rechtspolitische Überlegungen zur Beschränkung der Vorstandsvergütung“ (Ende 2007 bis März 2009), in FS Hüffer, 2010, S. 955.
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Unvertretbar überhöhte Bezüge waren schon nach geltendem Recht unzulässig2. Sie widersprechen dem Angemessenheitsgebot des § 87 Abs. 1 AktG a. F. Es bedurfte keiner Ergänzungen des Gesetzes. Mangelhaft war nicht das materielle Recht, sondern war und ist das Verfahrensrecht. Am materiellen Recht wurde systemwidrig herum operiert, das Verfahrensrecht blieb wie es war: Mangelhaft3. Für den Ausgleich eines der Gesellschaft durch unangemessen hohe Vorstandsvergütungen entstehenden Schadens haften die Mitglieder des Aufsichtsrats und – nach richtiger Ansicht4 – auch des Vorstands, wenn sie nicht nachweisen können, dass sie die Sorgfalt eines ordentlichen Organmitglieds haben walten lassen. Die Auszahlung unangemessener Bezüge mindert das Gesellschaftsvermögen und begründet damit einen Schaden der Gesellschaft. Die Ergänzung des Aktienrechts durch eine Ergänzung des § 116 AktG war unnötig5. Sie könnte sogar zur Folge haben, dass andere, vielleicht gewichtigere Sorgfaltspflicht-Verletzungen zukünftig nicht geahndet werden, weil der Gesetzgeber sie nicht ausdrücklich noch einmal aufgeführt hat6. Haben die Organmitglieder bei der Festsetzung der fraglichen Bezüge die ihnen obliegende Sorgfalt walten lassen? Ich behaupte, dass dies in den angeprangerten Fällen nicht der Fall war. Die Organmitglieder haben es im Zweifel unterlassen, die von ihnen zugestandenen Gesamtbezüge vollständig zu erfassen, richtig zu bewerten und sachgerecht zu bemessen. Die Äußerungen zur Angemessenheit der Vorstandsbezüge durch Wissenschaft und Praxis vor und nach dem Gesetzgebungsverfahren sind schon heute überaus zahlreich7. Dabei wird auch die Frage einer Ausstrahlung des Gesetzes auf die GmbH behandelt8.
__________ 2 Thüsing, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, AG 2009, 517. 3 Vgl. Lingemann, Angemessenheit der Vorstandsvergütung – Das VorstAG ist in Kraft, BB 2009, 1918. 4 Vgl. Johannes Semler, Mitverantwortung der Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft für die eigenen Vergütungen – Grenzen der Vergütungskompetenz des Aufsichtsrats, in Liber amicorum Happ, 2006, S. 277; Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 87 AktG Rz. 79; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 87 AktG Rz. 29; Körner, Die Angemessenheit von Vorstandsbezügen in § 87 AktG, NJW 2004, 2697. 5 Nikolay, Die neuen Vorschriften zur Vorstandsvergütung – Detaillierte Regelungen und offene Fragen, NJW 2009, 2640. 6 Bedenken trägt auch Fleischer, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), NZG 2009, 801, vor. 7 Veröffentlichungen vor dem VorstAG: Grundlegend Fleischer, Zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung im Aktienrecht (Teil I und II), DStR 2005, 1279 und 2005; Fonk, Die Zulässigkeit von Vorstandsbezügen dem Grunde nach, NZG 2005, 248; Lücke, Die Angemessenheit von Vorstandsbezügen – Der erste unbestimmbare unbestimmte Rechtsbegriff?, NZG 2005, 692. Veröffentlichungen zum VorstAG: DAV Handelsrechtsausschuss, NZG 2009, 612; Dauner-Lieb/v. Preen/Simon, Das VorstAG – Ein Schritt auf dem Weg zum BoardSystem?, DB 2010, 377; Deilmann/Otte, Auswirkungen des VorstAG auf die Struktur der Vorstandsvergütung, GWR 2009, 261; Diller, Nachträgliche Herabsetzung von Vorstandsvergütungen und -ruhegeld nach dem VorstAG, NZG 2009, 1006; Döll, Das
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II. Die Gesamtbezüge eines Vorstandsmitglieds Die vollständige Erfassung der Gesamtbezüge bedingt eine ordnungsmäßige Zusammenstellung aller dem Vorstandsmitglied zugesagten Einzelbezüge und Einzelvorteile. In die Gesamtbezüge einzurechnende Vorteile bewirken alle Leistungen der Gesellschaft an das Vorstandsmitglied, die nicht als Gegenleistung für eine rechtlich zulässige Sonder-Leistung des Vorstandsmitglieds zu qualifizieren sind9. Dies gilt sowohl für das, was das Vorstandsmitglied in seiner Bestellungszeit erhält, als auch für das, was ihm für die Zeit nach Ablauf seiner Bestellungszeit zufließen soll. Durch die Angemessenheitsvorschrift des § 87 AktG wird die Vertragsfreiheit mit Bezug auf die Bezüge und die Gewährung jedweder Art von Vorteilen an Vorstandsmitglieder eingeschränkt. 1. Bezüge, die in der Bestellungszeit zufließen Die Erfassung aller dem Vorstandsmitglied in der Bestellungszeit zufließenden Bezüge und Vergütungen bereitet im Allgemeinen geringe Schwierigkeiten. Schon nach dem Wortlaut des Gesetzes gehören das Gehalt, Gewinnbeteiligungen, Aufwandentschädigungen, Versicherungsentgelte und Provisionen dazu. Aber auch Nebenleistungen jeder Art müssen einbezogen werden. Hierzu sind die Vorteile aus dem Recht zur privaten Nutzung eines Dienstwagens (einschl. anteiliger Kosten eines Fahrers) ebenso wie der Wert der etwa zur Verfügung gestellten allgemeinen Hilfskräfte zu ermitteln. Einzubeziehen sind auch
__________ Votum zum Vergütungssystem nach § 120 Abs. 4 AktG, WM 2010, 103; Fleischer, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), NZG 2009, 801; Fonk, VorstAG – Renaissance der Ermessenstantieme?, AG Report 2009, R 484; Franz, Der gesetzliche Selbstbehalt in der D&O-Versicherung nach dem VorstAG – Wie weit geht das Einschussloch in der Schutzweste der Manager?, DB 2009, 2764; Hohaus/ Weber, Die Angemessenheit der Vorstandsvergütung gem. § 87 AktG nach dem VorstAG, DB 2009, 1515; Hohenstatt, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, ZIP 2009, 1349; van Kann/Keiluweit, Das neue Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, DStR 2009, 1587; Möllers/Christ, Selbstprüfungsverbot und die zweijährige Cooling-off-Periode beim Wechsel eines Vorstandsmitglieds in den Aufsichtsrat nach dem VorstAG, ZIP 2009, 2278; Spindler, Vorstandsgehälter auf dem Prüfstand – Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, NJW 2009, 3072; Eberhard Vetter, Begrenzung der Vorstandsbezüge durch Hauptversammlungsbeschluss?, ZIP 2009, 1307. 8 Baeck/Götze/Arnold, Festsetzung und Herabsetzung der Geschäftsführervergütung – welche Änderungen bringt das VorstAG?, NZG 2009, 1121; Döring/Grau, Anwendbarkeit der Änderungen durch das VorstAG auf die paritätisch mitbestimmte GmbH, DB 2009, 2139; Gaul/Janz, Das neue VorstAG – Veränderte Vorgaben auch für die Geschäftsführer und den Aufsichtsrat der GmbH, GmbHR 2009, 959; Wübbelsmann, Die Vergütung des Geschäftsführers – Ausstrahlung des VorstAG auf die GmbH, GmbHR 2009, 988. 9 Leider sind die Definitionen der „Gesamtbezüge“ in § 87 AktG und in den §§ 285, 314 HGB unverändert nicht voll koordiniert. Eine allgemeine Definitionsanalyse muss zur Begriffsabstimmung vorgenommen werden.
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Aktienoptionen10. Hier können sich Bewertungsschwierigkeiten, aber kaum Erfassungsprobleme ergeben. 2. Bezüge, die erst nach Ablauf der Bestellung zufließen Schwieriger – aber sehr viel wichtiger – ist die Erfassung des Werts der ebenso einzubeziehenden Leistungen, die erst nach der Bestellungszeit gewährt werden sollen. Diese Erfassung ist in der Vergangenheit wohl häufig unterblieben. Nur so ist zu erklären, dass Vorstandsmitglieder nach Ende ihrer Bestellungszeit geradezu fürstliche Abfindungen in verschiedenster Form erhalten konnten11. Bezüge und Vorteile jeder Art, die ein Vorstandsmitglied nach Ablauf der Bestellung erhält, müssen, wenn sie ihm verbindlich zugesagt sind, in die Bezüge während der Dauer der Bestellung einbezogen werden. Wenn sie nicht bereits in der aktiven Zeit zugesagt worden sind und damit einen Teil der Bezüge für die Vorstandstätigkeit bilden, sind sie unzulässig. Die Gesellschaft darf sie nicht gewähren. Wenn der Wert zulässiger Leistungen richtig in die jährlichen Gesamtbezüge der aktiven Dienstzeit einbezogen worden wäre, würden sie in manchen Fällen wohl nicht gewährt worden sein. Auch wären im Zweifel Regress-Verfahren gegen die Aufsichtsräte angestrengt worden. Die Ermittlung der einem früheren Vorstandsmitglied nach Ablauf der Bestellungszeit zufließenden Bezüge und Vergütungen bedingt ein Doppeltes: Sie müssen zunächst als solche ordnungsgemäß erfasst werden. Und im Weiteren kommt die sehr viel schwierigere Aufgabe dazu: Sie müssen richtig bewertet werden. a) Erfassung der Bezüge, die nach Ablauf der Bestellung zufließen In die Erfassung müssen alle zugesagten Ruhegelder einfließen. Ebenso erfasst werden müssen etwaige weitere fortgewährte Neben-Bezüge aus der aktiven Zeit: wie Gewinnbeteiligungen, Aufwandsentschädigungen, Versicherungsentgelte und Provisionen. Und ebenso sind der Wert etwa weiter gewährter Sachleistungen wie der Wert eines Dienstwagens oder eines Sekretariats einzubeziehen. Wenn einem Vorstandsmitglied für den Fall seines Ausscheidens eine Abfindung, ein Ruhegeld, ein Übergangsgeld oder eine change of control Vergütung12 zugesagt wird, muss der Wert dieser Zusage ebenfalls in die Alters-
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10 Im Bilanzrecht wird immer noch behauptet, Bezugsrechte aus bedingter Kapitalerhöhung seien keine Leistung der Gesellschaft, sondern der Aktionäre und daher im Jahresabschluss nicht zu erfassen. Verstärkt setzt sich aber die richtige Auffassung durch, dass sie Lohn- und Gehaltsaufwand sind. Kropff in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, Bd. 5.2, § 272 HGB Rz. 92 ff. 11 Seibert (Fn. 1), WM 2009, 1489, 1492. 12 Als „Change of Control Klausel“ wird eine Abrede verstanden, die dem Vorstandsmitglied bei Eintritt oder Wechsel eines Großaktionärs ein außerordentliches Recht zur einseitigen Niederlegung der Bestellung gibt und ihm gleichzeitig für die Beendigung seines Dienstvertrags eine Sondervergütung verspricht. Über die rechtliche Zulässigkeit einer solchen Klausel wird man prächtig streiten können. Ich halte sie für
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bezüge und damit in die Gesamtbezüge während der aktiven Zeit eingerechnet werden. Zu den Ruhegeldbezügen gehören auch die Kosten, die ein Unternehmen für die Sicherheit eines früheren Vorstandsmitglieds aufwendet. Diese Kosten werden nicht im Interesse des Unternehmens, sondern des früheren Vorstandsmitglieds bezahlt. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um Personalkosten (z. B. Gehalt eines Sicherheitsbegleiters) oder um Sachkosten (Kosten von Alarmanlagen, Sicherheitsglas, Panzerung des PKW) handelt. b) Bewertung der Bezüge, die erst nach Ablauf der Bestellung zufließen Leistungen, die erst in der Zukunft erfolgen sollen, müssen zutreffend bewertet werden. Dabei müssen sowohl die Eintrittswahrscheinlichkeit des die Leistungspflicht auslösenden Ereignisses als auch der Barwert der für einen solchen Fall zugesagten Leistungen berücksichtigt werden. Diese Werte sind auf die Vertragsjahre zu verteilen. Eine Verteilung auf die möglichen Vertragsjahre (also auch auf Jahre, für die eine Bestellung noch nicht erfolgen konnte, aber erwartet wird) dürfte nach den Entwicklungen der letzten Jahre nicht mehr zulässig sein. Kein Vorstandsmitglied darf und kann damit rechnen, dass seine Bestellung nach Ablauf verlängert wird. Bei der Ermittlung der Barwerte einer zugesagten Leistung wird alsbald deutlich, dass völlig unangemessene Bezüge erreicht werden, wenn beim Abschluss eines Anstellungsvertrages sogleich die volle Ruhegeldleistung, wie sie nach Erreichen des normalen Rentenalters gewährt werden soll, lebenslang zugesagt wird. Richtig muss sich der Vertrag darauf beschränken, ein Ruhegeld festzulegen, dessen jährlicher Zuführungswert in den Angemessenheitsrahmen passt. So wird in der ersten Bestellungszeit nur ein niedriger Ruhegeldbetrag vereinbart werden können. Erst mit der letzten Wiederbestellung und der entsprechenden Vertragsverlängerung wird dann die volle Ruhegeldleistung zugesagt. Mit einem solchen Verfahren wird vermieden, dass bereits nach der ersten Bestellungsperiode Leistungen in astronomischer Höhe als vorgebliche Gegenleistung für geleistete Dienste fällig werden können. Mit einem solchen, allgemein gebotenen Verfahren wird zugleich der Abfindungswert in sachlich gebotenem Umfang begrenzt.
__________ unzulässig, da sie zu einem im Gesellschaftsrecht nicht vorgesehenen einseitigen Gestaltungsrecht des Vorstandsmitglieds führt und mit den Vorschriften des § 87 AktG kaum zu vereinbaren ist. Bedenken auch bei Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 87 AktG Rz. 82; weniger zurückhaltend Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 87 AktG Rz. 2; die Zulässigkeit bejaht Hüffer in AktG, 8. Aufl. 2008, § 87 AktG Rz. 4a, hält aber die Einhaltung besonderer Modalitäten für unverzichtbar. Der DCGK hält solche Klauseln mittelbar für zulässig, da er in 4.2.3. Abs. 5 eine Begrenzungsempfehlung gibt (nicht mehr als „150 % des Abfindungs-Caps“). Vgl. auch Korts, Die Vereinbarung von Kontrollwechselklauseln in Vorstandsverträgen, BB 2009, 1876 mit einem vom Zeitpunkt der Vereinbarung abhängigen unterschiedlichen Ergebnis.
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Eine Ausnahme mag gelten, wenn ein Unternehmen eine Person als Vorstandsmitglied anwirbt, die in einem anderen Unternehmen schon eine volle Ruhegeldzusage hat, die zwar schon wirksam, aber nicht unverfallbar ist. Dann kann diese Person erwarten, dass das neue Unternehmen sogleich eine Zusage auf die ihm bisher zugesagte Altersversorgung für einen Versorgungsfall zusagt. Allerdings ändert dies nichts daran, dass der Wert der zugesagten Leistung die Erfolgsrechnung des Unternehmens belastet und dieser Betrag Teil der Gesamtvergütung des betreffenden Vorstands ist. Der Aufsichtsrat muss überlegen und ggf. begründen, warum eine derart hohe Vergütung als angemessen betrachtet werden kann. Entsprechend ist bei der Zusage eines Übergangsgeldes zu verfahren. Bei der Ermittlung des Werts einer entsprechenden Zusage müssen die Eintrittswahrscheinlichkeit, die voraussichtliche Leistungsdauer unter Berücksichtigung der ergometrischen Lebenswahrscheinlichkeit und die zugesagte Höhe berücksichtigt werden. Wenn die anzusetzenden Beträge – zusammen mit allen anderen in die Gesamtbezüge einzurechnenden Leistungen – die Angemessenheitsgrenze nicht überschreiten, bestehen keine Bedenken gegen die Zusage eines Übergangsgeldes. Im Gegenteil. Das Übergangsgeld ist nicht erfunden worden, um leistungsschwachen Führungskräften ein ruhiges arbeitsfreies Leben zu ermöglichen. Es wird eingeräumt, um das Risiko eines Vorstandsmitglieds, das sich mit seiner Meinung gegen die Meinung seiner Vorstandskollegen oder des Aufsichtsrats wendet, das Risiko einer als Sanktion erfolgenden Nichtverlängerung der Bestellung erträglich zu halten. Mit dem Wegfall eines Übergangsgeldes wird eine – gesellschaftsrechtlich unangemessene – Abhängigkeit des einzelnen Vorstandsmitglieds von der Meinung seiner Kollegen oder des Aufsichtsrats herbeigeführt. Entsprechendes gilt für Zahlungen, die einem Vorstandsmitglied für den Fall einer Kündigung nach Übernahme der Mehrheit an der von ihm geleiteten Gesellschaft durch einen neuen kontrollierenden Aktionär zugesagt werden (Change of Control-Klausel). Auch hier geht es nicht nur um die Frage der Zulässigkeit einer solchen Kündigungsabfindung, sondern vor allem um die Frage der Einrechnung in die Gesamtbezüge. c) Vergütungen, die nach Ablauf der Bestellung zufließen, als Teil der Gesamtbezüge während der Bestellungszeit Wenn sich die Frage ergibt, ob irgendeine in der Zukunft vorgesehene Leistung als Teil der Vergütung in der aktiven Zeit anzusehen ist, dann richtet sich die Antwort allein nach der Rechtslage: Eine Person, deren Bestellung abgelaufen ist, hat keinerlei Vergütungsansprüche und andererseits keine entgeltpflichtigen Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft (abgesehen von einer etwaigen Konkurrenzklausel). Was in der aktiven Zeit nicht vergütet worden ist (als Leistung oder als Leistungsversprechen), kann nachträglich nicht mehr gewährt werden. Leistungsversprechen, das heißt Leistungen, die erst nach Ablauf der Bestellung fällig werden, müssen bei Ablauf der Bestellung durch Rückstellungen 1232
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abgedeckt sein13. Dabei spielen steuerliche Vorgaben keine Rolle, sie sind bei der Berechnung zu berücksichtigen. Für Leistungen an ein Vorstandsmitglied, die ihre Grundlage in einer Tätigkeit des Vergütungsempfängers in seiner Bestellungszeit haben, ihren Erfolg für das Unternehmen aber erst nach Ablauf der Bestellungszeit zeigen, muss bei der Beendigung der Bestellungszeit durch Rückstellungen in Höhe geschätzter Beträge vorgesorgt werden. Nur eines geht nicht: Vergütungen für eine Vorstandstätigkeit können Personen, die nicht mehr bestellt sind, nachträglich nicht mehr gewährt werden. Nachträgliche Vergütungen sind unzulässig14. 3. Die Angemessenheit der Gesamtbezüge Die Vorstandsvergütung muss in ihrer Summe, also insgesamt, angemessen sein15. Innerhalb einer angemessenen Gesamtvergütung dürfen die einzelnen Komponenten beliebig variiert werden. Für die einzelnen Komponenten gibt es außerhalb allgemeiner Rechtsüberlegungen kein Angemessenheitsgebot. Wer auf eine Altersversorgungszusage verzichtet, kann eine höhere Festvergütung erhalten. Wer ein firmeneigenes Haus bei einer nicht marktgerechten Miete bewohnt, muss auf Teile seines Gehalts verzichten. Wer ein Übergangsgeld oder eine Vergütung im Falle eines Change of Control verlangt, kann nicht ein Ruhegeld in gleicher Höhe erwarten, wie es ein Kollege ohne Anspruch auf ein Übergangsgeld oder eine Change of Control-Abfindung erhält. Bei der Gestaltung der einzelnen Vergütungsbestandteile kann den besonderen Interessen des Unternehmens oder des Vorstandsmitglieds voll, aber maßvoll entsprochen werden16. Voraussetzung ist jedoch immer, dass die Angemessenheit der Gesamtvergütung nicht überschritten wird. a) Berücksichtigung der Verantwortung für die Gesamtleitung Die Erläuterungen des neuen Gesetzes zur Angemessenheit der Vergütung waren entbehrlich, weil selbstverständlich. Sie sind zudem fehlerhaft, weil versäumt wird, die Mitverantwortung des einzelnen Vorstandsmitglieds für die Gesamtleitung des Unternehmens zu betonen. Das Gesetz bestimmt die Leitung der Gesellschaft durch den Vorstand und geht von einer Teilhabe jedes Vorstandsmitglieds an der Leitung der Gesellschaft aus. Deswegen müssen vor allem diese Mitwirkungs-Verpflichtung und deren Erfolg oder Misserfolg bei der Festsetzung der Gesamtbezüge berücksichtigt werden17. Nach meiner persönlichen Auffassung ist die Erfolgsvergütung des Vorstandsvorsitzenden allein auf den Gesamterfolg, die eines Ressortchefs mindestens
__________ 13 Thüsing (Fn. 2), AG 2009, 517, 528. 14 Mannesmann-Entscheidung: BGH, NZG 2006, 141, 143 = ZIP 2006, 72, 75; dazu Fonk (Fn. 7), NZG 2009, 248, 249. 15 Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 87 AktG Rz. 20 ff. 16 Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 87 AktG Rz. 4 a. E. 17 Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 87 AktG Rz. 36.
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zur Hälfte auf das Gesamtergebnis des Unternehmens abzustellen. Allerdings können dem Vorstandsvorsitzenden zugeordnete besondere Aufgaben (z. B. Beteiligungserwerb, Beteiligungsverkauf) spezielle Vergütungskomponenten begründen. b) Kein sorgfaltsbegründender Beratungsbedarf Verschiedentlich wird darauf hingewiesen, dass die sorgfältige Ermittlung der Angemessenheit einer Vorstandsvergütung die Beratung durch ein auf diesen Gebieten erfahrenes Beratungsunternehmen erfordere. Das kann nicht richtig sein. Das Aktienrecht geht zutreffend davon aus, dass jedes Aufsichtsratsmitglied die ihm obliegenden Pflichten selbst erfüllt18. Die Gerichte lehnen mit Recht das Erfordernis einer ständigen Beratung durch Personen, die nicht dem Aufsichtsrat angehören, ab. Der Gesetzgeber hat für einen einzigen Fall – die Rechnungslegung – einen besonderen Sachverständigen zur Prüfung vorgesehen. Rechte und Pflichten des Abschlussprüfers sind sorgfältig im Gesetz geregelt. Weitere Fälle einer gesetzlichen Beratungsnotwendigkeit durch Dritte kennt das deutsche Aktienrecht nicht. Konkrete Aufträge an einen Sachverständigen, z. B. an einen Versicherungsmathematiker, sind zulässig. Dies gilt auch für einen Personalberater. Aber ein Aufsichtsrat, der bei der Festsetzung der Bezüge keinen Personalberater zu zieht, verletzt dadurch nicht seine Sorgfaltspflicht. Ebenso wenig wird ein Aufsichtsrat, der dem Rat eines Personalberaters folgt, haftungsfrei, wenn der Rat falsch war19. Die Betonung der Pflichten des Aufsichtsrats im VorstAG begründet für die Aufsichtsratsmitglieder eine erhöhte Sorgfalt. Diese Sorgfaltspflicht bedingt, dass jedes Aufsichtsratsmitglied über die Gesamthöhe der Vergütung und die Vergütungsbestandteile angemessen unterrichtet wird. Sowohl die aktiven Bezüge als auch die Anwartschaften auf irgendwelche Leistungen nach dem Ende der Bestellungszeit müssen nach Art und Wert zusammengestellt werden, damit jedes zur Beschlussfassung mit verpflichtete Aufsichtsratsmitglied genau weiß, was es beschließt. Für die Anfertigung einer solchen Übersicht benötigt das Unternehmen aber keine besondere Beratungsgesellschaft. Allenfalls kann zur Berechnung des Werts einer zugesagten Leistung ein Versicherungsmathematiker notwendig sein. Im Einzelfall kann auch die Einholung juristischen Rats durch den Aufsichtsrat (nicht ein einzelnes Mitglied) geboten sein. Zur Beratung sind unternehmensangehörige Juristen ebenso wie unternehmensfremde Juristen einsetzbar, wenn sie die entsprechende Befähigung aufweisen20.
__________ 18 Hertie-Entscheidung: BGHZ 85, 293, 295 = AG 1983, 133. 19 Vgl. hierzu OLG Stuttgart, NZG 2010, 141, 143 f. Dazu Fleischer, Vorstandshaftung und Vertrauen auf anwaltlichen Rat, NZG 2010, 121. 20 Vgl. hierzu OLG Stuttgart, NZG 2010, 141, 143.
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III. Zur sachgerechten Festsetzung der Bestandteile der Gesamtvergütung Im Regelfall erhält ein Vorstandsmitglied eine Gesamtvergütung, die sich aus drei Komponenten zusammensetzt: – Festgehalt, in zwölf oder dreizehn Teilbeträgen auszuzahlen; – Erfolgsvergütung, nach Beendigung eines Geschäftsjahres oder eines anderen, längeren Referenzzeitraums auszuzahlen); – Altersversorgung. Es gibt Unternehmen, in denen die Vergütung sachgerecht auf die Zahlung einer Festvergütung beschränkt wird21. Dies wird z. B. bei reinen Finanzholding-Gesellschaften der Fall sein. So gab es z. B. bei der Mercedes Automobil Holding AG keine Geschäftsergebnisse aus eigener unternehmerischer Tätigkeit und darum für die Vorstandsmitglieder eben auch nur ein Festgehalt. Die Beschränkung der Gesamtvergütung auf eine Erfolgsvergütung dürfte kaum in Frage kommen. Sie mag allenfalls in Sonderfällen sachgerecht sein, wenn ein Vorstandsmitglied z. B. die Leitungsaufgabe in einer Gesellschaft nur zusätzlich zu anderen Funktionen ausübt. Eine Gesamtvergütung, die sich auf die Leistung einer Altersversorgung beschränkt, wird kaum in Frage kommen können. 1. Die Vorschriften des VorstAG Mit dem VorstAG hat der Gesetzgeber versucht, Grundsätze für die Festsetzung der Vorstandsbezüge festzulegen und Begrenzungen für deren Höhe vorzusehen. Der Versuch ist misslungen und musste misslingen, weil der Gesetzgeber die Grundstrukturen unseres Aktienrechts bei seinen Normierungsbemühungen offenbar nicht vor Augen hatte. Das Gesetz schreibt jetzt in § 87 Abs. 1 AktG vor (die Neuerungen sind kursiv gesetzt): „Der Aufsichtsrat hat bei der Festsetzung der Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds (….) dafür zu sorgen, dass diese in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft stehen und die übliche Vergütung nicht ohne besonderen Grund übersteigen. Die Vergütungsstruktur ist bei börsennotierten Gesellschaften auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung auszurichten. Variable Vergütungsbestandteile sollen daher eine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben, für außerordentliche Entwicklungen soll der Aufsichtsrat eine Begrenzungsmöglichkeit vereinbaren. Satz 1 gilt sinngemäß für Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art.“
Schon vorher hatte der Deutsche Corporate Governance Codex Grundsätze für die Festsetzung von Vorstandsbezügen bekannt gemacht22.
__________ 21 So auch Hoffmann-Becking/Krieger (Fn. 1), NZG 2009, Beilage Heft 26, Ziffer 1; Thüsing (Fn. 2), AG 2009, 517, 519. 22 DCGK 4.2.3.
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2. Festgehalt Das vereinbarte Festgehalt sollte so bemessen sein, dass es ausreicht, um dem Vorstandsmitglied einen angemessenen Lebensunterhalt zu sichern23. Das Vorstandsmitglied muss seinen Lebensstandard erhalten können, auch wenn es in einem Jahr möglicherweise keine Erfolgsbeteiligung erhält. Das Festgehalt vergütet sowohl die organschaftliche Mitwirkung an der Leitung des Unternehmens als auch die Geschäftsführungsleistung im Rahmen einer Ressortverantwortung. Die an mehrere Vorstandsmitglieder gezahlten Festgehälter werden meist nicht stark differenziert werden. Dies gilt vor allem für den Teil, der die Leistung im Rahmen der Leitung des Unternehmens abdeckt. Bei dieser Aufgabe wird von jedem Vorstandsmitglied ein gleich gewichtiger Beitrag erwartet. Allerdings kann die Dauer der Zugehörigkeit unterschiedliche Beträge rechtfertigen. Ein gerade erst zum stellvertretenden Mitglied bestellter Vorstand kann nicht erwarten, ein Fixum in gleicher Höhe wie ein lange Jahre bewährtes Vorstandsmitglied zu erhalten. Bei langjährig tätigen Vorstandsmitgliedern kann eine Abstufung bei wiederholter Bestellung in Frage kommen. Der Teil der Festvergütung, der die Ressorttätigkeit berücksichtigt, kann unterschiedlich bemessen werden, muss dies aber nicht tun. Ein höherer VergütungsBestandteil kann angemessen sein, wenn die Ressort-Tätigkeit gerade dieses Vorstandsmitglieds von ausschlaggebender Bedeutung für das Unternehmen ist (Entwicklungsvorstand, Finanzvorstand). Bei der Bemessung dieses Vergütungsbestandteils wird auch bedeutsam sein, ob der Markt für Führungskräfte entsprechende Führungspersönlichkeiten regelmäßig anbietet oder nicht. 3. Erfolgsvergütung24 Bis vor etwa zwanzig Jahren lehnte sich die Tantieme im Allgemeinen an die Höhe der Dividende an. In den Folgejahren wurden mehr und mehr andere Parameter als Maßstab für die erfolgsabhängige Vergütung herangezogen. Aktienoptionen, phantom stocks und ähnliche Maßstäbe wurden üblich25. Sog. „appreciation awards“ dürften nach der Mannesmann-Entscheidung26 kaum mehr als zulässig angesehen werden27. Ich selbst habe gute Erfahrungen mit quantitativen und qualitativen Leistungsvorgaben28 gemacht, die im Dezember eines Jahres für das Folgejahr zwischen
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23 Fonk in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 9 Rz. 133. 24 Vgl. hierzu Fonk (Fn. 23), § 9 Rz. 141; Hoffmann-Becking/Krieger (Fn. 1), NZG 2009, Beilage Heft 26, Ziffer 2. 25 Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 87 AktG Rz. 139. 26 Vgl. Fn. 14. 27 Vgl. Brauer, Die aktienrechtliche Beurteilung von „appreciation awards“ zu Gunsten des Vorstands mit Differenzierungen, NZG 2004, 502. A. A. wohl Fleischer (Fn. 7), DStR 2005, 1320. 28 Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 87 AktG Rz. 42; Fonk (Fn. 23), § 9 Rz. 141.
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Aufsichtsrat und Vorstand vereinbart werden. Sie fordern Sachkunde und Arbeitseinsatz des Aufsichtsrats (sowohl bei der Festsetzung der Parameter als auch bei der Bemessung der Leistung), dienen dem Ziel der variablen Vergütung aber in besonderer Weise. Bei der Festsetzung der Parameter wurde von den zwischen Vorstand und Aufsichtsrat vereinbarten mittelfristigen Zielen für die Unternehmenstätigkeit ausgegangen. Daraus wurden Unterziele für das Gesamtunternehmen und für die einzelnen Ressorts abgeleitet. Die ersten Vorschläge für die zu erreichenden Ziele wurden vom Vorstand entwickelt. Der Gesamtvorstand legte dem Aufsichtsrat eine begründete Zusammenstellung der Ziele vor. Sie wurden vom Aufsichtsrat überprüft und (zumeist) etwas angehoben. Der Aufsichtsrat legte fest, welche Auswirkungen ein Nichterreichen oder ein Überschreiten der Ziele auf die Erfolgsvergütung haben sollte. Nach Beschlussfassung im Aufsichtsrat erhielt jedes Vorstandsmitglied eine Auflistung der ihn betreffenden Ziele und der Folge von Abweichungen. Die von ihm gegengezeichnete Erklärung wurde zu den Personalakten genommen. Nach Vorlage des Jahresabschlusses erstattete der Vorstand dem Aufsichtsrat einen Leistungsbericht. Für jedes Leistungsziel wurden die Vorgabe, die erbrachte Leistung und eine Begründung für die Abweichung dargestellt. Daraus konnten die erfolgsabhängigen Vergütungen ermittelt werden. Gleichzeitig konnte der Aufsichtsrat (aus den Abweichungsbegründungen) ersehen, wie bei zukünftigen Zielvorgaben Besonderheiten des Unternehmens und seiner Entwicklung besser berücksichtigt werden konnten. Sicherheitshalber wurde für jedes Vorstandsmitglied mit dem Dezemberbeschluss ein Cap für die Gesamtvergütung im Folgejahr festgelegt29. Dieses System lässt sich auch auf die Vorgaben übertragen, die für variable Vergütungen im VorstAG gemacht worden sind (vgl. die neue Fassung von § 87 Abs. 1 AktG). Auf die Frage, ob einem Vorstandsmitglied nach Abschluss des Geschäftsjahres (evtl. auch nach Ende der Bestellung) eine vom Ermessen des Aufsichtsrats abhängige zusätzlich Leistungsprämie gewährt werden darf, wenn der Anstellungsvertrag diese Möglichkeit vorsieht, wird hier bewusst nicht eingegangen. 4. Altersversorgung30 Die Höhe der Altersversorgung (einschl. einer Regelung der HinterbliebenenVersorgung) wird häufig im Anstellungsvertrag des Vorstandsmitglieds mit geregelt. Es empfiehlt sich, einen besonderen vom Anstellungsvertrag getrennten Ruhegeldvertrag abzuschließen. Der Umfang der Dokumente, die nach Ein-
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29 Zur Notwendigkeit eines Cap Hoffmann-Becking/Krieger (Fn. 1), NZG 2009, Beilage Heft 26, Ziffer 26; Lingemann (Fn. 3), BB 2009, 1918, 1919 f.; Hohaus/Weber (Fn. 7), DB 2009, 1515, 1519; Seibert (Fn. 1), WM 2009, 1489, 1490; Thüsing (Fn. 2), AG 2009, 517, 521. 30 Eingehend Spindler in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 AktG Rz. 198; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 84 AktG Rz. 49 ff.
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tritt des Ruhegeldfalls noch benötigt werden, verringert sich dadurch wesentlich. Nach Ende der Bestellung können dem ehemaligen Vorstandsmitglied keine weiteren Vergütungen zugesagt werden. Dies gilt auch für Ruhegelder oder Ruhegeld-ähnliche Leistungen. Zulässig sind aber stets Anpassungen der Höhe des Ruhegeldes an Kaufkraftveränderungen unter Berücksichtigung von Gesetz und Rechtsprechung31. Notwendig (aber ohne Auswirkung auf die Leistungshöhe der an das frühere Vorstandsmitglied gezahlten Vergütung) ist die Berücksichtigung von Veränderungen der biometrischen Lebenserwartung oder des Wahrscheinlichkeitskoeffizienten bei Gewährung von Zusagen, die von einem ungewissen Ereignis abhängen, im Rechenwerk der verpflichteten Gesellschaft. Zu beachten ist, dass sämtliche Leistungen an ein Vorstandsmitglied nach Beendigung der Bestellung mit den notwendigen Vorsorgebeträgen Teil der Gesamtvergütung eines Vorstandmitglieds während seiner aktiven Dienstzeit sind. Es gibt keine Verpflichtungsgründe, die daneben Versorgungsleistungen oder andere nach Ende der Bestellung geleisteten Vergütungen und Annehmlichkeiten rechtfertigen könnten.
IV. Zur Verantwortlichkeit der Organmitglieder bei der Festsetzung von Vorstandsbezügen Das VorstAG beachtet nicht die eigentlichen Ursachen der Ärgernisse. Sie rühren daher, dass die Aufsichtsräte und die Vorstände weder bei der Festsetzung der Vorstandsvergütungen noch nach der Feststellung überhöhter Vergütungen die ihnen obliegende Pflicht zur Verfolgung der Sorgfaltspflichtverletzungen wahrnehmen32. Hier muss der Gesetzgeber ansetzen und Remedur schaffen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre die Verlängerung der Verjährungsfrist des § 93 Abs. 6 AktG gewesen. Bei fünfjähriger Vertragslaufzeit ist ein Anspruch wegen Sorgfaltspflichtverletzung bei Vertragsablauf zumeist schon verjährt, wenn solche Pflichtverletzungen beim Übergang in den Ruhestand erkennbar werden. Außerdem bedarf die Frage, wer Schadenersatzansprüche der Gesellschaft gegen Organmitglieder initiieren und durchsetzen kann bzw. muss, weiterer eingehender Überlegungen33.
__________ 31 Fonk (Fn. 23), § 9 Rz. 256 f. 32 ARAG-Entscheidung, BGHZ 135, 244, 252, 255 = AG 1997, 377. 33 Vgl. dazu Körner (Fn. 4), NJW 2009, 2697, 2699.
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Die funktionale Auslegung des Bankaufsichtsrechts am Beispiel der Vermögensverwaltung im Treuhandmodell Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die erhöhte Gefährdung des Kundeninteresses 1. Gefahren aus einer fehlenden Vermögenstrennung 2. Folgerisiken in Bezug auf Einlagensicherung und Anlegerentschädigung 3. Erhöhte Missbrauchsgefahr III. Vorgaben der MiFID IV. Die Umsetzung in das deutsche Recht 1. Die fehlende Klarstellung durch den Gesetzgeber 2. Das Treuhandmodell als Einlagengeschäft a) Der ursprünglich weite Einlagenbegriff b) Der enge Einlagenbegriff c) Bauherrenmodelle d) Annahme anderer rückzahlbarer Gelder des Publikums (1) Ausgangspunkt der Regelung
(2) Maßgeblichkeit der entgegengenommenen Werte (3) Ausgestaltung des Rückzahlungsanspruchs e) Zwischenfazit 3. Das Treuhandmodell als Finanzkommissionsgeschäft a) Wortlaut b) Entstehungsgeschichte c) Systematische Auslegung d) Richtlinienkonforme Auslegung e) Zwischenfazit f) Das Einschreiten des Gesetzgebers 4. Das Treuhandmodell als Depotgeschäft a) Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren b) Das Tatbestandsmerkmal „für andere“ c) Zwischenfazit V. Ergebnisse
I. Einleitung Uwe H. Schneider ist einer der bekanntesten Vertreter des deutschen Gesellschafts- und des Kapitalmarktrechts. Breite und Tiefe seiner Veröffentlichungen zu beiden Themengebieten sprechen für sich. Beispielhaft genannt seien seine Kommentierungen im Scholz, GmbH-Gesetz, und im Assmann/Uwe H. Schneider, Wertpapierhandelsgesetz, die höchste Anerkennung genießen. Darüber hinaus ist der Jubilar u. a. für seine ruhige und gelassene Art im ansonsten recht hektischen Wissenschaftsbetrieb bekannt. Gerade wegen dieser Eigenschaft ist es ein besonderes Erlebnis für einen Autor, von Uwe H. Schneider als Herausgeber betreut zu werden oder mit ihm gemeinsam zu veröffentlichen. Da macht Wissenschaft einfach Spaß und hierfür möchte ich meinen persönlichen Dank zum Ausdruck bringen. Die Vermögensverwaltung ist – unter dem Gesichtspunkt der dem Vermögensverwalter eingeräumten schuld- und sachenrechtlichen Befugnisse – in zwei 1239
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Ausprägungen anzutreffen, nämlich in Form des Vertretermodells und in Form des Treuhandmodells. Beim Treuhandmodell in Gestalt der Verwaltungstreuhand übereignet der Vermögensinhaber das zu verwaltende Vermögen an den Vermögensverwalter, der es treuhänderisch für ihn verwaltet. Der Vermögensverwalter verfügt damit bei der Verwaltung über rechtlich eigenes, wirtschaftlich aber fremdes Vermögen. Dem Kunden steht ein Rückübertragungsanspruch zu, der mit dem Ende der Vermögensverwaltung fällig wird. Weiterhin denkbar ist die Ermächtigungstreuhand, bei der der Vermögensverwalter gemäß § 185 BGB ermächtigt ist, im eigenen Namen über das Vermögen seines Kunden zu verfügen. Bei dem in der deutschen Praxis weit überwiegend genutzten Vertretermodell hingegen bleibt der Auftraggeber Eigentümer des zu verwaltenden Vermögens und bevollmächtigt den Vermögensverwalter, die zur Verwaltung notwendigen Umschichtungen des Vermögens vorzunehmen. Der Vermögensverwalter handelt als offener Stellvertreter im Namen des Vermögensinhabers gemäß §§ 164 ff. BGB. Die Vermögensverwaltung von Finanzinstrumenten ist seit der 6. KWG-Novelle1 als Finanzportfolioverwaltung erlaubnispflichtig. Dabei hat der Gesetzgeber es versäumt, die Frage zu klären, ob die Tatbestände des § 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 3 KWG und des parallelen § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 WpHG beide Formen der Vermögensverwaltung erfassen. Dieser Problematik kommt deshalb besondere Bedeutung zu, weil die Schutzbedürftigkeit des Kunden im Treuhandmodell größer ist und sich daher die Frage stellt, ob man beide Formen aufsichtsrechtlich „über einen Kamm scheren“ sollte. Gleich drei neuere obergerichtliche Urteile2, eine jüngst geänderte Praxis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)3 sowie die 2009 erfolgte Einführung des Tatbestands der Anlageverwaltung in § 1 Abs. 1a KWG4 geben Anlass, diese Thematik erneut5 aufzugreifen. Zudem besteht aus Sicht ausländischer Vermögensverwalter, die aus Rechtsordnungen mit verbreiteter Nutzung des Trusts kommen und in Deutschland tätig werden wollen, Klärungsbedarf. Hinter der konkreten Frage nach der aufsichtsrechtlichen Einordnung verbirgt sich noch ein zweites, viel grundsätzlicheres Problem. Es geht um die in den drei genannten Urteilen angesprochene Frage, ob man durch eine funktionale, also wirtschaftliche Betrachtungsweise die aufsichtsrechtlichen Tatbestände in § 1 Abs. 1, Abs. 1a KWG, § 2 Abs. 3 WpHG auf Konstellationen ausdehnen
__________ 1 Art. 1 Nr. 3 lit. b des Gesetzes zur Umsetzung von EG-Richtlinien zur Harmonisierung bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften (im Folgenden Umsetzungsgesetz) v. 22.10.1997, BGBl. I 1997, S. 2518. Dessen Art. 1 betraf die Änderung des KWG und wird daher auch als die 6. KWG-Novelle bezeichnet. 2 BVerwGE 130, 262 = WM 2008, 1359 = ZIP 2008, 911 – GAMAG; BVerwG, ZIP 2009, 1899; BGH, WM 2010, 262. 3 Merkblatt der BaFin, Hinweise zum Tatbestand des Finanzkommissionsgeschäfts v. 18.3.2010. 4 Eingeführt durch Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Pfandbriefrechts v. 20.3.2009, BGBl. I 2009, S. 607. 5 Der Diskussionsstand vor diesen Neuerungen findet sich bei Sethe, Anlegerschutz im Recht der Vermögensverwaltung, 2005, S. 545 ff.
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darf, die erkennbar der Umgehung von Erlaubnistatbeständen dienen. Die Umgehungsproblematik taucht regelmäßig dort auf, wo der Wortlaut einer Norm eng formuliert ist, ihr Sinn und Zweck aber eine weite Auslegung fordern. Uwe H. Schneider hat sich jüngst mit der Frage beschäftigt, wie man auf Umgehungen und missbräuchliche Gestaltungen im Kapitalmarktrecht reagieren soll6. Daher hoffe ich, dass die nachfolgenden Ausführungen sein Interesse finden.
II. Die erhöhte Gefährdung des Kundeninteresses 1. Gefahren aus einer fehlenden Vermögenstrennung Das Treuhandmodell erweist sich im deutschen Recht für den Kunden als deutlich risikoreicher, weil er sowohl bei Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen den Vermögensverwalter als auch in dessen Konkurs schlechter geschützt ist als im Vertretermodell. Bei der Beurteilung, wann ein Treuhandverhältnis in der Zwangsvollstreckung und in der Insolvenz zur Drittwiderspruchsklage oder Aussonderung berechtigt, legt die Rechtsprechung eine streng sachenrechtlich geprägte Sichtweise an den Tag. Nach Ansicht des Reichsgerichts liegt eine (echte) Treuhand nur vor, wenn ein Übertragungsakt vom Treugeber auf den Treuhänder stattgefunden hat7. Zwar erkannte das Gericht später auch treuhänderische Pflichten in Fällen an, in denen es an einer unmittelbaren Übertragung vom Treugeber auf den Treuhänder fehlte8 (Treuhandverhältnisse im weiteren Sinne9). Allerdings wurde ein Aussonderungsrecht nur bei der echten Treuhand gewährt. Das damit etablierte Erfordernis der Unmittelbarkeit führte zu einem weiteren Nachteil für die Vermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells: Surrogate des Treuguts oder Gegenstände, die mit Mitteln des Treuguts erworben wurden, galten ebenfalls nicht als aussonderungsfähig10. Diese Rechtsprechung war und ist sehr um-
__________ 6 Uwe H. Schneider/Anzinger, Umgehung und missbräuchliche Gestaltungen im Kapitalmarktrecht oder – Brauchen wir eine § 42 AO entsprechende Vorschrift im Kapitalmarktrecht?, ZIP 2009, 1, 7 ff. 7 RGZ 84, 214, 217; bestätigt durch RGZ 91, 12, 16; 94, 305, 308; 127, 341, 344; 133, 84, 87; 153, 350, 353; JW 1925, 1760, 1762; JW 1926, 2571, 2572. 8 Vgl. etwa RG, JW 1926, 2571, 2572; RGZ 121, 294, 296; 160, 52, 59; RG, KTS 1929, 86 f. (Grundstückserwerb mit Mitteln des Treuguts); RG, LZ 1928, 1248 Nr. 6 (Erwerb von Grundstücken mit treuhänderisch überlassenem Geld). 9 Instruktiv RGZ 160, 52, 59. 10 RGZ 94, 305, 307 f.; 153, 366, 370; a. A. Schless, Mittelbare Stellvertretung und Treuhand, 1931, S. 62 ff.; wohl auch Heymann in FS Brunner, 1910, S. 473, 514 f. Bachem, Die rechtsgeschäftliche Verwaltungstreuhand nach geltendem Recht dargestellt auf der Grundlage der Ermächtigung, Diss. Heidelberg 1935, S. 7, 10, lehnt zwar das Unmittelbarkeitserfordernis ab, anerkennt aber trotzdem nicht die Surrogate (a. a. O., S. 56 f.) als aussonderungsfähig, da ein allgemeines Prinzip der Surrogation unbekannt sei. Haemmerle, Gutachten, in Verhandlungen des 36. DJT, Bd. 1, S. 632, 695, befürwortet die gesetzliche Anerkennung der Surrogation bei der Treuhand; Bachem, a. a. O., S. 57 f. befürwortet die gesetzliche Anerkennung des Direkterwerbs des Treuhänders für den Treugeber.
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stritten11. Der Bundesgerichtshof hat bislang offen gelassen, ob er am Unmittelbarkeitsprinzip festhält12. Vom Prinzip der Unmittelbarkeit macht die herrschende Ansicht bislang nur eine Ausnahme. Fehlt es an der unmittelbaren Übertragung, muss zumindest die treuhänderische Zweckbindung offenkundig sein, wie dies etwa bei Anderoder Sonderkonten der Fall ist13. Diese Ausnahme hat für die Vermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells Bedeutung, wenn das Vermögen auf Treuhandkonten oder in Treuhanddepots liegt. Das Kontoguthaben wird selbst dann als treuhänderisch verwaltet angesehen, wenn es von dritter Seite zugunsten des Vermögensinhabers überwiesen wurde14. Das Konto muss jedoch als Anderkonto oder als Sonderkonto erkennbar und damit vom übrigen Vermögen des Treuhänders getrennt sein15. Nicht ausreichend ist, dass die zugrunde liegende Vertragsbeziehung treuhänderischen Charakter hat, oder dass dem vermeintlichen Treugeber eine Zeichnungsbefugnis für das Konto des vermeintlichen Treuhänders eingeräumt wurde16. Das Geschäftsbesorgungs- und Auftragsrecht begründet nur schuldrechtliche Ansprüche. Sachenrechtlich wird hierdurch nicht ipso iure eine treuhänderische Position begründet17, sondern es bedarf eines gesonderten Aktes, etwa in Form der Eröffnung eines speziellen Kontos. Dies gilt auch hinsichtlich der Frage, ob der Bank an dem Guthaben ein Aufrechnungs-, Pfand- oder Zurückbehaltungsrecht zusteht. Konnte die Bank den Treuhandcharakter des Kontos nicht erkennen, stehen ihr das Aufrechnungs-, Pfand- oder Zurückbehaltungsrecht gegen den formellen Inhaber
__________ 11 Ablehnend etwa Marwede, Rechtsnatur und Außenschutz des Trust und der Treuhand, zugleich ein Beitrag zur Dringlichkeit und zum System subjektiver Privatrechte, Diss. Bonn 1972, S. 178 ff.; Assfalg, Die Behandlung von Treugut im Konkurse des Treuhänders – Rechtsvergleichende Studie zur Grenzbereinigung zwischen Schuldund Treuhandverhältnis, 1960, S. 154 ff.; Kötz, Trust und Treuhand, eine rechtsvergleichende Darstellung des angloamerikanischen Trust und funktionsverwandter Institute des deutschen Rechts, 1963, S. 132 ff.; Kötz in Hayton, Modern International Developments in Trust Law, 1999, S. 59 f.; G. Walter, Das Unmittelbarkeitsprinzip bei der fiduziarischen Treuhand, 1974, S. 115 ff., 155; Blaurock, Unterbeteiligung und Treuhand an Gesellschaftsanteilen: Formen unmittelbarer Teilhabe an Gesellschaftsverhältnissen, 1981, S. 242 ff. (248: Bestimmtheitsgrundsatz macht Unmittelbarkeitsprinzip hinfällig); Bitter, Rechtsträgerschaft für fremde Rechnung, 2006, S. 106; kritisch auch Heinsius in FS Henckel, 1995, S. 387 ff. m. w. N. 12 BGH, NJW 1993, 2622; BGHZ 155, 227, 231 = WM 2003, 1733, 1734. Diskutiert wurde auch eine teilweise gesetzliche Abschaffung des Prinzips, vgl. zu einem entsprechenden Referentenentwurf Fleckner, WM 2004, 2051 ff. 13 BGH, NJW 1954, 190 ff.; NJW 1959, 1223, 1225; NJW 1971, 559 f.; Hess in Hess, Insolvenzrecht, 2007, Bd. 1, § 47 InsO Rz. 245 ff.; Lohmann in HK-InsO, 5. Aufl. 2008, § 47 Rz. 23; Brinkmann in Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2009, § 47 Rz. 40; K. Schmidt in Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze KO/VglO/GesO, 17. Aufl. 1997, § 43 KO Anm. 9; Smid in Smid, Insolvenzordnung (InsO), 2. Aufl. 2001, § 47 Rz. 28; Canaris, NJW 1973, 825, 830 ff.; einschränkend aber die Formulierung von BGH, NJW 1993, 2622. Kritisch zur Rechtsprechung des BGH Bitter (Fn. 11), S. 102. 14 K. Schmidt in Kilger/K. Schmidt (Fn. 13), § 43 KO Anm. 9. 15 BGH, NJW 1971, 559, 560; OLG Hamburg, VersR 1988, 288, 289; Coing in FS Bärmann, 1975, S. 203, 209 f. 16 Coing (Fn. 15), S. 203, 209 f. 17 Vgl. etwa RG, JW 1925, 1760, 1762; BGH, NJW 1971, 559, 560.
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zu und der vermeintliche Treugeber kann nicht einwenden, das Guthaben stehe ausschließlich ihm zu18. Dabei hat die Rechtsprechung richtigerweise festgestellt, dass der Bank keine Nachforschungspflicht hinsichtlich des Treuhandcharakters eines Kontos obliegt19. 2. Folgerisiken in Bezug auf Einlagensicherung und Anlegerentschädigung Auch in Bezug auf die Einlagensicherung und Anlegerentschädigung erweist sich das Treuhandmodell für den Vermögensinhaber als risikoreicher. Die Einlagensicherung kennt Höchstgrenzen, die pro Kontoinhaber nur einmal zur Verfügung stehen. Wird das Kundenvermögen nicht vom Vermögen des Vermögensverwalters durch Errichtung separater Anderkonten und -depots getrennt, steht der in § 4 Abs. 2 EAEG festgelegte Höchstbetrag insgesamt nur einmal zur Verfügung. Wurde das Kundenvermögen jedoch vom Eigenvermögen getrennt und auf einem Treuhandkonto oder -depot gebucht, ist die Person des Treugebers und nicht die des Treuhänders (Vermögensverwalters) maßgebend20, so dass die Höchstbeträge pro Treugeber zur Verfügung stehen. Bei der Vermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells wird man – sowohl wegen des Unmittelbarkeitsprinzips als auch wegen der an die Person des Kunden gekoppelten Höchstgrenzen bei der Einlagensicherung – eine vertragliche Nebenpflicht zur Separierung des Kundenvermögens von dem des Vermögensverwalters und dem anderer Kunden bejahen müssen. Der Vermögensverwalter ist aufgrund der Interessenwahrungspflicht gehalten, die Gefährdung des Kundenvermögens so gering wie möglich zu halten. 3. Erhöhte Missbrauchsgefahr Sowohl bei der Vermögensverwaltung in Form des Vertretermodells als auch bei der Vermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells besteht die Gefahr missbräuchlicher Ausnutzung der Befugnisse, die der Vermögensinhaber dem Vermögensverwalter zugesteht. Das Missbrauchspotential ist bei der Vermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells jedoch größer, denn nimmt jemand Verfügungen im eigenen Namen vor, darf der Vertragspartner davon ausgehen, dass das Geschäft keinen Beschränkungen durch Rechte Dritter unterliegt. Wird der Vermögensverwalter dagegen kraft einer Vollmacht tätig, muss der Vertragspartner in den Fällen, in denen sich der Missbrauch der Vollmacht geradezu aufdrängt, den Vollmachtgeber warnen21. Bei der Vollmachtsverwaltung ist daher eine etwas größere Chance vorhanden, dass Missbrauchsfälle aufgedeckt werden.
__________ 18 BGHZ 61, 72 ff. 19 BGHZ 61, 72, 78. 20 Sethe in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 3. Aufl. 2007, § 25 Rz. 94, 116. 21 Ausführlich dazu Assmann/Sethe in FS Westermann, 2008, S. 67 ff.
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III. Vorgaben der MiFID Zwar wirken sich die geschilderten Unterschiede zwischen beiden Formen der Vermögensverwaltung nur in besonderen Situationen, wie der Insolvenz oder dem Missbrauch der Vertretungsmacht aus. Dennoch hat der Richtliniengeber sie zum Anlass genommen, den geschilderten Gefahren durch spezielle Regelungen zu begegnen. Art. 13 Abs. 7 und 8 MiFID22 und Art. 16 Abs. 1 lit. e) MiFID-DFRL23 schreiben Organisationspflichten vor, um eine Trennung des Kundenvermögens von dem anderer Kunden und von dem des Wertpapierdienstleistungsunternehmens sicherzustellen. Bezweckt ist der Schutz des Kunden in der Insolvenz des Intermediärs oder eines anderen Kunden sowie der Schutz vor Missbrauch durch den Intermediär. Diese Pflicht ist im Aufsichtsrecht in § 34a WpHG verankert worden und sichert damit aufsichtsrechtlich die parallel bestehende vertragliche Pflicht (siehe oben) ab. Außerdem schreibt Art. 5 Abs. 1 und 3 der Kapitaladäquanzrichtlinie24 ein erhöhtes Mindestanfangskapital vor, wenn das Institut die Befugnis hat, sich Besitz oder Eigentum an Kundenvermögen zu verschaffen. Diese beiden Regelungen stellen keine Besonderheiten dar, die nur für das Treuhandmodell in die Richtlinie aufgenommen wurden. Vielmehr hat der europäische Gesetzgeber sie für alle Finanzdienstleistungen vorgeschrieben. Zudem unterscheidet weder die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie25 noch die MiFID in ihrem Anhang mit der Liste der erfassten Dienstleistungen zwischen den verschiedenen Formen der Vermögensverwaltung. Vor dem Hintergrund dieser Regelungsstruktur in der MiFID und der Kapitaladäquanzrichtlinie liegt die Schlussfolgerung auf der Hand, dass der europäische Gesetzgeber nicht zwischen verschiedenen Formen der Vermögensverwaltung unterscheiden und damit auch das Treuhandmodell als Finanzportfolioverwaltung qualifizieren wollte. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass auch der deutsche Gesetzgeber diese Einordnung übernommen hat, denn er setzte weder die Bankenrichtlinie noch die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie und die sie ersetzende MiFID im Verhältnis 1:1 um. Vielmehr hat er den Einlagenbegriff gegenüber der Banken-
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22 Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates, ABl. EG Nr. L 145 v. 30.4.2004, S. 1. Dazu etwa Balzer, ZBB 2003, 177 ff.; Sethe (Fn. 5), S. 477 ff. 23 Richtlinie 2006/73/EG der Kommission v. 10.8.2006 zur Durchführung der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie, ABl. EU Nr. L 241 v. 2.9.2006, S. 26. 24 Richtlinie 2006/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 14.6.2006 über die angemessene Eigenkapitalausstattung von Wertpapierfirmen und Kreditinstituten (Neufassung), ABl. EU Nr. L 177 v. 30.6.2006, S. 201. 25 Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften über Wertpapierdienstleistungen v. 10.5.1993 (93/22/EWG), ABl. EG Nr. L 141 v. 11.6.1993, S. 27 = AG 1993, 394 ff.; dazu Grottke, EuZW 1993, 440; Jentsch, WM 1993, 2189 ff.; Schäfer, AG 1993, 389 ff.
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richtlinie stark erweitert26 und verzichtet darauf, den Begriff des Kreditinstituts als Betreiben des Einlagen- und Kreditgeschäfts anzusehen; ausreichend ist das Betreiben des Einlagen- oder Kreditgeschäfts. Zudem ordnete er die Abwicklung von Aufträgen in eigenem Namen für Rechnung von Kunden, die die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie als Finanzdienstleistung begriff (Anhang A Nr. 1 lit. b), gerade nicht als solche, sondern als Bankgeschäft ein. Mit der Umsetzung der MiFID hat er an dieser Einordnung festgehalten. Grund hierfür war die nach Ansicht des deutschen Gesetzgebers höhere Gefährlichkeit von Geschäften im eigenen Namen für fremde Rechnung (dazu nachfolgend IV. 3. c). Wegen des fehlenden Gleichlaufs von europäischem Recht und den Definitionen in § 1 Abs. 1 und Abs. 1a KWG, § 2 Abs. 3 WpHG ist daher eine richtlinienunabhängige Auslegung dieser Tatbestände geboten, um bestimmen zu können, wie die Vermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells zu qualifizieren ist.
IV. Die Umsetzung in das deutsche Recht 1. Die fehlende Klarstellung durch den Gesetzgeber Bei der Umsetzung der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie hat sich der deutsche Gesetzgeber leider nicht ausdrücklich zu der Frage geäußert, ob er die beiden Formen der Vermögensverwaltung als Finanzdienstleistung i. S. d. § 1 Abs. 1a KWG begreift oder ob er nur die Vermögensverwaltung im Vertretermodell als Finanzdienstleistungen einordnet und diejenige in Form des Treuhandmodells als Bankgeschäft ansieht27. In der Gesetzesbegründung findet sich einzig der Hinweis, dass der Finanzportfolioverwalter die Wertpapiere nicht verwahren dürfe, da er andernfalls das Depotgeschäft betreibe28. Diese gesetzgeberische Zurückhaltung war umso bedauerlicher als bereits vor der Umsetzung der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie ein Streit darüber bestand, ob die Vermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells ein Bankgeschäft darstellte29. Insbesondere die damalige Aufsichtsbehörde, das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, sah im vergleichbaren Fall des Bauherrenmodells die Entgegennahme fremden Vermögens zur treuhänderischen Verwaltung und zur Anlage bei Kreditinstituten als Einlagengeschäft im Sinne des § 1 KWG a. F. an30.
__________ 26 27 28 29
Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, 3. Aufl. 2008, § 1 Rz. 11 f. RegE 6. KWG-Novelle, BR-Drucks. 963/96, S. 56, 62 f., 66. RegE 6. KWG-Novelle, BR-Drucks. 963/96, S. 66. Miebach, DB 1991, 2069, 2070 f.; Kienle in Bankrechts-Handbuch, 1. Aufl. 1997, § 111 Rz. 6; Schäfer in Schwintowski/Schäfer, Bankrecht, 2. Aufl. 2004, § 19 Rz. 23; Haug in Szagunn/Haug/Ergenzinger, KWG, 6. Aufl. 1997, § 1 Rz. 18; Schäfer in Assmann/ Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl. 1997, § 28 Rz. 11 m. w. N.; Fiala/ Behrendsen, Rpfleger 1997, 281, 282; a. A. aber Schönle, Bank- und Börsenrecht, 2. Aufl. 1976, § 20 IV 1 = S. 291; Reischauer/Kleinhans, KWG, Lfg. 2/87, § 1 Rz. 14; Roll, Vermögensverwaltung durch Kreditinstitute, 1983, S. 74. 30 Zur Auslegung dieser Norm durch das damalige Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen siehe BVerwGE 69, 120 = WM 1984, 1364 ff. Die Einordnung treuhänderischer Geschäfte unter den Einlagenbegriff bezweifelt mit guten Gründen aber OVG Berlin, WM 1984, 865, 867; a. A. auch VG Berlin, WM 1986, 879, 883.
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Der Meinungsstreit zur Einordnung der Vermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells besteht bis heute fort. Das ganz überwiegende Schrifttum zu § 1 KWG nimmt – mitunter ohne nähere Begründung – an, es handele sich um ein Einlagengeschäft31 oder zumindest um ein Finanzkommissionsgeschäft32. Zum Teil wird auch das Depotgeschäft pauschal bejaht33. Demgegenüber verneinen die Kommentatoren von § 2 WpHG – zumeist allerdings ohne nähere Begründung – jeglichen aufsichtsrechtlichen Unterschied zwischen beiden Formen der Vermögensverwaltung34. Im Folgenden wird daher geprüft, ob die Vermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells unter eines der in § 1 Abs. 1 Satz 2 KWG genannten Bankgeschäfte fällt. Auf die allgemeinen Voraussetzungen eines Bankgeschäfts in § 1 Abs. 1 Satz 1 KWG (Unternehmensbegriff, Gewerbsmäßigkeit etc.) ist nicht näher einzugehen, da sie auf die vorliegend untersuchte Frage keinen Einfluss haben35. 2. Das Treuhandmodell als Einlagengeschäft a) Der ursprünglich weite Einlagenbegriff Mit dem Einlagengeschäft (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG) wird die Annahme fremder Gelder als Bankgeschäft erfasst. Das Kreditwesengesetz definiert den Begriff der Einlage nicht. Die Abgrenzung der Einlagengeschäfte von anderen Dienstleistungen erfolgt daher im Wege einer Gesamtbetrachtung aller für die Investition maßgeblichen Umstände unter Berücksichtigung der bankwirt-
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31 Balzer in Derleder u. a., Handbuch Bankrecht, 2. Aufl. 2009, § 51 Rz. 8; Ekkenga in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2009, Effektengeschäft, Rz. 114; Haug (Fn. 29), § 1 Rz. 18; Kienle in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2007, § 111 Rz. 6; Miebach, DB 1991, 2069, 2070 f.; Schäfer in Schwintowski/Schäfer (Fn. 29), § 19 Rz. 23; wohl auch Schäfer in Assmann/Schütze (Fn. 20), § 23 Rz. 13; a. A. aber Benicke, Wertpapiervermögensverwaltung, 2006, S. 310 ff.; Schönle (Fn. 29), § 20 IV 1 = S. 291; Reischauer/Kleinhans, KWG, Lfg. 2/87, § 1 Rz. 14; Roll (Fn. 29), S. 74 f.; offen Brunner, Vermögensverwaltung, S. 80 f. Nach Fallgestaltungen differenzierend und sehr restriktiv Sethe (Fn. 5), S. 548 ff. 32 Balzer, Vermögensverwaltung durch Kreditinstitute, 1999, S. 62; Balzer in Handbuch Bankrecht (Fn. 31), § 51 Rz. 8; Kienle in Bankrechts-Handbuch (Fn. 31), § 111 Rz. 6; Schäfer, ZBB 2000, 150, 151; Schäfer in Schwintowski/Schäfer (Fn. 29), § 19 Rz. 23; Sethe (Fn. 5), S. 560 ff.; a. A. Kümpel/Bruski in Bankrechts-Handbuch (Fn. 31), § 104 Rz. 10; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2004, Rz. 10.8, 10.15; im Ergebnis auch Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, (7) BankGesch. Q 1, U 1 (jeweils pauschal bezogen auf jede Form der Vermögensverwaltung ohne Differenzierung zwischen Treuhand- und Vertretermodell). 33 Müller in Schäfer/Müller, Haftung für fehlerhafte Wertpapierdienstleistungen, 1999, Rz. 206; Lang, Informationspflichten bei Wertpapierdienstleistungen, 2003, § 21 Rz. 15; Kienle in Bankrechts-Handbuch (Fn. 31), § 111 Rz. 6; a. A. Balzer, Vermögensverwaltung (Fn. 32), S. 62; Balzer in Handbuch Bankrecht (Fn. 31), § 51 Rz. 8; nach Fallgestaltungen differenzierend und sehr restriktiv Sethe (Fn. 5), S. 572 ff. 34 Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, § 2 Rz. 104; Beck in Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 3. Aufl. 2004, § 2 WpHG Rz. 33; Schäfer in Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, 2. Aufl. Loseblatt (Stand Nov. 2009), § 2 WpHG Rz. 80; Versteegen in KölnKomm.WpHG, 2007, § 2 Rz. 150. 35 Vgl. statt dessen Sethe (Fn. 5), S. 546 f.
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schaftlichen Verkehrsauffassung36. Abgestellt wird auf die für eine Einlage typischen Kennzeichen37, wobei die Aufsicht eine weite Auslegung des Einlagenbegriffs vornimmt, um einen möglichst großen Anlegerschutz sicherzustellen. Eine Einlage liegt etwa vor, wenn ein Unternehmen Bargelder oder Buchgelder von einer Vielzahl von Personen entgegennimmt, die selbst keine Kreditinstitute sind. Ziel dieser Annahme muss eine unregelmäßige Verwahrung, ein Darlehen u. ä. sein, also die jederzeitige Rückzahlbarkeit (nach Fälligkeit) voraussetzen. Um hierbei eine Abgrenzung zum Kreditgeschäft (auf Seiten des Geldgebers) zu ermöglichen, muss die Entgegennahme der Gelder ohne schriftlichen Kreditvertrag und ohne Bestellung banküblicher Sicherheiten erfolgen. Anhand dieser Kriterien subsumierte das herrschende Schrifttum die Vermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells als Einlagengeschäft38. Abgestellt wurde auf den Umstand, dass der Vermögensverwalter fremde Gelder entgegennahm und in eigenem Namen anlegte. Dabei ging man davon aus, dass eine Einlage ihren Charakter auch nicht dadurch ändert, dass das Unternehmen die eingenommenen Beträge zum Erwerb von Finanzinstrumenten verwendet39. Grundlage dieser weiten Sichtweise war der Umstand, dass es für den Einlagenbegriff nicht darauf ankam, welchen Zweck der Kunde mit seiner Einzahlung verfolgte. b) Der enge Einlagenbegriff Diese weite Auslegung korrigierte das Bundesverwaltungsgericht in der Entscheidung „BMW-Namensschuldverschreibungen“. Die Annahme fremder Gelder müsse auf Seiten des Unternehmens „als Einlage“, d. h. mit der Absicht erfolgen, die Mittel für eigene Zwecke – also zur Finanzierung seines Aktivgeschäfts – zu verwenden40. Der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts schlossen sich der Bundesgerichtshof 41 und mehrere Instanzgerichte42 an. Legt man dieses Kriterium zugrunde, fehlt bei der Wertpapiervermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells eine solche Zielsetzung, da die Gelder ausschließlich zugunsten des Kunden verwendet werden, indem der Vermögensverwalter sie im Interesse des Kunden möglichst ertragreich in Wertpapieren
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36 VG Berlin, DB 1999, 1377, 1378 mit zust. Anm. Zundel, EWiR 1999, 1071 f. sowie Demgensky/Erm, WM 2001, 1445, 1450. 37 Zum Folgenden BVerwGE 69, 120, 126 = WM 1984, 1364 ff.; BGHZ 90, 310, 313 ff.; 129, 90 ff. = WM 1995, 874 ff.; Schäfer (Fn. 26), § 1 Rz. 32 ff.; Haug (Fn. 29), § 1 Rz. 17 ff.; Bähre/Schneider, KWG, 3. Aufl. 1986, § 1 Anm. 7. 38 Vgl. die Nachweise in Fn. 29. 39 Ausdrücklich Pröhl, Kreditwesengesetz, Loseblatt 1962 ff., § 1 S. 12. 40 BVerwGE 69, 120, 126 = WM 1984, 1364, 1367 f. Kritisch dazu Bähre/Schneider (Fn. 37), § 1 Anm. 7. 41 BGHZ 129, 90, 94 ff. = WM 1995, 874, 875, mit im Ergebnis zust. Anm. von Blaschzcok, WuB I L 1 § 3 KWG 1.95; sehr kritisch dagegen Wallat, NJW 1995, 3236 f. 42 Ausführlich etwa die Erwägungen des VG Berlin, WM 1986, 879, 882 mit zust. Anm. von Heymann, WuB I L 1. § 1 KWG 1.86 und mit Anm. Wagner BB 1986, 967. Siehe auch OVG Berlin, WM 1984, 865, 867 (summarische Prüfung im einstweiligen Rechtsschutz). Kritisch zur funktionalen Verknüpfung von Passiv- und Aktivgeschäft aber VG Berlin, DB 1999, 1377, 1379 mit Anm. Zundel, EWiR 1999, 1071 f.
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anlegt und vermehrt. Ein Teil des Schrifttums zur Vermögensverwaltung übernahm die von der Rechtsprechung entwickelte engere Definition der Einlage und ging davon aus, dass die treuhänderische Vermögensverwaltung deshalb nicht dem Einlagenbegriff unterfalle43. Die überwiegende Auffassung hielt dagegen an der vom damaligen Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen entwickelten gegenteiligen Auffassung fest44; bisweilen wurde das Vorliegen eines Einlagengeschäfts selbst für Fälle behauptet, in denen nicht Buch- oder Bargeld, sondern sonstige Vermögenswerte, wie etwa Wertpapiere, treuhänderisch auf den Vermögensverwalter übertragen wurden45. c) Bauherrenmodelle Mit dem Aufkommen der Bauherrenmodelle stellte sich erneut die Frage, ob der Einlagenbegriff alle treuhänderischen Gestaltungen erfasste. Das damalige Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen bejahte zunächst den Tatbestand des Einlagengeschäfts. Die Rechtsprechung und später auch maßgebliche Kommentatoren verneinten dagegen zu Recht den Einlagenbegriff für Gestaltungen, bei denen ein Treuhänder fremde Gelder zwar entgegennahm, sie aber unmittelbar danach auf ein Treuhandkonto bei einem Kreditinstitut weiterleitete. Denn das Unternehmen wirtschafte nicht selbst mit diesen Geldern. Vielmehr kämen die Erträge allein dem Kunden zugute46. Diese sich als herrschend durchsetzende Sichtweise traf auch auf die Vermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells zu, da der Vermögensverwalter die Gelder für Rechnung der Kunden in Effekten anlegte. Allerdings hielt das genannte Schrifttum zur Vermögensverwaltung unbeirrt an seiner gegenteiligen Auffassung fest. d) Annahme anderer rückzahlbarer Gelder des Publikums (1) Ausgangspunkt der Regelung Um die Geschäfte auf dem Grauen Kapitalmarkt auszutrocknen, führte der Gesetzgeber mit der 6. KWG-Novelle einen Auffangtatbestand der Annahme
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43 So etwa Nirk, Kreditwesengesetz, 11. Aufl. 1999, S. 30. Im Ergebnis stimmt auch Kümpel (Fn. 32), Rz. 3.14, dieser Rechtsprechung zu, äußert sich aber nicht speziell zur Vermögensverwaltung. 44 Balzer, Vermögensverwaltung (Fn. 32), S. 60 f.; Haug (Fn. 29), § 1 Rz. 18; Kienle in Bankrechts-Handbuch (Fn. 31), § 111 Rz. 6; Miebach, DB 1991, 2069, 2070 f.; Schäfer in Schwintowski/Schäfer (Fn. 29), § 19 Rz. 23; Schäfer in Assmann/Schütze (Fn. 20), § 28 Rz. 11 m. w. N.; Schäfer, ZBB 2000, 150, 151; Schäfer (Fn. 26), § 1 Rz. 39. 45 Etwa Balzer, Vermögensverwaltung (Fn. 32), S. 60 f.; Claussen, Bank- und Börsenrecht, 3. Aufl. 2003, § 6 Rz. 43b; wohl auch Kienle in Bankrechts-Handbuch (Fn. 31), § 111 Rz. 6. 46 BGHZ 125, 366, 380 f. = WM 1994, 896, 900; OVG Berlin, WM 1984, 865, 867 (summarische Prüfung im einstweiligen Rechtsschutz); Reischauer/Kleinhans, KWG, Lfg. 2/87, § 1 Rz. 14; Schäfer (Fn. 26), § 1 Rz. 40; Bähre/Schneider (Fn. 37), § 1 Anm. 5 (die allerdings darauf hinweisen, dass in diesem Fall zu prüfen sei, ob der Vermögensverwalter Zweigstelle des Instituts ist). Die Vertreter dieser Ansicht sind heute durch § 34a WpHG bestätigt, der der Umsetzung des Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Spiegelstriche 2 und 3 WDRL diente (jetzt Art. 13 Abs. 7 und 8 MiFID).
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anderer unbedingt rückzahlbarer Gelder des Publikums in § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG ein. Mit dem Tatbestandsmerkmal „des Publikums“ werden Gelder verbundener Unternehmen aus dem Einlagengeschäft ausgeschlossen. Mit dieser Neuregelung korrigierte der Gesetzgeber faktisch die einschränkende Rechtsprechung, die auf das Merkmal „als Einlage“ und damit auf den von den Parteien verfolgten Zweck des Geschäfts abstellte. Für den neuen Tatbestand kommt es gerade nicht mehr auf ein subjektives Kriterium an47. Ob sich aus der Einführung des Tatbestands der „unbedingt rückzahlbaren Gelder“ Konsequenzen in Bezug auf die Vermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells ergeben, ist streitig: Nirk, der die von der Rechtsprechung entwickelte Einschränkung des Einlagenbegriffs begrüßt hatte und deshalb die treuhänderische Vermögensverwaltung vom Einlagenbegriff als nicht erfasst ansah, betont nun, dass diese Ansicht durch die Einführung des Tatbestands der rückzahlbaren Gelder überholt sei48. Andere Autoren lassen offen, ob sie die von der Rechtsprechung entwickelte Einschränkung des Einlagenbegriffs gutheißen. Sie sehen in der Annahme von Treuhandgeldern – und damit auch die Vermögensverwaltung im Treuhandmodell – aufgrund der Neufassung der Norm ein Einlagengeschäft49. Eine dritte Ansicht geht davon aus, dass Treuhandgeschäfte kein Einlagengeschäft darstellen, wenn der Rückzahlungsanspruch bedingt sei50. Diese Ansicht erweist sich aufgrund folgender Überlegung als überzeugend: (2) Maßgeblichkeit der entgegengenommenen Werte Der Wortlaut des Tatbestands der „anderen rückzahlbaren Gelder“ setzt die Übereignung von Geld voraus. Die Treuhandvermögensverwaltung kann also nur erfasst sein, wenn an den Vermögensverwalter Gelder und nicht sonstige Vermögenswerte, wie Wertpapiere, übereignet werden51. (3) Ausgestaltung des Rückzahlungsanspruchs Für das Vorliegen „anderer rückzahlbarer Gelder des Publikums“ kommt es weiterhin auf die konkrete Vereinbarung hinsichtlich des Rückzahlungsanspruchs an. Um den Tatbestand zu erfüllen, muss der Vermögensverwaltungsvertrag einen unbedingten Rückzahlungsanspruch auf Geld gewähren. Nicht ausreichend ist es, bei Beendigung der Vermögensverwaltung eine Herausgabe der Finanzinstrumente zu vereinbaren. Wird dagegen eine Auszahlung in Form eines Geldanspruchs (berechnet nach dem Markt- oder Kurswert der
__________ 47 BR-Drucks. 963/96, S. 62; ebenso Schäfer (Fn. 26), § 1 Rz. 38, 42; Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, KWG, 2009, § 1 Rz. 24. 48 Nirk (Fn. 43), S. 30 f., der dabei allerdings nicht ausdrücklich auf die Frage zurückkommt, wie er die Vermögensverwaltung nach neuer Rechtslage einordnet. 49 Schäfer (Fn. 26), § 1 Rz. 39; Schäfer, Bankrecht und Bankpraxis, Loseblatt 1979 ff., Rz. 11/13 und 11/14. 50 Sethe (Fn. 5), S. 553 ff. 51 So ausdrücklich Plück/Schmutzler/Kühn, Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2003, S. 18 oben.
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verwalteten Vermögensobjekte) vereinbart, steht dem Kunden ein Rückzahlungsanspruch im Sinne des Gesetzes zu. In diesem Fall kommt es darauf an, ob dieser Anspruch bedingt oder unbedingt ausgestaltet wurde. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass der recht unglücklich gewählte Begriff „bedingt“ sich nicht auf die Vereinbarung einer Kündigungsmöglichkeit oder der Fälligkeit bezieht52. Vielmehr knüpft er an das Ausmaß des mit der Kapitalüberlassung verbundenen unternehmerischen Risikos an. Wird dem Anleger versprochen, dass er das überlassene Kapital am Ende der Laufzeit oder bei Kündigung zurückerhält, ist diese Anlage einer festverzinslichen Einlage vergleichbar53. Sie ist „unbedingt“. Hängt die Höhe des Rückzahlungsanspruchs dagegen vom wirtschaftlichen Erfolg ab, den das Unternehmen mit dem überlassenen Kapital während der Laufzeit erzielt, und/oder ist das Kapital im Falle der Liquidation des Unternehmens nachrangig, handelt es sich um einen bedingten Rückzahlungsanspruch, der nicht unter die Nr. 1 fällt54. Es kommt damit, wie auch bei den übrigen Tatbeständen des § 1 Abs. 1 Satz 2 KWG, auf eine funktionale Betrachtung an. Loritz wendet gegen diese in der Gesetzesbegründung vorgenommene Unterscheidung ein, das Unterscheidungskriterium des mit der Kapitalüberlassung verbundenen wirtschaftlichen Risikos sei untauglich. Schließlich unterlägen alle einem Unternehmen überlassenen Gelder einem wirtschaftlichen Risiko, nämlich dem der Insolvenz55. Diese Betrachtung erweist sich als zu pauschal, denn es lassen sich durchaus verschiedene Arten von Risiken unterscheiden. Wie die Gesetzesbegründung belegt, meinte der Gesetzgeber der 6. KWGNovelle allein solche Risiken, die einer vertraglichen Vereinbarung zugänglich sind, also die Absprache über eine Verlustteilnahme beim werbenden Unternehmen oder über die Nachrangigkeit im Falle der Auflösung und Liquidation. Das Tatbestandsmerkmal „unbedingt“ bezieht sich also gerade nicht auf das Insolvenzrisiko im Allgemeinen. Denn Letzteres kann in der Tat kein Unterscheidungsmerkmal sein, da dieses Risiko gleichermaßen Einlagen bei Banken und Kapitalüberlassungen an Unternehmen anhaftet und zwar unabhängig davon, ob eine Teilnahme am Verlust vertraglich vereinbart war oder nicht56. Es kommt also allein darauf an, ob der Anleger sich vertraglich dahingehend bindet, dass die Höhe seines Rückzahlungsanspruchs vom wirtschaftlichen Erfolg eines Emittenten abhängen soll oder ob vereinbart wurde, dass der Rückzahlungsanspruch eine feste Höhe hat. Die vom Gesetzgeber eingeführte Un-
__________ 52 So aber offenbar Loritz, ZIP 2001, 309, 313 re. Sp. oben; zu Recht a. A. Schäfer (Fn. 26), § 1 Rz. 42. 53 BR-Drucks. 963/96, S. 63; VG Berlin, DB 1999, 1377 ff. mit Anm. Zundel, EWiR 1999, 1071 f.; Schäfer (Fn. 26), § 1 Rz. 42; Plück/Schmutzler/Kühn (Fn. 51), S. 18 ff. 54 BR-Drucks. 963/96, S. 63; Schäfer (Fn. 26), § 1 Rz. 42. 55 Loritz, ZIP 2001, 309, 313 li. Sp. unten. 56 Letztlich muss auch Loritz, ZIP 2001, 309, 314 li. Sp. oben, zugeben, dass es Gestaltungen gibt, die einer festverzinslichen Einlage gleichen. Zudem räumt er ein (a. a. O., S. 313 re. Sp. unten), dass es dem Gesetzgeber offensichtlich nicht auf Kündigungsmöglichkeiten und Fälligkeiten ankam.
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terscheidung erweist sich damit entgegen der Ansicht von Loritz als tauglicher Maßstab, um bestimmte Anlageformen einer Aufsicht zu unterwerfen57. Überträgt man die vom Gesetzgeber vorgenommene Unterscheidung auf die Vermögensverwaltung, kommt es entscheidend darauf an, wie die Parteien den Rückzahlungsanspruch ausgestaltet haben. Ist der Vermögensverwalter nach den Anlagerichtlinien ermächtigt, auf Rechnung des Kunden auch solche Geschäfte vorzunehmen, bei denen ein Verlust möglich ist, fehlt ein unbedingter Rückzahlungsanspruch. Dies wird bei der Anlage in Wertpapieren regelmäßig der Fall sein. Ist in den Anlagerichtlinien dagegen vereinbart, dass das treuhänderisch überlassene Kundenvermögen ausschließlich in Form von Spareinlagen, Termingeldern u. ä. angelegt werden darf, trägt der Kunde faktisch kein unternehmerisches Verlustrisiko. Die Anlage ähnelt so stark einer banküblichen Zinsvereinbarung, dass von einem unbedingten Rückzahlungsanspruch auszugehen ist. e) Zwischenfazit Eine treuhänderische Vermögensverwaltung stellt nur dann ein Einlagengeschäft dar, wenn folgende vier Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Der Vermögensverwalter nimmt (1) fremde Gelder (und nicht ausschließlich andere Werte) entgegen und (2) legt diese im eigenen Namen an. (3) Das aus der Kapitalanlage folgende wirtschaftliche Risiko trifft nicht den Kunden, sondern das Unternehmen, so dass die Vermögensverwaltung mit einer banküblichen verzinslichen Anlage vergleichbar ist. (4) Schließlich muss dem Kunden mit Vertragsbeendigung ein Rückzahlungsanspruch in Bar- oder Buchgeld zustehen. Eine solche Konstellation findet sich in der Praxis nicht, da Kunden für derartige Anlagen regelmäßig keinen spezialisierten Vermögensverwalter benötigen werden. Die in der Praxis vorkommenden Vermögensverwaltungen in Form des Treuhandmodells sind damit regelmäßig nicht als Einlagengeschäft anzusehen. 3. Das Treuhandmodell als Finanzkommissionsgeschäft Unter einem Finanzkommissionsgeschäft versteht der Gesetzgeber der 6. KWGNovelle die im eigenen Namen, aber für fremde Rechnung erfolgte Anschaffung und Veräußerung von Finanzinstrumenten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG). Ob die Vermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells diesen Tatbestand verwirklicht, ist streitig58. Die BaFin ging noch in einem Merkblatt zum Tatbestand der Finanzportfolioverwaltung v. 8.12.2009, Ziff. 2 a) davon
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57 Zu weiteren Einwänden gegen die Ansicht von Loritz siehe Sethe (Fn. 5), S. 556 f. 58 Für eine Anwendung der Nr. 4 Balzer, Vermögensverwaltung (Fn. 32), S. 62; Balzer in Handbuch Bankrecht (Fn. 31), § 51 Rz. 8; Kienle in Bankrechts-Handbuch (Fn. 31), § 111 Rz. 6; Schäfer, ZBB 2000, 150, 151; Schäfer in Schwintowski/Schäfer (Fn. 29), § 19 Rz. 23; a. A. Kümpel/Bruski in Bankrechts-Handbuch (Fn. 31), § 104 Rz. 10; Kümpel (Fn. 32), Rz. 10.8, 10.15; im Ergebnis auch Hopt in Baumbach/Hopt (Fn. 32), (7) BankGesch. Q 1, U 1 (jeweils pauschal bezogen auf jede Form der Vermögensverwaltung ohne Differenzierung zwischen Treuhand- und Vertretermodell).
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aus, dass die Vermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells den Tatbestand verwirklichen könne: „Lauten die Depotkonten dagegen auf den Namen des Verwalters, betreibt er das Depotgeschäft und gegebenenfalls das Finanzkommissionsgeschäft, gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG die Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten im eigenen Namen für fremde Rechnung.“ Demgegenüber hat die Rechtsprechung in drei neueren Urteilen59 den Tatbestand eng ausgelegt und auf Kommissionsgeschäfte i. S. d. §§ 383 ff. HGB begrenzt60. Der Streit um die Reichweite des Finanzkommissionsgeschäfts hatte sich an der Frage entzündet, ob gesellschaftsrechtliche Gestaltungen, bei denen die Gesellschaft für Rechnung der Anleger Finanzinstrumente anschafft oder veräußert, von der Nr. 4 erfasst werden. Die Vermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells war gerade nicht Gegenstand des Verfahrens61. Die Ausführungen lassen sich aber übertragen. Legt man die von den Gerichten befürwortete enge Auslegung zugrunde, wird die Vermögensverwaltung gerade nicht erfasst. Ob diese Ansicht wirklich überzeugt, ist fraglich. a) Wortlaut Gegen eine Erfassung der Vermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells könnte der Wortlaut der Nr. 4 sprechen, der sich ausdrücklich auf Finanzkommissionsgeschäfte bezieht. Gerade der Klammerzusatz spricht jedoch dafür, dass es sich in Nr. 4 um einen eigenständigen Tatbestand handelt. Bei gesetzlichen Definitionen wird nämlich der in der Klammer stehende Begriff definiert und ist seinerseits gerade nicht deren Bestandteil62. Hinzu kommt, dass das Aufsichtsrecht in § 1 Abs. 1 und Abs. 1a KWG und § 2 Abs. 3 WpHG
__________ 59 BVerwGE 130, 262 ff. = WM 2008, 1359 ff. – GAMAG; dazu Fingerhut/Voß, BB 2008, 1862; Hanten/von Livonius, BKR 2008, 230; Lenenbach, WuB I L 1 § 1 KWG 1.08; von Livonius/Bernau, EWiR 2008, 445, 446; Unzicker, ZIP 2008, 919 ff.; siehe auch Deppmeyer/Esser, BKR 2009, 230. Zustimmend BVerwG, ZIP 2009, 1899; dazu Just/Voß, EWiR 2009, 785 f. Der Rechtsprechung des BVerwG folgt jetzt auch BGH, WM 2010, 262. 60 So auch weite Teile des Schrifttums, Dreher, ZIP 2004, 2161, 2162; Fock, ZBB 2004, 365, 368; Fock, EWiR 2007, 595, 596; Frey, BKR 2005, 200, 201; Schäfer (Fn. 26), § 1 Rz. 57; Görner/Dreher, ZIP 2005, 2139; Gstädtner/Elicker, BKR 2006, 437, 440 f.; Hammen, WM 2005, 813, 814; Kümpel/Bruski in Bankrechts-Handbuch (Fn. 31), § 104 Rz. 3; Oelkers, WM 2001, 340, 344 f.; Reischauer/Kleinhans, KWG, Bd. 1, Lfg. 2/87, § 1 Rn. 85; Roth in Assmann/Schütze (Fn. 20), § 10 Rz. 31; Schmalenbach/ Sester, WM 2005, 2025, 2030; Wolf, DB 2005, 1723, 1724; ebenso zuvor Hanten/ Zerwas, ZBB 2000, 44, 47; Oelkers, WM 2001, 340, 344 f.; a. A. Sahavi, ZIP 2005, 929, 933 ff.; Sethe (Fn. 5), S. 560 ff.; Voge, WM 2007, 1640, 1641 ff. 61 In Rz. 58 des Urteils geht das Gericht davon aus, dass der Vermögensverwalter regelmäßig als Vertreter des Kunden auftrete. Das Treuhandmodell wird nicht näher angesprochen. 62 Diesen methodischen Grundsatz übersieht das BVerwG. Betrachtet man dessen wachsweiche Ausführungen („legt dieses aber jedenfalls nahe … Es liegt nahe, hieraus zu folgern, … Es ist auch nicht ohne Weiteres anzunehmen, …“) in Rz. 27 des Urteils vom BVerwG, ZIP 2008, 911, merkt man, wie schwer sich das Gericht damit tut, seine Entscheidung auf den gegenteiligen Wortlaut zu stützen.
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an eigenständige Tatbestände und nicht an zivil- oder handelsrechtliche Kategorien anknüpft. Allein der Umstand, dass das in § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG erfasste Bankgeschäft in der Klammer ausdrücklich als Finanzkommissionsgeschäft bezeichnet wird, darf also nicht dazu verleiten, nur Kommissionsgeschäfte als erfasst anzusehen; vielmehr nennt der Wortlaut gerade alle Anschaffungen oder Veräußerungen von Finanzinstrumenten im eigenen Namen, aber für fremde Rechnung63. b) Entstehungsgeschichte Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Nr. 4 auf reine Kommissionsgeschäfte beschränken wollte, fehlen64. Die Gesetzesbegründung zur Neufassung der Nr. 4 mit der 6. KWG-Novelle konzentriert sich allein auf die Erweiterung des Katalogs der erfassten Wertpapiere65. Wenn hier das Wort „kommissionsweise“ verwendet wird, meint dies die Finanzkommission i. S. d. Nr. 4 und nicht i. S. d. §§ 383 ff. HGB. Dies verdeutlicht die Gesetzesbegründung nämlich an anderer Stelle. Dort wird ausgeführt, dass der Gesetzgeber mit dem Finanzkommissionsgeschäft (im eigenen Namen für fremde Rechnung), der Abschlussvermittlung (im fremden Namen für fremde Rechnung) und dem Eigenhandel (in eigenem Namen für eigene Rechnung für andere) alle Formen des Handels von Wertpapieren erfassen wollte66. Folglich erfasst das Finanzkommissionsgeschäft sämtliche Arten der Anschaffung und Veräußerung von Finanzinstrumenten im eigenen Namen, aber für fremde Rechnung. Der Tatbestand ist also nicht auf reine Kommissionsgeschäfte im handelsrechtlichen Sinne beschränkt. Dies macht auch ein Vergleich mit der Parallelvorschrift des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 WpHG deutlich, die den Begriff „Kommission“ nicht einmal erwähnt. c) Systematische Auslegung Gegen eine derart weite Auslegung könnte man einwenden, dass die Richtlinie gerade die Vermögensverwaltung aus dem Kreis des Wertpapierhandels im
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63 So im Ergebnis auch schon Haug (Fn. 29), § 1 Rz. 43; Bähre/Schneider (Fn. 37), § 1 Anm. 10 („Die Anschaffung und Veräußerung von Wertpapieren … wird im allgemeinen in der Form der Kommission betrieben“); Fischer in Fischer/Klanten, Bankrecht, 3. Aufl. 2000, Rz. 2.33 („in der Regel in Form des Kommissionsgeschäfts“); a. A. wohl Hammen, WuB I G 4. 7.87 (auf S. 1233 li. Sp.), der feststellt, dass es nach Nr. 4 „erforderlich ist, dass das Unternehmen die Anschaffung in der Form des Kommissionsgeschäfts vornimmt“. (Hervorhebungen vom Verf.). Ebenso Hammen, WM 2005, 813, 815 ff. 64 Erneut formuliert das BVerwG vage, der Gesetzgeber habe „vornehmlich das typische Kommissionsgeschäft nach §§ 383 ff. HGB im Blick“ (Hervorh. vom Verf.). Die vom BVerwG für seine Position in Anspruch genommenen Belege von Bähre/ Schneider und Haug sprechen allein für die gegenteilige Ansicht, denn diese Autoren gehen gerade davon aus, dass Kommissionsgeschäfte den typischen, aber eben nicht den einzigen Anwendungsfall der Nr. 4 bilden, vgl. die Nachweise in Fn. 63. 65 BR-Drucks. 963/96, S. 63. 66 BR-Drucks. 963/96, S. 66. Dies beziehen weder das BVerwG, ZIP 2008, 911 Rn. 39, noch Dreher, ZIP 2004, 2161, 2163, in ihre Argumentation ein.
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engeren Sinne ausgenommen und in einem eigenständigen Tatbestand geregelt habe (Abschnitt A Nr. 3 des Anhangs zur WDRL). Deshalb müssten sämtliche Formen der Vermögensverwaltung in Absatz 1a Satz 2 Nr. 3 KWG erfasst sein67. Diese Argumentation übersieht, dass es dem nationalen Gesetzgeber unbenommen blieb, im Vergleich zur Richtlinie strengere Regelungen für eine Wertpapierdienstleistung vorzusehen68 und diese beispielsweise auch als Bankgeschäft einzuordnen69. Genau von dieser Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber Gebrauch gemacht und jeglichen Handel mit Finanzinstrumenten im eigenen Namen auf fremde Rechnung, den er nach der WDRL als Finanzdienstleistung hätte ausgestalten können, als Bankgeschäft eingeordnet. Grund hierfür war der Umstand, dass der Kunde in einer besonderen Gefährdungslage ist, wenn der Finanzintermediär als Eigentümer zwischengeschaltet wird70. Wenn der Gesetzgeber aber schon das punktuelle Geschäft, bei dem der zwischengeschaltete Finanzintermediär Eigentümer der Kundenwertpapiere ist, als Bankgeschäft einordnet, muss dies erst recht für die treuhänderische Übereignung der verwalteten Werte an den Finanzintermediär gelten, die umso gefährlicher ist (siehe oben). Im Übrigen ist die systematische Auslegung auch nur in Grenzen zulässig. Sie muss berücksichtigen, dass die Vermögensverwaltung in § 1 Abs. 1a KWG als Finanzdienstleistung, die Anschaffung und Veräußerung von Finanzinstrumenten auf fremde Rechnung dagegen als Bankgeschäft geregelt ist. Dadurch kann die in § 1 Abs. 1 Satz 2 KWG enthaltene Nr. 4 nicht zur Basis eines argumentum e contrario gemacht werden. Denn bei Absatz 1a handelt es sich ausdrücklich um einen Auffangtatbestand, der nur eingreift, wenn kein Bankgeschäft vorliegt. Die Tatbestände des Absatz 1 sind also immer vorrangig zu prüfen. d) Richtlinienkonforme Auslegung Die Regelung des Finanzkommissionsgeschäfts beruht ausweislich der Gesetzesbegründung71 auf Abschnitt A Nr. 1 lit. b des Anhangs zur WDRL72, der jede Art der Ausführung von Aufträgen über Finanzinstrumente für fremde Rechnung erfasst. Die Bestimmung des nationalen Rechts ist daher richtlinienkonform auszulegen. Da die Richtlinie einen weiten Wertpapierdienstleistungsbegriff zugrunde legt und generell alle Formen der Annahme, Übermittlung und Ausführung von Aufträgen über Wertpapiere für fremde Rechnung erfasst, kann es auf die konkrete zivilrechtliche Einkleidung des Ge-
__________ 67 So das BVerwG, ZIP 2008, 911 Rz. 28 ff. 68 Erwägungsgrund Nr. 25 der WDRL. 69 Allerdings muss der Gesetzgeber diese strengeren Regeln kenntlich machen, EuGH, Slg. 2002, I-10797 Rz. 46 (Antonio Testa und Lido Lazzeri ./. Consob) mit Anm. Balzer, EWiR 2003, 989 f. 70 Dreher, ZIP 2004, 2161, 2165. 71 BR-Drucks. 963/96, S. 63. 72 Mittlerweile ersetzt durch Art. 4 Abs. 1 Nr. 2, Anhang I Abschnitt A Nr. 1 MiFID.
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schäfts nach nationalem Recht nicht ankommen. Es ist daher gleichgültig, ob die Ausführungsgeschäfte über Wertpapiere auf der Grundlage einer punktuellen Geschäftsbeziehung, wie der Kommission, erfolgen oder auf einem umfassenderen Dauerschuldverhältnis, wie der Vermögensverwaltung, beruhen. Gerade hiergegen wendet sich das Bundesverwaltungsgericht73, wenn es formuliert: „Eine offene oder verdeckte Stellvertretung kommt indessen grundsätzlich nur im Hinblick auf ein bestimmtes Rechtsgeschäft oder im Hinblick auf mehrere bestimmte Rechtsgeschäfte in Betracht, nicht aber bei einer unbestimmten Vielzahl von Rechtsgeschäften, die für die Vermögensverwaltung charakteristisch ist.“ Dass dieser Einwand nicht überzeugt, belegt ein Blick auf die Vermögensverwaltung in Form des Vertretermodells, für das es gerade charakteristisch ist, dass eine unbestimmte Vielzahl von Rechtsgeschäften in Finanzinstrumenten auf der Basis der Stellvertretung erfolgt. Auch kennt das Zivilrecht die Generalvollmacht, bei der der Stellvertreter ebenfalls eine unbestimmte Vielzahl von Geschäften abschließen darf. Wenn die Reichweite der Regelung umstritten ist und keine Einigkeit darüber herrscht, ob eine wirtschaftliche Betrachtungsweise anzuwenden ist, bei der jeder Vorgang erfasst wird, der sich als Anschaffung oder Veräußerung auf Rechnung eines Anlegers darstellt, hätte das Bundesverwaltungsgericht die Frage der Auslegung des Abschnitts A Nr. 1 lit. b des Anhangs zur WDRL dem EuGH vorlegen müssen. Die Vorlagefrage wird aber nicht einmal angesprochen. Zu Recht weist das Gericht darauf hin, dass Anhang I zur MiFID deutlich enger formuliert ist und sich ausdrücklich nur auf die „Annahme und Übermittlung von Aufträgen, die ein oder mehrere Finanzinstrument(e) zum Gegenstand haben“, bezieht. Das Merkmal „auf Rechnung“ ist gerade entfallen. Dies und das Erfordernis eines „Auftrags“ sind Argumente gegen eine wirtschaftliche Betrachtungsweise, mit der Umgehungen der Finanzportfolioverwaltung in den Tatbestand des Finanzkommissionsgeschäfts einbezogen werden. Allerdings war diese Regelung auf die entschiedenen Altfälle noch nicht anwendbar. e) Zwischenfazit Zusammengefasst lässt sich damit feststellen, dass die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage der Reichweite des Finanzkommissionsgeschäfts viele „lose Enden“ aufweisen. Es bestehen durchaus gewichtige Argumente dafür, dass die Richtlinie jegliche Anschaffung oder Veräußerung von Finanzinstrumenten im eigenen Namen, aber für Rechnung des Kunden erfassen wollte und gerade nicht nur Vorgänge, die zufällig der deutschen Definition des Kommissionsgeschäfts entsprechen. Das Bundesverwaltungsgericht untersagte mit der Entscheidung eine ausufernde Praxis der BaFin74. Diese wollte gesellschaftsrechtliche Gestaltungen
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73 BVerwG, ZIP 2008, 911 Rz. 41. 74 Das Ausmaß belegt Schäfer in Schäfer/Hamann (Fn. 34), § 2 WpHG Rz. 54. Er beziffert für 2003/04 die Zahl der Widersprüche auf 366 und die der gerichtlichen Auseinandersetzungen auf 243.
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unterbinden, bei denen die Gesellschaften im eigenen Namen, wirtschaftlich aber für Rechnung der Anleger, die zugleich Gesellschafter waren, Geschäfte in Finanzinstrumenten tätigten. Die BaFin wollte damit Umgehungen der Erlaubnispflicht nach §§ 1, 32 KWG stoppen. Im Schrifttum stieß die Position der BaFin überwiegend auf Ablehnung75 und daher wurde die neue Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überwiegend begrüßt76. Selbst wenn man das Ziel der BaFin, nämlich Verwirklichung des Anlegerschutzes und Austrocknen des grauen Kapitalmarkts billigt, bedarf das Einschreiten der Aufsicht einer Ermächtigungsgrundlage. Diese wurde ihr durch das Urteil aus der Hand geschlagen. Allerdings bleiben die hier dargelegten methodischen Zweifel und Unzulänglichkeiten in der Argumentation des Bundesverwaltungsgerichts. Ohne Vorlage an den EuGH ist die Frage der Reichweite der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie und der sie ersetzenden MiFID nicht abschließend geklärt. Dass die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wenig Klarheit gebracht hat, zeigt sich symptomatisch daran, dass die Kommentarliteratur nun unter Verweis auf die Entscheidung behauptet, die Nr. 4 stelle keinen allgemeinen Auffangtatbestand dar. Jedoch wird gleich wieder eine Einschränkung vorgenommen, die letztlich wiederum eine wirtschaftliche Betrachtungsweise beinhaltet: Es seien auch Vorgänge erfasst, die als „verdecktes Kommissionsgeschäft“ anzusehen seien77 oder die „hinreichende Ähnlichkeit“ mit einem Kommissionsgeschäft aufwiesen78. Letztlich verabschieden sich damit auch diejenigen, die die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts befürworten, nicht von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Wo Grenzen dieser Betrachtungsweise liegen, ist auch nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts offen. f) Das Einschreiten des Gesetzgebers Damit die BaFin dem munteren Treiben findiger Initiatoren von Umgehungen der Erlaubnispflicht das Handwerk legen konnte, schritt der Gesetzgeber ein und schuf eine Ermächtigungsgrundlage. Zunächst war geplant, den Tatbestand des Finanzkommissionsgeschäfts auf alle Geschäfte in Finanzinstrumenten im eigenen Namen für fremde Rechnung zu erweitern79. Nach heftiger Kritik aus der Praxis zog er den Vorschlag zurück und schuf stattdessen den Tatbestand der Anlageverwaltung (§ 1 Abs. 1a Satz 2 Nr. 11 KWG)80. Als Finanzdienstleistung gilt „die Anschaffung und die Veräußerung von Finanzinstrumenten für eine Gemeinschaft von Anlegern, die natürliche Personen sind, mit Entscheidungsspielraum, sofern dies ein Schwerpunkt des angebote-
__________ 75 76 77 78 79
Siehe oben Fn. 60. Siehe die Nachweise in Fn. 59. Schäfer in Schäfer/Hamann (Fn. 34), § 2 WpHG Rz. 54. Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider (Fn. 34), § 2 Rz. 68. Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 8.7.2008, VII B 5 – WK 6130/07/0001. Dazu Fingerhut/Voß, BB 2008, 1862 ff.; Volhard/Wilkens, DB 2008, 2411, 2412. 80 Art. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Pfandbriefrechts v. 20.3.2009, BGBl. I 2009, S. 607.
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nen Produktes ist und zu dem Zweck erfolgt, dass diese Anleger an der Wertentwicklung der erworbenen Finanzinstrumente teilnehmen (Anlageverwaltung).“ Vermögensverwaltungen in Form gesellschaftsrechtlicher Einkleidungen sind also nun aufsichtsrechtlich in einem eigenen Tatbestand erfasst. Gleichzeitig verdeutlicht dieses Vorgehen, dass der Gesetzgeber den Tatbestand des Finanzkommissionsgeschäfts in seiner engen Interpretation durch das Bundesverwaltungsgericht unverändert lassen wollte. Gestützt wird dieses Ergebnis durch die Gesetzesbegründung zur Einführung des Tatbestands der Anlagevermittlung. Sie stellt ausdrücklich fest, dass der Tatbestand der Finanzportfolioverwaltung sowohl die offene als auch die verdeckte Stellvertretung auf Einzelkundenbasis meint81. Diese Formulierung lässt sich dahingehend verstehen, dass der Gesetzgeber wohl auch die Vollrechts- und die Ermächtigungstreuhand als vom Tatbestand der Finanzportfolioverwaltung erfasst ansieht. Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass es – aufgrund der gesetzgeberischen Reaktion auf das GAMAG-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts – nun ausgeschlossen ist, die Vermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells als Finanzkommissionsgeschäft zu begreifen82. Zwar schafft dieses Vorgehen nun Klarheit auf nationaler Ebene. Allerdings hat der Gesetzgeber mit der Anlageverwaltung einen Tatbestand geschaffen, der nicht unter den Europäischen Pass fällt83. Sollte sich ein Anbieter, der beispielsweise Vermögensverwaltungen in gesellschaftsrechtliche Beteiligungen einkleidet, auf den Europäischen Pass berufen, dürfte die deutsche Rechtsprechung nicht umhin kommen, dem EuGH die Frage vorzulegen, ob dieser Vorgang nicht doch unter einen der Tatbestände der MiFID fällt. Sollte der EuGH dies bejahen, wäre der Tatbestand der Anlageverwaltung insoweit obsolet. 4. Das Treuhandmodell als Depotgeschäft a) Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren Der Tatbestand des Depotgeschäfts (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 KWG) erfasst die Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren für andere in offenen Depots84. Mit der Verwahrung von Wertpapieren sind die in §§ 2 ff. DepotG genannten Verwahrungsarten gemeint. Sie erfordern eine körperliche Entgegennahme und Aufbewahrung der Wertpapiere. Mit Verwaltung von Wertpapieren für andere ist die Einlösung und Erneuerung von Zins- und Dividendenscheinen, Ausübung von Bezugsrechten, Wahrnehmung des Stimmrechts der Aktionäre etc. umschrieben. Die Ausübung einer dieser beiden Tätigkeiten genügt für das Eingreifen des Tatbestands der Nr. 5. Mit Depotgeschäft ist also die physische
__________ 81 RegE eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Pfandbriefrechts, BT-Drucks. 16/11130, S. 43 re. Sp. oben. 82 Meine zum früheren Recht vertretene gegenteilige Ansicht, vgl. Sethe (Fn. 5), S. 560 ff., ist damit überholt. 83 RegE des Gesetzes zur Fortentwicklung des Pfandrechts, BR-Drucks. 703/08, S. 71 f. 84 Zum Depotgeschäft Schäfer (Fn. 26), § 1 Rz. 62 ff.; Kümpel (Fn. 32), Rz. 11.83 ff.; Schäfer in Schwintowski/Schäfer (Fn. 29), § 17 Rz. 1 ff.
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Aufbewahrung und die technische Verwaltung der Wertpapiere gemeint, nicht aber die Entscheidung über die Zusammensetzung des Depots, d. h. die wirtschaftliche Verwaltung85. Vom Depotgeschäft grundsätzlich nicht erfasst ist also die dem Vermögensverwalter eingeräumte Dispositionsbefugnis über die Zusammensetzung des Kundendepots. Technische und wirtschaftliche Verwaltung fallen auseinander86. b) Das Tatbestandsmerkmal „für andere“ Die Vermögensverwaltung in Form des Treuhandmodells kann entweder dadurch begründet werden, dass der Vermögensverwalter die Papiere tatsächlich physisch entgegennimmt, oder dass der Kunde Wertpapiere auf ein Depot des Vermögensverwalters überträgt. Der Vermögensverwalter verfügt über die Finanzinstrumente im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung. Es ist streitig, ob dieser Vorgang den Tatbestand des Depotgeschäfts verwirklicht. Sieht man in dem Tatbestandsmerkmal „für andere“ einen Rückgriff auf das Sachenrecht, scheidet das Depotgeschäft aus, denn der Vermögensverwalter – selbst wenn er die Papiere physisch entgegennimmt – verwahrt die Wertpapiere nicht für andere, sondern für sich selbst, da er aufgrund der treuhänderischen Übereignung Eigentümer der Papiere ist87. Die Gegenansicht legt zu Recht eine funktionale Betrachtungsweise zugrunde und begreift das Tatbestandsmerkmal „für andere“ als gleichbedeutend mit „für fremde Rechnung“88. Dass das Kreditwesengesetz mit diesem Begriff eine wirtschaftliche Betrachtungsweise verbindet, ergibt sich zum einen aus einer systematischen Auslegung. Das Gesetz verwendet auch beim Garantiegeschäft in § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 8 KWG den Terminus „für andere“. Beim Garantiegeschäft ist jedoch eine sachenrechtliche Betrachtung von vornherein nicht möglich89, da Bürgschaft und Garantie nur für fremde Rechnung abgegeben werden können. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass eine sachenrechtliche Betrachtungsweise den Anlegerschutz in diesem Bereich aushöhlen würde. Depotführende Institute könnten sich, um eine Aufsicht zu vermeiden, alle Wertpapiere treuhänderisch übertragen lassen. Um diese Schutzlücke zu schließen, ist etwa auch die unregelmäßige Verwahrung als Depotgeschäft aufsichts-
__________ 85 Sethe (Fn. 5), S. 25. 86 Um den Unterschied von Depotgeschäft und Vermögensverwaltung auch terminologisch deutlich zu machen, sprechen die AGB für Wertpapiergeschäfte in Nrn. 13 ff. nicht von der „Verwaltung“, sondern von „Dienstleistungen im Rahmen der Verwahrung“, vgl. Hopt in Baumbach/Hopt (Fn. 32), (8) AGB-WPGeschäfte Nr. 13 Rz. 1. 87 So Miebach, DB 1991, 2069, 2071; Balzer, Vermögensverwaltung (Fn. 32), S. 62; Balzer in Handbuch Bankrecht (Fn. 31), § 51 Rz. 8; im Ergebnis auch Kümpel (Fn. 32), Rz. 10.12, 10.15. 88 Schreiben des damaligen Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen vom 6.5.1977 – I 5 – 173 – 212/76; Schäfer (Fn. 26), § 1 Rz. 62 und 66; Haug (Fn. 29), § 1 Rz. 51 a. E.; Hopt in Baumbach/Hopt (Fn. 32), (7) BankGesch. U 1; Kienle in Bankrechts-Handbuch (Fn. 31), § 111 Rz. 6, 10; Müller in Schäfer/Müller (Fn. 33), Rz. 206. 89 Ausdrücklich Bähre/Schneider (Fn. 37), § 1 Anm. 14 (zu Nr. 8).
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Die funktionale Auslegung des Bankaufsichtsrechts
rechtlich erfasst90, obwohl auf sie das Depotgesetz nicht anwendbar ist (§ 15 DepotG)91. Würde man also bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „für andere“ einer rein sachenrechtlichen Betrachtungsweise folgen, wäre ein Schutz der Anleger nicht mehr gewährleistet, da ihnen nur schuldrechtliche Ansprüche zustünden, die im Falle der Insolvenz des Unternehmens oftmals wertlos sind. Daher ging auch der Gesetzgeber davon aus, dass der Vermögensverwalter stets verpflichtet sei, die verwalteten Papiere auf Kundendepots verwahren zu lassen. Andernfalls betreibe er das Depotgeschäft92. c) Zwischenfazit Das Depotgeschäft erfasst auch die Verwahrung von Wertpapieren für fremde Rechnung, so dass ein Vermögensverwalter den Tatbestand des Depotgeschäfts verwirklicht, wenn er sich Wertpapiere seiner Kunden übereignen lässt oder nicht nur vorübergehend verwahrt. Gleiches gilt, wenn er die Wertpapiere unter seinem Namen bei einem anderen Institut verwahren lässt und dabei die wirtschaftliche Berechtigung des Kunden verdeckt93.
V. Ergebnisse 1. Die Vermögensverwaltung in Gestalt des Treuhandmodells erfüllt nur dann die Voraussetzungen des Einlagengeschäfts, wenn der Vermögensverwalter Geld entgegennimmt, dieses im eigenen Namen anlegt, dem Kunden einen Rückzahlungsanspruch in Geld verspricht und ihm das aus der Kapitalanlage folgende wirtschaftliche Risiko abnimmt, so dass die Vermögensverwaltung einer banküblichen verzinslichen Anlage vergleichbar ist. Da eine solche Konstellation in der Praxis nicht vorkommt, ist die im Schrifttum vertretene Ansicht, Vermögensverwaltungen in Form des Treuhandmodells würden regelmäßig den Tatbestand des Einlagengeschäfts erfüllen, nicht überzeugend. 2. Vermögensverwaltungen in Form des Treuhandmodells erfüllen nach neuem Recht nicht mehr den Tatbestand des Finanzkommissionsgeschäfts. Durch die gesetzgeberische Reaktion auf die jüngste Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hat der Gesetzgeber klargestellt, dass er sich die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene, enge Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG zu eigen macht. Dieser Norm unterfallen damit nur noch Kommissionsgeschäfte i. S. d. §§ 383 ff. HGB. 3. Die Rechtsprechung und letztlich auch der Gesetzgeber haben Bestrebungen der BaFin, eine Umgehung der Erlaubnispflicht nach §§ 1, 32 KWG durch eine weite Auslegung des Tatbestands des Finanzkommissionsgeschäfts ein-
__________ 90 91 92 93
Bähre/Schneider (Fn. 37), § 1 Anm. 11; Schäfer (Fn. 26), § 1 Rz. 66 m. w. N. Dem Anleger steht nur ein schuldrechtlicher Anspruch nach § 700 BGB zu. So ausdrücklich BR-Drucks. 963/96, S. 66. Schäfer (Fn. 26), § 1 Rz. 126; Schäfer in Schäfer/Hamann (Fn. 34), § 2 WpHG Rz. 80; Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, KWG, 2009, § 1 Rz. 101.
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zufangen, eine Abfuhr erteilt. Die von der BaFin vorgenommene funktionale Auslegung („wirtschaftliche Betrachtungsweise“) lehnte das Bundesverwaltungsgericht ab, ohne allerdings eine in allen Facetten überzeugende Begründung zu liefern. Zudem versäumte es das Gericht, dem EuGH die Frage der Reichweite des Merkmals „Ausführung solcher Aufträge für fremde Rechnung“ im Anhang zur Wertpapierdienstleistungsrichtlinie vorzulegen, der für die damals entschiedenen Fälle maßgebend war. 4. Überzeugend ist dagegen der Hinweis des Gerichts auf Anhang I zur MiFID, der deutlich enger formuliert ist und sich ausdrücklich nur auf die „Annahme und Übermittlung von Aufträgen, die ein oder mehrere Finanzinstrument(e) zum Gegenstand haben“, bezieht. Das Merkmal „auf Rechnung“ ist gerade entfallen. Dies und das Erfordernis eines „Auftrags“ sind Argumente gegen eine wirtschaftliche Betrachtungsweise, mit der gesellschaftsrechtliche Gestaltungen oder Vermögensverwaltungen in den Tatbestand der Nr. 4 einbezogen werden. Allerdings war diese Regelung auf die entschiedenen Altfälle noch nicht anwendbar. 5. Teile des Schrifttums, die die Position des Bundesverwaltungsgerichts zur Auslegung des Finanzkommissionsgeschäfts begrüßen, nehmen jedoch an anderer Stelle (z. B. beim Depotgeschäft) eine funktionale Betrachtungsweise ein. Man darf gespannt sein, ob das Bundesverwaltungsgericht auch diese Tatbestände eng auslegt und damit der funktionalen Auslegung eine generelle Abfuhr erteilt oder ob eine solche Auslegung ihre (m. E. bestehende) Berechtigung behält. 6. Der Streit um die Reichweite des Finanzkommissionsgeschäfts belegt den Befund von Uwe H. Schneider/Anzinger, wonach ein an Fallgruppen anknüpfendes Aufsichtsrecht rasch an seine Grenzen stößt, zu Umgehungen geradewegs einlädt und besser durch ein prinzipienorientiertes Regelungsregime ersetzt werden sollte94. 7. Der zur Lückenschließung geschaffene neue Tatbestand der Anlageverwaltung unterfällt nicht dem Europäischen Pass. Ein solcher nationaler Alleingang sollte ultima ratio sein und widerspricht auch klar der von der Bundesregierung mittlerweile favorisierten 1:1-Umsetzung der Richtlinien. Daher wiegt das Versäumnis des Bundesverwaltungsgerichts, dem EuGH die Frage der Reichweite der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie vorzulegen, umso schwerer. 8. Verwahrt ein Vermögensverwalter die Finanzinstrumente des Kunden dauerhaft oder bucht er sie auf seinem Depot, erfüllt er den Tatbestand des Depotgeschäfts. Diese Einordnung knüpft allerdings an die Art der Verwahrung der Finanzinstrumente und nicht an die dem Vermögensverwalter eingeräumte Befugnis an, Finanzinstrumente auf Rechnung des Kunden anzulegen. Nicht die Vermögensverwaltung als solche erfüllt also den Tatbestand eines Bankgeschäfts, sondern die zugleich erbrachte Art der Verwahrung des Kundenvermögens.
__________ 94 Uwe H. Schneider/Anzinger, ZIP 2009, 1, 9 f.
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Aktionärsvereinbarungen bei Kapitalerhöhungen Inhaltsübersicht I. Einführung II. Erscheinungsformen in der Praxis 1. Abschlussmotivation a) Gesellschaft b) Aktionäre 2. Typische Regelungsgegenstände a) Festbezugs- und Übernahmeerklärungen b) Back Stop-Vereinbarungen c) Bezugsrechtsverzicht, Vorabplatzierung III. Aktienrechtliche Rahmenbedingungen 1. Bezugs- und Übernahmegarantie a) Vertragstypus, Formerfordernisse, inhaltliche Anforderungen b) Zulässigkeit der Bezugszusage c) Zuteilung nicht bezogener Aktien an den Garanten aa) Neutralität, Gleichbehandlung bb) Verpflichtung zu bestmöglicher Verwertung
2. Entgeltregelungen a) Leistungsgewährung durch die Gesellschaft aa) Verbotene Einlagenrückgewähr (1) Vergleichbares Drittgeschäft? (2) Rechtfertigung aufgrund überragenden Interesses der Gesellschaft (3) Äquivalenz der Gegenleistung bb) Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs b) Leistungsgewährung durch die Emissionsbanken 3. Einflussnahme a) Preis- und Transaktionsgestaltung b) Aufsichtsratsbesetzung 4. Bezugsrechtsverzicht a) Nach- oder Überbezugsrechte der anderen Aktionäre? b) Gleichbehandlung IV. Fazit
I. Einführung Vereinbarungen zwischen börsennotierten Aktiengesellschaften und einzelnen, maßgeblich beteiligten Aktionären im Vorfeld von Bezugsrechtskapitalerhöhungen sind nicht neu1, haben aber in dem volatilen Umfeld der allgemeinen Wirtschafts- und Finanzkrise zuletzt wieder größere Aufmerksamkeit erlangt. Gerade in Sanierungsfällen2 ist von entscheidender Bedeutung, dass das erforderliche Emissionsvolumen sicher aufgebracht werden kann und seine Realisierung nicht vom ungewissen Bezugsverhalten der Kleinaktionäre abhängt. Es
__________ 1 Zur insiderrechtlichen Zulässigkeit der Vorabinformation über die geplante Kapitalmaßnahme statt anderer Uwe H. Schneider/Singhof in FS Kraft, 1998, S. 585, 600 ff. 2 Zur „Sanierungskapitalerhöhung“ ausf. Seibt, Der Konzern 2009, 261; Seibt/Voigt, AG 2009, 133; Findeisen, ZIP 2009, 1647.
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kann in einem schwierigen Kapitalmarktumfeld aber auch im „wohlverstandenen Interesse“ der „gesunden“ Gesellschaft liegen, die Eigenkapitalzufuhr durch Vereinbarungen über die Teilnahme von Aktionären an der Kapitalerhöhung (teilweise) abzusichern. Denn trotz regelmäßig hoher Bezugsquoten bleibt die Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt mit Unwägbarkeiten verbunden. Die Erscheinungsformen solcher Aktionärsvereinbarungen sind vielgestaltig. Neuerdings dokumentieren Aktionäre ihre Teilnahme an der Kapitalerhöhung nicht mehr nur in der „klassischen“ Festbezugs- und Übernahmeerklärung, sondern auch in ausführlicheren Back Stop-Vereinbarungen. Sie sind aus dem Risikotransfer zwischen Emissionsbanken im Rahmen eines Sub-Underwriting – also einer Unterbeteiligung am Übernahmerisiko – bekannt. Daneben sind zuletzt auch Verzichtserklärungen bzw. Vereinbarungen zur Übertragung von Bezugsrechten in den Vordergrund gerückt, die abgeschlossen werden, wenn maßgeblich beteiligte Aktionäre nicht selbst an der Kapitalerhöhung teilnehmen und die auf sie entfallenden Aktien zur gezielten Vorabplatzierung an Drittinvestoren eingesetzt werden sollen. Im Schrifttum werden diese Vereinbarungen kaum behandelt3. Es soll daher versucht werden, einen Einblick in ihren typischen Inhalt zu geben und einige aktienrechtliche Parameter aufzuzeigen, die beim Abschluss außerhalb von Konzernsachverhalten zu beachten sind.
II. Erscheinungsformen in der Praxis 1. Abschlussmotivation a) Gesellschaft Die Motivation der Gesellschaft, mit Aktionären Vereinbarungen anlässlich einer anstehenden Kapitalerhöhung zu schließen, liegt auf der Hand: Nahezu immer wird das Unternehmen einen bestimmten Nettoemissionserlös benötigen, sei es, weil in der Restrukturierung ein neues syndiziertes Darlehen die Aufnahme eines bestimmten Eigenmittelbetrags voraussetzt, eine auslaufende Fremdfinanzierung abgelöst oder eine Akquisition finanziert werden soll. Die reine Höchstbetragskapitalerhöhung („bis zu“), bei der die Höhe der Kapitalerhöhung ausschließlich vom ungewissen Bezugsverhalten der Aktionäre abhängt, bietet keine Sicherheit, dass die erforderliche Eigenmittelaufnahme erreicht wird. Vom Kapitalmarkt wird sie tendenziell negativ aufgenommen. Dem Unternehmen muss daher daran gelegen sein, im Vorfeld der Kapitalerhöhung frühzeitig mit (finanzstarken) Aktionären Kontakt aufzunehmen, um ihr Bezugsverhalten zu identifizieren und sie für eine Absicherung des Emissionsvolumens zu gewinnen4. Eine solche Absicherung kann auch derge-
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3 Nur knappe Hinweise bei Meyer in Marsch-Barner/Schäfer, Hdb. börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 7 Rz. 40; Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2179; Schießl, AG 2009, 385, 389; Weiand/Schlitt/Behrends in GS Bosch, 2006, S. 239, 244; Vaupel/Reers, AG 2010, 93, 98. 4 Vgl. Schäcker/Brehm in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2. Aufl. 2008, § 2 Rz. 57.
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stalt erreicht werden, dass bislang gering beteiligte Aktionäre sich zur maßgeblichen Aufstockung ihrer Beteiligung durch Aufnahme nicht bezogener Aktien bereit erklären5. Verbindliche Bezugszusagen haben als „vertrauensbildende Maßnahme“6 großen Einfluss auf das Verhalten der anderen Aktionäre, die Notwendigkeit (kostspieliger) Marketingmaßnahmen sowie die Risikobereitschaft der Emissionsbanken. Sie sind in vielen Fällen Voraussetzung dafür, dass die Banken überhaupt eine Übernahmeverpflichtung für die Emission eingehen. Steht fest, dass der angestrebte Emissionserlös dem Unternehmen zufließt, reduziert sich potenziell der Druck auf den Aktienkurs nach Ankündigung der Maßnahme; häufig sind sogar positive Kursentwicklungen zu beobachten, da der Spekulation über das Scheitern der Kapitalerhöhung der Boden entzogen ist7. Transaktionssicherheit und allgemeine Signalwirkung für den Kapitalmarkt durch das Mitziehen bestimmter „Ankeraktionäre“ sind somit von erheblichem Wert. Gelingt es andererseits nicht oder nur teilweise, von maßgeblichen Aktionären eine entsprechende Verpflichtung zu erlangen, kann die Transaktionssicherheit auch dadurch gesteigert werden, dass der Umfang nicht bezogener Aktien nicht erst nach Ende der Bezugsfrist, sondern vorher festgestellt wird, um die Aktien einer geordneten Vorabplatzierung durch die Emissionsbanken zuzuführen und aus dem Erfolg dieser Platzierung eine vergleichbare Signalwirkung abzuleiten. b) Aktionäre Auf Seiten der Aktionäre reichen die Handlungsalternativen von der vollständigen Ausübung ihrer Bezugsrechte unter Einsatz erheblicher Liquidität über die „mittelneutrale“ Ausübung von Bezugsrechten in dem Umfang, wie durch den Verkauf von Bezugsrechten die für Leistung des Bezugspreises erforderlichen Mittel aufgewendet werden können (sog. Operation Blanche)8, bis hin zum vollständigen Verzicht oder aber Verkauf der Bezugsrechte, der dem Aktionär u. U. neue Liquidität verschafft. Häufig geht es den Aktionären neben der Absicherung ihrer finanziellen Position bzw. der Teilhabe an einem „upsidePotential“ der Aktie auch um (zusätzlichen) Einfluss9. Die Bezugsrechtskapitalerhöhung kann insoweit eine „günstige Gelegenheit“ zur signifikanten Aufstockung der Beteiligung sein. Selbst wenn ein maßgeblich beteiligter Aktionär nicht an der Kapitalerhöhung teilnehmen kann, weil ihm die dafür erforderlichen Mittel fehlen, hat er ein erhebliches Interesse, zu ihrem Gelingen durch die Bereitstellung seiner Bezugsrechte beizutragen. Die Nichtteilnahme muss nicht gleichbedeutend mit einem sukzessiven „Rückzug“ aus
__________ 5 Diese werden auch als Private Investments in Public Entity („PIPE“) bezeichnet. Zu PIPE-Transaktionsmodellen eingehend Schiessl, AG 2009, 385; von Riegen, Corporate Finance law 2010, 1. 6 Meyer (Fn. 3), § 7 Rz. 40. 7 Schäcker/Brehm (Fn. 4), § 2 Rz. 57. 8 Schäcker/Brehm (Fn. 4), § 2 Rz. 57 Fn. 23. 9 Vgl. den Prospekt der Infineon Technologies AG v. 16.7.2009, S. 63.
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dem Unternehmen sein; vielmehr kann dem Aktionär an einer „aktiven Feinsteuerung des Verwässerungsgrades“10 zur weitgehenden Aufrechterhaltung seiner Beteiligung gelegen sein. In der Vereinbarung über den Verzicht auf die Ausübung der Bezugsrechte oder ihre Übertragung wird er dann versuchen, durch die Ausgestaltung der Transaktionsstruktur, insbesondere ein paralleles hard underwriting der Emissionsbanken, hierauf Einfluss zu nehmen. 2. Typische Regelungsgegenstände Vor dem Hintergrund dieser Interessenlage der Beteiligten lassen sich einige Regelungsgegenstände abgrenzen, die sich typischerweise in Aktionärsvereinbarungen anlässlich einer Kapitalerhöhung wiederfinden. Dies gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob die Vereinbarung mit der Gesellschaft zustande kommt, oder – wie häufig – diese nur für die Anbahnung der Vereinbarungen zwischen den Emissionsbanken und dem Aktionär sorgt. a) Festbezugs- und Übernahmeerklärungen Zur Sicherung der Teilnahme von Aktionären an einer Bezugsrechtskapitalerhöhung haben sich in der Kautelarpraxis schon seit langem sog. Festbezugsund Übernahmeerklärungen herausgebildet11. In Form und Inhalt an den Zeichnungsschein (§ 185 AktG) angelehnt, verpflichtet sich der Aktionär darin zeitlich beschränkt gegenüber der Gesellschaft und/oder den Emissionsbanken, die im Rahmen der Kapitalerhöhung auf seine Beteiligung entfallenden Bezugsrechte vollständig auszuüben und die neuen Aktien (zu einem bestimmten oder noch festzulegenden Bezugspreis) zu beziehen (Festbezugserklärung). Es kann aber auch sein, dass der Aktionär über den vollen Bezug auf seine Quote hinaus bereit ist, nicht bezogene weitere Aktien zum Bezugspreis zu erwerben und damit einen zusätzlichen Beitrag zum Gelingen der Kapitalerhöhung zu leisten (Übernahmeerklärung). Teilweise verpflichtet sich der Aktionär, die dafür aufzubringenden Barmittel spätestens vor Abgabe des Zeichnungsscheins durch die Emissionsbank auf ein Treuhand- oder Abwicklungskonto zu überweisen oder in dieser Höhe eine „Bankbürgschaft“ beizubringen. b) Back Stop-Vereinbarungen Zunehmend ist zu beobachten, dass Festbezugs- und Übernahmeverpflichtungen entweder ein zusätzlicher Rahmenvertrag zugrunde liegt oder sie in einem größeren Vertragswerk mit den für Übernahmeverträgen typischen Strukturen
__________ 10 Schäcker/Brehm (Fn. 4), § 2 Rz. 57. Vgl. die Rolle von Schaeffler bei der Kapitalerhöhung der Continental AG; F.A.Z. Nr. 296 v. 21.12.2009, S. 14 („Conti sichert sich seine Kapitalerhöhung“). 11 Vgl. auch Findeisen, ZIP 2009, 1647, 1649. Zur Terminologie „Zeichnungsvereinbarungen“ im schweiz. Recht Schleiffer in Reutter/Watter/Werle, Kapitalmarkttransaktionen, 2008, S. 125, 144 f., 170.
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und Inhalten12 aufgehen, die ausschließlich zwischen den Aktionären und den Emissionsbanken vereinbart werden. Unabhängig davon, ob diese Vereinbarungen als „Back Stop Agreement“13, „Sub-Underwriting“ oder „Stand by“-Garantie bezeichnet werden, steht hier häufig das Aufstockungspotential, also die Übernahme zusätzlicher Aktien im Vordergrund. Als Sub-Underwriter kommt der Aktionär in eine Position, die der eines neuen „Drittinvestors“ oder einer am Emissionskonsortium unterbeteiligten Bank vergleichbar ist. Da er lediglich mit den Emissionsbanken vertragliche Vereinbarungen abschließt, scheint er auf den ersten Blick auch nicht an aktienrechtliche Beschränkungen im Verhältnis zur Gesellschaft gebunden zu sein und kann flexibler mit seiner Risikoposition umgehen. Seinen Niederschlag findet dies etwa darin, dass die Garantie oftmals an den Eintritt bestimmter aufschiebender Bedingungen geknüpft wird. Flexibilisierung wird auch für die Höhe der Übernahmegarantie gesucht, indem Beteiligungsbandbreiten vereinbart werden, innerhalb derer sich die Übernahmegarantie des Aktionärs bewegt. Eine Grenze für das maximale Übernahmevolumen (cap) kann insbesondere das Übernahmerecht setzen, wenn eine Sanierungsbefreiung (§ 37 WpÜG i. V. m. § 9 WpÜG-AngVO)14 von der Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebots bei Überschreiten der 30 %-Schwelle nicht zu erlangen ist (§§ 29 Abs. 2, 35 WpÜG). Andererseits kann der Aktionär seine Übernahmebereitschaft auch davon abhängig machen, dass eine Aufstockung um einen Minimalbetrag (floor) gelingt, der ihm eine gewisse Stimmenmacht in der Gesellschaft vermittelt (z. B. Beteiligung von mind. 15 % des erhöhten Grundkapitals). Zum Teil behalten sich die Aktionäre auch vor, von der Übernahmeverpflichtung erfasste nicht bezogene Aktien nicht unmittelbar zu übernehmen, sondern zunächst für ein Rump Placement an andere Investoren durch die Emissionsbanken frei zu geben (waived rump shares). Erst wenn dies nicht gelingen sollte, greift die Back Stop-Verpflichtung. Damit können sie bei entsprechender Investorennachfrage ihren eigenen Mitteleinsatz reduzieren, ohne die Absicherung für die Emissionsbanken zu schmälern. Dass die garantierenden Aktionäre ein Interesse an der Begrenzung ihres Aufwands im Zusammenhang mit dem Bezug oder der Übernahme der Aktien haben, leuchtet unmittelbar ein. Jedoch verlangen Investoren zunehmend für ihre Teilnahmegarantie eine Provision. Dort, wo diese Forderung erhoben wird, zahlen – soweit ersichtlich – überwiegend die Emissionsbanken dem Aktionär eine Vergütung in Form eines niedrigen einstelligen Prozentsatzes des garan-
__________ 12 Vgl. dazu Haag in Habersack/Mülbert/Schlitt (Fn. 4), § 23; Meyer (Fn. 3), § 8 Rz. 104 ff.; Singhof, Die Außenhaftung von Emissionskonsorten für Aktieneinlagen, 1998, S. 45 ff. 13 Der Begriff bezeichnet eigentlich die Situation, in der die Emissionsbank bei einer Umplatzierung bestehender Aktien einen Mindestpreis (back stop) garantiert; vgl. Wolf in Habersack/Mülbert/Schlitt (Fn. 4), § 6 Rz. 14. 14 Vgl. aber die Veröffentlichung der News Adelaide Holdings B.V. v. 30.1.2009 über eine entsprechende Befreiung im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung der Premiere AG unter www.bafin.de sowie Seiler, Corporate Finance law 2010, 102.
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tierten Übernahmevolumens15. Dies entspricht der Praxis bei der Unterbeteiligung weiterer Emissionsbanken am Übernahmerisiko, für die diese eine Sub-Underwriting Fee erwarten. Teilweise hat aber auch schon die Gesellschaft selbst eine solche Provision geleistet. Bekannt geworden ist das in einem „Aufstockungsfall“, in dem die Zahlung der Vergütung ähnlich einer „Break Fee“ auf den Fall beschränkt wurde, dass der Investor trotz erfolgreicher Durchführung der Kapitalerhöhung keine (zusätzlichen) Aktien erworben oder eine bestimmte Beteiligungsschwelle verfehlt hat16. Mit der Verpflichtung zur weiteren Übernahme von Aktien einher geht auch das Bestreben des Aktionärs, den gesamten Prozess der Vorbereitung der Kapitalerhöhung von der vertraglich garantierten Auswahl der Emissionsbanken bis hin zur Bezugspreisfestlegung mitzugestalten. Dringlicher scheint demgegenüber das Bedürfnis, mit einer signifikant aufgestockten Beteiligung zukünftig im Aufsichtsrat vertreten zu sein und dies für das Erreichen bestimmter Beteiligungshöhen – im Rahmen des rechtlich möglichen – vertraglich abzusichern. Angesichts der erheblichen (und langfristigen) Mittelbindung zur Rettung der Gesellschaft ist auch nachvollziehbar, dass der garantierende Aktionär die zukünftige Geschäftspolitik und strategischen Unternehmensziele zur nachhaltigen Verwirklichung des „turn around“ beeinflussen will. Im Gegenzug wird die Übernahmeverpflichtung oftmals mit einer Lock-up-Vereinbarung kombiniert. Darin verpflichtet sich der Aktionär für sechs bis zwölf Monate, keine Aktien zu veräußern oder ökonomisch vergleichbare Transaktionen vorzunehmen17, was seine nachhaltige Unterstützung der Gesellschaft unterstreicht. c) Bezugsrechtsverzicht, Vorabplatzierung Regelungsbedarf entsteht auch, wenn ein maßgeblich beteiligter Aktionär mangels eigener Liquidität nicht an der Kapitalerhöhung teilnehmen kann. Anders als in den vorstehend beschriebenen Fällen trägt er zwar nicht unmittelbar zur Sicherung der Transaktion bei, allerdings kann auch eine solche „bezugsrechtsfreie Tranche“ zum Gelingen der Platzierung eingesetzt werden. In einer Nichtausübungserklärung erklärt der Aktionär unwiderruflich, seine Bezugsrechte nicht auszuüben und nicht an Dritte zu übertragen, oder überträgt in einem Abtretungsvertrag die Bezugsrechte auf die Emissionsbanken (§§ 398, 413 BGB)18. Eine signifikante Platzierung bei neuen institutionellen Investoren wird so erreicht, ohne die Bezugsrechtskapitalerhöhung mit einer im Volumen begrenzten, bezugsrechtsfreien Tranche (gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG) kombinieren zu müssen19. Zu einem Verzicht werden die Aktio-
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15 Vgl. den Prospekt der Premiere AG v. 6.4.2009, S. 48. 16 Vgl. Prospekt der Infineon Technologies AG v. 16.7.2009, S. 33; dazu Gillessen in F.A.Z. Nr. 215 v. 16.9.2009, S. 21. 17 Siehe etwa den Prospekt der Infineon Technologies AG v. 16.7.2009, S. 34. Näher dazu Fleischer, WM 2002, 2305; Singhof/Weber in Habersack/Mülbert/Schlitt (Fn. 4), § 3 Rz. 36 ff. 18 Vgl. Bezugsangebot der Continental AG (Januar 2010) einerseits und das Bezugsangebot der Volkswagen AG vom März 2010 andererseits. 19 Vgl. Herfs in Habersack/Mülbert/Schlitt (Fn. 4), § 4 Rz. 11.
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näre aber regelmäßig nur bereit sein, wenn ihr Bezugsrecht keinen oder nur einen sehr geringen Wert hat (späte Bezugspreisfestlegung „at market“ gemäß § 186 Abs. 2 AktG) oder sie ein angemessenes Bezugsrechtsentgelt erhalten20. Relevant geworden ist diese Gestaltungsvariante in jüngerer Vergangenheit indessen vor allem bei Sanierungskapitalerhöhungen, in deren Rahmen Gesellschaften größere Pakete nicht bezogener Aktien im Wege einer „Vorabplatzierung“ kurz vor Beginn der Bezugsfrist an institutionelle Drittinvestoren verkauft haben21. Das Interesse neuer Investoren kann bei einem Volumen von rund 60–70 % „freien“ Aktien vorbehaltlich der Bezugsrechte der übrigen Aktionäre sogar für eine Platzierung der Bezugsrechtskapitalerhöhung insgesamt genutzt werden. Das zugrundeliegende beschleunigte Bookbuilding-Verfahren ist auch Grundlage für die Bestimmung des Bezugspreises22. Um sicher zu stellen, dass dieser möglichst marktnah festgelegt wird, behalten sich die Großaktionäre in der Nichtausübungserklärung oder im Abtretungsvertrag zum Teil vor, dass ein bestimmter Angebotspreis nicht unterschritten werden darf bzw. die Preisfestlegung von ihrer Zustimmung abhängt. Bei dieser Vorabplatzierung erwarten die Investoren allerdings eine Lieferung der erworbenen „freien“ Aktien nicht erst am Ende der Bezugsfrist (deferred settlement), sondern innerhalb der üblichen Lieferfrist (T+2). Um die neuen Aktien frühzeitig liefern zu können, ist in der Regel eine Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung (§ 188 Abs. 1 AktG) bereits am Beginn der Bezugsfrist erforderlich23.
III. Aktienrechtliche Rahmenbedingungen Die grundsätzliche Zulässigkeit von Aktionärsvereinbarungen, die mit dem vorstehend skizzierten Regelungsgehalt eine Mitwirkungspflicht des Aktionärs an der Kapitalerhöhung verbindlich festlegen, ist nicht zweifelhaft und ergibt sich aus der allgemeinen Vertragsfreiheit24. Allerdings sind beim Abschluss ggf. zwingende formale und für einzelne der vorstehend beschriebenen Regelungen inhaltliche Vorgaben zu beachten, die sich aus dem Aktienrecht ergeben.
__________ 20 Zutreffend Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2179. 21 Vgl. das Bezugsangebot der HeidelbergCement AG (September 2009) und der Continental AG (Januar 2010); siehe aber auch das Bezugsangebot der Volkswagen AG (März 2010). 22 Vgl. die Pressemitteilung der Continental AG v. 12.1.2010 („Bookbuilding für neue Continental-Aktien erfolgreich abgeschlossen“). 23 Von Vorteil ist es auch, wenn Vereinbarungen mit bestimmten Aktionären (mit mehr als 10 % Anteilsbesitz) getroffen werden können, um die in einem Prozessvergleich eingeräumten Mehrbezugsrechte hinsichtlich nicht bezogener neuer Aktien für den Fall des Überbezugs abzusichern. Vgl. die Bekanntmachung der IKB gemäß §§ 248a, 149 Abs. 2 AktG über einen Vergleich mit versch. Anfechtungsklägern, abgedr. in Handelsblatt Nr. 142 v. 24.7.2008, S. 17, der eine „best efforts“-Verpflichtung zu einem solchen Vertragsschluss enthält. 24 Vgl. Weiand/Schlitt/Behrends in GS Bosch (Fn. 3), S. 239, 244; von Riegen, Corporate Finance law 2010, 1, 6.
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1. Bezugs- und Übernahmegarantie a) Vertragstypus, Formerfordernisse, inhaltliche Anforderungen Bei einer Bezugs- und Übernahmegarantie handelt es sich unabhängig von der Rechtskonstruktion in der Regel um einen Vorvertrag, der die Verpflichtung zum Abschluss eines Hauptvertrags zum verbindlichen Bezug oder Erwerb der neuen Aktien enthält. Nach allgemeinen Regeln muss er somit den Umfang der Verpflichtung aus dem abzuschließenden Hauptvertrag bestmöglich erkennen oder zumindest bestimmbar werden lassen, so dass der Inhalt dieses Vertrages aus dem Vorvertrag hergeleitet werden kann25. Nach welchen weiteren Kautelen sich diese vorvertragstypische Verpflichtung richtet, hängt davon ab, auf welchen Hauptvertrag sie ausgerichtet ist und mit welchem Vertragspartner sie abgeschlossen wird (vgl. § 125 BGB). So entspricht es allgemeiner Meinung, dass ein Vorvertrag mit der Gesellschaft, der zur Abgabe eines Zeichnungsscheins (§ 185 AktG) bzw. Abschluss eines Zeichnungsvertrags verpflichten soll, den formalen und inhaltlichen Anforderungen des § 185 AktG weitgehend genügen muss26. Vor diesem Hintergrund orientiert sich auch die schriftliche Festbezugs- und Übernahmeerklärung – wie erwähnt – nach Inhalt und Form häufig eng an der Gestaltung eines Zeichnungsscheins. Sie enthält dann weitgehend die in § 185 Abs. 1 AktG verlangten individuellen und allgemeinen Angaben zu dem Aktionär und der Kapitalerhöhung und vermeidet aufgrund der in § 185 Abs. 2 AktG niedergelegten Bedingungsfeindlichkeit Vorbehalte („unbedingt und unwiderruflich“). Insbesondere sieht sie auch eine Begrenzung der Laufzeit (§ 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AktG) vor, nach deren Ablauf die Verpflichtung unverbindlich wird. Dies mag zur Minimierung von Nichtigkeitsrisiken durchaus berechtigt sein, wenn man bedenkt, dass eine Bezugserklärung beim unmittelbaren Bezugsrecht nur die Absicht zum Abschluss eines Zeichnungsvertrags bekundet, ohne dazu bereits zu verpflichten27. Die rechtsverbindlichen Festlegungen im Vorfeld zielen dann unmittelbar auf die Zeichnung. Die hier interessierenden Bezugsrechtsemissionen börsennotierter Unternehmen werden in der Regel jedoch von Emissionsbanken abgewickelt, die die Aktien mit der Verpflichtung übernehmen, sie den Aktionären zum Bezug anzubieten (mittelbares Bezugsrecht gemäß § 186 Abs. 5 AktG). Nur so lässt sich vermeiden, dass bei Publikumsgesellschaften mit einem unüberschaubaren Aktionärskreis die rechtliche Durchführbarkeit der Kapitalerhöhung vom Zeichnungsverhalten der einzelnen Aktionäre abhängt28. Dieses mittelbare Bezugsrecht erstreckt sich dann grundsätzlich auf die gesamte Kapitalerhö-
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25 Vgl. BGH, NJW 1990, 1234, 1235; BGH, NJW-RR 1993, 139, 140; für Zeichnungsvorverträge siehe auch Blaurock in FS Rittner, 1991, S. 33, 37; Leßmann, DB 2006, 1256, 1256 f. 26 Siehe dazu OLG Frankfurt/M., DStR 2001, 1673; Blaurock in FS Rittner (Fn. 25), S. 33, 37 ff.; Hergeth/Eberl, NZG 2003, 205; Leßmann, DB 2006, 1256, 1256; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 185 Rz. 31; krit. Servatius in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 185 Rz. 48 f. 27 Vgl. Busch in Marsch-Barner/Schäfer (Fn. 3), § 42 Rz. 54. 28 Statt anderer Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2178 m. w. N.; Singhof (Fn. 12), S. 36 f.
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Aktionärsvereinbarungen bei Kapitalerhöhungen
hung28a. Eine unmittelbare Zeichnung durch einzelne, maßgeblich beteiligte Aktionäre gemäß § 185 AktG ist daher äußerst selten zu beobachten. Daraus erschließt sich, dass hier der mit der Gesellschaft abgeschlossene Vorvertrag zur Zeichnung bei börsennotierten Unternehmen keine Rolle spielt. Bei dem mittelbaren Bezugsrecht wird das Bezugsangebot der Emissionsbanken von den Aktionären angenommen, und anders als die Bezugserklärung nach § 186 Abs. 1 und Abs. 2 AktG ist diese einen Kaufvertrag begründende Annahme auch bindend, da ein weiterer Zeichnungsvertrag nicht erforderlich ist29. Die Anforderungen an die Zeichnung kommen beim Zweiterwerb nicht mehr zum Tragen, da das Zeichnungsverfahren als „körperschaftlich relevanter Gestaltungsakt“ im Zeitpunkt des Aktienerwerbs bereits vollständig durchlaufen wurde30. Stellt man somit zur Bestimmung der Anforderungen an den Vorvertrag auf den abzuschließenden Hauptvertrag ab, kann die Nichtbeachtung der für einen Zeichnungsschein geltenden formellen und inhaltlichen Wirksamkeitserfordernisse nicht die Nichtigkeit der Festbezugs- und Übernahmeerklärung analog § 185 Abs. 2 AktG zur Folge haben31. Da der Kaufvertrag als reiner Austauschvertrag nicht formgebunden ist, unterliegt auch die auf seinen Abschluss ausgerichtete Festbezugs- und Übernahmeerklärung keinen strengeren Anforderungen. Abgesehen davon wird es regelmäßig auch nicht gelingen, eine vorbehaltsfrei an § 185 AktG orientierte „Reinform“ durchzuhalten, ohne die Funktion einer Bezugs- oder Übernahmegarantie im Vorfeld der Kapitalerhöhung zu entwerten. Wie bereits angedeutet, soll die Erklärung Transaktionssicherheit gewährleisten und schafft damit häufig erst die Voraussetzung für die (spätere) Beschlussfassung (§§ 182, 204 AktG) und unmittelbar anschließende Ad-hocMitteilung (§ 15 WpHG) über die Kapitalerhöhung. Diese Aufgabe kann die Erklärung nicht erfüllen, wenn sie in ein zu enges formales und inhaltliches Korsett gepresst wird. Wegen der frühzeitigen Abgabe stehen damit – insbesondere bei Direktkapitalerhöhungen aufgrund eines Beschlusses einer (außerordentlichen) Hauptversammlung32 – eine Reihe von festzusetzenden Details noch gar nicht fest. Unter Umständen lässt dies z. B. nur eine volumenmäßige Verpflichtung in einem Euro-Betrag zu. Umgekehrt haben die Aktionäre insbesondere in einer Sanierungssituation ein legitimes Interesse daran, aus der Erklärung nicht unbedingt, sondern nur vorbehaltlich der Erfüllung bestimmter anderer Voraussetzungen (z. B. Erfüllung von Sanierungsauflagen, Mitziehen anderer signifikant beteiligter Aktionäre aus ihren entsprechenden Erklärungen; Erreichen einer Mindestbeteiligungsschwelle; Fehlen gerichtlicher
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28a Zur Zulässigkeit einer einheitlichen Kapitalerhöhung mit teils mittelbarem und teils unmittelbarem Bezugsrecht statt anderer Busch (Fn. 27), § 42 Rz. 55 (h. M.). 29 Busch (Fn. 27), § 42 Rz. 64 m. w. N.; Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2179. 30 Zur Privilegierung des derivativen Erwerbs siehe schon Blaurock in FS Rittner (Fn. 25), S. 33, 48 ff. 31 Terminologisch unklar Vaupel/Reers, AG 2010, 93, 98 („Bezugsverpflichtung“, „Zeichnungsgarantie“ bzw. „Zeichnungsvorvertrag“), sowie Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 135 („Zeichnungsverpflichtung“). 32 Vgl. den Prospekt der Conergy AG v. 14.11.2008 und KarstadtQuelle AG v. 26.11. 2004.
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Verfahren gegen den Kapitalerhöhungsbeschluss; Nichtausübung von Kündigungsrechten der Emissionsbanken) verpflichtet zu sein33. Festbezugs- und Übernahmeerklärungen sind daher ebenso wie Back Stop-Vereinbarungen selten im Sinne von § 185 Abs. 2 AktG uneingeschränkt vorbehaltsfrei. b) Zulässigkeit der Bezugszusage Keiner vertieften Analyse bedarf die Feststellung, dass die üblichen Festbezugs- und Übernahmeerklärungen oder Back Stop-Vereinbarungen mit (§ 203 Abs. 1 Satz 1 i. V. m.) § 187 AktG vereinbar sind, wenn die Gesellschaft Vertragspartei ist. Nach Absatz 1 dieser Bestimmung können Rechte auf den Bezug neuer Aktien nur unter dem Vorbehalt des Bezugsrechts der Aktionäre zugesichert werden34. Dies ist bei einer „Vorverpflichtung“ zum Bezug der eigenen Quote ohne weiteres der Fall. Aber auch die Übernahmeverpflichtungen greifen nach ihrem üblichen Wortlaut erst, wenn die anderen Aktionäre von einem ihnen wirksam eingeräumten Bezugsrecht keinen Gebrauch gemacht haben. Anerkannt wird in den Vereinbarungen somit, dass insoweit keine bestimmte Beteiligungshöhe nach Durchführung der Kapitalerhöhung zugesagt werden kann35. § 187 Abs. 2 AktG bedeutet lediglich, dass Zusicherungen vor dem Beschluss über die Erhöhung des Grundkapitals der Gesellschaft gegenüber unwirksam sind36. Dies schützt die Entscheidungsfreiheit der Gesellschaft, da ihre Zusicherung kraft Gesetzes unter dem Vorbehalt der Durchführung der Kapitalerhöhung steht. Damit wird auch deutlich, dass mit Annahme durch die Gesellschaft (nur) ein einseitig verpflichtender Vorvertrag zustande kommt, da er keine Verpflichtung der Gesellschaft zur Durchführung der Kapitalerhöhung begründet37. Dass der Aktionär mithin hierauf keinen Anspruch hat, macht seine einseitige Verpflichtung zur Übernahme neuer Aktien, falls es zur Beschlussfassung über die Kapitalerhöhung kommt, aber nicht unwirksam38. c) Zuteilung nicht bezogener Aktien an den Garanten Fraglich kann jedoch sein, ob der Vorstand pflichtgemäß handelt, wenn er einem oder wenigen Aktionären unmittelbar oder mittelbar über das Emissions-
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33 Vgl. auch Weiand/Schlitt/Behrends in GS Bosch (Fn. 3), S. 239, 247 f. 34 Str. ist, ob der Vorbehalt ausdrücklich oder konkludent erklärt werden muss oder kraft Gesetzes besteht; vgl. zum Meinungsstand Hüffer (Fn. 26), § 187 AktG Rz. 4. 35 Auf die zwischen der Emissionsbank und den Aktionären geschlossenen Verträge über den Bezug der neuen Verträge soll § 187 AktG nicht anwendbar sein; Servatius (Fn. 26), § 187 Rz. 8; Pfeifer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2000 ff., § 187 Rz. 7. Allerdings würde sie jedenfalls ihre Verpflichtung aus § 186 Abs. 5 AktG verletzen, wenn sie einem Aktionär vorrangige Rechte einräumte. 36 Bei genehmigtem Kapital kann auf die Eintragung ins Handelsregister abgestellt werden, wenn bereits der Ermächtigungsbeschluss den Bezugsrechtsausschluss enthält; vgl. Hüffer (Fn. 26), § 203 AktG Rz. 13. 37 Vgl. zum Zeichnungsvertrag Busch (Fn. 27), § 42 Rz. 98; Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1986 ff., § 187 Rz. 15, § 185 Rz. 29, 34; Wiedemann in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1992 ff., § 185 Rz. 35, § 188 Rz. 51. 38 Vgl. Wiedemann (Fn. 37), § 185 Rz. 82; Hergeth/Eberl, NZG 2003, 205, 206.
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konsortium von vornherein ermöglicht, nicht bezogene Aktien über die eigene Quote hinaus zu erwerben, und andere Aktionäre damit bei diesem Mehrbezug nicht zum Zuge kommen. Besonders augenfällig wird dies, wenn der Mehrbezug dem Aktionär eine wesentliche Aufstockung seiner Beteiligung auf 25 % oder mehr ermöglicht. Außerdem verzichtet die Gesellschaft auf eine Platzierung nicht bezogener Aktien zu einem über dem Bezugspreis liegenden Kurs. Dies berührt die Neutralitätspflicht und Gleichbehandlung (§ 53a AktG) sowie die Pflicht zu bestmöglicher Verwertung. aa) Neutralität, Gleichbehandlung Anders als im übernahmerechtlichen Kontext ist anerkannt, dass der Vorstand bei der Verwertung nicht bezogener Aktien Neutralität zu wahren hat39. Allgemein begründet die Neutralitätspflicht eine Pflichtenbindung des Vorstands bei der Ermessensausübung, die sich auf Struktur und Zusammensetzung der Aktionäre und etwaige Beteiligungsveränderungen auswirkt. Jedoch sind an den Handlungsrahmen des Vorstands insoweit keine überspannten Anforderungen zustellen. Ihm sollte es nur dann verwehrt sein, Einfluss auf die Zusammensetzung des Aktionärskreises und auf die Machtverteilung in der Hauptversammlung zu nehmen, wenn er sich dabei nicht vom Interesse der Gesellschaft, sondern von eigennützigen Motiven (Sicherung und Verfestigung der eigenen Position) leiten lässt40. Es ist eine wichtige Aufgabe des Vorstands der börsennotierten Gesellschaft, sich ständig um die Attraktivität der Aktie und das Standing der Gesellschaft am Kapitalmarkt zu bemühen (Investor Relations)41. Dazu gehören die Pflege von bestehenden Aktionärsbeziehungen und die Suche nach neuen Investoren, die im Zusammenhang mit anstehenden Kapitalerhöhungen auf den üblichen Road Shows und in Einzelgesprächen (One-on-Ones) intensiviert werden42. Wenn dies dem Unternehmensinteresse dient, muss der Vorstand in der Lage sein, den Aktionärskreis zu optimieren, also z. B. verstärkt internationale Investoren anzusprechen, Aktienkapital entsprechend der geschäftlichen Aktivitäten zu platzieren oder strategische Allianzen einzugehen, ohne dem Vorwurf kompetenzwidrigen Verhaltens ausgesetzt zu sein43. Letztlich sind dies Erwägungen, die der Vorstand bei jeder Entscheidung über die Ausnutzung des genehmigten Kapitals unter Ausschluss des Bezugsrechts anstellen muss44. Selbst in einer Übernahmesituation hat der
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39 Busch (Fn. 27), § 42 Rz. 67; Lutter (Fn. 37), § 186 Rz. 113; Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2183. 40 Vgl. Cahn, ZHR 163 (1999), 554, 590; Martens in FS Beusch, 1993, S. 529, 543; Schießl AG 2009, 385, 386; von Riegen, Corporate Finance law 2010, 1, 2; siehe auch BGH, AG 2008, 164, 165. 41 Vgl. Martens in FS Beusch (Fn. 40), S. 529, 543 f.; Cahn, ZHR 163 (1999), 554, 590; Claussen in Semler/Peltzer, Arbeitshandbuch für Vorstandsmitglieder, 2005, § 3 Rz. 28 ff., 106 ff., 305 ff.; Schiessl, AG 2009, 385, 387. 42 Siehe dazu Singhof/Weber (Fn. 17), § 3 Rz. 42. 43 Vgl. Mertens/Cahn in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004 ff., § 76 Rz. 25; Martens in FS Beusch (Fn. 40), S. 529, 548; in diesem Sinne auch Kiem, AG 2009, 301, 305 f.; Schiessl, AG 2009, 385, 387; von Riegen, Corporate Finance law 2010, 1, 2. 44 Zutreffend Kiem, AG 2009, 301, 306.
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Vorstand noch Handlungsfreiheit und kann sich um konkurrierende Bieter bemühen (§ 33 Abs. 1 Satz 2 WpÜG). Nichts anderes kann gelten, wenn es darum geht, wer nicht bezogene Aktien aufnimmt, um den zur Stärkung des Eigenkapitals dringend notwendigen Mittelzufluss zu sichern. Unter Umständen erweist es sich als existenzsichernd, wenn finanzstarke Aktionäre über ihre Quote hinaus mitziehen und durch Zuführung neuer Geldmittel die Gesellschaft stabilisieren. Die Ansprache dieser Aktionäre ist aber auch davon unabhängig Teil der Finanzierungsverantwortung des Vorstands, die ihm abverlangt, alle in Betracht kommenden Möglichkeiten der Kapitalbeschaffung zu verfolgen45. Dies kommt auch den übrigen Aktionären zugute, die vor einem Totalverlust ihres Investments bewahrt werden oder vom Mittelzufluss zur Verwirklichung der unternehmerischen Konzeption profitieren. Die Vereinbarung einer Übernahmeverpflichtung für nicht bezogene Aktien kann daher als solche keinen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht darstellen. Aber auch in weniger kritischen Fällen können die Schließung einer Kapitallücke, die Gewinnung eines langfristig orientierten Großaktionärs sowie Kosten- und Transaktionsvorteile hinreichende Rechtfertigung sein. Die erforderliche Transaktionssicherheit durch den garantierten Mittelzufluss lässt sich eben nur durch ein entsprechendes Garantievolumen und eine frühzeitige Vereinbarung mit einem oder mehreren maßgeblich beteiligten Aktionären erreichen. Häufig steht und fällt hiermit die Durchführbarkeit der Kapitalerhöhung. Die Einräumung eines Mehrbezugsrechts für die Kleinaktionäre bietet keine gleichwertige Sicherheit, da ein Mehrbezug nicht in kurzer Zeit – zumal im Vorfeld – massenhaft individuell vereinbart werden kann und die Höhe des Mehrbezugs somit erst am Ende der Bezugsfrist feststehen wird. Kritisch zu hinterfragen sind daher allenfalls bestimmte Ausgestaltungen der Bezugsrechtskapitalerhöhung: So können die Konditionen des Bezugsrechts bewusst so ausgestaltet werden, dass seine Ausübung für die anderen Aktionäre wirtschaftlich wenig attraktiv ist, um die (erwartungsgemäß) nicht bezogenen Aktien anschließend gemäß einer Vorabsprache dem Aktionär zuzuteilen. Problematisch ist dies, wenn mit der antezipierten Erfüllung der Übernahmeverpflichtung das Überschreiten relevanter Schwellen verbunden ist. Allerdings hat der Vorstand insoweit einen weiten Spielraum, der nur die gezielte Quotenveränderung ohne sachliche Gründe ausschließt46. An mögliche Erschwerungen des Bezugsrechts ist der Maßstab des faktischen Bezugsrechtsausschlusses anzulegen47. Nicht schädlich ist, wenn die Aktien vor dem Hintergrund der vollständigen Übernahmegarantie nicht mit einem (wesentlichen)
__________ 45 Vgl. zur Finanzierungsverantwortung Hopt in Großkomm.AktG (Fn. 37), § 93 Rz. 96; Fleischer in Spindler/Stilz (Fn. 26), § 76 Rz. 18 u. § 93 Rz. 53. 46 Zur Unzulässigkeit des Bezugsrechtsausschlusses zur gezielten Quotenveränderung Cahn, ZHR 163 (1999), 554, 588; Groß, DB 1994, 2431, 2439; Marsch-Barner, AG 1994, 532, 540; Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67, 72; Schwark in FS Claussen, 1997, S. 357, 374; Trapp, AG 1997, 115, 115 f. 47 Dazu Busch (Fn. 27), § 42 Rz. 91; Hüffer (Fn. 26), § 186 Rz. 43; Kraft/Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 56 Rz. 100; Wiedemann (Fn. 37), § 186 Rz. 176 ff.
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Abschlag vom Börsenpreis, sondern „at market“ ausgegeben werden, da die Aktionäre keinen Anspruch auf eine Werthaltigkeit ihrer Bezugsrechte haben48. Fehlt nur der Bezugsrechtshandel, ist das Bezugsangebot nicht ohne weiteres unzulässig, wenn die Bezugsrechte keinen signifikanten rechnerischen Wert haben und das Bezugsverhältnis typischerweise den Bezug ohne Zuerwerbe gestattet49. Die Gesellschaft muss in diesem Fall auch nicht für eine Vermittlung des An- und Verkaufs von Bezugsrechten über die begleitende Emissionsbank sorgen oder den Zuerwerb weiterer Aktien ermöglichen (Mehrbezug), bevor sie die Zuteilung nicht bezogener Aktien an den garantierenden Aktionär vornimmt. In Bezug auf den Kreis möglicher Garanten kann das Auswahlermessen des Vorstands aber eingeschränkt sein: Haben sich mehrere gleichwertig geeignete Aktionäre zur Übernahme nicht bezogener Aktien erboten, wird der Vorstand nicht nur einseitig die Übernahmegarantie eines Aktionärs in Anspruch nehmen dürfen, es sei denn, zusätzliche Auswahlgesichtspunkte rechtfertigen dies50. bb) Verpflichtung zu bestmöglicher Verwertung Bei einer Übernahmeverpflichtung von Aktionären kann zudem fraglich sein, ob der Vorstand trotz der Garantie einzelner Aktionäre zunächst zur bestmöglichen Verwertung51 der nicht bezogenen Aktien (rump) zu einem über dem Bezugspreis liegenden Preis im Rahmen einer Privatplatzierung verpflichtet bleibt, bevor er sie den garantierenden Aktionären zuteilen darf. Grundsätzlich anerkannt ist die Wahlmöglichkeit des Vorstands, den gesicherten Emissionserlös zum Bezugspreis durch ein hard underwriting höher zu werten als die ungewisse Möglichkeit, einen höheren Platzierungspreis für nicht bezogene Aktien zu erzielen. Bei seiner Ermessensausübung muss der Vorstand die Wahrscheinlichkeit des Bezugs, Chancen und Risiken der aktiven Verwertung nicht bezogener Aktien mit der durch die Absicherung zum Bezugspreis gewonnenen Transaktionssicherheit ins Verhältnis setzen, um festzustellen, wodurch dem Finanzierungsinteresse der Gesellschaft besser Rechnung getragen wird. Entscheidet sich der Vorstand für ein hard underwriting der neuen Aktien durch Emissionsbanken, ist die Platzierung mit dem Ende der Bezugsfrist abgeschlossen und das Verwertungsrisiko wirksam auf die Emissionsbanken übertragen52. Die Emissionsbanken sind in der anschließenden Verwertung der Aktien grundsätzlich frei. Diese Situation unterscheidet sich nicht wesentlich von der Übernahmegarantie durch einen Großaktionär, für die die gleiche Risikoabwägung angestellt werden kann. Häufig wird auch nur eine realistische Aussicht auf eine Aufstockung der Beteiligung die Bereit-
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48 Ob umgekehrt eine Ausgabe deutlich über dem aktuellen Börsenkurs zulässig ist, wenn der nach anerkannten Bewertungsmethoden ermittelte Wert pro Aktie darüber liegt, ist zweifelhaft; vgl. Kraft/Krieger (Fn. 47), § 56 Rz. 100; in alternativlosen Sanierungssituationen befürwortend Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 138. 49 Vgl. Busch (Fn. 27), § 42 Rz. 64. 50 Vgl. dazu auch Cahn, ZHR 163 (1999), 554, 590. 51 Diese Verpflichtung grundsätzlich andeutend BGH, ZIP 1995, 1177, 1178. 52 Busch (Fn. 27), § 42 Rz. 67.
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schaft zur Abgabe einer Übernahmegarantie auslösen. Der Vorstand muss daher auch hier keine besonderen Anstrengungen mehr unternehmen, um einen bestmöglichen Emissionserlös zu erzielen, sondern kann die nicht bezogenen Aktien dem garantierenden Aktionär direkt zum Bezugspreis zuteilen53. 2. Entgeltregelungen Bis vor wenigen Jahren nicht zu beobachten, kommt es in jüngerer Vergangenheit häufiger vor, dass die Aktionäre für ihre Bereitschaft zum Festbezug bzw. zur Übernahme weiterer Aktien – zumal wenn sie weit im Vorfeld der Kapitalerhöhung erklärt wird – von den Emissionsbanken oder der Gesellschaft in den oben erwähnten Gestaltungsvarianten ein Entgelt verlangen. Es bedarf keiner weiteren Darlegung, dass davon unmittelbar der Anwendungsbereich von §§ 57, 71a AktG (Verbot der Einlagenrückgewähr bzw. der finanziellen Unterstützung des Aktienerwerbs) sowie – wegen des rechnerisch abweichenden Bezugspreises – von §§ 53a, 243 Abs. 2 AktG (Verbot der Ungleichbehandlung bzw. Gewährung von Sondervorteilen) berührt wird. Da jedoch für eine etwaige Rechtfertigung unter allen Vorschriften letztlich dieselben Gründe heranzuziehen sind, konzentriert sich die Darstellung im Folgenden auf eine mögliche verbotene Einlagenrückgewähr bzw. finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs. a) Leistungsgewährung durch die Gesellschaft aa) Verbotene Einlagenrückgewähr Nach § 57 AktG darf eine Aktiengesellschaft ihren Aktionären die Einlagen weder offen noch verdeckt zurückgewähren. § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG wird als umfassendes Verbot jeglichen Vermögenstransfers von der Gesellschaft an den Aktionär verstanden. Bis auf wenige Ausnahmen ist allein die gemäß § 174 Abs. 2 Nr. 2 AktG beschlossene Ausschüttung eines Bilanzgewinns vom Verbot der Einlagenrückgewähr befreit. Dieser Bindung des gesamten Vermögens des Rechtsträgers widerspricht grundsätzlich jede Auskehr eines vermögenswerten Vorteils an den Gesellschafter, der nicht Bilanzgewinn ist54. Die Vereinbarung und Erfüllung einer Entgeltregelung mit einem Aktionär für die Zeichnung neuer Aktien gewährt unmittelbar einen vermögenswerten Vorteil. Denn sie bewirkt einen Rückfluss an den Aktionär bzw. rechnerischen Abzug vom Bezugspreis. Tatsächlich muss der Aktionär somit weniger Barmittel pro Aktie aufwenden als die übrigen Aktionäre. Andererseits ist anerkannt, dass nicht jede Vermögenszuwendung an einen Aktionär mit einer nach § 57 AktG verbotenen Einlagenrückgewähr gleichzusetzen ist. Nach herrschender Mei-
__________ 53 Dies wohl auch andeutend Schiessl, AG 2009, 385, 389; Weiand/Schlitt/Behrends in GS Bosch (Fn. 3), S. 239, 244; von Riegen, Corporate Finance law 2010, 1, 6. 54 Vgl. dazu Bayer in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008 ff., § 57 Rz. 7 ff., 11, 25; Cahn/ Senger in Spindler/Stilz (Fn. 26), § 57 Rz. 14 f.; Henze in Großkomm.AktG (Fn. 37), § 57 Rz. 8 f., 11.
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nung darf die Gesellschaft mit ihren Aktionären Rechtsgeschäfte eingehen, solange diese wie mit einem Dritten abgeschlossen werden, also durch die Aktionärsstellung nicht beeinflusst sind55. Der relevante Maßstab hierfür ist, ob die Gesellschaft die Transaktion mit einem Nichtaktionär unter gleichen Umständen und zu gleichen Konditionen eingehen würde. Die Erfüllung eines „drittgleichen“, d. h. zu marktüblichen Konditionen zwischen der Gesellschaft und dem Aktionär geschlossenen, Geschäfts ist mithin erlaubt. (1) Vergleichbares Drittgeschäft? Für die beschriebene Leistungsgewährung wird in den bisherigen Stellungnahmen mit wenig Begründungsaufwand angeführt, dass sich die Gesellschaft mit Festbezugs- und Übernahmegarantien von Aktionären nur eine „Versicherung“ für die Durchführung der Kapitalerhöhung kaufe, die sie im Grundsatz auch anderweitig erlangen könne. Diese „marktgängige Dienstleistung“ böten auch Investmentbanken an, wenn sie die neuen Aktien auf eigenes Risiko übernehmen (hard underwriting) und sich dies auch gesondert vergüten lassen56. Fraglich erscheint jedoch, ob dieser Vergleich möglich ist, da der Aktionär als (dauerhafter) Eigenkapitalgeber in einer Sanierungssituation nicht zuletzt zur Sicherung seines bereits getätigten Investments bzw. Abwendung eines Totalverlusts handelt, während die Emissionsbanken als „transitorischer Treuhänder“ der Aktionäre auch ein hard underwriting nur nach sorgfältiger Risikoabwägung in der Erwartung einer kurzfristigen Weiterplatzierung der Aktien eingehen. Die Zahlung der zur Kapitalerhöhung erforderlichen Beträge durch den Aktionär ist anders als bei den Emissionsbanken nicht Teil einer Dienstleistung, sondern eine Entscheidung für eine Investition oder Kapitalanlage57. Diese Interessenlagen unterscheiden sich so stark, dass sie kaum substituierbar erscheinen. Die Gesellschaft wendet sich an den Aktionär auch und gerade wegen seiner Aktionärseigenschaft (causa societatis)58, da sie sich von der Mitteilung über die zugesagte Teilnahme an der Kapitalerhöhung eine Festübernahme der Emissionsbanken und dadurch positive Auswirkungen für die gesamte Kapitalerhöhung erhofft. Auch wenn man für die Entgeltleistung nur auf die Übernahme zusätzlicher Aktien abstellt und sie mit der Platzierungsgarantie eines Neuinvestors vergleicht, hilft dies nicht weiter, da es für die Anwendbarkeit von § 57 AktG keinen Unterschied macht, ob die Aktionärseigenschaft im Zeitpunkt des Vermögenstransfers schon besteht oder erst angebahnt wird, solange ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang
__________ 55 BGH, WM 1995, 1250, 1251; Lutter (Fn. 37), § 57 Rz. 15; Henze (Fn. 54), § 57 Rz. 25; Bayer (Fn. 54), § 57 Rz. 26. 56 Gillessen, in F.A.Z. Nr. 215 v. 16.9.2009, S. 21; Seibt, Der Konzern 2009, 261, 271; Vaupel/Reers, AG 2010, 93, 98; i. E. auch von Riegen, Corporate Finance law 2010, 1, 6. 57 Umgekehrt hat der EuGH in anderem Zusammenhang festgestellt, dass aus Sicht der Gesellschaft die Kapitalerhöhung durch Ausgabe neuer Aktien dem Erwerb von Kapital und nicht der Erbringung einer Dienstleistung dient; vgl. EuGH, AG 2005, 577, 579. 58 Dazu instruktiv Cahn/Senger (Fn. 54), § 57 Rz. 23 ff.
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besteht59. Anders mag dies zwar bei der Ausgestaltung als Break Fee liegen, bei der die Zahlungsverpflichtung nur entsteht, wenn die Übernahme zusätzlicher nicht bezogener Aktien nicht zum Tragen kommt. Die Zahlung der Provision und der Erwerb zusätzlicher Aktien schließen sich dann gegenseitig aus60. Jedoch verliert dieses Argument, wenn trotz Aktienerwerbs eine Break Fee wegen des Nichterreichens bestimmter Schwellen gezahlt wird. Deutlich wird so oder so, dass es hier letztlich um Geschäfte geht, die keine Entsprechung auf dem Markt haben und von der Gesellschaft wegen des Zusammenhangs mit dem Bezug neuer Aktien generell nur im Verhältnis zu dem existierenden oder zukünftigen Aktionär – und nicht mit einem Dritten – vorgenommen werden können. Für diese Geschäfte wird diskutiert, ob sie per se gegen § 57 AktG verstoßen, oder ob ein solcher Verstoß jedenfalls (widerlegbar) zu vermuten sei61. Auch letztere Auffassung wiegt schwer genug, bedenkt man, dass es dem Vorstand im Grundsatz strikt untersagt sein muss, einzelne Aktionäre ohne entsprechende Gegenleistung zu begünstigen und er auch für das Interesse an einer stabilen Aktionärsstruktur mit verlässlichen Partnern keine Mittel einsetzen darf, die der Kapitalerhaltung dienen62. Als Rechtfertigung lassen sich zwei unterschiedliche Ansätze heranziehen. (2) Rechtfertigung aufgrund überragenden Interesses der Gesellschaft In der Literatur gibt es einerseits Überlegungen, dass ein eigenes überragendes Interesse der Aktiengesellschaft die Vermögenszuwendung an den Aktionär im Zusammenhang mit der Garantie eines ggf. großen Teils der Emission rechtfertigen kann. Der durch die strenge Kapitalerhaltung nach den §§ 57, 62 AktG bezweckte mittelbare Schutz der übrigen Aktionäre soll in diesen Fallgestaltungen dadurch gewährleistet werden, dass der mit dem Rechtsgeschäft verbundene Nachteil der Aktiengesellschaft durch eine besondere Förderung des Gesellschaftsinteresses ausgeglichen wird63. Unklar bleibt dabei zwar die dogmatische Einordnung des Rückgriffs auf das „Eigeninteresse“ der Gesellschaft; eine nähere Begründung, warum das Eigeninteresse geeignet sein kann, einen objektiv gegebenen Tatbestand von § 57 AktG auszuschließen, findet sich nicht. Deshalb ist auch nicht gesichert, ob jegliches Interesse ausreichend ist64, oder
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59 BGH, NZG 2008, 106, 107; Bayer (Fn. 54), § 57 Rz. 51; Cahn/Senger (Fn. 54), § 57 Rz. 51; Fleischer in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 57 Rz. 38; Hüffer (Fn. 26), § 57 Rz. 14 m. w. N.; Habersack in FS Röhricht, 2005, S. 155, 164. 60 Vgl. zu Break Fee-Vereinbarungen in der M&A-Praxis Fleischer, AG 2009, 345, 352; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 22 Rz. 81. 61 Str., vgl. Lutter (Fn. 37), § 57 Rz. 21; Bayer (Fn. 54), § 57 Rz. 42; Henze (Fn. 54), § 57 Rz. 45 Fn. 113. 62 Vgl. Martens in FS Beusch (Fn. 40), S. 529, 545, 548. 63 Vgl. für die Umplatzierungsfälle Hoffmann-Becking in FS Lieberknecht, 1997, S. 25 ff., 37; Groß, Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2008, §§ 45, 46 BörsG Rz. 8 ff.; Meyer (Fn. 3), § 7 Rz. 149; zweifelnd Henze (Fn. 54), § 57 Rz. 56; a. A. Bayer (Fn. 54), 57 Rz. 91 („… stets ein Verstoß gegen § 57 AktG …“); abl. gegenüber „Vergünstigungen allgemeiner Art“ auch Fleischer, ZIP 2007, 1969, 1975; ders., ZHR 172 (2008), 538, 565. 64 In diese Richtung anscheinend Hoffmann-Becking in FS Lieberknecht (Fn. 63), S. 25 ff., 37 („… zumindest auch ein eigenes Interesse …“).
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ob das Interesse eine bestimmte Beachtlichkeit haben muss, um im Verhältnis zu den von der Gesellschaft übernommenen Lasten einen angemessenen Ausgleich für die Gesellschaft zu bieten. Legt man den strengeren Maßstab zugrunde, der auf ein erhebliches Eigeninteresse der Gesellschaft „in besonders begründeten Ausnahmefällen“65 abhebt, lassen sich jedenfalls in einer bestandsgefährdenden Situation der Gesellschaft für den Vorstand im Rahmen seiner Finanzierungsverantwortung gute Gründe für eine Rechtfertigung des Vermögenstransfers anführen. Als vorteilhaft erweist sich dabei66, dass sich das „überragende Interesse“ der Gesellschaft anders als in anderen Fällen durchaus mit „vermögensmäßig quantifizierbaren“ Vorteilen belegen lässt: Steht die Rettung der Gesellschaft auf dem Spiel und lässt sich ohne Aktionärsvereinbarung eine Festübernahme durch die Emissionsbanken nicht oder nur mit erheblich höheren Kosten erreichen, erscheint der rechnerische Preisnachnachlass für die Gewährung einer (frühzeitigen) Back Stop-Garantie nicht „als bevorzugte Behandlung“, sondern als Mitteleinsatz zur Erhöhung der Chance für eine erfolgreiche Platzierung. Dies sichert den Fortbestand der Gesellschaft im Interesse aller Aktionäre. Wenn es ohne die im Aufwand begrenzte Garantie des maßgeblich beteiligten Aktionärs keine Übernahmeverpflichtung der Banken gäbe und damit die notwendige Verstärkung des Eigenkapitals scheiterte, kann dem Verlangen nach einer angemessenen Entlohnung der gewährten Garantie durchaus aber auch in den Fällen entsprochen werden, in denen nicht die Restrukturierung des Unternehmens auf dem Spiel steht. Wie eingangs erwähnt, kann auch ein „gesundes“ Unternehmen mit dem Marktumfeld und der dadurch bedingten Zurückhaltung der Emissionsbanken zu kämpfen haben. Auch hier ist es ein geldwerter Vorteil für das Unternehmen, wenn die zum Teil mehrere Monate vor der Durchführung der Kapitalerhöhung verbindlich zugesagte und veröffentlichte Bezugs- oder Übernahmegarantie ein hard underwriting der Banken erst ermöglicht bzw. die übrigen Aktionäre davon überzeugt, dass eine Teilnahme an der Kapitalerhöhung – der Entscheidung des Garanten folgend – offenkundig sinnvoll ist. Dies erspart u. U. auch erhebliche Marketingaufwendungen. Zudem kann der mit einer Aufstockung der Beteiligung verbundene Wechsel der Beteiligungsverhältnisse strategisch sinnvoll sein und dem Unternehmen wegen der Finanzkraft des Aktionärs auch zukünftig neue Kapitalressourcen eröffnen67. Die Signalwirkung der Bezugs- oder Übernahmezusage für die neuen Aktien auf andere Aktionäre und Investoren schlägt sich regelmäßig auch bei der Festlegung des Bezugspreises zählbar nieder, indem der notwendige Abschlag auf den Wert des bezugsrechtsbereinigten Aktienkurses (theoretical ex-rights price – TERP)68 reduziert und dadurch ein insgesamt höherer Mittelzufluss generiert wird. Wäre ein hard underwriting der Banken
__________ 65 Bayer (Fn. 54), 57 Rz. 42. 66 Darlegungs- und beweispflichtig für den Wert der Leistung ist der Aktionär; s. Bayer (Fn. 54), 57 Rz. 41; Fleischer, ZIP 2007, 1969, 1975. 67 Vgl. dazu Bayer (Fn. 54), 57 Rz. 94. 68 Seibt, Der Konzern 2009, 261, 271; von Riegen, Corporate Finance law 2010, 1, 6; Gillessen, in F.A.Z. Nr. 215 v. 16.9.2009, S. 21.
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zwar auch ohne die Zusage zu erreichen, lägen die Provisionen der Banken dann aber höher, erspart die Vergütung des Aktionärs letztlich Aufwendungen. Da § 57 AktG (nur) einen Abfluss von Vermögen an die Aktionäre ohne Zufluss eines entsprechenden Gegenwerts verhindern soll69, folgt aus dem Normzweck auch nicht zwingend, dass eine der Saldierung zugängliche Gegenleistung von dem Aktionär selbst erbracht werden muss. Erforderlich ist vielmehr nur, dass die Gesellschaft infolge der Zuwendung an den Aktionär „unter dem Strich“ keine Vermögenseinbuße erleidet. Auch eine Saldierung mit den den Vermögensabfluss ausgleichenden Vermögensvorteilen, die nicht unmittelbar auf Handlungen des Aktionärs zurückgehen, ist also nicht ausgeschlossen. In der hier beschriebenen Sondersituation kann die Vermögensverschiebung daher durchaus gerechtfertigt sein, obwohl sie gerade im Hinblick auf die Aktionärseigenschaft des Aktionärs vorgenommen wird70. (3) Äquivalenz der Gegenleistung Teilweise wird für die Rechtfertigung des Vermögenstransfers auch auf eine eindeutige Sicherstellung der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung abgestellt71. Regelmäßig wird dies aber gerade deshalb kaum möglich sein, weil ein nicht marktübliches Geschäft vorliegt, dessen Leistung überhaupt nur an einen Aktionär erbracht wird. Jedoch kann dies durchaus als zusätzlicher Prüfungsmaßstab herangezogen werden, um festzustellen, dass bei dem im Grundsatz ausnahmsweise gerechtfertigten Vermögenstransfer kein objektives Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht. Einigkeit sollte nämlich darüber bestehen, dass auch eine besondere Situation der Gesellschaft nicht dazu führen darf, dass der Aktionär sie zur unangemessenen Mittelreduzierung beim Erwerb der neuen Aktien ausnutzt und sich somit eine Kurssteigerungsmöglichkeit (upside) auf den tatsächlich gezahlten Preis verschafft72. Bei der Prüfung der Angemessenheit von Provisionen für die Back Stop-Garantie besteht insoweit der Vorteil, dass die „marktübliche“ Subunderwriting Fee für Emissionsbanken als Vergleichsmaßstab herangezogen werden kann. Aufgrund der geschilderten Unterschiede können die in anderen Fällen von Emissionsbanken durchschnittlich verlangten Provisionssätze aber nicht ungeprüft zugrunde gelegt werden. Für die Gesellschaft ist im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung das maßgebliche Risikoprofil zugrunde zu legen, in das als Faktoren z. B. die finanzielle Kondition und Größe der Gesellschaft, das Platzierungs- bzw. Übernahmevolumen sowie die allgemeine Marktlage einfließen. Preismindernd dürfte das „Erhaltungsinteresse“ des Aktionärs am Werterhalt seines Investments sein. Mit anderen Worten: Die Risikobereitschaft des
__________ 69 Unstr. vgl. Henze (Fn. 54), § 57 Rz. 5, 25 m. w. N. 70 Enger Cahn/Senger (Fn. 54), § 57 Rz. 27 („zweifelsfrei nichts mit der Aktionärseigenschaft zu tun“). 71 Vgl. insbes. Henze (Fn. 54), § 57 Rz. 45 mit Fn. 113 („ersichtlich äquivalent“); Bayer (Fn. 54), 57 Rz. 42. 72 Zum Angemessenheitskriterium bei Break Fee-Vereinbarungen Fleischer ZHR 172 (2008), 538, 563 f.; ders., AG 2009, 345, 350.
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Aktionärs ist ggf. ungleich höher als die unbeteiligter Emissionsbanken, da er im Fall der Insolvenz des Unternehmens mit seiner bereits vorher erheblichen Beteiligung einen Totalverlust erleiden würde. Andererseits wird positiv zu berücksichtigen sein, wenn er die Verpflichtung sehr frühzeitig eingeht und in erheblichem Umfang auch zusätzliche Aktien über die eigene Quote hinaus aufnehmen wird. Prozessual kann wegen der Vertraulichkeit im Vorfeld der Kapitalmaßnahme keine preismindernde Ausschreibung vorgenommen werden; außerdem gehen die erhofften (Signal-)Effekte von Aktionärszusagen, dass sie finanziell mitziehen und die Strategie des Unternehmens unterstützen, ohnehin nur von Vereinbarungen mit (Groß-)Aktionären (> 10 %) aus73. Was die Angemessenheit einer Break Fee anbelangt, wird man berücksichtigen müssen, dass die parallelen Klauseln in der M&A-Praxis davon ausgehen, dass hierdurch eine „angemessene Kostenerstattung“ im Misserfolgsfall gewährt wird. Bedenklich ist, wenn die Vergütungsmechanik so gewählt wird, dass der Investor beim Erwerb von Aktien unterhalb der von ihm angestrebten Beteiligungsschwelle sogar eine größere Summe als Vergütung erhalten kann, als er für die Aktien gezahlt hat74. Die faktische Ausgabe von Gratisaktien ist auch mit § 9 AktG nicht zu vereinbaren. bb) Finanzielle Unterstützung des Aktienerwerbs Darüber hinaus könnten die Entgeltregelungen auch an § 71a AktG zu messen sein75. Danach ist ein Rechtsgeschäft nichtig, dass die Gewährung eines Vorschusses, eines Darlehens oder die Leistung einer Sicherheit durch die Gesellschaft zum Zwecke des Erwerbs ihrer Aktien zum Gegenstand hat76. Angesichts der Erstreckung auf wirtschaftlich vergleichbare Finanzierungshilfen77 könnte davon auch der durch die Zahlung einer Provision rechnerisch gewährte Preisnachlass erfasst werden. Jedoch fehlt es bei näherem Zusehen auch dann am Finanzierungscharakter, wenn die Provision nicht als Break Fee für den gescheiterten Aktienerwerb ausgestaltet ist78, sondern gerade auch beim Erwerb von Aktien gezahlt wird. Der von der Vorschrift tatbestandlich vorausgesetzte besondere Funktionsbezug zwischen Finanzierung und Aktienerwerb ist nur dann anzunehmen, wenn der Zweck der Leistung der Gesellschaft gerade darin besteht, die Finanzierung des Aktienerwerbs zu ermöglichen oder zu erleichtern. Abgesehen von dem im Verhältnis zum Gesamtaufwand für den Bezug oder die Übernahme der Aktien verhältnismäßig kleinen Betrag zielt die Provisionszahlung auf ein anderes wirtschaftliches Interesse der Ge-
__________ 73 Teilweise wird danach eine Provision i. H. v. bis zu 2 % des Absicherungsvolumens für zulässig gehalten, bei entsprechendem Risiko auch deutlich mehr; vgl. Gillessen in F.A.Z. Nr. 215 v. 16.9.2009, S. 21. 74 Vgl. den Prospekt der Infineon Technologies AG v. 16.7.2009, S. 33; dazu krit. Gillessen in F.A.Z. Nr. 215 v. 16.9.2009, S. 21. 75 Zur Anwendbarkeit auf Zeichnungsvorgänge Cahn/Senger (Fn. 54), § 56 Rz. 12 f. 76 Vgl. zum Verhältnis zu § 57 AktG Cahn in Spindler/Stilz (Fn. 26), § 71a Rz. 11; a. A. Habersack in FS Röhricht, 2005, S. 155, 164 („funktionslos“). 77 Cahn (Fn. 76), § 71a Rz. 28 m. w. N.; Singhof, NZG 2002, 745, 746. 78 Dazu Fleischer, AG 2009, 345, 353.
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sellschaft, nämlich das an der frühzeitigen verbindlichen Teilnahmegarantie zur Sicherung der Durchführung der Kapitalerhöhung insgesamt79. Dies schließt die beschriebene Zwecksetzung trotz etwaiger Nebeneffekte aus. Aber auch wenn man den nach rechnerischem Abzug der Provision tatsächlich gezahlten Bezugspreis nicht (mehr) für angemessen hielte, verstieße dies nicht gegen § 71a AktG; die Erzielung eines höheren Emissionserlöses liegt nicht im Bereich des von der Vorschrift beweckten Vermögensschutzes im Interesse der Gesellschaftsgläubiger80. b) Leistungsgewährung durch die Emissionsbanken Angesichts verbleibender Unwägbarkeiten wird ein Entgelt für die Übernahmegarantie überwiegend nur im Verhältnis zwischen den Emissionsbanken und den garantierenden Aktionären vereinbart und geleistet. Formal lässt sich dann festhalten, dass die Gesellschaft selbst keine Leistungen an den Aktionär erbringt81. Ist die Gesellschaft in die Vereinbarungen mit den Aktionären – wie üblicherweise auch bei einem Sub-Underwriting anderer Emissionsbanken – nicht eingebunden, sondern hat sie mit den Emissionsbanken lediglich eine angemessene Provision ohne Berücksichtigung möglicher Absicherungen durch Aktionäre vereinbart, dürfte sich ein Verstoß gegen §§ 57, 71a AktG auch nicht ohne weiteres herleiten lassen. Ist jedoch die Back Stop-Garantie maßgeblicher Aktionäre von vornherein conditio sine qua non für eine Übernahmeverpflichtung der Emissionsbanken, und wird die Höhe der Provision gerade mit Blick darauf festgelegt, dass ein Teil an den Aktionär mehr oder minder „durchgeleitet“ wird, wird wirtschaftlich das gleiche Ergebnis wie bei einer unmittelbaren Zahlung an die Aktionäre erreicht. Auch auf solche Leistungen an Dritte, die dem Aktionär zuzurechnen sind bzw. auf seine Veranlassung vorgenommen werden, findet § 57 AktG Anwendung82. Im Prinzip gelten also für eine Rechtfertigung die oben gemachten Überlegungen entsprechend. 3. Einflussnahme Zunehmend versuchen die garantierenden Aktionäre auch auf die wirtschaftlichen Eckpunkte der Kapitalerhöhung gestaltend Einfluss zu nehmen und – bei einer maßgeblichen Aufstockung der Beteiligung durch die Kapitalerhöhung – ihre gestiegene Bedeutung durch Regelungen zur Corporate Governance vertraglich abzusichern. Auch unterhalb der Grenze der „unzulässigen Einmischung durch den vorvertraglich gebundenen Investor“83 vor dem eigentlichen Aktienerwerb sind hier bestimmte Gestaltungsgrenzen zu beachten.
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Instruktiv Cahn (Fn. 76), § 71a Rz. 34 f. Vgl. Cahn (Fn. 76), § 71a Rz. 27, 38. Vgl. den Prospekt der Premiere AG v. 6.4.2009, S. 48. Allg. M. Bayer (Fn. 54), § 57 Rz. 61; Cahn/Senger (Fn. 54), § 57 Rz. 69 ff.; Fleischer (Fn. 59), § 57 Rz. 36; Hüffer (Fn. 26), § 57 Rz. 15. 83 Näher Servatius (Fn. 26), § 185 Rz. 49.
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a) Preis- und Transaktionsgestaltung Denkbar ist, dass der Großaktionär im Rahmen der Zielgröße für den Emissionserlös versucht, auf die Festlegung des Bezugspreises Einfluss zu nehmen. Er ist an der Begrenzung seines Aufwands und damit grundsätzlich an einem möglichst niedrigen Bezugspreis interessiert. Zu beobachten ist auch das Bestreben, die Transaktion insgesamt (mit) zu lenken. Damit im Zusammenhang steht eine vertragliche Zusage, dass wesentliche Entscheidungen letztlich von seiner Zustimmung abhängen. Unter den Gesichtspunkten der Leitungsmacht (§ 76 Abs. 1 AktG) und der Wahrung des Gesellschaftsinteresses (§§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG) sind entsprechende Abreden sorgfältig zu prüfen. Werden maßgebliche Parameter der Kapitalerhöhung noch nicht in dem Hauptversammlungsbeschluss festgelegt, ist hierfür der Vorstand (mit Zustimmung des Aufsichtsrats bei der Ausnutzung genehmigten Kapitals) zuständig84. Diese Entscheidung ist als Teil der Leitungsmacht (§ 76 Abs. 1 AktG) unveräußerlich. Daher sind Vereinbarungen unzulässig, durch die der Vorstand die Letztentscheidung auf Dritte überträgt oder sich in Bezug auf sein zukünftiges Leitungsverhalten bindet85. Kritisch zu sehen ist etwa die faktische Delegation der Mandatierung der Emissionsbank. Wenn der Vorstand einen Auswahlprozess durchführt (beauty contest)86, sollte Gewähr bestehen, dass die Beauftragung der Emissionsbank im besten Interesse der Gesellschaft getroffen wurde. Aber auch wenn er in einer Sanierungssituation häufig die kreditgebenden Banken mit dem Kapitalmarktgeschäft betrauen muss, hat eine vom garantierenden Aktionär allein getroffene Auswahl den Anschein, dass die Emissionsbank sich stärker den Interessen des Aktionärs als der Gesellschaft verpflichtet fühlen wird. Hilfreich kann indessen die zusätzliche Beauftragung einer „unbelasteten“, weil kreditseitig nicht engagierten Bank sein. Was die Bemessung des Bezugspreises anbelangt, ist der Vorstand bis zur Grenze des faktischen Bezugsrechtsausschlusses grundsätzlich frei87. Er muss seine Entscheidung jedoch an dem Gesellschaftsinteresse ausrichten (§§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG). Aus der Rücksichtnahme auf eine „gesunde Finanzstruktur“ wird insoweit gefolgert, der Vorstand sei verpflichtet, ein angemessenes Aufgeld zu verlangen88. Als „Zielvorgabe“ kann dem sicher zugestimmt werden. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass in die Festsetzung des Bezugspreises eine Vielzahl von Faktoren einfließt, wie etwa die Situation und finanzielle Leistungsfähigkeit der Gesellschaft und das Kapitalmarktumfeld. Letztlich ist der Bezugspreis das Ergebnis intensiver Verhandlungen mit den Emissionsbanken, insbesondere, wenn diese ein hard underwriting eingehen. In diesen Prozess
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84 85 86 87
So für den Bezugspreis Hüffer (Fn. 26), § 186 Rz. 49. Fleischer (Fn. 45), § 76 Rz. 63. S. dazu Singhof/Weber (Fn. 17), § 3 Rz. 24 ff. Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175, 2177; siehe auch Schlitt/Ries in FS Schwark, 2009, S. 241, 249 ff. zur Preisbestimmung bei Bezugsrechtsemissionen. 88 Wiedemann (Fn. 37), § 182 Rz. 69; ähnlich Lutter (Fn. 37), § 182 Rz. 28. Zu weitgehend Pfeifer (Fn. 35), § 182 Rz. 54, der immer von einer Verpflichtung zur Ausgabe der Aktien zum Marktpreis ausgeht.
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wird der Vorstand auch die garantierenden Aktionäre einbeziehen müssen. Solange er seine autonome Entscheidung nicht aus der Hand gibt und der Bezugspreis das Ergebnis der mit allen Beteiligten geführten Verhandlungen ist, ist hiergegen nichts einzuwenden. Es kann dann – wie so oft – auch ein zulässiges Ergebnis sein, dass die Aktien zu einem Bezugspreis angeboten werden, der einen erheblichen Abschlag vom Marktpreis macht (deep discount)89. Dagegen sollte der Vorstand sein Ermessen insbesondere bei einem längeren Zeitraum bis zur Durchführung der Kapitalerhöhung nicht in Unkenntnis zukünftiger Entwicklungen einschränken, etwa indem er sich frühzeitig darauf festlegt, die Aktien seinen Aktionären nur innerhalb eines bestimmten Preisrahmens anzubieten. Zum Schutz der garantierenden Aktionäre sind – insbesondere durch die Festlegung eines Garantiebetrags in Euro – andere Wege möglich und ausreichend. b) Aufsichtsratsbesetzung Teilweise enthalten die Back Stop-Vereinbarungen Bestimmungen über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats (einschließlich der Position des Aufsichtsratsvorsitzenden) nach der Durchführung der Kapitalerhöhung. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Aktionär im Falle der Realisierung seiner Garantie seinen Anteil an der Gesellschaft erheblich aufstockt und deshalb im Aufsichtsrat zukünftig „angemessen“ repräsentiert sein möchte90. Teilweise wird dies sogar zur aufschiebenden Bedingung für die Verpflichtung zur Übernahme der neuen Aktien erhoben. Damit ist die Vereinbarung allerdings unter Risikogesichtspunkten aus Bankensicht weniger belastbar, weil sie vom Eintritt eines ungewissen zukünftigen Ereignisses abhängt. Es bedarf aber auch davon unabhängig der ausgewogenen Formulierung der konkreten Abrede. Denn dass Vereinbarungen über die Besetzung des Aufsichtsrats schon angesichts des aktienrechtlichen Kompetenzgefüges (§§ 101 Abs. 1 Satz 1 und 2, 119 Abs. 1 Nr. 1, 124 Abs. 3 Satz 1, 136 Abs. 2 AktG) und der Autonomie der gewählten Aufsichtsratsmitglieder zur Amtsausfüllung bis zum Ende ihrer Amtsperiode nicht rechtlich verbindlich zu Lasten des Aufsichtsrats vereinbart werden können, liegt auf der Hand91. Damit sind einerseits die Einbindung des Aufsichtsrats (in seiner aktuellen Besetzung) und andererseits eine Beschränkung der diesbezüglichen Zusagen auf ein zumutbares und gesetzlich zulässiges Bemühensversprechen des Vorstands ohne Erfüllungsanspruch erforderlich. Dies ist für Investorenvereinbarungen bei öffentlichen Übernahmen bereits eingehend geprüft worden92. In der Regel wird die gewünschte Änderung der Aufsichtsratsbesetzung dadurch eingeleitet, dass im Kreis der An-
__________ 89 Vgl. Schlitt/Ries in FS Schwark (Fn. 87), S. 241, 251. 90 Vgl. Prospekt der Infineon Technologies AG v. 16.7.2009, S. 76. 91 Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 204; Habersack in MünchKomm.AktG (Fn. 54), § 101 Rz. 12. 92 Kiem, AG 2009, 301, 309 f.; Seibt/Wunsch, Der Konzern 2009, 195, 204 ff.; siehe auch Habersack (Fn. 91), § 101 Rz. 12.
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teilseigner vorbesprochen wird, ob einzelne Aufsichtsratsmitglieder zur Amtsniederlegung93 bereit sind, um die dadurch entstehende Vakanz anschließend durch eine vom Vorstand mit einem Personalvorschlag94 im Sinne des garantierenden Aktionärs beantragte gerichtliche Bestellung zu beseitigen (§ 104 AktG). Mehr Sicherheit ist nicht möglich und auch nicht erforderlich, da es für den Aktionär zunächst nur darauf ankommt, dass sein „Aufsichtsratskandidat“ unverzüglich nach der Beteiligungserweiterung bestellt wird95. Bei späteren regulären Wahlen muss er auf seine Stimmenmacht vertrauen. 4. Bezugsrechtsverzicht a) Nach- oder Überbezugsrechte der anderen Aktionäre? In den Fällen, in denen Großaktionäre – wie oben beschrieben – im Vorfeld gegenüber der Gesellschaft auf ihre Bezugsrechte verzichten, könnte fraglich sein, ob durch die Verzichts- oder Nichtausübungserklärung wirksam eine „bezugsrechtsfreie Tranche“ geschaffen werden kann, oder dieser Verzicht nur zur Anwachsung bei den übrigen Aktionären führt96. Dieses Transaktionsrisiko sollte an sich aber nicht bestehen. Anerkannt ist nämlich, dass innerhalb der Bezugsfrist nicht oder nicht rechtzeitig ausgeübte Bezugsrechte verfallen und die frei werdenden Rechte nicht den anderen Aktionären anwachsen. Vielmehr besteht die Möglichkeit zur bestmöglichen Verwertung im Rahmen der von Vorstand und Aufsichtsrat beschlossenen Konditionen97. Bei dieser Verwertung können die frei werdenden Aktien außenstehenden Investoren angeboten werden. Die Aktionäre haben folglich kein Bezugsvorrecht oder Nachbezugsrecht, sondern nur einen Anspruch auf Gleichbehandlung, falls sich der Vorstand für eine Platzierung (auch) bei bestehenden Aktionären entscheiden sollte. Nichts anderes kann gelten, wenn ein Aktionär schon im Vorfeld der Kapitalerhöhung vertraglich auf die Ausübung seiner Bezugsrechte verzichtet. Wenn dies – wie regelmäßig – dem Willen der Beteiligten und des Dispositionsbefugten entspricht98, dient dieser Verzicht dem Zweck, eine breite Platzierung zu ermöglichen und ggf. zusätzlich durch deren Vorziehen auch eine Grundlage für die Bestimmung des Bezugspreises und eine Absicherung der Platzierung insgesamt zu schaffen. Die Gesellschaft kann dann auch nicht verpflichtet sein, die Bezugsrechtsemission so zu strukturieren, dass die ande-
__________ 93 Ausf. dazu Singhof, AG 1998, 318. 94 Ein Bindung des Gerichts hieran besteht nicht; BayObLG, ZIP 2007, 1883; Hoffmann-Becking in MünchHdb. AG (Fn. 47), § 30 Rz. 34; Hüffer (Fn. 26), § 104 Rz. 5; Spindler in Spindler/Stilz (Fn. 26), § 104 Rz. 21. 95 So zutreffend auch Kiem, AG 2009, 301, 309 im Zusammenhang mit Investorenvereinbarungen. 96 In diesem Sinne etwa Groß, ZHR 162 (1998), 313, 333; a. A. Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 262 Fn. 103; wohl auch Lutter (Fn. 37), § 186 Rz. 16. 97 BGH, ZIP 1995, 1177, 1178; Herfs (Fn. 19), § 4 Rz. 98 ff.; Lutter (Fn. 37), § 186 Rz. 25. 98 Vgl. dazu auch Busch (Fn. 27), § 42 Rz. 46.
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ren Aktionäre zusätzliche Bezugsrechte erhalten99. Eine solche Deutung der Pflichten der Gesellschaft ließe sich allzu leicht dadurch umgehen, dass der Aktionär nicht auf seine Bezugsrechte verzichtet, sondern sie – als im Zeitpunkt der Beschlussfassung entstehende selbständige Rechte – im Wege der Vorausabtretung formlos nach §§ 398, 413 BGB auf die Emissionsbank überträgt100. Vor allem aber schützt das gesetzliche Bezugsrecht nur vor Verwässerung unter Berücksichtigung aller Aktionäre. Schließlich muss den Aktionären gerade in der Krisensituation auch weniger an einer Erhöhung der Quote als an der Sicherung der Kapitalmaßnahme insgesamt gelegen sein. Dies lässt sich mit neuen finanzstarken Investoren u. U. besser bewerkstelligen. Die Vorabplatzierung ist ein wichtiges Mittel zur Sicherung der Transaktion, da ein marktnaher Bezugspreis zur Maximierung des Emissionserlös im Rahmen eines Bookbuilding festgelegt werden kann101 und durch die erzeugte Nachfrage – wenngleich hinsichtlich der nicht vom Großaktionär stammenden Bezugsrechte auf Grundlage eines Rücktrittsmechanismus (claw back) – das Emissionsvolumen frühzeitig gesichert wird102. Die Gesellschaft kann daher die frei werdenden Aktien einem Investor zum Bezugspreis zuteilen. b) Gleichbehandlung Die beschriebene Vorabplatzierung muss auch dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 53a AktG genügen. Zweifel können insoweit bestehen, wenn die Durchführung der Kapitalerhöhung in diesem Zusammenhang anders als üblich schon zu Beginn der Bezugsfrist ins Handelsregister eingetragen wird, um den Drittinvestoren die gewohnte Lieferung der neuen Aktien T+2 zu ermöglichen, während die beziehenden Aktionäre die neuen Aktien erst nach Abschluss der Bezugsfrist erhalten. Sofern das vorzeitige Settlement überhaupt eine Ungleichbehandlung der übrigen Aktionäre begründet – denn immerhin ist der Auslöser ausschließlich die gesetzliche zwingende vierzehntägige Bezugsfrist zum Schutz der Aktionäre (§ 186 Abs. 1 Satz 2 AktG) – dürfte der Anlass bereits einen dies rechtfertigenden sachlichen Grund begründen. Durch die schon verschiedentlich erwähnte frühzeitige Platzierung und Notierungsaufnahme können die Aktien nicht nur mit einem deutlich geringeren Abschlag vom Börsenpreis bei institutionellen Investoren platziert
__________ 99 Möglich ist aber natürlich eine Vereinbarung eines teilweisen Verzichts mit dem Großaktionär, um bei fehlender Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss eine Spitze zu vermeiden; in diesem Fall kommen die frei werdenden Bezugsrechte den anderen Aktionären zugute. 100 Vgl. das Bezugsangebot der Volkswagen AG (März 2010) und den Prospekt der Conergy AG v. 14.11.2008, S. 186; allg. zur Abtretbarkeit Busch (Fn. 27), § 42 Rz. 46; Servatius (Fn. 26), § 186 Rz. 19 f., 70. 101 Vgl. das Bezugsangebot Continental AG vom Januar 2010 („Der Platzierungspreis im Rahmen dieser Platzierungsverträge zwischen den Joint Global Coordinators und den Investoren ist identisch mit dem Bezugspreis.“). 102 Vgl. die Ad-hoc-Mitteilung der Continental AG vom 6. Januar 2010, wonach 75 % der übernommenen Aktien aus der Kapitalerhöhung von den Emissionsbanken bereits im Vorfeld platziert wurden.
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werden als dies bei einer verzögerten Lieferung (deferred settlement) der Fall wäre, sondern die Bereitschaft institutioneller Investoren, an der Platzierung teilzunehmen, wird erst erzeugt. Diese Transaktionssicherheit und der höhere Mittelzufluss bei der angeschlagenen Gesellschaft kommen auch den übrigen Aktionären zugute. Nicht zu übersehen ist zwar, dass sie auch das Risiko einer negativen Kursentwicklung während der Bezugsfrist tragen. Jedoch sollte die gesicherte Durchführung der Kapitalerhöhung grundsätzlich stabilisierend wirken. Auch können die Aktionäre auf die Kursentwicklung noch durch die Veräußerung ihrer Bezugsrechte oder Nichtbezug reagieren. Die Investoren, die bereits neue Aktien erhalten haben, sind demgegenüber wirtschaftlich betrachtet „in Vorleistung getreten“. Es kann gleichwohl im Einzelfall ratsam sein, die Vorabplatzierung zum Teil auch als öffentliches Angebot auszugestalten, um die etwaige Nachfrage von Kleinaktionären nach einer frühzeitigen Aktienlieferung zu befriedigen.
IV. Fazit 1. Aktionärsvereinbarungen sind zulässige und wirkungsvolle Instrumente zur Absicherung der Durchführung einer Bezugsrechtskapitalerhöhung. 2. Die Teilnahme von maßgeblich beteiligten Aktionären wird entweder durch Festbezugs- und Übernahmeerklärungen oder Back Stop-Vereinbarungen dokumentiert. Sie müssen bei einem mittelbaren Bezugsrecht (§ 186 Abs. 5 AktG) auch dann nicht den strengen Anforderungen des § 185 AktG entsprechen, wenn sie nicht nur gegenüber den Emissionsbanken, sondern (auch) gegenüber der Gesellschaft abgegeben werden. Anzuerkennen ist insbesondere die Aufnahme von aufschiebenden Bedingungen für die Verpflichtung zum Bezug oder zur Übernahme von Aktien. 3. Ohne die Übernahmegarantie von Aktionären würde es häufig kein hard underwriting der Emissionsbanken geben und die notwendige Eigenkapitalaufnahme scheitern. Deshalb ist es angemessen, wenn der Vorstand – unter Beachtung von § 187 AktG – Bezugszusagen macht, die eine unmittelbare Zuteilung nicht bezogener Aktien an den Garanten ermöglichen. Dies verstößt grundsätzlich weder gegen Gleichbehandlungs- oder Neutralitätspflichten des Vorstands noch gegen seine Verpflichtung zu bestmöglicher Verwertung nicht bezogener Aktien. 4. Kritisch zu würdigen sind einzelne Regelungsgegenstände: a) Im Grundsatz sollte bei maßgeblich beteiligten Aktionären Bereitschaft für eine kostenlose Garantie ihrer Quote und ggf. weiterer Aktien bestehen. Entgeltregelungen können vor dem Hintergrund von § 57 AktG aber in besonders begründeten Situationen gerechtfertigt sein. Dies ist der Fall, wenn der Vermögenstransfer aufgrund eines überragenden Interesses der Gesellschaft entweder in einer bestandsgefährdenden Situation oder in einem schwierigen Marktumfeld gerechtfertigt ist und dies durch konkrete, saldierungsfähige Vermögensvorteile belegt werden kann.
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b) Die Einflussnahme des garantierenden Aktionärs auf die Transaktionsund Preisgestaltung ist zulässig, solange der Vorstand seine autonome Entscheidung nicht aus der Hand gibt. Eine bestimmte Aufsichtsratsbesetzung kann nach Vorabsprachen mit amtierenden Mitgliedern nur eingeschränkt über eine im Sinne des garantierenden Aktionärs beantragte gerichtliche Bestellung bewirkt werden. 5. Die Verzichts- oder Nichtausübungserklärung eines maßgeblich beteiligten Aktionärs, der nicht selbst an der Kapitalerhöhung teilnehmen kann, löst kein Nach- oder Überbezugsrecht der anderen Aktionäre aus. Vielmehr können die Aktien zur geordneten Vorabplatzierung an Drittinvestoren verwendet werden. Sofern deren Ausgestaltung zur Sicherung der Gesamttransaktion beiträgt, ist eine Ungleichbehandlung der übrigen Aktionäre hinsichtlich des Zeitpunkts der Lieferung der neuen Aktien jedenfalls gerechtfertigt.
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Angemessenheit und Zuständigkeit für Vergütungsfragen der Geschäftsführung einer GmbH nach dem VorstAG Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Statische versus dynamische Verweisung? III. Die angemessene Vergütung des Geschäftsführers 1. Fakultativer Aufsichtsrat und Aufsichtsrat nach DrittelbG 2. Aufsichtsrat nach MitbestG 1976 IV. Die Herabsetzung des Geschäftsführergehalts, § 87 Abs. 2 AktG
V. Die Zuständigkeit des Plenums für Vergütungsfragen 1. Fakultativer Aufsichtsrat 2. Der Aufsichtsrat der GmbH nach dem MitbestG 1976 3. Der Aufsichtsrat der GmbH nach dem DrittelbG 4. Fazit VI. Sonstige Verweisungsfragen VII. Ausblick
I. Einleitung Neben vielen anderen Rechtsgebieten hat der Jubilar vor allem mit seinen zahlreichen Beiträgen und seinen Kommentierungen im Scholz’schen GmbHGKommentar das Recht der GmbH befruchtet. Das GmbH-Recht, insbesondere der stets latente Konflikt zwischen Mitbestimmung und GmbH-Recht, der durch die unglücklichen pauschalen Verweisungen auf das Recht der Aktiengesellschaft entsteht, ist in jüngster Zeit wieder durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG)1 neu entfacht worden. Bekanntlich hat das VorstAG für teilweise grundlegende Änderungen im Recht der Vorstandsvergütung gesorgt: So wurden neben den Kriterien für die angemessene Vorstandsvergütung in § 87 Abs. 1 AktG und der Herabsetzung der Vorstandsbezüge in § 87 Abs. 2 AktG auch Fragen der Zuständigkeit innerhalb des Aufsichtsrats neu geregelt, indem in § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG neue Verbote der Delegation von Angelegenheiten auf Ausschüsse aufgenommen wurden. Demnach ist nunmehr der gesamte Aufsichtsrat zuständig für Fragen der Vergütung von Vorstandsmitgliedern, eine Delegation auf einen (Personal-)Ausschuss kommt nicht mehr in Betracht. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber die Verweisung in § 52 Abs. 1 GmbHG auf das Recht des Aufsichtsrats dergestalt neu gefasst, dass auf das Gebot des Selbstbehaltes bei einer D&O-Versicherung in § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG nicht über § 116 AktG (mittelbar) verwiesen wird. Allerdings blieb es auch bei der Prüfung dieser Verweisungen, die grundsätzlich nur den fakultativen Aufsichtsrat betreffen; eine Anpassung der Verweisungen im DrittelbG oder im MitbestG fand nicht statt.
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1 BGBl. I 2009, S. 2059 ff.
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Aus dieser „Hektik“ im Gesetzgebungsverfahren2 resultiert das Problem, wie weit die einzelnen Verweisungen im GmbH- und Mitbestimmungsrecht auf die jeweiligen Normen des Aktienrechts im Bereich der Vergütung der Geschäftsführer und der Zuständigkeit innerhalb des Organs Aufsichtsrat reichen. Denn gerade die mitbestimmungsrechtlichen Vorschriften des DrittelbG sowie des MitbestG rekurrieren für die GmbH häufig auf pauschale Verweisungen in das Aktienrecht, die damit auch die geänderten Bestimmungen in Bezug nehmen. Das Meinungsbild reicht hier von vollständiger Verweisung3 bis hin zu völliger Ablehnung der Inbezugnahme der aktienrechtlichen Normen4. Um das Ausmaß und die Reichweite zu klären, bietet sich jedoch eine differenzierte Sichtweise je nach der entsprechenden Norm, auf die Bezug genommen wird, und der jeweiligen Verweisung an. Im Zentrum stehen dabei zum einen das Verhältnis zu § 87 Abs. 1 AktG (III.) und § 87 Abs. 2 AktG (IV.), zum anderen zu § 107 Abs. 3 AktG (V.); flankierend sollen weitere Verweise in das Recht des Aufsichtsrats untersucht werden (VI.)
II. Statische versus dynamische Verweisung? Abgeschichtet werden kann von vornherein die Auffassung, die jegliche Bezugnahme auf das VorstAG außerhalb der Neufassung des § 52 Abs. 1 GmbHG mit der Begründung in Abrede stellen will, dass hier keine dynamische, sondern eine statische Verweisung vorläge. Demgemäß sollen die Verweisungen sowohl im DrittelbG als auch im MitbestG nicht auf das durch das VorstAG novellierte AktG verweisen, sondern nur auf Vorfassungen5. Dies steht nicht nur im Widerspruch zur ganz h. M.6, sondern auch dazu, dass der Gesetzgeber schon ausweislich seiner Beschäftigung mit § 52 Abs. 1 GmbHG sehr wohl die Frage der Verweisungen erkannt hatte. Auch andere Gesetzgebungsvorgänge im Rahmen der Novellierung des Aktienrechts, etwa des BilMoG, zeigen deutlich, dass keineswegs nur eine statische Verweisung etwa in § 52 Abs. 1 GmbHG oder in den mitbestimmungsrechtlichen Verweisungsnormen gemeint ist. Kaum anders wäre es etwa zu erklären, dass die mit dem BilMoG umzusetzende Einführung eines Prüfungsausschusses für die kapitalmarktorientierte GmbH lediglich eine Novellierung des § 52 Abs. 1 GmbHG (mit Aufnahme von § 107 Abs. 4 AktG) erforderte; bei einer statischen Verweisung hätte der Gesetzgeber sämtliche mitbestimmungsrechtlichen Verweisnormen ebenfalls ändern müssen, was deutlich vor Augen führt, dass der Gesetzgeber diese stets mit der ganz h. M. als dynamische Verweisnormen begriffen hat.
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S. dazu die Kritik von Habersack, ZHR 174 (2010), 2. Gaul/Janz, GmbHR 2009, 959, 962. So etwa Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 3 ff. So Feddersen/v. Cube, NJW 2010, 576, 578 f. – welche AktG-Fassungen dann allerdings relevant sein sollen, bleibt im Dunkeln. 6 Ausdrücklich etwa Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 6; davon gehen auch aus: Ulmer/ Habersack in Ulmer/Habersack/Henssler, MitbestR, 2. Aufl. 2006, § 25 MitbestG Rz. 117a; Greven, BB 2009, 2154, 2159; Gaul/Janz, GmbHR 2009, 959, 962; wohl auch Seibert, WM 2009, 1489, 1490.
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Vergütungsfragen der Geschäftsführung einer GmbH nach dem VorstAG
III. Die angemessene Vergütung des Geschäftsführers Eine der zentralen Änderungen durch das VorstAG war die Ausformung der Vorschriften über die angemessene Vorstandsvergütung in § 87 Abs. 1 AktG. Ob dies indes auch für die GmbH verfängt, ist zweifelhaft: 1. Fakultativer Aufsichtsrat und Aufsichtsrat nach DrittelbG Für den fakultativ nach § 52 GmbHG gebildeten Aufsichtsrat, genauso wie für den nach dem DrittelbG gebildeten Aufsichtsrat, bleibt die Rechtslage weiterhin klar: Denn § 52 Abs. 1 GmbHG lässt die Personalkompetenz der Gesellschafterversammlung unberührt, auf §§ 84 ff. AktG wird nicht verwiesen. Ebenso wenig bezieht § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG die Regelungen des Aktiengesetzes zur Bestellung und Anstellung ein7. Zwar könnte auf § 116 AktG abgestellt werden, der auch die Aufsichtsratspflichten zur Bestimmung einer angemessenen Vergütung umfasst, mithin auch § 87 Abs. 1 AktG – über die Verweisungen in §§ 52 Abs. 1 GmbHG, 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG würde dann § 87 Abs. 1 AktG auch für die hierunter fallenden GmbHs gelten. Doch wäre ein solcher systematischer Rückschluss verkürzt: Denn § 116 AktG nimmt nur die jeweiligen Pflichtenprogramme in Bezug, begründet sie jedoch nicht8. Anders gewendet setzt § 116 AktG bestehende Pflichten voraus9. Darüber hinaus bezieht § 87 AktG teilweise selbst nur börsennotierte Aktiengesellschaften ein (Abs. 1 Satz 2), da der Gesetzgeber explizit davon ausging, dass bei anderen Gesellschaften die Eigentümer bzw. Aktionäre über genügend Einflussmöglichkeiten verfügen, um die Angemessenheit der Vergütung zu beeinflussen. So führt der Rechtsausschuss ausdrücklich für GmbHs aus10: „Der Nachhaltigkeitsgedanke sollte grundsätzlich auch von nichtbörsennotierten Gesellschaften berücksichtigt werden; hier wird aber von einer ausdrücklichen Regelung abgesehen, da sonst Fragen zum Verhältnis zur GmbH und den Personenhandelsgesellschaften aufgeworfen würden und man es den Eigentümern überlassen kann, die richtigen Instrumente zu finden. Auch über die Verweisungen auf § 116 AktG bei der GmbH mit Aufsichtsrat wird der geänderte § 87 AktG nicht für die GmbH anwendbar.“
Eine Verweisung auf § 87 Abs. 1 AktG kann daher für den fakultativen Aufsichtsrat oder den nach DrittelbG mitbestimmten Aufsichtsrat nicht angenommen werden – was nicht ausschließt, dass vergleichbare Kriterien auch hier Anwendung finden11. 2. Aufsichtsrat nach MitbestG 1976 Anders als in § 52 Abs. 1 GmbHG oder § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG verweist § 25 Abs. 1 Satz 1 MitbestG zunächst auf die §§ 27 bis 29 MitbestG sowie
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7 Allg. M., s. Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 3; Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121, 1124 ff.; Greven, BB 2009, 2154, 2157 f. 8 Greven, BB 2009, 2154, 2157; Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 6 f. 9 Ebenso Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 7. 10 Bericht Rechtsausschuss BT-Drucks. 16/13433, S. 10. 11 Dazu unten bei Fn. 14.
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§§ 31 und 32 MitbestG, sodann über § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG auf die § 90 Abs. 3, 4 sowie 5 Satz 1, 2 und §§ 107 bis 116 AktG, was die Rechtsstellung des Aufsichtsrats angeht. Neben den besonderen Regelungen der § 31 Abs. 2 bis 5 MitbestG wird im Hinblick auf Bestellung und Widerruf des zur gesetzlichen Vertretung befugten Organs einer unter das MitbestG fallenden Gesellschaft gem. § 31 Abs. 1 Satz 1 MitbestG ergänzend auf §§ 84, 85 AktG verwiesen – mithin auch für die GmbH, die dem MitbestG unterliegt. Die Bestellungs- und Anstellungskompetenz für den GmbH-Geschäftsführer liegt daher hier unzweifelhaft beim Aufsichtsrat. Die Verweisung erfasst indes nicht § 87 Abs. 1 AktG, so dass trotz der gegebenen Anstellungskompetenz des Aufsichtsrats und damit auch der Befugnis zur Regelung der Vergütung fraglich ist, welchen Kriterien die Entscheidung über die Vergütung für den Geschäftsführer unterliegt. Hier offenbart sich eine der ersten und zu Diskussionen führenden Schwächen der Neuregelung durch das VorstAG: Während nach der bisherigen Rechtslage weitgehend geklärt war, dass der Aufsichtsrat der mitbestimmten GmbH zwar nicht § 87 Abs. 1 AktG bei der Festsetzung der Vergütung zu berücksichtigen hatte, wohl aber im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens im Ansatz an vergleichbare Kriterien, wie in § 87 AktG, gebunden war, könnte die Rechtslage nach dem VorstAG sich anders darstellen. Zwar ging der Gesetzgeber hinsichtlich des Verweises auf die GmbH nur auf die Frage der Nachhaltigkeit ein; auch scheint der bereits zitierte (und einzige) Hinweis des Gesetzgebers darauf, dass die Eigentümer schon die richtigen Instrumente finden mögen, eher auf die nicht-mitbestimmte bzw. auf die nach dem DrittelbG mitbestimmte GmbH gemünzt zu sein, bei denen der Aufsichtsrat nicht über die Kompetenz zur Regelung der Anstellungsfragen verfügt. Doch liegt der Einwand nahe, dass es dann der präzisierenden Aussage des Gesetzgebers nicht bedurft hätte, da die Aufsichtsräte der nicht dem MitbestG 1976 unterliegenden GmbHs ohnehin nicht über die Kompetenz zur Bestellung und Anstellung verfügen12. Auch wenn oftmals im gleichen Atemzug auf das hektische Gesetzgebungsverfahren hingewiesen wird13, was eigentlich eher dazu Anlass geben sollte gegenüber einer allzu sehr auf den Wortlaut gerichteten Auslegung der Gesetzgebungsgeschichte Zurückhaltung zu üben, bleibt dennoch die Frage offen, ob eine sinnvolle Differenzierung in dem Ausmaß der Mitbestimmung bei einer GmbH liegen kann, wenn es um die Kontrolldichte gegenüber der Entscheidung des Aufsichtsrats über die Vergütung geht. Der Gesetzgeber hat ersichtlich nicht auf die Frage der Arbeitnehmergröße der jeweiligen Gesellschaft abstellen wollen, sondern ob die Eigentümer selbst in der Lage sind das Gebaren und die Vergütung bzw. die Anreize der geschäftsführenden Organmitglieder zu kontrollieren und Auswüchsen entgegenzusteuern. Die Börsennotierung ist hierfür als solche nur ein Indiz. Der Gesetzgeber ließ sich dabei offensichtlich von der Vorstellung leiten, dass es
__________ 12 So Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 8. 13 So jedenfalls auch Habersack, ZHR 174 (2010), 2 f., der von etlichen handwerklichen Mängeln spricht; anders Seibert, WM 2009, 1489, 1489.
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einer intensiveren rechtlichen Regulierung bei börsennotierten Gesellschaften bedarf, da hier die fehlende Kontrolle über die Verwaltungsorgane durch eine intensivere rechtliche Flankierung ausgeglichen werden muss. Ob eine GmbH dagegen mitbestimmt ist oder nicht oder welcher Mitbestimmungsform sie unterliegt, erscheint hinsichtlich der Festlegung der materiellen Vergütungskriterien und der Konkretisierung des Ermessens des Aufsichtsrats nicht ausschlaggebend; denn im Rahmen der Mitbestimmung geht es weniger um die materielle Absicherung von Ermessensentscheidungen des Aufsichtsrats – abgesehen von der Ausrichtung auf das Unternehmensinteresse – als um die verfahrensrechtliche Flankierung durch die zwingende Repräsentanz von Arbeitnehmern in den zur Entscheidung berufenen Gremien. Dies bedeutet nun aber keineswegs, dass der Aufsichtsrat völlig frei in der Festlegung der Vergütung und des Vergütungssystems wäre: Wie schon der BGH in der Reemtsma-Entscheidung ausgeführt hat, muss der Aufsichtsrat generell in der GmbH – egal ob mitbestimmt oder nicht – „ähnliche Grundsätze […] beachten, wie sie die §§ 87–89, insbesondere § 87 Abs. 1 AktG für das Anstellungsverhältnis der Vorstandsmitglieder aufstellen […]“14. Selbst für die aufsichtsratslose GmbH unterwirft die Rechtsprechung die Vergütung des (Gesellschafter-)Geschäftsführers einer Angemessenheitskontrolle, hier im Interesse des Minderheitenschutzes aus Treuepflichterwägungen heraus15. Dementsprechend geht auch die ganz überwiegende Meinung im Schrifttum von einem Gebot der Angemessenheit abgeleitet aus dem Gesellschaftsinteresse aus, nicht aber von einer Analogie zu § 87 AktG16. So sind nach der Rechtsprechung alle Umstände in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen, insbesondere Art, Größe, Leistungsfähigkeit des Unternehmens, Alter, Ausbildung, Berufserfahrung und sonstige Fähigkeiten des Geschäftsführers sowie Umfang und Bedeutung seiner Tätigkeit17. Letztlich spielt es aber hinsichtlich der materiellen Kriterien kaum eine Rolle, ob man von einer Analogie zu § 87 AktG oder von einem Gesellschaftsinteresse ausgeht18. Symptomatisch ist dementsprechend, dass die Vertreter der Auffassung, die – an sich zutreffend – eine analoge Anwendung des § 87 Abs. 1 AktG im Gefolge des VorstAG unter Berufung
__________ 14 BGHZ 89, 48, 57 – Reemtsma. 15 BGH, ZIP 2008, 1818, 1820; näher dazu Wübbelsmann, GmbHR 2009, 988, 989 und Axhausen in Beck’sches Handbuch GmbH, 4. Aufl. 2009, § 5 Rz. 41 ff. je m. w. N. 16 Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, 2006, § 35 GmbHG Rz. 182; Uwe H. Schneider/Sethe in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 35 GmbHG Rz. 218; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 35 GmbHG Rz. 183; Baeck/ Götze/Arnold, NZG 2009, 1121, 1122; dies räumt auch Greven, BB 2009, 2154, 2157 ein; a. A. Ulmer/Habersack in Ulmer/Habersack/Henssler, MitbestR, 2. Aufl. 2006, § 31 MitbestG Rz. 40 (s. jetzt aber Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 9: „[…] lässt sich denn auch nach Inkrafttreten des VorstAG nicht mehr aufrechterhalten […].“); s. auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, Anh. § 6 GmbHG Rz. 31, wonach die eingrenzenden Leitlinien aus § 87 Abs. 1 AktG allenfalls auf die GmbH nach MitbestG übertragbar seien. 17 BGHZ 111, 224, 228; BGH, NJW 1992, 2894, 2896. 18 Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121, 1123; zutr. Gaul/Janz, GmbHR 2009, 959, 959 f.; anders aber Lunk/Stolz, NZA 2010, 121, 125 ff.
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etwa auf Äußerungen des Referatsleiters des BMJ19 als quasi authentische Interpretationsquelle für den Gesetzgeber ablehnen, eine Aussage darüber schuldig bleiben, worin die konkreten Unterschiede gegenüber der Kontrolle anhand des Gesellschaftsinteresses liegen sollen20. Erst recht ginge es zu weit, aus dem mangelnden Verweis auf § 87 Abs. 1 AktG nunmehr die frühere Rechtsprechung und die Rückbindung auf die entsprechenden Kriterien im Rahmen des Gesellschaftsinteresses in Frage zu stellen21. Maßgeblich dürfte demgegenüber der Freiheitsgrad des Aufsichtsrats bei seiner Entscheidung im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens über die Vergütung sein, der eben aufgrund der eher gegebenen Rückkoppelung an die Gesellschafter in der eigentümerkontrollierten Gesellschaft größer sein kann als bei der börsennotierten Gesellschaft. Den Aufsichtsrat dürfte daher allenfalls ein erhöhter Begründungsaufwand treffen22. Dies gilt auch im Hinblick auf die nach § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG gezogenen Grenzen für eine variable Vergütung bzw. hinsichtlich der Nachhaltigkeit: Auch wenn dies keine unmittelbare Geltung für die GmbH beanspruchen kann und der Aufsichtsrat – anders als in der börsennotierten Gesellschaft – nicht an die in § 87 Abs. 1 Satz 2, 3 AktG vorgegebenen Grenzen sklavisch gebunden ist, so wird er die Frage der richtigen Anreizsetzung für die geschäftsführenden Organmitglieder kaum außer Betracht lassen können. Summa summarum sprechen daher sowohl systematische, historische als auch teleologische Argumente gegen einen Verweis auf § 87 Abs. 1 AktG.
IV. Die Herabsetzung des Geschäftsführergehalts, § 87 Abs. 2 AktG Ebenso unklar ist die Rechtslage für die entsprechende Anwendung der Neuregelungen über die Herabsetzung des Geschäftsführergehalts. Wiederum ist nach den verschiedenen Formen der Aufsichtsratsbildung zu unterscheiden: Für den fakultativen sowie für den nach dem DrittelbG gebildeten Aufsichtsrat kann hier nichts anderes als bei der Bestimmung des Gehaltes gelten, da dieser über keine Personalkompetenzen verfügt, also auch spiegelbildlich nicht bei der Herabsetzung. Zwar könnte sich demgegenüber die Rechtslage für den zwingenden, nach dem MitbestG 1976 zu bildenden Aufsichtsrat angesichts seiner Kompetenzen zur Anstellung theoretisch anders darstellen. Doch kann auch hier nichts anderes als für § 87 Abs. 1 AktG gelten: Denn ebenso wenig wie § 87 Abs. 1 AktG durch § 25 Abs. 1 MitbestG in Bezug genommen wird, ist dies für § 87 Abs. 2 AktG der Fall23.
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19 Seibert, WM 2009, 1489, 1490. 20 S. etwa Greven, BB 2009, 2154, 2158 f.; ebenso Feddersen/v.Cube, NJW 2010, 576, 578. Eine Ausnahme stellen Lunk/Stolz, NZA 2010, 121, 125 ff. für die Herabsetzung der Bezüge dar. 21 Wie hier Döring/Grau, DB 2009, 2139, 2140; Wübbelsmann, GmbHR 2009, 988, 990 f. 22 Zutr. Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121, 1123. 23 Anders noch für das frühere Recht OLG Köln, NZG 2008, 637; OLG Naumburg, GmbHR 2004, 423, 424; Marsch-Barner/Diekmann in MünchHdb. Gesellschaftsrecht, Band 3: GmbH, 3. Aufl. 2009, § 43 Rz. 24; dagegen schon für das alte Recht OLG Frankfurt/M., GmbHR 2005, 550, 554.; Uwe H. Schneider/Sethe in Scholz (Fn. 16), § 35 GmbHG Rz. 241, 218.
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Parallelen zu oben zeigen sich indes auch hier in der Anwendung der allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Pflichten: Denn nach der – zutreffenden – Rechtsprechung des BGH und der ganz überwiegenden Auffassung in der Literatur greift eine Pflicht des Geschäftsführers zur Zustimmung einer Herabsetzung seiner Bezüge ein (als Ausfluss seiner organschaftlichen Treuepflicht), wenn die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft sich bis zu deren Existenzgefährdung verschlechtert hat, einerlei, ob und welcher Mitbestimmungsform die GmbH unterfällt24. Dieser Pflicht des Geschäftsführers entspricht natürlich spiegelbildlich die Pflicht des Aufsichtsrats, den Geschäftsführer zur Herabsetzung aufzufordern. Dann liegt es auch nahe, für die Konkretisierung dieser Pflichten die Wertungen des § 87 Abs. 2 AktG und dessen Kriterien heranzuziehen25. Dies kann allerdings nicht ohne weiteres für die nach dem VorstAG erheblich herabgesetzten Eingriffskriterien nach § 87 Abs. 2 AktG gelten, die schon bei einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage verfangen26. Dabei kann auch nicht zwischen der nach fast-paritätisch mitbestimmten GmbH und anderen Mitbestimmungsformen oder mitbestimmungsfreien GmbH differenziert werden27: Denn entscheidend ist, wie bei der Anwendung des § 87 Abs. 1 AktG, nicht die jeweilige Mitbestimmungsform, sondern das Ausmaß der Einfluss- und Selbstschutzmöglichkeiten der Gesellschafter hinsichtlich der Vergütung des Geschäftsführers. Während dies für die nicht paritätisch mitbestimmte GmbH angesichts der Personalkompetenz der Gesellschafter unmittelbar einleuchtet, gilt dies aber auch für die nach dem MitbestG 1976 mitbestimmte GmbH, da die Gesellschafter hier zwar nicht unmittelbar gegenüber dem Geschäftsführer tätig werden können, aber doch über erheblich mehr Einflussmöglichkeiten als Aktionäre verfügen, und sei es über ihre weitgehenden Informationsrechte; eine analoge Anwendung von § 87 Abs. 2 AktG scheidet daher aus28. Dies gilt erst recht im Hinblick auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen, da im GmbH-Recht keine einseitige Herabsetzung möglich ist29.
__________ 24 BGH, NJW 1992, 2894, 2896; BGH, GmbHR 1995, 654, 655; näher dazu Lindemann, GmbHR 2009, 737, 739 f.; Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121, 1124; Lunk/Stolz, NZA 2010, 121, 123 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff (Fn. 16), Anh. § 6 GmbHG Rz. 34a; Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter (Fn. 16), § 35 GmbHG Rz. 193; Uwe H. Schneider/Sethe in Scholz (Fn. 16), § 35 GmbHG Rz. 241, alle m. w. N. 25 So Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck (Fn. 16), § 35 GmbHG Rz. 187. 26 S. dazu Spindler, NJOZ 2009, 3282, 3286 f.; Diller, NZG 2009, 1006, 1006 ff.; Bauer/ Arnold, AG 2009, 717, 724 ff.; Thüsing, AG 2009, 517, 522 ff.; zu den Unterschieden zur GmbH-rechtlichen Treuepflicht und deren Kriterien Lunk/Stolz, NZA 2010, 121, 126 ff. 27 So aber Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121, 1125. 28 Im Ergebnis ebenso Lunk/Stolz, NZA 2010, 121, 126 f., allerdings wegen eines fehlenden vergleichbaren „öffentlichen Interesses“. 29 Zutr. Lunk/Stolz, NZA 2010, 121, 126 f.
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V. Die Zuständigkeit des Plenums für Vergütungsfragen Die fehlende unmittelbare Anwendbarkeit des § 87 AktG auf die (mitbestimmte) GmbH präjudiziert indes noch nicht die Frage, wer innerhalb des Organs Aufsichtsrat für Fragen der Vergütung zuständig ist. Mit der Novellierung des Rechts der Vorstandsvergütung stellt sich indes mangels des materiellen Verweises auf § 87 AktG die Frage, ob auch das neu gefasste Delegationsverbot des § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG, das nunmehr die Vergütungsfragen zwingend dem Plenum zuweist, nicht ins Leere geht. Mangels einer entsprechenden materiell-rechtlichen Pflicht könnte die Auffassung vertreten werden, dass notwendigerweise auch das Delegationsverbot nicht eingreifen könnte und weiterhin einem Ausschuss sämtliche Anstellungsfragen einschließlich der Vergütung zur abschließenden Behandlung überwiesen werden könnte30. 1. Fakultativer Aufsichtsrat Für den fakultativen Aufsichtsrat nach § 52 Abs. 1 GmbHG stellt sich die Frage angesichts des fehlenden Verweises auf § 107 Abs. 3 AktG nicht – insbesondere die Delegationsverbote des § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG greifen daher nicht. 2. Der Aufsichtsrat der GmbH nach dem MitbestG 1976 Anders sieht dagegen die Rechtslage für die nach dem MitbestG 1976 mitbestimmte GmbH aus: Hier zieht § 25 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG 1976 das Delegationsverbot des § 107 Abs. 3 AktG heran, indem auf §§ 107 bis 116 AktG verwiesen wird. Sowohl Wortlaut als auch Systematik sprechen daher hier eine andere Sprache als bei den materiell-rechtlichen Kriterien für die Vergütungsentscheidung. Es muss zudem nicht notwendigerweise ein Gleichlauf zwischen materiell-rechtlichen Entscheidungskriterien und der Kompetenzzuweisung bestehen31: So wie verfahrensrechtliche Sicherungen von materiellen Leitlinien zu trennen sind, können auch Kompetenzzuweisungen einen eigenen Sinngehalt und eine eigenständige Schutzrichtung aufweisen. Auch kann im Gegensatz zu den materiell-rechtlichen Kriterien hier nicht ohne weiteres darauf abgestellt werden, welche Kompetenzen der Aufsichtsrat grundsätzlich inne hat. Zwar trifft der Gleichlauf mangelnder Befugnisse im Anstellungsbereich einerseits und des fehlenden Verweises auf § 107 AktG in § 52 Abs. 1 GmbHG andererseits für den fakultativen Aufsichtsrat zu, nicht jedoch für den nach DrittelbG mitbestimmten Aufsichtsrat. Denn der Aufsichtsrat nach dem DrittelbG hat ebenfalls von vornherein keine Kompetenzen für die Festlegung der Anstellungskonditionen; dennoch nimmt ihn die Verweisung in § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG nicht von den Delegationsverboten aus, so dass es vom Wortlaut und der Systematik her bei der Zuständigkeit des Plenums verbliebe – auch wenn sich ein Widerspruch zu der fehlenden Kompetenz des Aufsichts-
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30 So in der Tat Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 9 f. 31 Dies räumt im Ansatz auch Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 9 f. ein.
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rats ergäbe32. Erst recht würde dies für den nach dem MitbestG 1976 mitbestimmten Aufsichtsrat in der GmbH gelten, da hier zwingend eine Befugnis des Aufsichtsrats für den Anstellungsvertrag besteht, mithin wie im Aufsichtsrat nach AktG33. Namentlich Habersack hat in Frage gestellt, dass ein eigenständiges Delegationsverbot in § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG nur für Vergütungsfragen für den mitbestimmten Aufsichtsrat der GmbH Sinn entfalte. Wenn der Gesetzgeber dies gewollt habe, hätte er nach dieser Auffassung auf § 84 Abs. 1 Satz 5 AktG verweisen müssen34. Der Gesetzgeber habe jedoch nur die Vergütungsverantwortung des Aufsichtsrats und damit die Transparenz stärken wollen, zumal nicht der gesamte Anstellungsvertrag zur Behandlung dem Plenum überwiesen worden sei35. Aus dieser nur selektiven Zuweisung der Zuständigkeit allein für die Vergütungsfragen folge sodann, dass das Delegationsverbot nicht generell die Fragen der Anstellung umfasse, mithin § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG nicht auf die Zuständigkeit des Aufsichtsrats verweise, sondern diese überhaupt erst voraussetze36. Auch aus der Gesetzgebungsgeschichte werde deutlich, dass das VorstAG bzw. § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG nicht auf die mitbestimmte GmbH anwendbar sei37. Diese Auffassung sieht sich jedoch mit mehreren Einwänden konfrontiert: Zunächst ist die Behauptung brüchig, dass der Gesetzgeber auch die Anwendung des Delegationsverbotes in § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG auf die mitbestimmte GmbH habe ausschließen wollen. Die entscheidende, bereits oben zitierte Passage in der Gesetzesbegründung stellt ersichtlich nicht darauf ab, ob eine GmbH der Mitbestimmung unterliegt, geschweige denn welcher Mitbestimmungsform. Im Vordergrund der Erwägungen des Gesetzgebers steht vielmehr, dass die Tatsache der stärkeren Eigentümerkontrolle bei der GmbH (ebenso wie bei der nicht-börsennotierten AG) dazu führt, dass kein Bedürfnis für eine stärkere (gerichtliche) Kontrolle der Nachhaltigkeit (§ 87 Abs. 1 Satz 2 AktG) besteht. Ersichtlich wird auf die Frage der Börsennotierung und der stärkeren Rückbindung an die Gesellschafter abgestellt, nicht aber auf die Mitbestimmung. Ferner geht es in der zitierten Passage in keiner Weise um die Frage der Kompetenzen des Plenums oder von Delegationsverboten; der Gedanke der stärkeren Transparenz der Vergütung im Rahmen der Plenarzuständigkeit wird hier überhaupt nicht thematisiert. Überspitzt formuliert müsste man mit der gleichen Begründung dann auch bei der nicht-börsennotierten
__________ 32 Dazu sogleich unten V.3. 33 Wie hier letztlich Lunk/Stolz, NZA 2010, 121, 127; im Ergebnis auch Döring/Grau, DB 2009, 2139, 2141, ebenso Gaul/Janz, GmbHR 2009, 959, 962 f., beide allerdings ohne Problembewusstsein. 34 Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 9 f.; ähnlich Feddersen/v.Cube, NJW 2010, 576, 578 f.; Hoffmann-Becking/Krieger, NZG 2009, Beil. zu Heft 26, Rz. 78 f. 35 Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 10 unter Verweis auf die Begr. zum Fraktionsentwurf BT-Drucks. 16/12278, S. 6. 36 Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 10. 37 Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 10 f.; ebenso zuvor Greven, BB 2009, 2154, 2159; Feddersen/v. Cube, NJW 2010, 576, 578 f.
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Gesellschaft die Geltung des Delegationsverbotes (§ 107 Abs. 3 Satz 3 AktG) verneinen38 – was ersichtlich nicht der Fall ist, da § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG auf den gesamten § 87 Abs. 1 AktG verweist, das Delegationsverbot also keineswegs von der Börsennotierung abhängig macht. Dies leitet zum nächsten Einwand über: Wenn der Gesetzgeber sowohl für die börsennotierte als auch nicht-börsennotierte AG das Delegationsverbot in toto vorsieht, also auch für § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG, warum sollte dann ausgerechnet bei der mitbestimmten GmbH, anders als bei der nicht-börsennotierten Gesellschaft, die Delegation auf einen Ausschuss möglich sein? Denn sowohl der Aufsichtsrat der nicht-börsennotierten AG als auch der nach dem MitbestG 1976 verfügen zweifelsohne über die Kompetenz die Bedingungen des Anstellungsvertrages des Vorstandsmitglieds bzw. Geschäftsführers festzulegen39. Der Sinn und Zweck einer Kompetenzfestlegung kann aber unabhängig von den materiell-rechtlichen Leitlinien für die Vergütungsstruktur – wie dargelegt – einer verfahrensrechtlichen Sicherung dienen, wie auch die Gegenauffassung ansatzweise einräumt40. Denn der Zweck, eine größere Transparenz der Vergütung durch Behandlung im gesamten Plenum zu erreichen41, ist völlig unabhängig davon, ob bei der Bestimmung der Vergütung eine Nachhaltigkeit zugrunde zu legen ist (wobei auch hier über das Ermessen des Aufsichtsrats die Nachhaltigkeit durchaus ein wichtiges Kriterium spielt, auch ohne Börsennotierung42). Dass zudem nicht der gesamte Anstellungsvertrag dem Plenum zugewiesen ist, spielt keine Rolle dafür, dass wenigstens die Vergütung einer größeren Transparenz durch die Beteiligung aller Aufsichtsratsmitglieder unterliegen soll. Denn gerade die Verantwortlichkeit aller Aufsichtsratsmitglieder für die Vergütung sollte gestärkt werden – was ersichtlich völlig unabhängig von der Börsennotierung der Fall ist. Nicht allein die Transparenz gegenüber den Anteilseignern steht in Rede, sondern eben auch die Verantwortung des Aufsichtsrats als gesamtes Organ. Warum aber nur mitbestimmte GmbHs (bei einer zwingenden Zuständigkeit des Aufsichtsrats für Anstellungsfragen) hiervon ausgenommen sein sollen, während nicht-börsennotierte Aktiengesellschaften unter das Delegationsverbot fallen, erschließt sich nicht. Sachliche Gründe lassen sich für diese Differenzierung nicht ausmachen. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass – wie hier auch vertreten – § 87 Abs. 1 AktG nicht unmittelbar auf die (auch mitbestimmte) GmbH Anwendung findet. Denn wie auch die Gegenauffassung einräumt, finden die Kriterien des § 87 Abs. 1 AktG (mit Ausnahme des Abs. 1 Satz 2 AktG) parallel Anwendung. Es wäre reiner Formalismus, aus der fehlenden unmittelbaren Anwendung des § 87 Abs. 1 AktG – bei gleichzeitiger inhaltlicher Geltung – zu folgern, dass nunmehr auch das Delegationsverbot ins Leere liefe. Im Gegen-
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38 Diese Inkonsequenz verdrängen etwa Greven und Habersack (Fn. 37). 39 Im Ansatz ebenso Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121, 1126. 40 S. etwa (mit offenem Ergebnis) Hoffmann-Becking/Krieger, NZG 2009, Beil. zu Heft 26, Rz. 78 f.; anders aber Greven, BB 2009, 2154, 2159, der dies überhaupt nicht thematisiert. 41 S. dazu die Begr. zum Fraktionsentwurf BT-Drucks. 16/12278, S. 6. 42 Dies erwägend Döring/Grau, DB 2009, 2139, 2140.
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teil: Findet schon aus Gründen des Gesellschaftsinteresses der Kanon des § 87 Abs. 1 AktG bei der Festlegung der Vergütung Anwendung, muss für die Herstellung der Transparenz aus Wertungsgesichtspunkten das Delegationsverbot des § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG eingreifen. Selbst wenn man also das Delegationsverbot allein an die Rückbindung des Aufsichtsrats an die Kriterien des § 87 Abs. 1 AktG knüpfen wollte, darf die Wertung des Gesetzgebers nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden, dass die Gewichtigkeit der Vergütungsfrage im Aufsichtsrat bei zwingender Personalkompetenz dem Plenum zugewiesen ist. 3. Der Aufsichtsrat der GmbH nach dem DrittelbG Noch komplexer stellt sich demgegenüber die Rechtslage bei dem Aufsichtsrat einer nach dem DrittelbG mitbestimmten GmbH dar: Zum einen verweist § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG generell auf die §§ 95–114 AktG, so dass auch die Delegationsverbote des § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG grundsätzlich Gültigkeit beanspruchen würden. Zum anderen aber ändert die Inbezugnahme der §§ 95–114 AktG nichts daran, dass der nach dem DrittelbG mitbestimmte Aufsichtsrat über keine Kompetenz zur Bestellung und Anstellung der Geschäftsführer verfügt; diese bleibt unbestritten bei der Gesellschafterversammlung, da dem Aufsichtsrat keine Bestellungskompetenz eingeräumt wird und selbstständige Befugnisse im schuldrechtlichen Bereich keinen Sinn ergäben. Vielmehr besteht eine Annexkompetenz der Gesellschafterversammlung43. Dann aber geht auch eine Zuständigkeit des Gesamtaufsichtsrats für Vergütungsfragen ins Leere, wenn der Aufsichtsrat von vornherein nicht für die Festlegung der Anstellungskonditionen zuständig ist44. Daher ist hier der Rückschluss zutreffend, dass der Gesetzgeber zumindest unbedacht die Verweisung beibehalten hat und in diesem Fall eine teleologische Reduktion vollzogen werden muss. Hierfür spricht zudem, dass auch bei anderen Verweisungen, etwa von § 52 Abs. 1 GmbHG sowie § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG auf § 112 AktG, aus der Vertretungsbefugnis keine Befugnis zum Abschluss des Anstellungsvertrages für den Aufsichtsrat folgt45. Das Delegationsverbot und die Verweisung des DrittelbG behalten jedoch dann ihren Sinn, wenn dem Aufsichtsrat über die Satzung die Kompetenzen zur Bestellung und Anstellung eingeräumt wurden. Denn in diesem Fall greifen die gleichen Wertungen ein wie im Fall der nicht-börsennotierten AG oder der nach dem MitbestG 1976 mitbestimmten GmbH: Hier soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers eben der gesamte Aufsichtsrat die Verantwortung für die Festlegung der Vergütung tragen. Dann aber besteht kein Grund, dies bei einer entsprechenden, über die Satzung zugewiesenen Kompetenz des Aufsichtsrats
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43 Zutr. Uwe H. Schneider/Sethe in Scholz (Fn. 16), § 35 GmbHG Rz. 202; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck (Fn. 16), § 35 GmbHG Rz. 167; Oetker in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 9. Aufl. 2009, § 1 DrittelbG Rz. 17; offen BGH, GmbHR 1999, 1140. 44 Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121, 1126; Hoffmann-Becking/Krieger, NZG 2009, Beil. zu Heft 26, Rz. 77; insoweit auch Greven, BB 2009, 2154, 2158. 45 S. oben Fn. 43.
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nach dem DrittelbG anders zu behandeln, sofern die Kompetenzzuweisung durch die Gesellschafter bzw. die Satzung keine weiteren Vorgaben enthält46. Allerdings hat es der Satzungsgeber in der Hand, die Delegation auf einen Ausschuss vorzusehen oder in das Ermessen des Aufsichtsrats zu stellen, da es sich eben nicht um eine zwingende Kompetenz des Aufsichtsrats handelt47. 4. Fazit Das entscheidende Differenzierungskriterium im Rahmen der Verweisung auf das Delegationsverbot des § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG ist die vom Gesetzgeber intendierte Stärkung der Verantwortung aller Aufsichtsratsmitglieder für die Vergütung der geschäftsleitenden Organmitglieder. Nicht die Börsennotierung bildet das ausschlaggebende Merkmal für die Zuständigkeit des Plenums, sondern die gewollte Transparenz der Vergütung und Verantwortung aller Aufsichtsratsmitglieder hierfür; kein Aufsichtsratsmitglied soll sich hinter den in einem kleinen Ausschuss getroffenen Entscheidungen „verstecken“ können. Zentral ist daher nicht die fehlende Börsennotierung oder die stärkere Eigentümerkontrolle in einer GmbH, sondern die zwingende Zuweisung von Personalkompetenzen an den Aufsichtsrat einer Gesellschaft. Nur in diesem Fall soll auch der gesamte Aufsichtsrat in die Pflicht genommen werden. Für die nach dem MitbestG 1976 mitbestimmte AG folgt daraus, dass das Delegationsverbot des § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG eingreift, für die nach dem DrittelbG mitbestimmte GmbH dagegen nur dann, wenn die Satzung dem Aufsichtsrat die Kompetenz für Bestellung und Anstellung zuweist und keine besonderen Regelungen über die Zuständigkeit innerhalb des Aufsichtsrats getroffen hat. Gleiches gilt für den fakultativen Aufsichtsrat: Nur bei entsprechender Zuweisung der Kompetenzen kann die Wertung des § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG herangezogen werden.
VI. Sonstige Verweisungsfragen Andere offene Fragen der Verweisung in § 52 Abs. 1 GmbHG oder den Mitbestimmungsgesetzen aus dem VorstAG lassen sich dagegen vergleichsweise „einfach“ beantworten – wenngleich die Reichweite der Verweisung des GmbHund Mitbestimmungsrechts auf das Aktienrecht keineswegs endgültig ausgelotet erscheint: Keine Anwendung auf die GmbH – auch nicht analog und auch nicht auf die nach MitbestG mitbestimmte GmbH – können von vornherein die meisten rein auf börsennotierte Aktiengesellschaften gemünzten Regelungen finden, wie etwa das nicht verbindliche Votum der Hauptversammlung über das Vergütungssystem (§ 120 Abs. 4 AktG – say-on-pay)48, die Verlängerung der Aus-
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46 Anders Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121, 1126. 47 Insoweit ebenso Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121, 1126. 48 Der Gesetzgeber hat hier ausdrücklich festgehalten, dass für andere Gesellschaftsformen kein entsprechendes Bedürfnis besteht, BT-Drucks. 16/13433, S. 19; s. auch Döring/Grau, DB 2009, 2139, 2141; Gaul/Janz, GmbHR 2009, 959, 963.
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Vergütungsfragen der Geschäftsführung einer GmbH nach dem VorstAG
übungsfrist bei Aktienoptionen (§ 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG) oder die Verschärfung der Publizität (§§ 285 Satz 1 Nr. 9 lit. a, 314 Abs. 1 Nr. 6 lit. a HGB)49. Allen Regelungen gemeinsam ist, dass die andersartige Struktur der GmbH nicht auf sie passt, weder hinsichtlich der Publizität noch hinsichtlich der Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung. Nicht ganz so eindeutig fällt der Befund dagegen für die ebenfalls nur auf börsennotierte Aktiengesellschaften bezogenen Eingrenzungen für variable Vergütungsbestandteile (§ 87 Abs. 1 Satz 3 AktG) aus: Wie dargelegt, können diese Kriterien durchaus eine Rolle im Rahmen des Ermessens des Aufsichtsrats spielen, wenngleich sie nicht dasselbe Gewicht und nicht dieselbe Bindungsintensität des Aufsichtsrats wie bei der börsennotierten AG erlangen; nur evidente Verstöße werden hier in der Regel eine Pflichtverletzung begründen können. Ebenso wenig kann von vornherein der Bestimmung, dass das in den Aufsichtsrat wechselnde Vorstandsmitglieder eine Karenzzeit von zwei Jahren einhalten muss (§ 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG), jegliche Existenzberechtigung für die nicht-börsennotierte Gesellschaft, insbesondere GmbH, abgesprochen werden50. Zwar ist es richtig, dass die Karenzfrist bzw. deren rechtliche Regulierung Kontrolldefizite der Anteilseigner ausgleichen soll, die in dieser Form eben nicht bei der GmbH (und nicht-börsennotierten AG) bestehen51. Daher ging der Rechtsausschuss, auf den die Regelung zurückzuführen ist, davon aus, dass nur bei börsennotierten Gesellschaften ein Kontrolldefizit durch die Eigentümergesamtheit bestehe52. Doch könnte die Karenzfrist auch generell als ein Element guter „Corporate Governance“ verstanden werden, die nicht nur für börsennotierte Aktiengesellschaften Geltung beanspruchen muss. Dies zeigt etwa die durch das MoMiG eingeführte Regelung des unabhängigen Finanzexperten, § 100 Abs. 5 AktG, die auch für kapitalmarktorientierte GmbHs gilt. Auch verweisen sowohl § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG als auch noch deutlicher § 6 Abs. 2 MitbestG unter anderem auf § 100 AktG, so dass auch § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG umfasst wäre53. Letztlich schlägt der Verweis auf die Kontrolle der Anteilseigner jedoch durch, da sie es stets in der Hand haben, über ihre umfangreichen Kontrollrechte als GmbH-Gesellschafter ein intransparentes Gebaren des Aufsichtsrats zu verhindern. Eine entsprechende Anwendung wäre daher allenfalls für die atypische GmbH mit zahlreichen „kleinen“ Gesellschaftern denkbar. Auch lässt sich ähnlich der Kontrolle der Vergütung über die Treuepflicht von Mehrheits- gegenüber Minderheitsgesellschafter daran denken, die Wertung des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG bei solchen Konflikten in besonders gelagerten Fällen heranzuziehen.
__________ 49 50 51 52 53
S. auch Döring/Grau, DB 2009, 2139, 2141; Greven, BB 2009, 2154, 2156. A. A. Greven, BB 2009, 2154, 2156; Döring/Grau, DB 2009, 2139, 2141. Darauf stellen im Wesentlichen Döring/Grau, DB 2009, 2139, 2141 ab. Bericht Rechtsausschuss BT-Drucks. 16/13433, S. 11. Dies verkennen Döring/Grau, DB 2009, 2139, 2141; genau umgekehrt Gaul/Janz, GmbHR 2009, 959, 964, die ohne weiteres sich auf den Verweis von § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG berufen, der indes überhaupt nicht auf § 100 AktG verweist (anstatt richtigerweise § 6 Abs. 2 MitbestG).
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Einem Verweis ebenfalls entzogen wurde der Selbstbehalt in der D&O-Versicherung, § 92 Abs. 2 Satz 3 AktG. Gerade den schon für den Aufsichtsrat in der AG nicht geltenden Verweis (§ 116 Satz 1 AktG) hat der Gesetzgeber (nochmals)54 auch für die GmbH betont. Aber auch für den Geschäftsführer selbst kann nichts anderes gelten: Der Verweis nach § 52 Abs. 1 GmbHG kann sich von vornherein nur auf den Aufsichtsrat beziehen, eine Pflicht zur Einführung von Selbstbehalten hätte in den Verweiskatalog des § 52 Abs. 1 GmbHG aufgenommen werden müssen. Eine analoge Anwendung verbietet sich daher von vornherein. Für die nach dem DrittelbG mitbestimmte GmbH ebenso wie für die nach dem MitbestG 1976 mitbestimmte GmbH ergeben sich keine Unterschiede: Auch hier fehlt es an einer Verweisungsnorm über § 116 AktG. Für eine Analogie bedürfte es zudem einer planwidrigen Regelungslücke, für die hier keine Anhaltspunkte ersichtlich sind55. Insbesondere darf nicht übersehen werden, dass im Gegensatz zur Aktiengesellschaft in der GmbH andere und wesentlich effektivere Anreizmechanismen bestehen, Pflichtwidrigkeiten der Geschäftsleitung zu verfolgen. Außerdem können sich die Gesellschafter bei der fast-paritätisch mitbestimmten GmbH durch Weisungen an den Geschäftsführer selbst schützen. Daher bedarf es keiner derart strengen Reglementierung bei D&O-Versicherungen56.
VII. Ausblick Die aufgezeigten grundsätzlichen Probleme der Verweisungen im Rahmen des VorstAG zeigen wie in einem Brennglas das schwierige Zusammenspiel von Aktien-, GmbH- und Mitbestimmungsrecht, das keineswegs bis in alle Facetten durchleuchtet und letztlich auf die ungelöste Grundfrage der Ansiedlung der unternehmerischen Mitbestimmung in der GmbH zurückzuführen ist. Zwar können Rechtsprechung und Wissenschaft zahlreiche Einzelfragen einer mehr oder minder befriedigenden Antwort zu führen; die fundamentale Frage der Einpassung der unternehmerischen Mitbestimmung in eine gesellschafterdominierte Rechtsform bleibt damit jedoch offen. Ob Verhandlungslösungen, wie sie jetzt vorgeschlagen werden, den gordischen Knoten zu durchschlagen vermögen, wird noch intensiver zu diskutieren sein, insbesondere vor dem Hintergrund der Frage, ob Verhandlungen durch Arbeitskampfmaßnahmen begleitet werden können.
__________ 54 Feddersen/v. Cube, NJW 2010, 576, 577. 55 Ebenso Döring/Grau, DB 2009, 2139, 2141; Thüsing/Traut, NZA 2010, 140, 144. 56 Im Ergebnis ebenso Greven, BB 2009, 2154, 2157.
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Die Bestellung des Finanzexperten im Aufsichtsrat Inhaltsübersicht I. Anwendungszeitpunkt II. Umsetzungsverfahren
III. Bestellmängel betreffend den Aufsichtsrat IV. Bestellmängel betreffend den Prüfungsausschuss
§ 100 AktG ist durch das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts – BilMoG – vom 25. Mai 2009 um einen neuen Absatz 5 ergänzt worden. Danach muss bei sogenannten kapitalmarktorientierten Gesellschaften im Sinne des § 264d des Handelsgesetzbuchs mindestens ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrates über Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen. In Anlehnung an den durch den Sarbanes-Oxley Act 2002 für in USA notierte Gesellschaften als Pflichtmitglied des Audit Committee1 eingeführten „Financial Expert“2 hat sich für dieses Mitglied des Aufsichtsrats die Bezeichnung „Finanzexperte“ oder „unabhängiger Finanzexperte“ durchgesetzt. Hat die Gesellschaft einen Prüfungsausschuss eingerichtet, so muss mindestens ein Finanzexperte Mitglied dieses Ausschusses sein. Nähere Regelungen zur Bestimmung der erforderlichen Qualifikation oder deren Nachweis fehlen. Hierauf soll an dieser Stelle jedoch nicht eingegangen werden. Auch zur Auswahl und Wahl des Finanzexperten ist nichts gesagt. Lediglich in § 12 des Einführungsgesetzes zum Aktiengesetz (EGAktG) wird durch Anfügung eines neuen Absatzes 43 bestimmt, dass § 100 Abs. 5 und § 107 Abs. 4 AktG, die das Erfordernis des Finanzexperten im Aufsichtsrat bzw. Prüfungsausschuss regeln, keine Anwendung finden, solange alle Mitglieder des Aufsichtsrats und des Prüfungsausschusses vor dem 29. Mai 2009 bestellt worden sind. Damit ist zwar die von Manuel Theisen4 vertretene, inhaltlich verständliche Auffassung vom Tisch, dass die Hauptversammlung einer Gesellschaft auch bei einem unveränderten Aufsichtsrat einen ihm angehörigen Finanzexperten umgehend förmlich als solchen bestätigen müsse. Denn eine solche Gesellschaft muss eben gerade nicht über einen Finanzexperten verfügen. Im
__________ 1 Da nach Section 301 Abs. 3 Sarbanes-Oxley Act alle Mitglieder des Audit Committee „independent“ sein müssen, ist dieses Kriterium in Section 407 SOX nicht nochmals erwähnt. 2 Siehe Section 407 Sarbanes-Oxley Act. 3 Einfügung durch Art. 6 BilMoG. 4 Vgl. FAZ v. 18.6.2009, S. 14 „Aufsichtsräte gefangen im Dickicht von Vorschriften“; ders. in Der Aufsichtsrat 2009, 81; a. A. v. Falkenhausen/Kocher, ZIP 2009, 1601, 1602.
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Übrigen geben aber sowohl die gesetzlichen Neuregelungen als auch – in noch verstärktem Maße – deren Lückenhaftigkeit Anlass zu einer Vielzahl von Auslegungsfragen.
I. Anwendungszeitpunkt Die – scheinbare – Klarheit des § 100 Abs. 5 AktG geht von dem Gedanken aus, dass, sobald eine Neuwahl oder -bestellung eines Aufsichtsrats- oder Prüfungsausschussmitglieds erfolgt, diese Wahl/Bestellung in Ansehung des Erfordernisses eines Finanzexperten erfolgen muss und kann. Dies ist für den Fall einer generellen Neuwahl des Aufsichtsrates unproblematisch. Gleiches gilt für den Fall eines sogenannten „staggered board“, wie er in Deutschland nur selten vorkommt5. Auch hier findet eine (teilweise) Neuwahl statt, in der das neue Erfordernis berücksichtigt werden kann. Schwierigkeiten ergeben sich dagegen, wenn es zu einer gerichtlichen Nachbestellung kommt. Auch damit ist die Pflicht zur Anwendung der §§ 100 Abs. 5 und 107 Abs. 4 AktG verbunden. Der Antrag nach § 104 AktG auf gerichtliche Bestellung hat dies zu berücksichtigen. Das Gericht wird zu prüfen haben, ob im verbleibenden Restaufsichtsrat bereits ein Finanzexperte vertreten ist und, wenn nicht, ob der jetzt zur Bestellung Vorgeschlagene der Qualifikation für einen Finanzexperten genügt. Schon bei der Nachbestellung eines Anteilseignervertreters im Aufsichtsrat dürfte dies zu erhöhtem Prüfungsaufwand und damit wohl auch zu zeitlichen Verzögerungen führen. Trifft dagegen die Nachbestellung einen Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat6, so dürfte – wenn bis dahin kein Finanzexperte im Aufsichtsrat vertreten ist und der Arbeitnehmervertreter deshalb die Qualifikation eines Finanzexperten erfüllen muss – die Bestellung mangels geeignet qualifizierter Arbeitnehmer auf Schwierigkeiten stoßen. Möglich wäre auch, dass zwar entsprechende Kandidaten zur Verfügung stehen, diese aber aufgrund ihrer Stellung im Unternehmen eher dem Anteilseignerlager zugerechnet werden müssen und damit die Balance im mitbestimmten Aufsichtsrat beschädigen. Hat das Unternehmen bereits einen Prüfungsausschuss gehabt, aber nicht über einen Finanzexperten verfügt, so ist bei der Nachbestellung eines Finanzexperten in den Aufsichtsrat – gleichgültig ob es sich hierbei um einen Arbeitnehmer- oder Anteilseignervertreter handelt – auch die Zusammensetzung des Prüfungsausschusses berührt, denn der Finanzexperte muss zwingend zugleich Mitglied des Prüfungsausschusses werden. Sollte es hier nicht zu einer einvernehmlichen Regelung kommen, etwa dass ein Mitglied des Prüfungsausschusses zurücktritt und dem Finanzexperten Platz macht oder der Prüfungsaus-
__________ 5 Die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex hat deshalb die entsprechende Anregung in der früheren Ziff. 5.4.6 des Kodex ersatzlos gestrichen. 6 Es dürfte zwar den Regelfall bilden, dass der Finanzexperte von der Anteilseignerbank gestellt wird. Eine Regelung, die einen Arbeitnehmervertreter als Finanzexperten ausschließen würde, gibt es jedoch nicht. Vgl. auch v. Falkenhausen/Kocher, ZIP 2009, 1601; Schilmar, Der Aufsichtsrat 2009, 101, 103.
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schuss um den Finanzexperten erweitert wird, obliegt es dem Aufsichtsrat, über die Besetzung des Prüfungsausschusses zu beschließen. Da er in der Einsetzung des Ausschusses autonom ist, kann er als contrarius actus auch dessen Auflösung oder Neuzusammensetzung – dann mit dem neubestellten Finanzexperten – beschließen. Möglich erscheint auch die Abberufung7 nur eines Ausschussmitglieds und dessen Ersetzung durch den Finanzexperten. Ein ähnliches Problem ergibt sich, wenn ein Mitglied des Prüfungsausschusses aus dem Ausschuss ausscheidet8, aber im Aufsichtsrat verbleibt. Auch hier ist zumindest nach dem Wortlaut des § 12 Abs. 4 EGAktG die Voraussetzung gegeben, dass ein Finanzexperte dem Aufsichtsrat bzw. dem Prüfungsausschuss angehören muss, wenn es zu einer Neubestellung aus der Mitte des – unveränderten – Aufsichtsrates zur Besetzung der frei gewordenen Stelle des Prüfungsausschusses kommt. Einfachste Lösung wäre hier, auf die Neubestellung eines Prüfungsausschussmitgliedes zu verzichten. Richtiger wäre es allerdings, § 12 Abs. 4 EGAktG dahin auszulegen, dass ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Bestimmung das Hinzukommen eines neuen Aufsichtsratsmitglieds „von außen“ ist, egal ob dies durch Wahl oder Bestellung geschieht9. Eine weitere Problematik ergibt sich für die Anwendung der §§ 100 Abs. 5 und 107 Abs. 4 AktG daraus, dass diese nur für sogenannte kapitalmarktorientierte Gesellschaften im Sinne des § 264d HGB Anwendung finden. Das Kriterium der kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaft ist aber kein statisches, sondern kann sich im Verlauf weniger Monate oder gar Tagen ergeben oder auch wieder entfallen. Kapitalmarktorientiert wird eine Gesellschaft schon, wenn sie die Börsennotierung ihrer Aktien oder auch nur die Zulassung einer Unternehmensanleihe beantragt. Ob es tatsächlich zur Zulassung kommt, ist gleichgültig. Auch hier würde ab dem Tag der Antragstellung der Aufsichtsrat der Gesellschaft mit einem unabhängigen Finanzexperten zu besetzen sein. Gehört ein solcher Finanzexperte dem Aufsichtsrat nicht an, so kann die Gesellschaft entweder mit dem Antrag auf Zulassung bis zum nächsten Revirement im Aufsichtsrat warten oder in Kauf nehmen, gegen § 100 Abs. 5 AktG zu verstoßen10. Eine Übergangfrist – etwa bis zur nächsten turnusmäßigen Wahl des Aufsichtsrates – ist im Gesetz nicht vorgesehen.
II. Umsetzungsverfahren Auswahl und Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds (Anteilseignervertreter) einer deutschen Aktiengesellschaft – und damit mutmaßlich zukünftig auch des Finanzexperten – vollziehen sich in mehreren, einander nachfolgenden, weit-
__________ 7 Habersack in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 107 AktG Rz. 120. 8 Etwa durch Rücktritt als Ausschussmitglied, vgl. Hopt/Roth in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2005, § 107 AktG Rz. 267. 9 Ähnlich v. Falkenhausen/Kocher, ZIP 2009, 1601. 10 Zu den Folgen eines solchen Verstoßes siehe unten 3. Derzeit kommt bei einer solchen Konstellation der Gesellschaft allerdings noch die Übergangsregel des § 12 Abs. 4 EGAktG zugute.
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gehend gesetzlich geregelten Schritten. Allein der heute übliche erste Schritt – die Auswahl des Kandidaten oder der Kandidatin durch den Nominierungsausschuss des Aufsichtsrats und die entsprechende Empfehlung an den Gesamtaufsichtsrat für dessen Wahlvorschlag an die Hauptversammlung – beruht auf einer unverbindlichen Empfehlung des Deutschen Corporate Governance Kodex11, die aber weitgehend befolgt wird. Es folgen die Beschlussfassung des Aufsichtsrats über den Wahlvorschlag12, dessen Bekanntmachung13, die Wahl des Aufsichtsratsmitglieds durch die Hauptversammlung14 und die abschließende Annahme der Wahl durch den Gewählten15. Für die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds, das zugleich Finanzexperte ist, ergeben sich insoweit keine Besonderheiten. Nominierungsausschuss und Aufsichtsrat haben bei der Suche nach einem geeigneten Kandidaten für ihre Empfehlung bzw. ihren Wahlvorschlag generell ein nahezu umfassendes Auswahlermessen16, das allerdings durch die Neuregelung des § 100 Abs. 5 AktG nunmehr dahingehend eingeschränkt wird, dass bei kapitalmarktorientierten Gesellschaften mindestens ein Mitglied des Aufsichtsrats Finanzexperte sein muss. Die Pflicht für Nominierungsausschuss und Aufsichtsrat, mindestens ein solches Mitglied zur Wahl zu empfehlen bzw. vorzuschlagen, sollte nicht ein Arbeitnehmervertreter diese Qualifikation aufweisen17, ergibt sich aus ihrer Verpflichtung, auf gesetzmäßiges Handeln der Gesellschaft hinzuwirken und Gesetzesverstöße zu verhindern. Dazu gehört auch die Sorge um die ordnungsgemäße Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Gesellschaft durch Unterbreitung dem Rechnung tragender Wahlvorschläge an die Hauptversammlung. Der Aufsichtsrat muss dann zumindest einen Kandidaten vorschlagen, der die Qualifikation als Finanzexperte besitzt. Er wird dies in aller Regel auch offenlegen. Verpflichtet hierzu ist er allerdings nicht, denn der Vorschlag zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern hat allein deren Namen, ausgeübten Beruf und Wohnort anzugeben18. Eine Ergänzung dieser Vorschrift um die Angabe, ob und wer von den vorgeschlagenen Kandidaten die Voraussetzungen des § 100 Abs. 5 AktG erfüllt, hätte nahe gelegen, ist aber unterblieben. Damit führt zwar die unterlassene Angabe des Wohnorts eines Aufsichtsratskandidaten zum Verbot, über dessen Wahl, bei Listenwahl sogar bezüglich aller zur Wahl stehenden Aufsichtsratsmitglieder, Beschluss zu fassen19. Das Fehlen der ungleich wichtigeren Information, wer Finanzexperte ist, bleibt dagegen sank-
__________ 11 12 13 14 15 16 17
Abschnitt 5.3.3 des DCGK. § 124 Abs. 3 AktG. § 124 Abs. 2 und 3 AktG. § 101 Abs. 1 AktG. Vgl. Hüffer, AktG, 8. Aufl. 2008, § 101 AktG Rz. 7. Vgl. Sünner, CCZ 2009, 185, 187 m. w. N. Die nachfolgende Untersuchung geht davon aus, dass dem Aufsichtsrat entweder keine Arbeitnehmervertreter angehören oder – was den Normalfall bilden dürfte – diese bereits gewählt sind und sich unter ihnen kein Finanzexperte befindet. 18 § 124 Abs. 3 Satz 4 AktG. 19 § 124 Abs. 4 Satz 1 AktG; vgl. Hüffer (Fn. 15), § 101 AktG Rz. 4.
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tionslos. Der Aktionär wird sich ggf. selbst bemühen müssen, um über sein Fragerecht auf der Hauptversammlung Auskunft zu erhalten, ob und wer unter den zur Wahl in den Aufsichtsrat Vorgeschlagenen Finanzexperte ist. Auch eine spätere Bekanntgabe des Finanzexperten ist nicht erforderlich20. § 285 Abs. 1 Nr. 10 HGB ist insoweit unverändert geblieben. Er verlangt zwar die Angabe aller Mitglieder eines Aufsichtsrats im Anhang des Jahresabschlusses unter Bezeichnung des Vorsitzenden des Aufsichtsrats und seiner Stellvertreter, sieht aber nicht die Benennung des Finanzexperten vor21. Auch der Deutsche Corporate Governance Kodex enthält insoweit weder Empfehlung noch Anregung. Section 407 des Sarbanes-Oxley Act verpflichtet dagegen jede in USA gelistete Gesellschaft bekanntzugeben, ob – und wenn nicht warum – dem Audit Committee ein Financial Expert angehört. Die dazu erlassenen Ausführungsbestimmungen sehen die Benennung des Financial Expert vor22. Es hätte nahe gelegen, eine entsprechende Regelung auch in das deutsche Gesetz zu übernehmen. Schilmar23 hält eine Legitimation des Finanzexperten durch die Hauptversammlung für zwingend. Bei einer rein internen Bestellung wäre der Hauptversammlung als dem für die Wahl des Aufsichtsrats zuständigen Organ von vornherein jede Möglichkeit genommen, die Rechtmäßigkeit ihres Beschlusses zur Aufsichtsratswahl sicherzustellen. Diese Auffassung verkennt, dass jedenfalls bei der mitbestimmten AG der Finanzexperte nicht zwingend der Wahl durch die Hauptversammlung unterliegt und eine Legitimation des Finanzexperten durch die Hauptversammlung nicht vorgesehen ist. Ein entsprechender Beschluss wäre deshalb kaum mit den Beschlusszuständigkeiten der Hauptversammlung nach § 119 AktG in Einklang zu bringen.
III. Bestellmängel betreffend den Aufsichtsrat Bei dieser Sachlage erscheint es zumindest nicht ausgeschlossen, dass auch bei kapitalmarktorientierten Gesellschaften zukünftig Aufsichtsräte bestellt werden, denen kein Finanzexperte angehört. Einfachster hier denkbarer Fall ist, dass ein Kandidat als Finanzexperte der Hauptversammlung zur Wahl vorgeschlagen wird, er tatsächlich aber über diese Qualifikation nicht verfügt. Möglich ist auch, dass der Aufsichtsrat unter Verletzung seiner Pflichten einen
__________ 20 Wie hier v. Falkenhausen/Kocher, ZIP 2009, 1601; a. A. ohne Begründung Schilmar in Deloitte Center für Corporate Governance, Heft 3 2009, 13, 14 sowie in Der Aufsichtsrat 2009, 101, 103: „Der unabhängige Finanzexperte ist als solcher im Anhang des Jahresabschlusses aufzuführen.“. 21 Der durch BilMoG in das HGB eingefügte § 289a sieht zwar in Abs. 2 Nr. 3 die Pflicht vor, die „Arbeitsweise von Vorstand und Aufsichtsrat sowie die Zusammensetzung und Arbeitsweise von deren Ausschüssen“ in die Erklärung zur Unternehmensführung aufzunehmen. Ob das Kriterium der Zusammensetzung der Ausschüsse mehr als die namentliche Benennung der Mitglieder erfordert, was wohl der heutigen Praxis entspricht, bleibt abzuwarten. 22 Vgl. SEC-Release Nr. 33-8177 (Jan. 23, 2003). 23 Schilmar (Fn. 20), S. 13 bzw. 102; ähnlich auch Peltzer, NZG 2009, 1041, 1042.
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Wahlvorschlag macht, der keinen Finanzexperten aufführt, und die Hauptversammlung dem Wahlvorschlag folgt. Möglich ist schließlich, dass der Aufsichtsrat einen korrekten Wahlvorschlag unterbreitet, aber die Hauptversammlung diesem nicht bzw. nicht uneingeschränkt folgt, und der als Finanzexperte vorgesehene Kandidat nicht gewählt wird. Nicht auszuschließen ist schließlich auch die Möglichkeit, dass im gerichtlichen Bestellverfahren nach § 104 AktG der Notwendigkeit, einen Finanzexperten zu bestellen, nicht Rechnung getragen wird oder sich der Bestellte nachträglich als nicht entsprechend qualifiziert herausstellt. Allen Fällen gemeinsam ist, dass der Aufsichtsrat der kapitalmarktorientierten Gesellschaft dann nicht über einen Finanzexperten verfügt und er damit nicht gesetzeskonform zusammengesetzt ist. Die Gesetzesfolgen sind allerdings durchaus unterschiedlich. Ist der Aufsichtsrat zwar ohne einen Finanzexperten, aber im Übrigen ordnungsgemäß gewählt und haben die so Gewählten die Wahl angenommen, so sind alle in gleicher Weise und ohne Rangfolge zu Mitgliedern des Aufsichtsrats bestellt. Sollte keiner der Kandidaten als Finanzexperte benannt worden sein, so ist dies selbstverständlich. Aber auch wenn ein Kandidat fälschlich als Finanzexperte bezeichnet wurde, ergibt sich nichts anderes, denn seine Wahl erfolgte wie die jedes anderen Aufsichtsratsmitglieds zum Mitglied des Aufsichtsrats und nicht zum Finanzexperten im Aufsichtsrat. Hätte der Gesetzgeber eine derart spezifische Wahl gewollt, hätte er dies – wie dies in anderen Fällen geschehen ist24 – entsprechend gesetzlich verankern müssen. Dies hat der Gesetzgeber nicht nur nicht getan, sondern er hat darüber hinaus sogar darauf verzichtet zu bestimmen, dass der Finanzexperte von der Hauptversammlung gewählt werden oder er namentlich bekannt gemacht werden muss. Daraus ergibt sich zugleich, dass ein eventuelles Rechtsmittel nicht gegen die Wahl eines bestimmten Aufsichtsratsmitglieds – etwa den fälschlicherweise als Finanzexperten Gewählten25 – zu richten ist, sondern den gesamten Aufsichtsrat trifft. Eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 250 AktG ist auszuschließen, weil die in § 250 AktG abschließend aufgeführten oder durch Verweis einbezogenen Nichtigkeitsgründe offenkundig nicht gegeben sind. In Betracht kommt deshalb allein die Erhebung einer Anfechtungsklage nach § 251 AktG. Der Gesetzesverstoß könnte dabei darin gesehen werden, dass der Aufsichtsrat nach der Wahl nicht über einen Finanzmarktexperten verfügt und damit dem Kriterium des § 100 Abs. 5 AktG nicht Rechnung getragen ist. Allerdings muss die angefochtene Wahl auf dieser Gesetzesverletzung beruhen26. Bei einer regulären Einzelwahl der Mitglieder eines Aufsichtsrats kann dies allenfalls bei dem zuletzt Gewählten zutreffen. Denn das Kriterium des Finanzexperten ist kein individuell zugeordnetes Kri-
__________ 24 Vgl. etwa die Bestellung des Arbeitsdirektors nach § 33 Abs. 1 Satz 1 MitbestG: „Als gleichberechtigtes Mitglied des zur gesetzlichen Vertretung des Unternehmens befugten Organs wird ein Arbeitsdirektor bestellt.“. 25 A. A. v. Falkenhausen/Kocher, ZIP 2009, 1601, 1603. 26 Vgl. Hüffer (Fn. 15), § 251 AktG Rz. 2.
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Die Bestellung des Finanzexperten im Aufsichtsrat
terium, sondern ist nur vom Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit zu erfüllen. Alle Wahlen bis auf das zuletzt gewählte Aufsichtsratsmitglied unterliegen deshalb keinen Bedenken, weil jedenfalls diese Wahlen von vornherein nicht gegen das Gesetz verstoßen. Für den zuletzt Gewählten könnte dagegen die Auffassung vertreten werden, dass in dessen Person sich alle Kriterien erfüllen müssen, die sich im Gesamtaufsichtsrat nach dem Gesetz wiederfinden müssen, aber bislang nicht finden. Ein solcher Maßstab nach dem Motto „Den Letzten beißen die Hunde“ ist dem Aktiengesetz jedoch fremd. Auch das zuletzt gewählte Aufsichtsratsmitglied wird ausschließlich als Aufsichtsratsmitglied und nicht als Finanzexperte gewählt. Dieses ergibt sich auch daraus, dass die Hauptversammlung – jedenfalls einer mitbestimmten Gesellschaft – nicht zwingend einen Finanzexperten wählen muss, weil dieser auch aus den Reihen der Arbeitnehmervertreter kommen kann. Für den Fall einer Listenwahl27 gilt entsprechendes. Hier kommt hinzu, dass von vornherein alle Kandidaten inhaltlich und zeitlich gleichrangig gewählt werden und die Eigenschaft, Finanzexperte zu sein, kein persönliches Wahlkriterium28 ist29. Für die Anfechtung der gerichtlichen Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds ist § 251 AktG von vornherein ungeeignet, da die Bestimmung ausschließlich die Anfechtung einer Aufsichtsratswahl durch die Hauptversammlung zum Gegenstand hat. Allerdings ist gegen eine fehlerhafte gerichtliche Bestellung das Instrument der Beschwerde nach §§ 58 ff. FamFG eröffnet30, mit der keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht werden können31. Wird sie nicht zugelassen oder nicht rechtzeitig innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist32 eingelegt, bleibt es bei der fehlerhaft erfolgten Bestellung33.
__________ 27 Auf die strittige Frage der Zulässigkeit von Listenwahlen soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden; vgl. hierzu Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1996, § 101 AktG Rz. 16; Habersack in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 101 AktG Rz. 21 ff.; Hüffer (Fn. 15), § 101 AktG Rz. 6. 28 Hierin liegt der Unterschied etwa zu den Kriterien des § 100 Abs. 2 AktG, die durch das einzelne Aufsichtsratsmitglied individuell erfüllt sein müssen und deren Nichterfüllung durch § 250 AktG mit der Nichtigkeitsfolge belegt wird. 29 Da damit – trotz fehlender Wahl eines Finanzexperten – ein gültiger und unanfechtbarer Beschluss der Hauptversammlung vorliegt, besteht auch kein Recht des Versammlungsleiters, von der Feststellung des Beschlusses gemäß § 130 Abs. 2 AktG abzusehen und so dessen Wirksamkeit zu verhindern. Gleiches gilt für die (Verweigerung der) Beurkundung durch den Notar. Dieser Ansicht neigen auch v. Falkenhausen/Kocher, ZIP 2009, 1601, 1603 zu, die aber eine Anfechtungsmöglichkeit für den Fall sehen, dass ein Kandidat unzutreffend im Beschlussvorschlag ausdrücklich als Finanzexperte benannt wurde. Der Gesetzesverstoß liegt dann aber nicht in der Verletzung von § 100 Abs. 5 AktG, sondern im Verstoß gegen die HV-Einberufungsvorschriften. 30 § 104 Abs. 1 Satz 5 AktG; gegen die Beschwerdeentscheidung besteht das weitere Rechtsmittel der zulassungsbedürftigen Rechtsbeschwerde, §§ 70 ff. FamFG. 31 § 72 FamFG. 32 § 21 FamFG. 33 Darauf, dass das Gericht bei einer Nachbestellung prüfen muss, ob das zu bestellende Aufsichtsratsmitglied die Eigenschaft eines Finanzexperten haben muss, wurde bereits oben unter I. hingewiesen.
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Im Ergebnis ist danach festzuhalten, dass gegen die Wahl eines Aufsichtsrates unter Nichtberücksichtigung des § 100 Abs. 5 AktG kein unmittelbares Rechtsmittel gegeben ist, sondern die so gewählten Mitglieder ihr Amt rechtmäßig innehaben. Bei der gerichtlichen Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds ohne Berücksichtigung von § 100 Abs. 5 AktG kann zwar in einem engen Zeitfenster sofortige Beschwerde eingelegt werden, wird dieses Zeitfenster aber versäumt, so bleibt es auch hier bei der einmal vorgenommenen Bestellung. Dies ist insofern unbefriedigend, als danach ein Aufsichtsrat tätig wird, der den gesetzlichen Vorgaben eindeutig nicht genügt. Es fragt sich deshalb, ob anderweitige Korrekturmittel zur Verfügung stehen. Als solches bietet sich primär das sogenannte Statusverfahren nach § 97 AktG an. Ist der Vorstand der Ansicht, dass der Aufsichtsrat nicht nach den für diesen maßgebenden gesetzlichen Vorschriften zusammengesetzt ist, so hat er dies unverzüglich in den Gesellschaftsblättern und gleichzeitig durch Aushang in sämtlichen Betrieben der Gesellschaft und ihrer Konzernunternehmen bekanntzumachen. Kommt es im Anschluss hieran nicht zu einer gerichtlichen Befassung nach § 98 AktG, so ist der neue Aufsichtsrat nach den in der Bekanntmachung des Vorstands angegebenen gesetzlichen Vorschriften zusammenzusetzen. Die Bestimmung hat bislang zwar nahezu ausschließlich Bedeutung in Streitfragen über den mitbestimmungsrechtlichen Status des Aufsichtsrats bzw. über Größe und Zusammensetzung eines mitbestimmten Aufsichtsrates34 erlangt, sie lässt sich aber zwanglos auch auf § 100 Abs. 5 AktG anwenden: Der Aufsichtsrat einer kapitalmarktorientierten Gesellschaft muss über mindestens einen Finanzexperten verfügen. Tut er dies nicht, so ist er nicht nach den für ihn maßgebenden gesetzlichen Vorschriften zusammengesetzt35. Die Entscheidung über die Einleitung des Statusverfahrens liegt im Übrigen nicht im Ermessen des Vorstands. Vielmehr hat die dieses einleitende Bekanntmachung unverzüglich zu erfolgen. Damit dürfte das Statusverfahren einer unter Außerachtlassung von § 100 Abs. 5 AktG erfolgten Wahl oder Bestellung auf dem Fuße folgen36. Die Zweifel des Vorstands sind im Übrigen nicht auf die von der Hauptversammlung gewählten Aufsichtsratsmitglieder beschränkt, sodass das Statusverfahren auch bezüglich gerichtlich bestellter Mitglieder des Aufsichtsrates Anwendung finden kann. Ausgelöst wird das Statusverfahren ausschließlich durch eine Bekanntmachung des Vorstands nach § 97 Abs. 1 AktG. Dies ist insofern misslich, als andere
__________ 34 Vgl. Hüffer (Fn. 15), § 97 AktG Rz. 3; Hopt u. a. in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2005, § 98 AktG Rz. 11. 35 Die Situation ist insofern nicht anders zu beurteilen, als wenn dem mitbestimmten Aufsichtsrat weniger als die nach § 7 Abs. 2 MitbestG erforderlichen 2 bzw. 3 Vertreter der Gewerkschaften angehören. 36 Anderes ergibt sich nur, wenn zwar bei der Wahl des Aufsichtsrates ein Kandidat als Finanzexperte vorgeschlagen wurde, der Vorstand aber Zweifel hat, dass dieser den erforderlichen Kriterien genügt. Von krassen Fällen abgesehen, wird er sich hier der Einschätzung des Aufsichtsrates anschließen und von der Einleitung eines Statusverfahrens absehen können.
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Kreise wie Aufsichtsrat, Aktionäre, Betriebsrat etc.37 damit vom Auslösen des Statusverfahrens ausgeschlossen sind. Es fragt sich deshalb, ob diese über eine Antragstellung nach § 98 Abs. 1 AktG eine gerichtliche Entscheidung über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats herbeiführen können, die zu der gewünschten Überprüfung führt. Dies wird im Zweifel nicht der Fall sein. Denn das Verfahren nach § 98 AktG setzt voraus, dass streitig oder ungewiss ist, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist. Das Anwendungsspektrum des § 100 Abs. 5 AktG und die daraus folgende Erforderlichkeit eines Finanzexperten im Aufsichtsrat dürften aber nur in seltenen Fällen umstritten sein, etwa wenn im Einzelfall unklar sein sollte, ob die Gesellschaft kapitalmarktorientiert im Sinne des § 264d HGB ist und deshalb die Anwendung des § 100 Abs. 5 AktG zweifelhaft erscheint. Tatsächlich dürfte es im Regelfall nicht darum gehen, welche gesetzlichen Vorschriften für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats konkret einschlägig sind, sondern ob der Aufsichtsrat auch tatsächlich nach diesen einschlägigen Regeln zusammengesetzt ist. Gerade dies ist aber keine Frage, die von den Gerichten nach § 98 AktG zu beurteilen wäre38. Der Aufsichtsrat hat damit keine Möglichkeit, seine eigene Wahl anzufechten oder nach §§ 97, 98 AktG mit dem Argument anzugreifen, seine Zusammensetzung entspräche nicht den gesetzlichen Bestimmungen. Gleiches gilt für eine einmal unangreifbar gewordene gerichtliche Bestellung. Dies ist besonders misslich für ihn, wenn er – etwa durch einen fehlerhaften Wahlvorschlag – zu der fehlerhaften Zusammensetzung selbst beigetragen hat. Aber auch ansonsten kann sich die fehlerhafte Zusammensetzung negativ auswirken, wenn etwa der Aufsichtsrat durch die fehlende Mitwirkung eines Finanzexperten in seiner Aufsichtsratsarbeit behindert ist oder ihm gar Fehler unterlaufen. Er hat deshalb ein eigenes Interesse daran, die fehlerhafte Zusammensetzung umgehend zu korrigieren. Als probates Mittel bietet sich hierzu an, auf den Vorstand unter Hinweis auf die Fehlerhaftigkeit der Zusammensetzung des Aufsichtsrats einzuwirken und diesen zur Bekanntmachung nach § 97 AktG zu bewegen. Der Vorstand wird dem in aller Regel folgen, weil er selber darauf hinwirken muss, dass die Organe der Gesellschaft gesetzeskonform zusammengesetzt sind. Anderenfalls bleibt dem Aufsichtsrat, darauf hinzuwirken, dass einzelne Mitglieder39 zurücktreten, um so den Weg zu einer ordnungsmäßigen Nachbestellung freizumachen. Entfällt auch dieser Weg, bleibt nur, der kom-
__________ 37 Vgl. etwa die Auflistung in § 98 Abs. 2 AktG. 38 Vgl. Habersack in MünchKomm.AktG (Fn. 27), § 98 AktG Rz. 5; Spindler in Spindler/ Stilz, Aktiengesetz, 2007, § 98 AktG Rz. 7; unklar Hopt u. a. in Großkomm.AktG (Fn. 34), § 98 AktG Rz. 4, 11. „Nach §§ 98, 99 kann daher nur über die Frage entschieden werden, ob die jeweilige Zusammensetzung des Aufsichtsrats den gesetzlichen Vorschriften entspricht.“ § 98 behandelt allein den Streit über die Einschlägigkeit der gesetzlichen Regelungen, nicht, ob der Aufsichtsrat auch diesen gemäß zusammengesetzt ist. 39 Druck könnte insbesondere erfolgreich auf ein Mitglied ausgeübt werden, das den fälschlichen Eindruck erweckt hat, Finanzexperte zu sein und deshalb zur Wahl vorgeschlagen wurde. Denn es wäre primär für etwaige Schäden verantwortlich, die aus der fehlerhaften Zusammensetzung des Aufsichtsrats resultieren.
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menden Hauptversammlung die Abberufung und Neuwahl des Aufsichtsrates – dann entsprechend den einschlägigen Regeln – vorzuschlagen. Die Möglichkeit, bei Gericht nach § 103 Abs. 3 AktG die Abberufung eines Aufsichtsratsmitgliedes zu beantragen und so den Weg für eine Neubesetzung freizumachen, dürfte in aller Regel am Vorliegen eines wichtigen Grundes in der Person des abzuberufenden Aufsichtsratsmitgliedes scheitern. Lediglich wenn dieses Mitglied über seine Qualifikation als Finanzexperte vorsätzlich getäuscht und damit die Ursache für die Fehlbesetzung im Aufsichtsrat gesetzt hat, dürfte ein solcher wichtiger Grund vorliegen, weil dem Restaufsichtsrat die Zusammenarbeit mit diesem Mitglied nicht zuzumuten ist.
IV. Bestellmängel betreffend den Prüfungsausschuss Ist ein Prüfungsausschuss bestellt, so hat dieser bei einer kapitalmarktorientierten Gesellschaft nach Auslaufen der Übergangsregelung des § 12 EGAktG zwingend einen Finanzexperten zu enthalten, § 107 Abs. 4 AktG. Zählt der Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit keinen Finanzexperten unter seinen Mitgliedern, so ist das Fehlen eines Finanzexperten im Prüfungsausschuss lediglich eine Folge dieses Mangels und bedarf dort der Heilung gemäß den unter III. vorgestellten Heilungsmöglichkeiten. Möglich ist aber auch, dass ein Finanzexperte zwar Mitglied im Aufsichtsrat ist, aber nicht in den Prüfungsausschuss gewählt wurde. Der Prüfungsausschuss ist dann nicht entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zusammengesetzt. Die für den Gesamtaufsichtsrat diskutierten Abhilfemöglichkeiten scheiden für diesen Fall allerdings allesamt aus: das Statusverfahren betrifft den Gesamtaufsichtsrat und dessen möglicherweise nicht nach den maßgebenden gesetzlichen Vorschriften erfolgte Zusammensetzung. Es hat zum Ziel, eine Neuzusammensetzung des Aufsichtsrats zu bewirken, dessen Ordnungsmäßigkeit hier indessen nicht in Zweifel steht. Die Möglichkeit einer gerichtlichen Antragstellung nach § 98 AktG – soweit sie überhaupt besteht – scheidet hier aus denselben Gründen aus. Was bleibt ist, dass der Aufsichtsrat selbst eine entsprechende Korrektur vornimmt und den Prüfungsausschuss um den Finanzexperten erweitert oder die Zusammensetzung des Ausschusses unter Einbeziehung des Finanzexperten neu bestimmt40. Er wird dies in der Regel auch unverzüglich tun, da er selbst ein Interesse daran haben muss, dass sein Prüfungsausschuss gesetzeskonform besetzt ist. Eine nicht gesetzeskonforme Besetzung beizubehalten, obwohl Heilungsmöglichkeit besteht, trägt stets das Risiko in sich, bei falschen Entscheidungen oder auch nur negativer Entwicklung der Gesellschaft in Anspruch genommen zu werden. Auf die Business Judgement Rule, §§ 93, 116 AktG, wird sich ein solcher Aufsichtsrat nicht berufen können. Zu untersuchen bleibt, wie Beschlüsse des Prüfungsausschusses einzuordnen sind, die dieser vor Korrektur seiner Besetzung – also ohne die Mitwirkung eines Finanzexperten – getroffen hat. Dies ist nach der hier vertretenen Auffassung unproblematisch, weil die agierenden Aufsichtsratsmitglieder trotz Feh-
__________
40 Siehe insoweit bereits oben unter I.
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lens eines Finanzexperten wirksam als solche gewählt und sodann wirksam zu Ausschussmitgliedern bestellt sind. Ihre Beschlüsse sind damit formal wirksam zustande gekommen41. Aber auch wenn man die Wahl eines Nichtexperten zum Finanzexperten als nichtig ansieht, führt dessen Mitwirkung nicht zwangsläufig zur Nichtigkeit der Ausschuss-Beschlüsse. Denn für Beschlussfassungen des Gesamtaufsichtsrates ist anerkannt, dass diese nur nichtig sind, wenn der Aufsichtsrat insgesamt nichtig bestellt ist. Nichtige Bestellung einzelner Aufsichtsratsmitglieder schadet dagegen nicht, wenn der Aufsichtsrat nach Abzug der nichtig bestellten Mitglieder beschlussfähig war und die erforderliche Mehrheit bei der Beschlussfassung erhalten geblieben ist42. Letzteres lässt sich zwanglos auch auf die Beschlussfassung im Prüfungsausschuss übertragen. War der Ausschuss also beschlussfähig – was regelmäßig anzunehmen ist, wenn er zwar ohne Finanzexperten, aber als Dreiergremium tagt – und hätte weder der Wegfall der Stimme des fälschlichen Finanzexperten noch die zusätzliche Stimmabgabe eines ordnungsgemäß bestellten Finanzexperten die Abstimmungsmehrheit in Frage stellen können, so ist der Beschluss wirksam. Voraussetzung ist allerdings, dass die vom Aufsichtsrat eingesetzten Mitglieder des Prüfungsausschusses mit dieser Einsetzung ordnungsgemäß zu Prüfungsausschussmitgliedern bestellt waren, d. h. ihre Einsetzung nicht deshalb nichtig ist, weil die Einsetzung eines Finanzexperten unterblieb. So ist anerkannt, dass Fehler bei der Wahl der Mitglieder des sogenannten Vermittlungsausschusses nach § 27 Abs. 3 MitbestG nicht nur die Wahl des Ausschussmitglieds berührt, dessen Wahl fehlerhaft erfolgte, sondern den gesamten Wahlakt und mithin die Einsetzung des Vermittlungsausschusses in seiner Gesamtheit nichtig macht43. Man wird dies aber dem stark formalisierten Einsetzungsprozedere des Vermittlungsausschusses und dessen besonderer Bedeutung bei der Bestellung des Vorstands als dem Führungsorgan der Gesellschaft zuzuordnen haben. Hier soll von vornherein Klarheit über die korrekte Einsetzung aller Ausschussmitglieder bestehen, sodass auch die fehlerhafte Einsetzung nur eines Mitglieds die ansonsten rechtmäßige Einsetzung der übrigen Mitglieder tangiert. Für die übrigen Ausschüsse des Aufsichtsrats gilt stattdessen dessen grundsätzliche Organisationsautonomie. Er muss deren Besetzung nach pflichtgemäßem Ermessen vornehmen, ist im Übrigen aber frei, wen er aus seiner Mitte in den Ausschuss beruft. Ein Besetzungsmangel in der Person eines Ausschussmitglieds berührt deshalb die Bestellung der übrigen Ausschussmitglieder nicht. Dies gilt auch für den Prüfungsausschuss. Hier besteht zwar mit dem Finanzexperten sozusagen ein „gesetztes Mitglied“, seine Wahl oder Nicht-
__________ 41 So auch v. Falkenhausen/Kocher, ZIP 2009, 1601, 1603; a. A. Schilmar, Der Aufsichtsrat 2009, 101, 102. Auf die Gefahr bei inhaltlichen Fehlentscheidungen wegen des Fehlens eines Finanzexperten verstärkt in Anspruch genommen werden zu können, wurde schon hingewiesen. 42 Hüffer (Fn. 15), § 101 AktG Rz. 17 m. w. N. 43 Ulmer/Habersack in Fitting/Wlotzke/Wissmann, Mitbestimmungsrecht, 3. Aufl. 2008, § 27 MitbestG Rz. 26; Ulmer/Habersack in Hanau/Ulmer, Mitbestimmungsrecht, 2. Aufl. 2006, § 27 MitbestG Rz. 30.
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wahl hat aber keinen unmittelbaren Einfluss auf die übrigen Ausschussmitglieder. Der Finanzexperte hat Kenntnis und Erfahrung auch nur auf einem von mehreren inzwischen dem Prüfungsausschuss zugeordneten Arbeitsgebieten wie dem Risikomanagement und der Compliance. Anders als beim Vermittlungsausschuss kann deshalb auch nicht gesagt werden, dass bei einer fehlerhaften Besetzung des Prüfungsausschusses durch Fehlen des Finanzexperten der Prüfungsausschuss von vornherein seinen Aufgaben im Wesentlichen nicht gerecht werden könnte. Was hiernach zu prüfen bleibt ist, ob dem übergangenen Finanzexperten ein eigenes Recht zusteht, seine Mitgliedschaft im Prüfungsausschuss herbeizuführen. Zwar ist grundsätzlich anerkannt, dass ein Recht des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds auf Wahl in einen Aufsichtsratsausschuss nicht besteht44. Dies entspricht der Organisationsautonomie des Aufsichtsrats, der – von gesetzlich geregelten Sonderfällen wie dem Vermittlungsausschuss abgesehen – per Beschluss nicht nur darüber entscheidet, ob er einen Ausschuss einsetzt, sondern auch wie er ihn besetzt. Bezüglich des Prüfungsausschusses einer kapitalmarktorientierten Gesellschaft könnte sich anderes allerdings daraus ergeben, dass diesem zwingend ein Finanzexperte angehören muss. So zwingend ein Recht auf Mitgliedschaft erscheint, solange nur ein Finanzexperte Mitglied des Aufsichtsrates ist, so fragwürdig wird es, wenn diesem zwei oder gar mehr Finanzexperten angehören. Denn in letztem Falle bestünde für keinen der Finanzexperten Anspruch, dass gerade er Mitglied des Prüfungsausschusses würde. Ein (absolutes) Recht auf Mitgliedschaft kann aber nicht davon abhängig gemacht werden, dass kein anderer sich in einer vergleichbaren Position befindet. Es erscheint deshalb sachgerecht, auch dem „Alleinfinanzexperten“ im Aufsichtsrat kein Recht auf Mitgliedschaft zuzuerkennen, sondern ihn darauf zu verweisen, dass er die fehlerhafte Besetzung des Ausschusses im Aufsichtsrat moniert und auf Abhilfe per Aufsichtsratsbeschluss dringt. Dass sich der Aufsichtsrat dem kaum entziehen kann, wenn er sich nicht der Gefahr möglicher Schadensersatzklagen aussetzen will, wurde schon oben dargelegt.
__________ 44 Vgl. Hopt/Roth in Großkomm.AktG (Fn. 34), § 107 AktG Rz. 274, 266 m. w. N.
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Marktregulierung durch privates Recht am Beispiel des Entry Standard der Frankfurter Wertpapierbörse Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Regelungstechniken und -gegenstand 1. Rechtsgrundlage: Allgemeine Geschäftsbedingungen 2. Einbindung des Handelsteilnehmers
2. Gehalt der Informationen 3. Fazit IV. Legitimation privater Rechtssetzung V. Schlussbetrachtungen
III. Funktionsfähigkeit des Publizitätsregimes 1. Arten einer Information
I. Einleitung Die Zulassung von Aktien zum Handel im regulierten Markt einer Börse setzt voraus, dass eine Bank dem Emittenten beratend zur Seite steht und ein von der BaFin gebilligter Prospekt veröffentlicht wird (§ 32 Abs. 2 und 3 BörsG). Sind die Aktien zugelassen, finden zahlreiche Verhaltensregeln Anwendung. Zum einen unterbinden diverse Verbote Insidergeschäfte (§§ 12 ff. WpHG) und verschiedene Spielarten von Marktmanipulationen (§ 20a WpHG). Zum anderen gewährleistet eine Phalanx an Publizitätsvorschriften die Information der Anleger über kursrelevante Umstände: Ein Emittent hat Insiderinformationen (§ 15 WpHG), mitgeteilte Beteiligungsveränderungen (§§ 21 ff. WpHG), mitgeteilte Geschäfte von Organmitgliedern (§ 15a WpHG) und Jahresfinanzberichte, Halbjahresfinanzberichte sowie Zwischenmitteilungen der Geschäftsleitung oder Quartalsberichte (§§ 37v ff. WpHG) zu veröffentlichen. Für eine private ergänzende Marktordnung ist kein nennenswerter Raum mehr. Denn die dicht gewobenen Verhaltensregeln und Publizitätsvorschriften sind zwingend. Die frühere Selbstregulierung des Insiderhandels1 ist staatlich verordneten Verboten gewichen, deren Verletzung mit Strafen und Geldbußen geahndet wird. Die Publizitäts- und Transparenzregime decken alle denkbaren
__________ 1 Die vom Bundesminister für Wirtschaft eingesetzte Börsensachverständigenkommission beschloss bereits 1970 „Empfehlungen zur Lösung der Insider-Probleme“. Dazu gehörten auch die Insiderhandels-Richtlinien (letzte Fassung abgedruckt in WM 1998, 1105), die es Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern, Großaktionären und Angestellten einer AG untersagte, Geschäfte mit Aktien und Schuldverschreibungen ihrer Gesellschaft unter Ausnutzung von Insiderinformationen vorzunehmen. Zu den Gründen für das Scheitern der Richtlinien vgl. Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2004, Rz. 16.52.
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Informationen über Unternehmensinterna ab. Auch sie sind zwingend. Die Betreiber regulierter Märkte können allein – sofern und soweit die größtenteils unionsrechtlich determinierten Vorschriften des WpHG dies zulassen – strengere Regeln erlassen. Von dieser Möglichkeit haben die Börsen auch Gebrauch gemacht. Es handelt sich aber um wenige Fälle. Das gewichtigste Beispiel für den Prime Standard der Frankfurter Wertpapierbörse stellt die Verpflichtung für Emittenten dar, einen Quartalsfinanzbericht statt einer Zwischenmitteilung zu erstellen und zu veröffentlichen2. Die übrigen zusätzlichen Pflichten sind von untergeordneter Bedeutung3. Die private Ordnung der regulierten Märkte scheint keine nennenswerte Rolle mehr zu spielen. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man die Kapitalmärkte betrachtet, die der staatliche Gesetzgeber nicht bzw. nur ausschnittsweise im Visier hat4. Für Wertpapiere, die zum Handel im regulierten Markt nicht zugelassen sind, kann die Börse den Betrieb eines Freiverkehrs durch den Börsenträger zulassen (§ 48 Abs. 1 Satz 1 BörsG)5. Die Märkte des Freiverkehrs werden auch als deregulierte Märkte bezeichnet. Denn im Freiverkehr finden nur diejenigen Regeln Anwendung, die Marktmissbrauch in Gestalt des Insiderhandels und Preismanipulationen verbieten6. Im Übrigen entscheidet der Börsenträger, ob und welche Verhaltensregeln gelten und zu beachten sind. Die einschlägige Kompetenznorm räumt dem Rechtssetzer einen großen Freiraum ein: Die Börse kann den Betrieb eines Freiverkehrs durch den Börsenträger zulassen, wenn durch Geschäftsbedingungen eine ordnungsgemäße Durchführung des Handels und der Geschäftsabwicklung gewährleistet erscheint (§ 48 Abs. 1 Satz 1 BörsG). Diese zweite Welt der deregulierten Kapitalmärkte ist mittlerweile segmentiert7. Alle Börsenbetreiber in Deutschland8 haben vor allem zur Mittelstandsfinanzierung9 besondere Bereiche des Freiverkehrs geschaffen10. Mit ihrer Bezeichnung als alternative Freiverkehrssegmente bringt man zum Ausdruck, dass
__________ 2 Vgl. § 66 Abs. 1 Börsenordnung FWB. Wird ein Quartalsfinanzbericht erstellt und veröffentlicht, entfällt die Pflicht zur Erstellung und Veröffentlichung einer Zwischenmitteilung der Geschäftsleitung (§ 37w Abs. 3 WpHG). 3 Vgl. etwa § 67 Börsenordnung FWB zur Erstellung eines Unternehmenskalenders und § 68 Börsenordnung FWB zur Durchführung von Analystenveranstaltungen. 4 Anders war die Rechtslage beim früheren Neuen Markt. Vgl. Benz/Kiwitz, DStR 1999, 1162, 1167 ff.; Döhmel, WM 2002, 2351, 2352 ff. 5 Zu den Wurzeln des Freiverkehrs vgl. Kümpel, Sonderbeilage Nr. 5 WM 1985, S. 7 ff. 6 Vgl. § 12 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 WpHG bezüglich der Insiderpapiere und § 20a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 WpHG bezüglich des Verbots der Marktmanipulation. 7 Eindrücklich bereits Damrau, Selbstregulierung im Kapitalmarktrecht, 2003, S. 316 ff. (zum TOP Quality Market der Bayerischen Börse). 8 Zum Alternative Investment Market in London vgl. Baums in FS Mestmäcker, 1996, S. 815, 822 ff. 9 Vgl. etwa Oelke, BKR 2006, 7 ff. 10 So haben beispielsweise die Frankfurter Wertpapierbörse den sog. Entry Standard, die Börse München das Marktsegment M:access und die Hanseatische Wertpapierbörse das Handelssegment Premium Capital Port geschaffen. Die Regelwerke können auf den Internetseiten der Börsenbetreiber abgerufen werden. Sie sind auszugsweise auch abgedruckt bei Storm, Alternative Freiverkehrssegmente im Kapitalmarktrecht, 2010, S. 321 ff.
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für die Notierungsaufnahme und den Notierungszustand besondere Regeln gelten, die denjenigen für die regulierten Kapitalmärkte ähneln11. Allerdings präsentieren sie sich weniger streng und damit weniger kostenträchtig. Deshalb hat sich beispielsweise der Entry Standard der Frankfurter Wertpapierbörse als außerordentlich erfolgreich erwiesen12. Derzeit werden in diesem Segment Aktien von mehr als 120 Emittenten gehandelt13. Wie sehr unterscheiden sich nun die privat regulierten Freiverkehrssegmente von den regulierten Märkten? Mit dieser Frage haben sich bereits die Gerichte beschäftigt. Sie mussten beurteilen, ob der Wechsel vom regulierten Markt in ein alternatives Freiverkehrssegment die Verkehrsfähigkeit der Aktien beeinträchtigt und deshalb den Aktionären entsprechend den vom BGH in der Macrotron-Entscheidung entwickelten Grundsätzen14 ein Abfindungsangebot zu unterbreiten ist15. Das OLG München und ihm folgend das KG haben gemeint, dass die im Segment M:access bestehenden Rahmenbedingungen geeignet seien, Transparenz und Publizität im erforderlichen Umfang sicherzustellen, um nachteilige Auswirkungen auf die Preisbildung zu vermeiden16. Die Regelungen seien geeignet, dauerhaft einen funktionsfähigen Markt zu gewährleisten17. Im Folgenden wird anhand des Beispiels des Entry Standard der Frankfurter Wertpapierbörse untersucht, wie funktionsfähig die private Regulierung wirklich ist. Dazu sind zunächst die Regelungstechniken und der Gegenstand der privaten Regelungen darzustellen. Denn die Begründung von Publizitätspflichten für Emittenten verlangt vom Veranstalter des Marktes ein großes kautelarjuristisches Geschick. Im Anschluss steht die Funktionsfähigkeit der getroffenen Bestimmungen zur Debatte: Welchen Inhalt haben die Publizitätsvorschriften? Sind sie überhaupt in der Lage, Anlegern eine informierte Investitions- und Desinvestitionsentscheidung zu ermöglichen? Abschließend soll die Legitimität der privaten Regulierung entfaltet werden.
__________ 11 Vgl. Storm (Fn. 10), S. 31 ff. 12 Die Deutsche Börse AG beschreibt die Attraktivität des Entry Standards (http:// deutsche-boerse.com/dbag/dispatch/de/allInstruments/gdb_navigation/lc/100_Market _Structure/10_transparency_standards/30_entry_standard) wie folgt: „Der Entry Standard ist für alle Unternehmen offen, die einen effizienten Handel ihrer Aktien bei geringen formalen Pflichten anstreben. Besonders attraktiv ist er für junge und etablierte mittelständische Unternehmen; Private Equity- und Venture Capital-Investoren können ihn als Exit-Kanal nutzen. Es gibt keinen Branchenfokus und keine Mindestanforderungen an Unternehmensalter oder -größe.“ 13 Vgl. die Angaben der Deutsche Börse AG, abrufbar unter http://deutsche-boerse.com/ dbag/dispatch/de/allInstruments/gdb_navigation/lc/100_Market_Structure/10_transp arency_standards/30_entry_standard. 14 BGHZ 159, 30. 15 OLG München, AG 2008, 674; KG, AG 2009, 697; die Entscheidung des LG Köln, AG 2009, 835 betrifft dagegen den Wechsel vom regulierten Markt in den Freiverkehr. 16 OLG München, AG 2008, 674, 676; KG, AG 2009, 697. 17 OLG München, AG 2008, 674, 676.
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II. Regelungstechniken und -gegenstand 1. Rechtsgrundlage: Allgemeine Geschäftsbedingungen Der von der Deutsche Börse AG geschaffene Freiverkehr ist zivilrechtlicher Natur18. Es handelt sich um allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. d. §§ 305 ff. BGB19, die für die gesamte Geschäftsbeziehung zwischen der Deutsche Börse AG in ihrer Funktion als Trägerin des Freiverkehrs und den Teilnehmern des Freiverkehrs gelten20. Änderungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen – im Folgenden auch als Regelwerk bezeichnet – erfolgen durch altbekannte Konzepte der privatautonomen Gestaltung einer Vielzahl von Rechtsbeziehungen. So gelten den Teilnehmern zuvor schriftlich oder elektronisch bekannt gegebene Änderungen nach Ablauf einer bestimmten Frist als genehmigt21. Ein Widerspruch gegen eine Änderung berechtigt die Deutsche Börse AG zur Kündigung22. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen regeln zunächst die Einbeziehung von Aktien und den Handel mit Aktien. Für den besonderen Teilbereich des Freiverkehrs – in Frankfurt den Entry Standard – sind darüber hinaus „besondere Bestimmungen“ vorgesehen23. Diese Bestimmungen verlangen, dass kursrelevante Tatsachen, der Konzernabschluss und Zwischenberichte des Emittenten, ein Unternehmenskurzprotrait und ein Unternehmenskalender zu veröffentlichen sind. Was genau unter diesen Informationen zu verstehen ist, wird noch zu klären sein. Zunächst genügt es festzuhalten, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutsche Börse AG für das Segment des Entry Standard einen Teil der gesetzlichen Publizitätspflichten für regulierte Märkte privatrechtlich nachbilden. 2. Einbindung des Handelsteilnehmers Bemerkenswert ist, wie die Deutsche Börse AG die Veröffentlichung der Informationen sicherstellt. Das Regelwerk statuiert – anders als die gesetzliche Ordnung für regulierte Märkte – keine Pflichten des Emittenten. Denn der Emittent ist kein Handelsteilnehmer und daher nicht Adressat des Regelwerks24. Das Regelwerk muss sich daher zweier regulatorischer Kniffe bedie-
__________ 18 Vgl. Bachmann, WM 2001, 1793, 1795; Groß, Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2009, § 48 BörsG Rz. 2; Dehlinger, Vertragliche Marktsegmentregulierung an Wertpapierbörsen, 2003, S. 96 ff. 19 Die Frankfurter Wertpapierbörse bezeichnet in der Präambel das Regelwerk selbst als Allgemeine Geschäftsbedingungen. Vgl. auch Groß (Fn. 18), § 48 BörsG Rz. 2. 20 Träger des Freiverkehrs ist die Deutsche Börse AG. Sie organisiert den Freiverkehr mit Billigung der Geschäftsführung der Frankfurter Wertpapierbörse (vgl. § 1 Abs. 2 AGB für den Freiverkehr an der FWB v. 28.4.2008). 21 Vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 AGB für den Freiverkehr an der FWB v. 28.4.2008. 22 Vgl. § 4 Abs. 2 AGB für den Freiverkehr an der FWB v. 28.4.2008. 23 Vgl. §§ 16 bis 18 AGB für den Freiverkehr an der FWB v. 28.4.2008. 24 Die Aktien können allerdings nicht ohne Zustimmung des Emittenten in den Entry Standard einbezogen werden. Vgl. § 16 Abs. 3 lit. d) AGB für den Freiverkehr an der FWB v. 28.4.2008.
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nen. Deren Adressat ist der Handelsteilnehmer, der den Antrag auf Einbeziehung der Aktien in den Entry Standard gestellt hat25. So verlangt das Regelwerk von ihm, „dafür Sorge zu tragen“, dass der Emittent die für den Entry Standard geforderten zusätzlichen Informationen in der vorgegebenen Art und Weise veröffentlicht26. Der antragstellende Teilnehmer ist verpflichtet, die Einhaltung der Veröffentlichungen von „Tatsachen und Informationen fortlaufend zu überwachen sowie die Deutsche Börse AG unverzüglich über etwaige diesbezügliche Versäumnisse oder Missstände zu informieren“27. Aus diesen Bestimmungen des Regelwerks wird ersichtlich, dass der Emittent in keinen unmittelbaren Rechtsbeziehungen zum Marktveranstalter steht28. Allein zum antragstellenden Teilnehmer bestehen Rechtsbeziehungen. Denn dieser schließt mit dem Emittenten einen Vertrag, der u. a. die Beratung bezüglich der Veröffentlichung der im Regelwerk für den Entry Standard aufgeführten kursrelevanten Informationen zum Gegenstand hat29. Dieser Vertrag ist beim Antrag auf Einbeziehung von Aktien in den Entry Standard vorzulegen30. Schuldrechtliche Haupt- oder Nebenleistungspflichten werden dadurch für den Emittenten nicht geschaffen31. Resümierend kann festgehalten werden, dass dem antragstellenden Handelsteilnehmer eine besondere Aufgabe der Marktüberwachung zugewiesen ist32. Rechtsgrundlage sind individuelle Verträge. So hat der Handelsteilnehmer einerseits aufgrund einer „Verpflichtungserklärung“ gegenüber der Deutsche Börse AG die ihm nach dem Regelwerk obliegenden Pflichten einzuhalten. Andererseits ist er verpflichtet, den Emittenten bei der Erstellung des Unternehmenskurzportraits zu „unterstützen“, ihn bei der Erstellung und Pflege des Unternehmenskalenders sowie bei der Weitergabe wesentlicher Unternehmensnachrichten zu „beraten“. Von Überwachung ist im Mustervertrag freilich nichts zu lesen. Auch über Sanktionen gegenüber dem Emittenten schweigt
__________ 25 Vgl. § 16 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 2 AGB für den Freiverkehr an der FWB v. 28.4.2008: Zur Teilnahme am Handel von in den Open Market einbezogenen Wertpapieren sind alle Unternehmen, die zur Teilnahme am Börsenhandel an der FWB zugelassen sind (§ 19 BörsG), berechtigt. 26 Vgl. § 17 Abs. 2 Satz 1 AGB für den Freiverkehr an der FWB v. 28.4.2008. 27 Vgl. § 17 Abs. 1 AGB für den Freiverkehr an der FWB v. 28.4.2008. 28 Vgl. Schlitt/Schäfer, AG 2006, 147, 149; Sudmeyer/Rückert/Kuthe, BB 2005, 2703, 2704; Storm (Fn. 10), S. 34. 29 Die Deutsche Börse AG hat Mindestinhalte eines Vertrags zwischen Emittenten und dem antragstellenden Teilnehmer für die Einbeziehung von Aktien in den Teilbereich des Open Market (Entry Standard) festgelegt (u. a. abgedr. bei Storm [Fn. 10], S. 337). 30 Vgl. § 16 Abs. 3 lit. g) AGB für den Freiverkehr an der FWB v. 28.4.2008. 31 Vgl. zur schuldrechtlichen Einordnung von Zulassungsfolgepflichten Dehlinger (Fn. 18), S. 109 ff. 32 Vgl. auch Storm (Fn. 10), S. 34 f. (Marktordnungsaufgabe).
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sich der Mustervertrag aus33. Daran zeigt sich, dass der Handelsteilnehmer nicht die Rolle der BaFin übernehmen soll. Die im Regelwerk vollmundig angesprochene Überwachung des Emittenten kann er schwerlich leisten. Ob es deshalb geboten ist, eine Überwachungsstelle mit Kontroll- und präventiv wirkenden Sanktionsbefugnissen einzurichten34, steht damit freilich noch nicht fest. Es ist nicht ersichtlich, warum die Deutsche Börse AG als privater Rechtssetzer insoweit das Regelungsniveau für die regulierten Märkte eins-zueins nachzeichnen müsste. Sie sollte sich aber der „Unfertigkeiten“ ihres Regelwerks bewusst sein und zumindest ein Mindestmaß an Kontrolle sicherstellen35.
III. Funktionsfähigkeit des Publizitätsregimes Die Deutsche Börse AG erklärt auf ihrer Internetseite ausdrücklich, eine Alternative zum hohen Regulierungsniveau der regulierten Märkte anbieten zu wollen. Dennoch: Der Schlüssel für die Attraktivität des Entry Standard ist getreu der Regelungsphilosophie für die regulierten Märkte Transparenz und nochmals Transparenz. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen bilden einen Teil der gesetzlichen Publizitätspflichten für regulierte Märkte nach, ohne allerdings deren Umfang und Detailtiefe zu erreichen. Dies wirft die Frage auf, wie wertvoll die von Emittenten zur Verfügung zu stellenden Informationen sind? 1. Arten einer Information Bemerkenswert ist zunächst, dass der antragstellende Handelsteilnehmer dafür zu sorgen hat, dass der Emittent kursrelevante Informationen publik macht. Die konkrete Gestalt dieser gegenüber der wertpapierhandelsgesetzlichen Adhoc-Publizitätspflicht zurückbleibenden36 „Informationspflicht“ überrascht. Denn der antragstellende Teilnehmer hat für die unverzügliche Veröffentlichung von im Tätigkeitsbereich des Emittenten eingetretenen Tatsachen Sorge zu tragen. Es sind nur solche Tatsachen publik zu machen, die wegen ihrer Auswirkungen auf die Vermögens- oder Finanzlage oder auf den allgemeinen Geschäftsverlauf des Emittenten geeignet sind, den Börsenpreis der in den Entry Standard einbezogenen Aktien des Emittenten erheblich zu beeinflussen37. Als Beispiele für veröffentlichungspflichtige Tatschen werden ge-
__________
33 Die Deutsche Börse AG beschränkt sich darauf, im Falle von Rechtsverletzungen den Handelsteilnehmer zur Verantwortung zu ziehen. Im Falle von Pflichtverletzungen kann sie den Pflichtverstoß unter Nennung der Firma des Handelsteilnehmers veröffentlichen. Vgl. § 32 Abs. 1 AGB für den Freiverkehr an der FWB v. 28.4.2008. 34 In diesem Sinne etwa Schwartz, Anlegerschutz im Freiverkehr, 2008, S. 188 f. (bezüglich der Überwachung der Regelung der Ad-hoc-Publizität); allgemein fordert auch Dehlinger (Fn. 18), S. 117 ein effektives Sanktionensystem. 35 Zur Notwendigkeit wirksamer Kontrolle der Kapitalmarktteilnehmer aus rechtsökonomischer Perspektive vgl. Damrau (Fn. 7), S. 94 ff. 36 Zutr. Seibt/Wollenschläger, AG 2009, 807, 809. 37 Vgl. § 17 Abs. 2 lit. a) Satz 1 AGB für den Freiverkehr an der FWB v. 28.4.2008.
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nannt: Kapitalmaßnahmen, Insolvenz des Emittenten, Wechsel im Vorstand bzw. Aufsichtsrat des Emittenten und Veränderung von wesentlichen durch den oder an dem Emittenten gehaltenen Beteiligungen38. Die Tatsachen sollen auf den Internetseiten des Emittenten veröffentlicht werden. Der antragstellende Teilnehmer ist ferner dazu aufgerufen, für die Veröffentlichung eines geprüften Konzernjahresabschlusses samt Konzernlageberichts des Emittenten nach den für den Emittenten geltenden nationalen Rechnungslegungsvorschriften (national GAAP) oder nach International Financial Reporting Standards (IFRS) Sorge zu tragen39. Auch für die Veröffentlichung eines Zwischenberichts des Emittenten innerhalb von drei Monaten nach dem Ende des ersten Halbjahres eines jeden Geschäftsjahres hat der antragstellende Teilnehmer Sorge zu tragen40. Hinzu kommen ein jährlich zu aktualisierendes Unternehmenskurzportraits des Emittenten und ein aktueller Unternehmenskalender des Emittenten, in dem alle wesentlichen Termine oder weitere Aktivitäten des Emittenten wie beispielsweise Analysten- oder Investorenpräsentationen aufzuführen sind41. Das skizzierte Informationsregime betrifft ausschließlich Informationen aus der Sphäre des Emittenten. Dies bedeutet, dass die auf regulierten Kapitalmärkten bestehende und für die Informationseffizienz eminent wichtige Investorentransparenz gemäß §§ 21 ff. WpHG im Entry Standard nicht verwirklicht ist. Zwar wird – wie bereits ausgeführt – im Regelwerk für den Entry Standard die Beteiligung eines Aktionärs am Emittenten als ein Beispiel einer kursrelevanten Tatsache genannt. Der Fall kann aber, unabhängig von der Höhe des Beteiligungserwerbs, nicht als eine zu veröffentlichende Information i. S. d. Regelwerks begriffen werden. Denn eine kursrelevente Tatsache liegt nach dem Wortlaut des Regelwerks nur dann vor, wenn der Umstand im Tätigkeitsbereich des Emittenten eingetreten ist42. Dies ist beim Erwerb von Aktien durch einen Investor nicht der Fall. Es ist also nicht sichergestellt, dass der Kapitalmarkt von Beteiligungserwerben größeren Ausmaßes erfährt. Auch die nach § 15a WpHG mitzuteilenden Geschäfte der Organmitglieder sind keine Informationen, die ein Emittent nach dem Regelwerk bereitzustellen hat. Das Informationsniveau im Entry Standard ist folglich erheblich geringer als im regulierten Markt.
__________ 38 39 40 41 42
Vgl. § 17 Abs. 2 lit. a) Satz 2 AGB für den Freiverkehr an der FWB v. 28.4.2008. Vgl. § 17 Abs. 2 lit. b) AGB für den Freiverkehr an der FWB v. 28.4.2008. Vgl. § 17 Abs. 2 lit. c) AGB für den Freiverkehr an der FWB v. 28.4.2008. Vgl. § 17 Abs. 2 lit. d) und e) AGB für den Freiverkehr an der FWB v. 28.4.2008. Anders ist die Rechtslage für den regulierten Markt. Denn § 15 WpHG wird durch die §§ 21 ff. WpHG nicht verdrängt, so dass bei Berühren einer Meldeschwelle nicht nur eine Mitteilung und Veröffentlichung gemäß §§ 21, 26 WpHG erforderlich ist, sondern auch eine Ad-hoc-Publizitätspflicht sowohl für den betreffenden Aktionär als auch für den Emittenten (wenn diese Information ihn gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 WpHG unmittelbar betrifft) begründet sein kann. Vgl. Dehlinger/Zimmermann in Fuchs, WpHG, 2009, Vor §§ 21 bis 30 Rz. 32 ff.; Hirte in KölnKomm.WpHG, 2007, § 21 Rz. 56 f.; Opitz in Schäfer/Hamann, Kapitalmarktgesetze, 2. Aufl., Stand: 2006, § 21 WpHG Rz. 44; Uwe H. Schneider in Assmann/Uwe H. Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Vor § 21 Rz. 57.
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2. Gehalt der Informationen Um Aufschluss über die Bedeutung der von einem Emittenten im Entry Standard weiterzugebenden Informationen zu erlangen, empfiehlt es sich, sie mit denjenigen Informationen zu vergleichen, die ein Emittent auf dem regulierten Kapitalmarkt zu veröffentlichen hat. Im Fokus stehen die kursrelevanten Tatsachen. Denn sie bilden das Herzstück des Informationsregimes. Die Problematik der „Informationspflicht“ liegt in der Schwierigkeit, sie zuverlässig anzuwenden. Wann liegt eine Tatsache vor? Was ist mit dem Tätigkeitsbereich des Emittenten gemeint? Das Regelwerk für den Entry Standard gibt keine Antworten auf diese Fragen. Es ist deshalb notwendig, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen auszulegen. Man könnte daran denken, hierzu Erkenntnisse zur gesetzlichen Parallelregelung für den regulierten Markt nutzbar zu machen. Ob der Pendelblick auf § 15 i. V. m. § 13 WpHG wirklich weiterführend ist, muss aber bezweifelt werden. Denn die Legaldefinition des § 13 WpHG operiert mit dem Terminus der Insiderinformation, den der Gesetzgeber entsprechend den europäischen Vorgaben auch auf solche Umstände erstreckt hat, bei denen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass sie in Zukunft eintreten werden (§ 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG). Stattdessen mag ein Blick in die Vergangenheit helfen. So kommt in Betracht, zur Auslegung des Ausdrucks der Tatsache auf die vor dem Anlegerschutzverbesserungsgesetz aus dem Jahr 2005 geltende Rechtslage zu rekurrieren. Denn seinerzeit war das Insiderrecht durch den Begriff der Insidertatsache geprägt43. Mit dem Blick in die Vergangenheit werden freilich die alten, teilweise nicht gelösten Rechtsprobleme in die Gegenwart transportiert. Ein Beispiel: Die Veröffentlichungspflicht bestand seinerzeit nur für solche Tatsachen, die im Tätigkeitsbereich des Emittenten eingetreten waren44. Ob und unter welchen Voraussetzungen zukünftige Umstände als veröffentlichungspflichtige Tatsachen zu qualifizieren waren, wurde hoch kontrovers diskutiert45. Damit muss sich nun ein Emittent erneut auseinandersetzen. Noch problematischer erscheint, dass die besonderen Bestimmungen für den Entry Standard keine Aussagen dazu treffen, ob ein Emittent ausnahmsweise berechtigt sein kann, eine kursrelevante Information geheim zu halten46. Dies war nach altem Recht möglich: Die BaFin konnte den Emittenten auf Antrag
__________
43 Vgl. § 13 Abs. 1 WpHG a. F.: „… nicht öffentlich bekannten Tatsache hat, die sich auf einen oder mehrere Emittenten von Insiderpapieren bezieht und die geeignet ist, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Kurs der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen (Insidertatsache).“ 44 Vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG a. F. 45 Vgl. etwa Schwark in Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 3. Aufl. 2004, § 15 WpHG Rz. 32. 46 Nach Ansicht von Seibt/Wollenschläger, AG 2009, 807, 809 soll mangels einer ausdrücklichen Ausnahmeregelung kein Aufschub der Veröffentlichung zulässig sein. Die Befreiung muss aber nicht explizit vorgesehen sein. Ob eine Befreiung von der „Veröffentlichungspflicht“ möglich ist, muss durch Auslegung der Bestimmungen des für den Entry Standard geschaffenen Regelwerks ermittelt werden.
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befreien, wenn die Veröffentlichung der Tatsache geeignet war, den berechtigten Interessen des Emittenten zu schaden47. Nach neuem Recht entscheidet der Emittent selbst, ob er aufgrund berechtigter Interessen an einer Geheimhaltung die Veröffentlichung aufschieben darf48. Was soll nun für die Information im Entry Standard gelten? Bei wem soll ein Emittent einen Antrag auf Befreiung stellen? Und unter welchen Voraussetzungen wäre dem Antrag stattzugeben? Etwas einfacher dürfte die Handhabung der vom Regelwerk geforderten periodischen Publizität fallen. Die zu veröffentlichenden Konzernjahresabschlüsse können nach dem Regelwerk entweder nach dem HGB oder nach den IFRS erstellt werden. Das Regelwerk nimmt hier auf bilanzrechtlich vorgeformte Kapitalmarktinformationen Bezug. Nicht eindeutig ist dagegen, was unter einem „Zwischenbericht des Emittenten“49 zu verstehen ist. Die von Emittenten im regulierten Kapitalmarkt verlangte Zwischenmitteilung der Geschäftsleitung (§ 37x WpHG) dürfte nicht gemeint sein. Denn sonst hätte die Deutsche Börse AG auch diesen Ausdruck verwandt. Es scheint, dass das Regelwerk wiederum auf altes Recht verweist. Denn § 40 Abs. 1 BörsG a. F. verpflichtete den Emittenten zugelassener Aktien, innerhalb des Geschäftsjahrs regelmäßig mindestens einen Zwischenbericht zu veröffentlichen, der anhand von Zahlenangaben und Erläuterungen ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Finanzlage und des allgemeinen Geschäftsgangs des Emittenten im Berichtszeitraum vermittelt50. Diese Vorgaben können auch für den vom Regelwerk geforderten Zwischenbericht nutzbar gemacht werden51. 3. Fazit Der Streifzug durch das Informationsregime des Regelwerks für den Entry Standard führt zu zwei Erkenntnissen. Erstens: Es ist unvermeidlich, zur Auslegung eines privaten Regelwerks auf die Auslegungen paralleler gesetzlicher Vorschriften zurückzugreifen. Diese Aufgabe wäre wesentlich einfacher zu schultern, wenn der private Rechtssetzer dieselben Termini verwenden oder – wie für den Prime Standard der Frankfurter Wertpapierbörse geschehen – ausdrücklich auf gesetzliche Pflichten Bezug nehmen würde. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen für den Entry Standard haben Schlacke angesetzt und sollten à jour gebracht werden.
__________ 47 Vgl. § 15 Abs. 1 Satz 5 WpHG a. F. Die Praxis hatte von der Befreiungsmöglichkeit nicht häufig Gebrauch gemacht. Vgl. Schwark (Fn. 45), § 15 WpHG Rz. 128; vgl. ferner die Zahlen bei Pfüller in Fuchs, WpHG, 2009, § 15 Rz. 342 in Fn. 533. 48 Vgl. § 15 Abs. 3 WpHG. Die praktische Bedeutung dieser Befreiungsmöglichkeit ist beträchtlich. 49 Vgl. § 17 Abs. 2 lit. c) AGB für den Freiverkehr an der FWB v. 28.4.2008. 50 Zur Zwischenberichtspflicht in der früheren Börsenordnung der Frankfurter Wertpapierbörse vgl. Hammen, WM 2003, 997, 998 ff. 51 I. E. auch Schlitt/Schäfer, AG 2006, 147, 149; Seibt/Wollenschläger, AG 2009, 807, 810.
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Zweitens hat sich gezeigt, dass Anleger im Entry Standard auf wichtige Informationen verzichten müssen, die in einem regulierten Kapitalmarkt von Emittenten kraft Gesetzes zu publizieren sind. Mit diesem Befund steht freilich noch nicht fest, dass eine weitergehende Regulierung des Segments erforderlich wäre. Es ist nicht Aufgabe des staatlichen Gesetzgebers, gesetzliche Publizitätspflichten zu statuieren, um eine vermeintliche Lücke zu schließen. Die Deutsche Börse AG als Rechtssetzer ist grundsätzlich frei in der Ausgestaltung des Informationsregimes. Sie mag sich insoweit dem Wettbewerb mit den anderen Börsenträgern stellen. Allgemein gilt: Sofern der private Rechtssetzer von Emittenten verlangt, den Kapitalmarkt über kursrelevante Informationen zu informieren, sollte er sich entweder gesetzlich bereits verwandter Ausdrücke bedienen oder aber den Tatbestand der Information präzise konturieren. Die Deutsche Börse AG hat dies teilweise versäumt. Dies hat zur Folge, dass das Informationsniveau im Entry Standard nicht zuverlässig bestimmt werden kann.
IV. Legitimation privater Rechtssetzung Die Deutsche Börse AG hat nahezu plein pouvoir bei der Konzeption des Regelwerks für den Freiverkehr52. Dies bedeutet, dass sie sich am WpHG nicht zu orientieren braucht. Dennoch: Der Pendelblick auf das staatlich gesetzte Recht ist an vielen Stellen des Regelwerks sichtbar. Die staatliche Ordnung hat eine beträchtliche Vorbildwirkung für die privatrechtlich konzipierte Marktordnung. Dies zeigt sich vor allem daran, dass die meisten „Veröffentlichungspflichten“ aus dem WpHG bekannt sind und ihr Bedeutungsgehalt sich größtenteils erst aus dem für regulierte Märkte staatlich verordneten Publizitätsregime erschließt. Die im Regelwerk vorzufindenden Pflichten werden den Beteiligten nicht aufoktroyiert. Denn Voraussetzung für eine Einbeziehung der Aktien in den Entry Standard als besonderen Bereich des Freiverkehrs ist, dass der Emittent der Einbeziehung zustimmt. Die Entwicklung des Entry Standard verdeutlicht, dass sich die Emittenten nur allzu gerne einem Mindestmaß an Regulierung unterwerfen und damit der grauen Welt des Freiverkehrs entfliehen können53. Auch die Betreuung durch den Handelsteilnehmer setzt die Zustimmung des Emittenten voraus. Damit ist eine zentrale Quelle der Legitimation des privaten Rechts benannt54.
__________ 52 Die Grenzen der Selbstregulierung liegen im Verfassungsrecht und werden auf der Ebene des einfachen Rechts durch die §§ 305 ff. BGB gezogen. Dazu Damrau (Fn. 7), S. 247 ff. 53 Plakativ bereits Damrau (Fn. 7), S. 320: Prädikatsverleihung; anders noch Claussen in FS Stimpel, 1985, S. 1049, 1063 (weitere Publizitätserfordernisse würden die Attraktivität des geregelten Freiverkehrs mindern). 54 Vgl. zur Zustimmung als Legitimation privaten Rechts Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 159 ff.
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Eine weitere Quelle erschließt sich aus dem Zweck, den die Informationsregeln zu erreichen suchen. Die im WpHG normierten Pflichten zur Veröffentlichung von kursrelevanten Informationen sollen bekanntlich das Vertrauen der Anleger schützen und zur Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte beitragen. Es liegt im öffentlichen Interesse, dass die Kapitalmärkte ihre Allokationsfunktion zu entfalten vermögen. Die im Regelwerk des Freiverkehrs etablierten Regeln zur Information sind von demselben Gedanken getragen. Es ist also auch das Gemeinwohl55, das die von der Deutsche Börse AG aufgestellten Regeln legitimiert.
V. Schlussbetrachtungen Die Renaissance privater Ordnung der Kapitalmärkte zeigt eindrücklich, welche Funktionen die private Rechtssetzung einnehmen kann. Die Ausgestaltung des privaten Regelwerks des Freiverkehrs ist eine Reaktion auf die überschäumende Gestaltungskraft des Gesetzgebers. Die regulierten Kapitalmärkte kennen nur noch ein Informationsniveau auf höchster Ebene, das Emittenten und Investoren zwingend einzuhalten haben. Vor diesem Hintergrund muss das private Recht als Ausdruck einer Ausweichbewegung verstanden werden. Die gedankliche Substanz zieht das private Recht aus den Regelungsvorstellungen des staatlichen Gesetzgebers. Ein Emittent signalisiert mit seiner Zustimmung zur Einbeziehung der Aktien in den Entry Standard eine überdurchschnittliche Qualität56. Der private Rechtssetzer muss sich gewaltigen Herausforderungen stellen. Denn er muss sich mit zahlreichen Akteuren beschäftigen. Im Falle eines Kapitalmarkts sind dies die Emittenten von Wertpapieren, die Informationsintermediäre und die Anleger. Außerdem kann es geboten sein, eine Aufsicht über die Marktakteure sicherzustellen. Die Deutsche Börse AG als Rechtssetzer verfügt allerdings über begrenzt wirkungsvolle Instrumente, um die Verhältnisse zwischen diesen Akteuren zu regeln. Weder der Vertrag noch die Satzung sind der staatlich gesetzten Norm ebenbürtig57. Die privatautonome Ordnung eines komplexen Zusammenspiels teilweise divergierender Interessen stößt deshalb schnell an Grenzen. Der Anpassungsbedarf an zukünftige Entwicklungen mag durch eine geschickte Vertragsgestaltung grundsätzlich befriedigt sein. Auch die Regelungstechnik, den Emittenten mittelbar – über den antragstellenden Handelsteilnehmer – zur Veröffentlichung kursrelevanter Informationen anzuhalten, dürfte den Praxistest bestehen. Andere Herausforderungen scheinen dagegen noch nicht vollends bewältigt zu sein. Wenn man sich dazu entscheidet, getreu der Philosophie der regulierten Märkte Informationsregime zu etablieren, so muss der private Rechtssetzer sich auch mit der Frage auseinandersetzen, wer die Einhaltung der Informationsregime
__________
55 Auch hierzu Bachmann (Fn. 54), S. 193 ff. 56 Vgl. Damrau (Fn. 7), S. 321 f. 57 Zu Alternativen vgl. Blumentritt, Die privatrechtlich organisierte Börse, 2003, S. 131 ff.
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kontrollieren soll. Die BaFin als vertrauter Wächter der Kapitalmärkte beschäftigt sich mit dem Freiverkehr regelmäßig nicht. Nur im Falle des Marktmissbrauchs wird sie auch dort tätig. Die Handelsüberwachungsstelle hat allein die Preisfindung im Visier58. Die Transparenzanforderungen für Unternehmen im Entry Standard sind somit allein dem antragstellenden Handelsteilnehmer anvertraut. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass von ihm nur eine Beratung des Emittenten erwartet werden kann. Das sollte auch entsprechend kommuniziert und nicht, wie im Regelwerk geschehen, verschleiert werden. Schließlich sollten sich Investoren bewusst sein, dass das Regelwerk sie nicht im Blick hat. Die Deutsche Börse AG erklärt zwar, der Entry Standard richte sich nur an qualifizierte Anleger. Doch auch sie wollen nicht völlig schutzlos gestellt sein. Ob sie im Falle unterlassener oder unrichtiger Kapitalmarktinformationen Schadensersatzansprüche gegen den Emittenten und/oder den Handelsteilnehmer geltend machen können, ist eine bislang unbeantwortete Frage59. Die weitere Diskussion muss zeigen, ob eine spezialgesetzliche Haftung60 erforderlich ist oder die vom BGH entwickelte sog. Informationsdeliktshaftung ausreicht.
__________ 58 Vgl. Schwark (Fn. 45), § 57 BörsG Rz. 6. 59 Das Schrifttum diskutiert aber Ansprüche Dritter auf Schadensersatz unter mehreren Gesichtspunkten. Speziell für den Freiverkehr kommt auch ein vertraglicher Drittschutz in Betracht. Vgl. hierzu etwa Dehlinger (Fn. 18), S. 126 ff. (i. E. ablehnend). 60 Für eine Anwendung der §§ 37b, 37c WpHG de lege ferenda Storm (Fn. 10), S. 303 ff.; wohl auch Schwartz (Fn. 34), S. 189, 200 f.; weitergehend Möllers, NZG 2003, 112, 113 (entsprechende Anwendung des § 37c WpHG auf Emittenten, deren Aktien im Freiverkehr gehandelt werden).
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Die actio pro socio im Personengesellschafts- und GmbH-Recht nach der Reform der derivativen Aktionärsklage – Ausstrahlungswirkungen des § 148 AktG auf das allgemeine Verbandsrecht? –
Inhaltsübersicht I. Fragestellung II. Vorüberlegung: Zum Verhältnis von § 148 AktG (analog) und actio pro socio III. Zur Rechtsnatur der actio pro socio 1. Meinungsstand im Personengesellschafts- und GmbH-Recht 2. Würdigung unter Berücksichtigung des § 148 AktG IV. Zum Anwendungsbereich der actio pro socio V. Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen der actio pro socio 1. Meinungsstand im Personengesellschafts- und GmbH-Recht
2. Würdigung unter Berücksichtigung des § 148 AktG VI. Zur verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der actio pro socio (Vorschaltung eines Klagezulassungsverfahrens, Kostenerstattung) 1. Ausgangslage im Aktienrecht 2. Übertragbarkeit ins Personengesellschafts- und GmbH-Recht? VII. Zu den Rechtsfolgen der actio pro socio und zur Prozessbeendigung durch Vergleich VIII. Fazit
I. Fragestellung Zu den klassischen Problemfeldern des Gesellschaftsrechts an der Schnittstelle zum Prozessrecht zählt die Frage, unter welchen Voraussetzungen einzelne Gesellschafter Ansprüche auf Leistung in das Gesellschaftsvermögen geltend machen können, wenn die für die Anspruchsverfolgung zuständigen Gesellschaftsorgane – aus welchen Gründen auch immer – untätig bleiben. Für derartige Klagerechte hat sich hierzulande die Bezeichnung actio pro socio eingebürgert, was zwar nicht ganz glücklich ist1, im Folgenden aber der Einfachheit halber beibehalten werden soll. Wenngleich man die actio pro socio als Rechts-
__________ 1 Zur abweichenden Begrifflichkeit im römischen Recht Altmeppen in FS Musielak, 2004, S. 1, 2 f. Präziser wäre es – jedenfalls wenn man der inzwischen herrschenden und auch hier (unter III.) vertretenen Konzeption der Prozessstandschaft folgt –, in Anlehnung an die angelsächsische Terminologie („derivative action“) von einer derivativen oder abgeleiteten Gesellschafterklage zu sprechen.
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Dirk A. Verse
figur des allgemeinen Verbandsrechts zu bezeichnen pflegt2, ist ihre Entwicklung im Personengesellschafts- und GmbH-Recht einerseits und im Aktienrecht andererseits ganz unterschiedlich verlaufen. Für Personengesellschaften und GmbH ist sie ungeachtet zahlreicher Streitfragen hinsichtlich ihrer Ausgestaltung jedenfalls im Grundsatz seit langem anerkannt3. Im Aktienrecht hingegen bestand bis vor wenigen Jahren weithin Einigkeit, dass – von den konzernrechtlichen Sonderfällen der §§ 309 Abs. 4, 310 Abs. 4, 317 Abs. 4, 318 Abs. 4 AktG und vorsichtigen Erweiterungen dieser Vorschriften abgesehen – keine actio pro socio anzuerkennen war4. Erst mit dem UMAG5 aus dem Jahr 2005 hat sich dies geändert: Seitdem enthält der neue § 148 AktG eine detaillierte, auf intensiven wissenschaftlichen Vorarbeiten beruhende6 und durch ausländische Regelungsvorbilder7 inspirierte Regelung, die es Aktionären bei Erreichen eines Quorums (1 % des Grundkapitals oder 100.000 Euro nominal) und nach Durchlaufen eines gesonderten Klagezulassungsverfahrens ermöglicht, bestimmte Ansprüche der AG im eigenen Namen durchzusetzen. Diese neue Aktionärsklage nach § 148 AktG ist nichts anderes als eine Sonderform der actio pro socio8. Da mit § 148 AktG nunmehr eine detaillierte gesetzliche Sonderregelung vorliegt, stellt sich unwillkürlich die Frage, wie sich diese zu der ungeschriebenen actio pro socio im Personengesellschafts- und GmbH-Recht verhält. Lässt sich die Regelung des § 148 AktG – sei es auch nur in einzelnen Teilaspekten – auch
__________ 2 Lutter, AcP 180 (1980), 84, 144; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 21 IV 1 a (S. 630), § 21 IV 6 a (S. 641); Becker in FS Mestmäcker, 2006, S. 25, 31; Bezzenberger/Bezzenberger in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2008, § 148 Rz. 22. 3 Vgl. vorerst nur Schäfer in Staub, HGB, 5. Aufl. 2009, § 105 Rz. 256; Ulmer in MünchKomm.BGB, 4. Aufl. 2009, § 705 Rz. 204 f.; zur GmbH Merkt in MünchKomm. GmbHG, 2010, § 13 Rz. 315; Verse in Henssler/Strohn, Komm. z. Gesellschaftsrecht, 2011, § 14 GmbHG Rz. 120. Zur Entwicklung der Rechtsprechung s. die Nachw. unter III. 1. 4 Vgl. etwa Baums, Gutachten F für den 63. Deutschen Juristentag, 2000, F 200 f.; Habersack, DStR 1998, 533 f., 537; K. Schmidt (Fn. 2), § 21 IV 6 a (S. 641); Schwab, Das Prozessrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 111 ff., 117; abw. Becker, Verwaltungskontrolle durch Gesellschafterrechte, 1997, S. 604 ff. 5 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts v. 22.9.2005, BGBl. I 2005, S. 2802. 6 Vgl. insbes. Ulmer, ZHR 163 (1999), 290 ff.; Baums (Fn. 4), F 239 ff. 7 Vor allem die derivative action der US-amerikanischen Gesellschaftsrechte; vgl. dazu § 7.41 ff. Revised Model Business Corporation Act; § 7.01 ff. Principles of Corporate Governance (American Law Institute); aus dem deutschen Schrifttum schon Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und Kleinaktionär, 1968, S. 233 ff.; Buxbaum/Uwe H. Schneider, ZGR 1982, 199 ff.; aus neuerer Zeit Bezzenberger/ Bezzenberger, (Fn. 2), § 148 Rz. 59–69; v. Hein, Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, 2008, S. 821 ff.; Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2006, Rz. 1031 ff. 8 Vgl. Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 23; Bezzenberger/Bezzenberger (Fn. 2), § 148 Rz. 2, 22; Mock in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 148 Rz. 3; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 148 Rz. 36; Windbichler, Gesellschaftsrecht, 22. Aufl. 2009, § 27 Rz. 38; krit. Winnen, Die Innenhaftung des Vorstandes nach dem UMAG, 2008, S. 319 f., mit dem Hinweis, dass die actio pro socio auf Sozialansprüche beschränkt sei (s. dazu aber noch unter IV.).
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Die actio pro socio im Personengesellschafts- und GmbH-Recht
auf das Personengesellschafts- und GmbH-Recht übertragen? Kann sie dazu beitragen, einige der offenen Streitfragen der ungeschriebenen actio pro socio zu beantworten? Oder anders gewendet: Handelt es sich um eine Vorschrift, die bei der Herausbildung allgemeiner Lehren helfen kann, also in dem Prozess, den K. Schmidt9 als Institutionenbildung im Gesellschaftsrecht beschrieben hat?9a Durchmustert man die neueren Kommentierungen zur actio pro socio und das rasch angeschwollene Schrifttum zu § 148 AktG auf diese Fragen hin, wird man kaum fündig. Soweit ersichtlich finden sich nur vereinzelte, knappe und überdies uneinheitliche Ausführungen zu möglichen Ausstrahlungswirkungen des § 148 AktG jenseits des Aktienrechts10. Im Folgenden soll daher der Versuch unternommen werden, den aufgeworfenen Fragen weiter nachzugehen, als dies bisher geschehen ist. Da sich Uwe H. Schneider in seinem vielfältigen wissenschaftlichen Werk auch mit der actio pro socio wiederholt befasst hat11, verbindet sich mit diesem Versuch die Hoffnung, auch das Interesse des Jubilars zu wecken. Ihm seien die folgenden Überlegungen in Verbundenheit und mit herzlichen Glückwünschen gewidmet.
II. Vorüberlegung: Zum Verhältnis von § 148 AktG (analog) und actio pro socio Eine erste denkbare Antwort auf die Frage nach den Ausstrahlungswirkungen des § 148 AktG auf das allgemeine Verbandsrecht findet sich in einem neueren Aufsatz zur Gesellschafterklage in der Kommanditgesellschaft. Danach sollen die Kommanditisten Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen die geschäftsführenden Gesellschafter nunmehr nicht nur im Wege der allgemeinen actio pro socio, sondern bei Erreichen des Quorums (1 % des Kommanditkapitals oder 100.000 Euro nominal) wahlweise auch in entsprechender Anwendung des § 148 AktG geltend machen können12. In der Sache geht es dabei vor allem darum, den Kommanditisten den Weg zu der differenzierten Kostenregelung
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9 K. Schmidt (Fn. 2), § 3 III 2 (S. 53). 9a Man mag auf den ersten Blick einwenden, dass diese Fragen schon deshalb zu verneinen seien, weil das Verfahren nach § 148 AktG von der Praxis bisher kaum angenommen wird (dazu Lutter und Peltzer in dieser Festschrift, S. 763 ff. und 953 ff.). Diese Tatsache mahnt in der Tat zur Zurückhaltung, die z. T. sehr restriktiven Voraussetzungen der Aktionärsklage pauschal auf andere Rechtsformen zu übertragen. Sie zwingt aber nicht dazu, jeder einzelnen Teilregelung des § 148 AktG die Verallgemeinerungsfähigkeit abzusprechen. 10 Erste Ansätze namentlich bei Becker in FS Mestmäcker, 2006, S. 25, 40 f., 50; Gaul, DStR 2009, 804, 808 f.; vgl. auch Bezzenberger/Bezzenberger (Fn. 2), § 148 Rz. 22; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 43 Rz. 32. 11 Vgl. etwa Buxbaum/Uwe H. Schneider, ZGR 1982, 199 ff. (zur Aktionärsklage in den USA); Uwe H. Schneider, JR 1980, 466 ff. (zur Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen gegen die geschäftsführenden Gesellschafter einer KG im Wege der actio pro socio); ferner ders. in FS Kellermann, 1991, S. 403, 421 f. (zu den Besonderheiten der Gesellschafterklage in der Zweimann-GmbH). 12 Gaul, DStR 2009, 804, 808 f.; abw. zur GmbH Zöllner/Noack (Fn. 10), § 43 Rz. 32 (jedenfalls nicht bei personalistischer GmbH).
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des § 148 Abs. 6 AktG zu eröffnen. Diese ist für die Kläger günstiger als im Rahmen der actio pro socio, bei der sie das volle Kostenrisiko tragen13. Gegen eine kumulative Anwendung des § 148 AktG (analog) neben der allgemeinen actio pro socio bestehen jedoch durchgreifende Bedenken. Im Aktienrecht schließt § 148 AktG (zumindest teilweise) die Lücke, die aus einem Fehlen einer allgemeinen actio pro socio resultiert; für eine allgemeine actio pro socio ist neben dem (ggf. vorsichtig im Wege der Analogie zu erweiternden) § 148 AktG nach ganz h. M. kein Raum14. Im Personengesellschafts- und GmbH-Recht ist die Ausgangslage eine völlig andere. Hier würde die analoge Anwendung des § 148 AktG neben der allgemeinen actio pro socio zu einer kaum zu rechtfertigenden Verdoppelung der Gesellschafterklagen führen. Systematisch befriedigend wäre ein solches Nebeneinander der beiden Klagearten jedenfalls nicht15, und auch ein praktisches Bedürfnis hierfür ist nicht erkennbar. Sofern die actio pro socio (etwa bezüglich der Kostenregelung) tatsächlich Defizite aufweisen sollte16, liegt es näher, die allgemeinen Grundsätze der actio pro socio in Anlehnung an § 148 AktG zu modifizieren, als ohne Not eine Verdoppelung der Rechtsbehelfe anzunehmen. Daher soll im Folgenden gefragt werden, ob und inwieweit die allgemeinen Grundsätze der actio pro socio im Lichte der in § 148 AktG getroffenen Aussagen fortzuentwickeln sind. Den Ausgangspunkt bilden Überlegungen zu der Frage, ob sich § 148 AktG Rückschlüsse auf die Rechtsnatur (III.) und den Anwendungsbereich (IV.) der actio pro socio ziehen lassen, bevor anschließend die Zulässigkeitsvoraussetzungen (V.), die verfahrensrechtliche Ausgestaltung (VI.) und die Rechtsfolgen (VII.) der actio pro socio in den Blick genommen werden.
III. Zur Rechtsnatur der actio pro socio 1. Meinungsstand im Personengesellschafts- und GmbH-Recht Im Personengesellschafts- und GmbH-Recht ist bereits die Grundsatzfrage umstritten, ob der klagende Gesellschafter mit der actio pro socio einen fremden (der Gesellschaft zugeordneten) Anspruch geltend macht, mithin im Wege der Prozessstandschaft klagt, oder einen eigenen Anspruch durchsetzt. Die Antwort auf diese Frage ist nicht nur von theoretischem Interesse, da sie die Beant-
__________ 13 Näher dazu unter VI. 14 Bezzenberger/Bezzenberger (Fn. 2), § 148 Rz. 8; Holzborn in Heidelberger Komm. AktG, 2008, § 148 Rz. 2; Semler, AG 2005, 321, 331; Windbichler (Fn. 4), § 27 Rz. 38; a. A. Becker (Fn. 10), S. 25, 31 ff., 37 ff. 15 Daran ändert auch der Umstand nichts, dass es auch im Aktienrecht nach h. M. (Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzenrecht, 6. Aufl. 2010, § 317 Rz. 27 m. w. N.) zu einer partiellen Überlappung von § 148 AktG und konzernrechtlicher actio pro socio (§§ 309 Abs. 4, 310 Abs. 4, 317 Abs. 4, 318 Abs. 4 AktG) kommt. 16 Näher zu dieser Frage unter VI.
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wortung einiger Folgefragen (mit-)beeinflusst17. Im Personengesellschaftsrecht, in dem sich die actio pro socio zuerst entwickelt hat18, gingen höchstrichterliche Rechtsprechung und Lehre bekanntlich lange Zeit von Letzterem (Klage aus eigenem Recht) aus. Der Anspruch z. B. auf Erbringung einer Einlage oder auf Schadensersatz wegen sorgfaltswidriger Geschäftsführung eines Gesellschafters sollte danach nicht nur der Gesellschaft, sondern auch jedem einzelnen Mitgesellschafter persönlich zustehen, da sich die Gesellschafter die Erfüllung ihrer Mitgliedschaftspflichten im Gesellschaftsvertrag gemäß § 705 BGB wechselseitig zugesagt hätten19. Von diesem Ansatz aus erschließt sich auch unmittelbar, warum die actio pro socio traditionell auf Sozialansprüche, d. h. auf Ansprüche der Gesellschaft aus dem Mitgliedschaftsverhältnis, beschränkt worden ist20. Später hat man versucht, die Konstruktion der actio pro socio als Verfolgung eines eigenen Anspruchs auch auf die GmbH zu übertragen. Da man sich in der GmbH aber nicht einfach auf vertragliche Ansprüche unter den Gesellschaftern stützen kann21, hat die berühmte ITT-Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1975 die Lösung stattdessen in der Treuepflicht gesucht: Die Einflussnahme des Mehrheitsgesellschafters, ihm verdeckte Vermögenszuwendungen zu gewähren, wurde nicht nur als Treuepflichtverletzung gegenüber der GmbH, sondern – obwohl unmittelbar nur die Gesellschaft geschädigt wurde – auch als Treuepflichtverletzung gegenüber dem Mitgesellschafter angesehen. Daher konnte dieser nach Ansicht des BGH aus eigenem Recht einen Schadensersatzanspruch auf Leistung in das Gesellschaftsvermögen geltend machen22. Im Schrifttum hat man versucht, diesen Ansatz noch weiter auszubauen. So soll z. B. auch die Weigerung, eine fällige Einlage an die GmbH zu leisten, die Treuepflicht gegenüber den Mitgesellschaftern verletzen und diese daher zur Klage aus eigenem Recht berechtigen23. Anstelle der Treuepflicht wird teilwei-
__________ 17 Z. B. hinsichtlich der Rechtshängigkeits- und Rechtskraftwirkungen, dazu sogleich unter III. 2. b). 18 Vgl. nur K. Schmidt (Fn. 2), § 21 IV 1 b (S. 630) mit umfangreichen Nachw. aus der Rechtsprechung des Reichsoberhandelsgerichts und des Reichsgerichts. 19 Vgl. BGHZ 10, 91, 101; 25, 47, 49; BGH, WM 1960, 399, 400; NJW 1973, 2198; Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts I/1, 1977, § 10 IV (S. 142 f.); U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personalgesellschaften des Handelsrechts, 1970, S. 21 ff., 25; aus neuerer Zeit insbes. Altmeppen (Fn. 1), S. 1, 10 ff. m. w. N.; ferner Kreutz in FS Hadding, 2004, S. 513, 517 ff., 526. 20 Näher zum Anwendungsbereich unter IV. 21 Schwab (Fn. 4), S. 47; Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 58 ff., 311. 22 BGHZ 65, 15, 18 ff.; ebenso BGH, NJW 1990, 2627, 2628; Gehrlein, ZIP 1993, 1525, 1530 f.; Lutter in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 13 Rz. 52; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 4. Aufl. 2002, § 13 Rz. 117; Raiser in Ulmer, GmbHG, 2005, § 14 Rz. 58; Banerjea, Die Gesellschafterklage im GmbH- und Aktienrecht, 2000, S. 178 ff. 23 Banerjea (Fn. 22), S. 182; einschränkend (eigener Anspruch nur, wenn die Nichteinforderung der Einlage gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt) Raiser (Fn. 22), § 14 Rz. 55; Zöllner, ZGR 1988, 392, 405 f.
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se auch unmittelbar auf die Verletzung des Mitgliedschaftsrechts des klagenden Gesellschafters abgehoben24. Seit geraumer Zeit hat jedoch sowohl im Personengesellschafts- als auch im GmbH-Recht die Gegenansicht an Boden gewonnen, welche die – in § 718 BGB nicht vorgesehene und besonders bei der GmbH recht gewundene – Konstruktion von parallelen Ansprüchen der Gesellschafter neben der Gesellschaft vermeidet, den geltend gemachten Sozialanspruch stattdessen allein letzterer zuordnet und die actio pro socio demgemäß als Fall der Prozessstandschaft einordnet. Diese Position hat in der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung Zuspruch gefunden25 und ist heute trotz anhaltender Gegenstimmen im Schrifttum herrschend, wobei teils eine gewillkürte, zumeist aber eine (quasi-)gesetzliche (richter- bzw. gewohnheitsrechtliche) Prozessstandschaft angenommen wird26. Ob auch der BGH auf diese Linie einzuschwenken bereit ist, lässt sich seiner Judikatur bisher nicht zweifelsfrei entnehmen, wenngleich einzelne Entscheidungen in diese Richtung deuten27. Auffällig ist jedenfalls, dass die früher geläufige Wendung, der Gesellschafter mache einen eigenen Anspruch geltend, in neueren Entscheidungen nicht mehr wiederkehrt. Von einer höchstrichterlichen Klärung der Frage kann indes keine Rede sein27a . 2. Würdigung unter Berücksichtigung des § 148 AktG a) Vor diesem Hintergrund liegt die Frage nahe, ob man nicht der Sonderregelung des § 148 AktG neue Argumente zur Beantwortung dieser altbekannten Streitfrage abgewinnen kann. Der Gesetzgeber des UMAG hat nämlich nicht
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Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl. 2009, § 13 Rz. 17 f.; ders. (Fn. 1), S. 1, 24. OLG Düsseldorf, GmbHR 1994, 172, 174; OLG Braunschweig, GmbHR 2009, 1276, 1277; OLG Koblenz, NZG 2010, 1023, 1024. Für (quasi-)gesetzliche Prozessstandschaft Habermeier in Staudinger, BGB, 13. Bearb. 2003, § 705 Rz. 46; Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 109 Rz. 32; Schäfer (Fn. 3), § 105 Rz. 256; K. Schmidt (Fn. 2), § 21 IV 4 a (S. 636); Schwab (Fn. 4), S. 45 ff., 118 f.; Ulmer (Fn. 3), § 705 Rz. 208 f.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht II, 2004, § 3 III 6 a bb (S. 282); zur GmbH Merkt (Fn. 3), § 13 Rz. 318 f.; Verse (Fn. 3), § 14 GmbHG Rz. 121, 127; alle m. w. N. Für gewillkürte Prozessstandschaft (kraft ergänzender Vertragsauslegung) Bork/Oepen, ZGR 2001, 515, 520 ff., 529; Grunewald, Die Gesellschafterklage in der Personengesellschaft und der GmbH, 1990, S. 12 ff., 68 f.; Hadding in Soergel, BGB, 12. Aufl. 2007, § 705 Rz. 50; zuvor schon ders., Actio pro socio, 1966, S. 40 ff., 57 ff.; ders., JZ 1975, 159 ff. Vermittelnd Wertenbruch in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl. 2008, § 105 Rz. 146: sowohl Prozessstandschaft als auch Verfolgung eines eigenen Anspruchs. S. etwa BGH, NJW 1991, 1884 (dazu aber auch Henze, Hdb. zum GmbH-Recht, 2. Aufl. 1997, Rz. 918) sowie BGH, NZG 1998, 428, 429 (jeweils zur GmbH), wo ohne Auseinandersetzung mit der früheren Rechtsprechung jeweils von einem Anspruch der Gesellschaft die Rede ist. In dieselbe Richtung deutet BGH, NJW 2000, 505, 506: Danach kann sich der im Wege der actio pro socio in Anspruch genommene Gesellschafter einer GbR „mangels Gegenseitigkeit“ nicht auf § 273 BGB berufen, wenn der klagende Gesellschafter seinerseits seine Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft nicht vollständig erfüllt hat. Zuletzt ausdrücklich offengelassen in BGH, NZG 2010, 783.
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den geringsten Zweifel daran gelassen, dass jedenfalls in Bezug auf diese Vorschrift die Konzeption der (gesetzlichen) Prozessstandschaft zugrunde zu legen ist. Das ergibt sich nicht nur aus dem Gesetzeswortlaut, der wiederholt von der Geltendmachung von Ersatzansprüchen „der Gesellschaft“ spricht (ebenso schon § 309 Abs. 4 AktG28), sondern auch aus den Gesetzesmaterialien, die sich gleich mehrfach explizit zu dieser Frage verhalten29. Nun mag man einwenden, daraus lasse sich für die allgemeine actio pro socio nichts ableiten, da § 148 AktG in erster Linie auf Haftungsansprüche gegen die Organwalter (aus §§ 93, 116 AktG) zugeschnitten sei, nicht aber auf Sozialansprüche aus dem Mitgliedschaftsverhältnis, auf die sich die actio pro socio nach traditioneller Ansicht beschränken soll. Aber dem lässt sich entgegnen, dass § 148 (i. V. m. § 147 Abs. 1 Satz 1) AktG durchaus auch einzelne Ansprüche aus dem Mitgliedschaftsverhältnis erfasst, nämlich zumindest30 auch Ansprüche gegen die Gründer aus § 46 AktG31. Wenn aber der Gesetzgeber die Gesellschafterklage in § 148 AktG auch insoweit als Prozessstandschaft konstruiert, drängt sich die Frage auf, warum man in den anderen Rechtsformen abweichend verfahren sollte. Dies gilt erst recht, wenn man bedenkt, dass der Gesetzgeber in den Materialien selbst den Bezug zwischen § 148 AktG und der Rechtsfigur der actio pro socio hergestellt hat, jene Vorschrift also offenbar nur als besondere Erscheinungsform dieser allgemeinen Rechtsfigur betrachtet wissen will32. b) Bei einem vergleichenden Blick auf § 148 AktG stellen sich auch die Sachargumente der traditionellen Ansicht, die in der actio pro socio die Verfolgung eines eigenen Anspruchs erblickt, in einem anderen Licht dar. Für sie wird insbesondere angeführt, dass die Annahme einer Prozessstandschaft bei konsequenter Anwendung zu untragbaren Ergebnisse führen müsse33. So müsse bei Prozessstandschaft angenommen werden, dass nach Rechtshängigkeit der Ge-
__________ 28 Auch für diese Vorschrift geht die h. M. von einer Prozessstandschaft aus; Emmerich in Emmerich/Habersack (Fn. 15), § 309 Rz. 49 (unter Hinweis auf BGH, NZG 2006, 545, 546 Tz. 13: „Gesellschaft als Gläubigerin“); Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 309 Rz. 21a; Koppensteiner in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2004, § 309 Rz. 44; a. A. Altmeppen in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2010, § 309 Rz. 122 ff.; ders. (Fn. 1), S. 1, 17 f.; Mertens in FS Fleck, 1988, S. 209, 218. 29 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 22 re. Sp., 23 li. Sp., 24 re. Sp. Ebenso die einhellige Ansicht im Schrifttum zu § 148 AktG, statt aller Bezzenberger/Bezzenberger (Fn. 2), § 148 Rz. 2; Hüffer (Fn. 28), § 148 Rz. 15 m. w. N. 30 Zum Teil wird im Schrifttum versucht, im Wege der Analogie auch noch weitere Sozialansprüche in den Anwendungsbereich der §§ 147 f. AktG einzubeziehen; so für Ansprüche aus Treuepflichtverletzung Schwab (Fn. 4), S. 112 f. Zu weit geht es allerdings, sämtliche Sozialansprüche (z. B. auch Einlage- und Rückeinlageansprüche) erfassen zu wollen; zutr. Bezzenberger/Bezzenberger (Fn. 2), § 148 Rz. 101 gegen Becker (Fn. 10), S. 25, 37 ff.; zum Ganzen auch schon Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 446 f. 31 Diese Ansprüche beruhen nach heute h. M. auf einer Verletzung mitgliedschaftlicher Pflichten, sind also gesellschaftsrechtlicher Natur; vgl. M. Arnold in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 46 Rz. 15; Bayer in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 46 Rz. 2; Hüffer (Fn. 28), § 46 Rz. 2; Pentz in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 46 Rz. 13; a. A. (deliktische Haftung) Ehricke in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2003, § 46 Rz. 9. 32 S. oben Fn. 8. 33 So aus neuerer Zeit vor allem Altmeppen (Fn. 1), S. 1, 11 ff.
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sellschafterklage die Gesellschaft nicht mehr selbst klagen könne, da der Streitgegenstand derselbe sei und einer Klage der Gesellschaft daher der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) entgegenstehe. Aus demselben Grund müsse auch ein die Gesellschafterklage abweisendes Urteil Rechtskraft gegen die Gesellschaft entfalten, selbst wenn es auf schlechte Prozessführung des Klägers zurückzuführen sei, was als „geradezu verheerend“ empfunden wird34. Im Lichte des § 148 AktG verlieren beide Argumente an Überzeugungskraft. Was zunächst den Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit anbetrifft, so wurde schon bisher bezweifelt, ob er tatsächlich eingriff35. Jedenfalls seit dem UMAG ergibt sich nunmehr aus § 148 Abs. 3 AktG der klare Wille des Gesetzgebers, dass trotz rechtshängiger Gesellschafterklage die Klage der Gesellschaft jederzeit zulässig, § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO also nicht anwendbar sein soll. Da diese Regelung Ausprägung der Subsidiarität der Gesellschafterklage ist und die Subsidiarität ihrerseits rechtsformübergreifend anerkannt wird (s. unten V.), spricht sehr viel dafür, § 148 Abs. 3 AktG auch auf die allgemeine actio pro socio (analog) anzuwenden. Was ferner die Rechtskraftwirkung angeht, so bestand bisher unter den Anhängern der Prozessstandschaftslehre Uneinigkeit, ob tatsächlich eine Wirkung zu Lasten der Gesellschaft eintreten sollte36. Angesichts der Regelung des § 148 Abs. 5 Satz 1 AktG, die ebenfalls nicht auf rechtsformspezifischen Eigenheiten der AG beruht, wird man das bejahen müssen. Darin liegt jedoch, wie § 148 Abs. 5 AktG belegt, keineswegs ein inakzeptables Ergebnis, sofern nur durch entsprechende verfahrensrechtliche Ausgestaltung der Gesellschafterklage dafür gesorgt ist, dass die Gesellschaft ihre Interessen hinreichend wahren kann. Genau dies ist aber der Fall, wenn man anerkennt, dass die Gesellschafterklage erst nach vergeblicher Aufforderung des zuständigen Gesellschaftsorgans erhoben werden kann37, die Gesellschaft zu dem Rechtsstreit hinzugezogen werden muss38 und sie – wie dargelegt – jederzeit berechtigt ist, selbst zu klagen und damit die Unzulässigkeit der Gesellschafterklage herbeizuführen. Es hat daher nichts Unangemessenes, sondern trägt im Gegenteil den schutzwürdigen Interessen des Beklagten Rechnung, wenn das Urteil über die Gesellschafterklage nicht nur für, sondern auch gegen die Gesellschaft wirkt39. In der Rechtskrafterstreckung liegt mithin keine Schwäche, sondern im Gegenteil ein Vorzug der Prozessstandschaft.
__________ 34 Altmeppen (Fn. 1), S. 12. 35 Verneinend (jeweils bei Annahme gesetzlicher Prozessstandschaft) Schäfer (Fn. 3), § 105 Rz. 263; Ulmer (Fn. 3), § 705 Rz. 214; bejahend Becker (Fn. 4), S. 546; Schwab (Fn. 4), S. 129; ferner (bei Annahme gewillkürter Prozessstandschaft) Bork/Oepen, ZGR 2001, 515, 541 f.; Grunewald (Fn. 26), S. 57. 36 Verneinend Schäfer (Fn. 3), § 105 Rz. 263; Ulmer (Fn. 3), § 705 Rz. 214; bejahend Bork/Oepen, ZGR 2001, 515, 523 f.; Schwab (Fn. 4), S. 128 f. 37 Dazu unter V. 1., 2. b). 38 Dazu unter V. 2. c). 39 Bork/Oepen, ZGR 2001, 515, 523 f.
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c) Mit Blick auf § 148 AktG spricht nach alledem mehr denn je dafür, die actio pro socio mit der heute h. L. als Prozessstandschaft zu begreifen, und zwar angesichts ihres zwingenden Charakters40 richtigerweise nicht als gewillkürte, sondern als (quasi-)gesetzliche Prozessstandschaft. Die Grundlage der Prozessstandschaft wird man im Personengesellschafts- und GmbH-Recht letztlich in einer offenen Rechtsfortbildung erblicken müssen41. Da für die Prozessstandschaft auch unabhängig von § 148 AktG gewichtige Gründe sprechen42, ist zu hoffen, dass sich auch die Rechtsprechung künftig offen zu diesem Ansatz bekennen wird. Geht sie diesen Schritt, sind die Folgefragen der Rechtshängigkeits- und Rechtskraftwirkungen der actio pro socio wie dargelegt entsprechend § 148 Abs. 3 und Abs. 5 Satz 1 AktG zu beantworten.
IV. Zum Anwendungsbereich der actio pro socio Eng verknüpft mit der Diskussion über die Rechtsnatur der actio pro socio ist die Frage nach ihrem Anwendungsbereich. Das zeigt sich insbesondere bei der im GmbH-Recht umstrittenen Frage, ob neben Sozialansprüchen gegen Gesellschafter (und ggf. mittelbare Gesellschafter43) auch Ersatzansprüche wegen pflichtwidriger Geschäftsführung (§ 43 Abs. 2 GmbHG) gegen solche Geschäftsführer, die nicht zugleich Gesellschafter sind44, in den Anwendungsbereich der actio pro socio fallen. Wer die Klagebefugnis auf einen eigenen Anspruch des Gesellschafters aus dem Mitgliedschaftsverhältnis stützt, wird die Frage verneinen45, da sich eine mitgliedsrechtliche Sonderverbindung zwischen dem GmbH-Geschäftsführer und den Gesellschaftern nach ganz überwiegender und
__________ 40 So die ganz h. M.; vgl. Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck (Fn. 10), § 13 Rz. 37; Schwab (Fn. 4), S. 118 mit umfangreichen Nachw. 41 Ebenso Winter (Fn. 21), S. 312 (zur GmbH); vgl. auch Wiedemann (Fn. 26), § 6 III 3 a, S. 281 f. (Richter- oder Gewohnheitsrecht); für Ableitung aus dem Gewohnheitsrecht Mock, RabelsZ 72 (2008), 264, 271; Ulmer (Fn. 3), § 705 Rz. 209; dagegen jedoch Altmeppen (Fn. 1), S. 1, 10 f.; Bork/Oepen, ZGR 2001, 515, 526. Für Herleitung aus § 705 BGB (Effektuierung der gemeinsamen Zweckverfolgung) Schwab (Fn. 4), S. 119. 42 So vermag nur die Lehre von der Prozessstandschaft überzeugend zu erklären, warum Verfügungen der Gesellschaft über den Sozialanspruch (z. B. eine Stundung) auch für den klagenden Gesellschafter maßgeblich sind; Bork/Oepen, ZGR 2001, 515, 521 f. Zu weiteren Einwänden gegen die Konstruktion eigener Ansprüche der Gesellschafter bei bloßen Reflexschäden s. auch schon Verse in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, 2007, 13. Kap. Rz. 49. 43 Falls eine Gesellschafterin als Personengesellschaft organisiert ist, können anerkanntermaßen auch deren Gesellschafter mit der actio pro socio belangt werden, sofern es um ihre persönliche Mithaftung für einen Sozialanspruch geht; BGH, NJW 1973, 2198, 2199. 44 Handelt es sich dagegen um einen Gesellschafter-Geschäftsführer, wird in einer pflichtwidrigen Geschäftsführung häufig auch ein Verstoß gegen die mitgliedschaftliche Treuepflicht liegen; vgl. etwa BGH, NZG 1999, 209 f. Dann ist die actio pro socio unstreitig anwendbar. 45 So denn auch BGH, ZIP 1982, 1203 (allerdings nur obiter); Lutter (Fn. 22), § 13 Rz. 51; Pentz (Fn. 22), § 13 Rz. 115. Ebenso aber auch einige Vertreter der Prozessstandschaftslehre, etwa Ebbing in Michalski, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 14 Rz. 101; Hueck/Fastrich (Fn. 40), § 13 Rz. 38; Merkt (Fn. 3), § 13 Rz. 323.
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zutreffender Ansicht nicht begründen lässt46. Wer dagegen von einer Prozessstandschaft ausgeht, kann auch diese (und u. U. sogar weitere47) Ansprüche mit einbeziehen48. Für eine derartige Ausdehnung des Anwendungsbereichs wurde schon bisher angeführt, dass in Fällen, in denen das Fehlverhalten des Fremdgeschäftsführers durch die Mehrheit gedeckt wird, ein dringendes Bedürfnis für eine Einzelklagebefugnis bestehe49. Ferner wurde geltend gemacht, dass das Haftungsrisiko des Geschäftsführers nicht davon abhängen dürfe, ob er zugleich (ggf. mit einem nur ganz geringen Anteil) Gesellschafter ist oder nicht50. Zur Unterstützung dieser Ansicht lässt sich nunmehr auch hier wieder auf § 148 AktG verweisen, der ebenfalls und sogar vornehmlich Ansprüche gegen die Organwalter (aus §§ 93, 116 AktG) erfasst. Welchen Grund sollte es geben, einer Aktionärsminderheit die Verfolgung von Ansprüchen gegen die Organmitglieder zu ermöglichen, eine vergleichbare Verfolgungsmöglichkeit für die Gesellschafterminderheit in der GmbH aber auszuschließen? Auch die Rechtsvergleichung spricht insoweit eine klare Sprache: Im Ausland begegnen Klagerechte für Minderheitsgesellschafter in Bezug auf Organhaftungsansprüche mit Selbstverständlichkeit auch in denjenigen Rechtsformen, die das funktionale Äquivalent zu unserer GmbH bilden51.
__________ 46 Abw. insbes. Raiser (Fn. 22), § 14 Rz. 60; dagegen jedoch die ganz h. M., vgl. BGHZ 83, 122, 134 (AG); BGHZ 110, 323, 334 (e.V.); Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges“ Recht, 1996, S. 205 ff.; Verse (Fn. 30), S. 431 ff.; Zöllner/ Noack (Fn. 10), § 43 Rz. 64; jeweils m. w. N. 47 Zu der Frage, ob und ggf. unter welchen einschränkenden Voraussetzungen die actio pro socio auch gegen Dritte, die weder Gesellschafter noch Organwalter sind, erhoben werden kann, s. einerseits Ulmer (Fn. 3), § 705 Rz. 206; Schäfer (Fn. 3), § 105 Rz. 258; andererseits Bork/Oepen, ZGR 2001, 515, 543 ff.; Kort, DStR 2001, 2162, 2164 f. 48 So Eickhoff, Die Gesellschafterklage im GmbH-Recht, 1988, S. 191 f.; Grunewald (Fn. 26), S. 89 f.; K. Schmidt in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 46 Rz. 161; Schwab (Fn. 4), S. 138 ff., 143 f.; Verse (Fn. 3), § 14 Rz. 125; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, § 8 IV 1 c bb (S. 462); ferner Banerjea (Fn. 22), S. 188 ff., 193, der die actio pro socio zwar in Bezug auf Sozialansprüche als Klage aus eigenem Recht konstruiert, in Bezug auf Ansprüche gegen Fremdgeschäftsführer dann aber doch auf die Prozessstandschaft zurückgreift. 49 Banerjea (Fn. 22), S. 190. 50 Grunewald (Fn. 26), S. 89 f. 51 So gelten die Vorschriften der US-amerikanischen Bundesstaaten über die derivative suit mit gewissen Modifikationen (vgl. § 7.01 lit. [d] der Principles of Corporate Governance des American Law Institute und dazu Merkt/Göthel [Fn. 8], Rz. 1040) auch für die close corporation. Auch sec. 260 ff. des britischen Companies Act 2006 differenzieren nicht zwischen public und private companies. S. ferner Art. L223-22 Abs. 3 Code de commerce (zur französischen SARL); Art. 827 i. V. m. Art. 756 OR (zur schweizerischen GmbH); sowie § 48 österreichisches GmbHG (dort allerdings erst ab einer Beteiligung von 10 % des Stammkapitals oder 700.000 Euro nominal; für Abschaffung dieses Quorums de lege ferenda Kalss in Verhandlungen des 16. Österreichischen Juristentags, 2006, Bd. II/1, S. 255 f.).
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Die actio pro socio im Personengesellschafts- und GmbH-Recht
V. Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen der actio pro socio 1. Meinungsstand im Personengesellschafts- und GmbH-Recht Sowohl im Personengesellschafts- als auch im GmbH-Recht ist anerkannt, dass die actio pro socio nicht schrankenlos zulässig ist. Solange die Gesellschaft den Anspruch selbst pflichtgemäß verfolgt, ist für eine Gesellschafterklage kein Raum. Dieser weithin akzeptierte Grundgedanke wird allerdings im Schrifttum und auch innerhalb der Rechtsprechung unterschiedlich akzentuiert und begründet. Überwiegend wird darauf verwiesen, dass die actio pro socio wegen der mit ihr verbundenen Durchbrechung der regulären Zuständigkeitsordnung lediglich eine subsidiäre Hilfszuständigkeit darstelle und deshalb an bestimmte, sogleich noch zu präzisierende Einschränkungen geknüpft sein müsse52. Nach der Gegenansicht, die in erster Linie unter den Anhängern einer Klage aus eigenem Recht verbreitet ist, geht es dagegen um eine Begrenzung der Einzelklagebefugnis durch die mitgliedschaftliche Treuepflicht53. Wie weit die unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität bzw. der Treuepflicht vorzunehmenden Einschränkungen im Einzelnen reichen (und wer insoweit die Darlegungs- und Beweislast trägt54), ist bisher nicht hinreichend geklärt. Einigkeit besteht noch darin, dass der klagewillige Gesellschafter das zuständige Gesellschaftsorgan vergeblich zur Anspruchsverfolgung aufgefordert haben muss, sofern dies nicht von vornherein aussichtslos war. Ebenso ist man sich weitgehend einig, dass die Gesellschafterklage nicht erhoben werden kann, wenn ihr gewichtige Gründe des Gesellschaftsinteresses entgegenstehen und das zuständige Gesellschaftsorgan die Anspruchsverfolgung daher zu Recht abgelehnt hat55. Sehr streitig ist aber insbesondere die im GmbH-Recht diskutierte Frage, ob der klagewillige Gesellschafter mit Blick auf § 46 Nr. 8 GmbHG erst gegen einen die Anspruchsverfolgung (treue-)pflichtwidrig ablehnenden Gesellschafterbeschluss Anfechtungsklage erheben (und diese Klage mit einem Antrag auf positive Beschlussfeststellung verbinden) muss, um sich die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Mitgesellschafter oder Geschäftsführer im Wege der actio pro socio offen zu halten. Die überwiegende Ansicht
__________ 52 Zur GmbH BGH, ZIP 1982, 1203, 1204; NJW 1991, 1884; NZG 2005, 216; OLG Koblenz, NZG 2010, 1023; Hueck/Fastrich (Fn. 40), § 13 Rz. 39; Merkt (Fn. 3), § 13 Rz. 326 f.; Verse (Fn. 3), § 14 Rz. 125; zu den Personengesellschaften BGH, NJW 1960, 433 (Anspruch „in erster Linie“ von den Geschäftsführern geltend zu machen); BGH, NJW 1974, 1555, 1556 (bloßes „Hilfsrecht“); Bork/Oepen, ZGR 2001, 515, 530 ff.; Schäfer (Fn. 3), § 105 Rz. 262; Ulmer (Fn. 3), § 705 Rz. 211; rechtsformübergreifend Schwab (Fn. 4), S. 80 ff., 108 ff. 53 Vgl. BGHZ 25, 47, 50; Lutter (Fn. 22), § 13 Rz. 54; ders., ZHR 162 (1998), 164, 182 f.; Raiser (Fn. 22), § 14 Rz. 52, 58. 54 Dazu mit jeweils unterschiedlichen Ansätzen Raiser (Fn. 22), § 14 Rz. 58; Schäfer (Fn. 3), § 105 Rz. 262; Schwab (Fn. 4), S. 109 (aber auch S. 102). 55 Vgl. etwa Raiser (Fn. 22), § 14 Rz. 52, 58; Schäfer (Fn. 3), § 105 Rz. 262; Schwab (Fn. 4), S. 80 f.; Bork/Oepen, ZGR 2001, 515, 532 f.
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will dies jedenfalls im Grundsatz bejahen56. Nach der zunehmend vertretenen Gegenansicht besteht ein Anfechtungserfordernis hingegen nur, wenn die Gesellschafterversammlung ausnahmsweise nicht nur die Anspruchsverfolgung abgelehnt, sondern auch den Verzicht auf den Anspruch beschlossen hat57. 2. Würdigung unter Berücksichtigung des § 148 AktG Auch zu diesem Fragenkreis lassen sich der Sonderregelung des § 148 AktG Anhaltspunkte entnehmen, die in der personengesellschafts- und GmbH-rechtlichen Diskussion bislang weitestgehend unbeachtet geblieben sind. § 148 Abs. 1 AktG führt die Voraussetzungen detailliert auf, von denen die Prozessführungsbefugnis der klagewilligen Aktionäre abhängt. An diesen Voraussetzungen kann man sich zwar nicht durchgängig, aber doch immerhin teilweise auch außerhalb des Aktienrechts orientieren. a) Nicht in das Personengesellschafts- und GmbH-Recht übertragbar sind allerdings das in § 148 Abs. 1 Satz 1 AktG verlangte Beteiligungsquorum58 sowie das Erfordernis, dass die klagewilligen Aktionäre ihre Beteiligung bereits vor Bekanntwerden der Anspruchsentstehung erworben haben müssen (§ 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AktG)59. Diese beiden Voraussetzungen sind ersichtlich auf das Leitbild der (Publikums-)Aktiengesellschaft zugeschnitten, die durch einen weit gestreuten Aktionärskreis sowie die freie Übertragbarkeit der Anteile gekennzeichnet ist, und wollen den daraus resultierenden besonderen Missbrauchsrisiken Rechnung tragen60. Nicht verallgemeinerungsfähig ist auch § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AktG, der die Klagezulassung von dem Verdacht abhängig macht, dass die Gesellschaft durch „Unredlichkeit oder grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung“ geschädigt worden ist. Abgesehen davon, dass diese Voraussetzung allein auf Schadensersatzansprüche gemünzt ist, während die actio pro socio im Personengesellschafts- und GmbH-Recht auch andere Ansprüche erfasst, ist sie aufs Engste mit der in § 148 AktG vorgesehenen Trennung zwischen Zulassungsund Klageverfahren verknüpft; denn die Beschränkung auf Unredlichkeiten
__________ 56 OLG Köln, NJW-RR 1994, 616; Eickhoff (Fn. 48), S. 122 ff., 128 ff.; Goette, DStR 1993, 1111, 1112; Grunewald (Fn. 26), S. 73 ff.; Hueck/Fastrich (Fn. 40), § 13 Rz. 39; Merkt (Fn. 3), § 13 Rz. 326 f.; Zöllner, ZGR 1988, 392, 409 f. Eine Ausnahme soll nach dieser Ansicht nur ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn die Anfechtungsklage nach Lage des Einzelfalls einen unzumutbaren Umweg darstellt; zu einem solchen Ausnahmefall s. BGH, ZIP 1982, 1203, 1204. 57 Ebbing (Fn. 45), § 14 Rz. 104; Hüffer in Ulmer, GmbHG, 2006, § 46 Rz. 114 f.; Schwab (Fn. 4), S. 84 ff., 94 ff.; Verse (Fn. 3), § 14 Rz. 125; Winter (Fn. 21), S. 315 ff. 58 Ebenso Becker (Fn. 10), S. 25, 40 f.; vgl. auch Kalss, ECFR 2009, 324, 345; dies. (Fn. 51), S. 254 ff. 59 Becker (Fn. 10), S. 25, 40 f. Die Parallelvorschrift zu § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AktG im Rahmen der Anfechtungsbefugnis (§ 245 Nr. 1 AktG) ist nach allgemeiner Ansicht ebenfalls nicht auf die GmbH übertragbar; vgl. Raiser in Ulmer, GmbHG, 2006, Anh. § 47 Rz. 168; K. Schmidt (Fn. 48), § 45 Rz. 129; Zöllner in Baumbach/Hueck (Fn. 10), Anh. § 47 Rz. 136. 60 Vgl. Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 20 re. Sp., 21 re. Sp.
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Die actio pro socio im Personengesellschafts- und GmbH-Recht
und grobe Gesetzes- und Satzungsverstöße spielt nur in dem vorgeschalteten Zulassungsverfahren eine Rolle61. Ob ein solches Zulassungsverfahren auch im Personengesellschafts- und GmbH-Recht Platz greift, ist aber mehr als fraglich und – wie noch darzulegen sein wird – richtigerweise zu verneinen62. Nimmt man hinzu, dass die Beschränkung auf Unredlichkeiten und grobe Gesetzes- und Satzungsverstöße schon in der AG aus gutem Grund rechtspolitisch umstritten ist63 und in § 148 AktG nicht zuletzt auch wegen der gerade in (Publikums-)Aktiengesellschaften besonders großen Gefahr missbräuchlicher Klagen aufgenommen wurde, spricht im Ergebnis alles dafür, diese Einschränkung nicht auf die Personengesellschaften und die GmbH zu übertragen64. b) Anders verhält es sich jedoch in Bezug auf die Voraussetzungen, die in § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AktG (vergebliche Aufforderung der Gesellschaft nebst Fristsetzung) und § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG (keine entgegenstehenden überwiegenden Gründe des Gesellschaftswohls) vorgesehen sind. Sie formulieren in etwas konkreterer Form Anforderungen, die wie dargelegt im Grundsatz auch im Personengesellschafts- und GmbH-Recht anerkannt sind. Während § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AktG den Vorrang der regulären Zuständigkeitsordnung unterstreicht65, bringt Satz 2 Nr. 4 die Bindung der klagewilligen Aktionäre an das Gesellschaftsinteresse zum Ausdruck. Da diese Grundgedanken ohne Abstriche auch auf andere Rechtsformen zutreffen, liegt es nahe, beide Vorschriften als Ausprägungen eines verallgemeinerungsfähigen Rechtsgedankens anzusehen und sie (einschließlich der zugehörigen Darlegungs- und Beweislastregeln66) im Wege der Analogie rechtsformübergreifend anzuwenden.
__________ 61 Ist die Klage erst einmal zugelassen und stellt sich im Klageverfahren sodann „nur“ ein einfacher Verstoß heraus, hat die Klage trotzdem Erfolg; Begr. RegE UMAG, BTDrucks. 15/5092, S. 22; Bezzenberger/Bezzenberger (Fn. 2), § 148 Rz. 130. 62 S. dazu unter VI. 63 Sehr kritisch zuletzt Peltzer in dieser Festschrift, S. 953, 958 f., 962 f.; zuvor auch schon Bork in Hommelhoff/Röhricht, RWS-Forum Gesellschaftsrecht 1997, 1998, S. 53, 62 (zu § 147 Abs. 3 AktG a. F.); Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, 2006, S. 916; Seibt, WM 2004, 2137, 2140, 2142; Thümmel in Gottwald, Europäisches Insolvenzrecht, Kollektiver Rechtsschutz, 2008, S. 235, 247 f.; vgl. auch Siems, ZVglRwiss 104 (2005), 376, 386. Befürwortend dagegen A. Arnold, Die Steuerung des Vorstandshandelns, 2007, S. 201; Happ in FS Westermann, 2008, S. 971, 984 m. w. N. 64 Dieses Ergebnis deckt sich mit den Reformvorschlägen zum österreichischen Recht von Kalss (Fn. 51), S. 215 ff., 254 ff., die es zwar für erwägenswert hält, eine Zulassungsvoraussetzung nach Art des § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AktG auch für die österreichische AG einzuführen, in der GmbH aber keine vergleichbare Einschränkung befürwortet. 65 Vgl. Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 21 f.: Ausdruck des „subsidiären Charakters“ der Aktionärsklage. 66 Die Darlegungs- und Beweislast für Aufforderung und Fristsetzung (§ 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AktG) liegt im Aktienrecht anerkanntermaßen bei den klagewilligen Aktionären; Bezzenberger/Bezzenberger (Fn. 2), § 148 Rz. 126; Spindler (Fn. 8), § 148 Rz. 20. In Bezug auf entgegenstehende Gründe des Gesellschaftswohls (§ 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG) wird dagegen mit guten Gründen vertreten, die Darlegungs- und Beweislast dem Antragsgegner aufzubürden; Bezzenberger/Bezzenberger (Fn. 2),
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Folgt man dem, gelangt man – verglichen mit dem bisherigen Meinungsstand im Personengesellschafts- und GmbH-Recht – in zweifacher Hinsicht zu einer Konkretisierung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der actio pro socio. Zum einen können der Gesellschafterklage bei analoger Anwendung des § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AktG nicht schon gewichtige, sondern nur „überwiegende“ Gründe des Gesellschaftswohls entgegengehalten werden. Zum zweiten muss der Kläger bei analoger Anwendung des § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AktG die Gesellschaft nicht nur zur Klageerhebung auffordern, sondern ihr zugleich eine angemessene Frist setzen67. Das Fristsetzungserfordernis ist vor allem vor dem Hintergrund der damit zusammenhängenden Kostenregelung zu sehen. Erhebt die Gesellschaft erst nach Fristablauf selbst Klage (was gemäß § 148 Abs. 3 Satz 1 letzter Hs. AktG zur Unzulässigkeit der Gesellschafterklage führt), muss sie dem klagenden Gesellschafter nach § 148 Abs. 6 Satz 4 AktG die bis dahin entstandenen Verfahrenskosten ersetzen68. Diese Regelung ist, wenn man – wie hier befürwortet69 – § 148 Abs. 3 AktG rechtsformübergreifend anwendet, auch im Personengesellschafts- und GmbH-Recht unmittelbar einleuchtend und angemessen. c) Auch die im GmbH-Recht geführte Diskussion, ob die actio pro socio in den Fällen des § 46 Nr. 8 GmbHG von der Anfechtung eines die Anspruchsverfolgung ablehnenden Gesellschafterbeschlusses (kombiniert mit einem Antrag auf positive Beschlussfeststellung) abhängig ist, stellt sich im Hinblick auf § 148 AktG in verändertem Licht dar. Die h. M. stützt das Anfechtungserfordernis insbesondere auf das Argument, dass andernfalls über die Frage der Rechtmäßigkeit des Gesellschafterbeschlusses nur inzident im Rahmen des Gesellschafterklageverfahrens entschieden werde, die Gesellschaft an diesem Prozess aber gar nicht beteiligt und daher nicht hinreichend gewährleistet sei, dass sie ihre Gründe für die ablehnende Beschlussfassung in das Verfahren einbringt70. Im Aktienrecht hat der Gesetzgeber das Parallelproblem71 dadurch gelöst, dass die Gesellschaft gemäß § 148 Abs. 2 Satz 9 AktG in dem Klageverfahren über
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§ 148 Rz. 161; Winnen (Fn. 8), S. 405 f.; a. A. Spindler (Fn. 8), § 148 Rz. 28; jeweils m. w. N. Dafür lässt sich anführen, dass die Verfolgung eines bestehenden Anspruchs im Regelfall dem Gesellschaftsinteresse entspricht, während das Vorliegen gegenläufiger Gründe die begründungsbedürftige Ausnahme darstellt. Vgl. dazu in anderem Zusammenhang auch schon Schwab (Fn. 4), S. 102. Entbehrlich sind Aufforderung und Fristsetzung freilich, wenn das zuständige Gesellschaftsorgan eindeutig erklärt, nicht Klage erheben zu wollen (Rechtsgedanke der §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB); vgl. Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 22 li. Sp.; Hüffer (Fn. 28), § 148 Rz. 7. Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 22 li. Sp.; Bezzenberger/Bezzenberger (Fn. 2), § 148 Rz. 120. S. oben unter III. 2. b). Goette, DStR 1993, 1111, 1112; vgl. auch Grunewald (Fn. 26), S. 74: Der Gesellschaft muss der Einwand ermöglicht werden, dass sie aus guten Gründen von der Anspruchsverfolgung abgesehen hat. In der AG wird in aller Regel kein ablehnender Hauptversammlungsbeschluss, sondern nur eine ablehnende Entscheidung des Vorstands bzw. Aufsichtsrats vorausgegangen sein. Der Kern des Problems – das Bedürfnis, die Sicht des zuständigen Gesellschaftsorgans in den Prozess einzubringen – ist jedoch derselbe.
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die actio pro socio beigeladen werden muss. Was das genau heißt – Beiladung nach verwaltungsprozessrechtlichem Vorbild (§§ 65 f. VwGO) oder lediglich Unterrichtung der Gesellschaft, um ihr Gelegenheit zur Nebenintervention (§§ 66 ff. ZPO) zu geben –, ist zwar noch nicht abschließend geklärt72. Entscheidend ist jedoch an dieser Stelle nur, dass durch die zwingende Beiladung sichergestellt ist, dass die Gesellschaft zu dem Verfahren hinzugezogen und ihr rechtliches Gehör gewährt wird. Die aktienrechtliche Regelung trägt damit dem Umstand Rechnung, dass die Aktionärsklage in die Kompetenzordnung der Gesellschaft eingreift und das Urteil gemäß § 148 Abs. 5 Satz 1 AktG auch für und gegen sie wirkt73. Genau diese Erwägungen treffen aber auch außerhalb des Aktienrechts zu74, weshalb es nahe liegt, das Beiladungserfordernis auch auf die GmbH und die Personengesellschaften zu erstrecken (§ 148 Abs. 2 Satz 9 AktG analog). Entschließt man sich zu diesem Schritt, muss das von der bisher h. M. angenommene Anfechtungserfordernis mehr denn je als unnötiger Aufwand erscheinen75.
VI. Zur verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der actio pro socio (Vorschaltung eines Klagezulassungsverfahrens, Kostenerstattung) 1. Ausgangslage im Aktienrecht Die Prüfung der Prozessführungsbefugnis des klagenden Gesellschafters bildet im Rahmen der actio pro socio nach hergebrachter Praxis nur einen unselbständigen Teil der Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen. Demgegenüber sieht § 148 AktG (ähnlich wie die englische Regelung zur derivative claim76) vor, dass die Voraussetzungen für die Prozessführungsbefugnis der klagenden Aktionäre in einem dem eigentlichen Klageverfahren vorgeschalteten, separaten Zulassungsverfahren zu prüfen sind, das durch einen gesondert anfechtbaren Beschluss abgeschlossen wird (§ 148 Abs. 2 AktG). Das wirft die Frage auf, ob sich auch diese verfahrensrechtliche Trennung auf das GmbH- und Personengesellschaftsrecht übertragen lässt. Der mit der Vorschaltung des Zulassungsverfahrens verfolgte Zweck ist ein doppelter: Zum einen soll sie Schutz vor aussichtslosen und missbräuchlichen Klagen bieten77, indem diese möglichst zügig vorab ausgesondert werden und
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72 Für Ersteres Happ (Fn. 63), S. 971, 980 f.; Hüffer (Fn. 28), § 148 Rz. 12; Paschos/ Neumann, DB 2005, 1779, 1783 f.; Spindler (Fn. 8), § 148 Rz. 6; Winnen (Fn. 8), S. 389 ff.; vgl. auch Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 24; für Letzteres dagegen Bezzenberger/Bezzenberger (Fn. 2), § 148 Rz. 184; Zieglmeier, ZGR 2007, 144, 154 ff. 73 Bezzenberger/Bezzenberger (Fn. 2), § 148 Rz. 183. 74 Zur analogen Anwendung des § 148 Abs. 5 Satz 1 AktG s. oben unter III. 2. b). 75 Etwas anderes gilt freilich in Übereinstimmung mit den in Fn. 57 Genannten in dem Sonderfall, dass die Gesellschafterversammlung einen Verzichtsbeschluss gefasst hat. In diesem Fall muss erst die durch den Beschluss getroffene Regelung beseitigt werden, bevor der Anspruch verfolgt werden kann. 76 Sec. 260 ff. Companies Act 2006; dazu Paul, ECFR 2010, 81 ff.; Braun/Strothotte, RIW 2010, 424 ff. 77 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 20 re. Sp.
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die mit Gerichtsverfahren oft verbundene negative Resonanz in der Öffentlichkeit dementsprechend reduziert wird. Zum anderen soll mithilfe des Zulassungsverfahrens eine angemessene Verteilung des Prozesskostenrisikos erreicht werden78. Die Kostenregelung nach § 148 Abs. 6 AktG knüpft nämlich unmittelbar an den Erfolg oder Misserfolg im Zulassungsverfahren an: Unterliegt der Antragsteller bereits in diesem Stadium, muss er die – durch eine Streitwertbeschränkung (§ 53 Abs. 1 Nr. 4 GKG) begrenzten – Kosten des Zulassungsverfahrens tragen (§ 148 Abs. 6 Satz 1 AktG). Eine Kostenerstattung durch die Gesellschaft kommt in diesem Fall nur in Betracht, wenn das Unterliegen auf entgegenstehenden Gründen des Gesellschaftswohls beruht, welche die Gesellschaft vor Antragstellung hätte mitteilen können, aber nicht mitgeteilt hat (§ 148 Abs. 6 Satz 2 AktG). Übersteht der Kläger dagegen das Zulassungsverfahren, wird er (auch insoweit ähnlich wie im englischen Recht79) vom Kostenrisiko eines späteren Misserfolgs seiner Klage entlastet, da er die ihm nach §§ 91, 92 ZPO aufgebürdeten Kosten gemäß § 148 Abs. 6 Satz 5 AktG von der Gesellschaft erstattet verlangen kann80. Darin liegt aus Klägersicht eine Verbesserung im Vergleich zur allgemeinen actio pro socio, da bei dieser der Kläger nach ganz überwiegender und durch die Gesetzesmaterialien zu § 309 Abs. 4 AktG bestätigter81 Ansicht das volle Kostenrisiko trägt82. 2. Übertragbarkeit ins Personengesellschafts- und GmbH-Recht? Die in § 148 AktG vorgesehene Trennung des Zulassungsstreits vom eigentlichen Klageverfahren ist im Schrifttum auf Zustimmung gestoßen83. Zur Begründung wird u. a. angeführt, dass es sich um verschiedene Streitgegenstände handle, nämlich den Streit um das Einzelklagerecht des Aktionärs im Verhältnis zur AG einerseits und den Streit um den Anspruch der AG mit deren Schuldner andererseits. Schon wegen dieser unterschiedlichen Streitgegenstände empfehle sich eine verfahrensrechtliche Zäsur84.
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78 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 20 re. Sp. Zur besonderen Bedeutung der Kostenfrage statt vieler Bezzenberger/Bezzenberger (Fn. 2), § 148 Rz. 16 f., 56, 247; Siems, ZVglRwiss 104 (2005), 376, 389 ff.; ferner Peltzer in dieser Festschrift, S. 953, 956 f. 79 Vgl. sec. 19.9E Civil Procedure Rules, die dem Gericht allerdings ein weiteres Ermessen einräumen als das deutsche Recht; näher dazu Paul, ECFR 2010, 81, 96 f., 110, 113 f. 80 Etwas anderes gilt nur, wenn er sich die Klagezulassung durch vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Angaben erschlichen hat (§ 148 Abs. 6 Satz 5 letzter Hs. AktG). 81 Begr. zu § 309 AktG bei Kropff, Aktiengesetz, 1965, S. 405. 82 Ein Kostenerstattungsanspruch lässt sich nach h. M. (jedenfalls in aller Regel) weder aus §§ 683, 670 BGB noch aus § 110 HGB ableiten; vgl. insbes. Schwab (Fn. 4), S. 102 f. m. w. N.; ferner etwa Ulmer (Fn. 3), § 705 Rn. 213; K. Schmidt in MünchKomm.HGB, 2. Aufl. 2006, § 105 Rz. 202; Hueck/Fastrich (Fn. 40), § 13 Rz. 39. A. A. (für Kostenerstattung bei aus ex-ante-Sicht berechtigtem Anlass zur Klage) Banerjea (Fn. 22), S. 231 f.; Becker (Fn. 4), S. 546. Für Abmilderung des Kostenrisikos durch Streitwertbeschränkung analog § 247 AktG Koppensteiner in Rowedder/SchmidtLeithoff (Fn. 22), § 43 Rz. 49. 83 Vgl. etwa Becker (Fn. 10), S. 25, 35; Bezzenberger/Bezzenberger (Fn. 2), § 148 Rz. 22. 84 So Becker (Fn. 10), S. 25, 35.
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Die actio pro socio im Personengesellschafts- und GmbH-Recht
Legt man diese Argumentation zugrunde, mag man auf den ersten Blick dazu neigen, das zweistufige Verfahren auch auf die GmbH und die Personengesellschaften zu übertragen85; denn das Argument unterschiedlicher Streitgegenstände ließe sich natürlich auch hier anführen. Dennoch überwiegen letztlich die Bedenken. Dass der Streit über die Prozessführungsbefugnis vom Klageverfahren separiert wird, ist in unserer Prozessrechtsordnung nicht die Regel, sondern eine begründungsbedürftige Ausnahme. Dabei darf man nicht übersehen, dass die Vorschaltung eines gesonderten Zulassungsverfahrens mit zusätzlichem Aufwand für alle Beteiligten verbunden ist (separater Zulassungsantrag, Vorprüfung durch das Gericht, eigener Zulassungsbeschluss, gesonderte Beschlussanfechtung im Wege sofortiger Beschwerde etc.). Diesen Aufwand hat der Gesetzgeber im Aktienrecht zum Schutz vor missbräuchlichen Klagen für angemessen gehalten, da hier aufgrund des oft weit gestreuten Aktionärskreises und der freien Übertragbarkeit der Aktien das Risiko missbräuchlicher Klagen besonders hoch eingeschätzt wird. Aus dieser Entscheidung des Gesetzgebers lässt sich jedoch kein Anhaltspunkt dafür ableiten, dass dieser Mehraufwand auch für weniger missbrauchsanfällige Rechtsformen gerechtfertigt wäre. Ein dringendes Bedürfnis hierfür ist zumindest aus der bisherigen Praxis zur actio pro socio nicht bekannt geworden. Das spricht dafür, im Personengesellschafts- und GmbH-Recht wie bisher auf ein gesondertes Zulassungsverfahren zu verzichten86 und es bei den allgemeinen Regeln zu belassen87. Sofern es das Gericht für tunlich hält, bleibt es ihm aber selbstverständlich unbenommen, nach § 280 ZPO abgesondert über die Zulässigkeit der Klage zu verhandeln. Auch ohne Vorschaltung eines eigenen Zulassungsverfahrens könnte man jedoch erwägen, wenigstens die differenzierte Kostenregelung des § 148 Abs. 6 AktG auch im Personengesellschafts- und GmbH-Recht fruchtbar zu machen88. Der Grundgedanke, dass der Kläger nicht die volle Kostenlast tragen soll, wenn er begründeten Anlass zur Klage hatte, lässt sich auch ohne vorgeschaltetes Zulassungsverfahren umsetzen, wie das Beispiel des schweize-
__________ 85 Andeutungsweise in diese Richtung Bezzenberger/Bezzenberger (Fn. 2), § 148 Rz. 22 (Zulassungsverfahren „möglicherweise“ dem Grundgedanken nach übertragbar). 86 Auf dieser Linie bewegt sich auch das umfassende Gutachten von Kalss (Fn. 51), S. 210 ff., 256 ff. zur Reform des österreichischen Kapitalgesellschaftsrechts. Dort wird ausdrücklich dafür plädiert, ein gesondertes Zulassungsverfahren nach deutschem Vorbild nur für die AG, nicht aber für die GmbH einzuführen. S. ferner K. Schmidt, NZG 2005, 796, 799, der die Einführung einer actio pro socio für die nicht-börsennotierte AG in Erwägung zieht, aber auch insoweit ein Zulassungsverfahren für entbehrlich hält. 87 Nur am Rande sei bemerkt, dass der Gesetzgeber auch im Aktienrecht nicht durchgängig ein vorgeschaltetes Zulassungsverfahren vorsieht, wie die Vorschriften über die konzernrechtliche actio pro socio zeigen (§§ 309 Abs. 4, 310 Abs. 4, 317 Abs. 4, 318 Abs. 4 AktG). Für analoge Anwendung des Zulassungsverfahrens insoweit aber S. Weber, Die konzernrechtliche abgeleitete Aktionärsklage, 2006, S. 171 ff. 88 In diese Richtung Becker (Fn. 10), S. 25, 50.
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rischen Rechts belegt89. Gleichwohl bestehen auch insoweit Bedenken, zumindest in Bezug auf die zentrale Vorschrift des § 148 Abs. 6 Satz 5 AktG90. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass die Gesellschafter einer GmbH oder Personengesellschaft typischerweise in größerem Umfang an der Gesellschaft beteiligt sind als Minderheitsaktionäre einer (Publikums-)Aktiengesellschaft und infolgedessen trotz des Kostenrisikos einen höheren Anreiz haben, Klage zu erheben91. Daher ist hier das Bedürfnis, Klagen durch Abmilderung des Kostenrisikos zu erleichtern, weniger stark. Ferner wiegt die Belastung mit den Kosten für kleine Gesellschaften typischerweise schwerer als für große Aktiengesellschaften, wie sie dem Leitbild des AktG entsprechen92. Aus diesen Gründen dürfte es an einer hinreichenden, die Analogie zu § 148 Abs. 6 Satz 5 AktG rechtfertigenden Ähnlichkeit der Interessenlage fehlen93. Selbstredend steht es den Gesellschaftern aber frei, eine entsprechende Kostenregelung im Gesellschaftsvertrag vorzusehen. Demgegenüber wird man dem Kläger in dem Sonderfall des § 148 Abs. 6 Satz 2 AktG (Klageabweisung wegen entgegenstehender Gründe des Gesellschaftswohls, die die Gesellschaft dem Kläger vor Klageerhebung vorenthalten hat) auch in der GmbH und den Personengesellschaften entgegenkommen können, ohne dass es hierfür einer Regelung im Gesellschaftsvertrag bedarf. Nach Lage des Einzelfalls wird hier schon nach allgemeinen Grundsätzen eine schuldhafte Verletzung der Treuepflicht der Gesellschaft anzunehmen sein, die den Kläger zum Schadensersatz berechtigt94.
__________ 89 Vgl. Art. 756 Abs. 2 OR: „Hatte der Aktionär aufgrund der Sach- und Rechtslage begründeten Anlass zur Klage, so verteilt der Richter die Kosten, soweit sie nicht vom Beklagten zu tragen sind, nach seinem Ermessen auf den Kläger und die Gesellschaft.“ Über die Verweisung in Art. 827 OR gilt diese Regelung auch für die schweizerische GmbH. 90 Ebenso im Erg. Mock, RabelsZ 72 (2008), 264, 275 (ohne Begründung). Zur Kostenerstattung nach § 148 Abs. 6 Satz 4 AktG bei nachträglicher Klageerhebung der Gesellschaft, die zur Unzulässigkeit der Gesellschafterklage führt, s. dagegen bereits unter V. 2. b). 91 Vgl. Kalss, ECFR 2009, 324, 344. 92 Vgl. auch dazu Kalss, ECFR 2009, 324, 344 f.; dies. (Fn. 51), S. 257 mit Fn. 680. Aus den im Text genannten Gründen spricht sich Kalss mit Blick auf ein künftiges europäisches Modellgesetz für Kapitalgesellschaften (dazu Baums in FS von Rosen, 2008, S. 625 ff.) dafür aus, eine dem § 148 Abs. 6 Satz 5 AktG nachempfundene Regelung nur für public companies, nicht aber für private companies einzuführen; ECFR 2009, 324, 343, 344–346. Gleichsinnig bereits ihr Vorschlag zur Reform des österreichischen Kapitalgesellschaftsrechts (Kostenerstattung nur bei der AG, nicht bei der GmbH); Kalss (Fn. 51), S. 210 ff., 256 ff. 93 Im Rahmen des § 309 Abs. 4 AktG mag dies – trotz der gegenteiligen Annahme in der Gesetzesbegründung (s. oben Fn. 81) – u. U. anders zu beurteilen sein; für analoge Anwendung des § 148 Abs. 6 Satz 5 AktG in diesem Zusammenhang S. Weber (Fn. 87), S. 262 ff.; zurückhaltend aber Hüffer (Fn. 28), § 309 Rz. 21 a. E. 94 Dazu, dass auch die Gesellschaft Treuebindungen gegenüber ihren Gesellschaftern unterliegt, s. nur BGHZ 127, 107, 111; Verse (Fn. 3), § 14 Rz. 92 ff. m. w. N.
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VII. Zu den Rechtsfolgen der actio pro socio und zur Prozessbeendigung durch Vergleich Blickt man zum Abschluss auf die prozessualen Wirkungen der actio pro socio, so wurde bereits dargelegt, dass die bisher streitigen Fragen zum Einwand der Rechtshängigkeit und zur Reichweite der Rechtskraft nach der hier vertretenen Ansicht nunmehr auch im Personengesellschafts- und GmbH-Recht analog § 148 Abs. 3 und Abs. 5 Satz 1 AktG zu beantworten sind95. Noch unbeantwortet ist dagegen die Frage, ob der im Wege der actio pro socio klagende Gesellschafter auch wirksam einen Prozessvergleich schließen kann, der eine Verfügung über den Anspruch der Gesellschaft enthält. Die überwiegende, allerdings nicht unbestrittene Ansicht im Personengesellschafts- und GmbHRecht geht davon aus, dass dem klagenden Gesellschafter allein keine solche Befugnis zusteht96. Möglich ist allerdings, dass die übrigen Gesellschafter beschließen, den Kläger zu dem Vergleich zu ermächtigen (§ 185 BGB)97. Für die AG ist die Frage nunmehr in § 148 Abs. 5 Satz 2 AktG zumindest ansatzweise geregelt. Danach kann die klagende Aktionärsminderheit einen Vergleich auch mit Wirkung für und gegen die Gesellschaft abschließen, allerdings nur, wenn der Vergleich nach Klagezulassung abgeschlossen wird und – diese weitere Voraussetzung ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien – die Hauptversammlung zustimmt sowie keine Aktionärsminderheit von 10 % des Grundkapitals Widerspruch erhebt (§ 93 Abs. 4 Satz 3 AktG)98. Dahinter steht die Überlegung, dass für die klagende Aktionärsminderheit als Prozessstandschafterin keine geringeren Anforderungen gelten sollen als für die Gesellschaft als Rechtsinhaberin99. Im Ergebnis lässt sich darin eine Bestätigung des Standpunkts der h. M. im Personengesellschafts- und GmbH-Recht erblicken: Der Kläger kann einen Prozessvergleich, der eine Verfügung über ein Recht der Gesellschaft enthält, nicht auf eigene Faust abschließen, sondern nur mit gesonderter Ermächtigung.
VIII. Fazit In der Gesamtschau ergibt sich nach alledem ein differenziertes Bild. Die aktienrechtliche Sonderregelung der actio pro socio in § 148 AktG ist unter Berücksichtigung rechtsformspezifischer Besonderheiten zwar nicht zur Gänze auf das Personengesellschafts- und GmbH-Recht übertragbar, wohl aber in einzelnen Teilaspekten. Verallgemeinerungsfähig sind namentlich die Charakterisie-
__________
95 S. oben unter III. 2. b). 96 Vgl. Banerjea (Fn. 22), S. 224; Bork/Oepen, ZGR 2001, 515, 542 f.; Ulmer (Fn. 3), § 705 Rz. 213; Schäfer (Fn. 3), § 105 Rz. 261; Raiser (Fn. 22), § 14 Rz. 59; a. A. Grunewald (Fn. 26), S. 59 f., 92. 97 Banerjea (Fn. 22), S. 224. 98 Vgl. Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 23. Die in § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG vorgesehene Sperrfrist kommt allerdings nicht zur Anwendung; dazu Bezzenberger/ Bezzenberger (Fn. 2), § 148 Rz. 244; Spindler (Fn. 8), § 148 Rz. 47; Winnen (Fn. 8), S. 430. 99 Spindler (Fn. 8), § 148 Rz. 47.
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rung der Gesellschafterklage als Prozessstandschaft, die Einbeziehung von Ansprüchen gegen die Organwalter, die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 148 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 AktG, das Beiladungserfordernis nach § 148 Abs. 2 Satz 9 AktG sowie die Regelung der Rechtshängigkeits- und Rechtskraftwirkung gemäß § 148 Abs. 3, Abs. 5 AktG. Nicht verallgemeinerungsfähig sind dagegen insbesondere die Vorschaltung eines gesonderten Zulassungsverfahrens sowie die Kostenregelung des § 148 Abs. 6 Satz 5 AktG. Unabhängig davon, ob man allen hier erzielten Einzelergebnissen zustimmen mag, sollte jedenfalls kein Zweifel darüber bestehen, dass mit § 148 AktG nunmehr eine detaillierte Regelung vorliegt, die zu zentralen Streitfragen der actio pro socio klar Stellung bezieht und daher auch in der personengesellschafts- und GmbH-rechtlichen Diskussion nicht übergangen werden darf. Es bleibt zu hoffen, dass dem künftig mehr Beachtung zuteil wird als bisher.
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Aufsichtsratswahlen durch die Hauptversammlung und § 161 AktG Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex zur Aufsichtsratswahl III. Die Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrats durch die Hauptversammlung 1. Die Verantwortung des Aufsichtsrats für die Auswahl seiner Mitglieder 2. Der Wahlvorschlag des Aufsichtsrats im Allgemeinen a) Die Vorschlagspflicht des Aufsichtsrats nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG b) Der Beschluss des Aufsichtsrats als Grundlage des Wahlvorschlags 3. Die Auswirkungen des fehlerhaften Aufsichtsratsbeschlusses auf den Hauptversammlungsbeschluss IV. Die Kodex-Empfehlungen zur Aufsichtsratswahl und ihre Auswirkungen auf die Gültigkeit der Wahl 1. Ziffer 5.3.3 Deutscher Corporate Governance Kodex 2. Ziffer 5.4.1 Deutscher Corporate Governance Kodex a) Diversity im Aufsichtsrat
b) Altersgrenze der Aufsichtsratsmitglieder 3. Ziffer 5.4.2 Deutscher Corporate Governance Kodex a) Ausreichende Anzahl unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder b) Begrenzung auf zwei ehemalige Vorstandsmitglieder im Aufsichtsrat c) Keine Organfunktion oder Beratungsaufgaben der Aufsichtsratsmitglieder bei Wettbewerbern 4. Ziffer 5.4.3 Deutscher Corporate Governance Kodex a) Durchführung der Aufsichtsratswahl als Einzelwahl b) Bekanntgabe des Vorschlags für den künftigen Aufsichtsratsvorsitzenden 5. Ziffer 5.4.4 Deutscher Corporate Governance Kodex 6. Ziffer 5.4.5 Deutscher Corporate Governance Kodex V. Fazit
Fragen der Corporate Governance im Allgemeinen und zur Funktion von Corporate-Governance-Regelwerken als Instrument der Standardisierung von gesellschaftsrechtlichen Verhaltensregeln im Besonderen stehen seit vielen Jahren hoch im Kurs. Spätestens die andauernde weltweite Finanzkrise hat die Thematik auch in der allgemeinen Öffentlichkeit bekanntgemacht. Uwe H. Schneider, dem diese Zeilen zu Ehren seines 70. Geburtstags in Verbundenheit gewidmet sind, hat sich bereits vor Jahren mit Fragen der Corporate Governance befasst. Der Jubilar hat als kritischer Beobachter der Entwicklung wie auch als Experte des Kapitalmarktrechts nicht nur wiederholt Stellung bezogen und die Diskussion mit zahlreichen engagierten Beiträgen um die good 1345
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Corporate Governance befruchtet1, sondern er hat sich auch selbst aktiv in die Rechtspolitik eingeschaltet2. Der Verfasser hofft mit einem Beitrag über die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG und die Auswirkungen des Deutschen Corporate Governance Kodex auf die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder durch die Hauptversammlung auf das kritische Interesse von Uwe H. Schneider, hat dieser sich doch unter anderem in vielen Untersuchungen3 mit Fragen des Aufsichtsrats in der AG wie auch der GmbH4 befasst.
I. Einleitung Der im Februar 2002 von der Regierungskommission erstmals vorgelegte und seit dem Inkrafttreten des TransPuG5 für börsennotierte Aktiengesellschaften relevante Deutsche Corporate Governance Kodex hat im Jahre 2009 durch die höchstrichterliche Rechtsprechung eine bemerkenswerte Aufwertung erfahren. § 161 AktG begründet für Vorstand und Aufsichtsrat einer börsennotierten Aktiengesellschaft die Verpflichtung, jährlich die sogenannte Entsprechenserklärung abzugeben. Nach dem im Jahre 2009 durch das BilMoG6 neugefassten § 161 Abs. 1 Satz 1 AktG haben Vorstand und Aufsichtsrat gegenüber der Allgemeinheit zu verlautbaren, ob sie die Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex beachten und wenn nicht, warum dies nicht geschieht. Der Kodex selbst sieht keine Sanktionen vor, wenn den Kodex-Empfehlungen nicht Folge geleistet wird. Dies entspricht dem vielfach als soft law bezeichneten Charakter des Kodex, der als Regelwerk, soweit er Empfehlungen formuliert, keine Bindung auslöst. Dies gilt umso mehr für die im Kodex enthaltenen Anregungen. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ergeben sich die Sanktionen für die Nichtbeachtung von Empfehlungen (und Anregungen) für eine gute Unternehmensführung vielmehr vor allem aus den Reaktionen
__________ 1 S. z. B. Uwe H. Schneider, Kapitalmarktorientierte Corporate Governance Grundsätze, DB 2000, 2413; Die Revision der OECD Principles of Corporate Governance 2004, AG 2004, 429. 2 Z. B. als Leiter der Grundsatzkommission Corporate Governance, s. dazu Uwe H. Schneider/Strenger, AG 2000, 106. 3 S. zuletzt nur Uwe H. Schneider/Nietsch, Die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern, in FS H. P. Westermann, 2008, S. 1447; Uwe H. Schneider/Nowak, Der Grundsatz der Weisungsfreiheit des Aufsichtsratsmitglieds, in FS von Rosen, 2008, S. 577; Uwe H. Schneider, Der Aufsichtsrat des abhängigen Unternehmens im Konzern, in FS Raiser, 2005, S. 341. 4 S. Uwe H. Schneider in Scholz, GmbHG, 10. Aufl. 2007, § 52. 5 Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (TransPuG) vom 19.7.2002, BGBl. I 2002, S. 2681; s. dazu z. B. Seibert, ZIP 2001, 2192. 6 Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrichtlinienmodernisierungsgesetz – BilMoG) vom 28.5.2009, BGBl. I 2009, S. 1102.
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der Aktionäre und potentiellen Anleger. Deshalb lässt sich dem Kodex eine indirekte Verhaltenssteuerung nicht absprechen7. Welche weiteren Konsequenzen der Deutsche Corporate Governance Kodex über die Steuerungswirkung hinaus auslösen kann, ist bislang noch nicht abschließend geklärt. Der 2. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat allerdings im Jahre 2009 zur Frage der Missachtung der Regeln des Deutschen Corporate Governance Kodex in zwei Entscheidungen erste Antworten im Fall unrichtiger Entsprechenserklärungen geliefert, deren Konsequenzen im Vergleich zur disziplinierenden Wirkung der Kapitalmarktreaktion nicht zu unterschätzen sind. Leo Kirch ./. Deutsche Bank AG Der Beschluss der Hauptversammlung der Deutschen Bank AG über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat war unter Hinweis auf einen Verstoß gegen Ziffer 5.5.3 Deutscher Corporate Governance Kodex über die Offenlegung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat angefochten worden. Der vom Aufsichtsrat nach § 171 Abs. 2 AktG der Hauptversammlung vorgelegte Bericht enthielt keinen Hinweis darauf, dass von Leo Kirch gegen die Deutsche Bank eine Klage auf Schadensersatz erhoben worden war, deren Anlass Äußerungen des Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. Breuer waren, die dieser noch in seiner früheren Funktion als Sprecher des Vorstands der Deutschen Bank über die Bonität von Leo Kirch gegenüber den Medien gemacht hatte. Der 2. Senat des BGH betrachtete – anders als die Vorinstanzen8 – den Aufsichtsratsbericht gemäß § 171 Abs. 2 Satz 1 AktG angesichts der veröffentlichten Entsprechenserklärung wegen der fehlenden Angaben zum Haftungsprozess, zu dem daraus resultierenden Interessenkonflikt im Aufsichtsrat und zu seiner Behandlung im Hinblick auf Ziffer 5.5.3 Deutscher Corporate Governance Kodex als unvollständig und erklärte deshalb die Entlastungsbeschlüsse der Hauptversammlung sowohl hinsichtlich der Mitglieder des Aufsichtsrats als auch der Mitglieder des Vorstands wegen Verstoßes gegen § 161 AktG für nichtig9. Axel Springer AG Der Beschluss der Hauptversammlung der Axel Springer AG über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat war ebenfalls wegen fehlender Angaben im Aufsichtsratsbericht nach § 171 AktG unter Hinweis auf Versäumnisse nach Ziffer 5.5.3 Deutscher Corporate Governance Kodex angefochten worden. Im Aufsichtsrat von Springer war über die Übernahme eines Unternehmens beraten und unter Stimmenthaltung eines Aufsichtsratsmitglieds Beschluss gefasst worden, das zur gleichen Zeit auch dem Aufsichtsrat der Zielgesellschaft angehörte, ohne dass über den Interessenkonflikt und seine Behandlung im Aufsichtsratsbericht Angaben gemacht worden waren. Der BGH erklärte die Beschlüsse der Hauptversammlung über die Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats wie auch des Vorstands wegen Verstoßes gegen § 161 AktG für nichtig, da im Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung entgegen der veröffentlichten Entsprechenserklärung über den aufgetretenen Interessenkonflikt und seine Behandlung
__________ 7 Vgl. Ulmer, AcP 202 (2002), 141, 161; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 161 Rz. 6; Bertrams, Die Haftung des Aufsichtsrats im Zusammenhang mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex und § 161 AktG, 2004, S. 45; s. zu den Reaktionen des Kapitalmarkts z. B. Marsch-Barner in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 2 Rz. 35 m. w. N. 8 S. OLG Frankfurt v. 17.7.2007 – 5 U 229/05, AG 2007, 672 (Leo Kirch/Deutsche Bank). 9 BGH v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9, 19.
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Eberhard Vetter nicht berichtet worden war und das Versäumnis einen nicht unwesentlichen Punkt der Entsprechenserklärung betraf10.
Die beiden Entscheidungen des BGH machen deutlich, dass die Charakterisierung des Kodex als soft law nicht missverstanden werden darf. Eine Entsprechenserklärung, die die Beachtung der Kodex-Empfehlungen verlautbart, denen aber – ohne dies offenzulegen – in der tatsächlichen Praxis der Gesellschaft nicht entsprochen wird, ist unrichtig und stellt einen Gesetzesverstoß gegen § 161 AktG dar. Vorstand und Aufsichtsrat sind dafür verantwortlich, dass das mit der Entsprechenserklärung verlautbarte Verhalten mit dem tatsächlichen Verhalten bezogen auf die anerkannten Kodex-Empfehlungen übereinstimmt und sie müssen für eine umgehende Korrektur der Entsprechenserklärung sorgen, wenn sie von dem gegenüber dem Kapitalmarkt und der Öffentlichkeit verlautbarten Verhalten abweichen wollen11. Dies resultiert aus dem Gebot der aus § 161 AktG abgeleiteten Wahrheitspflicht12, das eine korrekte Information bedingt und Vorstand und Aufsichtsrat bei Verhaltensänderungen zur umgehenden Korrektur verpflichtet. Kommen sie ihrer organschaftlichen Pflicht zur Berichtigung der Entsprechenserklärung nicht nach und ist die Erklärung dadurch in einem nicht unwesentlichen Punkt unrichtig, macht die Verletzung der organschaftlichen Pflichten nach AktG die von der Hauptversammlung beschlossene Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar. Nach Ansicht des BGH ist dies jedenfalls im Fall der Missachtung von Ziffer 5.5.3 Deutscher Corporate Governance Kodex zu bejahen. Welche weiteren Rechtsfolgen eine unrichtige Entsprechenserklärung neben der Anfechtbarkeit der Entlastungsbeschlüsse auslösen kann, kann hier nicht umfassend erörtert werden13. Vielmehr soll nachfolgend allein die Frage der Auswirkung einer unrichtigen Entsprechenserklärung auf die Gültigkeit eines anderen Hauptversammlungsbeschlusses, nämlich die Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrats, vertieft werden. Die Problematik ist reizvoll, nachdem frühzeitige Hinweise des Schrifttums vor einigen Jahren14 nicht aufgegriffen worden sind und der 2. Zivilsenat des BGH im Jahre 2009 im Fall der MAN AG im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde Gelegenheit hatte, dazu Stellung zu nehmen, die Frage eines gerügten Verstoßes gegen die Ziffern 5.4.1 und 5.4.2
__________ 10 BGH v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, AG 2009, 824, 826 (Umschreibungsstopp). 11 BGH v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9, 19 (Leo Kirch/Deutsche Bank); BGH v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, AG 2009, 824, 826 (Umschreibungsstopp); zustimmend Goslar/von der Linden, NZG 2009, 1337, 1338; E. Vetter, NZG 2009, 561, 564; a. A. vor den Urteilen des BGH z. B. Heckelmann, WM 2008, 2146, 2148; Kocher/ Bedkowski, BB 2008, 235; Theusinger/Liese, DB 2008, 1419, 1421. 12 Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 534; Kirschbaum, Entsprechenserklärungen zum englischen Combined Code und zum Deutschen Corporate Governance Kodex, 2006, S. 243 u. 310. 13 S. aus der kaum mehr überschaubaren Anzahl von Monographien z. B. Becker, Die Haftung für den Deutschen Corporate Governance Kodex, 2005; Hanfland, Haftungsrisiken im Zusammenhang mit § 161 AktG und dem Deutschen Corporate Governance Kodex, 2007; Radke, Entsprechenserklärung zum Deutschen Corporate Governance Kodex nach § 161 AktG, 2004. 14 Ulmer, AcP 202 (2002), 141, 171.
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Deutscher Corporate Governance Kodex jedoch im konkreten Fall nicht für entscheidungserheblich hielt. Der BGH hat die Beschwerde gegen die Entscheidung des OLG München15 zurückgewiesen16 ohne sich mit der Fragestellung näher zu befassen17. Die beiden BGH-Urteile sind im Übrigen auch unter einem weiteren Aspekt bemerkenswert, der für den weiteren praktischen Umgang mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex von Bedeutung ist. Der Kodex ist zweifelsfrei kein staatliches Recht. Dennoch ist festzustellen, dass der 2. Zivilsenat des BGH keine Zurückhaltung zeigt, einzelne Kodex-Empfehlungen inhaltlich kritisch zu analysieren. Auch das soft law kann also einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen und durch die höchstrichterliche Rechtsprechung weiterentwickelt werden.
II. Die Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex zur Aufsichtsratswahl Der Deutsche Corporate Governance Kodex in seiner Fassung vom 8. Juni 2009 enthält verschiedene Empfehlungen, die sich auf die Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrats durch die Hauptversammlung beziehen, wobei zwischen Kodex-Empfehlungen mit materiellem Regelungsgehalt und solchen zu unterscheiden ist, die reine Verfahrensfragen der Aufsichtsratswahl, insbesondere Informationen gegenüber der Hauptversammlung, betreffen18. Ziffer 5.3.3 Der Aufsichtsrat soll einen Nominierungsausschuss bilden, der ausschließlich mit Vertretern der Anteilseigner besetzt ist und dem Aufsichtsrat für dessen Wahlvorschläge an die Hauptversammlung geeignete Kandidaten vorschlägt. Ziffer 5.4.1 Bei Vorschlägen zur Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern soll darauf geachtet werden, dass dem Aufsichtsrat jederzeit Mitglieder angehören, die über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfügen. Dabei soll auch auf die internationale Tätigkeit des Unternehmens, auf potentielle Interessenkonflikte und auf eine festzulegende Altersgrenze für Aufsichtsratsmitglieder sowie auf Vielfalt (Diversity) geachtet werden. Ziffer 5.4.2 Um eine unabhängige Beratung und Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat zu ermöglichen, soll dem Aufsichtsrat eine nach seiner Einschätzung ausreichende An-
__________ 15 OLG München v. 6.8.2008 – 7 U 5628/07, AG 2009, 294 (MAN); s. dazu z. B. Kocher/ Bedkowski, BB 2009, 235; Vorinstanz LG München I v. 22.11.2007 – 5HK O 10614/ 07, AG 2008, 90 (MAN); s. dazu z. B. Kirschbaum, ZIP 2007, 2362; E. Vetter, NZG 2008, 121. 16 Beschluss v. 9.11.2009 – II ZR 14/09 (MAN); s. dazu Goette, DStR 2009, 2602, 2607. 17 S. aber die Andeutungen bei Goette in FS Hüffer, 2010, S. 225, 231, 234; Goette, GWR 2009, 459, 451. 18 Zur Akzeptanz der Kodex-Empfehlungen vgl. die Rechtstatsachen bei v. Werder/ Talaulicar, DB 2009, 689 ff.
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Eberhard Vetter zahl unabhängiger Mitglieder angehören. Ein Aufsichtsratsmitglied ist als unabhängig anzusehen, wenn es in keiner geschäftlichen oder persönlichen Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand steht, die einen Interessenkonflikt begründet. Dem Aufsichtsrat sollen nicht mehr als zwei ehemalige Mitglieder des Vorstands angehören. Aufsichtsratsmitglieder sollen keine Organfunktionen oder Beratungsaufgaben bei wesentlichen Wettbewerbern des Unternehmens ausüben. Ziffer 5.4.3 Wahlen zum Aufsichtsrat sollen als Einzelwahl durchgeführt werden. Ein Antrag auf gerichtliche Bestellung eines Aufsichtsratsmitglieds soll bis zur nächsten Hauptversammlung befristet sein. Kandidatenvorschläge für den Aufsichtsratsvorsitz sollen den Aktionären bekanntgegeben werden. Ziffer 5.4.4 Vorstandsmitglieder dürfen vor Ablauf von zwei Jahren nach dem Ende ihrer Bestellung nicht Mitglied des Aufsichtsrats der Gesellschaft werden, es sei denn ihre Wahl erfolgt auf Vorschlag von Aktionären, die mehr als 25 % der Stimmrechte an der Gesellschaft halten. Im letzteren Fall soll der Wechsel in den Aufsichtsratsvorsitz eine der Hauptversammlung zu begründende Ausnahme sein. Ziffer 5.4.5 Jedes Aufsichtsratsmitglied achtet darauf, dass ihm für die Wahrnehmung seiner Mandate genügend Zeit zur Verfügung steht. Wer dem Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft angehört, soll insgesamt nicht mehr als drei Aufsichtsratsmandate in konzernexternen, börsennotierten Gesellschaften wahrnehmen.
III. Die Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrats durch die Hauptversammlung 1. Die Verantwortung des Aufsichtsrats für die Auswahl seiner Mitglieder Die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner liegt zwar nach §§ 119 Abs. 1 Nr. 1, 101 Abs. 1 Satz 1 AktG in der Zuständigkeit der Hauptversammlung. Der Aufsichtsrat trägt jedoch für die Auswahl der der Hauptversammlung vorzuschlagenden Personen, auch wenn die Hauptversammlung an diese Wahlvorschläge im Regelfall nicht gebunden ist19, eine besondere „Vorschlagsverantwortung“20, die in der mitbestimmten AG nach § 124 Abs. 3 Satz 4 AktG allein bei den Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner liegt. Dieser Verantwortung wird der Aufsichtsrat typischerweise dadurch gerecht, dass er ein generelles Anforderungsprofil für die Aufsichtsratsmitglieder erstellt, die Evaluation der Tätigkeit der bisherigen Aufsichtsratsmitglieder durchführt sowie die Suche nach geeigneten Kandidaten einschließlich der Überprüfung der notwendigen Qualifikation wie auch ihrer zeitlichen Verfügbarkeit übernimmt. Dabei ist von Bedeutung, dass für die Beurteilung der Eignung als Aufsichtsratsmitglied nicht ein starres Profil in Betracht kommt, sondern dass – abge-
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19 Ausnahme § 6 Montan-Mitbestimmungsgesetz; § 5 Abs. 3 MontanMitbestErgG. 20 Habersack, ZSR 124 (2005) II, 533, 565; Habersack in MünchKomm.AktG, 3. Aufl. 2008, § 101 Rz. 17; Hoffmann-Becking in FS Havermann, 1995, S. 229, 235; Hopt/ Roth in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 2005, § 101 Rz. 68; Säcker, AG 2004, 180, 182.
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sehen vom Vorliegen der Mindestvoraussetzungen eines jeden Aufsichtsratsmitglieds21 – die Anforderungen an besondere für die Überwachungsaufgabe erforderliche Qualifikationen vom Aufsichtsrat insgesamt zu erfüllen sind. Dies hat Auswirkungen auf die Suche nach geeigneten Kandidaten und bedingt gegebenenfalls Anpassungen des Profils in Abhängigkeit von den einzelnen konkreten Besetzungsvorschlägen. Nehmen die Mitglieder des Aufsichtsrats diese Aufgabe – gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Beratern – nicht mit der notwendigen Sorgfalt wahr22, kommt ihre Haftung unter dem Gesichtspunkt des Auswahlverschuldens in Betracht, wenn die Hauptversammlung dem Vorschlag des Aufsichtsrats gemäß § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG folgt und Personen wählt, die nicht die erforderliche Qualifikation aufweisen und der Gesellschaft wegen mangelhafter Überwachung der Geschäftsleitung ein Schaden entsteht23. Die Bedeutung der Erarbeitung des Vorschlags des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung zur Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner macht auch Ziffer 5.3.3 Deutscher Corporate Governance Kodex deutlich, die die Einrichtung eines Nominierungsausschusses empfiehlt24. Die Regelung geht auf eine entsprechende Empfehlung der EU Kommission vom 15. Februar 2005 zurück25. Der Nominierungsausschuss ist nach dem Wortlaut von Ziffer 5.3.3 Deutscher Corporate Governance Kodex nur ein vorbereitender Ausschuss. Aus § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG folgt allerdings, dass der Aufsichtsrat dem Nominierungsausschuss auch die Befugnis einräumen kann, über den Wahlvorschlag an die Hauptversammlung an Stelle des Aufsichtsrats endgültig zu entscheiden26. 2. Der Wahlvorschlag des Aufsichtsrats im Allgemeinen a) Die Vorschlagspflicht des Aufsichtsrats nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG Gemäß § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG hat der Aufsichtsrat bei der Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern der Hauptversammlung einen Wahlvorschlag vorzulegen, der in der Bekanntmachung der Tagesordnung anzugeben ist. Versäumt der Aufsichtsrat die Unterbreitung eines Wahlvorschlags, fehlt es an der ord-
__________ 21 Vgl. dazu BGH v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, 295 (Hertie); Dreher in FS Boujong, 1996, S. 71 ff.; Hommelhoff, ZGR 1983, 551, 574; s. auch Mülbert in Feddersen/Hommelhoff/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Corporate Governance, 1996, S. 99, 122. 22 Auf die Problematik der „Mitwirkung“ des Vorstands an der Auswahl der Aufsichtsratsmitglieder soll hier nicht eingegangen werden; s. dazu z. B. Hopt/Roth (Fn. 20), § 107 Rz. 329; Roth/Wörle, ZGR 2004, 565, 578; Ulmer, AcP 202 (2002), 143, 161; Wirth, ZGR 2005, 327, 340. 23 Hopt/Roth (Fn. 20), § 116 Rz. 155; Lutter, ZIP 2003, 417 ff.; Semler in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1489, 1495. 24 Eingehend zum Nominierungsausschuss z. B. Hopt/Roth (Fn. 20), § 107 Rz. 329; Leyens, Information des Aufsichtsrats, 2006, S. 298 ff.; Meder, ZIP 2007, 1538. 25 Kremer in Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 4. Aufl. 2010, Rz. 1005b; E. Vetter, DB 2007, 1963, 1967. 26 E. Vetter, DB 2007, 1963, 1967; unklar Meder, ZIP 2007, 1538, 1540.
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nungsgemäßen Bekanntmachung der Tagesordnung, sodass die Hauptversammlung gemäß § 124 Abs. 4 Satz 1 AktG hierzu keinen Beschluss fassen darf. Ein von der Hauptversammlung ohne Bekanntmachung eines Aufsichtsratsvorschlags gefasster Beschluss ist nach herrschender Ansicht nicht nichtig, aber anfechtbar27. Im Hinblick darauf kommt der ordnungsgemäßen Bekanntmachung des Wahlvorschlags des Aufsichtsrats als wichtige Informationsgrundlage der Hauptversammlung wesentliche Bedeutung zu. Die Anforderungen hinsichtlich der Bekanntmachung nach § 124 Abs. 3 AktG sind schließlich auch deshalb besonders ernst zu nehmen, weil die Anfechtungsbefugnis nicht nur den an der Hauptversammlung teilnehmenden Aktionären zusteht, sofern sie Widerspruch zu Protokoll erklärt haben, sondern nach § 245 Nr. 2 Alt. 3 AktG auch den nicht erschienenen Aktionären28. b) Der Beschluss des Aufsichtsrats als Grundlage des Wahlvorschlags Für den Wahlvorschlag des Aufsichtsrats gemäß § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG bedarf es einer entsprechenden Beschlussfassung. Gehören dem Aufsichtsrat auch Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer an, liegt der Beschluss über den Wahlvorschlag nach § 124 Abs. 3 Satz 4 AktG allein in den Händen der Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner. Sie haben bei dem Vorschlag an die Hauptversammlung zur Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds gemäß § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG die gesetzlichen Anforderungen und die Anforderungen der Satzung zu beachten, andernfalls ist der Beschluss fehlerhaft. Geht es um den Aufsichtsratsbeschluss für den Wahlvorschlag an die Hauptversammlung, für den der Deutsche Corporate Governance Kodex inhaltliche wie verfahrensbezogene Empfehlungen enthält, stellt sich die Frage, welche Auswirkungen ein Verstoß gegen diese Empfehlungen nach sich zieht, wenn sich Vorstand und Aufsichtsrat in der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG zur Beachtung dieser Empfehlungen bekannt haben, aber entgegen ihrer Erklärung sich gleichwohl nicht daran halten. Weder der Kodex noch die einzelnen Empfehlungen haben Gesetzesqualität oder satzungsgleiche Wirkung, so dass eine Verletzung des Deutschen Corporate Governance Kodex die Fehlerhaftigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses nicht begründen kann29. Die Entsprechenserklärung nach § 161 AktG ist eine Dauererklärung von Vorstand und Aufsichtsrat, die, soweit die künftige Beachtung von Kodex-Empfehlungen ver-
__________ 27 BGH v. 25.11.2002 – II ZR 49/01, BGHZ 153, 32, 37; BGH v. 12.12.2005 – II ZR 253/03, NZG 2006, 191, 193; auch Hoffmann-Becking in MünchHdb. GesR AG, 3. Aufl. 2007, § 30 Rz. 15; Kubis in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 124 Rz. 62; Werner in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1993, § 124 Rz. 100; Ziemons in K. Schmidt/ Lutter, AktG, 2008, § 124 Rz. 59. 28 Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 124 Rz. 18; Kubis (Fn. 27), § 124 Rz. 62; Werner (Fn. 27), § 124 Rz. 97; Zöllner in KölnKomm.AktG, 1973, § 124 Rz. 41. 29 Vgl. z. B. OLG München v. 6.8.2008 – 7 U 5628/07, AG 2009, 294, 295 (MAN); KG v. 26.5.2008 – 23 U 88/07, AG 2009, 118, 119 (A. Springer); LG München I v. 22.11.2007 – 5HK O 10614/07, AG 2008, 90, 91 (MAN); Goette in FS Hüffer, 2010, S. 225, 229.
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lautbart wird, eine Selbstbindung bis auf (jederzeitigen) Widerruf begründet30. Steht das Verhalten von Vorstand oder Aufsichtsrat in Widerspruch zu den in der Entsprechenserklärung anerkannten Verhaltensempfehlungen, liegt ein Gesetzesverstoß gegen § 161 AktG vor, wenn nicht umgehend eine Korrektur der Entsprechenserklärung erfolgt und der Kapitalmarkt sowie die Öffentlichkeit über das geänderte Verhalten informiert werden31. Im Schrifttum ist dagegen eingewandt worden, dass der Beschluss des Aufsichtsrats über einen Wahlvorschlag an die Hauptversammlung und ein eventueller Verstoß gegen die aus § 161 AktG resultierende Pflicht zur Korrektur und Aktualisierung der Entsprechenserklärung getrennt zu betrachten seien32. Daran ist zutreffend, dass die korporative Willensbildung des Organs durch den Beschluss über den Wahlvorschlag und die Erklärung nach § 161 AktG grundsätzlich zu unterscheiden sind. Soweit es jedoch um den auf die Gegenwart und in die Zukunft gerichteten Teil der Entsprechenserklärung geht, handelt es sich nicht um eine Wissenserklärung über das Verhalten in der Vergangenheit, sondern um die Verlautbarung der Absicht hinsichtlich der eigenen gegenwärtigen und künftigen tatsächlichen Praxis33. Diese lässt sich gedanklich nicht von der Willensbildung des Organs über das relevante Verhalten trennen. Hat z. B. der Aufsichtsrat die Beachtung einer bestimmten Kodex-Empfehlung zur Aufsichtsratswahl anerkannt und gemäß § 161 AktG bekanntgemacht und fasst er einen Beschluss, der zu der anerkannten Empfehlung in Widerspruch steht, wird mit der Beschlussfassung über einen Wahlvorschlag zugleich zwangsläufig die bisherige verlautbarte Absicht aufgegeben, die Kodex-Empfehlung weiterhin zu beachten. Dies löst die Pflicht zur Aktualisierung der Entsprechenserklärung nach § 161 AktG aus34. Wird mit dem Beschluss des Aufsichtsrats nicht zugleich die Aktualisierung der Entsprechenserklärung beschlossen und umgehend die neue Entsprechenserklärung bekanntgemacht, liegt damit ein Verstoß gegen § 161 AktG vor. Für die Korrektur einer Entsprechenserklärung bestehen keine besonderen Formvorschriften. Allerdings versteht es sich von selbst, dass es einer Erklärung bedarf, die die Änderung des künftigen Verhaltens gegenüber dem in der
__________ 30 Ihrig/Wagner, BB 2002, 789, 791; Kirschbaum in Heidel, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2007, § 161 Rz. 73; Lutter in KölnKomm.AktG, 3. Aufl. 2006, § 161 Rz. 76; Radke (Fn. 13), S. 97; Semler in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2003, § 161 Rz. 117; E. Vetter, NZG 2008, 121, 123; a. A. Heckelmann, WM 2008, 2146, 2149; Ogorek/von den Steinen, EWiR 2008, 65, 66. 31 BGH v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9, 19 (Leo Kirch/Deutsche Bank); BGH v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, AG 2009, 824, 826 (Umschreibungsstopp); a. A. vor den Urteilen des BGH z. B. Heckelmann, WM 2008, 2146, 2148; Kocher/Bedkowski, BB 2009, 235; Theusinger/Liese, DB 2008, 1419, 1421. 32 Bachmann/Becker, WuB II A § 161 AktG, 1.09, 606, 607; Marsch-Barner in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1109, 1113; Spindler/Lönner, WuB II A § 161 AktG, 1.08, 431, 432. 33 Vgl. Goette, DStR 2009, 2602, 2606; Lutter (Fn. 30), § 161 Rz. 36; Runte in Bürgers/ Körber, AktG, 2008, § 161 Rz. 10; Sester in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 161 Rz. 28; Spindler (Fn. 7), § 161 Rz. 29; E. Vetter, DNotZ 2003, 548, 555; a. A. Bachmann, WM 2002, 2137, 2139; Schüppen, ZIP 2002, 1269, 1273. 34 Goette, DStR 2009, 2602, 2605; Kirschbaum, ZIP 2007, 2362, 2363; Lutter, ZHR 166 (2002), 523, 534.
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Entsprechenserklärung bisher Verlautbarten zweifelsfrei offenlegt. Eine in anderem Zusammenhang erfolgte Verlautbarung an die Öffentlichkeit, aus der sich für den durchschnittlichen Betrachter die Korrektur der Entsprechenserklärung nicht erschließt, kann dafür keinesfalls ausreichen. Der BGH hat in den beiden Entscheidungen zu Ziffer 5.5.2 Deutscher Corporate Governance Kodex angedeutet, dass der Verstoß gegen § 161 AktG dann von geringerem Gewicht ist, wenn der Interessenkonflikt und seine Behandlung bereits aus „allgemeinen Quellen“ bekannt sind35. Wann dies bejaht werden kann, lässt sich den Entscheidungen nicht entnehmen. Jedenfalls kommt die Bekanntgabe der Tagesordnung der Hauptversammlung im elektronischen Bundesanzeiger nicht als tauglicher Weg für eine Aktualisierung der bisherigen Entsprechenserklärung in Betracht, denn sie macht die Korrektur der Entsprechenserklärung nicht ersichtlich36. 3. Die Auswirkungen des fehlerhaften Aufsichtsratsbeschlusses auf den Hauptversammlungsbeschluss Das AktG hat die Rechtsfolgen fehlerhafter Aufsichtsratsbeschlüsse nicht geregelt. Eine allgemeine Meinung, wie diese Gesetzeslücke zu schließen ist, existiert nicht37. Als Mängel kommen sowohl inhaltliche Verstöße gegen Gesetz oder Satzung als auch Verfahrensfehler in Betracht. Aufsichtsratsbeschlüsse, die gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen, sind nach überwiegender Ansicht, die der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgt, nichtig; die §§ 241 und 243 AktG sind auf Aufsichtsratsbeschlüsse nicht entsprechend anwendbar38. Soweit es sich nicht um Beschlüsse des Aufsichtsratsplenums, sondern um Beschlüsse eines Aufsichtsratsausschusses handelt, gelten die gleichen Regeln39. Diese allgemeinen Grundsätze sind auch beim Beschluss des Aufsichtsrats über den Wahlvorschlag an die Hauptversammlung gemäß § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG anzuwenden. Als Zwischenergebnis kann damit festgehalten werden, dass ein Aufsichtsratsbeschluss über den Wahlvorschlag an die Hauptversammlung, der die laut Entsprechenserklärung anerkannten Verhaltensempfehlungen des Kodex hinsichtlich der Wahl von Aufsichtsratsmitglie-
__________ 35 BGH v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9, 20 (Leo Kirch/Deutsche Bank); BGH v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, AG 2009, 824, 826 (Umschreibungsstopp). 36 LG München I v. 22.11.2007 – 5HK O 10614/07, AG 2008, 90, 92 (MAN); E. Vetter, NZG 2008, 121, 122; ähnlich Kirschbaum, DB 2005, 1473, 1475; vgl. auch Goette in FS Hüffer, 2010, S. 225, 233. 37 Vgl. z. B. Hopt/Roth (Fn. 20), § 108 Rz. 132 ff.; Hüffer (Fn. 28), § 108 Rz. 18; E. Vetter in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 27 Rz. 77. 38 BGH v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342, 351 (Hamburg Mannheimer Versicherung); BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 125 (Vereinigte Krankenversicherung); OLG Frankfurt v. 21.11.2006 – 5 U 115/05, AG 2007, 282, 284; Hüffer (Fn. 28), § 108 Rz. 18; Spindler in Spindler/Stilz AktG, 2007, § 107 Rz. 73; a. A. OLG Hamburg v. 6.3.1992 – 11 U 134/91, AG 1992, 197, 198 (Hamburg Mannheimer Versicherung); OLG Stuttgart v. 15.4.1985 – 2 U 57/85, AG 1985, 193, 194; Baums, ZGR 1983, 300, 305; Mertens in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1996, § 108 Rz. 82; Sympathien wohl auch bei Hoffmann-Becking (Fn. 27), § 31 Rz. 109. 39 Hopt/Roth (Fn. 20), § 107 Rz. 424; Spindler (Fn. 38), § 108 Rz. 98.
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dern ohne Offenlegung der geänderten Absicht missachtet, einen Verstoß gegen § 161 AktG darstellt und damit wegen Gesetzesverstoßes grundsätzlich nichtig ist40. Soweit es um die Frage der Wirksamkeit rechtswidriger Aufsichtsratsbeschlüsse geht, besteht in Rechtsprechung und Schrifttum weitgehende Einigkeit, dass die Sanktion der Nichtigkeit nur dann gerechtfertigt ist, wenn es um Verstöße von einigem Gewicht geht; geringe inhaltliche Verstöße oder bloße Verfahrensverstöße eines Beschlusses jedoch außer Betracht zu bleiben haben41. Diese Grundsätze können, wie die beiden erwähnten Urteile des BGH deutlich machen, grundsätzlich auch bei der Beurteilung der Rechtsfolgen von Verstößen gegen § 161 AktG herangezogen werden, denn die Vorschrift transformiert die Empfehlungen des Kodex auf die Ebene des Gesellschaftsrechts, wobei nicht zu verkennen ist, dass zwischen den einzelnen Kodex-Empfehlungen deutliche Unterschiede in ihrer Bedeutung für eine gute Unternehmensführung bestehen. Ausgehend von den Rechtsprechungsgrundsätzen des BGH kann bei einem Aufsichtsratsbeschluss wegen Verstoßes gegen § 161 AktG nur dann dessen Nichtigkeit angenommen werden, wenn er sich in Widerspruch zur Entsprechenserklärung setzt und dadurch zu deren Unrichtigkeit in einem nicht unwesentlichen Punkt führt42. Diese Differenzierung lässt sich bereits auf die Gesetzesbegründung zu § 161 AktG zurückführen, in der ausdrücklich betont wird, dass eine Einschränkung der Entsprechenserklärung nicht erforderlich ist, wenn es im Berichtszeitraum „keine ins Gewicht fallenden Abweichungen“ gab43. Welches Schicksal ein Hauptversammlungsbeschluss nimmt, der seinerseits auf einem nichtigen Aufsichtsratsbeschluss beruht, bedarf ebenfalls näherer Betrachtungen. Ein nichtiger Aufsichtsratsbeschluss kann nach herrschender Ansicht nicht als Grundlage eines Beschlussvorschlags an die Hauptversammlung dienen44. Hauptversammlungsbeschlüsse, die auf einem nichtigen Aufsichtsratsbeschluss hinsichtlich des Beschlussvorschlags nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG beruhen, leiden unter einem Gesetzesverstoß, der nach zutreffen-
__________
40 Kirschbaum, ZIP 2007, 2362, 2364; E. Vetter, NZG 2008, 121, 123; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 5. Aufl. 2010, § 13 Rz. 39. 41 OLG Stuttgart v. 15.4.1985 – 2 U 57/85, AG 1985, 193, 194; OLG Karlsruhe v. 13.10.1995 – 10 U 51/95, AG 1996, 224, 226 (HSB); Hopt/Roth (Fn. 20), § 108 Rz. 148; Hüffer (Fn. 28), § 108 Rz. 18; Raiser/Veil (Fn. 40), § 15 Rz. 65; E. Vetter (Fn. 37), § 25 Rz. 24. 42 Vgl. BGH v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9, 20 (Leo Kirch/Deutsche Bank); BGH v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, AG 2009, 824, 826 (Umschreibungsstopp). 43 Begr. des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz und Publizitätsgesetz), BRDrucks. 109/02, S. 51; vgl. auch Hüffer (Fn. 28), § 161 Rz. 16; Lutter (Fn. 30), § 161 Rz. 46; Ringleb in Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate Governance Kodex, 4. Aufl. 2010, Rz. 1554. 44 OLG München v. 6.8.2008 – 7 U 5628/07, AG 2009, 294, 295 (MAN); LG München I v. 22.11.2007 – 5HK O 10614/07, AG 2008, 90, 92 (MAN); Kirschbaum, ZIP 2007, 2362, 2364; Kort in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 945, 952; Raiser/Veil (Fn. 40), § 13 Rz. 39; Spindler/Lönner, WuB II A § 161 AktG, 1.08, 431, 432; E. Vetter, NZG 2008, 121, 124.
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der Ansicht gemäß § 243 Abs. 1 AktG zur Anfechtbarkeit führt45. Der Beschlussvorschlag des Aufsichtsrats bildet bei Aufsichtsratswahlen der Hauptversammlung das zentrale Informationselement der Aktionäre. Diese ihm durch § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG ausdrücklich zugewiesene Aufgabe kann ein auf einem nichtigen Aufsichtsratsbeschluss beruhender Beschlussvorschlag keinesfalls leisten46. Im Schrifttum wird teilweise die Anfechtbarkeit von Wahlbeschlüssen der Hauptversammlung wegen eines nichtigen Beschlussvorschlags des Aufsichtsrats unter Hinweis auf § 251 Abs. 1 Satz 2 AktG abgelehnt47. Diese Ansicht vermag jedoch nicht zu überzeugen. Die Vorschrift will weder ihrem Wortlaut noch ihrem Sinn nach die Anfechtbarkeit von Wahlbeschlüssen der Hauptversammlung auf den Fall der Bindung der Hauptversammlung an einen gesetzeswidrig zustande gekommenen Wahlvorschlag beschränken, sondern will vielmehr die Anfechtung „auch“ in diesem Fall eröffnen48. Der Gesetzgeber hat insoweit hinsichtlich der Anfechtbarkeit des Wahlbeschlusses der Hauptversammlung durch Aktionäre nur eine Klarstellung vollzogen. Hinsichtlich der Anfechtungsmöglichkeit durch die Belegschaftsvertreter nach § 251 Abs. 2 AktG stellt die Vorschrift hingegen eine Erweiterung der Anfechtungsmöglichkeiten dar49. Für die weiteren Überlegungen ist damit festzuhalten, dass die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern durch die Hauptversammlung, die auf wegen Verstoßes gegen § 161 AktG nichtigen Wahlvorschlägen des Aufsichtsrats beruht, anfechtbar ist50.
IV. Die Kodex-Empfehlungen zur Aufsichtsratswahl und ihre Auswirkungen auf die Gültigkeit der Wahl Der Deutsche Corporate Governance Kodex enthält eine Anzahl von Empfehlungen, die die Aufsichtsratswahl durch die Hauptversammlung betreffen51.
__________ 45 OLG München v. 6.8.2008 – 7 U 5628/07, AG 2009, 294, 295 (MAN); Goette, FS Hüffer, 2010, S. 225, 231, 234; Hopt/Roth (Fn. 20), § 108 Rz. 194; Bachmann/Becker, WuB II A. § 161 AktG, 1.09, 606, 607; Kirschbaum, ZIP 2007, 2362, 2364; Mimberg in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 2. Aufl. 2009, § 37 Rz. 41a; wohl auch Preisenberger in Kuthe/Rückert/Sickinger (Hrsg.), Compliance-Handbuch Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2008, 3. Kap. Rz. 61; Thümmel, CCZ 2008, 141, 142; offengelassen in BGH v. 9.11.2009 – II ZR 14/09 (MAN); s. dazu Goette, DStR 2009, 2602, 2607. 46 Vgl. zur Bedeutung von Beschlussvorschlägen an die Hauptversammlung BGH v. 12.11.2001 – II ZR 225/99, BGHZ 149, 158, 165 (Sachsenmilch); Henze, BB 2002, 847; Spindler (Fn. 38), § 101 Rz. 38; Tröger, NZG 2002, 211. 47 Mertens (Fn. 38), § 108 Rz. 86; Semler in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 108 Rz. 268; Happ in FS Hüffer, 2010, S. 293, 300; wohl auch Zöllner (Fn. 28), § 124 Rz. 49. 48 S. die Regierungsbegründung zu § 251 AktG, abgedruckt bei Kropff, AktG, 1965, S. 337. 49 S. auch Herchen in Nirk/Ziemons/Binnewies, Handbuch der AG, Lfg. Februar 2008, Rz. 10.1277. 50 OLG München v. 6.8.2008 – 7 U 5628/07, AG 2009, 294, 295 (MAN); Kirschbaum, ZIP 2007, 2362, 2364; Raiser/Veil (Fn. 40), § 13 Rz. 39; E. Vetter, NZG 2008, 121, 123; a. A. Hüffer (Fn. 28), § 161 Rz. 31; s. auch Kocher/Bedhowski, BB 2009, 235. 51 S. oben die Angaben unter II.
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Dabei ist zwischen Empfehlungen zu unterscheiden, die das Verfahren der Aufsichtsratswahl angehen und solchen, die materiell-inhaltliche Vorgaben für die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern enthalten. 1. Ziffer 5.3.3 Deutscher Corporate Governance Kodex Die Empfehlung von Ziffer 5.3.3 Deutscher Corporate Governance Kodex zur Einrichtung eines Nominierungsausschusses zur Vorbereitung der Entscheidung des Aufsichtsratsplenums52 zielt darauf ab, den Wahlvorschlag in einem kleinen Kreis von Aufsichtsratsmitgliedern erarbeiten zu können53. Haben Vorstand und Aufsichtsrat eine uneingeschränkte Entsprechenserklärung abgegeben und hat der Aufsichtsrat gleichwohl keinen Nominierungsausschuss eingesetzt, liegt zweifelsfrei eine falsche Erklärung und damit ein Verstoß gegen § 161 AktG vor. Allerdings ist fraglich, ob es sich dabei um eine Unrichtigkeit und einen Gesetzesverstoß in einem nicht unwesentlichen Punkt handelt. Auf den Inhalt des Aufsichtsratsbeschlusses zur Verabschiedung des Beschlussvorschlags an die Hauptversammlung nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG hat dieser Gesetzesverstoß, der der Sache nach das Verfahren zur Erarbeitung eines Entscheidungsvorschlags für die Gruppe der Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseigner betrifft (§ 124 Abs. 3 Satz 5 AktG), keine feststellbaren oder prognostizierbaren Auswirkungen. Dies gilt umso mehr, als der Empfehlung des Nominierungsausschusses nach Ziffer 5.3.3 Deutscher Corporate Governance Kodex für die Entscheidung des Aufsichtsrats über den Wahlvorschlag an die Hauptversammlung ohnehin keine Bindungswirkung zukommt. Die Wirksamkeit des Aufsichtsratsbeschlusses über den Vorschlag an die Hauptversammlung gemäß § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG wird deshalb durch den Verstoß gegen § 161 AktG nicht berührt. Infolge der unterbliebenen Offenlegung des Fehlens des Nominierungsausschusses nach Ziffer 5.3.3 Deutscher Corporate Governance Kodex ist die Entsprechenserklärung unrichtig. In diesem Gesetzesverstoß gegen § 161 AktG liegt zugleich eine Informationspflichtverletzung, die nach den Grundsätzen des BGH im Springer-Fall nur dann zur Anfechtbarkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses führt, wenn die unterbliebene Information im Sinne der Wertung von § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG für einen objektiv urteilenden Aktionär für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme und Mitgliedschaftsrechte relevant ist54. Auch wenn sich der Nominierungsausschuss zweifelsfrei eingehender als das Aufsichtsratsplenum mit der Erarbeitung des Wahlvorschlags befassen kann, wird man im Unterlassen der nach § 161 AktG gebotenen Aktualisierung der Entsprechenserklärung wegen der unterlassenen Einsetzung des Nominierungsausschusses keinen schwerwiegenden Informationsmangel
__________ 52 Im mitbestimmten Aufsichtsrat sind nur die Mitglieder der Anteilseigner zur Entscheidung aufgerufen, § 124 Abs. 3 Satz 5 AktG. 53 Vgl. Meder, ZIP 2007, 1538 ff.; E. Vetter (Fn. 37), § 28 Rz. 37. 54 BGH v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, AG 2009, 824, 826 (Umschreibungsstopp); s. auch Goette in FS Hüffer, 2010, S. 225, 233; kritisch Goslar/von der Linden, NZG 2009, 1337, 1338.
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erblicken können, der die sachgerechte Wahrnehmung der Rechte der Aktionäre in der Hauptversammlung hindert, zumal der Nominierungsausschuss nach der Kodex-Empfehlung auch lediglich vorbereitenden Charakter hat. Die breite Ablehnung der Empfehlung von Ziffer 5.3.3 Deutscher Corporate Governance Kodex durch die Unternehmenspraxis55 belegt im Übrigen, dass der Nominierungsausschuss kaum als „zentraler Stellhebel“ zur Gewährleistung guter Unternehmensführung56 verstanden wird. Es sind keine Anzeichen dafür ersichtlich, dass die Einschätzung der Kodex-Empfehlung durch einen objektiv urteilenden Aktionär von der der breiten Unternehmenspraxis abweicht. Was die Aufsichtsratswahl durch die Hauptversammlung gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AktG anbetrifft, bestehen keine Anhaltspunkte, die die Erwartung rechtfertigen, dass ein objektiv urteilender Aktionär die Wahrnehmung seiner Rechte von der wahrheitsgemäßen Entsprechenserklärung zu dieser KodexEmpfehlung abhängig machen würde. Lässt sich der Gesetzesverstoß nicht als schwerwiegender Informationsmangel qualifizieren, scheidet die Anfechtbarkeit des Wahlbeschlusses der Hauptversammlung wegen der hinsichtlich Ziffer 5.3.3 Deutscher Corporate Governance Kodex falschen Entsprechenserklärung aus. 2. Ziffer 5.4.1 Deutscher Corporate Governance Kodex a) Diversity im Aufsichtsrat Die Empfehlung von Ziffer 5.4.1 Deutscher Corporate Governance Kodex hat die personelle Zusammensetzung des Aufsichtsrats im Fokus, auf die bereits bei der Erstellung der Wahlvorschläge an die Hauptversammlung nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG geachtet werden soll. Unter anderem soll auf die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen der Aufsichtsratskandidaten, die internationale Tätigkeit des Unternehmens, potentielle Interessenkonflikte, eine festzulegende Altersgrenze der Aufsichtsratsmitglieder sowie auf Vielfalt (Diversity) geachtet werden. Der Kodex enthält keine Definition des Begriffes Vielfalt, der im Übrigen auch in Ziffer 5.1.2 Abs. 1 Deutscher Corporate Governance Kodex hinsichtlich der Besetzung des Vorstands erwähnt wird. Der Klammerzusatz, der im Jahre 2009 in den Kodex aufgenommen wurde und der auf eine Definition hindeutet, hilft nicht weiter, weil der Begriff Diversity jedenfalls in der aktienrechtlichen Unternehmenspraxis nicht auf ein verbreitetes Grundverständnis stößt. Aus der Entstehungsgeschichte lässt sich der Schluss ziehen, dass die Kodex-Empfehlung für die Aufsichtsratsbesetzung nicht alle denkbaren Kriterien wie etwa Alter, Geschlecht, Herkunft, Sprache und Religion heranziehen will. Es geht vielmehr um die verstärkte Beachtung der Internationalität des Unternehmens
__________ 55 S. v. Werder/Talaulicar, DB 2009, 689, 693, die über alle Börsensegmente eine durchschnittliche Akzeptanzquote von nur 45,0 % angeben. 56 A. A. v. Werder/Talaulicar, DB 2009, 689, 696.
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und des Anteils von Frauen im Aufsichtsrat57. Mit der Verhaltensanforderung „achten“ verwendet der Kodex ebenfalls einen neuen Begriff, ohne ihn zu definieren. So bleibt unklar, ob damit eine Verschärfung gegenüber der bisherigen Formulierung „berücksichtigen“ beabsichtigt ist oder ob für die verschiedenen Auswahlkriterien nur eine allgemeine Verhaltensregel ohne konkrete Erfolgsbezogenheit aufgestellt werden soll. Für Letzteres spricht jedenfalls der Zusammenhang und die Gesamtheit der Merkmale, die nicht konkret auf den spezifischen Besetzungsvorschlag, sondern auf die Aufsichtsratszusammensetzung insgesamt abstellen, auch wenn der Begriff „achten“ zweifelsfrei einen höheren Grad an Verbindlichkeit als der Begriff „berücksichtigen“ zum Ausdruck bringt58. Die Empfehlung von Ziffer 5.4.1 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex bezieht sich nicht auf die Wahl eines bestimmten einzelnen Aufsichtsratsmitglieds, sondern nimmt den gesamten Aufsichtsrat in den Blick. Insoweit lässt sie sich auch nicht als Empfehlung für ein Anforderungsprofil eines einzelnen Aufsichtsratsmitglieds verstehen59. Die offene Formulierung spricht vielmehr für einen bloßen Programmsatz, der den Aufsichtsrat an das Gebot erinnern soll, die Besetzung des Aufsichtsrats am Wohl des Unternehmens auszurichten und dabei auf einen an den spezifischen Gegebenheiten des Unternehmens ausgerichteten Mix unterschiedlicher Fähigkeiten, Begabungen und berufliche Erfahrungen im Aufsichtsrat zu achten60. Ziffer 5.4.1 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex beschränkt aber weder die Entscheidungsfreiheit des Aufsichtsrats hinsichtlich des Wahlvorschlags an die Hauptversammlung noch zwingt sie zur Verabschiedung eines bestimmten Vorschlags. Mangels konkreter inhaltlicher Verhaltensvorgaben in Ziffer 5.4.1 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex ist ein Verstoß gegen die Empfehlung durch Abgabe einer falschen Entsprechenserklärung praktisch kaum vorstellbar, so dass auch Auswirkungen auf die Wirksamkeit des Wahlvorschlags des Aufsichtsrats wie auch auf die Beschlussfassung der Hauptversammlung über die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder ausscheiden. Angesichts der bewussten Offenheit des Begriffs Diversity wird man in einem Verstoß gegen Ziffer 5.4.1 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex, der ohnehin nur in Extremsituationen anzutreffen sein wird, keinesfalls einen schweren Verstoß gegen § 161 AktG erkennen können. b) Altersgrenze der Aufsichtsratsmitglieder Ziffer 5.4.1 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex legt selbst keine Altersgrenze für die Mitglieder des Aufsichtsrats fest, sieht aber die Festset-
__________ 57 Hecker, BB 2009, 1654, 1657; Kocher, BB 2010, 264; Seibert, DB 2009, 1167, 1170; Sünner, CCZ 2009, 185, 186; Weber-Rey, WM 2009, 2255, 2262. 58 Im Ergebnis ebenso Kocher, BB 2010, 264, 265. 59 Ebenso Sünner, CCZ 2009, 185, 189. 60 Kremer (Fn. 25), Rz. 1014; Peltzer, NZG 2009, 1041, 1042; Weber-Rey, WM 2009, 2255, 2262.
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zung einer Altersgrenze seitens der Gesellschaft vor, auf die bei der Personalauswahl für den Aufsichtsrat geachtet werden soll. Besteht eine uneingeschränkte Entsprechenserklärung, ist der Aufsichtsrat verpflichtet, eine Altersgrenze für seine Mitglieder festzulegen, sofern nicht bereits in der Satzung eine entsprechende Regelung enthalten ist. Fehlt es an einer Altersregelung, ohne dies in der Entsprechenserklärung offenzulegen, liegt ein Verstoß gegen § 161 AktG vor. Ungeachtet dieses Gesetzesverstoßes ist der Aufsichtsrat jedoch mangels bestehender Altersgrenze in der Auswahl der der Hauptversammlung vorzuschlagenden Personen frei. Der Gesetzesverstoß berührt die Gültigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses über den Wahlvorschlag an die Hauptversammlung jedoch nicht. Auch wenn der nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG unterbreitete Beschlussvorschlag des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung ungeachtet der falschen Entsprechenserklärung nicht nichtig ist, stellt sich gleichwohl die Frage, welche Auswirkungen die falsche Entsprechenserklärung auf den Beschluss der Hauptversammlung über die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder hat. Im Fall der uneingeschränkten Erklärung wird der Hauptversammlung zwar eine unzutreffende Information über die Einhaltung des Kodex vermittelt, eine falsche Information über die Beachtung einer Altersgrenze für die Aufsichtsratsmitglieder liegt aber nicht vor. Es fehlt somit der spezifische Orientierungspunkt, an dem sich die Sicht des objektiv urteilenden Aktionärs hinsichtlich des Beschlussgegenstands der Hauptversammlung ausrichten könnte. Der Verstoß gegen § 161 AktG, der in der entgegen Ziffer 5.4.1 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex unterbliebenen Festsetzung einer Altersgrenze liegt, hat somit mangels Relevanz keine Auswirkung auf die Gültigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses. Anders liegen die Dinge, sofern eine Altersgrenze für die Aufsichtsratsmitglieder festgelegt worden ist. Ergibt sich die Altersgrenze bereits aus der Satzung, verstößt der Aufsichtsratsbeschluss, der eine Person zur Wahl in den Aufsichtsrat vorschlägt, die die Höchstaltersvorgabe nicht erfüllt, gegen die Satzung. Aufsichtsratsbeschlüsse, die gegen die Satzung verstoßen, sind nach herrschender Meinung nichtig61. Ein auf Grund des unwirksamen Beschlussvorschlags gefasster Hauptversammlungsbeschluss unterfällt der Anfechtbarkeit gemäß § 243 AktG, denn ein objektiv urteilender Aktionär wird bei der Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitwirkungsrechte auf die kodexkonforme Beachtung der unternehmensintern bestehenden Altersgrenze bei der Erstellung des Beschlussvorschlags vertrauen. Der Einhaltung der Empfehlung von Ziffer 5.4.1 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex kommt damit Relevanz für den Hauptversammlungsbeschluss über die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder zu. Ist die Altersgrenze nur in der Aufsichtsratsgeschäftsordnung geregelt oder im Rahmen eines einzelnen Aufsichtsratsbeschlusses niedergelegt, ist der Aufsichtsrat hieran nicht gebunden. Der Aufsichtsrat kann einen Wahlvorschlag
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61 S. die Angaben oben in Fn. 38.
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verabschieden, der mit der bestehenden Altersgrenze nicht vereinbar ist, hat aber mit der Entscheidung über den Wahlvorschlag zugleich auch seine Absicht zur Beachtung von Ziffer 5.4.1 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex aufgegeben. Wird diese nicht umgehend verlautbart, liegt ein Verstoß gegen § 161 AktG vor, der zur Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses wegen Gesetzesverstoßes führt62. Diese Situation war im Fall MAN gegeben63. Dort hatte der Aufsichtsrat zwar eine Altersgrenze von „in der Regel“ 70 Jahren festgelegt, sich aber mit dem Vorschlag zur Wahl von Ferdinand Piëch gleichwohl über die Altersgrenze hinweggesetzt, ohne die Entsprechenserklärung anzupassen. Das OLG München hatte keinen Verstoß gegen § 161 AktG angenommen, da der Wortlaut von Ziffer 5.4.1 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex keine strikte Altersgrenze vorsehe64. Dieser Ansicht muss widersprochen werden, denn der Wortlaut der Kodex-Empfehlung steht einer solchen Einschränkung entgegen. Jedenfalls die seit dem 5. August 2009 geltende Kodex-Fassung lässt keine Relativierung der Altersgrenze zu. Soll Ziffer 5.4.1 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex entsprochen werden, ist die Altersgrenze nicht mehr nur zu berücksichtigen, sondern ohne Einschränkung zu beachten. Missachtet der Aufsichtsrat die selbstgesetzte Altersgrenze, begründet dies einen Verstoß gegen § 161 AktG, der zur Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses über den Wahlvorschlag hinsichtlich der vorgeschlagenen Person führt. Infolge des unwirksamen Beschlussvorschlags des Aufsichtsrats ist der Hauptversammlungsbeschluss über die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder nach § 243 AktG anfechtbar, denn ein objektiv urteilender Aktionär wird bei der Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitwirkungsrechte die kodexkonforme Beachtung der unternehmensintern bestehenden Altersgrenze nach Ziffer 5.4.1 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex als wesentliches Beurteilungselement ansehen. 3. Ziffer 5.4.2 Deutscher Corporate Governance Kodex a) Ausreichende Anzahl unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder Bei uneingeschränkter Entsprechenserklärung ist der Aufsichtsrat gehalten, gemäß Ziffer 5.4.2 Satz 1 Deutscher Corporate Governance Kodex für eine seiner Ansicht nach ausreichende Anzahl von unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern zu sorgen. Der Kodex enthält keine Vorgabe einer Mindestzahl von unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern, sondern überlässt die Entscheidung dem Aufsichtsrat, die Anzahl im konkreten Einzelfall auf der Grundlage der Größe des Aufsichtsrats, der Organisationsstruktur des Unternehmens und der Zusammensetzung des Aktionärskreises festzulegen65. Im Hinblick auf den Schutzzweck der Kodex-Empfehlung, die die besonderen Interessen der Minderheitsaktionäre im Blick hat, muss dem Aufsichtsrat bei Beachtung von Zif-
__________ 62 63 64 65
E. Vetter, NZG 2008, 121, 123. LG München I v. 22.11.2007 – 5 HK O 10614/07, AG 2008, 90, 92 (MAN). Vgl. OLG München v. 6.8.2008 – 7 U 5628/07, AG 2009, 294, 295 (MAN). Kremer (Fn. 25), Rz. 1041.
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fer 5.4.2 Satz 1 Deutscher Corporate Governance Kodex im Ergebnis jedoch mindestens ein unabhängiges Aufsichtsratsmitglied angehören66. Dabei haben die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer außer Betracht zu bleiben67. Dies leitet über zur Frage, was unter einem unabhängigen Aufsichtsratsmitglied zu verstehen ist. Nach dem Wortlaut von Ziffer 5.4.2 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex ist ein Aufsichtsratsmitglied als unabhängig anzusehen, wenn es in keiner geschäftlichen oder persönlichen Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand steht, die einen Interessenkonflikt begründet. Bereits unmittelbar im Anschluss an die Aufnahme dieser Empfehlung in den Kodex im Jahre 2005 wurde die Ansicht vertreten, den Begriff ergänzend anhand der Empfehlung der EU-Kommission vom 15. Februar 200568 auszufüllen69, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Begriff der Unabhängigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds in der Empfehlung der EU-Kommission enger definiert ist, indem nach Ziffer 13.1 der Empfehlung die Unabhängigkeit nur bejaht werden kann, wenn das Aufsichtsratsmitglied „in keiner geschäftlichen, familiären oder sonstigen Beziehung zu der Gesellschaft, ihrem Mehrheitsaktionär oder der Geschäftsführung“ steht. Liegt eine uneingeschränkte Entsprechenserklärung vor, hat der Aufsichtsrat bei der Erarbeitung des Wahlvorschlags nach Ziffer 5.4.2 Satz 1 Deutscher Corporate Governance Kodex zunächst die aus seiner Sicht ausreichende Zahl von unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern festzulegen und danach die der Hauptversammlung vorzuschlagenden Personen zu bestimmen. Dabei hat der Aufsichtsrat darauf zu achten, dass der Wahlvorschlag mindestens ein unabhängiges Mitglied enthält. Die Beurteilung der Unabhängigkeit eines Aufsichtsratsmitglieds hat dabei unter Anwendung der Definition von Ziffer 5.4.2 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex sowie ergänzend der weiteren Angaben der Empfehlung der EU-Kommission vom 15. Februar 2005 zu erfolgen70. Enthält der Wahlvorschlag bei vollständiger Neuwahl kein unabhängiges Aufsichtsratsmitglied, verstößt der Inhalt des Aufsichtsratsbeschlusses gegen Ziffer 5.4.2 Satz 1 Deutscher Corporate Governance Kodex und damit zugleich gegen § 161 AktG. Entsprechendes gilt im Fall der Ergänzungswahl, wenn der Ergänzungsvorschlag nicht darauf abzielt, dass dem Aufsichtsrat nach der Wahl durch die Hauptversammlung ein unabhängiges Mitglied angehört. Angesichts der Bedeutung, die der Kodex der Vermeidung von Interessenkonflikten im Allgemeinen71 und der ausreichenden Zahl von unabhängigen Aufsichts-
__________ 66 Hüffer, ZIP 2006, 637, 641; Kremer (Fn. 25), Rz. 1041; Lieder, NZG 2005, 569, 572; E. Vetter, BB 2005, 1689, 1691. 67 Habersack (Fn. 20), § 100 Rz. 56; Hopt/Roth (Fn. 20), § 100 Rz. 194; Hüffer (Fn. 28), § 100 Rz. 2b; E. Vetter, BB 2005, 1689, 1691. 68 Empfehlung der Kommission vom 15.2.2005 zu den Aufgaben von nicht geschäftsführenden Direktoren/Aufsichtsratsmitgliedern/börsennotierter Gesellschaften sowie zu den Ausschüssen des Verwaltungs-/Aufsichtsrats, ABl. L 52 v. 25.2.2005, S. 51. 69 Hüffer, ZIP 2006, 637, 641; E. Vetter, BB 2005, 1689, 1691. 70 Hüffer, ZIP 2006, 637, 641; Kremer (Fn. 25), Rz. 1041. 71 S. z. B. nur die Ziffern 4.3 und 5.5 Deutscher Corporate Governance Kodex.
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ratsmitgliedern für die Überwachungsaufgabe im Besonderen beimisst, liegt in der fehlenden Beachtung von Ziffer 5.4.2 Satz 1 Deutscher Corporate Governance Kodex, ohne dies in der Entsprechenserklärung offenzulegen, eine Unrichtigkeit in einem wesentlichen Punkt. Der Verstoß gegen § 161 AktG führt deshalb zur Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses über den Wahlvorschlag. Ein nichtiger Beschlussvorschlag des Aufsichtsrats kann nicht Grundlage eines Wahlbeschlusses der Hauptversammlung sein. Dies macht den Hauptversammlungsbeschluss über die Aufsichtsratswahl infolge des Fehlens eines Vorschlags zur Wahl mindestens eines unabhängigen Aufsichtsratsmitglieds wegen Verstoßes gegen § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG anfechtbar, denn das Erfordernis des unabhängigen Aufsichtsratsmitglieds dient der Stärkung des Aufsichtsrats und der Verbesserung der Effizienz seiner Arbeit72. Mit der unterbliebenen Information über die Missachtung von Ziffer 5.4.2 Satz 1 Deutscher Corporate Governance Kodex fehlt dem objektiv urteilenden Aktionär im Sinne der Wertung von § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG eine wesentliche Information zur Beurteilung des Wahlvorschlags und damit für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte in der Hauptversammlung. b) Begrenzung auf zwei ehemalige Vorstandsmitglieder im Aufsichtsrat Im Fall der uneingeschränkten Entsprechenserklärung dürfen dem Aufsichtsrat nach Ziffer 5.4.2 Satz 3 Deutscher Corporate Governance Kodex nicht mehr als zwei ehemalige Vorstandsmitglieder angehören. Die Empfehlung will zur Stärkung des Aufsichtsrats beitragen, indem die Zahl der ehemaligen Vorstandsmitglieder begrenzt wird, da bei ihnen Zweifel an der unabhängigen Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe schwerlich generell ausgeschlossen werden können73. So geht die Empfehlung der EU Kommission vom 15. Februar 200574 davon aus, dass ein Vorstandsmitglied generell nicht vor Ablauf von fünf Jahren nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstand der Gesellschaft als unabhängig angesehen werden kann. Ziffer 5.4.2 Satz 3 Deutscher Corporate Governance Kodex stellt auf keine spezifische Karenzzeit ab, sondern beschränkt die Höchstzahl der ehemaligen Vorstandsmitglieder im Aufsichtsrat generell auf zwei Personen. Entscheidet sich der Aufsichtsrat dafür, der Hauptversammlung die Wahl von mehr als zwei ehemaligen Vorstandsmitgliedern vorzuschlagen, ohne die Entsprechenserklärung umgehend einzuschränken, steht der Aufsichtsratsbeschluss über den Wahlvorschlag im inhaltlichen Widerspruch zur Entsprechenserklärung. Dies führt zu einem Verstoß gegen § 161 AktG. Die Vermeidung von Interessenkonflikten im Aufsichtsrat ist ein tragendes Element guter Unternehmensführung. Aus diesem Grund kann der Verstoß gegen die Empfehlung von Ziffer 5.4.2 Satz 3 Deutscher Corporate Governance Kodex nicht als
__________ 72 OLG München v. 6.8.2008 – 7 U 5628/07, AG 2009, 294, 295 (MAN): „zentrales Gebot einer effizienten Überwachung“. 73 Bosse, BB 2009, 1650, 1652; Hüffer (Fn. 28), § 100 Rz. 7b. 74 S. die Angaben oben in Fn. 68.
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unwesentlich angesehen werden. Ein Aufsichtsratsbeschluss, der die Höchstzahl von ehemaligen Vorstandsmitgliedern im Aufsichtsrat missachtet, ist deshalb nichtig. Dies bedeutet, dass bei einer vollständigen Neuwahl des Aufsichtsrats, bei der mehr als zwei ehemalige Vorstandsmitglieder vorgeschlagen werden, der Vorschlag hinsichtlich sämtlicher vorgeschlagener ehemaliger Vorstandsmitglieder nichtig ist, der Wahlvorschlag aber im Übrigen unberührt bleibt. Im Fall der Ergänzungswahl erfasst die Nichtigkeit nur den Wahlvorschlag, der im Erfolgsfall zur Überschreitung der Höchstzahl ehemaliger Vorstandsmitglieder nach Ziffer 5.4.2 Satz 3 Deutscher Corporate Governance Kodex führt. Ein wegen Missachtung der vom Kodex empfohlenen Höchstzahl von ehemaligen Vorstandsmitgliedern im Aufsichtsrat nichtiger Beschlussvorschlag des Aufsichtsrats scheidet als Grundlage eines Wahlbeschlusses der Hauptversammlung aus. Das von ehemaligen Vorstandsmitgliedern im Aufsichtsrat generell ausgehende Gefährdungspotential für eine unabhängige Überwachungstätigkeit macht es notwendig, die Aktionäre nicht im Unklaren darüber zu lassen, ob die Beschränkung der Höchstzahl ehemaliger Vorstandsmitglieder im Aufsichtsrat gemäß Ziffer 5.4.2 Satz 3 Deutscher Corporate Governance Kodex eingehalten worden ist oder nicht. Diese Information ist für den objektiv urteilenden Aktionär eine wesentliche Information zur sachgerechten Beurteilung des Wahlvorschlags und damit eine wichtige Voraussetzung für die effektive Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte. In der hinsichtlich Ziffer 5.4.2 Satz 3 Deutscher Corporate Governance Kodex unrichtigen Entsprechenserklärung liegt deshalb eine gewichtige Informationspflichtverletzung, die im Sinne der Wertung von § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG zur Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses berechtigt. c) Keine Organfunktion oder Beratungsaufgaben der Aufsichtsratsmitglieder bei Wettbewerbern Nach Ziffer 5.4.2 Satz 4 Deutscher Corporate Governance Kodex soll dem Aufsichtsrat kein Aufsichtsratsmitglied angehören, das Organfunktionen oder Beratungsaufgaben bei wesentlichen Wettbewerbern des Unternehmens ausübt. Diese Empfehlung bezieht sich nicht nur auf die laufende Arbeit der Aufsichtsratsmitglieder, sondern ist auch schon bei der Erstellung des Wahlvorschlags an die Hauptversammlung relevant. Der Begriff des wesentlichen Wettbewerbs wird im Kodex nicht präzisiert. Man wird dabei auf das Kerngeschäft des Unternehmens abstellen müssen und den Begriff im Zweifel eng auszulegen haben75. Entscheidet sich der Aufsichtsrat trotz uneingeschränkter Entsprechenserklärung dafür, der Hauptversammlung eine Person zur Wahl zum Aufsichts-
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75 OLG München v. 6.8.2008 – 7 U 5628/07, AG 2009, 294, 296 (MAN); Kremer (Fn. 25), Rz. 1051; Schiessl, AG 2002, 593, 598; E. Vetter, NZG 2008, 121, 125; E. Vetter (Fn. 37), § 25 Rz. 18; a. A. wohl Langenbucher, ZGR 2007, 571, 575; s. im Übrigen LG München I v. 22.11.2007 – 5 HK O 10614/07, AG 2008, 90, 92 (MAN).
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Aufsichtsratswahlen durch die Hauptversammlung und § 161 AktG
ratsmitglied vorzuschlagen, die Organfunktionen oder Beratungsaufgaben bei wesentlichen Wettbewerbern des Unternehmens ausübt, verstößt der Inhalt des Aufsichtsratsbeschlusses gegen Ziffer 5.4.2 Satz 4 Deutscher Corporate Governance Kodex und damit gegen § 161 AktG. Angesichts der Bedeutung, die der Kodex generell der Vermeidung von Interessenkonflikten beimisst, kann die nicht offengelegte Missachtung der Empfehlung von Ziffer 5.4.2 Satz 4 Deutscher Corporate Governance Kodex nicht als unwesentlich angesehen werden. Der Aufsichtsratsbeschluss über den Wahlvorschlag ist deshalb nichtig. Der nichtige Beschlussvorschlag über die Wahl einer Person zum Aufsichtsratsmitglied, die Organfunktionen oder Beratungsaufgaben bei wesentlichen Wettbewerbern des Unternehmens ausübt, führt zur Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses76. Die wahrheitsgemäße Information über die Beachtung von Ziffer 5.4.2 Satz 4 Deutscher Corporate Governance Kodex ist wegen der Gefahr für die unabhängige Wahrnehmung der Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats für den objektiv urteilenden Aktionär eine wesentliche Information zur sachgerechten Beurteilung des Wahlvorschlags und damit eine wichtige Voraussetzung für die effektive Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte77. 4. Ziffer 5.4.3 Deutscher Corporate Governance Kodex a) Durchführung der Aufsichtsratswahl als Einzelwahl Haben Vorstand und Aufsichtsrat die Beachtung von Ziffer 5.4.3 Satz 1 Deutscher Corporate Governance Kodex erklärt, so haben sie dieser Erklärung folgend dafür zu sorgen, dass die Aufsichtsratswahl durch die Hauptversammlung im Wege der Einzelwahl durchgeführt wird, solange sie nicht die Absicht aufgeben und die bisherige Entsprechenserklärung umgehend durch eine aktualisierte Erklärung korrigiert wird. In der Sache liegt die Entscheidung über die Art der Beschlussfassung der Hauptversammlung beim Aufsichtsratsvorsitzenden, der im Regelfall die Leitung der Hauptversammlung innehat. Ordnet der Aufsichtsratsvorsitzende in der Hauptversammlung die Durchführung der Aufsichtsratswahl im Wege der sogenannten Listen- oder Blockwahl an, setzt er sich in Widerspruch zur Entsprechenserklärung nach § 161 AktG, denn die Verhaltensempfehlung von Ziffer 5.4.3 Satz 1 Deutscher Corporate Governance Kodex richtet sich auch an ihn als Mitglied des Aufsichtsrats. Auch wenn die Blockwahl nach ganz überwiegender Ansicht zulässig ist78 und dem Aufsichtsratsvorsitzenden als Leiter der Hauptversammlung im Rahmen seiner Leitungskompetenz die Befugnis zusteht, nach pflichtgemäßem Ermessen die Block-
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76 OLG München v. 6.8.2008 – 7 U 5628/07, AG 2009, 294, 296 (MAN). 77 S. auch Goette in FS Hüffer, 2010, S. 225, 234. 78 BGH v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9, 25 (Leo Kirch/Deutsche Bank); Bollweg, Die Wahl des Aufsichtsrats in der Hauptversammlung der AG, 1997, S. 191; Hoffmann-Becking (Fn. 27), § 30 Rz. 19; Hopt/Roth (Fn. 20), § 107 Rz. 424; E. Vetter (Fn. 37), § 25 Rz. 24; a. A. LG München I v. 15.4.2004 – 5 HK O 10813/03, AG 2004, 330, 331 (Hypotheken- und Vereinsbank); Linnerz, BB 2004, 963.
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wahl anzuordnen, wird man in der Anordnung der Durchführung der Aufsichtsratswahl im Wege der Blockwahl einen Verstoß gegen § 161 AktG sehen müssen, sofern nicht zeitgleich eine aktualisierte Entsprechenserklärung abgegeben wird. Dies gilt unabhängig davon, ob der Versammlungsleiter vor der Blockwahl ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass Aktionäre, die gegen einen einzelnen vorgeschlagenen Kandidaten stimmen wollen, gegen die Liste insgesamt stimmen müssen. Der Wahlbeschluss der Hauptversammlung ist damit, was das Verfahren seines Zustandekommens anbetrifft, unter Verstoß gegen § 161 AktG erfolgt. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass nach einer Entscheidung des LG München I die Beschlussfassung der Hauptversammlung im Wege der Blockwahl die Anfechtung des Wahlbeschlusses rechtfertigt79. Die Durchführung der Blockwahl im Widerspruch zur bekanntgemachten Entsprechenserklärung wird man als Verstoß gegen § 161 AktG in einem nicht unwesentlichen Punkt qualifizieren müssen. Die Blockwahl hat zwar auf das Stimmengewicht des einzelnen Aktionärs bei der Aufsichtsratswahl keinen Ausschlag, sie beeinträchtigt aber die Transparenz der Wahl des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds, die im Fall der Einzelwahl gewährleistet wäre. Im Ergebnis führt die Durchführung einer Blockwahl auf Anordnung des Aufsichtsratsvorsitzenden als Versammlungsleiter unter Missachtung der in der Entsprechenserklärung anerkannten Empfehlung von Ziffer 5.4.3 Deutscher Corporate Governance Kodex zur Anfechtbarkeit des Wahlbeschlusses der Hauptversammlung. Geht jedoch die Blockwahl durch die Hauptversammlung auf den zuvor von der Hauptversammlung auf Antrag eines Aktionärs gefassten Beschluss zurück, die Wahl nicht als Einzelwahl durchzuführen, ist der Versammlungsleiter an diesen Verfahrensbeschluss gebunden80. Die Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses wegen Verstoßes gegen § 161 AktG kommt dann nicht in Betracht, da die Hauptversammlung nicht an die Verlautbarung von Vorstand und Aufsichtsrat über die Beachtung von einzelnen Kodex-Empfehlungen gebunden und in diesem Fall auch keine Änderung der veröffentlichten Entsprechenserklärung geboten ist. b) Bekanntgabe des Vorschlags für den künftigen Aufsichtsratsvorsitzenden Ziffer 5.4.3 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex sieht die Bekanntgabe des Vorschlags für den Aufsichtsratsvorsitzenden bereits mit den Beschlussvorschlägen an die Hauptversammlung vor. Die Person des Aufsichtsratsvorsitzenden ist für die Arbeit des Aufsichtsrats und die Qualität und Effizienz seiner Arbeit von zentraler Bedeutung. Ziffer 5.4.3 Satz 2 Deutscher
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79 LG München I v. 15.4.2004 – 5 HK O 10813/03, AG 2004, 330, 331 (Hypotheken- und Vereinsbank); zustimmend Linnerz, BB 2004, 963. 80 Vgl. Butzke in Obermüller/Werner/Winden, Die Hauptversammlung der AG, 4. Aufl. 2001, Kapitel J Rz. 55; Hopt/Roth (Fn. 20), § 101 Rz. 56; Hüffer (Fn. 28), § 101 Rz. 6; Lutter in FS Odersky, 1996, S. 845, 853; Bollweg (Fn. 78), S. 201; a. A. Quack in FS Rowedder, 1994, S. 387, 395.
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Aufsichtsratswahlen durch die Hauptversammlung und § 161 AktG
Corporate Governance Kodex trägt dem gesteigerten Informationsbedürfnis der Hauptversammlung Rechnung, indem wegen der besonderen Bedeutung des Amtes des Aufsichtsratsvorsitzenden im Rahmen des Wahlvorschlags eine erhöhte Transparenz der Person vorgesehen ist, die später zum Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt werden soll. Die Kodex-Empfehlung zur Offenlegung von Aufsichtsratsinterna ist nicht unumstritten81. Dies soll hier nicht weiter erörtert werden. Ziel der Kodex-Empfehlung ist die frühzeitige Information der Aktionäre, wer von den der Hauptversammlung insgesamt zur Wahl in den Aufsichtsrat vorgeschlagenen Personen anschließend zum Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt werden soll. Die Information über den vorgesehenen Aufsichtsratsvorsitzenden ist für den objektiv urteilenden Aktionär eine wesentliche Information zur sachgerechten Beurteilung des Vorschlags zur Wahl der Aufsichtsratsmitglieder und damit auch eine wichtige Voraussetzung für die effektive Wahrnehmung seiner Teilnahme und Mitgliedschaftsrechte. Ob dieser Information jedoch generell Relevanz im Sinne von § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG zukommt, muss bezweifelt werden82. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich ein objektiv urteilender Aktionär wegen der Vorenthaltung dieser Information geweigert hätte, an der Abstimmung in der Hauptversammlung teilzunehmen. Die wegen der fehlenden Angaben gemäß Ziffer 5.4.3 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex falsche Entsprechenserklärung und die daraus resultierende Informationspflichtverletzung führen deshalb nicht zur Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses über die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder. 5. Ziffer 5.4.4 Deutscher Corporate Governance Kodex Nach dem VorstAG83 soll die Mitgliedschaft eines ehemaligen Vorstandsmitglieds, das vor weniger als zwei Jahren aus dem Vorstand ausgeschieden ist, die Ausnahme bleiben und darüber hinaus nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG auch nur unter der Voraussetzung zulässig sein, dass der Wahlvorschlag von Aktionären stammt, die über mehr als 25 % der Stimmrechte verfügen84. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist der Beschlussvorschlag insoweit rechtlich nicht zu beanstanden. Ist darüber hinaus vorgesehen, dass das ehemalige Vorstandsmitglied im Falle seiner Wahl auch den Aufsichtsratsvorsitz übernehmen soll, sieht Ziffer 5.4.4 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex die Information der Hauptversammlung bereits in der Tagesordnung vor. Dem entspricht auch die verbreitete Unternehmenspraxis85. Wird bei einer uneingeschränkten
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81 Habersack (Fn. 20), § 107 Rz. 11; Hoffmann-Becking, ZHR 170 (2006), 2, 4; E. Vetter, BB 2005, 1689, 1692. 82 Anders jedoch, wenn ein ehemaliges Vorstandsmitglied zur Wahl vorgeschlagen wird und deshalb nicht auszuschließen ist, dass es zum Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt werden soll; dazu sogleich unter IV. 5. 83 Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) vom 31.7.2009, BGBl. I 2009, S. 2509. 84 S. dazu z. B. Krieger in FS Hüffer, 2010, S. 521, 525 ff.; E. Vetter in FS Maier-Reimer, 2010, S. 793, 802. 85 S. die rechtstatsächlichen Angaben bei v. Werder/Talaulicar, DB 2009, 689, 693.
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Entsprechenserklärung versäumt, die Hauptversammlung entgegen Ziffer 5.4.4 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex darüber zu informieren, dass ein ehemaliges Vorstandsmitglied den Aufsichtsratsvorsitz übernehmen soll, liegt darin ein nicht unerheblicher Verstoß gegen § 161 AktG86. Das Risiko von Interessenkonflikten, denen der Kodex entschieden entgegenwirken will, ist bei der Wahl eines ehemaligen Vorstandsmitglieds zum Aufsichtsratsmitglied, das anschließend zum Vorsitzenden gewählt werden soll, evident87. Die wahrheitsgemäße Information über die Beachtung von Ziffer 5.4.4 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex ist deshalb für den objektiv urteilenden Aktionär eine wesentliche Information zur sachgerechten Beurteilung des Wahlvorschlags und damit eine wichtige Voraussetzung für die effektive Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte. Verstöße gegen Ziffer 5.4.4 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex berechtigen somit zur Anfechtung des Beschlusses der Hauptversammlung über die Wahl des betreffenden ehemaligen Vorstandsmitglieds. Dem steht nicht entgegen, dass das Versäumnis der zwingenden Zusatzangaben nach § 124 Abs. 3 Satz 3 AktG zum ausgeübten Beruf und Wohnort im Regelfall mangels Relevanz des Verstoßes die Anfechtbarkeit der Aufsichtsratswahl nicht begründen kann88. Mit dem Versäumnis der Offenlegung, dass ein ehemaliges Vorstandsmitglied künftiger Aufsichtsratsvorsitzender werden soll, lässt sich dieses Informationsdefizit nicht vergleichen. Wie das Erfordernis der Unterstützung des Wahlvorschlags nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AktG durch mindestens 25 % der Aktionäre zeigt, bedarf es schon einer besonderen Legitimation eines solchen Beschlusses zur Wahl eines ehemaligen Vorstandsmitglieds in den Aufsichtsrat. Damit geht ein gesteigertes Informationsbedürfnis der Hauptversammlung einher, das sich aus der besonderen Bedeutung des Amtes des Aufsichtsratsvorsitzenden erklärt und das wegen der erhöhten Gefahr potentieller Interessenkonflikte89 auch höhere Ansprüche an die Transparenz des Wahlvorschlags rechtfertigt. Diese Gesichtspunkte werden im Fall der Wahl eines ehemaligen Vorstandsmitglieds, das künftig den Aufsichtsratsvorsitz einnehmen soll, noch verstärkt. Dies wird auch durch Ziffer 5.4.4 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex bestätigt. Auch wenn die Kodex-Empfehlung zur Offenlegung von Aufsichtsratsinterna rechtlich nicht unbedenklich ist90, verdient die Hauptversammlung in ihrem Vertrauen auf die Richtigkeit der Entsprechenserklärung und die frühzeitige Information
__________ 86 Ebenso Mutter, ZGR 2009, 788, 801, der dieses Vorgehen als „einer Täuschung der Hauptversammlung nahe“ sieht. 87 S. auch Bosse, BB 2009, 1650, 1652. 88 OLG Frankfurt v. 21.3.2006 – 10 U 17/05, AG 2007, 374; LG Düsseldorf v. 9.11.2007 – 39 O 38/07 (Rottnauer), EWiR 2008, 67, 68; Hüffer (Fn. 28), § 124 Rz. 18; MarschBarner in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1109, 1111; a. A. LG München I v. 26.4.2007 – 5 HKO 12848/06, Der Konzern 2007, 448. 89 S. z. B. Dörner in FS Röhricht, 2005, S. 809, 814; Rode, BB 2006, 341 ff.; Semler in Semler/v. Schenck, Arbeitshandbuch für Aufsichtsratsmitglieder, 3. Aufl. 2009, § 4 Rz. 22. 90 Habersack (Fn. 20), § 107 Rz. 11; Hoffmann-Becking, ZHR 170 (2006), 2, 4; E. Vetter, BB 2005, 1689, 1692.
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Aufsichtsratswahlen durch die Hauptversammlung und § 161 AktG
über ein in der zur Wahl in den Aufsichtsrat vorgeschlagenen Person liegendes besonderes Konfliktpotential besonderen Schutz. 6. Ziffer 5.4.5 Deutscher Corporate Governance Kodex Die Empfehlung sieht eine Beschränkung der Zahl der Aufsichtsratsmandate über die Begrenzung von § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AktG hinaus vor. Während nach der gesetzlichen Regelung bis zu 10 Mandate übernommen werden können, sieht Ziffer 5.4.5 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex eine Beschränkung auf nur drei Mandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften vor, wenn die zur Wahl als Aufsichtsratsmitglied vorgeschlagene Person Vorstandsmitglied einer börsennotierten Gesellschaft ist. Liegt eine uneingeschränkte Entsprechenserklärung vor und hält ein zur Wahl vorgeschlagener Kandidat, der dem Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft angehört, bereits drei Mandate in anderen börsennotierten Gesellschaften, widerspricht die Übernahme eines weiteren Mandats der mit der Entsprechenserklärung verlautbarten Mandatsbeschränkung, wenn nicht eines der anderen Mandate niedergelegt wird. Wird versäumt die Entsprechenserklärung zu korrigieren und hat der Kandidat nach seiner Wahl in den Aufsichtsrat mehr als drei Aufsichtsratsmandate in anderen börsennotierten Gesellschaften inne, von denen er keines niederlegen wird, liegt darin ein Verstoß gegen Ziffer 5.4.5 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex sowie ein Verstoß gegen § 161 AktG. Die Beschränkung auf nur drei Mandate dient der Effizienz der Aufsichtsratsarbeit. Es soll sichergestellt sein, dass dem Vorstandsmitglied einer börsennotierten AG, das wegen dieser Berufstätigkeit regelmäßig ohnehin stark beansprucht sein wird, für die Aufsichtsratsarbeit ausreichend Zeit zur Verfügung steht91. In der Missachtung dieser Begrenzung wird man eine Unrichtigkeit in einem nicht unwesentlichen Punkt sehen müssen, die zur Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses führt. Ein Wahlvorschlag, der die Wahl einer Person zum Aufsichtsratsmitglied vorsieht, die die Mandatsbeschränkung missachtet, ist nichtig und führt zur Anfechtbarkeit des Hauptversammlungsbeschlusses wegen Fehlens eines wirksamen Beschlussvorschlags des Aufsichtsrats gemäß § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG. Die wahrheitsgemäße Information über die Beachtung von Ziffer 5.4.5 Satz 2 Deutscher Corporate Governance Kodex ist wegen der notwendigen zeitlichen Verfügbarkeit des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds für den objektiv urteilenden Aktionär eine wesentliche Information zur sachgerechten Beurteilung des Wahlvorschlags und damit eine wichtige Voraussetzung für die effektive Wahrnehmung seiner Teilnahme und Mitgliedschaftsrechte in der Hauptversammlung, sodass bei einem Verstoß nach der Wertung von § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG die Anfechtung des Hauptversammlungsbeschlusses gerechtfertigt ist.
__________ 91 Kremer (Fn. 25), Rz. 1073.
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V. Fazit Der Deutsche Corporate Governance Kodex ist weder Gesetz noch hat er gesetzesgleiche Wirkung. Vorstand und Aufsichtsrat haben in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob sie die Kodex-Empfehlungen beachten wollen oder nicht und haben dies in der nach § 161 AktG jährlich abzugebenden Entsprechenserklärung anzugeben. Soweit in der Entsprechenserklärung auch die gegenwärtige und künftige Beachtung von Empfehlungen kundgetan wird, die die Wahl der Mitglieder des Aufsichtsrats durch die Hauptversammlung betreffen, können Abweichungen von der in der Entsprechenserklärung bekanntgemachten tatsächlichen Praxis der Gesellschaft, die nicht umgehend durch eine aktualisierte Entsprechenserklärung verlautbart werden, wegen des damit verbundenen Verstoßes gegen § 161 AktG zur Nichtigkeit des Aufsichtsratsbeschlusses über den Wahlvorschlag an die Hauptversammlung nach § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG führen und dadurch die Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen über die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder begründen, sofern es sich dabei um Verstöße gegen § 161 AktG in einem nicht unwesentlichen Punkt handelt. Da es sich bei den Verstößen gegen § 161 AktG nach der Rechtsprechung des BGH um Verstöße von einigem Gewicht handeln muss, ist nicht zu besorgen, dass künftig wegen fehlerhafter Entsprechenserklärungen durch sog. Berufskläger verstärkt und allzu leicht Anfechtungsklagen erhoben werden92. Es muss stets um Verstöße gegen die Verlautbarung durch die Entsprechenserklärung von einigem Gewicht gehen. Im Hinblick darauf haben Vorstand und Aufsichtsrat sorgfältig darauf zu achten, dass der Aufsichtsrat bei seinen Entscheidungen über die Wahlvorschläge an die Hauptversammlung gemäß § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG stets die abgegebene Entsprechenserklärung im Blick behält. Für den Fall, dass der Aufsichtsrat eine Änderung gegenüber dem mit der Entsprechenserklärung verlautbarten tatsächlichen Verhalten beschließt, hat er umgehend eine neue, aktualisierte Entsprechenserklärung abzugeben, damit ein Verstoß gegen § 161 AktG vermieden wird, der die Gültigkeit der Aufsichtsratswahl durch die Hauptversammlung beeinträchtigen könnte. Denn ein nichtiger Wahlvorschlag des Aufsichtsrats kann zur Anfechtbarkeit des Wahlbeschlusses der Hauptversammlung führen, wenn infolge der falschen Entsprechenserklärung den Aktionären ein nicht unwesentliches Beurteilungselement fehlt und sie dadurch in der sachgerechten Wahrnehmung ihrer Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte in der Hauptversammlung beeinträchtigt werden.
__________ 92 S. z. B. die Bedenken von Kocher/Bedkowski, BB 2009, 235; s. aber Goette in FS Hüffer, 2010, S. 225, 232.
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Öffentliche Umtauschangebote und ordentliche Kapitalerhöhung Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Aktienrechtliche Probleme 1. Bisherige aktienrechtliche Transaktionshindernisse 2. Die neuen gesetzlichen Möglichkeiten 3. Speziell zu den Auswirkungen der modifizierten Interessenabwägungsklausel auf Kapitalerhöhungen a) Bewertungsrügen b) Bezugsrechtsausschluss im Übrigen 4. „Bis-zu-Kapitalerhöhungsbeschluss“ III. Übernahmerechtliche Aspekte 1. Überblick und Präzedenzfälle a) Öffentliches Umtauschangebot der media[netCom] AG an die Aktionäre der INTERNOLIX AG
b) Öffentliches Umtauschangebot der Delta Beteiligungen AG an die Aktionäre der Beta Systems Software AG 2. Treffen der für die Erfüllung des Angebots notwendigen Maßnahmen (§ 13 WpÜG) 3. Zum Schutz des Bieters erforderliche Bedingungen (§ 18 WpÜG) a) Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses b) Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung c) Börsenzulassung der neuen Aktien 4. Schutz der Aktionäre der Zielgesellschaft in der Zeit bis zum Eintritt der Bedingung IV. Schluss
I. Einleitung Der Jubilar gehört zur kleinen Gruppe der Gesellschaftsrechtler, die schon früh den Blick über das klassische Gesellschaftsrecht hinaus ins Kapitalmarktrecht gewagt und am Zusammenwachsen von Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht großen Anteil haben. Zugleich hat er stets Dogmatik und Praxis des Gesellschaftsrechts gleichermaßen im Blick gehabt und beides – teilweise auch recht kritisch – aktiv begleitet. Ihm sollen daher die folgenden Überlegungen zu einer vom Gesetzgeber vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeit gewidmet werden, die aufs Engste aktien- und kapitalmarktrechtliche Fragestellungen verknüpft, die sich allerdings aufgrund gesetzlicher Tücken seit ihrer Kodifikation durch das WpÜG im Jahr 2002 in einem Dornröschenschlaf befindet. Nicht auf einen Kontrollerwerb gerichtete Erwerbsangebote, freiwillig auf den Erwerb der Kontrolle zielende Übernahmeangebote und Pflichtangebote können als Gegenleistung statt einer Barzahlung auch liquide Aktien vorsehen. Insbesondere im Zusammenhang mit Übernahmeangeboten wird dafür auch der Begriff „Umtauschangebot“ verwendet. Für Übernahmeangebote und über 1371
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§ 39 WpÜG auch Pflichtangebote bestimmt § 31 Abs. 2 WpÜG ausdrücklich, dass die vom Bieter anzubietende Gegenleistung in liquiden Aktien bestehen kann, die zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind. Für die weniger regulierten Erwerbsangebote wird die Zulässigkeit der Gewährung von liquiden Aktien immanent vorausgesetzt; deutlich lässt sich deren Zulässigkeit § 13 Abs. 1 Satz 1 WpÜG entnehmen, der eine besondere Regelung für den Fall vorsieht, dass die Gegenleistung in einer Geldzahlung besteht, was impliziert, dass dies nicht zwingend der Fall ist. Die Gewährung von Aktien des Bieters statt eines Geldbetrags hat wirtschaftlich erhebliche Vorteile: Die Liquidität des Bieters wird geschont. Die Transaktion führt bei Gewährung neuer Aktien zu einer Erhöhung des Eigenkapitals und des Equity Value des Bieters, während bei der Gewährung einer Geldleistung lediglich ein Aktivtausch stattfindet. Für die Finanzierung eines Barangebots müssen regelmäßig ganz erhebliche Fremdverbindlichkeiten aufgenommen werden. Die kombinierte Unternehmensgruppe startet also mit einer deutlich schwächeren Eigenkapital- und vor allem Liquiditätsausstattung. Die Polster für die Hebung von Synergien und die Behebung unerwarteter Schwierigkeiten bei der Zusammenführung beider Unternehmen sind deutlich geringer1. Umso bedauerlicher ist, dass Umtauschangebote deutscher Bieter eine ausgesprochen seltene Erscheinung unter der Geltung des WpÜG sind. Ausländische Bieter haben die Vorteile einer Gewährung von Aktien dagegen häufiger genutzt. Prominente Beispiele sind das Übernahmeangebot von Buzzi Unicem an die Aktionäre der Dyckerhoff AG in 2003, das Übernahmeangebot von UniCredit an die HVB-Aktionäre in 2005 und das gemischte Bar-/Umtauschangebot von UCB an die Aktionäre der Schwarz Pharma AG in 2006. Deutsche Bieter nutzen die Möglichkeit des Umtauschangebots dagegen typischerweise nur dann, wenn ein ausreichendes genehmigtes Kapital zur Schaffung der neuen Aktien zur Verfügung steht (Beispiele: die Übernahmeangebote der Pixelpark AG an die Aktionäre der Elephant Seven AG und der QSC AG an die Aktionäre der Broadnet AG in 2006). Lediglich in zwei Fällen sind die als Gegenleistung zu gewährenden Aktien durch Hauptversammlungsbeschluss im Zusammenhang mit dem Übernahmeangebot geschaffen worden (Übernahmeangebot der media[netCom] AG an die Aktionäre der INTERNOLIX AG in 2002 und Übernahmeangebot der Delta Beteiligungen AG an die Aktionäre der Beta Systems Software AG, dazu ausführlicher nachfolgend unter III. 1. a) und b)). Die Nutzung eines genehmigten Kapitals zur Schaffung der Aktien ist allerdings begrenzt. Zum einen ist die gesetzliche Beschränkung des genehmigten Kapitals auf 50 % des Grundkapitals gemäß § 202 Abs. 3 AktG zu beachten. Dadurch wird die Möglichkeit einer Bezahlung von Unternehmenskäufen in Aktien auf Zielgesellschaften beschränkt, deren Wert maximal die Hälfte des Werts des Bieters erreicht. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die meisten Gesellschaften diese gesetzliche Möglichkeit für ein genehmigtes Kapital, das für Sacheinlagen genutzt werden kann, nicht voll ausgenutzt haben. Grund
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1 Ausführlicher zu den Vorteilen eines Einsatzes von Aktien als Akquisitionswährung im Vergleich zur Zahlung in bar J. Vetter, AG 2008, 177, 179 ff.
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dafür ist insbesondere auch, dass viele institutionelle Investoren und die diese beratenden Dienstleister lediglich eine Ermächtigung der Verwaltung zur Schaffung neuer Aktien unter Ausschluss des Bezugsrechts bis zu maximal 20 % des Grundkapitals mittragen2. Größere Schwierigkeiten deutscher Aktiengesellschaften bei der Schaffung der anzubietenden Aktien und der Durchführung von Umtauschangeboten haben auch volkswirtschaftliche Bedeutung3. Deutsche Unternehmen stehen auch im Hinblick auf Akquisitionen im Wettbewerb zu ausländischen Konkurrenten. Die Unfähigkeit, in großem Umfang Aktien als Akquisitionswährung einzusetzen, ist ein echter Wettbewerbsnachteil. Viele Akquisitionen lassen sich nur als „Share-for-Share“-Transaktionen darstellen. Selbst wenn der Erwerb im Wege einer Bartransaktion möglich ist, wird der Unternehmenswert (i. S. d. Equity Value, nicht des Enterprise Value) durch die Transaktion nicht erhöht und die Bildung nationaler Champions mit solider Eigenkapitalausstattung erschwert. Nachfolgend soll überlegt werden, was die Ursachen für diese mangelnde Akzeptanz von Umtauschangeboten sind, ob diese Ursachen immer noch bestehen oder ob aufgrund jüngster Gesetzesänderungen Umtauschangebote in Zukunft nicht doch mit ausreichender Rechtssicherheit durchgeführt werden können. Dazu sollen unter II. zunächst aktienrechtliche Probleme im Hinblick auf die Schaffung der neuen Aktien und unter III. damit im Zusammenhang stehende übernahmerechtliche Fragen diskutiert werden. Die Überlegungen konzentrieren sich auf die Schaffung der neuen Aktien im Wege der umfangmäßig unbegrenzten ordentlichen Sachkapitalerhöhung; sie gelten in weitem Umfang entsprechend für die bedingte Kapitalerhöhung, die gemäß § 192 Abs. 2 Nr. 2 AktG auch für ein Übernahmeangebot genutzt werden kann4, deren Umfang aber nach § 192 Abs. 3 AktG zwingend auf maximal 50 % des Grundkapitals beschränkt ist.
II. Aktienrechtliche Probleme 1. Bisherige aktienrechtliche Transaktionshindernisse Der Hauptgrund dafür, dass deutsche Bieter von ordentlichen Kapitalerhöhungen zur Bedienung von Umtauschangeboten abgesehen haben, dürfte in den bisherigen Unzulänglichkeiten des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts liegen. In der Praxis bestand lange Zeit Einvernehmen darüber, dass ordent-
__________ 2 Vgl. etwa die Empfehlungen der RiskMetrics Group: 2010 European Proxy Voting Guidelines Summary vom 31.12.2009 unter 3., S. 13 und European Corporate Governance Policy 2010 Updates vom 19.11.2009, S. 28, abrufbar jeweils über die Internetseite www.riskmetrix.com. 3 Näher J. Vetter, AG 2008, 177, 179 ff.; außerdem etwa Goll/Schwörer, ZRP 2008, 77, 78. 4 Unstr., s. nur Fuchs in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 193 AktG Rz. 60; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 192 AktG Rz. 14; zu einem Beispielsfall s. nachfolgend unter III. 1. a).
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liche Sachkapitalerhöhungen kaum mit ausreichender Transaktionssicherheit durchgeführt werden können5. Diese Skepsis betraf nicht nur Sachkapitalerhöhungen börsennotierter Gesellschaften im Zusammenhang mit Umtauschangeboten, sondern auch die Bezahlung in Aktien in sonstigen Fällen. Ordentliche Sachkapitalerhöhungen börsennotierter Gesellschaften gab es in der Vergangenheit in Deutschland praktisch nicht. Hierfür waren primär die folgenden Gründe maßgeblich: – Jeder Aktionär kann den Kapitalerhöhungsbeschluss nach §§ 243, 245 f. AktG anfechten. Das Anfechtungsklageverfahren dauert typischerweise mehrere Jahre. Trotz fehlender gesetzlich angeordneter Vollzugssperre führte eine anhängige Anfechtungsklage in der Vergangenheit doch regelmäßig dazu, dass der Kapitalerhöhungsbeschluss erst gar nicht in das Handelsregister eingetragen wurde. – Selbst wenn der Kapitalerhöhungsbeschluss und in dessen Folge auch die Durchführung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister eingetragen worden wäre, hätten große Unsicherheiten darüber bestanden, welche Rechtsfolgen eine sich später als begründet erweisende Anfechtungsklage haben würde6. Das Risiko der diskutierten Rechtsfolgen und die bestehende Unsicherheit wollten und konnten die Gesellschaften, die begleitenden Banken und die zeichnenden Aktionäre bei Sachkapitalerhöhungen typischerweise nicht übernehmen. – Anders als im Umwandlungsrecht und bei Eingliederung und Squeeze-Out stand bis zur Reform des AktG durch das UMAG7 von 2005 kein Freigabeverfahren zur Verfügung. Der durch das UMAG eingeführte § 246a AktG sah die Entscheidung über den Freigabeantrag in zwei Instanzen vor. In der Praxis wurde bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Freigabeantrag von einer Zeitdauer von mindestens neun bis zwölf Monaten ab der Hauptversammlung mit erheblichem Risiko einer weiteren Verzögerung ausgegangen8. Bei Übernahmeangeboten wäre es praktisch kaum vorstellbar, den Erfolg des Angebots über einen solch langen Zeitraum im Ungewissen zu lassen. Auch wäre sehr fraglich gewesen, ob die BaFin eine aufschiebende Bedingung des Angebots mit einer solch langen Frist für den Bedingungseintritt gestattet hätte (zur Notwendigkeit, das Angebot aufschiebend auf die
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5 S. nur Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 56 Rz. 42; zu Umtauschangeboten s. etwa Vogel in Frankfurter Komm. WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 13 WpÜG Rz. 58 f.; ähnlich Kossmann/Heinrich, Der Konzern 2010, 27, 28. 6 Vgl. nur Hüffer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2001, § 248 AktG Rz. 20 f.; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 248 AktG Rz. 7a; Krieger in MünchHdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 56 Rz. 145; M. Winter in FS Ulmer, 2003, S. 699, 702 ff. m. w. N. 7 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Aktienrechts v. 22.9. 2005, BGBl. I 2005, S. 2802. 8 Empirische Angaben bei Baums/Keinath/Gajek, ZIP 2007, 1629, 1648 f. Selbst bei Beachtung der Sollvorschrift des § 246a Abs. 3 Satz 5 (heute Satz 6) AktG, nach der ein Beschluss innerhalb von drei Monaten ergehen soll, ergab sich bei zwei Instanzen unter Berücksichtigung der Klagefrist und der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde eine Verzögerung von knapp acht Monaten, wobei Verzögerungen bei der Zustellung noch gar nicht berücksichtigt sind.
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Schaffung der neuen Aktien zu bedingen, ausführlicher nachfolgend unter III. 3.). – Besonders misslich war, dass die Aktionäre im Wege der Anfechtungsklage auch die Bewertungsrüge uneingeschränkt geltend machen konnten (und immer noch können). Nach § 255 Abs. 2 AktG kann die Anfechtungsklage bei einem Ausschluss des Bezugsrechts auch darauf stützen, dass der sich aus dem Erhöhungsbeschluss ergebende Ausgabebetrag oder der Mindestbetrag, unter dem die neuen Aktien nicht ausgegeben werden sollen, unangemessen niedrig ist. Über den Wortlaut hinausgehend besteht das Anfechtungsrecht in analoger Anwendung des § 255 Abs. 2 AktG auch in Fällen, in denen im Kapitalerhöhungsbeschluss selbst kein Ausgabe- oder Mindestbetrag festgesetzt wird, insbesondere in Fällen der Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen9. Gerade bei Sachkapitalerhöhungen, insbesondere dem Erwerb von Unternehmen gegen Ausgabe von Aktien, hat § 255 Abs. 2 AktG aufgrund der Schwierigkeiten bei der Bewertung von Unternehmen besondere Bedeutung. Statt auf den Ausgabebetrag ist bei Kapitalerhöhungen gegen Sacheinlagen auf den Wert der Sacheinlage abzustellen10. Ein Spruchverfahren ist – entgegen mittlerweile fast einhelligen rechtspolitischen Forderungen aus Wissenschaft und Praxis11 – vom Gesetzgeber bisher nicht vorgesehen worden. Es fehlt damit an einer abschließenden Verweisung der Bewertungsrüge und darauf bezogener Informationsmängel (vgl. § 243 Abs. 4 Satz 2 AktG) aus dem Anwendungsbereich der Anfechtungsklage in das Spruchverfahren. Die Bewertungsrüge hat gerade bei Kapitalerhöhungen zur Durchführung von Umtauschangeboten besondere Brisanz, da der Erfolg des Angebots häufig die Zahlung einer Prämie auf den Börsenkurs der Zielgesellschaft erfordert12.
__________ 9 Unstr., zur Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen vgl. nur BGHZ 71, 40, 50 ff. („Kali+Salz“), Bayer, ZHR 163 (1999) 505, 520; Hoffmann-Becking in FS Wiedemann, 2002, S. 999, 1003 ff.; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 255 AktG Rz. 15; Martens in FS Bezzenberger, 2000, S. 267, 268 ff.; K. Schmidt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1996, § 255 AktG Rz. 5. 10 BGHZ 71, 40, 50 f.; K. Schmidt in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1996, § 255 AktG Rz. 5; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 255 AktG Rz. 15. 11 Hinzuweisen ist insoweit insb. auf einen ausformulierten Gesetzgebungsvorschlag des Handelsrechtsausschusses des DAV, abgedruckt in NZG, 2007, 497; ebenso bereits dessen Stellungnahmen NZG 2000, 802, 803 und ausführlich NZG 2003, Sonderbeil. zu Heft 9, S. 14 f. = BB 2003, Sonderbeil. 4, S. 10; außerdem etwa Bayer, ZHR 163 (1999), 505, 544 ff.; ders., ZHR 168 (2004), 132, 159 ff.; Fritzsche/Dreier, BB 2002, 737, 739 ff.; Maier-Reimer in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1077, 1078 ff.; Reichert, ZHR-Beiheft 71, 2002, S. 166, 187 f.; J. Vetter, ZHR 168 (2004), 8, 29 ff.; M. Winter in Liber amicorum Happ, 2006, S. 363, 375 ff.; ders. in FS Ulmer, 2003, S. 699, 719 ff.; anders allerdings noch die Regierungskommission Corporate Governance in ihrem Bericht von 2001, Rz. 152. 12 Hierzu ausführlich Herfs/Wyen in FS Hopt, 2010, S. 1955, 1976 ff. unter V. 2.; außerdem etwa Decher in FS Wiedemann, 2002, S. 787, 796 f.; Kremer/Oesterhaus in KölnKomm.WpÜG, 2003, Anh. § 31 WpÜG Rz. 8 ff.; Marsch-Barner in Baums/ Thoma, WpÜG, § 31 WpÜG Rz. 56; deutlich enger Oechsler in Ehricke/Ekkenga/ Oechsler, WpÜG, 2003, § 31 WpÜG Rz. 21.
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2. Die neuen gesetzlichen Möglichkeiten Diese Skepsis gegenüber der Machbarkeit von Sachkapitalerhöhungen ist nach den Aktienrechtsnovellen durch das UMAG und insbesondere des ARUG13 nicht mehr gerechtfertigt. In mehreren Schritten hat der Gesetzgeber die Möglichkeiten zu einer vergleichsweise rechtssicheren Durchführung von Kapitalerhöhungen verbessert. Im Einzelnen: – Mit Einführung des § 246a AktG durch das UMAG wurde auch für Kapitalerhöhungsbeschlüsse die Möglichkeit eines Freigabeverfahrens geschaffen. Damit wurde den beklagten Aktiengesellschaften die Möglichkeit gegeben, die Auswirkungen einer Anfechtungsklage auf das Wirksamwerden der Kapitalerhöhung innerhalb eines kürzeren, für Übernahmeangebote wie gezeigt aber immer noch zu langen Zeitraums verbindlich klären zu lassen. – Für die Praxis immens wichtig war dabei die in Parallele zu § 16 Abs. 3 UmwG angeordnete Bestandskraft der Eintragung, die aufgrund eines Freigabebeschlusses erfolgt ist (§ 246a Abs. 4 AktG). Damit wurden die in der Praxis nicht hinnehmbaren Risiken im Hinblick auf die Rechtsfolgen einer Anfechtungsklage beseitigt, deren Begründetheit sich erst nach Eintragung erweist. Zu Recht wird der Gesellschaft von Rechtsprechung und herrschender Auffassung in der Literatur die Möglichkeit gewährt, ein Freigabeverfahren zur Erreichung dieser Bestandskraft der Eintragung auch dann einzuleiten, wenn der Kapitalerhöhungsbeschluss bereits zuvor ohne gerichtliche Anordnung in das Handelsregister eingetragen worden ist14. – Durch das ARUG wurde das Freigabeverfahren in mehrfacher Hinsicht zugunsten der Gesellschaften und ihrer nicht klagenden Gesellschaftermehrheit effektiver ausgestaltet. Dies betrifft zunächst das Verfahren: Mit der Konzentration des Verfahrens auf das Oberlandesgericht als erster und einziger Instanz wurde eine erhebliche Verfahrensbeschleunigung erreicht15. Außerdem dürfte dadurch die Zuweisung von Freigabeverfahren an spezialisierte erfahrene Kammern vereinfacht werden. Eine weitere Verfahrensbeschleunigung ergibt sich durch Änderungen bzw. Klarstellungen im Hinblick auf die Einsichtnahme in die Anfechtungsklage (§ 246 Abs. 3 Satz 5 AktG) und die Zustellung des Freigabeantrags (vgl. § 246a Abs. 1 Satz 2 AktG i. V. m. §§ 82, 83 Abs. 1, 84 ZPO). Die Praxis geht nunmehr davon aus, dass Freigabeverfahren innerhalb von fünf bis sechs Monaten ab der Hauptversammlung rechtskräftig abgeschlossen werden können. Damit ist es nun erstmals möglich, eine rechtskräftige Entscheidung über die wirksame Ent-
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13 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtelinie v. 30.7.2009, BGBl. I 2009, S. 2479. 14 OLG Düsseldorf, AG 2009, 538; OLG Frankfurt, AG 2008, 826; KG Berlin, AG 2009, 30; OLG Celle, AG 2008, 217; Dörr in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 246a AktG Rz. 7; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 246a AktG Rz. 5; von der Linden/Paul, EWiR 2009, 97; so auch bereits ausdrücklich die Begründung des RegE UMAG, BR-Drucks. 3/05, S. 56 f.; a. A. Schütz, NZG 2005, 5, 9. 15 In dieser Verfahrensverkürzung liegt kein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG oder den verfassungsrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutz, s. KG Berlin, AG 2010, 166, 167 f.
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stehung der neuen Aktien innerhalb eines Zeitraums zu erhalten, der im Rahmen eines öffentlichen Übernahmeangebots noch akzeptabel ist (ausführlicher nachfolgend unter III. 3.). – Daneben hat das ARUG die materiellen Voraussetzungen für die Begründetheit des Freigabeantrags der Gesellschaft massiv verändert. Zunächst wurde für das Freigabeverfahren ein Mindestquorum derart eingeführt, dass die Freigabe erteilt wird, wenn der Anfechtungskläger nicht innerhalb einer Woche nach Zustellung des Freigabeantrags nachgewiesen hat, dass er seit Bekanntmachung der Einladung zur Hauptversammlung einen anteiligen Betrag des Grundkapitals16 von mindestens 1.000 Euro hält (§ 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG). Überzeugende Bedenken gegen die Vereinbarkeit dieses Quorums mit Art. 14 GG bestehen nicht17. Nach h. M. ist der anteilige Betrag von 1.000 Euro für jeden einzelnen Kläger erforderlich18. Der Hauptvorteil des Quorums dürfte praktisch seltener darin liegen, dass die Freigabeverfahren im Hinblick auf alle Kläger nach § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG entschieden werden können, sondern darin, dass die Zahl der Verfahrensbeteiligten auf eine kleine Zahl begrenzt wird, was zu einer nicht zu unterschätzenden Beschleunigung des Freigabeverfahrens führen dürfte19. – Praktisch noch wichtiger ist die durch das ARUG vorgenommene Modifikation der Interessensabwägungsklausel des § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG. Nunmehr hat ein Freigabebeschluss dann zu ergehen, wenn „das alsbaldige Wirksamwerden des Hauptversammlungsbeschlusses vorrangig erscheint, weil die vom Antragsteller dargelegten wesentlichen Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den Antragsgegner überwiegen, es sei denn, es liegt eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes vor“20. 3. Speziell zu den Auswirkungen der modifizierten Interessenabwägungsklausel auf Kapitalerhöhungen a) Bewertungsrügen Die praktischen Auswirkungen der Modifikation der Interessenabwägungsklausel sind nicht zu unterschätzen. Sie hat insbesondere zur Folge, dass nach
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16 Trotz des nicht eindeutigen Wortlauts bezieht die ganz h. M. den Betrag von 1.000 Euro zu Recht auf das Grundkapital, s. OLG Hamburg, AG 2010, 214; OLG Stuttgart, ZIP 2009, 2337, 2338; Kläsener/Wasse, AG 2010, 202, 203; Nikoleyczik/Butenschön, NZG 2010, 218; Rothley, GWR 2009, 312, 313. 17 OLG Hamburg, AG 2010, 214 f.; OLG Hamburg, AG 2010, 215; zur parallelen Vorschrift des § 319 Abs. 6 AktG OLG Stuttgart, ZIP 2009, 2337, 2338; Grunewald, NZG, 2009, 967, 970; Kläsener/Wasse, AG 2010, 202, 204 ff.; Nikoleyczik/ Butenschön, NZG 2010, 218; J. Vetter, AG 2008, 177, 186 f. 18 OLG Hamburg, AG 2010, 214 f.; OLG Hamburg, AG 2010, 215; OLG München, AG 2010, 170; OLG Stuttgart, ZIP 2009, 2337, 2338; Kläsener/Wasse, AG 2010, 202, 203. 19 In der Praxis kamen Klage- und Freigabeverfahren mit teilweise mehr als 100 Klägern und Nebenintervenienten vor, deren organisatorische Bewältigung die Geschäftsstellen der Gerichte verständlicherweise vor ganz erhebliche Probleme stellte. 20 Hervorhebung durch den Verfasser.
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der Neuregelung des § 246a AktG auch Bewertungsrügen nach § 255 Abs. 2 AktG vergleichsweise problemlos im Freigabeverfahren überwunden werden können. Dies wurde zur Interessenabwägungsklausel der § 16 Abs. 3 UmwG und § 319 Abs. 6 AktG und auch des § 246a Abs. 2 AktG a. F. noch anders gesehen21. Grund für diese Einschätzung war, dass die Interessenabwägungsklausel nach § 16 Abs. 3 Satz 2 UmwG, § 246a Abs. 2, § 319 Abs. 6 Satz 2 AktG, jeweils a. F., den Interessen der Gesellschaft und ihrer Aktionäre am alsbaldigen Wirksamwerden der Maßnahme nach überwiegender Auffassung die Interessen aller von der potentiellen Fehlbewertung betroffenen Aktionäre gegenüberstellte22. Daneben war zweifelhaft, inwieweit die Schwere des Rechtsmangels und die voraussichtliche Begründetheit der Klage bei der Abwägung zu berücksichtigen sind23. Diese neue, wesentlich optimistischere Sichtweise gründet sich auf folgende Überlegungen24: Der Freigabebeschluss hat nach § 246a Abs. 3 Nr. 3 AktG bei kumulativem Vorliegen zweier Voraussetzungen zu erfolgen. (1) Zum einen muss das Gericht nach freier Überzeugung zu dem Ergebnis kommen, dass die vom Antragsteller, also der Gesellschaft, dargelegten wesentlichen Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre die Nachteile für den Antragsgegner überwiegen. Maßgeblich sind allein wirtschaftliche Interessen; die Schwere des Rechtsverstoßes und die Erfolgsaussichten sind dabei nicht zu berücksichtigen25. Abzuwägen sind die wirtschaftlichen Interessen der Gesellschaft und der nicht klagenden Aktionärsmehrheit mit denen des klagenden Aktionärs26. Diese Interessenabwägung wird in aller Regel eindeutig zugunsten der Gesellschaft ausfallen: Mit einer Unternehmensübernahme, die durch die Kapitalerhöhung ermöglicht werden soll, sind typischerweise aus ex ante Sicht beträchtliche strategische Vorteile, Synergien oder jedenfalls Kostenein-
__________ 21 Zur Ungeeignetheit des Freigabeverfahrens zur Entscheidung über Bewertungsrügen schon die Stellungnahmen des Handelsrechtsausschusses des DAV zum RefE des UmwG, WM 1993, Beil. 2, Rz. 51, sowie zu den Gesetzgebungsvorschlägen der Regierungskommission Corporate Governance, NZG 2003, Sonderbeil. zu Heft 9, S. 14 f. = BB 2003, Sonderbeil. 4, S. 10; außerdem Hoffmann-Becking, WPg-Sonderheft 2001, S. 121, 125; Kiem, WM 2006, 1091, 1097; Martens, AG 2000, 301, 305 f.; Noack, ZHR 164 (2000), 274, 285 f.; J. Vetter, ZHR 168 (2004), 8, 15 f.; ders., AG 2006, 613, 624; M. Winter in Liber amicorum Happ, 2006, S. 363, 373. 22 So Bork in Lutter, UmwG, 3. Aufl. 2004, § 16 UmwG Rz. 22; Schwab in K. Schmidt/ Lutter, AktG, 2008, § 246a AktG Rz. 8; differenzierend Fuhrmann/Linnerz, ZIP 2004, 2306, 2308 f.; tendenziell zurückhaltender Schwanna in Semler/Stengel, UmwG, 2. Aufl. 2007, § 16 UmwG Rz. 37 ff. 23 S. etwa Schwab in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 246a AktG Rz. 5 m. w. N. 24 Ausführlicher J. Vetter in FS Maier-Reimer, 2010, S. 819 ff.; außerdem Schiessl/ Vetter in Börsen-Zeitung v. 24.2.2010, S. 2. 25 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/13098, S. 60 f. 26 Die Berücksichtigung allein der Interessen des Anfechtungsklägers und nicht aller in gleicher Weise von dem geltend gemachten Rechtsmangel betroffenen Aktionäre wollte der UMAG-Gesetzgeber bereits dem bisherigen Wortlaut der Interessenabwägungklausel entnehmen, s. Begründung des RegE UMAG, BR-Drucks. 3/05, S. 60 f. zu § 246a Abs. 2 AktG.
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sparungen verbunden. Auf der Gegenseite sind allein die wirtschaftlichen Interessen des am Freigabeverfahren beteiligten Anfechtungsklägers zu berücksichtigen. Wenn der Kläger – wie in der Praxis in aller Regel – insgesamt nur mit einem im Vergleich zum Grundkapital minimalen Anteil beteiligt ist, dürfte sich schon aus diesem Grund die Waagschale zugunsten der Gesellschaft neigen27. Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Anfechtungskläger trotz erfolgter Freigabe bei begründeter Anfechtungsklage nicht schutzlos gestellt ist. Nach § 246a Abs. 4 Satz 1 AktG ist ihm die Gesellschaft zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der ihm aus einer auf dem Beschluss beruhenden Eintragung des Hauptversammlungsbeschlusses entstanden ist. Es ist sachgerecht und konsequent, bei der Bewertung der dem Anfechtungskläger drohenden Nachteile auch mit zu berücksichtigen, ob und inwieweit diese Nachteile im Wege des Schadensersatzes ausgeglichen werden könnten28. Auf diesen Zusammenhang zwischen Schadensersatz und Nachteilsabwägung wird auch in der Gesetzesbegründung hingewiesen29. Gerade die aufgrund von Bewertungsfehlern denkbaren Nachteile würden vollständig im Wege des Schadensersatzes ausgeglichen werden können. (2) Zum anderen darf keine besondere Schwere des Rechtsverstoßes vorliegen. Maßgeblich sollen die Bedeutung der verletzten Norm und das Ausmaß der Rechtsverletzung sein. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses präzisieren weiter: „Keineswegs genügt schon jeder Fall der Beschlussnichtigkeit, es geht nur um Fälle, in denen es für die Rechtsordnung ‚unerträglich‘ wäre, den Beschluss ohne vertiefte Prüfung im Hauptsacheverfahren eintragen und umsetzen zu lassen. Dies kommt etwa in Betracht bei einer Verletzung elementarer Aktionärsrechte, die durch Schadensersatz nicht angemessen zu kompensieren wäre. … Um einen besonders schweren Rechtsverstoß festzustellen, muss in jedem Fall die Bedeutung der Norm sowie Art und Umfang des Verstoßes im konkreten Einzelfall bewertet werden. Es kann sich um gezielte und besonders grobe Verstöße handeln (vgl. § 148 Abs. 1 Nr. 3 AktG). Insbesondere formale Fehler, die möglicherweise von professionellen Klägern provoziert worden sind, können keinesfalls einen schweren Rechtsverstoß im
__________ 27 So auch Koch/Wackerbeck, ZIP 2009, 1603, 1607. 28 So wohl auch OLG Frankfurt/M. v. 23.2.2010 – 5 Sch 2/09, AG 2010, 596 ff.: „Ein relevantes wirtschaftliches Interesse an einer Versagung der Eintragung … ist auch nicht ersichtlich. Sollte die Antragsgegnerin mit ihrer Klage im Hauptsacheverfahren obsiegen, stünde ihr im Fall einer ‚Verwässerung‘ ihres Anteilsbesitzes gemäß § 246a Abs. 4 Satz 1 ein Anspruch auf vollständigen Schadensersatz zu.“ 29 S. Begr. des RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 41: „Durch diese abgestufte Regelung kann verhindert werden, dass Aktionäre mit sehr geringer Beteiligung durch den Vortrag von weniger bedeutenden Verstößen wichtige unternehmensstrukturelle Maßnahmen der Gesellschaft blockieren können. Diese Aktionäre, die mit ihrem Vorgehen auch keinen Rückhalt bei den übrigen Aktionären haben, da der Beschluss ansonsten nicht von der Hauptversammlung gefasst worden wäre, werden dadurch aber nicht rechtlos gestellt, sondern können die Rechtswidrigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses weiter verfolgen, aber nur noch mit dem Ziel auf Schadenersatz. Diese Regelung ist daher sehr viel schonender als eine Versagung des Anfechtungsrechts insgesamt.“
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Sinne der Vorschrift darstellen“30. Bei Bewertungsrügen ist eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes kaum denkbar. Insbesondere stellen die Gesetzesmaterialen ausdrücklich klar, dass auch im Hinblick auf das Ausmaß des Rechtsverstoßes zu berücksichtigen ist, inwieweit Nachteile des Klägers durch andere Sanktionen, insbesondere Schadensersatz ausgeglichen werden können31. Dass bei Bewertungsrügen keine Kassation des Hauptversammlungsbeschlusses erforderlich ist, zeigt sich auch daran, dass das Gesetz selbst für diese Rechtsmängel in den Fällen, in denen das Spruchverfahren eröffnet ist, die Bewertungsrüge nebst darauf bezogener Informationsmängel als Anfechtungsgründe ausgeschlossen und damit ein Wirksamwerden der Maßnahme trotz Vorliegens entsprechender Rechtsverstöße ermöglicht hat. b) Bezugsrechtsausschluss im Übrigen Nach § 186 Abs. 1 AktG steht jedem Aktionär bei einer Kapitalerhöhung grundsätzlich ein Bezugsrecht zu. Das Bezugsrecht ermöglicht den Aktionären, gegen ein zusätzliches Investment ihre bisherige mitgliedschaftliche Stellung einschließlich ihrer relativen Stimmkraft, etwaiger an Mindestbeteiligungsquoten geknüpfter Minderheitenrechte und ihrer relativen Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös zu erhalten. Zugleich stellt das Bezugsrecht eine Kompensation für eine etwaige Wertverwässerung dar, die dadurch entsteht, dass die neuen Aktien für eine unter dem bisherigen anteiligen, auf eine Aktie entfallenden Unternehmenswert ausgegeben werden. Das Bezugsrecht kann im Kapitalerhöhungsbeschluss mit qualifizierter Mehrheit ausgeschlossen werden, doch ist dazu eine sachliche Rechtfertigung erforderlich32. Die sachliche Rechtfertigung erfordert die Verfolgung eines im Interesse der Gesellschaft liegenden Zwecks; der Bezugsrechtsausschluss muss zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen/verhältnismäßig sein33. Welche Prognose lässt sich für die Auswirkungen einer behaupteten fehlenden sachlichen Rechtfertigung auf das Freigabeverfahren treffen? Auch insoweit dürften die Aussichten der Gesellschaft, im Freigabeverfahren Erfolg zu haben, vielversprechend sein: (1) Im Hinblick auf die Abwägung der wirtschaftlichen Nachteile für die Gesellschaft und ihre Aktionäre einerseits und den Anfechtungskläger andererseits gilt das oben unter a) (1) Ausgeführte entsprechend. Die Bewertungsrüge zielt auf die Unzulässigkeit einer Verwässerung des Werts des Anteils, soll den Kläger darüber hinaus aber auch vor einer Verwässerung seiner Beteiligung am Gewinn und – praktisch weniger relevant – am Liquidationserlös schützen. Es geht bei ihr im Kern um die angemessene Aufteilung der Vermögensrechte auf
__________ 30 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/13098, S. 61. 31 S. außerdem Begr. des RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, S. 41. 32 Grundlegend BGHZ 71, 40, 43 ff.; s. außerdem Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 186 AktG Rz. 25 m. w. N. 33 S. etwa Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 186 AktG Rz. 25 ff. m. w. N.
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Alt- und Neuaktionäre. Eine etwaige rechtswidrige Verwässerung dieser Vermögensrechte kann im Wege des Schadensersatzes ausgeglichen werden. Daneben besteht bei einem unterstellt rechtswidrigen Bezugsrechtsausschluss die Gefahr, dass rechtswidrig in die Verwaltungsrechte der Aktionäre eingegriffen wird. Auch dies wird grundsätzlich im Rahmen der wirtschaftlichen Interessenabwägung mit zu berücksichtigen sein. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Anfechtungskläger durch die Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss im Hinblick auf für ihn relevante Minderheitenrechte unter die für deren Ausübung maßgebliche Schwelle verwässert wird. Der bloßen Verwässerung des Stimmrechts eines nur marginal beteiligten Klägers wird man im Rahmen der wirtschaftlichen Interessenabwägung dagegen kein Gewicht beimessen können, sofern der Kläger auch schon vor der Kapitalerhöhung keine die Entscheidungen der Hauptversammlung beeinflussende Stimmenmacht hatte34. Selbst wenn der Anfechtungskläger durch die Kapitalerhöhung unter eine für die Ausübung von Minderheitsrechten relevante Schwelle verwässert wird, ist zu berücksichtigen, ob der Kläger die Möglichkeit hätte, mit einem Investitionsbetrag, der für die Ausübung des Bezugsrechts erforderlich gewesen wäre, zuzüglich eines etwaigen Schadensersatzes seine Stimmrechtsverwässerung durch Zukauf weiterer Aktien über die Börse auszugleichen. Dies wird bei einem ausreichend liquiden Handel in den Aktien des Bieters anzunehmen sein. Die Liquidität der Bieteraktie ist bereits Voraussetzung für die Zulässigkeit des Umtauschangebots35; durch das Umtauschangebot wird die Liquidität typischerweise noch erhöht. Auch im Hinblick auf den Vorwurf eines rechtswidrigen Bezugsrechtsausschlusses wird die Abwägung der wirtschaftlichen Interessen daher typischerweise zugunsten der Gesellschaft ausgehen. (2) Auch die Annahme einer besonderen Schwere des Rechtsverstoßes ist bei einem Bezugsrechtsausschluss zur Durchführung eines Umtauschangebots kaum vorstellbar, sofern die Gesellschaft sich nicht bewusst über alle Berichtserfordernisse hinwegsetzt. Zwar mag das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Bezugsrechtsausschlusses im Einzelfall schwierig zu bestimmen sein36, doch ist ein Mangel des Bezugsrechtsausschlusses von der Bedeutung her keinem Nichtigkeitsgrund vergleichbar. Im Übrigen ist zu beachten, dass nach der Formulierung des Gesetzes der schwere Rechtsverstoß
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34 S. auch Martens, ZIP 1992, 1677, 1690 ff., Krieger in Münch. Hdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 56 Rz. 79, nach denen ein Bezugsrechtsausschluss für die Aktionäre einer Publikumsgesellschaft regelmäßig kein spürbarer Nachteil ist, solange keine Minderheitsquoten in Gefahr geraten und ein kursnaher Ausgabebetrag sichergestellt ist. 35 Das Liquiditätserfordernis des § 31 Abs. 2 WpÜG soll es dem Aktionär der Zielgesellschaft gerade ermöglichen, die erworbenen Bieteraktien ohne weiteres wieder veräußern zu können; s. etwa Kremer/Osterhaus in KölnKomm.WpÜG, 2003, § 31 WpÜG Rz. 26 m. w. N.; zu den Anforderungen an die Liquidität auch Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 31 WpÜG Rz. 48 f. m. w. N. 36 Zu einem Überblick über Anforderungen und Meinungsstand Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 186 AktG Rz. 25 ff.; Krieger in Münch. Hdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 56 Rz. 75 ff.
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nicht nur glaubhaft gemacht werden, sondern objektiv vorliegen muss37. Gerade bei einer öffentlichen Übernahme dürften die Voraussetzungen für einen Bezugsrechtsausschluss im Zweifel vorliegen; jedenfalls bei Sachkapitalerhöhungen sollte dem Vorstand ein weites unternehmerisches Ermessen im Hinblick auf das Interesse am Erwerb der Sache und der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit des Bezugsrechtsausschlusses eingeräumt werden38. Gerade bei Übernahmeangeboten ist eine Barkapitalerhöhung zur Beschaffung der erforderlichen Gegenleistung häufig nicht praktikabel, da der benötigte Betrag im Vorhinein nicht feststeht39. Zwar könnten die Restrisiken in der Theorie dadurch gemindert werden, dass eine gemischte Bar-/Sachkapitalerhöhung durchgeführt wird und den Altaktionären so ein Bezugsrecht eingeräumt wird. Es ist allerdings genau zu prüfen, welche Auswirkungen dies auf den Börsenkurs des Bieters, die Akzeptanz des Angebots und die praktische Durchführung des Angebots einschließlich der Erstellung der Angebotsunterlage unter Beachtung der wertpapierprospektrechtlichen Vorgaben haben würde. Schließlich ist auch im Hinblick auf die Schwere des Nachteils zu berücksichtigen, ob die Nachteile aufgrund des behaupteten Rechtsmangels im Wege des Schadensersatzes und/oder durch Zukauf von Aktien ausgeglichen werden können, was in Übernahmesituationen typischerweise der Fall ist. 4. „Bis-zu-Kapitalerhöhungsbeschluss“ Im Zeitpunkt des Kapitalerhöhungsbeschlusses zur Ermöglichung eines Umtauschangebots ist noch nicht erkennbar, um welchen exakten Betrag das Grundkapital erhöht werden soll. Dies hängt vielmehr von der Annahme des Angebots durch die Aktionäre der Zielgesellschaft ab. Im Kapitalerhöhungsbeschluss ist daher vorzusehen, dass das Grundkapital um bis zu X Euro erhöht werden soll. X ist derjenige Betrag, der benötigt würde, wenn das Übernahmeangebot von allen Aktionären der Zielgesellschaft, an die sich das Angebot richtet, angenommen wird. Dass solche „Bis-zu-Kapitalerhöhungsbeschlüsse“ zulässig sind, ist unbestritten40. Fraglich ist allein, ob in dem
__________ 37 So ausdrücklich auch Koch/Wackerbeck, ZIP 2009, 1603, 1697. 38 Zutreffend allg. für Sachkapitalerhöhungen Krieger in Münch. Hdb. AG, 3. Aufl. 2007, § 56 Rz. 85; im Erg. ebenso für Sachkapitalerhöhungen, die nicht die Abhängigkeit des Bieters begründen, Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 82; enger dagegen eine verbreitete Auffassung in der Literatur, s. etwa Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 186 AktG Rz. 34; Peifer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 186 AktG Rz. 90; Wiedemann in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 168 ff. 39 Verbreitet, aber nicht überzeugend wird ein Bezugsrechtsausschluss zur Ermöglichung einer Barkapitalerhöhung nur dann für zulässig gehalten, wenn der Gegenstand der Sacheinlage nicht durch einen durch eine Barkapitalerhöhung finanzierten Barkaufpreis erworben werden kann, s. etwa Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 186 AktG Rz. 34; Peifer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 186 AktG Rz. 90; Wiedemann in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 168. 40 S. nur OLG München, NZG 2009, 1274; LG Hamburg, AG 1995, 92 f.; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 182 AktG Rz. 12; Peifer in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2005, § 182 AktG Rz. 36; Albrecht/Lange, BB 2010, 142.
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Kapitalerhöhungsbeschluss eine Frist für die Durchführung der Kapitalerhöhung bestimmt werden muss. Dies wird teilweise mit dem Argument verlangt, die Hauptversammlung selbst müsse die wesentlichen Punkte der Kapitalerhöhung festlegen; ohne Vorgabe einer Durchführungsfrist würden die Grenzen zwischen ordentlicher Kapitalerhöhung und genehmigtem Kapital verwischt41. Die Frage muss hier nicht entschieden werden. Für die Praxis empfiehlt sich die Aufnahme einer Durchführungsfrist aus mehreren Gründen. Zum einen wird das vorbeschriebene Anfechtungsrisiko vermieden. Zum anderen wird der Verwaltung dadurch Flexibilität eingeräumt, den finalen Kapitalerhöhungsbetrag erst nach Ablauf der Annahmefrist zu bestimmen. Enthält der Kapitalerhöhungsbeschluss keine Durchführungsfrist, wird verbreitet verlangt, dass die Kapitalerhöhung unverzüglich umgesetzt werden muss42. Als zulässige Durchführungsfrist werden bis zu sechs Monate angenommen43. Angesichts der bei Kapitalerhöhungen bestehenden Anfechtungsrisiken ist diese Frist, sofern nicht Abweichendes im Beschluss bestimmt ist, ab Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses und nicht ab Beschlussfassung zu berechnen44. Erst mit der Eintragung wird der Beschluss einschließlich Durchführungsfrist wirksam. Dafür spricht auch der Zweck der Frist, die Abgrenzung zum genehmigten Kapital, das ja ebenfalls erst nach Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister ausgeübt werden kann. Eine solche Frist reicht zur Bedienung des Umtauschangebots ohne Weiteres aus.
III. Übernahmerechtliche Aspekte 1. Überblick und Präzedenzfälle Nachfolgend sollen zwei übernahmerechtliche Aspekte angesprochen werden, die für die Synchronisierung von Aktien- und Übernahmerecht von Bedeutung sind. Zum einen geht es um die Anforderungen des § 13 WpÜG, der vom Bieter vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage verlangt, die notwendigen Maßnahmen zur Erfüllung des Angebots zu treffen (hierzu nachfolgend unter 2.).
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41 LG Hamburg, AG 1995, 92, 93; Bähr, AG 1995, 93, 94; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 182 AktG Rz. 14; Servatius in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 182 AktG Rz. 44; Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 182 AktG Rz. 16; a. A. Albrecht/Lange, BB 2010, 142; wohl auch Wiedemann in Großkomm.AktG, 4. Aufl. 1994, § 182 AktG Rz. 55; Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1994, § 182 AktG Rz. 17. 42 S. nur Albrecht/Lange, BB 2010, 142, 143; Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 182 AktG Rz. 14; Kossmann/Heinrich, Der Konzern 2010, 27, 29; Peifer in MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2005, § 182 AktG Rz. 37; Servatius in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 182 AktG Rz. 43. 43 Kossmann/Heinrich, Der Konzern 2010, 27, 30 f.; Lutter in KölnKomm.AktG, 2. Aufl. 1994, § 182 AktG Rz. 17; Servatius in Spindler/Stilz, AktG, 2007, § 182 AktG Rz. 44; Veil in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, § 182 AktG Rz. 16; Seibt/Voigt, AG 2009, 133, 135 (regelmäßig 6, ausnahmsweise 6 bis 9 Monate); Peifer in MünchKomm. AktG, 2. Aufl. 2005, § 182 AktG Rz. 37 (3 bis 6 Monate). 44 So auch Kossmann/Heinrich, Der Konzern 2010, 27, 30 ff.; ausdrücklich war der Fristbeginn an die Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses geknüpft im Kapitalerhöhungsbeschluss der IKB vom März 2008, s. Einladung zur Hauptversammlung im elektronischen Bundesanzeiger v. 18.2.2008.
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Zum anderen soll überlegt werden, wie der Bieter mit dem theoretischen Restrisiko eines Unterliegens im Freigabeverfahren, das trotz der unter II. beschriebenen deutlichen Verbesserung der Rechtslage nicht zu 100 % ausgeschlossen werden kann, umgehen kann (hierzu nachfolgend unter 3. und 4.). Bevor auf diese Fragen näher eingegangen wird, sollen zwei Präzedenzfälle, bei denen die zur Erfüllung des Umtauschangebots erforderlichen Aktien im Wege eines Hauptversammlungsbeschlusses geschaffen wurden, skizziert werden, da sie einen Einblick geben, wie die BaFin in der Vergangenheit mit der Abstimmung von Aktien- und Übernahmerecht bei der Schaffung der neuen Aktien umgegangen ist. a) Öffentliches Umtauschangebot der media[netCom] AG an die Aktionäre der INTERNOLIX AG Die media[netCom] AG („media[netCom]“) veröffentlichte am 27.6.2002 ein öffentliches Umtauschangebot an die Aktionäre der INTERNOLIX Aktiengesellschaft Electronic Business Software & Solutions („INTERNOLIX“), das zwischen dem 2.7.2002 und dem 10.9.2002 angenommen werden konnte. Als Gegenleistung für eine INTERNOLIX-Aktie wurde eine Aktie der media[netCom] angeboten. Die neuen media[netCom]-Aktien waren im Wege eines bedingten Kapitals gemäß § 192 Abs. 2 Nr. 2 AktG durch Hauptversammlungsbeschluss vom 28.5.2002 geschaffen worden45. Im Hinblick auf die hier interessierende Problematik steht das bedingte Kapital einer ordentlichen Kapitalerhöhung gleich. Das Angebot stand unter der aufschiebenden Bedingung, dass der Beschluss über die Schaffung des bedingten Kapitals spätestens am 6.9.2002, also kurz vor Ablauf der Annahmefrist in das Handelsregister eingetragen wird. INTERNOLIX-Aktionären standen Rücktrittsrechte nur während der Annahmefrist zu. Zum Umtausch eingereichte INTERNOLIXAktien wurden unter eigener WKN- und ISIN-Nummer notiert. b) Öffentliches Umtauschangebot der Delta Beteiligungen AG an die Aktionäre der Beta Systems Software AG Die Delta Beteiligungen Aktiengesellschaft („Delta“) veröffentlichte am 21.2.2006 ein Umtauschangebot an die Aktionäre der Beta Systems Software Aktiengesellschaft („Beta Systems“), das in der Zeit zwischen dem 22.2. und 22.3.2006 angenommen werden konnte. Als Gegenleistung waren für jede Beta Systems-Aktie 1,75 Delta-Aktien und eine bare Zuzahlung in Höhe von 1,50 Euro vorgesehen. Delta hatte zwar ein genehmigtes Kapital; dieses hätte jedoch nicht ausgereicht, wenn alle Beta Systems-Aktionäre das Angebot angenommen hätten. Am 7.2.2006 wurde daher eine Bis-zu-Sachkapitalerhöhung in ausreichender Höhe beschlossen. Gegen diesen Beschluss hatten einige
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45 Am gleichen Tag war eine Sachkapitalerhöhung der media[netCom] beschlossen worden, durch die verschiedene Aktionäre der INTERNOLIX Aktien in die media[netCom] einbringen konnte. Die damit verbundenen Besonderheiten werden hier vernachlässigt.
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Aktionäre Widerspruch eingelegt. Das Angebot sah als aufschiebende Bedingung unter anderem vor, dass der Sachkapitalerhöhungsbeschluss bis zum 15.9.2006, also knapp sechs Monate nach Ablauf der Annahmefrist, in das Handelsregister eingetragen wird. Als weitere aufschiebende Bedingung war vorgesehen, dass auch die Durchführung dieser Sachkapitalerhöhung bis zu diesem Zeitpunkt in das Handelsregister eingetragen wird. Den Beta Systems-Aktionären standen lediglich die im WpÜG vorgesehenen Rücktrittsrechte zu; nach Ablauf der Annahmefrist bestand kein Rücktrittsrecht mehr. Zum Umtausch eingereichte Beta Systems-Aktien wurden bis zur Abwicklung des Angebots unter einer eigenen ISIN-Nummer an der Börse gehandelt. 2. Treffen der für die Erfüllung des Angebots notwendigen Maßnahmen (§ 13 WpÜG) Nach § 13 Abs. 1 WpÜG hat der Bieter vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage für ein Erwerbs-, Übernahme- oder Pflichtangebot die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass ihm die zur Erfüllung des Angebots notwendigen Mittel bei Fälligkeit zur Verfügung stehen. Diese Bestimmung ist auch auf Umtauschangebote anwendbar46. Dies ergibt sich unabhängig vom Zweck der Vorschrift schon aus Abs. 1 Satz 2, der eine Sondervorschrift für Barangebote enthält und damit den Rückschluss zulässt, dass Satz 1 nicht auf Barangebote beschränkt ist. Fraglich ist allerdings, was der Bieter vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage zu unternehmen hat: Muss der Bieter zur Hauptversammlung, die die Kapitalerhöhung beschließen soll, eingeladen haben, muss der Kapitalerhöhungsbeschluss bereits gefasst worden sein, muss er in das Handelsregister eingetragen worden sein, muss die Kapitalerhöhung bereits durch Eintragung ihrer Durchführung wirksam geworden sein oder ist nichts von alledem erforderlich? (1) Ein Wirksamwerden der Durchführung der Kapitalerhöhung kann nicht verlangt werden47. Dies wäre praktisch gar nicht möglich, da bei der Anmeldung der Durchführung der Kapitalerhöhung gemäß §§ 188 Abs. 2, 36a Abs. 2 AktG die Sacheinlage bereits vollständig erbracht sein muss. Dies ist vor dem Ablauf der Annahmefrist nicht möglich. Auch die Anmeldung der Durchführung der Kapitalerhöhung vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage kann aus diesem Grund nicht verlangt werden48. Nach dem klaren Wortlaut des § 13 Abs. 1 WpÜG ist gerade nicht erforderlich, dass die notwendigen Mittel bei der Abgabe des Angebots schon zur Verfügung stehen; es müssen vielmehr lediglich die notwendigen Maßnahmen getroffen worden sein, damit die Mit-
__________ 46 Wohl unstr., s. bereits Begr. des RegE, BT-Drucks. 14/7034, S. 44 = ZIP 2001, 1262, 1272; außerdem etwa Busch, AG 2002, 154, 147; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 13 WpÜG Rz. 1, 16; Möllers in KölnKomm.WpÜG, 2003, § 13 WpÜG Rz. 39; Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 13 WpÜG Rz. 3. 47 So ausdrücklich auch Wackerbarth in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 13 WpÜG Rz. 13; Geibel in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 18 WpÜG Rz. 56. 48 A. A. Thoma/Stöcker in Baums/Thoma, WpÜG, § 18 WpÜG Rz. 103.
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tel im Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs auf die Gegenleistung bereitstehen. (2) Auch die Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses in das Handelsregister kann mit der ganz h. M. vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage nicht verlangt werden49. Eine solche Eintragung wäre angesichts der bestehenden Anfechtungsrisiken praktisch nicht möglich. Haben Aktionäre Widerspruch gegen den Hauptversammlungsbeschluss eingelegt, wartet das Handelsregister trotz fehlender gesetzlicher Registersperre typischerweise jedenfalls den Ablauf der Anfechtungsfrist ab. Wird Anfechtungsklage erhoben, ist das Risiko hoch, dass es die Gesellschaft auf das Freigabeverfahren verweisen wird. Würde man die (bestandskräftige) Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses verlangen, wären Umtauschangebote durch deutsche Aktiengesellschaften im Gegensatz und in Benachteiligung zu ausländischen konkurrierenden Bietern praktisch kaum möglich. Mit dem Erfordernis, die Verfügbarkeit der notwendigen Mittel „sicherzustellen“, wird gerade keine einhundertprozentige Sicherheit verlangt50. Letztlich zeigt auch die Möglichkeit, in die Angebotsunterlage Bedingungen nach § 18 WpÜG aufzunehmen, dass die letzte Sicherheit über die Durchführung und Durchführbarkeit des Angebots vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage nicht immer zu erreichen ist. Steht das Angebot unter der aufschiebenden Bedingung eines Hauptversammlungsbeschlusses der Bietergesellschaft gem. §§ 18, 25 WpÜG, ist anerkannt, dass lediglich die Beschlussfassung und nicht eine etwa erforderliche Eintragung des Beschlusses bis zu der von § 25 WpÜG gezogenen zeitlichen Grenze (fünf Werktage vor Ablauf der Annahmefrist) erfolgen muss51. Auch bei den Übernahmeangeboten Media[netCom]/INTERNOLIX und Delta/Beta Systems war vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage der Kapitalerhöhungsbeschluss lediglich gefasst, aber noch nicht im Handelsregister eingetragen worden. (3) Fraglich ist, ob der Hauptversammlungsbeschluss bereits vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage gefasst werden muss. Nach §§ 18 Abs. 1, 25 WpÜG kann der Bieter das Angebot unter die Bedingung eines Beschlusses seiner Gesellschafterversammlung stellen. Daraus wird teilweise abgeleitet, dass ein solcher Beschluss auch der zur Schaffung der angebotenen Aktien erforderliche Kapitalerhöhungsbeschluss sein könne52. In der Tat ist fraglich, warum die von § 25 WpÜG vorausgesetzte Möglichkeit, den Hauptversamm-
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49 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 13 WpÜG Rz. 67 f.; Möllers in KölnKomm.WpÜG, 2003, § 13 WpÜG Rz. 57; Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 13 WpÜG Rz. 5; a. A. lediglich Wackerbarth in MünchKomm.AktG, 2. Aufl. 2004, § 13 WpÜG Rz. 13, der die Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses fordert. 50 So ausdrücklich etwa Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 13 WpÜG Rz. 33 m. w. N. 51 So ausdrücklich die Begr. des RegE zu § 25 WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S. 51 = ZIP 2001, 1262, 1280. 52 Busch, AG 2002, 145, 148; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 405; wohl auch Hasselbach in KölnKomm.WpÜG, 2003, § 18 WpÜG Rz. 55, 58, 65, der allerdings einen Verstoß gegen § 13 Abs. 1 Satz 1 WpÜG annimmt, wenn die Erteilung der Zustimmung der Gesellschafter weitgehend unsicher ist.
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lungsbeschluss als Bedingung des Angebots vorzusehen, gerade nicht für den Kapitalerhöhungsbeschluss als den praktisch wichtigsten Fall eines Hauptversammlungsbeschlusses gelten soll. Die h. M. verlangt trotzdem, dass der Hauptversammlungsbeschluss vorher gefasst worden ist53. Praktisch möglich ist dies auch bei den für deutsche börsennotierte Aktiengesellschaften geltenden Einberufungsfristen des § 123 AktG, obwohl die Einladung aus insiderrechtlichen Gründen und zur Vermeidung einer Verteuerung des Angebots erst nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots veröffentlicht werden kann. Nach § 123 Abs. 1 und 2 AktG muss die Hauptversammlung regelmäßig am 37. Tag vor der Hauptversammlung einberufen werden; etwa zwei Werktage vorher muss die vollständige Einladung an den Bundesanzeiger übermittelt werden. Die lediglich vierwöchige Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 WpÜG zwischen der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe eines Angebots und der Einreichung der Angebotsunterlage und die Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung der Angebotsunterlage nach Gestattung oder Ablauf der Zehntagesfrist des § 14 Abs. 2 Satz 1 WpÜG stehen dem nicht entgegen. Zwar wird die BaFin das Vorliegen der Voraussetzungen des § 13 WpÜG im Rahmen ihrer Prüfung der Angebotsunterlage mitberücksichtigen, so dass alle Erfordernisse vor der Gestattung bzw. dem Fristablauf des § 14 Abs. 2 Satz 1 WpÜG vorliegen müssen. Innerhalb der Regelfrist von vier Wochen und der anschließenden Prüfungsperiode könnte der Hauptversammlungsbeschluss nicht gefasst werden. Der Bieter kann jedoch einen Antrag auf Verlängerung der Frist zur Übermittlung der Angebotsunterlage nach § 14 Abs. 1 Satz 3 WpÜG auf circa acht Wochen stellen. Der Fall, dass beim Umtauschangebot Wertpapiere als Gegenleistung angeboten werden sollen und dazu noch eine Sachkapitalerhöhung erforderlich ist, ist als Fallgruppe für eine Fristverlängerung nach § 14 Abs. 1 Satz 3 WpÜG in den Gesetzesmaterialien54 und der Literatur55 anerkannt. Für die Praxis ist die Frage geklärt. Die BaFin hat bisher verlangt, dass vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage der Kapitalerhöhungsbeschluss gefasst worden ist. Dies war auch in den beiden Übernahmeangeboten media[netCom]/ INTERNOLIX und Delta/Beta Systems jeweils der Fall. Für die Praxis kann dies eine Verlängerung des Prozesses um drei bis vier Wochen bedeuten, sofern diese Zeit nicht von vornherein für die Erstellung der bei Umtauschangeboten recht umfangreichen Angebotsunterlage eingeplant wird. Das Erfordernis, den Kapitalerhöhungsbeschluss bereits vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage zu fassen, begründet dagegen kein Transaktionshindernis.
__________ 53 Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 13 WpÜG Rz. 67 f.; Marsch-Barner in Baums/Thoma, WpÜG, § 13 WpÜG Rz. 38; Möllers in KölnKomm. WpÜG, 2003, § 13 WpÜG Rz. 57; Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 13 WpÜG Rz. 5; Geibel in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 18 WpÜG Rz. 56; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, WpÜG, 2. Aufl. 2007, § 13 WpÜG Rz. 6; Veranneman/Gärtner, AG 2009, 648, 650 f. 54 Begr. des Finanzausschusses, BT-Drucks. 14/7477, S. 67. 55 S. nur Seydel in KölnKomm.WpÜG, 2003, § 14 WpÜG Rz. 31.
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Die Fassung des Kapitalerhöhungsbeschlusses ist danach notwendige, aber auch hinreichende Bedingung. § 13 Abs. 1 Satz 1 WpÜG fordert darüber hinaus nicht, dass die Eintragung unmittelbar bevorsteht oder unzweifelhaft sein muss. Ein Widerspruch gegen den Hauptversammlungsbeschluss oder der Eingang einer Anfechtungsklage schließen die Erfüllung des § 13 Abs. 1 Satz 1 WpÜG nicht aus56. 3. Zum Schutz des Bieters erforderliche Bedingungen (§ 18 WpÜG) a) Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses Nach ganz h. M. ist die bestandskräftige Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses in das Handelsregister eine zulässige Bedingung nach § 18 Abs. 1 WpÜG57. Bedenken hiergegen bestehen nicht. Insbesondere das von Wackerbarth vorgebrachte Argument, der Bieter habe den Eintritt der Bedingung in der Hand, da er das Verfahren der Eintragung betreiben könne, überzeugt nicht. Eine treuwidrige und damit rechtswidrige Verhinderung des Eintritts der Bedingung ist auch bei anderen Bedingungen, z. B. der Kartellbedingung, in der Theorie denkbar. Entscheidend ist, dass der Bieter nicht berechtigt ist, den Bedingungseintritt zu vereiteln. § 162 BGB ist anwendbar. Für die Zulässigkeit einer solchen Bedingung spricht auch § 25 WpÜG, der sogar die Fassung eines Hauptversammlungsbeschlusses auf Seiten des Bieters als zulässige Bedingung anerkennt. Bei der Formulierung der Bedingung sollte im Interesse des Bieters, aber auch der das Angebot annehmenden Aktionäre der Zielgesellschaft darauf geachtet werden, dass eine bestandskräftige Eintragung sichergestellt wird. Es ist daher darauf abzustellen, dass entweder keine Anfechtungsklage erhoben oder die Eintragung gerichtlich im Freigabeverfahren angeordnet worden ist. Bei einer ohne Freigabeverfahren erreichten Eintragung sind dagegen die Rechtsfolgen eines Erfolgs der Anfechtungsklage nach wie vor nicht ausreichend geklärt58. Angesichts der heute einzurechnenden Dauer eines Freigabeverfahrens von etwa fünf bis sechs, theoretisch aber auch etwas mehr Monaten ab dem Hauptversammlungsbeschluss muss berücksichtigt werden, dass die Bedingung erst einige Monate nach dem Ablauf der Annahmefrist erfüllt wird. Das WpÜG enthält keine ausdrückliche Regelung dazu, bis wann eine Bedingung eingetreten sein muss. Aus dem Beschleunigungsgrundsatz des § 3 Abs. 4 WpÜG und der Sonderregel des § 25 WpÜG wird aber abgeleitet, dass die Bedingung regelmäßig so ausgestaltet sein müsse, dass über ihren Eintritt oder Ausfall vor Ab-
__________ 56 A. A. Marsch-Barner in Baums/Thoma, WpÜG, § 13 WpÜG Rz. 38; dagegen zu Recht Süßmann in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 13 WpÜG Rz. 5 Fn. 11. 57 So etwa Busch, AG 2002, 154, 147 f.; Hopt, ZHR 166 (2002), 383, 405; Hasselbach in KölnKomm.WpÜG, 2003, § 18 WpÜG Rz. 58; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, § 18 WpÜG Rz. 71 m. w. N.; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, WpÜG, 2. Aufl. 2007, § 18 WpÜG Rz. 22; a. A. wiederum nur Wackerbarth in MünchKomm.AktG, § 18 WpÜG Rz. 38. 58 Zu Nachw. s. Fn. 6.
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lauf der Annahmefrist Klarheit bestehe59. Allerdings seien Ausnahmen anzuerkennen, wenn der Bedingungseintritt vor Ablauf der Annahmefrist nicht sicher zu erreichen sei; in diesen Fällen müsse eine die Interessen des Bieters und der Zielgesellschaft und ihrer Aktionäre angemessen berücksichtigende längere Frist zugelassen werden60. Diese Voraussetzungen liegen im Hinblick auf die bestandskräftige Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses vor61. Pauschale zeitliche Begrenzungen, beispielsweise auf drei Wochen nach Ablauf der Annahmefrist, lassen sich dabei nicht rechtfertigen62. Zweckmäßig ist ein Zeitraum von etwa sechs Monaten nach Ablauf der Annahmefrist. Auch die Einholung der erforderlichen Kartellfreigaben kann im Einzelfall längere Zeit in Anspruch nehmen. So war im Umtauschangebot UniCredit/HVB als aufschiebende Bedingung die Erteilung der Kartellfreigabe bis zum 30.4.2006 vorgesehen; die ursprüngliche Annahmefrist sollte am 24.10.2005 enden. Auch das gemischte Bar-/Umtauschangebot von UCB an die Aktionäre der Schwarz Pharma sah als Bedingung vor, dass die kartellrechtliche Freigabe innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf der Annahmefrist erteilt worden ist. Beim Umtauschangebot media[netCom]/INTERNOLIX war noch vorgesehen, dass die aufschiebende Bedingung der Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses bis kurz vor Ablauf der Annahmefrist erfüllt wird. Beim Umtauschangebot Delta/Beta Systems hatte die BaFin dagegen nicht beanstandet, dass die Frist für den Eintritt dieser Bedingung erst knapp sechs Monate nach Ablauf der Annahmefrist endet. Der Bieter muss bei solchen nachlaufenden Fristen für den Bedingungseintritt allerdings beachten, dass die Frist für den Eintritt anderer Bedingungen, insbesondere das Ausbleiben wesentlicher Verschlechterungen (Material Adverse Change), nach h. M. und Praxis der BaFin bereits mit Ablauf der Annahmefrist
__________ 59 Hasselbach in KölnKomm.WpÜG, 2003, § 18 WpÜG Rz. 68; Krause in Assmann/ Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 18 WpÜG Rz. 108; Geibel in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 18 WpÜG Rz. 62. 60 Geibel in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 18 WpÜG Rz. 62 ff.; Hasselbach in KölnKomm.WpÜG, 2003, § 18 WpÜG Rz. 68; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 18 WpÜG Rz. 109 f.; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, WpÜG, 2. Aufl. 2007, § 18 WpÜG Rz. 33. 61 Gerade die Abwehr von Anfechtungsklagen gegen den Kapitalerhöhungsbeschluss wird als ein solcher Ausnahmefall anerkannt, so ausdrücklich Steinhardt in Steinmeyer/Häger, WpÜG, 2. Aufl. 2007, § 18 WpÜG Rz. 33; Geibel in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 18 WpÜG Rz. 62; jedenfalls seit der Beschleunigung des Freigabeverfahrens durch das ARUG nicht überzeugend ist allerdings seine Aussage in Rz. 64, die Frist für den Bedingungseintritt bei Anfechtungsklagen gegen den Hauptversammlungsbeschluss könne nicht bis zur Beendigung des Freigabeverfahrens festgesetzt werden, es sei denn, die Kartellfreigabe sei ebenfalls noch ausstehend; a. A. (Bedingungseintritt bis Ablauf der Annahmefrist) dagegen wohl Thoma in Baums/ Thoma, WpÜG, § 14 WpÜG Rz. 40; Thoma/Stöcker in Baums/Thoma, WpÜG, § 18 WpÜG Rz. 101. 62 So zu Recht Geibel in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 18 WpÜG Rz. 64 (a. A. noch die Voraufl.); Steinhardt in Steinmeyer/Häger, WpÜG, 2. Aufl. 2007, § 18 WpÜG Rz. 33; a. A. Noack in Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 3. Aufl. 2004, § 18 WpÜG Rz. 6; Scholz in Frankfurter Komm. WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 18 WpÜG Rz. 66.
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enden muss63, der Bieter ab diesem Zeitpunkt also nicht mehr durch diese andere Bedingung geschützt wird. b) Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung Zweckmäßigerweise sollte als aufschiebende Bedingung nicht nur die Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses, sondern auch die Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung vorgesehen werden64. Regelmäßig kann die Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung recht kurzfristig erfolgen. In der Theorie nicht auszuschließen ist allerdings, dass ein Aktionär versucht, die Eintragung im Wege einer einstweiligen Verfügung zu verhindern. Besondere Bedeutung hat dies bei der Schaffung der neuen Aktien durch Ausnutzung eines genehmigten Kapitals. Die BaFin hat auch diese Bedingung im Umtauschangebot Delta/Beta Systems nicht beanstandet. Wird das Angebot unter die aufschiebende Bedingung der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung gestellt, erübrigt sich die zusätzliche, in Angeboten ausländischer Bieter65 häufig anzutreffende Bedingung, dass die grundsätzlich erforderliche Wertprüfung durch einen unabhängigen Prüfer (§ 183 Abs. 3 AktG) von diesem bestätigt worden ist66. c) Börsenzulassung der neuen Aktien Dieser Beitrag befasst sich nicht mit den wertpapierprospektrechtlichen Anforderungen an ein Umtauschangebot. Dazu nur die folgenden kurzen Hinweise: Sowohl ein öffentliches Angebot von Aktien als auch die Zulassung von Aktien zum Handel an einem organisierten Markt lösen grundsätzlich die Verpflichtung aus, einen Wertpapierprospekt zu veröffentlichen (§ 3 Abs. 1 und 3 WpPG); ein einheitlicher Verkaufs- und Zulassungsprospekt ist möglich und in der Praxis üblich. Typischerweise nutzen die Bieter die Möglichkeit des § 4 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 WpPG, wonach ein separater Prospekt nicht erforderlich ist, wenn die Angebotsunterlage einem Prospekt gleichwertige Angaben enthält. Dies liegt auch deshalb nahe, weil § 2 Nr. 2 WpÜG-AngebV für Umtauschangebote ohnehin die nach § 7 WpPG i. V. m. den zugrunde liegenden europäischen Vorgaben für den Inhalt von Wertpapierprospekten erfor-
__________ 63 S. etwa Geibel in Geibel/Süßmann, WPüG, 2. Aufl. 2008, § 18 WpÜG Rz. 47 f. 62; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 18 WpÜG Rz. 93. 64 So ausdrücklich auch Busch, AG 2002, 154, 147, auch zur entsprechenden Verwaltungspraxis zu Art. 9 des Übernahmekodexes vom 11.7.1995; Geibel in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 18 WpÜG Rz. 56; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, WpÜG, 2. Aufl. 2007, § 18 WpÜG Rz. 22. 65 So hat beispielsweise UniCredit im Umtauschangebot an die Aktionäre der HVB als Bedingung eine Werthaltigkeitsbescheinigung durch eine WP-Gesellschaft innerhalb von zwei Wochen nach dem Eintritt der Bedingungen (bzw. dem Verzicht auf Bedingungen) vorgesehen. 66 Eine solche Prüfung kann in Zukunft bei der Einbringung von Wertpapieren unter bestimmten Voraussetzungen nach dem durch das ARUG eingeführten § 183a AktG verzichtbar sein.
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derlichen Angaben verlangt. Die Billigung des Wertpapierprospekts durch die BaFin nach § 13 WpPG muss daher nicht als Bedingung in das Angebot aufgenommen werden. Der Handel der neuen Aktien an einem regulierten Markt einer deutschen Börse bedarf der Zulassung durch die Geschäftsführung der Börse (§ 32 Abs. 1 BörsG). Fraglich ist, ob auch der Börsenzulassungsbeschluss zu einer aufschiebenden Bedingung gemacht werden sollte. Deutsche Börsen lassen Aktien erst dann zu, wenn die Aktien bereits rechtlich existent sind, die Durchführung der Kapitalerhöhung also in das Handelsregister eingetragen worden ist67. Dies ergibt sich bereits aus den dem Zulassungsantrag gemäß § 48 Abs. 2 BörsZulV beizufügenden Unterlagen, beispielsweise dem Nachweis über die Aktienurkunden. Zwar ist die Zulassung im Grundsatz eine gebundene Entscheidung und der Bieter hat die Zulassung durch ordnungsgemäße Vorbereitung selbst in der Hand. Entsprechendes gilt aber auch für Handelsregistereintragungen. § 31 Abs. 2 Satz 1 WpÜG verlangt zum Schutz der Aktionäre der Zielgesellschaft, dass die angebotenen Aktien zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind68. Nicht nur im Interesse des Bieters, sondern gerade auch der Aktionäre der Zielgesellschaft sollte rechtsverbindlich durch eine aufschiebende Bedingung sichergestellt werden, dass das Angebot nur vollzogen wird, wenn die Aktien auch tatsächlich zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind. Die Zulässigkeit einer solchen aufschiebenden Bedingung entspricht ganz einhelliger Auffassung69 und ergibt sich mittelbar aus dem Hinweis des Gesetzgebers, dass die nach § 31 Abs. 2 WpÜG zu gewährenden Aktien auch erst zu diesem Zeitpunkt zum Handel auf einem regulierten Markt zugelassen sein müssen70. Eine Praxis der BaFin im Hinblick auf die Zulassung dieser Bedingung ist allerdings noch nicht erkennbar; die beiden unter III. 1. a) und b) beschriebenen Umtauschangebote enthielten keine derartige Bedingung.
__________ 67 Zur früheren Rechtslage ausdrücklich Busch, AG 2002, 145, 148; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 18 WpÜG Rz. 73. 68 Organisierter Markt i. S. d. § 31 WpÜG ist in Deutschland der regulierte Markt, nicht dagegen der Freiverkehr i. S. d. § 48 BörsG. 69 Busch, AG 2002, 145, 148 mit Hinweisen zur Praxis der Übernahmekommission unter Geltung des Übernahmekodexes; Geibel in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 18 WpÜG Rz. 57; Hasselbach in KölnKomm.WpÜG, 2003, § 18 WpÜG Rz. 61; Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 18 WpÜG Rz. 74; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, 2003, § 18 WpÜG Rz. 6; Steinhardt in Steinmeyer/Häger, WpÜG, 2. Aufl. 2007, § 18 WpÜG Rz. 22; Thoma/ Stöcker in Baums/Thoma, WpÜG, § 18 WpÜG Rz. 104 ff., die aber stets eine Antragstellung vor Ablauf der Annahmefrist verlangen. 70 So die Begründung des RegE zu § 31 Abs. 2 WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S. 55 = ZIP 2001, 1262, 1284; dies entspricht auch einhelliger Auff. in der Lit., s. nur Krause in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, WpÜG, 2005, § 31 WpÜG Rz. 54; Kremer/ Osterhaus in KölnKomm.WpÜG, 2003, § 31 WpÜG Rz. 28; Marsch-Barner in Baums/ Thoma, WpÜG, § 31 WpÜG Rz. 65.
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4. Schutz der Aktionäre der Zielgesellschaft in der Zeit bis zum Eintritt der Bedingung Aus nicht unverständlichen Gründen verlangt die BaFin, dass die Aktionäre der Bietergesellschaft, die das Angebot angenommen haben, nach Ablauf der Annahmefrist ihr Investment noch liquidieren können. Eine Frist von sechs Monaten ab Ablauf der Annahmefrist, während der die Aktionäre der Bietergesellschaft das Risiko des Ausfalls einer aufschiebenden Bedingung und damit des Scheiterns des Übernahmeangebots tragen, ohne in dieser Zeit über ihre Aktien im Wege des Verkaufs über die Börse verfügen zu können, wird als unverhältnismäßig angesehen. Dem Bieter stehen insoweit zwei verschiedene Möglichkeiten offen, die berechtigten Interessen der Aktionäre der Zielgesellschaft zu wahren: Zum einen könnte der Bieter den Aktionären der Zielgesellschaft, die das Angebot angenommen haben, für die Zeit zwischen dem Ablauf der Annahmefrist und dem Bedingungseintritt ein Rücktrittsrecht einräumen71. Die Aktionäre der Zielgesellschaft könnten ihre Aktien dann nach Ausübung des Rücktritts frei als nicht angediente Aktien über die Börse veräußern. Für den Bieter ist ein solches Rücktrittsrecht kaum akzeptabel. Insbesondere hat er auch nach Ablauf der Annahmefrist keine Planungssicherheit über die tatsächlich aufschiebend bedingt erworbenen Aktien der Zielgesellschaft. Vorteilhafter ist daher die zweite Variante: Der Bieter stellt sicher, dass die ihm durch Annahme des Angebots angedienten Aktien unter einer eigenen ISINNummer weiterhin über die Börse gehandelt werden können. Die Aktionäre der Zielgesellschaft, die das Angebot angenommen haben, können damit jederzeit über ihre Aktie verfügen. Die Interessen des Bieters werden nicht beeinträchtigt, da ein Erwerber dieser Aktien an die Annahme des Angebots durch seinen Rechtsvorgänger gebunden ist. Diese zweite Variante entspricht üblicher Praxis.
IV. Schluss Die Versuche des Gesetzgebers, dem Gewerbe professioneller Anfechtungskläger in Deutschland Einhalt zu gebieten, erscheinen nach der Modifikation des § 246a AktG durch das ARUG, insbesondere der Verfahrensbeschleunigung durch Wegfall einer Instanz und der Klarstellung zur Interessenabwägungsklausel des Abs. 2 Nr. 3 erstmals Erfolg versprechend. In Zukunft werden auch ordentliche Sachkapitalerhöhungen mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit innerhalb eines Zeitraums bestandskräftig durchgeführt werden können, der eine Einbindung in das vergleichsweise starre Verfahren eines öffentlichen Übernahmeangebots erlaubt. Selbst wenn der Kapitalerhöhungsbeschluss angefoch-
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71 Ein Erfordernis, den Wertpapierinhabern der Zielgesellschaft ein Rücktrittsrecht in dem Fall einzuräumen, dass die Bedingungen nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Ablauf der Annahmefrist erfüllt sind, wird auch in der Literatur anerkannt, s. Geibel in Geibel/Süßmann, WpÜG, 2. Aufl. 2008, § 18 WpÜG Rz. 65; Hasselbach in KölnKomm.WpÜG, 2003, § 18 WpÜG Rz. 68; Scholz in Frankfurter Komm. WpÜG, 3. Aufl. 2008, § 18 WpÜG Rz. 66; Thoma/Stöcker in Baums/Thoma, WpÜG, § 18 WpÜG Rz. 136.
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ten wird, ist es realistisch, dass eine dessen Eintragung anordnende Freigabeentscheidung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten nach Ablauf der Annahmefrist für das Umtauschangebot ergeht. Die wertpapierübernahmerechtlichen Anforderungen des § 13 Abs. 1 WpÜG lassen sich problemlos aufgrund einer Fristverlängerung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 WpÜG erfüllen. Der Bieter muss sein Umtauschangebot insbesondere davon abhängig machen, dass der Kapitalerhöhungsbeschluss und die Durchführung der Kapitalerhöhung bestandskräftig in das Handelsregister eingetragen worden ist. Entsprechende Bedingungen sind nach § 18 Abs. 1 WpÜG zulässig. Als Frist für den Eintritt dieser Bedingungen erscheinen etwa sechs Monate nach Ablauf der Annahmefrist zweckmäßig. Schon bisher enthielten öffentliche Übernahmeangebote häufig aufschiebende Bedingungen, die innerhalb einer Frist von etwa sechs Monaten nach Ablauf der Annahmefrist erfüllt werden konnten.
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Manfred Wandt / David Sehrbrock
Gedanken zu den Solvency II-Richtlinienzielen und ihre Bedeutung für das VAG Der Zweck ist der Schöpfer des ganzen Rechts Rudolf von Jhering
Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Allgemeine Ziele der Rahmenrichtlinie 1. Unmittelbare und mittelbare Ziele, Haupt- und Nebenziele 2. Schutz der Versicherten als allgemeines Hauptziel
3. Allgemeine Nebenziele 4. Verhältnis von Haupt- und Nebenzielen III. Die Aufsichtsziele des VAG im Lichte der Richtlinienziele IV. Ausblick
I. Einleitung Die Solvency II-Rahmenrichtlinie vom 25. November 20091 verändert das europäische Versicherungsaufsichtsrecht grundlegend. Die Richtlinie, die bis zum 1. Oktober 2012 in nationales Recht umgesetzt werden muss, regelt viele bedeutsame Einzelfragen inhaltlich neu, allen voran die Eigenmittelausstattung der Versicherungsunternehmen2. Sie bestimmt darüber hinaus die grundsätzlichen Zielsetzungen der Versicherungsaufsicht und -aufsichtsregulierung eigenständig. Dies verleiht den Zielsetzungen, die für die Auslegung einer Richtlinie, für die Umsetzung in nationales Recht und dessen richtlinienkonforme Auslegung stets wichtig sind, bei der Solvency II-Richtlinie ein ganz besonderes Gewicht. Hinzu kommt, dass die Richtlinie im Lamfalussy-Verfahren erlassen worden ist. Sie ist deshalb bloße Rahmenrichtlinie, die auf einer zweiten Rechtsetzungsebene durch „technisches Recht“ ausgefüllt und kon-
__________ 1 Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.11.2009 (ABl. L 335 v. 17.12.2009, S. 1). 2 Einen Überblick über die materiellrechtlichen Inhalte geben die Beiträge im Tagungsband Dreher/Wandt (Hrsg.), Solvency II in der Rechtsanwendung, 2009; vgl. zu den Harmonisierungsbestrebungen der EU im Versicherungsvertragsrecht den Entwurf eines europäischen Modellgesetzes für Versicherungsverträge („Principles of European Insurance Contract Law“, PEICL) der europäischen Expertengruppe „Restatement of European Insurance Contract Law“. Die PEICL stellen zugleich den im Auftrag der EU-Kommission erstellten Entwurf des Gemeinsamen Referenzrahmens (GRR) für den Bereich des Versicherungsvertragsrechts dar. Ausführlich dazu siehe Wandt, Versicherungsvertragsrecht, 5. Aufl. 2010, Rz. 175; Gal, VersR 2009, 190 ff.
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kretisiert wird. Als Rahmenrichtlinie muss sie, dies verlangt der EU-primärrechtliche Wesentlichkeitsvorbehalt3, die allgemeinen Regelungsziele als wesentliche Bestandteile des Rechtsaktes selbst festlegen, um die Verantwortung von Parlament und Rat als den europäischen Legislativorganen zu wahren4. Die in der Rahmenrichtlinie festgelegten Zielsetzungen sind wiederum Leitlinie und Kontrollmaßstab für die inhaltliche Ausgestaltung des technischen Rechts, das die durch die Rahmenrichtlinie vorgegebenen Grenzen respektieren muss. Besonderes Gewicht haben die Zielsetzungen der Solvency II-Richtlinie schließlich auch deshalb, weil die Richtlinie als Principles-Based-Regulation konzipiert ist. Diese Rechtsetzungstechnik ist durch die systematische Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, wie „angemessen“, „unverhältnismäßig“ oder „ausreichend“ gekennzeichnet5. Sie bedürfen bei der Rechtsanwendung im Einzelfall einer konkretisierenden Auslegung, die sich zwangsläufig primär an den Zielen der Regelungen orientieren muss. Der Jubilar dieser Festschrift ist mit der ihm eigenen wissenschaftlichen Neugier und Tiefenschärfe unlängst den Unterschieden zwischen Principles-Based- und RulesBased-Regulation für das Kapitalmarktrecht auf den Grund gegangen6. Seine Verbundenheit auch mit dem Versicherungsaufsichtsrecht lässt hoffen, dass dieser Beitrag sein Interesse findet. Der Beitrag analysiert die grundlegenden Ziele der Solvency II-Rahmenrichtlinie samt ihrer Zielsetzung für die Versicherungsaufsicht und reflektiert, ob eine Neuausrichtung der Ziele der Versicherungsaufsicht nach dem VAG erforderlich ist7.
II. Allgemeine Ziele der Rahmenrichtlinie 1. Unmittelbare und mittelbare Ziele, Haupt- und Nebenziele Die Solvency II-Rahmenrichtlinie verfolgt unterschiedliche Ziele8. Einige Ziele sind in Gestalt inhaltlicher Regelungen ausdrücklich ausgewiesen, wie der Schutz der Versicherungsnehmer oder die Finanz(system)stabilität. Es handelt
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3 Dazu unter II. 3. 4 Vgl. Art. 14 Abs. 1 EU-Vertrag. Bei der Ausformung des Rahmenrechts auf der zweiten Ebene ist die Mitwirkung von Rat und Parlament regelmäßig als bloßes Vetorecht ausgestaltet, weil die Solvency II-Rahmenrichtlinie für den Erlass von Durchführungsregelungen grundsätzlich das Regelungsverfahren mit Kontrolle (Art. 304 (2) i. V. m. Art. 5 des Ratsbeschlusses 1999/468/EG) vorschreibt. Hierzu und zu den anderen Komitologie-Verfahren vgl. Wandt/Sehrbrock in Dreher/Wandt, Solvency II in der Rechtsanwendung, 2009, S. 12. 5 Vgl. auch Dreher, VersR 2008, 998 (1000). 6 Uwe H. Schneider, Kapitalmarktrecht – Principles-Based- oder Rule-Based-Regulation?, in Stephan Hutter und Theodor Baums (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Michael Gruson, 2009, S. 369–378. 7 Hingewiesen sei auf die uneinheitliche Terminologie im deutschen Schrifttum: Die Begriffe Aufsichtsziel, Aufsichtszweck und Aufsichtsmaßstab werden nicht immer präzise auseinandergehalten oder einheitlich verstanden (darauf hinweisend Eilert, VersR 2009, 709 f.). Die in diesen Beitrag verwendete Bezeichnung „Aufsichtsziel“ stützt sich auf den Wortlaut der Artt. 27, 28 der Solvency II-Rahmenrichtlinie. 8 Vgl. auch Wandt/Sehrbrock in Dreher/Wandt, Solvency II in der Rechtsanwendung, 2009, S. 23 f.
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sich um allgemeine, die Detailregelungen übergreifende Haupt- und Nebenziele der Richtlinie bzw. der auf ihr beruhenden Versicherungsaufsicht und -aufsichtsregulierung9. Andere Ziele verfolgt der europäische Gesetzgeber nur mittelbar, teilweise über besondere Rechtsetzungstechniken10. So setzt er das Lamfalussy-Verfahren ein, um eine schnellere Anpassbarkeit des technischen Rechts an Marktveränderungen zu ermöglichen, und nutzt prinzipienbasiertes Recht, um größere Anwendungsflexibilität im Einzelfall zu schaffen11. Schneider12 referiert hierzu ein anschauliches Beispiel: Eine „rule“ liege vor, wenn gesagt werde, die Höchstgeschwindigkeit betrage 55 Meilen. Dagegen würde ein „principle“ lauten, die Geschwindigkeit solle angemessen und den Umständen angepasst sein. Das prinzipienbasierte Recht soll zu einer gewissen Entwicklungsoffenheit und mehr Flexibilität in der Anwendung führen. Nach der Idealvorstellung seiner Befürworter soll es Unternehmen und Aufsichtsbehörde die Möglichkeit geben, die Normen flexibler auf den jeweiligen Einzelfall anzuwenden13. Während starre und detaillierte Vorgaben regelbasierten Rechts den Aufseher häufig zum „Abhakbeamten“ degradierten, würden es prinzipienbasierte Normen ermöglichen, die individuelle wirtschaftliche Situation des Versicherungsunternehmens und dessen konkretes Risikoprofil zu berücksichtigen14. Inwieweit die Solvency II-Regulierung letztlich tatsächlich zu konsistentem Priciples-Based-
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9 Daneben gibt es bezogen auf Einzelregelungen eine Vielzahl von Unterzielen, die jedoch nicht im Fokus dieses Beitrags stehen. Mit Blick auf die grundsätzlich gewünschte intersektorale Konvergenz der verschiedenen Bereiche der Finanzaufsicht sei angemerkt: Die Basel II-Rahmenrichtlinien benennen die Ziele der Aufsicht nicht eigenständig. Es werden lediglich vereinzelt in Erwägungsgründen „technische“ Ziele vorgegeben, vgl. Erwägungsgrund 8 der Bankenrichtlinie (Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006), der als Zielsetzung „die Festlegung von Vorschriften für die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und deren Beaufsichtigung“ nennt, oder Erwägungsgrund 38, der als Ziel ausgibt „verbesserte Methoden zur Risikomessung und -steuerung anzuwenden und diese auch für regulatorische Eigenkapitalzwecke zu nutzen“. – Zur intersektoralen Konvergenz als mittelbarem Ziel der Solvency II-Rahmenrichtlinie vgl. Wandt/ Sehrbrock in FS 50 Jahre Schweizerische Gesellschaft für Haftpflicht- und Versicherungsrecht, Schulthess 2010, S. 689 (699 f.). 10 Vgl. zu den mittelbaren Richtlinienzielen und den in diesem Zusammenhang bestehenden Zielkonflikten: Wandt/Sehrbrock in FS 50 Jahre Schweizerische Gesellschaft für Haftpflicht- und Versicherungsrecht, Schulthess 2010, S. 689 (697 ff.). 11 Vgl. zur Rolle des prinzipienbasierten Rechts Uwe H. Schneider, Kapitalmarktrecht – Principles-Based- oder Rule-Based-Regulation?, in Stephan Hutter und Theodor Baums (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Michael Gruson, 2009, S. 369 ff.; Wandt/Sehrbrock in Dreher/Wandt (Hrsg.), Solvency II in der Rechtsanwendung, 2009, S. 23 f. 12 Uwe H. Schneider, Kapitalmarktrecht – Principles-Based- oder Rule-Based-Regulation?, in Stephan Hutter und Theodor Baums (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Michael Gruson, 2009, S. 369 (372) unter Hinweis auf Black/Hopper/Band, Law and Financial Markets Review 2007, 191 (194). 13 Zur Gefahr der daraus entstehenden Rechtsunsicherheit vgl. aber Wandt/Sehrbrock in FS 50 Jahre Schweizerische Gesellschaft für Haftpflicht- und Versicherungsrecht, Schulthess 2010, S. 689 (703 f.). 14 Zweifelnd jedoch: Uwe H. Schneider, Kapitalmarktrecht – Principles-Based- oder RuleBased-Regulation?, in Stephan Hutter und Theodor Baums (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Michael Gruson, 2009, S. 369 (373 f.).
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Law führt, bleibt abzuwarten. Einige der von CEIOPS für die Kommission erstellten Vorbereitungspapiere der Level 2-Gesetzgebung weisen – zumindest punktuell – einen Detailgrad auf, der nicht als prinzipienbasiert, sondern als regelbasiert zu qualifizieren ist15. Entscheidungsspielraum der Aufsicht, bei dessen Ausübung die Richtlinienziele zu beachten wären, würde in diesen Bereichen nur sehr begrenzt existieren. 2. Schutz der Versicherten als allgemeines Hauptziel Art. 27 der Richtlinie16 statuiert als „Hauptziel“ der Beaufsichtigung den Schutz der Versicherungsnehmer und der Begünstigten von Versicherungsleistungen. Die Erwägungsgrundgründe sprechen vom Schutz der Versicherungsnehmer und von (anderen) Anspruchsberechtigten aus einem Versicherungsvertrag, sei es eine natürliche oder juristische Person17. Das Schutzniveau des Hauptziels wird im Normtext der Richtlinie nicht konkretisiert, etwa als Mindestschutz oder als „ausreichender“ Schutz, wie in Art. 171, der Ermächtigungsgrundlage der Union für den Abschluss von Abkommen mit Drittstaaten. Erwägungsgrund 16 macht jedoch deutlich, dass es um einen angemessenen Schutz geht18. Erwägungsgrund 141, der CEIOPS zu Vorschlägen über eine Verstärkung der Regelungen über Gruppenaufsicht und Kapitalmanagement auffordert, spricht – allerdings nur bezogen auf die genannten Einzelbereiche – von einem „hohen“ Schutzniveau für die Versicherungsnehmer und Begünstigten. 3. Allgemeine Nebenziele Nach Art. 28 haben die Mitgliedstaaten unbeschadet des in Art. 27 genannten Hauptziels der Beaufsichtigung sicherzustellen, dass die Aufsichtsbehörden im Rahmen der Ausübung ihrer allgemeinen Aufgaben den potenziellen Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf die Stabilität der betroffenen Finanzsysteme in der Europäischen Union, insbesondere in Krisensituationen, unter Berücksichtigung der zum jeweiligen Zeitpunkt vorliegenden Informationen gebührend Rechnung tragen und dass sie in Zeiten außergewöhnlicher Bewegungen auf den Finanzmärkten die potenziellen prozyklischen Effekte ihrer Maßnahmen berücksichtigen. Erwägungsgrund 16 spricht von weiteren Zielen der Versicherungsregulierung und -aufsicht, denen ebenfalls Rechnung zu tragen ist, die jedoch das vorrangige Ziel des Schutzes der Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigten nicht beeinträchtigen dürfen (zum Verhältnis zum Hauptziel vgl. IV.). Die Regelung des Art. 28 über die Nebenziele war in den beiden
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15 Verwiesen sei nur auf das Paper „CEIOPS’ Advice for Level 2 Implementing Measures on Solvency II: System of Governance“ (CEIOPS-Doc. 29/09 vom Oktober 2009). So auch Bürkle, VersR 2009, 866 (873); Weber-Rey, AG-Report 2007, R 396. 16 Artikel und Erwägungsgründe ohne nähere Bezeichnung sind nachfolgend solche der Solvency II – Rahmenrichtlinie (Fn. 1). 17 Erwägungsgrund 16. 18 Von einem angemessenen Schutz sprechen auch die Erwägungsgründe 82 (Harmonisierung der Vorschriften über die Rechtschutzversicherung) und 98 (Gruppenaufsicht).
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Entwurfsfassungen der Richtlinie noch nicht enthalten19. Sie wurde erst im Rahmen der sog. „Trilog-Verhandlungen“ zwischen Rat, Parlament und Kommission in die Richtlinie eingefügt. Art. 28 und die dazugehörenden Erwägungsgründe werfen eine Reihe von Fragen auf. Art. 28 spricht von der Stabilität der betroffenen Finanzsysteme in der Europäischen Union. Der Begriff „Finanzsystem“ umfasst – angelehnt an die Definition im Kommissionsvorschlag zur Schaffung des European Systemic Risk Board20 – alle Finanzinstitute, (Finanz-)Märkte und (Finanz-)Marktinfrastrukturen21. Die Verwendung des Plurals („Stabilität der betroffenen Finanzsysteme“) ist dem Umstand geschuldet, dass (auch) die nationalen Finanzsysteme der Mitgliedstaaten in ihrer Pluralität adressiert werden. Die Wahl der Finanzsystemstabilität22 anstatt der „Stabilität des Versicherungsmarktes“ als Nebenziel verdeutlicht, dass der europäische Gesetzgeber den nationalen Versicherungsaufsichtsbehörden Verantwortung nicht nur für den Versicherungssektor, sondern für das gesamte Finanzsystem zuweist (wenn auch keine diesbezügliche Eingriffsbefugnis). Diese Verantwortung reicht, soweit die Auswirkung der aufsichtsbehördlichen Maßnahmen reicht. Sie ist also nicht auf das Finanzsystem des Sitzstaates der Aufsichtsbehörde begrenzt, sondern erfasst auch die Stabilität der Finanzsysteme anderer Mitgliedstaaten, sofern ihre Stabilität von einer aufsichtsbehördlichen Maßnahme betroffen ist. Im Konfliktfall der Stabilitätsgefährdung mehrerer nationaler Finanzsysteme sollte nicht einseitig die Stabilität desjenigen nationalen Finanzsystems geschützt werden, das von der aufsichtsbehördlichen Maßnahme potenziell am stärksten betroffen wäre, sondern es sollte idealiter nach dem Prinzip praktischer Konkordanz verfahren werden: Die aufsichtsbehördliche Maßnahme sollte so gestaltet werden, dass alle betroffenen nationalen Finanzsysteme bestmöglich entsprechend dem Grad der jeweiligen Stabilitätsgefährdung geschützt werden. Es liegt auf der Hand, dass diese Auslegungsmaxime eher in der Rechtstheorie als in der Rechtswirklichkeit zur Anwendung kommen wird. Die Erfahrungen aus der Finanzkrise haben den europäischen Gesetzgeber veranlasst, die Berücksichtigung potenzieller prozyklischer Effekte einer Maßnahme der Versicherungsaufsicht in Art. 28 Satz 2 eigenständig zu regeln und durch die Überschrift des Artikels („Finanzstabilität und Prozyklizität“) zu
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19 Der zugehörige Erwägungsgrund nannte in beiden Entwurfsfassungen aber bereits Finanzstabilität sowie faire und stabile Märkte als weitere Ziele, vgl. Entwurfsfassung 2007 [KOM(2007) 361 endgültig v. 10.7.2007 (Erwägungsgrund 13)] sowie Entwurfsfassung 2008 [KOM(2008) 119 endgültig v. 26.2.2008 (Erwägungsgrund 13)]. 20 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gemeinschaftliche Finanzaufsicht auf Makroebene und zur Einsetzung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken vom 23.9.2009 [KOM(2009) 499 endgültig]. 21 Art. 2 lit. b) des Verordnungsvorschlags (vorige Fußnote) lautet in der deutschen Fassung: „‚Finanzsystem‘ bezeichnet alle Finanzinstitute, Märkte und Marktinfrastrukturen“. Die englische Fassung bringt klarer zum Ausdruck, dass es um die Finanzmärkte und die Finanzmarktinfrastrukturen geht. Sie lautet: „‚financial system‘ means all financial institutions, markets and market infrastructures“. 22 Obgleich die Regelungsüberschrift und die Erwägungsgründe 16, 18 und 141 verkürzt den Begriff „Finanzstabilität“ verwenden, sollte aus Gründen der Genauigkeit und Klarheit stets von Finanzsystemstabilität gesprochen werden.
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betonen. Fraglich ist, ob es nur um prozyklische Wirkungen im Finanzsystem geht, es sich also lediglich um einen Unterfall des Ziels „Finanzsystemstabilität“ handelt, oder ob die Versicherungsaufsicht darüber hinaus auch für das gesamte Wirtschaftssystem, also auch für die sog. Realwirtschaft, in die Pflicht genommen wird. Das Nebenziel würde es der Aufsichtsbehörde im Rahmen der Wahrnehmung des Hauptziels dann beispielsweise erlauben, in einer Wirtschaftskrise bei einer Maßnahme im Bereich der Warenkreditversicherung auf die Auswirkungen ihrer Entscheidung für die Realwirtschaft Rücksicht zu nehmen, auch wenn etwaige negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft keine greifbaren Rückkopplungen für die Finanzsystemstabilität hätten23. Eine andere Frage ist, ob das zwar nicht im Normtext, aber im dazu gehörenden Erwägungsgrund 16 genannte Nebenziel „faire und stabile Märkte“ ein weiteres verbindliches Nebenziel zusätzlich zu den in Art. 28 benannten Nebenzielen der Finanzsystemstabilität und der Berücksichtigung prozyklischer Wirkungen ist. Mangels Begrenzung auf Versicherungsmärkte könnte sich dieses Nebenziel nicht nur auf den Interessenausgleich zwischen Versicherten und Versicherungsunternehmen beziehen, sondern insbesondere auch das Gebot umfassen, zwischen den Finanzsektoren ein faires level playing field zu schaffen. Nach dem primärrechtlichen Wesentlichkeitsgrundsatz, der durch den Vertrag von Lissabon erstmals24 primärrechtlich positiviert worden ist25, müssen jedoch die wesentlichen Gesichtspunkte eines Rechtsaktes in diesem selbst niedergelegt werden und dürfen nicht an die Kommission delegiert oder der Ausgestaltung durch die Rechtsprechung überlassen werden26. Als wesentlich werden vom EuGH die Vorschriften zur Umsetzung der Grundzüge einer gemeinsamen Politik angesehen27. Nicht nur die Haupt-, sondern
__________ 23 Den Warenkreditversicherern wurde vorgeworfen, während der Finanzkrise in ihrer Vergabe zu restriktiv verfahren zu sein und damit die Existenz von Zulieferunternehmen einiger Produkthersteller gefährdet zu haben. Vgl. dazu Knospe, ZfV 2010, 13 f.; ZfV 2010, 14 (Anm. d. Redaktion). 24 Der Wesentlichkeitsvorbehalt war zuvor ein vom EuGH entwickelter, ungeschriebener Bestandteil des europäischen Primärrechts, der aus dem sog. Postulat des institutionellen Gleichgewichtes zwischen den Unionsorganen abgeleitet wurde. Vgl. EuGH Rs. 25/70 (Köster), Slg. 1970, 1161, Rz. 6; EuGH Rs. 46/86 (Romkes), Slg. 1987, 2671, Rz. 16; EuGH, Rs C-240/90 (Deutschland./.Kommission: Schaffleisch), Slg. 1992, I-5383, Rz. 35 ff.; EuGH Rs. C-156/93 (Parlament./.Kommission: ökologischer Landbau), Slg. 1995, I-2019, Leitsatz 2; Rz. 18; Erwägungsgrund (6) von RL 2005/1/EG sowie Scheuing in Schulze/Zuleeg, Europarecht, 1. Aufl. 2006, § 6 Rz. 17. 25 Art. 290 (1) des Vertrages zur Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl. C 83 v. 30.3.2010, S. 47) legt fest: „In den betreffenden Gesetzgebungsakten werden Ziele, Inhalt, Geltungsbereich und Dauer der Befugnisübertragung ausdrücklich festgelegt. Die wesentlichen Aspekte eines Bereichs sind dem Gesetzgebungsakt vorbehalten und eine Befugnisübertragung ist für sie deshalb ausgeschlossen.“ 26 EuGH Rs. 25/70 (Köster) Slg. 1970, 1161, Rz. 6; vgl. auch Jacqué in von der Groeben/ Schwarze, 6. Aufl. 2003, Art. 202 EG Rz. 14 f. 27 EuGH Rs. 25/70 (Köster) Slg. 1970, 1161, Rz. 6; EuGH Rs. C-240/90 (Deutschland ./. Kommission: Schaffleisch), Slg. 1992, I-5383, Rz. 41 ff. Vgl. ausführlich zum primärrechtlichen Wesentlichkeitsgrundsatz auch Wandt/Sehrbrock in Dreher/Wandt, Solvency II in der Rechtsanwendung, 2009, S. 23 f.
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auch die Nebenziele der Regulierung und Beaufsichtigung sind als wesentlich im Sinne des unionsrechtlichen Wesentlichkeitsvorbehaltes zu qualifizieren. Die bloße Erwähnung des Nebenziels der fairen und stabilen Märkte in den Erwägungsgründen reicht zur Erfüllung des Wesentlichkeitsgrundsatzes nicht aus. Denn die Wirkung der Erwägungsgründe ist im Vergleich zu den Bestimmungen im verfügenden Teil der Richtlinie begrenzt28. Die Erwägungsgründe stellen keine eigenständigen Regelungen dar, sondern sie sollen die ratio legis transparenter machen und so als zentrale Auslegungsgrundlage dienen29. Das lediglich in den Erwägungsgründen genannte Nebenziel „fairer und stabiler Märkte“ ist also kein verbindliches Nebenziel der Versicherungsaufsicht, weil es keinen Eingang in den Normtext gefunden hat. Dieses Ergebnis ist insgesamt gesehen zu begrüßen. Soweit es um die Stabilität der Finanzmärkte geht, reicht das verbindliche Nebenziel der Finanzsystemstabilität vollkommen aus. Eine Mitverantwortung der Versicherungsaufsicht für die Stabilität anderer Märkte als Finanzmärkte könnte allenfalls völlig nachgeordneten Charakter haben und wäre gegebenenfalls durch weite Auslegung des verbindlichen Nebenzieles der Berücksichtigung potenzieller prozyklischer Effekte einer Maßnahme der Versicherungsaufsicht abgedeckt. Soweit es um das Ziel „fairer Märkte“ ginge, wäre eine versicherungsaufsichtsrechtliche Regelung auf den Versicherungsmarkt gegebenenfalls unter Einschluss seines Verhältnisses zu anderen Finanzmärkten zu beschränken. Ein fairer Markt als Ziel und Maßstab der Versicherungsaufsicht hätte im Übrigen grundlegende Fragen aufgeworfen, insbesondere die Frage, ob und inwieweit damit der bisherige Maßstab eines ausreichenden Schutzes der Versicherten ausgeweitet worden wäre. An einer „ausreichenden“ Wahrung der Versichertenbelange fehlt es nach herkömmlicher Sicht nur dann, wenn schutzwürdige Interessen der Versicherten beeinträchtigt werden und diese Beeinträchtigung unter Berücksichtigung der Gesamtheit der beteiligten Interessen und der Besonderheiten des betreffenden Versicherungszweigs als unangemessen anzusehen ist und so schwer wiegt, dass ein Eingreifen der Behörde gerechtfertigt ist30. Es wird dabei lediglich – negativ – eine Verhinderung unangemessener Beeinträchtigungen bezweckt31. Es geht weder um eine bestmögliche oder optimale Wahrung der
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28 Auch Rechte Einzelner können nur aus den Vorschriften des verfügenden Teils, nicht aber aus den Erwägungsgründen abgeleitet werden (vgl. GA Stix-Hackl, Schlussanträge v. 25.11.2003, Rs. C-222/02 (Paul./.Deutschland), Slg. 2004 I-9425, Rz. 132). 29 EuGH Rs. 215/88 (Casa Fleischhandel) Slg. 1989, 2789; Rz. 31. Gleichwohl sind die Erwägungsgründe mehr als bloße Gesetzesmaterialien, da sie an der Autorität und Dignität des publizierten Rechtsaktes teilhaben und nicht wie im deutschen Recht außerhalb des Gesetzblattes veröffentlicht werden und der Verabschiedung des Rechtsaktes zeitlich vorausgehen (Köndgen in Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 2006, § 7 Rz. 40 f.). 30 BVerwGE 82, 303 (305) = VersR 1990, 73; Präve in Prölss, VAG, 12. Aufl. 2005, § 8 Rz. 15; Scholz, ZVersWiss 1984, 1 (13 f.). 31 BVerwGE 61, 59 (64); BVerwGE 30, 135 (137) = VersR 1969, 25. Diese Maxime wurde in den letzten Jahren für einzelne Bereiche einer Verzahnung von Versicherungsaufsichtsrecht und Versicherungsvertragsrecht, wie bei der Bestandsübertragung (BVerfG, VersR 2005, 1109 [1120]; vgl. auch § 14 Abs. 1 Satz 2 VAG sowie § 14a Satz 2 VAG [Umwandlung]) oder bei der Überschussbeteiligung (BVerfG, VersR 2005, 1127 [1133])
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Versichertenbelange, noch um die positive Feststellung einer angemessenen Berücksichtigung der Interessen der Versicherten im Gesamtgefüge aller betroffenen Belange32, die man möglicherweise dem Fairnessbegriff zu entnehmen hätte. 4. Verhältnis von Haupt- und Nebenzielen Die Nebenziele des Art. 28 sind den Mitgliedstaaten bzw. ihren Aufsichtsbehörden „unbeschadet des in Artikel 27 genannten Hauptziels der Beaufsichtigung“ aufgegeben. Nach Erwägungsgrund 16 ist den Nebenzielen ebenfalls, d. h. zusätzlich zum Hauptziel des Schutzes der Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigten, Rechnung zu tragen, sie dürfen das vorrangige Ziel jedoch nicht „beeinträchtigen“. Der Begriff „beeinträchtigen“ legt nahe, dass die Verfolgung der Nebenziele zur Gänze ausscheidet, wenn das Hauptziel einer auch noch so geringen Beeinträchtigung ausgesetzt ist. Angesichts des prinzipienbasierten Ansatzes von Solvency II würde eine solch kategorische Priorisierung des Hauptzieles jedoch befremden33. Zu beachten ist auch, dass der englische Text den Begriff undermine34 und die französische Fassung die Formulierung détourner35 verwenden36. Dies spricht dafür, dass die Verfolgung eines Nebenziels nur dann untersagt ist, wenn damit das Hauptziel wesentlich beeinträchtigt (unterlaufen) würde. Man könnte den Bedeutungsgehalt von „undermine“/„détourner“ auch so verstehen, dass das Hauptziel im Sinne einer Wesensgehaltsgarantie nicht ausgehöhlt werden dürfe; angesichts der Bedeutung des Hauptziels der Rahmenrichtlinie ließe ein so weites Begriffsverständnis jedoch unerwünscht große Beurteilungs- und Handlungsspielräume für die nationalen Gesetzgeber und Versicherungsaufsichten. Wenn eine Maßnahme der Aufsichtsbehörde auf das Hauptziel des Schutzes der Versicherten gerichtet ist, ist die Aufsichtsbehörde also nicht gehalten, die Erreichung des Hauptzieles ohne Rücksicht auf die
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zwar aufgegeben, jedoch nicht als Grundsatz des Versicherungsaufsichtsrechts in Frage gestellt. Die Meinungen, ob sich diese Entwicklung in andere Bereiche der Versicherungsaufsicht fortsetzt („Strahlwirkung“) gehen auseinander (zustimmend Kaulbach in Fahr/Kaulbach, VAG, 4. Aufl. 2007, vor § 1 Rz. 9; ablehnend Bähr in Fahr/Kaulbach, VAG, 4. Aufl. 2007, § 81 Rz. 27; wohl auch Eilert, VersR 2009, 709 [711]). BVerfG, VersR 2005, 1109 (1120). Vgl. weiterführend zur Funktion des prinzipienbasierten Rechts in der Rahmenrichtlinie Wandt/Sehrbrock in Dreher/Wandt, Solvency II in der Rechtsanwendung, 2009, S. 23 f.; Wandt/Sehrbrock in FS 50 Jahre Schweizerische Gesellschaft für Haftpflichtund Versicherungsrecht, Schulthess 2010, S. 689 (701 ff.). „(…) should also be taken into account but should not undermine the main objective“. „(…) qui devraient être également pris en compte, sans détourner cependant du principal objectif“. Alle Sprachfassungen der Normen der Union sind gleichermaßen verbindlich [EuGH v.6.10.1982 – Rs. 283/81 (C.I.L.F.I.T. ./. Ministero della Sanitá) Slg. 1982, 3415, Rz. 18]. Eine grammatikalische Auslegung zur Ermittlung des gesetzgeberischen Willens muss daher im Vergleich mit anderen Sprachfassungen erfolgen [Pechstein/ Drechsler in Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, 2006, § 8 Rz. 18].
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Nebenziele zu optimieren. Sie kann vielmehr hinsichtlich des Hauptzieles graduelle Abstriche machen, wenn damit einem Nebenziel angemessen Rechnung getragen wird. Es bleibt die offene Frage, ob die Nebenziele lediglich der Begrenzung des Aufsichtshandelns in Verfolgung des Hauptziels dienen oder ob die Nebenziele eigenständig verfolgt werden können, wenn dadurch das Hauptziel nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Art. 28 spricht hinsichtlich der Nebenziele von „gebührend Rechnung tragen“ und „berücksichtigen“, was auf eine bloße Begrenzung der Verfolgung des Hauptziels hindeutet. Andererseits soll die Aufsichtsbehörde den Nebenzielen gebührend Rechnung tragen bzw. sie berücksichtigen „unbeschadet des in Artikel 27 genannten Hauptziels der Beaufsichtigung“ und „im Rahmen der Ausübung ihrer allgemeinen Aufgaben“. Es spricht viel dafür, die Regelung so auszulegen, dass der Aufsichtsbehörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit grundsätzlich auch die isolierte Verfolgung der Nebenziele gestattet ist. Die isolierte Verfolgung des Nebenziels der Berücksichtigung prozyklischer Wirkungen scheidet indes per se aus. Eine isolierte Verfolgung des Nebenziels der Finanzsystemstabilität seitens der Versicherungsaufsicht – in Abstimmung mit den Aufsichtsbehörden der anderen Finanzsektoren – ist dagegen durchaus denkbar und angesichts der Erfahrungen aus der Finanzkrise auch künftig nicht unwahrscheinlich.
III. Die Aufsichtsziele des VAG im Lichte der Richtlinienziele Über die Zielsetzung der deutschen Versicherungsaufsicht wird seit Inkrafttreten des VAG gestritten. Heute ist nicht mehr umstritten, dass Ziel der Versicherungsaufsicht die „ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten“ ist (§ 81 Abs. 1 Satz 2 VAG37)38. Nach den Vertretern der sog. Schutztheorie soll dies allerdings das einzige Ziel der Versicherungsaufsicht sein39. Nach der heute überwiegend vertretenen und auch vom BVerfG gebilligten40 Funktionsschutztheorie41 ist die Funktionsfähigkeit des Versicherungswesens jedenfalls
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37 Michaels, ZfV 2007, 477 (479) bezeichnet diese Regelung anschaulich als das Herz der laufenden Aufsicht. 38 Anders noch die sog. Strukturtheorie. Sie ging von der Grundannahme aus, dass das Ziel der Aufsicht nicht in einer Interessenvertretung der Versicherten, sondern ausschließlich darin liege, als Korrektiv eines dem Versicherungssektor immanenten strukturellen Funktionsdefizits zu fungieren und dadurch den natürlichen Ablauf der Wirtschaftsvorgänge zu erhalten. Diesem Ziel habe sich der Schutz der Versicherten „ein- und notfalls unterzuordnen“ [vgl. Starke in Rohrbeck, 50 Jahre materielle Versicherungsaufsicht in Deutschland, Bd. 3, 1955, S. 11 (65)]. 39 VG Frankfurt/M., VersR 2004, 1397; Angerer, Grundlinien der Versicherungsaufsicht, 1985, S. 12; Präve, VW 2007, 1380 (1381); Golz, Ausgewählte Fragen der Umsetzung der dritten Versicherungsrichtlinien (Münsteraner Reihe, Bd. 17), 1993, S. 2; unentschieden Kaulbach in Fahr/Kaulbach, VAG, 4. Aufl. 2007, vor § 1 Rz. 5. 40 BVerfG, VersR 2005, 1127. 41 Bähr in Fahr/Kaulbach, VAG, 4. Aufl. 2007, § 81 Rz. 15; Winter, Versicherungsaufsichtsrecht, 2007, S. 53; ders., ZVersWiss 2005, 105 (108); Eilert, VersR 2009, 709 (711); ders., ZfV 2008, 49; Scholz, ZVersWiss 1984, 1 (13); vgl. auch Michaels, ZfV 2007, 477 ff.
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ein weiteres Ziel42. Unterschiedlich beurteilt wird, welcher Bedeutungsgehalt dem Begriff „Funktionsschutz“ konkret zukommt43, und ob beide Ziele gleichrangig nebeneinander stehen oder ob eines der beiden Ziele vorrangig ist44. Die in das deutsche Recht umzusetzende Solvency II-Rahmenrichtlinie verändert die Grundlage des Streites um die Aufsichtsziele des VAG. Die Richtlinie gibt – wie unter II. 2. dargelegt – den Schutz der Versicherten als Hauptziel der Aufsicht verbindlich vor. Der für das VAG vertretene Gleichrang oder gar Vorrang der Funktionsfähigkeit des Versicherungswesens ist mit der Richtlinie deshalb nicht vereinbar. Die Richtlinie erkennt andererseits die Funktionsfähigkeit des Versicherungswesens und weitergehender sogar die Stabilität des von einer Maßnahme der Aufsichtsbehörde betroffenen gesamten Finanzsystems an. Der bisher auf den nationalen Markt beschränkte Funktionsschutz wird auf die Versicherungs- und die sonstigen Finanzsysteme in der Union ausgedehnt. Die Richtlinie erweitert schließlich die Zielsetzung der Versicherungsaufsicht auf die Berücksichtigung der Prozyklizität von Maßnahmen der Aufsichtsbehörde.
IV. Ausblick Für den deutschen Gesetzgeber stellt sich mit Blick auf seine Verpflichtung, die Richtlinie vollständig und effektiv in das deutsche Recht umzusetzen, nicht nur die Frage, wie bei einer Neuformulierung von Vorschriften des VAG
__________ 42 Die Funktionsschutztheorie im Versicherungsaufsichtsrecht geht zurück auf das für die gesamte Wirtschaftsaufsicht entwickelte Funktionsschutzkonzept Steins (Die Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 14 ff.). 43 Auf eine Begriffsdefinition wird meist verzichtet (vgl. Bähr, Das Generalklausel- und Aufsichtssystem des VAG im Strukturwandel, 2000, S. 65; Winter Versicherungsaufsichtsrecht, 2007, S. 53). Das Bundesverfassungsgericht sieht die Verantwortung, die der Versicherungsaufsicht nach dem System des Versicherungsaufsichtsrechts allgemein zukommt, darin, die Belange der Gesamtheit der Versicherten und der Versicherungsunternehmen im Rahmen der Missstandsaufsicht zu wahren [BVerfG, VersR 2005, 1109 (1120); Kursivdruck hinzugefügt]. Die Motive legen nahe, dass der Funktionsschutz nur insoweit gewährt wird, als hierunter die Fähigkeit des Versicherungssektors verstanden wird, die sozialstaatlich und volkswirtschaftlich relevante Versicherungsleistung zu erbringen (vgl. Motive zum VAG, Nachdruck 1963, S. 24, Sp. 36). Nach Eilert umfasst das Aufsichtsziel Funktionsschutz neben Leistungsfähigkeit, Integrität und Stabilität des Versicherungssektors auch die Wettbewerbsfähigkeit des „Versicherungs- und Pensionsfondsstandortes“ Deutschland [Eilert, VersR 2009, 709 (712)]. 44 Die Frage offen lassend BVerfG, VersR 2005, 1127; Wandt, Versicherungsrecht, 5. Aufl. 2010, Rz. 64 (missverständlich, weil die Funktionsfähigkeit des Versicherungswesens als generelles Aufsichtsziel und der Schutz der Versicherten als wichtiger Teilaspekt bezeichnet wird; vgl. dazu Eilert, VersR 2009, 709 (714)). Für Vorrang des Versichertenschutzes: Langheid in Langheid/Wandt, Münchener Kommentar zum VVG, 2010, Aufsichtsrecht Rz. 56; Gause in Langheid/Wandt, Münchener Kommentar zum VVG, 2010, Aufsichtsrecht Rz. 284 (abstellend auf die Sicherstellung der dauernden Erfüllbarkeit der Verträge ohne Erwähnung des Funktionsschutzes); Michaels, ZfV 2007, 477 (479). Für Vorrang des Funktionsschutzes: Bähr in Fahr/ Kaulbach, VAG, 4. Aufl. 2007, § 81 Rz. 15.
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Gedanken zu den Solvency II-Richtlinienzielen und ihre Bedeutung für das VAG
der veränderten, abgestuften Zielsetzung der Versicherungsaufsicht Rechnung zu tragen ist. Es stellt sich darüber hinaus die konzeptionelle Frage, ob an der bisherigen Struktur des VAG fest gehalten werden und nur dort, wo es zwingend geboten ist, punktuell eine inhaltliche Anpassung erfolgen soll, oder ob es sinnvoller ist, das VAG entsprechend der Richtlinie vollständig neu zu strukturieren. Auf dem Weg zu einem möglichst weit harmonisierten europäischen Versicherungsaufsichtsrecht spricht viel dafür, die Systematik des VAG, die durch die vielen Novellen der vergangenen Jahre beeinträchtigt ist, an der Richtlinie auszurichten und so auch die Drei-Säulen-Struktur des neuen europäischen Versicherungsaufsichtsrechts widerzuspiegeln.
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Reinhard Welter
Vom Anerkennungsprinzip zur Vollharmonisierung Inhaltsübersicht I. Der Jubilar als „Pionier“ des Binnenmarkts 1. Vor 20 Jahren: Der Binnenmarkt als phantasieanregende Perspektive 2. Die Forderung nach „Harmonisierung der Harmonisierung“ II. Harmonisierung des Privatrechts zur Förderung des Binnenmarkts aus heutiger Sicht 1. Regelung nationaler Geschäfte – schwache Wirkung auf den Binnenmarkt 2. Vollharmonisierung gegen Rechtszersplitterung und als Königsweg zum Binnenmarkt 3. Von der Mindestharmonisierung zur Vollharmonisierung beim Erlass von Richtlinien in der jüngeren Vergangenheit a) Richtlinie über den Verbraucherschutz bei Vertragsschlüssen im Fernabsatz b) Zahlungsdiensterichtlinie c) Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG aa) Ausdrückliche Vollharmonisierung in Art. 22 bb) Eingeräumte Optionen cc) Gegenständlich begrenzte Vollharmonisierung 4. Ausgangslage für Geschäftsabschlüsse im Binnenmarkt a) Sicht der Verbraucher aa) Entscheidung über das anwendbare Recht nach den Kollisionsregeln der Rom-I VO (1) Grenzen durch den Verbraucherschutz (2) Unterscheidung zwischen „aktiven“ und „passiven“ Verbrauchern
bb) Der „aktive“ Verbraucher als Nutznießer einer Vollharmonisierung b) Sicht der Anbieter aa) Mindestharmonisierung als gefühltes oder wirkliches Hindernis für grenzüberschreitende Geschäfte bb) Verbesserung durch Vollharmonisierung 5. Leicht gestellte Fragen – schwierige Antworten III. Der Blick von „außen“ auf die deutsche Rechtslage 1. Vollharmonisierung am Beispiel der Verbraucherkreditrichtlinie 2. Die Abweichungen im Einzelnen a) Persönlicher Anwendungsbereich aa) Finanzierung zu Zwecken nichtselbstständiger beruflicher Tätigkeit – Verbraucherdarlehen? bb) Darlehen an Personengemeinschaft – Verbraucherdarlehen? cc) Darlehen an Existenzgründer – Verbraucherdarlehen? dd) Zwischenergebnis für ausländische Anbieter b) Sachlicher Anwendungsbereich aa) Keine Obergrenze für Anwendbarkeit des Verbraucherdarlehensrechts bb) Finanzierung des Erwerbs von Finanzinstrumenten c) Immobiliardarlehen aa) Erstreckung auf Immobiliardarlehen im deutschen Recht bb) Unschärfen cc) Bedeutung für ausländische Anbieter
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Reinhard Welter d) Verbundene Geschäfte beim Immobiliardarlehen aa) Herkömmliche Ausgangslage bb) Aktuelle Rechtslage cc) Vollharmonisierung mit dem Ergebnis einer intransparenten Rechtslage e) Finanzierungsleasing aa) Leasinggeschäfte als Finanzierungshilfe nach der Richtlinie bb) Leasinggeschäfte als Finanzierungshilfe nach deutschem Recht cc) Vereinbarkeit mit gegenständlich begrenzter Vollharmonisierung f) Anwendung auf unentgeltliche Teilzahlungsgeschäfte aa) Überraschende Erfassung unentgeltlicher Teilzahlungsgeschäfte bb) Unklare Weiterungen g) Sicherungsverträge aa) Einbeziehung durch die deutsche Rechtsprechung
bb) Vereinbarkeit mit gegenständlich begrenzter Harmonisierung – weitergehende Regelung durch die Rechtsprechung h) Wechsel- und Scheckverbot nach § 496 Abs. 3 BGB aa) Hintergrund: Richtlinie 87/102/EWG und ihre Umsetzung ins deutsche Recht bb) Wegfall durch die Richtlinie 2008/48/EG cc) Bedenken, insbesondere vor dem Hintergrund der Dienstleistungsfreiheit i) Regelungen für notleidende Darlehen IV. Fazit anhand des Gesamtbildes – level playing field oder Buckelpiste? 1. Keine verlässliche Grundlage grenzüberschreitende Geschäfte durch gegenständlich beschränkte Vollharmonisierung 2. Abhilfe durch Publizität? 3. Ausblick
I. Der Jubilar als „Pionier“ des Binnenmarkts Wer die Frage beantworten soll, welche Rechtsgebiete der Jubilar als seine Betätigungsfelder angesehen hat und ansieht, wird bestimmt in Verlegenheit kommen. Zu weit reichen die Interessen und zu vielfältig sind die im Laufe der Zeit aufgegriffenen Themen, um hierauf eine treffende Antwort zu formulieren. Nicht schwer fällt es dagegen, die Gemeinsamkeit zu benennen, die immer wieder als Motivation erkennbar wird: überall, wo sich neue Perspektiven eröffnen und neue Überlegungen erforderlich sind, gehört der Jubilar zu den ersten, die das „spannend“ finden, dazu Fragen formulieren, Antworten vorschlagen und meistens mutig Stellung beziehen. Diese Eigenheit spiegelt sich auch deutlich in dieser Festschrift wider; das breite Themenspektrum ist ungewöhnlich und es zeichnet wesentliche Linien der rechtspolitischen Diskussion in den letzten Jahrzehnten nach. In diesem Beitrag soll einem so entwickelten Interessenschwerpunkt des Jubilars nachgegangen werden, der nichts an Aktualität eingebüßt hat. 1. Vor 20 Jahren: Der Binnenmarkt als phantasieanregende Perspektive Vor nunmehr zwei Jahrzehnten hatte sich speziell für Bankgeschäfte eine Situation ergeben, die alle möglichen Entwicklungen ins Blickfeld rücken ließ. Das 1408
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Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zur Vollendung des Binnenmarktes vom 14.6.19851 war als Programm zu verstehen, durch eine Vielzahl von Gesetzesvorhaben bis Anfang 1993 den Binnenmarkt zu verwirklichen. Zunehmend wurde deutlich, dass es um einen Aufbruch zu neuen Ufern ging, die bislang allerdings eher schemenhaft zu erkennen waren. Immerhin war schon klar geworden, dass das Bankrecht hierbei eine besondere Rolle spielen würde2. Der Jubilar hat in dieser Lage zusammen mit Troberg3 den Versuch unternommen, die aufsichtsrechtliche Weiterentwicklung durch die 2. EG-Bankenrichtlinie zu einem Gesamtbild der rechtlichen Rahmenbedingungen eines gemeinsamen Europäischen Markts für Bankdienstleistungen zusammenzufügen. Neben dem in hoher Regelungsdichte neu gestalteten Aufsichtsrecht standen sonstige öffentlich-rechtliche Vorgaben für Bankdienstleistungen im Raum, ferner einschlägige kapitalmarktrechtliche Regelungen sowie die zivilrechtlichen Rahmenbedingungen. Bei Letzteren waren wiederum die kollisionsrechtliche Vorfrage nach dem anwendbaren Recht, die Tragweite bereits vollzogener Harmonisierungen und generell die Durchsetzungsfähigkeit nationaler Regeln gegenüber der primärrechtlich vorgegebenen und sekundärrechtlich unterstützten Zielrichtung eines Binnenmarkts4 zu unterscheiden. Positivrechtlich existierten dazu zwar Fragmente, aber ein stimmiger Gesamtentwurf war noch nicht zu erkennen. Der Beitrag, in dem die „künftigen Strukturen der Integration in diesem Sektor in einigen Punkten verdeutlicht werden sollen“, spricht die Harmonisierung als Mittel zur Schaffung eines Binnenmarkts für Bankdienstleistungen an, lässt aber eine gewisse Distanz erkennen: eine weitergehende Rechtsharmonisierung entspreche nämlich nicht der Vorstellung von einem Binnenmarkt mit einem diversifizierten Angebot5. 2. Die Forderung nach „Harmonisierung der Harmonisierung“ In einem wenig später veröffentlichten Beitrag des Jubilars6 finden sich als Gründe für eine zurückhaltende Harmonisierung innerhalb der Europäischen Gemeinschaft noch andere Aspekte, nämlich der Grundsatz der Subsidiarität und der Grundsatz des Mindeststandards. Als Ausgangspunkt müsse gelten, dass eine Rechtsangleichung hier nur geboten sein kann, wo sie erforderlich
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1 KOM(85) 310 endg., http://europa.eu/documents/comm/white_papers/pdf/com1985_ 0310_f_de.pdf. 2 Troberg, WM 1985, 957 ff.; Emmerich, WM 1990, 1 ff.; Schöne, WM 1989, 873 ff. 3 Uwe H. Schneider/Troberg, WM 1990, 165; nachfolgend Uwe H. Schneider, NJW 1991, 1985 ff. 4 S. aus dieser Zeit zum Verhältnis zwischen dem Privatrecht, den EG-Grundfreiheiten und dem Binnenmarkt Mülbert, ZHR 159 (1995), 2 ff. 5 Uwe H. Schneider/Troberg, WM 1990, 165, 172; dass eine weitergehende Harmonisierung im Vertragsrecht aus damaliger Sicht den politischen Möglichkeiten in Brüssel widersprochen habe, beschreibt jedenfalls nicht die jüngere Vergangenheit und Gegenwart. In der Tat war aber damals wohl z. B. der Gedanke fernliegend, dass das gesamte Zahlungsverkehrsrecht bis in die letzten Details harmonisiert werden und im BGB als §§ 675 d bis z auftauchen könnte. 6 Uwe H. Schneider, NJW 1991, 1985 ff.
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ist. Im Übrigen geht es hier aber vor allem um ein Anliegen, das den Jubilar seither begleitet: es ist erstaunlich oder sogar erschreckend, auf welchen unterschiedlichen Ebenen weltweit Privatrechtsharmonisierung stattfindet. Der Bogen reicht von Uncitral über Unidroit und der Internationalen Handelskammer bis hin zu Berufsverbänden und wissenschaftlichen Vereinigungen7. Es sei dringend geboten, eine alle Aspekte umfassende Konzeption zu erarbeiten, und auf jeden Fall müsse man sich von deutscher Seite an den Arbeiten beteiligen, um sie nicht anderen zu überlassen.
II. Harmonisierung des Privatrechts zur Förderung des Binnenmarkts aus heutiger Sicht Seit diesen Überlegungen sind 20 Jahre vergangen, in denen weitere Harmonisierung zur Förderung des Binnenmarkts stattgefunden hat und in denen sich die seinerzeit vorhandenen und folgenden Harmonisierungsmaßnahmen bewähren konnten. Ganz ohne Zweifel hat sich die Spürbarkeit dieser Regelungsbemühungen insofern erhöht, als zum Beispiel in Deutschland die Schuldrechtsreform von 2002 dadurch ausgelöst worden ist und moderne Vertriebsformen (insbesondere Fernabsatz im Internet) unter dem Vorzeichen europäischer Regeln stehen. Von der Justiz über die Anwaltschaft bis zu den betroffenen Bürgern sind auch Rechtsanwender und Rechtsunterworfene für den Stellenwert europäischer Rechtsetzung sensibilisiert; die Vorlage an den EuGH vor allem zur Auslegung von Richtlinien gehört zunehmend zum Standardprogramm bei der Bewältigung aufkommender zivilrechtlicher Streitfragen8. 1. Regelung nationaler Geschäfte – schwache Wirkung auf den Binnenmarkt Allerdings: betrachtet man die eigentliche Zielsetzung, nämlich die Förderung des Binnenmarkts, ergibt sich ein eher düsteres Bild. Zwar ist sichergestellt, dass der Bankkunde, der mit seiner örtlichen Bank, zu der er seit vielen Jahren Geschäftsbeziehungen unterhält, auch online-Banking pflegen möchte, in den Genuss der einschlägigen binnenmarktfördernden Richtlinie kommt; ob sie in diesem Fall wirklich sinnvoll sind9, ist dabei irrelevant. Das eigentlich verfolgte Ziel, nämlich durch einheitliche Regelungen grenzüberschreitende Geschäfte mit Verbrauchern zu ermöglichen, ist selbst bei
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7 Der Beitrag führt eine Zusammenstellung 28 verschiedener Institutionen an, die sich mit der Harmonisierung des internationalen Handelsrechts beschäftigen, und zwar im Rahmen von 100 aufgelisteten Harmonisierungsprojekten. 8 Zum Thema Schrottimmobilien der Fall Heininger, EuGH, NJW 2002, 281 ff. sowie die Fälle Schulte und Crailsheimer Volksbank, EuGH, NJW 2005, 3551 ff. und NJW 2005, 3555; zum Nutzungsersatz bei Nachlieferung wegen Mängeln EuGH, NJW 2008, 1433 ff.; Nutzungsersatz bei Widerruf EuGH, NJW 2009, 3015 f. 9 Z. B. die Angaben nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2002/65/EG zum Anbieter, insbesondere zu seiner Identität und Hauptgeschäftstätigkeit, mit Anschrift seiner Niederlassung und jeder anderen Anschrift, die für die Geschäftsbeziehung zwischen dem Verbraucher und dem Anbieter maßgeblich ist und schließlich auch mit Angabe der zuständigen Aufsichtsbehörde.
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wohlwollender Betrachtung bei weitem nicht erreicht. Zum Verbraucherkredit, der mittlerweile zwei Jahrzehnte durch europäische harmonisierte Regeln bestimmt wird, hat eine im Auftrag des Europäischen Parlaments durchgeführte Studie10 ergeben, dass der Anteil grenzüberschreitender Verbraucherkredite weniger als 0,1 Prozent beträgt; selbst die durch Niederlassungen oder Tochterunternehmen im Ausland gewährten Verbraucherkredite machen einen Anteil von weniger als 1 Prozent am Gesamtaufkommen aus11. Ein ähnlicher Befund liegt für den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen vor12. Man kann das belustigt dahingehend umschreiben, dass hier gesetzgeberische Berge offenbar besonders kleine Mäuse im Sinne realer Geschäfte gebären. Es geht aber um die durchaus ernste Frage, wie die Nutzung einer Kompetenz zur Förderung des Binnenmarkts im Ergebnis dazu führen kann, im wesentlichen nur nationale Sachverhalte zu regeln13. 2. Vollharmonisierung gegen Rechtszersplitterung und als Königsweg zum Binnenmarkt Seit fast einem Jahrzehnt steht deshalb ein Paradigmenwechsel im Raum: wenn die bisher praktizierte Mindestharmonisierung nicht das erstrebte Ziel erreiche, müsse man zur Vollharmonisierung14 übergehen15. Damit sei nämlich eine unterschiedliche Umsetzung (Rechtszersplitterung) in den Mitgliedstaaten zu vermeiden, die auf Anbieter abschreckend wirken könne16. Gegenwärtig
__________ 10 European Parliament, Policy Department – Economic and Scientific Policy, Broad economic Analysis of the Impact of the Proposed Directive on Consumer Credit, April 2007, S. 28 f., http://www.europarl.europa.eu/comparl/imco/studies/0704_con sumercredit_en.pdf. 11 Vgl. Gsell/Schellhaase, JZ 2009, 20, 21 Fn. 5. 12 Impact of Directive 2002/65/EC concerning the distance marketing of consumer financial services on the conclusion of cross-border financial service contracts between professionals and consumers, Project No. SANCO/2006/B4/034, Studie des IFF (Institut für Finanzdienstleistungen), Hamburg; dazu Knops in Habersack/ Mülbert/Nobbe/Wittig (Hrsg.), Die Umsetzung der Zahlungsdiensterichtlinie, Finanzmarktkrise und Verbraucherkreditlinie (Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung Bd. 30), 2010, S. 195, 204. 13 Vgl. dazu Rauber, ZEuS 2007, 151, 153 ff. m. w. N. 14 Ausführlich zur Terminologie Roth in Gsell/Herresthal, Vollharmonisierung im Privatrecht. Die Konzeption der Richtlinie am Scheideweg?, 2009, S. 13 ff.; zu Vorläufern außerhalb des Verbraucherschutzrechts Gsell/Herresthal in Gsell/Herresthal, Vollharmonisierung im Privatrecht. Die Konzeption der Richtlinie am Scheideweg?, 2009, Einleitung S. 1, 10 (Gesellschaftsrecht, Kapitalmarktrecht und Wettbewerbsrecht). 15 Hierzu ausführlich Gsell/Herresthal (Fn. 14); für einen Überblick s. die Einführung von Gsell und Herresthal, S. 1 ff., und der Beitrag von Herresthal, S. 115 ff., m. w. N.; als Beispiel für eine kritische Stimme Tamm, KJ 2007, 391 ff. und EuZW 2007, 756 ff. 16 Gsell/Herresthal in Gsell/Herresthal (Fn. 14), Einleitung S. 1, 2; skeptisch dazu Riehm in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 83, 86: eher das übrige rechtliche und kulturelle Vertriebsumfeld vom Verbrauchergeschmack über die Sprachbarrieren bis zum effektiven Zugang zur Justiz und zur effektiven Anwendung des geschriebenen Rechts durch die Gerichte.
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wird aus Anlass der Schaffung einer Verbraucherrechtsrichtlinie17 nicht nur darüber gestritten18, welches der beste Weg zu einem funktionierenden Binnenmarkt sei, sondern um sehr prinzipielle Fragen: Immerhin halten sich die jeweiligen Vertreter der Voll- oder Mindestharmonisierung vor, nur die von ihnen favorisierte Vorgabe sei europarechtskonform und hinsichtlich der Kompetenzgrundlage abgesichert19. 3. Von der Mindestharmonisierung zur Vollharmonisierung beim Erlass von Richtlinien in der jüngeren Vergangenheit Für die Praxis der Gesetzgebung ist maßgebend, dass die europäische Kommission in ihrer „Verbraucherpolitischen Strategie 2002–2006“ angekündigt hat, aus den genannten Gründen zu einer Vollharmonisierung überzugehen20. Die Entwicklung in den letzten Jahren ist deshalb durch Bestrebungen gekennzeichnet, die Förderung des Binnenmarktes durch verbraucherschützende Regelungen nicht mehr im Wege der Mindestharmonisierung, sondern der Vollharmonisierung stattfinden zu lassen21. Mittlerweile kann man nachverfolgen, wie dies anschließend in der Praxis umgesetzt worden ist. a) Richtlinie über den Verbraucherschutz bei Vertragsschlüssen im Fernabsatz Besonders deutlich ist der neue Ansatz bei der Entstehung der Richtlinie über den Verbraucherschutz bei Vertragsschlüssen im Fernabsatz22 hervorgetreten23. Der 1. Richtlinienentwurf der Kommission folgte erklärtermaßen dieser Zielsetzung24, und das Parlament ist ihr gefolgt25. Widerstand ergab sich erst im
__________ 17 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Rechte der Verbraucher vom 8.10.2008, KOM 2008 (614) eng.; dazu ausführlich Artz in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 209 ff. 18 Vgl. aus deutscher Sicht Bundesrat Plenarprotokoll 856 v. 6.3.2009, S. 108; umfassende Vollharmonisierung des Richtlinienentwurfs kann nicht unterstützt werden; zum Entwurf im Überblick vgl. auch Föhlisch, MMR 2009, 75 ff.; Micklitz/Reich, EuZW 2009, 279 ff.; Tacou, ZRP 2009, 140 ff.; Schinkels, JZ 2009, 774 ff. 19 Roth in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 13 ff. und Dicker in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 177, 178 einerseits und Knops in Habersack/Mülbert/Nobbe/Wittig (Fn. 12), S. 195, 205 ff. andererseits. 20 KOM (2002) 208 endg. – ABl. C 137 v. 8.6.2002, S. 2. 21 Zu den Auswirkungen aus ökonomischer Sicht Schulze in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 64 ff. 22 Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG, ABl. L 271 v. 9.10.2002, S. 16 ff. 23 Davor hatte es einen ersten Anlauf bei der allgemeinen Fernabsatzrichtlinie gegeben: Vorschlag der Kommission v. 21.5.1992, ABl. EG C 156 v. 23.6.1992, S. 4, 14. Das europäische Parlament hat sich diesem Vorstoß allerdings widersetzt: ABl. EG C 176 v. 28.6.1993, S. 94. 24 Erwägungsgrund 9 des 1. Richtlinienentwurfs, ABl. EG C 385 v. 11.12.1998. 25 ABl. EG C 279 v. 1.10.1999, S. 200.
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Rat26. Im Ergebnis fand zwar keine Rückkehr zur Mindestharmonisierung statt; die Einigung im Rahmen eines gemeinsamen Standpunkts war jedoch nur möglich, nachdem in wesentlichen Punkten Öffnungsklauseln für strengere Regelungen der Mitgliedstaaten vorgesehen wurden27. b) Zahlungsdiensterichtlinie Ein weiterer Schritt zur Vollharmonisierung fand durch die Zahlungsdiensterichtlinie28 statt. Nach ihrem Art. 86 Abs. 1 dürfen die Mitgliedstaaten, in den Bereichen, in denen die Richtlinie harmonisierte Bestimmungen enthält, keine anderen als die in der Richtlinie festgelegten Bestimmungen beibehalten oder einführen. Allerdings werden vorher als „unbeschadet“ zahlreiche und durchaus wesentliche Vorschriften der Richtlinie aufgeführt, die entgegen einer Vollharmonisierung Optionen29 für die Mitgliedstaaten eröffnen. Gemildert wird diese Abschwächung der Harmonisierung durch das Mittel der Publizität (Art. 86 Abs. 2 der Richtlinie30). c) Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG Der endgültige Durchbruch zugunsten der Vollharmonisierung ist mit der Verbraucherkreditrichtlinie vom 23.4.200831 gelungen32. aa) Ausdrückliche Vollharmonisierung in Art. 22 Nach ihrem Art. 22 dürfen die Mitgliedstaaten keine Bestimmungen in ihrem innerstaatlichen Recht aufrechterhalten oder einführen, die von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichen. Genau lautet die Formulierung: „Soweit diese Richtlinie harmonisierte Vorschriften enthält, dürfen die Mitgliedstaaten keine Bestimmungen …“. Aus Erwägungsgrund 9 ergibt sich, dass diese For-
__________ 26 Die Mitgliedstaaten müssen der Kommission mitteilen, wenn sie von einer Option Gebrauch machen, und die Kommission sorgt für eine Veröffentlichung dieser Information. 27 Dies betrifft insbesondere die Informationspflichten, den Widerruf, den Schutz vor unerwünschten Mitteilungen und die Regelungen über die Beweislast. 28 ABl. L 319 v. 5.12.2007, S. 1. 29 Eine vollständige Liste der Optionen findet man unter http://ec.europa.eu/internal_ market/payments/framework/options_de.htm. 30 Die Mitgliedsstaaten müssen der Kommission mitteilen, wenn sie von einer Option Gebrauch machen; die Kommission veröffentlicht die Informationen auf einer Website oder auf eine sonstige leicht zugängliche Weise; vgl. http://ec.europa.eu/ internal_market/payments/docs/framework/transposition/options_en.pdf. 31 Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 23.4.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. 2008 Nr. L 133, S. 66. 32 Riehm/Schreindorfer, GPR 5/08, 244; Knops in Habersack/Mülbert/Nobbe/Wittig (Fn. 12), S. 195, 200, der allerdings von Maximalharmonisierung spricht und den entsprechenden Paradigmenwechsel scharf kritisiert, insbesondere im Hinblick auf die nach seiner Ansicht nach fehlende gemeinschaftsrechtliche Kompetenz.
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mulierung mit Bedacht gewählt worden ist. Hier ist nämlich ausdrücklich festgehalten, dass es den Mitgliedstaaten freigestellt bleiben soll, innerstaatliche Rechtsvorschriften beizubehalten oder einzuführen, wenn bestimmte denkbare Regelungsbereiche durch die Richtlinie nicht erfasst sind. Als Beispiel wird die gesamtschuldnerische Haftung des Verkäufers oder Dienstleistungserbringers genannt, die mithin auf nationaler Ebene beibehalten oder eingeführt werden kann. Man kann hier von „Löchern im Käse“ sprechen, für die es beim nationalen Vielerlei bleibt33. Diese Löcher sind offenbar keineswegs spärlich anzutreffen; darüber hinaus wird die Möglichkeit angeführt, dass die Mitgliedstaaten innerstaatliche Rechtsvorschriften über die Aufhebung eines Kauf- oder Dienstleistungsvertrags für den Fall beibehalten oder einführen können, dass der Verbraucher sein Widerrufsrecht für den Kreditvertrag ausübt. Schließlich wird auch noch auf die Gestaltungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Modalitäten einer Rückabwicklung unbefristeter Kreditverträge verwiesen. bb) Eingeräumte Optionen Zur Tragweite der Vollharmonisierung muss man sich auch hier vergegenwärtigen, dass die Richtlinie in erheblichem Umfang wieder Optionen für den nationalen Gesetzgeber vorsieht, die ausdrücklich im Regelungsbereich der Richtlinie Gestaltungsspielräume des nationalen Gesetzgebers vorsehen34. Insbesondere gilt dies für die vorzeitige Rückzahlung, die zwingend eingeführt werden muss, und zwar mit einer obligatorischen Vorfälligkeitsentschädigung35. Der nationale Gesetzgeber kann aber Kleindarlehen ausnehmen36, und im Übrigen ist für die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung eine so große Spanne eröffnet37, dass Tragweite und Qualität des Rechts auf vorzeitige Rückzahlung letztlich auf nationaler Ebene bestimmt werden38. Der absehbaren Vielfalt nationaler Regelungen soll auch hier durch Publizität entgegengewirkt werden. Nach Art. 26 der Richtlinie müssen Mitgliedstaaten, die eingeräumte Alternativregelungen erlassen, die Kommission hiervon in
__________ 33 Gsell/Schellhase, JZ 2009, 20, 24; Riehm in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 83, 87 spricht von Spielräumen „intra muros“, die allerdings vom sekundären Gemeinschaftsrecht gewährt sein müssten, zumindest konkludent. Gebauer in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 163, 172 spricht insofern von „nicht explizit“ benannten Unvollständigkeiten im Gemeinschaftsrecht, die eine Ergänzung, etwa eine Lückenfüllung, gestatten. Nach Gsell/Schellhase, JZ 2009, 24 spricht die Intention einer Vollharmonisierung gegen die Annahme stillschweigender Verweisungen auf das nationale Recht. Bedeutsam werden diese Nuancen, wenn zwar Lücken bestehen, aber kein Indiz in die eine oder andere Richtung erkennbar ist. 34 Riehm in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 83, 103 ff. 35 Art. 16 Abs. 1, Abs. 2. 36 Art. 16 Abs. 4 lit. a. 37 Art. 16 Abs. 4 lit. b. 38 Gsell/Schellhase, JZ 2009, 20, 28 sehen mit Recht die Harmonisierungswirkung durch die Optionsklauseln eingeschränkt.
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Kenntnis setzen. Die Kommission wird dies „leicht zugänglich“ bekannt machen; darüber hinaus werden die Mitgliedstaaten ihren einheimischen Kreditgebern und Verbrauchern diese Informationen zur Kenntnis bringen. cc) Gegenständlich begrenzte Vollharmonisierung Auch wenn es reizvoll erscheint, der Effektivität dieser Publizitätsmaßnahmen nachzugehen, sollen sie hier nicht weiter verfolgt werden39. Es ist nämlich abzusehen40, dass der beabsichtigte Erfolg einer Vollharmonisierung in stärkerem Maße durch die oben angeführten Möglichkeiten infrage gestellt wird, in von der Richtlinie nicht erfassten Bereichen genuin nationale Vorstellungen zu verwirklichen41 (gegenständlich begrenzte Vollharmonisierung)42. Ohne große Mühe ist nämlich zu erkennen, dass die Richtlinie keineswegs alle Rechtsfragen auch nur anspricht, die mit Verbraucherkrediten verbunden sind43. Zum Beispiel findet sich in der Richtlinie – abweichend vom ursprünglichen Richtlinienvorschlag44 – nichts zu Leistungsstörungen, also zur wichtigen Thematik „notleidender Kredite“; immerhin hat dieses Thema bei den Überlegungen im Vorfeld der EU Richtlinie von 1987 auf nationaler Ebene eine zentrale Rolle gespielt45. Welche „Lücken“ allerdings in der Richtlinie zu finden sind, wo ihre Grenzlinien im einzelnen verlaufen oder ob die Richtlinie etwa auch ohne umfassende Regelung insofern eine Sperrwirkung46 entfaltet, lässt sich keineswegs leicht beurteilen47. Der Erwägungsgrund 10 spricht eine andere Seite der gegenständlich begrenzten Harmonisierung an: die „Begriffsbestimmungen“ der Richtlinie sollen gleichsam nach innen im Sinne einer Vollharmonisierung abweichende Regelungen ausschließen. Nach außen dagegen sollen die nationalen Gesetzgeber bei der Umsetzung nicht gehindert sein, die Bestimmungen der Richtlinie auf Bereiche anzuwenden, die nicht in deren Geltungsbereich fallen. Man kann hier anschaulich vom Umsetzungsspielraum sprechen, der extra muros ver-
__________ 39 Vgl. dazu ausführlich Schulze in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 64 ff. 40 Anders Schulze in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 64, 77, der im Anschluss an Sonntag, Das BGB unter europäischem Einfluss, 2009, S. 134 von einem „Befehl zu sklavischem Nachvollzug“ spricht. 41 Gebauer in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 163, 168 ff. wendet dies positiv und spricht von Kohärenzbildung auf mitgliedstaatlicher Ebene. 42 Zu dieser Grenze der Vollharmonisierung Gsell/Herresthal in Gsell/Herresthal (Fn. 14), Einleitung S. 1, 7; Gsell/Herresthal leiten hieraus die Forderung ab dass Reichweite und Inhalt der Richtlinienvorgabe präzise bestimmt werden müssten. 43 Ausführlich zur Frage, wie der Anwendungsbereich einer Richtlinie generell zu bestimmen ist Riehm in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 83, 86. 44 Vgl. Gsell/Schellhase, JZ 2009, 20, 227. 45 Vgl. Hadding, Gutachten zum 53. Deutschen Juristentag, 1980, S. 260 ff., 284 ff. 46 Zu den Gründen für und gegen die Annahme einer abschließenden Wirkung Gsell/ Schellhase, JZ 2009, 20, 25. 47 Riehm in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 83, 91.
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bleibt48. Dasselbe ist mit Extension49 oder erweiternder Umsetzung50 gemeint. Diese Möglichkeit scheint die beabsichtigten Wirkungen einer Vollharmonisierung weniger zu beeinträchtigen: es wird ja nicht die angestrebte einheitliche Regelung eines Rechtsgebiets durchbrochen, sondern die vollharmonisierte Regelung ist auch außerhalb des Anwendungsbereich der Richtlinie anzutreffen. Wie noch zu zeigen sein wird, treten aber ähnliche Effekte ein, weil Fehleinschätzungen und Unschärfen entstehen können; überhaupt ist es immer wieder schwierig, zwischen Festlegung des Inhalts nach innen und der Begrenzung des Anwendungsbereichs nach außen zu unterscheiden51. Die Herstellung eines „level playing field“ durch Vollharmonisierung ist deshalb nicht nur mit einem Fragezeichen versehen, sondern dieses Fragezeichen ist hinsichtlich seiner Größe und genauen Tragweite mit Ungewissheit verbunden. Der Absicht, den Binnenmarkt zu fördern, in dem keine Rechtszersplitterung anzutreffen ist und alle Beteiligten größere Gewissheit über die rechtlichen Rahmenbedingungen haben, läuft dies zuwider. 4. Ausgangslage für Geschäftsabschlüsse im Binnenmarkt Wenn man einschätzen will, welche Bedeutung diese Unsicherheiten haben, muss man zwischen der Sicht der betroffenen Verbraucher und der Anbieter unterscheiden. a) Sicht der Verbraucher Inwieweit Verbraucher durch Abweichungen von einer voll harmonisierten Rechtslage im Binnenmarkt berührt sind, hängt davon ab, welches Recht auf die von ihnen getätigten Geschäfte anwendbar ist. aa) Entscheidung über das anwendbare Recht nach den Kollisionsregeln der Rom-I VO Einschlägig ist seit dem 17.12.2009 die Rom-I VO52, also unmittelbar anwendbares europäisches Sekundärrecht. Nach ihr bestimmt sich das auf Schuldver-
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48 Riehm in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 83, 86; dazu schon ders., JZ 2006, 1035, 1036 und Buchmann, Umsetzung vollharmonisierender Richtlinien, 2008, S. 222; den Begriff „gold plating“ bringen hier Burmeister/Staebe, EuR 2009, 444, 445 ins Spiel. Zur schwierigeren Frage, inwieweit Richtlinien durch geringere Regelungsdichte und innere Regelungslücken Gestaltungsspielräume „intra muros“ eröffnen ausführlich Riehm in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 94 ff. und 100 ff. 49 Gebauer in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 163, 172 im Anschluss an Wendehorst in Jud/Wendehorst, Neuordnung des Verbraucherprivatrechts in Europa?, 2009, S. 153. 50 Riehm, JZ 2006, 1035 ff.; etwas plastischer sprechen Gsell/Schellhase, JZ 2009, 20, 22 von „überschießender“ Umsetzung. 51 Riehm in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 83, 93. 52 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom-I), ABl. EG L 177 v, 4.7.2008; dazu ausführlich Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 ff.; Pfeiffer, EuZW 2008, 622 ff.; Magnus, IPRax 2010, 27 ff.; Martiny, RIW 2009, 737 ff.
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träge anwendbare Recht, mithin auch die Rechtslage beim Abschluss von Verbraucherverträgen. Ausgangspunkt ist die Freiheit der Rechtswahl (Art. 3), das heißt die Vertragsparteien können – Auslandsberührung vorausgesetzt53 – einvernehmlich darüber bestimmen, welches Recht für die von ihnen geschlossenen Verträge gelten soll. (1) Grenzen durch den Verbraucherschutz Ihre Grenze findet die Rechtswahlfreiheit durch den Verbraucherschutz. Art. 6 der Verordnung lässt zwar ausdrücklich in seinem Abs. 2 auch eine Rechtswahl zu. Wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt sind, ist die freie Rechtswahl allerdings erheblich eingeschränkt. Sie darf dem Verbraucher nicht den Schutz seines Heimatrechts entziehen; nachdem zunächst eine restriktivere Linie eingeschlagen worden war54 kommt es – wie schon vor Inkrafttreten der Rom-I Verordnung – zu einer (tendenziell komplizierten) Kombination zwischen den Regeln der gewählten Rechtsordnung und den verbraucherschützenden Regelungen im Heimatrecht des Verbrauchers55. (2) Unterscheidung zwischen „aktiven“ und „passiven“ Verbrauchern Es hat also große Bedeutung, ob die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllt sind; hier findet sich die Trennung zwischen dem als schützenswert angesehenen „passiven“ und dem „aktiven“ Verbraucher. Während Ersterer durch Anbieter angesprochen wird, die sich in seinem Heimatstaat bewegen oder jedenfalls ihre Tätigkeit auf seinen Heimatstaat ausgerichtet haben, „verlässt“ Letzterer seinen Heimatstaat, um seinerseits Anbieter im Ausland anzusprechen. Offene Zweifelsfragen zu dieser Abgrenzung, insbesondere mit Blick auf das Merkmal des „Ausrichtens“56, können hier dahingestellt bleiben57. Entscheidend ist viel-
__________ 53 Vgl. Art. 3 Abs. 3 Rom-I VO. 54 Art. 5 des Vorschlags der Kommission der Europäischen Gemeinschaften v. 15.12. 2005, KOM (2005) 650 endg., IPrax 2006, 193 ff. hat bei Verbraucherverträgen eine Rechtswahl gänzlich ausgeschlossen; s. dazu Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 538; Martiny, ZEuP 2008, 79, 96; Bitterich, RIW 2006, 262, 264; Mankowski, IPrax 2006, 101, 106. 55 Es bleibt damit bei dem aus Art. 5 EVÜ bekannten Günstigkeitsvergleich, Leible/ Lehmann, RIW 2008, 528, 538; Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 626; Mankowski, IHR 2008, 133, 135. 56 Es ist im international prozessualen Zusammenhang eingeführt worden, nämlich durch die Verordnung (EG) 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG L 12 v. 16.1.2001, S. 1 ff. 2001/44, Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO. Hier dient es dazu, die freie Wahl des Gerichtsstands in Verbrauchersachen einzuschränken (Art. 17). 57 Vgl. Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO. Nach Erwägungsgrund 24 Rom I-VO sind die Vorschriften einheitlich auszulegen; dazu Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 538; Limbach in jurisPK-BGB, 4. Aufl. 2009, Art. 6 Rom I-VO Rz. 44; zur Auslegung des Begriffs „Ausrichten“ BGH, NJW 2009, 298; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak in den Rechtssachen C-585/08 (Peter Pammer) und C-144/09 (Hotel Alpenhof GesmbH), http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62009C01
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mehr, dass die Frage der Vollharmonisierung und ihrer Grenzen den „passiven“ Verbraucher nicht berührt. Die Stärkung des „Verbrauchervertrauens“58, die der Förderung des Binnenmarktes dienen soll und mit Blick auf die Regelungskompetenz in Art. 114 AEUV von großer Bedeutung ist, spielt hier also keine Rolle. bb) Der „aktive“ Verbraucher als Nutznießer einer Vollharmonisierung In seinem Vertrauen betroffen ist nur der „aktive“ Verbraucher, der bei Vollharmonisierung nach einem Idealbild im EU-Ausland nicht mit Überraschungen rechnen muss; er trifft nämlich stets auf sein (harmonisiertes) Heimatrecht, das ihm geläufig ist oder jedenfalls geläufig sein sollte. Zweifelsfragen zur Reichweite der Vollharmonisierung betreffen den aktiven Verbraucher allerdings umso mehr. Er muss nun doch mit Regelungen rechnen, die ihm weniger Schutz bieten als sein Heimatrecht. Unabhängig davon, ob man diese Sichtweise59 bei der Frage nach der Kompetenz zur Förderung des Binnenmarktes zu Grunde legt60, ist jedenfalls offensichtlich, dass die Wirkung einer Vollharmonisierung an dieser Stelle geschwächt oder sogar auf null zurückgeführt werden kann. b) Sicht der Anbieter Schon die Rede vom „level playing field“ lenkt den Blick auf die „Spieler“, also die Anbieter im Binnenmarkt. aa) Mindestharmonisierung als gefühltes oder wirkliches Hindernis für grenzüberschreitende Geschäfte Für sie war seit jeher die Mindestharmonisierung mit dem Problem verbunden, dass sie beim Überschreiten der Grenze61 kollisionsrechtlich mit dem Heimatrecht ihrer Kunden rechnen mussten, das im Sinne eines verstärkten Verbraucherschutzes mit Überraschungen jeglicher Art aufwarten konnte. Diese Art der Harmonisierung brachte ihnen mithin keinen Vorteil im Sinne verlässlicher Rahmenbedingungen62. Sie konnten nur ableiten, mit welchen Regelungen auf jeden Fall zu rechnen war. Selbst das war nicht einfach. Für eine zutreffende Einschätzung mussten Anbieter von der Richtlinie selbst aus-
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44:DE:NOT; Clausnitzer, EuZW 2010, 374 ff.; Limbach in jurisPK-BGB, 4. Aufl. 2009, Art. 6 Rom I-VO, Rz. 45; Mankowski, IHR 2008, 133, 142; Martiny, RIW 2009, 737, 744; Leible/Lehmann, RIW 2008, 528, 538. Dazu ausführlich Roth in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 13, 36. Förderung des Binnenmarktes durch Verstärkung des Vertrauens aktiver Verbraucher. Strikt gegen diese Sichtweise Roth in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 13, 36 f. und schon JZ 2001, 475, 478. Physisch oder – seit Geltung von Rom-I – durch „Ausrichten“, also in gewissem Sinne „virtuell“. Roth in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 13, 36 f.
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gehen; sie mussten also konsequent ausblenden, in welcher Hinsicht ihr eigenes Heimatrecht über die Richtlinie hinausgegangen war. Erfahrungsgemäß schlichen sich hier sehr schnell Fehlvorstellungen ein, die sich zudem hartnäckig hielten. bb) Verbesserung durch Vollharmonisierung Vollharmonisierung soll insofern nun wirklich ein „level playing field“ schaffen, indem die rechtlichen Rahmenbedingungen der Anbieter im Binnenmarkt vereinheitlicht werden63. Der Anbieter soll zum „confident entrepreneur“64 werden. Die zuvor aufgezeigten Grenzen dieser Vollharmonisierung wirken sich deshalb an dieser Stelle am meisten aus. Dem Versprechen einheitlicher Rahmenbedingungen steht die Erkenntnis gegenüber, dass jenseits der Regelung in der Richtlinie eben doch wieder Überraschungen lauern können. Dies wiegt umso schwerer, als der Raum jenseits und diesseits der Richtlinie keineswegs einfach zu erkennen und auseinander zu halten ist. Vielmehr muss man häufig genug sehr genau hinschauen und selbst dann bleiben noch Zweifel, zumal sich der idealtypische Binnenmarktanbieter 26 „fremden“ Rechtsordnungen gegenüber sieht. Auch wenn sie für die meisten Anbieter unterschiedlich ins Gewicht fallen werden, multiplizieren sich etwaige Unsicherheiten sehr rasch und führen wieder zu einer unerwünschten Abschreckungswirkung. 5. Leicht gestellte Fragen – schwierige Antworten Wer mit den Schwierigkeiten des Binnenmarktes vertraut ist, kennt die Frage besorgter oder nicht selten auch verzweifelter Anbieter, womit denn genau bei dem Überschreiten der Grenze zu einem bestimmten Mitgliedstaat zu rechnen ist. Gewöhnlich richtet sich dabei der Blick vom Inland ins Ausland, wobei meistens die deutsche Rechtslage mit der maßgebenden Richtlinie gleichgesetzt wird. Mit Blick auf das Ausland fürchtet man dagegen, auf Ausreißer zu treffen, die für externe Anbieter unberechenbar und schwer zu entdecken sind.
III. Der Blick von „außen“ auf die deutsche Rechtslage Nachfolgend soll gleichsam der umgekehrte Blickwinkel zugrunde gelegt werden. Einem Anbieter, der aus dem vom Jubilar häufig in die Diskussion eingebrachten Land Ruritanien (hier: Mitglied der EU) stammt und mit seinem korrekt harmonisierten Heimatrecht vertraut ist, soll vermittelt werden, mit welchen Abweichungen er in Deutschland trotz vollzogener Vollharmonisierung zu rechnen hat. Dabei soll es allein um die Abweichungen gehen, die trotz Vollharmonisierung möglich sind, weil sich eine Sperrwirkung nur entfaltet,
__________ 63 Dazu aus ökonomischer Sicht Schulze in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 64 ff. 64 Roth in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 13, 37 f.
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soweit die Regelungen der Richtlinie reichen (gegenständlich beschränkte Vollharmonisierung)65. 1. Vollharmonisierung am Beispiel der Verbraucherkreditrichtlinie Als Beispiel soll die Richtlinie dienen, die zuletzt mit der bislang weitestgehenden Vollharmonisierung ins deutsche Recht umgesetzt worden ist: Die insofern schon angesprochene Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG. 2. Die Abweichungen im Einzelnen a) Persönlicher Anwendungsbereich Sowohl die Richtlinie als auch das deutsche Recht setzen für die Anwendung der verbraucherschützenden Regelungen voraus, dass ein Unternehmer als Darlehensgeber einem Verbraucher als Darlehensnehmer einen Kredit, insbesondere ein Darlehen gewährt. Ein Gleichklang ist damit aber nur scheinbar gegeben. aa) Finanzierung zu Zwecken nichtselbstständiger beruflicher Tätigkeit – Verbraucherdarlehen? Nach der Richtlinie ist „Verbraucher“ eine natürliche Person, die das Geschäft zu einem Zweck schließt, der nicht ihrer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden kann (Art. 3 lit. a). § 13 BGB klingt ähnlich, verlangt allerdings auf den 2. Blick eine selbstständige berufliche Tätigkeit, um ein Verbrauchergeschäft auszuschließen. Kredite im Rahmen nichtselbstständiger beruflicher Tätigkeit sollen also nach der Richtlinie nicht erfasst werden, sind aber im deutschen Recht als Verbrauchergeschäft einbezogen66. Der Anbieter aus Ruritanien, der von der Richtlinie und der 1:1 Umsetzung in seinem Heimatstaat ausgeht, stößt hier also auf einen Anwendungsbereich des Verbraucherkreditrechts, der ihm nicht vertraut ist. Das ist nicht neu, sondern aus Zeiten der Mindestharmonisierung bereits bekannt67. Wenn man fragt, ob nicht die Vollharmonisierung insofern zur Förderung des Binnenmarkts neue
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65 S. auch mit diesem Ansatz noch zum Referentenentwurf Riehm/Schreindorfer, GPR 5/08, 244 ff. 66 Riehm/Schreindorfer, GPR 5/08, 244, 245; nach Riehm in Gsell/Herresthal (Fn. 14), S. 83, 86 ist dies mit Blick auf die Vollharmonisierung unproblematisch, womit aber noch kein Urteil über die d