Festschrift für Arndt Raupach: Zum 70. Geburtstag 9783504380588

Diese Schrift ist Arndt Raupach zur Vollendung seines 70. Geburtstages am 14. Juni 2006 gewidmet. Herausgeber und Autore

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German Pages 674 [664] Year 2006

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Festschrift für Arndt Raupach: Zum 70. Geburtstag
 9783504380588

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Festschrift für Arndt Raupach

FESTSCHRIFT FÜR

ARNDT

RAUPACH ZUM 70. GEBURTSTAG Steuer- und Gesellschaftsrecht zwischen Unternehmerfreiheit und Gemeinwohl herausQeQeben von

Paul Kirchhof Karsten Schmidt WolfQanQ Schön Klaus VoQel

2006

oUs

Verlag Dr.OttoSchmidt Köln

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel.: 02 21/9 37 38-01, Fax: 02 21/9 37 38-9 43 e-mail: [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 10: 3-504-06033-6 ISBN 13: 978-3-504-06033-6 © 2006 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Umschlaggestaltung: Jan P. Lichtenford, Mettmann Textformatierung: A. Quednau, Haan Druck und Verarbeitung: Bercker, Kevelaer Printed in Germany

Vorwort Diese Schrift ist Arndt Raupach zur Vollendung seines 70. Geburtstages am 14. Juni 2006 gewidmet. Herausgeber und Autoren verbindet nicht nur die gemeinsame Bewunderung für das wissenschaftliche und rechtspraktische Wirken von Arndt Raupach, sondern auch der hohe Respekt vor seiner weitsichtigen Denkweise, die neben einer tiefen Einsicht in politische und gesellschaftliche Zusammenhänge auch von einem ausgeprägten sozialen Bewusstsein zeugt. Der Untertitel der Festschrift soll verdeutlichen, dass für Arndt Raupach die Freiheit der Person – auch des Unternehmers – und die Verpflichtung auf das Gemeinwohl keine Gegensätze bilden, sondern Konstituanten einer gesellschaftlichen Ordnung sind, die in einer gemeinsamen ethischen Wurzel gründen. Persönlichkeit und Werk Arndt Raupachs werden im ersten Beitrag dieses Bandes aus der Feder von Paul Kirchhof gewürdigt. Die Herausgeber und Autoren hoffen, mit dieser Festschrift und ihren Beiträgen das Interesse und die Zustimmung des Jubilars zu wecken; sie wünschen sich selbst eine Fortsetzung des wissenschaftlichen Gesprächs mit Arndt Raupach sowie ihm und seiner Familie eine erfüllte und schaffensfrohe Zukunft innerhalb und außerhalb der Welt des Steuer-, Bilanz- und Gesellschaftsrechts. Hamburg, Heidelberg und München im Mai 2006 Paul Kirchhof

Karsten Schmidt

Wolfgang Schön

Klaus Vogel

V

Inhalt Seite

Vorwort .......................................................................................................

V

Laudatio PAUL KIRCHHOF Arndt Raupach zum Siebzigsten ............................................................

3

I. Steuerliche Grundsatzfragen FRANZ JOSEF HAAS Der Missbrauchstatbestand des § 42 AO – ein unkalkulierbares Risiko für die unternehmerische Gestaltungspraxis? ...........................

13

MONIKA JACHMANN Wenn die Rückwirkung zur gesetzgeberischen Routine wird, … ........

27

HANS-JOACHIM KANZLER Der Schuss ins Blaue – Einige Gedanken zum Experimentalgesetz im Steuerrecht .........................................................................................

49

MORIS LEHNER Das Rückwirkungsproblem im Spiegel der Abschnittsbesteuerung ....

67

GERT MÜLLER-GATERMANN Gewerbesteuer – quo vadis? ...................................................................

81

ALBERT J. RÄDLER Gedanken zur deutschen Steuerreform zu Beginn 2006 .......................

97

ROMAN SEER Datenabruf bei der sog. Kontenevidenzzentrale für steuerliche Zwecke .....................................................................................................

107

II. Einkommensteuerrecht RÜDIGER VON GROLL Zur Bedeutung des § 2 EStG für die Systematik des Steuerrechts .......

131

HEINRICH WILHELM KRUSE Über Liebhaberei .....................................................................................

143 VII

Inhalt

REINHARD PÖLLATH Einkommensteuer – einfach am Ende, am Ende einfach ......................

153

KLAUS TIPKE Hütet das Nettoprinzip! ..........................................................................

177

MICHAEL WENDT Erste Erfahrungen mit § 4 Abs. 4a EStG – ein Experimentalgesetz wider Willen ............................................................................................

195

III. Handels- und Steuerbilanzrecht JAN BOETIUS Bilanz- und europarechtliche Grenzen für Reformen in der privaten Krankenversicherung ..............................................................................

213

WILHELM HAARMANN Bilanzierung der Wertpapierleihe – Nicht-Realisierung der stillen Reserven trotz Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums: Eine Ausnahmeerscheinung oder eine häufig übersehene Regel? ........

233

RUDOLF JANSEN Die Aktivierung der Anschaffungskosten der Spielerlaubnis in der Fußball-Bundesliga ..................................................................................

247

WELF MÜLLER Bilanzierungsfragen bei der grenzüberschreitenden Umwandlung und Sitzverlegung ....................................................................................

261

ULRICH PRINZ Maßgeblichkeit versus eigenständige Steuerbilanz – Auswirkungen einer HGB-Reform auf das Steuerrecht ..................................................

279

WOLFGANG SCHÖN Teilwertabschreibungen auf börsennotierte Wertpapiere ....................

299

IV. Gesellschaftsrecht und Steuerrecht GEORG CREZELIUS Überlegungen zum steuerrechtlichen Eigenkapitalersatz ....................

327

PETER FISCHER Überlegungen zum sog. Durchgriff im Zivil- und Steuerrecht .............

339

VIII

Inhalt

GERRIT FROTSCHER Verdeckte Gewinnausschüttung und Grundsatz der Kapitalerhaltung ......................................................................................

363

DIRK POHL Die „deutsche Limited“ ..........................................................................

375

HANS-JOACHIM PRIESTER Zusammentreffen von Gewinnabführungsvertrag und stiller Gesellschaft – Dissonanz oder Konkordanz? .........................................

391

KARSTEN SCHMIDT Sanierender Rangrücktritt bei Gesellschafterdarlehen: Irrungen, Wirrungen! – Eine Skizze zu § 5 Abs. 2a EStG, §§ 19, 39, 199 InsO – ..........................................................................................

405

V. Unternehmenssteuerrecht DIETER BIRK Arbeitnehmerrabatte im Konzern – Neue Überlegungen zu einem alten Thema – ..........................................................................................

423

GOTTFRIED E. BREUNINGER Debt-Push-Down-Gestaltungen und § 8a Abs. 6 KStG ........................

437

DIETMAR GOSCH Die Personengesellschaft als Organträgerin ..........................................

461

JOHANNA HEY Unternehmenssteuerreform: Integration von Personenunternehmen in die niedrige Besteuerung thesaurierter Gewinne ..............................

479

RAINER HÜTTEMANN Liebhaberei bei Kapitalgesellschaften ....................................................

495

VIKTOR SARRAZIN Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden, eine Zebragesellschaft? ...................................................................................

515

JOACHIM SCHULZE-OSTERLOH Das Bundesverfassungsgericht und die Unternehmensbesteuerung ....

531

JOCHEN THIEL Probleme beim Übergang vom Halbeinkünfteverfahren zur Organschaft – Mehr- und Minderabführungen nach § 14 Abs. 3 KStG ............................................................................

543 IX

Inhalt

FRANZ WASSERMEYER Das System der zweistufigen Gewinnermittlung in der Rechtsprechung des BFH ..............................................................

565

VI. Internationales Steuerrecht WOLFGANG KUMPF/ANDREAS ROTH Gewinnabgrenzung bei internen Leistungen zwischen deutschen und ausländischen Betriebsstätten .........................................................

579

MICHAEL LANG Betriebsstättenvorbehalt und Ansässigkeitsstaat ..................................

601

ELISABETH STROBL-HAARMANN 25 Jahre Rechtsentwicklung zum Treaty Shopping in Deutschland ...

613

KLAUS VOGEL Der Unternehmensbegriff im OECD-Musterabkommen .....................

627

Verzeichnis der Schriften von Arndt Raupach ..........................................

639

Autorenverzeichnis ....................................................................................

663

X

Paul Kirchhof

Arndt Raupach zum Siebzigsten Arndt Raupach wird am 14. Juni 2006 70 Jahre alt. Dieses ist seinen Freunden, Kollegen und Wegbegleitern Anlass, ihm eine Festschrift zu widmen, deren Schwerpunkt dem Inhalt seines beruflichen Wirkens entspricht: der steuerzentrierten Rechtsberatung und der Rechtsvertretung in Steuerprozessen vor Finanzgerichten, dem Bundesfinanzhof, dem Europäischen Gerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht. Dabei würdigen wir den steuerbewusst gestaltenden Rechtsanwalt, den Wissenschaftler des Steuerrechts, den Landwirt und Pferdezüchter und den Menschen Arndt Raupach.

I. Arndt Raupach wurde als Sohn des Bürgermeisters Dr. jur. Walter Raupach und seiner Frau Hedwig, geb. Scholze, in Freiberg in Sachsen geboren. Seine Familie stammt aus Schlesien – der Name Raupach leitet sich von „raue Pache“ (rauer Bach) ab –, floh 1945 in die Nähe von Detmold, wo Arndt Raupach zunächst die Dorfschule, dann das Gymnasium Leopoldinum in Detmold besuchte. Nach dem Abitur 1956 zeigte sich bereits seine vielfältige Begabung: er schwankte, ob er Germanistik, Geschichte oder Jura studieren solle. Auf Rat seines Vaters wählte Arndt Raupach jedoch zunächst eine dreijährige Ausbildung zum Steuerinspektor bei der Nordrhein-Westfälischen Finanzverwaltung, entschied sich dann für ein Jurastudium, begann dieses Studium 1959 an der Universität Münster und setzte es nach drei Semestern in München fort. Hier hörte er Professor Dr. Ottmar Bühler, seinen späteren Doktorvater. Nach dessen Tod betreute Professor Dr. Hans Spanner seine Dissertation „Der Durchgriff im Steuerrecht“, eine Arbeit, die vielfache Beachtung gefunden hat und 1968 mit dem Gerhard-Thoma-Preis des Fachinstituts der Steuerberater ausgezeichnet wurde. Aber schon vor seiner Dissertation machte Arndt Raupach sich im steuerlichen Schrifttum einen Namen. Im Seminar von Professor Dr. Bühler wurde dessen damaliger betriebswirtschaftlicher Assistent Dr. Albert J. Rädler auf Arndt Raupach aufmerksam, der mehrere Seminarreferate, insbesondere über umsatzsteuerliche Probleme im Außenhandel und bei der Organschaft, gehalten hatte. Es entwickelte sich eine gemeinsame publizistische Zusammenarbeit, die letztlich 1966 zum Erscheinen des Rädler/Raupach, „Deutsche Steuern bei Auslandsbeziehungen“, führte. Schon als Rechtsreferendar schrieb Arndt Raupach gemeinsam mit Albert Rädler ein umfassendes Stan3

Paul Kirchhof

dardwerk zum Internationalen Steuerrecht. Diese Mitautorenschaft legte den Grundstein für die jahrzehntelange, freiberufliche Zusammenarbeit von Arndt Raupach und Albert Rädler als Rechtsanwalt und Steuerberater. Unsere Rechtsordnung ist auf den einzelnen Menschen ausgerichtet, der als Grundrechtsträger, als Vertragspartner und Anspruchsberechtigter, als Steuerschuldner und Steuerträger die Struktur unseres Rechts bestimmt. In dieser Perspektive einer auf den Willen des einzelnen Menschen und seine rechtliche Betroffenheit ausgerichteten Ordnung kommt dem Rechtsanwalt die Aufgabe zu, den Anliegen seines Mandanten einen rechtlichen Standort zu geben, seine Ziele und Vorhaben im Einklang mit dem geltenden Recht zu verwirklichen, im Streitfall sachkundig seine rechtlichen Chancen zu vertreten. Der Steueranwalt hat darüber hinaus die wirtschaftlichen Initiativen seines Klienten, vor allem sein Unternehmen in Gründung und Entwicklung mitzugestalten, ihm in der wachsenden Flut der Steuernormen den verlässlichsten Weg zur größtmöglichen Steuerersparnis zu weisen. Diese Aufgabe wird bei einer sich ständig ändernden Gesetzeslage, einem unübersichtlichen Rechtsquellenbefund, häufiger Widersprüchlichkeit und Systemwidrigkeit der Regelungen, einer Überlagerung der Steuerprinzipien durch eine Fülle von Ausnahmen, Lenkungen und Privilegien, einer staatenübergreifenden Wirtschaftstätigkeit und Unternehmensorganisation, vor allem aber einer strukturellen Schwäche des Steuergesetzgebers in seiner Verantwortlichkeit für einfache, einsichtige und unausweichliche Belastungsgründe immer anspruchsvoller. Arndt Raupach erfüllt diese Aufgabe von Anfang an meisterlich, heute mit Brillanz. Nach dem Zweiten Staatsexamen wurde er 1968 als Rechtsanwalt, 1970 als Fachanwalt für Steuerrecht zugelassen. Wer als Steuerinspektor begonnen, während des Studiums schon eine Neigung zum Steuerrecht gepflegt, in seiner Dissertation sich als kundiger Fachmann dieses Bereichs bewiesen, auch während der Referendarzeit schon steuerberatende Tätigkeiten ausgeübt hat, findet sehr schnell seine berufliche Mitte in der anwaltschaftlichen Steuerberatung. 1971 gründeten Albert J. Rädler und Arndt Raupach eine Anwalts- und Steuerberatungssozietät in der Schackstraße in München, die zu einer der ersten Adressen der Steuerrechtspflege in Deutschland werden sollte. 1980 erweiterte sich die Sozietät um fünf Partner, zog als Rädler Raupach & Partner 1983 an den Prinzregentenplatz 10, gründete 1989 eine Tochter-Steuerberatungsgesellschaft in Frankfurt am Main, errichtete, nachdem überörtliche Sozietäten inzwischen zugelassen waren, noch im selben Jahr eine Niederlassung in Frankfurt, 1990 ein Büro in Berlin und 1991 in Leipzig. Der außerordentliche Beratungserfolg von Rädler Raupach und Partner zeichnete die Entwicklung zu einer großen überörtlichen Wirtschaftskanzlei vor. 1991 fusionierten Rädler Raupach und Partner mit der Berliner Kanzlei Bezzenberger, Mock, Zätzsch & Partner zur Sozietät Rädler Raupach Bezzenberger. 1994 folgte die Fusion mit der Sozietät Boden Oppenhoff Rasor Raue 4

Arndt Raupach zum Siebzigsten

unter dem Sozietätsnamen Oppenhoff und Rädler zur damals größten Kanzlei in Deutschland mit über 250 Berufsträgern. 1998 reizte Arndt Raupach dann das Angebot, noch einmal etwas Neues zu wagen. So wurde er Gesellschafter-Geschäftsführer der Wollert-Elmendorff Deutsche Industrie-Treuhand GmbH – WEDIT, später Deloitte & Touche –, einer der weltweit tätigen Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften mit 30 Partnern und 2000 Mitarbeitern in Deutschland, und war für den Aufbau einer Rechtsanwaltsgesellschaft verantwortlich. In Zusammenarbeit mit den Steuerpartnern der WEDIT gründete er die Raupach & Wollert-Elmendorff Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, die mit fünf Anwälten in München als Kooperationspartner der Deloitte & Touche Gruppe startete und bis im Jahr 2004 auf insgesamt 75 Anwälten an sechs Standorten in Deutschland wuchs. Nachdem das Recht eine strengere Trennung von Wirtschaftsprüfung und Beratung, aber auch von forensischer Vertretung und Prüfung forderte, stand Arndt Raupach 2004 nochmals vor der Aufgabe, seinen beruflichen Erfolg neu zu organisieren. Gemeinsam mit einer Kernmannschaft, mit der er bereits 1998 seinen beruflichen Wechsel vollzog, schloß er sich der McDermott Will & Emery Rechtsanwälte Steuerberater LLP in München an, die eine der weltweit größten Anwaltskanzleien und in den USA eine der führenden Steuerrechtskanzleien ist. Auch hier ist Arndt Raupach der berufliche Erfolg nicht versagt geblieben. Sowohl 2004 als auch 2005 wurde seine neue Kanzlei von dem Branchenmagazin JUVE für den Preis für die Kanzlei des Jahres im Steuerrecht nominiert. Hinter dieser Entwicklung aus einer Keimzelle praxisnaher, wissenschaftlich fundierter Steuerberatung zu einem deutschen und internationalen Gütezeichen des Namens Raupach steckt jahrzehntelange, immer weiter vervollkommnete Beratungserfahrung, ein wägendes und gewichtendes Zusammenwirken mit Mandanten und Geschäftspartnern, die wissenschaftliche Auseinandersetzung insbesondere mit dem Konzernsteuerrecht, dem Körperschaftsteuerrecht und dem Außensteuerrecht, die ständige Entdeckung junger Talente, die Pflege von Kollegialität und Qualitätsmaßstäben, das Gespür für neue Rechtsentwicklungen und die in ihr angelegten Gestaltungsmöglichkeiten, auch die Bereitschaft, solche Entwicklungen literarisch und politisch anzustoßen.

II. Arndt Raupach ist auch ein Wissenschaftler, der seine praktische Erfahrung in Beratung und Gestaltung mit juristischem Systemdenken verbindet. 1969 lud Dr. Gerhard Heuer ihn ein, den Einkommensteuerteil des Einkommenund Körperschaftsteuer-Großkommentars „Herrmann/Heuer“ zu übernehmen. Nach fünfjähriger erprobter und bewährter Zusammenarbeit betreut 5

Paul Kirchhof

Arndt Raupach seit 1974 den Einkommensteuerteil, seit 1977 auch das Körperschaftsteueranrechnungsverfahren und trägt nach dem Tod von Carl Herrmann die Gesamtverantwortung für den Kommentar, der inzwischen in „Herrmann/Heuer/Raupach“ umbenannt worden ist. Seit 1971 konzipiert Arndt Raupach für das Deutsche Anwaltsinstitut eine Tagung zu praktischen Erfahrungen im internationalen Steuerrecht auf der Grundlage von Fallgestaltungen. Seitdem leitet Raupach jährlich die Tagung „Praxis des Internationalen Steuerrechts“. Seit nunmehr fast 20 Jahren tritt die Vorbereitung einer Tagung „Grundzüge des internationalen Steuerrechts“ hinzu. Er leitet auf deren Jahresarbeitstagung in Wiesbaden stets ein Generalthema aus dem Bereich der Gestaltungsberatung mit den Schwerpunkten Recht, Steuer und Organisation. Diese Kombination einer integrierten Rechts-, Steuer- und Organisationsberatung von Unternehmen hat Arndt Raupach stets in Praxis und Wissenschaft gereizt. Das von ihm 1999 herausgegebene Buch „Verrechnungspreise multinationaler Unternehmen (in betriebswirtschaftlicher, gesellschafts- und steuerrechtlicher Sicht)“ fasst die Referate und Diskussionen einer Jahrestagung der „Praxis des Internationalen Steuerrechts“ zusammen und dokumentiert das Anliegen dieser Tagungen: Zehn multinationale Unternehmen stellen ihre Verrechnungspreissysteme vor und entfachen so einen Dialog zwischen Betriebswirtschaft, Gesellschaftsrecht und Steuerrecht. Die wissenschaftliche Leistung von Arndt Raupach wurde besonders anerkannt, als er nach einer Tätigkeit als Lehrbeauftragter für Steuerrecht seit 1981 von der Juristischen Fakultät der Universität München 1987 zum Honorarprofessor ernannt wurde. Daneben hat er während seiner zeitweiligen Tätigkeit im Frankfurter Büro seiner Kanzlei, seit 1992, einen Lehrauftrag im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Frankfurt am Main übernommen. Arndt Raupach gilt als vorzüglicher Lehrer, dessen Systematik und Praxisnähe die Studenten suchen, der im Hörsaal junge Talente entdeckt, sich auch in seiner Kanzlei seinen Referendaren widmet. Bezeichnend für Stil und Anliegen dieses Lehrers ist es, dass jeder Referendar und junge Anwalt ihm Respekt zollt, wenn er seinen Ausbilder durch die offene Türe seines Büros in die Arbeit vertieft sieht, er aber später bei jedem Entwurf eines Gutachtens oder eines Schriftsatzes eine inhaltliche Auseinandersetzung, vor allem aber perspektivische Anregungen und Hinweise erwarten darf. Dabei wird häufig auch sichtbar, dass der praktisch tätige Wissenschaftler auf den Zusammenklang von materiellem und Verfahrensrecht setzt, er den individuellen Rechtsanspruch vor Behörden und Gerichten durchzusetzen weiß. Ein aktuelles Beispiel bietet der Kampf von Arndt Raupach in der Frage der gewerbesteuerlichen Mehrmütterorganschaft, in dem er die vor dem Bundesfinanzhof erstrittene unmittelbare Zurechnung der Verluste auf die verschiedenen Muttergesellschaften nun auch vor der Finanzverwaltung und dem Gesetzgeber verteidigt und für das Zeitschema der Gewaltenteilung kämpft: Der Gesetzgeber regelt die Zukunft, die Ver6

Arndt Raupach zum Siebzigsten

waltung widmet sich der Gegenwart, die Rechtsprechung beurteilt die Vergangenheit.

III. Arndt Raupach ist auch Landwirt und Pferdezüchter, bezeichnet sich selbst gelegentlich als Öko-Bauer. 1984 zog die Familie Raupach aus Nymphenburg in München auf einen erworbenen Bauernhof in Haag nahe Wasserburg, den „Ederhof“, und führt dort einen ökologischen Bauernhof mit heute 50 ha hauptsächlich Grünland und Mutterkuhhaltung. Der Hof wurde von Anfang an nach ökologischen Grundsätzen bewirtschaftet. Die ursprünglich kleine Herde von vier Deutsch-Angusrindern ist seitdem beträchtlich gewachsen. Heute führt der Sohn von Arndt Raupach den Ederhof als Vollerwerbslandwirt. 1986 begann die Familie Raupach außerdem eine Zucht von Friesenpferden nach den Regeln des inzwischen EG-rechtlich als Ursprungsstammbuch der Friesenpferde anerkannten niederländischen Friesenpferdestammbuchs. 1992 gründeten Almut und Arndt Raupach zusammen mit 18 anderen Züchtern eine neue Züchtervereinigung, deren Mitglieder ihre Pferde ausschließlich in dieses niederländische Friesenpferdestammbuch eintragen lassen. Arndt Raupach wurde zum ersten Vorsitzenden dieser Vereinigung gewählt. Auch wenn die Friesenzucht auf dem Ederhof mittlerweile nicht mehr fortgeführt wird, übt er dieses Amt auch heute noch aus. Dieser Verband entwickelte sich innerhalb von vier Jahren zu der mit 1200 Mitgliedern weltweit größten Züchtervereinigung von Friesenpferden nach dem niederländischen Friesenpferdestammbuch. Auf Vorschlag von Arndt Raupach gründeten 1994 zehn nationale Friesenpferdezüchterverbände von Nordamerika bis Südafrika zusammen mit dem niederländischen Friesenpferde-Stammbuch die „Welt-Friesenpferde-Organisation“, um die Friesenpferdezucht weltweit nach den Maßstäben Europas zu organisieren. Diese Tätigkeit als Landwirt und als Pferdezüchter hat von den zuständigen Behörden und den Fachorganisationen vielfältige Anerkennung erfahren. Auch der Landwirt Arndt Raupach setzt so sein Organisationstalent und sein Rechtswissen ein, um der Viehwirtschaft und Pferdezucht Qualitätsmaßstäbe und Organisationsstrukturen zu geben. Außerdem drängt es auch hier den Lehrer und Autor, sein Fachwissen in hippologischen Seminaren sowie in Fachveröffentlichungen über Friesenpferde, Barockpferde und den Einsatz von Barockpferden in der Dressur weiter zu geben.

IV. Eine Festschrift würdigt die berufliche Leistung des Geehrten, wird aber von der persönlichen Verbundenheit mit ihm getragen. Arndt Raupach ist ein 7

Paul Kirchhof

Kollege, dessen Humor und Realitätssinn, dessen Weltoffenheit und regionale Verwurzelung, dessen Familiensinn und Bürgerverantwortung beeindrucken. Seit 1964 ist Arndt Raupach verheiratet mit Almut Raupach, geb. Schönleben, die aus Franken stammt. Ihre beiden Kinder, Niko, geb. 1968, und Meike, geb. 1971, sind ein Mittelpunkt ihres Lebens, begleiten bis heute Initiativen ihrer Eltern und machen sie sich zu eigen. Der Sohn Niko führt nach einem Maschinenbaustudium an der Technischen Universität München den Ederhof und lebt dort mit seiner Frau und seinen drei Söhnen. Die Tochter Meike arbeitet in Italien als Physiotherapeutin. 1992 war ihr während ihres Sozialpraktikums im Klinikum Vogtareuth ein nur wenige Monate alter Patient Manuel aufgefallen, der wegen Sauerstoffmangels bei der Geburt mehrfach behindert ist. 1992 haben Almut und Arndt Raupach Manuel als Pflegekind aufgenommen. Er wird seitdem von Almut als Krankengymnastin, von Meike als Physiotherapeutin therapiert. Dabei hat sich die Familie Raupach intensiv mit den verschiedenen theoretischen und praktischen Therapiemethoden auseinandergesetzt, so den besten Weg für das Pflegekind gesucht und gefunden. Auch in diesem Lebensbereich drängt es Arndt Raupach, Rechts- und Organisationsstrukturen für die Pflege, Ausbildung und ärztliche Betreuung dieser behinderten Kinder zu verbessern oder auch erstmals zu schaffen. Für das Kinderzentrum München, das ärztliche Betreuung und Forschung, Schule und Ausbildung, behinderte und nicht behinderte Kinder, Ambulanz und Klinik miteinander verbindet, hat er eine Organisationsform entwickelt, die zwischen Gemeinnützigkeit und wirtschaftlicher Effizienz, zwischen Spartenzuständigkeit und innerem Zusammenhalt, zwischen ärztlicher Verantwortlichkeit und Elternrechten, zwischen Universitätseinrichtung, kommunalen Einrichtungen, Sozialversicherungsträgern und Spenderorganisation vermittelt und ausgleicht. Daneben wirkt Arndt Raupach in der Leitung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e.V. langjährig als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats und gegenwärtig als stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft. Er ist auch stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht e.V. sowie Mitglied im Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins. Vielfach hören wir seine Stimme bei der Kritik der Steuergesetzgebung, im Kampf um ein faires rechtsstaatliches Verfahren, in der Begleitung einer europa- und weltoffenen Wirtschaft, vor allem in ihren Auswirkungen auf das Steuerrecht. Vor Gerichten, insbesondere dem Bundesfinanzhof, vertritt Arndt Raupach seine Mandanten mit dem Florett dessen, der viele Kämpfe gefochten und Siege errungen hat, dabei aber eine Verletzung des Gegners vermeidet, die Fairness des Streites pflegt, den Beifall des Fachpublikums verdient und genießt. So ehren wir Arndt Raupach auch als Bürger. Das Recht dieses Staates ist seine Sache, ein stetig verbessertes Recht sein ständiges Anliegen. Er blickt 8

Arndt Raupach zum Siebzigsten

auf die Welt und lebt auf dem Ederhof, er misst seine Erfolge an seinen wirtschaftlichen Ergebnissen, verbindet sein Leben aber auch mit einem Pflegekind. Sein Rat gilt den großen Unternehmen unserer Wirtschaft, mit ähnlicher Beharrlichkeit aber auch gemeinnützigen Einrichtungen. Arndt Raupach wahrt stets eine Distanz zum Staat und ist doch bewusst und engagiert ein Teil dieser Republik. Ein solcher Bürger verdient ein Fest und eine Schrift. Heidelberg, im April 2006

Paul Kirchhof

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Franz Josef Haas

Der Missbrauchstatbestand des § 42 AO – ein unkalkulierbares Risiko für die unternehmerische Gestaltungspraxis? Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Missbrauchstatbestand des § 42 Abs. 1 AO 1. Rechtstheoretische Grundlagen 2. Kritik

III. Grenzfälle der Gestaltungsberatung 1. Reichweite der Gesamtplanrechtsprechung 2. Finanzierungsfreiheit und Gestaltungsmissbrauch IV. Regelungsgehalt des § 42 Abs. 2 AO V. Resümee

I. Einleitung Der Jubilar gehört zu den um das Rechts- und Steuerwesen und nicht zuletzt um das Ansehen der Fachanwaltschaft für Steuerrecht hoch verdienten Persönlichkeiten. Ein nicht geringer Teil seines reichhaltigen Lebenswerks als Berater und Wissenschaftler widmete er der Lehre. Pars pro toto seien seine Verdienste um die Fortbildung der Beraterschaft auf dem Gebiete des internationalen Steuerrechts hervorgehoben („Grundlagen“ – „Praxis des Internationalen Steuerrechts“, Frankfurt, im Fachinstitut für Steuerrecht des Deutschen Anwaltsinstituts e.V.). Prägend für das Arbeitsprogramm der seit 1949 veranstalteten Jahresarbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht e.V., dessen Vorstandsmitglied der Jubilar seit Jahren ist, ist das von ihm gestaltete Generalthema, das er seit zwei Dekaden leitet. Seine Themen, die bestimmte Strukturen des Wirtschaftsverkehrs aus zivilgesellschafts- steuerrechtlicher und betriebswirtschaftlicher Sicht unter Hinzuziehung renommierter Referenten und Mitwirkender beleuchten, zuletzt 2005 „Rechtsformen und unternehmerische Strukturen im (internationalen) Wettbewerb“, berühren letztlich auch die hier gestellte Eingangsfrage. Für das Steuerrecht stellt sich bei jeder Strukturveränderung die zentrale Frage, wie sich die Steuerlast reduzierenden oder vermeidenden Gestaltungen verhalten sollen. Die Existenz des § 42 AO (einschließlich seiner Vorgängervorschriften seit § 5 RAO 1919) legt nahe, dass das Steuerrecht jede Gestaltungen im Grundsatz anerkennt, die Steuerpflichtigen also nicht zwingt, ihre Verhältnisse möglichst „fiskusfreundlich“ zu gestalten. Die „Steuerersparnis“ durch Tatbestandsvermeidung ist für sich genommen nicht zu missbilligen. Die Vermeidung des Steuertatbestands findet gem. 13

Franz Josef Haas

§ 42 Abs. 1 S. 1 AO erst ihre Grenzen, soweit ein Steuergesetz durch einen „Missbrauch“ von Gestaltungsmöglichkeiten umgangen wird. In diesem Fall fingiert § 42 Abs. 1 S. 2 AO, dass der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt für Zwecke des § 38 AO so behandelt wird, wie ein den wirtschaftlichen Vorgängen angemessener Sachverhalt.

II. Missbrauchstatbestand des § 42 Abs. 1 AO 1. Rechtstheoretische Grundlagen Nach der in der Rechtsprechung des BFH üblichen Formulierung1 liegt ein Missbrauch vor, wenn eine Gestaltung gewählt worden ist, die gemessen an dem erstrebten Ziel unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist. Dabei gehen Zweifel über das Vorliegen eines Missbrauches zu Lasten der Finanzbehörde2. Namentlich hält der BFH3 bislang grosso modo an der Grundaussage fest, dass eine Gestaltung „unangemessen“ sein müsse und dass das Motiv der Ersparnis von Steuern isoliert betrachtet nicht die Unangemessenheit der Gestaltung begründen könne. Der BFH verneint – zumindest traditionell – die Unangemessenheit, wenn die Gestaltung gemessen am angestrebten Ziel durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe zu rechtfertigen ist. Dieses Grundverständnis des Missbrauchstatbestands wird von manchen4 abgelehnt. Der Regelungsgehalt des § 42 AO reduziere sich auf die Aussage, dass ein Steuergesetz nicht umgangen werden könne. Da jede Steuervorschrift ihren Geltungsanspruch „aus eigener Kraft zu wahren“ habe, sei § 42 AO für die Gesetzesanwendung überflüssig. Schlagwortartig ist von der sog. Innentheorie die Rede, welche dem traditionellen „außentheoretischen“ Verständnis entgegenzusetzen sei. Ebenso wie im Zivilrecht seien auch im Steuerrecht die Gerichte zur teleologischen Auslegung der Steuergesetze berufen. Der BFH sei in gleicher Weise wie der BGH oder das BAG im Gesellschafts- und Arbeitsrecht zur richterlichen Rechtsfortbildung legitimiert. § 42 AO stelle klar, dass es ein Analogieverbot im Steuerrecht nicht gebe.

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Z. B. BFH v. 19. 8. 1999, BStBl. II 2001, 43; v. 20. 3. 2002, BStBl. II 2002, 819. BFH v. 2. 3. 1966, BStBl. III 1966, 509; Klein/Brockmeyer, AO, 8. Aufl., 2003, § 42 Rz. 29. Z. B. BFH v. 20. 3. 2002, BStBl. II 2003, 50 (I. Senat); v. 10. 12. 2003, FR 2004, 714 (IX. Senat); v. 16. 12. 2003, GmbHR 2004, 815 (VIII. Senat). P. Fischer, StuW 1992, 121; ders., DB 1996, 644; ders., SWI 1999, 104; ders., FR 2001, 1212; ders., FR 2003, 1013; ders. in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 42 AO Rz. 168; Sieker, Umgehungsgeschäfte, 2001, S. 8 ff., 18 ff.

Der Missbrauchstatbestand des § 42 AO

2. Kritik Diese Ausführungen lassen zunächst erkennen, dass es bei der Frage der rechtstheoretischen Einordnung des Gestaltungsmissbrauchs um bis heute umstrittene Prinzipienfragen der allgemeinen Steuerrechtslehre geht. Bereits Enno Becker hatte den Standpunkt vertreten, dass § 5 RAO (1919) leerläufig sei5. Die praktischen Konsequenzen dieses Verständnisses sind in Bezug auf Umgehungsgestaltungen zweierlei: Zum einen wäre der BFH legitimiert, losgelöst vom Wortlaut des § 42 AO und dem dazu inzwischen gefestigten Verständnis typische Formen der Ausweichgestaltung im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung als Gesetzesumgehung zu qualifizieren. Im Mittelpunkt des aktuellen Interesses steht dabei die Figur des Ausweich- und Korrekturgeschäfts nach einem Gesamtplan6. Zum anderen geht es darum, den Steuerpflichtigen den Entlastungseinwand abzuschneiden, eine bestimmte, einer Umgehung verdächtige Gestaltung sei durch wirtschaftliche oder sonstige außersteuerliche Gründe gerechtfertigt7. Diese neuerliche Sichtweise ist methodologisch höchst fragwürdig. Würde man die Umgehungsproblematik in seinem dogmatischen Kern auch im Steuerrecht allein als ein Auslegungs- und Analogieproblem der vermiedenen Steuernorm interpretieren und diese Interpretation mit einer „teleologischen“ Auslegung eines Fiskalzwecks der einzelnen Norm kombinieren, dann würde dies nahe legen, dass jede geplante steuergünstige Gestaltung zugleich zur Umgehung einer steuerungünstigen Gestaltung führte, die man als Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne des § 42 AO einordnen könnte. An der Unhaltbarkeit dieses Ergebnisses zeigt sich, dass es im Kern nicht allein um die Frage der Zulässigkeit einer eingriffserweiternden Analogie zu Lasten des Steuerpflichtigen, sondern auch um die Analogiefähigkeit von Fiskalzwecknormen geht8. Das Abstellen auf einen „Gesamtplan“ als eigenständiges Argumentationsmuster ist deshalb problematisch, weil es letztlich im Wege der Vermutung aufgrund Typisierung zu einem belastenden Eingriff kommt, obschon die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm des besonderen Steuerrechts nicht erfüllt sind (dazu näher unten unter III. 1.). Mit der Loslösung der Umgehungsproblematik von der durch § 42 AO aufgeworfenen Frage der Unangemessenheit wird die gesamte bisherige Rechtsanwendung des BFH sowohl dogmatisch als auch ergebnisorientiert in Frage

__________ 5 6 7 8

Becker, StuW 1924, Sp. 145, 151, 154; ders., StuW 1924, Sp. 441, 443. vgl. zum älteren Schrifttum die Nachweise bei Tipke/Kruse, AO/FGO (Stand: Sept. 1999), § 42 AO Rz. 8. Dazu einerseits P. Fischer, FR 2001, 1212; ders., FR 2003, 1013; Sieker, a.a.O., S. 54 ff.; andererseits Crezelius, FR 2003, 537; Söffing, BB 2004, 2777 ff.; vgl. auch Förster, FS Korn, 2005, S. 3 ff.; Spindler, DStR 2005, 1 ff. P. Fischer, FR 2001, 1212, 1214; ders., FR 2003, 1013 f.; Sieker, a.a.O., S. 20. Tipke/Kruse, AO/FGO (Stand: Sept. 1999), § 42 Rz. 10.

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gestellt. Auch das Vorverständnis, dass die Steuergerichte vergleichbar den Zivilgerichten zur Rechtsfortbildung berufen seien, überzeugt nicht. Denn im Steuerrecht geht es um klassisches Eingriffsrecht, welches verfassungsrechtlich an den Vorbehalt des Gesetzes gebunden ist. Die zentrale rechtsstaatliche Aufgabe der Steuergerichtsbarkeit besteht darin, die steuerbarkeitsimmune Freiheitssphäre des Steuerbürgers von der Steuerbarkeitssphäre abzugrenzen9. Trotz dieser Bedenken ist darauf hinzuweisen, dass die dogmatische Neuorientierung zum Teil auch in der Rechtsprechung des BFH, etwa im Zusammenhang mit einem sog. Gesamtplan Anklang findet und sich zu einem eigenständigen Subsystem entwickeln könnte10. Eine Analyse der jüngeren Rechtsprechung der einzelnen Senate des BFH lässt erkennen, dass das dargestellte Argumentationsmuster des Gesamtplans bei mehreren Senaten zunehmend an eigenständigem dogmatischen Gewicht – und zwar entweder als Subsystem des § 42 AO oder unabhängig von § 42 AO – gewonnen hat11. In der Beraterschaft ist diesbezüglich schon von einer „‚Gestaltungssperre’ Gesamtplanrechtsprechung“ die Rede12.

III. Grenzfälle der Gestaltungsberatung 1. Reichweite der Gesamtplanrechtsprechung Gesamtplanüberlegungen sind nicht neu. Sie finden sich in der Rspr. des BFH seit über 20 Jahren. Schon nach älteren Entscheidungen des BFH13 konnte ein geplantes schritt- bzw. stufenweises Vorgehen namentlich im Zusammenhang mit der alten Tarifbegünstigung des § 34 EStG dazu führen, diese zu versagen. Für die sich abzeichnende jüngste Eigendynamik des Gesamtplans ist eine Entscheidung des IV. Senats des BFH v. 6. 9. 200014 verantwortlich. Dort führte der IV. Senat des BFH den Gesamtplangedanken im Rahmen der Würdigung von Veräußerungsvorgängen im Allgemeinen ein: Der Gewinn aus der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils sei nicht tarifbegünstigt, wenn aufgrund „einheitlicher Planung und in engem zeitlichen Zusammenhang“ mit einer Anteilsveräußerung wesentliche Betriebsgrundlagen der Personengesellschaft zu Buchwerten in ein anderes Betriebsvermögen überführt werden. Mit dem Gesamtplangedanken hat etwa kürz-

__________ 9 Crezelius, FR 2003, 537, 539, Fn. 17. 10 So namentlich die Einschätzung von Spindler, DStR 2005, 1, 5. 11 Näher Crezelius, FR 2003, 537 ff.; Förster/Schmidtmann, StuW 2003, 114 ff.; Spindler, DStR 2005, 1 ff. 12 Strahl, KÖSDI 2003, 13918 ff. 13 Vgl. BFH v. 19. 2. 1981, BStBl. II 1981, 566 (IV. Senat); v. 24. 11. 1982, BStBl. II 1983, 429 (II. Senat); v. 1. 2. 1989, BStBl. II 1989, 458 (VIII. Senat). 14 BStBl. II 2001, 229.

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lich der VIII. Senat des BFH15 die bisherige Rechtsprechung des BFH bestätigt, dass Darlehens- und Schenkungsverträge unter nahen Angehörigen nicht anerkannt würden, wenn Schenkungs- und Darlehensvereinbarung auf einem entsprechenden Gesamtplan beruhten. Als weiteres Beispiel kann auf die jüngste Rechtsprechung des IV. Senats zum Gestaltungsmodell der sog. Anteilsrotation16 verwiesen werden, die jedenfalls in der Tendenz im Gegensatz zur Rechtsprechung des I. Senats des BFH17 steht. Auch hier wird ein Gestaltungsmissbrauch in einem geplanten steuergünstigen Verhalten gesehen. Die Besonderheit der Entscheidung zur Anteilsrotation liegt darin, dass es nach Ansicht des IV. Senats für die Angemessenheit einer Gestaltung wohl nicht mehr darauf ankommt, ob den einzelnen Teilschritten auch eine eigene wirtschaftliche Bedeutung zukommt18. Damit droht die Gefahr, dass „gesamtgeplante“ Umstrukturierungen von Unternehmensgruppen, die selbstverständlich ganz entscheidend davon beeinflusst werden, nachteilige steuerliche Folgen zu vermeiden, automatisch dem Verdacht des Gestaltungsmissbrauchs ausgesetzt sind. Die Eigendynamik des Argumentationsmusters „Gesamtplan“ zeigt sich etwa, wenn man diese zur Tarifbegünstigung des § 34 EStG entwickelte Begründung unbesehen auf unentgeltliche Übertragungen nach § 6 Abs. 3 EStG überträgt. Die unentgeltliche Übertragung eines Mitunternehmeranteils nach § 6 Abs. 3 S. 1 EStG hat eine Buchwertverknüpfung dergestalt zur Folge, dass die stillen Reserven des unentgeltlich Übertragenden auf den Empfänger übergehen. Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Norm ist allerdings, dass sämtliche in funktionaler Hinsicht wesentlichen Betriebsgrundlagen auf den Rechtsnachfolger übertragen werden19. Aus diesem systematischen Verständnis des Begriffs des Mitunternehmeranteils folgt nun die mit dem Zweck des § 6 Abs. 3 EStG, vorweggenommene Erbfolgen zu begünstigen, wenig stimmige Notwendigkeit, Sonderbetriebsvermögen, welches qualitativ, vielleicht sogar nur quantitativ, zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen gehört, zusätzlich unentgeltlich auf den Unternehmensnachfolger mit zu übertragen. Praktisch betrifft dies alle Fälle, in denen Grundstücke zum Sonderbetriebsvermögen gehören. Will der Schenker – etwa um seine eigene Altersvorsorge abzusichern – sein (zivilrechtliches) Alleineigentum zurückbehalten, hat dies die Aufdeckung aller stillen Reserven zur Folge. Es ist für einen Außenstehenden durchaus nachvollziehbar, dass der bisherige Mitunternehmer die unentgeltliche Unternehmensnachfolge nicht daran scheitern

__________ 15 BFH v. 22. 1. 2002, BStBl. II 2002, 685. 16 BFH v. 8. 5. 2003, FR 2003, 1028; ebenso der VIII. Senat des BFH v. 7. 7. 1998, BStBl. II 1999, 729. 17 BFH v. 18. 7. 2001, BFHE 196, 128; dem folgend nunmehr aber der VIII. Senat v. 19. 8. 2003, DStR 2004, 948. 18 Vgl. BFH v. 6. 9. 2000, BStBl. II 2001, 229, 231; näher: Strahl, KÖSDI 2003, 13918, 13921 m. w. N. 19 BFH v. 31. 8. 1995, BStBl. II 1995, 890.

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lassen möchte, das Grundstück für seine persönliche Absicherung behalten zu wollen. Deshalb liegt der Rat nahe, die Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 EStG dadurch sicherzustellen, dass die betroffene wesentliche Betriebsgrundlage (regelmäßig Grundstücke) vor der unentgeltlichen Übertragung der Gesellschaftsbeteiligung ohne Aufdeckung der stillen Reserven ausgegliedert werden soll. Dies ist nach § 6 Abs. 5 EStG möglich. Die Finanzverwaltung20 vertritt demgegenüber unter Berufung auf den Gesamtplangedanken die Ansicht, dass die vorausgehende Ausgliederung in Kombination mit der folgenden Übertragung der Gesellschaftsbeteiligung bzw. des Mitunternehmeranteils zu einem Gestaltungsmissbrauch i. S. des § 42 AO führt, soweit sie auf der Grundlage eines sog. schädlichen Gesamtplanes im engen zeitlichen Zusammenhang mit der vorweggenommenen Erbfolge erfolgt. Wenn aber § 6 Abs. 5 EStG die erfolgsneutrale Ausgliederung einzelner Wirtschaftsgüter und damit die Aufspaltung wirtschaftlicher Einheiten erlaubt, § 6 Abs. 3 EStG den Fortbestand des (als Mitunternehmerschaft organisierten) Betriebs nicht durch das Aufdecken stiller Reserven ohne Liquiditätszufluss beim Übertragenden gefährden will und schließlich das Zurückbehalten von Wirtschaftsgütern beim Übertragenden ein wirtschaftlich rationales Verhalten bildet, zeigt sich, dass der Gesamtplangedanke bei § 6 Abs. 3 EStG fehl am Platze ist21. Wenn man den Gesamtplan als eigenständiges Subsystem innerhalb des § 42 Abs. 1 AO etabliert, stellt sich sofort das Folgeproblem, unter welchen Voraussetzungen von einem „zeitlichen und sachlichen Zusammenhang“ auszugehen ist. Für den Veräußerungsfall hat der IV. Senat des BFH einen engen zeitlichen Zusammenhang unzweifelhaft bei einem „zeitlichen Abstand von weniger als 8 Wochen“ angenommen22. Dieser ca. Zwei-Monats-Zeitraum darf jedoch nicht als eine Obergrenze verstanden werden. Nach der Rechtsprechung des BFH zur begünstigten Betriebsaufgabe kann ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen erster und abschließender Aufgabehandlung jedenfalls dann nicht mehr anerkannt werden, wenn 36 Monate zwischen Beginn und Beendigung der Betriebsaufgabe liegen23. In einer aktuelleren Entscheidung des IV. Senats des BFH wird eine zeitraumbezogene Betrachtung nicht mehr angestellt, weil ein zweiter Vertrag mehr als ein Jahr nach dem ersten Vertrag geschlossen worden war24. Es wäre aber verfehlt, wollte man aus dem zeitlichen Problem die sichere Lösung für die Gestaltungsberatung ableiten wollen, „vorausschauend“ zu planen. Denn: Ob es letztendlich überhaupt auf einen zeitlichen Zusammenhang ankommt, hängt entscheidend davon ab, ob für die Annahme eines Gestaltungsmiss-

__________ 20 BMF v. 3. 3. 2005, BStBl. I 2005, 458 Tz. 7. 21 In diesem Sinn auch Crezelius in Westermann, Handbuch der Personengesellschaften (Stand: Juni 2005), § 4 Rz. II 476. 22 BFH v. 6. 9. 2000, BStBl. II 2001, 229. 23 BFH v. 26. 5. 1993, BStBl. II 1993, 710. 24 BFH v. 16. 9. 2004, BStBl. II 2004, 1068 m. Anm. Kempermann, DStR 2004, 1956.

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brauches nicht ein sachliches Kriterium, nämlich die Verfolgung eines Gesamtzieles in Teilschritten – und zwar unabhängig von dem geplanten Zeitraum – entscheidend ist25. Dann gäbe es keine Ausschlussfrist. Das zeitliche Moment läge in einer indiziellen Bedeutung für den sachlichen Zusammenhang. Die Frage ist offen. Vor dem Hintergrund einer ausreichenden Planungssicherheit wäre es wünschenswert, dass sich die Rechtsprechung auf Fristen verbindlich festlegt. Gesichert erscheint, dass von einem sachlichen Zusammenhang jedenfalls dann auszugehen ist, wenn die Teilschritte in einem einheitlichen Vertragswerk geregelt worden sind oder rechtsverbindlich Absprachen über die Vorgehensweise in Teilschritten getroffen wurden. Wichtig ist die von der Rechtsprechung entwickelte Einschränkung, dass eine schädliche Zergliederung des Gesamtplanes in Teilschritte nur dann gegeben sein könne, wenn der Steuerpflichtige die einzelnen Teilschritte auch beherrsche. Ist dies – wie etwa im Fall der sog. Anteilsrotation bei anschließender Liquidation26 – nicht der Fall, bleibt für die Annahme eines einheitlichen Gesamtplanes kein Raum. In der Beherrschbarkeit der Teilschritte soll damit der entscheidende Unterschied zwischen schädlichem Gesamtplan und (unschädlichem) planvollen Handeln liegen, bei dem der Steuerpflichtige den Verhaltensrisiken seiner Vertragspartner, des Marktes oder sich ändernder Umweltzustände ausgesetzt ist27. Umgekehrt soll damit aus der Beherrschbarkeit der Teilschritte folgen, dass von einem schädlichen Gesamtplan selbst dann auszugehen sei, wenn den einzelnen Teilschritten auch eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zukomme28. In dem letztgenannten Umkehrschluss ist neben der Unklarheit über den maßgeblichen zeitlichen Zusammenhang das Hauptproblem der neuen „Rechtsfigur“ zu sehen. Es ist wenig überzeugend, die eigenständige wirtschaftliche Bedeutung der Teilschritte auszublenden, weil dies in letzter Konsequenz dazu führen kann, dass steuergestaltendes und wirtschaftlich planvolles Handeln schlechthin unmöglich würde29. Dies gilt erst recht, wenn der Gesetzgeber für die einzelnen Teilschritte eigene steuerliche Bestimmungen vorsieht30. Die Sichtweise des IV. Senats des BFH im Urteil v. 6. 9. 200031 steht nicht zuletzt in gewissem Widerspruch zur Rechtsprechung des I. Senats des BFH zur Zwischenschaltung von Konzernfinanzierungsgesellschaften. Der I. Senat des BFH hat mit Urteil v. 25. 2. 200432 seine bisherige Rechtsprechung33 nochmals bestätigt, dass letztlich „noch nie eine

__________ 25 26 27 28 29 30 31 32 33

In diesem Sinn etwa Söffing, BB 2004, 2777, 2787. BFH v. 19. 8. 2003, GmbHR 2004, 825. Förster, FS Korn, 2005, S. 3, 11. BFH v. 6. 9. 2000, BStBl. II 2001, 229. Rose, FR 2003, 1274, 1275. Crezelius, FR 2003, 537 (540 f.). BStBl. II 2001, 229. DB 2004, 1755. BFH v. 23. 10. 1996, BStBl. II 1998, 90; v. 15. 10. 1998, BStBl. II 1999, 119.

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auf Dauer angelegte Zwischenschaltung inländischer Kapitalgesellschaften als Rechtsmissbrauch qualifiziert (werden könne), wenn ein Steuerpflichtiger – aus welchen Gründen auch immer – zwischen sich und eine Einkunftsquelle eine inländische Kapitalgesellschaft schaltet und alle sich daraus ergebenden Konsequenzen zieht“. Zur Gestaltungsfreiheit führt der I. Senat des BFH des Weiteren aus: „Ebenso wenig wie im Regelfall im Inland danach gefragt wird, ob die Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft erfolgt, weil sie – verglichen mit anderen Handlungs- und Gesellschaftsformen – eine geringere Gesamtsteuerbelastung verspricht (z. B. in Folge des entsprechenden Steuersatzes, der Abzugsfähigkeit von Pensionszusagen und Geschäftsführergehältern), sind solche Fragen gerechtfertigt, wenn sich der Steuerpflichtige steuerliche Vorteile in Gestalt günstigerer Steuersätze davon verspricht, dass er unter ähnlichen Umständen eine ausländische Kapitalgesellschaft in einem anderen Mitgliedsstaat zwischenschaltet“. Liegt ein schädlicher Gesamtplan vor, hat dies zur Folge, dass der erste Teilschritt oder die ersten Teilschritte in die steuerrechtliche Beurteilung des auf die Erreichung des Gesamtzieles gerichteten abschließenden Teilschritts einbezogen werden. Soweit dem ersten Teilschritt eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zukommt, führt die Gesamtplanbetrachtung dazu, dass beide Teilschritte als Einheit gewürdigt werden. Dies würde bei der vorhergehenden Übertragung von Sonderbetriebsvermögen (vgl. das Beispiel oben) dazu führen, dass § 6 Abs. 3 EStG auf die folgende Übertragung der Gesellschaftsbeteiligung bzw. des Mitunternehmeranteils keine Anwendung fände. Wenn sich der erste Teilschritt lediglich als Ausweichhandlung darstellt, auf den mit dem zweiten Teilschritt eine Korrekturhandlung folgt, werden die Handlungen des Steuerpflichtigen so gewürdigt, als habe er den vorgeschalteten Teilschritt nicht getätigt. Das Ausweichgeschäft wird mithin ausgeblendet. Dies kann den Fall einer Schenkung unter Auflage betreffen, weil der Steuerpflichtige den Gesamtsachverhalt dadurch beherrscht, dass er die Auflage durchsetzen kann, oder den Sachverhalt der sog. Anteilsrotation, soweit der Steuerpflichtige den Gesamtvorgang beherrscht. 2. Finanzierungsfreiheit und Gestaltungsmissbrauch Die unterschiedlichen Besteuerungsfolgen der Finanzierung von Körperschaften mit Eigen- oder Fremdkapital haben dazu geführt, dass die regelmäßigen ertragsteuerlichen Vorteile einer Fremdfinanzierung von der Finanzverwaltung nicht uneingeschränkt anerkannt werden. So hatte etwa das BMF mit Schreiben v. 16. 3. 198734 den weit reichenden Versuch unternommen, bei Kapitalgesellschaften das Kriterium des „verdeckten Nennkapitals“ einzuführen, wenn das tatsächliche Eigenkapital unter 10 v. H. der Ak-

__________ 34 BStBl. I 1987, 373. Mit Schreiben v. 16. 9. 1992, BStBl. I 1992, 653 zurückgezogen.

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tiva liegt, und des Weiteren sog. eigenkapitalersetzende Darlehen dem Eigenkapital zuzurechnen. Dem ist die Rechtsprechung entgegengetreten35 und hat die umfassende Finanzierungsfreiheit der Gesellschafter im Einklang mit der zivilrechtlichen Gestaltungsfreiheit bestätigt. Der Gesetzgeber hat bekanntlich mit der Einfügung des § 8a KStG reagiert, der inzwischen auch inländische Körperschaften mit einbezieht. Nichtsdestoweniger gibt es immer wieder Versuche seitens der Finanzverwaltung, unliebsame Finanzierungspraktiken als missbräuchlich i. S. des § 42 AO einzustufen. Dies gilt etwa für die Kombination des im Hinblick auf das frühere Anrechnungsverfahren praktizierten sog. Schütt-aus-Hol-zurück-Verfahrens mit einer sog. disquotalen Gewinnausschüttungsabrede. Der I. Senat des BFH erkennt diese Gestaltungen als angemessen an36, die Finanzverwaltung37 hat auf diese Entscheidung sogar mit einem Nichtanwendungserlass reagiert. Ebenso sieht es der I. Senat des BFH38 als legitim an, wenn eine Muttergesellschaft ihrer defizitären Tochterkapitalgesellschaft kurzfristig ein zinsloses Darlehen in Millionenhöhe gewährt, damit die Tochtergesellschaft die erhaltenen Mittel verzinslich anlegen kann, um die hieraus erzielten Erträge mit ihren Verlusten ausgleichen zu können. Der Ertrag aus der verzinslichen Festgeldanlage gehöre bei der Tochterkapitalgesellschaft zu den ihr zuzurechnenden Einkünften aus Gewerbebetrieb. Die unentgeltliche Darlehensgewährung an die Tochterkapitalgesellschaft kann nicht als verdeckte Einlage der Muttergesellschaft gewertet werden und unter diesem Gesichtspunkt das Einkommen der X-AG erhöhen39. Einen Gestaltungsmissbrauch lehnt der I. Senat des BFH mit der Begründung ab, § 42 AO sei nicht schon dann erfüllt, wenn die zu beurteilende Gestaltung dazu diene, das Verlustausgleichspotential eines Anteilseigners möglichst umfassend auszunutzen. Denn die Ausschöpfung eines bestehenden Verlustabzugs diene letztlich der Vermeidung einer im Ergebnis überhöhten Gesamtbesteuerung und damit dem Ziel der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Ziele eine Gestaltung darauf ab, im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Vorschriften dieses Ziel zu verwirklichen, so könne sie deshalb grundsätzlich nicht als missbräuchlich verworfen werden. Das gelte unabhängig davon, ob sie zugleich von weiteren, außersteuerlichen Zielsetzungen getragen werde. Dieser Grundsatz gelte entsprechend für andere Gestaltungen, die der Rettung eines vom Verfall bedrohten Verlustabzugs dienen.

__________ 35 BFH v. 5. 2. 1992, BStBl. II 1992, 532. Vgl. auch BFH v. 10. 12. 1975, BStBl. II 1976, 226. 36 BFH v. 19. 8. 1999, BStBl. II 2001, 43. 37 BMF v. 7. 12. 2000, BStBl. I 2001, 47. 38 BFH v. 17. 10. 2001, GmbHR 2002, 169. 39 BFH v. 26. 10. 1987, BStBl. II 1988, 348.

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Einen Eingriff in die Finanzierungspraxis stellt es schließlich dar, wenn man von einem Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft in der Krise verlangt, dass er (wertlose) Forderungen gegen die Kapitalgesellschaft nicht an den Erwerber der Gesellschaftsanteile unter deren Nominalwert abtritt, sondern der Gesellschaft zu erlassen hat. Nach Ansicht des IV. Senats des BFH kann ein Erwerb von GmbH-Anteilen und Forderungen in der Krise der Gesellschaft einen Gestaltungsmissbrauch darstellen40. Gelingt dem Erwerber die Sanierung, können die Verbindlichkeiten gegenüber dem Gesellschafter beglichen werden, der den Ertrag im Privatvermögen nicht steuerbar vereinnahmt. Nach Ansicht des IV. Senats des BFH sei die „Darlehensrückzahlung“ der Gesellschaft als eine Gewinnausschüttung zu beurteilen, da die im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dem Übertragen der GmbH-Anteile erfolgte Abtretung der gegen diese Gesellschaft gerichteten Forderungen nach § 42 AO wie ein Verzicht auf diese Forderung zu behandeln sei. Es sei davon auszugehen, dass die Erwerber der Gesellschaftsanteile keine Forderung gegen die Gesellschaft erworben haben. Da es im Bestreben der Rechtsordnung liege, für alle wirtschaftlichen Vorgänge möglichst einfache Rechtsgestaltungen zur Verfügung zu stellen, sei in der Regel der einfachste rechtliche Weg der angemessene. Unangemessene Rechtsgestaltungen seien hingegen umständlich, kompliziert, schwerfällig, gekünstelt und ähnliches. Nach Auffassung des IV. Senats des BFH erwarben die Erwerber die Anteile an der Gesellschaft, deren Geschäftsbetrieb eingestellt war, zu dem alleinigen Zweck, deren Verlustvortrag unabhängig von § 8 Abs. 4 KStG steuermindernd nutzen zu können. Um sicherzustellen, dass die Gesellschaft beim Anteilseignerwechsel nicht mehr mit Verbindlichkeiten belastet war, hätte es nach Ansicht des BFH keiner Abtretung dieser Forderungen bedurft. Vielmehr hätte dieser Zweck in einfacherer Weise dadurch erreicht werden können, dass der bisherige Gesellschafter auf seine Gläubigerstellung im Wege eines Erlasses verzichtet hätte. Anders sieht das der I. Senat des BFH41: Der verbilligte Verkauf wertgeminderter Forderungen und der zivilrechtliche Erlass solcher Forderungen durch den Gläubiger seien wirtschaftlich regelmäßig nicht vergleichbar. Deshalb stelle der Verkauf der Forderungen statt des Forderungserlasses grundsätzlich auch keinen Gestaltungsmissbrauch dar. Bei dieser Gelegenheit hat der I. Senat des BFH klargestellt, dass er auch andere Gestaltungen in der Krise zur Sicherung steuerlicher Vorteile – insbesondere Rangrücktritt, Forderungsverzicht mit Besserungsschein – grundsätzlich als nicht rechtsmissbräuchlich ansieht. Allgemeiner formuliert liegt es auf der Linie der Rechtsprechung des I. Senats des BFH, eine Ausrichtung der gesellschaftlichen Finanzierungsfreiheit an dem Ziel einer Steuerersparnis grundsätzlich als steuerlich unverdächtig einzustufen. Die Finanzverwaltung hat sich – wenig überraschend – im BMF-

__________ 40 BFH v. 1. 2. 2001, BStBl. II 2001, 520. 41 BFH v. 30. 1. 2002, GmbHR 2002, 748.

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Der Missbrauchstatbestand des § 42 AO

Schreiben vom 2. 12. 200342 ausdrücklich dem Urteil des IV. Senats des BFH vom 1. 2. 2001 angeschlossen; eine Forderungsabtretung sei wie ein Forderungserlass zu beurteilen, falls die Abtretung in sachlicher und zeitlicher Nähe zu einem Gesellschafterwechsel vollzogen werde. Die Entscheidung des IV. Senats des BFH ist in der Literatur zu Recht weitgehend abgelehnt worden43. Man erkennt die Tendenz des IV. Senats des BFH, ein steuergünstiges (Alternativ-)Verhalten per se als unangemessen einzustufen. Zugleich zeigt sich, dass es bei der Subsumtion des § 42 AO um Wertungsfragen geht, die selbst innerhalb des BFH unterschiedlich beantwortet werden. Denn es besteht offensichtlich eine Divergenz zwischen dem für den Gesellschafter zuständigen IV. Senat des BFH und dem für die Körperschaft zuständigen I. Senat des BFH, die nicht eindeutig beseitigt werden kann.

IV. Regelungsgehalt des § 42 Abs. 2 AO Durch das Steueränderungsgesetz 200144 ist § 42 AO um einen zweiten Absatz ergänzt worden. § 42 Abs. 2 AO besagt, dass Abs. 1 immer dann anwendbar sei, wenn seine Anwendbarkeit gesetzlich nicht ausdrücklich ausgeschlossen sei. Diese Neuregelung ist im Schrifttum auf nahezu einhellige Kritik gestoßen45. Ihr Aussagegehalt ist nebulös. Im Sinne eines – wie der Wortlaut nahe legt – abstrakten Verständnisses besagt die Vorschrift etwas Selbstverständliches, weil § 42 Abs. 1 AO einen umfassenden Anwendungsbereich46 hat. Legt man diese Interpretation zugrunde, ist die Vorschrift – insoweit übereinstimmend mit der Gesetzesbegründung47 – klarstellender Natur oder kritisch formuliert: schlicht überflüssig. Anderseits lässt gerade die damit zugleich in sich widersprüchliche und nicht ganz zu Unrecht als „Etikettenschwindel“48 bezeichnete Gesetzesbegründung erkennen, dass der Gesetzgeber mit Absatz 2 eine viel weitergehende Absicht verfolgte. Die Einfügung des Absatzes 2 ist eine Reaktion auf die zugunsten der Steuerpflichtigen ergangenen Entscheidungen des BFH zum sog. Dividendenstrip-

__________ 42 BStBl. I 2003, 648. 43 Z. B. Gosch, StBp. 2001, 180; Haep, HFR 2001, 676; Hoffmann, GmbHR 2001, 533; 1059; Schwedhelm/Olbing/Bennewies, GmbHR 2002, 1162. 44 Gesetz v. 20. 12. 2001, BGBl. I 2001, 3794. 45 Crezelius, DB 2001, 2214 f.; Fischer, FR 2001, 1215; Gosch, DStR 2001, 1886; Klein/Brockmeyer, AO, 8. Aufl., 2003, § 42 Rz. 87 ff.; Kruse/Drüen in Tipke/ Kruse, AO/FGO (Stand: Feb. 2002), § 42 AO Rz. 20 ff. 46 Kruse/Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO (Stand: Feb. 2002), § 42 AO Rz. 19. 47 BT-Drucks. 14/6877, S. 52. 48 Gosch, DStR 2001, 1886.

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ping49 und den sog. Dublin Docks50, weil der BFH dort argumentiert hatte, dass § 42 AO nach dem Grundsatz „lex specialis derogat legi generali“ neben spezialgesetzlichen Regelungen keine Anwendung finde. Etwa hat der I. Senat des BFH51 betreffend des Verhältnisses der Hinzurechnungsvorschriften der §§ 7 ff. AStG zu § 42 AO wiederholt entschieden, dass § 42 AO neben den genannten Vorschriften des AStG nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn sich die gewählte Gestaltung auch bei einer Bewertung am Gesetzeszweck des AStG als Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts darstellt. Mit der Einfügung des § 42 Abs. 2 AO versucht der Gesetzgeber, in dieses methodische Verständnis des BFH berichtigend einzugreifen, um die Rechtsprechung des BFH zu § 42 AO „rechtsprechungsüberholend“ zu korrigieren. Legt man dieses Verständnis zugrunde, wirkt die Vorschrift nicht klarstellend, sondern eingriffsbegründend, weil mit ihr angeordnet werden soll, dass bei Nichteinschlägigkeit eines sog. gesetzlich gesondert typisierten Missbrauchstatbestands ein Rückgriff auf den allgemeinen Tatbestand nicht ausgeschlossen werden könne. Die „Urheber“ des Gesetzes möchten also die gesetzlich typisierten Missbrauchstatbestände nicht als abschließende Sonderregelungen interpretiert wissen, die den allgemeinen Tatbestand des § 42 Abs. 1 AO ergänzen und erweitern, sondern als den Gehalt des § 42 Abs. 1 AO konkretisierende Regelbeispiele, die damit zugleich zu einer Erweiterung des allgemeinen Missbrauchstatbestandes des Absatzes 1 führen. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass der Gesetzgeber mittels einer allgemein-methodologischen Vorschrift den materiell-rechtlichen Zweck der in den Einzelsteuergesetzen vorhandenen und künftig geschaffenen typisierten Missbrauchstatbestände von – soweit schon vorhanden – bisherigen Sondervorschriften in nunmehrige Regelbeispiele uminterpretieren möchte. Damit würde für Altfälle im Sinne einer echten Rückwirkung der (eigenständige) Regelungsgehalt aller zum damaligen Zeitpunkt existierenden typisierten Missbrauchsvorschriften in verfassungswidriger Weise verändert. Für Neufälle kommt es darauf an, ob die Rechtsprechung – selbst wenn sie die bisherigen typisierten Missbrauchsnormen künftig im Lichte eines Regelbeispiels verstünde – die Generalklausel des Absatzes 1 für einschlägig ansieht. Hier gilt: Auch wenn § 42 Abs. 1 AO generell anwendbar ist, aber seine Tatbestandsvoraussetzungen in concreto nicht erfüllt sind, kann § 42 Abs. 2 AO an diesem konkreten Ergebnis nichts ändern52. Schließlich: Erlässt der Gesetzgeber künftig neue typisierte Missbrauchsvorschriften, steht es ihm als

__________ 49 BFH v. 15. 12. 1999, BStBl. II 2000, 527; v. 30. 7. 2002, BFH/NV 2003, 55. Vgl. dazu den Nichtanwendungserlass des BMF v. 6. 10. 2000, BStBl. I 2000, 1392. 50 BFH v. 19. 1. 2000, BStBl. II 2001, 222; v. 19. 1. 2000, BFH/NV 2000, 824; v. 20. 3. 2002, DStR 2002, 1348. Vgl. dazu den Nichtanwendungserlass des BMF v. 19. 3. 2001, BStBl. I 2001, 243. 51 BFH v. 19. 1. 2000, BStBl. II 2001, 222; v. 20. 3. 2002, DB 2002, 1640. 52 Klein/Brockmeyer, AO, 8. Aufl. 2003, § 42 Rz. 88. Vgl. auch BFH v. 19. 2. 2002, DStR 2002, 1344, 1348.

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Der Missbrauchstatbestand des § 42 AO

Souverän selbstverständlich frei, den von Absatz 2 angeordneten Vorbehalt eines ausdrücklichen Ausschlusses zu beseitigen, so dass sich für die das Gesetz anwendende Rechtsprechung wiederum die (Auslegungs-)Frage stellt, ob es sich bei der Neuregelung um eine – dem § 42 Abs. 2 AO – vorgehende Sondervorschrift oder um ein Regelbeispiel des § 42 Abs. 1 AO handelt. Insgesamt hat die Vorschrift damit entweder keinen eigenständigen normativen oder einen verfassungswidrigen Anwendungsbereich, soweit für Altfälle eine echte Rückwirkung angeordnet würde. Ihre Auswirkungen sind damit für die Praxis höchst unklar. Im Übrigen bleibt ganz allgemein zu bedenken, dass § 42 Abs. 1 AO bereits eine Ausnahme vom Grundsatz der steuerrechtlichen Tatbestandsmäßigkeit ist. Jede Erweiterung des Anwendungsbereiches des § 42 AO zur Schließung von vermeintlichen Besteuerungslücken, wie sie dem Zweck der Neuregelung des § 42 Abs. 2 AO entspricht, führt zu einem rechtstaatlich immer bedenklicherem Maß an Gesetzesunbestimmtheit der Besteuerung. Es wäre daher wünschenswert, den Absatz 2 wieder zu streichen. Jedoch gehen die Absichten der Finanzverwaltung möglicherweise in die genau entgegengesetzte Richtung. So wird anscheinend auf Ministerialebene darüber nachgedacht, Absatz 2 durch Regelbeispiele für bestimmte Umgehungs- und Missbrauchstatbestände, z. B. ein steuergünstiges Verhalten nach „Gesamtplan“, zu erweitern bzw. die Exekutive zu ermächtigen, im Wege einer Rechtsverordnung Einzelfälle von Missbrauchskonstellationen zu konkretisieren. In der zuletzt genannten Variante stellt sich das verfassungsrechtliche Problem, ob es überhaupt mit den Vorgaben des Art. 80 GG vereinbar ist, wenn die Exekutive ermächtigt würde, eine Generalklausel wie § 42 Abs. 1 AO „eigenmächtig“ auszufüllen. Bekanntlich müssen nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG „Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden“. Danach sind namentlich Blankobzw. Pauschalermächtigungen verboten53. Das BVerfG hat ergänzend entschieden, dass der Gesetzgeber vor allem im Bereich des Steuerrechts die Grenzen seiner Delegation an den Verordnungsgeber besonders sorgfältig zu bestimmen habe54. Diesen Vorgaben kann es nicht genügen, wenn der Gesetzgeber in der Ermächtigung die Ausfüllung unbestimmter Gesetzesbegriffe der Exekutive überlässt.

V. Resümee Der Gesetzgeber kommt ohne unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln nicht aus. Andererseits sind sie wegen ihrer nachteiligen Folgen für die Rechtssicherheit ein rechtsstaatlich empfindlicher Bereich. Daraus leitet sich die Erkenntnis ab, dass der praktische Umgang mit Generalklauseln im-

__________ 53 Sachs/Lücke, GG, 3. Aufl. 2003, Art. 80 Rz. 24. 54 BVerfGE 7, 282 f.; 10, 251 (258); 18, 52 (61); Sannwald in Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 10. Aufl. 2004, Art. 80 Rz. 60.

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mer auch ein Stück weit die Visitenkarte für den aktuellen Stand der Rechtskultur bildet. Besorgniserregend ist in diesem Zusammenhang, dass das traditionelle rechtstheoretische Verständnis des Missbrauchstatbestandes als einer konstitutiven Eingriffsnorm neuerdings wieder in Zweifel gezogen wird. Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass der Rechtsfigur des Gesamtplanes – reflektiert oder unreflektiert – ein sich veränderndes Verständnis zugrunde liegt. Es hat den Anschein, dass sich auch innerhalb des BFH das rechtstheoretische Verständnis zu § 42 Abs. 1 AO im Fluss befindet. Für die Praxis lassen sich deshalb eindeutige Vorhersagen für die weitere Entwicklung nicht treffen. Wünschenswert wäre vor allem aus rechtsstaatlicher Sicht, dass man der eingeleiteten Entwicklung einer von § 42 Abs. 1 AO losgelösten Gesamtplanrechtsprechung i. S. eines eigenständigen Subsystems mit Eigendynamik eine klare Absage erteilt. Ob sich betreffend die Neuregelung des § 42 Abs. 2 AO die Erwartungen der Finanzverwaltung erfüllen werden, erscheint sehr fraglich. Die Vorschrift ist nach allgemeiner Ansicht missglückt und sollte gestrichen werden. Zumindest bleibt zu hoffen, dass die in der Finanzverwaltung wohl angestellten Überlegungen einer Erweiterung des § 42 AO um besondere Regelbeispiele oder um eine entsprechende Ermächtigung der Exekutive wieder aufgegeben werden. Die erste Variante ist rechtspolitisch bedenklich, kommt darin doch relativ unverhohlen die Unzufriedenheit der Finanzverwaltung gegenüber der freiheitswahrenden höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Ausdruck. Die zweite Variante erscheint überdies mit Blick auf Art. 80 GG verfassungswidrig. Zusammenfassend ist zu hoffen, dass sich alle Senate des BFH auf ihr gefestigtes rechtstheoretisches Verständnis des Missbrauchstatbestandes besinnen und wohlüberlegt die Praxis zur „Unangemessenheit“ einer Gestaltung im Einzelfall weiterentwickeln. Namentlich sollte der BFH sein traditionelles Verständnis nicht aufgeben, dass nachvollziehbare außersteuerliche Gründe einen Missbrauch i. S. des § 42 AO ausschließen.

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Wenn die Rückwirkung zur gesetzgeberischen Routine wird, … Inhaltsübersicht I. Systematischer und verfassungsrechtlicher Standort der gesetzlichen Rückwirkung 1. Das Phänomen 2. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben a) Echte und unechte Rückwirkung b) Der Gegenstand des Vertrauensschutzes c) Die Grundlagen des Vertrauensschutzes

d) Die maßgebliche Abwägung e) Die zeitlichen Grenzen des Vertrauensschutzes II. Signale aus der jüngeren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs 1. Dispositionsschutz gegenüber gesetzlicher Rückwirkung 2. Sonderbehandlung für § 17 EStG III. Fazit

Wenn die rückwirkende Gesetzgebung zur Routine wird, hat der Rechtsanwender zu reagieren. Arndt Raupach tritt als Prozessvertreter von wissenschaftlichem Rang für die Wahrung der rechtsstaatlichen bzw. freiheitsrechtlichen Grenzen rückwirkender Gesetzgebung ein. Dieses Anliegen prägt weitgehend auch die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs1. Im Folgenden sollen anknüpfend an eine Standortbestimmung der gesetzlichen Rückwirkung zentrale Linien dieser Rechtsprechung aufgezeigt werden.

I. Systematischer und verfassungsrechtlicher Standort der gesetzlichen Rückwirkung 1. Das Phänomen Gesetzgebung, auch Steuergesetzgebung bezweckt nach ihrer originären Intention die Mitteilung eines Normbefehls an den Normadressaten. Diese Kommunikation geht ins Leere, erfolgt sie ex tunc, d. h. zu einem Zeitpunkt, in dem der Normadressat sein Verhalten nicht mehr am Normbefehl ausrichten kann, weil er es bereits abgeschlossen hat – die Gesetzgebung verfehlt ihr eigentliches Ziel. Dies erscheint angesichts der Bewehrung einer

__________ 1

So v. a. Vorlagebeschluss des IX. Senats v. 16. 12. 2003 – IX R 46/02, BStBl II 2004, 284 zu § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG, anders freilich der VIII. Senat zu § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG, Urteile v. 1. 3. 2005 – VIII R 92/03 sowie VIII R 25/02, BStBl. II 2005, 398 und 436 in gleichem Sinne Urteil v. 10. 8. 2005 – VIII R 22/05, BFH/NV 2005, 2188.

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Nichtbefolgung des Normbefehls mit Strafe oder Bußgeld (§§ 370, 378 AO) gerade im Bereich der Steuergesetzgebung problematisch. Rückwirkende Gesetzgebung ist insoweit fiktiv, als ein Gesetz die Rechtslage mit Wirkung von einem vor seinem In-Kraft-Treten liegenden Zeitpunkt gestaltet (sog. echte Rückwirkung2 bzw. Rückbewirkung von Rechtsfolgen3). Bestimmt ein Gesetz, dass die von ihm angeordneten Rechtsfolgen in der Vergangenheit eintreten sollen, so handelt es sich dabei insoweit um eine gesetzliche Fiktion, als ein Rechtszustand, der in der Vergangenheit eingetreten ist, für die Vergangenheit realiter nicht beseitigt werden kann4. Bei fiktiver Rückwirkung eines Gesetzes soll vielmehr ein in der Vergangenheit liegender Tatbestand mit Rechtswirkung für die Zukunft so behandelt werden, als hätte schon damals die neue Regelung bestanden. Das rückwirkende Gesetz enthält die Regelungsanordnung, dass die Vergangenheit so angesehen werden soll, als ob die nunmehr erlassene Rechtsvorschrift schon damals in Kraft gewesen wäre (Fiktion der Geltung der gesetzlichen Regelungsanordnung vor dem Normerlass). Demgegenüber besteht die sog. unechte Rückwirkung5 bzw. tatbestandliche Rückanknüpfung6 grundsätzlich darin, dass eine rechtliche Gestaltung nicht nach der jeweiligen gesetzlichen Regelung fortgeführt werden kann, unter deren Geltung sie in der Vergangenheit begonnen wurde. Ein fiktives Element impliziert dies nicht. Die Norm ist lediglich für die Zukunft auf Sachverhalte anwendbar, welche vor Geltung der Norm entstanden sind, d. h. sie macht den Eintritt ihrer Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig. Es handelt sich damit nicht eigentlich um Rückwirkungsfälle. Vielmehr geht es um die Maßgeblichkeit einer künftigen Neuregelung für unter der Geltung des früheren Rechts entstandene Altfälle. Die unechte Rückwirkung betrifft nicht den zeitlichen, sondern den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm.7 2. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben a) Echte und unechte Rückwirkung Indem ein echte Rückwirkung entfaltendes Gesetz das kommunikative Ziel von Normsetzung zwangsläufig verfehlt, konfligiert es typischerweise mit

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Stv. BVerfG v. 14. 7. 1981, BVerfGE 57, 361 (391); v. 8. 3. 1983, BVerfGE 63, 312 (328 f.); v. 28. 11. 1984, BVerfGE 68, 287 (306). Stv. BVerfG v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 (242); v. 3. 12. 1997, BVerfGE 97, 67 (78). Grundsätzlich zur Fiktion M. Jachmann, Die Fiktion im öffentlichen Recht, 1998, insbes. S. 526 ff. Stv. BVerfG v. 15. 10. 1996, BVerfGE 95, 64 (86); v. 30. 9. 1987, BVerfGE 76, 256 (345 f.); v. 28. 11. 1984, BVerfGE 68, 287 (306) m. w. N. BVerfG v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 (242). Vgl. BVerfG v. 3. 12. 1997, BVerfGE 97, 67 (79).

Wenn die Rückwirkung zur gesetzgeberischen Routine wird, …

rechtsstaatlichen Anforderungen, insbesondere des Vertrauensschutzes. Entsprechend beurteilt das BVerfG echte Rückwirkung als grundsätzlich verfassungswidrig8. Den Maßstab hierfür sieht der Zweite Senat des BVerfG in den allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen, insbesondere Rechtssicherheit und Vertrauensschutz,9 sowie den Grundrechten10. Dabei weist die Eingrenzung der echten Rückwirkung speziell im Steuerrecht die Besonderheit auf, dass sich eine Regelung, die ex tunc eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen anordnet, vielfach in eine solche umformulieren lässt, die lt. Gesetzeswortlaut lediglich ex nunc wirkt11. Die Differenzierung zwischen echter und unechter Rückwirkung hat nach der Erfüllung der

__________ 8 BVerfG v. 3. 12. 1997, BVerfGE 97, 67 (78); v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 (241 ff.); v. 22. 3. 1983, BVerfGE 63, 343 (353). – Nur ausnahmsweise wird die Zulässigkeit einer echten Rückwirkung aus übergeordneten Gründen des Allgemeinwohls anerkannt und damit das Vertrauen des Bürgers als nicht schützenswert eingestuft (vgl. Leisner, StuW 1998, 254 (256); M. Jachmann, JA 2000, 152 [153], wenn mit der Regelung gerechnet werden musste (vgl. BVerfG v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 [258 ff.]), wenn das rückwirkende Gesetz lediglich die richterrechtlich geformte Rechtspraxis kodifiziert (vgl. BVerfG v. 23. 1. 1990, BVerfGE 81, 228 [239]; BFH v. 22. 7. 1986, BStBl. II 1986, 845 [847]; Offerhaus, DStZ 2000, 9 [10]), bei unklarer Rechtslage (vgl. BVerfG v. 25. 5. 1993, BVerfGE 88, 384 [404]; v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 [259]), wenn kein oder nur geringer Schaden entstanden ist (sog. Bagatellvorbehalt, vgl. BVerfG v. 23. 3. 1971, BVerfGE 30, 367 [389]; v. 19. 7. 1967, BVerfGE 22, 241 [252]) oder aus zwingenden Belangen des Gemeinwohls (vgl. BVerfG v. 3. 12. 1997, BVerfGE 97, 67 [81 ff.); v. 25. 5. 1993, BVerfGE 88, 384 [404]; v. 23. 3. 1971, BVerfGE 30, 367 [390 f.]). Ist das geltende Recht unklar und verworren, soll es dem Gesetzgeber erlaubt sein, die Rechtslage rückwirkend zu klären (BVerfG v. 4. 5. 1960, BVerfGE 11, 64 [73]; v. 31. 3. 1965, BVerfGE 18, 429 [439]; v. 24. 7. 1968, BVerfGE 24, 75 [100]; v. 23. 3. 1971, BVerfGE 30, 367 [388]; v. 17. 1. 1979, BVerfGE 50, 177 [8193]; v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 [259]). Da sich der Staatsbürger nicht immer auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein verlassen dürfe, könne der Gesetzgeber u. U. eine nichtige Bestimmung rückwirkend durch eine rechtlich nicht zu beanstandende Norm ersetzen (dazu BVerfG v. 16. 11. 1965, BVerfGE 19, 187 [198]; v. 17. 1. 1979, BVerfGE 50, 177 [194]; v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 [260]; BFH v. 12. 10. 2000, BStBl. II 2001, 499 [502]). Vgl. dazu zutreffend differenzierend Hey, DStJG 27 (2004), S. 91 ff. – Im Beschluss v. 3. 12. 1997 (sog. Schiffsbeteiligungsfall) nimmt der Zweite Senat des BVerfG eine Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls an, wenn die Bundesregierung eine steuerrechtliche Regelung nachträglich für wirtschaftlich unsinnig hält und sie deshalb aufgeben will (BVerfG v. 3. 12. 1997, BVerfGE 97, 67 [81]). Vgl. zur grundsätzlichen Verfassungswidrigkeit der echten Rückwirkung im Überblick auch Albert, Vertrauensschutz und rückwirkende Besteuerung, in: JFStSchrift Nr. 431, 2005, S. 40 ff. – Einengend Spindler, DStJG 27 (2004), S. 69 (86 f.). 9 BVerfG v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 (242 f.); vgl. dazu auch Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2004, S. 106 (108). 10 Vgl. BVerfG v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 (242 f.); siehe auch Spindler, DStR 1998, S. 953 (954); M. Jachmann, ThürVBl. 1999, S. 269 (272). 11 Mellinghoff, DStJG 27 (2004), S. 25 (43) m. w. N.

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gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen zu erfolgen, nicht nach dem Eintritt von Rechtsfolgen12. Jedoch beschränkt die traditionelle sog. Veranlagungszeitraumrechtsprechung die echte Rückwirkung auf Regelungen, die Änderungen rückwirkend für abgeschlossene Veranlagungszeiträume anordnen, während steuergesetzliche Änderungen im laufenden Veranlagungszeitraum – im Hinblick darauf, dass der Steueranspruch erst mit Ablauf des Kalenderjahres entsteht (vgl. § 38 AO i. V. m. § 36 Abs. 1 EStG) – als unechte Rückwirkung eingestuft werden13. Zumindest die Bestimmung als echte/unechte Rückwirkung orientiert sich trotz vielfältiger Kritik in der Literatur14 bei rückwirkenden periodischen Steuergesetzen traditionell immer noch am Veranlagungszeitraum. Seit der Entscheidung des Zweiten Senats des BVerfG zum sog. Schiffsbeteiligungsfall15 gilt dies aber jedenfalls nicht mehr für steuerliche Lenkungsnormen16. Wollte man daraus freilich differenzierte Abgrenzungskriterien für echte und unechte Rückwirkung bei Fiskalzweck- und Lenkungsnormen ableiten, wäre dem schon entgegenzuhalten, dass bei vielen Steuernormen eine derartige Qualifikation kaum mit den Anforderungen der Rechtssicherheit genügender Klarheit möglich ist17. So hat der Zweite Senat des BVerfG im genannten

__________ 12 Mellinghoff, a. a. O., S 43 f. m. w. N.; Vogel, (in FS für Heckel, 1999, S. 875 [878]) beschreibt in diesem Sinne Regelungen mit echter Rückwirkung als solche, wonach „eine im Gesetz neu oder verändert vorgesehene Rechtsfolge auch dann oder nur in Fällen gelten soll, in denen ihre Tatbestandsvoraussetzungen ausschließlich vor Verkündung des Gesetzes erfüllt worden sind“. Zustimmend auch Spindler, DStJG 27 (2004), S. 69 (85 f.). 13 BVerfG v. 19. 12. 1961, BVerfGE 13, 274 (277 f.); v. 13. 3. 1979, BVerfGE 50, 386 (394 f.) und v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 (252 ff.), hier jedoch einschränkend dahin, dass die Steuerpflicht als solche bereits zuvor begründet sein muss (256). Die aus der Veranlagungszeitraumrechtsprechung i. V. m. der Annahme einer grundsätzlichen Zulässigkeit unechter Rückwirkung erwachsene tendenzielle Zulässigkeit steuergesetzlicher Rückwirkung soll dadurch abgemildert werden, dass Tariferhöhungen im laufenden Veranlagungszeitraum nur in maßvollen Granzen zulässig sein sollen, was freilich bei einer Erhöhung des KSt-Tarifs um 10 % noch angenommen wurde (BVerfG v. 19. 12. 1961, BVerfGE 13, 274 (278); v. 7. 7. 1964, BVerfGE 18, 135 [143]; v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 [252]; v. 3. 12. 1997, BVerfGE 97, 67 [80]). – BFH v. 6. 3. 2002, BStBl. II 2002, 503 [505]); v. 27. 8. 2002, BStBl. II 2003, 18 [19]; v. 14. 3. 2000, BStBl. II 2000, 344 [346]; v. 8. 11. 2000, BStBl. II 2001, 349 [351]; v. 9. 5. 2001, BStBl. II 2001, 552 [555]; v. 16. 5. 2001, BStBl. II 2001, 710 [711]; v. 11. 12. 2001, BFH/NV 2002, 600 [605]). 14 Vgl. stv. Friauf, BB 1972, 669; Pieroth, JZ 1984, 971; Vogel, JZ 1988, 833; Muckel, JA 1994, 14; Arndt/Schumacher, NJW 1998, 1538; Schmidt, DB 1998, 1199 (1204); Schaumburg, DB 2000, 1884 (1888); Tipke, Die Steuerrechtsordnung I, 2. Aufl. 2000, S. 156. 15 BVerfG v. 3. 12. 1997, BVerfGE 97, 67. 16 Vgl. auch BVerfG v. 5. 2. 2002, BVerfGE 105, 17 unter C. II. 3. b). 17 Zur geringen Tragfähigkeit der Unterscheidung von Lenkungs- und Fiskalzwecknormen für die Frage des Vertrauensschutzes mit dem Verweis auf sog. Mehrfachzwecknormen vgl. auch Seer/Drüen, GmbHR, 2002, S. 1093 (1098) m. w. N.; vgl.

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Schiffsbeteiligungsfall auch keine Zuordnung zu einer der beiden Rückwirkungskategorien vorgenommen18. Im Übrigen konfligiert auch tatbestandliche Rückanknüpfung mit rechtsstaatlichem Vertrauensschutz19, soweit das unechte Rückwirkung entfaltende Gesetz ex nunc vergangene Sachverhalte regelt, welche sich als Disposition des Steuerpflichtigen erweisen oder in der Vergangenheit Gegenstand einer solchen waren. Gleichwohl erachtet das BVerfG die unechte Rückwirkung bzw. die tatbestandliche Rückanknüpfung – als bloße Neubestimmung einer bisher noch nicht eingetretenen Rechtsfolge20 –, im Regelfall für zulässig, nur ausnahmsweise für verfassungswidrig.21 Den Prüfungsmaßstab hierfür sieht der Zweite Senat des BVerfG primär in den Grundrechten (Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 2, 2 Abs. 1 GG22), daneben auch im Rechtsstaatsprinzip.23 Die Entscheidung zu den Sozialpfandbriefen versteht den Abbau einer nicht mehr gerechtfertigten Steuersubvention als folgerichtige Ausgestaltung der steuergesetzlichen Belastungsgründe und so grundsätzlich durch einen hinreichenden Legitimationsgrund getragen.24 Insgesamt präjudiziert die Einordnung einer Gesetzesänderung als echt rückwirkend (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) oder unecht rückwirkend (tatbestandliche Rückanknüpfung) in der Rechtsprechung des BVerfG auch die Entscheidung über ihre Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit im Hinblick auf den dem Bürger zukommenden Vertrauensschutz25. Bei der Abwägung zwischen dem schutzwürdigen Einzelinteresse auf eine unveränderte Rechtslage

__________

18 19

20 21 22 23 24 25

auch Offerhaus, DB 2001, 556 (559); Schaumburg, DB 2000, 1884 (1888); P. Kirchhof, StuW 2000, 221 (226); Reimer, DStZ 2001, 725 (730); Hey, BB 2002, 2312 (2314). Dazu Balmes, FR 2001, 392; Hey, BB 1998, 1444 (1447); Reimer, DStZ 2001, 725 (732); Schaumburg, DB 2000, 1884 (1887); P. Kirchhof, StuW 2000, 221 (223); Spindler, DStR 2001, 725 (728). Vgl. BVerfG v. 3. 12. 1997, BVerfGE 97, 67 (80); v. 5. 2. 2002, BVerfGE 105, 17 (37); BFH v. 14. 3. 2000, BStBl. II 2000, 344 (346); Spindler, DStJG 27 (2004), S. 69 (77, 88); Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip unter besonderer Berücksichtigung des Steuerrechts, 2002, S. 564 ff.; Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2002, S. 106 ff., 137 ff., 146 ff.; dies., BB 2002, 2312 (2313 f.); dies., BB 1998, 1444 (1446 f.); dies., StuW 1998, 298 (313); M. Jachmann, ThürVBl. 1999, 264 (271 f.). Vgl. BVerfG v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 (253); Leisner (Fn. 17), S. 566. Vgl. BVerfG v. 15. 10. 1996, BVerfGE 95, 64 (86); v. 12. 3. 1996, BVerfGE 94, 241 (259); Leisner, StuW 1998, 254 (258). BVerfG v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 (242, 253); v. 3. 12. 1997, BVerfGE 97, 67 (80). Vgl. BVerfG v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 (242 f.); Spindler, DStR 1998, 953 (954); M. Jachmann, ThürVBl. 1999, 269 (272). BVerfG v. 5. 2. 2002, BVerfGE 105, 17 (37). Vgl. BVerfG v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 (257) – abstellend auf das Schwergewicht der Gesamtregelung auf der Rechtsfolgenseite; BVerfG v. 5. 2. 2002, BVerfGE 105, 17 (36); dazu Hey, (Fn. 9), S. 209 m. w. N.

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und dem Interesse des Gesetzgebers an einer neuen Regelung genießt das Anliegen der Gesetzesänderung regelmäßig Vorrang26. Doch ist auch die unechte Rückwirkung besonders zu rechtfertigen27. Es bedarf eines sachlichen Grundes, die Vergangenheitsbezogenheit muss für das gesetzgeberische Anliegen erforderlich sowie in der Relation dazu angemessen sein28. Die Zulässigkeit der Rückwirkung ergibt sich im Einzelfall aus der Abwägung zwischen dem Vertrauensschutzinteresse des Steuerpflichtigen einerseits und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl andererseits29. Die Verfassungsmäßigkeit einer echten wie unechten Rückwirkung ist dabei methodisch gleich zu behandeln. Die Art der Rückwirkung sowie das damit verbundene Urteil über die grundsätzliche Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit bildet lediglich abstrakt typisierend die konkret zu treffende Abwägungsentscheidung ab. Das Vertrauen des Steuerpflichtigen auf die alte Rechtslage ist vorrangig, wenn es das Veränderungsinteresse des Gesetzgebers überwiegt30, d. h. keine überwiegenden Gründe des öffentlichen Interesses vorliegen. Insoweit ist jedoch von einer weitgehenden Einschätzungsprärogative des parlamentarischen Gesetzgebers auszugehen31. b) Der Gegenstand des Vertrauensschutzes Da sich der Vertrauensschutz gegen rückwirkende Änderungen von Steuergesetzen auf Tatbestände der Vergangenheit bezieht, werden die Weichen für den Umfang dieses Vertrauensschutzes mit der Bestimmung des Zeitpunkts gestellt, an dem die zu schützende „Tatbestandsverwirklichung“ eingetreten ist. Insoweit kann es sich um den Zeitpunkt der steuererheblichen Disposition des Steuerpflichtigen und/oder um den Zeitpunkt des Eintritts der steuerlichen Belastung handeln32. Stellt man mit der traditionellen Rechtsprechung allein darauf ab, dass gem. §§ 38, 37 I AO der gesetzliche Steuertatbestand insgesamt verwirklicht ist, so geht dies an der wirtschaftlichen Realität vorbei, dass der Steuerpflichtige vor Ablauf des Veranlagungszeitraums vielfach nicht die Möglichkeit hat, durch eine Korrektur getroffener Dispositionen noch während des laufenden Veranlagungszeitraums eine hinzuge-

__________ 26 Vgl. stv. BVerfG v. 5. 2. 2002, BVerfGE 105, 17 (36); BVerfG v. 9. 3. 1971, BVerfGE 30, 250 (268). 27 BVerfG v. 3. 12. 1997, BVerfGE 97, 67 (78); BFH v. 6. 11. 2002, BStBl. II 2003, 257 (261). 28 BVerfG v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 (254); BVerfG v. 5. 2. 2002, BVerfGE 105, 17 (43). 29 Stv. BVerfG v. 5. 2. 2002, BVerfGE 105, 17 (37); v. 8. 2. 1977, BVerfGE 43, 291 (391); v. 10. 4. 1984, BVerfGE 67, 1 (15); v. 5. 5. 1987, BVerfGE 75, 246 (280); BFH v. 16. 12. 2003, BStBl. II 2004, 284 (293); v. 6. 11. 2002, BStBl. II 2003, 257 (261). 30 Vgl. BVerfG v. 13. 3. 1979, BVerfGE 50, 386 (395). 31 BVerfG v. 13. 3. 1992, BVerfGE 85, 360 (377). 32 Vgl. P. Kirchhof, StuW 2000, 221 (223).

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kommene steuerliche Belastung zu vermeiden33. Die Anknüpfung an das Entstehen des Steueranspruchs verfehlt so die Vertrauensbetätigung des Bürgers, indem seiner Disposition nachträglich – wenn auch noch während des laufenden Veranlagungszeitraums – eine andere steuerrechtliche Relevanz zugewiesen wird und die im Veranlagungszeitraum wirtschaftlich notwendigen und steuerlich relevanten Sachverhalte nicht mehr am Ende eines Veranlagungszeitraums rückgängig zu machen oder zu modifizieren sind34. Inwieweit verfassungsrechtlicher Vertrauensschutz gegenüber steuergesetzlichen Normen mit Vergangenheitsbezug besteht, ist aber danach zu bestimmen, ob durch diesen Vergangenheitsbezug eine verfassungsrechtlich geschützte Position des Bürgers in unzulässiger Weise beeinträchtigt wird. Diese zu schützende Position ergibt sich aus der besonderen Typik der sog. Rückwirkungsfälle, die darin besteht, dass rechtlich relevantes Verhalten bzw. wirtschaftliche Dispositionen des Bürgers in einer spezifischen, das Bedürfnis nach individuellem Vertrauensschutz aktualisierenden Weise betroffen und durch eine ex ante nicht vorhergesehene/vorhersehbare Änderung der rechtlichen Grundlagen entwertet werden. Entsprechend muss in den Mittelpunkt der Betrachtung der die individuelle Betroffenheit determinierende (Lebens-)Sachverhalt rücken. Steuerrechtlicher Vertrauensschutz ist Dispositionsschutz35. Von einem besonderen, speziell Vertrauensschutzaspekte aktualisierenden Rückwirkungstatbestand i. w. S. ist stets auszugehen, wenn der Vergangenheit angehörenden Lebenssachverhalten – im vorliegenden Kontext abgeschlossenen wirtschaftlichen Dispositionen als Erfüllung eines Besteuerungstatbestandes36 – nachträglich eine andere rechtliche Relevanz beigemessen wird. Durch ihre Vergangenheitsorientierung entzieht die Normsetzung der steuerrechtlich relevanten Disposition des Bürgers nachträglich die Grundlage und beeinträchtigt so die entsprechende grundrechtliche Freiheitsausübung (insbesondere) zur wirtschaftlichen Ertragserzielung (Art. 12 Abs. 1, 14, 2 Abs. 1 GG)37. Von einer insoweit relevanten Rückwirkung ist immer dann auszugehen, wenn für im Zeitpunkt des Normerlasses vergangene Lebenssachverhalte eine neue rechtliche Regelung getroffen wird, auf die der Bürger nicht mehr

__________ 33 Reimer, DStZ 2001, 725 (726). 34 Vgl. F. Kirchhof, StuW 2002, 185 (196); Ribbock, DStR 2005, 634 (638). 35 Vgl. BVerfG v. 3. 12. 1997, BVerfGE 97, 67 (80); v. 5. 2. 2002, BVerfGE 105, 17 (37); BFH v. 14. 3. 2000, BStBl. II 2000, 344 (346); Spindler, DStJG 27 (2004), S. 69 (77, 88); Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip unter besonderer Berücksichtigung des Steuerrechts, 2002, S. 564 ff.; Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2002, S. 106 ff., 137 ff., 146 ff.; dies., BB 2002, 2312 (2313 f.); dies., BB 1998, 1444 (1446 f.); dies., StuW 1998, 298 (313); M. Jachmann, ThürVBl. 1999, 264 (271 f.). 36 Vgl. Mellinghoff, DStJG 27 (2004), S. 25 (43 f.) m. w. N. im Rahmen der Einordnung als echte Rückwirkung. 37 Vgl. auch P. Kirchhof, DStJG 27 (2004), S. 1 (7); Birk, DStJG 27 (2004), S. 9 (16); Mellinghoff, DStJG 27 (2004), S. 25 (27 f.).

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(originär bzw. zumutbar) reagieren kann, weil seine Disposition insoweit schon abgeschlossen ist. Wann im einzelnen von einer abgeschlossenen Vertrauensbetätigung bzw. – bezogen auf das Steuerrecht – steuerlich relevanten wirtschaftlichen Disposition auszugehen ist, ist grundsätzlich danach zu bestimmen, ab wann eine Disposition rechtlich oder wirtschaftlich nicht mehr – in zumutbarer Weise – rückgängig gemacht werden kann38. c) Die Grundlagen des Vertrauensschutzes Inwieweit eine getroffene wirtschaftliche Disposition im dargelegten Sinne vor einer nachträglichen Entwertung durch eine Gesetzesänderung verfassungsrechtlich geschützt ist, hängt maßgeblich von den verfassungsrechtlichen Grundlagen des etwaigen Vertrauensschutzes ab. Im Abgabenrecht39, wo Geldersatz nicht in Betracht kommt, erfolgt Vertrauensschutz gegenüber Gesetzesänderungen durch Be(sitz)standswahrung. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Minderung eines vorhandenen gesetzlichen Status quo hängt zum einen von der Verfassungskonformität der Norm in ihrer Gestalt nach der Gesetzesänderung ab, zum anderen von der Zulässigkeit der Erstreckung der an sich ggf. zulässigen Neuregelung auf die Altfälle.40 Der hierfür maßgebliche Grundsatz des Vertrauensschutzes41 steht dafür, dass die Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf ein staatliches Handeln nur in Abhängigkeit vom Gegenstand des Vertrauens und dessen

__________ 38 Lang, Wpg 1998, 163 (170 f.). 39 Grundsätzlich zur erforderlichen bereichsspezifischen Konkretisierung des Vertrauensschutzes im Steuerrecht Mellinghoff, DStJG 27 (2004), S. 25 (30 ff.). 40 Maurer in Handbuch des Staatsrechts III, 1998, § 60 Rz. 51; vgl. auch Reimer, DStZ 2001, 725 (726). 41 Zur verfassungsrechtlichen Fundierung des Vertrauensschutzes in den Grundrechten sowie dem Rechtsstaatsprinzip (Rechtssicherheit und Kontinuitätsgebot) Mellinghoff, DStJG 27 (2004), S. 25 (27 ff.) m. w. N. – Vertrauensschutz wird – z. T. auch kumulativ – im Rechtsstaatsprinzip, v. a. im Grundsatz der Rechtssicherheit, verankert (Götz in FG BVerfG II, 1976, 421 [422]; Grabitz, DVBl. 1973, 675 [676]; Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 1989, S. 60 ff.; Seewald, DÖV 1976, 228; krit. etwa Kopp, BayVBl. 1980, 38 ff.; Mittermaier, DStZ 1998, 549; R. Schmidt, DB 1998, 1199; Spindler, DStR 1998, 953; Hey [Fn. 9], S. 108), im Sozialstaatsprinzip (Götz in: FG BVerfG II, 1976, 421 (422); Janssen, Über die Grenzen des legislativen Zugriffsrechts, 1990, S. 23) oder in einzelnen Grundrechten, insbesondere Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheit in der Zeit; so insbesondere P. Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, HStR Bd. V 1992, § 124 Rz. 138 f.) und Art. 2 Abs. 1 bzw. Art. 14 Abs. 1 GG (so stv. und grundlegend Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 418 m. w. N.; Maurer in Handbuch des Staatsrechts III, 1998, § 60 Rz. 44 ff.). Z. T. wird dem Gebot des Vertrauensschutzes der Rang eines einheitlichen Verfassungsgrundsatzes abgesprochen (vgl. etwa Püttner, VVDStRL 32, 1974; hiergegen statt vieler Maurer in FS Boorberg Verlag, 1977, 223 [228]). Im Überblick Spindler, DStJG 27 (2004), S. 69 (72 f.) m. w. N. – Abstellend auf § 242 BGB Albert (Fn. 8), S. 72 ff.

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verfassungsrechtlichem Stellenwert beurteilt werden kann. Anknüpfungspunkte hierfür sind die Freiheitsgrundrechte sowie das allgemeine Rechtsstaatsprinzip.42 Erhält eine steuerlich relevante wirtschaftliche Disposition durch eine nachträgliche Gesetzesänderung eine andere, nachteilige Wertigkeit, so ist der Bürger in der grundrechtlich geschützten Freiheit zur Vornahme dieser Disposition betroffen. Im steuerrechtlichen Kontext – gerade im Kontext von ESt, KSt und GewSt – geht es insoweit regelmäßig um die durch Art. 12 Abs. 1, 14 GG geschützte Freiheit zur wirtschaftlichen Ertragserzielung. Methodisch ist der Vertrauensschutz der Verhältnismäßigkeit grundrechtlicher Freiheitsbegrenzung zuzuordnen. Das Interesse des Einzelnen auf den Fortbestand eines gesetzlichen Status quo einerseits ist mit der Bedeutung des gesetzgeberischen Änderungsanliegens für das Wohl der Allgemeinheit andererseits abzuwägen43. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann dabei Übergangsregelungen gebieten44. Rechtsstaatliche Kontinuitätsgewähr kann als Schutz des Bürgers vor einem „venire contra factum proprium“ des Staates beschrieben werden45. Provoziert der Staat das Vertrauen des Bürgers auf den Bestand einer staatlichen Regelung und damit auf ein hierauf aufbauendes Handeln in besonderer Weise, so hat er den Bürger vor Nachteilen zu bewahren, die aus einer Enttäuschung dieses Vertrauens resultieren46. Verfassungsrechtliche Basis hierfür ist das allgemeine rechtsstaatliche Kontinuitätsgebot. Die der subjektiven Schutzbedürftigkeit des Einzelnen korrespondierende subjektivrechtliche Ausrichtung dieses allgemeinen rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes führt dazu, dass der Betroffene auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung tatsächlich vertraut haben muss, dass er aufgrund dieses Vertrauens Dispositionen getroffen haben muss und dass sein Vertrauen im konkreten Fall schutzwürdig sein muss. Schutzwürdigkeit des Vertrauens ist typischer-

__________ 42 Vgl. stv. auch Spindler, DStR 2001, 725 m. w. N.; Seer/Drüen, GmbHR, 2002, S. 1093 (1098). Zu Art. 3 Abs. 1 GG Grundlage des Vertrauensschutzes vgl. stv. Hey (Fn. 9), S. 174; hiergegen insbes. Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, 1989, S. 55 ff. m. w. N. – Letztlich führt auch dies zur Verhältnismäßigkeitsprüfung. 43 Stv. BVerfG v. 21. 1. 1969, BVerfGE 25, 142 (154); v. 20. 6. 1978, BVerfGE 48, 403 (416); v. 13. 3. 1979, BVerfGE 50, 386 (395); v. 8. 3. 1983, BVerfGE 63, 312 (329); v. 10. 5. 1983, BVerfGE 64, 87 (104); v. 16. 7. 1985, BVerfGE 69, 272 (310); v. 5. 2. 2002, BVerfGE 105, 17 (37). 44 Vgl. nur BVerfG v. 15. 2. 1967, BVerfGE 21, 173 (183); v. 28. 7. 1971, BVerfGE 32, 1 (22 f.); v. 8. 2. 1977, BVerfGE 43, 242 (288 f.) m. w. N.; v. 28. 2. 1979, BVerfGE 50, 265 (274 ff.); v. 26. 6. 1979, BVerfGE 51, 356 (368 ff.); v. 1. 7. 1981, BVerfGE 58, 81 (131 ff.); v. 22. 6. 1982, BVerfGE 67, 1 (15 ff.); v. 28. 11. 1984, BVerfGE 68, 272 (284 ff.); v. 5. 2. 2002, BVerfGE 105, 17 (45). – Grundsätzlich Spindler, DStJG 27 (2004), S. 69 (89 f.). 45 M. Jachmann, ThürVBl. 1999, 269 (274) m. w. N. 46 Vgl. auch Salzwedel, Die Verwaltung, 1972, S. 11 (15).

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weise dann anzunehmen, wenn das Vertrauen bzw. die Dispositionen durch die fragliche staatliche Regelung nach deren unmittelbarem Inhalt provoziert wurden. Einer nicht als unmittelbarer Gesetzesinhalt ausgeprägten staatlichen Dispositionsveranlassung kann mit Blick auf das rechtsstaatliche Kontinuitätsgebot im Rahmen der Beurteilung der Angemessenheit der durch eine Steuerbelastung bewirkten grundrechtlichen Freiheitsbegrenzung Rechnung getragen werden. Abzustellen ist stets auf das Maß der jeweiligen gesetzlichen Vertrauensveranlassung47. So kann eine gesetzliche Regelung typischerweise bestimmte, vom Gesetzgeber gesehene und gewollte Reaktionen erwarten lassen, im Hinblick auf welche eine spätere Gesetzesänderung als unangemessen erscheint48. d) Die maßgebliche Abwägung Die aufgezeigten verfassungsrechtlichen Vorgaben des Vertrauensschutzes werden dann relevant, wenn eine gesetzliche Neuregelung eine – auf der Grundlage des zum Zeitpunkt ihres Abschlusses geltenden Rechts – vorgenommene Disposition nachträglich (z. T.) entwertet bzw. umqualifiziert. Sie ergeben sich im Einzelnen aus der Abwägung von Kontinuitäts- und Änderungsinteresse, d. h. die Zulässigkeit einer vergangenheitsbezogenen gesetzlichen (Neu-)Regelung bestimmt sich aus einer Abwägung zwischen den für die gesetzliche Normierung in ihrer konkreten rückwirkenden Gestalt sprechenden Belangen des Allgemeinwohls einerseits und den konkreten Vertrauensschutzinteressen der nachteilig Betroffenen daran, dass sog. „Altfälle“ nicht in die Neuregelung einbezogen werden, andererseits49. Dabei ist im Einzelfall auf die Bedeutung des verfolgten Allgemeinwohlbelangs und seine konkrete Förderung durch den Vergangenheitsbezug der Norm sowie auf Bedeutung und konkrete Betroffenheit der kollidierenden Vertrauensschutzinteressen abzustellen. Im Einzelnen bestimmt sich die Wertigkeit des Kontinuitätsinteresses der im Rahmen von Altfällen Betroffenen insbesondere danach, ob bzw. inwieweit durch die Regelungsaussage der jeweiligen Norm jenseits der jedem Gesetz zukommenden Verlässlichkeitsgewähr in spezieller Weise Vertrauen auf ihren Fortbestand – ggf. zielgerichtet – verursacht wurde, sowie danach,

__________ 47 Vgl. Muckel (Fn. 35), S. 109. 48 Vgl. zur Problemstellung Mellinghoff, DStJG 27 (2004), S. 25 (47 f.) m. w. N. 49 Vgl. stv. BVerfG v. 5. 5. 1987, BVerfGE 75, 246, (280): „… sind der gesetzgeberischen Regelungsbefugnis Grenzen gesetzt, die sich aus einer Abwägung zwischen dem Ausmaß des durch die Gesetzesänderung verursachten Vertrauensschadens und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl ergeben.“; Lang, Wpg 1998, 163 (172); Hey, BB 1998, 1444 (1447); Muckel, JA 1994, 13 (16).

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inwieweit die getroffenen wirtschaftlichen Dispositionen in zumutbarer Weise noch korrigierbar sind50. Abstrakt betrachtet ist das Vertrauensschutzinteresse besonders gewichtig beim vorzeitigen Abbruch eines nach dem Gesetzesinhalt auf eine bestimmte Dauer angelegten Regelungs-, insbesondere Förderprogramms. Die Abgrenzung von echter und unechter Rückwirkung findet sich der Sache nach in der vorzunehmenden Abwägung insoweit wieder, als eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen das Vertrauen des Bürgers auf die Kontinuität der Gesetzeslage typischerweise besonders intensiv enttäuscht, wenn sich der Staat in der Vergangenheit – zwangsläufig – auf eine bestimmte Gesetzeslage festgelegt hatte. Steuerliche Fiskalzwecknormen sind ausschließlich auf staatliche Einnahmeerzielung ausgerichtet und entsprechend – beurteilt aus der Perspektive des auf Kontinuität vertrauenden Bürgers – entscheidungsneutral51, während den Lenkungsnormen jenseits ihrer Finanzierungsfunktion eine mittelbare Motivationsbeeinflussung – gezielt für nicht fiskalische Gemeinwohlzwecke eingesetzt – und insoweit eine zusätzliche freiheitsrechtliche Relevanz innewohnt52. Hinter Lenkungsnormen steht ein von der Regelbesteuerung abweichendes, spezielles gesetzgeberisches Konzept. Dem korrespondiert ein besonderes Vertrauen des Steuerpflichtigen, das über das allgemeine Gesetzesvertrauen hinausgeht. Deshalb sind an die rückwirkende Änderung von Lenkungsnormen besonders hohe Anforderungen zu stellen53. Jedoch ist dieser Schutz des Vertrauens auf Lenkungsnormen lediglich als – wenn auch zentraler – Anwendungsfall des allgemeinen Grundsatzes zu betrachten, dass das Vertrauensinteresse im Rahmen der Kontinuitätsgewähr vor abrupten, unvorhersehbaren Kursänderungen des Staates besonders gewichtig ist, wenn der Gesetzgeber das Vertrauen speziell veranlasst hat54. Dabei ist dem Vertrauensschutz typischerweise umso mehr Gewicht beizumessen, je gravierender die bisherige Gesetzessystematik verändert wird. Eine Kursänderung in der Gesetzessystematik weist v. a. dann, wenn sie die Steuerpflicht von Einzeldispositionen betrifft, i. d. R. erheblichen Dispositionsbezug auf. Allgemein nehmen die Zwecksetzung der geänderten Steuernorm wie auch deren Bedeutung für die wirtschaftliche Disposition des Bürgers maßgeblichen Einfluss auf die Abwägung von Gemeinwohl und Dispositions-

__________ 50 S. dazu auch Hey, BB 1998, 1444 (1447 f.); dies. (Fn. 9), S. 267. 51 Vgl. Hey, StuW 1998, 298 (313); dies. (Fn. 9), S. 306 (335). 52 Hey, BB 1998, 1444 (1448); Isensee in FS Klein, 1994, S. 611 (628) spricht insoweit bei Subventionen von einem „do ut des – Geschäft des Steuerstaates mit dem Anleger“. 53 Lang, Wpg 1998, 163 (174); Hey, FR 1998, 1444 (1448); Vogel, JZ 1988, 838; Burmeister in FS Friauf, 1996, S. 759 (789); Schaumburg, DB 2000, 1884 (1889); Tipke, (Fn. 12), S. 164. 54 Vgl. M. Jachmann, ThürVBl. 1999, 269 (274).

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schutz55. War eine geänderte Rechtslage – bei typisierender Betrachtung – konstitutiv für eine Disposition, so wiegt das Kontinuitätsinteresse schwerer, als wenn die Rechtsfolge nur anlässlich einer Disposition eintrat. Fehlt einer geänderten Fiskalzwecknorm ein besonderer Dispositionsbezug – dies ist bei allgemeinen Steuererhöhungen in maßvollem Rahmen, etwa in Gestalt einer nicht als sprunghaft zu bewertenden Anhebung der Steuersätze, anzunehmen –, so ist ihre Rückwirkung, insbesondere auch innerhalb eines Veranlagungszeitraums, grundsätzlich nicht zu beanstanden. Demgegenüber belasten dispositionsbezogene Gesetzesänderungen speziell die entsprechend disponierenden Steuerpflichtigen und führen so auch – sofern es sich nicht um eine Rücknahme von Steuersubventionen handelt – zu einer gegenüber einer allgemeinen Steuererhöhung einseitigen und damit – sofern eine besondere Rechtfertigung fehlt – zu einer unverhältnismäßigen, ggf. auch gleichheitswidrigen Sonderbelastung56. Insgesamt ist das Gewicht des Vertrauensschutzes abhängig von der Intensität der steuerlichen Belastung, der wirtschaftlichen Bedeutung der jeweiligen Steuernorm sowie ihres systematischen Standorts, insbesondere ihres Regeloder Ausnahmecharakters, von dem Maß des enttäuschten Vertrauens der Bürger sowie der Intensität des Vergangenheitsbezugs der Norm57. Je stärker die grundrechtlich geschützte Sphäre des Steuerpflichtigen betroffen ist, umso gewichtiger ist auch sein Interesse am Bestand der bisherigen Regelung58. e) Die zeitlichen Grenzen des Vertrauensschutzes Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist das Vertrauen auf die geltende Rechtslage i. d. R. bis zum Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses der Neuregelung schutzwürdig, d. h. dem Tag der dritten Lesung im Bundestag59. Gesetzesinitiativen60 bzw. Regierungsentwürfe und deren Veröffentlichung sind grundsätzlich nicht geeignet, das Vertrauen des Bürgers in das geltende Recht zu zerstören, da der Betroffene erst mit dem Tag des Gesetzesbeschlusses mit der Verkündung und dem In-Kraft-Treten der Neuregelung rechnen und

__________ 55 56 57 58

Vgl. auch Lang, Wpg 1998, 163 (173 f.). Lang, Wpg 1998, 163 (173). Weber-Grellet, StuW 2003, 278 (285). Weber-Grellet, a. a. O.; grundsätzlich Mellinghoff, DStJG 27 (2004), S. 25 (49) m. w. N.; Hey (Fn. 17), S. 245 ff.; Leisner (Fn. 17), S. 406 ff. 59 Vgl. BVerfG v. 3. 12. 1997, BVerfGE 97, 67 (79); v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 (261 f.); v. 8. 2. 1977, BVerfGE 43, 291 (392); v. 10. 3. 1971, BVerfGE 30, 272 (287); v. 11. 10. 1962, BVerfGE 14, 288 (298); auf Verkündung abstellend BVerfG v. 23. 3. 1971, BVerfGE 30, 392 (401); Kaligin, DStZ 1997, 524 f.; Sommermann in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 1999, Art. 20 Abs. 3 Rz. 285. 60 BVerfG v. 19. 12. 1961, BVerfGE 13, 261 (272); BVerfG v. 22. 6. 1971, BVerfGE 31, 222 (227); BVerfG v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 (242); BVerfG v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 261; BVerfG v. 15. 10. 1996, BVerfGE 95, 64 (87); BVerfG v. 3. 12. 1997, BVerfGE 97, 67 (78).

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sich darauf einrichten müsse61. So lässt das BVerfG zur Verhinderung von Ankündigungseffekten beim Abbau sog. Steuersubventionen aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls schon die Ankündigung einer Gesetzesinitiative der Bundesregierung als vertrauensschutzzerstörend ausreichen62. Auch der BFH63 hat das Vertrauen dann nicht erst mit dem endgültigen Gesetzesbeschluss als nicht mehr schutzwürdig erachtet, wenn es darum gehe, den Ankündigungseffekt zu vermeiden, der die beabsichtigte Wirkung der Gesetzesänderung ganz oder teilweise zunichte machen würde. Insoweit stehe dem Gesetzgeber ein beträchtlicher Gestaltungsspielraum zu. Z. T. hat der BFH den Zeitpunkt des Vertrauensverlusts in der Zuleitung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung an den Bundesrat gesehen.64 Gründe der Rechtssicherheit sprechen gerade – angesichts vielfacher diverser Gesetzesdebatten in einer zunehmenden Gesetzesflut – dafür, frühestens mit dem (endgültigen) Gesetzesbeschluss die Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf das bestehende Recht zu verneinen. Zu fragen ist darüber hinaus, ob dies auch dann gelten kann, wenn im Laufe des weiteren Gesetzgebungsverfahrens (insb. Einspruchs-/Zustimmungsgesetze) noch Änderungen an der Norm vorgenommen werden65 – insb. zustimmungspflichtige Steuergesetze erfahren üblicherweise im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens substantielle Veränderungen66. Das Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand einer Gesetzeslage ist dann nicht mehr schutzwürdig, wenn er seine wirtschaftliche Disposition zu einem Zeitpunkt trifft, zu dem er damit rechnen musste, dass die gesetzliche Dispositionsgrundlage auch schon mit Wirkung für seine Disposition entfallen wird. Ab welchem Zeitpunkt das der Fall ist – in Betracht kommen insbesondere der Regierungsbeschluss, der Tag des endgültigen Gesetzesbeschlusses im Bundestag, das Zustandekommen des Gesetzes durch die Zustimmung des Bundesrats (Art. 78 GG i.V.m. Art. 77 Abs. IIa GG) und schließlich das In-Kraft-Treten des Gesetzes nach Art. 82 Abs. II GG –, ist ausgehend von der Zwecksetzung rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes zu beantworten: Der Bürger soll sich auf die für seine Disposition maßgebliche

__________ 61 BVerfG v. 3. 12. 1997, BVerfGE 97, 67 (79) m. w. N. 62 BVerfG v. 3. 12. 1997, BVerfGE 97, 67 (81 f.); zur weitergehenden Vorverlagerung bei Gefährdung des Gesetzesziels durch Ankündigungseffekte auch BVerfG v. 15. 10. 1996, BVerfGE 95, 64 (88 f.); zur Kritik stv. F. Kirchhof, StuW 2002, 185 (197); Hey, BB 1998, 1444 (1449 ff.); Leisner (Fn. 17), S. 497; Schaumburg, DB 2000, 1884 (1888); Spindler, DStR 1998, 953 (957 f.). 63 BFH v. 6. 11. 2002, BStBl. II 2003, 18. – Rückwirkendes In-KraftTreten des § 34 EStG i. d. F. des StEntlG 1999/2000/2002 v. 24. 3. 1999 zum 1. 1. 1999. 64 BFH v. 6. 11. 2002, BStBl II 2003, 257. 65 Vgl. Kaligin, DStZ 1997, 524 f. 66 Vgl. Offerhaus, DStZ 2000, 9 (13); Weber-Grellet, StuW 2003, 278 (285); abstellend auf die Zustimmung des BRats Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO, Rz. 20; abstellend auf die Veröffentlichung im BGBl. Hey (Fn 9), S. 319 ff. (325 f.); F. Kirchhof, StuW 2002, 185 (197).

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Gesetzeslage verlassen können. Dies setzt allem voran Klarheit über den Inhalt der Gesetzeslage im Zeitpunkt des wirtschaftlichen Handelns voraus. Zu verlangen ist insoweit Voraussehbarkeit des Wegfalls des (noch) geltenden Rechts67. Diese Klarheit ist nicht schon mit dem sog. Ankündigungseffekt vorlegislatorischer Aktivitäten erreicht. Durch sie wird lediglich Unklarheit darüber geschaffen, ob das geltende Recht wegfallen wird, nicht aber hinreichende Sicherheit darüber, dass es – rückwirkend – wegfallen wird68. Dass eine Regierung die Tragfähigkeit ihrer neuen Konzepte in der öffentlichen und parlamentarischen Diskussion von Gesetzesentwürfen probt – was das grundgesetzliche System der parlamentarischen Demokratie ja durchaus gestattet –, kann nicht bedeuten, dass der Steuerbürger als Normadressat die politische Diskussion verfolgen und richtig einschätzen muss, ab wann – bevor das Gesetz, ggf. auch vom Bundesrat, wirksam beschlossen ist – davon auszugehen ist, dass sich die politischen Akteure auf eine Linie verständigt haben, die sie bis zum Ende eines wirksamen Gesetzes verfolgen werden. Wenn das BVerfG i. d. R. den Gesetzesbeschluss im Bundestag für maßgeblich hält, bürdet es dem Bürger ggf. das Risiko der Abschätzung der Entscheidung des Bundesrats auf69. Schon dies genügt den Anforderungen rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes kaum – jedenfalls, soweit es darum geht, das Vertrauen des Bürgers gänzlich als nicht schutzwürdig erscheinen zu lassen. Eine andere Frage ist, ob das an sich schutzwürdige Vertrauen durch vorlegislatorische Ankündigungen an Schutzwürdigkeit einbüßt und so hinter vorrangige, für die Änderung sprechende Belange des Allgemeinwohls zurückzutreten hat70. Bei der gebotenen Abwägung zwischen dem vom Gesetz-

__________ 67 Insoweit anders in der Akzentsetzung, abstellend auf die „Sicherheit für eine neue Planung“, Hey, BB 1998, 1444 (1449); dies. (Fn. 9), S. 318. 68 Lang, Wpg 1998, 163 (171). 69 So wurde das UntStFG (v. 20. 12. 2001) am 9. 11. 2001 in dritter Lesung im BT beraten und angenommen (199. Sitz.). Erst am 30. 11. 2001 wurde vom BRat der Vermittlungsausschuss angerufen (770. Sitz.). Der Änderungsvorschlag vom Vermittlungsausschuss wurde vom BT am 14. 12. 2001 angenommen und der BRat stimmte am 20. 12. 2001 (771. Sitzung) zu. Nach der genannten Rspr. wäre das Vertrauen des Bürgers ab 9. 11. 2001 nicht mehr geschützt, seine wirtschaftlichen Handlungsdispositionen stark eingeschränkt, da er nicht wissen kann, ob der BRat zustimmt oder den Vermittlungsausschuss anruft. Zwischen 9. 11. 2001 und 30. 11. 2001 könnte er daher keine relevanten geschützten Dispositionen nach alter Rechtslage treffen. Danach wäre rückwirkend sein Vertrauen wieder geschützt bis 14. 12. 2001. Ab 14. 12. 2001 wäre sein Vertrauen nicht mehr schützenswert. 70 Das BVerfG hat bislang bei Annahme einer Erschütterung des Vertrauens wegen eines Gesetzesbeschlusses im BT keine nochmalige Abwägung zwischen Kontinuitätsinteresse und Änderungsinteresse vorgenommen (vgl. BVerfG v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 unter C. II. 3. a). Im Beschluss v. 3. 12. 1997 wird die Vorhersehbarkeit der Gesetzesänderung im Rahmen der für die Rückwirkung sprechenden zwingenden Gründe des gemeinen Wohls geprüft (BVerfG v. 3. 12. 1997, BVerfGE 97, 67 [81 ff.]). Dazu Hey, BB 1998, 1444 (1449); dies. (Fn. 9), S. 319.

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geber verfolgten öffentlichen Interesse an einer raschen Neugestaltung und dem – schutzwürdigen – Kontinuitätsinteresse der Betroffenen können Ankündigungseffekte zu Lasten des Kontinuitätsinteresses wirken. Sie sind jedoch nicht von vornherein geeignet, die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Bürgers gänzlich entfallen zu lassen71.

II. Signale aus der jüngeren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs 1. Dispositionsschutz gegenüber gesetzlicher Rückwirkung Die jüngere Rechtsprechung des BFH gibt positive Signale für einen rechtsstaatlichen Dispositionsschutz gerade auch vor unechter gesetzlicher Rückwirkung. So hat der XI. Senat mit dem Vorlagebeschluss vom 6. 11. 200272 – zur Frage, ob § 39b Abs. 3 S. 9 und § 34 Abs. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 S. 2, § 52 Abs. 47 EStG in der Form des StEntlG 1999/2000/2002 vom 24. 3. 1999 insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar sind, als Entschädigungen, die nach dem Beschluss des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29. 10. 1997 und vor Zuleitung an den Bundesrat am 20. 11. 1998 vereinbart und nach dem 31. 12. 1998 ausgezahlt wurden, nicht mehr mit dem halben Steuersatz besteuert werden, – mit der traditionellen Sichtweise gebrochen, die eine unechte Rückwirkung grundsätzlich für zulässig erachtet73. Z. T. bleibt mit Blick auf die Schiffsbeteiligungsentscheidung des BVerfG74 die Art der Rückwirkung offen75. Jedenfalls im Bereich der Subventionsnormen rückt die Disposition der Steuerpflichtigen in den Mittelpunkt der Betrachtung76. Ganz im Sinne freiheitsrechtlichen Dispositionsschutzes sieht der XI. Senat im genannten Vorlagebeschluss77 den Abschluss des Aufhebungsvertrages und nicht dessen vereinbarten Vollzugstermin als maßgeblich für die Beurteilung des Vertrauensschutzes an78. Mit der Unterzeichnung disponiere der Steuerpflichtige, auch wenn der tatsächliche Zufluss vereinbarungsgemäß erst zu einem späteren Zeitpunkt im nächsten Jahr erfolgen solle. Von diesem Zeitpunkt

__________ 71 Vgl. auch Hey, BB 1998, 1444 (1447 ff.); dies. (Fn. 9), S. 384. 72 BFH v. 6. 11. 2002, BStBl. II 2003, 257; vgl. dazu List, BB 2003, 761 ff.; WeberGrellet, DStR 2003, 283 f. 73 S. o. I. 2. a); vgl. auch BVerfG v. 14. 5. 1986, BVerfGE 72, 200 (257 f.); BVerfG v. 3. 12. 1997, BVerfGE 97, 67 (78 f.); BFH v. 16. 5. 2001, BStBl. II 2001, 710 (711); Sachs in Sachs, Grundgesetz, 3. Aufl. 2003, Art. 20 Rz. 136; vgl. auch Hey (Fn. 9), S. 224; Weber-Grellet, StuW 2003, 278 (284). 74 BVerfG v. 3. 12. 1997, BVerfGE 97, 67 (80). 75 BFH v. 12. 10. 2000, BStBl. II 2001, 499 unter II. 1. c). 76 BFH v. 12. 10. 2000, BStBl. II 2001, 499 unter II. 1. b); v. 14. 3. 2000, BStBl. II 2000, 344 unter II. 3. c). 77 Anders noch BFH v. 21. 9. 2000, BStBl. II 2001, 178 (181). 78 BFH v. 6. 11. 2002, BStBl. II 2003, 257 unter B. II. 3. a).

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an sei die besondere Schutzwürdigkeit des Vertrauens gegeben79. Dabei orientiert sich der XI. Senat explizit an der zivilrechtlichen Bindung der maßgeblichen Disposition im Einzelfall, indem er feststellt, dass keine Ausgleichsmöglichkeit nach den zivilrechtlichen Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bestehe80. Der IX. Senat erweitert den vom BVerfG zunächst auf Verschonungssubventionen beschränkten Dispositionsschutz explizit auch auf Fiskalzwecknormen81. Zugleich wird ein umfassender dispositionsbezogener Rückwirkungsbegriff82 entwickelt, der die Grenzen für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit nicht lediglich dem gesetzlichen Tatbestand entnimmt, sondern maßgeblich auf den Zeitpunkt der Vertrauensbetätigung des Steuerpflichtigen abhebt83. Der I. Senat stützt hierauf zumindest eine Aussetzung der Vollziehung.84 Der IX. Senat strukturiert die Anforderungen an echte wie unechte steuergesetzliche Rückwirkung in einer den Erfordernissen von Rechtssicherheit wie Praktikabilität Rechnung tragenden Weise: Während die tatbestandliche Rückanknüpfung ein Geschehen betrifft, das zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung weder tatsächlich noch rechtlich abgeschlossen war85, ist von einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen/echten Rückwirkung nur auszugehen, wenn ein neues Gesetz in Sachverhalte eingreift, die vor der Gesetzesverkündung abgeschlossen waren und die die Voraussetzungen eines bisher geltenden Tatbestands erfüllen86. Mit einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen (echte Rückwirkung) greift der Steuergesetzgeber nicht nur in Dispositionen des Steuerpflichtigen ein, sondern verstößt zusätzlich auch gegen das verfassungsrechtliche Gebot der

__________ 79 BFH v. 6. 11. 2002, BStBl. II 2003, 257 unter B. II. 3. a) aa); vgl. BVerfG v. 5. 2. 2002, BVerfGE 105, 17 (38); Kirchhof, StuW 2002, 185 (196). 80 Dazu, dass ungeachtet der rechtlichen Erfüllung eines obligatorischen Veräußerungsvertrages sowie des flexibel bestimmbaren Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums die Vertragsschließenden schon in dem Zeitpunkt, in dem sie den am Markt erzielbaren Preis aushandeln sowie Gewinnchancen bzw. Verlustrisiken zivilrechtlich verteilen, disponieren, vgl. auch Seer/Drüen, GmbHR, 2002, 1093 (1099); Hey (Fn. 9), S. 444; – zur einhelligen Orientierung des Dispositionsschutzes bei Veräußerungen am obligatorischen Vertragsschluss in der Lit. stv. Hey (Fn. 9), S. 398 f. (444); Seer/Drüen, GmbHR, 2002, a. a. O. m. w. N. 81 BFH v. 5. 3. 2001, BStBl. II 2001, 405. 82 Vgl. dazu auch Albert (Fn. 8), S. 64 ff. (84 ff.). 83 Pleyer, NJW 2001, 1985. 84 Beschluss v. 3. 2. 2005 I B 208/04, DStR 2005, 465: „Es ist ernstlich zweifelhaft, ob der Ausschluss des Ausgleichs von Verlusten aus stillen Beteiligungen an Kapitalgesellschaften gemäß § 15 Abs. 4 Satz 6, § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG i. d. F. des StVergAbG insoweit mit dem GG vereinbar ist, als er sich ohne Einschränkung auch auf Verluste bezieht, die auf vor dem Jahr 2003 begründeten Verpflichtungen beruhen.“ 85 BFH v. 16. 12. 2003, BStBl. II 2004, 284 unter B. III. 86 BFH v. 16. 12. 2003, BStBl. II 2004, 284 unter B. III. 2. a) dd).

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Rechtssicherheit87. Das Gebot der Kontinuität enthält als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips ein objektives Element und verlangt insoweit eine gewisse Rechtsbeständigkeit, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit der geltenden Rechtsordnung. Dieses objektive Element erlangt dort an Bedeutung, wo eine rückwirkende Rechtsänderung ohne Dispositionsbezug erfolgt. Demgegenüber ist bei der tatbestandlichen Rückanknüpfung rechtsstaatliche Kontinuität zugunsten des Steuerpflichtigen in die Abwägung einzubeziehen, ob das Änderungsinteresse des Staates ein durch eine Disposition betätigtes Vertrauen des Steuerpflichtigen überwiegt. Insoweit sind die Rechtfertigungsanforderungen für eine echte Rückwirkung weit höher als für eine tatbestandliche Rückanknüpfung. Ausgangspunkt der im Einzelfall vorzunehmenden Abwägung ist die wirtschaftlich motivierte freiheitsgrundrechtlich geschützte Disposition des Steuerpflichtigen als Vertrauensbetätigung88. Diese Disposition sieht der IX. Senat im Kontext von § 23 S. 1 Abs. 1 Nr. 1 EStG mit der Veräußerung als beendet an89. Maßgeblich ist dabei zudem, dass die Veräußerung die Rechtsfolgen des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG auslöst, während der Ablauf der alten Spekulationsfrist noch nicht zur Abgeschlossenheit des Tatbestandes des § 23 EStG führte. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens folgt daraus, dass der Steuerpflichtige bei seiner Disposition mit einem weitergehenden Steuerzugriff nicht rechnen musste und ihn bei seiner Disposition nicht berücksichtigen konnte. Besonderes Gewicht erlangt das Vertrauen des Steuerpflichtigen aus einer sehr langen Geltungsdauer der Rechtslage zum Zeitpunkt der Disposition sowie aus deren freiheitsgrundrechtlichen Einbindung. So hat der IX. Senat das Unterlassen einer Veräußerung der Veräußerung gleichwertig erachtet (Portfolioentscheidung im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 GG). Die in Rechnung zu stellenden öffentlichen Interessen sind zu konkretisieren, etwa als Absicht der Gegenfinanzierung oder Aspekte der Steuergerechtigkeit, und zu bewerten90. 2. Sonderbehandlung für § 17 EStG Nicht zu Gunsten eines freiheitlich-rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes hat freilich der VIII. Senat des BFH in seinen Urteilen vom 1. 3. 200591 befunden. Zu entscheiden war, ob die Absenkung des Schwellenwerts in § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG durch das StEntlG 1999/2000/2002 von bis dahin zu mehr als 25 v. H. auf nunmehr mindestens 10 v. H. mit Wirkung zum 1. 1. 1999 auch die bereits vorher gebildeten stillen Reserven in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise im Falle einer Veräußerung nach dem Ge-

__________

87 88 89 90 91

BFH v. 16. 12. 2003, BStBl. II 2004, 284 unter B. III. 2. e) aa). BFH v. 16. 12. 2003, BStBl. II 2004, 284 unter B. III. 4. b). BFH v. 16. 12. 2003, BStBl. II 2004, 284 unter III. 3. a). BFH v. 16. 12. 2003, BStBl. II 2004, 284 unter B. III. 4. d). VIII R 92/03 und VIII R 25/02, BFH v. 1. 3. 2005, BStBl. II 2005, 398 und 436.

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setzesbeschluss des Bundestages am 4. 3. 1999 steuerlich erfassen darf92. Der VIII. Senat hat insoweit keine verfassungsrechtlichen Bedenken und sieht auch keine Möglichkeit, anstelle der bei der Gewinnermittlung gemäß § 17 Abs. 2 EStG allgemein zugrunde zu legenden historischen Anschaffungskosten auf den gemeinen Wert zum 1. 1. 1999 – dem Zeitpunkt des In-KraftTretens der Neuregelung – abzustellen. Im Einzelnen geht der VIII. Senat von einer unechten Rückwirkung aus, indem im zeitlichen Geltungsbereich des neu gefassten § 17 EStG realisierte Gewinne erfasst würden, die auf einer bereits zuvor entstandenen Wertsteigerung der Beteiligung beruhten. Der VIII. Senat lehnt explizit einen dispositionsbezogenen Rückwirkungsbegriff bzw. eine entsprechende Beurteilung des Vergangenheitsbezugs der Regelung ab und setzt allein bei dem Zeitpunkt der vollständigen Verwirklichung des Besteuerungstatbestands mit Veräußerung der Beteiligung an. Danach war es unerheblich, ob der Steuerpflichtige im Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage auf eine frühere Veräußerung verzichtet hatte. Die Steuerverschärfung beruhe auf dem die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen überwiegenden Änderungsinteresse des Gesetzgebers und des gemeinen Wohls. Freilich wird dieses gemeine Wohl nicht konkretisiert. Das vom IX. Senat des BFH im Beschluss v. 16. 12. 200393 zur Verlängerung der Spekulationsfrist in § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG von 2 auf 10 Jahre bejahte besonders schützenswerte Bestandsinteresse, dem durch eine Übergangsregelung Rechnung zu tragen sei, sei nicht auf § 17 EStG zu übertragen. Denn auch die Wertzuwächse einer nicht wesentlichen Beteiligung seien latent steuerverstrickt gewesen, zum einen bezüglich der Ausschüttungen, § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, zum anderen nach § 17 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Ob ein Beteiligungsertrag oder ein steuerfreier Veräußerungsgewinn anfalle, hänge wesentlich vom Ausschüttungsverhalten sowie den Entscheidungen der Mehrheit der Gesellschafter ab. Bereits durch Einführung des § 50c Abs. 11 EStG im Jahr 1997, wonach der Erwerber keine ausschüttungsbedingte Teilwertabschreibung vornehmen dürfe, sei das Vertrauen in den unveränderten Fortbestand des § 17 EStG abgeschwächt gewesen. Der daran geübten Kritik habe der Gesetzgeber durch das Absenken der Wesentlichkeitsgrenze teilweise Rechnung getragen. Zwar beruhe dies auf einer gesetzlichen Maßnahme und nicht – wie in den Fällen des Hineinwachsens in die Wesentlichkeit – auf Handlungen des Steuerpflichtigen selbst. Es könne eine Steuerverhaftung aber ohne Zutun des Steuerpflichtigen eintreten, z. B. beim Erwerb eigener Anteile durch die Gesellschaft oder bei mittelbaren Beteiligungen, wenn die andere Kapitalgesellschaft weitere Anteile hinzuerwerbe.

__________ 92 Vgl. zur grundsätzlichen Problematik auch Albert (Fn. 8), S. 95 ff. 93 BFH v. 16. 12. 2003, BStBl. II 2004, 284.

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Diese Erwägungen zeigen gewisse Strukturunterschiede zwischen § 17 EStG und § 23 EStG auf, wenngleich nach noch geltendem Recht beide Tatbestände die ausnahmsweise steuerliche Erfassung privater Veräußerungsgewinne normieren. Gemeinsam ist § 17 und § 23 EStG die Besteuerung eines Veräußerungsakts, d. h. einer im Einzelfall getroffenen Disposition des Steuerpflichtigen. Mit der Ablehnung der vom IX. Senat im Vorlagebeschluss zu § 23 EStG94 statuierten dispositionsbezogenen Betrachtung stellt der VIII. Senat die Weichen seiner Rechtsprechung. Während der IX. Senat als für den Vertrauenstatbestand maßgebenden Sachverhalt den Erwerb des Grundstücks als einer wirtschaftlich motivierten Disposition begreift, die unter einer bestimmten, für den Steuerpflichtigen maßgebenden Rechtslage getätigt worden sei, ist Gegenstand der Vertrauensprüfung des VIII. Senats nicht die Disposition des Steuerpflichtigen, sondern der Verwirklichung des positiven Steuertatbestands. In der Konsequenz sieht der VIII. Senat – anders als der IX. Senat – das Unterlassen einer Veräußerung gegenüber der Veräußerung unter Vertrauensgesichtspunkten nicht als gleichwertig an. Aus freiheitsrechtlicher Perspektive besonders drastisch wirkt sich der Ansatz des VIII. Senats in der Fallgestaltung des Verfahrens VIII R 25/02 aus, wo der Steuerpflichtige nach den in den einzelnen Veranlagungszeiträumen maßgebenden Schwellenwerten zu keinem Zeitpunkt wesentlich beteiligt war (bis 1998 zu mehr als 25 v. H., ab 1. 1. 1999 zu mindestens 10 v. H.). Während im Verfahren VIII R 92/03 der Steuerpflichtige immerhin im Veranlagungszeitraum 1999 nach der abgesenkten Beteiligungsgrenze noch wesentlich beteiligt war, war es die Klägerin im Verfahren VIII R 25/02 hingegen weder nach der ab 1999 geltenden Beteiligungsgrenze noch nach der seit 1934 bis Ende 1998 gültigen. Der VIII. Senat sieht die Voraussetzungen des § 17 EStG auch dann als erfüllt an, wenn bei einer Veräußerung im Jahre 1999 der Veräußerer im Fünfjahreszeitraum vor 1999 nur zu 10 v. H. beteiligt war. In rein formaler Betrachtung beurteilt der VIII. Senat das retrospektive Tatbestandsmerkmal der wesentlichen Beteiligung i. S. v. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG danach, ob zu irgendeinem Zeitpunkt die im Veräußerungsjahr maßgebende Beteiligungsgrenze überschritten war (unechte Rückwirkung). Bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns werden die historischen Anschaffungskosten zugrunde gelegt. Dass durch die rückbezogene Herabsetzung der Beteiligungsgrenze auch die Steuerverstrickung unter Ansatz der historischen Anschaffungskosten von Beteiligungen bewirkt wird, die in den 1999 vorangegangenen, jeweils abgeschlossenen Veranlagungszeiträumen nicht steuerbefangen waren, sieht der VIII. Senat als unerheblich an. Jedoch wird nachträglich die Rechtsfolgenlage für abgeschlossene Veranlagungszeiträume belastend geändert. Der im Halten einer nicht wesentlichen Beteiligung lie-

__________ 94 BFH v. 16. 12. 2003, BStBl. II 2004, 284.

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genden Disposition wird rückwirkend die Rechtsgrundlage entzogen95. Es hätte jedenfalls einer besonderen Rechtfertigung bedurft, wenn der Gesetzgeber übergangslos zuvor nicht steuerverhaftete, im Privatvermögen entstandene Wertzuwächse in einem Zeitraum erstmals steuerverstrickt, in dem der Steuerpflichtige selbst bei Anwendung der herabgesetzten Beteiligungsgrenze nicht wesentlich beteiligt war. Im Übrigen spräche viel für eine verfassungskonforme Auslegung im Sinne eines veranlagungsbezogenen Beteiligungsbegriffes96 oder aber das Postulat einer Übergangsregelung für im Privatvermögen entstandene und nach der bis 1999 geltenden Rechtslage nicht steuerbare Wertzuwächse durch den Ansatz des gemeinen Wertes der Beteiligung zum 1. 1. 199997.

III. Fazit Maßstab für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer echten wie unechten Rückwirkung ist der Grundsatz des Vertrauensschutzes, der aus den Freiheitsgrundrechten i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Rechtssicherheit) erwächst. Diese Zulässigkeit bestimmt sich konkret aus einer Abwägung zwischen den für die gesetzliche Normierung in ihrer rückwirkenden Gestalt sprechenden Belangen des Allgemeinwohls einerseits und den Vertrauensschutzinteressen der nachteilig Betroffenen andererseits. Dabei ist im Einzelfall auf die Bedeutung des verfolgten Allgemeinwohlbelangs und seine konkrete Förderung durch den Vergangenheitsbezug der Norm sowie auf Bedeutung und konkrete Betroffenheit der kollidierenden Vertrauensschutzinteressen abzustellen, wobei legislative Ankündigungseffekte zu Lasten des Kontinuitätsinteresses wirken können. Gegenstand des Vertrauensschutzes vor rückwirkender Entwertung einer steuerlichen Dispositionsgrundlage ist die abgeschlossene, nicht mehr revidierbare wirtschaftliche Disposition98, welche aus der rückwirkend modifizierten Gesetzeslage ihre Rechterheblichkeit erlangt99. Von einer abgeschlossenen Disposition ist auszugehen, wenn der Steuerpflichtige diese aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht mehr (in zumutbarer Weise) rückgängig machen kann100. Sub specie grundrechtlicher Freiheitsbetätigung kann dem Steuerpflichtigen im Rahmen der rechtsstaatlich geprägten Rechtsordnung das Risiko der Rechtsänderung auch in zeitlicher Hinsicht nur inso-

__________ 95 Vgl. Wendt, FR 1999, 345; Schneider in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, 5. Aufl. 2005, § 17 EStG, Rz. A 259 m. w. N. 96 Steinhauff, Juris Praxis-Report 23/2005 Anm. 2. 97 Vgl. stv. Gosch in Kirchhof, EStG, 5. Aufl. 2005, § 17 Rz. 79; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 17 Rz. 35, 71; Strahl in Korn, EStG, § 17 EStG Rz. 38; Ebling in Blümich, EStG, § 17 EStG Rz. 109 a) jeweils m. w. N. 98 Stv. Lang, WPg 1998, 163 (168). 99 Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, § 4 Rz. 178. 100 Vgl. insbes. Schaumburg, DB 2000, 1884 (1888); Lang, WPg 1998, 163 (170).

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weit aufgebürdet werden, als er es in zumutbarer Weise beherrschen kann. Nach allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen ist ein sachgerechter Ausgleich zwischen dem Bestandsinteresse des Steuerpflichtigen und dem Änderungsinteresse der staatlichen Gemeinschaft herzustellen. In der Rechtsprechung des BVerfG ist die Ausrichtung des Vertrauensschutzes an der wirtschaftlichen Disposition des Steuerpflichtigen nur für Lenkungsnormen gesichert. Der IX. Senat des BFH dehnt dies auf Fiskalzwecknormen aus und präzisiert die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen von echter wie unechter steuergesetzlicher Rückwirkung insbesondere unter Differenzierung zwischen dem objektiven rechtsstaatlichen Gebot der Kontinuität und dem subjektiven Dispositionsschutz. Die restriktiven Judikate des VIII. Senats zu § 17 EStG sollten als auf diese spezielle Norm zugeschnitten, nicht aber als Richtungswechsel des BFH weg von einem den freiheitsgrundrechtlichen wie rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Dispositionsschutz des Steuerpflichtigen gegenüber einer rückwirkenden gesetzlichen Neubewertung einer wirtschaftlichen Disposition bzw. Änderung einer steuerlichen Dispositionsgrundlage verstanden werden.

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Der Schuss ins Blaue – Einige Gedanken zum Experimentalgesetz im Steuerrecht Inhaltsübersicht I. Planspiele und Experimente im modernen Verfassungsstaat II. Experimentalgesetze einst und heute 1. Zum Begriff des Experimentalgesetzes 2. Experimentalgesetze als Modeerscheinung?

3. Defizite an experimenteller Gesetzgebung im modernen Steuerrecht Deutschlands III. Zur experimentellen Gesetzgebung in einem Steuerrecht der Zukunft IV. Schluss: Das Experimentalgesetz als Alternative zum Schuss in Blaue

I. Planspiele und Experimente im modernen Verfassungsstaat Angesichts der beeindruckenden Bandbreite juristischer Interessen Arndt Raupachs kann es kaum verwundern, dass er stets auch mit besonderer Aufmerksamkeit den Zustand unserer Steuergesetzgebung beobachtet und scharfsinnigen Analysen unterzogen hat1. So hat er in seiner grundlegenden Untersuchung zum Zustand des deutschen Einkommensteuerrechts2 Planspiele, wie sie seinerzeit für das Körperschaftsteueranrechnungsverfahren und den § 8a KStG3 durchgeführt wurden, als „besonders positive Form der Zusammenarbeit zwischen Finanzministerium und Verbänden“ gelobt, zugleich aber auf den natürlichen Interessenkonflikt hingewiesen, der die

__________ 1 2 3

S. nur aus jüngster Zeit die grundlegende, gemeinsam mit M. Böckstiegel vorgelegte Arbeit zur Mindestbesteuerung: Die Verlustregelungen des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002, FR 1999, 487, 557 und 617. A. Raupach, Der Niedergang des deutschen Einkommensteuerrechts – Möglichkeiten der Neubesinnung, in A. Raupach/K. Tipke/A. Uelner (Hrsg.), Niedergang oder Neuordnung des deutschen Einkommensteuerrechts?, 1985,15, 45 f. Später auch für die Unternehmensteuerreform, s. das Planspiel zur „Administrierbarkeit der Modelle zur Unternehmensteuerreform bei Finanzverwaltung, Steuerpflichtigen und Steuerberatern“, Schriftenreihe des BMF Bd. 67 (1999); ferner das „Planspiel zur systembezogenen Änderung bei der Umsatzsteuer – ReverseCharge-Verfahren“ vom November 2005, www.pspmuc.de/studien/Machbarkeits studie_IST_Ergebnisbe-richt.pdf; dazu auch W. Widmann, Planspiel, Finanzministerkonferenz, Sachverständigenrat, Koalitionsvertrag: alle wollen jetzt nur das eine: Reverse Charge – Zum gegenwärtigen Stand der MehrwertsteuersystemDebatte in Deutschland, UR 2006, 13. P. Matheis/S. Groß/A. Vogl, Steuerreformmodelle im Praxistest – Die Erfahrungen der Münchener Steuerplanspiele zur Umsatzsteuer im Lichte der angekündigten „Großen Steuerreform“, DStR 2006, 214.

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Beteiligten4 oftmals bei der Suche nach sachgerechten Lösungen behindert. Gehören solche, seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts üblichen Planspiele zwar zu den unerlässlichen Testläufen eines innovativen, anspruchsvollen und komplexen Regelungswerks5, so fehlt ihnen jedoch die entscheidende parlamentarische Legitimation. Denn die inhaltliche Umsetzung rechtspolitischer Entscheidungen obliegt der Volksvertretung, auch wenn – gerade im Steuerrecht – hieran immer wieder Zweifel geäußert wurden6. Unabhängig von einer noch zu erörternden, näheren Begriffsbestimmung erweist sich daher das Experimental- oder Erprobungsgesetz als ein Testlauf höherer Qualität für eine steuerliche Regelung, der zudem auch die beiden anderen Gewalten, Exekutive und Judikative in den Versuch einbezieht und so eine realistische Beurteilung ermöglicht, die das virtuelle Spiel der Ministerialbeamten mit Interessenvertretern kaum jemals leisten könnte. Freilich gibt es Anhörungen, bei denen auch andere Gruppen als die unmittelbar von einem Gesetzesvorhaben Betroffenen gehört werden7, wie etwa die in den letzten Jahren verstärkt beteiligten Vertreter der Gerichtsbarkeiten. Der Einfluss dieser Anhörungsbeteiligten auf ein Gesetzgebungsvorhaben scheint allerdings begrenzt zu sein und oft nur eine Alibifunktion zu haben. An den erwähnten Planspielen oder Testläufen werden diese „Vertreter des öffentlichen Interesses“ jedoch im Allgemeinen ebensowenig beteiligt, wie die anderen mit der Entstehung und Anwendung der Gesetze befassten Gewalten. Kein Geringerer als Montesquieu, Befürworter des Gewaltenteilungsprinzips, hat diesen Gedanken aufgegriffen und ihm in der Empfehlung „il est même souvent à propos d’essayer une loi avant de l’établir“8 Ausdruck verliehen.

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M. E. unterliegen die Vertreter der Finanzbehörde als „Lobbyisten“ des Fiskalinteresses oder der jeweiligen Lenkungszwecke diesem Konflikt gleichermaßen. S. nur die Bekanntmachung des Handbuchs zur Vorbereitung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften v. 20. 12. 1991, Bundesanzeiger Nr. 52a, 16 f. In der neueren Gesetzgebungslehre wurden Planspiele stets gefordert (s. etwa P. Noll, Gesetzgebungslehre, 1973, 120 ff., und insbesondere für das Steuerrecht K. H. Musset, Normenflut im Steuerrecht – Ursachen und Möglichkeiten ihrer Eindämmung, ZG 1987, 60, 65 f.), wird der praktische Nutzen dieser legislatorischen Planspiele aber stark bezweifelt, u. a. deshalb, weil die Teilnehmer ohne konkretes Risiko handeln (so H. Schneider, Gesetzgebung – Ein Lehr- und Handbuch, 3. Aufl. 2002, Rz. 108 aE). Zum BVerfG als „Obergesetzgeber“ und zur Rolle der übrigen an der Gesetzgebung beteiligten Kräfte s. etwa H.-J. Kanzler, Einige Bemerkungen zum Handwerk moderner Steuergesetzgebung, DStZ 1996, 676 m. w. N. A. Raupach greift insoweit den Vorschlag St. S. Surreys (Der amerikanische Kongress und die Steuerlobby, StuW 1981, 143 ff.) auf, einen Vertreter des öffentlichen Interesses, einen sog. Ombudsmann, am Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen (A. Raupach, Fn. 2, 46). Ch. L. Montesquieu, De l’esprit des lois, livre deuxième, chapitre II, 1748 (am Ende).

Einige Gedanken zum Experimentalgesetz im Steuerrecht

II. Experimentalgesetze einst und heute 1. Zum Begriff des Experimentalgesetzes Ganz anders als in anderen Rechtsgebieten spielt das Experimentalgesetz in der modernen Steuergesetzgebung keine Rolle. Allerdings wird der Steuergesetzgebung nachgesagt, sie selbst habe weitgehend experimentellen Charakter9, eine Einschätzung, die der spontanen Reaktion eines Kollegen entspricht, der meinte, man habe da wohl zwischen echten und unechten Experimentalgesetzen zu unterscheiden. Nun kann man sich diesem Befund mit Ironie oder gar sarkastisch nähern und etwa das wiederholte Scheitern steuerlicher Regelungen vor dem Bundesverfassungsgericht unter die Kategorie der unbewussten, zum Teil auch bewussten10 Versuchsgesetze einordnen. Insoweit wird der experimentelle Charakter der beanstandeten Regelungen nicht zuletzt auch durch die vom BVerfG regelmäßig eingeräumten Anpassungsspielräume bestätigt11. Man kann auch ganz allgemein auf die durch die Sozialwissenschaften beeinflusste experimentierende Methode im Recht eingehen12 und darauf verweisen, dass jeglicher Rechtssetzung der Charakter eines Experiments anhaftet13. Der hier zu erörternde Begriff des Experimentalgesetzes erfordert aber dreierlei: Zum Einen nämlich, dass es sich in Abgrenzung zu den internen experimentellen Methoden des Modellversuchs, Praxistests oder Planspiels14 um ein voll gültiges, auf parlamentarischem Wege zu Stande gekommenes Ge-

__________ 9 E. Meister, Zum Spannungsfeld zwischen Rechtsprechung und Steuergesetzgebung – dargestellt am Beispiel der Unternehmensbesteuerung, DStZ 1992, 449 (450). 10 S. nur die allgemeine Diskussion um das Normwiederholungsverbot, dazu etwa S. Detterbeck, Normwiederholungsverbote aufgrund normverwerfender Entscheidungen des Bundesverfassungerichts?, AöR 116 (1991), 391 und R. Häußler, Der Konflikt zwischen Bundesverfassungericht und politischer Führung, 1994, 32 jeweils m. w. N. Konkret im Steuerrecht ist etwa auf den Versuch des Gesetzgebers hinzuweisen, mit dem Jahressteuergesetz 1997 den Abzug der zumutbaren Belastung bei den Kinderbetreuungskosten nach § 33c EStG ausdrücklich anzuordnen, obwohl das BVerfG eine solche Kürzung zuvor abgelehnt hatte. Mit Beschluss v. 16. 3. 2005 (FR 2005, 759) wurde diese Regelung denn auch für verfassungswidrig erklärt. 11 Dazu etwa H.-D. Horn, Experimentelle Gesetzgebung unter dem Grundgesetz, 1989, 125; s. auch H.-J. Kanzler, Die Umsetzung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen durch den Steuergesetzgeber, StuW 1996, 215. 12 Grundlegend die Schriften des 1897 geborenen us-amerikanischen Juristen F. K. Beutel (Some Implications of Experimental Jurisprudence, Harvard Law Review, 1934, 169 ff. und zuletzt: Experimental Jurisprudence and the Scienstate, 1975); dazu auch R. Zippelius, Die experimentierende Methode im Recht, 1991, 5 ff. m. w. N. 13 P. Noll (Fn. 5), 76. 14 Zu diesen Kategorien experimenteller Rechtssetzungsmethodik im Einzelnen W. Hugger, Die Erkenntnisleistung der experimentellen Rechtsetzungsdogmatik, in H. Kindermann (Hrsg.), Studien zu einer Theorie der Gesetzgebung, 1982, 331 (334 ff.).

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setz handeln muss. Insoweit unterscheiden Einige auch zwischen dem (internen) Gesetzgebungsexperiment und der (externen) experimentellen Gesetzgebung15. Zur Abgrenzung von den übrigen förmlich zu Stande gekommenen Gesetzen ist jedoch weiter zu fordern, dass der Versuchscharakter der Regelung deutlich wird. Dies geschieht durch Befristungen und besondere Evaluationsvorkehrungen16. Allerdings ist nicht jedes Zeitgesetz zugleich auch ein Experimentalgesetz. Denn erfolgt die Befristung nicht zugleich auch mit dem Ziel einer Erfolgskontrolle, so handelt es sich um ein „normales“ Zeitgesetz17, das nicht der Erprobung dient, sondern mit der Erreichung seines Regelungszwecks oder auch nur mit dem vorgesehenen Zeitablauf entfallen soll18. In diesem Sinne war etwa die durch Haushaltsbegleitgesetz 198319 befristet eingeführte sog. Sanierungsrücklage nach § 6d EStG aF zwar ein Zeit-, aber kein Experimentalgesetz. Die Regelung war Teil eines „Konzept(s) für eine Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ nach dem sog. Lambsdorff-Papier20 und mit Überwindung der damaligen Rezession gegenstandslos geworden. Die Chance einer Erfolgskontrolle hatte der Gesetzgeber seinerzeit nicht wahrgenommen und so wurde auch in der aktuellen Situation einer Wachstumsschwäche die Wiedereinführung einer vergleichbaren Regelung zur Vermeidung der Stillegung von Betrieben erst gar nicht diskutiert. Schließlich muss der Regelungsgegenstand einige Bedingungen erfüllen, die das Versuchsgesetz vom regulären Gesetz unterscheiden. Setzen beide zwar einen Regelungsbedarf voraus21, so besteht beim Experimentalgesetz eine Ungewissheit über die zu treffende Regelung. Der Gesetzgeber verfügt (noch) nicht über ausreichende Entscheidungsgrundlagen, die er durch den Gesetzesversuch erst zu gewinnen trachtet. Ihm ist aber zugleich ein Entscheidungsspielraum eröffnet, der Alternativregelungen ermöglicht. Gerade im Steuerrecht scheint das Eingeständnis von Unsicherheit über die Regelungs-

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15 So etwa H.-D. Horn (Fn. 11), 24 f. m. w. N. 16 Die inzwischen auch in den einschlägigen Handbüchern verstärkt gefordert werden, s. Handbuch zur Vorbereitung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften (Fn. 5), 17 f. 17 Zur Abgrenzung zwischen Zeit- und Experimentalgesetzen auch H. P. Schneider, Gesetzgebung und Einzelfallgerechtigkeit – Zum Verhältnis von Legislative und Judikative im sozialen Rechtsstaat, ZRP 1998, 323 (324 f.). Nach H.-D. Horn (Fn. 11), 25 ist das Experimentalgesetz „eine (Unter-)Form des Zeitgesetzes“; ähnlich H. Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung, 1988, 70. 18 Zu dieser sog. „sunset-legislation“ umfassend D. Rethorn, „Sunset“-Gesetzgebung in den Vereinigten Staaten von Amerika, in H. Kindermann (Fn. 14), 316. 19 Vom 20. 12. 1982, BGBl. I 1982, 1857; BStBl. I 1982, 972. 20 Zum Wortlaut der entsprechenden Passage des Lambsdorff-Papiers s. S. Seeger/ H.-J. Kanzler, Die Sanierungsrücklage nach § 6d EStG 1983, DB 1983, 517 Fn. 3. 21 Hier könnten Zweifel bestehen, ob die im Steuerrecht so häufigen „klarstellenden“ Regelungen tatsächlich erforderlich sind. In vielen Fällen dient das Adjektiv „klarstellend“ jedoch der Rechtfertigung rückwirkender Regelungen.

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folgen eines Gesetzes eher als Zeichen mangelnden Durchsetzungswillens vermieden zu werden, findet man doch in den einschlägigen Materialien recht apodiktisch stets den Punkt „C. Alternativen: Keine“22. Zu den Experimentalgesetzen zählen allerdings auch solche nur der äußeren Form nach der Erprobung dienenden Gesetze und faktische Versuchsgesetze. Dies sind einmal Vorbehaltsgesetze, die nicht der Überwindung planerischer und prognostischer Ungewissheiten dienen oder die diesen Zweck nur beiläufig erfüllen, in erster Linie aber aus taktischen Erwägungen geschaffen werden, um politischen Widerstand leichter zu überwinden und eine Akzeptanz für schwer vermittelbare Lösungen zu fördern. Hierzu gehören auch solche vorläufigen Gesetze, die nur der Vermeidung einer unliebsamen Dauerregelung dienen23. Zum andern sind es jene befristeten Gesetze, die nicht den Anspruch erheben, ein Experimentalgesetz zu sein, im Ergebnis aber wie ein solches wirken. Als Beispiel seien hier die verfahrensrechtlichen Entlastungsgesetze angeführt, die zwar befristet waren und mehrfach verlängert wurden, die aber ohne Evaluierungsauftrag in Kraft traten. Die Wirksamkeitskontrolle übernahm die Praxis, was dazu führte, dass etwa das BFHEntlG24 mehrfach geändert wurde und schließlich im Wesentlichen in die FGO25 übernommen wurde26. Ähnlich verfuhr man auch mit den Vorschriften des VGFGEntlG27, die bereits 1992 durch das FGO-Änderungsgesetz28 in die FGO überführt wurden, weil sie sich bis dahin bewährt hatten. 2. Experimentalgesetze als Modeerscheinung? Experimentalgesetze in diesem Sinne hat es namentlich im Ausbildungsund Erziehungswesen29, dem Bau- und Verkehrswesen30, der Informations-

__________ 22 S. nur die Beschlussempfehlung zum Entwurf des StÄndG 2003 v. 5. 11. 2003, BTDrucks. 15/1928, 3 oder den Entwurf eines Gesetze zur Verringerung steuerlicher Missbräuche und Umgehungen v. 1. 6. 2005, BTDrucks. 15/5605, 2. 23 Zu diesen abweichenden Zwecken von Experimentalgesetzen etwa W. HoffmannRiem, Experimentelle Gesetzgebung, in FS W. Thieme, 1993, 55 (56 f.). 24 Vom 8. 7. 1975, BGBl. I 1975, 1861. 25 Durch das 2. FGO-ÄndG v. 19. 12. 2000, BGBl. I 2000, 1757. 26 Sunder-Plassmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO FGO, Einf. FGO Rz. 176. 27 Vom 31. 3. 1978, BGBl. I 1978, 446. 28 Vom 12. 12. 1992, BGBl. I 1992, 2109. 29 Mit Schulversuchen und der sog. einstufigen Juristenausbildung nach § 5b RiG 1971. Dazu etwa D. Pirson, Vorläufige und experimentelle Rechtsetzung im Schulrecht und Hochschulrecht, in FS Jahrreiß, 1997, 181 ff.; oder J. Nocke, Die Juristenausbildungsreform als Gesetzgebungsexperiment, in W. Hassemer/W. HoffmannRiem/J. Limbach (Hrsg.), Juristenausbildung zwischen Experiment und Tradition, 1986, 25 ff. 30 So Versuchsklauseln in den Landesbauordnungen, sowie Tempo 30 und 130. Zu Beidem H. Wollmann, Gesetzgebung als experimentelle Politik – Möglichkeiten, Varianten und Grenzen erfahrungswissenschaftlich fundierter Gesetzgebungsarbeit, in W. Schreckenberger (Hrsg.) Gesetzgebungslehre, 1986, 72 (79 f., 87 f.).

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technologie und Medienpolitik31, sowie zuletzt in der Abfallwirtschaft mit der Verpackungsverordnung32 gegeben. Befristete Experimentierklauseln im Sozialhilferecht33, in den Kommunalgesetzen der Länder34 und gar im Kirchenrecht35 eröffnen begrenzte Erprobungsphasen. Diese Experimentierklauseln und Erprobungsgesetze, die auch schon die Gerichte36 bis hin zum BVerfG37 beschäftigt haben und im Schrifttum als „aktuelle Phänomene der Gesetzgebung“38 bezeichnet und als modische Erscheinung wahrgenommen werden, scheinen den modernen Steuergesetzgeber in keiner Weise beschäftigt zu haben, obwohl sich hier hervorragende Möglichkeiten angeboten hätten. So wurden etwa die bereits erwähnten verfahrensrechtlichen Entlastungsgesetze39 zwar zeitlich befristet, aber ohne jeden Hinweis auf eine Erprobungsabsicht oder einen Evaluierungsauftrag erlassen. Auch das die Reform begleitende Schrifttum hat mit einer Ausnahme40 jeden Hinweis auf den offenkundigen experimentellen Charakter dieser Regelung vermieden. Andererseits trat das Kraftfahrzeugsteueränderungsgesetz 1997 zwar unbefristet in Kraft, war jedoch mit einem Prüfungsauftrag versehen41, der keinerlei Hinweise auf denkbare Alternativregelungen enthielt.

__________ 31 Z. B. Bildschirmtextversuche, sowie Einführung der Kabel- und Satellitentechnik, dazu H.-D. Horn (Fn. 11), 34 ff.; auch das Signaturgesetz (Art. 3 des Informationsund Kommunikationsdienste-Gesetzes v. 1. 8. 1997, BGBl. I 1997, 1870) hatte wegen seines Evaluierungsauftrags (s. BTDrucks. 13/7935 und 13/7936) Experimentiercharakter; dazu A. Roßnagel, Das Signaturgesetz nach zwei Jahren, NJW 1999, 1591 ff. 32 Dazu H. Schneider (Fn. 5), Rz. 107 a. E. 33 Die Experimentierklausel in § 101a BSHG 1999 erlaubte es den Landesregierungen, weitere Sozialhilfeleistungen zu pauschalisieren. Dazu BayVGH v. 15. 5. 2003 – 12 N 02.1480, Juris. 34 S. etwa Ch. Brüning, Die kommunalrechtlichen Experimentierklauseln, DÖV 1997, 278 ff. 35 S. H. Heberlein, Die Erprobungsgesetzgebung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, BayVBl. 1998, 204 ff. 36 S. nur BVerwG v. 15. 4. 1999, BVerwGE 109, 29 Rz. 34 zum Experimentiercharakter des Ozongesetzes 1995. 37 Juris weist allein 12 Entscheidungen zu den Stichworten „Gesetzgebung“ und „Experiment“ von der Hochschulreform (BVerfG v. 19. 5. 1973, BVerfGE 35, 79) bis zum Altenpflegegesetz (BVerfG v. 24. 10. 2002, BVerfGE 106, 62) nach. 38 So H. Heberlein (Fn. 35); s. auch H. Wagner, Gesetzesfolgenabschätzung – Modeerscheinung oder Notwendigkeit?, ZRP 1999, 480. 39 S. Fn. 24 und 27. 40 R.-J. Grahe, Der Gerichtsbescheid – eine unbedenkliche Regelung? NJW 1978, 1789, der ausführt, es bleibe der schale Nachgeschmack, dass mit diesem „Probelauf“ auf Kosten des Rechtsschutzes der Bürger Gesetzesrecht erprobt werden soll, wobei in diesem Fall wohl kaum der Zweck die Mittel heilige. 41 Art. 6 KraftStÄndG 1997 v. 18. 4. 1997, BGBl. I 1997, 805 (806): „Die Auswirkungen dieses Gesetzes werden nach einer Erfahrungszeit von fünf Jahren durch die Bundesregierung überprüft. In diese Überprüfung ist insbesondere die Umlegung der Kraftfahrzeugsteuer auf die Mineralölsteuer einzubeziehen.“

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Im Zuge der Wiedervereinigung hätte sich sogar die Gelegenheit einer räumlich auf das Beitrittsgebiet begrenzten Erprobung neuer Steuergesetze geboten. So wurde zwar die Gewerbekapitalsteuer für die Erhebungszeiträume 1991–199742 im Beitrittsgebiet nicht festgesetzt, um den Wirtschaftsaufschwung im Osten zu fördern. Diese persönliche Gewerbekapitalsteuerbefreiung43 wurde zu einem Zeitpunkt gewährt, als man ernsthaft und grundsätzlich den Verzicht auf die Gewerbekapitalsteuer diskutierte44. Sie mündete dann ja zum 1. 1. 199845 auch tatsächlich in die flächendeckende Abschaffung dieses Besteuerungsmerkmals der Gewerbesteuer. Eher ein Nachzugoder Mitnahmeeffekt, als das Ergebnis einer rationalen Wirksamkeitskontrolle. Damit aber wurde die Chance vertan, eines der von der Wissenschaft vorgeschlagenen Alternativ-Modelle zur Gewerbesteuer46 versuchsweise und vorübergehend in einer Sonderzone zu etablieren. Die Ausnahmesituation der Wiedervereinigungsjahre hätte auch hinreichende sachliche Rechtfertigung gegenüber dem Einwand einer gleichheitswidrigen Benachteiligung geboten. Diese historisch einzigartige Gelegenheit, als Gesetzgeber ein räumlich begrenztes Experimentierfeld zu bestellen, wurde nicht genutzt, obwohl sie gar nicht so einmalig war, denn es lassen sich dafür Beispiele aus dem Zeitalter der Kodifikationen anführen. So war geplant, das Allgemeine Gesetzbuch für die Preußischen Staaten (AGR) bereits 1793 in der mit der zweiten polnischen Teilung erworbenen Provinz „Südpreußen“ einzuführen und so ein ganzes Volk zu Probanden dieses seinerzeit durchaus umstrittenen Gesetzes zu machen. Vorrangiger Zweck dieser Einführung war zwar nicht die Erprobung des Gesetzbuchs, sondern die Beseitigung der dort nach der polnischen Teilung entstandenen Rechtsunsicherheit47. Auch wenn es schließlich doch nicht zur Umsetzung dieses Plans kam, weil das Gesetz nach einer Überarbeitung in allen preußischen Staaten in Kraft treten sollte, so ist doch die damalige Lage mit der Situation nach der Wiedervereinigung durchaus vergleichbar. Ganz ähnlich erwarb Österreich mit der ersten und dritten polnischen Teilung 1772 Ost- und 1795 Westgalizien und sah sich vor der Notwendigkeit, dort eine Rechtsordnung herzustellen. Daher wurde der 1797 gerade fertiggestellte Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuchs, mit einigen Änderungen, in beiden Teilen Galiziens eingeführt und trat dort am

__________ 42 Nach § 37 GewStG in den jeweils geltenden Fassungen. 43 So D. Pauka, Gewerbesteuer-Handausgabe 1997, 1998, 37 H 1; a. A. BFH v. 10. 12. 1997, BStBl II 1998, 56 „sachliche Steuerbefreiung“. 44 S. P. Glanegger/G. Güroff, Gewerbesteuergsetz, 3. Aufl. 1994, § 6 Rz. 5. 45 Durch Art. 4 des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform v. 29. 10. 1997 (BGBl. I 1997, 2590). 46 Dazu H. Zitzelsberger, Grundlagen der Gewerbesteuer, 1990, 233 ff. und aktueller L. Schemmel, Kommunale Steuerautonomie und Gewerbesteuerabbau, 2002, 166 ff. 47 B. Mertens, Gesetzgebungskunst im Zeitalter der Kodifikationen, 2004, 265 ff. m. w. N.

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1. 1. 1798 in Kraft. Obwohl auch hier nicht die Erprobung, sondern die Schaffung von Rechtssicherheit das eigentliche Motiv für die räumlich begrenzte Einführung des Gesetzes vor seinem Inkrafttreten in ganz Österreich war, dienten jedoch die Erfahrungen, die man in Galizien mit dem neuen Recht gemacht hatte, der Gesetzgebungskommission als genehmes Hilfsmittel bei der Überarbeitung des Galizischen Gesetzbuchs zum ABGB48. Aber auch im Steuerrecht kannte man damals schon Erprobungsgesetze, wie etwa das Reglement v. 23. 2. 1808 für Ostpreußen, mit dem die erste Einkommensteuer in Deutschland nach englischem Vorbild vorübergehend eingeführt wurde. Wie die englische Einkommensteuer49 war diese erste deutsche Einkommensteuer noch eine Schedulensteuer und in beiden Fällen Napoleon zu verdanken. In Preußen sollte sie zweckgebunden die Kriegsschulden aus einer Kontribution tilgen, die Napoleon Ostpreußen auferlegt hatte, und nach Erfüllung dieses Zwecks wieder aufgehoben werden50. Des Erprobungscharakters dieser frühen Regelung des Einkommensteuerrechts war man sich wohl gar nicht bewusst; er war jedoch aus verschiedenen Gründen offenkundig: So stand die Befristung des Gesetztes fest, denn Friedrich Wilhelm III. hatte sein „Königliches Wort“ gegeben, dass die Steuer mit Erreichung ihres Zwecks aufgehoben würde51, auch war dieses Reglement das Ergebnis vielfältiger Vorarbeiten und Überlegungen zur Einkommensteuer als einer Kriegssteuer nach englischem Vorbild und schließlich sprach der räumlich begrenzte Geltungsbereich der Steuer für seinen Versuchscharakter, auch wenn diese Begrenzung die Folge der Napoleonischen Eroberungen war, die Preußen auf sein nordöstlichstes Restgebiet verdrängt hatte. Auch die Anwendungspraxis des Reglements hätte reichlich Anschauungsmaterial für künftige Regelungen einer modernen Einkommensteuer liefern können52. Preußen hat diese Erkenntnisquellen offenbar aber nicht genutzt und erst mit der Miquelschen Steuerreform von 1891 und 1893 wieder ein modernes Einkommensteuerrecht geschaffen53. Inzwischen hatte man in Sachsen mit dem EStG 1874 ein modernes, mustergültiges Einkommensteuerrecht geschaffen, das vom Finanzminister Friesen offen als „Experiment“ und von

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48 B. Mertens (Fn. 47). 49 Zum Ursprung der englischen Einkommensteuer B. E. V. Sabine, A History of Income Tax, London 1966, 35 ff. „The Tax that beat Napoleon“; auch B. Großfeld, Die Einkommensteuer – Geschichtliche Grundlage und rechtsvergleichender Ansatz, in: Recht und Staat 504/505, Tübingen 1981, 18 ff. 50 Im Einzelnen dazu W. Mathiak, Die erste Einkommensteuer in Deutschland: Das Reglement vom 23. 2. 1808 für Ostpreußen, StuW 1995, 352 m. w. N. 51 W. Mathiak (Fn. 50). 52 Hierzu W. Mathiak (Fn. 50) StuW 1995, 352 (362 ff.). 53 Damit – so Strutz – sei „Preußens Steuersystem wieder vorbildlich in Deutschland und darüberhinaus geworden, während es bis dahin insbesondere hinter Sachsen zurückgeblieben war“ (G. Strutz, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Berlin 1927, 1. Bd., 78).

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Anderen als Versuch bezeichnet wurde, der jederzeit wieder abgebrochen werden könne54. Auch die für ein Experimentalgesetz so notwendige Evaluierung fand statt. Der Abgeordnete Gensel, einer der Väter des sächsischen EStG, legte 1885 einen Erfahrungsbericht über „die sächsische Einkommensteuer in ihrer praktischen Anwendung“ vor, der auf einer umfassenden Befragung der Vorsitzenden von Einschätzungskommissionen und Mitgliedern von Reklamationskommissionen beruhte55 und der insgesamt zu einem positiven Ergebnis gelangte56. 3. Defizite an experimenteller Gesetzgebung im modernen Steuerrecht Deutschlands Der Befund, wonach Experimentalgesetze in unterschiedlichen Rechtsgebieten, nicht aber im deutschen Steuerrecht zu finden sind, führt natürlich zu der Frage nach den Ursachen solcher Zurückhaltung. Auf europäischer Ebene scheint man steuergesetzlichen Experimenten gegenüber aufgeschlossener zu sein. So hat der Europäische Rat am 22. 11. 1999 die Richtlinie 1999/85/ EG57 angenommen, die in Änderung der Sechsten MwSt.-Richtlinie (77/388/ EWG58) den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt hatte, auf arbeitsintensive Dienstleistungen (von Handwerkern, Gastwirten, Friseuren und Gebäudereinigern etwa) versuchsweise einen ermäßigten Umsatzsteuersatz anzuwenden. Damit sollten die Mitgliedstaaten, die dies wünschten, in die Lage versetzt werden, die Auswirkungen einer gezielten Umsatzsteuervergünstigung für die betreffenden Dienstleistungen auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Eindämmung der Schwarzarbeit zu testen. Nach Beendigung dieses Experiments, dem sich einige Mitgliedsländer, wie Belgien, Frankreich und Spanien angeschlossen hatten, fand auch die vorgesehene Wirksamkeitskontrolle statt, die allerdings zu einem negativen Ergebnis gelangte59. Gleichwohl findet die Maßnahme, die ua. einen Umsatzsteuer-

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54 W. Mathiak, Das sächsische Einkommensteuergesetz von 1874/78, 2005, 60. 55 Dazu W. Mathiak (Fn. 54), 75 f. 56 Das Gesetz fand breite Zustimmung. Das musste auch der preußische Beamte G. Strutz anerkennen (Fn. 53). Der sozialdemokratische Abgeordnete August Bebel bezeichnete das sächsische EStG als eines der „besten Gesetze, welche das Land besitze“ (zitiert nach W. Mathiak [Fn. 54], 76). 57 ABl. L 277 v. 28. 10. 1999, 34. 58 ABl. L 145 v. 13. 6. 1977, 1 mit Änderungen. 59 Auf der Grundlage der Berichte der Mitgliedstaaten, die den ermäßigten Satz anwenden, hat die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat am 2. 6. 2003 einen globalen Bewertungsbericht über diesen Versuch vorgelegt. Wie aus diesem Bewertungsbericht über die versuchsweise Anwendung ermäßigter MwSt.-Sätze auf arbeitsintensive Dienstleistungen hervorgeht, kann nicht klar nachgewiesen werden, dass sich die Ermäßigung der Sätze positiv auf die Beschäftigung ausgewirkt oder die Schattenwirtschaft eingedämmt hat. Im Vergleich mit Maßnahmen, die unmittelbar auf die Senkung der Arbeitskosten abzielen, ist, umgerechnet je neu geschaffenem Arbeitsplatz, die MwSt.-Ermäßigung mit der höchsten haushaltsmäßigen Belastung verbunden. Allerdings wurde keine Beeinträchti-

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satz von 5,5 vH für die Gastronomie und Hotelbranche vorsieht, in den EUStaaten breite Zustimmung, während der (deutsche) Bundesfinanzminister sie ablehnt60. Forscht man nach den Ursachen solchen Defizits an experimenteller Gesetzgebung im deutschen Steuerrecht, so liegt die Vermutung nahe, das Steuerrecht eigne sich nicht zu Experimenten, die eher der Klärung von Ungewissheiten im Technologiebereich, wie der Informationstechnik61 und dem Bau- und Verkehrswesen62 dienen. Diese Annahme wird aber bereits durch die Beispiele experimenteller Gesetzgebung zur Umsetzung bildungs-, sozial- und umweltpolitischer Vorstellungen63 widerlegt, Zielsetzungen also, die auch im Steuerrecht, namentlich im Einkommensteuerrecht verfolgt werden. Auch die Schwierigkeiten und Kosten einer sorgfältigen Evaluierung könnten den Steuergesetzgeber davon abgehalten haben, steuerliche Experimentalgesetze zu schaffen. Dieser Gedanke würde allerdings voraussetzen, dass eine experimentelle Gesetzgebung im Steuerrecht überhaupt je ernsthaft in Erwägung gezogen wurde. Betrachtet man unabhängig davon etwa den Aufwand der in vier Arbeitsgruppen zur Evaluierung des Informationsund Kommunikationsdienste-Gesetzes (IuKDG64) mit Anhörungen, Stellungnahmen und sonstigen Veranstaltungen geleistet wurde65, so ist diese Aufgabe zwar immens, dürfte aber kaum den Umfang der Maßnahmen übertreffen, die auch sonst zur Vorbereitung von Steuergesetzen für erforderlich gehalten werden. Der tiefere Grund für die Abstinenz von experimenteller Steuergesetzgebung scheint in der Unbeständigkeit steuerlicher Gesetzgebungsmaßnahmen zu liegen, verursacht durch einen Gesetzgebungsaktionismus, der letztlich zu dem Steuerchaos geführt hat, das allenthalben beklagt wird. Zutreffend wird daher festgestellt, dass sich Steuergesetzgebung in der parlamentarischen Demokratie „durch die Diskontinuität der Legislaturperioden“ auszeichne66. Wie kaum in einem anderen Rechtsgebiet können steuerrechtliche Fragen das Interesse der Massen wecken und kurzsichtige Reaktionen des Gesetzgebers provozieren. Steigende Benzinpreise führen so zu einer Erhöhung der Entfernungspauschale, die kurz darauf wieder in der Weise gekürzt wird,

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60 61 62 63 64 65 66

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gung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts durch diese Maßnahmen festgestellt (KOM [2003] 309 endg. v. 2. 6. 2003). Das Ergebnis solcher Evaluierungen kann natürlich länderweise, aber auch branchenbezogen unterschiedlich ausfallen. S. Handelsblatt v. 7. 12. 2005, 6. Bezeichnend ist auch, dass sich der deutsche Gesetzgeber dem Experiment nicht angeschlossen hatte. Fn. 31. Fn. 30. S. Fn. 29–31. Fn. 31. Dazu A. Roßnagel (Fn. 31), NJW 1999, 1591 (1594 ff.). J. Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2002, 70 m. w. N.

Einige Gedanken zum Experimentalgesetz im Steuerrecht

dass die ersten 10 km zum Abzug einer geringeren Pauschale berechtigen und später die ersten 20 km gar zu einem Abzugsverbot führen sollen67. Daher verführen bevorstehende Wahlen zu Steuergeschenken und zum Hinausschieben unpopulärer Gesetzesänderungen, während nach gewonnener Wahl schnell andere Auffassungen zu Besteuerungsgrundsätzen umgesetzt werden68. Die unendliche Geschichte der Familienbesteuerung mag dies pars pro toto belegen. Hinzuweisen wäre auch auf die radikale Abschaffung und die allmähliche Wiedereinführung der Regelungen des Mitunternehmererlasses sowie die Einführung und Modifizierung des Konzepts einer Mindestbesteuerung durch das StEntlG 1999/2000/200269 und die danach in kurzem Abstand erlassenen korrigierenden und nachbessernden Folgegesetze. Dieser Gesetzgebungsstil führt nicht selten zu normverwerfenden Entscheidungen des BVerfG, die dann wiederum rückwirkende Gesetzesänderungen nach sich ziehen und zu Nachbesserungen für die Zukunft verpflichten. Selbst diese Gesetzgebungsaufträge sind experimenteller Gesetzgebung zugänglich, denn das BVerfG hat wiederholt darauf hingewiesen, dass auch zur Erfüllung solcher Nachbesserungspflichten ein Erprobungsgesetz in Betracht kommen kann70. Ein solches Terrain ist geradezu experimentierfeindlich. Denn das Gesetzgebungsexperiment erfordert Erprobungszeiten, die meist über die Dauer einer Legislaturperiode hinausgehen. Aus seiner Sicht begibt sich der Steuerpolitiker aber damit seiner Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten, vor allem dann, wenn er befürchten muss, dass veränderte Mehrheitsverhältnisse zu einem schnellen Abbruch des Experiments führen könnten. Endgültigen Gesetzen kommt hingegen – und das zeigt die Erfahrung – eine weitaus größere Bestandskraft zu71 und sie haben zudem den Vorteil, dass die Verantwortung für ein Scheitern vor dem BVerfG oder dem EuGH der gerade

__________ 67 Diese nach dem Koalitionsvertrag v. 5. 11. 2005 für 2007 geplante und jeder umweltpolitischen Zielsetzung zuwiderlaufende Maßnahme wird als Umwandlung der Entfernungs- in eine Fernpendlerpauschale bezeichnet (s. Fakten und Argumente zum Koalitionsvertrag – Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit, http://www.heidi-wieczorek-zeul.de/ … koalitionsvertrag.pdf). 68 Dazu auch J. Hey (Fn. 66) m. w. N. 69 Vom 24. 3. 1999, BGBl. I 1999, 402. 70 BVerfG v. 8. 2. 1977, BVerfGE 43, 291 (325) und v. 3. 6. 1980, BVerfGE 54, 173 (195), beide betr. numerus clausus; unter Zeitdruck können hier auch vorläufige Regelungen in Betracht kommen: BVerfG v. 28. 2. 1980, BVerfGE 53, 257 (313) betr. Versorgungsausgleich. 71 Man denke nur an die von der früheren Opposition bekämpfte und in der Regierungsverantwortung fortgeführte Ökosteuer und die gleichfalls kritisierte Steuerbefreiung für Gewinne der Kapitalgesellschaften aus Beteiligungsverkäufen (zu Letzterem H.-J. Kanzler, Grundfragen der Besteuerung betrieblicher Veräußerungsgewinne, FR 2003, 1 [8 m. w. N.]).

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amtierenden Regierung zugeschrieben wird, die ja dann auch das Neuregelungsgebot oder die Nachbesserungspflicht zu erfüllen hat72.

III. Zur experimentellen Gesetzgebung in einem Steuerrecht der Zukunft Steuernormen sind ebenso wie Vorschriften aus anderen Rechtsgebieten experimenteller Gesetzgebung zugänglich. Dies zeigen nicht nur die angeführten Beispiele aus vorkonstitutioneller Vergangenheit, sondern auch Anklänge an eine Erprobungsgesetzgebung durch die erwähnten befristeten oder mit einem Evaluierungsgebot versehenen steuerlichen Regelungen. Freilich gibt es Einwände dagegen. So wird bei Zeitgesetzen befürchtet, ihr verstärkter Einsatz könne wegen des Automatismus ihres Unwirksamwerdens zu einer Überlastung der Parlamente führen, die sich immer wieder mit einer Verlängerung befassen müßten73; auch würden sie zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit beitragen, weil das drohende Verfallsdatum Dispositionen des Betroffenen behindere74. Allerdings treffen diese Einwände nur das Zeitgesetz ohne Evaluierungsvorkehrungen. Hier zeigt die Praxis, dass an einer Effizienzkontrolle oftmals kein Interesse besteht, und dies möglicherweise nur deshalb, weil das Ergebnis einer solchen Evaluation eine Verlängerung der Regelung in Frage stellen könnte. So wird die Regelung zum Freibetrag zur Abfindung weichender Erben nach § 14a Abs. 4 EStG seit Jahrzehnten nur befristet gewährt, aber mit fast berechenbarer Regelmäßigkeit immer wieder unter Hinweis auf die kaum nachprüfbare agrarpolitische Notwendigkeit, den Strukturwandel in der Land- und Forstwirtschaft zu flankieren75, erneut verlängert. Gegenüber Zeitgesetzen mit Evaluierungsvorkehrungen werden solche Einwände nicht erhoben76. Ja, man sieht sogar die Planungssicherheit gewährleistet, weil das Zeitgesetz mit Effizienzkontrolle dem endgültig erlassenen, aber ständigen Korrekturen und Nachbesserungen unterworfenen Gesetz

__________ 72 Dies wurde besonders deutlich bei den letzten Entscheidungen des BVerfG zur Familienbesteuerung (v. 10. 11. 1998, BVerfGE 99, 216 [246, 268 und 273], die die rot-grüne Koalition keine 100 Tage nach ihrem Regierungsantritt überraschten (zu diesem Aspekt H.-J. Kanzler, Anmerkung zu BVerfG v. 10. 11. 1998, FR 1999, 512). 73 H.-P. Schneider (Fn. 17), ZRP 1998, 323 (324). 74 H.-P. Schneider, Vernunft wird Unsinn, Wohltat, Plage – Über Wert und Unwert des Normierungsperfektionismus oder – Wo bleibt die „gesetznehmende“ Gewalt?, NJW 1998, 2505 (2507). 75 BTDrucks. VI/1904, 12; BTDrucks. 10/1636, 88 und 10/4513; BTDrucks. 11/676; BTDrucks. 13/901, 133 und BTDrucks. 14/443, 16. Zur Bedeutung dieser wiederholt befristeten Regelung auch Gmach in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 14a EStG Anm. 10. 76 H.-P. Schneider (Fn. 17), ZRP 1998, 323 (324): „Eher überzeugt schon die Idee des ‚Experimentiergesetzes‘“.

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überlegen ist77. Richtigerweise schließen daher auch Gesetzesfolgenabschätzung78 und Erprobungsgesetzgebung einander nicht aus, sondern ergänzen sich geradezu ideal. Das Experimentalgesetz dient so der Bestätigung oder Ablehnung des Ergebnisses einer gebotenen Gesetzesfolgenabschätzung, die erst die Alternativen aufzeigt, auf deren Grundlage die Erprobung erfolgen kann. Ob die ungehinderte Praxis einer Experimentallegislation auch Gefahren für den Steuerpflichtigen birgt, weil sie zu einem noch unüberlegteren Gesetzgebungsaktivismus führen könnte79, darf bezweifelt werden. Die gebotenen Evaluationsvorkehrungen und die gerade mit einer Erprobung verfolgte gesetzgeberische Absicht der Gewinnung neuer Erkenntnisse gewährleisten einen ausreichenden Übereilungsschutz, ohne von der Sorgfalt zu dispensieren, die auch bei der Vorbereitung endgültiger Gesetze üblich ist. Im Bereich des Steuerrechts muss sich allerdings die Frage stellen, ob sich eine experimentelle Gesetzgebung sowohl für Sozialzweck- als auch für Fiskalzwecknormen eignet. Insoweit kann es kaum einem Zweifel unterliegen, dass das Experimentalgesetz als ideales Mittel zur Erprobung solcher Lenkungsnormen in Betracht kommt, die mit einer unsicheren Prognose behaftet sind. Lenkungsnormen können wesensmäßig nicht auf Dauer angelegt sein, sondern stehen unter dem Vorbehalt ihrer Zweckerfüllung. Die Durchbrechung des Prinzips der Lastengleichheit ist daher nur solange gerechtfertigt, als die Steuervergünstigung noch erforderlich, geeignet und verhältnismäßig ist80. Dies eröffnet einen Prognosespielraum, der nachgelagert Erfolgs- und Effizienzkontrollen erforderlich macht. Das Zeitgesetz mit Evaluierungsauftrag wird diesen Erfordernissen in besonderer Weise gerecht. Wäre die Sonderabschreibung für Wohngebäude nach dem Fördergebietsgesetz zum Gegenstand eines Experimentalgesetzes gemacht worden, dann hätte eine Evaluierung wohl bereits nach zwei oder drei Jahren den Befund zu Tage gefördert, der nach zehn Jahren jedermann klar geworden ist: Dass nämlich munter am Bedarf vorbei gebaut wurde, die Immobilienpreise auf lange Sicht verfallen und viele durchaus noch bewohnbare Plattenbauten abzureißen sind, dass aber der Fiskus zugleich hohe Einnahmeausfälle hinzunehmen hatte. Besteht danach beim Erlass von Lenkungsnormen geradezu ein Bedürfnis nach experimenteller Gesetzgebung81, so kann sie sich auch für Fiskal-

__________ 77 S. etwa J. Hey (Fn. 66), 348, die bezogen auf Lenkungsgesetze ausführt, steuerlicher Interventionismus erzeuge „in besonderem Maße ein Bedürfnis nach experimenteller Gesetzgebung“. 78 Zu diesem Instrument der Gesetzgebung s. etwa H. Wagner, Gesetzesfolgenabschätzung – Modeerscheinung oder Notwendigkeit?, ZRP 1999, 480 und L. Brocker, Gesetzesfolgenabschätzung – ein Überblick, DRiZ 2002, 462. 79 So K. Hopt, Finale Regelungen, Experiment und Datenverarbeitung in Recht und Gesetzgebung, JZ 1972, 65 (70). 80 Grundlegend dazu K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. 1, 2. Aufl. 2000, 340 ff. 81 J. Hey (Fn. 66), 348.

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zwecknormen als zweckmäßig erweisen, einmal abgesehen davon, dass sich Lenkungszweck und Einnahmeerzielung bei vielen Normen und Gesetzgebungsvorhaben gar nicht zuverlässig trennen lassen82. Dazu gehören etwa die im Koalitionsvertrag v. 5. 11. 2005 angesprochenen zukunftsorientierten Reformen im Steuerrecht, wie die Neuregelung der Unternehmensbesteuerung, die Fortentwicklung der Gewerbesteuer und die Umgestaltung der Erbschaftsteuer83, aber auch das vieldiskutierte Reformmodell der Dualen Einkommensteuer84. Diese Vorhaben sind regelungsbedürftig85, denn sie sollen die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft fördern, Arbeitsplätze schaffen oder der Kapitalflucht entgegenwirken. Kommt ihnen auch insoweit Lenkungsfunktion zu, so zielen sie jedoch zugleich auf die nachhaltige Sicherung von Einnahmen und verfolgen damit einen Fiskalzweck. Aber auch reine Fiskalzwecknormen, wie etwa die Mindestbesteuerung86, die gerade nicht der gleichen Lastenverteilung genügen und daher besonderer Rechtfertigung bedürfen, sind einer experimentellen Gesetzgebung zugänglich. All diese Projekte betreffen – und dies zeigt schon die jahrelange Diskussion darüber – komplexe, mit prognostischer Unsicherheit behaftete Besteuerugssachverhalte, die schon aus diesem Grunde eine Erprobungsgesetzgebung nahelegen. Ganz zu schweigen davon, dass solche Gesetzgebungsexperimente auch als politisches Mittel einer Durchsetzungs-, Kompromiss- oder Verhinderungstaktik eingesetzt werden können87. Zur Erprobung solcher Vorhaben lassen sich befristete, mit einem Evaluierungsauftrag versehene Gesetze, aber auch räumlich oder branchenbezogen begrenzte Vorhaben denken. Soweit der Lenkungscharakter einer Maßnahme überwiegt, erscheint die Option eines derart begrenzten Inkrafttretens von Erprobungsgesetzen auch verfassungsrechtlich unbedenklich, denn bisher schon gab es Fördergebiete und branchenbezogene Steuervergünstigungen, die jeweils einer sachlichen Rechtfertigung bedurften. Aber auch im Bereich der Fiskalzwecknormen wären räumlich oder branchenbezogen begrenzte Erprobungsgesetze möglich, solange der Versuch nicht zu einer unterschiedlichen Steuerbelastung führt. So könnte man das umsatzsteuerliche Reverse-Charge-Modell88 versuchsweise für bestimmte Branchen oder Bun-

__________ 82 Zu den Abgrenzungsproblemen dieser Kategorisierung ausführlich K. Tipke (Fn. 80), 80 ff. m. w. N. 83 S. Koalitionsvertrag v. 5. 11. 2005, Rz. 3395 ff., 3435 ff. und 3522 ff. 84 S. nur J. Englisch, Die Duale Einkommensteuer – Reformmodell für Deutschland?, 2005 und aus betriebswirtschaftlicher Sicht U. Demmler, Dual Income Tax als Reform der Einkommensteuer – Fortschritt oder Stillstand?, 2005. 85 Zur Regelungsbedürftigkeit und Unübersehbarkeit der Folgen als Voraussetzungen einer Versuchsgesetzgebung s. H.-D. Horn (Fn. 11), 247 f. 86 Zum Fiskalzweckcharakter der Mindestbesteuerung s. nur J. Lang, Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung nach den §§ 10d Abs. 2 EStG, 10a GewStG in der ab 1. 1. 2004 geltenden Fassung, 2004, 26. 87 S. o. unter II.1. a. E. 88 S. Fn. 3.

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desländer einführen. Erwägenswert könnte auch eine auf Neugründungen von Unternehmen beschränkte Einführung eines steuerlichen Erprobungsgesetzes sein, ein Weg, der etwa bei der Reform der (einstufigen) Juristenausbildung beschritten wurde und der die Billigung des BVerfG gefunden hat89. Schließlich wäre an eine wahlrechtsabhängige Anwendung neuer Modelle zu denken. Bei allen Vorschlägen einer partiellen Einführung eines Experimentalgesetzes wäre aber zu bedenken, dass der Test zu repräsentativen Ergebnissen führen und eine brauchbare Evaluationsgrundlage bereitstellen muss. Die alles entscheidende Frage aber ist die nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit solcher Experimentalgesetze. Insoweit ist inzwischen anerkannt, dass das Erprobungsgesetz keinen minderen Rechtmäßigkeitsanforderungen unterliegen kann90. Es ist einsichtig, dass das Experimentalgesetz also die allgemeinen Regeln des Gesetzgebungsverfahrens oder der Grundrechtsbindung beachten muss, denn es ist möglicherweise nur Vorläufer einer endgültigen Regelung, die all diesen Erwartungen zu genügen hat. Ein Test, der diese Rechtmäßigkeitsanforderungen nicht erfüllen würde, wäre unbrauchbar. Auch das steuerliche Experimentalgesetz unterliegt daher den für alle staatlichen Eingriffe geltenden Kriterien des Übermaßverbots (Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit91), die im Übrigen ja auch Maßstab der Überprüfung von Sozialzwecknormen sind. Abweichende rechtliche Maßstäbe könnten sich aber auf Grund des Versuchscharakters der Regelungen ergeben. So hat das BVerfG in seiner Rechtsprechung dem Gesetzgeber bei komplexen Sachverhalten eine „angemessene Zeit zur Sammlung von Erfahrungen“ eingeräumt und die Befugnis zu „gröberen Typisierungen und Generalisierungen“ zuerkannt92. In solchen Fällen soll auch eine „Ungleichheit noch hingenommen werden“ müssen93. Ob damit tatsächlich die gleichheitsrechtlichen Anforderungen vermindert werden, erscheint aber durchaus fraglich94. Die prognostische Unsicherheit, die dem experimentierenden Gesetzgeber erst einen weiten Gestaltungsspielraum eröffnet, erlaubt ihm nämlich nur die Wahl einer Gestaltung, die

__________ 89 S. nur BVerfG v. 29. 5. 1973, BVerfGE 35, 79 (170 abweichende Meinung zur Hochschulreform). 90 In seiner Entscheidung zum Bayrischen Medienerprobungs- und -entwicklungsgesetz führt der BayVerfGH dazu aus, dass gesetzliche Vorschriften auch dann, wenn sie nur versuchsweise und vorübergehend gelten, nicht im Widerspruch zur Verfassung stehen dürfen; allerdings ist in einem Erprobungsgesetz der Rahmen, innerhalb dessen Regelungen noch als verfassungsmäßig angesehen werden könne, mangels zuverlässiger Beurteilungsgrundlagen größer als sonst (BayVerfG v. 21. 11. 1986, BayVerfGE 39, 96 [142]). Ebenso W. Hoffmann-Riem (Fn. 23), 66. 91 So R. Stettner, Verfassungsbindungen des experimentierenden Gesetzgebers, NVwZ 1989, 806 (810). 92 BVerfG v. 8. 4. 1987, BVerfGE 75, 108 (162) betr. Künstlersozialversicherungsgesetz. 93 BVerfG v. 22. 5. 1963, BVerfGE 16, 147 (188) betr. Besteuerung des Werkfernverkehrs. 94 Bejahend R. Stettner (Fn. 91), NVwZ 1989, 806 (812).

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auf Grund der vorliegenden Erkenntnisse auch verfassungsgemäß, insbesondere gleichheitsgerecht, wäre95. Schließlich wird gefordert, das Experiment müsse reversibel sein96. Dementsprechend hat das BVerfG in seiner fünften Rundfunkentscheidung gefordert, eine verfassungsrechtlich privilegierte Versuchs- oder Erprobungsregelung setze voraus, dass bei einem Scheitern des Experiments eine andere Regelung des Tatbestands getroffen werden könne97. „Reversibilität“ im Steuerrecht kann aber nicht bedeuten, dass bei einer nachträglichen Verwerfung der Versuchslösung die bereits ergangenen Steuerfestsetzungen zu korrigieren sind. Auch das steuerliche Experimentalgesetz ist für die Dauer seiner Geltung ein endgültiges Gesetz. „Reversibilität“ bedeutet daher, dass die Rückkehr zur alten Regelung nicht ausgeschlossen werden darf. Wird also etwa die Abgeltungssteuer nach einer Testphase von 2 Jahren wieder verworfen, so muss es möglich bleiben, die Einkommensteuer auf Einkünfte aus Kapitalvermögen im dritten Jahr wieder wie bisher zu erheben. In anderen Fällen sind Übergangsregelungen vorzusehen, die vice versa dem entsprechen, was als Übergangsvorschrift auf neues Recht üblich ist. Dies sollte auch verfahrensrechtlich zu bewältigen und jedenfalls kein Grund dafür sein, von einer Erprobungsgesetzgebung abzusehen.

IV. Schluss: Das Experimentalgesetz als Alternative zum Schuss in Blaue Dem Romantiker unter den Steuerpolitikern mag das folgenlose Prinzip des „trial and error“98 reizvoll sein, denn für ihn konnotiert das Blau mit dem Prinzip der Hoffnung99: „Mancher schieszt ins blaue und trift ins schwarze!“ Ein Aphorismus100, der als Programm für ein Steuergesetz, das den Grundsätzen des modernen Verfassungsstaats zu genügen hat, allerdings kaum geeignet erscheint. Für den Realisten in der Steuerpolitik bietet sich das Experimentalgesetz als geeignetes, multifunktionales Instrument zur Nutzung von Prognosespielräumen, zur Überwindung von Reformwiderständen und Verwirklichung neuer Vorstellungen von Steuergerechtigkeit an. Dies gilt gleichermaßen für die Schaffung von Lenkungs- wie Fiskalzwecknormen.

__________ 95 W. Hoffmann-Riem (Fn. 23), 67 und H.-D. Horn (Fn. 11), 319; nach aA soll allein die Notwendigkeit einer Erprobung den sachlichen Differenzierungsgrund zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung bieten, so H. Schulze-Fielitz (Fn. 17), 557. 96 So etwa M. Kloepfer, Gesetzgebung im Rechtsstaat, VVDStRL 40 (1982), 63 (95). 97 BVerfG v. 24. 3. 1987, BVerfGE 74, 297 (339). 98 Auch „conjectures and refutations“ (Vermutungen und Widerlegungen) nach dem gleichnamigen Werk von K. R. Popper, Conjectures and Refutations – The Growth of Scientific Knowledge, 1963. 99 Novalis, Heinrich von Ofterdingen, 1. Teil 1. Kapitel. 100 Bettina von Arnim, Goethes Briefwechsel mit einem Kinde, 1, 339.

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Zugleich eignet sich das ergebnisoffene Modell des Experimentalgesetzes in besonderer Weise dazu, umstrittene Vorhaben, wie Alternativen zur Gewerbesteuer oder eine Abgeltungssteuer, umzusetzen101 und die Akzeptanz unpopulärer Maßnahmen in der Bevölkerung zu fördern102. Befristung und Effizienzkontrolle sind als Wesenselemente der Erprobungsgesetzgebung einer Gesetzesfolgenabschätzung ebenso überlegen, wie das Manöver dem Sandkastenspiel der Generäle. Dabei kann der Gesetzgeber weit flexibler und angemessener auf neu gewonnene Erkenntnisse reagieren, als bei einer Dauerregelung. Wenn bloße Vermutungen über etwaige Auswirkungen einer Regelung der normativen Kraft des Faktischen weichen müssen, so verringert sich auch das Konfliktpotenzial im Vorfeld einer Gesetzesinitiative. Es sollte daher schwer fallen, die steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen für Hausgehilfinnen allein mit arbeitsmarktpolitischen Erwägungen zu rechtfertigen, wenn eine Untersuchung gezeigt hat, dass eine probeweise eingeführte Regelung nicht zur Schaffung neuer Arbeitsplätze geführt hat. Das Experimentalgesetz jedenfalls bietet auch im Steuerrecht die Möglichkeit, die Gesetzgebung in schwierigen Sachbereichen rational zu gestalten und damit mittel- wie langfristig die Zahl der Streitigkeiten zu verringern und eine größere Planungssicherheit zu gewährleisten.

__________ 101 Nach W. Hoffmann-Riem (Fn. 23), 69 weist das Experimentalgesetz ein Kompromisspotenzial auf. 102 Zu diesen Aspekt der Akzeptanzförderung s. etwa H.-D. Horn (Fn. 11), 247 f.

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Das Rückwirkungsproblem im Spiegel der Abschnittsbesteuerung Inhaltsübersicht I. Grundlagen und Ausgangspunkte II. Neue Impulse III. Überkommene Prüfungsmaßstäbe 1. Freiheitsrechtliche Verankerung des Vertrauensschutzes 2. Gleichheitsrechtliche Ansätze IV. Verankerung des Vertrauensschutzes im Periodizitätsprinzip 1. Die materiell gleichheitsrechtliche Fundierung des Periodizitätsprinzips

2. Begründung eines periodizitätsbezogenen Vertrauensschutzes V. Folgerungen 1. Abschied von der unechten Rückwirkung 2. Ausnahmen vom Periodizitätsprinzip

Arndt Raupach betreibt das Steuerrecht nicht nur als ein weit über die Grenzen Deutschlands hinaus hochgeschätzter und gesuchter Praktiker. Vielmehr hat er Generationen von Studierenden als akademischer Lehrer an der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München mit großem Engagement für das Steuerrecht begeistert und ausgebildet. Sein Schriftenverzeichnis reflektiert ein breites Spektrum praxisbezogener und grundlegender steuerrechtlicher Themen. Darunter finden sich Erörterungen stets aktueller Probleme, unter anderem auch des Problems der Rückwirkung und des Vertrauensschutzes1. Diesem Bereich des Denkens von Arndt Raupach sei der nachfolgende Beitrag gewidmet.

I. Grundlagen und Ausgangspunkte Die am Abschnittsprinzip und somit an einem normativ-tatbestandsbezogenen Rückwirkungsbegriff orientierte Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung erscheint zumindest in der Literatur weitgehend zugunsten eines handlungs- bzw. dispositionsbezogenen Rückwirkungsbegriffs

__________ 1

Arndt Raupach, Was hat die Gepräge-Theorie mit der Mehrmütter-Organschaft zu tun? Ein Beitrag zum Vertrauensschutz bei Änderung langjähriger Rechtsprechung mit nachfolgendem „Nichtanwendungsgesetz“, DStR 2001, 1327; ders.,/P. Kirchhof, Die Unzulässigkeit einer rückwirkenden gesetzlichen Änderung der Mehrmütterorganschaft, DB Beilage Nr. 3/2001 zu Heft 22/2001.

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überwunden2. Trotz der enormen Nachteile, die mit einem abschnittsbezogenen Rückwirkungsbegriff verbunden sind, behält eine an diesem zeitlichen Kriterium orientierte Betrachtung nach wie vor Bedeutung für die Beurteilung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit steuerlicher Rückwirkung3. Grundlage der verfassungsrechtlichen Beurteilung rückwirkender Steuergesetze war die über lange Zeit ‚bestandskräftige’ Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung, die in der zusätzlich differenzierenden Terminologie des Bundesverfassungsgerichts als Unterscheidung zwischen tatbestandlicher Rückanknüpfung und Rückbewirkung von Rechtsfolgen bezeichnet wird4. Danach betrifft die Rückbewirkung von Rechtsfolgen bzw. die echte Rückwirkung den zeitlichen Anwendungsbereich der Norm im Sinne einer Rechtsfolgenanordnung, die schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten soll. Demgegenüber betrifft die tatbestandliche Rückanknüpfung bzw. die unechte Rückwirkung nicht den zeitlichen, sondern den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm. Ihr Tatbestand erfasst zwar Sachverhalte, die bereits vor der Verkündung der Norm „ins Werk gesetzt“ worden sind, doch treten die Rechtsfolgen der Norm erst nach Verkündung der Norm ein5. Während die Rückbewirkung von Rechtsfolgen wegen der im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit nach dieser Rechtsprechung grundsätzlich unzulässig ist, unterliegt die tatbestandliche Rückanknüpfung weniger strengen verfassungsrechtlichen Beschränkungen6. In diesen Fällen kommt es besonders darauf an, ob die tatbestandliche Rückanknüpfung Grundrechtsverletzungen bewirkt. Das Abstellen auf eine Grundrechtsverletzung gewährt in den Fällen der unechten Rückwirkung ausreichenden Schutz, weil lediglich zukunftsgerichtetes Vertrauen auf den in der ursprünglichen Norm vorgezeichneten Eintritt der Rechtsfolge betroffen ist. Demgegenüber wird in den Fällen der Rückbewirkung von Rechtsfolgen ein vergangenheitsgerichtetes, durch den Eintritt der ursprünglichen Rechtsfolge bereits bestätigtes Vertrauen zerstört. In diesen Fällen wirkt bereits das Rechtsstaatsprinzip als ausreichende Sicherung des Vertrauensschutzes. Eine darüber hinausgehende Grundrechtsverletzung ist des-

__________ 2 3 4

5 6

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Dazu u. II. Dazu u. IV. Vgl. nur BVerfGE 72, 200 (242); 87, 48 (55); 92, 277 (344); 95, 64 (77); 97, 67 (75); 101, 239 (253); 105, 17 (37); 48 (55); 109, 133 (180); kritisch zu dieser Unterscheidung K. Vogel in FS Heckel, 1999, S. 875 (876 f.); ders., JZ 1988, 833 (837 f.); aus neuerer Perspektive zu dieser Rechtsprechung insbesondere Mellinghoff, in DStJG 27 (2004), S. 41 ff.; ders., in DWS Schriftenreihe Nr. 1, o.J.; Reimer, DStZ 2001, 725; A. Leisner, StuW 1998, 254; grundlegend zum Rückwirkungsproblem: A. Leisner, Kontinuität als Verfassungsproblem, 2002, S. 477 ff., 566 ff.; Werder, Dispositionsschutz bei der Änderung von Steuergesetzen zwischen Rückwirkungsverbot und Kontinuitätsgebot, 2004; Albert, IFSt-Schrift Nr. 431, 2005. Vgl. die Nachw. in Fn. 4. BVerfGE aaO.

Das Rückwirkungsproblem im Spiegel der Abschnittsbesteuerung

halb nicht Voraussetzung für die verfassungsrechtliche Unzulässigkeit der echten Rückwirkung. Unmittelbare Konsequenzen der Unterscheidung zwischen diesen beiden Formen der Rückwirkung ergeben sich für die periodischen Steuern aus dem Abschnittsprinzip. Die in den §§ 36 Abs. 1 i. V. m. 25 Abs. 1 EStG7 enthaltene Regelung, wonach der Steueranspruch erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entsteht, hat zu einem primär normativen, auf die Entstehung des Steueranspruchs bezogenen Rückwirkungsbegriff geführt. Dies hat zur Folge, dass eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen (echte Rückwirkung) nur für Regelungen angenommen werden konnte, die nach Ablauf des Veranlagungszeitraums verkündet wurden, deren Rechtsfolgen aber noch auf den abgelaufenen Veranlagungszeitraum bezogen waren. Nach Beginn eines Veranlagungszeitraums verkündete Rechtsnormen, deren Rechtsfolgen noch vor Ablauf des Veranlagungszeitraums eintraten, konnten demgegenüber keine echte Rückwirkung zur Folge haben, weil die Rechtsfolge in Gestalt der Entstehung des Steueranspruchs bei den periodischen Steuern erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums eintritt. Die aus diesem Grund weitgehend zulässige (unechte) Rückwirkung wird in der Literatur stark kritisiert8.

II. Neue Impulse Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die rückwirkende Abschaffung der Sonderabschreibungen auf Schiffsbeteiligungen vom 3. 12. 19979 lässt die Einordnung der rückwirkenden Beseitigung des Subventionstatbestandes in die überkommenen Kategorien offen, ohne diese aufzugeben. Dennoch bildet die Entscheidung den Ausgangspunkt für eine Abkehr von einem tatbestandsbezogenen Rückwirkungsbegriff hin zu einem handlungsbzw. dispositionsbezogenen Rückwirkungsbegriff10. Ohne weiteres überzeugend ist dies für den der Entscheidung zugrunde liegenden Subventionstatbestand, weil dieser eindeutig in die Kategorie der Lenkungssubventionen gehört, die den Steuerpflichtigen in Gestalt eindeutiger „Dispositions-

__________ 7 Vgl. auch § 7 Abs. 3 i. V. m. § 30 KStG; § 14 i. V. m. § 18 GewStG; § 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG; § 9 Abs. 2 GrStG. 8 Vgl. nur K. Vogel, Fn. 4, S. 879 f.; Birk in DStJG 27 (2004), S. 16; Tipke, Die Steuerrechtsordnung Bd. I, 1993, S. 186 ff.; J. Lang, WPg 1998, 163 (168 ff.); Hey, BB 1998, 1444; P. Kirchhof, DStR 1979, 275 (277 ff.); Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2002, S. 218 ff., 229 ff.; Friauf, BB 1972 669 (673 ff.). 9 BVerfGE 97, Fn. 4. 10 Vgl. Mellinghoff, DStJG, Fn. 4, S. 38 ff., 46 f.; DWS-Schriftenreihe, Fn. 4, S. 7 f.; Spindler in DStJG 27, 2004, S. 88 f., der auf „betätigtes Vertrauen“ abstellt; J. Lang, Wpg 1998, 163 (169 ff.); Albert, Fn. 4 S. 64 ff., 71 ff., 84 ff.; H. Schaumburg, DB 2000, 1884 (1887 f.); Pleyer, NJW 2001, 1985; vgl. aber bereits (1979) P. Kirchhof, Fn. 8, 279; Friauf, BB 1972, 669 (676); vgl. auch den Tagungsbericht in Birk/Pöllath (Hrsg.), Rückwirkung von Steuerbelastungen, 2002.

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bedingungen“ zu einer Entscheidung „um des steuerlichen Vorteils willen“11 veranlasst haben. Darauf aufbauend steht die mit überzeugenden Gründen vertretene Auffassung, dass Dispositionen des Steuerpflichtigen nicht nur im Kontext von Lenkungsnormen, sondern auch im Vertrauen auf den Bestand von Fiskalzwecknormen12 vorgenommen werden13. Unterstützt wird diese Argumentation durch die verbreitete Überzeugung, dass eine Unterscheidung zwischen Lenkungsnormen und Fiskalzwecknormen zumindest für die Rückwirkungsfrage ohnehin nicht bzw. nur mit Schwierigkeiten möglich ist14. Eine bedeutsame Folge dieser Auffassung ist eine im Hinblick auf beide Steuerwirkungen weitgehend einheitliche, handlungs- bzw. dispositionsbezogene Behandlung des Rückwirkungsproblems15. Mit dieser grundsätzlichen Abkehr von einem normativ-tatbestandsbezogenen Rückwirkungsbegriff zugunsten eines handlungs- bzw. dispositionsbezogenen Rückwirkungsbegriffs bahnt sich ein Wandel der Rückwirkungslehre an, weil die bisher als Fälle unechter Rückwirkung behandelten Sachverhalte weitgehend in die Fallgruppe der echten Rückwirkung eingeordnet werden müssen16. Spindler17 will die überkommene Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung allerdings nicht aufgeben, sondern modifizieren und als Regelungen mit echter Rückwirkung in einer mit K. Vogel 18 übereinstimmenden Terminologie Fallgestaltungen erfassen, in denen eine im Gesetz „neu oder verändert vorgesehene Rechtsfolge auch dann oder nur in Fällen gelten soll, in denen ihre Tatbestandsvoraussetzungen ausschließlich vor Verkündung des Gesetzes erfüllt worden sind“19.

III. Überkommene Prüfungsmaßstäbe Mit der Hinwendung zu einem handlungs- bzw. dispositionsbezogenen Rückwirkungsbegriff verengt sich der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab freiheitsrechtlich mit der Folge einer Abwendung von dem die Abschnitts-

__________ 11 BVerfGE 97, Fn. 4, 80. 12 Vgl. zu dieser Unterscheidung grundlegend Birk, Das Leistungsfähigkeitsprinzip als Maßstab der Steuernormen, 155 ff., 194 ff. 13 F. Kirchhof, StuW 2002, 185 (197); P. Kirchhof, StuW 2000, 221 (226); Hey, Fn. 8, S. 236 ff.; Englisch/Plum, StuW 2004, 342 (350 f.); Ribbrock, DStZ 2005, 634 (637); Vgl. H. Schaumburg, Fn. 10. 14 Tipke (Fn. 8), 200, S. 154 f.; P. Kirchhof, Fn. 13; 226; Offerhaus, DB 2001, 556 (559); Englisch/Plum, Fn. 13; Ribbrock, Fn. 13; umfassend zum Stand der Diskussion: A. Leisner, Fn. 4, S. 569 ff. 15 Vgl. die Nachw. in Fn. 10. 16 Gegen die Aufgabe der Unterscheidung: Weber-Grellet, StuW 2003, 278 (284); Buciek, FR 2004, 361. 17 Spindler, Fn. 10, S. 85 f.; vgl. auch Mellinghoff (Fn. 4), S. 43 f. 18 K. Vogel (Fn. 4), S. 878. 19 Vgl. die Nachw. in Fn. 10 zu den Bemühungen um einen sachgerechten Dispositions- bzw. Handlungsbegriff nach der neueren Rückwirkungslehre.

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Das Rückwirkungsproblem im Spiegel der Abschnittsbesteuerung

besteuerung rechtfertigenden und deshalb auch für die Rückwirkungsproblematik besonders relevanten Gleichheitssatz20. 1. Freiheitsrechtliche Verankerung des Vertrauensschutzes Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts21 ist der Vertrauensschutz im Rechtsstaatsprinzip verankert, wobei die unechte Rückwirkung vornehmlich die Grundrechte berührt. Ergänzend zur Begründung des Vertrauensschutzes im Rechtsstaatsprinzip weist das Bundesverfassungsgericht in zahlreichen Entscheidungen darauf hin, dass die „Verlässlichkeit der Rechtsordnung… eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen“22 ist. Auch nach überwiegender Literaturmeinung23 ist der Vertrauensschutz im Rechtsstaatsprinzip verankert, wobei die Grundrechte häufig als ergänzende Begründungen herangezogen werden24. Demgegenüber weist Mellinghoff25 den Grundrechten, insbesondere den Freiheitsrechten, nicht nur ergänzende, sondern primäre Bedeutung für die verfassungsrechtliche Verankerung des Vertrauensschutzes zu, wobei er auch dem Gleichheitssatz Bedeutung gibt26. P. Kirchhof 27 sieht die Freiheitsrechte neben dem Gleichheitssatz als zentralen Maßstab für die Zulässigkeit der Rückwirkung von Gesetzen28. Daneben benennt er, ebenso wie Birk29, Mellinghoff30 und, stark freiheitsrechtlich orientiert, Englisch/Plum31, den Grundsatz der Kontinuitätsgewähr, zu dem der Grundsatz des Vertrauensschutzes als subjektiver Anspruch auf Verstetigung der Gesetzgebung hinzutrete. Das rechtsstaatliche Kontinuitätsgebot fordere Dauerhaftigkeit und inhaltliche Verstetigung des Steuerrechts; es sei ein objektives Prinzip, könne aber über Art. 2

__________ 20 Dazu u. IV. 21 Vgl. die Nachw. in Fn. 4. 22 BVerfGE 97, 67 (78); vgl. bereits BVerfGE 45, 142 (147 f.); 58, 81 (94); 67, 1 (23 f.); 70, 69 (84); 71, 255 (272); 72, 200 (278); 76, 256 (347 f.). 23 Vgl. die umfassende Darstellung des Meinungsstandes bei Werder (Fn. 4), S. 82 ff. 24 Vgl. Scheuner in FS zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. II, 1960, S. 229 (253); Ossenbühl, DÖV 1972, 27; Grabitz, DVBl 1973, 675 (679 f.); Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in HStR Bd. I, 1987, § 24, Rz. 81; Robbers, JZ 1988, 461 (468); K. Vogel (Fn. 4), S. 876; Spindler (Fn. 10), S. 72; P. Kirchhof (Fn. 13), 229 ff.; Möller/Rührmeier, NJW 1999, 908; umfassend zum Meinungsstand Hey, Fn. 8, S. 110 ff., 178 ff. 25 Mellinghoff (Fn. 4), S. 27 ff. 26 Mellinghoff (Fn. 4), S. 29; speziell zum Eigentumsschutz Isensee, FS Klein 1994, 611 (619 ff.). 27 P. Kirchhof (Fn. 13), 222, 225 f.; grundlegend zu Kontinuitätsgewähr und Vertrauensschutz: A. Leisner (Fn. 4). 28 P. Kirchhof (Fn. 13), 225; differenzierend auch Reimer (Fn. 4), 728 ff. 29 Birk (Fn. 8), S. 16, 19 ff.; vgl. auch Mellinghoff (Fn. 4), S. 27. 30 Mellinghoff, DStR 2003, Beihefter 3 (13). 31 Englisch/Plum (Fn. 13), 342 ff., 348 ff.

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Moris Lehner

Abs. 1 GG im Verfassungsbeschwerdeverfahren gerügt werden32. A. Leisner 33 folgert aus dem Kontinuitätsgebot eine prinzipielle Unzulässigkeit der echten Rückwirkung, wobei sich im Fall einer vertrauensbegründeten Disposition des Steuerpflichtigen an die Prüfung der Rechtskontinuität eine solche des Vertrauensschutzes anschließe. Im Fall der periodisch erhobenen Steuern bestimmt sie den für die Kontinuitätsprüfung relevanten Zeitraum dispositionsbezogen34. Hey35 unterscheidet in einer stark freiheitsrechtlich geprägten Sicht mit Muckel36 zwischen dem Grundrechtsschutz erworbener Rechtspositionen und einem rein rechtsstaatlich erworbenen Vertrauensschutz, der im Rahmen der Grundrechte als „Abwägungsfaktor“ und nicht als „Abwägungsmaßstab“ zu berücksichtigen sei37. Einen „Anspruch auf Schutz betätigter Steuerplanung“ leitet sie als Vertrauensschutz aus dem Rechtsstaatsprinzip ab38. Dem Versuch, den allgemeinen Gleichheitssatz als Zentralnorm gegen Änderungen staatlichen Handelns zu etablieren, erteilt Hey eine Absage39. Birk40 begreift Vertrauen auf den Regelungsgehalt als unmittelbaren Ausfluss der Gesetzesbindung, wobei Vertrauen nur entwickelt werden könne, wenn die Gesetze bestimmt genug, verständlich, verlässlich und widerspruchsfrei seien41. 2. Gleichheitsrechtliche Ansätze Eindeutig bzw. primär gleichheitsrechtliche Verankerungen des Vertrauensschutzes haben weder im älteren Schrifttum42, noch in der hier kurz zu skizzierenden neueren Literatur einen Stellenwert, der an die freiheitsrechtlichen Verankerungen des Vertrauensschutzes heranreicht43. Das rechtsstaatlich begründete Kontinuitätsgebot44, das durch fehlende Folgerichtigkeit einer gesetzlichen Neuregelung verletzt werden kann, führt zwar in der

__________

32 P. Kirchhof (Fn. 13), 227; ebenfalls zum Kontinuitätsprinzip ders. in DStJG 27 (2004), S. 5 ff. 33 A. Leisner (Fn. 4), S. 565. 34 A. Leisner (Fn. 4), S. 568 f.; vgl. auch die weiteren Nachw. zu einem dispositionsbezogenen Rückwirkungsbegriff in Fn. 10. 35 Hey (Fn. 8), S. 125. 36 Muckel, Kriterien des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes bei Gesetzesänderungen, Diss. Köln, Berlin 1989, S. 58 f., 64 f. 37 Hey (Fn. 8), S. 180 ff. 38 Hey (Fn. 8), S. 798, 133 ff.; dies. (Fn. 8), 1444. 39 Hey (Fn. 8), S. 800, 176 ff. 40 Birk (Fn. 8), S. 13, 17. 41 Vgl. zum Gebot der Verlässlichkeit neben den Nachw. zur Rspr. des Bundesverfassungsgerichts in Fn. 22 Waldhoff in DStJG 27 (2004), S. 131 f. 42 Vgl. nur Dürig in M/D/H/S, Art. 3 GG, Rz. 212 f.; Zippelius, Das Wesen des Rechts, 1978, S. 145; Achterberg in VVDStRL 32 (1974), S. 228: „aus Art. 3 I GG und den übrigen Freiheitsrechten“; gegen eine gleichheitsrechtliche Verankerung Randelzhofer, JZ 1973, 536 ff. 43 Vgl. auch Werder (Fn. 4), S. 140 ff. 44 Dazu o. 1.

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Argumentation von P. Kirchhof 45 zu einer zusätzlichen Verankerung des Vertrauensschutzes im Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Gebot der Widerspruchsfreiheit. Indes kommt die im Vergleich zu den Freiheitsrechten geringere Bedeutung des Gleichheitssatzes bei ihm darin zum Ausdruck, dass er eine Verletzung des Grundrechts nur dann annimmt, wenn die rückwirkende Regelung schützenswerte Rechtsbestände beeinträchtigt46. Mellinghoff 47 benennt den Gleichheitssatz neben den Freiheitsgrundrechten als Basis einer Pflicht des Gesetzgebers zur Wahrung eines gesetzlich begründeten Status quo, wobei wohl anzunehmen ist, dass diese Sicherungen auch nach seiner Meinung freiheitsrechtlich begründet sein müssen. Hey48 sieht Art. 3 Abs. 1 GG tangiert, wenn der Gesetzgeber Alt- und Neubetroffene trotz wesentlicher Unterschiede gleich behandelt; sie gibt dem allgemeinen Gleichheitssatz Bedeutung für Übergangsprobleme und in Fällen, in denen die Missachtung geschützter Vertrauenspositionen als willkürlich bezeichnet werden kann. Soweit der Gleichheitssatz nach einer insbesondere von A. Leisner49 überzeugend dargelegten Begründung als Grundlage für Rechtskontinuität in den Dimensionen der Widerspruchsfreiheit, der Systemgerechtigkeit und (damit) der Gleichheit in der Zeit entfaltet wird, sichert er den im Kontinuitätsgebot verankerten Vertrauensschutz50 zumindest mittelbar. Die im Grundsatz zunächst nur mittelbare Sicherung des Vertrauensschutzes erfährt jedoch für die periodischen Steuern, insbesondere für die den Anforderungen des gleichheitsrechtlich geprägten Leistungsfähigkeitsprinzips unterliegende Einkommensteuer, eine erhebliche Stärkung.

IV. Verankerung des Vertrauensschutzes im Periodizitätsprinzip Der Versuch einer Verankerung des Vertrauensschutzes im Periodizitätsprinzip verfolgt nicht das Ziel einer zusätzlichen Rechtfertigung der unechten Rückwirkung im Einkommensteuerrecht. Vielmehr soll, ganz im Gegenteil zu der überkommenen Dogmatik der unechten Rückwirkung, gezeigt werden, dass das im gleichheitsrechtlich konkretisierten Leistungsfähigkeitsprinzip verankerte Periodizitätsprinzip eine besondere verfassungsrechtliche Grundlage nicht gegen, sondern für differenzierten Vertrauensschutz bildet. 1. Die materiell gleichheitsrechtliche Fundierung des Periodizitätsprinzips Es bedarf keiner besonderen Begründung, dass die Abschnittsbesteuerung zu zahlreichen Verwerfungen bzw. Verzerrungen führt, die sich vor allem in der

__________ 45 46 47 48 49 50

P. Kirchhof (Fn. 13), 224 f. P. Kirchhof (Fn. 13), 225. Mellinghoff (Fn. 4), 29. Hey (Fn. 8), S. 174 ff. A. Leisner (Fn. 4), S. 204 ff. Dazu o. 1.

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Problematik einer periodenübergreifenden Verlustberücksichtigung spiegeln51. Aus diesem Grund wird die Abschnittsbesteuerung häufig als steuertechnische Notwendigkeit begriffen, die den Gerechtigkeitsvorgaben des Leistungsfähigkeitsprinzips widerspricht. Diese Kritik ist sich in ihrer Zielsetzung darin einig, dass das Nettoprinzip zumindest Durchbrechungen der Abschnittsbesteuerung52, im Idealfall aber eine Totalgewinnbesteuerung erfordert53. Die Periodenrechnung wird zwar zur Verwirklichung bestimmter praktischer Zwecke als unentbehrlich angesehen, doch könne sie nur ein Notbehelf sein, denn sie „zerschneidet rechnungsmäßige Zusammenhänge mit der ‚Rücksichtslosigkeit einer Guillotine’“54. Tipke55 meint, dass die Zerlegung des Totaleinkommens nach Zeitabschnitten immer etwas Willkürliches an sich habe. Periodenübergreifende Vorschriften seien keine Sozialzwecknormen oder Vergünstigungen, sondern Fiskalzwecknormen zur gerechten Verteilung der Steuerlast56. Dieser kritischen Meinung steht als ebenso deutliche Gegenposition eine Auffassung gegenüber, nach der die Abschnittsbesteuerung ein Prinzip materieller Gerechtigkeit verwirklicht. Schick57 etwa fordert einen Vergleichsmaßstab, der als Voraussetzung für Steuergerechtigkeit neben der Vergleichbarkeit in der Sache auch die Vergleichbarkeit in der Zeit umfassen müsse. Nur zeitlich abgeschlossene oder zumindest in ihren Auswirkungen zeitlich überschaubare Sachverhalte könnten wertend in Beziehung zueinander gesetzt werden, wobei aber punktuelle Durchbrechungen des Abschnittsprinzips zulässig seien. Demgegenüber geht Drüen58 zwar mit den dezidierten Gegnern der Abschnittsbesteuerung davon aus, dass das Gebot materieller Gerechtigkeit gegen kurze Bemessungs- und Ermittlungszeiträume spricht, doch sucht er einen Ausgleich zwischen dieser Vorgabe einerseits und den Geboten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes andererseits, das überschaubare Besteuerungszeiträume erfordere59. Übereinstimmend mit Walter Schick verlangt auch Drüen gesetzliche Durchbrechungen und Abmilderungen der Abschnittsbesteuerung, weil eine starre periodische Be-

__________ 51 Zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Verlustberücksichtigung Lehner in Münchener Schriften zum Internationalen Steuerrecht, Heft 24, S. 1. 52 Birk, StuW 2000, 328 (331 f.); Giloy, FR 1979, 133 (134 f.); Arndt/Jenzen, DStR 1998, 1818 (1821). 53 Tipke, StuW 1971, 2 (16); vgl. auch J. Lang, Die Bemessungsgrundlage, 1988, S. 60 ff., 183 ff. 54 Aufermann, Einkommensteuerbilanz und Verlustkompensation, 1959, S. 30. 55 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 1993, S. 669 mit umfangr. Nachw. der h. M. 56 So auch von Groll in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10 d. Rz. A 43; Orth, Interperiodische Verlust-Kompensation im Gewerbesteuerrecht, S. 114 ff. 57 Schick, Der Verlustrücktrag, 1976, S. 13 ff. 58 Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn, 1999, S. 80 ff. 59 Drüen (Fn. 58), S. 93 ff.; vgl. zum Gesichtspunkt der Rechtssicherheit in diesem Zusammenhang auch J. Lang (Fn. 53), S. 189; Waldhoff (Fn. 41), S. 147 f.

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steuerung zu willkürlichen Belastungsfolgen führen könne. Dazu, so Drüen, gehöre ein periodenübergreifender Verlustabzug60. P. Kirchhof61 begreift das Jahresprinzip als „materielles Besteuerungsprinzip“. Die abschnittsweise Einkommensbesteuerung verteile die individuelle Steuerlast zeitgerecht, sie konkretisiere die Belastungsgleichheit in der Gegenwart und erlaube dem Staat eine gegenwartsnahe Teilhabe am Erfolg privaten Wirtschaftens62. Auch Dieter Birk63 versteht steuerliche Leistungsfähigkeit periodenbezogen. Grundlage der Einkommensteuer sei die durch das Erwerbseinkommen ausgewiesene aktuelle Leistungsfähigkeit i. S. von Ist-Leistungsfähigkeit. Eine „aufschiebend bedingte Leistungsfähigkeit“ sei dem Einkommensteuerrecht fremd. Das Bundesverfassungsgericht64 sieht eine (zeitbezogene) Verdeutlichung des Nettoprinzips darin, dass das Einkommensteuergesetz einen Abzug von Erwerbsaufwendungen auch dann zulässt, wenn diese nicht im Veranlagungszeitraum des Zugangs der Erwerbseinnahmen anfallen. Dem entsprechend bejaht das Gericht in einer Entscheidung aus dem Jahre 1991 zur zeitlichen Begrenzung des Verlustvortrags auf fünf Jahre65 zwar einen Wertungswiderspruch zwischen dem „Grundsatz der Abschnittsbesteuerung“ und dem materiellrechtlichen „Grundsatz der Besteuerung nach dem Nettoprinzip“; dieser Wertungswiderspruch sei aber nicht einseitig zugunsten des Nettoprinzips zu lösen, vielmehr sei dem Gesichtspunkt der materiellen Steuergerechtigkeit66 das ebenfalls im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Prinzip der Rechtssicherheit (erg. zugunsten der Abschnittsbesteuerung) gegenüberzustellen. Zum Argument der Rechtssicherheit als Rechtfertigungsgrund für die Abschnittsbesteuerung treten in späteren Entscheidungen weitere Gesichtspunkte, die mit den von Paul Kirchhof 67 vertretenen Argumenten übereinstimmen. Danach solle der Einkommensteuerpflichtige mit seinem „jeweiligen steuerpflichtigen Einkommen“ zur Deckung des „gegenwärtigen staatlichen Finanzbedarfs“ beitragen. Dementsprechend sei die Einkommensteuer in ihrer Ausgestaltung als Jahressteuer und in ihrer kontinuierlichen Erhebung auch auf eine „Belastungsgleichheit in der Zeit“ angelegt68. Das Bundesverfassungsgericht spricht im Zusammenhang mit der Ausgestaltung

__________ 60 Drüen (Fn. 58), S. 101 f. 61 P. Kirchhof in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 2 Rz. D 275; ders. in Kirchhof EStG3, § 2 Rn. 153 f.; ders., StuW 2000, 221 (224 f.); vgl. auch Karlsruher Entwurf zur Reform des Einkommensteuergesetzes, Begründung zu § 8 (Verlustabzug). 62 P. Kirchhof, StuW 2000, 221 (225). 63 Birk, Altersvorsorge und Alterseinkünfte im Einkommensteuerrecht, S. 30; ders., (Fn. 12), S. 157. 64 BVerfGE 99, 88 (96 f.). 65 BVerfG, HFR 1992, 423 (424). 66 Hervorhebung nur hier. 67 Vgl. die Nachw. in Fn. 13. 68 BVerfGE 96, 1 (7).

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der Einkommensteuer als Jahressteuer ausdrücklich von Typisierung „um der materiellen Gleichheit willen“69. Auch die nicht immer einheitliche Auffassung des BFH geht, pointierter noch als die des Bundesverfassungsgerichts, generell in diese Richtung. Bereits in einer Entscheidung aus dem Jahre 196170 stellt der BFH fest, dass § 10d EStG keine Billigkeitsvorschrift sei, sondern „Verzerrungen und Zufälligkeiten“ mildern wolle, die sich daraus ergeben können, dass das Wirtschaftsjahr „ein mehr formaler, jedenfalls kein organischer Abschnitt im Gesamtleben eines Unternehmens“ sei. Einer „idealen“ Besteuerung i. S. von allgemeiner Steuergerechtigkeit und Besteuerung nach dem Grundsatz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, so eine Entscheidung vom 11. 2. 1998, entspräche allein die steuerliche Erfassung des Totalgewinns71. Der überperiodische Verlustabzug als Ausdruck des Leistungsfähigkeitsprinzips werde deshalb durch den Grundsatz der Periodizität als Ausdruck der Rechtssicherheit überlagert72. Im Beschluss zur Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 EStG im Fall der Belastung des Existenzminimums vom 6. 3. 200373 wird dem Periodizitätsprinzip des § 2 Abs. 7 EStG nur einfachgesetzliche Natur bescheinigt. Der Veranlagungszeitraum, so eine Entscheidung aus dem Jahre 2001, sei nur „aus rein erhebungstechnischen Gründen gewählt“74. Aus dieser im Schwerpunkt der Argumente materiell-gleichheitsrechtlichen und finanzverfassungsrechtlichen Fundierung des Abschnittsprinzips ist die Folgerung zu ziehen, dass die Verankerung individuellen Vertrauensschutzes im Periodizitätsprinzip grundsätzlich auf Vertrauensschutz für die Zeitspanne des Veranlagungszeitraums gerichtet sein muss. 2. Begründung eines periodizitätsbezogenen Vertrauensschutzes Den Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen bildet die den verfassungsrechtlichen Vorgaben weitgehend entsprechende Ausgestaltung des Periodizitätsprinzips. Danach gehen alle steuerrechtlich erheblichen Sachverhalte, die der Steuerpflichtige innerhalb eines Veranlagungszeitraums verwirklicht, etwa die einzelnen Ertrags- und Aufwandsvorfälle, in ein Gesamtergebnis ein, das erst am Ende dieses Zeitraums für den gesamten Zeitraum ermittelt und steuerwirksam wird. Dem entsprechend bedeutet steuerrechtliche Erheblichkeit der über den Gesamtzeitraum hinweg verwirklichten Sachverhalte aber auch normative Erheblichkeit nach Maßgabe von Regelungen, die für diesen Gesamtzeitraum gelten. Der auf den Veranlagungszeitraum be-

__________

69 70 71 72 73

BVerfGE 96, 1 (7). BFH v. 28. 7. 1961, BStBl 1961 III, 436. BFH v. 5. 6. 2002, BFH/NV 2002, 1549 (1551); v. 11. 2. 1998, BStBl 1998 II, 485 (486). BFH Fn. 71. BFH v. 6. 3. 2003, BStBl 2003 II, 523; vgl. zur Problematik H.-P. Schneider, INF 2003, 182 ff. 74 BFH v. 9. 5. 2001, BStBl. 2001 II, 552.

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zogene Vertrauensschutz resultiert aus einem Postulat materieller Kohärenz zwischen den in einer Besteuerungsperiode verwirklichten Sachverhalten und dem für diese Besteuerungsperiode geltenden Recht. Die Folge dieses Gebots materieller Kohärenz ist, dass ein am Ende der Besteuerungsperiode für die Gesamtperiode in einen einheitlichen Besteuerungsanspruch eingehendes Jahresergebnis normativen Regeln unterworfen sein muss, die ebenfalls vom Anfang bis zum Ende der Besteuerungsperiode unverändert gelten müssen. Die so begründete Kohärenz kann zwar durchbrochen werden, wenn besonders wichtige Interessen des Gemeinwohls eine Rechtsänderung gebieten. Eine Entscheidung allein nach dem Kriterium der Wirksamkeit einer Rückwirkung innerhalb oder außerhalb des Besteuerungszeitraums ist jedenfalls unzulässig.

V. Folgerungen Aus dem Periodenbezug des Vertrauensschutzes ergeben sich nicht nur Folgerungen für die überkommene Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung, sondern auch für die rückwirkungsunabhängige Berücksichtigung von steuerrechtlich erheblichen Sachverhalten, die mehrere Besteuerungsperioden betreffen. 1. Abschied von der unechten Rückwirkung Auf den ersten Blick könnte es in der Konsequenz eines Postulats materieller Kohärenz zwischen dem in einer Besteuerungsperiode verwirklichten Sachverhalt und dem für diese Besteuerungsperiode geltenden Recht liegen, auf die Fixierung eines genauen Dispositionszeitpunkts innerhalb der Besteuerungsperiode zu verzichten. Die schwierige Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Sachverhalt nur ins Werk gesetzt und wann er bereits i. S. einer rechtlichen bzw. einer wirtschaftlichen Disposition endgültig verwirklicht ist75, müsste, zumindest periodenintern, nicht mehr beantwortet werden. Käme es danach nicht mehr darauf an, wann ein bestimmter Sachverhalt innerhalb eines Veranlagungszeitraumes verwirklicht ist, so hätte dies zur Folge, dass jede innerhalb einer Besteuerungsperiode rückwirkende Gesetzesänderung nach den strengen Maßstäben einer echten Rückwirkung zu beurteilen wäre. Vermittelnd zwischen der überkommenen Dogmatik unechter Rückwirkung und der hier erwogenen Konsequenz aus dem periodenbezogenen Vertrauensschutz steht die neuere Rückwirkungslehre mit ihren Bemühungen um die Konkretisierung eines handlungs- bzw. dispositionsbezogenen Rückwirkungsbegriffs76. Aber auch für die hier angedeutete Konse-

__________ 75 Grundlegend zu dieser Problematik K. Vogel (Fn. 4), S. 876 ff. und die Nachw. in Fn. 19. 76 Dazu o. I. mit Nachw. in Fn. 10.

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Moris Lehner

quenz eines Aufgehens der überkommenen Fälle unechter Rückwirkung in solche echter Rückwirkung könnten differenzierte Ergebnisse erreicht werden, in dem die Maßstäbe überdacht werden, nach denen echte Rückwirkung verfassungsrechtlich zulässig ist. Keinesfalls aber sollte an einem rein normativ-tatbestandsbezogenem Rückwirkungsbegriff festgehalten werden. 2. Ausnahmen vom Periodizitätsprinzip Vor dem Hintergrund des periodenbezogenen Begriffs steuerlicher Leistungsfähigkeit ist eine im typisierten Zeitabschnitt des Veranlagungszeitraums ermittelte Leistungsfähigkeit im Hinblick auf solche Sachverhalte problematisch, die den Veranlagungszeitraum in ihren steuerlichen Auswirkungen überschreiten. Beispiele für zukunftsbezogene Ereignisse dieser Art bilden Verluste, die innerhalb des Veranlagungszeitraums nicht ausgeglichen werden, aber auch Investitionen, die über mehrere Jahre hinweg ertragswirksam genutzt werden. Ein Beispiel für vergangenheitsbezogene Ereignisse dieser Art bildet die Realisation von Wertsteigerungen, die sich über mehrere Jahre hinweg gebildet haben, wie dies im Fall von Grundstücksveräußerungen oder in Fällen der Veräußerung wesentlicher Beteiligungen, aber auch in Fällen der Betriebsaufgabe häufig geschieht. In all diesen Fällen stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang eine abschließende Bestimmung von steuerlicher Leistungsfähigkeit in den Grenzen des typisierten Zeitabschnitts der Besteuerungsperiode zulässig ist. In abstrakter Formulierung lautet die Antwort auf diese Frage, dass Ausnahmen von einer periodenbezogenen Sicht steuerlicher Leistungsfähigkeit in dem Umfang erforderlich sind, in dem die gleichheitsrechtlichen Grenzen zulässiger Typisierung überschritten werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Freiheitsgrundrechte Ausnahmen von typisierender Gleichbehandlung gebieten. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass das Leistungsfähigkeitsprinzip nicht nur in seiner Ausprägung des subjektiven Nettoprinzips freiheitsrechtliche Konkretisierungen erfährt77. Vielmehr sind freiheitsrechtliche Vorgaben auch im Bereich des objektiven Nettoprinzips zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die Problematik der Verlustberücksichtigung wirkt Art. 14 GG in seiner Kernaussage der Privatnützigkeitsgarantie, in dem er positive Einkünfte vor steuerlicher Belastung schützt, soweit diese für den Verlustausgleich erforderlich sind78. Daraus folgt zunächst die grundsätzliche Verfassungswidrigkeit von periodenintern wirkenden Verlustbeschränkungen, soweit sie nicht aus Gründen der Missbrauchsvermeidung gerechtfertigt werden können. Nichts anderes gilt für die periodenübergreifende Verlustberücksichtigung, soweit es sich nicht um Verluste handelt, die typischerweise innerhalb eines

__________ 77 Vgl. zu dieser Entwicklung Lehner, Einkommensteuerrecht und Sozialhilferecht, 1993, S. 337 ff., 361 ff., 408 ff. 78 Lehner (Fn. 51), S. 16 ff.

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Das Rückwirkungsproblem im Spiegel der Abschnittsbesteuerung

Veranlagungszeitraums ausgeglichen werden können. Im Fall der Realisation von Wertsteigerungen, die sich über mehrere Jahre hinweg gebildet haben, hat der Gesetzgeber dem Umstand der nicht allein im Veranlagungszeitraum des Zuflusses gebildeten Leistungsfähigkeit durch den Tatbestand der außerordentlichen Einkünfte Rechnung getragen. Nichts anderes gilt für die Realisation von Wertsteigerungen aus Grundstücken, die über mehrere Jahre hinweg Wertsteigerungen erfahren haben. Wenngleich dies vornehmlich im Zusammenhang mit der rückwirkenden Verlängerung der Behaltefrist von Grundstücken diskutiert wird79, ist unabhängig von der Rückwirkungsproblematik festzustellen, dass bereits die Verlängerung der Behaltefrist von zwei auf zehn Jahre im Hinblick auf den Schutzauftrag des Eigentumsgrundrechts äußerst bedenklich erscheint80. Eine verfassungsrechtlich bedenkliche Kombination aus der Besteuerung von Wertzuwächsen, die über mehrere Jahre hinweg angewachsen sind und einer gesetzlichen Rückwirkung besteht im Fall der vom BFH allerdings nicht als verfassungswidrig erachteten rückwirkenden Verminderung der Beteiligungsgrenze im Fall des § 17 Abs. 1 EStG 199981.

__________ 79 Vgl. Spindler (Fn. 10), S. 79 ff.; Reimer (Fn. 4); Albert (Fn. 4), S. 117 ff.; Paus, FR 2005, 627; H. Jochum, NJW 2004, 1427; Seeger, FR 2002, 1373; Hey, BB 2002, 2312; Möstl, DStR 2003, 720; Vorlagebeschluss des BFH v. 16. 12. 2003, BStBl II 2004, 284. 80 Vgl. Birk/Kulosa, FR 1999, 433 (438). 81 BFH v. 1. 3. 2005, BStBl 2005 II, 436; BFH v. 1. 3. 2005, BStBl 2005 II, 398; vgl. dazu Weber-Grellet, FR 2005, 646; H. Weber, BB 2005, 985; Paus, FR 2005, 627; Birk/Kulosa (Fn. 80); Schneider in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 17. Rz. A 255 ff.; dazu Albert (Fn. 4), S. 95 ff.

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Gert Müller-Gatermann

Gewerbesteuer – quo vadis? Inhaltsübersicht I. Ausgangslage II. Kommission zur Reform der Kommunalfinanzen 1. Modelle zur Reform der Gewerbesteuer 2. Kommunal-Modell versus BDI/VCI-Modell III. Die Gemeindewirtschaftssteuer 1. Die einzelnen Elemente

2. Die finanziellen Auswirkungen für Gemeinden und Steuerpflichtige 3. Die Einordnung in die Unternehmensbesteuerung 4. Die verfassungsmäßige Beurteilung IV. Gesetz zur Änderung der Gewerbesteuer und anderer Gesetze V. Ausblick

I. Ausgangslage Die Gewerbesteuer ist einer zunehmend heftiger werdenden Kritik ausgesetzt, und zwar sowohl vonseiten der Wirtschaft als Steuerzahler als auch vonseiten der Kommunen als Steuergläubiger. Auch die Finanzwissenschaft hält die Gewerbesteuer nicht mehr für zeitgemäß. Die Steuereinbrüche in den Jahren 2001 und 2002 zeigen, dass die Gewerbesteuer keinen zufriedenstellenden Beitrag zur Finanzierung der kommunalen Aufgaben mehr leistet.

II. Kommission zur Reform der Kommunalfinanzen Das Bundeskabinett hat im Frühjahr 2002 die Einsetzung einer Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen beschlossen. Die Kommission sollte sich mit den strukturellen Problemen des kommunalen Finanzsystems auf der Einnahmen- und Ausgabenseite befassen. Aufgabe der Kommission war es, bis Mitte 2003 auf der Basis einer Bestandsaufnahme konkrete Lösungsvorschläge zu den drängenden Problemen des kommunalen Finanzsystems zu erarbeiten. Im Mittelpunkt der Kommissionsarbeit stand u. a. die Zukunft der Gewerbesteuer. Auch wenn sich die Kommission nicht auf einen gemeinsamen Vorschlag zur Reform der Gewerbesteuer geeinigt hat, so hat sie doch wertvolle Arbeit für die weiterhin anstehende politische Entscheidung des Gesetzgebers geleistet. 1. Modelle zur Reform der Gewerbesteuer Die Kommission hat sich mit der Sichtung und Bewertung von Modellvorschlägen befasst, die aus den Reihen der vorbereitenden Arbeitsgruppe und 81

Gert Müller-Gatermann

von Mitgliedern eines Beirats aus Vertretern der Wissenschaft und Beraterschaft zur Zukunft der Gewerbesteuer unterbreitet worden sind. Die Modelle lassen sich in zwei Grundrichtungen einteilen: Einerseits gibt es die Modelle mit gewinnunabhängigen Bestandteilen in der Besteuerungsgrundlage, die beispielsweise neben dem Gewinn auch die gezahlten Löhne, Zinsen, Mieten, Pachten und Lizenzgebühren einbeziehen (von der Wertschöpfungssteuer bis zur Modernisierung der Gewerbesteuer). Die andere Grundrichtung bilden die Modelle, die einkommensorientiert an einzelne Einkunftsarten (Gewinneinkünfte), an die Summe der für die Einkommensteuer ermittelten Einkünfte oder unmittelbar an die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer anknüpfen. Das von einem Mitglied des Beirats vorgelegte Modell einer integrierten Unternehmensbesteuerung gehört ebenfalls zu dieser letzten Gruppe; daneben ist das zentrale Anliegen dieses Modells die Verwirklichung einer rechtsformneutralen Besteuerung. Allen Modellen gemeinsam ist die Erweiterung des Kreises der Steuerpflichtigen zumindest durch Einbeziehung der freien Berufe sowie ein kommunales Hebesatzrecht. 2. Kommunal-Modell versus BDI/VCI-Modell Aus der Vielzahl der Modelle standen zuletzt zwei Modelle – jeweils stellvertretend für ihre Gruppe – im Focus der Betrachtung: Das BDI/VCI-Modell und das zunächst von NRW vorgeschlagene Modell, welches im Laufe der Kommissionsberatungen von den kommunalen Spitzenverbänden adaptiert worden ist (Kommunal-Modell). Das BDI/VCI-Modell geht davon aus, dass sich die Finanzierung der Kommunen allein durch die gewerbliche Wirtschaft nach dem sogenannten Äquivalenzprinzip überholt hat und die Steuerpflichtigen insgesamt gleichermaßen zur Finanzierung der Kommunen beitragen sollen. Es ersetzt die heutige Gewerbesteuer daher durch eine Annexsteuer auf die Einkommensteuer und Körperschaftsteuer. Durch entsprechende Veränderung des Einkommensteuer- und Körperschaftsteuertarifs sollte – ausgehend von dem Finanzvolumen der geltenden Gewerbesteuer – der bisherige Tarifrahmen gewahrt bleiben. Durch die Einbeziehung aller Steuerpflichtigen – insbesondere auch der Arbeitnehmer – in die Gewerbesteuerpflicht bzw. deren Ersatz, würde das Aufkommen der Gewerbesteuer sicher stabilisiert werden, auch wenn die Besteuerung nicht mehr wie heute ertragsunabhängige Elemente in die sachliche Bemessungsgrundlage einbezieht. Eingewandt wurde von Teilnehmern der Kommission gegen das BDI/VCIModell, dass – 82

die Wirtschaft auf Kosten des kleinen Mannes entlastet werden sollte,

Gewerbesteuer – quo vadis?



die Stadt/Umland-Problematik vergrößert werde und



die Zerlegung der Annexsteuer auf die Einkommensteuer zu aufwändig sei, dass eine Umsetzung zum 1. Januar 2004 ausgeschlossen erschiene.

Die beiden zuerst genannten Einwände vermögen nicht zu überzeugen. Denn nachdem auch vom Bundesverfassungsgericht1 das Äquivalenzprinzip zur Begründung der Gewerbesteuer nicht mehr herangezogen werden kann, muss es gegebenenfalls hingenommen werden, dass der einzelne Steuerpflichtige, der heute mit seiner Einkommensteuer zu 15 % die Gemeinden finanziert, zukünftig – je nach Hebesatz seiner Gemeinde – eine höhere Belastung zu tragen hat. Ob die Stadt-Umland-Problematik durch das BDI/VCI-Modell verschärft wird, erscheint nicht gesichert, da Belastungsunterschiede zwischen den einzelnen Gemeinden nicht allein für die Wohnsitzwahl eines Steuerpflichtigen entscheidend sind. Darüber hinaus ist zu überlegen, ob die Stadt-Umland-Problematik überhaupt befriedigend durch ein bestimmtes Steuermodell gelöst werden kann, oder ob nicht vielmehr Verwerfungen durch Ausgleichmechanismen vermieden werden müssen. Einvernehmen bestand in der Kommission jedoch darüber, dass das BDI/VCI-Modell nicht ab dem 1. Januar 2004 von der Verwaltung administriert werden könnte. Für eine strukturelle Veränderung bei den Kommunalfinanzen zum 1. Januar 2004 stand das BDI/VCI-Modell daher nicht als Lösung zur Verfügung. Das Kommunal-Modell stellt eine Revitalisierung der bestehenden Gewerbesteuer dar und ist im Unterschied zum geltenden Recht im Wesentlichen durch folgende Merkmale gekennzeichnet: –

Kreis der Steuerpflichtigen: Gewerbetreibende und Selbständige i. S. d. § 18 EStG



Bemessungsgrundlage: Gewinn + Gezahlte Zinsen + Mieten/Pachten/Leasingraten in Höhe des Finanzierungsanteils (differenziert nach beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, Immobilien des Anlagevermögens und sonstigen Wirtschaftsgütern – Kürzung beim Vermieter entfällt) – Freibetrag von 25 000 Euro, bezogen auf die Summe der Hinzurechnungen + Vollständige Erfassung der Veräußerungsgewinne



Tarif: Abschaffung der Messzahlenstaffelung Gleitender Abbau des Freibetrags in Höhe von 33 000 Euro bei höheren Gewerbeerträgen von 67 000 Euro bis 100 000 Euro Differenzierte Messzahlen für Personenunternehmen (3 %) und Kapitalgesellschaften (4 %).

__________ 1

BVerfGE 46, 224 (236).

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Gert Müller-Gatermann

Insbesondere von Seiten der Wirtschaft wurden nachdrücklich sowohl ökonomische als auch rechtliche Einwände gegenüber dem Kommunal-Modell geltend gemacht. Diese Einwände lassen sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen: –

Die mit dem Kommunal-Modell verbundenen Mehrbelastungen für die Gewerbesteuerpflichtigen ließen sich mit dem sogenannten Äquivalenzprinzip nicht mehr überzeugend begründen. Das Äquivalenzprinzip verstehe die Gewerbesteuer als Gegenleistung der Steuerpflichtigen für die Inanspruchnahme öffentlicher Infrastrukturleistungen der Gemeinde. Bereits das Bundesverfassungsgericht habe in seinen jüngeren Entscheidungen zur Rechtfertigung der Gewerbesteuer als Sonderlast für bestimmte Steuerpflichtige davon Abstand genommen, den Äquivalenzgedanken zu bemühen. Im Übrigen müsse der Äquivalenzgedanke konsequenterweise dazu führen, dass sämtliche Gemeindebürger der Gewerbesteuer (oder deren Ersatz) unterlägen. Denn die Inanspruchnahme öffentlicher Infrastrukturleistungen erfolge heute nicht mehr ausschließlich (oder überwiegend) durch Gewerbetreibende oder Selbständige.



Das Kommunal-Modell bedeute mit seiner Hinzurechnung von ertragsunabhängigen Elementen eine Revitalisierung der bisherigen Gewerbesteuer. Nach dem Wegfall des Äquivalenzprinzips als Besteuerungsmaßstab sei diese Form der Besteuerung jedoch nicht mehr zeitgemäß. Nachdem die ertragsunabhängigen Elemente bei der Gewerbesteuer nach und nach zurückgenommen worden sind, sei nunmehr eine vollständige Umstellung auf die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit angezeigt.



Die Hinzurechnung von Schuldzinsen lasse sich – entgegen der Auffassung der Befürworter des Kommunal-Modells – nicht mit der Herstellung der Finanzierungsneutralität begründen. Solange die Gewerbesteuer mit dem Äquivalenzprinzip, d. h. als Sonderbelastung für die Inanspruchnahme der Infrastruktur begründet wurde, durfte die Höhe der Gewerbesteuer nicht abhängig sein von der Fremd- oder Eigenfinanzierung eines Unternehmens. Die bei der Gewinnermittlung gewinnmindernd berücksichtigten Schuldzinsen waren daher wieder hinzuzurechnen. Diese Möglichkeit der Argumentation sei mit dem Wegfall des Äquivalenzprinzips nicht mehr gegeben. Korrekturen beim Zinsabzug seien – ebenso wie für Zwecke der Einkommen- und Körperschaftsteuer – nur bei Missbräuchen, wie in den Fällen der Gesellschafterfremdfinanzierung, begründbar.



Das Kommunal-Modell führe aufgrund der Hinzurechnung von betrieblichen Aufwendungen ohne entsprechende Kürzung auf der Empfängerseite, wie z. B. bei Leasing-Raten, zu Doppelbelastungen, die unter dem Gesichtspunkt folgerichtiger tatbestandlicher Ausgestaltung steuerlicher

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Gewerbesteuer – quo vadis?

Belastungsgrundentscheidungen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts2 verfassungsrechtlich bedenklich sein könnten. –

Die vom Kommunal-Modell ausgehenden zusätzlichen Belastungswirkungen insbesondere für Verlustunternehmen werden von der Wirtschaft als Substanzbesteuerung verstanden. Gemeint ist damit das Entstehen einer Steuerlast trotz fehlenden positiven ertragssteuerlichen Gewinns infolge der modelleigenen Hinzurechnungstatbestände. Die Folge wäre ein Verzehr der im Unternehmen vorhandenen Vermögenssubstanz in Krisenzeiten. Die Wirkungen der Hinzurechnung könnten zwar durch Freibeträge zum Teil abgefangen werden; sie ließen sich indessen nicht vollständig vermeiden. Diese Sonderbelastung der Wirtschaft laufe der mit der Steuerreform 2000 begonnenen steuerpolitischen Leitlinie (Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft) entgegen.



Das Kommunal-Modell würde das Steuerrecht insbesondere aufgrund seiner ausdifferenzierten Hinzurechnungselemente weiterhin verkomplizieren.



Daneben bliebe die Gewerbesteuer als Sondersteuer mit seiner negativen Signalwirkung für den Wirtschaftsstandort Deutschland erhalten.

III. Die Gemeindewirtschaftssteuer Im Spannungsfeld der unterschiedlichen Positionen von Wirtschaft und Kommunen, die sich scheinbar unversöhnlich gegenüberstanden, musste ein Mittelweg gefunden werden, der sowohl den Belangen der Wirtschaft als auch der Kommunen Rechnung trägt. Eine solche Kompromisslösung musste daher im Sinne der Unternehmen die wirtschaftlich nachteiligen Wirkungen der Besteuerung ertragsunabhängiger Elemente vermeiden, aber gleichzeitig im Sinne der Kommunen zu einer nachhaltigen Verstetigung der kommunalen Einnahmen führen. 1. Die einzelnen Elemente Der von der letzten Bundesregierung vorgelegte Entwurf3 eines Gesetzes zur Reform der Gewerbesteuer entwickelt die Gewerbesteuer als wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle mit lokalem Hebesatzrecht zu einer Gemeindewirtschaftssteuer weiter. Die Gemeindewirtschaftssteuer ist im Einzelnen durch die folgenden Merkmale gekennzeichnet:

__________ 2 3

BVerfGE 101, 151 (155). BR-Drucks. 561/03.

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Gert Müller-Gatermann



Steuerpflichtige

Die Bemessungsgrundlage für die Gemeindewirtschaftssteuer wird gegenüber der bisherigen Gewerbesteuer zunächst personell verbreitert durch Einbeziehung der Selbständigen i. S. v. § 18 EStG in die Steuerpflicht. Hiermit wird der wirtschaftlichen Entwicklung während der letzten Jahrzehnte Rechnung getragen, wonach Angehörige dieser Berufe, wie z. B. Ärzte und Rechtsanwälte, ihre Tätigkeiten in immer größerem Umfang in Formen ausüben, wie sie früher nur bei Gewerbetreibenden üblich waren. –

Bemessungsgrundlage

Im Unterschied zum Kommunal-Modell sollen bei dem damaligen Regierungsvorschlag Hinzurechnungen und Kürzungen grundsätzlich entfallen, soweit sie nicht der Vermeidung einer steuerlichen Doppelbelastung oder der Abgrenzung der inländischen von den ausländischen Erträgen dienen. Der Regierungsentwurf bekannte sich damit zu einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und vermied eine substanzverzehrende Besteuerung in der Verlustphase eines Unternehmens. Im Einzelnen betrifft die Streichung die bisherigen Hinzurechnungen von Renten und dauernden Lasten nach § 8 Nr. 2, die Hälfte der Miet- und Pachtzinsen nach Nr. 7 sowie die Hinzurechnung nach Nr. 5 für sogenannte Streubesitzdividenden. Mit der Streichung der Hinzurechnung von Streubesitzdividenden tritt eine Gleichbehandlung von Dividenden unabhängig von der Höhe der Beteiligung ein. Die bisherige Hinzurechnung von Dauerschuldzinsen wird ebenfalls aufgegeben. Zur Vermeidung von Gestaltungen soll jedoch die Regelung zur Gesellschafterfremdfinanzierung nach § 8a KStG abweichend vom geltenden Recht auf die Gemeindewirtschaftssteuer durchschlagen. Darüber hinaus sollten nach dem neuen § 8 Nr. 1 GemWiStG alle Schuldzinsen hinzugerechnet werden, die an Gesellschafter, ihnen nahestehende Personen oder rückgriffsberechtigte Dritte gezahlt werden, soweit nicht bereits eine Korrektur über § 8a KStG erfolgt ist. Auch diese Regelung trägt der Gestaltungsanfälligkeit im Konzern Rechnung, sieht aber gleichzeitig in § 9 Nr. 2c GemWiStG eine Kürzung vor, wenn die Zinsen beim Empfänger im gemeindewirtschaftsteuerpflichtigen Gewinn enthalten sind. Damit sollen konzerninterne Finanzierungen nicht behindert werden. Eine weitere Verbreiterung der sachlichen Bemessungsgrundlage sollte die Gemeindewirtschaftssteuer durch die Einführung einer Mindestgewinnbesteuerung erhalten, die im Korb II für das Einkommensteuergesetz (§ 10d EStG) diskutiert wurde und eine entsprechende Regelung in § 10a GemWiStG erhalten sollte. Die vorgesehene Begrenzung der Verlustverrechnung auf die Hälfte des laufenden Betriebsertrags führt zu einer Verstetigung der Steuereinnahmen, ohne dass der Verlustvortrag – wie es andere Steuer86

Gewerbesteuer – quo vadis?

systeme vorsehen – abgeschnitten wird. Durch einen Sockelbetrag von 100 000 Euro bleiben insbesondere kleine und mittelständische Betriebe von der Begrenzung des Verlustabzugs ausgenommen. Eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und eine erhebliche Vereinfachung des Steuerrechts sollte durch die Versagung der Abziehbarkeit der Gemeindewirtschaftssteuer von ihrer eigenen Bemessungsgrundlage und von der Bemessungsgrundlage für die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 11 EStG) erreicht werden. Eine Kompensation dieser Einschränkung sollte bei Personenunternehmen jedoch durch eine Erweiterung der Anrechnungsmöglichkeit nach § 35 EStG erreicht (vgl. unten) werden. Die Veräußerungsgewinne von Einzelunternehmen und Mitunternehmerschaften sollten vollständig in die Bemessungsgrundlage der Gemeindewirtschaftssteuer einbezogen werden. Damit erfolgt eine Gleichstellung von Veräußerungsgewinnen bei Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen. Im Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetz wurde lediglich eine gewisse Annäherung zur Vermeidung von Missbräuchen erreicht. Bei der Organschaft sollte eine Angleichung der gemeindewirtschaftssteuerlichen Vorschriften an die körperschaftsteuerlichen Vorschriften hinsichtlich der Berücksichtigung vororganschaftlicher Verluste der Organgesellschaft erfolgen. Das bedeutet, dass vororganschaftliche Verluste während der Organschaft auf der Ebene der Organgesellschaft nicht mehr wie bisher bei der Gewerbesteuer verrechnet werden können, sondern bis zum Ende der Organschaft unberücksichtigt bleiben. Die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 1 Satz 1 GemWiStG erfährt schließlich materiell in zweifacher Hinsicht eine Korrektur: Zum einen scheidet eine Kürzung aus, wenn der Grundbesitz von der Grundsteuer freigestellt ist. In diesem Falle bedarf es keiner Korrektur, weil eine Doppelbelastung mit Gemeindewirtschaftssteuer und Grundsteuer ausgeschlossen ist. Zum anderen wird die erweiterte Kürzung auf solchen Grundbesitz beschränkt, der Wohnzwecken dient. Diese Regelung dient der Vermeidung von Gestaltungen, mit denen der Ausschluss der erweiterten Kürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 6 GewStG bisher durch die Einschaltung von Tochter- und Schwestergesellschaften umgangen worden ist. –

Tarif

Im tariflichen Bereich sind die folgenden Maßnahmen zu nennen: –

Der Staffeltarif wird abgeschafft.



Der Freibetrag für natürliche Personen und Personengesellschaften wird auf 25 000 Euro angehoben und ab einem den Betrag von 25 000 Euro übersteigenden Betriebsertrag abgeschmolzen.



Die Steuermesszahlen werden auf einheitlich 3 % gesenkt.

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Gert Müller-Gatermann



Die Gemeinden werden verpflichtet, eine Gemeindewirtschaftssteuer mit einem Hebesatz von mindestens 200 % zu erheben. Die Regelung vermeidet gravierende regionale Verwerfungen bei der Besteuerung mit der Gemeindewirtschaftssteuer; sie sollte die hierfür im Steuervergünstigungsabbaugesetz getroffene Regelung4 mit Rücksicht auf festgestellte Umgehungsmöglichkeiten ablösen.



Sonstiges:

§ 35 EStG, der die Anrechnung der Gemeindewirtschaftssteuer auf die Einkommensteuer erlaubt, soll in dreifacher Hinsicht geändert werden. Zunächst ist die Vorschrift anwendbar auf Einkünfte aus selbständiger Arbeit, nachdem diese in die Gemeindewirtschaftssteuerpflicht einbezogen worden sind. Die Ermäßigung der Einkommensteuer wird ferner vom bisher 1,8fachen auf das 3,8fache des Steuermessbetrags angehoben, um das Abzugsverbot der Gemeindewirtschaftssteuer zu kompensieren. Schließlich übersteigt die Anrechnung nicht mehr die tatsächlich festgesetzte Gemeindewirtschaftssteuer, so dass es nicht mehr zu einer Überkompensation kommt. Eine weitere Stabilisierung des Aufkommens außerhalb der neuen Gemeindewirtschaftssteuer wird durch die Anhebung des gemeindlichen Anteils am Umsatzsteueraufkommen von 2,2 % auf 3,6 % angestrebt. 2. Die finanziellen Auswirkungen für Gemeinden und Steuerpflichtige Die Gemeindewirtschaftssteuer hätte den Gemeinden gegenüber dem damals geltenden Recht eine Steigerung des Aufkommens von 2,782 Mrd. € im Entstehungsjahr 2004 gebracht. Im Vergleich dazu hätte das KommunalModell in der zuletzt modifizierten Version, die durch einen gemilderten Abbau des Freibetrags bei Personenunternehmen unerwünschte Mehrbelastungen bei Personenunternehmen mit kleinen und mittleren Einkommen vermeiden sollte, ein Mehraufkommen von 2,634 Mrd. € gebracht. Die von den Kommunen gewünschte Stabilisierung der Kommunaleinnahmen ist bei der Gemeindewirtschaftssteuer ebenfalls durch die Verbreiterung der personellen und sachlichen Bemessungsgrundlage sowie die Erhöhung des Umsatzsteueranteils für die Gemeinden gewährleistet. Auch wenn der damalige Regierungsentwurf zur Vermeidung einer Substanzbesteuerung weitgehend auf Hinzurechnungen verzichtet, ist allein die sachliche Bemessungsgrundlage durch andere stabilisierende Faktoren, wie insbesondere das Abziehverbot für die Gemeindewirtschaftssteuer und die Kor-

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BStBl. I 2003, 318.

Gewerbesteuer – quo vadis?

rekturen im Zusammenhang mit der Verlustverrechnung und der Gesellschafterfremdfinanzierung, deutlich aufgewertet worden. Die Übernahme der Selbständigen i. S. d. § 18 EStG in die Gemeindewirtschaftssteuer trägt ebenso wie im Kommunal-Modell zur nachhaltigen Stabilisierung des Aufkommens bei, da insbesondere die freiberufliche Tätigkeit von Rechtsanwälten, Steuerberatern und Ärzten weniger konjunkturreagibel ist. Nach alledem ist kaum verständlich, dass die kommunalen Spitzenverbände den Regierungsentwurf kritisiert haben. Das Verhalten der Kommunen lässt lediglich den Schluss zu, dass hier ein Idiologienstreit geführt wird. Die von den Kritikern der Gemeindewirtschaftssteuer vorgebrachte Behauptung, große Kapitalgesellschaften würden im Verhältnis zu kleinen und mittleren Personenunternehmen bevorzugt, ist nicht zutreffend. Unter Berücksichtigung aller Steuerarten werden Kapitalgesellschaften nach dem damaligen Regierungsentwurf mit knapp 1,3 Mrd. Euro im Entstehungsjahr 2004 mehr belastet. Diese Mehrbelastung fällt deutlich höher aus als im Kommunal-Modell (+ 810 Mio. Euro). Einzelunternehmen werden im Verhältnis zum geltenden Recht fast durchgängig entlastet; bei Personengesellschaften hängt die finanzielle Auswirkung von der Gesellschafterstruktur ab. Bei Gemeinden mit Hebesätzen über 411 % kann es zu geringfügigen Mehrbelastungen kommen, die aber bei Einzelunternehmen in der Regel 2,8 % der bisherigen Steuerschuld nicht übersteigen. Darüber hinaus muss daran erinnert werden, dass mit der Erweiterung der Steuerpflicht gerade die erforderliche Stabilisierung des kommunalen Aufkommens erreicht werden sollte, die die bisherige Gewerbesteuer als Großbetriebssteuer verloren hatte. 3. Die Einordnung in die Unternehmensbesteuerung Mit der Orientierung an der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und der Abkehr vom Äquivalenzprinzip schafft die Gemeindewirtschaftssteuer die Eingliederung in ein international wettbewerbsfähiges deutsches Steuerrecht. Der damalige Regierungsentwurf folgt daher der Leitlinie aus der Steuerreform in der vorletzten Legislaturperiode, nach der die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft erhöht werden sollte. Erreicht wird dieses Ergebnis insbesondere dadurch, dass im Unterschied zum Kommunal-Modell auf die Hinzurechnung von ertragsunabhängigen Elementen in die Bemessungsgrundlage sowie die Doppelbelastung bei Mieten und Pachten etc. verzichtet wird. Die Besteuerung von Kostenelementen führt insbesondere in Krisenzeiten zu einer dramatischen Verschlechterung bei den Unternehmen und damit zu ökonomisch unsinnigen Ergebnissen. Der zur Rechtfertigung von Hinzurechnungen häufig vorgebrachte Einwand, es gehe nunmehr nicht um eine Unternehmensteuerreform, sondern um eine Reform der Kommunalfinanzen, verkennt, dass eine Reform der Kom89

Gert Müller-Gatermann

munalfinanzen auch die Unternehmensbesteuerung betrifft und nicht isoliert gesehen werden kann. Reform der Kommunalfinanzen und Unternehmensteuerreform sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Die Gemeindewirtschaftssteuer schafft eine Verbreiterung der sachlichen Bemessungsgrundlage u. a. durch gezielte Maßnahmen gegen missbräuchliche Gestaltungen, ohne durch undifferenzierte Hinzurechnungen wie beim Kommunal-Modell das Kind mit dem Bade auszuschütten. Diese gezielten Maßnahmen in der Gemeindewirtschaftssteuer entsprechen weitgehend den Maßnahmen, die auch für Zwecke der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer geboten sind, so dass sich die Bemessungsgrundlagen für alle drei Steuerarten angleichen. Diese Angleichung der Bemessungsgrundlagen würde ein höheres Maß an Vereinfachung5 und weniger Steuerwiderstand bedeuten. Die dargestellte Verbesserung im Rahmen der Unternehmensbesteuerung erhöht die Standortqualität Deutschlands in erheblichem Maße. Bisher hat jedenfalls die Gewerbesteuer ausländische Investoren im Wettbewerb der Steuersysteme nicht positiv eingenommen. Die Perspektive für diejenigen, die – wie es von der Brühler Kommission einmal angedacht worden ist – in Richtung einer vollständigen Integration der Gewerbesteuer in eine Unternehmensbesteuerung denken, würde erhalten bleiben. 4. Die verfassungsmäßige Beurteilung Gegen die neue Gemeindewirtschaftssteuer bestehen keine finanzverfassungsrechtlichen Bedenken: Mit der Streichung des Realsteuerbegriffs durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 20. Oktober 1997 und Ersetzung durch die Begriffe „Grundsteuer und Gewerbesteuer“ hat der Grundgesetzgeber klar erkennen lassen, dass er den Realsteuercharakter nicht länger als notwendiges Wesensund Abgrenzungsmerkmal der Gewerbesteuer zu den übrigen in Art. 106 GG genannten Steuerarten – insbesondere auch zur Einkommen- und Körperschaftsteuer – ansieht. Dem Gewerbesteuergesetzgeber wurde damit nach Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer im Hinblick auf weitere Reformschritte zur Entwicklung neuer Formen der Gewerbesteuer ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt. Die Gemeindewirtschaftssteuer ist vom objektiven Regelungsgehalt des Gewerbesteuerbegriffs in Art. 106 Abs. 6 GG umfasst. Sie überschreitet daher nicht den dem Gesetzgeber bei der Erschließung von Steuerquellen zustehenden Entscheidungsspielraum. Sie bleibt gegenüber der Einkommen-

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Ebenso Jachmann, HWWA 2003, 568.

Gewerbesteuer – quo vadis?

steuer/Körperschaftsteuer auch abgrenzbar, so dass die Ertragshoheit weiterhin eindeutig geregelt ist. Zur Einbeziehung der sog. Freien Berufe in die Gemeindewirtschaftssteuer ist Folgendes festzustellen: Das Bundesverfassungsgericht6 hat zu der im bisherigen Gewerbesteuergesetz vorgenommenen Unterscheidung von Gewerbetreibenden und Freien Berufen festgestellt, dass die gewerbesteuerpflichtige selbständige Berufsausübung schon bisher die Regel ist, die Gewerbesteuerfreiheit die Ausnahme. Zur Gewerbesteuerbefreiung für die Freien Berufe hat das Gericht auf die Gestaltungsfreiheit des Gewerbesteuer-Gesetzgebers verwiesen. Im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung während der letzten Jahrzehnte haben sich die Berufsbilder der Gewerbetreibenden und der übrigen selbständig Tätigen gegeneinander so angenähert, dass sie sich vielfach überschneiden und die Abgrenzung voneinander immer schwieriger und streitanfällig geworden ist. Angehörige der freien Berufe üben ihre Erwerbstätigkeit in immer größerem Umfang in Formen aus, wie sie früher nur bei Gewerbebetrieben üblich waren. Große Arzt- und Rechtsanwaltspraxen beispielsweise beschäftigen eine Vielzahl von – auch akademisch vorgebildeten – Angestellten, kleine Handwerks- und kaufmännische Betriebe werden dagegen häufig vom Betriebsinhaber allein und ohne Personal betrieben. Die Besteuerungsgerechtigkeit und der Grundsatz eines möglichst einfachen Steuerrechts ohne unnötige Abgrenzungsschwierigkeiten gebieten eine steuerliche Gleichbehandlung beider Gruppen von Erwerbstätigen. Aus diesem Grund wird die Unterscheidung der beiden Gruppen für die Zwecke der Erhebung der Gemeindewirtschaftssteuer aufgegeben. Die Gemeindewirtschaftssteuer bezieht künftig die Einkünfte beider Berufsgruppen in ihre Besteuerungsgrundlage ein und behandelt sie gleich. Mit Rücksicht auf die Freien Berufe wird die im damaligen Regierungsentwurf neu gestaltete Gewerbesteuer „Gemeindewirtschaftssteuer“ genannt. Der Charakter als Gewerbesteuer ändert sich dadurch nicht, weil das Grundgesetz den Begriff „Gewerbe“ (etwa auch in Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) nach Wertung des Bundesverfassungsgerichts in einem umfassenden Sinne verwendet.

IV. Gesetz zur Änderung der Gewerbesteuer und anderer Gesetze Der Deutsche Bundestag7 veränderte den Vorschlag der damaligen Bundesregierung für eine Gemeindewirtschaftsteuer insbesondere wieder durch die

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BVerfGE 46, 224 (242). BR-Drucks. 736/03.

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Gert Müller-Gatermann

Aufnahme ertragsunabhängiger Elemente. Der Deutsche Bundesrat8 widersprach dem jedoch mit dem Einwand, man könne den Unternehmen nicht ihre ökonomische Substanz nehmen. Im Vermittlungsverfahren konnte man sich nicht auf eine durchgreifende Veränderung bei der Gewerbesteuer verständigen. Der geänderte Titel „Gesetz zur Änderung der Gewerbesteuer und anderer Gesetze“ macht bereits deutlich, dass es sich bei der gefundenen Lösung nicht um eine wirkliche Reformmaßnahme handelt. Die einzelnen Änderungen zielen auf der Basis des geltenden Gewerbesteuergesetzes lediglich auf die Verbesserung der Finanzsituation der Kommunen ab. Zum einen wurde die Gewerbesteuerumlage auf das Niveau vor dem Steuersenkungsgesetz zurückgeführt. Die Änderungen, die die Unternehmen tangiert, lassen sich wie folgt zusammenfassen: –

Die Einschränkungen beim Verlustvortrag für die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer sollen auch für die Gewerbesteuer gelten. Danach können Fehlbeträge aus früheren Erhebungszeiträumen künftig auch nur noch bis zu 1 Mio. € uneingeschränkt mit dem positivem Gewerbeertrag verrechnet werden. Höhere Fehlbeträge sind bis zu 60 % verrechenbar.



Daneben wirkt sich die geänderte Rechtslage bei der sog. GesellschafterFremdfinanzierung auf die Gewerbesteuer aus. Bisher unterlagen derartige Vergütungen beim Schuldner nur der hälftigen Hinzurechnung als Dauerschuldzinsen. Künftig kommt es zur vollen Berücksichtigung der verdeckten Gewinnausschüttungen im Rahmen der Gewinnermittlung.



Weiterhin soll es zur vollen Angleichung der Organschaftsregelungen im Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuerrecht kommen. Fehlbeträge, die eine Organgesellschaft aus Zeiten vor Begründung der Organschaft hat, dürfen – wie im Körperschaftsteuerrecht – nicht mit laufenden Gewinnen der Gesellschaft verrechnet werden.



Schließlich wird ein Mindesthebesatz von 200 % eingeführt, der die im Steuervergünstigungsabbaugesetz gerade erst beschlossenen Regelungen in dieser Richtung ablöst, weil sich diese Regelungen sehr schnell als gestaltungsanfällig erwiesen haben.

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BT-Drucks. 15/1664.

Gewerbesteuer – quo vadis?

V. Ausblick Auch wenn das Gewerbesteueraufkommen in jüngster Zeit deutlich angestiegen ist und dadurch insbesondere die wirtschaftstarken Gemeinden profitiert haben, so bestehen die strukturellen Mängel der Gewerbesteuer fort. Diese tragen unter anderem dazu bei, dass die Unternehmenssteuerbelastung in Deutschland im internationalen Vergleich zu hoch ist und daher die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts trotz durchaus positiver Standortkriterien (politische Stabilität, gute Infrastruktur, guter Ausbildungsstand der Arbeitskräfte etc.) insgesamt leidet. Die Große Koalition hat sich vor diesem Hintergrund verständigt, im Rahmen einer Unternehmenssteuerreform auch über einen Ersatz der Gewerbesteuer durch eine wirtschaftskraftbezogene kommunale Unternehmensbesteuerung mit Hebesatzrecht nachzudenken, „die administrativ handhabbar ist, den Kommunen insgesamt ein stetiges Aufkommen sichert, die interkommunale Gerechtigkeit wahrt und keine Verschiebung der Finanzierung zu Lasten der Arbeitnehmer vorsieht“. Gleichzeitig sieht der Koalitionsvertrag vor, auch die Grundsteuer neu zu regeln. Angesichts dieser Vorstellungen gilt es, die Brühler Empfehlungen für eine rechtsformneutrale Unternehmensbesteuerung fortzuentwickeln und die Gewerbesteuer darin zu integrieren. Die Stiftung Marktwirtschaft kommt diesem Ziel mit ihrem Vorschlag einer rechtsformneutralen Unternehmenssteuer für Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften nach dem Körperschaftssteuerregime und einem Viersäulenmodell als Ersatz für die Gewerbesteuer am nächsten. Das Viersäulenmodell stellt sich im Einzelnen wie folgt dar: –

Von der Unternehmenssteuer erfasst werden alle Gewinneinkünfte. Diese Unternehmenseinkünfte unterliegen nicht nur der Unternehmenssteuer, die auf Unternehmensebene an die Stelle der bisherigen Einkommensteuer und Körperschaftssteuer tritt, sondern auch die Kommunen erhalten das Recht, auf die Bemessungsgrundlage dieser Steuer eine eigene kommunale Unternehmenssteuer mit einem durchschnittlichen Satz von 6 % zu erheben.



Aus dem unternehmerischen Bereich erhält die Betriebsstättenkommune daneben einen durchschnittlichen Anteil zwischen 1,6 % und 2 % an der örtlichen Lohnsumme aus den Unternehmen und den Behörden. Der Gemeindeanteil an der Lohnsumme soll mit der abzuführenden Lohnsteuer des Unternehmens verrechnet werden.



Als weitere Säule zur Finanzierung der Kommunen dient die so genannte Bürgersteuer. Hiernach erhält die Wohnsitzkommune das Recht, auf das zu versteuernde Einkommen des Bürgers (nicht des Unternehmens) statt des bisherigen anonymen Anteils an der Einkommensteuer von 15 % eine eigene Steuer nach einem eigenen Hebesatz zu erheben. 93

Gert Müller-Gatermann



Als letzte Säule dient schließlich die Grundsteuer, die nach einem Vorschlag der Länder Reinland-Pfalz und Bayern zu einer Gebäudewertsteuer nach realen Wertverhältnissen umgestaltet werden soll.

Das Viersäulenmodell der Stiftung Marktwirtschaft kann insgesamt als viel versprechender Lösungsvorschlag angesehen werden. Es trägt vor allem der Entwicklung Rechnung, dass die Finanzierung der Kommunen nicht einseitig von der gewerblichen Wirtschaft – und dabei den Großunternehmen – getragen werden kann. Vielmehr wird sie im Sinne einer neuen Äquivalenz auf mehr Schultern verteilt. Die kommunale Unternehmenssteuer berücksichtigt zu Recht den Einwand, dass die ertragsunabhängigen Bestandteile der bisherigen Gewerbesteuer heute nicht mehr begründbar sind. Dadurch, dass die Bemessungsgrundlage für die Unternehmenssteuer und die kommunale Unternehmenssteuer identisch ist, tritt zusätzlich eine erhebliche Vereinfachung ein. Gleichzeitig werden die Aufkommenseinbußen durch die Streichung der ertragsunabhängigen Bestandteile zumindest teilweise dadurch ausgeglichen, dass die personelle Bemessungsgrundlage erheblich verbreitert und stabilisiert wird. Die Lohnsteuersäule stärkt das Band zwischen Kommune und Betrieb, so dass weiterhin ein Interesse der Kommunen an der Ansiedlung von Betrieben besteht. Der Verzicht auf ein Hebesatzrecht bei dieser Säule erscheint angesichts der Hebesatzrechte bei allen übrigen Säulen entbehrlich; gleichzeitig wird verhindert, dass die Lohnnebenkosten zusätzlich steigen, soweit eine volle Verrechnung mit der abzuführenden Lohnsteuer des Unternehmens nicht zugelassen werden kann. Die Bürgersteuer mit Hebesatzrecht verbessert die Transparenz bei den Kommunalfinanzen und erzwingt dadurch eine größere Effizienz der Kommunalverwaltung. Gleichzeitig gibt die Bürgersteuer mit Hebesatzrecht wirtschaftsschwachen Gemeinden mehr Flexibilität zur Verbesserung ihrer Finanzen. Vor dem Hintergrund der dargestellten Vorteile sind die – beherrschbaren – Erschwernisse bei der Verwaltung gegenüber dem Status quo hinnehmbar. Die vorgesehene Erhebung der Grundsteuer auf Grund realer Wertverhältnisse ist ein deutlicher Fortschritt. Die Einschränkung, wonach die Grundsteuer aufkommensneutral reformiert werden soll, nimmt Rücksicht auf die Vielzahl der Mieter, auf die die Grundsteuer im Mietvertrag regelmäßig überwälzt wird. Mit Rücksicht auf den Finanzierungsbedarf der Kommunen und die Tatsache, dass Eigentümer und Mieter gleichermaßen stark von der Infrastruktur der Gemeinde profitieren, sollte ein höheres Aufkommen durch die Grundsteuer jedoch kein Tabu sein. Die Hauptschwierigkeit bei der Verständigung über einen Ersatz der Gewerbesteuer nach dem Viersäulenmodell wird darin bestehen, dass zwar die Unternehmen entlastet worden sind und das Aufkommen der Kommunen hin94

Gewerbesteuer – quo vadis?

reichend gesichert und stabilisiert sein dürfte, die Verbesserungen aber insgesamt – trotz Verzicht der Kommunen auf den Umsatzsteueranteil – zu Lasten von Bund und Ländern gehen. In dieser Situation könnte eine Lösung darin gesehen werden, dass die Steuerpflicht der Kommunen im Wettbewerb mit der privaten Wirtschaft ernster genommen wird als bisher. Dies betrifft insbesondere den steuerlichen Querverbund und die Abfallentsorgung. Hierdurch könnte gleichzeitig die (echte) Privatisierung vorangetrieben werden mit der Folge von Investitionsanreizen und mehr Wachstum. Nach den Erfahrungen mit der Gewerbesteuer sollte ein Korridor für die Hebesatzrechte der Kommunen erwogen werden.

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Albert J. Rädler

Gedanken zur deutschen Steuerreform zu Beginn 2006 Inhaltsübersicht I. Einkommensteuer II. Besteuerung der Personengesellschaften III. Körperschaftsteuer im europäischen Raum IV. Scheduläres Einkommensteuersystem als Teillösung für den Europäischen Binnenmarkt ohne Steuerharmonisierung V. Abgeltungssteuern zur Steuervereinfachung

VI. Einführung einer Quellensteuer für Ausländer auf inländische Zinsen VII. Gewerbesteuer VIII. Grundsteuer IX. Besteuerung der Aufsichtsratsvergütungen X. Erbschaft- und Schenkungsteuer XI. Beschleunigung des Steuerverfahrens und Verbesserung der Steuerstatistik XII. Schlussbemerkungen

Seit der gemeinsamen Zeit im Steuerseminar von Ottmar Bühler Anfang der 60er Jahre kenne und schätze ich das besondere Interesse von Arndt Raupach an den Fragen der nationalen und internationalen Steuerpolitik. Der Ausgang der Bundestagswahl hat zweifellos auch einige großartige Pläne im Steuerrecht zurückgestellt. Die zukünftigen Steueränderungen in der ersten Hälfte der großen Koalition werden sich daher zunächst mehr auf Einzelpunkte beschränken, die der Schließung von Steuerlücken und vielleicht auch der Steuervereinfachung dienen sollen. Die Grundtendenz sollte eine weitere Senkung der Spitzensteuersätze, vor allem bei der Körperschaftsteuer sein; diese soll vor allem aus der Abschaffung von Steuervergünstigungen finanziert werden. Ich halte es für zweifelhaft, ob das Ziel der rechtsformneutralen Steuerreform sich realisieren lässt. Inzwischen sind die OECD-Zahlen allgemein anerkannt, wonach Deutschland seit Jahren eine der niedrigsten Steuerquoten Europas hat, allerdings bei den Sätzen der Unternehmenssteuern an der Spitze steht. Unsere Finanzprobleme liegen unbestritten bei den Sozialabgaben. Daneben muss Europa eine der Hauptbaustellen unseres Steuerrechts werden. Im folgenden werden eine Reihe von Punkten angeführt, bei denen meines Erachtens dringend Reparaturen im deutschen Steuerrecht notwendig sind. Sie beziehen sich hauptsächlich auf die Einkommen- und Ertragsteuern.

I. Einkommensteuer Bei der Einkommensteuer wird es sicherlich nicht zum Big Bang im ersten und zweiten Jahr der neuen Legislaturperiode kommen; auch in der zweiten 97

Albert J. Rädler

Hälfte der Legislaturperiode halte ich dies für nicht sehr wahrscheinlich. Ich bin mir nicht mehr sicher, dass die vorgeschlagenen Änderungen, die zu Zeiten der Rot-Grünen Koalition im Bundesrat stecken geblieben sind, in voller Höhe neu ein- und durchgebracht werden. Der Abbau der Steuervergünstigung wird weiter gehen. Dabei wird verstärkt der Begriff der Steuervergünstigung diskutiert werden. Eine vertretbare Abschreibung kann auch degressiv sein; darin sehe ich keine Steuervergünstigung. Ebenso ist auch in der Entfernungspauschale dem Grunde nach keine Steuervergünstigung zu sehen, wenn man m. E. zu Recht davon ausgeht, dass (wie bei der Berufsgenossenschaft) die Arbeit bereits an der Haustür und nicht erst am Fabriktor beginnt. Die steuerfreien Lohnzuschläge sind dagegen eindeutig Steuervergünstigungen. Am besten werden sie zusammen mit anderen Vergünstigungen, die mehr den Unternehmer treffen, über einen Zeitraum von mehreren Jahren abgeschafft, wobei die Arbeitstarife dann dem Steuervorteil entsprechend anzupassen sind. Die Zahl der Einkunftsarten wird wahrscheinlich dadurch reduziert, dass die freiberufliche Tätigkeit mit der gewerblichen zusammengefasst und damit in die Gewerbesteuer einbezogen wird. Damit würde ein überraschend hoher Anteil der streitigen Gerichtsfälle verschwinden. Die Abschreibungsgesellschaften der verschiedensten Arten werden sicherlich weiter abgebaut. Am einfachsten ginge dies durch meinen Vorschlag, die Verlustübernahme immer dann zu versagen, wenn der Unternehmer seine Haftung beschränkt und damit Körperschaftsteuer auslöst. In Frankreich und in anderen Staaten ist dies von jeher das bewährte Prinzip (s. u.). Wichtig erschiene mir auch eine Regelung, die bei bisherigen Überschusseinkünften dem Fiskus eine Besteuerung im Wege des Vermögensvergleichs ermöglicht. Damit würde sich der Anwendungsbereich von vielen Bankprodukten erübrigen. Diese Regel würde z. B. auch dann gelten, wenn hoch bezahlte Arbeitnehmer sich ihre Vergütung erst in späteren Jahren auszahlen lassen. Einige weitere Vorschläge, die auch die Einkommensteuer berühren, sind in den folgenden vier Sonderpunkten aufgeführt. Es handelt sich um die Besteuerung der Personengesellschaften, die Körperschaftsteuer im europäischen Raum, ein scheduläres Einkommensteuersystem und die Bedeutung der Abgeltungsteuer.

II. Besteuerung der Personengesellschaften Deutschland ist seit langem ein Land der Personengesellschaften. Als Ergebnis jahrzehntelanger Gesetzgebung und Rechtsprechung auf den verschiedenen Gebieten gilt dies insbesondere für den mittleren und oberen sog. Mittelstand. Diese Entwicklung sehe ich nicht positiv, weil sie vielfach auf haftungsausschließende atypische Gestaltungen aufbaut, die der Entwicklung eines gesunden Kapitalmarkts entgegenwirken. Natürliche Personen, die zu 98

Gedanken zur deutschen Steuerreform zu Beginn 2006

einer Familie oder auch zu einem eingeschränkten Investorenkreis gehören, sind heute in Deutschland langfristig regelmäßig besser gestellt, wenn sie ihr in Deutschland belegenes Unternehmen als Personenunternehmen und nicht als Kapitalgesellschaft organisieren. Dies ergibt sich aus folgendem Belastungsvergleich (Steuersätze immer ohne Zuschläge): –

Bei der Kapitalgesellschaft wird Gewerbesteuer und Körperschaftsteuer bei der Gewinnerzielung fällig mit einem durchschnittlichen Satz von 38 % (abhängig von der Gemeinde). Bei einer Ausschüttung des Gewinns fällt noch zusätzlich Einkommensteuer von max. 21 % auf die Dividende, d. h. auf 62 % (= 100% des Gewinns vor Steuern – 38 %) an. Für gefährlich halte ich es, das Halbeinkünfteverfahren zu reduzieren, wie vor kurzem vorgeschlagen; vermögende Investoren könnte dies zum Umzug ins Ausland veranlassen.



Beim Personenunternehmen fällt dagegen nur einmal Einkommensteuer mit max. 42 % an; die Gewerbesteuer kann inzwischen seit 2002 weitgehend auf die ESt angerechnet werden. Nur bei wirklich langfristiger Gewinneinbehaltung ist daher die Kapitalgesellschaft für im Inland ansässige natürliche Personen günstig.



Der besondere zusätzliche Anreiz der Personengesellschaft liegt in der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Für Personenunternehmen richtet sich die Bemessungsgrundlage nach den Steuerbuchwerten, wovon noch besondere Abschläge vorgenommen werden dürfen; außerdem bestehen besondere Stundungsmöglichkeiten. Stille Reserven, insbesondere der nicht ausgewiesene Goodwill, werden somit steuerfrei gelassen. Dagegen richtet sich bei börsengängigen Kapitalgesellschaften der maßgebliche Wert nach dem Börsenkurs; auch bei nichtnotierten Kapitalgesellschaften gibt das Stuttgarter Verfahren bei weitem nicht dieselben Vorteile wie bei Personenunternehmen.



Für das Personenunternehmen spricht zudem die laufende Verlustverrechnung mit dem Investor, die bei Kapitalgesellschaften nur im Sonderfall der Organgesellschaft (mit Organvertrag) gewährt wird.



Rechtlich kann das Personenunternehmen durch die Rechtsform der GmbH & Co. KG haftungsmäßig ziemlich genauso gestellt werden, wie eine Kapitalgesellschaft. Die Mindestrechte der Investoren in einer solchen GmbH & Co. KG und bei ähnlichen Gestaltungen sind eher niedriger als die in einer Kapitalgesellschaft, so dass sich derartige Formen auch gut zum sog. „Abmeiern“ von unerwünschten Familienangehörigen eignen.

Was kann man dagegen tun? Es gibt immer wieder Versuche, die sog. Unternehmenssteuer zu finden, welche die gleiche Besteuerung von Personen- und Kapitalgesellschaften 99

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sicherstellen soll. Diese Versuche sind bei uns immer wieder gescheitert (vor allem wenn man die Gleichstellung z. B. bei der Erbschaftsteuer gar nicht will). Dagegen haben Frankreich und einige andere Länder die bereits erwähnte sehr systematische Lösung gefunden, die man sich auch in Deutschland überlegen sollte. Immer dann, wenn dort der Investor seine Haftung beschränkt, unterliegt er der Körperschaftsteuer. Der Anreiz, in eine GmbH & Co. KG (bisher = Personenbesteuerung + Haftungsbeschränkung) zu gehen, ist damit beseitigt. Es gibt damit auch kaum noch Möglichkeiten zur unmittelbaren Verlustübernahme. In Frankreich findet man aus diesen Gründen kaum Kommanditgesellschaften oder Abschreibungsgesellschaften. Bei uns könnte dieser Übergang auch auf mehrere Jahre verteilt werden; so könnte z. B. im ersten Jahr ¼ des entsprechenden Gewinns oder Verlustes neu der Körperschaftsteuer unterworfen werden; ¾ werden wie bisher besteuert. Bei uns in Deutschland wird von einzelnen Personengesellschaften mit über 10 000 Investoren berichtet. Für die Finanzverwaltung muss dies ein Albtraum sein. Der Hauptgrund für den Investor bleibt meist der Vorteil der unmittelbaren Verlustübernahme.

III. Körperschaftsteuer im europäischen Raum Die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bei der Unternehmensbesteuerung ist in den letzten Jahren in den meisten Ländern gut fortgeschritten, unter dem Druck des EuGH ist das Anrechnungsverfahren durch das System des shareholder relief ersetzt worden; die Steuersätze sind teilweise dramatisch zurückgegangen. M. E. sollte man in dieser Situation grundsätzlich abwarten, was von der Europäischen Kommission im Zusammenhang mit dem Projekt der gemeinsamen Bemessungsgrundlage geplant wird. Es ergibt sich bereits, dass dabei die Bemessungsgrundlage völlig neu definiert wird, wobei sie sich stärker auf die neue handelsrechtliche Grundlage der IAS/IFRS anlehnt. Gleichzeitig erscheint mir eine europäische Regelung für die Besteuerung von Dividenden, insbesondere aus Beteiligungen im In- und Ausland dringend notwendig. Dieser Vorschlag müsste sich mit folgenden Bereichen befassen: –

Gesellschafter-Fremdfinanzierung (Thin Capitalisation)



Dividendenerträge



Abzug des laufenden Aufwands bei Beteiligungen und Aktien im Umlauf- und Anlagevermögen



Einheitliche Verlustbehandlung bei Beteiligungen und Betriebsstätten im In- und Ausland



Gruppenbesteuerung im Inland, innerhalb der EU und bei Drittländern

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M. E. wäre nach den Entscheidungen des EuGH wie Langhorst/Hohorst (C-324/00), Bosal (C-168/01) und vor kurzem Marks & Spencer (C-446/03) eine umfassende europäische Regelung eine gute Lösung. Sie müsste den DBA zwischen den Mitgliedsstaaten vorgehen. Je kleiner dabei der Spielraum der Mitgliedsstaaten ist, umso besser wäre dies für Europa.

IV. Scheduläres Einkommensteuersystem als Teillösung für den Europäischen Binnenmarkt ohne Steuerharmonisierung Unser Einkommensteuersystem wird zwar immer wieder als ein synthetisches System bezeichnet, obwohl es ein solches niemals war. Die Existenz der Einkunftsarten spricht bereits dagegen. Außerdem sind im Laufe der Zeit durch Sonderregelungen über die ursprünglichen Ziele hinaus eine Vielzahl von weiteren Einkunftsarten entstanden, für die besondere Vorschriften gelten und die jeweils einer unterschiedlichen Besteuerung unterliegen. Ausgangspunkt des synthetischen Einkommensteuersystems ist die Idee des einheitlich ermittelten Gesamteinkommens, das nach Abzug bestimmter Beträge und der persönlichen Freibeträge der Besteuerung zugrunde gelegt wird. Die vollständige Erfassung aller Kapitalgewinne ist dabei ein wesentlicher Teil dieses Systems. Die Progression soll dafür sorgen, dass die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit sicher gestellt ist. Warum wurde dieses Ziel bei uns aber nicht erreicht? Der Ausschluss von bestimmten Vermögensmehrungen vom steuerpflichtigen Einkommen und der vorzeitige Abzug von bestimmten Betriebsausgaben und sonstigen Abzugsposten führten dazu, dass das Gesamteinkommen des Steuerpflichtigen nicht mehr seinem ökonomischen Einkommen entspricht. Auch die Kunst des Steuerberaters trägt dazu bei, dass die Steuerzahlung auf ein niedrigeres Niveau gesenkt wird. Ausgehend aus dem Zwang der Nachkriegssituation, die Wirtschaft rasch wieder aufzubauen, Arbeitsplätze und Wohnungen zu schaffen, verselbständigte sich das Steuersparen zum Industriezweig. Beispielhaft wurde das fremdfinanzierte Mietshaus zur typischen Altersversorgung des Freiberuflers. Nach der Wiedervereinigung kam ein neuer Höhepunkt mit der 50 %-igen Sonderabschreibung für Investitionen in den neuen Bundesländer ohne Rücksicht auf die Finanzierung. Die Gier zum Steuersparen führte häufig zur Kapitalvernichtung. Was lässt sich dagegen machen? Im letzten Jahrzehnt hat die Steuerpolitik bereits zur weitgehenden Einschränkung der Steuersubventionen geführt. Die von mir vorgeschlagene Verbindung der Haftungsbeschränkung mit der Körperschaftsteuer könnte auch hier viel bringen. Der Höchststeuersatz ließe sich noch wesentlich weiter senken. Meines Erachtens sollte die zukünftige Steuerpolitik vor allem aus europäischer Sicht heraus darauf abstellen, dass man nur das zu besteuern ver101

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sucht, bei dem sich die Besteuerung auch durchsetzen lässt. Dies allein würde erheblich zur Steuervereinfachung beitragen. Verlustübertragungen sollten nur innerhalb der selben Einkunftsart möglich sein, wobei man diese auf wenige zusammenfassen könnte, z. B. in Gewinneinkünfte, Kapitaleinkünfte (einschließlich Vermietung und Verpachtung) und Arbeitseinkünfte.

V. Abgeltungssteuern zur Steuervereinfachung Eng mit der Vereinfachung und ebenso der Sicherstellung des Besteuerungsverfahrens ist auch die Frage der Behandlung von Zinsen, Dividenden und anderen Kapitaleinkünften verbunden. Bisher werden Zinseinnahmen, soweit sie nicht im Rahmen eines Gewerbebetriebes anfallen, im Zeitpunkt der Vereinnahmung erfasst. Die beim Investor anfallenden Kosten sind im Zeitpunkt der Zahlung abzugsfähig, allerdings nicht die der Inflation. Dividenden unterliegen dagegen dem Halbeinkünfteverfahren, wobei der Unterschied zwischen der höchstmöglichen Veranlagung mit 21 % der Dividenden (wenn keinerlei Werbungskosten vorliegen) und der Quellensteuer mit 20 % sehr gering ist. Man sollte daher dem Wunsch der Steuerpflichtigen nachkommen, sich für eine abgeltende Wirkung der Kapitalertragsteuer entscheiden zu können. In ähnlicher Weise sollte für Zinsen die bisherige Zinsabschlagsteuer von 30 auf ebenfalls 20 % gesenkt werden. Während sich bei Dividenden diese Senkung aus der Doppelbelastung mit Körperschaftsteuer und Dividendenbesteuerung ergibt, lässt sich die Senkung der Zinsbesteuerung sehr gut mit der Inflation und dem Wettbewerb auf dem internationalen Kapitalmärkten begründen. Die Versteuerung der Zinsen sollte mindestens jährlich erfolgen; erfolgt die Gutschrift der Zinsen später, so wäre eine fiktive Auszahlung anzurechnen. Auch damit wäre ein Schlupfloch geschlossen.

VI. Einführung einer Quellensteuer für Ausländer auf inländische Zinsen Deutschland ist eines der wenigen zivilisierten Länder der Welt, das Steuerausländer mit Zinserträgen aus dem Inland grundsätzlich nicht besteuert. Die Steuerwelt erfährt dies immer mit Erstaunen. M. E. müsste die vorgeschlagene Quellensteuer von 20 % auch für Steuerausländer gelten. Dabei werden Doppelbesteuerungsabkommen berücksichtigt. Zinszahlungen auf unbesteuerte Konten, z. B. in die Karibik, würden damit in Deutschland erstmals erfasst.

VII. Gewerbesteuer Das Fortbestehen der Gewerbesteuer, wenn auch reduziert, dürfte wohl die wahrscheinlichste Lösung sein. Dabei darf aber nicht übersehen werden, 102

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dass auch zwischen den Gemeinden im Inland inzwischen erste Anzeichen für einen Steuerwettbewerb zu finden sind. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass weitere Gemeinden ihre Hebesätze senken werden. Die Freiberufler sind in die Gewerbesteuer einzubeziehen und die Messzahl entsprechend um 10–20 % zu kürzen. Auch die faktische Organschaft sollte wieder eingeführt werden bei einer Beteiligung von mind. 75 %. Diese Organschaftsregelung sollte auch für Personengesellschaften gelten.

VIII. Grundsteuer Die Grundsteuer für Wohnzwecken dienenden Grundstücke ist in kaum einem Industrieland der Welt so niedrig wie bei uns. So macht die Grundsteuer in Großbritannien oder in Nordamerika leicht das Zehnfache der Belastung in Deutschland aus. Hier ist für die nächsten Jahre ein langsames Anziehen der gemeindlichen Hebesätze zu befürworten.

IX. Besteuerung der Aufsichtsratsvergütungen Aufsichtsratsvergütungen sind beim ansässigen Bezieher einkommensteuerpflichtig, bei der zahlenden Gesellschaft aber nach wie vor nur zur Hälfte abzugsfähig. Diese Behandlung geht wohl auf eine Zeit zurück, wo man davon ausging, dass sich der Aufsichtsrat vor allem zum guten Essen trifft. Corporate Governance war damals noch absolut unbekannt. Dies hat sich geändert. Heute sind sachkundige und vorantwortungsbewusste Aufsichtsräte gesucht. Ihre Vergütung muss ihrem Wissen und ihrer Erfahrung und der Verantwortung entsprechen. Die Abzugsbeschränkung bei der Gesellschaft ist daher nicht nur produktivitätshemmend, sondern widerspricht auch dem Nettoprinzip.

X. Erbschaft- und Schenkungsteuer Auf dem Gebiet der Erbschaft- und Schenkungsteuer halte ich es nicht für sinnvoll auf dem bisherigen Weg der partiellen und sektoralen Vergünstigung weiterzugehen. Dies führt zur Diskriminierung bestimmter Nachlassteile (vor allem Geldvermögen und Anteile an Kapitalgesellschaften). In vielen Staaten Europas und der Welt lässt sich der Trend feststellen, die Steuer bei direkter Linie abzubauen und sogar ganz abzuschaffen. Der Höchststeuersatz bei Steuerklasse I sollte zunächst auf maximal 15 % festgesetzt werden, dafür sollten aber viele Bewertungsvergünstigungen bei den unterschiedlichsten Wirtschaftsgütern (insbesondere Betriebs- und Grundvermögen) wegfallen.

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XI. Beschleunigung des Steuerverfahrens und Verbesserung der Steuerstatistik Die Kassenerträge der Steuerbehörden werden am Monatsende in wenigen Tagen ermittelt und veröffentlicht. Die meisten anderen Steuerdaten, vor allem für die Ertragsteuern liegen dagegen erst nach Jahren vor, manche nur mit Hilfe grober Schätzungen: –

Wie viel der Gewerbesteuer entfällt auf Einkommensteuerpflichtige und wie viel auf Körperschaftsteuerpflichtige?



Wie viel der Lohnsteuer wird wieder über die Einkommensteuer erstattet?



Wie werden die Quellensteuern für Zinsen und Dividenden von den verschiedenen Gruppen angerechnet?



Wie viel Verluste aus Abschreibungsgesellschaften werden geltend gemacht?

Dazu kommt, dass die Zahlen der Veranlagungssteuern kaum vor vier Jahren zu haben sind. Lässt sich die Steuerstatistik verbessern? Die Abgabe der Steuererklärungen und die steuerliche Veranlagungsarbeit lassen sich dadurch erheblich beschleunigen, wenn das Ergebnis von zahlreichen Mitunternehmerschaften nicht mehr abgewartet werden muss (s. o.). Schon durch den Zeitgewinn könnte der Informationsgehalt der Steuerstatistik erhöht werden. Wünschenswert wäre, die Mittel bereitzustellen, damit eine kurzfristige Veranlagung und auch statistische Verarbeitung der Steuerbescheide und anderer Informationen erfolgen kann. Möglicherweise wäre auch an einen Mikrozensus zu denken, an den nur ein ganz kleiner Teil der Steuerpflichtigen obligatorisch teilnehmen muss.

XII. Schlussbemerkungen Vor einigen Jahren hat ein hoher französischer Finanzbeamter (Inspécteur de Finance) ein vernichtendes Gutachten über das deutsche Besteuerungsverfahren, insbesondere über das Veranlagungssystem, abgegeben. Die Veranlagung sei viel zu zeitaufwendig und absolut unökonomisch. In die gleiche Richtung gingen schon früher Überlegungen aus einem deutschen Bundesland, gewisse Einkünfte wie z. B. die aus Vermietung und Verpachtung, bei denen die Verluste überwiegen, ganz aus der Einkommensteuer herauszunehmen. Diese Kritik ist grundsätzlich berechtigt. 104

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Was Deutschland nunmehr braucht, sind nicht Steuersenkungen im großen Stil, sondern wohlüberlegte Steuerumschichtungen, die auch dafür sorgen, dass Unternehmen und vermögende Mitbürger auch in Zeiten der Niederlassungsfreiheit und der Freizügigkeit gerne im Lande bleiben. Dazu ist Kreativität insbesondere zum Abbau von Subventionen gefragt. Dabei darf auch nicht vor heiligen Kühen Halt gemacht werden: Dazu zähle ich beispielsweise auch das Splitting-System oder die Sonderbesteuerung der Beamtenvergütungen einschließlich des Privilegs, dass der Beihilfenschutz im öffentlichen Dienst nicht der Einkommensteuer unterliegt. Dabei darf man auch vor der Erfindung neuer Steuern nicht zurückschrecken. Nicht die großen Steuern sind weiter zu entwickeln, sondern umgekehrt sind die großen Steuern zurückzuführen, falls dies der Binnenmarkt erfordert. Man folgte nicht der globalen Einkommensteuer, sondern der schedulären Besteuerung. Man besteuerte das, was man als Einkommensquelle gut erfassen kann. Die Entwicklung hin zur Schedularbesteuerung ist m. E. der Preis für die unterbliebene Steuerharmonisierung.

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Datenabruf bei der sog. Kontenevidenzzentrale für steuerliche Zwecke Inhaltsübersicht I. Einführung II. Verfassungsrechtliche Grundlagen und Schranken des Kontenabrufs 1. Spannungsverhältnis zwischen dem Informationsbedürfnis der Finanzverwaltung und dem Schutzinteresse des Bürgers 2. Auftrag zur strukturellen Sicherung der Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 20 Abs. 3, 3 Abs. 1 GG) 3. Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) III. Verfassungsrechtliche Beurteilung des sog. Kontenabrufs nach §§ 93 Abs. 7, 93b AO i.V. mit § 24c KWG 1. Übermaßverbot

2. Untermaßverbot 3. Bestimmtheitsgebot IV. Der Kontenabruf im Kontext des Gemeinschaftsrechts 1. Zinsrichtlinie 2003/48/EG vom 3. 6. 2003 bei grenzüberschreitenden Kapitalanlagen 2. Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EGV) als Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot 3. Gemeinschaftsrechtliches Untermaßverbot V. Reformalternativen 1. Automatische Mitteilung der Jahresbescheinigungen i. S. des § 24c EStG an das Bundeszentralamt für Steuern 2. Modell einer sog. Abgeltungssteuer

I. Einführung „Niedergang des deutschen Einkommensteuerrechts, Möglichkeiten der Neubesinnung“, so fragte Arndt Raupach in einer umfassenden Bestandsaufnahme vor mehr als zwanzig Jahren auf dem Symposion aus Anlass des 50jährigen Bestehens des Instituts für Steuerrechts der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster am 1. 10. 19841. Klarsichtig beschrieb er dort das Einwirken der drei Staatsgewalten auf den damals geltenden Rechtszustand. Seine Kritik richtete sich nicht einfach nur an den Gesetzgeber, sondern auch an die Finanzverwaltung und Rechtsprechung. Dieter Birk beanstandete in seiner Einführung auf dem Symposion das Fehlen einer wissenschaftlichen Lehre von der Gesetzgebung, einer Gesetzgebungslehre für das Steuerrecht2. Seitdem ist viel geschehen. Die Steuerrechtswissenschaft hat

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A. Raupach, in D. Birk (Hrsg.), Niedergang oder Neuordnung des deutschen Einkommensteuerrechts?, Bd. I, Köln 1985, 15–132. D. Birk (Fn. 1), a. a. O., 4 f.

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das Steuerrecht in weiten Teilen rechtsdogmatisch durchdrungen3. Die Steuerwissenschaften haben mittlerweile eine Mitverantwortung für die Zukunft der Gesetzgebung übernommen. Den Anfang machte Joachim Lang mit zwei richtungsweisenden Entwürfen4. Auf bemerkenswert breiter Front sind weitere Gesetzentwürfe gefolgt5. Der Gesetzgeber hat diese Arbeiten bisher jedoch (noch) nicht aufgegriffen. Es besteht für ihn allerdings kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Die normative Qualität der deutschen Einkommensteuer hat sich nicht verbessert, sondern wohl leider weiter verschlechtert. Zudem ist das gesetzgeberische Handeln in den letzten beiden Jahrzehnten zunehmend in den Fokus der Gerichtsbarkeiten geraten, welche steuerrechtswissenschaftliche Erkenntnisse aufnehmen. Dies gilt insbesondere für das BVerfG, dem Arndt Raupach im Jahre 1984 noch ein schlechtes Zeugnis ausstellen musste6. Das BVerfG untersucht die einkommensteuerlichen Be- und Entlastungen nunmehr am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG auf ihre Systemkonsequenz und Folgerichtigkeit7. Ausdruck dieses Konsequenzgebots ist die weitreichende Forderung, dass die normative

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So insbesondere die umfassende Entfaltung einer Steuerrechtsordnung durch K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I–III, Köln 1993 (Bd. I und II mittlerweile in 2. Aufl., Köln 2000 und 2003). J. Lang, Reformentwurf zu Grundvorschriften des Einkommensteuergesetzes, Münsteraner Symposion (siehe Fn. 1), Bd. II, Köln 1985; ders., Entwurf eines Steuergesetzbuchs, BMF-Schriftenreihe, Bd. 49, Bonn 1993. P. Kirchhof/K. Altehoefer/H.-W. Arndt/P. Bareis/G. Eckmann/R. Freudenberg/M. Hahnemann/D. Kopei/F. Lang/J. Lückhardt/E. Schutter, Karlsruher Entwurf zur Reform des Einkommensteuergesetzes, DStR 2001, 917. Der Karlsruher Entwurf ist nun aufgegangen in: P. Kirchhof, Einkommensteuer – Gesetzbuch, Ein Vorschlag zur Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer, Schriftenreihe des Instituts für Finanz- und Steuerrecht, Forschungsgruppe Bundessteuergesetzbuch, Bd. 2, Heidelberg 2003, passim (unter Mitarbeit von B. Bippus, T. Eisgruber, A. Ehrhardt-Rauch, C. Fischer, F. Knaupp, H. Kube, U. Palm, R. Peuker, G. Rauch, C. Seiler, A. Statkiewicz); M. Rose, Die Einfachsteuer: „Das Gesetz“, in ders. (Hrsg.), Reform der Einkommensbesteuerung in Deutschland, Heidelberg 2002; Berliner Entwurf der FDP, Die neue Einkommensteuer, hrsg. v. H. O. Solms, Berlin 2003; J. Mitschke, Erneuerung des deutschen Einkommensteuerrechts, Köln 2004; M. Elicker, Entwurf einer proportionalen Netto-Einkommensteuer, Köln 2004; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Flat Tax oder Duale Einkommensteuer? – Zwei Entwürfe zur Reform der deutschen Einkommensbesteuerung, Gutachten, Berlin 2004, J. Lang/N. Herzig/J. Hey/H.-G. Horlemann/J. Pelka/H.-J. Pezzer/R. Seer/K. Tipke, Kölner Entwurf eines Einkommensteuergesetzes, Köln 2005. A.Raupach (Fn. 1), a. a. O., 71. BVerfG-Urt. v. 27. 6. 1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, 271 – Zinsbesteuerung; BVerfG-Beschl. v. 22. 6. 1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, 136 – Vermögensteuer; BVerfG-Beschl. v. 30. 9. 1998 – 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88, 95 – Verlustverrechnung; BVerfG-Beschl. v. 29. 10. 1999 – 2 BvR 1264/90, BVerfGE 101, 132, 138 – Umsatzsteuerbefreiung; BVerfG-Beschl. v. 10. 11. 1999 – 2 BvR 2861/93, BVerfGE 101, 151, 155 – Umsatzsteuerbefreiung; BVerfG-Urt. v. 6. 3. 2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73, 126 – Alterseinkünfte; BVerfG-Beschl. v. 4. 12. 2002 – 2 BvR 400/98 u. 1735/00, BVerfGE 107, 27, 47 – doppelte Haushaltsführung.

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Gleichheit ihre Entsprechung in der strukturellen Gleichheit beim Vollzug der Einkommensteuer finden muss8. Die Steuerpflicht bestimmter Einkünfte darf daher nicht bloß auf dem Papier stehen. Der Staat darf – wie Arndt Raupach 1984 im Hinblick auf die damalige Zinsbesteuerung noch kritisch bemerken musste – Steuerhinterziehung nicht „faktisch tolerieren“9. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber das Vollzugsinstrumentarium der Finanzverwaltung in den letzten Jahren erweitert und durch das sog. Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom 23. 12. 200310 in §§ 93 Abs. 7, 93b AO den automatisierten Kontenabruf bei der sog. Kontenevidenzzentrale der Banken und Kreditinstitute eingeführt. Der erste Teil des Gesetzes beinhaltete aber zunächst das Gesetz über die strafbefreiende Erklärung – StraBEG, das unter die Vergangenheit durch Auslobung einer umfangreichen Straf- und Steueramnestie einen Schlussstrich ziehen sollte. Mit ihm habe ich mich jüngst in der Gedächtnisschrift für Christoph Trzaskalik auseinandergesetzt und bin dort zum Ergebnis seiner Verfassungswidrigkeit wegen Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG zu Lasten der steuerehrlichen Bürger gelangt11. Dies sieht das FG Köln in seinem ausführlich begründeten Beschluss vom 22. 9. 2005 ebenso12. Es hat deshalb nach Art. 100 Abs. 1 GG das BVerfG angerufen, das nun über die Frage zu entscheiden hat13. Um Wiederholungen zu vermeiden, möchte ich mich an dieser Stelle zu Ehren des Jubilars allein mit dem zweiten Teil des Gesetzes befassen, der für die Zukunft den gleichund gesetzmäßigen Steuervollzug durch die Möglichkeit eines automatisierten Kontenabrufs sicherstellen soll.

__________ 8 BVerfG-Urt. v. 27. 6. 1991 (Fn. 7), a. a. O. – Zinsbesteuerung; BVerfG-Urt. v. 9. 3. 2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94, 115 – Spekulationsgewinnbesteuerung. 9 A. Raupach (Fn. 1), a. a. O., 56. 10 BGBl. I 2003, 2928. 11 R. Seer, Steueramnestie und Idee einer Entpönalisierung des Steuerrechts, in: Gedächtnisschrift für C. Trzaskalik, Köln 2005, 457, 459 ff. 12 FG Köln, Beschl. v. 22. 9. 2005 – 10 K 1880/05, EFG 2005, 1878, 1879 ff.; ebenso H. Klein, DStR 2005, 1833, 1838 ff.; a. A. aber jüngst BFH, Urt. v. 7. 9. 2005 – VIII R 90/04, DStR 2005, 1984, 1988, der die gleichheitsrechtliche Relevanz der Steueramnestie nur unter dem Gesichtspunkt eines Vollzugsdefizits behandelt (ebenso der Wissenschaftliche Mitarbeiter beim BFH E. Ratschow, DStR 2005, 2006, 2009 f.). Die Verfassungswidrigkeit des sog. Amnestiegesetzes folgt jedoch nicht erst aus einem Vollzugsdefizit, sondern bereits aus einem originären Verstoß gegen die Rechtsetzungsgleichheit. Diesen behandeln der BFH und E. Ratschow erst gar nicht. 13 Aktenzeichen: 2 BvL 14/05.

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II. Verfassungsrechtliche Grundlagen und Schranken des Kontenabrufs 1. Spannungsverhältnis zwischen dem Informationsbedürfnis der Finanzverwaltung und dem Schutzinteresse des Bürgers Der Steuervollzug bewegt sich im Gravitationsfeld von drei verfassungsrechtlichen Gütern:14 –

der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung (Art. 20 Abs. 3 GG),



der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3 Abs. 1 GG) und



den Freiheitsgrundrechten der Bürger (Art. 2 Abs. 1 u. a. GG).

In diesem verfassungsrechtlichen Dreieck haben Gesetzgeber und Finanzverwaltung einen nach allen Seiten hin möglichst schonenden Ausgleich herzustellen15. Legislative und Exekutive stehen so vor einem Optimierungsauftrag und müssen zwischen divergierenden Rechtsgütern einen angemessenen (verhältnismäßigen) Ausgleich schaffen, wonach kein Rechtsgut auf Kosten eines anderen überproportional derart gewichtet werden darf, dass letzteres praktisch geopfert wird. Die Judikative kann diesen Abwägungsvorgang nur anhand des Übermaßverbots überprüfen. Mangels eines eigenen kompetenziellen Gestaltungsauftrags darf sie nicht ihre Vorstellungen über den optimalen Ausgleich an die Stelle der Entscheidung der ersten und zweiten Gewalt setzen. Vielmehr statuiert das Übermaßverbot nur eine Erträglichkeitsgrenze eines noch angemessenen (schonenden) Ausgleichs der betroffenen Rechtsgüter16. Dazu muss dem von einem Eingriffsakt betroffenen Bürger auch die Möglichkeit gegeben werden, seine Grundrechte zur Geltung zu bringen. Dies gewährleistet modal Art. 19 Abs. 4 GG, der für den Bürger das „formelle Hauptgrundrecht“17 mit einem hochintegrativen Wert ist, weil er der früheren Selbstherrlichkeit der Exekutive entgegenwirkt18. Der Gerichtsschutz ist dabei kein schlichtes Additum, das zum materiellen Grundrecht des Steuerpflichtigen hinzutritt, sondern Teil des subjektivrechtlichen Grundrechtsschutzes selbst19. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert so

__________ 14 R. Seer, Verständigungen in Steuerverfahren, Habil., Köln 1996, 296 ff. 15 Siehe bereits P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, Habil. München, Köln u. a. 1961, 153. 16 Allgemein: R. Wahl, Der Vorrang der Verfassung, Der Staat, Bd. 20 (1981), 485, 503 ff.; P. Lerche, Grundrechtsschranken, in Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, Heidelberg 1992, § 122 Rn. 5 f.; für den Steuervollzug: R. Seer (Fn. 14), 297. 17 So bezeichnet von F. Klein, Tragweite der Generalklausel in Art. 19 Abs. 4 des Bonner Grundgesetzes, VVDStRL Bd. 8 (1950), 67, 87 f. 18 BVerfG-Beschl. v. 12. 1. 1960 – 1 BvL 17/59, BVerfGE 10, 264, 267; BVerfG-Beschl. v. 28. 10. 1975 – 2 BvR 883/73 u. a., BVerfGE 40, 237, 251. 19 Klarsichtig H. Bethge, Grundrechte und gerichtlicher Schutz, KritV 1990, 9, 15 f.; W. Krebs, in v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 5. Aufl., München 2000, Art. 19 Rz. 47.

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nicht bloß den Zugang zum Gericht, sondern auch wirksamen (effektiven) Rechtsschutz20 und trägt der Erkenntnis Rechnung, dass Rechte erst dann effektiv sind, wenn sie im Konfliktfall auch durchgesetzt werden können21. 2. Auftrag zur strukturellen Sicherung der Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 20 Abs. 3, 3 Abs. 1 GG) Das wegweisende Zinssteuer-Urteil v. 27. 6. 1991 hat erstmals eine innere Verbindung im Sinne einer Rückkoppelung zwischen Rechtsanwendungsund Rechtsetzungsgleichheit hergestellt. Der Hintergrund des fundamentalen Urteils ist wohlbekannt und braucht hier nicht wiederholt zu werden22. Das BVerfG hatte in der Entscheidung den früheren Bankenerlass und die ihm nachfolgende Vorschrift des § 30a AO als das dem normativen Besteuerungstatbestand des § 20 EStG gegenläufige Vollzugshindernis ausgemacht23. Gleichwohl legte es sich Zurückhaltung auf und deutete als Alternative zur Aufhebung des § 30a AO auf eine Abgeltungssteuer hin:24 „Der Gesetzgeber ist allerdings von Verfassungs wegen nicht gehindert, die Besteuerung der Kapitaleinkünfte auf die gesamtwirtschaftlichen Anforderungen an das Kapitalvermögen und die Kapitalerträge auszurichten und entsprechend zu differenzieren … Deshalb wäre es insbesondere verfassungsrechtlich unbedenklich, die Geldwertabhängigkeit und damit die gesteigerte Inflationsanfälligkeit der Einkunftsart „Kapitalvermögen“ bei der Besteuerung zu berücksichtigen. Dabei könnte die Kapitalbildung als Quelle der Altersversorgung (vgl. BVerfGE 50, 57 [86]) oder als sonstige existenzsichernde Versorgungsgrundlage gesondert gewürdigt werden. Es bliebe auch im Rahmen des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums, wenn der Gesetzgeber die ihrer Natur nach nicht einer bestimmten Person zugeordnete und geographisch nicht gebundene Erwerbsgrundlage „Finanzkapital“ dadurch erfaßte, daß er alle Kapitaleinkünfte – unabhängig von ihrer Anlageform und buchungstechnischen Erfassung – an der Quelle besteuert und mit einer Definitivsteuer belastet, die in einem linearen Satz den absetzbaren Aufwand und den Progressionssatz in Durchschnittswerten typisiert. Allerdings wäre es dann nur folgerichtig, dem vermutlich unterdurchschnittlichen Steuersatz der Kleinsparer durch beachtliche Freibeträge Rechnung zu tragen. Diese gesetzlichen Einschätzungen, Bewertungen und Gewichtungen könnten z. B. zu dem Ergebnis führen, daß Einkünfte aus Kapitalvermögen einer definitiven Quellensteuer unterworfen werden und der Gesetzgeber diese Steuer sodann in Anlehnung an § 43a EStG 1990 bemißt.“

__________ 20 Ständ. Rspr. s. BVerfG-Beschl. v. 19. 6. 1973 – 1 BvL 39/69 u. a., BVerfGE 35, 263, 274; BVerfG-Urt. v. 15. 12. 1983 – 1 BvR 209/83 u. a., BVerfGE 65, 1, 70; BVerfGBeschl. v. 29. 11. 1989 – 1 BvR 1011/88, BVerfGE 81, 123, 129; BVerfG-Beschl. v. 2. 3. 1993 – 1 BvR 249/92, BVerfGE 88, 118, 123 f. 21 P. M. Huber, in v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner Grundgesetz, Kommentar, Bd. I, 5. Aufl. München 2006, Art. 19 Rz. 336. 22 Siehe dazu R. Seer, Kriminalisierung des Steuerbürgers?, Stbg. 2006, 7. 23 BVerfG-Urt. v. 27. 6. 1991 (Fn. 7), a. a. O., 239, 278 f., 284. 24 BVerfG-Urt. v. 27. 6. 1991 (Fn. 7), a. a. O., 239, 282 f.

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Bekanntlich hat der Gesetzgeber weder das eine aufgehoben noch das andere eingeführt und sich mit der Ausweitung der Quellensteuer in Gestalt des sog. Zinsabschlags begnügt. Deshalb ist die Verfassungsmäßigkeit der Zinsbesteuerung nach wie vor umstritten25. Den reziproken Zusammenhang zwischen Rechtsanwendung und Rechtsetzung hat das BVerfG in seinem Urteil vom 9. 3. 2004 zur Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Spekulationsgewinnen nach § 23 EStG a. F. bestätigt26. Eine praxisgerechte und effiziente Ausgestaltung des Besteuerungsverfahrens hat die Vollziehbarkeit des materiellen Einkommensteuerrechts zu gewährleisten. Das BVerfG beschreibt in seinem Urteil vom 9. 3. 2004 das anzustrebende Ideal mit den folgenden Worten:27 „… Das Verfahrensrecht muss … so ausgestaltet sein, dass es die gleichmäßige Umsetzung der durch eine materielle Steuernorm bestimmten Belastung in der regulären Besteuerungspraxis gewährleistet. Die Form der Steuererhebung und – in Ergänzung des Deklarationsprinzips – das behördliche Kontrollinstrumentarium haben somit der materiellen Steuernorm regelmäßig so zu entsprechen, dass deren gleichheitsgerechter Vollzug im Massenverfahren der Veranlagung möglich ist, ohne unverhältnismäßige Mitwirkungsbeiträge der Steuerpflichtigen oder übermäßigen Ermittlungsaufwand der Finanzbehörden zu fordern.“

Diesem Postulat ist zuzustimmen. Allerdings möchte ich hinzufügen: Umgekehrt muss das materielle Steuerrecht aber auch so ausgestaltet sein, dass es verfahrensrechtlich durchsetzbar ist. Ansonsten bleibt es bloßes „Paper Law“ und verliert seinen inneren Geltungsanspruch. Das BVerfG sieht aber auch, dass der gleichheitsgerechte Vollzug der materiellen Steuernorm den Schranken des Verhältnismäßigkeitsprinzips (Übermaßverbots) unterliegt. Auf der Suche nach praktischer Konkordanz führt es unter Bezugnahme auf das Zinssteuer-Urteil aus:28 „Für den Fall, dass ein gleichheitsgerechter Vollzug einer materiellen Steuernorm nicht ohne übermäßige, insbesondere unzumutbare Mitwirkungsbeiträge der Steuerpflichtigen zur Sachverhaltsaufklärung möglich wäre, müsste der Gesetzgeber zur Vermeidung einer durch entsprechende Ermittlungsbeschränkungen bedingten prinzipiellen Belastungsungleichheit auf die Erhebungsart der Quellensteuer ausweichen.“

Auf diesen Grundlagen prüft das BVerfG in seinem Urteil vom 9. 3. 2004 das für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 zur Verfügung stehende Arsenal von Ermittlungsmaßnahmen auf ihre Vollzugsfähigkeit. Bezogen auf den Regelfall gelangt das Gericht in einer ausführlichen Gesamtschau zum Ergebnis, dass es für den Bereich der Wertpapiergeschäfte weiterhin an einem

__________ 25 Siehe oben Fn. 12; zum § 30a AO außerdem D. Birk, StuW 2004, 277, 282; J. Hey, DB 2004, 724, 727 ff. 26 BVerfG, Urt. v. 9. 3. 2004 (Fn. 8), a. a. O., 112 ff. 27 BVerfG (Fn. 26), a. a. O., 115. 28 BVerfG (Fn. 26), a. a. O., 113 f.

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normativen Umfeld fehlte, das die tatsächliche Lastengleichheit der Steuerpflichtigen entsprechend dem materiellen Steuergesetz gewährleistet29. Das Gericht betont, dass die Besteuerung der Spekulationsgewinne im wesentlichen schlicht von der Erklärungsbereitschaft des Steuerpflichtigen abhängt. Zutreffend arbeitet es das Fehlen einer wirksamen Kontrollmöglichkeit heraus. Den Steuerpflichtigen traf und trifft weder eine Aufzeichnungs- noch eine Belegaufbewahrungspflicht hinsichtlich der einzelnen Anschaffungsund Veräußerungsgeschäfte. Aufgrund des unveränderten § 30a Abs. 3 AO bleibt auch ein sog. cross-check via Kontrollmitteilung stumpf. Daran hat sich nach Auffassung des BVerfG auch nichts durch die ungesicherte Rechtsprechung des 8. Senats des Bundesfinanzhofs geändert, der das Kontrollmitteilungsverbot des § 30a Abs. 3 Satz 2 AO in „verfassungskonformer Auslegung“ gegen den Widerstand des 7. Senats aufweicht30. Letztlich macht das BVerfG erneut deutlich, dass es ein wesentliches strukturelles Vollzugshindernis unverändert in § 30a AO sieht31. Folgerichtig hat es den materiellen Steuertatbestand des (früheren) § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b) EStG 1997 für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 für nichtig erklärt, weil sich die verfahrensrechtlichen Normen für diese Zeiträume nicht mehr nachträglich umgestalten lassen. 3. Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) Wie unter 1. gezeigt, darf sich der Steuervollzug in dem verfassungsrechtlichen Dreieck allerdings nicht eindimensional auf die höchstmögliche Umsetzung der materiellen Einkommensteuerpflicht in jedem Einzelfall richten, sondern hat zugleich die Freiheitsgrundrechte des betroffenen Steuerpflichtigen auf verhältnismäßige Weise zu wahren. Ein den Behördeneingriff beschränkendes Freiheitsgrundrecht bildet das durch das Volkszählungs-Urteil des BVerfG vom 15. 12. 198332 so genannte Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Danach umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden33. Jedoch ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht schrankenlos gewährleistet. Der Einzelne hat kein Recht im Sinne einer ab-

__________ 29 BVerfG (Fn. 26), a. a. O., 122 ff. 30 BFH, Urt. v. 18. 2. 1997 – VIII R 33/95, BStBl. II 1997, 499, 506; BFH, Urt. v. 15. 12. 1998 – VIII 6/98, BStBl. II 1999, 138, 139; a. A. BFH, Beschl. v. 28. 10. 1997 – VII B 40/97, BFH/NV 1998, 424; BFH, Beschl. v. 25. 7. 2000 – VII B 28/99, BStBl. II 2000, 643. 31 BVerfG (Fn. 26), a. a. O., 125 f., 137, 138 f. 32 BVerfG, Urt. v. 15. 12. 1983 – 1 BvR 209/83 u. a., BVerfGE 65, 1. 33 BVerfG (Fn. 32), a. a. O., 43.

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soluten, uneingeschränkten Herrschaft über „seine“ Daten34. Das BVerfG betont vielmehr in ständiger Rechtsprechung, dass das Grundgesetz das Spannungsverhältnis Individuum-Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden hat35. Der Einzelne muss Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen. Der Datenschutz ist insbesondere kein Tatenschutz. Der Staat ist durch das Volkszählungsurteil keineswegs zur Ohnmacht verdammt. Allerdings formuliert das BVerfG in dem Volkszählungsurteil Schranken-Schranken, denen die Staatsgewalt unterliegt. Es wiederholt dort den Vorbehalt des Gesetzes, das Bestimmtheitsgebot und das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Letzteres entwickelt es jedoch datenschutzrechtlich wie folgt weiter:36 „Ein Zwang zur Angabe personenbezogener Daten setzt voraus, dass der Gesetzgeber den Verwendungszweck bereichsspezifisch und präzise bestimmt und dass die Angaben für diesen Zweck geeignet und erforderlich sind. Damit wäre die Sammlung nicht anonymisierter Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken nicht zu vereinbaren. … Die Verwendung der Daten ist auf den gesetzlich bestimmten Zweck begrenzt. Schon angesichts der Gefahren der automatischen Datenverarbeitung ist ein – amtshilfefester – Schutz gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote erforderlich. Als weitere verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen sind Aufklärungs-, Auskunfts- und Löschungspflichten wesentlich.“

III. Verfassungsrechtliche Beurteilung des sog. Kontenabrufs nach §§ 93 Abs. 7, 93b AO i.V. mit § 24c KWG 1. Übermaßverbot Der Abruf von Kontostammdaten bei der Kontenevidenzzentrale greift unzweifelhaft in das unter II.3. skizzierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Es ist daher auf der Rechtfertigungsebene seine Vereinbarkeit mit der sog. Schranken-Schranke des materiellen Übermaßverbots zu prüfen. Ziel des Kontenabrufs ist die Verifikation der Angaben in den Einkommensteuererklärungen zu Einkünften aus Kapitalvermögen und Veräußerungsgeschäften. Diese Verifikation entspricht dem unter II.2. dargelegten Anspruch auf strukturelle Gewährleistung der Rechtsanwendungsgleichheit (Art. 3

__________ 34 K.Tipke, in Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, Köln, § 93 AO Tz. 36 (Juli 2005): „… würde im Steuerrecht bedeuten: Jeder Steuerpflichtige bestimmt selbst darüber, welche Informationen er dem Finanzamt geben will. M.a.W.: Er bestimmt selbst die Höhe seiner Steuerbelastung – zu Lasten des Gleichheitssatzes. Solche Selbstbestimmung zu Lasten der Steuerehrlichen darf der Rechtsstaat nicht dulden.“ 35 BVerfG (Fn. 32), a. a. O., 44, m. w. N. 36 BVerfG (Fn. 32), a. a. O., 46.

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Abs. 1 GG) und Realisierung der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung (Art. 20 Abs. 3 GG). Dazu ist der Kontoabruf geeignet. Zwar erfüllt das bloße Innehaben von Konten noch keinen Steuertatbestand. Jedoch ermöglichen erst die Kontostammdaten ein konkretes Auskunftsersuchen an ein Kreditinstitut, um so die Einkünfte des Steuerpflichtigen zu verifizieren. Angesichts von ca. 2900 in Deutschland belegenen Niederlassungen von Kreditinstituten37 stünde das Finanzamt – wie das BVerfG jüngst herausgearbeitet hat38 – bei einem „mauernden“ Steuerpflichtigen ansonsten auf verlorenem Posten. Dieser Eingriff ist als Mittel zur Vermeidung eines strukturellen Vollzugsdefizits auch erforderlich. Für die Prüfung des Erforderlichkeitsmerkmals bleibt die Alternative einer Abgeltungssteuer (dazu näher unter V.2.) außer Betracht. Solange der Gesetzgeber am Konzept einer synthetischen Einkommensteuer und der Gleichbehandlung von Einkunftsarten39 festhält, dürfen nur Vollzugsalternativen innerhalb dieses Systems in den Blick genommen werden. Eine sogar wirksamere, aber zugleich auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stärker belastende Alternative besteht in der automatischen Übermittlung der Jahresbescheinigungen im Sinne des § 24c EStG durch die Kreditinstitute an die Finanzämter, ggf. über das Bundeszentralamt für Steuern40 als Datensammelstelle (dazu näher unter V.1.). Diese zur Verwirklichung der Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung effizientere Maßnahme würde jedoch deutlich mehr persönliche Daten den Finanzbehörden offerieren. Auch die nach einer Aufhebung des strukturellen Vollzugsdefizits des § 30a AO stichprobenhaft anlässlich von Betriebsprüfungen bei Banken ausgeschriebenen Kontrollmitteilungen über Depots und Konten besitzen eine höhere Eingriffsintensität, da sie bereits konkrete Kontenstände und ggf. auch Kontenbewegungen betreffen würden.

__________ 37 Zahlenangaben von J. Müller, Staatliche Überwachung privater Konten – Ein Erfolg für den Datenschutz?, Datenschutz und Datensicherheit (DuD) 2002, 601; A. Zubrod, Automatisierter Abruf von Kontoinformationen nach § 24c KWG, WM 2003, 1210. 38 Siehe oben bei Fn. 29. 39 Zum Prinzip einer synthetischen Einkommensteuer s. K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. 2, 2. Aufl., Köln 2003, 668 ff.; J. Lang, in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., Köln 2005, § 9 Rz. 1, m. w. N. 40 Durch das Gesetz zur Neuorganisation der Bundesfinanzverwaltung und zur Schaffung eines Refinanzierungsregisters v. 22. 9. 2005, BGBl. I 2809, wurde das Bundesamt für Finanzen mit Wirkung zum 1. 1. 2006 in drei Behörden aufgeteilt: das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) und das Zentrum für Informationsverarbeitung und Informationstechnik (ZIVIT).

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Das dritte Erfordernis der Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) ist ebenfalls gewahrt41. Das Gesetz schließt die Ermittlung von Kontostammdaten „ins Blaue hinein“ oder nach Art einer Rasterfahndung aus. Die Maßnahme unterliegt derselben Einschränkung wie ein Auskunftsersuchen im Sinne des § 93 Abs. 1 AO und der einschränkenden Subsidiaritätsklausel des § 93 Abs. 7 AO. Zuerst ist ein Auskunftsersuchen grundsätzlich an den Steuerpflichtigen selbst zu richten. Erst wenn dieser aus seiner Sphäre heraus trotz seiner Mitwirkungspflichten keine befriedigenden Auskünfte gibt, kann das Finanzamt – von Ausnahmefällen wie Gefahr im Verzuge abgesehen – über das Bundesamt für Finanzen die Kontenevidenzzentrale anzapfen. Selbst dann aber ermöglicht der Abruf nur die Feststellung von sog. Kundenstammdaten (§ 24c Abs. 1 KWG), nicht aber den Abruf von konkreten Kontenständen und Kontenbewegungen. Diese lassen sich erst durch weitere Einzelermittlungen auf der Basis des nun bekannten Kontenkreises erfahren. Den gestuften Verfahrensablauf verdeutlicht das Schaubild auf der folgenden Seite.

__________ 41 Zur Verhältnismäßigkeit des Kontenabrufs s. T.-D. Stumpe, Neue Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzbehörden, SteuStud 2005, 237, 238 f.; B. Dornheim, Der Kontenabruf – Das Steuernetz wird engmaschiger, StWa. 2005, 183, 189 f.; C. H. Schmidt, Das neue Kontenabrufverfahren auf dem Prüfstand: Verfassungswidriger Informationszugriff oder verfassungsrechtlich gebotene Durchsetzung der steuerlichen Belastungsgerechtigkeit?, BB 2005, 2155, 2161 f.; a. A. wohl U. Göres, Zur Rechtmäßigkeit des automatisierten Abrufs von Kontoinformationen – Ein weiterer Schritt zum gläsernen Bankkunden, NJW 2005, 253, 256.

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Verfahrensablauf: Kontenabruf (§ 93 VII, 93b II AO i.V.m. § 24c I KWG)

konkreter Ermittlungsanlass: a) besteuerungserheblicher Sachverhalt ungeklärt b) Konteninformationen zur Aufklärung erforderlich c) Auskunft des Stpfl. insuffizient/n. konkr. Erfahrung nicht erfolgversprechend

Finanzamt

Bundeszentralamt für Steuern

Abruf der Stammdaten bei der Kontenevidenzzentrale: Kto-Nr., Name, Anschrift, Tag der Kto-Errichtung bzw. -auflösung (nicht: Kontenstände/-bewegungen)

Einzelauskunftsersuchen an den Stpfl. (§ 93 I 1 AO): grds. vorrangig

Einzelauskunftsersuchen an die Bank (§ 93 I 3 AO): falls Ersuchen an den Stpfl. keinen Erfolg verspricht

2. Untermaßverbot Die so mehrfach abgestufte, daher mühsame inländische Informationsbeschaffung verstößt mithin nicht gegen das freiheitsschützende Übermaßverbot. Vielmehr könnte es umgekehrt sogar zur Verwirklichung des Vollzugsauftrags unzureichend sein und gegen das unter II.2. dargestellte Untermaßverbot verstoßen. Während das Übermaßverbot die Intensität des Grundrechtseingriffs nach oben hin begrenzt, setzt das Untermaßverbot der finanzbehördlichen Zurückhaltung im Interesse der Solidargemeinschaft der Steuerzahler eine Untergrenze42. In den steuerlichen Massenverfahren wirkt der über mehrere Stellen verlaufende Kontenabruf auf die Veranlagungsbe-

__________ 42 R. Seer, in Tipke/Lang (Fn. 39), § 21 Rz. 8.

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amten eher hinderlich. Der unverändert fortbestehende § 30a AO verunsichert sie zusätzlich, zumal die Gesetzesbegründung erklärt, dass das nach § 30a AO geschützte Vertrauensverhältnis zwischen Bank und Kunde „unangetastet“ bleibe43. Man mag § 30a AO angesichts der Möglichkeit des Kontenabrufs als „inhaltslose Hülse“ bezeichnen44. Jedoch könnte § 30a AO bei der Ermessensentscheidung über das „Ob“ des Kontenabrufs dahingehend einschränkend wirken, dass von diesem Instrument nur bei erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit der Steuererklärung Gebrauch zu machen ist45. Insoweit bleibt das Verhältnis zwischen §§ 93, 93b AO und § 30a AO – nicht nur für die Finanzbeamten – widersprüchlich und ungeklärt46. Es muss indessen der Zusammenhang mit der zum 1. 1. 2004 durch das Steueränderungsgesetz 2003 v. 15. 12. 200347 in § 24c EStG eingeführten Jahresbescheinigungspflicht der Banken und Kreditinstitute über Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne aus Kapitalanlagen gesehen werden48. Auch wenn die Vorschrift ausweislich der Gesetzesbegründung „ausschließlich als Hilfestellung für die Steuerpflichtigen bei der Ausfüllung der Steuererklärungsformulare gedacht“ war49 und keine Vorlagepflicht besteht50, sind die Finanzämter nicht daran gehindert, bei Verweigerung der Vorlage von Jahresbescheinigungen einen Kontenabruf zu starten51. Aus finanzbehördlicher Sicht hat Bernd Burchert das Verfahren jüngst realitätsnah beschrieben52. Zwar bleibt es mangels Vorlage- und Aufbewahrungspflicht schwerfällig53. Auch sollte der Staat die Kontrollfunktion der Jahresbescheinigung nicht hinter einer eher vorgeschobenen Servicefunktion verbergen54. In ihrer Zusammenschau eröffnen die Jahresbescheinigungspflicht nach § 24c EStG und

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43 Gesetzentwurf der Fraktionen SPD u. Bündnis 90/Die Grünen, Entwurf eines Gesetzes zur Steuerehrlichkeit, BT-Drucks. 15/1309, 12. 44 So B. Hilgers-Klautzsch, Der Regierungsentwurf zur Steueramnestie – Zuckerbrot und Peitsche für Steuersünder, StuW 2003, 297, 304. 45 Vgl. R. Seer, in Tipke/Lang (Fn. 42), § 21 Rz. 199. 46 Zutreffend S. Wagner, Die „brüchige“ Rechtsgrundlage der Steuerbescheinigung nach § 24c EStG, INF 2004, 457, 458 f.; C. H. Schmidt (Fn. 41), BB 2005, 2155, 2163. 47 BGBl. I 2645. 48 Ebenso R. Hamacher, in Korn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, Bonn, § 24c Rz. 4 ff. (Dezember 2004). 49 So Gesetzentwurf der Fraktionen SPD u. Bündnis 90/Die Grünen eines 2. Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften (StÄndG 2003), BT-Drucks. 15/1562, 33. 50 A. v. Wedelstädt, Jahresbescheinigung über Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne aus Finanzanlagen, DB 2004, 408; S. Wagner (Fn. 46), INF 2004, 457, 458. 51 F. Loschelder, in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz, Jahresband 2004, § 24c EStG, Rz. J 03-5 (April 2004); H. WeberGrellet, in Schmidt, EStG, 24. Aufl., München 2005, § 24c Rz. 1; K. Tipke, in Tipke/Kruse (Fn. 34) § 93 AO Tz. 37 (Juli 2005). 52 B. Burchert, Kontenabruf durch Finanzbehörden seit 1. 4. 2005, INF 2005, 334, 335 ff.; instruktiv außerdem B. Dornheim (Fn. 41), StWa. 2005, 183 ff. 53 Mit Recht krit. K. Tipke, in Tipke/Kruse (Fn. 34), § 93 AO Tz. 37 (Juli 2005). 54 Zutreffend F. Loschelder, in Herrmann/Heuer/Raupach (Fn. 51), § 24c EStG Rz. J 03-5 (April 2004).

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der Datenabruf bei der sog. Kontenevidenzzentrale den Finanzbehörden indessen ein Kontrollinstrumentarium, das unter Berücksichtigung des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers dem Mindeststandard eines Untermaßverbots noch entspricht. Dies sieht der BFH in seinem erst nach Abschluss dieses Manuskripts veröffentlichten Urteil vom 29. 11. 2005 (IX R 49/04, DStR 2006, 79, 80 ff.) offenbar genauso. Strukturell gegenläufig bleibt dabei allerdings der dazu widersprüchliche § 30a AO. 3. Bestimmtheitsgebot Wie unter II.3. gezeigt, unterliegt der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) dem Vorbehalt des Gesetzes. Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage muss hinreichend bestimmt sein. Insoweit erweist sich die Regelung des § 93 Abs. 7 AO als defizitär. Umfang und Grenzen des Eingriffs erschließen sich nur mühsam über eine höchst komplexe Verweisungstechnik von § 93 Abs. 1, 7 AO über § 93b Abs. 1, 4 AO auf § 24c Abs. 1, 4–8 KWG. Das widersprüchliche Verhältnis zu § 30a AO bleibt – wie unter 2. gezeigt – dunkel. Die Schwächen hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 22. 3. 2005 im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes deutlich aufgezeigt55. Das Gesetz schweigt darüber, ob das Finanzamt den vom Datenabruf betroffenen Steuerpflichtigen informieren muss. Das Gesetz scheint von einem heimlichen Datenabruf auszugehen, zumal auch das jeweilige Kreditinstitut davon nichts erfährt. Das BVerfG hat sich in seinem Beschluss vom 12. 4. 2005 zur Durchsuchung und Beschlagnahme elektronischer Daten mit Recht gegen ein „fremdes Geheimwissen“ gewandt und vom „Einschüchterungseffekt“ gesprochen, der entsteht, wenn der Einzelne nicht mehr erkennen kann, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß56. Deshalb stehen heimliche Ermittlungen im besonderen Maße unter dem Erforderlichkeitsvorbehalt. Im Regelfall fehlt es an einem Grund, dem Steuerpflichtigen die frühzeitige Information zu verwehren. Denn er hat keine Möglichkeit, auf die nach § 24c KWG gespeicherten Daten zuzugreifen, sie zu verändern oder gar zu löschen57. Eine vorherige Information kann nur in Vollstreckungsfällen die Ermittlungsmaßnahme gefährden, weil der Steuerpflichtige vor der Vollstreckungsmaßnahme pfändbare Guthaben abräumen könnte. Von diesen Fällen abgesehen, ist es verfassungsrechtlich geboten, den Steuerpflichtigen über den geplanten Kontenabruf vorab zu informieren.

__________ 55 BVerfG, Beschl. v. 22. 3. 2005 – 1 BvR 2357/04, 1 BvQ 2/05, BFH/NV-Beilage 7/2005, 251, 255 f. = NJW 2005, 1179; instruktiv auch C. H. Schmidt (Fn. 41), BB 2005, 2155, 2162 f. 56 BVerfG, Beschl. v. 12. 4. 2005 – 2 BvR 1027/02, NJW 2005, 1917. 57 Ebenso T. Cöster/J. Intemann, Rechtsschutzmöglichkeiten beim behördlichen Kontenabruf nach § 93 Abs. 7 und 8 AO, DStR 2005, 1249, 1251.

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Unter dem Blickwinkel der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG, dazu oben II.3.) hat das BVerfG außerdem beanstandet, dass § 93 AO keine Dokumentation des Abrufs vorsehe58. Die nach § 24c Abs. 4 KWG vorgesehene Protokollierung dürfe nur für Datenschutzzwecke genutzt werden, stehe deshalb für Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit einer durch den Datenzugriff ermöglichten Verwaltungsentscheidung nicht zur Verfügung. Letzteres ist zu bezweifeln. Auch bei der Frage der Verwertbarkeit der durch den Abruf gewonnenen Erkenntnisse geht es doch gerade um Datenschutz, allerdings bezogen auf das konkrete Steuerrechtsverhältnis. Warum das Datenprotokoll über den Kontenabruf als Beweismittel in einem Finanzgerichtsprozess nicht zur Verfügung stehen sollte, zumal § 93b Abs. 4 AO auf § 24c Abs. 4 KWG verweist, erschließt sich nicht. Im Anwendungserlass zur AO hat die Finanzverwaltung am 10. 3. 2005 zu § 93 AO unter 2.7/2.8 hinsichtlich der Informationspflicht nachgebessert59. Allerdings geht die Verwaltungsvorschrift offenbar nur von einer nachträglichen Information des Steuerpflichtigen aus. Eine vorherige Information sieht 2.6 am Ende nur als abstrakten Hinweis. Wie gezeigt, bleibt diese Regelung insuffizient, weil es grundsätzlich nicht gerechtfertigt ist, die vorherige Information über den konkreten Kontenabruf zu verweigern. Die bloß nachträgliche Information erschwert unnötig den effektiven Rechtsschutz des Steuerpflichtigen, da eine Verletzung seines Grundrechts dann bereits eingetreten ist60. Angesichts der Judikatur zum Vorbehalt des Gesetzes und zur Gesetzesbestimmtheit bei der Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist ein bloßer Verwaltungserlass schließlich nicht ausreichend, um den Mangel zu beheben. Der Beschluss des BVerfG vom 22. 3. 2005 bedeutet nichts abweichendes, weil er lediglich eine Folgenabschätzung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes enthält.

IV. Der Kontenabruf im Kontext des Gemeinschaftsrechts 1. Zinsrichtlinie 2003/48/EG vom 3. 6. 200361 bei grenzüberschreitenden Kapitalanlagen Die via Einzelauskunftsersuchen – Kontenabruf – Einzelauskunftsersuchen mehrfach abgestufte Informationsbeschaffung nach § 93 Abs. 7 AO steht im Missverhältnis zur grenzüberschreitenden Spontanauskunft nach § 45e EStG

__________ 58 BVerfG (Fn. 55), a. a. O., 255. 59 BStBl. I 2005, 422: dazu näher M. Sell, Der Zugriff der Finanzverwaltung auf Kontenstammdaten ab 1. 4. 2005 unter Berücksichtigung der Entscheidung des BVerfG v. 22. 3. 2005, DStR 2005, 717. 60 Zum verfassungswidrigen Verfahrensdefizit s. U. Göres (Fn. 41) NJW 2005, 253, 256 f.; T. Cöster/J. Intemann (Fn. 57), DStR 2005, 1251 ff.; C. H. Schmidt (Fn. 41), BB 2005, 2155, 2164 f. 61 ABl. EU Nr. L 157, 38.

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und der Zinsinformationsverordnung vom 26. 1. 200462. Nachdem die sog. Zinsrichtlinie vom 3. 6. 2003 zum 1. 7. 2005 in Kraft getreten ist63, haben alle inländischen Zahlstellen dem Bundeszentralamt für Steuern spätestens binnen 6 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres, d. h. bis zum 30. 6. 2006, automatisch Kontonummer, Name und Anschrift des wirtschaftlichen Eigentümers und die Höhe der innerhalb der EU grenzüberschreitend gezahlten Zinsen mitzuteilen64. Das Bundeszentralamt für Steuern leitet diesen Daten sodann an die jeweiligen ausländischen Finanzbehörden weiter: Grenzüberschreitender Informationsaustausch RL 2003/48/EG des Rates v. 3.6.2003 § 45e EStG i.V.m. ZinsinformationsVO v. 26.1.2004

(Automatische) grenzüberschreitende Spontanauskunft – Kto-Nr., Name des wirtschaftl. Eigentümers, Anschrift – Höhe der Zinszahlungen (nicht: Dividenden, Erstemissionen vor 1.3.2001, Renten, Lebensversicherungen) – spätestens binnen 6 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahrs

inländische Zahlstelle

Bundeszentralamt für Steuern

EU-ausländische Finanzbehörde

__________ 62 BGBl. I 2004, 128. 63 Durch Entscheidung des Rates 2004/587/EG v. 19. 7. 2004, ABl. EU Nr. L 257, 7 war das Inkrafttreten der Zins-RL bis zum 1. 7. 2005 hinausgeschoben worden, damit die in Art. 17 Zins-RL vorgesehenen Abkommen mit der Schweiz (ABl. EU Nr. L 385 v. 29. 12. 2004), mit den Fürstentümern Liechtenstein (ABl. EU Nr. L 379 v. 24. 12. 2004) u. Monaco (ABl. EU Nr. L 19 v. 21. 1. 2005) sowie mit San Marino u. Andorra (ABl. EU Nr. L 114 v. 4. 5. 2005) abgeschlossen werden konnten. 64 Zur Umsetzung der Zins-RL s. im einzelnen D. Seiler/J.-A. Lohr, Ausländische Zinseinkünfte von EU-Bürgern sind kein (Bank-)Geheimnis mehr – die EUZinsrichtlinie aus Sicht des BMF, DStR 2005, 537.

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2. Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EGV) als Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot Damit können wir für die steuerliche Erfassung von Zinsen ein deutliches Ungleichgewicht zwischen inländischen und grenzüberschreitenden Kapitalanlagen feststellen: Die grenzüberschreitende EU-Kapitalanlage wird im Wege obligatorischer Spontanauskunft zugunsten des ausländischen Fiskus stärker verifiziert als die inländische Kapitalanlage für den inländischen Fiskus. Letztere wird gerade nicht automatisch, sondern nur durch ein Einzelauskunftsersuchen abgefragt, wenn sich Anhaltspunkte für eine Mitwirkungspflichtverletzung des Steuerpflichtigen ergeben. Art. 56 EGV enthält – wie alle Grundfreiheiten – ein Diskriminierungsverbot, d. h. ein Verbot der Ungleichbehandlung der Finanzmarktteilnehmer aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit, ihres Wohnorts oder des Anlageorts ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund (siehe Wortlaut Art. 58 Abs. 3 EGV). Gleichzeitig statuiert Art. 58 EGV ein Beschränkungsverbot im Sinne jeder unmittelbaren oder mittelbaren, tatsächlichen oder potenziellen Behinderung, Begrenzung oder Untersagung für den Zu-, Ab- oder Durchfluss von Kapital. Darunter fällt jeder Nachteil für den Inhaber oder Empfänger von Kapital, der seine freie Entscheidung über die Anlage von Finanzkapital negativ beeinflussen kann65. Eine solche Wirkung besitzt die im Vergleich zur inländischen Kapitalanlage kontrollintensivere Spontanauskunft bei grenzüberschreitenden EU-Kapitalanlagen. Die vollzugstechnische Bevorzugung inländischer Kapitalanlagen beeinträchtigt daher die Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 56 EGV. 3. Gemeinschaftsrechtliches Untermaßverbot Zwar belässt Art. 58 Abs. 1 lit. a) EGV den Mitgliedstaaten grundsätzlich ausdrücklich das Recht, Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohn- oder Kapitalanlageort unterschiedlich zu behandeln. Die Mitgliedstaaten sollen auch die unerlässlichen Maßnahmen treffen dürfen, um Zuwiderhandlungen gegen einschlägige Vorschriften des nationalen Steuerrechts zu begegnen (Art. 58 Nr. 1 lit. b] EGV). Diese Regeln bringen nach der einschlägigen Judikatur des EuGH allerdings nur bereichsspezifisch zum Ausdruck, dass Einschränkungen durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt und verhältnismäßig sein müssen, was letztlich Art. 58 Abs. 3 EGV klarstellt66. Als ein zwingendes Allgemeininteresse ist nicht nur in Art. 58 Nr. 1

__________ 65 Siehe im einzelnen EuGH, Urt. v. 6. 6. 2000 – C-35/98, EuGHE I 2000, 4071 – Verkooijen; EuGH, Urt. v. 4. 3. 2004 – C-334/02, IStR 2004, 275 – Kommission/ Frankreich; EuGH, Urt. v. 7. 9. 2004 – C-319/02, IStR 2004, 680 – Manninen. 66 Vgl. J. Englisch, Dividendenbesteuerung, Diss., Köln 2005, 280 ff.; J. Schönfeld, Hinzurechnungsbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, Diss. Bonn, Köln 2005, 257 ff.; instruktive Zusammenfassung von H. Schießl, Der Einfluss der Kapitalverkehrsfreiheit des EG-Vertrags auf das nationale Steuerrecht, StWa. 2005, 211.

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lit. b) EGV, sondern ganz allgemein die wirksame steuerliche Kontrolle anerkannt. Spontanauskünfte an ausländische Fisci über Zinsen aus grenzüberschreitend getätigten Anlagen in Deutschland sind sicherlich geeignet und im besten EG-Amtshilfesinne auch erforderlich, um einen gleichmäßigen Steuervollzug im Ausland sicherzustellen. Nicht erforderlich ist jedoch, dass das innerstaatliche Informationsniveau hinter der gemeinschaftsrechtlich fundierten Spontanauskunft qualitativ zurückbleibt und dadurch den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr (zugunsten des ausländischen Fiskus!) einer stärkeren Steuerkontrolle als den inländischen Kapitalverkehr unterzieht. Die gestufte, einzelfallabhängige Informationsbeschaffung bei rein inländischen Kapitalanlagen diskriminiert daher den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr und verletzt Art. 56 EGV. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass die Zinsrichtlinie nur einen Ausschnitt möglicher grenzüberschreitender Kapitalanlagen erfasst und dem Anleger faktisch einen ganzen Katalog von Ausweichmöglichkeiten belässt67. Diskriminiert werden jedenfalls die von § 45e EStG i.V. mit der ZIV konkret erfassten grenzüberschreitenden Kapitalanlagen. Insoweit statuieren Art. 56, 58 EGV ein gemeinschaftsrechtliches Untermaßverbot, das durch das nationale Einzelauskunftsersuchen-System der §§ 93, 93b AO verletzt wird.

V. Reformalternativen 1. Automatische Mitteilung der Jahresbescheinigungen i. S. des § 24c EStG an das Bundeszentralamt für Steuern Im derzeitigen System einer synthetischen Einkommensteuer bedürfen die Finanzämter Informationen über die Kapitalanlagen und den Kapitalverkehr, um die Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung strukturell sicherstellen zu können (siehe oben II.2.). Gegenüber der einzelfallabhängigen, gestuften Nachfrage ist die automatische Mitteilung der Jahresbescheinigungen, welche die Banken und Kreditinstitute nach § 24c EStG sowieso schon auszustellen haben, zur Verwirklichung des Vollzugszwecks deutlich überlegen. Als Datensammelstelle bietet sich das Bundeszentralamt für Steuern an, das die Verteilungsfunktion übernehmen kann, indem es die Jahresbescheinigungen an die Wohnsitz-Finanzämter weiterleitet. Für die Banken und Kreditinstitute entstünde kein wirklicher Mehraufwand, weil sie die Bescheinigungen lediglich zusätzlich auf digitalem Wege auch an das Bundeszentralamt für Steuern zu verschicken hätten. Gleichzeitig entfiele sowohl auf Seiten der Finanzbehörden als auch der Banken/Kreditinstitute der personalintensive Einzelauskunftsverkehr, der das Verhältnis zum Steuerpflichtigen und Bankkunden belastet. Den Bankkunden wäre schlicht bewusst, dass der Inhalt der Bescheinigungen den Finanzämtern bekannt ist. Dies entspricht

__________

67 Siehe z. B. die nicht abschließende Aufzählung von Kapitalanlagen von S. Wagner, Informationsaustausch bei Zinseinkünfte, Stbg. 2005, 437, 446.

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dem grenzüberschreitenden Informationsaustausch nach der Zinsrichtlinie. Ein Abruf bei der Kontenevidenzzentrale würde so überflüssig. Eine wichtige Rolle zur Sicherstellung des Gesetzesvollzugs spielt in einem solchen System eine bundeseinheitliche, lebenslängliche Steuernummer (§§ 139a-d AO)68. Unter ihr können die eingehenden Daten miteinander vernetzt und zugleich als Serviceleistung in einem sog. Steuererklärungsentwurf dem Steuerpflichtigen zur Verfügung gestellt werden69. Diese dialogische Struktur der Steuerfestsetzung könnte in ganz erheblichem Umfang Ressourcen schonen und die Akzeptanz der Steuerveranlagung deutlich erhöhen70. Die datenschutzrechtlichen Risiken sind durch eine entsprechende Verschlüsselungstechnik beherrschbar. Gleichzeitig schützt das Steuergeheimnis nach § 30 AO den Steuerpflichtigen und Bankkunden vor einer unzulässigen Weitergabe seiner sensiblen Daten. 2. Modell einer sog. Abgeltungssteuer Als Alternative hat sich in einer zunehmenden Zahl von Mitgliedstaaten der EU eine Abgeltungssteuer durchgesetzt71. Sie besitzt für den Steuerpflichtigen den Vorteil der Anonymität und fehlenden Steuererklärungspflicht und trifft so auf dessen gesteigerte Akzeptanz. Für die Banken und Kreditinstitute reduziert sich der Verwaltungsaufwand auf die Einbehaltung und Abführung der Abgeltungssteuer. Eine Doppelung von Quellensteuer und Mitteilungspflichten entfällt weitgehend. Für die Finanzverwaltung erübrigt sich insoweit das aufwendige Veranlagungsverfahren. Die Kontrolle fokussiert sich auf die Erfüllung der Steuerentrichtungspflicht durch die ca. 2900 inländischen Zahlstellen; eine Überprüfung der Millionen Steuerpflichtigen wird in diesem Bereich obsolet. Auf besondere Erwerbsaufwendungen braucht die Finanzbehörde keine Rücksicht mehr zu nehmen. Angesichts dieses ganzen Straußes von Vorteilen fragt man sich, warum es in Deutschland bisher nicht möglich war, ein derart effizientes System zu installieren? Die genannten Effizienzgewinne stellen sich indessen nur ein, wenn die Abgeltungssteuer nicht mit einer Veranlagungsoption bepackt wird. Dies bedeutet konsequenterweise, dass im Abgeltungssteuersystem weder das objektive Nettoprinzip in Gestalt des Abzugs von Erwerbsaufwendungen72 noch das subjektive Nettoprinzip durch den Abzug existenzsichernder Aufwendungen73 Berücksichtigung finden kann. Es bleibt bei einer Brutto-

__________ 68 Siehe R. Seer, Reform der Steuerveranlagung, StbJb. 2004/05, 53, 62 f. 69 Zu diesem System s. Kölner Entwurf eines Einkommensteuergesetzes (Fn. 5), Rz. 155 ff., 513 ff. 70 R. Seer (Fn. 68), StbJb. 2004/05, 53, 60 ff., 73. 71 Z. B. in Belgien (15 %), Malta (15 %), Österreich (25 %), Polen (19 %), Slowakei (19 %), Tschechische Republik (15 %), Zypern (10 % Zinsen/15 % Dividenden). 72 Dazu statt vieler J. Lang, in Tipke/Lang (Fn. 39), § 9 Rz. 42, 54 ff. 73 Dazu statt vieler J. Lang, in Tipke/Lang (Fn. 39), § 9 Rz. 42, 68 ff.

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besteuerung, die nur bei einem niedrigen Abgeltungssteuersatz erträglich ist74. Der Preis ist die Aufgabe des Prinzips der synthetischen Einkommensteuer am Maßstab individueller wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zugunsten einer stark typisierten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Letztere besitzt aber durchaus eine in sich schlüssige Logik. Das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist ein Realwertprinzip75. Die periodische Besteuerung von Zinsen nach dem Nominalwertprinzip (mit den Worten von Klaus Tipke: einem „Schönwetterprinzip“) verletzt deshalb das Leistungsfähigkeitsprinzip und führt zu einer Scheinertragsbesteuerung76. Eine nominal niedrige Abgeltungssteuer kann auf typisierende Weise die besondere Inflationsanfälligkeit von Einkünften aus Finanzkapital erfassen77 und so der Besteuerung nach einer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sogar stärker entsprechen als eine synthetische Zinsbesteuerung, die am Nominalwertprinzip anknüpft. Beispiel: Nominaler Kapitalertrag (Durchschnittswert) Inflationsrate (Durchschnittswert) Realertrag Spitzensteuersatz 42 % x 4 % nominaler Kapitalertrag = 1,68 %/2 % Realertrag = Spitzensteuersatz auf den Realertrag = (= Übermaßbesteuerung)

4% 2% 2% 1,68 % 84 %

Realwertorientierte Abgeltungssteuer Spitzensteuersatz auf den Realertrag = 42 % x 2 % = 0,84 % 0,84 %/4 % = Abgeltungssteuersatz auf nominalen Kapitalertrag = (= im Gefüge des derzeitigen EStG: faire Besteuerung)

21 %

Es lässt sich mithin feststellen: Eine Abgeltungssteuer auf Einkünfte aus Finanzkapital78 in Höhe von ca. 20 % entspricht unter Berücksichtigung der Geldentwertung dem Spitzensteuersatz, zumal Erwerbsaufwendungen außer Ansatz bleiben. Ein ungerechtfertigter Steuervorteil ist mit der Abgeltungssteuer mithin nicht verbunden. Allerdings kommt es für kleinere Einkommen, deren Summe nicht einmal die Progressionszone erreicht, durch die

__________ 74 Vgl. M. Schenk/F. Brusch, Eine neue Kapitalsteuer für Deutschland, DStR 2005, 1254, 1257 (Vorschlag einer Abgeltungssteuer durch das Land Hessen). 75 Überzeugend K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, 2. Aufl., Köln 2000, 512 ff. 76 Ebenso J. Lang, in Tipke/Lang (Fn. 39), § 9 Rz. 503, der deshalb die sog. nachgelagerte Besteuerung empfiehlt. 77 So auch das BVerfG v. 27. 6. 1991, a. a. O. (Fn. 24) u. inzident auch BVerfG v. 9. 3. 2004, a. a. O. (Fn. 28). 78 Damit sind umfassend Kapitalerträge, Einkünfte aus der Veräußerung von Wertpapieren, Einkünfte aus Finanzderivaten u. a. gemeint.

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Abgeltungssteuer zu einer Überbesteuerung. Insoweit kann eine Freistellung von der Abgeltungssteuer durch Vorlage einer Nichtveranlagungsbescheinigung des Wohnsitz-Finanzamtes in Betracht zu ziehen sein79. Dies wäre deutlich weniger als eine Veranlagungsoption. Die Banken und Kreditinstitute hätten die Freistellungen allerdings dem Bundeszentralamt für Steuern zu melden, damit die Angaben des Steuerpflichtigen im Zweifelsfall durch einen Kontenabruf i. S. des § 93 Abs. 7 AO verifiziert werden können. Den Markt sog. Finanzinnovationen beherrscht das steuerliche Dauerproblem der Abgrenzung zwischen Stammvermögensmehrung und Kapitalertrag. Da diese Unterscheidung wirtschaftlich nicht nachvollziehbar ist, sollten Zinsen und Veräußerungsgewinne ohne zeitliche Einschränkung gleich behandelt werden80. Um die Abgeltungssteuer auch auf Veräußerungsgewinne anwenden zu können, müssen die Zahlstellen die Anschaffungskosten der Wertpapiere jedoch kennen. Dies erfordert insbesondere bei einem Depotwechsel einen gesteigerten Dokumentationsaufwand. Zur Vermeidung einer Besteuerung früher entstandener Wertsteigerungen bedarf es beim Einstieg in eine umfassende Abgeltungssteuer der Dokumentation der zu einem bestimmten Stichtag bestehenden Werte als Ausgangswerte (z. B. per 1.1. des Jahres x)81. Ein weiteres Problem liegt in der Behandlung der Veräußerungsverluste. Diese müssen mit den Kapitalerträgen und Veräußerungsgewinnen verrechenbar und ggf. vortragsfähig sein. Unterhält der Steuerpflichtige bei mehreren Banken Depots, führt dies zu praktischen Schwierigkeiten einer depotübergreifenden Verlustverrechnung. Dazu bedarf es zum Schluss des Kalenderjahres einer Mitteilung des Bankkunden an seine Bank, an welche(s) andere(n) Kreditinstitut(e) der verbliebene Verlustbetrag übertragen werden soll. Der Verlustübertragungsvorgang muss dabei für die Finanzverwaltung nachvollziehbar bleiben82. Fraglich ist ferner, welche Auswirkungen die Abgeltungssteuer auf unternehmerische Einkünfte zeigt. Sollen in das Abgeltungssteuersystem auch Dividenden und Gewinnausschüttungen einbezogen werden83? Wenn ja, bliebe die körperschaftsteuerliche Vorbelastung unberücksichtigt. Allerdings könnte der Abgeltungssteuersatz auch wie im Halbeinkünfteverfahren auf die hälftige Dividende angewendet werden, um eine Annäherung zur Steuer-

__________ 79 M. Schenk/F. Brusch (Fn. 74), DStR 2005, 1254, 1257 f., wollen sogar den SparerFreibetrag und das Freistellungsauftragsverfahren beibehalten. Damit konterkarieren sie allerdings ihren eigenen Vereinfachungsansatz. 80 Zutreffend M. Schenk/F. Brusch (Fn. 74), DStR 2005, 1254, 1257. 81 Zutreffend M. Schenk/F. Brusch (Fn. 74), DStR 2005, 1254, 1258: „Feste Stichtagsregelung bei den Veräußerungsgewinnen aus Altbeständen“. 82 M. Schenk/F. Brusch (Fn. 74), DStR 2005, 1254, 1258, schlagen hierfür elektronische Meldungen an das Bundeszentralamt für Steuern vor. 83 So der Vorschlag des Landes Hessen für im Streubesitz (< 10 % Anteilsquote) befindliche Anteile an Kapitalgesellschaften, s. M. Schenk/F. Brusch (Fn. 74), DStR 2005, 1254, 1259 f.

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belastung bei Zinsen zu gewährleisten. Überhaupt bleibt zu vergegenwärtigen, dass auch das unternehmerische Kapital der Inflation ausgesetzt ist. Eine nominal niedrigere Abgeltungssteuer auf Finanzkapitaleinkünfte reizt dazu an, dem Unternehmen Kapital zu entziehen und am Kapitalmarkt anzulegen. Deshalb erstreckt der Vorschlag des Landes Hessen die Abgeltungssteuer auf eine fiktive Eigenkapitalverzinsung von Unternehmen (sog. Kapitalrenditesteuer)84. Maßgeblich soll das aus der Steuerbilanz abgeleitete Eigenkapital sein, das sich zur Vermeidung von Umgehungsgestaltungen aus vier unterjährigen Durchschnittswerten errechnet. Diese unternehmenssteuerrechtlich gebotene Erweiterung verkompliziert die Abgeltungssteuer allerdings nicht unwesentlich. Zudem wirkt sich die Behandlung der Eigenkapitalverzinsung auf die Gewerbesteuer aus85. Nicht ausgeblendet werden sollte auch die Auswirkung einer Abgeltungssteuer auf die Kirchensteuer. Der Vereinfachungszweck der Abgeltungssteuer verbietet es, nach dem Vorbild des § 51a Abs. 2 Satz 2 EStG für die Maßstabsteuer die Einkünfte aus Finanzkapital hinzuzurechnen und damit nur für kirchensteuerliche Zwecke eine „Schattenveranlagung“ durchzuführen86. Vielmehr sehe ich nur die Möglichkeit, nach dem Vorbild der pauschalierten Lohnkirchensteuer typisierend einen verminderten Kirchensteuersatz für alle Steuerpflichtigen in die Abgeltungssteuer zu integrieren und das Steueraufkommen entsprechend der Mitgliederzahl auf die erhebungsberechtigten Kirchen zu verteilen87. Eine vergleichbare Regelung enthält § 40a Abs. 6 Satz 4 EStG für die Lohnsteuerpauschalierung bei sog. Mini-Jobs88. Allerdings konfligiert das anonyme System der Abgeltungssteuer mit der Ausgestaltung der Kirchensteuer als Mitgliedsteuer. Es widerspricht der in Art. 4 Abs. 1 GG verankerten Glaubens- und Bekenntnisfreiheit sowie der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates, wenn Kirchensteuern auch von Nichtmitgliedern erhoben werden89. Daher ist eine Kirchensteuer bei einer pauschalierten Lohnsteuer verfassungsrechtlich nur dann zulässig, wenn und soweit der Arbeitgeber geeignete Nachweise erbringen darf, wie viele seiner pauschal besteuerten Arbeitnehmer keiner steuererhebenden

__________ 84 Siehe M. Schenk/F. Brusch (Fn. 74), DStR 2005, 1254, 1259. 85 M. Schenk/F. Brusch (Fn. 74), DStR 2005, 1254, 1260, wollen zum Ausgleich dafür die Kommunen stärker an den staatlichen Gemeinschaftssteuern (Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer) beteiligen. 86 A. A. aber J. Petersen, Die Anknüpfung der Kirchensteuer an die Einkommensteuer durch § 51a EStG, in Seer/Kämper (Hrsg.), Bochumer Kirchensteuertag, Frankfurt a. M. u. a. 2004, 101, 152 ff. 87 R. Seer, in Seer/Kämper (Fn. 86), 185, 188 f.; s. auch J. Giloy, ebenda, 165, 170. 88 Sie wollen M. Schenk/F. Brusch (Fn. 74), DStR 2005, 1254, 1258, auch für den Bereich der Abgeltungssteuer nutzbar machen. 89 BVerfG, Urt. v. 14. 12. 1965 – 1 BvR 606/60 u. a., BVerfGE 19, 268, 274; BVerfG, Beschl. v. 8. 2. 1977 – 1 BvR 329/71, BVerfGE 44, 37, 53 f.; BFH-Urteile v. 7. 12. 1994 – I R 24 u. 26/93, BStBl. II 1995, 507; BFH/NV 1995, 827.

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Kirche angehören90. Überträgt man dies auf die Abgeltungssteuer, so wird der konfessionslose Anleger bei entsprechendem Nachweis von seiner Bank verlangen können, auf die Erhebung des Kirchensteueranteils zu verzichten. Inländischen Steuerpflichtigen mit Auslandsanlagen wäre schließlich zur Vermeidung einer neuerlichen Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EGV, s. o. IV.2./3.) die Option einzuräumen, ihre ausländischen Kapitaleinkünfte im Rahmen der Veranlagung ebenfalls zum Abgeltungssteuersatz besteuern zu lassen91. Diese und die vorstehenden Erwägungen zeigen, dass auch die Abgeltungssteuer kein lediglich einfaches Instrument ist und ihrerseits Probleme aufwirft, die es zu lösen gilt. Sie unter den Tisch zu kehren, entspräche sicher nicht dem praxisorientiert-wissenschaftlichen Denken Arndt Raupachs. Vielmehr sind die Vor- und Nachteile der Abgeltungssteuer ideologie- und vorurteilsfrei gegeneinander abzuwägen, um der Misere der Kapitalertragbesteuerung schließlich ein Ende zu bereiten.

__________ 90 F. Hammer, Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuerpflicht, in Seer/Kämper (Fn. 86), 77, 96 f. 91 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 4. 3. 2004 – C-334/02 (Kommission/Frankreich), IStR 2004, 275 m. Anm. von H. Hahn.

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Zur Bedeutung des § 2 EStG für die Systematik des Steuerrechts Inhaltsübersicht I. Vorbemerkung II. Struktur und Inhalt der Vorschrift 1. Zum Einkommensteueranspruch dem Grunde nach 2. Zum Einkommensteueranspruch der Höhe nach 3. Allgemeine Auswirkungen auf die Umsetzung durch Steuerverwaltungsakt

III. Zur Bedeutung für das Einkommensteuerrecht 1. Zur materiellrechtlichen Bedeutung 2. Zur formellrechtlichen Bedeutung IV. Zur Bedeutung für andere Steuerarten V. Schlussbemerkung

I. Vorbemerkung In seltenem, noch dazu unabgestimmtem Gleichklang1 vermittelten der Jubilar und der Verfasser in ihrer gemeinsamen Münchener Hochschulzeit „ihren“ Studenten bei jeder erdenklichen Gelegenheit ihr „Credo“: § 2 EStG und das in ihm fixierte Grundschema des Einkommensteueranspruchs als ebenso unerläßliche wie verläßliche Basis für die Lösung eines jeden einkommensteuerrechtlichen Falles! Was also eignet sich mehr für einen Festschriftbeitrag zu Ehren des geschätzten ehemaligen (sehr vermissten) „Mitstreiters“, als aus diesem Anlaß einen Blick auf die vielerlei Früchte der gemeinsamen Erkenntnis zu werfen, die sich im Laufe der Jahre aus theoretischem, praktischem oder didaktischem Anlaß angesammelt haben?! Nun könnte man meinen, ein solches Beginnen dürfe allenfalls beim Jubilar, als dem langjährigen Gefährten auf diesem Weg, Interesse finden, nachdem die hierdurch zu vermittelnde systematische Sichtweise schon seit langem selbst in die Einkommensteuerrichtlinien2 Eingang gefunden hat. – In der Folge indessen wird deutlich werden, dass dies keineswegs so ist, weil ja das Steuerrecht nicht nur unter Systemlosigkeit leidet, sondern auch darunter,

__________ 1

2

Eine der wenigen, letztlich unaufgelöst gebliebenen „Dissonanzen“ erklang anläßlich einer gemeinsamen Lehrveranstaltung in Gestalt der unterschiedlichen Antwort auf die Frage, an welcher Stelle des von § 2 EStG vorgegebenen Schemas die Frage der Ehegattenveranlagung zu erörtern sei (s. Raupach, StuW 2002, 176). EStR R 3 u. R 4; dazu ausführlich P. Kirchhof in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 2 Rz. A 31 ff.; s. auch Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., 2005, § 9 Rz. 105.

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daß die Möglichkeiten, die es da trotz aller Desorientierung noch immer gibt, nicht genutzt bzw. nicht ausgeschöpft werden3. Dass Verständnislücken bzw. Unsicherheiten sowohl hinsichtlich der allgemeinen als auch hinsichtlich der speziellen abgabenrechtlichen Bedeutung des § 2 EStG zu konstatieren sind, soll der nachfolgende Überblick deutlich machen.

II. Struktur und Inhalt der Vorschrift Die grundlegende Bedeutung der Regelung erschließt sich nicht nur aus ihrer Fassung, sondern vor allem auch aus ihrem inneren Aufbau, und zwar in einer für das Steuerrecht bemerkenswert einleuchtenden Weise. 1. Zum Einkommensteueranspruch dem Grunde nach a) Verhältnis zur Abgabenordnung Zunächst konkretisiert die Regelung die allgemeinen steuerrechtlichen Vorschriften der §§ 3 Abs. 1, 38 AO4, indem sie in § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG den Einkommensteueranspruch (bzw. aus umgekehrter Sicht die Einkommensteuerschuld5) dem Grunde nach fixiert6: d. h. sie bestimmt, daß dieser –

in objektiver Hinsicht entsteht, sofern der Tatbestand der Einkünfteerzielung in einer der in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 – 7 EStG allgemein (in § 2 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. den §§ 13 – 24 EStG speziell) umschriebenen Varianten verwirklicht wird7;

__________ 3 4

5 6

7

S. dazu auch v. Groll in Gedächtnisschrift für Trzaskalik, 2005, S. 19 ff. Zu deren allgemeiner Bedeutung: A. Hensel, Steuerrecht, 3. Aufl., 1933, S. 102; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung u. a., § 38 AO Rz. 6 ff.; Schuster in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur AO u. a., § 38 AO Rz. 26; v. Groll in Gedächtnisschrift für Trzaskalik, a. a. O. (Fn. 3) S. 21 ff. – jew. m. w. N. Beide Begriffe werden im folgenden in austauschbarer Weise verwendet, was wegen ihrer inhaltlichen Deckungsgleichheit keinerlei Verständnisprobleme mit sich bringen kann. Ausführlich zur Bedeutung des § 2 EStG als Grundsatznorm für die Bestimmung des Belastungsgrundes: Kirchhof in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a. a. O. (Fn.2), § 2 Rz. A 17 ff.; BFH v. 10. 11. 1999 – X R 60/95, BFHE 189, 479 = BStBl II 2000, 131 (unter B. III. 2.); Raupach, DStJG 1 (1978), S. 210 f. sowie in Festschrift für Beisse, 1997, S. 403; v. Groll in Lehner, Verluste im nationalen und internationalen Steuerrecht, 2004, S. 23, 24 ff. sowie in Gedächtnisschrift für Trzaskalik, a. a. O. (Fn.3), S. 21 ff. – jew. m. w. N. A. Hensel, a. a. O. (Fn. 4), S. 58 f.; Kruse in Tipke/Kruse a. a. O. (Fn. 4), § 38 AO Rz. 6; allgemein: Koenig in Pahlke/Koenig, Kommentar zur AO, 2004, § 38 Rz. 7; speziell: P. Kirchhof in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a. a. O. (Fn. 2), Rz. B 180 ff.

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Zur Bedeutung des § 2 EStG für die Systematik des Steuerrechts



in subjektiver Hinsicht8 in der Person dessen, dem die Tatbestandsverwirklichung – je nach Ausgestaltung der spezialgesetzlichen Anspruchsgrundlage – unmittelbar persönlich (wie z. B. im Fall des § 19 EStG) oder aber auch nur mittelbar (wie vor allem im Fall des § 15 EStG9) zuzurechnen ist.

b) Das Zeitmoment Maßgeblich für die Anspruchsbegründung – in objektiver wie in subjektiver Hinsicht – ist somit die Tatbestandsverwirklichung (Verwirklichung des Tatbestands, an den das Gesetz die Steuer knüpft), also die Beantwortung der Frage, ob und durch wen es zur Einkünfteerzielung i. S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG gekommen ist. Dass demgegenüber die in den §§ 2 Abs. 7, 25 Abs. 1 und 36 Abs. 1 EStG getroffene Entscheidung der Zusammenfassung einkommensteuerlich relevanter Vorgänge eines Kalenderjahres mit der Fixierung des Entstehungszeitpunkts des Einkommensteueranspruchs auf den Ablauf des Veranlagungszeitraums abstellt, entlarvt sich unter anderem vor allem dann als eine vorwiegend der technischen Vereinfachung dienende, praktischen Bedürfnissen Rechnung tragende Regelung10, wenn sich die Frage nach der zutreffenden Anknüpfung für den Vertrauensschutz stellt11.

__________ 8 Zu der Erkenntnis, daß die §§ 3 Abs. 1, 38 AO i. V. m. den einschlägigen Normen der Steuergesetze den Steuertatbestand nicht nur objektiv umschreiben, sondern auch Antwort darauf geben, wer ihn verwirklicht: A. Hensel, a. a. O. (Fn.4), S. 58; P. Fischer, Verhandlungen des 15. Österreichischen Juristentages 2003, 2004, Band III/2, S. 7,8; Eckhoff in v. Groll (Hrsg.), DStJG 28, 2005, S. 11, 22 ff.; v. Groll, ebenda, S. 340, StuW 1995, 326, 328 f. sowie in Gedächtnisschrift für Trzaskalik, a. a. O. (Fn. 3), S. 21 ff.; Seeger in Schmidt, Kommentar zum EStG, 24. Aufl., 2005 § 2 Rz. 18 – jew. m. w. N. 9 Zur Möglichkeit mittelbarer Tatbestandsverwirklichung s. näher v. Groll, StuW 1995 a. a. O. (Fn. 8), S. 326 ff. sowie in Gedächtnisschrift für Trzaskalik, a. a. O. (Fn. 3) S. 26 ff. m. w. N. in Fn. 36; Schön in Festschrift für Offerhaus, 1999, S. 389 f.; s. neuerdings auch BFH v. 1. 7. 2003 – VIII R 61/02, BFH/NV 2004, 27, 28; v. 15. 3. 2005 – X R 39/03, BFH/NV 2005, 1437, 1441 ff. (unter B. II. 2.) m. w. N.; ähnlich auch Raupach in Festschrift für Beisse, a. a. O. (Fn. 6), der Fallgestaltungen dieser Art zunächst, in seiner Dissertation („Der Durchgriff im Steuerrecht“, München, 1968) mit dem Instrument des Durchgriffs zu lösen gesucht hatte – so wie noch immer P. Fischer, a. a. O: (Fn. 8), S. 7 ff.; vgl. i.ü. auch Crezelius, Festschrift für Otte, 2005, S. 39 ff. – jew. m. w. N. 10 Im Sinne einer rein technischen Zusammenfassung wird die Abschnittsbesteuerung auch von Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, 1991, S. 115 verstanden. 11 Kennzeichnend hierfür: BVerfG v. 3. 12. 1997 – 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67 (unter C. I. 2.); s. dazu grundsätzlich auch Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn, 1999, S. 93; Eckhoff in v. Groll, DStJG 28, a. a. O. (Fn. 8) S. 33 ff.; v. Groll, ebenda, S. 337 ff. sowie – mit weiteren Beispielen – in Lehner, a. a. O. (Fn. 6) S. 25 ff. – jew. m. w. N.

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c) Finalität Dass das Tatbestandsmerkmal „erzielt“ nach der maßgeblichen objektiven Erklärungsbedeutung12 für das Erfordernis der Finalität jeglicher einkommensteuerrechtlicher Tatbestandsverwirklichung steht13, bestätigt sich vor allem –

in der, soweit ersichtlich, unstreitig akzeptierten Einbeziehung vorweggenommenen, ja sogar vergeblichen Erwerbsaufwands in die einkommensteuerrechtliche Bemessungsgrundlage (dazu näher auch unter d) bzw. in der tatbestandsmäßigen Erfassung auch negativer Einkünfte (§ 10d EStG14; s. auch nachstehend unter d) und e) sowie unter III.1.b) aa));



in der Ausgrenzung der Liebhaberei, die ohne Beurteilung der Ausrichtung des in Frage stehenden Verhaltens verläßlich nicht zu bewältigen ist und tatsächlich auch nicht praktiziert wird,



in der Nichtberücksichtigung von Wertzugängen, die nicht das Ergebnis zielgerichteten Verhaltens, sondern als „Zufallsprodukt“ zu werten sind15 (im Unterschied zu Wertzugängen, die zwar konkret nicht angestrebt wurden, aber gleichwohl in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen, weil sie durch steuerbares Verhalten i. S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG veranlaßt sind16).

sowie

d) „Einkünfte“ Der notwendige Gegenstand des in § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG vorausgesetzten finalen Verhaltens (s. dazu vorstehend unter c)) ist im Rahmen des Grundtatbestands mit dem Begriff „Einkünfte“ zwar benannt, definiert aber ist er in § 2 Abs. 2 EStG als Gewinn (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG) bzw. als Überschuß (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG). Damit ist vollends deutlich gemacht, dass, in Abgrenzung zur „Liebhaberei“, nur solches Verhalten vom einkommensteuerrecht-

__________ 12 S. dazu Kruse/Drüen in Tipke/Kruse a. a. O. (Fn. 4), § 4 AO Rz. 234 ff.; v. Groll in Freundesgabe für F. J. Haas, 1996, S. 149, 153 ff. 13 Näher hierzu und Meinungsstand: v. Groll in Festschrift für K. Vogel, 2000, S. 687 ff. und in DStJG 28, a. a. O. (Fn. 8), S. 327 f. m. w. N. 14 Einzelheiten bei v. Groll in Lehner, a. a. O. (Fn. 6) S. 23 f. sowie in DStJG 28, a. a. O. (Fn. 8), S. 326 f. 15 S. zu dieser Problematik BFH v. 18. 6. 1998 – IV R 29/97, BFHE 186, 351 = BStBl II 1998, 567, mit Anm. von Zugmaier, FR 1998, 947 (zum Thema „Zufallserfindungen“); Nichtsteuerbarkeit von Spielgewinnen und der diesbezüglichen Abgrenzungsproblematik: BFH v. 11. 11. 1993 – XI R 48/91, BFH/NV 1994, 622; sehr instruktiv neuerdings zur schriftstellerischen Tätigkeit („Zufallsschriftsteller“): W. Schön, Festschrift für Schricker, 2005, S. 165 ff. 16 Zu dieser Unterscheidung grundlegend: Tipke, StuW 1979, 193, 201 f.; s. auch Lang in Tipke/Lang, a. a. O. (Fn. 2), § 9 Rz. 206; v. Groll in Festschrift für K. Vogel, a. a. O. (Fn. 13), S. 692 f. sowie in DStJG 28, a. a. O. (Fn. 8), S. 328 – jew. m. w. N.

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Zur Bedeutung des § 2 EStG für die Systematik des Steuerrechts

lichen Tatbestand erfaßt wird, das auf ein positives Ergebnis hin angelegt ist (s. dazu auch oben unter c). Im gedanklichen Aufbau des § 2 EStG endet also die Fixierung des Anspruchsgrundes in § 2 Abs. 2 EStG mit der Legaldefinition der Einkünfte. Damit zugleich wird an dieser Stelle der Maßstab für die Quantifizierung dieses Anspruchs festgeschrieben, die Ausgangsgröße für die Bestimmung seiner Höhe fixiert. 2. Zum Einkommensteueranspruch der Höhe nach Von der zugleich mit der Tatbestandsbestimmung fixierten Ausgangsgröße (Gewinn oder Überschuß; s. 1. d) führt der nächste Schritt zur Bestimmung der Bemessungsgrundlage in § 2 Abs. 3 gem. dem Tatbestandsmerkmal „Summe der Einkünfte“ zur Zusammenfassung der (positiven wie negativen) Ergebnisse jeglicher Tatbestandsverwirklichung i. S. des § 2 Abs. 1 und Abs. 2 EStG und dann weiter zur Ermittlung des „Gesamtbetrags der Einkünfte“. Die Bestimmung des Einkommensteueranspruchs der Höhe nach setzt sich schrittweise fort mit der Verminderung der Bemessungsgrundlage um die auf der Stufe des § 2 Abs. 4 und Abs. 5 Satz 1 EStG vorgesehenen Abzüge, bis auf dieser letztgenannten Stufe das „zu versteuernde Einkommen“ erreicht ist, und schließlich, nach evtl. weiteren Abzügen, zur Maßgröße „festzusetzende Einkommensteuer“ in § 2 Abs. 6 Satz 1 bzw. Satz 2 EStG. 3. Allgemeine Auswirkungen auf die Umsetzung durch Steuerverwaltungsakt Mit der materiellrechtlich geprägten Zielbestimmung „festzusetzende Einkommensteuer“ für die Ermittlung des Einkommensteueranspruchs in § 2 Abs. 6 Satz 1 EStG hat der Gesetzgeber zugleich die Vorgabe für den zu regelnden Einzelfall i. S. des § 118 Satz 1 AO geliefert: –

zum einen für den Steuerbescheid (§§ 155 ff. und §§ 172 ff. AO);



zum andern für Feststellungsbescheide (§§ 179 ff. AO bzw. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO i. V. m. §§ 172 ff. AO.

Damit sind zugleich auch die Kriterien für die Abgrenzung zwischen beiden Typen von Steuerverwaltungsakten17 bestimmt – so, wie sie in § 157 Abs. 2 AO charakterisiert sind, und mit den verfahrensrechtlichen Konsequenzen

__________ 17 S. dazu v. Groll in Gräber, Kommentar zur FGO, 5. Aufl., 2002, Vor § 40 Rz. 58 ff. sowie in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O. (Fn. 4), Vor §§ 172 – 177 AO Rz. 72 ff. – jew. m. w. N.

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Rüdiger von Groll

hieraus18, speziell in den §§ 351 Abs. 2 AO, 42 FGO19 und in den §§ 352 AO, 48 FGO20 (näher hierzu unter III.2.).

III. Zur Bedeutung für das Einkommensteuerrecht 1. Zur materiellrechtlichen Bedeutung a) Allgemeines Gestützt auf die (nach Beendigung des nur noch phänomenologisch interessierenden Intermezzos der weder versteh- noch handhabbaren „Mindestbesteuerungsregelung“ in den §§ 2 Abs. 3 und 10d EStG21) systematisch in sich stimmige und einleuchtende Beschreibung des Belastungsgrundes in § 2 EStG22 findet man in dieser Vorschrift zumindest den richtigen Ansatz, vielfach auch die entscheidende Orientierungshilfe zur theoretischen wie praktischen Lösung aller einkommensteuerrechtlichen Probleme. Dies soll nachfolgend an einigen exemplarischen Beispielen verdeutlicht werden. b) Beispiele aa) Verlustabzug Projiziert man § 10d EStG auf die in § 2 EStG ausgedrückte Systematik, so wird deutlich23: –

Die Tatbestandsmäßigkeit des Verlustabzugs im allgemeinen, insbesondere die auch hier unerläßliche Ausgrenzung der Liebhaberei, richtet sich nach den Vorgaben des § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG (s. o. unter II.1. a) bis c)).



Speziell die Verlustentstehung (in § 10 d Abs. 1 Satz 1 EStG, markiert durch die Tatbestandsmerkmale „Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden“) entscheidet

__________ 18 Hierzu generell: v. Groll in Gräber, a. a. O. (Fn. 17), § 40 Rz. 87 ff. u. 92 ff. sowie § 65 Rz. 65 – jew. m. w. N. 19 S. dazu näher: Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O. (Fn. 4), § 351 AO Rz. 120 ff.; Steinhauff, ebenda, § 42 FGO Rz. 18 ff. u. 130 ff.; v. Groll in Gräber, a. a. O. (Fn. 17), § 42 Rz. 29 ff. – jew. m. w. N. 20 Dazu näher: Birkenfeld, a. a. O. (Fn. 19), § 352 AO Rz. 9 ff.; Steinhauff, a. a. O. (Fn. 19), § 48 FGO Rz. 41 ff.; v. Groll in Gräber, a. a. O. (Fn. 17), § 48 Rz. 11 ff. 21 Im Gesetz v. 24. 3. 1999 (BGBl I, 402); zur Kritik: M. Wendt in v. Groll, DStJG 28, a. a. O. (Fn. 8), S. 70 f. m. w. N. Fn. 163; s. auch an gleicher Stelle P. Kirchhof, S. 9 sowie v. Groll, S. 333 u. 335 f. 22 „Fremdkörper“ wie die Regelungen in § 2 Abs. 5 Satz 2 u. Abs. 5 Buchst. a EStG können mangels steuer- rechtlicher Relevanz dieses Bild nicht stören; s. dazu auch Seeger in Schmidt, a. a. O. (Fn. 8), § 2 Rz. 86 f. 23 Zu den Einzelheiten s. auch v. Groll in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a. a. O. (Fn. 2), Rz. A 20 ff. sowie in Lehner, a. a. O. (Fn. 6), S. 24 ff. – jew. m. w. N.

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Zur Bedeutung des § 2 EStG für die Systematik des Steuerrechts

sich über die Einkunftsermittlung nach § 2 Abs. 2 EStG (s. dazu unter II.1. d)) auf der Ebene des § 2 Abs. 3 EStG24. –

Die in § 10d Abs. 1 bzw. Abs. 2 EStG angeordnete Rechtsfolge tritt bei Verlustrücktrag wie bei Verlustvortrag kraft Gesetzes ein (das in § 10d Abs. 1 Satz 4 und Satz 5 EStG – systemwidrigerweise25 – vorgesehene Wahlrecht betrifft nur die zeitlichem Zuordnung) auf der Ebene des § 2 Abs. 4 EStG, und zwar gem. § 10d Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 EStG „vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen“ (s. i. Ü. auch nachstehend unter 2. a)).

bb) Zusammenveranlagung Auch das präzise Verständnis des § 26 b EStG erschließt sich verläßlich nur aus dem systematischen Zusammenhang mit § 2 EStG. Nach wirksamer Ausübung des in § 26 Abs. 1 EStG begründeten Wahlrechts gilt kraft Gesetzes, und zwar zunächst materiellrechtlich, folgendes: Tatbestandsverwirklichung gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG und Einkünfteermittlung nach § 2 Abs. 2 EStG sind für jeden Ehegatten getrennt zu prüfen und zu würdigen. Erst von der Stufe des § 2 Abs. 3 EStG an werden sie als einheitliches Zurechnungssubjekt und „gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt“. Dies hat Konsequenzen bis hin in das Recht des Steuerverwaltungsakts (§§ 44 Abs. 1 Satz 1 und 155 Abs. 3 Satz 1 AO; s. außerdem ausführlich nachstehend unter 2. b)) sowie in das Verfahrensrecht hinein26. cc) Personengesellschaft Die seit den Beschlüssen des Großen Senats des BFH vom 25. 6. 198427 und vom 3. 7. 199528 herrschende und neuerdings am Beispiel der „Zebragesellschaft“ in besonders eindrucksvoller Weise bestätigte29 Behandlung der Personengesellschaft im Anwendungsbereich des EStG erfährt, bezogen auf § 2 EStG, scharfe Konturen: Danach sind allein der Gesellschaft zuzurechnen:

__________

24 S. auch v. Groll, DStJG 28, a. a. O. (Fn. 8), S. 332 f. m. w. N. 25 S. dazu v. Groll in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a. a. O. (Fn. 2), § 10d Rz. A 231 sowie in Freundesgabe für F. J. Haas, 1996, S. 157 ff. u. in Lehner, a. a. O. (Fn. 12), S. 29; generell zur Problematik der Existenz von Gestaltungsrechten im Steuerrecht: Kruse, Lehrbuch, a. a. O. (Fn. 10), S. 127; Tipke/Seer in Tipke/Kruse, a. a. O. (Fn. 4), § 85 AO Rz. 69 – jew. m. w. N. 26 S. dazu Koch in Gräber, a. a. O. (Fn. 17) § 60 Rz. 137; v. Groll, ebenda, Vor § 40 Rz. 38 u. 72; § 40 Rz. 37 u. 115. 27 GrS 4/82, BFHE 141, 405 = BStBl II 1984, 751, unter C. III. 3. 28 GrS 1/93, BFHE 178, 86 = BStBl II 1995, 617 unter C. IV. 2. b). 29 Durch den Beschluß v. 11. 4. 2005 – GrS 2/02, BFHE 209, 399 = BStBl.II 2005,679, unter C. 1.-3.; s. auch BFH v. 17. 8. 2005 – X R 58/01, BFH/NV 2006, 230, 231 sowie v. 15.9.2005 – III R 18/03, BFH/NV 2006, 235.

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die Tatbestandsverwirklichung nach § 2 Abs. 1 Satz 1, einschließlich der Abgrenzung zur „Liebhaberei“ und der Bestimmung der Einkunftsart;



die Einkünfteermittlung nach § 2 Ab. 2 EStG – mit der Folge, dass z. B. insoweit von einer der Gesellschaft als Steuerrechtssubjekt zuzurechnenden Bilanz auszugehen ist (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. §§ 4 Abs. 1, 5 EStG)30.

2. Zur formellrechtlichen Bedeutung Angesichts der Wechselwirkung zwischen materiellem Recht und formellem Recht31 nimmt es nicht wunder, daß die zuvor dargestellte Systematik des materiellen Rechts in das formelle Recht hineinwirkt und dieses mitgestaltet. Die Funktion des Verwaltungsakts, materielles Recht zu konkretisieren32, wird geradezu modellhaft ins Bild gesetzt in jedem Jahressteuerbescheid zur Einkommensteuer: In seiner Begründung entspricht er haargenau dem Aufbauschema des § 2 EStG. Dieser Umstand hilft auch das Dilemma zu erfassen und aufzulösen, daß einerseits die Unrichtigkeit eines solchen Verwaltungsakts typischerweise in der Behandlung einer einzelnen Besteuerungsgrundlage ihre Ursache hat, dies andererseits aber rechtlich – für den Rechtsschutz wie für die Korrektur einer bestandskräftigen Einzelfallregelung – nur relevant wird, wenn hierdurch der Regelungsgehalt des Bescheids, sein „Tenor“ tangiert wird. Dies und die Rolle, die § 2 EStG hierbei zukommt, soll an zwei weiteren Fallgruppen veranschaulicht werden. a) § 10d Abs. 4 EStG Daraus, dass sich der sachliche Regelungsgehalt eines Einkommensteuerbescheids grundsätzlich in der Steuerfestsetzung (§ 2 Abs. 6 S. 1 EStG i. V. m. §§ 155 Abs. 1 S. 1 und 157 Abs. 1 S. 2 AO) erschöpft33 und die Einzelheiten der Ermittlung dieser Endgröße (d. h. im Fall des Verlustabzugs die Fixierung der im Entstehungsjahr „nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte“) gemäß § 157 Abs. 2 AO in den für die Rechtswidrigkeit eines solchen Verwaltungsakts und damit auch für die von ihm möglicherweise ausgehende Rechtsbeeinträchtigung i. S. der §§ 350 AO, 40 Abs. 2 FGO prinzipiell irrelevanten Teil der Begründung (§ 121 AO) verwiesen sind, ergab und ergibt sich für den

__________ 30 S. i. Ü. auch Seeger in Schmidt, a. a. O. (Fn. 8), § 2 Rz. 25 u. Wacker, ebenda, § 15 Rz. 202 ff.; v. Groll in Gräber, a. a. O. (Fn. 17), § 57 Rz. 15 a u. 26 f. sowie in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O. (Fn. 4) § 175 AO Rz. 111 u. 145 ff. – jew. m. w. N. 31 Generell hierzu Zöllner, AcP 190 (1990), 471 ff.; speziell: v. Groll, DStJG 18, S. 47 sowie in Gräber, a. a. O., (Fn. 17), § 40 Rz. 55 u. § 48 Rz. 1. 32 Zu den Einzelheiten: v. Groll in Gräber, a. a. O.(Fn.17), Vor § 40 Rz. 7. 33 S. dazu näher : v. Groll in Gräber, a. a. O. (Fn. 17), § 40 Rz. 72 f. und 87 ff. m. w. N. und Beispielen.

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Zur Bedeutung des § 2 EStG für die Systematik des Steuerrechts

Anwendungsbereich des § 10 d EStG eine Rechtsschutzlücke34, die durch die Einführung einer gesonderten Feststellung für verbleibende Verluste (jetzt § 10d Abs. 4 EStG) geschlossen wurde35. b) § 173 AO im Anwendungsbereich des § 26b EStG Besonders deutlich wird die systematische Bedeutung des § 2 EStG, wenn es darum geht, einen bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid nach § 173 AO zu korrigieren, der eine Ehegattenzusammenveranlagung zum Gegenstand hat. Dabei kommt dem Umstand, dass die Ehegatten in solchen Fällen nach § 25 Abs. 3 S. 1 EStG eine gemeinsame Steuererklärung abzugeben haben, keine entscheidende Bedeutung zu: Diese rein formelle Verpflichtung aus dem Steuerrechtsverhältnis ist nicht geeignet, die das Steuerschuldverhältnis regelnde gesetzliche Zuordnungs- und Zurechnungsentscheidung zu verändern oder gar zu verdrängen36. Nicht überzeugend gelingen dagegen kann die Rechtsanwendung in solchen Fällen, wenn man sich der „Mittlerrolle“ des § 2 EStG nicht bedient. Allein aus dem Zusammenspiel der §§ 2 Abs. 1 und 26b EStG mit § 173 AO nämlich wird einem klar37, dass für die Beantwortung der Frage, ob –

die Tatsachen oder Beweismittel, um die es geht, zu einer anderen Steuerfestsetzung führen als bisher, also Rechtswidrigkeit gegeben und eine Korrektur überhaupt geboten bzw. erlaubt ist, ebenso wie für diejenige, ob diese Tatsachen oder Beweismittel eine niedrigere oder höhere Steuerfestsetzung zur Folge haben, also § 173 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 AO eingreift, gemäß § 26b i. V. m. § 2 Abs. 6 S. 1 EStG sowie den §§ 155 Abs. 1 S. 1, 157 Abs. 1 S. 2 AO beide Ehegatten als Einheit anzusehen sind; desgleichen für die Beurteilung aller sonstigen Tatbestandsmerkmale dieser Korrekturvorschrift, die den Bescheid als solchen und seinen Regelungsgehalt38 betreffen (wie z. B. der Zeitpunkt des Bekanntwerdens39 oder die Zurechnung, bezogen auf die Finanzbehörde40);



und inwieweit die Grundsätze von Treu und Glauben einer an und für sich begründeten Korrektur entgegenstehen, weil die korrekturbegrün-

__________ 34 S. z. B. BFH v. 15. 2. 1979 – I R 12/76, BFHE 128, 40 = BStBl.II 1979, 584; v. 8. 12. 1982 – VIII R 53/82, BFHE 139, 28 = BStBl. II 1983, 710; v. 7. 9. 1988 – VIII R 432/83, BFHE 155, 83 = BStBl. II 1989, 225; v. 11. 8. 1999 – XI R 23/98, BFH/NV 2000, 184. 35 Zu den Einzelheiten: Heinicke in Schmidt, a. a. O. (Fn. 8), § 10d Rz. 50 ff.; v. Groll in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a. a. O. (Fn. 2), § 10d Rz. D 70 ff. – jew. m. w. N. 36 S. auch v. Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O.(Fn. 4), § 173 AO Rz. 268 m. w. N., auch zur Gegenmeinung. 37 S. zum folgenden auch v. Groll, a. a. O. (Fn. 36), Rz. 264 ff. m. w. N. 38 S. dazu v. Groll, a. a. O.(Fn. 36), Rz. 183 ff. 39 Näher dazu: v. Groll, a. a. O. (Fn. 36), Rz. 170 ff. 40 Hierzu generell : v. Groll, a. a. O. (Fn. 36), Rz. 140 ff.

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Rüdiger von Groll

denden Tatsachen/Beweismittel zum maßgeblichen Zeitpunkt hätten bekannt sein können41, auf der Seite des „Steuerpflichtigen“ (also grundsätzlich des Inhaltsadressaten des zu korrigierenden Bescheids42) differenzierend zu beantworten ist – je nach dem, aus wessen Verantwortungsbereich das korrekturauslösende Ereignis stammt: – aus dem Bereich des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 EStG – mit der Folge, dass es auf das Kennenmüssen des jeweiligen Einkünfteerzielers (s. o.) ankommt, oder – aus der Sphäre, die durch § 2 Abs. 3 bis Abs. 6 EStG markiert ist – mit der Konsequenz gemeinschaftlicher Zurechnung43; –

grobes Verschulden eine Korrektur zugunsten des Steuerpflichtigen (beider Ehegatten, s. o.) gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 AO hindert, wiederum, weil ein subjektiver Verschuldensbegriff gilt44 und dieser außerdem auf eine bestimmte Besteuerungsgrundlage (über die Tatsache bzw. das Beweismittel) zu beziehen ist, ebenfalls in Übereinstimmung mit der in § 26b EStG getroffenen Wertentscheidung, nach dem Verantwortungsbereich, aus dem das die Korrektur auslösende Ereignis stammt45;



ein solches Verschulden gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 AO unbeachtlich ist, weil das korrekturauslösende Ereignis in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit einer Tatsache oder einem Beweismittel i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO steht, nach den Vorgaben des § 26b EStG die Betrachtung der Ehegatten „gemeinsam als Steuerpflichtiger“ erfordert, weil die Korrekturregelung insoweit maßgeblich auf die steuerliche Auswirkung der Tatsache/des Beweismittels abstellt.

__________ 41 S. dazu allgemein: v. Groll, a. a. O. (Fn. 36), Rz. 174, 191 und 235 ff. 42 S. v. Groll, a. a. O. (Fn. 36), Rz. 264. 43 So auch v. Groll, a. a. O. (Fn. 36), Rz. 266. Der BFH dagegen erwähnt in seinem Urteil v. 24. 7. 1996 – I R 62/95, BFHE 181,252 = BStBl. II 1997,115, § 26b EStG mit keinem Wort und judiziert infolgedessen, geradezu „mustergültig“ an der darin angeordneten Differenzierung vorbei – mit der weiteren, ebenfalls „lehrreichen“ Konsequenz, dass auch die Begründung der Entscheidung desselben Senats v. 11. 2. 1998 (I R 82/97, BFHE 181, 252 = BStBl. II 1998, 552), zur Änderungssperre nach § 173 Abs. 2 AO (unter II.3.), nicht überzeugt. 44 BFH v. 3. 2. 1983 – IV R 153/80, BFHE 137, 547 = BStBl. II 1983,328 (unter 3. b) aa)); Loose in Tipke/Kruse, a. a. O. (Fn. 4), § 173 AO Rz. 76 und 81; v. Wedelstädt in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 173 AO Rz. 86; v. Groll, a. a. O. (Fn. 36), Rz. 275. 45 S. auch v. Groll, a. a. O. (Fn. 36), Rz. 270 m. w. N., auch zur Gegenmeinung, die angeführt wird durch das BFH-Urteil v. 24. 7. 1996 (Fn. 43), unter Berufung allein auf § 25 Abs. 3 EStG, was praktisch darauf hinausliefe, daß durch die Verpflichtung zur „gemeinsamen“ Erklärung nicht nur das materielle Recht „ausgehebelt“(dazu s. o.), sondern auch in einer mit Art. 1 und 6 GG unvereinbaren Weise der eine Ehegatte zum steuerlichen Kontrolleur des anderen gemacht würde; z. T. abweichend BFH v. 16. 4. 2002 – IX R 40/00, BFHE 198, 66 = BStBl. II 2002, 501, allerdings nur für den Bereich des Steuerstrafrechts.

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Zur Bedeutung des § 2 EStG für die Systematik des Steuerrechts

IV. Zur Bedeutung für andere Steuerarten Grundlegende Bedeutung hat die Systematik des § 2 EStG außerdem auch für die Gewerbesteuer und für die Körperschaftsteuer (sowie für das hiermit zusammenhängende formelle Recht), wie sich aus den Verweisungsvorschriften des GewStG (§§ 2 Abs. 1 S. 1 und 7 Abs. 1 S. 1) bzw. des KStG (§§ 7 Abs. 1 und Abs. 2, 8 Abs. 1 S. 1) ergibt. Besonders deutlich wird dies, wenn sich der Rechtsanwender der Aufgabe zu unterziehen hat, die überaus allgemein gefasste Rechtsfolgeanordnung des § 14 Abs. 1 S. 1 KStG zu konkretisieren46, d. h. die Kriterien dafür zu entwickeln, wie genau im zu entscheidenden Fall „das Einkommen der Organgesellschaft dem Organträger zuzurechnen“ ist – ein Unterfangen, bei dem es ohne Ausrichtung an Struktur und Inhalt des § 2 EStG kaum gelingen kann, das Terrain der Beliebigkeit zu verlassen.

V. Schlussbemerkung Wenn vorstehende Zeilen dem Leser eine Ahnung von dem „Schatzfund“ vermitteln konnten, den Jubilar und Verfasser in § 2 EStG dank des dort nahezu beispielhaft verwirklichten Folgerichtigkeitsprinzips inmitten der ansonsten mehr oder weniger chaotischen Steuerlandschaft aufgespürt zu haben glauben, oder wenn sie gar dazu anregen und ermutigen konnten oder können, die damit verbundenen Erkenntnisse fortzuentwickeln und im Steuerrechtsalltag zu nutzen, dann ist mit dem Beitrag mehr gelungen als „nur“ ein Geburtstagsgeschenk.

__________ 46 S. dazu Wassermeyer, DStR 2004, 214 sowie v. Groll, DStR 2004, 1193; letzterer dort – ebenso wie in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O. (Fn. 4), § 175 AO Rz. 132, 253 und 305 – auch zu den Auswirkungen auf die §§ 172 ff. AO; dazu auch BFH v. 28. 1. 2004 – I R 84/03, BFHE 205, 1 = BStBl.II 2004, 539; zum Sonderfall der Beteiligung einer Organgesellschaft an einer Personengesellschaft: FG Hamburg v. 2. 3. 2005 – VI 320/03, EFG 2005, 1223 (Rev.: VIII R 26/05).

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Heinrich Wilhelm Kruse

Über Liebhaberei I. Ende des 19. Jahrhunderts traten ein Großgrundbesitzer und ein Großindustrieller vor die Schranken des Königlich Preußischen Oberverwaltungsgerichts1. Der eine war ein Jünger Nimrods, „ein gewaltiger Jäger vor dem Herren“2, der andere unterhielt ein Gestüt mit Rennstall3. Beide hatten die dabei entstandenen Verluste mit positiven Einkünften verrechnet, konnten damit aber beim Oberverwaltungsgericht nicht durchdringen. Das waren schon damals keine Einzelfälle. Wohlhabende Fabrikanten, Kaufleute und Anwälte wollten nach Gutsherrenart leben und die teils sehr hohen Verluste aus damals wohlfeilen, weil heruntergekommenen Landgütern mit positiven Einkünften verrechnen4. Mit diesem Problem haben sich in der Folgezeit der Reichsfinanzhof5 und der Bundesfinanzhof6 immer wieder beschäftigen müssen. Inzwischen wollen auch Künstler, vom Maler bis zum Popsänger, Privatgelehrte aller Art, Vermieter von Ferienwohnungen und Ferienhäusern, Inhaberinnen von Boutiquen und Antiquitätengeschäften ihre Verluste mit eigenen positiven Einkünften oder denen des Ehegatten verrechnen. Bei allen diesen Fällen läßt sich ein gewisser Argwohn, bei manchen Zeitgenossen bis zum krassen Sozialneid gesteigert7, nur schwer unterdrücken. Der homo oeconomicus wird alles daransetzen, Verluste zu vermeiden. Nimmt er die Verluste gleichwohl hin, duldet er sie gar langfristig, so läßt das auf

__________ 1 2 3

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Entsch. v. 14. 12. 1894, OVG i. StS. 3, 150, und v. 18. 10. 1898, OVG i. StS. 7, 185. 1. Mose 10, 9. Er geisterte noch durch die Ausschußberatungen zum EStG 1925 (Strutz, EStG, Band 2, 1929, § 26 Anm. 2). Sein Plädoyer für die Verbesserung der Landespferdezucht und die Beschaffung immer neuen brauchbaren Zuchtmaterials kehrt in der Begründung des Reichsrats zu § 16 RennwLottG v. 8. 4. 1922, RGBl. I 1922, 393 mit Änderungen wieder, der noch heute den Rennvereinen 96 % des Aufkommens der Totalisatorsteuer zuweist. Die Vereine müssen die Beträge für Zwecke der öffentlichen Leistungsprüfungen für Pferde verwenden; so hatte es der Reichsrat gewollt (FinArch. 39 [1922], Band 2, 228), und so ist es heute noch. Bayer, Die Liebhaberei in Steuerrecht, 1981, 28 ff., 41 ff. Nachweise bei Becker, Die Grundlagen der Einkommensteuer, 1940, 396 ff., und Blümich, EStG, 5. Aufl. 1943, § 2 Anm. 4. Nachweise bei Seeger in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 2 Rz. 22 und 23; § 13 Rz. 2 ff.; Wacker in Schmidt, aaO, § 18 Rz. 75 und 78; Drenseck in Schmidt, aaO, § 21 Rz. 11; Stuhrmann in Blümich/Ebling, EStG, § 2 Rz. 33 ff. Lesenswert Strutz (Fn. 2), Band 1, 1927, Einleitung III, 73. Zum Neid in Bezug auf die Liebhaberei Strutz (Fn. 2), § 26 Anm. 2.

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private Neigung8, auf Liebhaberei, schließen. Bündig erklärte darum der Bundesfinanzhof9 im Anschluß an den Reichsfinanzhof10: „Bei sog. Liebhabereien, z. B. Luxusgütern, liegt eine Einkunftsart nicht vor“. Die zu Verlusten führende Tätigkeit wird ins steuerrechtliche Nirwana verwiesen; sie ist für den Bundesfinanzhof und die Verfechter der herrschenden Meinung irrelevant. Die Tätigkeit kann zwar unter einen der sieben Einkunftstatbestände subsumiert werden, soll dort aber nicht hingehören. Der Reichsfinanzhof11 argumentierte fiskalisch: „Aus dem obersten und letzten Endes alleinigen Zweck des Einkommensteuergesetzes, dem Reiche Einnahmen zu verschaffen, ergibt sich aber, daß, soweit die in § 6 I EStG (sc. 1925) aufgezählten Einkommensarten eine bestimmte Tätigkeit, eine Beteiligung am Wirtschaftsleben voraussetzen, wesentliches Merkmal dieser Tätigkeit nicht nur das Streben nach Erzielung von Einnahmen, sondern von Einkommen im Sinne eines Gewinns bzw. eines Einnahmeüberschusses sein muß. Wenn dieses Merkmal nicht gegeben ist, kann auch von einer auf der ausgeübten Tätigkeit beruhenden Einkommensart im Sinne des Einkommensteuergesetzes nicht gesprochen werden, selbst wenn sich die Tätigkeit im übrigen ihrer Art nach unter § 6 Abs. 1 bis 8 EStG einreihen ließe. Es liegt dann eine Liebhaberei vor.“

Der Große Senat des Bundesfinanzhofs12 argumentiert inhaltlich wie der Reichsfinanzhof fast sechzig Jahre zuvor, nur wortreicher: „Bei der Ermittlung des Einkommens für die Einkommensteuer sind nur solche positiven oder negativen Einkünfte anzusetzen, die unter die Einkünfte des § 2 Abs. 3 Nrn. 1 bis 7 EStG fallen. Kennzeichnend für diese Einkunftsarten ist, daß die ihnen zugrunde liegenden Tätigkeiten oder Vermögensnutzungen auf eine größere Zahl von Jahren gesehen der Erzielung positiver Einkünfte oder Überschüsse dienen. Fehlt es an dieser Voraussetzung, so fallen die wirtschaftlichen Ergebnisse auch dann nicht unter eine Einkunftsart, wenn sie sich ihrer Art nach unter § 2 Abs. 3 EStG einordnen ließen. Verluste, die dem Steuerpflichtigen durch ein solches unter keine Einkunftsart fallendes Verhalten – auch als „Liebhaberei“ bezeichnet – entstehen, wirken sich ebenso wenig einkommensmindernd aus, wie etwaige Gewinne oder Überschüsse daraus das steuerpflichtige Einkommen erhöhen. Dies folgt aus dem Zweck des EStG, Mittel für die öffentliche Hand zu beschaffen13 und dabei den Steuerpflichtigen entsprechend seiner Leistungsfähigkeit heranzuziehen. Dieser Zweck ist nur zu erreichen, wenn auf Dauer gesehen positive Einkünfte für die Besteuerung erfaßt werden können … Dieser Beurteilung für den Bereich der Gewinneinkünfte (§ 2 Abs. 3 Nrn. 1 bis 3 EStG) entspricht es, wenn die neuere Rechtsprechung des BFH bei Überschußeinkünften (§ 2 Abs. 3 Nrn. 4 bis 7 EStG) eine einkommensteuerrechtlich relevante Betätigung oder Vermögensnutzung nur dann als gegeben ansieht, wenn die Absicht besteht, auf Dauer gesehen nachhaltig Überschüsse zu erzielen … Auch dabei wird nicht auf das Ergebnis der Vermögensnutzung eines oder weniger Jahre oder auf einen Vorteil durch Steuerminderung abgestellt, sondern auf das positive Gesamtergebnis

__________ 8 9 10 11 12 13

BFH v. 22. 11. 1979, BStBl. II 1980, 152. BFH v. 28. 1. 1951, BStBl. III 1951, 68. RFH v. 24. 6. 1942, RStBl. 1942, 890. RFH v. 24. 4. 1929, RStBl. 1929, 329. BFH v. 25. 6. 1984, BStBl. II 1984, 751 (766). Hervorhebung vom Verfasser.

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Über Liebhaberei der voraussichtlichen Vermögensnutzung, wobei allerdings steuerfreie Veräußerungsgewinne nicht in diese Betrachtung einzubeziehen sind …“

Die Rechtsprechung und die ihr folgende herrschende Meinung verlangen vom Steuerpflichtigen die Absicht, Einkünfte zu erzielen. Zu dem objektiven Merkmal der Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr14 oder der Teilnahme am Marktgeschehen15, soll ein subjektives Merkmal hinzutreten, die sog. Einkünfteerzielungsabsicht16. Die Tätigkeit soll darauf angelegt sein, auf Dauer gesehen zu positiven Ergebnissen zu führen17. Doch diese Absicht ist eine innere Tatsache, auf die nur anhand äußerlicher Merkmale zurückgeschlossen werden kann18. Hatte der Bundesfinanzhof zunächst noch im Anschluß an den Reichsfinanzhof ausgesprochen, Einkünfte würden nur dann erzielt, wenn auf die Dauer betrachtet mit positiven Ergebnissen zu rechnen sei (objektiver Liebhabereibegriff), so geht es bei dem subjektiven Liebhabereibegriff des Bundesfinanzhofs der späteren Jahre komplizierter zu. Im Regelfall soll die Finanzbehörde die Feststellungslast für die Tatsachen tragen, die die Steuerschuld begründen oder erhöhen, der Steuerpflichtige für die Tatsachen, die die Steuerschuld aufheben oder mindern19. Folglich muß die Finanzbehörde die für die fehlende Absicht, Einkünfte zu erzielen, sprechenden Tatsachen dartun, der Steuerpflichtige umgekehrt die für seine Absicht sprechenden Tatsachen. Dabei soll für die Finanzbehörde der Hinweis auf die Dauerverluste genügen. Bei Dauerverlusten wird im Wege des Prima-facie-Beweises angenommen, daß der Steuerpflichtige nicht beabsichtigt, (positive) Einkünfte zu erzielen20. Darum muß bei Dauerverlusten der Steuerpflichtige seinerseits dartun, daß er die Absicht hat, (positive) Einkünfte zu erzielen. Dazu hinwiederum muß er mit objektiv nachprüfbaren Kriterien aufwarten. Dadurch schrumpft das Rechtsproblem zum Beweisproblem21. Das Ergebnis ist wie weiland beim Reichs-

__________ 14 Seit pr. OVG v. 24. 6. 1891, OVG i. StS. 3, 318 (320), v. 5. 5. 1898, OVG i. StS. 7, 418 (421) m. w. N. bis in unsere Tage (Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 1981/1988, 235 ff.; Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, § 8 Rz. 30) und seit 1985 ausdrücklich in § 15 II EStG an Stelle des bisherigen § 1 I GewStDV (Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 15 Anm. 1050 ff.). 15 Grundlegend Ruppe, DStJG 1 (1978), 16, und Herrmann/Heuer/Raupach, (Fn. 14), Einführung, Anm. 17, 60. Ausführlich Wittmann, Das Markteinkommen, 1992, und StuW 1993, 35. Zur Kritik Söhn, FS Tipke, 1995, 343; Schön, FS Offerhaus, 1999, 396; Tipke/Lang (Fn. 14), § 8 Rz. 31. 16 Schmidt-Liebig, „Gewerbe“ im Steuerrecht, 1997, 21; Bayer (Fn. 4), 64, 68, 70. 17 Eine theoretische, nur unter außergewöhnlichen Umständen zu realisierende Gewinnchance soll außer Betracht bleiben (BFH v. 22. 7. 1993, BStBl. II 1994, 510 m. w. N.). 18 BFH GrS v. 12. 6. 1978, BStBl. II 1968, 620, je nachdem, ob das abgebrochene Gebäude mit oder ohne Abbruchabsicht erworben worden ist. 19 BFH v. 19. 11. 1995, BStBl. II 1986, 289; v. 21. 8. 1990, BStBl. II 1991, 564; Tipke in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 88 Rz. 30 ff.; Seer in Tipke/Lang (Fn. 14), § 21 Rz. 215 ff. 20 BFH GrS v. 25. 6. 1984 (Fn. 12). 21 Ausführlich Heuermann, DStR 2005, 1338.

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finanzhof. Dauerverluste können nicht verrechnet werden. Bei den Gewinneinkünften muß ein Total-Gewinn angestrebt werden, bei den Überschußeinkünften auf die Dauer ein positives Gesamtergebnis. Das Streben nach Steuervorteilen mit dem Ergebnis, daß insgesamt die steuerliche Belastung gemindert wird, genügt nicht22. Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob „auf Dauer“ positive Einkünfte erzielt werden. Es gibt hoffnungslose Fälle, in denen von vornherein klar ist, daß „auf Dauer“ rote Zahlen geschrieben werden müssen; in solchen Fällen drängt sich die Annahme der Liebhaberei geradezu auf23. Zumindest bedarf es jedoch je nach Art der Tätigkeit längerer Verlustperioden. Der vom Bundesfinanzhof tolerierte Zeitraum beträgt in etwa neun24 bis vierzehn Jahre25, im Schnitt muß man mit zehn Jahren rechnen. Von Konsequenz kann jedoch keine Rede sein. Es gibt Branchen, die nur am Tropf der Subventionen überleben können, bei denen bisher kaum jemand gewagt hat, nach der Liebhaberei zu fragen: Kohlebergbau, Schiff- und Flugzeugbau, Schiffahrt26. Bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung muß man sich von vornherein auf lange Fristen einstellen. Pezzer hat gemeint, bei der Einkunftsart die Möglichkeit der Liebhaberei generell ausschließen zu können27. Heuermann hält es für unzulässig, die Einkünfteerzielungsabsicht zu prüfen, wenn der Steuerpflichtige die Tätigkeit auf Dauer ausgerichtet hat, sich marktgerecht verhält und eine ortsübliche Marktmiete, also die sog. „Spiegelmiete“, verlangt; nur wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben seien, müsse der Liebhaberei nachgegangen werden28. Auf dieser Linie bewegt sich auch die neuere Rechtsprechung. Der Bundesfinanzhof läßt die Absicht der Erzielung von Einkünften ungeprüft, wenn die Vermietung darauf angelegt ist, letztlich einen Einnahmeüberschuß zu er-

__________ 22 BFH GrS v. 25. 6. 1984 (Fn. 12) in Abkehr von BFH GrS v. 17. 1. 1972, BStBl. II 1972, 700. 23 BFH v. 21. 3. 1985, BStBl. II 1985, 399 (Gutshof mit Gestüt), v. 28. 8. 1987, BStBl. II 1988, 10 aE. Vgl. auch den Fall des FG Berlin v. 12. 8. 2005, DStRE 2006, 78, in dem überhaupt kein Totalüberschuß zu erwarten war. 24 BFH v. 10. 12. 1959/17. 3. 1960, BStBl. III 1960, 324 (Vollblutzucht). 25 BFH v. 22. 7. 1993, BStBl. II 1994, 510. 26 Seeger, FS Schmidt, 1993, 44. Seit Einführung der Tonnagebesteuerung (§ 5a EStG v. 9. 9. 1998, BGBl. I 1998, 2860 mit Änderungen) können bei der Schiffahrt keine Verluste mehr entstehen, doch damit ist das Problem der Gewinnerzielungsabsicht noch nicht vom Tisch (Lindberg in Frotscher, EStG, § 5a Tz. 8 f.), denn § 5a EStG ist eine reine Subventionsnorm und als solche auch gedacht und nur in den Mantel der Gewinnermittlungsvorschrift gekleidet worden (Lindberg, aaO, Tz. 5). 27 DStR 1995, 1858. Ähnlich jetzt wieder GS Trzaskalik, 2005, 247 ff. 28 DStR 2005, 1340.

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Über Liebhaberei

wirtschaften, auch wenn über lange Jahre die Werbungskosten die Einnahmen deutlich übersteigen29, ja wenn bei der gewählten Art der Finanzierung die Mieteinnahmen in einem krassen Mißverhältnis zu den gezahlten Schuldzinsen stehen30. Die Absicht, Einkünfte zu erzielen, soll aber nicht mehr unterstellt werden können, wenn andere Gründe ins Spiel kommen, wenn beispielsweise ein in einer Hotelanlage gelegenes Appartement an den Hotelbetreiber vermietet und zugleich die Möglichkeit der verbilligten Nutzung des Hotels vereinbart wird31. Anlaufverluste, Konjunktureinbrüche, unerwartete Forderungsausfälle, Marktveränderungen und dergleichen32 können die besten Planungen sehr schnell zunichte machen, so daß auch längere Verlustperioden akzeptiert werden müssen.

II. Das alles ist gängige Praxis. Doch dafür gibt es keine gesetzliche Grundlage. Das Einkommensteuergesetz kennt den Begriff der Liebhaberei nicht33. Es kennt nur den Begriff der Gewinnerzielungsabsicht (§ 15 II EStG34). Infolgedessen kann man nur bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb eine Gewinnerzielungsabsicht verlangen35. Problematisch ist es jedoch, auch bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft und selbständiger Arbeit eine Gewinnerzielungsabsicht zu verlangen. Denn beide Einkünfte sind zwar auch Gewinneinkünfte (§ 2 II Nr. 1 EStG), doch Gewinn läßt sich auch ohne eine darauf gerichtete Absicht erzielen36. §§ 4 bis 7g EStG, auf die § 2 II Nr. 1 EStG verweist, kommen ohne das Merkmal der Gewinnerzielungsabsicht aus. Bei den Überschußeinkünften ist von der Absicht, Überschüsse der Ein-

__________ 29 BFH v. 19. 4. 2005, BStBl. II 2005, 692 (Wohnung im denkmalgeschützten Mühlenstumpf). 30 BFH v. 19. 4. 2005, BStBl. II 2005, 754 (755). 31 Schleswig-Holsteinisches FG v. 27. 10. 2004, DStRE 2005, 1320. 32 Bestimmte Lebensmittel werden auf Grund von Medienberichten nicht mehr abgenommen, das Reisegebiet des Veranstalters wird über Nacht zum Krisengebiet. 33 Stuhrmann in Blümich/Ebling (Fn. 6), § 2 Tz. 35. 34 § 15 III EStG spricht auch von Einkünfteerzielungsabsicht, doch das bezieht sich, wie der Kontext erkennen läßt, nur auf Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Henkel/ Jakobs, FR 1995, 150). Eine allgemeine Aussage über die Notwendigkeit einer Einkünfteerzielungsabsicht war nicht gewollt, dann hätte § 2 EStG entsprechend geändert werden müssen. § 4 I 1 KStG kennt auch die Absicht, Einnahmen zu erzielen, und läßt diese Absicht für die Annahme eines Betriebs gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts genügen. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, ist nicht erforderlich (§ 4 II 2 KStG). 35 Schmidt-Liebig, StuW 1977, 306, sieht die Gewinnerzielungsabsicht als „conditio sine qua non“ des Gewerbebetriebes. 36 Kirchhof, NJW 1987, 3223.

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nahmen über die Werbungskosten zu erzielen (§ 2 II Nr. 2 EStG), weit und breit keine Spur37. Das Einkommensteuergesetz ist lückenhaft. Die von den Gerichten entschiedenen Liebhabereifälle gestatten den Schluß, daß das Einkommensteuergesetz planwidrig unvollkommen ist.38 Diese Lückenhaftigkeit stand den Urhebern der Reformentwürfe zum Einkommensteuergesetz der letzten zwanzig Jahre ersichtlich vor Augen. Sie haben sich bemüht, diese Lücke durch geeignete Formulierungen zu schließen.39 Dabei ist es bislang geblieben.40 Angesichts dieser Lückenhaftigkeit hat darum auch der Gedanke, § 15 II 1 EStG enthalte einen für alle Einkunftsarten geltenden allgemeinen Rechtsgedanken41, die Verführungskraft aller Sünden. Ergänzende Rechtsfortbildung zu Lasten des Steuerpflichtigen ist unzulässig. Das war lange Zeit selbstverständlich und unbestritten. Für das Bundesverfassungsgericht42 wurde das Steuerrecht von der Idee der primären Entscheidung des Gesetzgebers über die Steuerwürdigkeit bestimmter generell bezeichneter Sachverhalte getragen und lebte dementsprechend „aus dem Diktum des Gesetzgebers“. Das wird seit etlichen Jahre bestritten43. Es ist dies nicht der Ort, diesen Streit auszutragen. Der Verfasser verweist seinerseits auf die Nachweise bei Tipke/ Kruse44. Rechtsschutz ist die Aufgabe der Finanzgerichte (Art. 19 IV GG), nicht primär Rechtsfortbildung, und sei sie noch so phantasievoll. Im Ernst: Kann der Richter dem Rechtsschutz begehrenden Kläger sagen, er habe zwar den Tatbestand, an den das Gesetz die Steuerpflicht knüpft, nicht erfüllt, doch er, der unabhängige Richter, halte den Tatbestand für lückenhaft und meine, diesen im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung ergänzen zu müssen? Der Bundesfinanzhof tut es45.

__________ 37 § 2 I 1 EStG spricht von den Einkünften, die der Stpfl. „erzielt“. Daraus wird gelegentlich auf eine entsprechende Absicht, Einkünfte zu erzielen, geschlossen (vgl. BFH GrS [Fn. 12]. 38 Das ist das Merkmal der Gesetzeslücke, vgl. die Nachweise bei Tipke/Kruse, AO, § 4 Rz. 345. 39 Lang, Reformentwurf zu Grundvorschriften des Einkommensteuergesetzes, 1985, 2, 33, 42, 45; Lang, Entwurf eines Steuergesetzbuchs, 1993, Rz. 292, 562; Lang u. a., Kölner Entwurf eines Einkommensteuergesetzes, 2005, Rz. 8, 208, 342 und öfter. 40 Anders in Österreich. Dort ist das Problem auf dem Verordnungsweg geregelt durch die inzwischen wiederholt geänderte Liebhabereiverordnung 1990/1993. Ausführlich Doralt/Renner, EStG8, § 2 Rz. 301 ff. Die Judikatur war zu reichlich und zu einzelfallbezogen geworden (Doralt/Renner, aaO, Rz. 313). 41 So wird man Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht18, 2005, § 9 Rz. 9, wohl auch heute noch verstehen müssen. 42 BVerfG v. 24. 1. 1962, BVerfGE 13, 318 (328) = BStBl. I 1962, 506 (509). 43 Ausführlich Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band I2, 177 ff. Ebenso ablehnend Lang in Tipke/Lang (Fn. 40), § 5 Rz. 56 ff. In Österreich ebenfalls ablehnend Doralt/ Ruppe, Steuerrecht, Band II4, 2001, Rz. 423. 44 Fn. 37, § 4 Rz. 360. 45 So jetzt auch v. Groll, GS Trzaskalik, 2005, 23, mit deutlichen Worten.

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Auch die in diesem Zusammenhang stets bemühte Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit46 rechtfertigt das Abzugsverbot nicht. Grundlage der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind sowohl die positiven als auch die negativen Ergebnisse der jeweiligen Einkunftsarten. Wenn aber auch negative Ergebnisse die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen beeinflussen und eines ihrer Bestandteile sind, so läßt sich aus dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht ableiten, welche negativen Ergebnisse auszuscheiden haben47. Die Gewinnerzielungsabsicht ist kein taugliches Merkmal, die Einkunftserzielungsabsicht noch viel weniger48. Das Steuerrecht ist Massenfallrecht. Das Besteuerungsverfahren ist kein Strafverfahren, in dem die subjektiven Merkmale der Steuertatbestände ermittelt werden. Darum muß das Steuerrecht tunlichst ohne subjektive Tatbestandsmerkmale auskommen49. Auf die subjektive Einstellung des Steuerpflichtigen kann es nicht ankommen50. Der Steueranspruch entsteht kraft Gesetzes ohne Rücksicht darauf, ob der Steuerpflichtige den Willen hatte, den gesetzlichen Tatbestand zu verwirklichen51. Darum ist der Irrtum über die Folgen der Tatbestandserfüllung im Prinzip unbeachtlich52. Spekulationsgeschäfte sind steuerpflichtig, ohne daß es einer Spekulationsabsicht bedarf53. § 23 EStG knüpft an objektive Kriterien an; eine Spekulationsabsicht oder gar eine Absicht, Einkünfte zu erzielen, ist nicht erforderlich54. Darum führen auch Enteignungen gegen Entschädigung ohne Ersatzbeschaffung55, Zwangsverkäufe56, Notverkäufe wegen

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Raupach/Schencking, HHR § 2 Anm. 371; Leingärtner, FR 1979, 105. Stuhrmann in Blümich/Ebling (Fn. 6), § 2 Rz. 35. Seeger (Fn. 26), 49. Subjektive Tatbestandsmerkmale erzeugen Rechtsunsicherheit, weil sie generell mit Nachweisschwierigkeiten verbunden sind. Sie sind auf Grund der besonders strikten Gesetzesbindung im Steuerrecht als Mittel der Gesetzgebung ungeeignet (Wittmann, Das Markteinkommen, 1992, 131). Vgl. auch RT-Drucks. III 795 (abgedruckt als Anlage zu Nr. 794/802), 25, zur Aufgabe des Merkmals der Spekulationsabsicht bei Spekulationsgewinnen. Das sollte man nicht vergessen; s. Fn. 53. Nicht von Bedeutung sind daher altruistische und karitative Erwägungen (Sanitätshelfer BFH v. 4. 8. 1994, BStBl. II 1994, 944) oder das eigene Vergnügen (Amateurfußballer BFH v. 23. 10. 1992, BStBl. II 1993, 303). Krämer, FR 1958, 453; Fischer in HHSp., § 38 Tz. 5; Kirchhof, NJW 1987, 3223; aA Meincke, DB 1988, 1870; Moench, StVj. 1933, 358. BFH v. 18. 5. 1988, BStBl. II 1988, 716. Die Spekulationsabsicht, die §§ 12 Nr. 12, 13 EStG 1920 vorausgesetzt hatten, bewirkte, daß Spekulationsgeschäfte praktisch nicht besteuert werden konnten, weil aus nicht feststellbaren inneren Motiven Rückschlüsse auf die Steuerpflicht gezogen werden mußten. Schon 1925 knüpfte der Gesetzgeber die Besteuerung der Spekulationsgeschäfte nur an objektive Merkmale, die Veräußerung des Gegenstands innerhalb eines bestimmten Zeitraumes nach Erwerb (vgl. RT-Drucks. III 795 [abgedruckt als Anlage zu Nr. 794/802], 25). BFH v. 29. 8. 1969, BStBl. II 1969, 705. BFH v. 16. 1. 1973, BStBl. II 1973, 445. BFH v. 10. 12. 1969, BStBl. II 1970, 310.

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Krankheit57 usw. zur Steuerpflicht. Der Wohnsitz (§ 8 AO), der wichtigste Anknüpfungspunkt der unbeschränkten Steuerpflicht (§ 1 I 1 EStG), wird nach objektiven Kriterien bestimmt; dadurch unterscheidet sich § 8 AO von §§ 7, 8 BGB58. Das alles erklärt das Bestreben des Bundesfinanzhofs, den subjektiven Begriff der Liebhaberei tunlichst so zu objektivieren, daß es auf die Willensrichtung des Steuerpflichtigen nicht mehr ankommt59. Das Merkmal der Gewinnerzielungsabsicht geht zurück auf das Reichsgericht60: Für den Begriff des Gewerbes sei eine auf Gewinn gerichtete Tätigkeit wesentlich. Das war vor der Wende zum 20. Jahrhundert. Damals waren alle Beteiligten im Umgang mit Typusbegriffen noch selbstsicher und rechtsgewiß. Das ist inzwischen vorbei. Der Bundesgerichtshof verlangt noch wie weiland das Reichsgericht eine Gewinnerzielungsabsicht61. Doch etliche Autoren bestreiten das energisch. Ein Handelsgewerbe setze keine Gewinnerzielungsabsicht voraus62. Und im Steuerrecht zeigt sich, daß das Merkmal der Gewinnerzielungsabsicht unbrauchbar ist. Bei Personengesellschaften läßt sich die Absicht, Gewinne zu erzielen, überhaupt nicht feststellen63. Darf man bei einem Minderjährigen überhaupt nach der Gewinnerzielungsabsicht fragen? Seinen Wohnsitz begründet der Minderjährige ohne Rücksicht auf seine fehlende Geschäftsfähigkeit (§ 8 AO). Vollends zum Phantom wird die Gewinnerzielungsabsicht in den Fällen der Rechtsnachfolge, wenn die Erben noch gar nicht wissen, daß auch ein Gewerbebetrieb zum Nachlaß

__________ 57 BFH v. 29. 8. 1969 (Fn. 54). 58 Becker, Die Reichsabgabenordnung7, 1930, § 62 Anm. 2; Tipke/Kruse, AO § 8 Rz. 1. 59 Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, 1981/1988, 248, sieht die Gefahr, daß diese Rspr. zu einer ergebnisorientierten fiskalischen Typisierung der Einkünfte führt. Objektiv unwirtschaftliches Handeln und nachhaltige Verluste seien nur Beweisanzeichen mit unterschiedlichem Gewicht für die Gewinnerzielungsabsicht. Als materiellrechtliche Negativmerkmale seien sie ungeeignet. So soll im Fall des erfolglosen Kaufmanns mit nachhaltigen Verlusten das Indiz des Hauptberuflichen seine Absicht belegen, in Zukunft wieder positive Einkünfte zu erzielen. Man denke an den Fall der als Möbelhändler erfolglos und als Bestattungsunternehmer erfolgreich agierenden Kläger BFH v. 17. 11. 2004 BStBl. II 2005, 336. Auch die Fälle, die durch eine objektiv irreale Gewinnerzielungsabsicht geprägt würden, will Lang, aaO, einkommensteuerlich erfassen. Doch kann der subjektive Tatbestand der Gewinnerzielungsabsicht tatsächlich ein notwendiger Bestandteil des Einkünftebegriffs sein, wenn er ausschließlich durch objektive Umstände erschlossen werden kann? 60 RGZ 37, 294 (297). Vgl. bereits Denkschrift zu dem Entwurf eines Handelsgesetzbuches und eines Einführungsgesetzes: 1. Buch Handelsstand, 1. Abschnitt Kaufleute, 1897, 13. 61 BGHZ 33, 321 (324); 36, 273 (276); 49, 258 (260); 53, 222 (223); 95; 155 (157). 62 Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen, dogmatische Grundlagen und Sinnwandlung des Handelsrechts, 1965, 185; Sack, ZGR 1964, 195 ff.; einschränkend Baumbach/Hopt, HGB32, 2006, § 1 Rz. 1. 63 Jakob/Mörmann, FR 1990, 34.

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gehört64, und bei Kapitalgesellschaften, die von Haus aus keinen persönlichen Lebensbereich haben65.

III. Einzig § 12 EStG bietet eine tragfähige Rechtsgrundlage für den Grundgedanken der Liebhaberei66. Und damit sind wir wieder beim preußischen Oberverwaltungsgericht67 angelangt. § 12 EStG gilt für Gewinn- und Überschußeinkünfte gleichermaßen, so daß es sich erübrigt, das Tatbestandsmerkmal der Einkunftserzielungsabsicht aus dem Hut zu zaubern. Verluste aus den klassischen Liebhabereien der Land- und Forstwirtschaft, Boutiquen und Antiquitätengeschäften sind, nimmt man es genau, Aufwendungen für die Lebensführung (§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG). Mit dem verlustträchtigen Landgut werden seit eh und je die persönlichen Bedürfnisse des Wohnens, der Repräsentation und der Freizeitgestaltung befriedigt. Es werden keine Einkünfte erzielt. Es wird Einkommen verwendet68. Der Steuerpflichtige leistet sich das Landgut, weil er es sich auf Grund seiner anderen Einkünfte erlauben kann, nach Gutsherrenart zu leben. Die Ehefrau des gutverdienenden Steuerpflichtigen befriedigt ihre persönlichen Interessen, „verwirklicht sich selbst“, indem sie die Boutique oder das Antiquitätengeschäft betreibt; das wiederum ist ihr nur möglich, weil sie auf andere Einkünfte zurückgreifen kann69. Da der Vorgang der Lebensführung zuzurechnen ist, kommt es auf die Dauer der Verluste nicht an. Dauerverluste sind lediglich ein Indiz dafür, daß es Aufwendungen für die Lebensführung sind. Das gilt ebenso für den jüngst entschiedenen Fall der Rechtsanwältin mit den auf niedrigem Niveau

__________ 64 Seeger (Fn. 26), 39. 65 Das ist allerdings höchst streitig. Für BFH v. 4. 12. 1996, BFHE 182, 123 = DStR 1997, 492, v. 8. 7. 1998, BFHE 186, 540, v. 6. 7. 2000, BStBl. II 2002, 490, hat die Körperschaft keine Privatsphäre, so daß verlustbringende Tätigkeiten im Interesse der Gesellschafter zu verdeckten Gewinnausschüttungen führen. Zur Kritik vgl. Gosch, KStG, 2005, § 8 Rz. 67 ff.; Streck, KStG6, 2003, § 8 Rz. 28 ff. 66 Bayer (Fn. 4), 24. In diesem Sinne auch noch BFH v. 21. 10. 1980, BStBl. II 1981, 452, v. 25. 6. 1984 (Fn. 12). Anders sodann BFH v. 14. 3. 1985, BStBl. II 1985, 424, v. 19. 11. 1985, BStBl. II 1986, 289, in stRspr. 67 Fn. 1. 68 Die Liebhaberei ist im Ergebnis eine Tätigkeit in der privaten Konsumsphäre (Wittmann, Das Markteinkommen, 1982, 75; Lang, Reformentwurf zu Grundvorschriften des Einkommensteuergesetzes, 1985, 42). 69 Der Wortlaut des § 12 EStG schließt den Abzug von Aufwendungen aus. Das paßt zu der ursprünglichen Praxis des RFH, bei Liebhaberei lediglich den Abzug von Betriebsausgaben und Werbungskosten auszuschließen, die Einnahmen aber zu erfassen (vgl. RFH v. 18. 2. 1925, RFHE 15, 291 [293]). Seit RFH v. 24. 4. 1929 (Fn. 11) gilt die gesamte Tätigkeit als irrelevant. Insoweit erweist sich § 12 EStG als lückenhaft. Diese Lücke läßt sich jedoch zugunsten des Stpfl. (vgl. Trüffel, Rennpreise, Baulandpreise unten) im Wege der ergänzenden Rechtsfortbildung schließen.

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stagnierenden Einnahmen; auch ihr war es nur auf das Sozialprestige angekommen70. Kommt es tatsächlich zu Gewinnen, weil auf dem Landgut plötzlich Trüffel gefunden werden, das dort gezüchtete Pferd phantastische Rennen läuft oder der Grund und Boden zu Baulandpreisen verkauft werden kann71, so bleibt die Tätigkeit im Bereich der Lebensführung72. Umgekehrt schließen Dauerverluste den Verlustausgleich nicht schlechthin aus. Übt der Steuerpflichtige eine Tätigkeit berufsmäßig aus, so können die dabei entstehenden Verluste auch einmal ausgeglichen werden73. Es gibt im Berufsleben Pechvögel, die nie auf einen grünen Zweig kommen. Doch dadurch werden sie nicht zu Liebhabern.

__________ 70 71 72 73

BFH v. 14. 12. 2004, BStBl. II 2005, 392. FG Ba.-Württ. v. 6. 5. 1993, EFG 1994, 143. Bayer (Fn. 4), 91 m. w. N. Vgl. die bei Fn. 32 angegebenen Gründe.

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Einkommensteuer – einfach am Ende, am Ende einfach Inhaltsübersicht I. Äußere Anzeichen des Problems II. Einkommensteuer – einfach gedacht 1. Dualismus u. a. Abweichungen 2. Familie (subjektives Nettoprinzip) III. Einfachheit in der Umsetzung – eine Daueraufgabe IV. Prinzipien und Konventionen 1. Jahresbesteuerung 2. Rückwirkung 3. Gewinnermittlung 4. Steuerpflichtiger = natürliche oder juristische Person (Dualismus) 5. Internationale Einkommensabgrenzung V. Einfach = kurz? 1. Vergleich USA-Deutschland 2. Steuerhöhe und Steuersatz 3. Bierdeckel

VI. Einfach = mühelos? 1. Verwaltungsvorschriften 2. Verbindliche Auskünfte im Einzelfall (gegen Gebühr) 3. Steuerberatungskosten, Offenlegungsgebote VII. Kosten der Anwendung VIII. Besteuerung und Steuerung IX. Optimierung oder Maximierung von Steuergerechtigkeit (Fehlertoleranz und Steuerhöhe) 1. „Angemessene“ Steuerhöhe 20–25 %? (Erwirtschaften und Realisieren von Vermögensmehrungen) 2. Steuer-Stabilität 3. Steuerakzeptanz abhängig von der „Produktqualität“ des Staates 4. Qualitätsverbesserung und SteuerStabilität 5. Versuch einer Zusammenfassung

Der Siegeszug der Einkommensteuer ist am Ende – der Siegeszug, nicht die Einkommensteuer, jedenfalls noch nicht. Die „Königin der Steuern“ zehrt seit längerem von ihrem einzigartig guten Ruf. Von dem kann sie noch lange zehren. Aber nach und neben dem Vorwurf übermäßiger Höhe zehrt an ihm zunehmend der Vorwurf übermäßiger Kompliziertheit. Beides verwundert hier und heute: Die Höhe der Ertragsteuern ist seit Beginn der Bundesrepublik rückläufig, ebenso wie ihr Beitrag zum Steueraufkommen. Und wenn die ganze Welt immer komplizierter wird, warum nicht auch die Einkommensteuer, oder umgekehrt: Wie sollte sie immer kompliziertere Formen der Einkommenserzielung gerecht besteuern und dabei einfacher werden? Aber wie Computer und andere Geräte für Arbeit und Freizeit komplizierter und leistungsfähiger werden, so fordert man doch von ihnen immer mehr Bediener- und Benutzer-Freundlichkeit und damit Einfachheit. Also auch von der Einkommensteuer? Dazu ein paar persönliche* Gedanken.

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Der Verf., Rädler/Raupach, hat einmal das meiste, was er über Steuern weiß, von dem Jubilar und in dessen Kanzlei gelernt, staunend und bewundernd. Der Jubilar

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I. Äußere Anzeichen des Problems Aufstieg und Niedergang der Einkommensteuer mag man an der Entwicklung der Steuersätze ablesen: Von niedrigen einstelligen Prozentsätzen in ihren Anfängen vor und zu Beginn des 20. Jahrhunderts über Prozentsätze von 50 bis 90 % und mehr in Kriegs- und Friedenszeiten während des 20. Jahrhunderts bis hin zum Rückgang auf unter 50 % und sogar unter 30 % (vor allem für Körperschaften) im Europa der Jahrtausendwende. Dementsprechend bestreiten nun Umsatzsteuer und brutto-basierte Abzugsteuern (vor allem Lohnsteuer, aber auch Kapitalertragsteuer) und konsumorientierte Steuern (Mineralöl, Tabak) bei weitem den größten Teil des Steueraufkommens. Die Körperschaftsteuer als endgültige Belastung war in Deutschland 1977–2001 grundsätzlich abgeschafft. Die Gewerbesteuer für natürliche Personen wurde praktisch abgeschafft durch Kombination von Abzug und Anrechnung gemäß § 35 EStG. Die veranlagte Einkommensteuer verschwindet in der Anrechnung von Abzugsteuern usw. Vor diesem Hintergrund fasziniert die Einkommensteuer im Mittelpunkt der Steuervereinfachungsdiskussion anscheinend weniger als Steuer und mehr als wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Faktor. Umgekehrt die Kurve der Steuervereinfachungsthematik: Die niedrige Einkommensteuer am Anfang des 20. Jahrhunderts war einfach. Mit steigenden Steuersätzen stieg ihre Komplexität. Der Ruf nach Vereinfachung hielt an und steigerte sich sogar noch, als die Steuersätze in der letzten Phase wieder deutlich fielen. Trotz der geradezu großartigen Bemühungen der Finanzbehörden und ihrer Beamten um Augenmaß bei der Steueranwendung1, um Pauschalierung2 und konsensuale Steuererhebung3: Steuervereinfachung ist ein politisches Schlagwort, aber auch ein Standard-Gegenstand der fachwissenschaftlichen Diskussion4.

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hat viel für die Ertragsteuern geleistet, vor allem zu ihrem Verständnis, auch durch und zur Vereinfachung. Das Folgende sind persönliche Betrachtungen des Verf. Literaturliste dazu in www.pplaw.com/Library/Steuervereinfachung. Vgl. Thiel, StuW 2005, 335. Befürwortend Raupach, DStJG 21 (1998), 175, 182 ff.; vgl. z. B. jüngst Albert, Steuervereinfachung und -gerechtigkeit durch Lohnsteuerpauschalierung von Sachzuwendungen, DB 2005, 2099. Insbesondere durch die von der Rechtsprechung anerkannten Institute der Praxis wie verbindliche Auskunft (Zusage) über § 204 AO hinaus, tatsächliche Verständigung (vgl. Seer, Verständigungen im Steuerverfahren, 1996) oder international APAs (Advanced Pricing Agreements, in Deutschland noch weniger entwickelt). Vgl. insb. Fischer (Hg.), Steuervereinfachung, DStJG 21 (1998; Jahrestagung Wien); Raupach, aaO, S. 175 ff.; vgl. die lange, aber längst nicht vollständige Literaturliste in www.pplaw.com/Library/Steuervereinfachung.

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Einkommensteuer – einfach am Ende, am Ende einfach

II. Einkommensteuer – einfach gedacht Die Attraktivität der Einkommensteuer und ihr Siegeszug im letzten Jahrhundert beruhen wesentlich auf der überzeugenden Einfachheit ihres Grundgedankens: Steuerlasttragung nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit, diese gemessen als Nettovermögensmehrung5. Die Einheitlichkeit der Bemessungsgrundlage – über viele verschiedene Formen der Einkommenserzielung hinweg – verband sich mit progressiven Steuersätzen6. Die Verbindung von einheitlicher Bemessungsgrundlage und progressiven Steuersätzen überzeugte lange Zeit als eine besonders gelungene Annäherung an das Ideal der Gleichheit der Besteuerung, als Inbegriff von Steuergerechtigkeit. 1. Dualismus u. a. Abweichungen Abweichungen von diesen Prinzipien gab es seit jeher. Dazu gehören in Deutschland und anderswo schedulen-artige Differenzierungen zwischen „Einkunftsarten“ und der sog. Dualismus von Einkommen- und Körperschaftsteuer (also die Anknüpfung der Besteuerung und der SteuersubjektDefinitionen an der zivilrechtlichen juristischen Person)7. Solche Differenzierungen haben die Steuerzahler stets ertragen, obwohl sie rechtswissenschaftlich und -politisch kaum zu rechtfertigen sind und wirtschaftswissenschaftliche und -politische Grundlagen einiger solcher Differenzierungen zwar zwingend sein mögen, aber jedenfalls bis vor kurzem ungern öffentlich ausgesprochen wurden: Dass Kapital – weil flüchtiger – national wie international eher günstiger besteuert wird als Arbeit, wird zwar so durchgängig praktiziert, dass man dahinter eine zwingende Notwendigkeit vermuten darf; offen ausgesprochen und weithin akzeptiert wird das aber erst, seit die Globalisierung der nicht-selbständig oder selbständig arbeitenden Bevölkerung den Wert des Kapitals, das Arbeit gibt, schmerzvoll bewusst macht. 2. Familie (subjektives Nettoprinzip)8 Aber schon in der schönen Einfachheit des Grundgedankens der Leistungsfähigkeit und damit eines nicht zu besteuernden Existenzminimums steckt

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8

Nach der auf von Schanz zurückgehenden Konzeption, perfektioniert vor allem in den USA mit der Hay’schen Formel im Internal Revenue Code (IRC). Die Progression ergibt sich einmal aus der Steuerbefreiung eines Existenzminimums und andererseits aus progressiv steigenden Prozentsätzen. Das sog. Trennungsprinzip (Trennung zwischen Kapitalgesellschaft und Kapitalgesellschafter) ist nur eine Konvention in der Besteuerung; zu einem möglichen Wahlrecht im Grenzbereich s. u. Zur aktuellen Diskussion siehe 18. Berliner Steuergespräch „Personengesellschaften im Unternehmensteuerrecht“, 13. 2. 2006. Das subjektive Nettoprinzip des BVerfG (Abzug unabweisbarer Ausgaben, z. B. Kinder-Unterhalt) versinnbildlicht das Dilemma: Gerecht und daher geboten und zugleich eine der größten Verkomplizierungen des Grundgedankens der Einkommensteuer – entwickelt vom BVerfG unter dem Vorsitz eines großen Steuervereinfachers.

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eine Wurzel für Komplikationen, die die neuere Entwicklung auf verfassungsrechtliche Höhe hob: die Berücksichtigung von Familie und Kindern als Kriterium für Leistungsfähigkeit. Vom Standpunkt der Nettovermögensmehrung her, die die Leistungsfähigkeit ganz einfach misst, sind Ausgaben für Kinder schlicht Einkommensverwendung und unbeachtlich. Doch versucht man erst einmal Leistungsfähigkeit nicht so einfach zu messen, sondern gründlicher zu verstehen, so kann es bei dieser einfachen Messung nicht mehr bleiben und familiäre Einkommensverwendungen beeinflussen als Kinderfreibeträge oder Familiensplitting (quotient familial) und in vielfältig anderer Weise die Bemessungsgrundlage. Die damit einhergehende Komplizierung könnte vielleicht kompensiert werden durch eine Art von Familien- oder Haushaltsbesteuerung, aber ausgerechnet die gilt aus damit zusammenhängenden Gründen als verfassungswidrig. Die Unterscheidung von Einkommenserzielung und -verwendung scheint einfach. Aber bei gleichen Grundprinzipien lässt die deutsche Einkommensteuer Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz abziehen, was es in den USA noch nie gab. Oder es untersagt die deutsche Einkommensteuer seit längerer Zeit den Abzug von „privaten“ Schuldzinsen, den es in den USA schon seit langem gibt. Für einen allgemeinen Schuldzinsenabzug mögen gerade Gründe der Steuervereinfachung sprechen, nämlich zur Vermeidung einer Abgrenzung „privater“ von geschäftlichen und beruflichen Schuldzinsen. Ähnliches gilt für den Abzug von Steuerberatungskosten, dessen vorgesehene Abschaffung eben diese Abgrenzungsprobleme wieder erstehen lassen wird9. Auch einige andere Grundprinzipien der Einkommensteuer sind weniger trivial, als sie scheinen, so die Grundsätze der Aktivierung oder Realisierung, beides Bestandteile eines Nettovermögensvergleichs (accrual accounting), aber beide auch bei Zuflusseinkünften (cash accounting) einschlägig.

III. Einfachheit in der Umsetzung – eine Daueraufgabe In allen Dingen und gerade auch bei der Umsetzung einfacher Gedanken ist die Einfachheit der praktischen Umsetzung eine dauernde Aufgabe „handwerklicher“ Fachgerechtigkeit und intellektueller Redlichkeit. Es sind dies keine primären Ziele, sondern Sekundärtugenden, aber deshalb nicht weniger wichtig10. Ob Daueraufgabe oder Sisyphusarbeit, notwendig ist das Be-

__________ 9 Siehe auch unten. 10 Vgl. die dort für erforderlich gehaltene „Rechtfertigung“ des Themas „Steuervereinfachung“ als Kampf gegen ein „Steuerchaos“ in DStJG (21) 1998, 1.

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mühen um Einfachheit allemal. Die Ergebnisse dieses Bemühens sind laufend zu prüfen, über Erfolg und Misserfolg ist laufend zu berichten11. Über die praktische Seite hinaus und ihr zugrundeliegend ist Einfachheit ein Grundgebot allen Denkens. Philosophischen Rang hat es z. B. in der Formulierung von Occam, bekannt als „Occam’s razor“, alles für einen Gedanken nicht Erforderliche sei im Denken und Formulieren wegzulassen12. Philologischen Rang und Ausdruck fand es z. B. in Orwells berühmten Essay von 1946 über „Politics and the English Language“13. Er fordert Einfachheit in der Sprache als Mittel zur Vereinfachung des Gedankens und damit zur Gesundung politischen Denkens, Argumentierens und Handelns. Vulgär gesagt: Unsinn wäre oft unsagbar und undenkbar, versteckte er sich nicht in pompösen oder sonst komplizierten Formulierungen „designed to make lies sound truthful and murder respectable, and to give an appearance of solidity to pure wind“. Dies gilt auch für das Steuerrecht14. Akzeptanz für Steuer- und andere Rechtsvorschriften hängt durchaus auch an ihrer Verständlichkeit15. Aber selbst das ausgefeilte, klassische Bürgerliche Gesetzbuch bemüht sich zwar mustergültig um Verständlichkeit, doch ohne den Laien wirklich zu erreichen. Ein Recht, das komplexe Lebenssachverhalte regelt – wie gerade das Ertragsteuerrecht bei der Komplexheit der Ertragserzielung im Wirtschaften – kann nicht für jeden Laien verständlich sein, ebenso wenig wie technische, wirtschaftliche oder finanzielle Regeln laienverständlich sind. „Die Rede von einem Steuerrecht, das jeder versteht, ist entweder naiv oder opportunistisch“16. Auch und gerade die Laien würden die negativen Folgen von voller Laienverständlichkeit ablehnen, in der Technik, in der Medizin, im Steuerrecht, überall wo es auf Genauigkeit ankommt.

IV. Prinzipien und Konventionen Die Prinzipien der Einkommensteuer sind einfach und einleuchtend. Zu ihrer Anwendung bedarf es vieler Konventionen. Anders als Prinzipien ent-

__________ 11 Vgl. Schön, StuW 2002, 2124 in den USA: Study of the Overall State of the Federal Tax System and Recommendations for Simplification (dort Fn. 20); dazu auch: Ault, DStJG (21) 1998, 110 f. 12 Entities should not be multiplied unnecessarily (entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem), William Occam, 14. Jhh. 13 Dort z. B. Nr. 3: if it is possible to cut a word out, always cut it out. 14 Vgl. die häufige Klage, über kaum verständliche Vorschriften, unter denen alle Beteiligten zu leiden haben mit Hinweis auf Tacitus: „Früher litten wir an Verbrechen, heute an Gesetzen“. 15 Vgl. das Plädoyer des deutschen Steuerberaterverband e.V., Die Steuerberatung 2004, 20, der aus der Schwerverständlichkeit steuerrechtlicher Vorschriften sogar eine Desincentivierung wirtschaftlicher Leistung ableiten will. 16 So der frühere Bundesfinanzminister Eichel auf einem Steuerberaterkongress.

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scheiden Konventionen Dinge in der einen Weise, die man auch in einer anderen Weise entscheiden könnte. Die Konvention lebt davon, dass sie akzeptiert wird („gilt“), obwohl man weiß, dass es auch anders ginge. Aber alle akzeptieren die Konvention, weil es ohne Konventionen nicht ginge. Die Einkommensbesteuerung ist voller Konventionen. Insbesondere die Gewinnermittlung (Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung und Bilanzierung) ist ein einziges Geflecht von Konventionen, deren Bedeutung in ihrer Geltung und damit in der Stetigkeit ihrer Anwendung liegt. Konventionen sind ein Anwendungsfall des Satzes „Vereinfachung durch Stabilität“17. Konventionen könnte das Einkommensteuerrecht noch viel mehr brauchen. Da alle durch Konvention getroffenen Entscheidungen auch anders getroffen werden können, nur eben immer in gleicher Weise getroffen werden müssen, könnte man viele solcher Entscheidungen dem Steuerpflichtigen im Sinne eines Wahlrechts überlassen, dessen Ausübung ihn sodann langfristig bindet. Dazu einige Beispiele. 1. Jahresbesteuerung18 Prinzipiell richtig wäre es, den Steuerpflichtigen auf sein Lebenseinkommen zu besteuern. Allein praktikabel und deshalb konventionell richtig ist die Besteuerung (Einkommensermittlung, Veranlagung) für kürzere Zeiträume, üblicherweise ein Jahr. (Die Schweiz veranlagte Einkommensteuer zur Vereinfachung für zwei Jahre.) Da die Abschnittsbesteuerung also „nur“ konventionell ist, ist der zeitlich unbegrenzte Verlustvortrag je Steuerpflichtigem richtig. Richtig ist auch die Prüfung, ob bei einer juristischen Person der Steuerpflichtige „noch derselbe“ ist oder ob er seine wirtschaftliche Identität geändert hat19. Nicht richtig, weil in dieser Schärfe durch die bloße Konvention „Abschnittsbesteuerung“ nicht gerechtfertigt, sind z. B. die Beschränkung des Verlustrücktrags auf 1 Mio. Euro oder die Vortragsbeschränkung durch die Mindestbesteuerung20. Aus der Erkenntnis, dass Abschnittsbesteuerung eine Konvention ist, ergeben sich auch andere Folgerungen. So geht viel zuviel Energie in die Gewinnabgrenzung zum Jahreswechsel. Die 10-Tage-Regel21 sollte man in diesem Sinne umdrehen und es im Zweifelsfall eher der Entscheidung des Steuerpflichtigen überlassen, in welchem Jahr er Einnahmen oder Ausgaben erfasst. Entscheidend ist, dass sie erfasst werden, nicht in welchem der Teil-

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Schön, StuW 2002, 23 (35); siehe auch unten. Schön, StuW 2002, 23 (30 f.). § 8 Abs. 4 KStG. Vgl. allg. Wosnitza, Beschränkung der ertragsteuerlichen Verlustverrechnung, ein Beitrag zu Steuervereinfachung, Steuergerechtigkeit und Förderung von Wachstum und Beschäftigung?, StuW 2000, 763. 21 Für regelmäßig wiederkehrende Einnahmen und Ausgaben, § 11 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 EStG.

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abschnitte des Steuerlebens. Ein erfahrener Betriebsprüfer verfährt grundsätzlich auch so. Aber die Einführung der Vollverzinsung schafft in Betriebsprüfungen für lange zurückliegende Zeiträume einen Anreiz zur Kleinlichkeit mit Zinsfolge. Etwas steuerliche Großzügigkeit zur Vereinfachung sollte auch deshalb leicht fallen, weil bei der Gewinnermittlung der Unternehmen die Konvention des Abschlussstichtags ihrem Sinn gemäß ohnehin große, nicht-steuerliche Aufmerksamkeit genießt. Denn dort geht es um den stetigen Gewinnausweis von Jahr zu Jahr, der Jahresend-Manipulationen, nicht nur in der Rechnungslegung, sondern auch im Geschäftsgebaren verbietet22. 2. Rückwirkung Die Erkenntnis der Abschnittsbesteuerung als bloße Konvention hätte auch erhebliche Auswirkungen auf Themen außerhalb der Steuervereinfachung, z. B. für die Frage der Verfassungsmäßigkeit rückwirkender SteuergesetzÄnderungen: So wird Einkommen in Form von Veräußerungsgewinnen nicht etwa im Zeitpunkt der Gewinnrealisierung erwirtschaftet, also z. B. bei der Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung oder einer Immobilie. Erwirtschaftet wird solches Einkommen vielmehr sukzessive durch die Wertsteigerung während der gesamten Haltezeit. Aber die Besteuerung knüpft (nur) konventionell an der Realisierung im Zeitpunkt der Veräußerung an. Deshalb erscheint es unzutreffend, für die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer Verschärfung einer Veräußerungsgewinn-Besteuerung nur auf das Jahr der Realisierung (steuerliche Erfassung) abzustellen. Vielmehr wirkt eine solche Steuerrechts-Änderung zurück auf die gesamte Haltezeit der Beteiligung oder Immobilie in den Händen des Steuerpflichtigen. Das sollte die verfassungsrechtliche Anerkennung einer solchen Rückwirkung restriktiv beeinflussen23. 3. Gewinnermittlung Eine andere Konvention zur Vereinfachung der Steuerrecht-Anwendung ist die alte Gleichung „Steuerbilanz = Handelsbilanz“ (Maßgeblichkeit). Sie beruht nicht auf dem Gedanken, dass die handelsrechtliche Gewinnermittlung auch steuerlich „richtig“ wäre. Im Gegenteil, wegen der unterschiedlichen Zwecke handelsrechtlicher und steuerrechtlicher Gewinnermittlung haben sich andere Steuerrechte, insbesondere die USA, für eine ganz eigenständige steuerliche Einkommens- und Gewinnermittlung entschieden (tax accounting); das ist das Gegenteil von Vereinfachung. Folgerichtig sollten unter der

__________ 22 Z. B. gesteigerte Auslieferungen eines Herstellers an Händler zum Jahresende ohne entsprechende Absatzgeschäfte der Händler, gleich ob das durch den Verkaufsdruck des Herstellers oder durch das Bemühen des Händlers um Maximierung seines Jahresbonus veranlasst wird (loading). 23 Birk/Pöllath (Hrsg.), Rückwirkungen von Steuerbelastungen, 2001, S. 22–23.

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deutschen Maßgeblichkeit Unternehmen, die ihren Gewinn nach anderen anerkannten Regelwerken ermitteln (insbesondere IFRS/IAS), diese auch steuerlich zugrundelegen dürfen oder sogar müssen. Dem Fiskus sollte diese Entscheidung erleichtert werden dadurch, dass die internationalen Bemühungen in der Rechnungslegung eher auf einen zutreffend höheren Gewinnausweis durch „Verbot“ oder jedenfalls Beschränkung stiller Reserven drängen. Wer seinen Aktionären einen höheren Gewinn mitteilt (und ggf. verteilt), sollte dies auch steuerlich tun dürfen oder müssen. Entsprechendes könnte der Steuergesetzgeber für die Konzern-Rechnungslegung anordnen. Der Gewinnausweis im Einzelabschluss gerät immer mehr in den Hintergrund. Viele Geschäftsberichte drucken den Einzelabschluss nur noch pflichtgemäß, aber widerwillig auf den letzten Seiten ab. In Bilanzpressekonferenzen wird er kaum mehr erwähnt. Dem sollte und wird auch das Steuerrecht letztlich folgen. 4. Steuerpflichtiger = natürliche oder juristische Person (Dualismus24) Freilich verbietet sich eine Konzernbesteuerung umso mehr, je höher man das vermeintliche Prinzip (richtigerweise: die bloße Konvention) hält, dass jede natürliche und juristische Person ein eigener Steuerpflichtiger ist. So angemessen das im Ansatz einmal war, so befremdlich wird das in einer Welt, die nur noch auf konsolidierte Ertrags-, Vermögens- und Finanzverhältnisse schaut. Nicht nur bei Großunternehmen, sondern schon bei jedem Mittelständler, der nennenswert Bankkredite in Anspruch nimmt, richtet sich das Augenmerk ohnehin auf die konsolidierten Zahlen. Der Unternehmer wird vernünftigerweise sein Unternehmen stets ganzheitlich, d. h. konsolidiert sehen (z. B. im internen Berichtswesen/Management Accounts). Zumindest wahlweise, dann aber mit entsprechender Bindung an das einmal ausgeübte Wahlrecht, könnte man das allgemein zulassen, auch zur Steuervereinfachung. Dem zugrunde liegt die Frage nach den Kriterien zur Abgrenzung zwischen Einkommensteuer- und Körperschaftsteuer-Subjektfähigkeit. Die traditionelle deutsche Unterscheidung war wiederum konventionell und einfach: Sie folgte dem Zivilrecht, ggf. durch Rechtstypen-Vergleich. Die amerikanische LLC beendete diese deutsche Konvention: Hier unterscheidet der deutsche Fiskus nun anhand Kriterien, die dem ganz anderen traditionellkonventionellen US-Unterscheidungsansatz entnommen sind, also anhand der Kriterien unbegrenzte Lebensdauer, zentralisierte Geschäftsführung usw.25. Ironie der Steuerentwicklung: Fast gleichzeitig gaben die USA diesen Ansatz auf, in der Erkenntnis des Scheiterns jahrzehntelanger Bemühungen um eine überzeugende und konsistente Abgrenzung nach diesen Kriterien.

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24 Raupach, DStJG 21 (1998), 175, 204 ff. 25 Schnittker, StuW 2004, 39; GmbHR 2004, 618.

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Stattdessen ermöglichen und erzwingen die USA jetzt die nahezu freie Wahl des Steuerpflichtigen zwischen „Durchgriff“ und „Steuersubjekt“ durch Ankreuzen in der Steuererklärung (check the box) mit entsprechend kurzer Frist für die Ausübung des Wahlrechts und anschließend langer Bindung an die getroffene Wahl. Das entspricht dem oben vertretenen Grundgedanken: Konventionen in der Steueranwendung entscheiden Themen, die man so oder anders entscheiden kann und deren Entscheidung man deshalb auch gleich dem Steuerpflichtigen überlassen könnte. Mit einer solchen Flexibilisierung erübrigen oder zumindest entschärfen sich viele Probleme im Zusammenhang mit dem Dualismus, insbesondere die Probleme der Rechtsform-Neutralität26 und die lange und anscheinend unlösbare Diskussion um eine einheitliche Betriebs- oder Unternehmenssteuer. 5. Internationale Einkommensabgrenzung Ein gutes Beispiel für die Erkenntnis, dass es bei konventionellen Abgrenzungen kein prinzipielles Richtig oder Falsch gibt, ist die Steuerpraxis bei der internationalen Zuordnung von Steuergut. Erfahrene Finanzbeamte beginnen – und oft beenden – die Prüfung einer behaupteten Befreiung von Auslandseinkünften im Inland mit der Bitte um Vorlage der ausländischen Steuerveranlagung, in der die entsprechenden Einkünfte im „zivilisierten“ Steuerausland ordnungsgemäß erfasst sind. Sind sie dort erfasst, wird die Befreiung im Inland im Zweifelsfall oft anerkannt, andernfalls stets abgelehnt. Das mag dogmatisch und intellektuell anspruchslos erscheinen, praktisch (einfach) ist es allemal, und letztlich ist es auch nicht weniger gerecht als die Entscheidung des Zweifelsfalls anhand rechtlich und tatsächlich streitiger Kriterien mit der Möglichkeit der Doppel- oder Nicht-Erfassung. Ohnehin stößt die Einkommensbesteuerung spätestens an der Landesgrenze an die Grenze ihrer Anwendbarkeit, in der Globalisierung mehr denn je. Zum einen hat auch der Sitzstaat – eigentlich zur Steuererhebung primär qualifiziert, weil ihm die Daten des Steuerpflichtigen zur Verfügung stehen – längst nicht mehr genug „Zugang“ zu den Daten und Strukturen global tätiger Unternehmen, und das sind heute auch hunderttausende Mittelständler. Darüber endet die internationale Konzernsteuerpraxis, die durch indirekte Schlüsselungen (USA!) seit langem zu Ansätzen der Organbesteuerung des RFH zurückkehrt, gerade als das Gegenteil, der Drittvergleich, mit großem Aufwand nach 50 Jahren durchgesetzt schien. Zum anderen zeigt sich diese international-steuerrechtliche Resignation in der zunehmenden Akzeptanz des bislang (und eigentlich nicht nur) politisch inkorrekten Gedankens, Unternehmen und Kapital seien nun einmal niedriger zu besteuern als Arbeit27.

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26 Vgl. D. Schneider: Steuervereinfachung durch Rechtsform-Neutralität? DB 2004 1517; vgl. aktuell Hey (in diesem Band) und 18. Berliner Steuergespräche 2006. 27 Ganghof, High Taxes in Hard Times: How Denmark Built and Maintained a Huge Income Tax, MPIfG Discussion Papers 05/5 (2005).

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V. Einfach = kurz? Die fehlende oder gegebene Einfachheit der Einkommensbesteuerung (wie jeder Rechtsanwendung) beruht nach dem Gesagten auf Zweierlei: –

sehr wenige, sehr einfache Prinzipien, möglichst ohne Ausnahmen (also z. B. Messung der Leistungsfähigkeit anhand eines Nettovermögens-Vergleichs mit klarer Trennung zwischen Einkommenserzielung und Einkommensverwendung) und



möglichst vielen Konventionen zur Anwendung dieser Prinzipien, entweder einfach stetig angewandt oder ebenso einfach und stetig per Selbstbindung dem Steuerpflichtigen durch Ausübung von Wahlrechten (check the box) überlassen.

Ein solches Steuerrecht, geschrieben wie angewandt, ist nicht „kurz“. Aber Konzeption, Gedankenführung und Sprache eines solchen Steuerrechts sind hoffentlich einfach in dem oben genannten Sinne28 und damit inhaltlich und formal (intellektuell und ästhetisch) gut und schön. Das deutsche Einkommensteuergesetz, mit diesem Maßstab gemessen, steht traditionell sehr gut da, nicht grundsätzlich schlechter als anerkannt ehrwürdige Gesetzeswerke wie das BGB. 1. Vergleich USA-Deutschland Natürlich leidet das Einkommensteuergesetz, je neuer je mehr, an überzogenen Steuerungswünschen (nicht nur Besteuerungswünschen) des Gesetzgebers, an überzogenen Gerechtigkeitswünschen von Gesetzgeber und Steuerpflichtigen, an Änderungshäufigkeit und -geschwindigkeit usw.29. Aber auch das so leidende EStG/KStG ist vergleichsweise kurz, jedenfalls um eine Größenordnung kürzer als die entsprechenden Teile des US-Bundeseinkommensteuergesetzes (IRC). Diese umfassen weit über tausend Paragraphen, und jeder einzelne von ihnen ist auch nicht kürzer, eher länger als ein Paragraph im EStG/KStG. (Hinzu kommen dutzende von US-Einzelstaat-Steuergesetzen.) Überhaupt geht es nicht um eine abstrakte „Einfachheit im Sinne von Kürze“ des Steuergesetzes. Kürze oder Länge eines Gesetzestextes – für sich genommen – ist nahezu gleichgültig. Maßgeblich ist nur die (relative) Einfachheit seiner Anwendung. Ein längerer, durchdachter, die Lebenswirklichkeit vollständig erfassender Gesetzestext kann sehr viel einfacher anzuwenden sein als ein kurzer Text, dessen Lückenhaftigkeit und Fragwürdigkeit sich in der Anwendung früher oder (leider oft) später und negativ her-

__________ 28 Vgl. oben Fn. 12, 13 und unten Fn. 42. 29 Siehe auch unten.

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ausstellen. Selbst das „lange“ US-Bundessteuergesetz braucht noch ein Mehrfaches an Ausführungsbestimmungen, insgesamt drei dicke Bände von Regulations. Das US-Steuerrecht schafft damit einen sehr viel höheren Grad an Rechtssicherheit als das deutsche Steuerrecht, wie der Praktiker bei der gemeinsamen Bearbeitung eines Steuerfalls mit US-Kollegen bestätigen kann. Nach der deutschen Besteuerung international üblicher, aber sachlich komplexer Geschäfte, Finanzinstrumente usw. gefragt, wird der deutsche Steuerberater oft allenfalls auf seine eigenen Gedanken zur Anwendung allgemeiner Grundsätze auf solche Sachverhalte zurückgreifen können. Mit anderen Worten, er kann gar nichts dazu sagen, wie die Finanzverwaltung in der Praxis den Fall behandeln wird. Sein US-Kollege dagegen wird umfangreiche Gesetzes- oder Verwaltungsvorschriften zitieren und anhand derer Fragen stellen, bei denen der deutsche Kollege noch nicht einmal sagen kann, ob die deutsche Steuerpraxis, z. B. eine Betriebsprüfung, überhaupt die Frage erkennen und stellen wird, geschweige denn wie sie beantworten würde. Deutsche Steuerrechtsvorschriften dürften im Laufe der Zeit also eher länger als kürzer werden, und für die Steueranwendung, um die es allein geht, ist das einfacher und besser. Kommt es dann noch zu einer Ausweitung der Bemessungsgrundlage, wie gerade von den Steuervereinfachern regelmäßig und richtigerweise gefordert (siehe unten), so muss das geschriebene Steuerrecht noch einmal länger werden, nicht kürzer. 2. Steuerhöhe und Steuersatz Die Diskussion zur Steuervereinfachung vermischt oft, offen oder unterschwellig, „Kürze des Steuergesetzes“ mit „niedrigere Steuerhöhe“. Tatsächlich würde es die Steueranwendung vereinfachen, wäre die Steuerbelastung niedriger (dazu näher unten). Aber wenn die Absenkung der Steuerlast eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage verlangt (zur Aufkommensneutralität), so wird die Steueranwendung dadurch zunächst einmal nicht einfacher. Vielmehr entsteht durch die Anwendung von Steuerrecht auf bisher nicht erfasste Lebenssachverhalte (z. B. gewisse Veräußerungsgewinne) zumindest mehr Arbeit einschließlich mehr Beratungsbedarf. Die Streichung von Ausnahmevorschriften mag den Text des Steuergesetzes verkürzen. Die notwendigen Regeln zur Erfassung bisher nicht erfasster Sachverhalte werden diese Kürzung aber leicht aufwiegen. Vor allem, selbst wenn das Steuergesetz kürzer würde, die Steueranwendung wird dadurch nicht einfacher, und die mit der Steueranwendung verbundene Arbeitslast wird größer, nicht kleiner. Steuervereinfacher brauchen nichts von Steueranwendung zu verstehen. Trotzdem können sie mit unverstelltem Blick die Diskussion schärfen und bereichern. Unnütz und sogar kontraproduktiv aber sind die beliebten Vorschläge zum Steuertarif. So sei es eine Vereinfachung, den Formeltarif durch 163

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drei feste Steuersätze30 oder durch einen einzigen Steuersatz (flat tax) zu ersetzen31. Zur Steuervereinfachung trägt das überhaupt nichts bei: Die Mühe der Steueranwendung liegt in der Ermittlung der Bemessungsgrundlage, nicht in der schlichten Multiplikation der einmal ermittelten Bemessungsgrundlage mit einer formelhaft oder beziffert angegebenen Prozentzahl des Steuertarifs. Schon gar nicht liegt die Mühe der Steueranwendung in dem Blick in eine längere oder kürzere Steuertabelle, aus der für jede Bemessungsgrundlage der Steuerbetrag abzulesen ist. Im Gegenteil, feste Steuersätze an Stelle eines Formeltarifs bedeuten Sprünge bei Überschreiten der Grenzbeträge zwischen den einzelnen Steuersätzen (oder zwischen Steuerfreiheit und Steuerpflicht bei einer flat tax). Die Vermeidung des Sprungs „nach oben“ würde einen ganz erheblichen Mehraufwand bei der Steueranwendung veranlassen, einen Arbeitsaufwand, den man bisher überhaupt nicht (er)kennt. 3. Bierdeckel Vielleicht gut gemeint aber gleichfalls schädlich sind plakative Postulate wie das der „Steuererklärung auf einem Bierdeckel“. Auf diesen Bierdeckel passt vielleicht – und auch heute schon – die Multiplikation der ermittelten Bemessungsgrundlage mit dem Steuersatz, aber niemals die Ermittlung der Bemessungsgrundlage. Dem Bierdeckel-Vorschlag weht sein fröhlicherfrischender Charakter schon im Namen weit sichtbar wie eine Fahne voraus. Aber auch ernsthafter daherkommende Vorschläge wie ein Einkommensteuergesetz „in 10 Paragraphen“ oder „auf 10 Seiten“ sind allenfalls als Provokation und Gedankenanstoß beachtlich. In der Sache wird mit der Begrenzung auf die Fläche eines Bierdeckels so wenig erreicht wie mit der Begrenzung der Paragraphenzahl. Würden Zivilrechtler eine Reform der ZPO durch das Bild von der Klageschrift oder dem Gerichtsurteil auf einem Bierdeckel voranbringen wollen oder eine Reform des BGB durch eine Begrenzung seiner Paragraphenzahl? Abschließend dazu: Steuergerechtigkeit durch Messung der Leistungsfähigkeit ist ein Primärziel, Einfachheit und Kürze ist auch dabei ein Sekundärziel und ein wichtiges Mittel zur Erreichung des Primärziels32. Aber Kürze als Flächenmaß (Bierdeckel) oder Maßzahl (Paragraphenzahl) ist nicht nur nutzlos, sondern schädlich, weil von den wirklichen Problemen auf Scheinprobleme abgelenkt und damit die Problemlösung verhindert wird.

__________ 30 Vgl. die Erbschaftsteuer, wo die festen Sätze unter anderem zusätzliche Übergangsregeln beim Sprung zwischen zwei Steuersätzen erfordern, § 14 Abs. 2, § 19 Abs. 3 ErbStG. 31 Die wirkliche Bedeutung solcher Vorschläge mag darin liegen, dass damit zugleich die Höhe der Steuerbelastung abgesenkt werden soll; siehe dazu unten. Dagegen Ganghof (oben Fn. 27). 32 Vgl. oben das Postulat des Weglassens des nicht Nötigen (Occam) oder der Politikverbesserung durch Sprachverbesserung (Orwell).

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VI. Einfach = mühelos? Das soeben zur „Kürze“ Gesagte betraf vor allem die Regelungsseite des Steuerrechts. Wie mühelos oder mühevoll die Besteuerung ist, hängt dagegen vor allem an der Anwendung dieser Regelungen auf einen Sachverhalt. Eine Steuer zur gleichmäßigen Erfassung aller Lebensbereiche kann nicht mühelos anzuwenden sein. Jeder einzelne der zu erfassenden Lebensbereiche ist wirtschaftlich, rechtlich, persönlich und in vieler anderer Beziehung komplex, und ihn zu erfassen im Sinne von Verstehen und Besteuern ist nicht einfach. Mühelosigkeit anzustreben und Sich-Mühe-Geben zu verweigern kann nur zu Ungerechtigkeit in der Steueranwendung führen und damit zu sinkender Akzeptanz, höherem Widerstand und noch mehr Mühe. Das gilt für alle Steuerarten. Die Lohnsteuer als Erhebungsform mag ein praktisches Verfahren sein, inhaltlich einfacher ist sie nicht. Die Erfassung aller Einzelheiten des Lebenssachverhalts im Lohnsteuerjahresausgleich ist nicht grundsätzlich einfacher als in der Konzernsteuererklärung. Nur sind beim einzelnen Lohnsteuerpflichtigen die Zahlen kleiner. Dadurch werden Pauschalierungen ebenso eher akzeptiert wie andere „Vereinfachungen“, die bei größeren Zahlen als unerträgliche Gerechtigkeitsdefizite abgelehnt würden, übrigens auch von Lohnsteuerpflichtigen mit entsprechend höheren Zahlen. Auch andere Steuerarten sind nicht grundsätzlich einfacher zu erheben. Die Erhebung der Umsatzsteuer profitiert von der Begrenzung der „Erhebungsorte“ auf weniger Steuerpflichtige, nämlich lediglich Unternehmer. Allein das Ausmaß der allseits beklagten Betrugsfälle, die sich gerade auf die Umsatzsteuer konzentrieren, spricht aber gegen eine Überlegenheit oder Vorbildlichkeit dieser Steuer, von der die Einkommensteuer etwas lernen könnte. Noch krasser ist die Reduzierung der „Erhebungsorte“ bei anderen großen Steuern wie Mineralöl- oder Tabaksteuer. Eine Steuer, deren Aufkommen fast ganz von 5 oder 10 Steuerpflichtigen kommt, ist naturgemäß einfacher zu erheben. Als Vorbild für die Einkommensteuer ergibt sich daraus nichts; selbst bei einer ungleich weniger radikalen Begrenzung der Steuerpflichtigen-Zahl würde die Einkommensteuer auf diesem Wege praktisch abgeschafft. Es bleibt also dabei: Einkommensteuer ist nicht einfach im Sinne von mühelos zu erheben. Die Mühe der effektiven Steueranwendung könnte aber in zwei Bereichen stark vermindert werden, wenn man sich im Vorfeld der Steuererhebung mehr Mühe gäbe. 1. Verwaltungsvorschriften Wie am Beispiel der USA dargelegt, verbessert und vereinfacht sich die Steueranwendung nicht durch weniger und kürzere Verwaltungsvorschriften, sondern eher durch mehr und detailliertere. Auch eine vergleichsweise lange Verwaltungsvorschrift ist unendlich viel kürzer als die Summe der Texte, die 165

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als vorbereitende Vermerke und später als Schriftsätze bei Steuerpflichtigen und Verwaltung gerade dort produziert werden müssen, wo eine Verwaltungsvorschrift nichts im Voraus geregelt hat. Ebenso wichtig wie das Bestehen einer Verwaltungsregelung für einen bestimmten Sachverhalt ist die Qualität dieser Regelung. Nichts fördert die Qualität so sehr wie die gründliche Vorbereitung einer Verwaltungsvorschrift in der Diskussion zwischen Finanzverwaltung und betroffenen Wirtschaftkreisen. In dieser Hinsicht geschieht in Deutschland viel, traditionell durch die Mitwirkung von Finanzbeamten an der fachwissenschaftlichen Arbeit in Schrifttum und auf Kongressen (in anderen Ländern oft verpönt). In manchen Wirtschaftszweigen wirken z. B. Verbände intensiv an der Erarbeitung praktikabler Verwaltungsvorschriften mit, so z. B. Banken und Versicherer schon wegen der Verlagerung von Steuererhebung auf diese Unternehmen durch Abzugsteuern und die einheitliche Behandlung von Massenfällen. Darüber hinaus nutzt der öffentliche Diskurs der Qualität von Gesetzgebung und Verwaltungsvorschriften. Dieser Diskurs sollte intensiviert werden, sollte Themen früher aufgreifen und für alle Seiten auch deutlich transparenter sein als bisher. 2. Verbindliche Auskünfte im Einzelfall (gegen Gebühr) Die Veröffentlichung einer gründlich vorab ausdiskutierten Verwaltungsmeinung vereinfacht die Steueranwendung durch mehr Rechtssicherheit. Es werden aber immer die Probleme der Anwendung im Einzelfall bleiben. Sie können nur im Einzelfall gelöst werden. Jedenfalls geschieht das im Nachhinein in Veranlagung und Betriebsprüfung. Deutlich effizienter und einfacher ist es, Probleme schon im Vorfeld zu erfassen, abzuarbeiten und zu entscheiden, nämlich durch verbindliche Auskunft33. Einfacher und effizienter, insbesondere auch für die Finanzverwaltung, ist die Vorabentscheidung schon deshalb, weil hier der Steuerpflichtige etwas von der Finanzverwaltung will und dazu das Thema aufwerfen und herausarbeiten muss (es also nicht dem Betriebsprüfer überlassen bleibt, ob er es „später findet“) und der Steuerpflichtige von sich aus die Verwaltungsbehörde durch die Offenlegung des Sachverhalts und durch Argumente überzeugen muss (er es also nicht darauf ankommen lassen kann, welche Sachverhaltselemente später „entdeckt“ werden und welche Argumente zu dem dann ermittelten Sachverhalt „am besten passen“). Schon heute hat der Steuerpflichtige zwar keinen Anspruch auf verbindliche Auskunft, aber auf rechtfehlerfreie Ermessensausübung, ob eine verbindliche Auskunft erteilt wird. Bei Anfragen von Unternehmen dürfte dieses Ermessen in aller Regel auf Null reduziert sein, weil der Schutz von Unternehmen als „Garanten von Produktivität und Arbeits-

__________ 33 Vgl. Raupach, DStJG (21) 1998, 175 (191).

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plätzen“ gerade gegen unangemessene34 Steuerbelastungen Verfassungsrang35 hat. Neben die genannten Vorzüge verbindlicher Auskünfte für Finanzverwaltung und Steuerpflichtigen im Sinne der Steueranwendungs-Vereinfachung könnte ein weiterer Vorteil treten: Die Finanzverwaltung könnte verbindliche Auskünfte mit einer Gebühr belegen, ähnlich wie das Bundeskartellamt seine Entscheidungen in der Zusammenschlusskontrolle mit durchaus erheblichen Gebühren belegt. Der Grundsatz der Gebührenfreiheit der Steuererhebung wird damit nicht verlassen, weil der Antrag auf verbindliche Auskunft ja vom Steuerpflichtigen ausgeht (gewissermaßen auch ein „Wahlrecht“, ob eine Frage im Vorhinein oder erst im Nachhinein mit der Finanzverwaltung geklärt wird). Die Arbeits- und Vollkostenbelastung des Steuerpflichtigen würde durch verbindliche Auskünfte eher verringert als erhöht. 3. Steuerberatungskosten, Offenlegungsgebote Da Steueranwendung auch dem Steuerpflichtigen Mühe macht, entstehen erhebliche Kosten. Traditionell sind sie in Deutschland ihrerseits steuerlich abzugfähig, mindern sich also „nach Steuern“ auf etwas mehr als die Hälfte. Diese Konvention der Abzugsfähigkeit kann man auch anders entscheiden, und der Steuergesetzgeber erwägt, die Abzugsfähigkeit von Steuerberaterkosten zu streichen. Seine steuerpolitische Entscheidung ist vertretbar. Trotzdem trägt sie jedenfalls nichts zur Steuervereinfachung der Steueranwendung bei, ein gutes Beispiel für die oben vertretene Meinung, dass die Streichung von Ausnahmevorschriften zwar den Gesetzestext verkürzt, aber nichts vereinfacht. Denn damit entstehen erhebliche und nicht befriedigend lösbare Abgrenzungsprobleme, z. B. zwischen Kosten der Rechnungslegung im allgemeinen (abzugsfähig) und der steuerlichen Rechnungslegung im besonderen (nicht abzugsfähig?). Sollen damit auch die Kosten der unternehmenseigenen Steuerabteilung nicht mehr abzugsfähig sein? Vielleicht bezweckt die Nicht-Abzugsfähigkeit ja eine Eindämmung „aggressiver“ Steuerplanung. Dafür wäre die allgemeine Nicht-Abzugsfähigkeit aber ein sehr grobes Mittel, das die (überwiegenden) Kosten der Steuerberatung zur Einhaltung und Anwendung der Steuergesetze ebenso trifft wie die (weit seltenere) „aggressive“ Steuerplanung. Letztere würde besser getroffen durch Maßnahmen wie in den USA, wo z. B. in der Steuererklärung dort zugrunde gelegte Rechtsmeinungen offengelegt werden müssen, Berater für allzu aggressive Rechtsmeinungen mithaften, Steuerpflichtige sich gegen den Vor-

__________ 34 Die Einschränkung unternehmerischer Betätigung im Einzelfall durch die Besorgnis einer Besteuerung, die durch verbindliche Auskunft im Vorfeld beseitigt werden könnte, ist wohl immer unangemessen in diesem Sinne. 35 BVerfGE 93, 165, 175 f. (zur ErbSt); vgl. Verf., Unternehensübertragung und -verkauf, 2006.

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wurf der Hinterziehung oder Verkürzung nicht ohne weiteres auf Beratermeinungen berufen können usw.

VII. Kosten der Anwendung Eine rationale Messgröße zur Bestimmung der Einfachheit oder Schwierigkeit der Steueranwendung, auch für die Steuervereinfachungs-Diskussion, wären die Kosten der Steueranwendung36. Gewöhnlich sieht die öffentliche Diskussion zu dem Thema in erster Linie die Kosten der Steuererhebung lediglich auf Seiten der Finanzverwaltung und – durch Schätzungen insbesondere der Betroffenen – die Kosten der Steuererhebung (compliance) auf Seiten der Steuerpflichtigen, also die Deklarationskosten (Administrationskosten). Nicht einbezogen werden Planungskosten, zu denen die Kosten der Steuerplanung im engeren Sinne ebenso gehören wie die damit zusammenhängenden Kosten wirtschaftlicher, rechtlicher, persönlicher und sonstiger Planung. Vor allem aber bemisst sich die gegebene oder fehlende Einfachheit einer Steueranwendung durch die Kosten (Schäden, Einbußen usw.) in einem Unternehmen oder sonst bei einem Steuerpflichtigen, die sich aus der Vermeidung ungewollter Steuerbelastungen ergeben. Letzteres ist der bei weitem größte Kostenblock. Zu ihm zählen auch alle gesellschaftlichen Nachteile („Schäden“), die steuerlich begründet sind, im Unterschied zu den steuerund wirtschaftspolitisch angestrebten Folgen der Steuererhebung („gesellschaftlicher Vorteil“). Diese Vor- und Nachteile sind schwer voneinander abzugrenzen, nämlich nur anhand des Kriteriums, ob sie politisch bewusst und gewollt sind oder aber unbewusst oder ungewollt. Auch ohne diese schwierige wertungsabhängige Abgrenzung sind die Kosten der Steuervermeidung die wichtigste und komplexeste Kostengröße. Sie entscheidet letztlich über Angemessenheit oder Unangemessenheit einer gedachten Steuervereinfachung. Auch wenn sich diese Kosten nicht messen lassen, in einer rationalen Diskussion über Steuervereinfachung sind sie zumindest eine sehr wichtige, vielleicht die wichtigste denkbare und formulierbare Erwägung. Gesetzesvorschläge wie Vorschläge für Verwaltungsvorschriften sollten diesen Gesichtspunkt – möglichst quantifiziert und beziffert, jedenfalls aber qualitativ und verbal – ausdrücklich darstellen und in die Entscheidung eingehen lassen.

__________ 36 Vgl. Wagner, Steuervereinfachung und Entscheidungsneutralität, StuW 2005, 93, auch zu dem o. g. Gedanken, dass die Streichung von Befreiungsvorschriften und die Ausweitung der Bemessungsgrundlage das Steuerrecht oft nicht vereinfacht, sondern zunächst einmal nur mehr Anwendungsfälle und damit auch mehr Kosten und Mühen schafft.

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VIII. Besteuerung und Steuerung Ein großer Teil des Steuerrechts ist tatsächlich wirtschaftslenkendes Recht. Würde man alle Teile von Steuervorschriften, die nicht dem Steueraufkommen, sondern der Wirtschaftlenkung dienen, im Einkommensteuergesetz kursiv drucken, wäre deutlich, wie kurz das „Einkommensteuergesetz“ i. e. S. tatsächlich ist. Aber weder wäre ein solcher Kursivdruck verwirklichbar, weil die Unterscheidung zwischen Steuererhebung und Wirtschaftslenkung gewissermaßen auch durch einzelne Wörter und Zahlen im Gesetzestext geht (z. B. Afa-Sätze). Noch wäre mit der Unterscheidung viel gewonnen. Denn dem Steuerrechtler mag das Wirtschaftspolitische und -rechtliche als Fremdkörper im Steuergesetz erscheinen. Tatsächlich aber ist nicht leicht einzusehen, warum Wirtschaftspolitik in allen anderen Rechtsgebieten stattfinden dürfte (z. B. im Aktien- oder Kapitalmarktrecht), aber nicht in dem einen Rechtsgebiet, mit dem der Staat durch Auferlegung von Geldlasten unmittelbar wirtschaftlich eingreift. Nützlich ist die Unterscheidung zwischen Steuerrecht und Wirtschaftsrecht also allenfalls insofern, als sie Gründe und Gegengründe zu jeder Regelung ordnen und gewichten hilft. Auch die kritische Bemerkung über das „Steuerrecht als Quelle des Gesellschaftsrechts“ ist in diesem Sinne erhellend, hat aber nicht die Empfehlung zur Folge, dass eine solche mittelbare Beeinflussung des Gesellschaftsrechts durch Steuerplanung und -gestaltung „falsch“ sei und vermieden werden sollte. Im Gegenteil, alle Industriestaaten haben hohe Steuern (auch die USA, die Schweiz usw.) und beeinflussen damit gewollt und ungewollt das Wirtschaftsleben im eigenen Land und außerhalb. Im Hochsteuerstaat der Gegenwart ist es unvernünftig, dem Steuerpflichtigen vorzuhalten, eine von ihm vorgenommene wirtschaftliche und rechtliche Gestaltung sei steuerlich (mit) veranlasst, typischerweise sogar ganz erheblich steuerlich getrieben. Denn hohe Geldlasten (ebenso wie Gewinnchancen und Verlustrisiken) beeinflussen nun einmal Entscheidungen und machen sie nicht etwa missbräuchlich37. Ebenso wenig kann man vom Steuergesetzgeber erwarten, daß er sich nicht auch wirtschaftspolitische Gedanken macht. Es gibt nur einen Gesetzgeber, keinen „Steuergesetzgeber“. Abgesehen von dem richtigen Gesichtspunkt gedanklicher Klarheit hilft die Trennung von Steuerrecht i. e. S. und wirtschaftsrechtlichen Elementen im Steuerrecht auch in der Diskussion über die Steuervereinfachung nicht wirklich weiter. Denn die Herausnahme wirtschaftsrechtlicher Elemente z. B. aus

__________ 37 Vgl. § 42 AO; dementsprechend stellt die Rechtsprechung zum Missbrauch zutreffend immer weniger auf die steuerliche Veranlassung oder Motivation ab und immer mehr auf Erreichung oder Verfehlung eines Gesetzeszwecks. Die Abwägung „substance over form“ oder „form over substance“ wird in allen Steuerrechtsordnungen stark vom Rechtsgefühl getragen und unterscheidet sich von Rechtsordnung zu Rechtsordnung eher tendenziell und graduell.

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dem Einkommensteuerrecht würde zwar das Einkommensteuerrecht vereinfachen. Das Recht insgesamt würde aber nicht einfacher, sondern vielleicht sogar deutlich komplizierter, wenn der Gesetzgeber seine wirtschaftsrechtlichen Ziele nun nicht als Steuergesetzgeber, sondern in einem gesonderten nicht-steuerlichen Gesetz verfolgte. Auch für den betroffenen Steuerpflichtigen wäre damit keine Vereinfachung erreicht. Der Versuch, „Steuersubventionen“ („tax expenditure“) gedanklich zu isolieren und zu erfassen, dient nicht der Ausgliederung solcher „Subventionen“ in gesonderte „Subventionsgesetze“, sondern dem besseren Verständnis bestehender und vorgeschlagener Gesetze durch gesonderten Ausweis von Subventionswirkungen in der Gesetzesbegründung u. a. Dient man der Gerechtigkeit durch gesonderte Subvention (z. B. Kindergeld), so wird vielleicht das Steuergesetz „einfacher“, aber weder das Recht insgesamt noch seine Anwendung. Einfachere Steuergesetze sind wünschenswert, soweit sie durch die Vereinfachung besser werden, und vielfach wird die Vereinfachung zumindest eine Besserung des Verständnisses mit sich bringen. Aber Vereinfachung als solche ist nicht das Ziel.

IX. Optimierung oder Maximierung von Steuergerechtigkeit (Fehlertoleranz und Steuerhöhe) Jeder angestrebte Nutzen bringt Kosten mit sich. Das gilt auch für die Produktion gesellschaftlicher Güter wie Gesundheit, Sicherheit oder Gerechtigkeit einschließlich Steuergerechtigkeit. Mit höherer Ziele-Erreichung (mehr Nutzen) steigen typischerweise auch die Kosten. Ab einem gewissen Punkt oder einem gewissen Bereich der Ziel-Erreichung werden weitere Verbesserungen als unterproportional vorteilhafter empfunden (sinkender Grenznutzen), während Kosten der höheren Ziel-Erreichung überproportional steigen (steigende Grenzkosten). Das ist weniger Wirtschaftstheorie als Lebenspraxis. Auch das Steuerrecht und die Steuervereinfachung kann sich diesen Gesetzmäßigkeiten nicht entziehen. Mit anderen Worten, in einer komplexen Welt verlangt jede Steuergerechtigkeit ein ebenso komplexes Steuerrecht, und die Steueranwendung ist gleichermaßen komplex. Die Beobachtung, drei Viertel des steuerlichen Schrifttums weltweit erschienen zum deutschen Steuerrecht, ist zwar nicht empirisch belegt, könnte aber in der Tendenz richtig sein. Daraus ergibt sich schlechthin nichts für oder gegen die Kompliziertheit oder Einfachheit des deutschen Steuerrechts. In dieser Veröffentlichungswelle kommen andere Besonderheiten zum Ausdruck, vermutlich ein hoher Anspruch an Gerechtigkeit auch im Steuerrecht, wirtschaftlicher Erfolgswille unter den Beschränkungen berufsrechtlicher Werbeverbote, Präferenzen des öffentlichen Diskurses und andere schwer messbare oder bestimmbare Faktoren. Allenfalls könnte man sagen, die Menge des steuerfachlichen Schrifttums in Deutschland wäre auch getrieben durch ein Missverhältnis zwischen einem Bedürfnis nach Gestaltungssicherheit und 170

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der Verfügbarkeit von Verwaltungsvorschriften und Einzelzusagen (siehe oben). Der Zusammenhang von Grenznutzen und Grenzkosten bei der Produktion von Steuergerechtigkeit hängt naturgemäß stark an der Steuerhöhe. Mit anderen Worten, auch bei der Steuergerechtigkeit würde die Fehlertoleranz begründeterweise größer, wäre die Steuerlast geringer. Umgekehrt schaffen hohe Steuerlasten ein höheres Bedürfnis an Genauigkeit und Sicherheit der Steuervermeidung. Dazu eine beispielhafte Überlegung, aus der sich auch ein Ansatzpunkt für eine Bemessung der Steuerhöhe ableiten lässt und die Balance zwischen Steuergerechtigkeit und Steuereinfachheit angemessen gefunden werden könnte. 1. „Angemessene“ Steuerhöhe 20–25 %? (Erwirtschaften und Realisieren von Vermögensmehrungen) Für die Bemessung der Leistungsfähigkeit als Anknüpfungspunkt der Einkommensteuer grundlegend ist die Nettovermögensmehrung. Da die Steuer an die Nettovermögensmehrung aber einen realen Geldfluss anknüpft (Steuerzahlung), muss die Vermögensmehrung nicht nur erwirtschaftet (entstanden) sein, sondern auch erzielt. Bei einfacherer Einkommenserzielung definiert sich diese Erzielung des Einkommens durch den Zufluss (bei komplexer Einkommenserzielung durch die Realisierung). Im Bereich des Zuflussprinzips ist der Zeitpunkt der Einkunftserzielung und damit des Steueranfalls nicht ohne weiteres beliebig hinausschiebbar, weil diese Art von Steuerpflichtigen ihr Einkommen typischerweise in Geld brauchen (vor allem bei den Tätigkeitseinkünften Nichtselbständiger und Selbständiger). Bei Kapitaleinkünften, die dem Zuflussprinzip unterliegen, wird ein Aufschub der Einkunftserzielung oft steuerpolitisch hingenommen oder ist sogar gewollt (z. B. Altersversorgung). Kapital- wie Tätigkeitseinkünfte von Unternehmungen dagegen unterliegen dem Realisierungsprinzip. Es impliziert das Auflaufen stiller Reserven durch nicht realisierte Wertsteigerungen, insbesondere unter der Geltung „konservativer“ Bilanzierungsregeln (GoB/HGB), aber abgeschwächt auch nach internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen (IFRS/IAS). Je höher die Steuer, desto belastender ist dann die Realisierung und damit desto größer der steuerliche Eingriff in (und Einfluss auf) wirtschaftliche Entscheidungen. Deshalb gewähren alle Steuerrechte – durch Steuergesetz, Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung – Möglichkeiten der Umgestaltung mit Buchwertfortführung (Roll-over), in Deutschland schon durch die Rechtsprechung vor der Kodifikation im ersten Umwandlungsteuergesetz. Das vermeidet zwar die steuerliche Behinderung wirtschaftlich erwünschter Anpassungs- und Entwicklungsmaßnahmen, verlängert aber eben darum die Periode, in der stille Reserven auflaufen, und erhöht so letztlich den Betrag der stillen Reserven. Das wiederum hat zur Folge, dass bei der nächsten Anpassung und Umgestaltung das Bedürfnis nach Buchwertfortführung noch 171

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höher ist, ein circulus vitiosus. Irgendwann einmal muss der „Kessel platzen“. Deutsche Unternehmen „entgingen“ in der Vergangenheit diesem Platzen und einer Versteuerung ihrer stillen Reserven durch deren Vernichtung (Inflation, Krieg). Als einmalige 50 Jahre Nachkriegszeit jahrzehntelang Wertsteigerungen auflaufen ließen, blieb – gewissermaßen als verzweifelter Befreiungsschlag des Fiskus – die weitgehende Steuerbefreiung38 in radikaler Umkehrung eines Jahrhunderts Steuerpraxis, die mit Argusaugen das Verstricktbleiben stiller Reserven gehütet hatte. Hunderttausende Mannjahre Steuerpraktiker-Arbeit lösten sich 2000 in Nichts auf: welche stille Reserven für Steuervereinfachung. Ein regelhafterer Lösungsweg ist eine Veräußerungsgewinn-Steuer unterhalb der regulären Steuerbelastung. Steuergerecht kann eine solche Absenkung der Steuer auf Veräußerungsgewinne kaum erscheinen, erst recht nicht eine völlige Steuerfreiheit (Nichtsteuerbarkeit). Aber wirtschaftspolitisch scheint sie notwendig, wenn eine Volkswirtschaft nicht verkrusten soll („Lock-In“Effekt). Jedenfalls praktizieren das alle entwickelten Industrie- und Steuerstaaten so. Alle gewähren in der einen oder anderen Weise eine Absenkung der Steuerlast auf die Realisierung stiller Reserven durch Veräußerungsgewinne, typischerweise in der Gegend einer Halbierung der Steuerlast („halber Steuersatz“). Das ausgefeilteste System dieser Art unterhalten seit jeher die USA (capital gains tax). Auch dort liegt die Steuerhöhe auf solche Veräußerungsgewinne in der Gegend einer Halbierung der regulären Steuerlast. Wegen des Spannungsverhältnisses zur Steuergerechtigkeit (Steuerpolitik, Akzeptanz) ändert sich nicht nur die Abgrenzung von laufendem und Veräußerungsgewinn (ordinary income und capital gain) immer wieder, sondern vor allem auch die Steuerhöhe. Zurzeit liegt die US-Capital Gains Tax für natürliche Personen unter der halben regulären Steuer und die für Körperschaften in der Gegend der regulären Steuer. Man darf annehmen, dass dieses Auf und Ab weitergehen wird, auch in anderen Staaten. In den meisten Industrie- und Steuerstaaten (z. B. auch in Zürich) liegt die reguläre Einkommensteuerlast in der Nähe der Hälfte des Einkommens39, also bei ausgewiesenen Steuersätzen von meist über 40 % und selten über 55 %. Die Absenkung der Veräußerungsgewinnsteuer (capital gains tax) gegenüber der Steuer auf das laufende Einkommen (ordinary income) orientiert sich tendenziell ähnlich simpel an einer Halbierung: Die VeräußerungsgewinnSteuer liegt meist in einer Größenordung knapp unter 20 % bis ca. 25 %40. Mit etwas Mut darf man daraus schließen: Die Industriestaaten halten Steuersätze um die 20 % herum für die Steuerhöhe, bei der sie erwarten, dass ihre Wirtschaftssubjekte (Steuersubjekte) gewichtige wirtschaftliche

__________ 38 § 8b KStG. 39 In Deutschland hat diese Kinder- oder Bauernregel der Steuersatzbemessung („halbe-halbe“) sogar Verfassungsrang. 40 Eine wichtige Ausnahme wurde oben genannt, die US-Capital Gains Tax.

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Maßnahmen wie die Realisierung stiller Reserven nicht zur Steuervermeidung unterlassen, sondern wirtschaftlich zweckmäßige Anpassungs- und Änderungsmaßnahmen ohne Rücksicht auf Steuern vornehmen. Auf dieser Grundlage und mit aller Vorsicht könnte man daraus schließen, dass eine Steuerlast um die 20 % herum jedenfalls hier und heute die Balance von Steuererhebung und Steuergerechtigkeit einerseits und „Kosten“ der Besteuerung und Fehlertoleranz andererseits ungefähr optimiert. 2. Steuer-Stabilität Tatsächlich dürfte eine solche Steuerlast als Gleichgewichtspunkt nicht genau ermittelbar sein. Wenn die Steuergesetzgeber deshalb das Steuerrecht dauernd ändern, mag man darin einen Versuch sehen, unter wechselnden Bedingungen und Beurteilungen immer neu eine Balance zu finden zwischen den konfligierenden Anforderungen von Steuergerechtigkeit, Einfachheit, Steuerrecht-Anwendungskosten, Entscheidungsneutralität der Besteuerung und Wirtschaftlichkeit des Verhaltens der Steuersubjekte bei der Einkommenserzielung. Nur dass eben jede Steuerrechtsänderung als solche nicht nur Gerechtigkeitsanforderungen, Fehlertoleranz und Steuerakzeptanz neu austestet, sondern auch ihrerseits die Kosten der Steueranwendung erhöht, dem Ziel der Kostensenkung durch Steuervereinfachung (einschließlich Konsistenz in den Konventionen der Steueranwendung) widerspricht und durch neue Anwendungsfehler und -unschärfen neue Gerechtigkeitsmängel schafft. Daraus mag man schließen, dass weniger die Steuervereinfachung Ziel sein sollte als die Stabilität in Steuerrecht und Steueranwendung oder genauer: die Behutsamkeit der laufenden Veränderung und Anpassung des Steuerrechts und seiner Anwendung an sich verändernde Gegebenheiten und Beurteilungen. 3. Steuerakzeptanz abhängig von der „Produktqualität“ des Staates Im dem Schrei nach Steuervereinfachung steckt vermutlich auch die Unzufriedenheit mit den Schwierigkeiten, nicht akzeptierte Steuerlasten zu vermeiden. Der Vermeidungswunsch (Steuerwiderstand) ist ebenso normal wie die Schwierigkeit, ihn sich zu erfüllen. Steuervermeidung erreicht man aber nicht durch Steuervereinfachung, im Gegenteil. Je mehr und je differenzierter die Steuerregeln sind, desto besser kann der Steuerpflichtige im Voraus ermitteln, bei welchem Verhalten welche Steuer anfällt oder eben – entscheidend – nicht anfällt. Steuerwiderstand und den Wunsch, Steuer möglichst zu vermeiden, gibt es überall und immer. Auffällig ist, wie sehr diese normale Unzufriedenheit mit der Besteuerung sich als Wunsch nach Steuervereinfachung artikuliert – scheinbar ganz unvernünftig, weil ja die Erfüllung des Wunsches nach Steuervereinfachung die Erfüllung des Wunsches nach Steuervermeidung erschweren würde. 173

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Die einander widersprechenden Wünsche drücken ein hohes Maß an Unzufriedenheit mit dem steuererhebenden Staat aus. Der Steuerpflichtige ist nicht nur als Konsument anspruchsvoll und wünscht zunehmend Preiswürdigkeit („Discount“) oder Premium-Qualität („sich etwas gönnen“). Der Steuerbürger erstreckt diese Anforderungen auch auf den Staat. Auch für das „Produkt Staat“ schwindet – wie im Einzelhandel – die Mitte, also die Zufriedenheit mit mittlerer Qualität zum mittleren Preis. Der Staat als Steuergesetzgeber reagiert nervös auf diese Unzufriedenheit (auch mit Steuerrechtsänderungen) und erhöht damit im Ergebnis die Unzufriedenheit. Denn jede Steuerrechtsänderung schafft neue Steueranwendungskosten und belastet im Ergebnis den Bürger und erschwert ihm die Erfüllung seines Wunsches nach Steuerstabilität und nach Steuerminimierung, indem sie neue Grenzziehungen, neue Überlegungen und neue Anpassungsmaßnahmen herausfordert. 4. Qualitätsverbesserung und Steuer-Stabilität Der Staat als Steuergesetzgeber hat dazu zwei Reaktionsmöglichkeiten. Er kann die Qualität des Produktes „Staat“ erhöhen, sowohl objektiv als auch entscheidend in der Wahrnehmung des Abnehmers, des Bürgers. Das beste Beispiel dafür sind wieder die USA: Das Produkt „US-Staatsbürgerschaft“ ist so begehrt, dass US-Steuerbürger eine besonders belastende, weltweit einmalige Anknüpfung der Steuerpflicht an der Staatsbürgerschaft (Citizenship) akzeptieren. Deutschland und andere Staaten wagen das nicht, vermutlich aus gutem Grund. Sie knüpfen die Steuerpflicht nur an die Ansässigkeit. Ob in der Globalisierung das Einkommensteuerrecht die unbeschränkte Steuerpflicht weiterhin einfach an der Ansässigkeit anknüpfen kann, bedürfte einer eigenen Untersuchung. Die beschränkte Steuerpflicht der Nichtansässigen jedenfalls schränken Steuergesetzgeber (EU-Recht, DBA u. a.) und Steuerpraxis (EUGH) seit langem stetig weiter ein. Dieser Trend dürfte sich durch die Globalisierung weiter verstärken, weil jede Volkswirtschaft ausländisches Kapital und andere ausländische Wirtschaftsbeiträge eher anziehen als durch Besteuerung abhalten möchte. Endpunkt dieser Entwicklung mit ihrer Gefährdung der unbeschränkten wie der beschränkten Steuerpflicht könnte tatsächlich das Ende der klassischen Einkommensteuer sein. Aber wie gesagt, das bedürfte einer eingehenderen Betrachtung. Die andere Gegenmaßnahme des Staates gegen die Steuerunzufriedenheit könnte gleichfalls in mehr Steuerstabilität in Steuerrecht und Steueranwendung liegen. Denn auf gegebene Besteuerungsverhältnisse wie auf alle anderen gegebenen Lebensverhältnisse können Menschen und Wirtschaftssubjekte sich einstellen. Sie entwickeln dann Verhaltensweisen, die unter den steuerlichen Gegebenheiten optimal oder jedenfalls für sie akzeptabel sind. Das erspart es ihnen, über Steuerlast und Steuervermeidungswünsche nach174

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denken zu müssen. Es senkt nicht nur die Kosten der Steueranwendung und verbessert wirtschaftliches Verhalten und Einkommenserzielung (einschließlich steuerpflichtiger Einkommenserzielung und Zufriedenheit mit dem Einkommen), sondern es verbessert auch die Wahrnehmung des Steuerrechts (durch Nicht-Wahrnehmung) und die wichtige „gefühlte“ Steuerlast41. 5. Versuch einer Zusammenfassung Kurz und grob zusammengefasst: Die Einkommensteuer ist nicht am Ende. Der Ruf nach Steuervereinfachung ist nicht Zeichen für die Unzulänglichkeit des klassischen Einkommensteuerrechts. Dessen Grundprinzipien und Grundkonventionen – wenn man sie nur in Ruhe lässt – ermöglichen eine hinreichend einfache Steueranwendung. Der Ruf nach Steuervereinfachung, erfüllt man ihn, riskiert eher weitere Steuerveränderungen und damit durch neue Unsicherheiten Erschwernisse für die Erfüllung des fundamentalen Wunsches nach Steuervermeidung oder jedenfalls Steuerbegrenzung. Am Ende ist die Einkommensteuer einfach. Die Aufmerksamkeit des Steuergesetzgebers und der Steuerverwaltung dürfte ruhig mehr darauf richten, die vorhandene, fundamentale und überzeugende Einfachheit zur Geltung kommen zu lassen, durch mehr Anleitung für den Steuerpflichtigen durch Steuerverwaltungsvorschriften und Vorabentscheidungen und durch weniger und behutsamere Steueränderungen. Auch für das Steuerrecht gilt der Einstein42 zugeschriebene Satz: Alles sollte man so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher.

__________ 41 Im Vergleich mit Einzelhandel und Konsumentenverhalten: Laufende Preisänderungen, selbst als Preissenkungen, verunsichern den Verbraucher und senken Zufriedenheit, Konsum und Akzeptanz. Ähnliches könnte für laufende Steueränderungen gelten. 42 Everything should be made as simple as possible, but not simpler (eine Variante von Occam’s Razor). Vgl. am Ende von Einsteins Meaning of Relativity (5. Aufl.); „... the theory here is the logically simplest relativistic field theory that is at all possible. But this does not mean that nature might not obey a more complex theory ...“ Ähnlich Paul Dirac (1939): „The research worker, in his effort to express the fundamental laws of Nature in mathematical form, should strive mainly for mathematical beauty. It often happens that requirements of simplicity and beauty are the same, but where they clash the latter must take precedence.“ Im Recht mag man für oder neben intellektuelle „Schönheit“ auch „Gerechtigkeit“ und „Wirksamkeit“ setzen.

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Klaus Tipke

Hütet das Nettoprinzip! Inhaltsübersicht I. Vorbemerkung II. Zur Theorie des Nettoprinzips III. Wertungsdivergenzen im Bereich des objektiven Nettoprinzips 1. Unterschiedliche Formulierungen des objektiven Nettoprinzips 2. Ausgaben für Fahrten zwischen Wohnung und Erwerbsstätte a) Verschiedene Auffassungen aa) P. Kirchhof-Entwurf: „Lasten der Lebensführung“ bb) Kölner Entwurf: „Erwerbsausgaben“ cc) Elicker-Entwurf: „Erwerbsausgaben“ b) Eigene Meinung

3. Mehraufwendungen Berufstätiger für Kinderbetreuung a) P. Kirchhofs Auffassung: „Lasten der Lebensführung“ b) Kölner Entwurf: „Erwerbsausgaben“ c) Stellungnahme IV. Wertungsdivergenzen auch im Bereich des subjektiven Nettoprinzips 1. „Unvermeidbarkeit“ als Wertungsfrage 2. Private Steuerberatungskosten 3. Spenden für gemeinnützige Zwecke 4. Unterhaltsausgaben V. Resümee. Die Gerichte als Hüter des Nettoprinzips

I. Vorbemerkung Arndt Raupach repräsentiert wie wohl kaum ein anderer die Symbiose von Steuertheorie und Steuerpraxis. Seit der Gründung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft im Jahre 1975 ist er eines ihrer aktivsten und produktivsten Mitglieder. Von Anfang an war ich mit ihm darüber einig, daß wir keine Gesellschaft gründen sollten, der nur Universitätslehrer angehören, daß wir Theorie für die Praxis treiben, Theorie um ihrer selbst willen jedenfalls vermeiden müßten. Dieses Ziel ist voll erreicht worden. Der Gesellschaft mit ihren inzwischen über 1000 Mitgliedern gehören viele theoretisch interessierte Praktiker an, die die Theorie durch ihre praktische Anschauung beeinflussen, und zwar bereits bei der Themenwahl für die Jahrestagungen. Arndt Raupach hat seit der ersten Stunde dem Wissenschaftlichen Beirat der Gesellschaft angehört. Er war dessen Vorsitzender und ist jetzt Mitglied des Vorstands der Gesellschaft. Er hat Schriften der Gesellschaft herausgegeben und Sitzungen auf Jahrestagungen geleitet. Als Diskussionsleiter läßt A. Raupach den Diskurs nicht treiben wie manche Fernsehmoderatoren, die als Dilettanten vom Gegenstand oft zu wenig verstehen. Er bringt die Probleme unter Berücksichtigung seiner praktischen Erfahrungen auf den Punkt und macht aus seiner eigenen Meinung keinen Hehl. 177

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Schon früh gehörte Arndt Raupach zu denen, die den unsystematischchaotischen Zustand des Steuerrechts beklagt und kritisiert haben1. Das stieß bei der Leitung der Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums in den 1980er Jahren noch auf Unverständnis2. Auf der 3. Jahrestagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft (1979) hat A. Raupach die Diskussion zum Thema „Abgrenzung der Betriebs- und Berufssphäre von der Privatsphäre“ meisterhaft geleitet3. Das Thema hätte auch lauten können: „Das objektive und subjektive Nettoprinzip“. Diese Prinzipien spielten denn auch in der damaligen Diskussion schon eine Rolle4, und daran soll dieser Beitrag zu Ehren des Jubilars anknüpfen.

II. Zur Theorie des Nettoprinzips Die am Leistungsfähigkeitsprinzip orientierte Einkommensteuer darf nicht am Bruttoeinkommen anknüpfen; sie darf nur den Teil des Einkommens zugrunde legen, in dem sich steuerliche Leistungsfähigkeit ausdrückt, das ist das Nettoeinkommen als das für die Steuerzahlung disponible Einkommen. Nicht disponibel für die Steuerzahlung ist der Teil des Einkommens, der im Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit ausgegeben wird. Man. spricht vom objektiven Nettoprinzip. Nicht disponibel ist aber auch der Teil des Einkommens, der unvermeidbar für private Zwecke ausgegeben wird. Man spricht vom subjektiven Nettoprinzip. Das Nettoprinzip und seine Ableitung aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip sind heute unter Steuerrechtlern wohl unbestritten. Das gilt zumal für das objektive Nettoprinzip. H. Söhn stellte schon auf der Jahrestagung 1979 der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft fest: „Das sog. Nettoprinzip ist deshalb jedenfalls als Regel (Grundsatz) ein unverzichtbarer Bestandteil des Einkommensteuerrechts, – und ein verfassungsrechtlich verankertes – rechtliches – Besteuerungsprinzip, das für die Auslegung des Einkommensteuergesetzes maßgebend sein muß. Eine Durchbrechung dieses Prinzips im Einzelfall ist dem Gesetzgeber zwar nicht überhaupt verwehrt. Jede Durchbrechung muß aber als Ausnahme von der Regel durch sachlich einleuchtende Gründe gerechtfertigt sein“5. M. Elicker fügt zutreffend hinzu: „Es genügt nach heutiger Rechtsprechung … nicht mehr jeder sachliche Grund, nicht mehr jeder Gemeinwohlbelang, um das Leistungsfähigkeitsprinzip zu durchbrechen … Allgemein gefaßte und beliebig einsetzbare Gesichtspunkte … vermögen also

__________ 1

2 3 4 5

Raupach/Tipke/Uelner, Niedergang oder Neuordnung des deutschen Einkommensteuerrechts?, Münsteraner Symposion I, 1985, 15 ff.; A. Raupach, Wege aus dem Chaos, in: Festschrift für Franz Klein, 1994, 309 ff.; A. Raupach, Erfahrungen aus der Steuergesetzgebung für die Steuerreform, StbJb. 1998/99, 7 ff. S. z. B. A. Uelner (Fn. 1), 175 ff. A. Raupach, DStJG Bd. 2 (1980), 393 ff. DStJG Bd. 2 (1980), Stichwort „Nettoprinzip“ im Stichwortverzeichnis. DStJG Bd. 2 (1980), 18.

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Hütet das Nettoprinzip! eine Durchbrechung … nicht mehr zu rechtfertigen. Ein sachlicher Grund für die Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips – und des objektiven Nettoprinzips als eines seiner Subprinzipien – kann insbesondere nicht in fiskalischen Überlegungen gefunden werden, … letztlich weil die Höhe des Finanzbedarfs grundsätzlich keinen Einfluß auf den bei Aufbringung der Finanzmittel angewandten Verteilungsschlüssel haben kann.“6 Die steuerrechtliche Abteilung des 57. Deutschen Juristentages hat 1988 in Mainz einstimmig beschlossen: „Steuerlich zu erfassen sind nur die ‚Reineinkünfte‘, d. h., das Ergebnis der Verwirklichung eines Einkünftetatbestandes nach Berücksichtigung der hierdurch veranlaßten Erwerbsaufwendungen (Betriebsausgaben und Werbungskosten).“7

Auch international ist das Nettoprinzip weitgehend anerkannt, als net income principle, principe de l’ imposition du revenu net, principio del neto, principio dell’ impositione netta, safilik ilkesi. Das objektive Nettoprinzip verlangt, daß auch Verluste die Bemessungsgrundlage mindern. Der Verlustausgleich ist keine Steuervergünstigung, er realisiert vielmehr das objektive Nettoprinzip und damit das Leistungsfähigkeitsprinzip. Das gleiche gilt für den Verlustabzug. Werden Verlustausgleich oder Verlustabzug eingeschränkt, damit also das objektive Nettoprinzip durchbrochen, so bedarf das hinreichender Rechtfertigung. Im Recht der beschränkten Einkommensteuerpflicht wird das objektive Nettoprinzip strapaziert, ohne daß das durchgehend durch hinreichende Rechtfertigungsgründe legitimiert wäre. Allerdings waren das (objektive) Nettoprinzip und seine Ableitungen nicht von jeher anerkannt. Das Bundesverfassungsgericht hat noch in den 1970er Jahren (als das Gericht sich noch mit Steuerdilettanten behelfen mußte) die Existenz eines Nettoprinzips geleugnet, und zwar unter Berufung auf Ausnahmen vom Prinzip, die das Gericht aber nicht als solche erkannte, folglich auch nicht ihre Rechtfertigung prüfte8. Davon ist das Bundesverfassungsgericht heute abgerückt, wenngleich eine klare Linie noch nicht gefunden ist.

III. Wertungsdivergenzen im Bereich des objektiven Nettoprinzips 1. Unterschiedliche Formulierungen des objektiven Nettoprinzips Auch unter Steuerrechtswissenschaftlern gehen die Detailableitungen aus dem objektiven Nettoprinzip auseinander9. Zwar ist der definitorische Dua-

__________ 6 7 8 9

M. Elicker, Entwurf einer proportionalen Netto-Einkommensteuer, 2004, 81. Verhandlungen des 57. Deutschen Juristentages, Mainz 1988, Bd. 2, N 214. BVerfGE 34, 1031; dazu Kritik von K. Tipke, StuW 1974, 84. Dazu M. Elicker (Fn. 6), 71 ff., mit Nachweisen auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; Hinweis auch auf W. Drenseck, Einkommensteuerreform und objektives Nettoprinzip, Gedächtnisschrift für Chr. Trzaskalik 2005, 286 ff. („Die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zum objektiven Nettoprinzip“). Zur rechtshistorischen Entwicklung des objektiven Nettoprinzips H. G. Ruppe, DStJG Bd. 2 (1980), 108 ff.

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lismus Betriebsausgaben/Werbungskosten von der Steuerrechtswissenschaft durch den einheitlichen Begriff „Erwerbsausgaben.“ oder „Erwerbsaufwendungen“ überwunden worden, es werden aber verschiedene Definitionen der „Erwerbsausgaben“ („Erwerbsaufwendungen“) angeboten. Das schlägt sich auch in den privaten Reformentwürfen eines Einkommensteuergesetzes nieder. Paul Kirchhof definiert: „Erwerbsausgaben sind Ausgaben in Geld, die durch die Erzielung von Erwerbseinnahmen veranlasst sind.“ Der Kölner Entwurf definiert: „Erwerbsausgaben sind Geld und andere Wirtschaftsgüter, die durch eine Erwerbstätigkeit veranlasst zufließen10. Mag die terminologische Abweichung sich auch noch durch Auslegung überwinden lassen, so gilt das nicht mehr für die Begriffsbestimmung der gemischten (erwerblich/privaten) Ausgaben. Paul Kirchhof: „Lasten eigener oder fremder Lebensführung mindern die Einkünfte auch dann nicht, wenn sie durch Erwerbshandeln mitveranlasst sind (gemischte Kosten)“ (§ 4 S. 1). Der Kölner Entwurf hingegen: „Sowohl wesentlich durch die Lebensführung als auch wesentlich durch die Erwerbstätigkeit veranlasste Ausgaben (gemischte Ausgaben) sind anteilig anzusetzen, wenn sie zumindest schätzungsweise aufteilbar sind; sind sie nicht aufteilbar, so sind sie in angemessener Höhe als Erwerbsausgaben anzusetzen. Ausgaben sind in vollem Umfange als Erwerbsausgaben anzusetzen, wenn sie wesentlich durch die Erwerbstätigkeit und nur unwesentlich durch die Lebensführung veranlasst sind“ (§ 15 I). P. Kirchhofs Terminologie („Lasten“, „Kosten“) erschließt sich mit Hilfe des Glossars (S. 347). Förderlich ist diese Begriffswahl m. E. nicht. Sie ist ungewohnt, und läßt den Gesetzesanwender stutzen. Das Hin und Her zwischen den Begriffen Ausgaben, Kosten, Lasten, verwirrt unnötig. Der hergebrachte Begriff „Lebensführungsausgaben“ oder „Ausgaben für die Lebensführung“ ist klar. Für die Finanzämter ist es sicher eine Vereinfachung, wenn es Ausgaben ohne Rücksicht auf den Umfang des Privatanteils zur Gänze dem Privatsektor zuweisen darf. Jedoch handelt es sich um einen massiven Einbruch in das objektive Nettoprinzip. W. Drenseck spricht von einem „radikalen Einschnitt in das Nettoprinzip“11. Durch Vereinfachung darf das Einkommensteuer-Gerechtigkeit verbürgen sollende Nettoprinzip aber nicht übermäßig verletzt

__________ 10 Kursivdruck in beiden Definitionen vom Verfasser veranlaßt. Der kausale Bezug auf die Erwerbstätigkeit (Kölner Entwurf) statt auf die Erwerbseinnahmen (Kirchhof) ist m. E. vorzuziehen (dazu K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II2, 2003, 766). 11 W. Drenseck, (Fn. 9), 283, 284.

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werden. Schon auf der Jahrestagung 1979 war man sich darüber einig, daß es ein Aufteilungsverbot für gemischte Ausgaben nicht geben dürfe, es sich aus § 12 Nr. 1 EStG entgegen der Rechtsprechung nicht entnehmen lasse. Aus Kirchhofs Gesetzesvorschlag (§ 4) ist nicht zu entnehmen, daß § 23 seines Entwurfs eine Verordnungsermächtigung an Bundesregierung und Bundesrat enthält, nähere Bestimmungen „über Erwerbskosten und gemischte Kosten“ zu erlassen. Dadurch wird die Zuordnung und Abgrenzung der Exekutive überlassen und damit evtl. fiskalischem Zugriff (der auch schon in der Gesetzesbestimmung selbst angelegt ist. Abgesehen davon, dass durch die Ermächtigung Art. 80 GG strapaziert wird12: An die von P. Kirchhof ausformulierten §§ 31, 32 VO. ist die Bundesregierung natürlich nicht gebunden. Ungünstig würde der Fiskus mit der Kirchhof-VO. allerdings nicht fahren. In § 31 VO werden zu „gemischten Kosten“ erklärt und dementsprechend nicht zum Abzug zugelassen: Ausgaben für zu Erwerbszwecken genutzte Teile der Wohnung, für Fahrten zwischen Wohnung und Erwerbsstätte, für Umzüge, auch wenn sie beruflich bedingt sind, für Kleidung (typische Berufskleidung ausgenommen) und Verpflegung. Für Werbegeschenke wird durch § 32 VO. eine Ausnahme vom Aufteilungsverbot zugelassen. Abweichend davon gibt der Kölner Entwurf das Nettoprinzip bei Mischausgaben nicht leichthin auf. Er differenziert und behandelt als abziehbare Erwerbsausgaben: Bewirtungskosten zur Hälfte, die ausschließlich berufliche Nutzung eines häuslichen Arbeitszimmers, wenn am Arbeitsplatz kein Arbeitszimmer zur Verfügung steht, eine limitierte Entfernungspauschale, unter bestimmten Voraussetzungen berufliche Mehrausgaben für doppelte Haushaltsführung. Die Abweichungen vom rigoristischen Kirchhof-Entwurf sind danach erheblich. W. Drenseck bemerkt dazu: Das Kirchhof-Modell sticht hervor durch eine neue steuerrechtliche Dogmatik, durch seinen Einheitssteuersatz von 25 v. H., durch seine Kürze … und durch einen radikalen Einschnitt in das objektive Nettoprinzip13. 2. Ausgaben für Fahrten zwischen Wohnung und Erwerbsstätte Wegen des vom Verfasser zu beachtenden Seitenlimits ist es nicht möglich, auf alle erwähnten Problemfälle einzugehen. Was die Ausgaben für doppelte Haushaltsführung und für ein häusliches Arbeitszimmer betrifft, so stimme ich mit der Lösung des Kölner Entwurfs14 und mit W. Drenseck15 überein.

__________ 12 13 14 15

Kritisch dazu auch W. Drenseck, (Fn. 9), 284, 285. W. Drenseck (Fn. 9), 284. Kölner Entwurf § 15 II Nrn. 3, 5 (dazu die Begründung Rz. 337). W. Drenseck, (Fn. 9), 284 f., 294.

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Da die Behandlung der Ausgaben für Fahrten zwischen Wohnung und Erwerbsstätte die breite Öffentlichkeit am meisten interessiert, soll die Theorie des Nettoprinzips zunächst an diesem Ausgabenposten erprobt werden; danach an den Kinderbetreuungskosten Berufstätiger. a) Verschiedene Auffassungen aa) P. Kirchhof-Entwurf: „Lasten der Lebensführung“ P. Kirchhof ordnet die „Kosten der Fahrten zwischen Wohnung und Erwerbsstätte“ den „gemischten Kosten“ zu und damit nach § 4 seines Gesetzentwurfs den nicht abziehbaren Kosten der Lebensführung (§ 31 I Nr. 2 seiner RechtsVO.). Wie bereits erwähnt, werden „gemischte Kosten“ zur Gänze als „Lasten der Lebensführung“ behandelt (dazu kritisch oben III.1). In der Begründung wird dazu ausgeführt: „Wer von zu Hause zum Erwerb und zurück fährt, handelt aus beruflichem Anlass; wer vom Erwerb nach Hause und zurück fährt, folgt privatem Anlaß. … Doch auch schon der Weg zur Erwerbsstätte kann wesentlich privat veranlaßt sein. Je weiter der Steuerpflichtige von der Erwerbsstätte entfernt wohnt, desto deutlicher tritt die private Mitveranlassung hervor. Viele Pendler leben lieber auf dem Land, weil sie das Leben im Grünen bevorzugen, die Mieten und Grundstückspreise außerhalb der Ballungszentren niedriger sind oder die ländliche Gemeinde mehr Lebensqualität bietet. Diese Motive sind privater Art. Private und berufliche Veranlassung sind untrennbar vermischt. Eine Schätzung scheidet aus, weil Anhaltspunkte fehlen. Die Absetzbarkeit der Fahrtkosten würde auch diejenigen benachteiligen, die in der Nähe ihrer Arbeitsstätte wohnen und eine höhere, nicht absetzbare Miete zahlen. Die Absetzbarkeit der Aufwendungen gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG stellt deshalb eine steuerliche Vergünstigung dar, die aus systematischen Gründen vom EStGB nicht übernommen wird“16.

bb) Kölner Entwurf: „Erwerbsausgaben“ Abweichend vom Kirchhof-Entwurf sind nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 des Kölner Entwurfs abziehbar: „Ausgaben für Wege zwischen Wohnung und Erwerbsstätte in Höhe von 25 Cent je Kilometer der kürzesten Straßenverbindung, jedoch nur bis zur Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten.“ Die Begründung sagt dazu nur, daß die Arbeitsgruppe das nach ausführlicher Debatte so entschieden habe und eine Pauschale von 25 Cent empfehle. cc) Elicker-Entwurf: „Erwerbsausgaben“ Michael Elicker führt in § 5 Abs. 5 seines EStG-Entwurfs17 einen in 7 Ziffern unterteilten Katalog von Ausgaben („Aufwendungen“) auf, die die Lebens-

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16 Einkommensteuer-Gesetzbuch. Vorschlag vorgelegt von P. Kirchhof, 2003, 148 f. 17 M. Elicker (Fn. 6).

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führung berühren und als entnommen gelten. Die Ausgaben für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind in dem Katalog nicht erfaßt. Elicker sieht nämlich keinen Bezug zur Lebensführung und gibt dazu eine ausführliche Begründung: „Die Freiheit zur Wahl des Wohnorts, auch eines gemeinsamen Familienwohnsitzes, ist durch die Grundrechte der Freizügigkeit Art. 11 GG sowie des Schutzes von Ehe und Familie, Art. 6 Abs. 1 GG verbürgt … Die Entscheidung, wo man seinen (Familien)Wohnsitz nimmt – oder beibehält – ist eine vom Staat, also auch vom Steuerrecht zu respektierende und als gegeben hinzunehmende höchstpersönliche Entscheidung. Der Einwand, daß der Steuerpflichtige auch ‚näher zu seiner Arbeitsstätte‘ ziehen könnte, muß daher unbeachtlich bleiben. Besonders deutlich wird dies, wenn man an die Festlegung des Familienwohnsitzes im Falle von Mehrverdiener-Ehen mit unterschiedlichen Orten der Arbeitsstätte denkt. Für diese Erwerbsgemeinschaften gäbe es keinen ‚steuerlich unschädlichen‘ gemeinsamen Wohnsitz mehr, wenn die Fahrtkosten zur Arbeitsstätte nicht mehr berücksichtigt würden. Nach Art. 6 Abs. 1 GG dürfen jedoch Eheleute gegenüber nichtverheirateten Personen durch das Steuerrecht nicht benachteiligt werden …“

Das Sozialhilferecht respektiere zu Recht die Gegebenheiten des Privatbereichs. Der Staat dürfe aber die Freiheit desjenigen, der von staatlichen Leistungen lebe, nicht höher achten als die Freiheit desjenigen, der durch seine Arbeit die Lebensführung des Hilfeempfängers finanziere. „Der Sichtweise, nach der der Wohnort vom Steuerrecht als vorgegebener ‚Nullzustand‘ zu betrachten ist,“ – so Elicker weiter – „muß demnach zugestimmt werden. Die Fahrten zur Arbeitsstätte sind somit ausschließlich erwerbsveranlaßt; ein Bezug zur Lebensführung ist nicht gegeben. Die Abzugsfähigkeit der entstehenden Kosten ergibt sich aus dem objektiven Nettoprinzip … Eine die wahren Kosten wesentlich unterschreitende Pauschale durchbricht das objektive Nettoprinzip, und es wäre hierfür eine außerhalb der Leistungsfähigkeitsmessung liegende Rechtfertigung zu fordern. Eine Verfolgung ökologischer Lenkungsziele … ist aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen“ (wird begründet)18.

b) Eigene Meinung In Betracht kommt, daß die Fahrt Wohnung-Erwerbsstätte ausschließlich durch die Erwerbstätigkeit veranlaßt (so z. B. Kölner Entwurf, Elicker), daß sie ausschließlich privat veranlaßt ist oder daß die Veranlassung eine gemischte ist. Daß steuerrechtlich eine ausschließlich private Veranlassung vorliege, läßt sich m. E. nicht damit begründen, daß die Arbeit erst am Werkstor, allgemeiner gesagt: an der Arbeitsstätte oder Erwerbsstätte, beginne. Das ist allerdings arbeitsrechtlich richtig. Es ist grundsätzlich nicht Sache des Arbeitgebers, dafür zu sorgen, daß der Arbeitnehmer die Arbeitsstätte erreicht.

__________ 18 M. Elicker (Fn. 6), 221–223.

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Und auch die Arbeit eines Unternehmers beginnt nicht schon, wenn er seine Wohnung verläßt, um seinen Betrieb zu erreichen. Unfallversicherungsrechtlich ist es aber anders: die Fahrt zur Erwerbsstätte ist ein versicherter Wegeunfall19. Natürlich kann der Unternehmer die Fahrtkosten ersetzen, oder er kann seine Arbeitnehmer mit eigenen Fahrzeugen auf seine Kosten zu Hause abholen lassen. Dann entstehen für die Arbeitnehmer keine Ausgaben, folglich auch keine Erwerbsausgaben. Hier geht es aber um Fälle, in denen Ausgaben der Pendler entstehen. Ebensowenig wie im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung läßt sich im Steuerrecht zur Kausalitätsfeststellung die sog. Bedingungstheorie anwenden, eher die Theorie der wesentlichen Bedingung. Steuerrechtlich erheblich oder wesentlich ist danach nicht die Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele (conditio sine qua non), sondern nur diejenige, die im Verhältnis zu anderen einzelnen Bedingungen nach der Anschauung des praktischen Lebens wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg wesentlich mitgewirkt hat. Haben mehrere Bedingungen gleich wesentlich oder annähernd gleich wesentlich zum Erfolg beigetragen, so ist jede von ihnen ursächlich. Mit der Ursachenfrage haben sich auf der 3. Tagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft schon H. Söhn und H. G. Ruppe befaßt20. Ruppe formuliert es so: „Juristische Kausalität bedeutet … Ausscheidung von als irrelevant erkannten … Kausalverknüpfungen und bedarf daher der Wertung, Abwägung und Gewichtung.“21

Gerade dies ist aber auch das Anliegen der Veranlassungslehre, die aus den vielen Ursachen den Anlaß herausgreift“. Der Kölner Entwurf geht offenbar davon aus, daß durch Abwägung, Gewichtung, Wertung die wesentliche Veranlassung ermittelt werden könne. Eine rechtssichere Formel für das Ermitteln des Wesentlichen ist bisher nicht gefunden worden, wohl auch gar nicht findbar. Feststeht allerdings, daß die Bedingungs-Kausaltheorie für das Steuerrecht ungeeignet ist. Würde man sie nicht einschränken, so würde das Nettoprinzip aufgelöst; denn in aller Regel wird ein Beruf ausgeübt, damit der Lebensunterhalt im weitesten Sinne gesichert wird. M.a.W.: Auch zwischen den Erwerbsausgaben und der privaten Lebensführung besteht ein entfernter Zusammenhang. Wer etwas ausgibt, um seine Erwerbsstätte zu erreichen, tut es, um erwerbsfähig zu sein und um Einnahmen zu erzielen; er unternimmt keine private Vergnügungsfahrt, überhaupt keine Fahrt zur Erledigung von Privatem. P. Kirchhofs Idee, zwischen Hin- und Rückfahrt zu trennen und nur die Hin-

__________ 19 Dazu W. Blomeyer, in: Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht Bd. 1 (1992), § 69 Tz. 11 ff. 20 Die Abgrenzung der Betriebs- oder Berufssphäre von der Privatsphäre im Einkommensteuerrecht, DStJG Bd. 2 (1980), 13, 19 ff. (Söhn), 103, 126 ff. (Ruppe). 21 H. G. Ruppe (Fn. 20), 147.

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fahrt mit der Erwerbstätigkeit in Zusammenhang zu bringen22, überzeugt mich nicht. Die Rückfahrt ist doch deshalb unvermeidbar, weil die Hinfahrt zur Erreichung der Erwerbsstätte erforderlich war. Die Erwerbstätigen können nicht alle in der Erwerbsstätte übernachten. Auch die Rückfahrt ist durch die Erwerbstätigkeit veranlaßt23. Der Arbeitslose braucht nicht zur Arbeit zu fahren und deshalb auch nicht zurückzufahren. Wer die, die Fahrtkosten haben, und die, die keine Fahrtkosten haben, gleichbehandelt, behandelt Ungleiches gleich und verletzt den Gleichheitssatz. Wenn ein Unternehmer auf dem Rückweg von einer Geschäftsreise direkt zu seiner Wohnung zurückfährt, soll dann diese Rückfahrt als privat angesehen werden mit der Folge, daß die „gemischten Kosten“ die ganze Geschäftsreise zu einer privaten machen? So weit würde wohl auch P. Kirchhof nicht gehen. Die Tatsache, daß die Erwerbstätigkeit grds. erst an der Erwerbsstätte beginnt, ändert nichts daran, daß diese Erwerbsstätte zur Aufnahme der Tätigkeit erst erreicht werden muß. Man mag das eine vorbereitende Handlung nennen. Aber auch sonst werden Ausgaben, die eine Erwerbstätigkeit vorbereiten, zum Abzug zugelassen, z. B. mit der Bewerbung um einen Arbeitsplatz zusammenhängende Ausgaben, Darlehenszinsen während der Bauphase eines Miethauses, Ausgaben für den Erwerb eines Bauplatzes für ein Miethaus, Anlaufkosten vor Betriebseröffnung. Die neuere Rechtsprechung hat sogar die Kosten der Ausbildung für einen Beruf zum Abzug zugelassen. M. Elicker24, W. Drenseck25 und J. Hennrichs26 weisen zu Recht darauf hin, daß an verschiedenen Orten berufstätige Eheleute keine gemeinsame Wohnung in. der Nähe beider Erwerbsstätten haben können. Sie wären also nur um den Preis des Getrenntlebens in der Lage, in der Nähe ihrer verschiedenen Arbeitsstätten zu leben. Gerade der familienfreundliche P. Kirchhof kann ein solches Ergebnis nicht wollen. Die Abziehbarkeit von Erwerbsausgaben hängt nicht davon ab, daß die Ausgaben unvermeidbar waren. Abgesehen davon: Vermieden werden könnten die Ausgaben nur dadurch, daß die erwerbstätigen Steuerpflichtigen ständig dorthin ziehen, wo sie eine Erwerbsmöglichkeit gefunden haben. Das zu erwarten und zuzumuten, verletzt – wie M. Elicker zu Recht einwendet – das

__________ 22 Den Kirchhof’schen Begründungssatz „Wer von zu Hause zum Erwerb und zurück fährt, handelt aus beruflichem Anlass, wer vom Erwerb nach Hause und zurück fährt, handelt aus privatem Anlass“ (s. hier oben III.2 a), aa)), habe ich nicht verstanden. Im allgemeinen wird doch zwischen der Hinfahrt zur Erwerbsstätte und der Rückfahrt nach Hause unterschieden, auch von P. Kirchhof an anderer Stelle. 23 So auch W. Drenseck (Fn. 9), 292: „Die Fahrt nach getaner Arbeit wieder nach Hause bedeutet die Rückgängigmachung eines beruflich veranlassten Zustandes und ist damit ebenfalls berufsbedingt.“ 24 M. Elicker (Fn. 6), 221. 25 W. Drenseck (Fn. 9), 293. 26 J. Hennrichs, Die Fahrtkostenpauschale – ein willkommenes Gegenfinanzierungsinstrument unter dem Banner des Subventionsabbaus?, BB 2004, 584 ff.

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Grundrecht der Freizügigkeit27; erwartet wird dadurch aber auch Unmögliches. In einem dicht besiedelten Land wie Deutschland kann nicht jeder in der Nähe seiner Erwerbsstätte wohnen, es sei denn man organisierte die größte Umzugsaktion aller Zeiten. Im übrigen: P. Kirchhof will auch die Kosten eines Umzugs aus beruflichen Gründen nicht zum Abzug zulassen. Auch „beruflich bedingte“ Umzugskosten ordnet er als nicht abziehbare gemischte Kosten ein (§ 31 Abs. 1 Nr. 3 RVO). Der Eingriff in die Freizügigkeit würde außerdem zum Schaden des Arbeitsmarktes die Flexibilität der Arbeitnehmer hemmen. Inkonsequent ist es m. E., daß P. Kirchhof es zuläßt, die Kosten eines PKW durch Schätzung in einen beruflichen und einen privaten Anteil zu zerlegen, während die pauschalierten Ausgaben für Fahrten zur Arbeitsstätte, die sich auch ohne Schätzung ermitteln lassen, nicht zum Abzug zugelassen werden. Die Frage, ob die Lebenshaltungskosten auf dem Lande niedriger sind als in der Stadt, betrifft das private Existenzminimum, damit das subjektive Nettoprinzip, nicht das objektive oder berufliche Nettoprinzip28. Wäre es anders, könnte man auch auf die Idee kommen, den Werbungskostenpauschbetrag für Landbewohner zu reduzieren – mit der Begründung, sie lebten billiger und angenehmer als die Städter. Ohnehin wäre das eine undifferenzierte Unterscheidung. Wer an der Durchgangsstraße eines Dorfes wohnt, hat sicher keine höhere Lebensqualität als der Bewohner eines ruhigen großstädtischen Villenviertels. Landbewohner können stärker als Großstädter dem Lärm von Militärflugzeugen ausgesetzt sein. Theater, Opern, Museen gibt es auf dem Lande nicht. In vielen ländlichen Gemeinden muß man heute bis zum nächsten Bäcker oder Bekleidungsgeschäft 10 km und mehr fahren. In einer gründlichen Untersuchung kommt J. Hennrichs29 zu dem Ergebnis: Würde das objektive Nettoprinzip nicht greifen, so träfe das subjektive Nettoprinzip zu, da die Fahrtkosten unvermeidbar sind, zumal unter Berücksichtigung des Grundrechts der Freizügigkeit. Wie M. Elicker30 so weist auch J. Hennrichs31 zutreffend darauf hin, daß eine Pendlerpauschale realitätsgerecht sein müsse, daß sie die tatsächlichen Kosten nicht wesentlich unterschreiten dürfe. In der Tat würde die 25 CentPauschale des Kölner Entwurfs das Nettoprinzip verletzen32. Der Entwurf von J. Mitschke sieht denn auch eine Pauschale von 40 Cent vor33.

__________ 27 28 29 30

M. Elicker (Fn. 6), 221 ff.; s. auch W. Drenseck (Fn. 9), 292. So auch W. Drenseck (Fn. 9), 292. J. Hennrichs, BB 2004, 587. M. Elicker (Fn. 6), 223 („an den wirklichen vom Steuerpflichtigen zu tragenden Kosten orientieren“). 31 J. Hennrichs, BB 2004, 588. 32 A. A. Kölner Entwurf und diesen billigend W. Drenseck (Fn. 9), 293. 33 J. Mitschke, Erneuerung des deutschen Einkommensteuerrechts, 2004, § 8 V des Entwurfs (s. S. 22).

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Die von der großen Regierungskoalition geplante Abzugsmöglichkeit erst bei Entfernungen ab 20 km verletzt ebenfalls das Nettoprinzip. Fiskalische Gründe rechtfertigen keine Eingriffe in dieses Prinzip. Wäre es anders, so müßte es konsequenterweise auch zulässig sein, allgemein die ersten 20 % der Erwerbsausgaben nicht zum Abzug zuzulassen. Eine sog. zumutbare Eigenbelastung ist selbst bei unvermeidbaren Privatausgaben nicht zu rechtfertigen. Ergebnis: Bei den Ausgaben für Fahrten zwischen Wohnung und Erwerbstätte handelt es sich vollen Umfangs um Erwerbsausgaben. Der Abzug dieser Ausgaben kann daher nicht als Steuervergünstigung gedeutet werden. Eine bewußte Vergünstigungsentscheidung hat der Gesetzgeber (des geltenden Gesetzes) auch nicht getroffen. Wollte man Erwerbsausgaben verneinen, so lägen abziehbare unvermeidbare Privatausgaben vor. Eine Entfernungspauschale darf nicht so niedrig angesetzt werden, daß sie die Realität der Ausgaben verfehlt. Ein Ausgabenabzug erst jenseits einer Entfernung von 20 km verletzt eindeutig das Nettoprinzip34. 3. Mehraufwendungen Berufstätiger für Kinderbetreuung a) P. Kirchhofs Auffassung: „Lasten der Lebensführung“ P. Kirchhof äußert sich in seinem Einkommensteuer-Gesetzbuchvorschlag nicht direkt zur Behandlung der Kinderbetreuungskosten Berufstätiger. Vermutlich würde er mindestens „gemischte Kosten“ annehmen, nämlich durch Erwerbshandeln bloß mitveranlaßte „Lasten der Lebensführung“ (s. § 4 GesE.). Dieses Ergebnis mag P. Kirchhof so selbstverständlich erschienen sein, daß er die Nichtabziehbarkeit nicht eigens in den Katalog des § 31 RVO-E aufgenommen hat. b) Kölner Entwurf: „Erwerbsausgaben“ Hingegen bestimmt der Kölner Entwurf in § 15 II Nr. 1 klarstellend und verallgemeinernd (über die Kinderbetreuungskosten Berufstätiger hinausgehend): „Im Besonderen sind als Erwerbsausgaben abziehbar: Ausgaben für die Unterbringung und Betreuung von Personen, die minderjährig oder infolge Krankheit oder Behinderung betreuungsbedürftig sind, soweit die Unterbringung oder Betreuung die Erwerbstätigkeit ermöglicht.“ Ohne die entgeltliche Unterbringung oder Betreuung muß dem (den) Steuerpflichtigen die Erwerbstätigkeit nicht möglich sein. Die entgeltliche Unter-

__________ 34 Das Konzept 21 von CDU/CSU wollte die Kosten bis zu einer Entfernung von höchstens 50 km zum Abzug zulassen. Das kommt der Großen Koalition aus Union und SPD nun wohl zu teuer. Daher der Schwenk von „bis zu 50 km“ zu „erst ab 20 km“. Die Koalition betrachtet das Nettoprinzip wohl als freie finanzpolitische Verfügungsmasse im Sinne des fiskalischen Prinzips.

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bringung oder Betreuung ist dann auch durch die Erwerbstätigkeit veranlaßt. Anders gewendet: Ohne die Erwerbstätigkeit müßte die entgeltliche Unterbringung oder Betreuung sich erübrigt haben. In der Begründung heißt es dazu: „Neu ist die Abzugsfähigkeit von Betreuungsaufwendungen (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 EStG-E). Der Kölner Entwurf folgt der Empfehlung des Deutschen Juristentages 1994, 0 92, Beschl. Nr. 12) und erkennt die Betreuungskosten als beruflich veranlaßten Mehraufwand an …“ (Rz. 336). Der Abzug von Betreuungsaufwendungen als Erwerbsaufwendungen wäre in der Tat neu; denn nach § 33c EStG geltenden Rechts sind Kinderbetreuungskosten abziehbare private Ausgaben. J. Lang in Tipke/Lang kritisiert diese Vorschrift jedoch wie folgt: „Die Vorschrift ist im System der privaten Abzüge fehlplaziert. Die Beschränkung des Steuerabzugs auf den berufsbedingten Mehraufwand fundiert die Qualität von Erwerbsaufwendungen. Kausalrechtlich liegen hier gemischt veranlaßte Aufwendungen vor, die zum einen durch die private causa des Kindhabens und zum anderen durch die Erwerbstätigkeit verursacht sind. Die private causa wird durch den Betreuungsfreibetrag in § 32 VI EStG abgegolten. Der darüber hinausgehende Aufwand muß in vollem Umfange abziehbar sein; ansonsten sind berufstätige Eltern durch die Verletzung des Nettoprinzips diskriminiert. Nur die volle Abziehbarkeit des beruflichen Mehraufwandes wird dem Ziel der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie gerecht, was 1994 auf dem 60. Deutschen Juristentag ausführlich diskutiert und beschlossen worden ist“35.

c) Stellungnahme Die Verfasser des Kölner Entwurfs nehmen wohl an, daß der Aufwand – genauer: der Mehraufwand – für Unterkunft und Betreuung wesentlich infolge der Erwerbstätigkeit entstehe. Das Kindhaben hingegen wird als unwesentliche Veranlassung angesehen, zumal wenn der normale Betreuungsaufwand schon abgegolten ist (so z. Zt. durch § 32 VI I EStG; s. auch § 36 III KöE). Hinter der Zuordnung der Betreuungs-Mehrausgaben zur Berufssphäre steckt

__________ 35 Tipke/Lang18, 2005, § 9 Rz. 754. – Für den Abzug der Kinderbetreuungskosten Berufstätiger als Erwerbsausgaben auch schon K. Tipke, StuW 1979, 202; K. Vogel, in: Festschrift für K. H. Friauf, 1996, 286 Fn. 3; G. Alarcón, StuW 1997, 337 li. Sp. unter Hinweis auf eine Entscheidung des Tribunal Superior de Justicia des Baskenlandes v. 3. 3. 1990 (das Tribunal entschied, die Ausgaben des berufstätigen Ehepaares für die Kinderbetreuung seien Erwerbsausgaben). – In der Schweiz können die Kinderbetreuungskosten Berufstätiger auch nicht als „Gewinnungskosten“ (= Erwerbsausgaben) abgezogen werden. Die Rechtsprechung ist nicht ganz einheitlich. M. Reich bemerkt dazu: „Die Verweigerung des Abzugs der Kinderbetreuungskosten stößt zunehmend auf Unverständnis und auf heftige Kritik. … Gesellschaftspolitisch wird es heute kaum noch verstanden, dass zwar Fahrt- und Mehrkosten der auswärtigen Verpflegung, nicht aber Kinderbetreuungskosten als berufsnotwendige Aufwendungen betrachten werden“ (Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht I 2a, DBG, 2000, Art. 34 Rz. 8; ebenso kritisch in demselben Kommentar B. Knüsel, Art. 26 Rz. 7).

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die Wertung, daß es beiden Eheleuten, auch der Ehefrau, ermöglicht werden müsse, erwerbstätig zu sein, daß auch die Ehefrau die Freiheit haben müsse, sich durch Arbeit und Einkommen zu emanzipieren und selbst zu verwirklichen. Der Abzug von Kinderbetreuungskosten durch Berufstätige entspricht übrigens genau dem Wortlaut des geltenden § 9 I EStG: Die Kinderbetreuungsausgaben Berufstätiger sind „Aufwendungen zur Erwerbung von Einnahmen.“ P. Kirchhof würde wohl anders wägen und werten. Er nennt es an anderer Stelle „ein Mißverständnis der Gleichberechtigung von Mann und Frau, das die Frau allein im Berufsleben und nicht als Garantin unserer Zukunft anerkennt“36. Er wehrt sich gegen die „Geringschätzung, mit der von den drei K – Kinder, Küche, Kirche – gesprochen“ werde37. So gewertet ließe sich die Abziehbarkeit der Kinderbetreuungskosten durch Berufstätige auch als Diskriminierung der Hausfrauenehe und Vernachlässigung des Kindeswohls werten, ließen sich die Mehrausgaben berufstätiger Eheleute als vermeidbare Privatausgaben ansehen; vermeidbar durch den Verzicht auf Berufstätigkeit und Betreuung der Kinder zu Hause. Der Gesetzgeber würde es aber sicher nicht wagen anzuordnen, daß eine Frau mit Kindern oder der Ehemann keiner Berufstätigkeit nachgehen dürfe, sondern zu Hause die Kinder zu betreuen habe. Die Anrufung des Verfassungsgerichts gegen eine solche Anordnung wäre wohl sicher. Umgekehrt darf der Ehefrau mit Kindern auch nichts in den Weg gelegt werden, als Hausfrau und Betreuerin der eigenen Kinder tätig zu werden. Tatsächlich hat die Zahl der berufstätigen Frauen auch seit 1991 weiter deutlich zugenommen. Viele Frauen sind allerdings teilzeitbeschäftigt. Den Willen der Frauen sollte man nicht lenken wollen. Wissenschaftler halten eine bessere außerhäusliche Kinderbetreuung und familiengerechtere Arbeitsplätze für notwendig, damit Kinderwunsch und Berufstätigkeit sich besser vereinbaren lassen. Es ist im übrigen eine allgemeine Regel, daß Mehraufwendungen für Nahrung (Verpflegung), Kleidung, Wohnung (doppelter Haushalt), die durch den Beruf veranlaßt sind, als Erwerbsausgaben abgezogen werden können38.

IV. Wertungsdivergenzen auch im Bereich des subjektiven Nettoprinzips 1. „Unvermeidbarkeit“ als Wertungsfrage Grundsätzlich dürfen private Ausgaben – Ausgaben für die Lebensführung – nicht von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden. Das gilt aber nicht,

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36 P. Kirchhof, Der Weg zu einem neuen Steuerrecht, 2005, 26. 37 P. Kirchhof (Fn. 36), 27. 38 DStJG Bd. 2 (1980), 47 ff., 60, 416; Tipke/Lang, Steuerrecht18, 2005, § 9 Rz. 247.

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soweit die Ausgaben unvermeidbar sind; denn was unvermeidbar ausgegeben worden ist, mindert die steuerliche Leistungsfähigkeit, steht für die Steuerzahlung nicht mehr zur Verfügung. Das ist unter Steuerjuristen allgemein anerkannt. Die Frage, was unvermeidbar ist, ist aber wiederum eine Wertungsfrage, die nicht einheitlich beantwortet wird. Sicher hat der zivilisierte Mensch nicht nur seine Gegenwartsexistenz zu sichern, sondern unvermeidbar auch für seine Zukunft vorzusorgen, für Alter und Krankheit zumal. M. E. ist es auch vertretbar, die Beiträge zu einer Unfallversicherung (so auch Kölner Entwurf) zum Abzug zuzulassen. Durchweg wird die Kirchensteuer voll zum Abzug zugelassen, nicht wie Spenden behandelt. Auch das ist eine Wertungsfrage. Die Benachteiligung der Angehörigen von Religionsgemeinschaften, die nicht kirchensteuerberechtigt sind, und dieser Religionsgemeinschaften selbst ist jedoch offensichtlich39. Drei private Ausgabenposten bieten sich besonders an, näher erörtert zu werden: die privaten Steuerberatungskosten (im Kölner Entwurf, § 35 I Nr. 4, und von J. Mitschke, § 23 I Nr. 3, zum Abzug zugelassen, von anderen nicht), die Spenden für gemeinnützige Zwecke und die Unterhaltsausgaben. 2. Private Steuerberatungskosten Der Verfasser hat wiederholt unwidersprochen behauptet, daß Steuerlaien nicht in der Lage sind, zutreffende Steuererklärungen abzugeben. Wenn das Gesetz aber auch von Laien zutreffende Steuererklärungen erwartet, so müssen sie sich unvermeidbar einen Steuerberater nehmen. Das Gesetz zwingt allerdings nicht dazu. Nach § 80 I AO können Steuerpflichtige sich einen Steuerberater nehmen, müssen es aber nicht. Diese Vorschrift wird den Realitäten nicht gerecht und sollte geändert werden. Im Interesse einer Gleichbelastung aller Steuerpflichtigen wäre es jedenfalls erwünscht, daß Steuerlaien sich einen Steuerberater nehmen. Die Vorstellung, die Steuergesetze könnten jemals so vereinfacht werden, daß jeder Steuerlaie sie verstehen könne, ist unrealistisch. Auch wenn im Abzug privater Steuerberatungskosten eine Lenkungsnorm gesehen würde: Die Lenkung wäre aus Gemeinwohlgründen gerechtfertigt. Wäre die Zulassung des Abzugs von Steuerberatungskosten eine Lenkungsnorm, würde es sich anbieten, einen Abzug von der Steuerschuld statt von der Bemessungsgrundlage zuzulassen40. Die Notwendigkeit, zwischen abziehbaren beruflichen Beratungskosten und nicht

__________ 39 Es kommt nicht auf den Status der Religionsgemeinschaft an, sondern darauf, daß die Ausgabe in das sozio-kulturelle Existenzminimum fällt. Das ist für Pflichtabgaben zugunsten aller Religionsgemeinschaften zu bejahen. Dem trägt § 36 IV 2 Kölner Entwurf Rechnung. 40 Dazu auch K. Tipke, Die Steuerrechtsordnung Bd. II, 2003, 829; Tipke/Lang, Steuerrecht18, § 9 Rz. 714.

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abziehbaren privaten Beratungskosten zu unterscheiden, kompliziert das Gesetz weiter. 3. Spenden für gemeinnützige Zwecke Spenden für gemeinnützige Zwecke dürfen nach geltendem Recht in Grenzen von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden. Das wäre jedenfalls gerechtfertigt, wenn Spenden die steuerliche Leistungsfähigkeit unvermeidbar minderten. Das Spenden ist aber nicht unvermeidbar; es unterscheidet sich von den regulären privaten, über das Existenzminimum hinausgehenden Ausgaben aber dadurch, daß es uneigennützig geschieht und im Interesse des Gemeinwohls erwünscht ist. Daher läßt eine Meinung den Abzug von der Bemessungsgrundlage auch ungeachtet der Tatsache zu, daß unvermeidbare Privatausgaben nicht vorliegen. Eine andere Meinung stellt aber allein auf die Lenkungsnormqualität ab und hält nur den Abzug von der Steuerschuld für gerechtfertigt41. Der Kölner Entwurf läßt den Abzug von der Bemessungsgrundlage zu (s. § 38) mit der Begründung, daß es sich um sozial erwünschte Ausgaben handele, soweit tatsächlich das Gemeinwohl gefördert werde. M. E. ist der Abzug von der Bemessungsgrundlage statt von der Steuerschuld jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn dadurch ein größeres Spendenaufkommen erreicht wird als durch den Abzug von der Steuerschuld. 4. Unterhaltsausgaben Die Leistungsfähigkeitsregel lautet: Wer Unterhalt bezieht, wird leistungsfähiger; der Unterhalt erhöht die Bemessungsgrundlage. Wer nur Unterhalt bezieht, der das Existenzminimum nicht überschreitet, braucht den Unterhalt nicht zu versteuern. Wer unvermeidbar (aufgrund gesetzlicher Pflicht) Unterhalt zu zahlen hat, darf die Zahlungen von der Bemessungsgrundlage abziehen. Anders geht P. Kirchhof in seinem Entwurf vor. Er erfaßt durch § 2 nur Einkünfte, die am Markt erzielt worden sind. Dies trifft auf Unterhaltsbezüge nicht zu. „Ein Unterhaltsberechtigter kann seinen Grundfreibetrag auf denjenigen übertragen, der ihm gegenüber seine gesetzliche Unterhaltspflicht erfüllt“ (§ 10 Nr. 1 GesE). Dazu stellt H. Söhn zutreffend fest: „Unterhaltsleistungen sind zwar nicht am Markt erwirtschaftet, gehören aber in einer an der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit orientierten Einkommensteuer zu den steuerbaren Einkünften“42. H. Söhn kritisiert zutreffend auch den Kirchhof’schen

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41 Dazu St. Geserich, DStJG Bd. 26 (2003), 246 ff. m. w. N. (als altruistisches Vermögensopfer darf die Spende die Bemessungsgrundlage mindern); a. A. R. Seer, DStJG Bd. 26 (2003), 40ff m. w. N., 47 f. (Zulassung des Spendenabzugs ist Lenkungsnorm; daher Abzug von der Steuerschuld geboten). 42 H. Söhn, StuW 2005, 116.

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Klaus Tipke § 10 I, wonach ein Unterhaltsberechtigter seinen Grundfreibetrag auf denjenigen übertragen kann, der ihm gegenüber eine gesetzliche Unterhaltspflicht erfüllt“43.

Der Kölner Entwurf erfaßt Unterhaltsausgaben als Privatausgaben (§ 35 I Nr. 2). § 37 II ordnet an, daß der tatsächlich geleistete Unterhalt durch abziehbare Unterhaltsausgaben des Gebers und durch zu versteuernde Unterhaltseinnahmen des Empfängers berücksichtigt wird, wenn der Unterhalt gesetzlich zwangsläufig ist oder die Unterhaltsleistung die Hilfe aus öffentlichen Mitteln, entlastet“ (§ 37 I). „Unterhaltseinnahmen sind nur im Umfange der Abziehbarkeit von Unterhaltsausgaben zu versteuern“ (§ 37 I 3). Dazu stellt H. Söhn zutreffend fest: „Ein Korrespondenzprinz widerspricht dem Grundsatz individueller Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit“44.

V. Resümee. Die Gerichte als Hüter des Nettoprinzips Wenn das objektive und das subjektive Nettoprinzip so unterschiedlich gehandhabt werden können, wie es hier aufgezeigt worden, ist, so mag man sich fragen, was diese Subprinzipien des Leistungsfähigkeitsprinzips und das Leistungsfähigkeitsprinzip selbst rechtlich überhaupt wert sind? Viele Steuerpolitiker scheren sich in der Tat wenig um das Leistungsfähigkeitsprinzip und das Nettoprinzip. Sie halten die Steuergesetze für eine beliebig knetbare Verfügungsmasse. Da Steuern nur aufgrund Gesetzes erhoben werden dürfen, ist Steuerpolitik indessen gedachte oder geplante Gesetzgebung. Da die Gesetzgebung aber an die Verfassung gebunden ist, muß sich auch die Steuerpolitik an der Verfassung, vor allem am Gleichheitssatz, orientieren. Der Gleichheitssatz kann zutreffend nur angewendet werden aufgrund eines sachgerechten Vergleichsmaßstabs. Ein solcher Maßstab ist für das Steuerrecht das Leistungsfähigkeitsprinzip mit dem objektiven und dem subjektiven Nettoprinzip als Subprinzipien. Es hat sich erwiesen, daß auch Steuerrechtler die Nettoprinzipien unterschiedlich anwenden. Auch die Anwendung der Nettoprinzipien kommt nämlich nicht ohne Wertungen aus. Das Leistungsfähigkeitsprinzip und die beiden Subprinzipien sind jedoch nicht rechtlich wertlos. Sie wären es, wenn die Rechtspolitiker mit dem Abzug von Erwerbsaufwendungen und von unvermeidbaren privaten Aufwendungen beliebig umgehen, wenn sie die Nettoprinzipien überhaupt negieren dürften, wenn sie sie auch inkonsequent anwenden dürften, kasuistisch bald so, bald so. Das würde in unerträglicher Weise den Gleichheitssatz verletzen. Die Nettoprinzipien müssen in einer vertretbaren Weise gehandhabt werden. Es ist m. E. nicht vertretbar, die Ausgaben für Fahrten zwischen Wohnung und Erwerbsstätte nicht als Erwerbsausgaben zum Abzug zuzulassen.

__________ 43 H. Söhn, StuW 2005, 110 Fn. 11. 44 H. Söhn, StuW 2005, 115 rechts unten, 116.

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Das Nettoprinzip würde klar verletzt, wenn Entfernungen bis zu 20 km nicht berücksichtigt würden. Auch wenn man es für vertretbar hielte, Kinderbetreuungskosten Berufstätiger nicht als Erwerbsausgaben anzuerkennen, so müßten sie doch als unvermeidbare Privatausgaben realitätsgerecht von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden können; sonst wäre das subjektive Nettoprinzip in unvertretbarer Weise verletzt. Es wäre unter dem Aspekt des Nettoprinzips vertretbar, Steuerberatungskosten und Spenden, für gemeinnützige Spenden nicht zum Abzug zuzulassen. Steuerberatungskosten könnten aber mindestens als Lenkungsnormen gerechtfertigt und von der Steuerschuld abgezogen werden. Sie überhaupt nicht zum Abzug zuzulassen, wäre mindestens ein grober politischer Fehler. Unterhaltszahlungen, die der gesetzlich Verpflichtete leisten muß, sind unvermeidbare Privatausgaben. Sie nicht zum Abzug zuzulassen, verletzt in unvertretbarer Weise das subjektive Nettoprinzip. Das würde auch gelten, wenn der Unterhaltsberechtigte die Unterhaltsbezüge nicht zu versteuern hätte; ein derartiges Korrespondenzprinzip würde das Prinzip der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit verletzen. Der Gesetzgeber darf zur Deckung von Finanzierungslücken Steuern erhöhen. Er darf zu diesem Zweck den Tarif verschärfen. Er darf aber nicht beliebig in die Steuerbemessungsgrundlage eingreifen. Er darf und muß allerdings Leistungsfähigkeits-Prinziplücken in der Bemessungsgrundlage schließen, soweit Lücken sich nicht rechtfertigen lassen. Der Gesetzgeber darf aber nicht den hohen Stellenwert der Nettoprinzipien45 mißachten. Der Finanzbedarf ist kein Rechtfertigungsgrund für Verletzungen der Nettoprinzipien. Zur Finanzierung der Aufgaben der öffentlichen Hand ist nicht jedes Mittel Recht. Auch eine große Koalition muß sich hüten, die Nettoprinzipien in nicht vertretbarer Weise zu verletzen. In einzelnen Fällen wird es wohl nicht zu vermeiden sein, die Gerichte anzurufen. Mögen unsere Steuergerichte, möge aber auch das Bundesverfassungsgericht Hüter des objektiven und des subjektiven Nettoprinzips sein.

__________ 45 Betont von den Verfassern des Kölner Entwurfs in Rz. 115, 333.

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Erste Erfahrungen mit § 4 Abs. 4a EStG – ein Experimentalgesetz wider Willen Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Gesetzgeberischer Lernprozess bei § 4 Abs. 4a EStG III. Überblick über den Regelungsinhalt des § 4 Abs. 4a EStG IV. Beseitigung der Zweifel an formell ordnungsgemäßem Gesetzgebungsverfahren V. In-Kraft-Treten zum 1. 1. 1999 und Rückwirkungsverbot VI. Die Bedeutung von Unterentnahmen vor dem 1. 1. 1999 1. Bedeutung des „Startkapitals“ für die Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG 2. Keine spezielle Anwendungsvorschrift in der Fassung des Gesetzes für 1999 und 2000 3. Rückwirkung des § 52 Abs. 11 Satz 3 EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2001?

4. Wirkung des § 52 Abs. 11 Satz 3 EStG auf Veranlagungszeiträume ab 2001 VII. Die Behandlung des gemischten Kontokorrentkontos 1. Das gemischte Kontokorrentkonto in der Rechtsprechung des Großen Senats 2. Enthält § 4 Abs. 4a EStG eine Vereinfachungsregelung? 3. Die Perversion der Rechtsprechung zum gemischten Kontokorrentkonto durch das umgekehrte Zwei-Konten-Modell VIII. Ausblick auf noch zu klärende Fragen 1. Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG auf Personengesellschaften 2. Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Gewinn“ IX. Resümee

I. Einleitung Wenn man wie Arndt Raupach auf ein langes und ganz außerordentlich erfolgreiches Berufsleben zurückblicken kann, verfügt man über einen reichen Schatz an Erfahrungen, um den einen nachfolgende Generationen mit Recht beneiden. Nur wenige werden einen ebenso großen Reichtum an Erfahrungen erwerben können. Wir Angehörigen der jüngeren Generation sind deshalb dankbar dafür, wenn wir an den aus der Erfahrung gewonnenen Erkenntnissen von Arndt Raupach in Gestalt von wissenschaftlichen Erörterungen teilhaben können. Die Verwertung dieser Erkenntnisse befruchtet die praktische Arbeit der Jüngeren und wird Fehler vermeiden helfen. Solche Erfahrungswerte – oder besser: deren Verwertung – wünscht man auch dem Gesetzgeber, der sich gelegentlich Hals über Kopf in Projekte stürzt, die sich nachher als höchst problematisch, wenn nicht fehlerhaft und aussichtslos erweisen. Manches Mal muss die schnell entworfene Neuregelung wegen 195

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fehlender Praxistauglichkeit wieder aufgehoben oder doch grundlegend geändert werden. Gelegentlich bewirkt eine Überprüfung des neuen Gesetzes, dass besser das Gegenteil der bisherigen Regelung hätte normiert werden sollen (wie z. B. bei § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG). Diese Form gesetzgeberischen Handelns nach dem Grundsatz von trial and error ist eine Zumutung für Rechtsunterworfene und Rechtsanwender, jedenfalls wenn es um Fiskalzwecknormen geht. Kann der Gesetzgeber schon nicht auf frühere Erfahrungen zurückgreifen und muss deshalb neue Erfahrungen sammeln, sollte er andere Wege gehen, wie etwa die Gestaltung von Planspielen vor Implementierung der Norm1.

II. Gesetzgeberischer Lernprozess bei § 4 Abs. 4a EStG Der hiesige Beitrag betrifft mit § 4 Abs. 4a EStG eine Vorschrift, die in wenig erfreulicher Weise Gegenstand eines gesetzgeberischen Lernprozesses war. Der Gesetzgeber hatte sich durch den Beschluss des Großen Senats des BFH v. 8. 12. 1997 – GrS 1–2/952, mit dem die so genannten Zwei- oder Mehrkontenmodelle abgesegnet worden waren, zum Handeln veranlasst gesehen. Er schuf im Rahmen der ersten Steuergesetze der damaligen rot-grünen Regierungskoalition zunächst einen § 4 Abs. 4a EStG, der die Salden der verschiedenen Konten zu einer Gesamtbetrachtung zusammenführen und einen Schuldzinsenabzug grundsätzlich nur bei negativem Saldo ermöglichen sollte3. Die Vorschrift, deren In-Kraft-Treten rückwirkend auf den 1. 1. 1999 vorgesehen war, wurde aus systematischen Gründen und wegen mangelnder Handhabbarkeit von Anfang an stark kritisiert4. Schließlich kam es noch im gleichen Jahr zu einer Ersetzung der Vorschrift durch einen komplett neuen § 4 Abs. 4a EStG5. Erfahrungen wurden mit der erstmaligen Fassung der Vorschrift also gar nicht mehr gesammelt. Erst nach Verkündung der ebenfalls rückwirkend auf den 1. 1. 1999 in Kraft gesetzten neuen Fassung der Vorschrift konnte mit dem Sammeln von Erfahrungen begonnen werden. Dies gelang offenbar schnell, denn schon zwei Jahre später wurden der neue § 4 Abs. 4a EStG und die zugehörige Anwendungsvorschrift in § 52 Abs. 11 EStG durch das StÄndG 20016 wieder geändert. Mittlerweile sind nun sieben Jahre seit In-Kraft-Treten der Vorschrift vergangen und es liegen nicht nur einige Erfahrungen mit § 4 Abs. 4a EStG,

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S. zum Experimentalgesetz den Beitrag von Kanzler in diesem Band, S. 49 ff. BFHE 184, 7 = BStBl. II 1998, 193. § 4 Abs. 4a idF des StEntlG 1999/2000/2002 v. 24. 3. 1999 (BGBl. I 1999, 402; BStBl. I 1999, 304). Z. B. Hergarten, DStR 1999, 54; Herzig/Dinkelbach, BB 1999, 1136; Meilicke, DB 1999, 1285; Meyer/Ball, DStR 1999, 781; Neufang, Stbg. 1999, 505. § 4 Abs. 4a EStG idF des StBereinG 1999 v. 22. 12. 1999 (BGBl. I 1999, 2601; BStBl. I 2000, 13). Vom 20. 12. 2001 (BGBl. I 2001, 3794; BStBl. I 2002, 4).

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sondern auch erste Entscheidungen des BFH in Hauptsacheverfahren vor. Außerdem hat die Finanzverwaltung ihr ursprüngliches Einführungsschreiben zu § 4 Abs. 4a EStG v. 22. 5. 20007 überarbeitet und die Neufassung unter dem 17. 11. 2005 veröffentlicht8. Damit gibt es gute Gründe, sich den gewonnenen Erfahrungen bei der Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG zuzuwenden.

III. Überblick über den Regelungsinhalt des § 4 Abs. 4a EStG Für die die folgenden Überlegungen mag es hilfreich sein, sich Bedeutung und Wirkungsweise des § 4 Abs. 4a EStG kurz vor Augen zu führen: Die Vorschrift soll verhindern, dass Steuerpflichtige Finanzierungskosten für außerbetrieblich veranlasste Ausgaben im Wege eines Abzugs als Betriebsausgabe zur Minderung der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage nutzen. Übersteigen die Entnahmen das im Betrieb befindliche Eigenkapital, unterstellt das Gesetz eine Entnahmefinanzierung mit Fremdkapital. Der für Entnahmen verfügbare Betrag orientiert sich an der Summe aus Einlagen und Gewinnen abzüglich bereits erfolgter Entnahmen; stille Reserven bleiben unberücksichtigt. Die durch Überentnahmen veranlassten Schuldzinsen bleiben zwar Betriebsausgaben, dürfen die Einkünfte im Ergebnis aber nicht mindern. Dies wird durch Hinzurechnung eines typisiert ermittelten Zinsbetrags für die Finanzierung der Überentnahmen bewirkt. Dieser Betrag ergibt sich aus einer fiktiven Verzinsung der Überentnahme mit einem Satz von 6 %, die nicht zeitanteilig, sondern immer für das ganze Wirtschaftsjahr berechnet wird. Die Hinzurechnung ist allerdings auf die insgesamt angefallenen Schuldzinsen begrenzt, von denen zudem noch ein Freibetrag von 2050 Euro9 abgezogen wird. Außerdem bleiben Schuldzinsen für Darlehen, die zur Finanzierung der Beschaffung oder Herstellung von Anlagegütern aufgenommen worden sind, „unberührt“.

IV. Beseitigung der Zweifel an formell ordnungsgemäßem Gesetzgebungsverfahren Die Neuregelung war das weitgehend überraschende Ergebnis eines Vermittlungsverfahrens gewesen. Daran hatte sich eine Diskussion über den Umfang der Befugnisse des Vermittlungsausschusses entzündet. Nach der Rechtsprechung des BVerfG10 hat der Vermittlungsausschuss kein eigenes Initiativrecht, sondern darf Vorschläge nur im Rahmen des Anrufungsbegehrens machen. Dieser Rahmen wird durch die in das Gesetzgebungsverfahren ein-

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BStBl. I 2000, 588. BStBl. I 2005, 1019. Früher 4000 DM. BVerfG v. 7. 12. 1999 – 2 BvR 301/98, BVerfGE 101, 297.

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geführten Anträge und Stellungnahmen bestimmt. Vorschläge, die außerhalb der bisherigen Auffassungsunterschiede im Parlament oder der bisherigen Gegenläufigkeit zwischen Bundestag und Bundesrat bleiben, darf der Vermittlungsausschuss danach nicht unterbreiten. Der Gegenstand des Vermittlungsverfahrens zum StBereinG 1999 ergab sich aus dem Anrufungsbeschluss des Bundesrats11, in dem es heißt, der Vermittlungsausschuss werde zu bestimmten Nummern des Artikel 1 des StBereinG 199912 angerufen. Diese Nummern betrafen die Besteuerung von Erträgen aus Kapitallebensversicherungen und sollten nach dem Vorschlag des Bundesrats gestrichen werden. Art. 1 Nr. 2a mit einer Regelung zu § 4 Abs. 4a EStG wurde nicht erwähnt. Hieraus war vereinzelt geschlossen worden, § 4 Abs. 4a EStG hätte nicht Gegenstand des Vermittlungsverfahrens sein dürfen; das Gesetz sei deshalb nicht ordnungsgemäß zu Stande gekommen13. Dieser Auffassung hat sich der BFH in einem seiner ersten Urteile betreffend § 4 Abs. 4a EStG zu Recht nicht angeschlossen14. Zwar war § 4 Abs. 4a EStG nicht unmittelbar Gegenstand der Anrufung. Mittelbar gehörte er aber zum Verhandlungsgegenstand, weil er Bestandteil des ganzen Gesetzesvorhabens für ein Steuerbereinigungsgesetz war. In einem solchen Fall kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Beseitigung der Meinungsverschiedenheiten in einem Punkt unverzichtbarer Bestandteil eines Kompromisses zur Verabschiedung des Gesetzgebungsvorhabens ist. Ein solcher Kompromiss würde durch das weitere Verfahren im Vermittlungsausschuss hinfällig werden; zurückgestellte Meinungsunterschiede zu dem vermeintlich geklärten Punkt könnten wieder zu Tage treten. Der Vermittlungsausschuss durfte § 4 Abs. 4a EStG also in seine Verhandlungen einbeziehen. Die Neufassung der Vorschrift auf der Grundlage des Vorschlags des Vermittlungsausschusses zum StBereinG 1999 ist folglich formell verfassungskonform und muss nicht das Schicksal der Streichung von § 12 Abs. 2 Satz 4 UmwStG 1995 a. F. durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform15 teilen, die der BFH wegen Verstoßes gegen das Demokratieprinzip und den Parlamentsvorbehalt für verfassungswidrig hält.16

V. In-Kraft-Treten zum 1. 1. 1999 und Rückwirkungsverbot Bereits die erste Fassung des § 4 Abs. 4a EStG hatte die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Rückwirkungsverbot aufgeworfen. Die Vorschrift sollte für Zinsen gelten, die nach dem 31. 12. 1998 wirtschaftlich entstehen (§ 52

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BR-Drucks. 636/99. Art. 1 Nr. 6, 10, 15a und 30 Buchst. f. So etwa Greite, NWB F. 3, 10967, 10969 ff. Urt. v. 21. 9. 2005 – X R 47/03, DStR 2005, 2791. Vom 29. 10. 1997 (BGBl. I 1997, 2590; BStBl. I 1997, 928). BFH v. 18. 7. 2001 – I R 38/99, BStBl. II 2002, 27, Az. BVerfG: 2 BvL 12/01.

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Abs. 11 EStG idF des StEntlG 1999/2000/2002). Dies hätte einerseits eine Rückwirkung für die zwischen dem 1. 1. 1999 und dem Tag der Verkündung des StEntlG 1999/2000/200217 entstandenen Zinsen bedeutet. Andererseits hätte die Abzugsbeschränkung auch Zinsen betroffen, die auf vor dem Stichtag entstandene Verbindlichkeiten entfielen. In gleicher Weise ergeben sich auch gegen die zweite Fassung des § 4 Abs. 4a EStG Bedenken, denn der neue Abs. 4a wurde ebenfalls rückwirkend auf den Beginn des Jahres 1999 in Kraft gesetzt (§ 52 Abs. 11 Satz 1 EStG idF des StBereinG 199918). Die Rechtfertigung der Rückwirkung auf im Lauf des Jahres 1999 entstandene Zinsen folgt der traditionellen Lehre von der unechten Rückwirkung bei der veranlagten Einkommensteuer. Weil die Steuer erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entsteht, wirkt sich das vor Jahresende ergehende Gesetz nicht auf einen abgeschlossenen Steuertatbestand, sondern nur auf einen ins Werk gesetzten besteuerungsrelevanten Sachverhalt aus. Nach der Rechtsprechung des BVerfG19 ist eine solche unechte Rückwirkung zulässig, wenn kein gegenüber Gemeinwohlinteressen überwiegend schutzwürdiges Vertrauen des Steuerpflichtigen verletzt wird. Ein solches schutzwürdiges Vertrauen konnte für § 4 Abs. 4a EStG weder durch die vor 1999 geltende Rechtslage noch durch die Erstfassung der Vorschrift entstanden sein, wie nun der BFH in dem erwähnten Urteil v. 21. 9. 200520 bestätigt. Wenn man allerdings im Anschluss an die neuere Rechtsprechung des BVerfG21 den Dispositionsschutz zum Kriterium für die Zulässigkeit einer unechten Rückwirkung erhebt, bleibt doch noch ein kleiner Bereich, in dem sich Steuerpflichtige auf Vertrauensschutz berufen können. Zu denken ist an Fälle, in denen Steuerpflichtige im Hinblick auf die Erstfassung des § 4 Abs. 4a EStG über Zeitpunkt und Höhe einer Entnahme disponiert haben. Das Vertrauen in den Bestand des Gesetzes wäre dann betätigt worden und würde verletzt, wenn diese Gesetzesfassung zu einer günstigeren Besteuerung im Veranlagungszeitraum 1999 geführt haben würde, als sie sich nun aus der revidierten Gesetzesfassung ergibt22. Die Einbeziehung von Zinsen auf vor dem 1. 1. 1999 entstandene Verbindlichkeiten ist demgegenüber unter beiden genannten Gesichtspunkten des Rückwirkungsverbots unproblematisch. Denn die Zugehörigkeit der Verbindlichkeit zum Betriebsvermögen wird nicht in Frage gestellt. Anknüpfungsmerkmal für die einschränkende Wirkung des § 4 Abs. 4a EStG ist nicht die vor dem 1. 1. 1999 begründete Verbindlichkeit selbst, sondern es sind die ab 1. 1. 1999 anfallenden Schuldzinsen.

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Verkündung im BGBl. I v. 31. 3. 1999. Verkündung im BGBl. I v. 29. 12. 1999. Z. B. BVerfG v. 14. 5. 1986 – 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200 (250 ff.). S. Fn. 14. BVerfG v. 3. 12. 1997 – 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67. Näher Wendt, FR 2000, 417 (429 f.).

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VI. Die Bedeutung von Unterentnahmen vor dem 1. 1. 1999 Die Frage nach der Reichweite des Rückwirkungsverbots ist allerdings noch in einem anderen Zusammenhang zu stellen, in dem sie eine ungleich gewichtigere Rolle spielt als bei der Beurteilung des eigentlichen Zinsabzugs. Es ist nämlich zu klären, inwieweit für die Berechnung des nicht abziehbaren Zinsbetrags an Vorgänge aus der Zeit vor dem 1. 1. 1999 anzuknüpfen ist. 1. Bedeutung des „Startkapitals“ für die Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG § 4 Abs. 4a EStG soll den gewinnmindernden Abzug solcher Schuldzinsen verhindern, die auf Überentnahmen beruhen. Eine Überentnahme ergibt sich, wenn und soweit die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen. Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden typisiert von einer Bemessungsgrundlage ermittelt, die sich aus der Überentnahme des laufenden Wirtschaftsjahrs zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich früherer Unterentnahmen ergibt. Zu einer Unterentnahme kommt es in Wirtschaftsjahren, in denen die Entnahmen hinter der Summe von Gewinn und Einlagen zurückbleiben. Wie erwähnt gilt die jetzige Fassung des § 4 Abs. 4a EStG erstmals für das Wirtschaftsjahr, das nach dem 31. 12. 1998 endet23. Erstmals für dieses Wirtschaftsjahr ist eine Gewinnhinzurechnung im Fall der Überentnahme vorzunehmen. Damit stellt sich die Frage, von welchem „Startkapital“ bei InKraft-Treten der Regelung auszugehen ist. Denn nach § 4 Abs. 4a Satz 3 Halbs. 1 EStG in seiner heutigen Fassung24 ergibt sich der entnehmbare Betrag aus dem Saldo von Entnahmen, Einlagen und Gewinn des laufenden Wirtschaftsjahres zuzüglich des Vortrags aus früheren Wirtschaftsjahren. Im Grundsatz müssten deshalb Über- und Unterentnahmen in allen Wirtschaftsjahren seit der Betriebseröffnung berücksichtigt werden. Dies wirft zahlreiche praktische Probleme auf und wird im Einzelfall wegen fehlender Unterlagen überhaupt nicht mehr möglich sein. Handhabbar ist die Regelung deshalb nur, wenn man ein vereinfachtes Verfahren zur Ermittlung des „Startkapitals“ schafft. 2. Keine spezielle Anwendungsvorschrift in der Fassung des Gesetzes für 1999 und 2000 Die Finanzverwaltung interpretierte nun die Anwendungsvorschrift in § 52 Abs. 11 EStG in der Fassung des StBereinG 1999 so, dass Über- und Unterentnahmen in vor 1999 abgelaufenen Wirtschaftsjahren überhaupt nicht zu berücksichtigen seien25. Sie wollte deshalb immer mit einem Vortrag von

__________

23 § 52 Abs. 11 Satz 1 EStG. 24 Zuvor in der Fassung des StBereinG 1999 Satz 4. 25 Zustimmend FG Baden-Württemberg v. 6. 11. 2002 – 13 K 69/02, EFG 2003, 145, Rev. XI R 41/02.

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0 DM beginnen26. Lediglich bei Betriebsaufgabe oder Betriebsveräußerung vor 1999 eröffneter Betriebe sollten bestimmte Entnahmen „aus sachlichen Billigkeitsgründen“ nicht in die Berechnung der Überentnahmen einbezogen werden27. Dieses Verständnis des Gesetzes ließ sich nach der in der Literatur überwiegend vertretenen28, von einigen Finanzgerichten geteilten29 und nun auch vom BFH30 bestätigten Ansicht weder mit dem Wortlaut der Vorschrift noch mit deren Zweck vereinbaren. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut sind die nicht abziehbaren Schuldzinsen in allen Wirtschaftsjahren, die nach dem 31. 12. 1998 enden – und somit auch im Wirtschaftsjahr 1999 – typisiert mit 6 % der Überentnahmen des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben, zu ermitteln. Die am Wortlaut orientierte Auslegung deckt sich mit einer teleologischen Interpretation. Denn Ziel des Gesetzes sollte sein, Schuldzinsen erst dann typisiert als schädlich zu behandeln, wenn eine Entnahme nicht mehr mit Eigenkapital gedeckt ist. Soweit in vor 1999 abgelaufenen Wirtschaftsjahren Eigenkapital durch Thesaurierung von Gewinnen gebildet worden ist, stand dieses für Entnahmen nach 1998 zur Verfügung. In diesem Umfang besteht kein Anlass, von einer Überentnahme auszugehen. Auch das Bedürfnis nach einer praktikablen Regelung für die Bemessung des „Startkapitals“ rechtfertigt das Abschneiden eines Unterentnahmevortrags nicht. Denn es gibt eine einfache und die Steuerpflichtigen nicht benachteiligende Möglichkeit zur Ermittlung des „Startkapitals“, indem auf das Kapitalkonto zum Ende des letzten vor dem 1. 1. 1999 endenden Wirtschaftsjahres abgestellt wird31. Soweit das Kapitalkonto einen positiven Bestand aufweist, steht im ersten Anwendungsjahr des § 4 Abs. 4a EStG Entnahmepotenzial zur Verfügung32.

__________ 26 BMF v. 22. 5. 2000, aaO (Fn. 7), Tz. 36. 27 BMF v. 22. 5. 2000, aaO (Fn. 7), Tz. 37. 28 Apitz in Herrmann/Heuer/Raupach (HHR), EStG/KStG, § 4 EStG Anm. J 01-5; HHR/Schallmoser, § 4 EStG Anm. 1072; Korn, EStG, § 4 Rz. 838; Blümich/ Wacker, EStG/KStG/GewStG, § 4 EStG Rz. 168i; Eggesiecker/Ellerbeck, FR 2000, 689; Groh, DStR 2001, 105; Ley, DStR 2001, 1005; Paus, FR 2000, 957; Wendt, aaO (Fn. 22). 29 FG Münster v. 16. 10. 2003 – 8 K 2448/02 E, EFG 2004, 174, Rev. IV R 48/03; FG Münster v. 16. 10. 2003 – 8 K 6350/01 F, EFG 2004, 172, Rev. VIII R 96/03; FG Münster v. 13. 10. 2003 – 5 K 4658/01 F, EFG 2004, 398, Rev. VIII R 10/04; FG Baden-Württemberg v. 23. 10. 2002 – 5 K 316/01, EFG 2003, 919, aufgehoben durch BFH v. 21. 9. 2005 – X R 40/02, n. v.; FG Düsseldorf v. 16. 7. 2001 – 15 V 1887/01 A (G, F), EFG 2001, 1269, bestätigt durch BFH v. 6. 2. 2002 – VIII B 82/01, BFH/NV 2002, 647 (ernstlich zweifelhaft). 30 BFH v. 21. 9. 2005 – X R 47/03, aaO (Fn. 14). 31 Groh, aaO (Fn. 28), 108; HHR/Schallmoser, § 4 Anm. 1072. 32 Zum negativen Kapitalkonto s. Wendt, aaO (Fn. 22), 430.

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Dieser Betrag könnte mindestens als Unterentnahme aus den vorangegangenen Wirtschaftsjahren angesehen werden. So sieht es jetzt auch der BFH33. 3. Rückwirkung des § 52 Abs. 11 Satz 3 EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2001? Allerdings beruft sich die Finanzverwaltung jetzt auf § 52 Abs. 11 Satz 2 EStG in seiner heutigen Fassung. Dort heißt es, Über- und Unterentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre, also solcher Wirtschaftsjahre, die vor dem 1. 1. 1999 endeten, würden nicht berücksichtigt. Dieser Satz ist durch das StÄndG 2001 v. 20. 12. 200134 eingefügt worden. Ausweislich der Gesetzesmaterialien sollte es sich um eine Klarstellung handeln35; es wäre dann eine Absegnung der bisher von der Finanzverwaltung vertretenen Auslegung des Gesetzes gewesen36. Wie soeben dargelegt war die Auslegung der Finanzverwaltung aber fehlerhaft. Das Gesetz konnte keine klarstellende Wirkung entfalten, sondern regelte die Behandlung früherer Über- und Unterentnahmen neu. Eine zeitliche Beschränkung dieser Regelungswirkung enthält § 52 Abs. 11 EStG nicht, was teilweise und insbesondere von der Finanzverwaltung37 dahin verstanden wird, dass auch die Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG in den Veranlagungszeiträumen 1999 und 2000 von der Neuregelung umfasst sei. Dann würde das Gesetz materielle echte Rückwirkung entfalten, deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit zu prüfen und möglicherweise zu verneinen wäre. Indessen ergibt sich aus § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG in seiner bei In-Kraft-Treten des StÄndG 2001 geltenden Fassung, dass die Vorschrift erstmals für den Veranlagungszeitraum 2001 Geltung erlangen konnte38. Es gibt also keine Rückwirkung auf die Veranlagungszeiträume 1999 und 200039. Für den Veranlagungszeitraum 2001 läge demgegenüber eine Rückwirkung vor, soweit Entnahmen und Einlagen bzw. Schuldzinsen bis zur Verkündung des Gesetzes entstanden waren. Diese Rückwirkung war aber nach traditioneller Handhabung als unecht und zulässig zu beurteilen40. Auch wenn man richtigerweise auf den Dispositionsschutz zur Beurteilung der Zulässigkeit einer Rückwirkung abhebt, stößt eine Geltung für den ganzen Veranlagungszeitraum 2001 nicht auf durchgreifende Bedenken. Denn einerseits konnte

__________ 33 34 35 36 37 38 39 40

BFH v. 21. 9. 2005 – X R 47/03, aaO (Fn. 14). S. Fn. 6. BT-Drucks. 14/6877, 28. So auch die Meinung der Finanzverwaltung, s. z. B. OFD Chemnitz v. 11. 2. 2002, DB 2002, 453. BMF v. 17. 11. 2005, aaO (Fn. 8), Rz. 36. HHR/Apitz, aaO (Fn. 28), Anm. J 01-4. So auch BFH v. 21. 9. 2005 – X R 47/03, aaO (Fn. 14). Ebenso FG Münster v. 10. 2. 2005 – 8 K 3745/03 F, EFG 2005, 1177, NZB VIII B 51/05.

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bis zum Ende des Jahres 2001 noch eingelegt oder entnommen werden, um den unschädlichen Entnahmebetrag zu erreichen. Andererseits konnten sich die Steuerbürger angesichts der Position der Verwaltung im BMF-Schreiben v. 22. 5. 200041 nicht darauf verlassen, dass frühere Unterentnahmen berücksichtigt werden würden. Seit Einbringung des Gesetzentwurfs für ein StÄndG im September 200142 war auch mit einer entsprechenden gesetzlichen Regelung zu rechnen43. 4. Wirkung des § 52 Abs. 11 Satz 3 EStG auf Veranlagungszeiträume ab 2001 Die Verneinung einer Rückwirkung für 1999 und 2000 ändert nun nichts daran, dass § 52 Abs. 11 Satz 2 EStG Geltung für die Veranlagungszeiträume ab 2001 beansprucht. Das hat die merkwürdige Folge, dass jedenfalls Unterentnahmen aus der Zeit vor 1999 zwar in den Veranlagungszeiträumen 1999 und 2000 berücksichtigt werden, später jedoch nicht mehr. Verfügte der Unternehmer beispielsweise am 1. 1. 1999 über ein Kapitalkonto von umgerechnet 100 000 Euro, konnte er diesen Betrag in den beiden Folgejahren zusätzlich zu dem in diesen Jahren erzielten Gewinn sanktionslos entnehmen. Verfuhr er so, betrug sein Kapitalkonto am 31. 12. 2000 genau 0 Euro. Zum 1. 1. 2001 wurde daraus für Zwecke des § 4 Abs. 4a EStG ein Überentnahmevortrag von 100 000 Euro, so dass bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 4 Abs. 4a EStG Fremdkapitalzinsen nicht mehr in voller Höhe den Gewinn mindern. Mittelbar ergäbe sich so aus § 52 Abs. 11 Satz 2 EStG doch eine Rückwirkung auf Dispositionen des Steuerpflichtigen in den Jahren 1999 und 2000, deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit zu prüfen wäre. In Wahrheit erstreckt sich die Rückwirkung aber auf Dispositionen in der Zeit vor 1999, nämlich darauf, dass Gewinne thesauriert wurden in der Erwartung, sie später ohne Beeinträchtigung des betrieblichen Schuldzinsenabzugs entnehmen zu können. Dies zeigt sich deutlich, wenn man den genannten Fall abwandelt und annimmt, dass der Unternehmer mit einem Kapitalkonto von 100 000 Euro am 1. 1. 1999 in den beiden Folgejahren nur seine laufenden Gewinne entnimmt und keine Einlagen leistet. Sein Kapitalkonto beträgt dann am 31. 12. 2000 weiterhin 100 000 Euro. Trotzdem versagt ihm § 52 Abs. 11 Satz 2 EStG ab 1. 1. 2001 die sanktionslose Entnahme dieses Betrags. Die Entscheidung über die Zulässigkeit einer solchen Rückwirkung ist also mit der Klärung der Rechtslage für 1999 und 2000 nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Die Rechtsprechung wird in einem das Jahr 2001 betreffenden Fall dazu Stellung nehmen müssen. M. E verstößt die

__________ 41 S. Fn. 7. 42 BT-Drucks. 14/6877. 43 Ähnlich FG Münster, aaO (Fn. 40).

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Rückwirkung gegen das rechtsstaatlich verbürgte Vertrauensschutzprinzip; § 52 Abs. 11 Satz 2 EStG ist deshalb verfassungswidrig44. Nur wer dieser Auffassung nicht folgt, muss sich noch mit der Frage befassen, welche Bedeutung die zeitweise Berücksichtigung früherer Unterentnahmen in den Jahren 1999 und 2000 haben kann. Hier muss m. E. ebenfalls Vertrauensschutz gewährt werden. Er kann – wenn überhaupt – frühestens mit Bekanntwerden des BMF-Schreibens v. 22. 5. 200045 entfallen sein. Frühere Entnahmen des Unterentnahmevortrags aus der Zeit vor 1999 müssten dann dauerhaft unschädlich für den späteren Schuldzinsenabzug bleiben. Der zum 1. 1. 2001 bestehende Über- oder Unterentnahmevortrag wäre folglich um den betreffenden geschützten Entnahmebetrag zu korrigieren.

VII. Die Behandlung des gemischten Kontokorrentkontos 1. Das gemischte Kontokorrentkonto in der Rechtsprechung des Großen Senats Führt man sich vor Augen, dass das gemischte Kontokorrentkonto der ursprüngliche Anlass für die mit § 4 Abs. 4a EStG bekämpfte Rechtsprechung des BFH war46, verwundert es schon, dass die Behandlung dieses Kontos in der Vorschrift keinen Niederschlag gefunden hat. Die gar nicht erst zur Anwendung gekommene Erstfassung des § 4 Abs. 4a EStG hatte noch eine ausdrückliche Regelung für solche Konten enthalten. Daraus kann leicht der Schluss gezogen werden, dass nun doch alles beim Alten bleiben sollte, also bei der bisherigen BFH-Rechtsprechung. Der Große Senat hatte im Jahr 1990 entschieden47, ein gemischtes Kontokorrentkonto sei – ungeachtet der Gewinnermittlungsart – gedanklich in zwei Unterkonten zu zerlegen, nämlich ein privates und ein betriebliches bzw. berufliches Konto. Die Aufteilung der entstandenen Zinsbeträge sollte nach der sog. Zinszahlenstaffelrechnung, hilfsweise durch Schätzung erfolgen. Laufende Geldeingänge seien dabei vorrangig zur Tilgung eines privaten Schuldsaldos zu berücksichtigen. Wendet man diese Rechtsprechung auch unter Geltung des heutigen § 4 Abs. 4a EStG an, werden die privat veranlassten Zinsen nach der Zinszahlenstaffelmethode ermittelt und aus den Betriebsausgaben ausgeschieden. Sie mindern folglich nicht den Gewinn und erhöhen nicht den Höchstbetrag nach Satz 4 des § 4 Abs. 4a EStG.

__________ 44 Gl.A. HHR/Apitz, aaO (Fn. 28) Anm. J 01-4; Korn, KÖSDI 2002, 13178 (13179). 45 S. Fn. 7. 46 Der Beschluss des Großen Senats des BFH v. 4. 7. 1990 – GrS 2–3/88, BFHE 161, 290 = BStBl. II 1990, 817 zum gemischten Kontokorrentkonto war Grundlage für die spätere Entscheidung v. 8. 12. 1997, aaO (Fn. 2) zum Mehrkontenmodell. 47 Beschluss v. 4. 7. 1990, aaO (Fn. 46).

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2. Enthält § 4 Abs. 4a EStG eine Vereinfachungsregelung? Die Ermittlung des privat veranlassten Zinsanteils nach der Zinszahlenstaffelmethode ist kein leichtes Unterfangen, sondern genauso schwierig, wie es das Wort indiziert. Bester Beweis dafür ist das Urteil eines Finanzgerichts, das vor der großen Datenmenge hatte kapitulieren müssen48. Im Gesetzgebungsverfahren zur ersten Fassung des § 4 Abs. 4a EStG hatte deshalb der Finanzausschuss die Notwendigkeit einer vereinfachenden Regelung hervorgehoben und damals einen Grenzbetrag für die insgesamt angefallenen Zinsen von 8000 DM vorgeschlagen, bis zu dem wahlweise ein pauschaler Abzug von 50 % der Zinsen ohne weitere Prüfung zugelassen wurde49. Der dann in der aktuellen Fassung des § 4 Abs. 4a EStG eingeführte Freibetrag von 4000 DM bzw. jetzt 2050 Euro lässt die Inspiration durch die frühere Gesetzesfassung erkennen (50 % von 8000 DM). Dies war der Grund dafür, dass von Teilen des Schrifttums50 – einschließlich des Verfassers51 – die Ansicht vertreten wurde, aus Vereinfachungsgründen seien die gesamten Zinsen für ein gemischtes Kontokorrentkonto in die Betriebsausgaben einzubeziehen. Der betriebliche Teil würde dann mit dem Freibetrag abgegolten, der außerbetriebliche Teil hätte bei insgesamt über den Freibetrag hinausreichenden Zinsaufwendungen eine Gewinnhinzurechnung zur Folge. § 4 Abs. 4a EStG wäre insoweit lex specialis zu § 4 Abs. 4 EStG. Andere Äußerungen in der Literatur52 und insbesondere die Finanzverwaltung53 maßen dem Vereinfachungsgedanken jedoch keine Bedeutung bei und vertraten die reine Lehre: § 4 Abs. 4 EStG hat Vorrang vor § 4 Abs. 4a EStG. Der privat veranlasste Teil der Zinsaufwendungen wird in einem ersten Schritt nach der Zinszahlenstaffelmethode aus den Betriebsausgaben ausgeschieden. In einem zweiten Schritt folgt dann eine Korrektur um die nur im Hinblick auf den Zahlungsvorgang betrieblich, der Sache nach aber privat veranlassten Schuldzinsen. Der X. Senat des BFH hat sich nun ebenso wie das Finanzgericht Hamburg54 für die reine Lehre entschieden55. Anstelle eines Vereinfachungszwecks sieht er das gesetzgeberische Ziel im Vordergrund, die Auswüchse der Gestaltung

__________ 48 Vgl. Kempermann/Ditzen, DStZ 1985, 63. 49 BT-Drucks. 14/443, 21. 50 Duske, DStR 2000, 906: Groh, aaO (Fn. 28), 106; Jakob, DStR 2000, 101 (102); Nacke in Littmann/Bitz/Pust, EStG, §§ 4, 5 Rz. 1656a. 51 Wendt, aaO (Fn. 22), 428. 52 Z. B. Blümich/Wacker, aaO (Fn. 28), Rz. 168c; Bordewin in Bordewin/Brandt, EStG, Vor §§ 4–5 EStG, Rz. 150; Crezelius in Kirchhof, EStG, 5. Aufl. 2005, § 4 Rz. 161; Frotscher, EStG, § 4 Rz. 300d; Heinicke in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 4 Rz. 522; HHR/Schallmoser, aaO (Fn. 28), Anm. 1036; Meurer in Lademann, EStG, § 4 Rz. 656c(1). 53 BMF v. 17. 11. 2005, aaO (Fn. 8), Rz. 4, 6. 54 FG Hamburg v. 4. 3. 2005 – VII 205/03, EFG 2005, 1175, Rev. XI R 14/05. 55 BFH v. 21. 9. 2005 – X R 46/04, DStR 2005, 2159.

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mit gemischten und mehreren Kontokorrentkonten zu bekämpfen. Die bis zur Höhe des Freibetrags unbeschränkte Anerkennung der Schuldzinsen für ein gemischtes Kontokorrentkonto würde es unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz ermöglichen, dass ein Unternehmer im Unterschied zu anderen Stpfl. privat veranlasste Zinsen von der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage abziehen könne. Es ist nicht zu erwarten, dass sich dagegen im BFH ernsthafter Protest erheben wird. Der Steuerpraktiker sollte seinen Gestaltungsvorschlägen diese Rechtsansicht zugrunde legen. Von Vereinfachung kann in diesem Zusammenhang allerdings nicht mehr gesprochen werden. 3. Die Perversion der Rechtsprechung zum gemischten Kontokorrentkonto durch das umgekehrte Zwei-Konten-Modell Gleich mit erledigen wollte der BFH dabei auch das so genannte umgekehrte Zwei-Konten-Modell56. Anders als im herkömmlichen Modell wird die private Investition nicht vom Einnahmekonto, sondern vom Ausgabekonto bezahlt. Anschließend wird ein entsprechender Betrag vom Einnahmekonto auf das Ausgabekonto umgebucht. Das Modell soll bewirken, dass das Ausgabekonto zu einem gemischten Kontokorrentkonto wird. Zerlegt man dieses in einen privaten und einen betrieblichen Teil, sind zwei Effekte beabsichtigt57: Einerseits fallen Schuldzinsen im privaten Teil wegen der Tilgung des privaten Sollsaldos durch die Umbuchung vom Einnahmekonto so gut wie nicht an. Andererseits ist die Verwendung des Zahlungsbetrags für private Zwecke keine Entnahme, weil die Zahlung aus dem privaten Teil des Kontos stammt. Damit wird vermieden, dass der Betrag in die Berechnung der Überentnahme nach § 4 Abs. 4a EStG eingeht. Diesem Modell wird der Boden entzogen, wenn man die Verwendung betrieblicher Mittel zur Minderung eines privaten Sollsaldos auf dem gemischten Kontokorrentkonto als Entnahme wertet. So hatte sich schon die Finanzverwaltung positioniert58; der X. Senat hat diese Auffassung bestätigt. Das erscheint konsequent. Denn wäre der private Teil des gemischten Kontos ein eigenständiges Konto, befände es sich im Privatvermögen und der Geldtransfer wäre zweifelsohne eine Entnahme. So wird man im umgekehrten Zwei-Konten-Modell auch die Umbuchung vom Einnahmekonto auf das Ausgabekonto als Entnahme ansehen müssen. Inwieweit Äußerungen des BFH zum umgekehrten Zwei-Konten-Modell in dem konkret entschiedenen Fall allerdings veranlasst waren, kann nach dem mitgeteilten Sachverhalt

__________ 56 Vorgeschlagen von Graf, DStR 2000, 1465. 57 „Maximierung der Entnahmen erster Stufe bei gleichzeitiger Minimierung der nach der Zinszahlenstaffelmethode für diese Entnahmen anzusetzenden Zinsen“, Graf, aaO (Fn. 56). 58 OFD Chemnitz v. 17. 9. 2001, FR 2001, 1128.

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nicht sicher gesagt werden. Die Sache wurde zur weiteren Tatsachenfeststellung an das FG zurückverwiesen. Insoweit dürften andere Senate nicht formell gebunden sein. Die Argumente des X. Senats werden jedoch sicher auch andere Senate überzeugen, so dass die Gestaltungspraxis das umgekehrte Zweikontenmodell nicht mehr in Erwägung ziehen sollte.

VIII. Ausblick auf noch zu klärende Fragen Dass es nun bald ruhig um § 4 Abs. 4a EStG werden wird, steht nicht zu erwarten. Vielmehr sind noch einige höchst bedeutsame Fragen zu klären. 1. Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG auf Personengesellschaften Neben der erwähnten Frage nach der Behandlung alter Unterentnahmen ab 2001 bedarf vor allem die Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG auf Personengesellschaften der Klärung. Die Finanzverwaltung hat sich hier bekanntlich für eine gesellschaftsbezogene Betrachtung entschieden, die bewirkt, dass Überentnahmen eines Gesellschafters auch zu Lasten der anderen Gesellschafter gehen. Außerdem wird der Freibetrag von 2050 Euro nur einmal gewährt59. Nachdem der BFH bereits zu erkennen gegeben hat, dass er „Gewinnausschüttungen“ an einen Kommanditisten als Entnahme iSd. § 4 Abs. 4a EStG ansieht60, muss die ähnlich gelagerte Frage geklärt werden, ob Sondervergütungen iSd. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG für die Berechnung des § 4 Abs. 4a EStG als Entnahmen zu berücksichtigen sind. Das FG RheinlandPfalz hat dies in Übereinstimmung mit der Auffassung des BMF bejaht61. Denn Zweck des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sei die Gleichstellung von Einzel- und Mitunternehmer. Ein Einzelunternehmer kann aber keinen Austauschvertrag mit seinem Unternehmen abschließen, so dass entsprechende Auszahlungen Entnahmen darstellen, die auch für Zwecke des § 4 Abs. 4a EStG zu berücksichtigen sind. Die Gleichstellungsthese spricht deshalb nach Meinung des FG Rheinland-Pfalz dafür, Sondervergütungen eines Mitunternehmers ebenfalls als Entnahme zu behandeln. Eine höchstrichterliche Klärung der Frage wird sicher nicht lange auf sich warten lassen, denn gegen das Urteil des FG ist Revision beim BFH eingelegt worden62.

__________ 59 Zustimmend FG Münster v. 10. 2. 2005 – 8 K 3745/03 F, EFG 2005, 1177, NZB VIII B 51/05; FG Münster v. 6. 8. 2004 – 11 K 3338/03 F, EFG 2005, 179, rkr. (Rev. IV R 50/04 unzulässig); FG Rheinland-Pfalz v. 26. 5. 2004 – 1 K 1623/02, EFG 2006, 185, Rev. IV R 63/05; FG Münster v. 27. 9. 2002 – 11 K 5882/01 F, EFG 2003, 74, Rev. VIII R 90/02. 60 BFH v. 5. 2. 2002 – VIII B 73/01, BFH/NV 2002, 908. 61 Urteil v. 26. 5. 2005 – 1 K 1623/02, EFG 2006, 185. 62 Az. IV R 63/05.

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2. Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Gewinn“ Noch zu klären ist auch die Auslegung des in § 4 Abs. 4a EStG erwähnten Begriffs „Gewinn“. Diesbezüglich wird einerseits zu entscheiden sein, ob Minderungen des steuerlichen Gewinns durch erhöhte63 Absetzungen für Abnutzung, Sonderabschreibungen und Bildung von Gewinnrücklagen auch das Entnahmepotenzial iSd. § 4 Abs. 4a EStG mindern64. Eine solche Auslegung liegt nach dem Wortlaut der Vorschrift nahe, hat aber zur Folge, dass rechnerisch eine Überentnahme entsteht, obwohl hinreichendes Eigenkapital für die Entnahme verfügbar ist. Dies wird vor allem bei Gewinnrücklagen deutlich, die bilanziell Bestandteil des Eigenkapitals sind65. Andererseits ist noch ungeklärt, inwieweit Verluste in die Berechnung des Entnahmepotenzials eingehen. Da Gewinn iSd. § 4 Abs. 1 EStG auch ein Verlust ist, müsste diese Definition grundsätzlich auch für § 4 Abs. 4a EStG gelten. Sie würde aber zu offensichtlich unsinnigen Ergebnissen führen66. Es wäre deshalb zu erwägen, nur positive Betriebsergebnisse für die Überentnahmeberechnung zu verwenden. Die Finanzverwaltung geht einen anderen Weg und will Verluste zwar nicht im Jahr ihrer Entstehung zu einer Überentnahme führen lassen, wohl aber mit vergangenen und künftigen Unterentnahmen verrechnen67. Die Richtigkeit dieser Auffassung wird noch zu klären sein. Einstweilen ist allerdings kein Fall bekannt, in dem die Frage bereits Gegenstand einer finanzgerichtlichen Entscheidung gewesen wäre. Mit der Klärung wird es also noch etwas dauern.

IX. Resümee Das Experimentieren des Gesetzgebers bei § 4 Abs. 4a EStG hat zwar einige Probleme beseitigt (z. B. Quartalskorrektur nach dem alten Satz 3; In-SichEffekt), dafür aber neue geschaffen, insbesondere in Bezug auf die Rückwir-

__________ 63 In drei Verfahren des FG Münster hatten die Kläger sich sogar gegen den Abzug der Regel-AfA gewehrt (Urt. v. 16. 10. 2003 – 8 K 2688/02 F, EFG 2004, 171, rkr.; Urt. v. 5. 6. 2003 – 8 K 1550/03, EFG 2005, 559, Rev. XI R 26/05; Urt. v. 20. 2. 2002 – 8 K 6392/01 E, EFG 2002, 900, aufgehoben durch BFH v. 11. 2. 2003 – XI B 72/02 n. v.). 64 So FG Münster v. 6. 8. 2004 – 11 K 4399/03 E, G, EFG 2005, 263, Rev. X R 44/04; FG Münster v. 16. 10. 2003, aaO (Fn. 63); FG Münster v. 5. 6. 2003, aaO (Fn. 63); FG Münster v. 20. 2. 2002 aaO (Fn. 63). 65 Umgekehrt meint das FG Münster im Urt. v. 16. 10. 2003 – 8 K 2448/02 E (EFG 2004, 174, Rev. IV R 48/03), eine steuerfreie Entnahme nach § 52 Abs. 15 EStG 1998 müsse bei der Berechnung des Entnahmepotenzials unberücksichtigt bleiben; dies hätte zur Folge, dass den Berechnungen ein nicht mehr vorhandenes Entnahmepotenzial zu Grunde gelegt würde. 66 Wendt, aaO (Fn. 22), 424 f. 67 BMF v. 17. 11. 2005, aaO (Fn. 8), Rz. 11 ff.

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kung der Änderungen. Einige Probleme sind unbearbeitet geblieben, obwohl ein gesetzgeberisches Handeln angezeigt gewesen wäre (insbesondere Behandlung von Verlusten und Anwendung auf Personengesellschaften). Ob die experimentelle Phase jemals abgeschlossen werden wird, ist noch nicht abzusehen. Auf eine Abschaffung der Regelung als Abschluss des Experiments sollte man nicht hoffen, denn so lange private Schuldzinsen nicht von der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage abgezogen werden können, wird immer ein Anreiz zur Verlagerung dieser Zinsen in den betrieblichen Bereich bestehen, dem mit einer gesetzlichen Regelung entgegengewirkt werden muss. Das könnte aber sicher einfacher geschehen, als es der heutige § 4 Abs. 4a EStG vorsieht.

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Bilanz- und europarechtliche Grenzen für Reformen in der privaten Krankenversicherung Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Übertragungsmodelle 1. Grundmodelle 2. Kalkulierte Alterungsrückstellung 3. Individualisierte Alterungsrückstellung 4. Individuelle prospektive Alterungsrückstellung III. Rechtliche Systemvorgaben 1. Europäisches Gemeinschaftsrecht 2. Deutsches Versicherungsrecht 3. Vorrang des europäischen Gemeinschaftsrechts

IV. Aufsichts- und Bilanzierungsgrundsätze 1. Grundprinzip 2. Dauernde Erfüllbarkeit 3. Unterdeckung V. Exkurs: Rückkaufswert in der Lebensversicherung 1. Ausgangslage 2. Lebensversicherung 3. Krankenversicherung VI. Rahmenbedingungen der PKV und Konsequenzen 1. Rahmenbedingungen 2. Durchschnittliche Alterungsrückstellung

I. Einleitung Das Kalkulationsprinzip der privaten Krankenversicherung (PKV) hat zur Folge, dass der Wechsel zu einem anderen (Kranken-)Versicherungsunternehmen (VU) mit längerer Vertragsdauer sowie steigendem Alter zunehmend erschwert oder praktisch unmöglich wird. Da die aus den Beiträgen gebildete Alterungsrückstellung im Versichertenkollektiv des bisherigen VU verbleibt, muss der wechselwillige Kunde für den gleichen Versicherungsumfang beim neuen VU wegen des höheren Eintrittsalters einen in der Regel höheren Beitrag zahlen. Außerdem unterliegt der wechselnde Kunde beim neuen VU einer neuen Gesundheitsprüfung, was bei inzwischen eingetretener Gesundheitsverschlechterung zu Risikozuschlägen, Leistungsausschlüssen oder gänzlicher Unversicherbarkeit führen kann. In der öffentlichen Diskussion wird diese Situation teilweise als unbefriedigend bezeichnet. Im Zentrum der Vorschläge für Reformen in der PKV steht daher die Forderung, bei einem Wechsel des VU die beim bisherigen VU gebildete Alterungsrückstellung anteilig auf das neue VU zu übertragen, damit der Versicherte ohne finanzielle Nachteile seinen Krankenversicherer wechseln könne. Die mit einer Übertragung der Alterungsrückstellung verbundenen europa- und bilanzrechtlichen Probleme werden in der politischen Diskussion indessen generell nicht beachtet. 213

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II. Übertragungsmodelle 1. Grundmodelle In der Diskussion um die Übertragbarkeit der Alterungsrückstellung lassen sich drei theoretische Grundmodelle oder Darstellungsformen auseinander halten, soweit es um die Funktion der Alterungsrückstellung geht, das mit dem Lebensalter künftig steigende Krankheitskostenwagnis abzubilden: a) Die kalkulierte (oder kalkulatorische) Alterungsrückstellung ist diejenige Alterungsrückstellung, die für alle Versicherten der gleichen Gefahrengemeinschaft kollektiv in die Beiträge einkalkuliert und entsprechend als Rückstellung gebildet wird. Da alle Versicherten desselben Versichertenkollektivs mit denselben Wahrscheinlichkeiten kalkuliert werden, ist der durchschnittliche Wert der kalkulierten Alterungsrückstellung für alle Versicherten desselben Versichertenkollektivs gleich hoch. Ob der Durchschnittswert der Alterungsrückstellung dem tatsächlichen künftigen Krankheitskostenbedarf des einzelnen Versicherten entspricht, ist nicht ermittelbar; denn dies würde die vollständige Information über seinen Gesundheitsverlauf bis zum Tode und damit auch über seinen individuellen Todeszeitpunkt voraussetzen. b) Den Gegensatz zur kalkulierten Alterungsrückstellung bildet das theoretische Modell einer individualisierten Alterungsrückstellung. Darunter soll eine Alterungsrückstellung verstanden werden, welche die Gesamtheit aller bis zum konkreten Todeszeitpunkt tatsächlich anfallenden Krankheitskosten einer einzelnen individuellen Person abbildet. c) Unter einer individuellen prospektiven Alterungsrückstellung wird derjenige Teil der gesamten Alterungsrückstellung einer bestimmten Gefahrengemeinschaft verstanden, der „für den einzelnen Versicherten aufgrund seines Gesundheitszustandes erforderlich ist, um unter Hinzunahme der für ihn kalkulierten künftigen Beiträge die speziell bei ihm zu erwartenden Versicherungsleistungen finanzieren zu können“1. Weil nach Auffassung dieses Modells die zu Versicherungsbeginn durchschnittlich gleichen Risiken eines Versichertenkollektivs sich nach einer gewissen Versicherungsdauer auf natürliche Weise – infolge des unterschiedlichen Auftretens von Krankheiten – in Gruppen schlechterer und besserer Risiken differenzierten, benötigten die Gruppen schlechterer Risiken im Falle eines Versicherungswechsels einen größeren Teil der Alterungsrückstellung als die Gruppen besserer Risiken. Demgemäß solle die mitzugebende Alterungsrückstellung bei guten Risiken gering und bei schlechten Risiken hoch sein. Im Gegensatz zur individualisierten Alterungsrückstellung (s. Abschn. II. 1. b) differenziert das Modell der

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Unabhängige Expertenkommission zur Untersuchung der Problematik steigender Beiträge der privat Krankenversicherten im Alter (Expertenkommission), BT-Drucks. 13/4945, Abschn. 14.4.3.

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Reformen in der privaten Krankenversicherung

individuellen prospektiven Alterungsrückstellung die Alterungsrückstellung nach Gruppen, setzt aber innerhalb derselben Gruppe einheitliche Durchschnittswerte an. 2. Kalkulierte Alterungsrückstellung a) Für jedes einzelne durch gemeinsame Risikomerkmale verbundene Versichertenkollektiv gilt als Kalkulationsansatz, dass der Barwert der künftig zu erwartenden Krankheitskosten über die gesamte wahrscheinliche Vertragsdauer hinweg dem Barwert aller künftigen Beitragseinnahmen entspricht. In gleicher Weise ist der Barwert der künftigen Leistungsverpflichtungen abzüglich des Barwerts der künftigen Beitragseinnahmen Basis für die Bildung der Alterungsrückstellung. Das einzelne Versichertenkollektiv wird bei Versicherungsbeginn definiert durch die Gleichheit von Tarif, Eintrittsalter und Geschlecht der versicherten Personen. Der unterschiedliche Gesundheitszustand bei Versicherungsbeginn gehört nicht zu den Merkmalen, die ein bestimmtes Kollektiv definieren. Die im Gesundheitszustand zum Ausdruck kommenden Risikounterschiede werden – soweit sie bei Antragstellung bekannt sind – durch entsprechende Risikozuschläge oder Leistungsausschlüsse berücksichtigt und damit auf ein homogenes Risikoniveau im Kollektiv normiert. Diese kalkulierte und rechnungsmäßig verzinste Alterungsrückstellung baut sich über die gesamte statistische Versicherungsdauer hinweg zunächst auf (Sparphase), um sich bis zum statistischen Lebensende wieder auf Null abzubauen (Entsparphase). Die Entsparphase setzt ein, wenn die Sparanteile im Nettobeitrag negativ werden, d. h. wenn der Nettobeitrag nicht mehr zur Deckung der laufenden Leistungen ausreicht. b) Zu jedem Zeitpunkt des Spar- und Entsparprozesses kann ermittelt werden, welcher durchschnittliche Anteil der kalkulierten Alterungsrückstellung auf jeden Versicherten des Kollektivs rechnerisch entfällt. Dieser Wert ist für alle Versicherten desselben Kollektivs gleich hoch. Dabei handelt es sich um einen fiktiven Wert, der keine Aussage darüber erlaubt, welchen Betrag aus der Alterungsrückstellung ein bestimmter Versicherter des Kollektivs tatsächlich benötigen wird, um die Summe seiner künftigen, alterungsbedingt höheren Krankheitskosten bis zum Tode zu decken. Würde einem Versicherten im Falle seines Ausscheidens aus dem Kollektiv der durchschnittliche Wert der gemeinsamen Alterungsrückstellung mitgegeben, so wäre nicht ermittelbar, ob dieser Wert seinem tatsächlichen künftigen Krankheitskostenbedarf entspricht; denn dies würde die vollständige Information über seinen Gesundheitsverlauf bis zum Tode und damit auch über seinen individuellen Todeszeitpunkt voraussetzen. Die kalkulierte Alterungsrückstellung bezieht sich nur auf das Kollektiv als Ganzes. Auch wenn sich daraus Durchschnittswerte errechnen lassen, so lässt sich doch rechtsdogmatisch nicht begründen, aus einem solchen kol215

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lektiven Durchschnittswert individuelle zivilrechtliche Zahlungsansprüche abzuleiten. c) Die Übertragung der kalkulierten Alterungsrückstellung würde zu unvertretbarer Risikoselektion und Entmischung führen. Denn im Wege der Kündigung könnten unter den systemimmanenten Rahmenbedingungen der PKV (s. Abschn. VI. 1. b) nur die überdurchschnittlich Gesunden aus dem Kollektiv ausscheiden. Die schlechteren Risiken hätten aufgrund der erneuten Risiko- und Gesundheitsprüfung des neuen VU keine Aussicht, zu normalen Konditionen dort aufgenommen zu werden; sie müssten mit Risikozuschlägen, Leistungsausschlüssen oder gänzlicher Ablehnung rechnen2. Für die überdurchschnittlich guten Risiken wäre der durchschnittliche Wert der Alterungsrückstellung jedoch stets zu hoch; denn sie würden mehr an Alterungsrückstellung erhalten, als sie – aus der Sicht des Kündigungszeitpunktes – tatsächlich an Krankheitskosten bis zum Tode verbrauchen würden. 3. Individualisierte Alterungsrückstellung a) Eine individualisierte Alterungsrückstellung soll definitionsgemäß den Barwert aller tatsächlichen Kosten wiedergeben, die eine ganz bestimmte Einzelperson individuell bis zu ihrem tatsächlichen Todeszeitpunkt für künftig zu behandelnde Krankheiten verursacht. Weil eine solche Prognose aber nicht möglich ist, sind individualisierte Alterungsrückstellungen begrifflich ausgeschlossen. b) In diesem Zusammenhang entsteht ein weiteres Problem, das bei der Diskussion um die Übertragung von individualisierten Alterungsrückstellungen bisher nicht beleuchtet worden ist und an einem theoretischen Grenzfall deutlich wird: Kurz nach Versicherungsbeginn wird der Versicherte von einer unabwendbar zum schnellen Tod führenden Krankheit befallen; nach der sicheren und übereinstimmenden Prognose aller Ärzte stehen der genaue Todeszeitpunkt und die bis dahin anfallenden Behandlungen mit ihren Kosten definitiv fest. In diesem theoretischen Grenzfall könnte offenbar ein individualisierter Barwert aller künftigen Krankheitskosten abzüglich des Barwerts der noch zu zahlenden Beiträge und damit offenbar eine übertragungsfähige „individualisierte Alterungsrückstellung“ ausgerechnet werden. Eine solche „individualisierte Alterungsrückstellung“ wäre jedoch begrifflich in Wirklichkeit keine Alterungsrückstellung. Dem Versicherten würde nämlich nicht übertragen, was er durch seinen Versicherungsbeitrag zum Aufbau der kollektiven Alterungsrückstellung beigetragen hat, sondern ihm würde abgezinst der künftige Kostenerstattungsanspruch – abzüglich der ersparten Beiträge – ausgezahlt. Dies würde zu einer virtuellen Sofortabwicklung des Versicherungsvertrags führen.

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Expertenkommission (Fn. 1), BT-Drucks. 13/4945 Abschn. 14.4.1.

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Reformen in der privaten Krankenversicherung

c) Das vorstehende Problem hängt mit dem Versicherungsfallbegriff der Krankenversicherung zusammen. Der Versicherungsfall in der Krankenversicherung beginnt noch nicht mit dem Entstehen der Krankheit, sondern erst mit dem während der Vertragsdauer einsetzenden Beginn der medizinisch notwendigen Heilbehandlung bzw. diagnostischen Untersuchung. Bei Beendigung des Versicherungsvertrags sind die während der Vertragsdauer eingetretenen Versicherungsfälle noch abzuwickeln – aber auch nur diese. Würde bei Vertragsende die Alterungsrückstellung an den VN übertragen, so würde die Rückstellung für künftige Versicherungsfälle faktisch an den VN ausgekehrt. Dies würde einen anderen Begriff des Versicherungsfalles voraussetzen: Versicherungsfall müsste dann bereits das Entstehen, die Manifestation, das Erkennen oder der Ausbruch einer zu späterer Behandlungsbedürftigkeit führenden Krankheit sein. Dies wäre ein Paradigmenwechsel für den versicherungsvertragsrechtlichen Begriff des Versicherungsfalles. Da die PKV dem Versicherungsvertragsrecht unterliegt, ist es Sache der vertraglichen Vereinbarung, was als Versicherungsfall gelten soll. Dies ist in den AVB geschehen. Wollte der Gesetzgeber einen anderen Versicherungsfallbegriff zum unabdingbaren Inhalt des Krankenversicherungsvertrags machen, würde er in verfassungswidriger Weise in die auch grundrechtlich (Art. 2 Abs. 1 GG) geschützte Vertragsfreiheit eingreifen. Würde nämlich nicht die Behandlung einer Krankheit, sondern bereits ihr Entstehen als Versicherungsfall in der Krankenversicherung gesetzlich festgelegt, so könnte die Krankenversicherung als Individualversicherung versicherungstechnisch nicht betrieben werden. Eine Krankenversicherung mit einem solchen Versicherungsfallbegriff gibt es weltweit nicht, weil ein solches Risiko wegen der Nicht-Prognostizierbarkeit aller künftigen Erkrankungen des einzelnen VN nicht kalkulierbar und damit nicht versicherbar ist. Einen derartigen Versicherungsfall gibt es auch in keinem Sozialversicherungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung. 4. Individuelle prospektive Alterungsrückstellung a) Immer wieder ist versucht worden zu begründen, dass eine individuelle prospektive Alterungsrückstellung die mit der Übertragung der kalkulierten Alterungsrückstellung verbundenen unlösbaren Probleme vermeiden kann. Dabei wird auch darauf hingewiesen, dass es den VU unter Zuhilfenahme verbesserter statistischer Daten möglich sei, im Rahmen der Gesundheitsprüfung eines Neukunden bei Vorhandensein bestimmter Krankheitsbilder die dafür erforderlichen Risikozuschläge genauer zu kalkulieren. Das in der Expertenkommission3 erörterte Modell zerlegt das ursprünglich einheitliche Versichertenkollektiv nachträglich in mehrere Teilkollektive, die sich durch ihre im Laufe der Versicherungsdauer auseinander fallenden

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Vgl. Fn. 1.

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Risikoexpositionen unterscheiden. So mag es innerhalb des Gesamtkollektivs nach einer gewissen Zeit die Teilkollektive der identifizierten Herzkranken, Krebskranken, Diabetiker, Asthmatiker etc. geben. Den unterschiedlichen Teilkollektiven der inzwischen erkrankten Versicherten würden entsprechend höhere Alterungsrückstellungen zugeordnet als den Teilkollektiven der gesunden oder weniger kranken Versicherten. b) Bezogen auf den einzelnen Versicherten sind derartige individuelle Verlaufsprognosen medizinisch nicht begründbar. Hinzu kommt, dass die Einteilung in derartige Teilkollektive eindimensional ist und die komplexe Wirklichkeit der verschiedensten Krankheitsbilder in ihren unterschiedlichen Schwerestadien nicht abbilden kann. Dies gilt insbesondere für Folgeerkrankungen oder das Phänomen gleichzeitig auftretender weiterer Krankheiten (Multimorbidität). Dementsprechend fehlen die Grundlagen für die statistische Erfassung, um derartige Teilkollektive überhaupt darstellen zu können. c) Es widerspricht den elementaren versicherungstechnischen Grundsätzen der Individualversicherung, ein zunächst einheitliches Kollektiv gleichartiger Risiken, das sich durch bestimmte gemeinsame Risikomerkmale definiert, später entsprechend dem tatsächlichen Schadenverlauf in risikomäßig unterschiedliche Teilkollektive zu zerlegen. Die Kalkulation bezieht sich stets auf den Zeitpunkt der Risikoübernahme. Der Kalkulation des Krankenversicherungsbeitrags und der Alterungsrückstellung sind die gleichen Rechnungsgrundlagen zugrunde zu legen (vgl. § 3 KalV). Deshalb verbietet sich, die einheitliche Kalkulation zu einem späteren Zeitpunkt aufzuspalten und die Alterungsrückstellung nach anderen Rechnungsgrundlagen und Regeln auf neue Teilkollektive zu verteilen als den Beitrag. Hinzu kommt, dass ein solches Verteilungsmodell im Zeitablauf dynamisch sein müsste, weil sich die theoretischen Teilkollektive durch künftig hinzutretende Erkrankungen laufend veränderten. In letzter Konsequenz führte das Modell dazu, nach Beendigung des Kollektivs – also ex post – die Lasten entsprechend den tatsächlichen Schäden auf die Versicherten zu verteilen. Dies wäre nicht mehr Versicherung. d) Der Modellansatz steht zwischen den Modellen der kalkulierten und der individualisierten Alterungsrückstellung. Damit kumulieren sich auch die Probleme beider Modelle. Unabhängig von den fortbestehenden Problemen bei der Ermittlung der erforderlichen Daten verbleibt ein methodisches Problem. Grundlage dieses Übertragungsmodells wäre der Durchschnittswert aller künftigen Versicherungsleistungen für einen Versicherten unter Berücksichtigung seines zu erwartenden Todeszeitpunktes. Das Modell geht davon aus, dass dieser Wert aus hinreichend großen Datenbeständen als Erwartungswert berechenbar sei. Prospektive Erwartungswerte basieren auf der statistischen Verarbeitung von Erfahrungswerten der Vergangenheit. Prognosewerte gründen sich auf 218

Reformen in der privaten Krankenversicherung

Schätzverfahren, deren Ergebnisse Durchschnitts- und Wahrscheinlichkeitscharakter haben; einen individuellen Wert können sie nie zutreffend abbilden. Die Erforschung des künftigen individuellen Krankheits- und Todesfallrisikos ist daher kein versicherungsmathematisches oder statistisches, sondern ein medizinisches Problem. Das Modell der individuellen prospektiven Alterungsrückstellung muss also letztlich doch wieder auf durchschnittliche Erwartungswerte zurückgreifen, so dass die Probleme der Risikoselektion und Entmischung gleichfalls auftreten. Zur Grundlage des geforderten Anspruchs auf Übertragung (der Alterungsrückstellung) würde nicht die aus den Beiträgen aufgebaute Alterungsrückstellung gemacht, sondern der Barwert der künftigen Versicherungsansprüche des Teilkollektivs. Im Modell der individuellen prospektiven Alterungsrückstellung würde infolge der Orientierung des Übertragungsbetrags an den künftigen Versicherungsleistungen ein Wert übertragen, der keinerlei Bezug zu der aus den Beiträgen des wechselwilligen Versicherten aufgebauten Alterungsrückstellung hätte. Dies wird in dem nicht nur theoretischen Fall deutlich, dass ein Versicherter kurz nach Abschluss des Krankenversicherungsvertrags schwer erkrankt und nun nach nur kurzer Versicherungsdauer den Versicherer wechseln will. Einer aus seinen wenigen Beiträgen aufgebauten Alterungsrückstellung von vielleicht 1000 Euro stünden prognostizierte künftige Versicherungsleistungen von mehreren 100 000 Euro oder gar in Millionenhöhe gegenüber. Insofern würde wie im Falle der individualisierten Alterungsrückstellung eine virtuelle Sofortabwicklung des einzelnen Versicherungsvertrags erfolgen. Würde man hingegen nicht auf den Barwert der künftigen Versicherungsansprüche abstellen, sondern die tatsächlich vorhandene Alterungsrückstellung des Versichertenkollektivs zu einem gegebenen Zeitpunkt entsprechend dem unterschiedlichen Gesundheitszustand der Versicherten auf entsprechend verschiedene Teilkollektive verteilen, so ergäben sich auch hier innerhalb jeden Teilkollektivs stets kalkulatorische Durchschnittswerte. Gegen die Übertragung solcher Durchschnittswerte gelten wiederum die gleichen Argumente wie im Modell der kalkulierten Alterungsrückstellung.

III. Rechtliche Systemvorgaben Sozialpolitisch motivierte Reformvorhaben respektieren nur selten Vorgaben vorrangigen Rechts, insbesondere des europäischen Gemeinschaftsrechts. Dies gilt nicht nur für Reformen der Sozialversicherung, sondern auch für diskutierte Reformen der PKV. 1. Europäisches Gemeinschaftsrecht a) Der Rat der Europäischen Gemeinschaften hat mit seinen Richtlinien für Versicherungsunternehmen ein gemeinschaftliches Normenwerk geschaffen, 219

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das Basis für die Harmonisierung grundsätzlicher Fragen des Versicherungsrechts auf nationaler Ebene darstellt und als höherrangiges Recht den nationalen Gesetzgeber bindet. Das europäische Gemeinschaftsrecht schafft damit Systemvorgaben für das nationale Versicherungsgeschäft. Das „gemeinschaftliche Normenwerk“ wird insbesondere von der dritten Richtliniengeneration hervorgehoben (Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 92/49/EWG des Rates v. 18. 6. 1992 – Dritte Richtlinie Schadenversicherung; Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 92/96/EWG des Rates v. 10. 11. 1992 – Dritte Richtlinie Lebensversicherung –, ersetzt durch Erwägungsgrund 6 der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 5. 11. 2002 über Lebensversicherungen – Richtlinie über Lebensversicherungen). b) Art. 56 der Richtlinie 91/674/EWG des Rates v. 19. 12. 1991 (Versicherungsbilanzrichtlinie) verfügt europarechtlich den Grundsatz der dauernden Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen. Der nationale Gesetzgeber ist damit gehindert, Regelungen einzuführen, die dieses Dauerhaftigkeitsprinzip aufheben, einschränken oder gefährden. Dies wird für die PKV zusätzlich verstärkt: aa) Obwohl die Krankenversicherung „in technischer Hinsicht so zu betreiben ist wie die Lebensversicherung“ (Erwägungsgrund 24 letzter Satz Dritte Richtlinie Schadenversicherung), gelten für sie nicht die Richtlinien Lebensversicherung, sondern die Richtlinien Schadenversicherung (Art. 1 der Richtlinie 73/239/EWG des Rates v. 24. 7. 1973 – Erste Richtlinie Schadenversicherung; Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 79/267/EWG des Rates v. 5. 3. 1979 – Erste Richtlinie Lebensversicherung –, ersetzt durch Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2002/83/EG v. 5. 11. 2002). bb) Art. 15 Abs. 1 Erste Richtlinie Schadenversicherung i. d. F. von Art. 17 Dritte Richtlinie Schadenversicherung ordnet die Verpflichtung jedes Versicherungsunternehmens an, „ausreichende versicherungstechnische Rückstellungen für seine gesamte Geschäftstätigkeit zu bilden“, und zwar der Höhe nach entsprechend den Vorschriften der Versicherungsbilanzrichtlinie, womit deren Art. 56 für die Krankenversicherung noch einmal aufgegriffen wird. cc) Zusätzlich schreibt Art. 54 Abs. 2 Dritte Richtlinie Schadenversicherung für die nach Art der Lebensversicherung betriebene Krankenversicherung die Bildung von Alterungsrückstellungen vor, die gleichfalls die Anforderungen von Art. 56 Versicherungsbilanzrichtlinie erfüllen müssen. dd) Wenn die Krankenversicherung nach Art der Lebensversicherung betrieben wird, müssen die Beiträge „entsprechend vernünftigen versicherungsmathematischen Prognosen ausreichend sein, um die Unternehmen in die Lage zu versetzen, allen ihren Verpflichtungen unter Berücksichtigung sämtlicher Aspekte ihrer Finanzlage nachzukommen“ (Art. 54 Abs. 2 Satz 3 Drit220

Reformen in der privaten Krankenversicherung

te Richtlinie Schadenversicherung). Damit wird europarechtlich für die Krankenversicherung ein eigenständiges Prinzip der dauernden Erfüllbarkeit verankert. c) Art. 54 Dritte Richtlinie Schadenversicherung knüpft das Mitgliedstaatenwahlrecht für den Betrieb der Krankenversicherung nach Art der Lebensversicherung an enge Voraussetzungen. Der nationale Gesetzgeber ist gehindert, diese obligatorischen Voraussetzungen zu erweitern oder zu verändern. Der Voraussetzungskatalog des Art. 54 Abs. 2 Satz 1 Dritte Richtlinie Schadenversicherung hat abschließenden Charakter. Der nationale Gesetzgeber hätte nur die Möglichkeit, den VU weitere Ausgestaltungsformen der PKV als fakultative Optionen an die Hand zu geben, ohne ihnen dies zur Pflicht zu machen. Solche fakultativen Optionen stehen hier jedoch nicht zur Diskussion. Dass der Voraussetzungskatalog des Art. 54 Abs. 2 Dritte Richtlinie Schadenversicherung abschließenden Charakter hat, ergibt sich aus dem Zweck des Mitgliedstaatenwahlrechts. Art. 54 Dritte Richtlinie Schadenversicherung ermächtigt die Mitgliedstaaten, spezifische Rechtsvorschriften zum Schutz des Allgemeininteresses zu schaffen und insoweit die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit einzuschränken (Erwägungsgrund 24 Dritte Richtlinie Schadenversicherung). Darüber hinausgehende Regelungen sind mit der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nicht vereinbar, so dass die Ermächtigung des Art. 54 Abs. 2 Dritte Richtlinie Schadenversicherung den höchstzulässigen Regelungsinhalt beschreibt. d) Wesentliches Systemelement der substitutiven Krankenversicherung ist der Zwang zur versicherungsmathematischen Kalkulation. Nach Art. 54 Abs. 2 Satz 1 Dritte Richtlinie Schadenversicherung darf die Krankenversicherung nur dann nach Art der Lebensversicherung betrieben werden, wenn „die Beiträge unter Zugrundelegung von Wahrscheinlichkeitstafeln und anderen einschlägigen statistischen Daten … entsprechend der versicherungsmathematischen Methode berechnet werden“. Eine andere als versicherungsmathematisch begründete Beitragskalkulation ist nach dem höherrangigen Europarecht unzulässig. Für die versicherungsmathematische Kalkulation gelten anerkannte aktuarielle Grundsätze. Aktuarielle Grundsätze beruhen auf Erkenntnissen der Mathematik, Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie; sie entstehen durch wissenschaftliche Erkenntnis und nicht durch gesetzgeberische Akte. Damit stehen sie auch nicht zur Disposition der einzelnen VU oder des Gesetzgebers. 2. Deutsches Versicherungsrecht a) Entsprechend den Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts hat der deutsche Gesetzgeber die substitutive Krankenversicherung in einem untereinander vernetzten Regelwerk des Versicherungsaufsichts-, Versicherungs221

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vertrags-, Sozial- und Bilanzrechts ausgestaltet, deren Vorschriften in einem interdependenten, sich wechselseitig bedingenden Zusammenhang stehen. Maßgebende Rechtsgrundlagen sind die folgenden Vorschriften: § 5 Abs. 5 Nr. 1a, §§ 12 – 12f, 81 ff. VAG einschließlich der zugehörigen Verordnungen (insbesondere der KalV); §§ 178a – 178o VVG; § 5 Abs. 9 und 10, § 257 Abs. 2 – 2c SGB V; § 1 Abs. 2 Satz 2, §§ 22, 23, 26a, 37 Abs. 3 Satz 3 und 6, 110, 111 SGB XI; §§ 249, 341e, 341f HGB und das nach dem Maßgeblichkeitsgrundsatz auf dem Handelsbilanzrecht aufbauende Steuerbilanzrecht des EStG und KStG4. b) In langer Tradition gilt für die deutsche Individualversicherung der Grundsatz der dauernden Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen (§§ 5 Abs. 2, 8 Abs. 1 Nr. 3, 81 Abs. 1 Satz 5 VAG). Dieser Grundsatz ist mit europarechtlichem Vorrang für die Krankenversicherung zu einem übergeordneten Dauerhaftigkeitsgrundsatz fortentwickelt worden (s. Abschn. III. 1. b und § 12 Abs. 3 Nr. 1 VAG). c) Entsprechend der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe (Art. 54 Abs. 2 Dritte Richtlinie Schadenversicherung) folgt das Finanzierungs- und Kalkulationsverfahren der substitutiven Krankenversicherung drei großen Grundsätzen: aa) Die substitutive Krankenversicherung darf nur nach Art der Lebensversicherung betrieben werden (§ 12 Abs. 1 VAG, § 257 Abs. 2a Nr. 1 SGB V); das bedeutet, dass biometrische Rechnungsgrundlagen (z. B. Rechnungsgrundlagen zur Sterbewahrscheinlichkeit) zugrunde zu legen sind. bb) Die Beiträge sind auf versicherungsmathematischer Grundlage zu berechnen (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 VAG); die versicherungsmathematischen Methoden basieren auf anerkannten aktuariellen Grundsätzen, die unter Berücksichtigung internationaler Standards von Fachgesellschaften (Deutsche Aktuarvereinigung e.V. – DAV) entwickelt werden und den „state of the art“ wiedergeben. Auch das Versicherungsaufsichtsrecht kann die versicherungsmathematischen Methoden nicht selbst definieren (s. Abschn. III. 1. d), sondern nur auf die „anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik“ verweisen, die einzuhalten sind (§ 12c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VAG i. V. m. § 1 KalV). Insofern formuliert § 12c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VAG ungenau, wonach das Bundesministerium der Finanzen „die versicherungsmathematischen Methoden … festzulegen“ ermächtigt ist. Tatsächlich kann nur festgelegt werden, dass die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik einzuhalten sind, was durch § 1 KalV geschieht. cc) Es sind Alterungsrückstellungen zu bilden (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 VAG), die folgenden Zweck verfolgen:

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Boetius, Handbuch der versicherungstechnischen Rückstellungen, 1996, Anm. 171 ff.

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Reformen in der privaten Krankenversicherung

Mit zunehmendem Lebensalter steigt das Krankheitskostenwagnis; ein 90jähriger verursacht im Durchschnitt ca. sechsmal so hohe Krankheitskosten wie ein Mensch in jungen Jahren. In einem System reiner Risikobeiträge würde dies dazu führen, dass der Krankenversicherungsbeitrag ceteris paribus in jungen Jahren außergewöhnlich niedrig wäre, um später anzusteigen und im hohen Alter ein Vielfaches des ursprünglichen Beitrags zu erreichen. Damit dieser Fall nicht eintritt, schreibt das Gesetz für die Beitragskalkulation in der substitutiven Krankenversicherung das Anwartschaftsdeckungsverfahren vor – häufig auch in Übereinstimmung mit dem Sprachgebrauch der Lebensversicherung „Kapitaldeckungsverfahren“ genannt, was indessen für die Krankenversicherung als Zweig der Schadenversicherung aktuariell ungenau ist. Versicherungstechnisch wird danach so kalkuliert, dass der Beitrag außer dem zur Deckung der laufenden Leistungen und der Kosten des Versicherungsbetriebs erforderlichen Teil einen gleichfalls kollektiven Sparanteil enthält, der die mit steigendem Alter wachsenden Krankheitsaufwendungen der Zukunft vorfinanziert. Dieser überschießende Teil fließt in die kollektive Alterungsrückstellung und wird dort verzinslich angesammelt. Steigen die Leistungsausgaben aufgrund des höheren Alters der Versicherten – d. h. alterungsbedingt –, werden Teile der Alterungsrückstellung aufgelöst und für die erforderlichen Leistungen an die Versicherten verwendet. Dadurch wird erreicht, dass der Beitrag allein aufgrund des Älterwerdens nicht anzupassen ist. Der Ausdruck „Alterungsrückstellung“ ist ein Begriff des Bilanzrechts (§ 341f Abs. 3 HGB, auf den § 12 Abs. 1 Nr. 2 VAG verweist). Die Alterungsrückstellung soll bilanziell den Umstand berücksichtigen, dass einerseits die Beiträge für die Zukunft gebunden sind, andererseits das Krankheitskostenrisiko sich mit zunehmendem Alter der Versicherten erhöht und dem dadurch bedingten steigenden Schadenaufwand ein entsprechendes Beitragsaufkommen nicht mehr gegenübersteht. Der Sache nach ist die Alterungsrückstellung eine versicherungstechnische Rückstellung5. 3. Vorrang des europäischen Gemeinschaftsrechts a) Das europäische Gemeinschaftsrecht wirkt sich in sublimer Weise auf das Nebeneinander von gesetzlicher und substitutiver privater Krankenversicherung aus. Zunächst einmal überlässt es den Mitgliedstaaten, ihre jeweiligen Systeme der sozialen Sicherheit in eigener Zuständigkeit auszugestalten (Art. 137 Abs. 4 EGV)6. Gleichzeitig begrenzt das Gemeinschaftsrecht diese Zuständigkeit aber durch seine Vorschriften zu den Grundfreiheiten (Art. 3

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Boetius (Fn. 4), Anm. 335. EuGH, Rs. C-159, 160/91 v. 17. 2. 1993 („Poucet/Pistre“), Rand-Nr. 6; Rs. C-120/95 v. 28. 4. 1998 („Decker“), Rand-Nr. 21; Rs. C-158/96 v. 28. 4. 1998 („Kohll“), RandNr. 17; Rs. C-157/99 v. 12. 7. 2001 („Smits/Peerboom“), Rand-Nr. 44.

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Abs. 1c EGV)7 sowie zum Wettbewerbs- und Kartellrecht (Art. 3 Abs. 1g, 81 – 86 EGV). Soweit das europäische Gemeinschaftsrecht Rechtswirkungen entfaltet, bindet es die Mitgliedstaaten. Die Bindung tritt unmittelbar ein, wenn die gemeinschaftsrechtliche Norm keiner weiteren Umsetzung in nationales Recht bedarf; sie tritt mittelbar ein, wenn die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, die gemeinschaftsrechtliche Norm in nationales Recht umzusetzen. Das unmittelbar geltende Gemeinschaftsrecht geht unmittelbar jeder nationalen Rechtsnorm vor, es hat auch Vorrang gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht. Solange das mittelbar geltende Gemeinschaftsrecht nicht in nationales Recht umgesetzt ist, entfaltet es diese vorrangige Wirkung zunächst nicht; kommt ein Mitgliedstaat seiner Pflicht zur Umsetzung solchen Gemeinschaftsrechts in nationales Recht nicht nach, verletzt er den EG-Vertrag mit der Folge, dass erst nach Durchführung eines Vertragsverletzungsverfahrens Sanktionen ergriffen werden können. Hat ein Mitgliedstaat das mittelbar geltende Gemeinschaftsrecht einmal in nationales Recht umgesetzt, entfaltet dieses dann im Umfang seiner Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht die gleiche Vorrangwirkung wie das unmittelbar geltende Gemeinschaftsrecht. Der nationale Transformationsgesetzgeber erfüllt mit der gemeinschaftsrechtskonformen Umsetzung seine Vertragspflicht als Mitgliedstaat endgültig. Ein einmal richtig und vollständig erfüllter Vertrag kann einseitig durch einen Vertragspartner nicht wieder in den Zustand der Nichterfüllung zurückversetzt werden. Damit ist der nationale Gesetzgeber gehindert, das gemeinschaftsrechtskonforme nationale Umsetzungsgesetz später wieder rückgängig zu machen oder gemeinschaftsrechtswidrig zu ändern. Daran ist auch das nationale Verfassungsrecht gebunden. b) Gemeinschaftsrechtliche Systemvorgabe für die substitutive Krankenversicherung ist der Zwang zur versicherungsmathematischen Kalkulation. Maßgebend sind die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik, die mit ihrer Inkorporierung durch das Gemeinschaftsrecht gleichfalls den Rang von Gemeinschaftsrecht erhalten und damit auch dem nationalen Verfassungsrecht vorgehen. Zu den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik gehört u. a. der Zwang zur getrennten Kalkulation jedes einzelnen Tarifs. Daraus folgt ein aktuariell begründeter und mit Gemeinschaftsrechtsvorrang versehener Zwang zur Differenzierung zwischen den einzelnen Tarifen und sogar Beobachtungseinheiten. Dies hat inzwischen auch der BGH für die Frage zulässiger Beitragsanpassungen anerkannt8.

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Freier Warenverkehr (Art. 23–31 EGV), Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 39–42 EGV), Niederlassungsfreiheit (Art. 43–48 EGV), Dienstleistungsfreiheit (Art. 49– 55 EGV), freier Kapital- und Zahlungsverkehr (Art. 56–60 EGV). BGH v. 16. 6. 2004, VersR 2004, 991 (992).

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Reformen in der privaten Krankenversicherung

IV. Aufsichts- und Bilanzierungsgrundsätze 1. Grundprinzip Tragendes Prinzip der Individualversicherung in Deutschland ist die Fähigkeit der VU, ihre Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen dauerhaft erfüllen zu können. Vom Beginn der einheitlichen staatlichen Versicherungsaufsicht im Jahre 1901 an verlangt der Gesetzgeber von den VU, die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen sicherzustellen, und setzt er dieses Verlangen mit staatlichen Zwangsmitteln des Versicherungsaufsichtsrechts durch (§§ 5 Abs. 2, 8 Abs. 1 Nr. 3, 12 Abs. 3 Nr. 1, 81 Abs. 1 Satz 5 VAG). Die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen kann von den VU nur dann sichergestellt werden, wenn sie gleichzeitig verpflichtet werden, in Höhe dieser künftigen Verpflichtungen ausreichende Rückstellungen zu bilden. Deshalb ist Maßstab für die handels- und steuerbilanzielle Bildung der versicherungstechnischen Rückstellungen gleichfalls die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen (§ 341e Abs. 1 Satz 1 HGB)9. Für die Krankenversicherung gilt der Grundsatz der dauernden Erfüllbarkeit in hervorgehobener Weise, weil sie eine besondere soziale Sicherungsfunktion zu erfüllen hat, die eines gesteigerten Schutzes bedarf. Nicht zuletzt auf Betreiben der Bundesrepublik Deutschland selbst verankern dies auch die europarechtlichen Richtlinien, indem sie den Schutz des Allgemeininteresses in Bezug auf die private Krankenversicherung dezidiert postulieren (vgl. Erwägungsgründe 22 – 24, Art. 54 Abs. 1 Dritte Richtlinie Schadenversicherung). Konsequenterweise übernimmt daher auch das Sozialrecht für die private Pflege-Pflichtversicherung den Grundsatz der dauernden Erfüllbarkeit (§ 110 Abs. 1 SGB XI). 2. Dauernde Erfüllbarkeit Der Grundsatz der dauernden Erfüllbarkeit der Versicherungsverträge besagt, dass das VU dauerhaft in der Lage sein muss, alle aus den Versicherungsverträgen erwachsenden Verpflichtungen in Zukunft zu erfüllen. Diesem Zweck dienen vor allem die versicherungstechnischen Rückstellungen10. Der Verantwortliche Aktuar muss die Finanzlage des VU insbesondere darauf überprüfen, ob die dauernde Erfüllbarkeit der sich aus den Versicherungsverträgen ergebenden Verpflichtungen jederzeit gewährleistet ist (§ 12 Abs. 3 Nr. 1 VAG).

__________ 9 Vgl. Boetius (Fn. 4), Anm. 181, 199, 285. 10 Vgl. Boetius (Fn. 4), Anm. 180 f.

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Das Prinzip der dauernden Erfüllbarkeit formuliert in großer Deutlichkeit Art. 56 Versicherungsbilanzrichtlinie. Wichtig sind vor allem folgende Anforderungen: –

Die künftige Erfüllbarkeit muss „jederzeit“, d. h. zu jedem Zeitpunkt während der gesamten Dauer der Versicherungsverhältnisse gewährleistet sein.



Die dauernde Erfüllbarkeit bezieht sich auf „alle“ Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen, gleichgültig, zu welchem Zeitpunkt sie während der Vertragslaufzeit entstehen, d. h. sowohl auf alle gegenwärtigen als auch künftigen Verpflichtungen.

In der Alterungsrückstellung werden diejenigen Mittel gebunden, die in Zukunft für die infolge Alterung steigenden Krankheitskosten erforderlich sind11. Die zutreffende Bildung der Alterungsrückstellung ist daher für die dauernde Erfüllbarkeit von herausragender Bedeutung. 3. Unterdeckung Wegen der im Falle eines Versicherungswechsels notwendigen erneuten Risikoprüfung und wegen der Abhängigkeit des Beitrags vom Eintrittsalter könnten von einer Wechseloption typischerweise nur junge und gesunde Versicherte Gebrauch machen. Da dem künftigen Krankheitsgeschehen des einzelnen Versicherten entsprechende individualisierte Alterungsrückstellungen nicht ermittelbar sind, käme für eine Übertragung ausnahmslos nur ein kalkulatorischer Durchschnittswert der Alterungsrückstellung in Betracht. In einem Versichertenkollektiv mit einer gegebenen Bestandsmischung guter und schlechter Risiken ist der Durchschnittswert aller Risiken stets höher als der für überdurchschnittlich gute Risiken eigentlich erforderliche Wert. Jeder Wechsel eines gesünderen Versicherten unter Übertragung einer durchschnittlichen Alterungsrückstellung würde daher sofort zu einer Unterdeckung der Alterungsrückstellung führen, die dem zurückbleibenden Kollektiv der dann im Durchschnitt immer älter und kränker werdenden Versicherten noch zur Verfügung stünde. Damit aber würde die Alterungsrückstellung nicht mehr ausreichen, um die Verpflichtungen aus den verbleibenden Versicherungsverträgen dauerhaft zu erfüllen12. Dieser Effekt träte bei Mitgabe jeder durchschnittlichen und damit jeder kalkulierten Alterungsrückstellung ein. Deshalb spielt es für die bilanzrechtliche Beurteilung des Vorgangs auch keine Rolle, ob und in welchem Umfang die durchschnittliche Abgangs-, d. h. Stornowahrscheinlichkeit in der Kalkulation berücksichtigt worden ist. Zwar gelten für die Berechnung, d. h.

__________

11 Vgl. ausführlich Boetius (Fn. 4), Anm. 401 f. 12 Zu den Auswirkungen vgl. Kalis, VersR 2001, 11 (14); Züchner, VW 1995, 705.

226

Reformen in der privaten Krankenversicherung

die Kalkulation der Beiträge einerseits und der Alterungsrückstellung andererseits die gleichen versicherungsmathematischen bzw. aktuariellen Grundsätze (§§ 341f Abs. 3 Satz 2 HGB, 12 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 VAG, 1, 3 KalV). Indessen besteht zwischen Kalkulation und Rückstellungsbildung keine gegenseitige Abhängigkeit. Versicherungstechnische Rückstellungen müssen gebildet werden, wenn mit entsprechenden – gegenwärtigen oder zukünftigen – Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen zu rechnen ist. Dies ist unabhängig davon, ob das VU diese Verpflichtungen in der Beitragskalkulation ausreichend berücksichtigt hat. Die gelegentlich angestellte Überlegung, die Übertragung einer durchschnittlichen Alterungsrückstellung ließe sich finanzieren, wenn sie bei der Rechnungsgrundlage „Ausscheideordnung“ kalkulatorisch berücksichtigt würde, übersieht dies. Wegen Verletzung des Prinzips der dauernden Erfüllbarkeit sind daher auch alle Versuche unzulässig, die darauf hinauslaufen, die Versicherten zwischen Tarifen mit und ohne Übertragung der Alterungsrückstellung wählen zu lassen.

V. Exkurs: Rückkaufswert in der Lebensversicherung 1. Ausgangslage Die substitutive Krankenversicherung wird nach Art der Lebensversicherung betrieben. Die Alterungsrückstellung ist eine besondere Form der Deckungsrückstellung, wie sie für die Kapitallebensversicherung typisch ist. In der Kapitallebensversicherung hat der VN bei vorzeitiger Vertragsbeendigung Anspruch auf den Rückkaufswert (§ 176 VVG), der in der Deckungsrückstellung passiviert wird. Gleichwohl kann daraus die Übertragbarkeit der Alterungsrückstellung nicht abgeleitet werden, weil die Deckungsrückstellung in der Lebensversicherung und die Alterungsrückstellung in der Krankenversicherung sich in den Funktionen grundlegend unterscheiden. 2. Lebensversicherung a) Soweit die Lebensversicherung nicht als Risikoversicherung, sondern als gemischte Kapitallebensversicherung auf den Erlebens- und Todesfall genommen wird, findet neben dem reinen Risikogeschäft auf kollektiver Basis ein Sparprozess auf individueller Basis statt. Risikogeschäft und Ansparvorgang sind kalkulatorisch getrennt, weil es sich bei der Lebensversicherung um eine Summenversicherung handelt, bei der bis zum Ablauf des Versicherungsvertrags aus jedem Beitrag ein Sparanteil zum Aufbau des schließlich zur Auszahlung kommenden „Guthabens“ geleistet wird. Damit ist für jeden Zeitpunkt des Sparprozesses der jeweils erreichte Stand des individuellen Guthabens ablesbar und in Form des Rückkaufswerts individualisiert13.

__________

13 Zur Abgrenzung Krankenversicherung/Lebensversicherung vgl. Bohn, ZfV 1996, 166 (168).

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In Höhe des Rückkaufswerts ist die Deckungsrückstellung bilanzrechtlich eine (Individual-)Verbindlichkeit des VU gegenüber dem einzelnen VN. Soweit ein Rückkaufswert jedoch nicht vorhanden ist, ist die Deckungsrückstellung eine versicherungstechnische Rückstellung der ersten Leistungsstufe mit kollektivem Charakter14. b) Der Nettobeitrag in der Lebensversicherung ist zerlegbar. Er besteht u. a. aus dem Risikobeitrag, durch den das Sterblichkeitswagnis abgedeckt wird, und dem Sparbeitrag, aus dem bis zum Vertragsende ein Teil der Deckungsrückstellung aufgebaut wird. Dementsprechend wird die Deckungsrückstellung in der Lebensversicherung für jeden einzelnen Vertrag berechnet15. Von besonderer Bedeutung ist, dass über die einzelvertragsweise Bildung der Deckungsrückstellung hinaus zusätzliche Rückstellungen für solche Risiken gebildet werden können, die sich nicht individualisieren lassen (vgl. Art. 20 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. A. v) Satz 3 Richtlinie 2002/83/EG v. 5. 11. 2002). Diese zusätzlichen Rückstellungen – z. B. für künftige Aidsfälle – sind neben der Deckungsrückstellung zu bilden. Es handelt sich hierbei um versicherungstechnische Rückstellungen der ersten Leistungsstufe nach Art der Spätschadenrückstellung, die ihrerseits kollektiven Charakter hat16. Diese Sachverhalte sind auch Gegenstand der Alterungsrückstellung, was den Gegensatz zum Sparanteil der in der Lebensversicherung zu bildenden Deckungsrückstellung unterstreicht. 3. Krankenversicherung a) Im Gegensatz zur Lebensversicherung ist die Krankenversicherung Teil der Schadenversicherung. Dass sie „nach Art der Lebensversicherung“ betrieben wird (Erwägungsgrund 24 und Art. 54 Abs. 2 Dritte Richtlinie Schadenversicherung, §§ 12 Abs. 1, 12a Abs. 1, 12b Abs. 1, 12d Abs. 1 VAG, 341f Abs. 3 HGB), macht sie nicht zur Lebensversicherung. Deshalb gelten für die Krankenversicherung auch die europarechtlichen Richtlinien für die Schadenversicherung und nicht diejenigen für die Lebensversicherung (Art. 3 Nr. 1 Richtlinie 2002/83/EG v. 5. 11. 2002). b) „Nach Art der Lebensversicherung“ heißt, dass die Beitragskalkulation den auch in der Lebensversicherung geltenden Risikomerkmalen und Kalkulationsgrundsätzen Rechnung trägt. Dazu gehört der Grundsatz, dass der Nettobeitrag über die gesamte Laufzeit des Versicherungsvertrags vom steigenden Altersrisiko unabhängig ist. Der Barwert sämtlicher erwarteter Beiträge eines Kollektivs gleichartiger Risiken entspricht dem für das entsprechende Kollektiv über die gesamte Vertragsdauer hinweg erwarteten Leis-

__________ 14 Vgl. Boetius (Fn. 4), Anm. 627. 15 Vgl. Boetius (Fn. 4), Anm. 597, 622, 626. 16 Vgl. Boetius (Fn. 4), Anm. 626.

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Reformen in der privaten Krankenversicherung

tungsbarwert17. Dies bezieht sich auch in der Lebensversicherung auf den Risikoteil des Beitrags, nicht auf den Sparteil. Deshalb kann aus dem Kalkulationsprinzip „nach Art der Lebensversicherung“ nicht auf einen Rückkaufswert in der Krankenversicherung geschlossen werden; denn den Rückkaufswert in der Lebensversicherung gibt es nur im individualisierten Sparteil. c) Sparziel in der Lebensversicherung ist der individuelle Vermögensaufbau in Form der Lebensversicherungssumme zuzüglich der Gewinnbeteiligung. Versicherungsziel in der Krankenversicherung ist dagegen die gleichmäßige versicherungstechnische Verteilung des Krankheitskostenrisikos über die Lebensdauer des Versichertenkollektivs hinweg. Geschäftsmäßige Risikoverteilung kann nie anders als kollektiv betrieben werden. Somit kann aus systemischer Sicht nur eine kollektive Betrachtung angestellt werden. Bei kollektiver Betrachtung kommt es auf kalkulatorische Durchschnittswerte an. Auch hier wird der Unterschied zum Rückkaufswert in der Lebensversicherung deutlich: Weil in der Entsparphase die auf den einzelnen Versicherten entfallende kalkulatorische Alterungsrückstellung abgebaut wird, steht mit zunehmendem Lebensalter infolge des kollektiven Verzehrs für Krankheitskosten dem einzelnen Versicherten rechnerisch immer weniger zur Verfügung.

VI. Rahmenbedingungen der PKV und Konsequenzen 1. Rahmenbedingungen a) Generell funktioniert jedes Versicherungssystem nur unter bestimmten Rahmenbedingungen, die aufeinander abgestimmt sind, miteinander zusammenhängen und sich gegenseitig bedingen. Dies gilt in besonderem Maß, wenn Systeme der Sozialversicherung und der Individualversicherung miteinander verglichen werden und wenn Elemente eines Systems auf das andere System übertragen werden sollen. Jedes Krankenversicherungssystem funktioniert wie ein Organismus nur als Ganzes, so dass die substantielle Veränderung eines systemprägenden Elements stets die Anpassung des gesamten Systems erfordert. b) Die PKV ist Individualversicherung und Teil des privatrechtlichen Versicherungswesens. Ihre systemimmanenten Rahmenbedingungen prägen sich in folgenden Merkmalen aus: aa) Die Geschäftsbeziehung zwischen Versichertem und seiner Versicherung hat ihre Grundlage in einem Vertrag.

__________ 17 Bohn, ZfV 1996, 166 (167 f.).

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bb) Hinsichtlich der Aufnahmebedingungen für diese Geschäftsbeziehung herrscht demzufolge das grundrechtlich geschützte Prinzip der Vertragsfreiheit. cc) Der Beitrag hängt nach den Grundsätzen der Individualversicherung von der Höhe des Risikos ab. dd) Die Versicherungsleistung ist nach Tarifen individualisiert. ee) Eine Zukunftsvorsorge für die alterungs- und demographiebedingt steigenden Krankheitskosten in höheren Lebensaltern garantiert das Anwartschaftsdeckungsverfahren. c) Ein freier PKV-Wechsel wäre erst dann verwirklicht, wenn er nicht nur gesunden und jungen Versicherten offen stünde, sondern wenn auch Menschen in höherem Alter oder mit möglicherweise erheblichen Vorerkrankungen einen Rechtsanspruch darauf erhielten, ohne gravierende Nachteile ihren Versicherer zu wechseln. Dies würde einerseits den gesetzlichen Verzicht auf eine erneute Risikoprüfung im Falle des Versichererwechsels und damit uneingeschränkten Kontrahierungszwang sowie andererseits die Nichtberücksichtigung des inzwischen höheren Eintrittsalters bei der Beitragsbemessung zum Wechselzeitpunkt voraussetzen. Kontrahierungszwang ohne Risikodifferenzierung setzt gleichzeitig einen gesetzlich festgelegten und damit brancheeinheitlichen Versicherungsschutzumfang voraus, weil sowohl der VN wie der Versicherer wissen müssen, für welchen Leistungsumfang die Rechtspflicht zum Vertragsabschluss besteht; gesetzlicher Kontrahierungszwang zu einem gesetzlich nicht definierten Vertragsinhalt ist rechtlich unmöglich. Gleichzeitig ist ein unternehmensübergreifendes Schadenausgleichssystem erforderlich, weil zufallsbedingt sich bei einzelnen Versicherern überdurchschnittlich viele Schwerstrisiken ansammeln können, was das einzelne VU wegen des Kontrahierungszwangs nicht verhindern kann und auch nicht verhindern soll; dies aber würde die Kalkulationsbasis des PKV-Unternehmens zerstören. 2. Durchschnittliche Alterungsrückstellung a) Soweit im Rahmen einer Reform der PKV gefordert wird, bei einem Wechsel des VU die beim bisherigen VU gebildete Alterungsrückstellung auf das neue VU zu übertragen, handelt es sich bei der zu übertragenden Alterungsrückstellung stets um einen Wert, der für das gesamte Versichertenkollektiv oder für ein Teilkollektiv durchschnittlich gebildet wird. Ein Wert, der für den einzelnen Versicherten dessen tatsächlichen Kostenverlauf bis zu seinem tatsächlichen Todeszeitpunkt in der Zukunft abbildet, kann wegen der Nicht-Prognostizierbarkeit der hierfür notwendigen Fakten nie ermittelt werden. b) Solange die für das System der PKV als Individualversicherung konstitutiven Rahmenbedingungen (s. Abschn. VI. 1.) nicht geändert werden, könnten 230

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bei Übertragung eines durchschnittlichen Alterungsrückstellungswertes stets nur die – daran gemessen – überdurchschnittlich Gesunden und Jungen wechseln; denn die daran gemessen schlechteren Risiken (unterdurchschnittlich Gesunde sowie Ältere) würden bei einem neuen VU an der Hürde der neuen Gesundheitsprüfung und des hohen Alters scheitern. Jede Übertragung einer durchschnittlichen Alterungsrückstellung würde zu einer Entmischung der Versichertenkollektive führen und die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen der zurückbleibenden Versichertenkollektive unmöglich machen. Zugleich könnten damit die Anforderungen an die vorgeschriebene versicherungsmathematische Kalkulation nicht mehr erfüllt werden. Die Grundsätze der dauernden Erfüllbarkeit und der versicherungsmathematischen Kalkulation werden durch europäisches Gemeinschaftsrecht vorgegeben. Sie außer Kraft zu setzen oder auch nur abzuschwächen, ist dem nationalen Gesetzesrecht und sogar dem Verfassungsrecht untersagt. Am europäischen Gemeinschaftsrecht und an dem ebenfalls europarechtlich fundierten Bilanzrecht scheitern somit alle Versuche, im Rahmen von Reformen der PKV die Übertragung der Alterungsrückstellung bei einem Wechsel des VU vorzusehen.

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Bilanzierung der Wertpapierleihe – Nicht-Realisierung der stillen Reserven trotz Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums: Eine Ausnahmeerscheinung oder eine häufig übersehene Regel? Inhaltsübersicht I. Problemstellung II. Die Wertpapierleihe III. Übergang des wirtschaftlichen Eigentums und Gewinnrealisierung als voneinander unabhängige Fragestellungen 1. Das wirtschaftliche Eigentum als alternative Zuordnungsregel a) Die einzelnen Merkmale des wirtschaftlichen Eigentums aa) Tatsächliche Herrschaft über das Wirtschaftsgut bb) Herrschaft während der gewöhnlichen Nutzungsdauer cc) Ausschluss im Regelfall dd) Bezogen auf das identische Wirtschaftsgut

ee) Risiko des zufälligen Untergangs bzw. Bonitätsrisiko des rechtlichen Inhabers b) Gesamtbild der Verhältnisse bei Wertpapierleihen und echten Pensionsgeschäften 2. Das Realisationsprinzip als Sicherheitsniveau für ausschüttungsfähige Vermögensmehrungen 3. Das Verhältnis von Übergang des wirtschaftlichen Eigentums und Gewinnrealisierung IV. Übergang des wirtschaftlichen Eigentums ohne Gewinnrealisierung – häufiger als gedacht V. Zusammenfassung

I. Problemstellung Im Schrifttum wird mit der Frage nach dem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums regelmäßig auch die Frage nach der Gewinnrealisierung verbunden. Dagegen ist es bei der Wertpapierleihe weitgehend herrschende Auffassung, dass zwar einerseits das wirtschaftliche Eigentum an den Wertpapieren auf den Entleiher übergeht, es wegen der Bilanzierung des Rückforderungsrechts zum Buchwert jedoch nicht zu einer Gewinnrealisierung kommt1. Diese „Sonderreglung“ für die Wertpapierleihe wirft die Frage auf, ob ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums ohne Gewinnrealisierung unter bestimmten Voraussetzungen nicht die Regel darstellen sollte.

__________ 1

Vgl. z. B. Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 39 AO, Rz. 109.

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Entgegen dieser Überlegung zielt der Entwurf der IDW-Stellungnahme zu Einzelfragen zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums und zur Gewinnrealisierung nach HGB2 eher in die Richtung, in den Fällen eine Gewinnrealisierung zu vermeiden, in denen auch der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums verneint wird, bei Übergang des wirtschaftlichen Eigentums dagegen immer eine Gewinnrealisierung anzunehmen. Im folgenden Beitrag wir daher die Frage diskutiert, ob mit dem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums zwingend eine Gewinnrealisierung verbunden sein muss, oder ob es nicht Fälle gibt, in denen sich die „Ausnahmereglung“ zur Wertpapierleihe als Normalfall darstellt: Der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums ohne Gewinnrealisierung. In einem ersten Teil wird die Behandlung der Wertpapierleihe skizziert. Dabei werden die verwendeten zentralen Argumente vorgestellt. Daran schließt sich im zweiten Teil eine getrennte Analyse der Einzelaspekte zum Thema des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums und zum Thema Gewinnrealisierung an. Diese Analyse wird im dritten Teil mit dem Ergebnis abgeschlossen, dass eine Reihe von Sachverhalten vorstellbar sind, in denen es trotz Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nicht zu einer Gewinnrealisierung kommt.

II. Die Wertpapierleihe Bei der Wertpapierleihe übereignet der Verleiher dem Entleiher für eine gewisse Zeit Wertpapiere aus seinem Bestand gegen ein Nutzungsentgelt. Neben dem Nutzungsentgelt ist der Entleiher regelmäßig verpflichtet, dem Verleiher die während der Leihzeit erhaltenen Dividenden oder Bezugsrechte zu vergüten (sog. manufactured dividend)3. Der Entleiher muss dem Verleiher bei Fälligkeit Wertpapiere gleicher Art, Güte und Menge zurückgeben. Bei der Wertpapierleihe handelt es sich daher um ein Sachdarlehen i. S. d. § 607 Abs. 1 BGB4. Nach herrschender Meinung wird der Entleiher sowohl zivilrechtlicher als auch wirtschaftlicher Eigentümer5. Dies wird zum einen mit dem Fehlen einer gesonderten Regelung – im Gegensatz zu echten Wertpapierpensionsgeschäften – und zum anderen mit der Vermeidung einer Doppelbilanzierung bei Weiterveräußerung durch den Entleiher begründet6. Dieser Auf-

__________ 2 3 4 5 6

Wpg 2005, 952 ff.; BMF v. 3. 4. 1990, IV B2 – S. 2134 – 2/90; DB 1990, 863. Vgl. Altvater, DB 1998, 1204. Vgl. z. B. Häuselmann/Wagner, FR 2003, 331. Vgl. z. B. Häuselmann, BB 2000, 1287; Förschle in Beck’scher Bilanzkommentar, 5. Aufl. 2003, § 246, Rz. 150 m. w. N.; OFD Frankfurt v. 15. 3. 1995, BB 1995, 1081. OFD Frankfurt v. 15. 3. 1995, BB 1995, 1081.

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Bilanzierung der Wertpapierleihe

fassung folgt die Literatur weitgehend7, auch wenn vereinzelt mit Hinweis auf die Risikoverteilung bei der Wertpapierleihe Zweifel am Übergang des wirtschaftlichen Eigentums geäußert werden8. Dies gilt insbesondere für mit Geld besicherte Wertpapierleihen, die nach dieser Auffassung faktisch wie echte Pensionsgeschäfte behandelt werden sollten9. Beim Verleiher tritt an die Stelle der verliehenen Wertpapiere die Sachforderung. Diese ist mit dem Buchwert der hingegebenen Wirtschaftsgüter anzusetzen. Eine Realisierung der in den Wertpapieren enthaltenen stillen Reserven findet nicht statt. Dies wird damit begründet, dass der Entleiher nicht bereit ist, das Wertänderungsrisiko der Aktien vollständig zu übernehmen und daher der Verleiher auch während der Laufzeit der Wertpapierleihe alle Chancen und Risiken aus den Wertpapieren trägt10. Diese bilanzielle Behandlung der Wertpapierleihe widerspricht dem oft unterstellten Zusammenhang zwischen Übergang des wirtschaftlichen Eigentums und Gewinnrealisierung. Generell wird als Zeitpunkt der Gewinnrealisierung der Zeitpunkt des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums angesehen11.Wenig diskutiert ist bisher die Frage, ob der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums immer zu einer Gewinnrealisierung führen muss oder ob die Frage nach dem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums und die Frage nach dem Zeitpunkt der Gewinnrealisierung nicht vielmehr getrennt zu beurteilen sind.

III. Übergang des wirtschaftlichen Eigentums und Gewinnrealisierung als voneinander unabhängige Fragestellungen Das Institut des wirtschaftlichen Eigentums dient der Zuordnung von Wirtschaftsgütern, wenn die Zuordnung zum rechtlichen Eigentümer zu einem den wirtschaftlichen Verhältnissen widersprechenden Ergebnis führt. Für die Entscheidung über den Ausweis des Wirtschaftsgutes beim rechtlichen oder beim wirtschaftlichen Eigentümer ist die Auswirkung auf den Ausweis der Vermögenslage von zentraler Bedeutung12. Dagegen ist die Gewinnrealisierung mit dem Realisationsprinzip als Ausprägung des allgemeinen Vorsichtsprinzips verknüpft und damit eine Frage des Gläubigerschutzes und des Ausweises der tatsächlichen Ertragslage. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, ob der bisherige (rechtliche oder

__________ 7 8 9 10 11 12

Vgl. z. B. Häuselmann/Wagner, FR 2003, 331 m. w. N. Vgl. z. B. Schmid/Mühlhäuser, BB 2001, 2609 (2611). Vgl. z. B. Rau, BB 2004, 1600 (1602). Vgl. z. B. Schmid/Mühlhäuser, BB 2001, 2609 (2611). Vgl. z. B. Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 5, Rz. 608 m. w. N. Vgl. z. B. ADS, 6. Aufl., § 246 HGB Tz. 262 m. w. N.

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wirtschaftliche) Eigentümer den Verkehrswert des Wirtschaftsguts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch einen Umsatzakt realisiert hat und künftige Wertänderungen des veräußerten Wirtschaftsguts ihn nicht mehr treffen13. Im Folgenden werden die Grundsätze für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern und die Gewinnrealisierung näher analysiert und anschließend Verbindungen zwischen dem Institut des wirtschaftlichen Eigentums und dem Realisationsprinzip untersucht. 1. Das wirtschaftliche Eigentum als alternative Zuordnungsregel Die bilanzielle Zuordnung von Vermögensgegenständen folgt für das Handelsrecht überwiegend nicht kodifizierten GoB14. Steuerlich enthält § 39 AO die maßgebliche Vorschrift. § 5 Abs. 1 EStG mit der Verweisung auf die GoB ist gesetzestechnisch lex specialis zu § 39 Abs. 2 AO15. Da die GoB und § 39 Abs. 2 AO durchgehend dasselbe verlangen, kommt es auf die Gesetzeskonkurrenz grundsätzlich nicht an16. Grundsätzlich werden Wirtschaftsgüter dem zivilrechtlichen Eigentümer zugerechnet. Seit den frühen 20er Jahren des letzten Jahrhunderts17 geht die Rechtsprechung bei der Zurechnung des Vermögens aber von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise aus. Eine Zurechnung von Wirtschaftsgütern zu dem rechtlichen Eigentümer wird daher dann abgelehnt, wenn dies unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu einer unzutreffenden Darstellung der Vermögenslage führt18. Die Zurechnung auf der Basis des wirtschaftlichen Eigentums ist aber stets die Ausnahme von der Regel der Zurechnung zum rechtlichen Eigentümer19. Es sind demnach immer besondere Aspekte notwendig, die eine vom rechtlichen Eigentum abweichende Zurechnung von Wirtschaftsgütern rechtfertigen. Derartige besondere Umstände sollen nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO dann vorliegen, wenn und solange ein anderer als der rechtliche Eigentümer die tatsächliche Herrschaft derart ausübt, dass er den zivilrechtlichen Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann.

__________ 13 Vgl. Weber-Grellet in Schmidt, EStG, § 5, Rz. 78 m. w. N. 14 Vgl. ADS 6. Aufl., § 246 Rz. 266, Förschle/Kroner in Beck’scher Bilanzkommentar, 6. Aufl. 2006, § 246 Rz. 5 ff. 15 Tipke/Kruse, § 39 AO, Rz. 11 (Kommentierung von 2003). 16 Tipke/Kruse, a. a. O. 17 Vgl. RFH v. 28. 9. 1923, I A 93/23, RFHE 12, 343. 18 Vgl. z. B. ADS, § 246 HGB, Tz. 262 m. w. N. 19 Vgl. Fischer in Hübschmann Hepp/Spitaler, § 39 AO, Rz. 2.

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Bilanzierung der Wertpapierleihe

a) Die einzelnen Merkmale des wirtschaftlichen Eigentums aa) Tatsächliche Herrschaft über das Wirtschaftsgut Eine Voraussetzung für das wirtschaftliche Eigentum besteht darin, dass der wirtschaftliche Eigentümer eine rechtlich abgesicherte tatsächliche Herrschaft über das Wirtschaftsgut erreicht. Sie ist einerseits nicht rein faktisch zu sehen, sondern erfordert eine zivilrechtliche Fundierung der tatsächlichen Herrschaft20. Andererseits reicht aber eine alleinige zivilrechtliche Fundierung des Verfügungsrechts nicht aus, eine faktische, tatsächliche Verfügung ist notwendig. Ein besitzloses wirtschaftliches Eigentum ist nur eingeschränkt möglich, z. B. wenn der zivilrechtliche Eigentümer bezüglich des Wirtschaftsguts allein den Weisungen des anderen folgen muss und dieser das Wirtschaftsgut jederzeit herausverlangen kann und damit über die Substanz des Wirtschaftsguts für eigene Rechnung verfügen kann21. Im Einzelfall ist das Gesamtbild der Verhältnisse maßgebend22. Bei der Wertpapierleihe wird der Entleiher zivilrechtlicher Eigentümer der entliehenen Wertpapiere. Um einen Übergang des wirtschaftlichen Eigentums zu verneinen, müsste der Verleiher weiterhin die tatsächliche Herrschaft über das Wirtschaftsgut ausüben können. Dies ist jedoch aufgrund des Leihvertrags regelmäßig nicht der Fall. bb) Herrschaft während der gewöhnlichen Nutzungsdauer Die tatsächliche Herrschaft muss für eine vom zivilrechtlichen Eigentum abweichende Zurechnung während der gewöhnlichen Nutzungsdauer vertraglich gesichert dem wirtschaftlichen Eigentümer zustehen. Unter der gewöhnlichen Nutzungsdauer ist regelmäßig die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer zu verstehen, die regelmäßig anhand der wirtschaftlichen und nicht der technischen Nutzungsdauer festgelegt wird23. Daher sind geleaste Wirtschaftsgüter dem Leasing-Nehmer zuzurechnen, wenn der LeasingGeber erst nach Ablauf nahezu der vollständigen betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer einen Herausgabeanspruch hat, da dieser Herausgabeanspruch dann als unbedeutend angesehen wird24. Übt dagegen der neue rechtliche Eigentümer die tatsächliche Herrschaft z. B. aufgrund einer Rückübertragungsverpflichtung lediglich vorübergehend aus,

__________ 20 Vgl. BFH v. 27. 11. 1996 X R 92/92, BStBl. II 1998, 97; a.A. Weber-Grellet, FR 1997, 263; Dabei ist es unerheblich, ob es sich um eine dingliche oder schuldrechtliche Fundierung des Verfügungsrechts handelt; vgl. ADS, § 246 HGB, Tz. 264. 21 Vgl. Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 39 AO, Rz. 47. 22 Vgl. BFH v. 15. 2. 2001, III R 130/95, BFH/NV 2001, 1041. 23 Vgl. z. B. BFH v. 2. 6. 1978, III R 4/76, BStBl. II 1978, 507; BFH v. 19. 11. 1997, X R 78/94, BStBl. II 1998, 59. 24 Vgl. BMF v. 19. 4. 1971, BStBl. I 1971, 264.

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ist es trotz der zeitlichen Befristung der tatsächlichen Herrschaft nicht zweifelhaft, dass auch das wirtschaftliche Eigentum zunächst übergegangen ist. Dies gilt auch bei einem mit der Veräußerung zeitgleich vereinbarten Rückerwerb des Wirtschaftsguts, wenn nicht zugleich der Veräußerer auch für den Zeitraum, in dem der Erwerber rechtlicher Eigentümer ist, das Risiko des zufälligen Untergangs trägt. Denn während der Zeit des rechtlichen Eigentums übt der Erwerber auch die tatsächliche Herrschaft unabhängig von Weisungen des Veräußerers aus. cc) Ausschluss im Regelfall Bei der Beurteilung des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums ist auf den normalen Verlauf der Dinge abzustellen, also der für die gewählte Gestaltung gewählte typische Verlauf der Beurteilung zugrunde zu legen25. Dieses Element des wirtschaftlichen Eigentums ist auf den verzögerten bzw. vorzeitigen Übergang des wirtschaftlichen Eigentums bei Übergang des rechtlichen Eigentums und insbesondere den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums ohne Übergang des rechtlichen Eigentums (z. B. Wertlosigkeit des Herausgabeanspruchs bei Leasing) ausgelegt. Für die Frage, ob bei einem Wechsel des rechtlichen Eigentums für nur einen begrenzten Zeitraum auch ein Wechsel des wirtschaftlichen Eigentums erfolgt, hilft dieses Kriterium jedoch nur bedingt weiter. dd) Bezogen auf das identische Wirtschaftsgut Eine Verschiebung der Zurechnung vom rechtlichen zum wirtschaftlichen Eigentümer kann es grundsätzlich nur im Hinblick auf ein und dasselbe Wirtschaftsgut gehen. Daher hat der BFH z. B. den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums von Aktien mit Dividendenanspruch auf den Erwerber bejaht, obwohl zeitgleich der Rückerwerb von jungen Aktien ohne Dividendenanspruch vereinbart wurde. Denn die jungen Aktien seien nicht mit den alten Aktien mit Dividendenanspruch identisch26. Daraus kann man im Umkehrschluss jedoch nicht schließen, dass ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums bei zeitgleichem An- und Verkauf des gleichen Wirtschaftsguts immer zu verneinen sei. ee) Risiko des zufälligen Untergangs bzw. Bonitätsrisiko des rechtlichen Inhabers Gegen den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums sprechen die Regelungen des § 340b HGB über echte Pensionsgeschäfte, die nach überwiegender

__________

25 Vgl. z. B. BFH v. 8. 6. 1995, VI R 67/94, BFH/NV 1996, 101. 26 Vgl. BFH v. 15. 12. 1999, I R 29/97, BStBl. II 2000, 527.

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Bilanzierung der Wertpapierleihe

Auffassung trotz des gesetzlichen Beschränkung auf Kreditinstitute als allgemeine GoB von allen Kaufleuten zu beachten seien27. Nach diesen Regelungen zu echten Pensionsgeschäften geht das wirtschaftliche Eigentum an dem in Pension gegebenen Wirtschaftsgut nicht auf den Pensionsnehmer über, so dass das Wirtschaftsgut weiterhin beim Pensionsgeber zu bilanzieren ist. Dies widerspricht der Behandlung bei der Wertpapierleihe, obwohl die Vereinbarungen weitgehend übereinstimmen. Der zentrale Unterschied zwischen echten Pensionsgeschäften und einer nicht mit Geld besicherten Wertpapierleihe liegt darin, dass der Darlehensgeber bei der Wertpapierleihe für die Übereignung des Wirtschaftsguts keinen Kaufpreis erhält und somit neben den Chancen und Risiken der Wertänderungen zusätzlich noch das Bonitätsrisiko des Darlehensnehmers trägt. In beiden Fällen trägt der rechtliche Eigentümer die Gefahr des zufälligen Untergangs des Wirtschaftsguts. Ob allein das zusätzliche Bonitätsrisiko den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums rechtfertigen kann, ist die weiter unten zu untersuchende Frage. b) Gesamtbild der Verhältnisse bei Wertpapierleihen und echten Pensionsgeschäften Für die Fälle der Veräußerung und Vereinbarung von Rückerwerbsrechten bzw. Rückerwerbspflichten ist dann neben dem Übergang des zivilrechtlichen Eigentums von einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auszugehen, wenn der Erwerber zivilrechtlicher Eigentümer wird und neben dem Besitz und Nutzungsrecht vor allem das Risiko des zufälligen Untergangs trägt. Bleibt dagegen das Risiko des zufälligen Untergangs beim Veräußerer, scheint ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums trotz der Verfügungsmöglichkeit des rechtlichen Eigentümers nicht den wirtschaftlichen Gegebenheiten zu entsprechen. Denn bei schon zum Zeitpunkt der Veräußerung vereinbarten Rückkaufskonditionen und beim Veräußerer verbleibender Sachgefahr treffen den Veräußerer auch für den Zeitraum, in dem der Erwerber rechtlicher Eigentümer ist, wirtschaftlich alle Verfügungen durch den neuen rechtlichen Eigentümer. Das Wirtschaftsgut ist daher dann weiterhin beim Veräußerer zu bilanzieren. Nach dieser Auffassung würde bei echten Pensionsgeschäften das wirtschaftliche Eigentum auf den Pensionsnehmer übergehen, da dieser auch die Gefahr des zufälligen Untergangs des Pensionsgutes trägt. Dieses Ergebnis widerspricht allerdings der Vorschrift des § 340b HGB, die nach überwiegender Auffassung28 als lex specialis den allgemeinen Vorschriften über das wirtschaftliche Eigentum vorgeht.

__________ 27 Vgl. ADS, § 246 HGB, Tz. 336, vgl. auch Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 5 Rz. 270 (Pensionsgeschäfte) gegen früher BFH, Beschl. v. 29. 11. 1982, GS1/81, BStBl. II 1983, 272. 28 A. a. O., Fn. 27.

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Wilhelm Haarmann

Bei der nicht mit Geld versicherten Wertpapierleihe trägt der Darlehensgeber im Vergleich zum echten Pensionsgeschäft neben dem Wertänderungsrisiko des Wirtschaftsguts auch das Bonitätsrisiko des Darlehensnehmers. Dieser Unterschied unterstützt zusätzlich eine von den Regelungen des § 340b HGB abweichende Bilanzierung des verliehenen Wertpapiers beim Darlehensnehmer und nicht mehr beim Darlehensgeber. Durch den Ausweis der Rückübertragungsforderung an Stelle des verliehenen Wertpapiers wird auch bilanziell deutlich, dass der (Rück-)Übereignungsanspruch noch dem Risiko mangelnder Bonität des Darlehensnehmers ausgesetzt ist. Ist die Rückübertragungsforderung jedoch durch eine Geldsicherheit gesichert, ist eine unterschiedliche Behandlung im Vergleich zu echten Pensionsgeschäften aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr gerechtfertigt29. Eine Rechtfertigung kann dann nur noch in formalen zivilrechtlichen Unterschieden liegen: Bei der Wertpapierleihe handelt es sich um ein Sachdarlehen, während Pensionsgeschäfte zwar einheitlich vereinbarte Rechtsgeschäfte, aber dennoch jeweils Kaufverträge darstellen. Eine Bilanzierung des Wirtschaftsguts beim Darlehens- bzw. Pensionsgeber beinhaltet die Gefahr der Doppelbilanzierung für den Fall, dass der Darlehens- bzw. Pensionsnehmer von seinem Recht zur Weiterveräußerung Gebrauch macht30. Dies wird als Argument dafür genannt, dass auch bei echten Pensionsgeschäften ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums angenommen werden sollte. Diese Doppelbilanzierung ist jedoch lediglich zeitlich befristet: Denn spätestens zur Erfüllung seiner Rückübertragungsverpflichtung muss der Darlehnsbzw. Pensionsnehmer sich wieder das oder bei Gattungsschulden zumindest ein vergleichbares Wirtschaftsgut beschaffen und dieses an den Darlehensbzw. Pensionsgeber zurückübertragen. Spätestens mit dieser Rückübertragung, die zur einer Ausbuchung des zur Erfüllung der Rückübertragungsverpflichtung angeschafften Wirtschaftsguts beim Darlehens- bzw. Pensionsnehmer führt, ohne dass es beim Darlehens- bzw. Pensionsgeber zu einer Einbuchung kommen kann, endet die Doppelbilanzierung. Dies spricht auch dafür, in jedem Fall nur bei einem gesicherten Rückerwerb vom Übergang des wirtschaftlichen Eigentums abzusehen. Das Argument der Doppelbilanzierung ist daher nicht überzeugend, einen Übergang des wirtschaftlichen Eigentums zu propagieren. Die Ansichten zur Bilanzierung bei einem zeitgleich vereinbarten Kauf und Verkauf von Aktien scheinen auch innerhalb des Bundesfinanzhofs noch nicht einheitlich zu sein. So hat der XI. Senat31 im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde die bilanzsteuerliche Behandlung eines zeitgleichen

__________ 29 Vgl. ADS, § 246 HGB, Tz. 356. 30 Vgl. z. B. Häuselmann/Wagner, FR 2003, 331 (335). 31 Vgl. BFH, Beschl. v. 14. 1. 2004, XI B 137/02, BFH/NV 2004, 638.

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Bilanzierung der Wertpapierleihe

Verkaufs und Rückkaufs von Aktien als klärungsbedürftig angesehen und die Revision zugelassen, während der I.32 und III. Senat33 die Frage als geklärt ansehen und eine Revision daher verwehren. Die letzten Senate gehen jedenfalls dann von einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums aus, wenn kein echtes Pensionsgeschäft vorliegt. Zu den echten Pensionsgeschäften i. S. d. § 340b HGB nehmen sie nicht Stellung. Der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums ist nur dann angezeigt, wenn der rechtliche Eigentümer neben der Verfügungsmacht auch die Sachgefahr, also die Gefahr des zufälligen Untergangs, trägt. Im Ergebnis sollte eine vom rechtlichen Eigentum abweichende Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums im Fall einer Rückerwerbsvereinbarung nur dann erfolgen, wenn der rechtliche Eigentümer nicht die Sachgefahr, also das Risiko des zufälligen Untergangs trägt. Denn in diesen Fällen ist das rechtliche Eigentum sowie die damit verbundene Verfügungsmöglichkeit über das Wirtschaftsgut rein formaler Natur, da alle wirtschaftlichen Folgen dieser Verfügungen den bisherigen rechtlichen Eigentümer treffen. Die für echte Pensionsgeschäfte zu § 340b HGB abweichend von dem Vorstehenden getroffene Regelung greift jedenfalls dann nicht ein, wenn dem Darlehensgeber noch das Bonitätsrisiko hinsichtlich der zurückzuübertragenden Wertpapiere trifft. Bei einer unbesicherten Wertpapierleihe geht das wirtschaftliche Eigentum auf jeden Fall auf den Entleiher über. Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob man der überwiegenden Meinung, die in § 340b HGB die Wiedergabe von GoB sieht, zustimmen kann. Da sich die Vorschrift in einer Spezialnorm wiederfindet, und der BFH noch 1982 anderer Auffassung war, spricht viel gegen die Annahme von GoB. Würde man in § 340b HGB keine GoB erblicken, spricht nach wie vor aus den o. a. allgemeinen Erwägungen viel dafür, bei echten Pensionsgeschäften und bei versicherten Wertpapierleihen den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf den Pensionsnehmer bzw. Entleiher anzunehmen. 2. Das Realisationsprinzip als Sicherheitsniveau für ausschüttungsfähige Vermögensmehrungen Während das wirtschaftliche Eigentum eine Frage des Ansatzes von Wirtschaftsgütern betrifft, ist die Frage der Gewinnrealisierung der Bewertungsebene zuzurechnen. Auch wenn es Wechselwirkungen zwischen Ansatzund Bewertungsfragen gibt, sollten beide Fragen grundsätzlich getrennt betrachtet und nicht miteinander vermengt werden. Bei der Frage der Gewinnrealisierung steht die Frage im Mittelpunkt, ob die Wertsteigerung des Wirtschaftsguts durch den Verkauf als mit ausreichender

__________ 32 Vgl. BFH, Beschl. v. 27. 8. 2003, I B 186/02, BFH/NV 2003, 1581. 33 Vgl. BFH, Beschl. v. 30. 7. 2002, III B 50/01, BFH/NV 2003, 55.

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Sicherheit realisiert anzusehen ist. Diese Fragestellung ergibt sich aus dem allgemeinen Vorsichtsprinzip, welches vorwiegend dem Schutze der Gesellschaftsgläubiger dient und in Form des Realisationsprinzips nur „realisierte“ Gewinne im Jahresabschluss ausweisen und zur Ausschüttung an Fiskus und Gesellschafter freigeben will. Im Regelfall der auf die endgültige Vermögensübertragung ausgerichteten Vorgänge wie der Veräußerung steht der Zeitpunkt der Realisation im Mittelpunkt der Diskussion. So wird bei der Veräußerung der Zeitpunkt der Lieferung und des damit verbundenen Gefahrenübergangs als Realisationszeitpunkt definiert, da dann lediglich noch das Bonitätsrisiko des Erwerbers die Vereinnahmung des Erlöses gefährdet34. Im Gegensatz dazu ist bei Veräußerungen mit Rückkaufsvereinbarungen zunächst zu klären, ob überhaupt ein Realisationsvorgang gegeben ist. Bei Veräußerungen mit Rückkaufsvereinbarungen ist die entscheidende Frage für die Gewinnrealisierung, ob die vereinbarten Preise einer Marktkontrolle unterlagen oder nicht. Bei klassischen Kaufverträgen zwischen fremden Dritten sorgen die natürlichen Interessengegensätze für einen marktgerechten Preis. Bei zeitgleich abgeschlossenen Kauf- und Rückkaufverträgen unterliegen die vereinbarten Preise keiner derartigen Kontrolle. Dies gilt sowohl für nicht abnutzbare als auch für abnutzbare Wirtschaftsgüter. Bei letzteren ist der Rückkaufspreis niedriger und die Differenz zwischen Verkaufsund Rückkaufspreis reflektiert den Preis, den der Erwerber für die Nutzung des Wirtschaftsguts bis zum Rückerwerb zu zahlen bereit ist. Eine Marktkontrolle des Verkaufs- und Rückkaufspreises findet dadurch jedoch ebenfalls nicht statt. Diese Überlegungen sprechen dafür, bei Kauf- und Rückkaufverträgen unabhängig von der Frage des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums wegen fehlender Marktkontrolle auf eine Realisierung der stillen Reserven zu verzichten. Dies gilt zumindest in den Fällen, in denen der Rückkauf zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer der Wirtschaftsgüter zum größeren Teil noch nicht abgelaufen ist und die zurückzuübertragenen Wirtschaftsgüter noch einen wirtschaftlichen Wert darstellen. Weiterhin muss die Wahrscheinlichkeit, dass es zur Rückübertragung kommt, sehr hoch sein. 3. Das Verhältnis von Übergang des wirtschaftlichen Eigentums und Gewinnrealisierung Auch wenn in vielen Fällen ein Wechsel des rechtlichen Eigentums auch zu einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums führt und zugleich eine Gewinnrealisierung auslöst, ist dies nicht zwingend. Wie oben gezeigt wur-

__________ 34 Vgl. Hense/Geißle in Beck’scher Bilanzkommentar, 5. Aufl. 2003, § 252, Rz. 45.

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Bilanzierung der Wertpapierleihe

de, handelt es sich um Fragestellungen aus verschiedenen Gebieten mit unterschiedlichen Kriterien. Für den Standardfall der einfachen Veräußerung von Wirtschaftsgütern an fremde Dritte mit Einigung und Übergabe fallen der Übergang des rechtlichen und wirtschaftlichen Eigentums mit der Gewinnrealisierung beim Veräußerer zusammen. Wird im Rahmen der Veräußerung zugleich der Rückkauf des Wirtschaftsguts vereinbart und trägt der Erwerber nicht einmal die Gefahr des zufälligen Untergangs während des Zeitraums seines rechtlichen Eigentums, kann von einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums regelmäßig nicht ausgegangen werden. Das Wirtschaftsgut ist weiterhin beim Veräußerer zu bilanzieren. Das IDW in seinem Entwurf scheint in diesen Fällen zwingend davon auszugehen, dass eine Gewinnrealisierung nicht in Frage kommt. Unter dem Gesichtspunkt, ob sich die Wertsteigerung mit einer ausreichenden Sicherheit konkretisiert hat, ist es jedoch theoretisch durchaus vorstellbar, dass eine Gewinnrealisierung durch Verkauf und Rückkauf auch dann angenommen werden kann, wenn es wegen der fehlenden Risikotragung des Erwerbers nicht zu einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums kommt. Dies setzt jedoch voraus, dass die der Veräußerung und dem Rückerwerb zugrunde gelegten Preise einer Marktkontrolle unterliegen. Dies dürfte bei dem dargestellten kurzfristigen Rückerwerb nur vorstellbar sein, wenn die Veräußerung über die Börse abgewickelt wird oder zumindest Börsenpreise zugrunde gelegt werden und dass es sich um ein im Vergleich zum durchschnittlichen Handelsvolumen geringes Volumen handelt. Der Fall ist allerdings so theoretisch, dass man ihn für die Praxis vernachlässigen kann. Eher vorstellbar sind bei Rückerwerbsvereinbarungen dagegen Konstellationen, in denen ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums vorliegt, es jedoch nicht zu einer Gewinnrealisierung kommt. Erhält der Erwerber für einen längeren Zeitraum die Verfügungsmacht über das Wirtschaftsgut und trägt er während dieser Zeit das Risiko des zufälligen Untergangs, wird er wirtschaftlicher Eigentümer. Unterliegt der Verkaufs- und Rückkaufspreis jedoch keiner Marktkontrolle, kann nicht von einer Realisierung der stillen Reserven ausgegangen werden. In diesen Fällen wird zwar das Wirtschaftsgut beim bisherigen Eigentümer ausgebucht, aufgrund der für den Verkauf und Rückkauf fehlenden Marktkontrolle kommt es aber zu keiner Gewinnrealisierung. Die Ausbuchung führt zu einer Bilanzverlängerung um den Betrag, um den der Veräußerungspreis den Buchwert überschreitet. Dieser Mehrbetrag ist erfolgsneutral zu erfassen, indem auf der Passivseite eine entsprechende Position „Verpflichtung aus Rückerwerbspflicht“ zu buchen ist. Zum Zeitpunkt des Rückerwerbs kommt es zu einer entsprechenden Rückabwicklung der Buchung. Ist der Preis des Rückerwerbs entsprechend niedriger, ist die Differenz zum Zeitpunkt des Rückerwerbs ertragswirksam zu erfassen. 243

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Die möglichen Kombinationen von Übergang des wirtschaftlichen Eigentums und Gewinnrealisierung zeigt folgende Übersicht: Übergang wirtschaftlichen Eigentums

Kein Übergang wirtschaftlichen Eigentums

Gewinnrealisierung

Lieferung auf Grundlage eines Kaufvertrags ohne Nebenbestimmungen

Verkauf mit Rückkauf; Sachgefahr beim bisherigen Eigentümer; Verkaufs- und Rückkaufspreis unterliegen einer Marktkontrolle. (Fall sehr theoretisch)

Keine Gewinnrealisierung

Rechtlicher Eigentümer trägt auch Sachgefahr; Rückkauf fest vereinbart ohne Marktkontrolle der Preise; Wertpapierleihe (h. M.)

Sachgefahr beim bisherigen rechtlichen Eigentümer; keine Marktkontrolle des Preises; Echte Pensionsgeschäfte (h. M.);

IV. Übergang des wirtschaftlichen Eigentums ohne Gewinnrealisierung – häufiger als gedacht Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nicht zwingend zur Gewinnrealisierung führt und umgekehrt. Im heutigen Wirtschaftsleben haben sich vielfältige Transaktionen entwickelt, die zwar einerseits einen Wechsel des rechtlichen und häufig auch wirtschaftlichen Eigentums bewirken, bei denen die Erfassung einer Gewinnrealisierung wegen fehlender Marktkontrolle der Preise aber unangemessen erscheint. Im Ergebnis ist die herrschende Meinung bei der Wertpapierleihe, die einen Übergang des wirtschaftlichen Eigentums ohne Gewinnrealisierung vorsieht, auch in vielen anderen Fällen als gerechtfertigt anzusehen. Der Titel des Beitrags ist aber dennoch vielleicht etwas zu euphorisch gewählt. Auch wenn ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums ohne Gewinnrealisierung sich nicht als die äußerst seltene Ausnahme darstellt, die fehlende Gewinnrealisierung stellt nicht den Regelfall bei Übergang des wirtschaftlichen Eigentums dar. Auch lässt es sich aus den bisherigen Überlegungen nicht rechtfertigen, die Gewinnrealisierung bei der Übertragung von Wirtschaftsgütern innerhalb eines Konzerns im Rahmen von Umstrukturierungen wegen fehlender Marktkontrolle auch ohne spezielle Vorschriften schon grundsätzlich zu verneinen. Dabei geht zwar ebenfalls regelmäßig das rechtliche und wirtschaftliche Eigentum über und eine Marktkontrolle unterbleibt. Es ist jedoch zu beachten, dass sich dabei die Person des Steuerpflichtigen ändert. Bei der Wertpapierleihe wird der ursprüngliche Eigentümer nach Ablauf der Leih244

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frist wieder Eigentümer des Wirtschaftsguts und damit auch Berechtigter an den stillen Reserven/Lasten des Wirtschaftsguts. Gehen dagegen die stillen Reserven des Wirtschaftsguts dauerhaft auf andere Steuersubjekte über, so ist – zumindest solange die wirtschaftliche Einheit des Konzern für die Einzelabschlüsse handelsrechtlich verneint und damit auch steuerlich negiert wird – regelmäßig auch dann eine Gewinnrealisierung auf der Basis geschätzter Verkehrswerte notwendig, wenn eine Marktkontrolle der Transaktionspreise nicht gegeben ist. Hier muss mit der Schätzung des Verkehrswerts die Objektivierung der Preise durch Marktkontrolle zugunsten des Subjektprinzips (Erfassung des Vermögens des Kaufmanns) zurücktreten.

V. Zusammenfassung Die Bilanzierung der Wertpapierleihe ist ein seltenes Beispiel, in dem nach der herrschenden Auffassung ein Wechsel des wirtschaftlichen Eigentums nicht zu einer Gewinnrealisierung führt. In Anbetracht dessen sollte die herrschende Auffassung hinterfragt werden, wonach ein Wechsel des wirtschaftlichen Eigentums automatisch zur Gewinnrealisierung führt. Der Wechsel des wirtschaftlichen Eigentums und die Gewinnrealisierung betreffen verschiedene Fragestellungen aus dem Bereich der Ansatzvorschriften und der Bewertungsvorschriften und sind anhand unterschiedlicher Kriterien zu lösen. Insbesondere bei Veräußerungen mit zeitgleichem Abschluss von Rückerwerbsverträgen muss immer dann von einem Übergang nicht nur des rechtlichen, sondern auch des wirtschaftlichen Eigentums ausgegangen werden, wenn der rechtliche Eigentümer neben der tatsächlichen Verfügungsmacht über das Wirtschaftsgut auch die Gefahr des zufälligen Untergangs trägt. Dennoch ist eine Gewinnrealisierung oft wegen einer fehlenden Marktkontrolle der vereinbarten Preise nicht angezeigt. Die beiden Fragestellungen sind daher getrennt voneinander zu beurteilen. In dem heutigen komplexen Wirtschaftsleben sind alle möglichen Verbindungen von Übergang des wirtschaftlichen Eigentums und Gewinnrealisierung denkbar. Ein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums ohne Gewinnrealisierung ist zwar häufiger anzutreffen als es die „Ausnahmeregelung“ zur Wertpapierleihe vermuten lässt, ist aber natürlich nicht die Regel. Eine fehlende Marktkontrolle der Veräußerungspreise ist zwischen fremden Dritten regelmäßig dann gegeben, wenn sich aufgrund der gleichzeitigen Vereinbarung von Verkaufs- und Rückkaufsgeschäft die Interessengegensätze zwischen den Vertragsparteien hinsichtlich des Preises kaum auswirken. Der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums führt nicht zwangsläufig zu einer Gewinnrealisierung der stillen Reserven.

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Die Aktivierung der Anschaffungskosten der Spielerlaubnis in der Fußball-Bundesliga Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Satzungsrechtliche Regelungen, die der Erteilung der Spielerlaubnis zugrunde liegen 1. Satzungsregelungen des DFB 2. Satzungsregelungen des Ligaverbands III. Ist die Spielerlaubnis ein Wirtschaftsgut/Vermögensgegenstand des Anlagevermögens? 1. Rechtsentwicklung a) Regelung nach dem Erlaß des FinMin NRW vom 26. 7. 1974 b) Entscheidungen des Bundesfinanzhofs vom 13. 5. 1987 und 26. 8. 1992 c) Auswirkung des „Bosman“Urteils des EuGH vom 15. 12. 1995 und des „Kienass“Urteils des BAG vom 20. 11. 1996 2. Voraussetzungen der Aktivierung nach heutiger Sach- und Rechtslage a) Grundsätzliche Regelung b) Inhaber der Spielerlaubnis aa) Auffassung der Rechtsprechung, der Finanzverwaltung und des Fachschrifttums bb) Regelungen des Ligaverbands

cc) Spielerlaubnis für Amateurspieler, Vertragsspieler und Junioren, auch in der Vergangenheit dd) Grund für die Erteilung der Spielerlaubnis an den Spieler c) Rechtslage bei Erteilung der Spielerlaubnis an den Spieler d) Rechtslage bei der Annahme, daß die Spielerlaubnis dem Verein erteilt wurde aa) Vorbemerkung bb) Spielerlaubnis kein ähnliches Recht und kein ähnlicher Wert i. S. d. § 266 Abs. 2 A. I Nr. 1 HGB cc) Verkehrsfähigkeit der Spielerlaubnis dd) Selbständige Bewertbarkeit der Spielerlaubnis ee) Entgeltlicher Erwerb der Spielerlaubnis IV. Zahlungen zum Zwecke der vorzeitigen Vertragsbeendigung kein Posten der aktiven Rechnungsabgrenzung V. Zusammenfassung und Schlußbemerkung

I. Einleitung Der Deutsche Fußball-Bund (DFB), ein eingetragener Verein, betrieb seit 1963 die Vereinseinrichtung „Bundesliga“ als zentrale Fußball-Spielklasse. Einzelheiten – insbesondere die sog. „Spielerlaubnis“ – waren zunächst im Bundesligastatut (BLSt) und später im Lizenzspielerstatut (LSpSt) geregelt. Heute ist Betreiber der Bundesliga der Ligaverband, ebenfalls ein eingetragener Verein. Gegenstand der hier zu erörternden Frage, ob die Spielerlaubnis ein Wirtschaftsgut der den Fußballsport betreibenden Körperschaft ist, soll grund247

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sätzlich nur die heutige Sach- und Rechtslage sein. Auf die früher geltenden Rechtsvorschriften wird nur eingegangen, soweit sie für das Verständnis der heute geltenden Rechtslage von Bedeutung sind. Dabei ist zunächst die Frage zu prüfen, ob die Spielerlaubnis nach den Satzungsregelungen und Ordnungen dem Spieler oder der Körperschaft, mit der der Spieler einen Arbeitsvertrag hat, erteilt wird.

II. Satzungsrechtliche Regelungen, die der Erteilung der Spielerlaubnis zugrunde liegen 1. Satzungsregelungen des DFB Der DFB ist gem. § 1 seiner Satzung „die Vereinigung der Landesverbände, Regionalverbände und des Ligaverbands, in denen Fußballsport betrieben wird“. Gem. § 16 Abs. 1 DFB-Satzung ist der „Ligaverband der Zusammenschluß der lizenzierten Vereine und Kapitalgesellschaften der Bundesliga und der 2. Bundesliga“. 2. Satzungsregelungen des Ligaverbands Zweck und Aufgabe des Ligaverbands ist es, u. a. die ihm vom DFB zur Nutzung überlassenen Vereinseinrichtungen Bundesliga und 2. Bundesliga zu betreiben, in Wettbewerben den Deutschen Fußballmeister des DFB, die Aufsteiger und Absteiger sowie die Teilnehmer an den internationalen Wettbewerben zu ermitteln (§ 4 Nr. 1 a) und b) der Satzung des Ligaverbands). Eine weitere für das Erörterungsthema wesentliche Aufgabe des Ligaverbands ist gem. § 4 Nr. 1 c) und d) der Satzung des Ligaverbands die Erteilung –

der „Lizenzen an Vereine und ihre Kapitalgesellschaften nach den im Einzelnen im Ligastatut geregelten Kriterien“ und



der „Lizenzen an Spieler nach im Einzelnen im Ligastatut geregelten Kriterien …“.

Nach § 8 Satzung des Ligaverbands können Teilnehmer an der Bundesliga und der 2. Bundesliga nicht nur eingetragene Vereine, sondern – unter bestimmten Voraussetzungen – auch Kapitalgesellschaften sein. Im Folgenden wird aus Vereinfachungsgründen nur von „Vereinen“ gesprochen; gemeint sind in diesem Falle aber nicht nur Vereine, sondern auch Kapitalgesellschaften. Gemäß § 19 seiner Satzung hat der Ligaverband die von ihm gegründete DFL Deutsche Fußball Liga GmbH mit der Geschäftsführung beauftragt. Das Statut des Ligaverbands besteht u. a. aus der Lizenzierungsordnung (LO), der Lizenzordnung Spieler (LOS) und der Spielordnung des Ligaverbands (SpOL). 248

Anschaffungskosten der Spielerlaubnis in der Fußball-Bundesliga

Die LO behandelt die Voraussetzungen für die Erteilung der Lizenzen an die Vereine. Die Lizenz ist die höchstpersönliche Berechtigung des Lizenznehmers zur Nutzung der Vereinseinrichtungen Bundesliga oder 2. Bundesliga und ist nicht übertragbar (§ 1 Nr. 1 LO). Sie wird jeweils für die Dauer eines Spieljahres erteilt (§ 1 Nr. 4 LO sowie § 4 Abs. 1 des Vertrags zwischen Ligaverband und Verein gemäß Anhang zur LO). Die LOS „regelt die Kriterien für die Erteilung von Lizenzen an Spieler von lizenzierten Vereinen …“ (Präambel der LOS). Der Spieler erhält die Lizenz durch einen Vertrag mit dem Ligaverband (§ 1 Abs. 1 Satz 1 LOS). Die LOS behandelt in den §§ 13 ff. die Erteilung der Spielerlaubnis für Spieler in Lizenzmannschaften. Die Spielerlaubnis des Spielers erlischt nach § 13 Nr. 5 LOS mit dem Tag der Beendigung des Arbeitsvertrags mit dem Verein.

III. Ist die Spielerlaubnis ein Wirtschaftsgut/Vermögensgegenstand des Anlagevermögens? 1. Rechtsentwicklung a) Regelung nach dem Erlaß des FinMin NRW vom 26. 7. 1974 Mit Erlaß des FinMin NRW1 – es handelte sich um eine einheitliche Regelung aller Länder – wurden die Finanzämter angewiesen, Ablöseentschädigungen gem. § 28 BLSt in der damals geltenden Fassung steuerrechtlich als Anschaffungskosten eines abnutzbaren immateriellen Wirtschaftsguts des Anlagevermögens zu behandeln. Diese Auffassung wurde damit begründet, daß nach § 28 BLSt der Bundesliga-Verein, der einen Spieler eines anderen Vereins unter Vertrag nehme, zur Zahlung einer Ablöseentschädigung verpflichtet sei. Die AfA nach § 7 EStG sollte sich grundsätzlich nach der Laufzeit des Vertrags mit dem neuen Spieler richten; bei jüngeren Spielern sollte für die Höhe der jährlichen AfA mindestens der Zeitraum zwischen Vertragsbeginn und der Vollendung des 29. Lebensjahrs des Spielers maßgebend sein. Die Auffassung der FinMin, daß die Ablöseentschädigung zu aktivieren sei, wurde im Schrifttum kritisiert2. Nach § 25 Nr. 2 b) BLSt in der seinerzeit geltenden Fassung wurde die Spielerlaubnis für einen neu unter Vertrag genommenen Spieler nur erteilt, „wenn der abgebende Verein eine Vereinbarung über die Transfersumme schriftlich bestätigt“. Diese Voraussetzung für die Erteilung der Spielerlaubnis galt ab Spieljahr 1980/81 nicht mehr. Jedoch blieb die grundsätzliche Verpflichtung zur Zahlung einer Ablöseentschädigung (Transferentschädigung) erhalten.

__________ 1 2

FinMin NRW v. 26. 7. 1974, DB 1974, 2085. Z. B. Ströfer, BB 1982, 1087.

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b) Entscheidungen des Bundesfinanzhofs vom 13. 5. 1987 und 26. 8. 1992 Der BFH hat durch Beschluß3 gem. § 69 Abs. 3 AO die Aussetzung der Vollziehung angeordnet, weil ernstlich zweifelhaft sei, daß mit der Zahlung der Transferentschädigung beim Wechsel eines Spielers zu einem anderen Verein ein immaterielles Wirtschaftsgut entgeltlich erworben werde. In diesem Beschluß heißt es u. a.: „Nach den den sog. Spieler-Transfer regelnden Bestimmungen des DFB erwirbt der aufnehmende Verein durch die Zahlung der Transfer-Entschädigung nicht entgeltlich ein immaterielles Wirtschaftsgut; vielmehr beruht die Verpflichtung zur Zahlung der Transfer-Entschädigung auf der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 29 LSpSt. Nach § 29 LSpSt entsteht die Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung mit dem Abschluß des Anstellungsvertrages zwischen dem aufnehmenden Verein und dem Lizenzspieler. Die Zahlungspflicht ist solchermaßen nicht Gegenleistungspflicht für eine von dem abgebenden Verein geschuldete oder erbrachte Leistung.“

In dem die vorbezeichnete Sache betreffenden Hauptsacheverfahren hat der BFH4 entschieden: „Transferentschädigungen, die nach den Vorschriften des Lizenzspielerstatuts des Deutschen Fußballbundes bei dem Wechsel eines Spielers von einem Verein der Fußball-Bundesliga zu einem anderen Verein gezahlt werden, sind Anschaffungskosten der Spielerlaubnis.“

Zur Begründung wird in dem Urteil5 u. a. ausgeführt: Die zu zahlende Transferentschädigung sei entgeltlich erworben; sie sei im Sinne von § 255 Abs. 1 HGB durch den Erwerb der Spielerlaubnis veranlaßt; die Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung entstehe bereits mit Abschluß des Arbeitsvertrags zwischen dem aufnehmenden Verein und dem Spieler und damit zeitlich vor der Erteilung der Spielerlaubnis; dennoch bestehe zwischen der Entstehung der Transferverbindlichkeit und der Erteilung der Spielerlaubnis ein enger Veranlassungszusammenhang. c) Auswirkung des „Bosman“-Urteils des EuGH vom 15. 12. 1995 und des „Kienass“-Urteils des BAG vom 20. 11. 1996 Der EuGH hat durch Urteil6 im sog. Fall „Bosman“ u. a. entschieden: „Art. 48 EWGV steht der Anwendung von durch Sportverbände aufgestellten Regeln entgegen, nach denen ein Berufsfußballspieler, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, bei Ablauf des Vertrags, der ihn an einen Verein bindet, nur dann von einem Verein eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt werden kann, wenn dieser dem bisherigen Verein eine Transfer-, Ausbildungs- oder Förderungsentschädigung gezahlt hat.“

__________ 3 4 5 6

BFH v. 13. 5. 1987, BStBl II 1987, 777. BFH v. 26. 8. 1992, BStBl 1992, 977. S. Fn. 4, Abschnitt II B Ziffer 6. Buchst. b. EuGH v. 15. 12. 1995, NJW 1996, 505.

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Anschaffungskosten der Spielerlaubnis in der Fußball-Bundesliga

Das BAG7 hat im sog. Falle „Kienass“ in einer den Eishockey-Sport betreffenden Sache wie folgt entschieden: „Die Regelung in Art. 59 der Spielordnung des Deutschen Eishockey Bundes …, wonach beim Vereinswechsel eines Ligenspielers der abgebende Verein vom aufnehmenden Verein eine Entschädigung … zu beanspruchen hat (Transferentschädigung), ist wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 BGB, Art. 12 Abs. 1 GG) nichtig, soweit danach eine Entschädigung auch dann verlangt werden kann, wenn das Arbeitsverhältnis bei dem abgebenden Verein bereits beendet war.“

Die beiden vorgenannten Urteile hatten zur Folge, daß die seinerzeit in § 30 LSpSt enthaltene Regelung, nach der beim Wechsel eines Lizenzspielers zu einem anderen Verein der abgebende Verein eine Transferentschädigung an den aufnehmenden Verein zu zahlen hatte, aufgehoben wurde. Von diesem Zeitpunkt an waren also Transferentschädigungen nicht mehr zu zahlen. Nach dieser Änderung des LSpSt kam es beim Vereinswechsel eines Spielers nur noch zu Zahlungen des aufnehmenden Vereins an den abgebenden Verein, wenn der Arbeitsvertrag mit dem abgebenden Verein z. Zt. des Wechsels noch nicht abgelaufen war und die beiden Vereine durch Vertrag vereinbarten, daß der abgebende Verein den noch bestehenden Arbeitsvertrag vorzeitig aufzulösen hatte und daß der aufnehmende Verein als Gegenleistung einen bestimmten Geldbetrag zahlen mußte. Die FinVerw8 hat sich unter Bezugnahme auf die BFH-Rspr.9 auf den Standpunkt gestellt, daß diese Geldleistung zu aktivieren sei und dies damit begründet, daß die „Spielerlaubnisse nach Maßgabe des Lizenzspielerstatuts des Deutschen Fußball-Bundes“ entgeltlich erworbene immaterielle Wirtschaftsgüter seien. 2. Voraussetzungen der Aktivierung nach heutiger Sach- und Rechtslage a) Grundsätzliche Regelung Für die steuerliche Gewinnermittlung der gem. § 1 KStG körperschaftsteuerpflichtigen Körperschaften sind nach § 8 Abs. 1 und 2 KStG die Vorschriften des EStG maßgebend. Danach kann die Spielerlaubnis nach § 5 Abs. 2 EStG nur als Aktivposten bilanziert werden, wenn sie ein dem Verein zustehendes immaterielles Wirtschaftsgut ist und entgeltlich erworben wurde. Entsprechendes gilt nach Handelsrecht gem. § 248 Abs. 2 HGB. Das HGB verwendet nicht den Begriff „Wirtschaftsgut“, sondern spricht vom „Vermögensgegenstand“ (so in § 248 Abs. 2 HGB und § 266 Abs. 2 A I HGB). Die Begriffe „Wirtschaftsgut“ im Steuerrecht und „Vermögensgegenstand“ im HGB stimmen inhaltlich überein10.

__________ 7 8 9 10

BAG v. 20. 11. 1996, SpuRt 3/1997, 94. Zuletzt H 31 a (Immaterielle Wirtschaftsgüter) EStH 2003. S. Fn. 4. GrS des BFH v. 7. 8. 2000, BStBl II 2000, 632, 635.

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Diese Vorschriften gelten auch für Bundesligavereine in der Rechtsform eines e.V.11. Denn sie erfüllen die Voraussetzungen des § 1 HGB, weil sie ein Handelsgewerbe betreiben, das einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Sie sind deshalb zur Buchführung gem. den §§ 238 ff. HGB verpflichtet. b) Inhaber der Spielerlaubnis aa) Auffassung der Rechtsprechung, der Finanzverwaltung und des Fachschrifttums Ein immaterielles Wirtschaftsgut (immaterieller Vermögensgegenstand) kann nur von seinem Inhaber aktiviert werden. Es ist deshalb zu prüfen, ob der Verein oder der Spieler der Inhaber der Spielerlaubnis ist. Der BFH ist in seinem Urteil vom 26. 8. 199212 davon ausgegangen, daß die Spielerlaubnis dem Verein erteilt wird, ohne daß diese Frage in der Urteilsbegründung erörtert wurde. Dies ist offenbar darauf zurückzuführen, daß die Parteien im erstinstanzlichen Verfahren13 stillschweigend angenommen haben, die Spielerlaubnis werde dem Verein und nicht dem Spieler erteilt. Auch die Finanzverwaltung und das gesamte Fachschrifttum nehmen – soweit erkennbar – ohne weitere Prüfung an, daß Inhaber der früher vom DFB (heute vom Ligaverband) erteilten Spielerlaubnis der Verein sei. bb) Regelungen des Ligaverbands Zu den Arten und Trägern von Sportlizenzen führt Reichert14 u. a. zutreffend aus: „Sportverbände, die Mannschaftssportarten veranstalten, erteilen vor Beginn einer Wettkampfsaison Lizenzen (Erlaubnisse), die in der Regel befristet sind; als Lizenzen kommen in Betracht 1. die Vereinslizenz, die den Lizenzträger befugt, mit einer Sportmannschaft in einer Liga an sportlichen Veranstaltungen teilnehmen zu dürfen; 2. die Spielerlizenz, die den Spieler eines lizenzierten Vereins ermächtigt, zusammen mit anderen Spielern des Lizenzträgers an Wettkampfspielen teilnehmen zu können.“

Diesen Grundsätzen entsprechen sowohl die früheren Regelungen der Satzungen und Ordnungen des DFB und seiner ihm angeschlossenen Regionalund Landesverbände als auch die heute geltenden Regelungen des Ligaverbands (s. auch oben II. 2.).

__________ 11 12 13 14

Reichert, Handbuch Vereins- und Verbandsrecht, 10. Aufl. 2006, Rz. 56. S. Fn. 4. FG Düsseldorf v. 28. 11. 1990, EFG 1991, 521. Handbuch Vereins- und Verbandsrecht, 10. Aufl. 2006, Rz. 5469 f.

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Anschaffungskosten der Spielerlaubnis in der Fußball-Bundesliga

Der Ligaverband erteilt gem. den Bestimmungen in der LO dem Verein die Lizenz zur Teilnahme an den Fußball-Bundesligaspielen. Die LOS des Ligaverbands regelt in den §§ 1 bis 3 die Erteilung der Lizenzen der Spieler. § 1 Abs. 1 Satz 1 LOS lautet: „Der Spieler erhält die Lizenz durch einen Vertrag mit dem Ligaverband (s. Anhang).“ Dieser Vertrag regelt die Rechte und Pflichten des Spielers. Die Erteilung dieser Lizenz setzt nach § 2 Nr. 1 LOS voraus, daß der Spieler einen von ihm unterzeichneten Lizenzvertrag abschließt, dessen Wortlaut gem. Anhang I zur LOS vorgeschrieben ist. In § 1 Abs. 2 und Abs. 3 dieses Vertrags heißt es zur Spielberechtigung: „Nach Erfüllung der Voraussetzungen des § 2 der Lizenzordnung Spieler … erhält der Spieler durch diesen Vertrag … die Berechtigung, … insbesondere als Spieler bei einem Verein … der Lizenzliga an den Spielveranstaltungen teilzunehmen. Zur Ausübung der Berechtigung bedarf es einer gesonderten Spielerlaubnis durch die DFL Deutsche Fußball Liga GmbH gem. § 19 Nr. 2 der Satzung des Ligaverbands, § 13 der Lizenzordnung Spieler.“

Damit ist durch die Ordnungen des Ligaverbands und dem Lizenzvertrag zwischen Ligaverband und Spieler ausdrücklich geregelt, daß die Spielerlaubnis dem Spieler und nicht dem Verein erteilt wird und der Spieler Inhaber der Spielerlaubnis ist. Dies stimmt auch mit dem Wortlaut und den Formulierungen in anderen Vorschriften der LOS überein; so z. B. mit § 13 Nr. 5 („Die Spielerlaubnis des Spielers erlischt …“) und mit § 14 Nr. 1 Abs. 3 („Die Spielerlaubnis darf auch A-Junioren … erteilt werden“); in der Spielordnung des Ligaverbands (SpOL) heißt es in § 11 Nr. 1 zum Spielereinsatz in Lizenzmannschaften: „Zum Nachweis der Spielberechtigung führt der Ligaverband … eine Spielberechtigungsliste … Aus ihr muß erkennbar sein, ab welchem Zeitpunkt der einzelne Spieler … die Spielberechtigung besitzt.“

Satzungen und Ordnungen des Ligaverbands enthalten keine Formulierungen, die von einer dem Verein erteilten Spielerlaubnis oder Spielberechtigung sprechen. Ebenso ist in Entscheidungen der Sportgerichte des DFB von der Spielberechtigung des Spielers und nicht von der des Vereins die Rede15. Eine weitere Begründung dafür, daß die Spielerlaubnis nicht dem Verein erteilt wird, ergibt sich daraus, daß sie nach § 13 Nr. 5 LOS mit dem Tag der Beendigung des Arbeitsvertrags zwischen Spieler und Verein erlischt. Denn die dem Verein vom Ligaverband erteilte Lizenz zur Nutzung der Vereinseinrichtungen Bundesliga und 2. Bundesliga „ist befristet auf ein Spieljahr und erlischt ohne vorherige Ankündigung dieser Frist“ (§ 4 Abs. 1 Lizenzvertrag zwischen Verein und Ligaverband gem. Anhang zur LO); eben-

__________ 15 So z. B. Urteile v. 16. 10. 1968 und v. 7. 2. 1969; beide Handbuch des Sportrechts, Band 1 C Ziffer 13. Spiel- und Startberechtigung, S. 2 und 3.

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so § 1 Nr. 4 LO. Besteht diese Lizenz nicht mehr, müßte dies zwangsläufig das Erlöschen der dem Verein gemäß § 13 LOS erteilten Spielerlaubnis zur Folge haben. Die unterschiedliche Regelung des Zeitpunkts des Erlöschens der Vereinslizenz und der Spielerlaubnis zeigt, daß die Spielerlaubnis nicht dem Verein erteilt sein kann. Angesichts dieser eindeutigen Regelungen und Formulierungen in den einschlägigen Vorschriften kann nicht aus der Bestimmung des § 13 Nr. 1 LOS, nach der die Spielerlaubnis für einen Lizenzspieler von dem Verein zu beantragen ist, gefolgert werden, daß die Spielerlaubnis dem Verein zu erteilen sei. Der Grund für diese Regelung ist die Vereinfachung des Verfahrens, insbesondere bei notwendigen Rückfragen. cc) Spielerlaubnis für Amateurspieler, Vertragsspieler und Junioren, auch in der Vergangenheit Auch für Amateurspieler und Vertragsspieler i. S. d. § 8 Nr. 2 Spielordnung (SpO) des DFB ist die Spielerlaubnis dem Spieler zu erteilen und nicht dem Verein, dessen Mitglied der Spieler ist. Dies ergibt sich aus § 10 Nr. 1.1 SpO; nachgewiesen wird die Spielberechtigung durch Vorlage des Spielerpasses (§ 10 Nr. 2.1 SpO). Der Spielerpaß enthält u. a. Name und Geburtstag des Spielers, Angabe des Vereins, dessen Mitglied der Spieler ist, Passnummer, Zeitpunkt des Beginns der Spielberechtigung, Unterschrift des Spielers und eines Vereinsbeauftragten. Gleiches gilt für die Jugendspieler; § 3 Nr. 1 Jugendordnung des DFB bestimmt, daß dem Junior/der Juniorin in einem Spieljahr grundsätzlich nur für einen Verein die Spielerlaubnis erteilt werden darf. Entsprechende Regelungen galten auch schon in der Vergangenheit. So lautete z. B. § 4 Nr. 1 der SpO des DFB nach dem Rechtsstand vom 1. 7. 1975: „Spielberechtigt ist nur dasjenige Vereinsmitglied, das … eine Spielerlaubnis für seinen Verein erhalten hat. Frühester Tag der Spielberechtigung ist der Tag der Erteilung der Spielerlaubnis durch Ausstellung eines Spielerpasses.“ Für Jugendspieler bestimmte § 4 Jugendordnung – ebenfalls nach dem Stand vom 1. 7. 1975 –: „1. Für jeden Jugendspieler ist ein Spielerpaß mit Lichtbild auszustellen und von ihm unterschreiben zu lassen. 2. Dem Mannschaftsbetreuer steht das Recht zu, in die Spielerpässe des Spielgegners Einsicht zu nehmen.“ Der Spielerpaß enthielt den Hinweis, daß der Inhaber Mitglied des Vereins X sei und für diesen Verein die Spielberechtigung habe. Damit galt auch schon in der Vergangenheit, daß die Spielberechtigung (Spielerlaubnis) dem Spieler zustand. dd) Grund für die Erteilung der Spielerlaubnis an den Spieler Die heutige Regelung, daß die Spielerlaubnis dem Spieler und nicht dem Verein erteilt wird, ist vor allem historisch begründet. Wie dargestellt, war 254

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in der Vergangenheit durch das Passverfahren geregelt worden, für welchen Verein ein Spieler die Spielberechtigung (Spielerlaubnis) besaß. Durch dieses Verfahren wurde auf einfache und leicht nachprüfbare Weise geklärt, für welchen Verein der Spieler die (alleinige) Spielerlaubnis hatte. Ein Anlaß, diese bewährte Praxis zu ändern, bestand weder für den DFB bei Erlaß des BLSt und des LSpSt noch später für den Ligaverband beim Erlaß der LOS. c) Rechtslage bei Erteilung der Spielerlaubnis an den Spieler Wenn die Spielerlaubnis – wie unter III 2 b) dargestellt – dem Spieler erteilt wird, steht sie nicht dem Verein zu. Sie kann deshalb auch für den Verein kein aktivierungsfähiges Wirtschaftsgut i. S. d. EStG und kein Vermögensgegenstand i. S. d. HGB sein. Damit entfällt aus diesem Grunde eine Aktivierung nach § 5 Abs. 2 EStG und § 248 Abs. 2 HGB. Der Verein erwirbt jedoch aufgrund des mit dem Spieler abgeschlossenen Arbeitsvertrags und der dem Spieler gem. § 13 LOS dem Spieler erteilten Spielerlaubnis das Recht, den Spieler in den Spielen der Bundesligamannschaft einzusetzen. Dieses Recht ist kein dem Verein zustehendes Wirtschaftsgut i. S. d. Körperschaftsteuerrechts/Einkommensteuerrechts und kein Vermögensgegenstand i. S. d. HGB; es beruht allein auf dem zwischen Verein und Spieler abgeschlossenen Arbeitsvertrag. Schwebende Arbeitsverträge sind keine immateriellen Wirtschaftsgüter, sondern geschäftswertbildende Faktoren16. d) Rechtslage bei der Annahme, daß die Spielerlaubnis dem Verein erteilt wurde aa) Vorbemerkung Trotz der im Abschnitt III 2 b) dargestellten Sach- und Rechtslage gehen die Wirtschaftsprüfer in den Berichten über die Prüfung der Jahresabschlüsse der Bundesligavereine sowie die Finanzverwaltung17 unter Bezugnahme auf die BFH-Rspr.18 weiterhin davon aus, daß die Spielerlaubnis dem Verein erteilt wird und deshalb ein zu aktivierendes Wirtschaftsgut (aktivierender Vermögensgegenstand) vorliegt. Deshalb soll im folgenden – unterstellt, die Spielerlaubnis ist dem Verein und nicht dem Spieler erteilt – erörtert werden, ob sie ein immaterielles Wirtschaftsgut (immaterieller Vermögensgegenstand) und entgeltlich erworben ist.

__________ 16 BFH v. 7. 11. 1985, BStBl II 1986, 176; s. auch LS in DStR 1987, 764. 17 S. Fn. 8. 18 S. Fn. 4.

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bb) Spielerlaubnis kein ähnliches Recht und kein ähnlicher Wert i. S. d. § 266 Abs. 2 A. I Nr. 1 HGB Nach § 266 Abs. 2 A. I. Nr. 1 HGB sind immaterielle Vermögensgegenstände u. a. Konzessionen, gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte. Zu ähnlichen Rechten und Werten gehören z. B. die Erlaubnis zum Betreiben von Gaststätten nach dem Gaststättengesetz (GastG) und von Bankgeschäften nach dem Gesetz über das Kreditwesen (KWG)19. Der BFH20 hat die Ähnlichkeit der vom DFB erteilten Spielerlaubnis (in einem Fall aus dem Streitjahr 1984) mit Rechten und Werten i. S. d. § 266 Abs. 2 A I 1 HGB bejaht, weil sie befristet sei und Erlaubnischarakter habe. Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden. Zur Erteilung der Spielerlaubnis hat der Verein nur eine Voraussetzung zu erfüllen, nämlich einen Arbeitsvertrag mit dem Spieler abzuschließen. Alle anderen Nachweise – Abgabe von Erklärungen und Vorlage von Bescheinigungen (s. § 13 Nr. 2 Buchst. a–g LOS) – muß der Spieler erbringen. Die Erlaubnis, einen Spieler, der Arbeitnehmer eines Vereins ist, in Spielen der Fußball-Bundesliga einsetzen zu dürfen, ist die einem Arbeitgeber erteilte Erlaubnis, seinen Arbeitnehmer entsprechend dem Arbeitsvertrag zu beschäftigen. Eine solche „Erlaubnis“ begründet keine Rechte und Werte, die den in § 266 Abs. 2 A I 1 HGB genannten Rechten und Werten ähnlich sind. Die Erteilung der Spielerlaubnis durch den Ligaverband hat entgegen dem Wortlaut „Spielerlaubnis“ auch keinen Erlaubnischarakter. Die den Satzungen und Ordnungen des Ligaverbands entsprechenden Regelungen des Internationalen Fußballbundes Fifa verwenden die Formulierung „Spielerlaubnis“ nicht. Im Fifa-Reglement bezüglich Spielerstatus und Transfer von Spielern heißt es z. B. in Art. 5 Abs. 1: „Ein Spieler, der … in einem Wettbewerb spielen möchte, der von einem Nationalverband organisiert … wird, muß bei diesem Verband registriert sein.“; in Art. 5 Abs. 3: „Ein Verband darf einem Spieler eines anderen Nationalverbandes die Spielberechtigung nur … ausstellen, wenn der neue Verband … eine Bestätigung für die Übertragung der Registrierung erhalten hat.“; in Art. 11 Nr. 1: „Teilnahmeberechtigt an den in einem Verband organisierten Wettbewerben sind nur jene Spieler, die bei diesem Verband für einen … Verein … registriert sind.“ Die Regelungen in der LOS des Ligaverbands und in dem genannten Reglement der Fifa behandeln denselben Gegenstand, nämlich die Spielberechtigung eines Spielers zur Teilnahme an fußballsportlichen Wettbewerben. Auch der Ligaverband registriert die für die Erteilung der Spielerlaubnis erforderlichen Voraussetzungen.

__________ 19 Merkt in Baumbach/Hopt, HGB, 31. Aufl. 2003, § 266 Rz. 5. 20 S. Fn. 4, Abschnitt II B Ziffer 2.

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Sind diese Voraussetzungen registriert, wird dies mit der „Spielerlaubnis“ bestätigt. Sie hat deshalb keinen Erlaubnischarakter; der Ligaverband stellt lediglich fest, daß Spieler und Verein alle Voraussetzungen durch Abschluß eines Arbeitsvertrags und durch Vorlage von Unterlagen und Erklärungen erfüllt haben. cc) Verkehrsfähigkeit der Spielerlaubnis Die Annahme, daß ein Gegenstand ein Wirtschaftsgut i. S. d. EStG (Vermögensgegenstand i. S. d. HGB) ist, setzt seine Übertragbarkeit voraus. Es genügt eine Übertragbarkeit im wirtschaftlichen Sinne. Diese Voraussetzung hat der BFH21 bejaht, weil der abgebende Verein auf die Spielerlaubnis „verzichte“, um auf diese Weise ihre Neuerteilung durch den DFB an den aufnehmenden Verein zu ermöglichen; zwar sei auch das Einverständnis des Spielers erforderlich; für die Bejahung der Verkehrsfähigkeit der Spielerlaubnis reiche es jedoch aus, wenn der abgebende Verein mitbestimmen könne, ob der Spieler vorzeitig aus dem Vertrag entlassen werde. Dieser Auffassung kann m. E. nicht gefolgt werden. Bei Übertragung der Spielerlaubnis wird – wirtschaftlich betrachtet – die Arbeitskraft des Spielers, also der Anspruch auf seine Dienste, übertragen. Dazu bedarf es der Zustimmung des Spielers (§ 613 BGB). Die Arbeitskraft eines Menschen ist ein höchstpersönliches Gut und kann nicht mit einem Wirtschaftsgut i. S. d. EStG oder mit einem Vermögensgegenstand i. S. d. HGB gleichgestellt werden. Deshalb ist die wirtschaftliche Übertragbarkeit der Spielerlaubnis nicht möglich. dd) Selbständige Bewertbarkeit der Spielerlaubnis Zu Recht hat der BFH22 darauf hingewiesen, daß die Spielerlaubnis nur ein immaterielles Wirtschaftsgut (immaterieller Vermögensgegenstand) ist, wenn ihr im Geschäftsverkehr ein selbständiger Wert beigemessen werden kann. Dies hat der BFH mit der Begründung bejaht, bei einem Vereinswechsel sei nach den Regeln des LSpSt des DFB eine Transferentschädigung zu zahlen; sie konkretisiere „sich in den vom DFB und den betroffenen Vereinen entwickelten Grundsätzen zur Bestimmung der Höhe der Transferentschädigung für einen bestimmten Spieler“. Die Vorschriften des LSpSt, die den Rechtsanspruch auf eine Transferentschädigung seinerzeit festlegten, sind aufgrund des sog. „Bosman“-Urteils des EuGH23 ersatzlos aufgehoben worden. Gleiches gilt für die vom DFB praktizierten Richtlinien zur Wertermittlung, wie sie vom BFH24 dargestellt wurden.

__________ 21 22 23 24

S. Fn. 4, Abschnitt II B Ziffer 3 und 4. S. Fn. 4, Abschnitt II B Ziffer 5. S. Fn. 6. S. Fn. 4, Abschnitt II B Ziffer 5.

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Damit ist eine selbständige Bewertbarkeit der Spielerlaubnis heute nicht mehr möglich. Zwar ist nicht selten, daß bei einem Vereinswechsel eines Spielers noch eine Abfindung gezahlt wird, um die vorzeitige Auflösung eines noch bestehenden Arbeitsvertrags des wechselwilligen Spielers zu erreichen. Die Höhe dieser Zahlungen richtet sich nach dem Wert des Spielers und der Restdauer des Arbeitsvertrags. Der sich daraus ergebende Wert ist jedoch nicht für die selbständige Bewertbarkeit der Spielerlaubnis geeignet, weil die Höhe der vereinbarten Zahlungen in erheblichem Umfang von der Restdauer des Arbeitsvertrags abhängt. Vielfach behaupten der aufnehmende Verein und der wechselwillige Spieler, daß sie sich über den künftigen Vereinswechsel einig seien, um – häufig mit Erfolg – den Preis für die Abfindungszahlung zu drücken. ee) Entgeltlicher Erwerb der Spielerlaubnis Nach § 5 Abs. 2 EStG sind immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens steuerrechtlich nur zu aktivieren, wenn sie entgeltlich erworben werden. Gleiches gilt nach § 248 Abs. 2 HGB für die Handelsbilanz. Ein entgeltlicher Erwerb in diesem Sinne liegt nach ständiger Rspr. des BFH25, die im Fachschrifttum26 Zustimmung gefunden hat, nur vor, wenn das Wirtschaftsgut durch einen gegenseitigen Vertrag erworben wurde. Gegenseitige Verträge sind Vereinbarungen, bei denen die beiderseitigen Verpflichtungen in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen. Dies bedeutet, daß jeder Vertragspartner seine Leistung um der Gegenleistung willen verspricht; die Leistung des einen ist das Entgelt für die Leistung des anderen27. Wie schon oben III 1 c) ausgeführt, besteht die ursprünglich im LSpSt vorgesehene Verpflichtung, beim Spielerwechsel eine Transferentschädigung zu zahlen, heute nicht mehr. Zahlungen werden im Falle eines Spielerwechsels aber noch geleistet, wenn ein Spieler aus einem noch laufenden Arbeitsvertrag „herausgekauft“ wird. Wenn z. B. der Spieler X mit dem Verein A einen noch 2 Jahre laufenden Arbeitsvertrag hat, kann der Verein B mit A einen Vertrag abschließen, mit dem A sich verpflichtet, den Arbeitsvertrag mit dem Spieler X sofort zu beenden, und B zusagt, einen Geldbetrag in bestimmter Höhe an A zu leisten. Diese Vereinbarung zwischen A und B ist ein gegenseitiger Vertrag; beide Vertragspartner erbringen ihre Leistung nur, weil auch der andere Vertragspartner zur versprochenen Leistung verpflich-

__________ 25 Z. B. BFH v. 12. 8. 1982, BStBl. 1982, 696, 699; v. 20. 8. 1986, BStBl. II 1987, 455, (457); v. 3. 8. 1993, BStBl. II 1994, 444, 447. 26 Z. B. Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 5, Rz. 193; Ballwieser in MünchKomm, HGB, § 248 Rz. 27. 27 BGH v. 21. 10. 1954, BGHZ 15, 102, 105, und v. 13. 6. 1980, BGHZ 77, 359 (363); Heinrichs in Palandt, BGB, 65. Aufl. 2006, Einf. v. § 320 Rz. 5.

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tet ist. Die Leistung des A, den Arbeitsvertrag mit dem Spieler X vorzeitig zu beenden, ist jedoch keine Leistung, mit der die Spielerlaubnis erteilt wird; sie wird nicht durch einen gegenseitigen Vertrag erworben. Der von B gezahlte Geldbetrag ist damit kein Entgelt i. S. d. § 5 Abs. 2 EStG und des § 248 Abs. 2 HGB. Die zur Aktivierung erforderlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 EStG und des § 248 Abs. 2 HGB werden also durch die Leistung der Abfindungszahlung des B nicht erfüllt. Anschaffungskosten für die Spielerlaubnis sind daher nach dieser Vorschrift nicht zu aktivieren. Anderer Ansicht sind offenbar Herrmann/Heuer/Raupach28. Diese berufen sich zur Begründung ihrer Auffassung m. E. zu Unrecht auf ein BFH-Urteil v. 25. 1. 197929. Denn der BFH hat in diesem Urteil entschieden, daß der entgeltliche Erwerb eines immateriellen Wirtschaftsguts nicht vorliege, weil der Kläger nicht vorgetragen habe, daß das von ihm übernommene Personal als „eingearbeiteter Arbeiterstamm“ von greifbarem Wert gewesen sei; das Urteil betrifft nicht die Übernahme eines einzelnen Arbeitnehmers.

IV. Zahlungen zum Zwecke der vorzeitigen Vertragsbeendigung kein Posten der aktiven Rechnungsabgrenzung Nach § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG sind als Rechnungsabgrenzungsposten auf der Aktivseite Ausgaben vor dem Abschlußstichtag anzusetzen, soweit sie Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Stichtag darstellen. Entsprechendes gilt nach § 250 Abs. 1 Satz 1 HGB. Die Bildung von Rechnungsabgrenzungsposten dient der zeitlich richtigen Gewinnermittlung. Steuerrechtlich und handelsrechtlich sind Ausgaben (ebenso wie Erträge) den Wirtschaftsjahren zuzurechnen, zu denen sie sachlich und wirtschaftlich gehören30. Wie schon oben III. 2. d) ee) erwähnt, werden häufig Abfindungszahlungen zwischen 2 Vereinen vereinbart, um einem Spieler durch vorzeitige Vertragsauflösung den Vereinswechsel zu ermöglichen. Dies ist ein gegenseitiger Vertrag, bei dem sich die Verpflichtungen beider Parteien – nämlich die Verpflichtung zur vorzeitigen Vertragsauflösung und die Zahlungsverpflichtung – gegenseitig bedingen. Beide Verpflichtungen sind sachlich und wirtschaftlich gleichzeitig zu erfüllen. Eine aktive Rechnungsabgrenzung kommt deshalb nicht in Frage.

__________ 28 Heuer in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 5 Anm. 908. 29 BStBl. II 1979, 369 (371). 30 Federmann in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 5 Rz. 1912.

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V. Zusammenfassung und Schlußbemerkung Nach den Regeln des Ligaverbands wird die Spielerlaubnis dem Spieler und nicht dem Verein erteilt; dies entspricht der ständigen früheren Praxis des DFB und seiner Regionalverbände. Die Spielerlaubnis kann deshalb kein Wirtschaftsgut (Vermögensgegenstand) des Vereins sein. Selbst wenn man unterstellt, daß die Spielerlaubnis dem Verein erteilt wird, liegen die Voraussetzungen für eine Aktivierung nicht vor. Die Spielerlaubnis ist kein Wirtschaftsgut/Vermögensgegenstand, weil die Voraussetzungen des § 266 Abs. 2 A. I. Nr. 1 HGB – nämlich Ähnlichkeit mit Rechten und Werten i. S. d. Vorschrift – nicht erfüllt sind. Sie ist nicht verkehrsfähig und nicht selbständig bewertbar. Die Spielerlaubnis wird auch nicht entgeltlich erworben, weil die Abfindungen, die für eine vorzeitige Vertragsauflösung gezahlt werden, kein Entgelt i. S. d. § 5 Abs. 2 EStG und des § 248 Abs. 2 HGB sind. Ferner sind die Abfindungszahlungen nicht aktiv abgrenzbar gem. § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG und des § 250 Abs. 1 Satz 1 HGB. Die derzeitige von der Finanzverwaltung geforderte Praxis, Zahlungen, die für die vorzeitige Aufhebung des Vertrags eines Spielers geleistet werden, zu aktivieren und den sofortigen Betriebsausgabenabzug zu versagen, dient nicht der Bilanzwahrheit. Diese Bilanzierung schönt häufig die Bilanzen der Vereine und täuscht eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vor, die nicht gegeben ist. Die Verpflichtung, Abfindungszahlungen für eine vorzeitige Vertragsauflösung als Wirtschaftsgut zu aktivieren, führt offenbar zu grotesken Fallgestaltungen. Nach Medienberichten (z. B. Kicker-Sportmagazin vom 4. 8. 2003, S. 31, und FAZ vom 7. 8. 2003) soll es Fälle geben, in denen Vereine die Spielerlaubnis gegen hohe Barzahlungen an Dritte übertragen und durch Leasingverträge zur Nutzung zurückerhalten. Begründet wird ein solches Vorgehen offensichtlich mit der Aktivierbarkeit der Spielerlaubnis.

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Bilanzierungsfragen bei der grenzüberschreitenden Umwandlung und Sitzverlegung Inhaltsübersicht I. Anlass der Überlegungen II. Regelungsbestand 1. Handelsrecht 2. Steuerrecht III. Grenzüberschreitende Buchwertverknüpfung nach Handelsrecht 1. Anwendbare Regeln und Verfahren 2. Schlussbilanz der übertragenden Kapitalgesellschaft 3. Wertansätze der übernehmenden Kapitalgesellschaft

IV. Grenzüberschreitende Buchwertverknüpfung nach Steuerrecht 1. Schlussbilanz der übertragenden Kapitalgesellschaft 2. Wertansätze der übernehmenden Kapitalgesellschaft V. Sitzverlegung 1. Anwendbare Regeln und Verfahren 2. Transfer der handelsrechtlichen Rechnungslegung 3. Transfer der Besteuerungsgrundlagen VI. Resümee

I. Anlass der Überlegungen Die fortschreitende Rechtsangleichung in der EU und die sich mehr und mehr als treibende Kraft für einen kohärenten einheitlichen Markt entwickelnde Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, insbesondere zu den Grundfreiheiten der Niederlassung und des Kapitalverkehrs, haben Transfervorgänge, die unter dem Stichwort „Umwandlung“ zusammengefasst sind, und die Sitzverlegung innerhalb der EU in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Zu verweisen ist auf die neue Rechtsform der Europäischen Gesellschaft (SE), geregelt in der SE-Verordnung und im Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft1, auf die Richtlinie über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedsstaaten2 und auf die komplementäre steuerliche Regelung in der schon aus 1990 stammenden sog. Fusionsrichtlinie in der entscheidend geänderten Fassung aus dem Jahre 20053. Der deutsche Steuergesetzgeber beabsichtigt, in einem steuerlichen Begleitgesetz zur Einführung der SE und zur Umsetzung der

__________ 1 2 3

VO (EG) Nr. 2157/2001, ABl Nr. L 294/1, geändert durch VO (EG) Nr. 885/2005, ABl. Nr. L 168/1; Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) BStBl. I 2004, 3675 ff. Richtlinie v. 26. 10. 2005, RL 2005/56/EG ABl. Nr. L 310/1. Richtlinie 90/434/EWG v. 23. 7. 1990, ABl. Nr. L 225, 1 ff.; Richtlinie 2005/19/EG, ABl. Nr. L 058, 19 ff.

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Fusionsrichtlinie die grenzüberschreitenden Umwandlungsvorgänge und die Sitzverlegung in eine neue Konzeption zu bringen, die alle drei möglichen Fälle, nämlich die innerdeutschen Umstrukturierungen, die Umstrukturierungen mit EU-Bezug und die Umstrukturierungen mit außereuropäischem (nicht EU) Bezug abdeckt. Ganz unabhängig davon betreibt der EuGH, gestützt auf die Grundfreiheiten des EGV, eine Rechtsvereinheitlichung, bei der das Umwandlungsrecht nicht an der Staatsgrenze Halt machen darf4. In der bisherigen Diskussion haben Bilanzierungsthemen handelsrechtlich kaum und steuerlich eine eher geringe Rolle gespielt5. Nachfolgend soll deshalb einmal der Frage nachgegangen werden, ob sich über die bekannten inländischen Probleme hinaus bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Besonderheiten ergeben. Dabei sollen sich die Überlegungen auf die deutsche Seite der jeweiligen Transaktionsbeteiligten beschränken, ohne zu verkennen, dass ein letztlich aussagefähiges Gesamtbild nur unter Einbeziehung der Rechtsordnungen aller beteiligten Transaktionspartner entstehen kann. Die Überlegungen werden sich im Wesentlichen auf die Schlussbilanz eines übertragenden deutschen Rechtsträgers oder Sitzverlegers und auf die Übernahmebuchungen eines übernehmenden deutschen Rechtsträgers oder des Sitzverlegers konzentrieren.

II. Regelungsbestand 1. Handelsrecht a) Die bilanzrelevanten Grundtatbestände für alle übertragenden Umwandlungsvorgänge (Verschmelzung, Spaltung, Vermögensübertragung) sind in § 17 Abs. 2 UmwG für den übertragenden und in § 24 UmwG für den übernehmenden Rechtsträger geregelt. Danach muss der übertragende Rechtsträger eine sog. Schlussbilanz aufstellen, für die die Vorschriften über die Jahresbilanz entsprechend gelten. Unter Vorschriften über die Jahresbilanz sind bei deutschen übertragenden Rechtsträgern die Vorschriften der §§ 242 ff. HGB zu verstehen, also die Vorschriften, die für den nach wie vor zwingenden HGB-Jahresabschluss gelten und zwar auch dann, wenn der übertragende Rechtsträger für Offenlegungszwecke einen Jahresabschluss nach internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen erstellen sollte (§ 325 Abs. 2a HGB)6. Der aufnehmende Rechtsträger hat für die Einbuchung und Bilanzierung der übergehenden Aktiva und Passiva ein Wahlrecht: Er kann Vermögensgegenstände und Schulden ganz normal mit den Anschaffungskosten und (bei den Passiva) mit dem Rückzahlungsbetrag, dem Barwert

__________ 4 5 6

Das zeigt insbesondere der Fall SEVIC Systems AG; GmbHR 2006, 140 mit Anm. Haritz. Vgl. aber Hencke, DStR, 2005, 1785 ff.; Thiel, DB 2005, 2316 ff. Vgl. Welf Müller, in Kallmeyer, UmwG, 3. Aufl. 2006, § 24 Rz. 61.

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Bilanzierungsfragen bei der grenzüberschreitenden Umwandlung und Sitzverlegung

oder dem Rückstellungsbetrag nach §§ 253, 255 HGB ansetzen7. Er kann aber auch „die in der Schlussbilanz des übertragenden Rechtsträgers angesetzten Werte“ übernehmen. Abweichend und sozusagen als Ausnahmeregelung ist also eine Buchwertverknüpfung zulässig, die bei Inanspruchnahme zu einer Anschaffungskostenfiktion mit allen daran anknüpfenden Folgen führt8. b) Für die Gründung einer SE sieht die SE-VO in Art. 2 Abs. 1 den Weg der Verschmelzung vor, wenn nur Aktiengesellschaften beteiligt sind, von denen mindestens zwei dem Recht verschiedener Mitgliedsstaaten unterliegen. Die Verschmelzung kann durch Aufnahme oder durch Neugründung erfolgen (Art. 17 SE-VO). Zur Rechnungslegung sagt die SE-VO expressis verbis nichts. Aus Art. 18 SE-VO ist jedoch zu entnehmen, dass auch insoweit die für die Verschmelzung von Aktiengesellschaften geltenden nationalen Vorschriften anzuwenden sind, denen die jeweils beteiligte Aktiengesellschaft unterliegt. Eine gewisse Harmonisierung ist nur dadurch erreicht, dass dieses Recht der Verschmelzungsrichtlinie aus dem Jahre 1978 entsprechen muss9. Das deutsche Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) enthält sich auch konsequent jeglicher Regelung, da Art. 18 SE-VO unmittelbar auf das deutsche UmwG verweist. c) Schließlich muss in die Überlegungen die am 26. Oktober 2005 verabschiedete Richtlinie über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedsstaaten einbezogen werden, die bis zum Dezember 2007 in nationales Recht umgesetzt werden muss. Danach werden auch außerhalb der SE-VO grenzüberschreitende Verschmelzungen zwischen Kapitalgesellschaften (also nicht nur Aktiengesellschaften) zulässig, sofern solche Verschmelzungen auch nach innerstaatlichem Recht zulässig wären (Art. 4 Abs. 1 RL), was in Deutschland uneingeschränkt der Fall ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 UmwG). Auch diese RL enthält keine spezifischen Rechungslegungsbestimmungen, wenn man einmal von den Bestimmungen im Verschmelzungsplan über –

Umwandlungsstichtag (Art. 5 lit. f) RL)



Angaben zur Bewertung des Aktiv- und Passivvermögens (Art. 5 lit. k) RL)



Stichtag der Jahresabschlüsse, „die zur Festlegung der Bedingungen der grenzüberschreitenden Verschmelzung verwendet werden“ (Art. 5 lit. l) RL)

absieht. Im Übrigen muss, wie bei der SE-VO, jede beteiligte Kapitalgesellschaft nach Art. 4 Abs. 1 lit. a) RL „die Vorschriften und Formalitäten des für sie geltenden innerstaatlichen Rechts einhalten bzw. erledigen“. Immer-

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Zu den Anschaffungskosten im Rahmen des § 24 UmwG vgl. Welf Müller, in Kallmeyer, UmwG, 3. Aufl. 2006 § 24 Rz 22 ff. Vgl. Welf Müller, in Kallmeyer, UmwG, 3. Aufl. 2006 § 24 Rz. 44 ff. Dritte Richtlinie 78/855/EWG, ABl. L 295 v. 20. 10. 1978, 36.

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hin ist interessant, dass die RL offenbar davon ausgeht, dass sich die Bedingungen der Verschmelzung an „Jahresabschlüssen“ der beteiligten Gesellschaften ausrichten (Abs. 5 lit. l) RL); eine Vorstellung, die dem deutschen UmwG so nicht geläufig ist10. d) Aus diesem Regelungsbestand kann man den Schluss ziehen, dass sich handelsrechtlich durch den uneingeschränkten Verweis auf nationales Recht aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung – über die Fragen hinaus, die sich bei einer innerdeutschen Verschmelzung auch ergeben – keine besonderen Probleme einstellen. Ob dem wirklich so ist, muss aber erst noch hinterfragt werden. 2. Steuerrecht a) Es gibt im derzeitigen deutschen Körperschaftsteuerrecht keine Generalregelung, wie grenzüberschreitende Transaktionen zu behandeln sind, insbesondere, was mit bis zum Grenzübertritt entstandenen stillen Reserven zu geschehen hat, wenn sie aus der Steuerverstrickung in Deutschland ausscheiden11. Es gibt nur die Tatbestände der Liquidation (§ 11 KStG) und der Verlegung von Geschäftsleitung und Sitz ins Ausland (§ 12 KStG), die beide zur Abwicklung und Liquidationsbesteuerung führen. Damit war der Fall der grenzüberschreitenden Verschmelzung insoweit aufgefangen, als diese bislang nur über eine Liquidation der deutschen Gesellschaft erreichbar war (§ 1 Abs. 1 UmwG beschränkt das Rechtsinstitut der Verschmelzung auf Rechtsträger mit Sitz im Inland). Beide Ansätze sind m. E. schon heute wegen Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 ff., EGV) europa-rechtswidrig. Das Argument, dass der EuGH mit den Urteilen Centros, Überseering und Inspire Art nur Zuzugsbeschränkungen als unzulässig angesehen habe, dies aber in Anlehnung an die Daily Mail Entscheidung aus 1988 nicht für Wegzugsbeschränkungen gelte, kann nicht überzeugen, da jeder Wegzugsfall auch ein Zuzugsfall ist12. § 23 Abs. 1 bis 3 UmwStG behandelt zwar Einbringungsfälle von Betrieben oder Teilbetrieben, die rechtlich grenzüberschreitend unter Beteiligung von EU-Kapitalgesellschaften stattfinden. Wirklich grenzüberschreitende Umwandlungsvorgänge (Verschmelzung, Spaltung) werden damit jedoch nicht abgedeckt13, da es immer nur um die Teilbereiche geht, bei denen Güter von einem inländischen Betriebsvermögen in ein

__________

10 Das UmwG kennt die Vorlage von Jahresabschlüssen nur bei der Verschmelzung und Spaltung unter Beteiligung von AG in § 63 Abs. 1 Nr. 2 und 3 zu Informationszwecken. 11 BFH, Urt. v. 16. 12. 1975, BStBl. II 1976, 246; Dötsch, in Dötsch/Eversberg/Jost/ Pung/Witt, KStG, § 12 nF Rz. 4. 12 A. A. BayOLG, Beschl. v. 11. 2. 2004, ZIP 2004, 806; vgl. aber EuGH v. 9. 3. 1999, ZIP 1999, 483 (Centros); EuGH v. 5. 11. 2002, ZIP 2002, 2037 (Überseering); EuGH v. 30. 9. 2003, ZIP 2003, 1885 (Inspire Art); EuGH v. 27. 9. 1988 NJW 1989, 2186 (Daily Mail). 13 Vgl. Patt, in Dötsch/Eversberg/Jost/Pung/Witt, KStG, § 23 UmwStG nF Rz. 2.

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anderes inländisches Betriebsvermögen einer beschränkt oder unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft übertragen werden. Hier ist wahlweise die Buchwertverknüpfung oder ein Wertansatz bis zum Teilwert gegeben. Lediglich beim EU-Anteilstausch (§ 23 Abs. 4 UmwStG) wird ein rechtlicher und tatsächlicher grenzüberschreitender Transfer geregelt, der unter bestimmten Bedingungen – wahlweise – eine Buchwertverknüpfung ermöglicht, allerdings nur, wenn auch die aufnehmende Kapitalgesellschaft die eingebrachte Beteiligung zu Buchwerten ansetzt. Wenn es richtig ist, dass dies nur in einer inländischen Betriebsstätte sichergestellt werden kann14, dann ist auch dieser Fall nicht grenzüberschreitend im tatsächlichen Sinne. b) Dieser Zustand muss und wird sich ändern, da nunmehr nach Inkrafttreten der Verschmelzungsrichtlinie handelsrechtlich die grenzüberschreitende Verschmelzung von EU-Kapitalgesellschaften möglich wird und entsprechend auch die korrespondierende steuerliche Fusionsrichtlinie in der Fassung von 2005 in nationales Recht umgesetzt werden muss. Die bisher bekannt gewordenen Vorstellungen für die Umsetzung gehen – vernünftigerweise – von einer erstmals grundsätzlichen Regelung des Entstrickungstatbestandes, also des Ausschlusses oder der Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts, aus. Der Grundsatz soll lauten: Fiktion einer Entnahme zum gemeinen Wert. Auf die Verschmelzungs- und Spaltungsfälle übertragen bedeutet dies konsequenterweise: Ansatz der Aktiva und Passiva in der Schlussbilanz der übertragenden Körperschaft mit dem gemeinen Wert. Davon soll zugunsten eines (fortgeführten) Buchwertansatzes nur abgewichen werden können – wahlweise auf Antrag –, wenn (1) die körperschaftsteuerliche Erfassung von Realisationsergebnissen bei der übernehmenden Körperschaft sichergestellt ist, (2) das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der übertragenen Aktiva und Passiva bei der übernehmenden Körperschaft nicht eingeschränkt wird und (3) die Gegenleistung in Gesellschaftsrechten besteht oder eine solche nicht gewährt wird. Ein Ansatz zu Teilwerten oder Zwischenwerten soll nicht mehr zulässig sein. Die übernehmende Körperschaft hat nach diesem Konzept bei der Einbuchung der übertragenen Aktiva und Passiva die Werte aus der Schlussbilanz der übertragenden Körperschaft zu übernehmen, was bei grenzüberschreitenden Fusionen mit aufnehmender Körperschaft im EU-Ausland im Zweifel nur dann angeordnet und auch gewährleistet werden kann, wenn im Inland eine buchführungspflichtige Betriebsstätte besteht (nur dann ist das deutsche Besteuerungsrecht gewährleistet). Ist aufnehmende Gesellschaft eine deutsche Körperschaft, so soll wohl grundsätzlich ein Wertansatz zum gemeinen Wert erfolgen und zwar auch dann, wenn der ausländische Staat das übertragene Vermögen mit dem Buchwert oder einem anderen Wert für steuerliche Zwecke berücksichtigt. Eine Bindung an steuerliche Wertansätze

__________ 14 So z. B. Patt, in Dötsch/Eversberg/Jost/Pung/Witt, KStG, § 23 UmwStG nF Rz. 108.

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nach ausländischen Rechtsvorschriften soll insoweit nicht bestehen. Ob dies einer europarechtskonformen Auslegung der steuerlichen Fusionsrichtlinie standhält, soll hier dahingestellt bleiben15. c) Wird das Gesetzesvorhaben in der konzipierten Form verwirklicht, so ist für die Bilanzierung in der steuerlichen Schlussbilanz bei einem grenzüberschreitenden Transfer von folgenden Kernaussagen auszugehen: –

Aktiva und Passiva, die aus der deutschen Besteuerungshoheit ausscheiden (Entstrickung) sind zwingend mit dem gemeinen Wert (§ 9 BewG) anzusetzen. Es gilt insoweit weder die materielle noch die formelle Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Schlussbilanz (§ 5 Abs. 1 EStG),



Aktiva und Passiva, die in der deutschen Besteuerungshoheit verstrickt bleiben (sie müssen keinen Betrieb oder Teilbetrieb bilden), können wahlweise zu Buchwerten oder zu gemeinen Werten angesetzt werden.

Für den zweiten Fall bleibt die zum bisherigen UmwStG ungelöste Streitfrage bestehen, ob insoweit zumindest der formelle Maßgeblichkeitsgrundsatz (§ 5 Abs. 1 Satz 2 EStG) gilt, wie dies die Finanzverwaltung vertritt16. Dann würde eine Aufwertung bis zum gemeinen Wert in aller Regel ausgeschlossen sein, weil handelsrechtlich nach wie vor die Fortführung der Jahresabschlusswerte zwingend ist (§ 17 Abs. 2 UmwG). Der Verfasser17 hat schon frühzeitig diese Auffassung der Finanzverwaltung als irrig angesehen, die – mit Ausnahme von Wertaufholungen nach § 280 HGB – zu einem Leerlauf des Wahlrechts führen müsste. Richtigerweise ist die steuerliche Regelung als steuerliche lex specialis anzusehen und geht damit dem Maßgeblichkeitsgrundsatz vor. Dies ist wohl auch die ganz hM in der Literatur18. Bestärkt wird diese Auffassung durch die nunmehr beabsichtigte Grundstruktur bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung, die grundsätzlich zum Ansatz mit dem gemeinen Wert führt. Es ist schlechterdings nicht einzusehen, warum auf diese Grundregel gerade dann nicht zurückgegriffen werden dürfte, wenn das Steuergut im Inland verhaftet bleibt. Dem Gesetzgeber ist dringend zu empfehlen, bei den anstehenden Novellierungen eine Klarstellung herbeizuführen. d) Festzuhalten ist, dass bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung, Spaltung und Sitzverlegung je nach Ausgestaltung in der steuerlichen

__________ 15 Immerhin ist auch eine Betriebsstättenbuchhaltung im EU-Ausland Bestandteil der Buchhaltung des Mutterhauses; mindestens insoweit ist eine Bindung möglich. Im Übrigen ist sie in der Tat problematisch, solange es noch keine EU-einheitlichen Gewinnvermittlungsgrundsätze (Steuerbilanzansätze) gibt. 16 BMF-Schreiben v. 25. 3. 1998, BStBl. I 1998, 268 ff. Rz. 03.01. 17 Welf Müller, WPg 1996, 857, 860 gegen Müller-Gatermann, WPg 1996, 870. 18 Widmann/Mayer, UmwStG, § 3 Rz. 304; Haritz/Benkert/Brinkaus, UmwStG, § 3 Rz. 50; Welf Müller, in Kallmeyer UmwG, 3. Aufl. 2006, § 17 Rz. 37; Schmitt, in Schmitt/Hörnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, § 3 UmwStG Rz. 39; Rödder, DStR 1997, 1353; Herzig, FR 1997, 123; Scheidle/Sporrer/Pflanzer, DStR, 1999, 1340.

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Schlussbilanz im Verhältnis zur Handelsbilanz entweder identische Werte, nämlich fortgeführte Buchwerte, oder aber unterschiedliche Werte, nämlich gemeine Werte einerseits, fortgeführte Buchwerte andererseits, anzusetzen sind. Dabei können auch bei ein und demselben Umwandlungsvorgang beide Systeme zur Anwendung kommen, wenn etwa Vermögensgegenstände und Schulden einer inländischen Betriebsstätte zugeordnet werden können (keine Entstrickung), andere Vermögensgegenstände hingegen aus der inländischen Steuerverstrickung ausscheiden. Dies hat schlussendlich auch Auswirkungen auf die handelsrechtliche Schlussbilanz.

III. Grenzüberschreitende Buchwertverknüpfung nach Handelsrecht 1. Anwendbare Regeln und Verfahren a) Es wurde bereits ausgeführt (II.1.b), c)), dass weder die SE-Regelungen noch die Verschmelzungsrichtlinie irgendwelche Bilanzierungsbestimmungen für übertragende oder übernehmende Rechtsträger enthalten. Vielmehr sind ohne Spezifikation die für den jeweils betroffenen Rechtsträger geltenden nationalen Vorschriften anzuwenden. Bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung sind damit zwei Grundfälle zu unterscheiden: (1) die übertragende Kapitalgesellschaft hat Sitz im Inland und (2) die übernehmende Kapitalgesellschaft hat Sitz im Inland. Vorausgesetzt wird bei der SE-Verschmelzung, dass die Verschmelzungspartner „Sitz sowie Hauptverwaltung in der Gemeinschaft haben (Art. 2 Abs. 1 VO (EG) Nr. 2157/2001), während es für die Verschmelzungsrichtlinie genügt, dass die jeweilige Partnergesellschaft „ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung“ in der Gemeinschaft hat (Art. 1 VerschmelzungsRL). Die SE-VO ist in diesem Punkt also wesentlich einschränkender als die Verschmelzungsrichtlinie. Einschränkender ist ebenfalls noch § 1 Abs. 1 UmwG, wonach derzeit nur Rechtsträger mit Sitz im Inland umgewandelt werden können19. Diese Bestimmung ist aber nicht mehr richtlinienkonform und nunmehr anzupassen. Hauptverwaltung und Hauptniederlassung dürften i. d. R. identisch sein, gemeint ist jeweils der tatsächliche Verwaltungssitz. Befindet sich dieser in Deutschland, besteht auch die Buchführungs- und Bilanzierungspflicht nach deutschem Recht, unabhängig davon, ob an einem davon verschiedenen Gesellschaftssitz nochmals eine Rechnungslegungspflicht nach ggf. abweichendem ausländischen Recht zur Anwendung kommt20. b) Hat die übertragende Kapitalgesellschaft ihren Sitz (Hauptverwaltung, Hauptniederlassung) im Inland, hat sie eine Schlussbilanz nach § 17 Abs. 2 UmwG aufzustellen, die der Registeranmeldung zum zuständigen Register-

__________ 19 Kallmeyer, UmwG § 1 Rz. 10 ff. 20 Hüffer, in Großkomm. Bilanzrecht, § 238 HGB Rz. 20, 24; Baumbach/Hopt, HGB, § 13 Rz. 1, § 238 Rz. 9.

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gericht der übertragenden Kapitalgesellschaft beizufügen ist. Zunächst kommen diese Unterlagen also zu dem zuständigen deutschen Registergericht. Dieses hat allerdings nach dem wohl auch für grenzüberschreitende Verschmelzungen anwendbaren § 19 Abs. 2 Satz 2 UmwG die bei ihm aufbewahrten Dokumente (also auch die Schlussbilanz) an das ausländische Register abzugeben, in das die aus der Verschmelzung hervorgehende Gesellschaft eingetragen ist21. Zur Anlage der Register ist jeder EU-Staat nach Art. 3 der RL 68/151/EWG (1. Gesellschaftsrechtliche Richtlinie) verpflichtet. Der Stichtag der Schlussbilanz ist, wohl auch dann, wenn er nicht der Stichtag eines Jahresabschlusses ist, im Verschmelzungsplan festzulegen (Art. 5 lit. l) Verschmelzungsrichtlinie)22. Wie die übernehmende Gesellschaft in einem anderen EU-Staat die übertragenen Aktiva und Passiva einbucht und ob sie die Buchwerte aus der deutschen Schlussbilanz, etwa wie dies § 24 UmwG für die innerstaatliche Verschmelzung vorsieht, als fiktive Anschaffungskosten fortführen kann oder darf, richtet sich nach dem nationalen Recht der übernehmenden Gesellschaft. Einen grenzüberschreitenden Bilanzzusammenhang gibt es jedenfalls handelsrechtlich nicht. c) Hat die übernehmende Gesellschaft ihren Sitz (Hauptverwaltung, Hauptniederlassung) im Inland, so gelten grundsätzlich für die übernommenen Aktiva und Passiva die allgemeinen Ansatzvorschriften nach §§ 238 ff. HGB. Der Erwerb des übertragenen Vermögens ist ein Erwerbsvorgang gegen Gewährung von Anteilen oder Mitgliedschaftsrechten, gegen Untergang einer Beteiligung oder gegen Hingabe eigener Anteile. Als Anschaffungskosten kommen damit bei der Ausgabe von Anteilen der im Verschmelzungsplan vereinbarte Einlagewert (i. d. R. Nominalkapitalerhöhung plus Agio) und bei Wegfall der Beteiligung oder Ausgabe eigener Anteile der Buchwert oder der Zeitwert der untergehenden oder hingegebenen Anteile oder ggf. Zwischenwerte nach den Bilanzierungsgrundsätzen beim Tausch in Betracht23. Insoweit gelten damit die allgemeinen Regeln. Grundsätzlich findet für die übernehmende Gesellschaft aber auch die Anschaffungskostenfiktion des § 24 UmwG – als Wahlrecht – Anwendung. Damit können auch die in der Schlussbilanz des übertragenden Rechts-

__________ 21 Auch bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung muss es bei dem Mechanismus des § 16 ff. UmwG bleiben, dass die Verschmelzung beim Register des übertragenden Rechtsträgers anzumelden und einzutragen ist, die Verschmelzung aber erst mit Eintragung in das Register der übernehmenden Gesellschaft nach Art. 12 Abs. 1, Art. 27 Abs. 1 SE-VO, Art. 12, 13 VerschmelzungsRL wirksam wird. 22 Das gilt wohl auch bei der Verschmelzung nach der SE-VO, obwohl Art. 20 lit. e nur die Festlegung des Verschmelzungsstichtags fordert, der mit dem Stichtag der Schlussbilanz nicht zwingend übereinstimmen muss; vgl. Welf Müller, in Kallmeyer, UmwG, § 5 Rz. 34. 23 Vgl. Welf Müller, in Kallmeyer, UmwG, § 24 Rz. 26 ff.

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trägers angesetzten Werte als Anschaffungskosten übernommen werden. Dieser Rechtsträger bilanziert als EU-Kapitalgesellschaft nach der RL 78/660/ EWG (4. Richtlinie – Bilanzrichtlinie), nicht aber nach HGB und deutschen GoB, also nicht nach § 17 Abs. 2 UmwG. Trotzdem wird man grundsätzlich das Wahlrecht nach § 24 UmwG zur Anwendung bringen müssen, auch im Hinblick auf eine europarechtskonforme Auslegung, die davon ausgehen muss, dass jedenfalls das europarechtliche Grundgerippe der 4. Richtlinie bei der übertragenden Kapitalgesellschaft eingehalten ist. Das schließt nicht aus, dass gewisse Korrekturen erforderlich werden (dazu nachfolgend 3. b)). Allerdings muss zunächst einmal nach dem Recht des übertragenden Rechtsträgers eine Schlussbilanz i. S. d § 17 Abs. 2 UmwG erstellt werden, wenn die Anschaffungskostenfiktion des § 24 UmwG zum Zuge kommen soll. Das ist nach nationalem Recht des übertragenden Rechtsträgers ggf. nicht zwingend notwendig. Weder die SE-VO noch die Verschmelzungsrichtlinie schreiben es jedenfalls zwingend vor. Gibt es eine rechtliche Verpflichtung zur Erstellung einer Schlussbilanz nach ausländischem Recht nicht, wird es ausreichen, zur Wahrnehmung der Wahlmöglichkeit des § 24 UmwG eine entsprechende Verpflichtung des übertragenden Rechtsträgers im Verschmelzungsplan festzulegen. Die Zulässigkeit einer solchen Handhabung ergibt sich aus Art. 5 lit. k) Verschmelzungsrichtlinie. 2. Schlussbilanz der übertragenden Kapitalgesellschaft a) Ist Sitz (Hauptverwaltung, Hauptniederlassung) der übertragenden Kapitalgesellschaft Deutschland, ist eine Schlussbilanz aufzustellen, für die die Vorschriften über die HGB-Jahresbilanz entsprechend gelten. Allerdings gelten einige Besonderheiten wegen der anstehenden Verschmelzung. Wird im Verschmelzungsplan z. B. eine Beteiligung der übertragenden Gesellschaft an den Verschmelzungskosten vereinbart, ist dafür in der Schlussbilanz durch eine Rückstellung Vorsorge zu treffen, auch dann, wenn letztlich diese Verbindlichkeit mit Wirksamwerden der Verschmelzung auf die übernehmende Gesellschaft übergeht24. Wird im Verschmelzungsplan noch eine Gewinnausschüttung an die Anteilseigner der übertragenden Gesellschaft vorgesehen, ist die Schlussbilanz unter Berücksichtigung der vollen oder teilweisen Ergebnisverwendung aufzustellen (§ 268 Abs. 1 HGB). Besonderheiten aus dem Umstand der Grenzüberschreitung ergeben sich für die anzuwendenden Bilanzierungsregeln zunächst jedoch nicht.

__________ 24 Art. 14 Abs. 1 lit. a) i.V.m. Art. 12 Verschmelzungsrichtlinie; Art. 29 Abs. 1 lit. a) SE-VO; Welf Müller, in Kallmeyer, UmwG, 3. Aufl. 2006, § 17 Rz. 26.

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b) Allerdings bleibt zu prüfen, ob sich für die übertragende Gesellschaft aus dem Umstand der Grenzüberschreitung nicht doch Sachprobleme ergeben, die in der Schlussbilanz zu berücksichtigen sind. Hier wird vor allem die Frage relevant, welche steuerliche Behandlung die Grenzüberschreitung erfährt: Tritt durch die grenzüberschreitende Verschmelzung ein Ausschluss oder eine Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts (Entstrickung) ein und führt dies – so die derzeitigen Vorstellungen des Steuergesetzgebers – zu einer Veräußerungsgewinnbesteuerung (Ansatz zum gemeinen Wert in der steuerlichen Schlussbilanz), so müssen für diese Steuerlast in der handelsrechtlichen Schlussbilanz Rückstellungen gebildet werden (§ 249 Abs. 1 HGB). Zwar entsteht die Steuerschuld m. E. rechtlich erst mit dem Vermögensübergang auf die übernehmende Gesellschaft mit dem entsprechenden Registereintrag25. Bis zu diesem Zeitpunkt sind alle Verschmelzungsmaßnahmen vorbereitende Maßnahmen, die in ihrer endgültigen Relevanz von der schlussendlichen Registereintragung abhängen. Wirtschaftlich ist aber die Steuerlast bereits durch die Aufstellung der steuerlichen Schlussbilanz mit gemeinen Werten statt Buchwerten verursacht26. Es werden die in der Vergangenheit gebildeten stillen Reserven aus Anlass des Gesamtplans einer Verschmelzung belastet. Diese Last liegt wirtschaftlich auf dem zu übertragenden Vermögen und ist dort in der Schlussbilanz passivisch zu berücksichtigen. Eine Kompensation durch Bildung einer aktiven Steuerabgrenzung nach § 274 Abs. 2 HGB (weil der zu versteuernde Gewinn wegen Entstrickung höher ist als der handelsrechtliche bei zwingender Buchwertfortführung) wird i. d. R. schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil – jedenfalls für die übertragende Gesellschaft – nicht absehbar ist, ob bei der aufnehmenden (ausländischen) Kapitalgesellschaft insoweit voraussichtlich eine Steuerentlastung in den nachfolgenden Geschäftsjahren eintritt. Ist dagegen das Besteuerungsrecht des deutschen Fiskus bezüglich des Besteuerungsguts sichergestellt (z. B. durch Verbleib in einer deutschen Betriebsstätte), so wird ein Wahlrecht zur Gewinnrealisierung oder zur Buchwertfortführung eingeräumt. Wegen der Wichtigkeit dieser Entscheidung im Hinblick auf steuerliche Folgewirkungen, die Liquidität und ggf. auf das Umtauschverhältnis empfiehlt es sich, darüber eine Regelung im Verschmelzungsplan zu treffen (zur Ausübung des Wahlrechts nachfolgend IV.I.b)). Werden die Buchwerte auch steuerlich fortgeführt, ist eine Steuerrückstellung insoweit in der Schlussbilanz nicht erforderlich.

__________ 25 Art. 14 Abs. 1 lit. a) Verschmelzungsrichtlinie; Art. 29 Abs. 1 lit. a) SE-VO. 26 Zur wirtschaftlichen Verursachung vgl. Berger/Ring, in BeckBilKomm., § 249 Rz. 36; Kleindiek, in Großkomm. Bilanzrecht, § 249 Rz. 33 ff.

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3. Wertansätze der übernehmenden Kapitalgesellschaft a) Hat die übernehmende Kapitalgesellschaft ihren Sitz (Hauptverwaltung, Hauptniederlassung) in Deutschland, so gilt § 24 UmwG und damit auch – als Wahlrecht – die Möglichkeit, die Buchwerte aus der Schlussbilanz der übertragenden Kapitalgesellschaft als Anschaffungskosten zu übernehmen. Das ist bereits oben unter III.1.c) ausführlich dargestellt. Voraussetzung ist, dass die übertragende Kapitalgesellschaft nach ihrem nationalen Recht oder kraft Vereinbarung im Verschmelzungsplan eine Schlussbilanz aufstellt. Ansatz und Bewertung in dieser Schlussbilanz entsprechen in aller Regel nicht deutschen HGB und GoB, sondern dem jeweils für die übertragende Gesellschaft maßgeblichen nationalen Recht. Nun läge die Idee nicht allzu fern, die Buchwertverknüpfung nach § 24 UmwG an die Voraussetzung zu knüpfen, dass auch eine Schlussbilanz nach deutschen Jahresabschlussregeln (§ 17 Abs. 2 UmwG) vorliegen müsse. Dann liefe § 24 UmwG bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen leer. Das ist m. E. jedoch nicht der Fall: Allenfalls liegt eine nachträgliche Gesetzeslücke vor, denn der Gesetzgeber des UmwG hat ganz offensichtlich an die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Verschmelzung nicht gedacht und nicht denken müssen; sie lag außerhalb seiner Regelungsabsicht. Eine Lückenausfüllung muss die inzwischen eingetretenen europarechtlichen Änderungen, insbesondere die handels- und steuerrechtlichen Verschmelzungsrichtlinien SE-VO und SEEG, und die Entscheidungen des EuGH zur Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 43 ff., Art. 56 ff. EGV) in Betracht ziehen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass alle EU-Mitgliedsstaaten als Grundstruktur für den Einzelabschluss die 4. Gesellschaftsrechtliche Richtlinie (78/660/EWG) befolgen. Die Würdigung dieser Umstände in europarechtskonformer Weise führt zu der Schlussfolgerung, dass die Buchwertfortführung des § 24 UmwG auch für Schlussbilanzen übertragender Rechtsträger aus anderen EU-Ländern Geltung haben muss. Das bedeutet, dass die Anschaffungskostenfiktion (§ 253 Abs. 1 HGB) sich auf Werte bezieht, die sich so nicht aus den Bilanzierungsvorschriften des HGB ableiten lassen. Das kann insbesondere für immaterielle Anlagewerte von Bedeutung sein, sofern das nationale Recht der übertragenden Kapitalgesellschaft z. B. in weiterem Umfang die Aktivierung von Forschungs- und Entwicklungskosten oder von selbst erstellten Patenten, Warenzeichen und ähnlichen Rechten zulässt27. Dagegen ist grundsätzlich gar nichts einzuwenden, weil auch bei der Buchwertverknüpfung die Verschmelzung für die übernehmende Kapitalgesellschaft ein Anschaffungsvorgang bleibt, der auch nach deutschem Recht letztlich zu einem derivativen Erwerb dieser Güter führt. Es bleibt allerdings dabei, dass ein originärer Geschäfts- oder Firmenwert EU-weit nicht aktiviert wird (Art. 9 C I 3 4. RL 78/660/EWG) und

__________ 27 Vgl. Art. 9 C I 1 und 2 4. RL 78/660/EWG.

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damit bei Buchwertverknüpfung auch bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft nicht angesetzt werden darf. b) Zu beachten ist allerdings, dass der erste auf die Einbuchung folgende Jahresabschluss der übernehmenden deutschen Kapitalgesellschaft ausschließlich den deutschen Rechnungslegungsvorschriften, also den §§ 242 ff. HGB unterliegt. Spätestens hier können Korrekturen notwendig werden, wenn Posten nach deutschem Bilanzrecht zwingend anders bewertet werden müssen. Das ist z. B. dann der Fall, wenn in der Schlussbilanz abschreibbare Sachanlagen oder Vorräte zu Wiederbeschaffungskosten bewertet sind und die Differenz zu den fortgeführten Anschaffungs- oder Herstellungskosten in einer Neubewertungsrücklage geführt wird (vgl. Art. 32, 33 4. RL 78/660/ EWG). Unter Auflösung der Neubewertungsrücklage wären diese Posten auf das Anschaffungs- oder Herstellungskostenprinzip zurückzuführen. Dies gilt aber nicht für abweichende Ansatzvorschriften (z. B. für den Ansatz von Forschungs- und Entwicklungskosten). Hier bleibt es dabei, dass die Verschmelzung auch bei Buchwertverknüpfung ein derivativer Erwerb ist. Nur die Bewertung im Folgejahresabschluss richtet sich nach § 253 Abs. 2 und Abs. 3 HGB.

IV. Grenzüberschreitende Buchwertverknüpfung nach Steuerrecht 1. Schlussbilanz der übertragenden Kapitalgesellschaft a) Nach der ins Auge gefassten Änderung des UmwStG zur Anpassung an die RL 2005/19/EG soll der Grundtatbestand für die übertragende Kapitalgesellschaft in Deutschland der Ansatz in der Schlussbilanz zum „gemeinen Wert“ sein. Das führt zur Auflösung und Versteuerung stiller Reserven. Da der Ansatz im Grundtatbestand zwingend ist, kommt der Maßgeblichkeitsgrundsatz (§ 5 Abs. 1 Satz 2 EStG) nicht zum Zuge. Auf den Ansatz in der handelsrechtlichen Schlussbilanz (§ 17 Abs. 2 UmwG) kommt es nicht an (steuerliche lex specialis). b) Allerdings gibt es eine gewichtige Ausnahme. Ein Wahlrecht zur Buchwertführung wird eingeräumt –

soweit sichergestellt ist, dass die übergehenden Wirtschaftsgüter später bei der übernehmenden (ausländischen) Kapitalgesellschaft der Besteuerung mit deutscher Körperschaftsteuer unterliegen,



das deutsche Besteuerungsrecht nicht eingeschränkt wird und



die Gegenleistung in Gesellschaftsrechten besteht oder eine Gegenleistung nicht gewährt wird.

Bei diesem steuerlichen Wahlrecht ergibt sich die schon zu § 3 UmwStG in der heute geltenden Fassung streitige Frage, ob und in welchem Umfang der Maßgeblichkeitsgrundsatz (§ 5 Abs. 1 Satz 2 EStG) durchschlägt. Die Frage 272

Bilanzierungsfragen bei der grenzüberschreitenden Umwandlung und Sitzverlegung

wird nicht relevant, wenn man steuerlich die Buchwertfortführung wählt, denn diese ist nach Handelsrecht (§ 17 Abs. 2 UmwG) ausnahmslos zwingend. Wie aber soll es sein, wenn man steuerlich die Schlussbilanz mit gemeinen Werten (Grundtatbestand) aufstellen will, z. B. um bestehende Verlustvorträge zu nutzen. Es ist bereits dargelegt (oben II.2.b)), dass auch für diesen Fall der Maßgeblichkeitsgrundsatz ausgeblendet bleiben muss, um gesetzestechnischen Leerlauf zu vermeiden. Der Gesetzgeber ist zu einer Klarstellung aufgerufen. c) Wirtschaftsgüter, deren Besteuerung in Deutschland nicht sichergestellt ist (die z. B. keiner Betriebsstätte zugeordnet werden können), sind in der Schlussbilanz mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Für die steuerliche Schlussbilanz gilt also nicht das System der Methodeneinheit. Es können fortgeführte Buchwerte neben Ansätzen zum gemeinen Wert stehen, je nachdem, ob es sich um gesichertes oder nicht gesichertes Steuergut handelt. System kann man diesem Ansatz nicht absprechen. 2. Wertansätze der übernehmenden Kapitalgesellschaft a) Der Grundtatbestand für die Einbuchung der übergegangenen Wirtschaftsgüter bei der übernehmenden (deutschen) Kapitalgesellschaft ist die Übernahme der Werte aus der steuerlichen Schlussbilanz der übertragenden Kapitalgesellschaft. Das macht unmittelbar nur Sinn, wenn die übertragende Gesellschaft oder eine der übertragenden Gesellschaften Sitz (Hauptverwaltung, Hauptniederlassung) oder eine Betriebsstätte in Deutschland haben. Nur dann kann es eine steuerliche Schlussbilanz im eigentlichen Sinn für die Unternehmen oder Unternehmensteile geben. Nur in diesem Falle und nur insoweit kann die übernehmende Kapitalgesellschaft in die steuerliche Rechtsstellung der übertragenden Körperschaft eintreten. b) Existiert eine deutsche steuerliche Schlussbilanz nicht, so ist davon auszugehen, dass die allgemeinen handelsrechtlich und steuerlich identischen Regeln über Anschaffungskosten bei Sacheinlagen gelten28. Das muss aber grundsätzlich auch für die fiktiven Anschaffungskosten nach § 24 UmwG gelten. Erstellt also die übertragende Kapitalgesellschaft im EU-Ausland entweder aufgrund nationaler Vorschriften oder einer Bestimmung im Verschmelzungsplan eine Schlussbilanz, so kann die übernehmende deutsche Kapitalgesellschaft auch diese Werte als Anschaffungskosten mit steuerlicher Wirkung ansetzen, vorausgesetzt, der gemeine Wert (Verkehrswert) wird nicht überschritten. Soweit nicht in Deutschland belegene Wirtschaftsgüter betroffen sind, sind die Wertansätze steuerlich allerdings nur relevant, soweit die Wirtschaftsgüter in Ländern belegen sind, für die DBA nicht existieren oder keine Freistellungsmethode vereinbart ist.

__________ 28 Welf Müller, in Kallmeyer, UmwG, 3. Aufl. 2006, § 24 Rz. 27.

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V. Sitzverlegung 1. Anwendbare Regeln und Verfahren a) Erstmalig regeln die SE-VO für die SE und SCE-VO29 für die europäische Genossenschaft (SCE) die Sitzverlegung innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten. Die Identität der Körperschaft (SE oder SCE) bleibt unberührt, die Sitzverlegung führt also weder zur Auflösung noch zur Gründung einer neuen juristischen Person (Art. 8 Abs. 1 SE-VO). Ob und inwieweit diese Rechtsfolgen auch für andere Rechtsträger aus den Grundfreiheiten, insbesondere der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 ff. EGV), herzuleiten sind, wird schlussendlich der EuGH zu entscheiden haben. Bisher ist nur entschieden, dass bei Verlagerung des tatsächlichen Unternehmensmittelpunktes in ein anderes EU-Land dort eine Zweigniederlassung einzutragen ist30, was noch nicht mit einer Sitzverlegung im rechtlichen Sinne gleichgesetzt werden kann, insbesondere im hier interessierenden Zusammenhang zu keinem Transfer der Rechnungslegungspflichten führt. b) Die Regularien der Sitzverlegung werden in Art. 8 SE-VO über Verlegungsplan bis zur Registereintragung relativ ausführlich geregelt. Über den Regimewechsel in der handelsrechtlichen Rechnungslegung finden sich aber keine Bestimmungen. Entsprechendes gilt für das SEEG, das lediglich die SEVO ergänzende Vorschriften über Abfindungsangebote, Gläubigerschutz und Negativerklärung bezüglich anhängig gemachter Klagen gegen die Wirksamkeit des Verlegungsbeschlusses enthält (§§ 12–14 SEEG). Im Grundsatz muss diese Regelungsabstinenz nicht erstaunen, haben wir es doch mit einem identitätswahrenden Vorgang zu tun, der allenfalls eine Parallele in dem ebenfalls identitätswahrenden Formwechsel nach deutschem Recht finden könnte. Dort bedarf es keiner „Umwandlungsbilanz“, allerdings bedarf es einer Vermögensaufstellung; einer Verpflichtung, die allerdings wieder entfällt, wenn der Formwechsel von Kapitalgesellschaft auf Kapitalgesellschaft stattfindet, weil sich da die Rechtsstellung der Anteilsinhaber nicht grundlegend ändert31. Das muss umso mehr für die Sitzverlegung gelten. Handelsrechtlich ist also festzuhalten, dass es – jedenfalls aus deutscher Sicht – keine „Sitzverlegungsschlussbilanz“ und keine „Sitzverlegungseröffnungsbuchungen“ gibt. c) Steuerlich beschäftigt sich die Fusionsrichtlinie (2005/19/EG) in Art. 10b und Art. 10c mit der Sitzverlegung einer SE oder einer SCE. Es gilt der Grundsatz, dass eine Versteuerung eines „Veräußerungsgewinns“ nicht stattfinden darf, soweit Aktiv- und Passivvermögen in einer Betriebsstätte des Mitgliedsstaates verbleibt, aus dem der Sitz herausverlegt wurde und diese Betriebsstätte ihr steuerliches Ergebnis (mit den zugeordneten Aktiva und

__________

29 VO (EG) Nr. 1435/2003; ABl. Nr. L 207, 1 ff. 30 Centros, ZIP 1999, 438; Überseering, ZIP 2002, 2037; Inspire Art, ZIP 2003, 1885. 31 Meister/Klöcker, in Kallmeyer, UmwG, 3. Aufl. 2006, § 192 Rz. 21, 23.

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Passiva) so berechnet, als habe eine Sitzverlegung nicht stattgefunden (Art. 10b). Außerdem können in einer solchen Betriebsstätte auch steuerbefreite Rückstellungen und Rücklagen weitergeführt werden (Art. 10c Abs. 1); weiterhin können in einer solchen Betriebsstätte noch nicht berücksichtigte Verluste nach jeweils nationalem Recht zurück- und vorgetragen werden (Art. 10c Abs. 2). Dies sind steuerliche Gewinnermittlungsregeln, die aber nicht unmittelbar zu einer steuerlichen Schlussbilanz im Wegzugsstaat oder einer steuerlichen Eröffnungsbilanz im Zuzugsstaat führen. Die beabsichtigte Neufassung des § 12 UmwStG wird und muss der Richtlinienvorgabe entsprechen: Sie will bei Beschränkung oder Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts eine (fiktive) Veräußerung zum gemeinen Wert annehmen, was verhindert werden kann, wenn die fraglichen Wirtschaftsgüter einer deutschen Betriebsstätte zugeordnet bleiben. Eine steuerliche Bilanzierungsnotwendigkeit auf den Zeitpunkt der Sitzverlegung ist damit aber auch nicht verbunden. 2. Transfer der handelsrechtlichen Rechnungslegung a) Erfolgt die Sitzverlegung einer SE oder SCE aus dem EU-Ausland in das Inland, so ist, wie ausgeführt, formal keine Schluss- und keine Eröffnungsbilanz vorgeschrieben. Es muss aber in irgendeiner Weise die Änderung im Regime der Rechnungslegungsvorschriften verarbeitet werden. Letztlich kann dies m. E. doch nur durch die Aufstellung einer Eröffnungsbilanz i. S. von § 242 HGB auf den Zeitpunkt der Wirksamkeit der Sitzverlegung erfolgen32, denn nur so kann der Ausgangspunkt für die Buchführung und die Wertansätze von Vermögensgegenständen und Schulden im Hinblick auf Folgeabschlüsse unter dem neuen Rechnungslegungsregime zutreffend festgehalten werden. Da aber die Sitzverlegung identitätswahrend stattfindet, sind zwingend die Buchwerte aus dem Rechnungslegungsregime des früheren Sitzlandes fortzuführen. Die bilanzielle Weiterentwicklung dieser fortgeführten Buchwerte richtet sich jedoch nach HGB. Ein Anschaffungsvorgang liegt allerdings in der Sitzverlegung nicht. Das hat zur Folge, dass z. B. für die Nutzungsdauerschätzung (Abschreibung) oder für die Bestimmung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten (Wertaufholung) keine Unterbrechung mit Neuanfang stattfindet. Da für diese Eröffnungsbilanz schon die Jahresabschlussvorschriften des HGB gelten (§ 242 Abs. 1 Satz 2 HBG), sind ggf. gewisse Korrekturen von Posten erforderlich, die das HGB nicht kennt (z. B. Rückführung einer Neubewertungsrücklage gegen fair value Werte auf der Aktivseite; vgl. oben III 3 b). Das bedeutet aber auch, dass eine Ergebnisermittlung bis zum Stichtag der Sitzverlegung nach altem Rechnungslegungsregime und von da ab nach neuem Rechnungslegungsregime erfolgen muss. Es bietet sich an, als Stich-

__________ 32 Meister/Klöcker, in Kallmeyer, UmwG, 3. Aufl. 2006, § 192 Rz. 21, 23.

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tag ein Geschäftsjahresende zu wählen und – unabhängig von der Registereintragung – im Verlegungsplan festzuschreiben (vgl. Art. 8 Abs. 2 SE-VO). b) Erfolgt die Sitzverlegung einer SE oder SCE aus dem Inland in das EU-Ausland, sind lediglich die Buchwerte zu transferieren. Handelsrechtlich bleibt es dabei, dass weder eine Schlussbilanz noch eine Vermögensaufstellung vorgehalten werden muss. 3. Transfer der Besteuerungsgrundlagen a) Steuerlich – wie handelsrechtlich – wird bei der Sitzverlegung aus dem Inland in das EU-Ausland eine Schlussbilanz nicht verlangt. Sie wird aber im Gegensatz zum Handelsrecht jedenfalls dann aus praktischen Gründen notwendig, wenn die Sitzverlegung dazu führt, dass Wirtschaftsgüter aus der deutschen Besteuerung ausscheiden (Entstrickung); diese sind dann nämlich mit dem gemeinen Wert anzusetzen und eine Gewinnrealisierung ist auf den Stichtag der Sitzverlegung zu versteuern. Bleiben Wirtschaftsgüter verstrickt (Betriebsstätte), andere nicht, dann dürfte sich schon aus Zuordnungsgründen eine Schlussbilanz empfehlen. b) Bei der Sitzverlegung aus dem EU-Ausland in das Inland soll die steuerliche Regelung so aussehen, dass Wirtschaftsgüter, die in Deutschland steuerlich verstrickt werden, grundsätzlich mit den Buchwerten übernommen werden, die sich aus den steuerrechtlichen Vorschriften über die Gewinnermittlung des Wegzugsstaates (i. d. R. wohl auch fortgeführte Anschaffungsoder Herstellungskosten) ergeben. Wahlweise soll aber der Wert angesetzt werden können, mit dem das Wirtschaftsgut beim abgebenden Staat im Rahmen einer Wegzugsbesteuerung angesetzt worden ist, höchstens mit dem gemeinen Wert. Ein Abweichen von den Buchwerten soll also nur insoweit möglich sein, als eine Versteuerung der Reserven stattgefunden hat. Hier soll erstaunlicherweise eine neue Maßgeblichkeit eingeführt werden, nämlich eine Maßgeblichkeit einer ggf. nur fiktiven Schlussbilanzierung nach den steuerrechtlichen Vorschriften im Wegzugsstaat bzw. eine Maßgeblichkeit des tatsächlich realisierten „Wegzugssteuerwerts“ ebenfalls im Wegzugsstaat. Die Europarechtsverträglichkeit dieser beabsichtigten Regelung sei dahingestellt. Jedenfalls erfordert sie, dass für den Stichtag der Sitzverlegung eine Art steuerliche Eröffnungsbilanz als Ausgangspunkt für die Ergebnisentwicklung in den Folgejahren aufzustellen ist.

VI. Resümee Auch wenn die einschlägigen Vorschriften über die grenzüberschreitende Umwandlung (Verschmelzung, Spaltung), die SE-Gründung und die Sitzverlegung keinerlei Bestimmungen zur Rechnungslegung vorsehen, sondern allenfalls auf nationale – und damit altbekannte – Regelungen verweisen, ergeben sich schon handelsrechtlich einige Besonderheiten, die nicht unbe276

Bilanzierungsfragen bei der grenzüberschreitenden Umwandlung und Sitzverlegung

achtet bleiben dürfen und teilweise auch weiter diskutiert werden müssen. Die steuerlichen Regelungen sind differenzierter und werfen sicherlich noch einige Fragen zu ihrer Vereinbarkeit mit EU-Recht auf. Jedenfalls sind auch hier Handelsbilanz- und Steuerbilanzrecht eng verquickt und damit dort angesiedelt, wo sich der Jubilar stets zu Hause gefühlt hat.

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Maßgeblichkeit versus eigenständige Steuerbilanz – Auswirkungen einer HGB-Reform auf das Steuerrecht Inhaltsübersicht I. Ausgangspunkt: Deutsche Rechnungslegung im Umbruch 1. Reformierung und Internationalisierung der handelsrechtlichen Rechnungslegung für verbesserte Informationszwecke 2. Tradierte Maßgeblichkeit im Ertragsteuerrecht: Stark im Einzelfall durchbrochener Grundsatz mit erheblichen praktischen Anwendungsschwierigkeiten II. Das Für und Wider der diskutierten Reformkonzepte 1. Die IAS-Maßgeblichkeit für Besteuerungszwecke als internationale Lösung

2. Schaffung eines eigenständigen kodifizierten Steuerbilanzrechts 3. Beibehaltung der Maßgeblichkeit, verbunden mit sachgerechter Annäherung von HGB und IAS/IFRS („Neuerfindung“ der Maßgeblichkeit) 4. Schaffung einer einheitlichen europäischen Steuerbasis: Harmonized Tax Basis III. Vorschlag: Evolutorische Fortentwicklung steuerbilanzieller Normen mit dem Ziel einer gesetzlichen Kodifikation bei mittelfristiger Abschaffung des Maßgeblichkeitsprinzips IV. Zum Schluss

Arndt Raupach hat sich in seinem wissenschaftlichen Werk mehrfach mit Fragen des Bilanzrechts, insbesondere seiner steuerbilanziellen Ausrichtung und den Bezügen zum Gesellschaftsrecht befasst1. Aus fachlichen Gesprächen weiß ich: Besonders fasziniert ihn die Entfaltung bilanzsteuerrechtlicher Grundprinzipien in Anbetracht einer nur kursorisch kodifizierten Regelungsmaterie; entsprechend guter „Anwaltsübung“ müssen die dogmatisch entwickelten Lösungsansätze im praktischen Einzelfall zu gut begründbaren und richtigen Lösungen führen. Es besteht daher Hoffnung, dass ihn mein kleiner Festschriftenbeitrag zu einem „Klassiker“ des Bilanzrechts – das weitere Schicksal des Maßgeblichkeitsgrundsatzes – interessieren könnte. Zum Thema: In der Diskussion um die Fortentwicklung der deutschen Rechnungslegung sind momentan zwei unterschiedliche Entwicklungslinien zu

__________ 1

S. zuletzt in einer breit angelegten Untersuchung in: Festschrift Röhricht, 2005, S. 1032–1054 zum Verhältnis zwischen Gesellschaftsrecht und Bilanzrecht unter dem Einfluss international anerkannter Rechnungslegungsgrundsätze. Weiterhin etwa: Festschrift Welf Müller, 2001, S. 793–813: Wandel von Bilanzierungszwecken? sowie Festschrift Moxter, 1994, S. 101–124.

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beobachten, die in einem noch nicht gelösten Spannungsverhältnis zueinander stehen: Einerseits die internationale Öffnung der HGB-Rechnungslegung (vorrangig des Konzernabschlusses, zunehmend aber auch des Einzelabschlusses, § 325 Abs. 2 a HGB) im Sinne verbesserter entscheidungsnützlicher Informationen für Kapitalmarktteilnehmer, andererseits die tradierte Verknüpfung von Handels- und Steuerbilanz durch den sog. Maßgeblichkeitsgrundsatz (§ 5 Abs. 1 EStG)2, um dessen Sinnhaftigkeit seine Befürworter und Gegner seit Jahren vehement streiten. Die Folge daraus ist die gleichzeitige Erstellung mehrerer Rechenwerke (ggf. einschließlich aufwendiger Überleitungsrechnungen) mit unterschiedlichen Zielsetzungen und Ergebnissen, ein auf längere Sicht unbefriedigender Zustand für Unternehmen und potenzielle Bilanzadressaten. Zur Verbesserung dieser Situation werden seit langem, aber im Hinblick auf die für das Jahr 2008 geplante grundlegende und systemorientierte Unternehmenssteuerreform gerade momentan sehr intensiv verschiedene Lösungsansätze diskutiert, die aus Praktikersicht untersucht und bewertet werden sollen. Klar ist: Die traditionellen deutschen Rechnungslegungsprinzipien – so auch die Maßgeblichkeit und ihre Umkehrung – haben im internationalen Wettbewerb einen schweren Stand3.

I. Ausgangspunkt: Deutsche Rechnungslegung im Umbruch 1. Reformierung und Internationalisierung der handelsrechtlichen Rechnungslegung für verbesserte Informationszwecke Zweckorientiertes Bilanzrecht: Rechnungslegung ist stets zweckorientiert4 und verfolgt verschiedene Schutzfunktionen. Dabei werden im Bilanzrecht traditionell unterschieden die Informationsfunktion des Jahresabschlusses (für Unternehmensinhaber, Gläubiger und den gesamten Kapitalmarkt), die Ausschüttungsbegrenzungs- und Kapitalerhaltungsfunktion sowie die Steuer-

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3 4

Die Literatur zum Maßgeblichkeitsprinzip, seinen Ausprägungsformen und Grenzen ist nahezu unüberschaubar. Vgl. als Überblick m. w. N. Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, S. 650–656; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 24. Aufl. 2005 § 5 Tz. 21–49; zu internationalen Entwicklungslinien auch Schön, Steuerliche Maßgeblichkeit in Deutschland und Europa, 2005. Weiterhin Weber-Grellet, StuB 2002, 700, Kirsch, DStZ 2004, 470; Strunk, StuB 2003, 397; Schramm, Festschrift Bareis, 2005, S. 293; J. Schreiber, DStR 2005, 1351; Herlinghaus, FR 2005, 1189; Hennrichs, StuW 2005, 256 und StbJb. 2004/2005, S. 257–273; Ballwieser in Festschrift Röhricht, 2005, S. 727–745 mit instruktiven Überlegungen zur Konzeptionslosigkeit des IASB; Niemann, Bilanzierung nach IAS/IFRS und Besteuerung, IFSt-Schrift Nr. 424 (Mai 2005); Wehrheim/Lenz, StuB 2005, 455; Arnold, StuW 2005, 148 und StuW 2004, 305; Schulze-Osterloh, Der Konzern 2004, 173; Kort, FR 2001, 53–62; Druen, FR 2001, 992–999. Baumbach/Hopt/Merkt, HGB, 32. Aufl. 2006, Einl. vor § 238 Rn. 19. So wird etwa eine Bewertung unter Zerschlagungsgesichtspunkten anders aussehen, als eine solche zu going concern-Werten.

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Auswirkungen einer HGB-Reform auf das Steuerrecht

bemessungsfunktion5. Diese Zwecke werden im handelsrechtlichen Einzelabschluss nebeneinander verfolgt, obgleich in Teilen eine Zweckdivergenz besteht (Konzept der Einheitsbilanz, Senkung von Compliance Costs), was Verwerfungen in der einen oder anderen Richtung (etwa Informationsdefizite, Unter- oder Überausschüttungen) zur Folge haben kann. Der Konzernabschluss dagegen dient allein Informationszwecken (keine Feststellung, nur Billigung durch die Gremien); er ist keine Grundlage für Ausschüttungs- und Besteuerungszwecke. Die Zweckdivergenz ist seit jeher ein Problem für gestaltende Bilanzpolitik, aber auch für Bilanzanalysten und sonstige Bilanzadressaten. Auch hinsichtlich der GoB (Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung), als teils kodifizierte (vor allem § 252 HGB), teils nicht kodifizierte Grundlage deutscher Rechnungslegung mit Rechtsnormcharakter, ist in jüngerer Zeit eine Unterscheidung in Informations-GoB und Gewinnanspruchs-GoB zu finden6. Diese in der Literatur anzutreffende Zweiteilung führt ebenfalls weiter von der historischen Einheitsbilanz weg. Insgesamt bildet Bilanzrecht im Kern Unternehmens-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht; insoweit ist es Teil der Unternehmensführung7. Der seit einigen Jahren festzustellende Umbruch in der deutschen Rechnungslegung betrifft sämtliche Funktionen und Typen von Bilanzen (Einzelabschluss, Konzernabschluss und „Steuerabschluss“). Trotz der Zweckdivergenz bislang nicht in Zweifel gezogen wird zum einen die „Einheit des Rechnungswesens“, zum anderen die Tatsache eines breiten gemeinsamen Kernbestands an Buchführungs- und Bilanzierungsdaten, der erhalten und gestärkt werden sollte. Eine – wie auch immer geartete – „Verschränkung“ von Informations-, Ausschüttungsbemessungs- und Besteuerungsfunktion wird daher – wohin auch immer die Entwicklung ansonsten gehen wird – bestehen bleiben müssen. Internationales Bilanzrecht für kapitalmarktorientierte Informationszwecke: Bei der Reformierung des deutschen Handelsbilanzrechts in den vergangenen Jahren sind zwei „Meilensteine der Entwicklung“ im Hinblick auf eine Internationalisierung und Europäisierung der deutschen Rechnungslegung festzustellen, die völlig losgelöst vom (nationalen) Steuerbilanzrecht erfolgten:

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6 7

Zu diesen unterschiedlichen Bilanzierungszwecken als „Normzwecken“ s. Raupach, Festschrift Welf Müller, 2001, S. 798–800; Baumbach/Hopt/Merkt, HGB, 32. Aufl. 2006, Einl. vor § 238 Rn. 154; Moxter, Grundsätze ordnungsgemäßer Rechnungslegung, 2003 S. 3–7. Ausschüttungsbegrenzungs- und Steuerbemessungsfunktion stehen sich dabei systematisch recht nahe, die Erfüllung der Informationsfunktion erfordert dagegen (jedenfalls teilweise) andere Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden. Aus Sicht betriebswirtschaftlich ausgerichteter Bilanztheorien gibt es daneben noch eine ganze Reihe weiterer Bilanzierungszwecke, etwa die Selbstinformation des Unternehmers, Kreditwürdigkeitsbeurteilungen oder Umwandlungs- und Sonderbilanzen; vgl. dazu eingehend Stützel, ZfB 1967, 314 ff. Vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsgemäßer Rechungslegung, 2003, S. 19, 221 f. Vgl. Großfeld/Luttermann, Bilanzrecht, 4. Aufl. 2005, S. 23.

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Internationale Öffnung des Konzernabschlusses seit 1998: Zum einen ist dies die Einführung des § 292 a HGB (a. F.) mit der Möglichkeit eines befreienden Konzernabschlusses nach internationalen Rechnungslegungsgrundsätzen (IAS, US-GAAP) mit Wirkung ab 1. 1. 1998 durch das Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz vom 20. 4. 1998. Die Regelung war von vornherein zeitlich befristet und ist zum 31. 12. 2004 ausgelaufen. Sie hat einen Wendepunkt der deutschen Konzernrechnungslegung „eingeläutet“8.



Europäische Rechnungslegungsstandards für Informationszwecke seit 2005: Zum anderen ist dies die EU-Verordnung 1606/2002 vom 19. 7. 2002 (IAS-A-VO), die am 14. 9. 2002 in Kraft getreten ist, gem. Art. 249 Abs. 2 EG in den Mitgliedsstaaten allgemeine Geltung hat (ohne einer Umsetzung in nationales Recht zu bedürfen) und die IAS (bei künftiger Umbenennung in IFRS, International Financial Reporting Standards) als internationalen Rechnungslegungsstandard ab 1. 1. 2005 für kapitalmarktorientierte Mutterunternehmen hinsichtlich des Konzernabschlusses verbindlich festgeschrieben hat. Ziel der EU-Verordnung ist: Gewährleistung harmonisierter Finanzinformationen für kapitalmarktorientierte Gesellschaften, um Transparenz und Vergleichbarkeit der Abschlüsse für einen effizienten Kapitalmarkt sicherzustellen (Art. 1 IAS-A-VO). Die international ausgerichtete Befreiungsmöglichkeit von der Konzernrechnungslegungspflicht nach § 292 a HGB (a. F.) wurde durch einen Anwendungszwang für IAS ersetzt. Das formelle und materielle Komitologieverfahren (Endorsement) macht aus den zunächst einmal von einem privaten Standardsetter (dem IASB, International Accounting Standards Bord in London) entwickelten Regelungen sekundäres Gemeinschaftsrecht. IAS/IFRS sind damit als prinzipienbasiertes Regelungssystem auslegungsfähig und auslegungsbedürftig; bei Konflikten hat der EuGH die Letztentscheidungsbefugnis9. Das „true and fair view“-Konzept und Gedanken der „fair value“-Bewertung (zur Verhinderung stiller Reserven) rücken damit in den Vordergrund; das Anschaffungskostenprinzip, der Realisationsund Imparitätsgrundsatz sowie das Einzelbewertungsprinzip verlieren demgegenüber deutlich an Bedeutung. Die internationalen Rechnungs-

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So zutreffend Ordelheide, WPg 1996, 545; Tschesche in Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, § 292a HGB, Tz. 3: Paradigmenwechsel in der deutschen Rechnungslegung. In diesem Zusammenhang wurde zur Fortentwicklung der Konzernrechnungslegung gleichzeitig auch ein privates Rechnungslegungsgremium, das DRSC (Deutsches Rechnungslegungs Standard-Committee), begründet (§ 342 HGB). Vgl. zum Ganzen eingehend Hauck/Prinz, Der Konzern 2005, 635 ff.; Schön, BB 2004, 763; Hüttemann, BB 2004, 203; wegen einer Übersicht zu den „IAS/IFRS endorsed“ s. Knorr/Schmidt, KuR 2006, 128. In Teilen der Literatur wird bspw. hinsichtlich des Verbots planmäßiger Abschreibungen auf den Geschäfts- oder Firmenwert und den „impairment only test“ ein Verstoß gegen die Vorschriften der Bilanzrichtlinien gesehen, so dass die Übernahme dieses Standards (IFRS 3.54 f.) unwirksam sei; so dezidiert Hennrichs, NZG 2005, 783, 785.

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Auswirkungen einer HGB-Reform auf das Steuerrecht

legungsstandards verfolgen ausschließlich Informationszwecke (decision usefulness-Konzept); die gesellschaftsrechtliche Kapitalerhaltungsfunktion und auch die Steuerbemessungsfunktion werden durch eine IASInformationsbilanz nicht wahrgenommen. Die (durch amerikanische Standardsetter beherrschten) US-GAAP sind für kapitalmarktorientierte EU-Unternehmen langfristig weder verpflichtend noch befreiend anwendbar; Art. 9 IAS-A-VO sieht insoweit allerdings eine Übergangsregelung bis 31. 12. 2006 vor. Derzeit laufende Konvergenzbemühungen zielen auf eine Angleichung von IAS/IFRS und die amerikanischen USGAAP. Eine zusätzliche US-GAAP-Verwendung (neben den IAS-Standards) ist natürlich stets möglich, wegen komplexer Überleitungsrechnungen aber wohl hochgradig unwirtschaftlich. Darüber hinaus sieht die IAS-A-VO verschiedene Mitgliedsstaatenwahlrechte für kapitalmarktorientierte Gesellschaften im Hinblick auf den handelsrechtlichen Einzelabschluss, für nicht kapitalmarktorientierte Gesellschaften für den Konzernabschluss und den Einzelabschluss vor10. Das Bilanzrechtsreformgesetz vom 4. 12. 2004 hat die IAS-A-VO (einschließlich der Mitgliedsstaatenwahlrechte) ausschließlich begrenzt auf Informationszwecke (nicht für Kapitalschutz- und Steuerbemessungszwecke) zwischenzeitlich umgesetzt: Für Konzernabschlüsse börsennotierter Unternehmen ist dies deklaratorisch (und in Nachfolge von § 292 a HGB a. F.) in § 315 a Abs. 1 HGB erfolgt; darüber hinaus wurde für nicht kapitalmarktorientierte Mutterunternehmen die Möglichkeit für einen befreienden IAS/IFRS-Konzernabschluss in § 315 a Abs. 3 HGB geschaffen. Schließlich findet sich nunmehr für große Kapitalgesellschaften in § 325 Abs. 2a HGB die Möglichkeit, auf die Bundesanzeiger – Publizität des HGB-Jahresabschlusses (= Einzelabschluss) zu verzichten und stattdessen einen IAS/ IFRS-Einzelabschluss zu publizieren. Die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards in Deutschland für Informationszwecke soll nach Vorstellung in politischen Kreisen sachgerecht und transparent fortentwickelt werden11. Für Ausschüttungszwecke und für die ertragsteuerlichen Bemessungsgrundlagen soll es dagegen auch weiterhin beim handelsrechtlichen Einzelabschluss und dem Maßgeblichkeitsgrundsatz bleiben; vor allem letzterer wird vom handelsrechtlichen Gesetzgeber derzeit ausdrücklich als beibehaltungswürdig angesehen. Unklare Fortentwicklung und Zukunft der bilanziellen nominellen Kapitalerhaltung12: Imparitäts- und Vorsichtsprinzip prägen handelsrechtliche Jah-

__________ 10 Vgl. Prinz, DStR 2003, 1359. 11 So der Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen v. 27. 10. 2004, BT- Drucksache 15/4036. 12 Vgl. dazu eingehender Schön, Der Konzern 2004, 162; Raupach, Festschrift Röhricht, 2005, 1046–1051; Kuhner, ZGR 2005, 754; Arbeitskreis Bilanzrecht, BB 2002, 2372, 2375 f.

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resabschlüsse in Deutschland; Folge daraus ist bspw. eine sehr nuancenreiche „Rückstellungskultur“ deutscher Unternehmen. Der im handelsrechtlichen Einzelabschluss dokumentierte Kapitalerhaltungsgedanke führt insgesamt zu einem behutsamen Ausweis des für Ausschüttungszwecke zur Verfügung stehenden (nominellen) Bilanzgewinns. Auch insoweit führt die Internationalisierung der Rechnungslegung in Deutschland zum Umbruch; denn die bilanziell angelegte, gläubigerschützende Kapitalerhaltung tritt zu Gunsten der Informationsfunktion des Jahresabschlusses in den Hintergrund. Auch der Europäische Gerichtshof lässt in jüngerer Zeit in seiner Rechtsprechung zu zuziehenden ausländischen Kapitalgesellschaften (Inspire Art-Entscheidung) Zweifel hinsichtlich der Geeignetheit von Vorschriften über das Mindestkapital als Instrument des Gläubigerschutzes erkennen13; dies entspricht angelsächsischer Sichtweise. Als Folge daraus wird im Gesellschaftsrecht momentan intensiv diskutiert, ob zu den bilanzrechtlichen Kapitalerhaltungsregeln alternative Modelle des Gläubigerschutzes bei haftungsbeschränkten Gesellschaften im Zuge einer internationalen Entwicklung auch in Deutschland in Betracht kommen können. Genannt werden insolvenzrechtliche Lösungen, der sog. solvency-test als eine situative Ausschüttungsrechung sowie vertragliche Ausschüttungsbeschränkungen (sog. financial covenants); auch wird eine neue europäische Richtlinien-Initiative diskutiert. Vorstellbar ist daher: Möglicherweise könnten zukünftig situative Ausschüttungssperren an die Stelle bilanzieller und nominell ausgerichteter Kapitalerhaltungskonzepte treten. Die Diskussion steht am Anfang; klare Lösungen sind derzeit nicht in Sicht. Der deutsche Handelsgesetzgeber hält momentan nach wie vor an der Ausschüttungsfunktion des Einzelabschlusses fest. Die entwicklungsbedingte Unsicherheit hinsichtlich der Zukunft bilanzieller Kapitalerhaltungskonzepte auch in Deutschland beeinträchtigt naturgemäß auch das Maßgeblichkeitskonzept als stabile Grundlage für das Ertragsteuerrecht. 2. Tradierte Maßgeblichkeit im Ertragsteuerrecht: Stark im Einzelfall durchbrochener Grundsatz mit erheblichen praktischen Anwendungsschwierigkeiten Der Maßgeblichkeitsgrundsatz ist kodifiziert in § 5 Abs. 1 EStG und verpflichtet für steuerliche Gewinnermittlungszwecke vor allem die Vollkaufleute zum Vergleich desjenigen Betriebsvermögens, „das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist“. Man spricht ungenau von der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz; genauer betrachtet sind jedoch nur die handelsrechtlichen GoB als deduktiv ermitteltes, offenes und rechtsformunabhängiges Regelungs-

__________ 13 EuGH v. 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01, GmbHR 2003, 1260, Tz. 134 und 135 betr. Inspire Art Ltd.; dazu auch Prinz/von Freeden, Der Konzern 2004, 318, 324.

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Auswirkungen einer HGB-Reform auf das Steuerrecht

system maßgeblich14. § 5 Abs. 1 S. 2 EStG ergänzt die Grundaussage in Satz 1: „Steuerrechtliche Wahlrechte bei der Gewinnermittlung sind in Übereinstimmung mit der handelsrechtlichen Jahresbilanz auszuüben.“ Der Maßgeblichkeitsgrundsatz gilt für den Ansatz dem Grunde und der Höhe nach, wobei § 5 Abs. 6 EStG einen steuerrechtlichen Bewertungsvorbehalt enthält; Fragen der Zuordnung des Betriebsvermögens und der Zurechnung nach Maßgabe des rechtlichen oder wirtschaftlichen Eigentums sind eingeschlossen. Die Anwendung der Maßgeblichkeit erfolgt in der Steuerbilanz als erster Stufe der Gewinnermittlung; gem. § 60 Abs. 2 EStDV ist dies die den steuerlichen Vorschriften durch Zusätze oder Anmerkungen angepasste Handelsbilanz15. Entstehung und systematische Fundierung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes: Historisch betrachtet ist der Maßgeblichkeitsgrundsatz vor mehr als 100 Jahren unter Vereinfachungsgesichtspunkten (und zu aus heutiger Sicht extrem niedrigen Steuersätzen) entstanden. Der Kaufmann habe ohnehin eine Handelsbilanz aufzustellen, die gleichzeitig auch Basis für die Besteuerung sein sollte16. Systematisch untermauert wurde das Maßgeblichkeitsprinzip vor allem durch die „Stille Teilhaber-These“ von Döllerer17, wonach sich der Fiskus und die Anteilseigner gleichermaßen auf den Zugriff nach einem vorsichtig ermittelten ausschüttungsfähigen Jahresgewinn beschränken sollten (weitgehend deckungsgleiche Ausschüttungsbemessungs- und Besteuerungsfunktion). Maßgeblichkeit soll dadurch neben der Vereinfachung und Praktikabilität als Schutz vor einem übermäßigen fiskalischen Zugriff dienen; die Wahrnehmung der handelsbilanziellen Informationsfunktion wird teilweise dem Anhang als Bestandteil des Jahresabschlusses (§ 264 Abs. 1 HGB) zugewiesen. Die Döllerer-These ist zwischenzeitlich stark umstritten, da der Schutz vor fiskalischen Eingriffen dem Verfassungsrecht obliegt, primär auf Kapitalgesellschaften, weniger auf Personenunternehmen abzielt und der „wahre“ unter Leistungsfähigkeitsaspekten besteuerungswürdige Gewinn von anteilseignerbezogenen Ausschüttungsansprüchen durchaus abweichen kann. Letztlich zu Ende diskutiert ist die Frage allerdings nicht. Jedoch ist die Schutzfunktion der Handelsbilanz vor fiskalischen Eingriffen wegen der zwischenzeitlich zahlreichen gesetzlichen Durchbrechungen der Maßgeblichkeit ohnehin stark eingeschränkt18.

__________ 14 Vgl. zu Details HHR/Stobbe, § 5 EStG Anm. 200, 202. 15 Das EStG selbst definiert den Begriff „Steuerbilanz“ nicht. Verwendung findet der Begriff bspw. in § 27 Abs. 1 S. 4 KStG zur Ermittlung des steuerlichen Einlagekontos. 16 Vgl. Thiel/Lüdtke-Handjery, Bilanzrecht, 5. Aufl. 2005, S. 111. 17 Vor allem Döllerer, BB 1971, 1333. 18 Zur Diskussion der Döllerer-These im Einzelnen siehe Thiel/Lüdtke-Handjery, Bilanzrecht, 5. Aufl. 2005, S. 111–113; Link in Schön, Steuerliche Maßgeblichkeit in Deutschland und Europa, 2005, S. 218–230, sehr kritisch aus betriebswirtschaftlicher Sicht Wagner, BB 2002, 1885, 1887 f.

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Ausprägungen des Maßgeblichkeitsgrundsatzes:19 Da die handelsrechtlichen GoB als konkrete Rechtsnormen für die steuerliche Gewinnermittlung für Vollkaufleute und bestimmte andere Gewerbetreibende verpflichtend sind, spricht man im Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 S. 1 EStG von „materieller Maßgeblichkeit“. Ein falscher Handelsbilanzansatz ist demzufolge für steuerliche Gewinnermittlungszwecke irrelevant. Der konkrete Wertansatz in der Handelsbilanz ist allerdings wegen § 5 Abs. 1 S. 2 EStG (eingeführt durch das sog. Restantengesetz vom 22. 12. 1989) bei bestimmten steuerrechtlichen Wahlrechten maßgebend; insoweit spricht man von einer „formellen Maßgeblichkeit“, d. h., einer konkreten formellen Anknüpfung der steuerlichen Gewinnermittlung an die tatsächliche Wahlrechtsausübung in der Handelsbilanz, sofern es sich um sog. korrespondierende Wahlrechte handelt. Der handelsrechtliche Gesetzgeber hat als Folge daraus flankierend spezielle Öffnungsklauseln geschaffen (vor allem für Sonderabschreibungen und Sonderposten; §§ 247 Abs. 3, 254, 273, 279 Abs. 2, 280 Abs. 2 HGB), die als „umgekehrte Maßgeblichkeit“ bezeichnet werden20. Der Maßgeblichkeitsgrundsatz ist somit durchaus heterogen und vielschichtig. Durchbrechungen des Maßgeblichkeitsprinzips (richterrechtliche und gesetzliche) wegen vom Handelsrecht abweichender steuerlicher Grundprinzipien gab es schon immer. So hat beispielsweise der Große Senat des BFH in einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 1969 im Interesse der Gleichmäßigkeit der Besteuerung festgelegt, dass handelsrechtliche Aktivierungswahlrechte zu steuerbilanziellen Aktivierungsgeboten, handelsrechtliche Passivierungswahlrechte zu steuerbilanziellen Passivierungsverboten führen21; als tragender Grund steht hinter dieser Entscheidung die Vorstellung, für Steuerbemessungszwecke sei der wahre, volle Gewinn des Kaufmanns zu erfassen, der nicht in seinem Belieben stehen dürfe. Auch gab es etwa mit § 6a EStG schon immer steuerliche Sonderregelungen für Pensionsrückstellungen mit abzugsbegrenzender Wirkung. Vor allem aus fiskalischen Gründen sind jedoch seit etwa 1998 mit zunehmender Tendenz in einer Vielzahl von Fällen ausdrückliche gesetzliche Durchbrechungen der Maßgeblichkeit zu beobachten, die durchaus zu mehrperiodigen Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz führen; mit vereinfachten Überleitungsrechnungen sind diese Abweichungen meist nicht mehr bewältigbar. Besonders bemerkenswert dabei sind: –

Passivierungsverbot für nur aus künftigen Einnahmen oder Gewinnen zu erfüllende Verpflichtungen gem. § 5 Abs. 2 a EStG;



Verbot der Bildung von Drohverlustrückstellungen gem. § 5 Abs. 4a EStG;

__________ 19 Zu Details siehe HHR/Stobbe, § 5 Anm. 61–63; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, S. 650–652. 20 Raupach, Festschrift Moxter, 1994, S. 103, spricht von einer „Prädominanz des Steuerrechts in der Handelsbilanz“. 21 BFH, Beschl. v. 3. 2. 1969 – GrS 2/68, BStBl. II 1969, 291.

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Auswirkungen einer HGB-Reform auf das Steuerrecht



Abzinsungsgebot für längerfristige unverzinsliche Rückstellungen und Verbindlichkeiten gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3, Nr. 3 a Buchstabe e EStG mit einem Normzinssatz von 5,5 % bei (unzutreffender) Berufung auf internationale Bilanzierungsgepflogenheiten;



Halb- oder Nulleinkünftebesteuerung mit außerbilanziellen Korrekturen (§ 3 Nr. 40 EStG, § 8b KStG).

Das kodifizierte Steuerbilanzrecht befindet sich auf dem „Vormarsch“. Als Grundprinzip bleibt die Maßgeblichkeit – allerdings mit immer mehr wichtigen Ausnahmen – erhalten; sie dient zunehmend allein der höhenmäßigen Begrenzung steuerbilanziellen Aufwands22. Hinzu kommt: Die umgekehrte Maßgeblichkeit wird wegen unsachgerechter Verzerrungen im handelsrechtlichen Jahresabschluss ganz weitgehend im Schrifttum abgelehnt. Die „Einheitsbilanz“ gehört daher praktisch auch heute schon bei großen und mittelständischen Unternehmen der Vergangenheit an; die praktischen Erfahrungen mit der rein an steuerbilanziellen Ansätzen und Werten ausgerichtete Betriebsprüfung bestätigen dies (Anpassung der ersten offenen Handelsbilanz an die „Prüferbilanz“ erst nach Abschluss der Betriebsprüfung).

II. Das Für und Wider der diskutierten Reformkonzepte 1. Die IAS-Maßgeblichkeit für Besteuerungszwecke als internationale Lösung Die Bedeutung der IAS/IFRS für informationsorientierte Rechnungslegungszwecke (vor allem des Konzernabschlusses) auch in Deutschland ist für kapitalmarktorientierte Unternehmen – m. E. aber auch darüber hinaus – bei aller Kritik im Detail nicht mehr aufzuhalten. IAS als konzeptionell überlegenes Informationsinstrument: Die IAS-Rechnungslegung ist der traditionellen HGB-Bilanz als Instrument zur Offenlegung entscheidungsrelevanter Kapitalmarktinformationen konzeptionell überlegen. Dies wird auch daran deutlich, dass neben dem IAS-Abschluss selbst (Bilanz, GuV, Anhang) weitere Informationsinstrumente zwangserforderlich sind (Kapitalflussrechnung, Segmentberichterstattung und Eigenkapitalveränderungsrechnung). Allerdings muss der Entstehungsprozess von IAS und das formelle und materielle Komitologieverfahren zur Schaffung von Europarecht (sog. IAS-endorsed) im Hinblick auf mehr Transparenz, Verständlichkeit und Objektivierungserfordernisse verbessert werden. Mit

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22 Vgl. etwa BMF-Schreiben v. 16. 12. 2005, DB 2005, 2773 zur Bewertung von Pensionsrückstellungen nach § 6 a EStG im Übergang auf die „Richttafeln 2005 G – von Prof. Heubeck“. S. neuerdings aber auch zur „Klarstellung der Maßgeblichkeit“ die geplante Einfügung eines § 5 Abs. 1a EStG-E zu Bewertungseinheiten im Entwurf eines Gesetzes zur Eindämmung mißbräuchlicher Steuergestaltungen, BR-Drucksache 937/05 v. 30. 12. 2005.

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der praktischen IAS-Erfahrung nimmt die Kritik an deren Qualität deutlich zu23. Keine rechtliche Ausstrahlungswirkung der IAS auf das geltende Bilanzsteuerrecht: IAS sind für das deutsche Steuerbilanzrecht wegen ihres europarechtlich verpflichtenden Charakters nur für die (von der Besteuerung unabhängige) Konzernrechnungslegung kapitalmarktorientierter Unternehmen keine verbindlichen Rechtsquellen. Auch haben sie keinen GoB-Charakter, können aber für die praktische Rechtsanwendung durchaus „Erkenntnisgewinn“ bringen24. Eine gewisse Verwirrung in diese Diskussion hat die BIAO-Entscheidung des EuGH vom 7. 1. 200325 und ihre Rezeption durch das nicht rechtskräftige Urteil des FG Hamburg vom 28. 11. 200326 gebracht. Denn der EuGH hat im Hinblick auf Rückstellungsfragen im Bankenbereich entschieden, dass konkrete Bewertungsfragen in Ermangelung von Detailregelungen der 4. Bilanzrichtlinie (aus dem Jahre 1978) unter Berücksichtigung ihrer allgemeinen Grundsätze nach dem nationalen Recht zu lösen sind, „ggf. unter Berücksichtigung internationaler Rechnungslegungsstandards (IAS)“ des jeweiligen Streitjahres. IAS können danach zur europarechtskonformen Auslegung der Jahresabschlussrichtlinie herangezogen werden. Das FG Hamburg hat dann daraus in seiner nicht rechtskräftigen Entscheidung vom 28. 11. 2003 weitergehende Folgerungen gezogen: In Ermangelung von Detailregelungen seien die IAS bei der Auslegung der Jahresabschlussrichtlinie ergänzend heranzuziehen, was dann wegen des Maßgeblichkeitsgrundsatzes auch für das Steuerrecht gelte. Der BFH hat nun allerdings die Aussage des FG Hamburg wieder (allerdings in etwas sibyllinischer Form) „zurecht gerückt“27: „Die IAS, soweit sie für den Streitfall von Bedeutung sein könnten, …, waren im Streitjahr 1989 noch nicht vom IASB genehmigt. Im Übrigen sind die IAS gem. Art. 4 der Verordnung … 1606/2002 vom 19. 7. 2002 erst ab 1. 1. 2005 und lediglich für konsolidierte Abschlüsse börsennotierter Gesellschaften verbindlich. Auch die IAS finden daher aus zeitlichen Gründen auf den Streitfall keine Anwendung.“

Die Diskussion fügt sich ein in den allgemeinen Streit um die Frage, ob der EuGH – veranlasst durch den Maßgeblichkeitsgrundsatz – auch über bilanzsteuerrechtliche Fragen in Deutschland letztlich entscheidungsbefugt ist.

__________ 23 Vgl. etwa Küting, FAZ v. 17. 10. 2005: Wurde ein zu hoher Preis für IAS gezahlt?; ders., IFRS: Schöne neue Bilanzwelt?; BB Heft 47/2005, I.; Küting/Zwirner, StuB 2006, 1: Rechnungslegung nach HGB: Abnehmende Tendenz, aber (immer noch) kein Auslaufmodell!; Hillmer, KuR 2006, 48–52. In diesem Zusammenhang bemerkenswert ist auch eine internationale Studie von Ernst & Young aus Mai 2005: How fair is fair-value? 24 So zutreffend die Analyse von Hennrichs, NZG 2005, 783 ff.; ders., StuW 2005, 263. 25 Rs. C 306/99, DB 2003, 181. 26 III 1/01, BB 2004, 1220. 27 BFH v. 15. 9. 2004 – I R 5/04, DB 2005, 311, 312.

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Während der EuGH selbst dies im Grundsatz bejaht, allerdings den nationalen Gerichten einen weiten „Vorlagespielraum“ einräumt, ist der BFH tendenziell eher vorlageunfreundlich28. Die gesetzgeberische Tendenz zu einem eigenständigen Steuerbilanzrecht entschärft allerdings den Streit. M. E. ist im Ergebnis der Analyse von Hennrichs zur fehlenden normativen Geltung der IAS/IFRS für das Steuerbilanzrecht zuzustimmen. IAS-Maßgeblichkeit für Besteuerungszwecke nicht anstrebenswert: Nach überwiegender Auffassung in der Literatur kommt eine direkte Anwendung von IAS für deutsche Besteuerungszwecke nicht in Betracht29. Dies ist m. E. aus mehreren Gründen zutreffend. Zum einen ist der Normcharakter der IAS problematisch und für das Steuerrecht als Eingriffsrecht ungeeignet. Denn im Ausgangspunkt sind die IAS keine Rechtsnormen, sondern privat gesetzte Standards in einem case law-System, ursprünglich verfasst in englischer Sprache30. Den Charakter als Rechtsnormen erhalten sie durch das europäische Endorsement-Verfahren und die (teils deklaratorische) Übernahme in deutsches Recht gem. § 315a HGB für Konzernabschlüsse sowie für den informationsorientierten Einzelabschluss gem. § 325 Abs. 2a HGB. Dadurch sind sie als Informationsinstrument für Kapitalmarktteilnehmer unmittelbar geltendes Recht in der jeweiligen Sprache des Mitgliedsstaats. Dennoch weichen sie in ihrer Konzeptionen und den Formulierungen weitgehend von den Normen kontinentaleuropäischer Tradition ab. Zum anderen sind sie für Besteuerungszwecke aber dessen ungeachtet wenig geeignet; ihre Zwecksetzung verbietet sogar eine unmittelbare Verwendung für Besteuerungszwecke. Zutreffend enthält daher der Entschließungsantrag der (damaligen) Regierungsfraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 27. 10. 2004 für die Anwendung internationaler Rechnungslegungsstandards in Deutschland folgenden Hinweis: Die IAS werden danach gar nicht oder nur mit Hilfe umfangreicher Überleitungsrechnungen Grundlage für eine Gewinnausschüttung sein können und als Regelwerk eines privaten Gremiums auch nicht direkt Basis für die Besteuerung sein. Dies habe auch die Bundesregierung bereits in der Begründung eines Regierungsentwurfs zum Bilanzrechtsreformgesetz zutreffend zum Ausdruck gebracht. Bei einer künftigen weitreichenden IAS-Anwendung werden daher für Ausschüttungs- und Besteuerungszwecke Alternativen zu entwickeln sein. Durchschlagende Gegenargumente im Hinblick auf eine IAS-Maßgeblichkeit sind: Vor allem das fair value-Konzept, das über die historischen Anschaf-

__________ 28 Zum Streitstand im Einzelnen: Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, S. 653 f. Sehr kritisch in jüngerer Zeit auch Ahmann, DStZ 2005, 75 sowie P. Fischer, FR 2005, 457. 29 Vgl. etwa die Vorschläge der Bundessteuerberaterkammer aus Oktober 2005, Kammerreport, Beihefter zu DStR 40/2005: Steuerliche Gewinnermittlung überarbeiten – nicht an IFRS ausrichten. 30 Zu den insoweit entstehenden Fehlern und Unzulänglichkeiten der Übersetzung siehe eingehender Niehus, DB 2005, 2477.

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fungs- oder Herstellungskosten hinausgeht, führt zu einer Besteuerung von Scheingewinnen ohne entsprechende finanzielle Leistungsfähigkeit31; dadurch ergibt sich die Notwendigkeit zahlreicher Ausschüttungssperren und sonstiger informationsbewirkter Korrekturen im steuerbilanziellen Rechenwerk. Es würden daher eine Vielzahl von Durchbrechungen einer denkbaren IAS-Maßgeblichkeit notwendig sein. Hinzu kommen: fehlender konkreter Gesetzesvorbehalt der IAS; gestiegene Volatilität der Steuerbilanz; insgesamt ergebniserhöhende Wirkung trotz Nachdotierung von Pensionsrückstellungen; Verletzung des Gleichheitssatzes im Steuerrecht, solange die IAS-Anwendung nicht für sämtliche Unternehmen gilt; unterschiedliche Entwicklung der IAS auf Grund länderspezifischer Finanzgerichtsrechtsprechung; besondere Probleme für KMU’s. Schließlich sind auch die IAS keineswegs „wahlrechtslos“, so dass ggf. intensiver als heute Ermessens- und Gestaltungsspielräume unter einer IAS-Maßgeblichkeit erhalten blieben. All dies verdeutlicht m. E. ganz klar: eine IAS-Maßgeblichkeit für Besteuerungszwecke ist abzulehnen, als „starting point“ für steuerliche Gewinnermittlungszwecke – verstanden im Sinne einer gedanklichen Grundlage und Öffnung für internationale Harmonisierung – sind IAS jedoch durchaus denkbar. 2. Schaffung eines eigenständigen kodifizierten Steuerbilanzrechts Als Alternative zur IAS-Maßgeblichkeit und als Öffnung des Handelsbilanzrechts für eigenständige Entwicklungen und Wertungen wird in Steuerreformgremien und auch in Teilen der Literatur ein eigenständig kodifiziertes Gewinnermittlungsrecht (bei ausdrücklicher Aufgabe des Maßgeblichkeitsprinzips) vorgeschlagen. Die Anfänge dazu sind für steuerbilanzielle Zwecke bereits heute gemacht (etwa § 5 Abs. 2 bis Abs. 6, § 6 Abs. 1 Nr. 2a bis Nr. 3a EStG), allerdings noch eingebettet in die Maßgeblichkeit, überwiegend systematisch unbefriedigend geregelt und ausschließlich fiskalisch motiviert. Es werden verschiedene Konzeptionen für ein am Leistungsfähigkeitsgrundsatz orientiertes Gewinnermittlungssystem diskutiert. Klar ist dabei: Auf der einen Seite bedarf die leistungsfähigkeitsentsprechende Ausgestaltung konkretisierter, meist an „klassische“ handelsrechtliche GoB anknüpfender Einzelbestimmungen, auf der anderen Seite müssen Wahlrechte reduziert werden bei gleichzeitiger Erlangung fiskalischer Stabilität. Auch Ermessens- und Beurteilungsspielräume werden dabei – soweit sie nicht systemnotwendig sind – eingeengt werden müssen.

__________ 31 Aus historischer Sicht erscheint interessant: Eine fair value-Bewertung gab es bereits einmal im Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch (AD HGB) aus dem Jahre 1861; wegen bestehender Manipulationsmöglichkeiten wurde die fair valueBewertung dann bereits 1884 wieder abgeschafft und durch das noch heute geltende Anschaffungs- oder Herstellungskostenkonzept ersetzt. Zu Nachweisen Niemann, IFSt-Schrift Nr. 424 (Mai 2005), S. 33.

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Auswirkungen einer HGB-Reform auf das Steuerrecht

Steuerbilanzieller Betriebsvermögensvergleich ist modifizierter cash flowBesteuerung überlegen: Zunächst stehen sich das Konzept eines steuerbilanziellen Betriebsvermögensvergleichs und unterschiedlich ausgestaltete cash flow-Besteuerungssysteme gegenüber, wobei teilweise auch differenzierte „Angleichungskonzepte“ vorgeschlagen werden32. Ein cash flow-nahes Besteuerungssystem dürfte als allgemeiner Gewinnermittlungsstandard (jedenfalls m. E.) ausscheiden, da rein zahlungsorientierte Größen nicht das gesamte Spektrum sachgerechter Leistungsfähigkeitsbemessung widerspiegeln, starke Ergebnisschwankungen mit der Notwendigkeit eines umfassenden (nicht eingeengten) Verlustabzugs auftreten und die gebotene kaufmännische Vorsicht (insbesondere über sachgerecht ermittelte Rückstellungen) zu kurz kommt. Cash flow-Rechnungen, in welcher Detailausgestaltung auch immer, haben zwar den Vorteil der Einfachheit; eine leistungsfähigkeitsgerechte Besteuerung wird aber ohne Berücksichtigung von Bestands- und Wertveränderungen, unsicheren Verbindlichkeiten und verursachungsgerechter Aufwands- und Ertragszuordnung nicht erreichbar sein. Der Vorschlag der „Stiftung Marktwirtschaft“ geht daher auch in Richtung eines eigenständig kodifizierten Steuerbilanzrechts33, welches allerdings nicht in der „Beliebigkeit“ rein fiskalischer Wünsche und Notwendigkeiten stehen darf. Dazu bedarf es der Schaffung eines demokratisch legitimierten Rechtsrahmens mit einem objektivierten Maßstab im Hinblick auf gleichmäßige finanzielle Leistungsfähigkeitsbesteuerung. Dabei ist zwingend das Realisationsprinzip zu beachten; auch das Vorsichtsprinzip (mit Teilwertabschreibungen und Rückstellungsbildungen) muss in ausreichender Form berücksichtigt werden. Das Anschaffungs- und Herstellungskostenprinzip statt der full fair value-Bewertung erscheint unter Objetivierungsaspekten (und bei Inkaufnahme der Bildung stiller Reserven) zwingend. Im Ergebnis dürfte daher ein eigenständiges Steuerbilanzrecht den bereits heute im HGB geltenden Grundsätzen weitgehend entsprechen, also kaum wesentlich anders aussehen, als unter der Geltung des Maßgeblichkeitsprinzips34. Schließlich verfolgt das im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen verfasste Herzig-Gutachten35 eine vermittelnde Lösung. Grundkonzept ist dabei die wahlweise Einfüh-

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32 Vgl. etwa Wagner, BB 2002, 1885; D. Schneider, StuW 2004, 293. 33 Vgl. etwa den Bericht der Bundessteuerberaterkammer aus November 2005, Beihefter zu DStR 44/2005 zu einem Forum „Bilanzsteuerrecht“; Herzig/Hey/Lang/ Mössner, FAZ v. 6. 8. 2005, 13 betreffend das Grundkonzept der Kommission Steuergesetzbuch bei der „Stiftung Marktwirtschaft“; zu weiteren Details s. Steuerpolitisches Programm v. 30. 1. 2006, 35–37: Vom Maßgeblichkeitsgrundsatz zu einem eigenständigen Gewinnermittlungsgesetz. Zur Reform der Unternehmensbesteuerung nach dem Konzept der Stiftung Marktwirtschaft insgesamt Herzig/ Böhm, DB 2006, 1. 34 So auch bereits die Einschätzung von Hennrichs in DStJG, Bd. 24, Besteuerung von Einkommen, 2001, S. 301, 328. 35 Vgl. Herzig/Bär, DB 2003, 1; Herzig/Hausen, DB 2004, 1; Herzig, WPg 2005, 211; Herzig, IAS/IFRS und steuerliche Gewinnermittlung, 2004. Kritisch etwa Bohl, DB 2004, 2381.

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rung einer modifizierten Einnahme-/Überschussrechnung i. S. d. bisherigen § 4 Abs. 3 EStG als gemeinsame Grundlage einer rechtsform- und einkunftsartenübergreifenden Einkünfteermittlung. Insbesondere für KMU’s könnte einer solcher Ansatz sinnvoll sein. Entscheidungen des Steuergesetzgebers für die eine oder andere Richtung sind bislang noch nicht erfolgt. M. E. sprechen eine ganze Reihe von Gründen dafür, dass am Ende der Entwicklung in einigen Jahren ein im EStG kodifiziertes eigenständiges Steuerbilanzrecht stehen wird, welches zentral auf dem Betriebsvermögensvergleich fußt. Folgewirkungen für latente Steuern im Einzel- und Konzernabschluss36: Latente Steuern, die im handelsrechtlichen Einzelabschluss derzeit nur ein „Schattendasein“ führen (§ 274 HGB), werden bei Aufgabe des Maßgeblichkeitsprinzips deutlich wichtiger. Entsprechendes gilt für latente Steuern im Konzernabschluss, die sich gem. § 306 HGB zusätzlich nur auf Konsolidierungsmaßnahmen erstrecken. Das bisherige GuV-orientierte Timing-Konzept muss dann weiterentwickelt werden zu dem international gebräuchlichen bilanzorientierten Temporary-Konzept. Dies bedeutet: Ansatzpflicht auch auf der Aktivseite (einschließlich deferred tax assets auf nutzbare steuerliche Verlustvorträge) und Einzelausweis aktiver und passiver latenter Steuern. Die „Entkoppelung“ von Handels- und Steuerbilanz lässt die zeitlich entstehenden Ergebnisdifferenzen deutlich zunehmen. Die konzeptionell fortentwickelten latenten Steuern bilden ein „Scharnier“ zur Steuerbilanz, lassen Rückschlüsse auf die unternehmerische Steuerquote zu und verhindern eine langjährige asymmetrische Entwicklung von handels- und steuerbilanziellen Ergebnissen. 3. Beibehaltung der Maßgeblichkeit, verbunden mit sachgerechter Annäherung von HGB und IAS/IFRS („Neuerfindung“ der Maßgeblichkeit) Die Tendenz zur Abschaffung der Maßgeblichkeit bei gleichzeitiger Kodifikation eines eigenständigen steuerlichen Gewinnermittlungsrechts ist allerdings bei weitem nicht eindeutig in der Literatur zu erkennen. Im Gegenteil: Denn bei einer Reformierung des HGB in Richtung mehr Internationalität und Beseitigung verschiedener übervorsichtiger Bewertungen und Wahlrechte (etwa § 253 Abs. 4 HGB), könnte ein beibehaltener Maßgeblichkeitsgrundsatz wieder eine stärkere Annäherung von Handels- und Steuerbilanz bewirken. Gleichzeitig müssten dann allerdings auch einige systemwidrige Steuerbilanzrechtsregelungen abgeschafft werden. Man könnte insoweit von einer „Neuerfindung“, neutraler von einer Neuausrichtung der Maßgeblich-

__________ 36 Vgl. zum derzeit geltenden Konzept der latenten Steuern eingehender Rabeneck/ Reichert, DStR 2002, 1366, 1409. Zur Steuerabgrenzung nach IAS 12 s. WP Handbuch 2006, Bd. I, Kapitel N Rz. 428–441.

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keit sprechen. In einer breit angelegten, rechtsvergleichenden Grundlagenuntersuchung zur steuerlichen Maßgeblichkeit in Deutschland und Europa gelangt Schön (mit seinem Mitarbeiterteam am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München) zu dem (etwas überraschenden) Ergebnis, dass andere Länder den Maßgeblichkeitsgrundsatz derzeit fördern, z. B. Großbritannien und die USA. Dies zeigt: Selbst Staaten, die traditionell die kaufmännische von der steuerlichen Rechnungslegung trennen, stärken und nutzen die Verbindungsstücke, um etwa rechnungslegungsbezogene missbräuchliche Kapitalmarktberichterstattungen einzudämmen (Enforcementfunktion der Maßgeblichkeit). Auch unter diesem Gesichtspunkt könnte die Beibehaltung einer revitalisierten Maßgeblichkeit in Deutschland Sinn machen bei gleichzeitigem Offenhalten für internationale Entwicklungen. Die Kernfeststellungen der Analyse von Schön zur Beibehaltung der Maßgeblichkeit sind37: – „Solange die Handelsbilanz nicht in der Lage ist, Unsicherheiten und Informationsasymmetrien auf dem Kapitalmarkt zu beseitigen, müssen sowohl die handelsrechtlichen als auch die steuerrechtlichen Gewinnermittlungen „konservativ“ durchgeführt werden“. – „Solange kann es bei dem bisherigen Modell der Maßgeblichkeit bleiben, welches im Leitbild der gleichmäßigen „Teilhabe“ von Staat und Bürger an den Früchten privatwirtschaftlichen Handels nicht nur ein schönes „Motiv“, sondern auch eine juristisch und ökonomisch solide Grundlage besitzt“38.

Die Döllerer-These wird hier erneut inhaltlich (entgegen aller anderweitigen Kritik) untermauert. Allerdings muss bei allem „Charme“ einer entrümpelten und fortentwickelten Maßgeblichkeit mitbedacht werden, dass die Umbruchzeiten in der handelsbilanziellen Rechnungslegung mit all ihren Unwägbarkeiten für das maßgeblichkeitsgeprägte Steuerbilanzrecht auch dann noch bei weitem nicht bewältigt sind. Hey39 formuliert dies treffend: „Ein derart im Umbruch befindliches Rechtsgebiet wie das Bilanzrecht kann keinen rechtssicheren Maßstab für die Besteuerung bieten.“ Dessen ungeachtet gehen die Vorstellungen des Bundesministeriums der Justiz und wohl auch der Bundesregierung in diese Richtung40. 4. Schaffung einer einheitlichen europäischen Steuerbasis: Harmonized Tax Basis Eine ganz anders geartete Chance für ein kodifiziertes Steuerbilanzrecht bilden die IAS als „starting point“ einer einheitlichen europäischen Steuer-

__________ 37 § 1 der Schrift ist mit dem Titel „Eine Zukunft für das Maßgeblichkeitsprinzip“ programmatisch beschrieben. Herlinghaus, FR 2005, 1189 spricht anschaulich von einer „Verteidigungsschrift für das angefochtene Maßgeblichkeitsprinzip“. 38 S. 120 f. 39 Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, S. 654. 40 Vgl. Ernst, StbJb 2003/2004, S. 62 ff. und StbJb 2002/2003, S. 229 ff.

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basis. Denn die 25 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bemühen sich derzeit unter Nutzung der international ausgerichteten und zu europäischem Recht gewordenen IAS um eine „harmonized tax basis“, d. h. um die Vereinheitlichung der europäischen Steuerbemessungsgrundlagen für grenzüberschreitend tätige Unternehmen (lt. EU-Kommission nur der Körperschaften, aber durch den nationalen Gesetzgeber ausweitbar). Dies soll Transparenz im Steuerwettbewerb der Mitgliedsstaaten bewirken; Wettbewerbsbeschränkungen bspw. mittels einheitlicher Steuersätze sind dagegen nicht geplant. Die EU-Kommission hat im September 2004 eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die ihre Tätigkeit aufgenommen hat und die Möglichkeiten einer Vereinheitlichung der steuerlichen (konsolidierten) Bemessungsgrundlage für in der EU tätige Unternehmen entwickeln soll; das europäische Parlament stützt diese Bemühungen. Dabei sind bislang vier Hauptarbeitsbereiche festgelegt worden, die derzeit intensiv bei Berücksichtigung einer Vielzahl von Einzelthemen in einem systematisch angelegten Arbeitsprogramm analysiert werden. Die Sitzungen sind nicht öffentlich; allerdings können die Arbeitsunterlagen und Kurzberichte über die Sitzungen im Internet eingesehen werden (auch in deutscher Sprache)41. Ein solches europäischen Projekt zur IAS-Nutzung als einheitliche konsolidierte Steuerbemessungsgrundlage könnte der „Königsweg“ für eine zukünftige Entwicklung des Steuerbilanzrechts sein. Auf der einen Seite lehrt allerdings die „Erfahrung“ mit Europa: Üblicherweise werden die angestrebten Ziele nur sehr mühsam und langfristig zu erreichen sein; sehr ehrgeizig erscheint insoweit der in der Literatur zu findende Hinweis einer Verwirklichung der Harmonisierungsüberlegungen sei frühestens für 2007 zu erwarten42. Auf der anderen Seite wird deutlich: Kurz- bis mittelfristig angelegte eigenständige „deutsche Wege“ sollten möglichst offen gehalten werden für diese europäische Entwicklung. Isolationistische Lösungen nur für Deutschland sind auch bei den Bemühungen für eine Unternehmenssteuerreform 2008 zu vermeiden.

__________ 41 Die Internetadresse lautet: http://europa.eu.int/eur-lex/en/archive/2003/1_261200 31013en.html. Die Hauptarbeitsbereiche sind: Allgemeine Besteuerungsgrundsätze als Leitlinie für die Entwicklung einer einheitlichen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage und zur Beurteilung der Behandlung der einzelnen Strukturelemente; herkömmliche Strukturelemente der Steuerbemessungsgrundlage; zusätzliche Elemente einer einheitlichen konsolidierten Steuerbemessungsgrundlage; Verwendung der einheitlichen konsolidierten Steuerbemessungsgrundlage. Zu einer ersten Modellanalyse s. Jacobs/Spengel/Stetter/Wendt, Intertax 2005, 414–428. Daneben verfolgt die EU-Kommission das Konzept der „Sitzlandbesteuerung“ zur Beseitigung steuerlicher Hindernisse für KMU’s. 42 So J. Schreiber, DStR 2005, 1351. László Kovács, der amtierende EU-Kommissar für Steuern und Zollunion wird in Zeitungsartikeln damit zitiert, dass eine harmonisierte Bemessungsgrundlage nicht vor 2008 zu erwarten sei (FAZ v. 26. 10. 2005).

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Auswirkungen einer HGB-Reform auf das Steuerrecht

III. Vorschlag: Evolutorische Fortentwicklung steuerbilanzieller Normen mit dem Ziel einer gesetzlichen Kodifikation bei mittelfristiger Abschaffung des Maßgeblichkeitsprinzips Lässt man die verschiedenen Konzepte und Lösungsansätze zur (nationalen und internationalen) Fortentwicklung von Handels- und Steuerbilanz Revue passieren, so erscheint mir im Gesamtbild eine Trennung (Entkoppelung) von Informationsbilanzen auf der einen Seite und Gewinnanspruchsbilanzen auf der anderen Seite (ähnlich der GoB-Unterscheidung von Moxter), nicht unwahrscheinlich und klar erkennbar. Mittelfristig fortschreitende Internationalisierung des Handelsbilanzrechts: Das ausreichend objektivierte Fair-value-Konzept erscheint für Informationszwecke sinnvoll, für wie auch immer geartete Ausschüttungsansprüche der Anteilseigner und des Fiskus aber sicher nicht. Der Erfolg und die weitere Verbreitung von IAS-Bilanzen (auch mit ihren Ausstrahlungswirkungen auf den Einzelabschluss) lässt sich nicht mehr aufhalten. Ggf. wird auch heute schon in Großkonzernen die Buchführung nach IAS/IFRS-Grundsätzen erstellt, so dass etwaige Überleitungsrechnungen in Richtung auf deutsches Bilanzrecht vorzunehmen sind, nicht umgekehrt. Ob der gemeinsame GoBKernbestand überschaubare Überleitungsrechnungen zulässt, wird bei börsennotierten Konzern zweifelhaft sein, bei KMU’s dagegen wohl eher nicht. Die international durch das Zusammenwachsen der Wirtschaft und der Kapitalmärkte ausgelöste Abkoppelung der Informationsbilanzen von den anderen Rechnungslegungszwecken macht möglicherweise auch vor der bilanziellen Kapitalerhaltung im Rahmen des Gläubigerschutzes nicht halt. Demzufolge ist die Diskussion um situative Ausschüttungsbegrenzungen auch in Deutschland in Gang gekommen. Stabiles leistungsfähigkeitsorientiertes Steuerbilanzrecht ist anzustreben: In Anbetracht dieses Befunds erscheint die Entwicklung eines eigenständigen steuergesetzlich niedergelegten und in sich geschlossenen Steuerbilanzrechts sinnvoll43. Dies bietet gleichzeitig der Handelsbilanz die Chance, sich allein auf Informationszwecke zu konzentrieren. Ob die Maßgeblichkeit formell bestehen bleibt oder nicht: Nur ein vorsichtig ermittelter Gewinn darf letztlich besteuert bzw. ausgeschüttet werden. Die Stiftung Marktwirtschaft versucht derzeit gesetzliche Formulierungsvorschläge zu entwickeln. Dessen ungeachtet muss auch das Handelsbilanzrecht traditioneller Prägung im Hinblick auf den Einzelabschluss modernisiert werden. Außerdem erscheint es im Hinblick auf die europäische Öffnung auch des deutschen Bilanzrechts sinnvoll, die IAS/IFRS als Ausgangspunkt (starting point) auch für steuerbilanzielle Konzepte zu nutzen (ohne eine rechtliche oder faktische

__________ 43 Vgl. zu derartigen konzeptionellen Überlegungen auch Hennrichs, StuW 2005, 264.

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IAS-Maßgeblichkeit zu bewirken)44. So erscheint bspw. bei langfristiger Fertigung auch für steuerbilanzielle Zwecke eine Orientierung an der „percentage of completion-Methode“ sinnvoll, wobei allerdings auch Drohverlustrückstellungen steuerbilanziell wieder zugelassen werden müssten. Die solchermaßen erforderliche Schaffung eines sachgerechten Rahmens für steuerbilanzielle Ansätze erfordert: Sie muss konzeptionell den Grundsätzen der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit entsprechen und Gleichmäßigkeitserfordernissen (Art. 3 GG) genügen. Die Schaffung einer objektivierten Bemessungsgrundlage erfordert die Beibehaltung des Anschaffungs- und Herstellungskostenprinzips, des Realisationsprinzips sowie eines (allerdings etwas modifizierten) Vorsichtsprinzips. Es sollte dabei ein einheitlicher steuerrechtlicher Betriebsvermögensvergleich geschaffen werden (Zusammenfassung von § 4 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 EStG), der auch eine angemessene Rückstellungsbildung als Abbildung ungewisser Drittverpflichtungen zulässt. Auch die nachweisgebundenen Teilwertabschreibungen sowie der Einzelbewertungsgrundsatz müssen erhalten bleiben. Für kleinere Gewinnermittler erscheint eine § 4 Abs. 3 EStG-Rechnung weiterhin sinnvoll. Wahlrechte und grobe Ermessenspielräume sollten so weit wie möglich eingeschränkt werden. Das Nominalwertprinzip sollte ggf. um eine Inflationsbereinigung erweitert werden. Klar erscheint darüber hinaus: Eine Fairvalue-Bewertung für Steuerzwecke über die objektiviert ermittelten Anschaffungs- und Herstellungskosten (mit entsprechenden Wertfortführungen) hinaus scheidet aus; der impairment only Test (verbunden mit der Notwendigkeit situativer Unternehmensbewertungen) darf planmäßige Abschreibungen nicht ersetzen. Im Übrigen sollten die genannten konzeptionellen Grundlagen auch bei der europäischen Entwicklung einer einheitlichen Steuerbemessungsgrundlage in ausreichender Form Berücksichtigung finden. Sonderfragen für nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen: Komplexität, Intransparenz und verwirrende Schnelllebigkeit halten derzeit nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen – vor allem den als Personenunternehmen strukturierten Klein- und Mittelstand, aber nicht nur diesen – von der IASAnwendung fern; auch die erheblichen IAS-Implementierungskosten wirken abschreckend. Dennoch werden mit der zunehmenden Verbreitung und Akzeptanz der IAS bei international tätigen Unternehmen – gepaart mit ihrer systematischen Fortentwicklung – auch Mittelständler auf Grund der „Macht des Faktischen“ (vermutlich mit steigender Tendenz) die freiwillige Anwendung von IAS für Informationszwecke erwägen45. Basel II, Rating-

__________ 44 Vgl. dazu auch IDW Fachnachrichten 1–2/2005, S. 5; Herzig/Gellrich/JensenNissen, DSWR 2005, 90. 45 Nach einer Studie des BDI v. 8. 9. 2005 planen zu diesem Zeitpunkt etwa ein Viertel der nicht zur Umstellung auf IAS/IFRS verpflichteten Unternehmen die Umstellung oder haben bereits umgestellt; s. ergänzend auch Oehler, KuR 2006, 19–28. Zur Fragwürdigkeit der Anwendung von IAS 32 auf Personenhandelsgesellschaften s. Küting/Wirth/Dürer, WPg. 2006, 69–79.

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erfordernisse, neue Bankenusancen oder der Wunsch von Vertragspartnern nach stärkerer internationaler Vergleichbarkeit der Informationsabschlüsse kommen hinzu. Die IAS müssen dafür aber deutlich mittelstandsfreundlicher (konkret: einfacher handhabbar und objektivierter) werden. Vielleicht wird man insoweit auch mit vereinfachten Überleitungsrechnungen und ausschüttungsgesperrten Rücklagen arbeiten können. Im Übrigen ist vorstellbar, dass mit Blick auf Gläubigerschutz und Steuerbemessung die Einheitsbilanz im Bereich der KMU’s eine gewisse Zukunft hat. Modernisierung des HGB-Abschlusses und Beseitigung GoB-widriger bilanzsteuerrechtlicher Normen (etwa Wiederabschaffung des § 5 Abs. 4a EStG) wären dafür allerdings notwendig.

IV. Zum Schluss These 1: Die Maßgeblichkeit heutiger Prägung und die umgekehrte Maßgeblichkeit mit ihren handelsbilanziellen Verzerrungen werden voraussichtlich mittelfristig abgeschafft, zumindest weiter eingeschränkt. Klar erkennbar ist: Für Informationszwecke dürfte zukünftig immer mehr auf die IAS-Rechnungslegung abgestellt werden, die sich völlig unabhängig vom deutschen Steuerbilanzrecht entwickelt. Die Zukunft der Kapitalerhaltung mittels bilanzieller oder situativer Ausschüttungssperren (bspw. den solvency test) ist momentan noch nicht entschieden. Sofern das bilanzielle Kapitalerhaltungskonzept in Deutschland modifiziert oder gar abgeschafft wird, besteht zwangsläufig ein weiterer Anlass zur Beseitigung der Maßgeblichkeit. Informationsfunktion, Kapitalerhaltung und leistungsfähigkeitsgerechte Besteuerung bauen zwar auf identischen Kerndaten auf, gehen aber ansonsten teleologisch und international unterschiedliche Wege. These 2: IAS/IFRS mit ihrem faktischen Diskussions- und Rechtsetzungsprozess sind ein informationsorientiertes Rechenwerk und scheiden als unmittelbare Grundlage für Besteuerungszwecke aus. Das bestehende Demokratiedefizit und ihre Zwecksetzung entscheidungsnützlicher Kapitalmarktinformationen macht IAS/IFRS für Besteuerungszwecke ungeeignet. These 3: Ein eigenständiges kodifiziertes Steuerbilanzrecht mit objektivierter und ausreichend vorsichtig ermittelter Bemessungsgrundlage ist (zumindest mittelfristig) anzustreben. Als Ausgangspunkt dafür könnten IAS/IFRS mit „eingefangen“ werden. Fair-value-Bewertung und impairment-only Test scheiden allerdings für Besteuerungszwecke aus. These 4: Latente Steuern als Verknüpfungselement zwischen handelsrechtlicher Rechnungslegung und Steuerbilanz gewinnen erheblich an Bedeutung und müssen konzeptionell neu geordnet werden (bei Orientierung an internationalen Standards).

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These 5: Für kleine und mittlere Unternehmen ohne Kapitalmarktbezug müssen sachgerechte und ökonomischen Erfordernissen angemessene Sonderwege gefunden werden, die für die verschiedenen Bilanzzwecke soweit wie möglich auch weiterhin eine Einheitsbilanz erlauben. Dies schließt Überleitungsrechnungen für Informations- oder Steuerbemessungszwecke ein.

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Teilwertabschreibungen auf börsennotierte Wertpapiere Inhaltsübersicht I. Fragestellung II. Rechtliche Würdigung 1. Fragestellungen 2. Der „Teilwert“ börsennotierter Wirtschaftsgüter a) Gesetzliche Ausgangslage b) Die Entwicklung des Meinungsstandes zum Börsenkurs aa) Der „Marktwert“ als objektive Größe bb) Börsenwert und Teilwertbegriff c) Zwischenergebnis d) Das Verhältnis zur handelsrechtlichen Gewinnermittlung 3. Die „voraussichtlich dauernde“ Wertminderung a) Einheitliche Behandlung von Anlage- und Umlaufvermögen b) Die „Dauerhaftigkeit“ der Wertminderung c) Die „Voraussicht“ auf die Dauerhaftigkeit der Wertminderung aa) Das Verhältnis zur nachträglichen Wertaufholung

bb) Der Charakter von Kursminderungen (1) Börsenwert oder „innerer Wert“? (2) Der Börsenkurs als Ergebnis der Wertschätzungen informierter Marktteilnehmer (3) Die Aussagekraft des aktuellen Börsenwertes für dessen künftige Entwicklung (4) Der Vergleich zwischen Anschaffungskosten und Teilwert cc) „Vermutung“ und „Abweichungen“ im Rahmen von § 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 4, Nr. 2 S. 3 EStG dd) Die Berücksichtigung „üblicher Kursschwankungen“ ee) Die Berücksichtigung der bisherigen Dauer der Wertminderung ff) Wertaufhellung 4. Ergebnis

I. Fragestellung Seit der grundlegenden Steuerreform des Jahres 1934 werden nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG sämtliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens und des Umlaufvermögens im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung nach §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 EStG bei der Zugangsbewertung mit den Anschaffungsoder Herstellungskosten angesetzt. Dies gilt auch für nicht abnutzbare Wirtschaftsgüter, vor allem Grundvermögen und Beteiligungen (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 EStG). Dieses Prinzip wird in § 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 und Nr. 2 S. 2 EStG dahin ergänzt, dass in der Folgebewertung an die Stelle der Anschaffungsoder Herstellungskosten der „Teilwert“ treten kann, wenn er niedriger liegt. Als „Teilwert“ wird in § 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG der „Betrag“ definiert, „den ein Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises 299

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für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde; dabei ist davon auszugehen, dass der Erwerber den Betrieb fortführt.“ Dieser ermäßigte Bilanzansatz konnte nach der bis zum 31. 12. 1998 gültigen Fassung des EStG in den Folgejahren auch dann weitergeführt werden, wenn der Teilwert sich den ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten wieder annäherte. Der Ansatz eines höheren Teilwertes war (bis zur Grenze der Anschaffungs- oder Herstellungskosten) möglich, aber nicht geboten (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 3 EStG). Mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 wurde diese rechtliche Ausgangslage in zwei wesentlichen Punkten modifiziert: –

Eine Abschreibung auf den niedrigeren Teilwert ist seit dem 1. 1. 1999 nur noch möglich, wenn der Teilwert „auf Grund einer voraussichtlich dauernden Wertminderung niedriger ist“ als die ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 EStG).



Es ist für jedes Wirtschaftsjahr zu prüfen, ob und in welchem Umfang der niedrige Ansatz gerechtfertigt ist. Es kommt zu einer „Wertaufholung“ bis zur Grenze der Anschaffungs- oder Herstellungskosten, wenn der Steuerpflichtige nicht jeweils nachweist, „dass ein niedrigerer Teilwert nach Satz 2 angesetzt werden kann“ (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 3 i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 4 EStG).

Das Bundesministerium der Finanzen hat mit Erlass vom 25. 2. 2000 zu der „Neuregelung der Teilwertabschreibung“ durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 Stellung genommen und dabei insbesondere sein Verständnis des Merkmals der „voraussichtlich dauernden Wertminderung“ und des „Wertaufholungsgebot“ deutlich gemacht1. Dabei geht die Verwaltung von folgenden Prämissen aus: „Eine voraussichtlich dauernde Wertminderung bedeutet ein voraussichtlich nachhaltiges Absinken des Werts des Wirtschaftsguts unter den maßgeblichen Buchwert; eine nur vorübergehende Wertminderung reicht für eine Teilwertabschreibung nicht aus (vgl. auch § 253 Abs. 2 HGB). Die Wertminderung ist voraussichtlich nachhaltig, wenn der Steuerpflichtige hiermit aus der Sicht am Bilanzstichtag aufgrund objektiver Anzeichen ernsthaft zu rechnen hat. Aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns müssen mehr Gründe für als gegen eine Nachhaltigkeit sprechen. Grundsätzlich ist von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung auszugehen, wenn der Wert des Wirtschaftsguts die Bewertungsobergrenze während eines erheblichen Teils der voraussichtlichen Verweildauer im Unternehmen nicht erreichen wird“2.

__________ 1

2

IV C 2 – S 2171 b – 14/00, BStBl I 2000, 372 ff. („Teilwerterlass“); dazu Kusterer, DStR 2000, 1083 ff.; für Gewinnminderungen von Beteiligungen an Investmentfonds siehe nunmehr OFD Hannover v. 25. 4. 2005 – S 2750 a – 14 – StO 242, DB 2005, 1194 Nr. 1; dazu Winden/Herzogenrath, FR 2005, 878 ff.; für den Handel mit Emissionsberechtigungen s. die entsprechende Anwendung in BMF v. 6. 12. 2005 – IV B 2 – S 2134a – 42/05, DStR 2005, 2173 ff., Rz. 12. Teilwerterlass a. a. O. (Fn. 1), Rz. 3 und 4.

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Für den Bereich nicht abnutzbaren Anlagevermögens und insbesondere von börsennotierten Wirtschaftsgütern zieht die Verwaltung den Schluss: „Für die Wirtschaftsgüter des nicht abnutzbaren Anlagevermögens ist grundsätzlich darauf abzustellen, ob die Gründe für eine niedrigere Bewertung voraussichtlich anhalten werden. Kursschwankungen von börsennotierten Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens stellen eine nur vorübergehende Wertminderung dar. Sie berechtigen demgemäß nicht zum Ansatz des niedrigeren Teilwerts“3.

Mit diesem Verständnis werden steuerlich wirksame Teilwertabschreibungen auf börsennotierte Wertpapiere weitgehend unmöglich gemacht. Lediglich Ausnahmesituationen, z. B. die drohende Insolvenz einer Beteiligungsgesellschaft, können wegen der „voraussichtlichen Dauerhaftigkeit“ einer Wertminderung zum Ansatz eines niedrigeren Teilwerts berechtigen4. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob dem restriktiven Verständnis der Finanzverwaltung zu folgen ist.

II. Rechtliche Würdigung 1. Fragestellungen Die rechtliche Würdigung der Auffassung der Finanzverwaltung zur „voraussichtlich dauernden Wertminderung“ bei Abschreibungen auf börsennotierte Wirtschaftsgüter kann nur geleistet werden, wenn man sich die Bedeutung der einzelnen Tatbestandsmerkmale im systematischen Zusammenhang der Vorschrift verdeutlicht. Dabei geht es insbesondere um die Fragen: –

in welchem Umfang ein Börsen- oder Marktwert bereits bei der Feststellung des „Teilwerts“ berücksichtigt werden muss;



welche Bedeutung das handelsrechtliche Verständnis der „voraussichtlich dauernden Wertminderung“ nach § 253 HGB im Verhältnis zu der neu eingeführten steuerlichen Vorschrift besitzt;



wie eine sinnvolle Abgrenzung zwischen der Versagung einer Teilwertabschreibung einerseits und einer späteren Wertaufholung vollzogen werden kann; dabei ist auch die Unterscheidung nach wertaufhellenden und wertverändernden Tatsachen zu behandeln;



welche Aussagen die Kapitalmarkttheorie und das Kapitalmarktrecht über die Aussagekraft von Börsenkursen treffen.

__________ 3 4

Teilwerterlass a. a. O. (Fn. 1), Rz. 11; s. auch das Beispiel in Rz. 18–20. Teilwerterlass a. a. O. (Fn. 1), Rz. 21 f.

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2. Der „Teilwert“ börsennotierter Wirtschaftsgüter a) Gesetzliche Ausgangslage Börsennotierte Wirtschaftsgüter (Aktien, festverzinsliche Wertpapiere oder andere Finanzinstrumente) werden bei der steuerlichen Gewinnermittlung zunächst mit ihren Anschaffungskosten erfasst. Diese schließen den Kaufpreis und bestimmte Nebenkosten ein. Ein Ansatz von Herstellungskosten ist in diesem Bereich kaum denkbar. Absetzungen für Abnutzung lassen sich wegen der fehlenden „Abnutzbarkeit“ dieser Wirtschaftsgüter nicht durchführen. Eine Abweichung vom Ansatz der Anschaffungskosten kommt daher nur in Betracht, wenn sich ein „Teilwert“ feststellen lässt, der unterhalb der Anschaffungskosten liegt. Dabei ist der Wert anzusetzen, den ein (gedachter) Erwerber des gesamten Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises für die jeweiligen Aktien, Rentenpapiere oder andere Finanzinstrumente ansetzen würde. Die erste Frage muss darauf gerichtet sein, ob dieser „Teilwert“ zum Bilanzstichtag dem jeweiligen „Börsenwert“ entspricht. b) Die Entwicklung des Meinungsstandes zum Börsenkurs Die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs hält seit Jahrzehnten fest, dass als Teilwert für börsennotierte Wertpapiere im Grundsatz der am Bilanzstichtag gültige Börsenwert herangezogen werden muss. Dies hat eine doppelte Begründung, die zum einen in der „Objektivität“ des Marktwerts ihre Wurzel findet und zum anderen in der Relevanz der Wiederbeschaffungskosten oder Einzelveräußerungspreise für den Teilwertansatz angelegt ist. aa) Der „Marktwert“ als objektive Größe Die Judikatur des Reichsfinanzhofs zu dieser Problematik nimmt ihren Ausgang vor der gesetzlichen Einführung des Teilwertbegriffs durch das EStG 1934. Nach § 19 Abs. 1 S. 1 EStG 1925 war „für die einzelnen dem Betriebe gewidmeten Gegenstände (…) für den Schluss des Steuerabschnitts (…) der gemeine Wert zugrunde zu legen.“ Alternativ wurde ein Ansatz des „Anschaffungs- oder Herstellungspreises“ ermöglicht (§ 19 Abs. 2 S. 1 EStG 1925). Der gemeine Wert wurde näher definiert in § 138 Abs. 1 RAO als der „Preis, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehre nach der Beschaffenheit des Gegenstandes unter Berücksichtigung aller den Preis beeinflussenden Umstände bei einer Veräußerung zu erzielen wäre“. Eine konkrete gesetzliche Regelung fand sich für Wertpapiere in § 141 Abs. 1 RAO: „Wertpapiere, die in Deutschland einen Kurswert haben, sind mit dem Kurswert (…) anzusetzen“.

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Zur Weimarer Zeit war allerdings umstritten, ob dieser „Kurswert“ eine für das Einkommensteuerrecht akzeptable Ausprägung des „Gemeinen Wertes“ bildet oder nicht. Eine grundsätzlich kritische Position wurde von Lion eingenommen. Nach seiner Auffassung konnte „es nicht zweifelhaft sein, dass beide Begriffe in einem völligen Gegensatz zu einander stehen. Der Kurswert ist ein reiner Zufallswert, ein Zeitwert, der lediglich einen Tag lang lebt, um am folgenden einem anderen Platz zu machen. Unzählige Verhältnisse üben auf ihn Einfluß aus, insbesondere solche börsentechnischer Art. Ein noch so kleines Angebot kann den Kurs erheblich drücken, eine geringe Nachfrage ihn ebenso sehr steigern, ohne dass dadurch die allgemeine Werthschätzung des Papiers zum wahren Ausdruck gelangt. Aber auch sonstige, gar nicht in der Sache selbst, im „inneren Werte“ eines Papiers begründete Umstände wirken darauf auf das stärkste ein. In erster Reihe stehen die politischen Momente, die die ganze „Stimmung“ der Börse an jedem Tage wechseln lassen. Dazu kommen absichtliche Spekulation, Geldmarktlage an den verschiedenen dafür wichtigen Zeitabschnitten (Monatsende, Quartalsende usw.). Es handelt sich hier um zahlreiche Umstände, von denen eine große Reihe „ungewöhnlich“ sein kann und in bewegten Zeiten wie jetzt auch zu sein pflegt. Mit dem objektiven, allein aus der sachlichen Beschaffenheit des Gegenstandes (…) geschöpften gemeinen Wert hat dies keine Gemeinschaft, noch weniger mit seiner Dauer“5.

Der Reichsfinanzhof und mit ihm die herrschende Meinung teilte diese methodische Skepsis gegen Börsen- und Marktwerte jedoch nicht. Bereits in seinem Urteil vom 28. 10. 1921 akzeptierte der Reichsfinanzhof, dass „der an der Börse für getätigte Geschäfte amtlich notierte Kurs grundsätzlich den für die Geschäftsbilanz allein maßgebenden gemeinen Wert eines Wertpapiers an einem bestimmten Tage wiedergibt“6.

Diese Grundaussage wurde in mehreren Folgeurteilen bestätigt und auch im Schrifttum überwiegend zustimmend aufgegriffen7. Kern der Diskussion war die Frage, ob die Vorgänge an der Börse grundsätzlich willkürliche, vom „inneren Wert“ eines Vermögensgegenstandes abweichende Maßgrößen hervorbringen oder im Gegenteil gerade der Börsenwert eine besonders verlässliche Auskunft über den objektiven Wert des Wirtschaftsguts gibt. Der Reichsfinanzhof nahm eindeutig für die Objektivität des Börsenwerts Stellung: „Es würde auch dem nach § 13 EStG, § 9 AO steuerlich zu beachtenden Sinn und Zweck der Schaffung von ausgesprochenen Markt- und Börsenpreisen entsprechen, solche Waren oder Wertpapiere, für die ausgesprochene Markt- oder Börsenpreise bestehen, nur unter besonderen Umständen höher als mit dem Niederstwert zu bewerten, und zwar in den im genannten Urteil (…) bezeichneten Ausnahmefällen; denn der Zweck der Börsen und Märkte ist ja der, nach außen erkennbare, allgemein gültige, durch einen möglichst vollkommenen Ausgleich von Angebot und Nachfrage zu-

__________ 5 6 7

Lion, Bilanzsteuerrecht, 1922, Abschn. 75, S. 134 f. RFH v. 28. 10. 1921 I A 206/20 RFHE 7, 344 ff.; ebenso RFH v. 7. 10. 1921 II A 307/21 RFHE 7, 37 ff. Nachweise bei Strutz, Kommentar zum EStG, 1929, § 19 EStG Anm. 28a, S. 60 ff.

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Wolfgang Schön stande gekommene Preise festzustellen. Bei ihnen fehlt für den Kaufmann grundsätzlich die Aussicht, im Verkaufsfall mehr als den ausgesprochenen Markt- oder Börsenpreis (…) zu erzielen“8.

Bei Strutz wird dieser Grundgedanke wie folgt zusammengefasst: „Der Gedanke, der diesem als Wertmaßstab im Gegensatz zum Ertragswert zugrunde liegt, ist der, dass der innere Wert eines im allgemeinen Verkehre stehenden Gegenstandes am vollkommensten in dem Preise zum Ausdruck kommt, der für ihn im freien Markte zu erzielen sein würde, da sich bei der Mannigfaltigkeit der Umsätze von Gegenständen derselben Art deren Brauchbarkeit für die Wirtschaftsgestaltung nach jeder Richtung hin in den zu erzielenden Preisen ziffernmäßig ausdrücken wird.“9

Damit war der Börsenkurs als der regelmäßig „richtige“ Wert für notierte Wertpapiere akzeptiert. Ausnahmen sollten nur in seltenen Fällen greifen. Sie wurden unter anderem dann bejaht, wenn mit dem Erwerb einer umfangreichen „Beteiligung“ weitergehende wirtschaftliche Zwecke verfolgt, etwa eine Beherrschung erlangt oder ein Konkurrent ausgeschaltet werden sollen10. Sie wurden auch befürwortet, wenn die Börsenkurse am Bilanzstichtag nachweislich außergewöhnlichen Charakter hatten, etwa auf der Grundlage einer Marktmanipulation entstanden waren11. Diese Vorstellung vom „Börsenwert“ als besonders objektiviertem „Marktwert“ wurde auch in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs aufgegriffen. Danach ist der Teilwert „der objektive Wert, der nicht auf einer persönlichen Auffassung des einzelnen Kaufmanns über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung, sondern auf einer allgemeinen Werteinschätzung beruht, wie sie in der Marktlage am Bilanzstichtag ihren Ausdruck findet“12. Ausnahmen wurden weiterhin für „Paketzuschläge“ auf Beteiligungen13 oder bei „außergewöhnlichen Kursschwankungen“ bejaht14.

__________ 8 RFH v. 30. 5. 1933 VI A 1657/32 RStBl II 1933, 1012 f., 1013. 9 Strutz a. a. O. (Fn. 7), § 19 EStG Anm. 26, S. 52. 10 RFH v. 30. 9. 1929 I A 720/28 RStBl 1930, 92 ff., 94; RFH v. 10. 3. 1931 I A 244/30 RStBl 1931, 302 f.; RFH v. 30. 5. 1933 a. a. O. (Fn. 8), 1013. 11 Becker, EStG, 1929, §§ 19 – 21 EStG Anm. 233a. 12 BFH v. 26. 1. 1956 IV 566/54 BFHE 62, 305 ff., 305 (Leitsatz); BFH v. 7. 11. 1990 I R 116/86 BStBl II 1991, 342 ff. (Leitsatz); s. auch BFH v. 28. 9. 1982 III R 29/77 BStBl II 1983, 166 ff., 168 (Pfandbriefe); BFH v. 25. 8. 1983 IV R 218/80 BStBl II 1984, 33 ff.; BFH v. 6. 12. 1995 I R 51/95 BStBl II 1998, 781 ff.; 783 (Eigene Anteile); s. auch BFH v. 8. 9. 1994 IV R 16/94 BStBl II 1995, 309 ff., 311 f. (Kommunale Vorzugspreise für Grundstücke sind nur relevant, wenn sie den Markt allgemein bestimmen). 13 BFH v. 22. 4. 1964 I 386/61 U DStR 1964, 396 f.; BFH v. 7. 11. 1990 a. a. O. (Fn. 12), 344; s. auch Winkeljohann in Herrmann/Heuer/Raupach (Hrsg.), EStG und KStG, Loseblatt (Stand 2003), § 6 EStG Anm. 578. 14 BFH v. 26. 1. 1956 a. a. O. (Fn. 12), 308; BFH v. 16. 4. 1953 IV 119/52 S BFHE 57, 496 ff., 501 f.

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bb) Börsenwert und Teilwertbegriff Die Maßgeblichkeit des „Börsenwertes“ hat sich auch bei der allgemeinen Entwicklung des Teilwertbegriffs erwiesen. Bereits vor 1934 hatte der Reichsfinanzhof den „Teilwert“ aus dem o. a. „gemeinen Wert“ entwickelt und dabei herausgestellt, dass die Einzelbewertung eines Wirtschaftsguts dessen Wert im Rahmen des Gesamtbetriebes aus der Sicht eines gedachten Erwerbers bestimmen sollte15. Dabei ging der Reichsfinanzhof davon aus, dass ein Erwerber im Grundsatz dasjenige entrichten würde, was auch der bisherige Inhaber bei der Anschaffung oder Herstellung von Wirtschaftsgütern aufgewendet hätte. Es besteht daher eine Vermutung, dass die Anschaffungsund Herstellungskosten in der Regel zugleich den Teilwert eines dem Betrieb gewidmeten Wirtschaftsguts wiedergeben16. Diese Teilwertvermutung kann jedoch widerlegt werden. Dabei stehen zum einen Fälle im Blick, in denen sich Anschaffung oder Herstellung als „Fehlmaßnahme“ erweisen und das erworbene Wirtschaftsgut dem Betrieb nicht den versprochenen Nutzen bringt17. Darüber hinaus kommt die Annahme eines niedrigeren Teilwertes in Betracht, wenn die Wiederbeschaffungskosten oder der Veräußerungspreis einer Sache gesunken sind18. Dahinter steht folgende Überlegung: Ein gedachter Erwerber könnte ein „fehlendes“ Wirtschaftsgut, selbst wenn es „betriebsnotwendig“ wäre, zu den am Stichtag gegebenen Wiederbeschaffungskosten für den Betrieb bereitstellen. Daher wird er nicht bereit sein, im Rahmen des Betriebserwerbs einen höheren Preis zu zahlen, und zwar auch dann nicht, wenn das Gut eine wichtige und rentable betriebliche Funktion hat. Auf dieser gedanklichen Grundlage bilden die Wiederbeschaffungskosten die Obergrenze des Teilwertansatzes19. Soweit es sich um entbehrliche Gegenstände handelt,

__________ 15 Zur Entwicklung der Judikatur Kimmel, EStG, 1942, § 6 EStG Anm. 10; Ehmcke in Blümich (Hrsg.), EStG, Loseblatt (Stand 2003), § 6 EStG Rz. 541. 16 Ständige Rechtsprechung seit RFH v. 18. 12. 1929 VI A 1849/29 RStBl 1930, 90 f.; RFH v. 20. 3. 1930 VI A 371/30 RStBl 1930, 360 f.; aus der jüngeren Rechtsprechung s. BFH v. 30. 11. 1988 II R 237/83 BStBl II 1989, 183 ff.; BFH v. 7. 11. 1990 a. a. O. (Fn. 12), 343; BFH v. 8. 9. 1994 a. a. O. (Fn. 12), 310; BFH v. 6. 7. 1995 IV R 30/93 BStBl II 1995, 831 ff.; BFH v. 19. 5. 1998 I R 54/97 BStBl II 1999, 277 ff., 277. 17 BFH v. 18. 2. 1993 IV R 40/92 BStBl II 1994, 224 ff.; BFH v. 30. 11. 1988 a. a. O. (Fn. 16),119; beispielhaft BFH v. 30. 11. 1988 a. a. O. (Fn. 16), 488 ff. (Erwerb eines „überdimensionierten“ Anlageguts). 18 BFH v. 28. 10. 1976 IV R 76/72 BStBl II 1977, 73 ff. 19 Grundlegend: RFH v. 14. 12. 1926 VI A 575/26 RFHE 20, 87 ff.; RFH v. 14. 12. 1927 VI A 802/27 RFHE 22, 309 ff.; RFH v. 9. 5. 1928 I A 190/28 RFHE 23, 244 f.; Winkeljohann a. a. O. (Fn. 13), § 6 EStG Anm. 615; Fischer in Kirchhof (Hrsg.), EStG-Kompaktkommentar, 5. Aufl., 2005, § 6 EStG Rz. 83; Glanegger in Schmidt (Hrsg.), EStG, 23. Aufl., 2004, § 6 EStG Rz. 226 f.; ausführliche Analyse bei Werndl in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Loseblatt (Stand 1992), Rz. B 359 ff.

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die ein Erwerber nach Möglichkeit liquidiert, kann der Teilwert sogar bis auf den (niedrigeren) Einzelveräußerungspreis abgesenkt werden20. Die prinzipielle Anerkennung der Wiederbeschaffungskosten als Obergrenze für den Teilwertansatz hat der Bundesfinanzhof stets auch für Beteiligungen an Kapitalgesellschaften praktiziert21. Die nach dieser Argumentation relevanten Wiederbeschaffungskosten werden bei börsennotierten Wirtschaftsgütern letztlich durch den Börsenkurs bestimmt. Weil und soweit ein (gedachter) Erwerber bei der Bemessung des Kaufpreises für den Betrieb für Wertpapiere und andere Wirtschaftsgüter nicht über deren Börsen- oder Marktpreis hinausgehen würde, bilden der Börsen- oder Marktpreis die Obergrenze für den Teilwertansatz. Zugleich spiegelt der Börsen- oder Marktpreis auch den potentiellen „Einzelveräußerungspreis“ als Untergrenze für den Teilwertansatz wieder22. Der Teilwert eines Wirtschaftsguts – und dies gilt auch für Wertpapiere – ist daher ein „aktueller kosten- und preisorientierter Sachwert“23. c) Zwischenergebnis Daraus resultiert, dass ein Börsen- oder Marktpreis prinzipiell den Teilwert wiedergibt. In ihm spiegelt sich einerseits die objektivierte Preisbildung an einem offenen Markt wieder; er bezeichnet andererseits die Preisgrenze für einen potentiellen Betriebserwerber, der fehlende Güter am Markt beschaffen kann. Zutreffend wird daher der „Börsen- oder Marktpreis“ als wesentliche Größe bei der Bestimmung eines Teilwerts herangezogen. Ausnahmen für „Pakete“ einerseits oder bei außergewöhnlichen (vor allem manipulierten) Kursen können an der grundlegenden Bedeutung dieser Ausgangsgröße nichts ändern. d) Das Verhältnis zur handelsrechtlichen Gewinnermittlung Zur Stützung des Börsenkurses als maßgeblicher Bewertungsgröße konnte sich schon der Reichsfinanzhof nicht nur auf die §§ 138, 141 RAO, sondern auch auf die handelsrechtlichen Bewertungsregeln berufen, die nach § 13 S. 1

__________ 20 RFH v. 18. 12. 1929 a. a. O. (Fn. 16), 90 f.; RFH v. 20. 3. 1930 a. a. O. (Fn. 16), 360 f.; BFH v. 16. 12. 1981 I R 131/78 BStBl II 1982, 320 f.; BFH v. 25. 8. 1983 a. a. O. (Fn. 12), 34; BFH v. 8. 9. 1994 a. a. O. (Fn. 12), 310; BFH v. 6. 7. 1995 a. a. O. (Fn. 16), 832; BFH v. 6. 12. 1995 a. a. O. (Fn. 12), 783; BFH v. 19. 5. 1998 a. a. O. (Fn. 16), 277; BFH v. 29. 4. 1994 IV R 14/98 BStBl II 1999, 681 ff. (die hier formulierte Einschränkung für „Verlustprodukte“ im Rahmen eines Handelssortiments kann für das Finanzvermögen keine Bedeutung beanspruchen). 21 S. zuletzt BFH v. 6. 11. 2003 IV R 10/01 BStBl II 2004, 416 ff. 22 BFH v. 7. 11. 1990 a. a. O. (Fn. 12), 344; BFH v. 22. 3. 1972 I R 199/69 BStBl II 1972, 488 f.; BFH v. 15. 7. 1966 VI 226/64 BStBl III 1966, 643 ff.; s. auch bereits Blümich, EStG, 3. Aufl., 1938, § 6 EStG Anm. 10. 23 Fischer a. a. O. (Fn. 19), § 6 EStG Rz. 83.

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EStG 1925 bei der Gewinnermittlung von buchführungspflichtigen Steuersubjekten herangezogen werden sollten. Denn in § 261 Ziff. 1 HGB war bestimmt, dass „Wertpapiere und Waren, die einen Börsen- oder Marktpreis haben, höchstens zu dem Börsen- oder Marktpreise des Zeitpunktes, für welchen die Bilanz aufgestellt wird, sofern dieser Preis jedoch den Anschaffungsoder Herstellungspreis übersteigt, höchstens zu dem letzteren angesetzt werden dürfen“24. Diese Parallele zur handelsrechtlichen Gewinnermittlung entspricht auch heute noch dem geltenden Recht. Aktien und andere Wertpapiere können sowohl dem Umlaufvermögen angehören als auch zum Anlagevermögen gerechnet werden. § 266 Abs. 2 HGB nennt auf der Aktivseite der Bilanz einer Kapitalgesellschaft unter A III die „Finanzanlagen“, zu denen „Anteile an verbundenen Unternehmen“ (Nr. 1), „Beteiligungen“ (Nr. 3) und „Wertpapiere des Anlagevermögens“ (Nr. 5) gehören. Auch im Umlaufvermögen werden unter B III als „Wertpapiere“ sowohl „Anteile an verbundenen Unternehmen“, „eigene Anteile“ oder „sonstige Wertpapiere“ angesetzt. Dabei richtet sich die Zugehörigkeit bei Anteilen und Wertpapieren zum Umlaufvermögen oder Anlagevermögen danach, ob diese Vermögensgegenstände auf kurzfristige Beteiligung angelegt sind oder längerfristig zum Unternehmensergebnis beitragen sollen25. Für Wertpapiere im Umlaufvermögen nach § 266 Abs. 2 B III HGB werden in § 253 Abs. 3 S. 1 HGB „Abschreibungen“ zwingend angeordnet, „um diese mit einem niedrigeren Wert anzusetzen, der sich aus einem Börsen- oder Marktpreis am Abschlussstichtag ergibt“. Dieses „strenge Niederstwertprinzip“ betont die hohe Objektivität und Relevanz von Börsenkursen für Wertpapiere26. Soweit behauptet wird, dass aktuelle Kurse „Zufallskurse“ seien, kann dies allenfalls zu einer weiteren Abwertung der Papiere führen, nicht jedoch zum Ansatz eines vermeintlich höheren „wahren Wertes“27. Für Finanzanlagen wird in § 253 Abs. 2 S. 3 HGB angeordnet, dass der ursprüngliche Ansatz der Anschaffungskosten auf den „niedrigeren beizulegenden Wert“ abgeschrieben werden kann. Damit ist nach allgemeiner Ansicht

__________ 24 RFH v. 30. 5. 1933 a. a. O. (Fn. 8), 1012 ff. 25 Ellrott/Schmidt-Wendt in Beck’scher Bilanzkommentar, 5. Aufl., 2003, § 247 HGB Rz. 356; Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Teilband 6, 6. Aufl., 1998, § 247 HGB Rz. 116. 26 Ausführlich Wohlgemuth in v. Wysocki/Schulze-Osterloh (Hrsg.), Handbuch des Jahresabschlusses, Loseblatt (Stand 2003) Abschn. I/11 Rz. 14 ff. 27 Wohlgemuth in HdJ a. a. O. (Fn. 26), Abschn. I/11 Rz. 18; Tiedchen in Kropff/ Semler (Hrsg.), Münchener Kommentar zum AktG, Bd. 5/1, 2. Aufl., 2003, § 253 HGB Rz. 76; gegen jede Abweichung vom Börsenkurs Ballwieser in MünchKommHGB, 2001, § 253 HGB Rz. 59.

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der „gemeine Wert“ i. S. eines „Wiederbeschaffungswertes“ gemeint28. Dieser wiederum wird im Falle von börsennotierten Wertpapieren grundsätzlich durch den Börsenpreis repräsentiert29. Damit gelangt das Handelsbilanzrecht sowohl im Anlagevermögen als auch im Umlaufvermögen zu einer Relevanz des Börsenkurses. Besonderheiten können jedoch gelten für „Anteile an verbundenen Unternehmen“ sowie „Beteiligungen“. Diese verfügen über eine Sonderrolle, weil sie über die bloße Kapitalanlage hinausreichen und eine besondere betriebliche Funktion besitzen. So sollen „Beteiligungen“ nach § 271 Abs. 1 S. 1 HGB „dem eigenen Geschäftsbetrieb durch Herstellung einer dauernden Verbindung zu jenen Unternehmen“ dienen. Noch weiter geht nach § 271 Abs. 2 HGB die Beziehung zu „verbundenen Unternehmen“, die nach § 290 Abs. 1 HGB mit dem „Mutterunternehmen“ unter einer einheitlichen Leitung stehen. Die Relevanz des Börsenkurses wird schließlich auch in den Sondervorschriften für Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute deutlich. Nach § 340e Abs. 1 S. 1 HGB sind „Anteile an verbundenen Unternehmen“ sowie „Beteiligungen“ nach den für das Anlagevermögen geltenden Regeln zu bewerten. Bei „Wertpapieren“ kommt es für die Bewertung nach den Regeln des Anlagevermögens oder des Umlaufvermögens darauf an, ob sie „dazu bestimmt sind, dauerhaft dem Geschäftsbetrieb zu dienen“ (S. 2)30. Eine Parallelregelung für Versicherungsunternehmen findet sich in § 341 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1 HGB31. Schließlich ist selbstverständlich, dass auch die IAS/IFRS die maßgebende Bedeutung der Börsenwerte für eine Objektivierung der Anteilsbewertung herausstellen: „The existence of published price quotations in an active market is the best evidence of fair value and when they exist they are used to measure the financial asset or financial liability“32.

__________ 28 Kleindiek in Ulmer (Hrsg.), HGB-Bilanzrecht, 2002, § 253 HGB Rz. 63; Berger/Ring in Beck’scher Bilanzkommentar, 5. Aufl., 2003, § 253 HGB Rz. 288; Adler/Düring/ Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Teilband 1, 6. Aufl., 1995, § 253 HGB Rz. 457 ff.; Wohlgemuth in Bonner Handbuch der Rechnungslegung, Loseblatt (Stand 2005), § 253 HGB Rz. 266 ff.; Karrenbauer/Döring/ Buchholz in Küting/Weber (Hrsg.), Handbuch der Rechnungslegung – Einzelabschluss, Loseblatt (Stand 2003) § 253 HGB Rz. 159; Thiele/Breithaupt in Baetge/ Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, Loseblatt (Stand 2002), § 253 HGB Rz. 308 ff. 29 Berger/Ring a. a. O. (Fn. 28), § 253 HGB Rz. 288; Adler/Düring/Schmaltz a. a. O. (Fn. 28), § 253 HGB Rz. 459; Ballwieser a. a. O. (Fn. 27), § 253 HGB Rz. 52; Thiele/ Breithaupt a. a. O. (Fn. 28), § 253 HGB Rz. 311; s. auch Ruhnke/Schmidt, Wpg. 2003, 1037 ff. 30 Näher: Krumnow u. a., Rechnungslegung der Kreditinstitute, 2. Aufl., 2004, § 340c HGB Rz. 196 ff. 31 Dazu ausführlich IDW, Stellungnahme zur Rechnungslegung: Auslegung des § 341b HGB (neu), IDW RS VFA 2 v. 8. 4. 2002, Rz. 4–13; s. auch Stöffler in Beck’scher Versicherungsbilanzkommentar, 1998, § 341b HGB Rz. 12; Kessler, DB 1999, 2577 ff., 2584. 32 IAS 39, Application Guide 77; Ruhnke/Schmidt a. a. O. (Fn. 29), S. 1038.

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Teilwertabschreibungen auf börsennotierte Wertpapiere

3. Die „voraussichtlich dauernde“ Wertminderung a) Einheitliche Behandlung von Anlage- und Umlaufvermögen Seit dem SteuerentlastungsG 1999/2000/2002 ist eine steuerlich wirksame Teilwertabschreibung nur noch dann zulässig, wenn eine „voraussichtlich dauernde“ Wertminderung gegeben ist. Mit dieser Formulierung hat der Steuergesetzgeber bewusst ein handelsrechtliches Tatbestandsmerkmal aufgegriffen, welches in §§ 253, 279 HGB bereits vorgeprägt ist33. Dieses zusätzliche Kriterium enthält zwei Bestandsteile: die „Dauerhaftigkeit“ der Wertminderung einerseits und die „Voraussicht“, auf deren Grundlage eine Aussage getroffen werden kann. Das Gesetz unterscheidet insofern tatbestandlich – für die Steuerbilanz – nicht mehr zwischen Anlage- und Umlaufvermögen in dem Sinne, dass im ersten Fall ein „gemildertes“ und im zweiten Fall ein „strenges“ Niederstwertprinzip zur Anwendung kommen würde34. Daher wird im Folgenden nicht zwischen Wirtschaftsgütern des Anlage- und des Umlaufvermögens differenziert. Mittelbar ergeben sich Unterschiede lediglich daraus, dass es bei der „Dauerhaftigkeit“ der Wertminderung auf den Zeitraum ankommt, in dem sich das Wirtschaftsgut im Vermögen des Steuerpflichtigen befindet und daher bei Anlagevermögen die „Dauerhaftigkeit“ einer Wertminderung einer längeren zeitlichen Perspektive unterliegt als bei Umlaufvermögen (siehe dazu im nachstehenden Abschnitt). b) Die „Dauerhaftigkeit“ der Wertminderung Wenn § 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 EStG für die steuerliche Möglichkeit einer Teilwertabschreibung voraussetzt, dass eine „voraussichtlich dauernde Wertminderung“ eingetreten ist, so wird damit eine bestimmte zeitliche Mindestperspektive eingeführt, die davon abhalten soll, vorübergehende Wertschwankungen steuerlich mit Relevanz zu versehen. Dies kann auch bei Finanzinstrumenten eingreifen. So lässt sich sagen, dass festverzinsliche Wertpapiere, die wegen einer Steigerung des allgemeinen Zinsniveaus im Börsenpreis zurückgehen, spätestens zum Fälligkeitszeitpunkt ihren Ausgabewert wieder erreichen dürften35. Eine gesetzliche Klärung, welche Mindestlänge diese „Dauerhaftigkeit“ voraussetzt, fehlt jedoch. Dies erweist sich vor allem bei nicht abnutzbaren Wirtschaftsgütern als besonders problematisch. Hier stehen sich zwei theoretische Extrempositionen gegenüber: Einerseits könnte man unter „dauernd“ auch „immerwährend“ verstehen. Dann wäre eine Teilwertabschreibung

__________ 33 S. den Bericht des Finanzausschusses, BT-Drs.14/443; Wendt in Herrmann/Heuer/ Raupach (Hrsg.), EStG und KStG, Sonderband Steuerreform I, 2001, § 6 Anm. R 41; vgl. auch schon BFH v. 29. 4. 1999 IV R 40/97 BStBl II 1999, 681 ff. 34 Glanegger a. a. O. (Fn. 19), § 6 EStG Rz. 217. 35 Näher Hommel/Berndt, DStR 2000, 1745 ff., 1751; kritisch Groh, DB 1999, 978 ff., 982.

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nahezu ausgeschlossen. Andererseits könnte man von „Dauerhaftigkeit“ immer dann reden, wenn der Wert bis zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung, d. h. bis zum Ende des Wertaufhellungszeitraums nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB nicht wiederhergestellt ist. Dies würde jedoch die zeitliche Perspektive von vornherein nur auf wenige Monate begrenzen36. Der Versuch einer sinnvollen Grenzziehung muss daran anknüpfen, dass der Steuergesetzgeber in § 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 2, Nr. 2 S. 2 EStG ausdrücklich auf die Vorprägung in § 253 HGB zurückgegriffen hat. Versucht man, das Kriterium der Dauerhaftigkeit im Rahmen des Handelsbilanzrechts zu klären, so ist weiterhin zu beachten, dass nach §§ 253 Abs. 2 S. 3, 279 Abs. 1 HGB bei Finanzanlagen die Grenzziehung zwischen einer „dauernden“ und einer „vorübergehenden“ Wertminderung darüber entscheiden soll, ob der Bilanzierende verpflichtet oder nur berechtigt ist, eine Abschreibung vorzunehmen. Mit der Behauptung einer bloß „vorübergehenden“ Wertminderung kann der Bilanzierende eine günstige Darstellung seiner Vermögensverhältnisse erreichen. Aus handelsrechtlicher Sicht erscheint es daher zwingend, dass das hier eröffnete Wahlrecht des Kaufmanns durch das „Vorsichtsprinzip“ (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB) eingeschränkt werden muss37. Daraus wird man folgern müssen, dass die Aussagen über die zukünftige Entwicklung der Wertentwicklung eines Vermögensgegenstandes sich auf einen Zeitraum beziehen müssen, der bei vernünftiger Betrachtung vom Bilanzierenden sinnvoll überblickt werden kann. Daher hat das handelsrechtliche Schrifttum bei der Auslegung von § 253 Abs. 2, 3 HGB, § 279 Abs. 1 HGB Einigkeit dahin erzielt, dass von einer „dauernden Wertminderung“ schon dann ausgegangen werden soll, wenn für einen Zeitraum von wenigen Jahren der Fortbestand des niedrigen Wertes angenommen werden kann. Genannt werden Fristen zwischen einem und fünf Jahren38. Dem ist zu folgen. Bei nicht abnutzbaren Wirtschaftsgütern kann eine „immerwährende“ Perspektive nicht sinnvoll den Bilanzentscheidungen zugrunde gelegt werden. Vielmehr hat der Bilanzierende – wie auch das Bundesministerium der Finanzen hervorhebt – mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zu handeln. Spekulationen können ihm (und auch der

__________ 36 In diese Richtung Wiedmann, Bilanzrecht, 2. Aufl., 2003, § 253 HGB Rz. 88. 37 Kleindiek a. a. O. (Fn. 28), § 253 HGB Rz. 64; Berger/Ring a. a. O. (Fn. 28), § 253 HGB Rz. 295. 38 Ausführlich Wohlgemuth a. a. O. (Fn. 28), § 253 HGB Rz. 280; Mayer-Wegelin in Bordewin/Brandt, EStG, Loseblatt (Stand 2002), § 6 EStG Rz. 144b; Hommel/ Berndt a. a. O. (Fn. 35), 1750 f.; Baetge/Brockmeyer in Leffson/Rückle/Großfeld, Handwörterbuch unbestimmter Rechtsbegriffe im Bilanzrecht des HGB, 1986, Stichwort „Voraussichtlich dauernde Wertminderung“, S. 377 ff., 384 ff.; Dietrich, DStR 2000, 1629 ff., 1631; Küting, DB 2005, 1121 ff., 1126; zweifelnd zu zeitlichen Vorgaben Tiedchen a. a. O. (Fn. 27), § 253 HGB Rz. 67; siehe auch allgemein Arbeitskreis „Externe und interne Überwachung der Unternehmung“ der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V., DB 2003, 105 ff., 109.

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Teilwertabschreibungen auf börsennotierte Wertpapiere

Finanzverwaltung oder den Abschlussprüfern) nicht zugemutet werden. Für Wertpapiere wird man daher einen Zeitraum von wenigen – etwa drei – Jahren für angemessen halten, um von einer „dauernden Wertminderung“ zu reden. Wenn es später dennoch zu einer Werterholung kommt, kann dem durch nachträgliche Zuschreibungen im Rahmen von § 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 4, Nr. 2 S. 3 EStG Rechnung getragen werden39. Eine weitere Einschränkung der zeitlichen Perspektive wird man dann annehmen müssen, wenn die in Rede stehenden Wertpapiere zum „Umlaufvermögen“ gehören oder (bei Banken oder Versicherungsunternehmen) wie „Umlaufvermögen“ bewertet werden. In diesen Fällen ist mit kurzfristigen Veräußerungen oder anderen Umschichtungen im Portfolio des Bilanzierenden zu rechnen. Spätere Werterholungen kommen dem Kaufmann nicht mehr notwendig zu Gute. Daher kann die „Dauerhaftigkeit“ einer Wertminderung nur auf den Zeitraum bis zu einer potentiellen Veräußerung der Wertpapiere bezogen werden40. Es ergibt sich, dass von einer „dauernden Wertminderung“ bei Wertpapieren dann die Rede sein muss, wenn eine Kurserholung in einer zeitlichen Perspektive von ca. drei Jahren oder bis zu einer beabsichtigten früheren Veräußerung nicht eintreten wird. c) Die „Voraussicht“ auf die Dauerhaftigkeit der Wertminderung Die zentrale Problematik der Teilwertabschreibung auf Wertpapiere liegt in der Frage begründet, ob das Absinken des Börsenwerts von Aktien oder anderen Finanzinstrumenten „voraussichtlich“ von Dauer sein wird. aa) Das Verhältnis zur nachträglichen Wertaufholung Bei der Würdigung dieser Vorgabe ist zunächst zu beachten, dass der Steuergesetzgeber zugleich mit dem Erfordernis einer „voraussichtlich dauerhaften Wertminderung“ auch das Rechtsinstitut der „Wertaufholung“ in § 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 4, Nr. 2 S. 3 EStG eingeführt hat. Damit unterscheidet das Gesetz selbst zwischen Wertminderungen, die in der Bilanz zunächst berechtigt ausgewiesen werden und in den Folgejahren durch eine Zuschreibung korrigiert werden, und solchen Wertminderungen, die von vornherein nur „vorübergehenden“ Charakter hatten und daher gar nicht abgebildet werden. Dieser systematische Zusammenhang verdeutlicht, dass eine „voraussichtlich dauernde“ Wertminderung nicht „zweifelsfrei“ gegeben sein muss. Vielmehr ist lediglich gemeint, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ihren langfristigen Charakter spricht. Diese Wahrscheinlichkeit muss aus der Perspektive des Bilanzstichtages beurteilt werden.

__________ 39 So nunmehr auch für Gebäude FG Münster v. 14. 1. 2005 9 K 1564/03 DStRE 2005, 617 f. 40 Siehe auch IDW a. a. O. (Fn. 31), VFA 2, Rz. 21 f.; Teilwerterlass a. a. O. (Fn. 1), Rz. 23; OFD Hannover a. a. O. (Fn. 1), Nr. 1.

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Daher kann nicht allgemein gesagt werden, dass die Absenkung von Börsenwerten wegen der regelmäßig gegebenen Möglichkeit einer späteren Wertaufholung von vornherein nur „vorübergehenden“ Charakter besitzt. Es muss vielmehr geprüft werden, ob ein Absinken des Teilwerts (des Börsenkurses) unter die Anschaffungskosten mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von Dauer sein wird. Wenn diese Wahrscheinlichkeit besteht, muss abgeschrieben werden. Eine später dennoch eintretende Erholung des Börsenkurses kann mit Hilfe der Wertaufholung ex nunc korrigiert werden, führt jedoch nicht zur Unrichtigkeit der früheren Bilanz. bb) Der Charakter von Kursminderungen (1) Börsenwert oder „innerer Wert“? Damit stellt sich die Frage, ob das Absinken von Börsenkursen gegenüber den ursprünglichen Anschaffungskosten im Regelfall „voraussichtlich“ dauernden oder nur vorübergehenden Charakter besitzt. Hier stehen sich zwei grundsätzlich unterschiedene Positionen gegenüber: Das Bundesministerium der Finanzen hält die Entwicklung von Börsenkursen für grundsätzlich „vorübergehend“. Es handele sich um „übliche Schwankungen“, die von einer Vielzahl von Faktoren bestimmt werden, welche nicht notwendig mit dem inneren Wert des betroffenen Unternehmens zu tun hätten (Spekulationen, Veränderungen der allgemeinen politischen oder wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, Änderungen des Zinsniveaus etc). Lediglich dann, wenn auf der Ebene des Beteiligungsunternehmens bestimmte Veränderungen stattgefunden hätten, die auf eine langfristige Wertminderung schließen lassen (Schwere Gewinneinbrüche, Verlust von Marktanteilen, Sanierungen etc.), könne von einer „dauerhaften“ Wertminderung ausgegangen werden. Hinter dieser Argumentation verbirgt sich die Vorstellung vom „Börsenkurs“ als einer im Kern spekulativen, nicht verlässlichen Größe, der gegenüber der „wahre Wert“ eines Wirtschaftsguts in Stellung gebracht werden müsse. Dies überzeugt jedoch nicht. Oben ist bereits dargestellt worden, dass bei der Diskussion um die Relevanz des Börsenkurses für die einkommensteuerliche Gewinnermittlung in den 20er Jahren der Reichsfinanzhof die grundsätzliche Objektivität des Börsenkurses hervorgehoben hat. Dies entspricht auch der systematischen Stellung des Börsenkurses in der Kapitalmarkttheorie und in der geltenden Rechtsordnung. (2) Der Börsenkurs als Ergebnis der Wertschätzungen informierter Marktteilnehmer Die herrschende Theorie der Kapitalmärkte geht davon aus, dass die am Kapitalmarkt beteiligten Personen (Käufer, Verkäufer, Finanzintermediäre etc.) die ihnen verfügbaren Informationen über ein Wertpapier zusammenfassend in ihre Angebote und damit in den jeweils festgestellten Börsenkurs 312

Teilwertabschreibungen auf börsennotierte Wertpapiere

einfließen lassen. Dieser Börsenkurs gibt damit die Auffassungen der Marktteilnehmer über die Ertragskraft eines Wertpapiers als Kapitalanlage wieder. Die Preise beinhalten „Erwartungen der Anleger über künftige Erfolgsniveaus und Risiken“ des jeweiligen Vermögensgegenstandes41. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass alle Käufer oder Verkäufer von Aktien und anderen Wertpapieren bei ihrer Kauf- oder Verkaufsentscheidung Prognosen über die künftige Kurs- und Dividendenentwicklung treffen und danach ihre Grenzpreise festlegen. Würde die überwiegende Zahl der Marktteilnehmer auf Dauer eine Verbesserung der Lage des Unternehmens antizipieren, läge der Kurs entsprechend höher, würde man mit einer weiteren Verschlechterung rechnen, wäre der Kurs bereits eingebrochen. Dies bedeutet zugleich, dass der Börsenwert eines Wertpapiers umso besser seine Werthaltigkeit deutlich macht, wenn die am Kapitalmarkt beteiligten Personen über verlässliche und vielfältige Informationen verfügen. Die europäische und deutsche Gesetzgebung zum Kapitalmarktrecht ist darauf angelegt, diese „Informationseffizienz“ der Kapitalmärkte zu verstärken42. Dem dient im deutschen Recht die Gesetzgebung zur Regelpublizität von Kapitalgesellschaften43 sowie die Ad-Hoc-Publizität44, aber auch der Ausbau der kapitalmarktrechtlichen Haftungsvorschriften45. Diese Anerkennung des Börsenwertes als Bündelung der am Markt verfügbaren Informationen hat auch in der Rechtsordnung inzwischen vielfältige Anerkennung gefunden46. Wegweisend war ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, in dem bei der Abfindung von Minderheitsaktionären der erzielbare Börsenkurs als Mindestwert festgestellt wurde. Das Gericht stellte fest: „Es ist aber mit Art. 14 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn dabei der Kurswert der Aktie außer Betracht bleibt. Das ergibt sich daraus, dass die Entschädigung und folglich auch die Methode ihrer Berechnung dem entzogenen Eigentumsobjekt gerecht werden muss. Das Aktieneigentum ist – im Vergleich zur Beteiligung an einer Personengesellschaft oder an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung – nicht zuletzt durch seine Verkehrsfähigkeit geprägt. Das gilt vor allem für die börsennotierte Aktie. Sie wird an

__________ 41 Ausführliche Darstellung bei Wagenhofer/Ewert, Externe Unternehmensrechnung, 2003, 104 ff. 42 Zum europäischen Recht siehe den Überblick bei: Brecht, Das Pflichtenprogramm börsennotierter Aktiengesellschaften im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2004, 6 ff. 43 Monographisch: Ekkenga, Anlegerschutz, Rechnungslegung und Kapitalmarkt, 1998. 44 Siehe etwa Kümpel in Assmann/Schneider, WpHG, 2. Aufl., 2003, § 15 WpHG Rz. 2. 45 Fleischer, Empfiehlt es sich, im Interesse des Anlegerschutzes und zur Förderung des Finanzplatzes Deutschland das Kapitalmarkt- und Börsenrecht neu zu regeln?, Gutachten F für den 64., Deutschen Juristentag, 2002, S. F 26 ff.; Hopt/Voigt, Prospekt- und Kapitalmarktinformationshaftung, 2005, 12 ff. 46 Darstellung bei Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., 2002, 180 ff.

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Wolfgang Schön der Börse gehandelt und erfährt dort aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage eine Wertbestimmung, an der sich die Aktionäre bei ihren Investitionsentscheidungen orientieren. Insbesondere Kleinaktionären, die regelmäßig nicht über alle relevanten Informationen verfügen, steht kein anderer Maßstab zur Verfügung, an dem sie den Wert dieses spezifischen Eigentumsobjekts messen könnten“47.

Der Bundesgerichtshof hat diese Erwägungen aufgegriffen und vertieft: „Die Gleichstellung von Börsen- und Verkehrswert beruht auf der Annahme, dass die Börse auf der Grundlage der ihr zur Verfügung gestellten Informationen und Informationsmöglichkeiten die Ertragskraft des Gesellschaftsunternehmens, um dessen Aktien es geht, zutreffend bewertet, der Erwerber von Aktien sich an dieser Einschätzung durch den Markt orientiert und sich daher Angebot und Nachfrage danach regulieren, so dass sich die Marktbewertung in dem Börsenkurs der Aktien niederschlägt“48.

Vor diesem Hintergrund lässt sich – jedenfalls bei liquiden Märkten – die These aufstellen, dass der jeweilige Börsenkurs an einem gegebenen Stichtag nicht nur die Erwartungen einer großen Zahl von Marktteilnehmern über die künftige Entwicklung des Kurses wiedergibt, sondern zugleich auch eine Aussage darüber trifft, ob der jetzt gefundene Kurs „voraussichtlich“ dauerhaften Charakter besitzt. Denn wer immer eine abweichende Prognose aufstellen möchte, muss nachweisen, dass der Markt die verfügbaren Informationen unzureichend aufgenommen oder verarbeitet hat und daher eine am Bilanzstichtag bereits „voraussehbare“ Werterholung verkannt hat. Aber auch dann, wenn man keine „vollkommene Informationseffizienz“ unterstellt, sondern „teilweise ineffiziente“ Märkte unterstellt49, muss man anerkennen, dass es der „Objektivierung der Wertermittlung“ eher entspricht, vorhandene Börsenkurse als Ausgangsgröße heranzuziehen als diese durch bloße Schätzwerte zu ersetzen50. Die Vorstellung des Bundesfinanzministeriums, dass der Kursentwicklung von Wertpapieren im Grundsatz keine Aussage über die „Dauerhaftigkeit“ einer Wertminderung entnommen werden könne, steht daher im grundlegenden Widerspruch zu der im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum und vielfältigen rechtlichen Zusammenhängen durchgesetzten Erkenntnis, dass der Kapitalmarkt darauf angelegt ist, Informationen effizient zu verarbeiten und damit eine nach Möglichkeit realistische Bewertung gerade der künftigen Ertragskraft des Vermögensgegenstandes zu ermöglichen. Treffend formulieren Hommel/Berndt:

__________ 47 BVerfG v. 27. 4. 1999 1 BvR 1613/94 BVerfGE 100, 288 ff., 307 f.; dazu ausführlich Hüffer/Schmidt-Aßmann/Weber, Anteilseigentum, Unternehmenswert und Börsenkurs, 2005, S. 42 ff. 48 BGH v. 12. 3. 2001 II ZB 15/00 BGHZ 147, 108 ff., 116. 49 S. die Nachweise zur Kritik bei Wagenhofer a. a. O. (Fn. 41) und Großfeld a. a. O. (Fn. 46) sowie bei Fey/Mujkanovic, Wpg. 2003, 212 ff., 213. 50 Ballwieser a. a. O. (Fn. 27), § 253 HGB Rz. 59.

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Teilwertabschreibungen auf börsennotierte Wertpapiere „Das Bundesfinanzministerium scheint mehr über die zukünftige Kursentwicklung von börsennotierten Wertpapieren zu wissen, als alle Marktteilnehmer zusammen, deren momentanes Wissen sich in den aktuellen Kursen niederschlägt.“51

(3) Die Aussagekraft des aktuellen Börsenwertes für dessen künftige Entwicklung Der Umstand, dass der aktuelle Börsenwert die verfügbaren Informationen der Marktteilnehmer über die künftige Entwicklung des Börsenkurses bündelt, ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass nach dem Stichtag weitere Ereignisse (innerhalb des betroffenen Unternehmens oder in seinem ökonomischen Umfeld) eintreten oder zusätzliche Informationen offenbar werden können, die ihrerseits einen positiven oder negativen Einfluss auf den jeweiligen Börsenwert haben werden. Es kann daher mit Sicherheit vorausgesagt werden, dass der Börsenkurs nicht stationär dort verharren wird, wo er sich am Bilanzstichtag befunden hat. Offen ist lediglich, ob die weitere Entwicklung des Börsenkurses eher nach oben oder nach unten tendieren oder in der zuletzt erreichten Größenordnung verharren wird. Daher könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass zwar der aktuelle Börsenkurs die Informationen vielleicht effizient verarbeitet, aber künftige neue Informationen nicht antizipieren kann, so dass sich eine Voraussage über die künftige Kursentwicklung schlicht nicht treffen lässt. Dann wäre auch eine Aussage über die „voraussichtliche Dauerhaftigkeit“ des aktuellen Kurses und eine Teilwertabschreibung grundsätzlich in Frage gestellt. Die ökonomische Theorie zu der Frage der Prognosewirkungen aktueller Börsenkurse ist uneinheitlich. Im Schrifttum findet sich die „Martingal“Hypothese, die jedem aktuellen Kurs zugleich die höchste prognostische Qualität für jeden künftigen Kurs beimisst. Eine skeptischere Haltung ist mit der „Random-Walk“-Hypothese verbunden, welche die künftige Kursentwicklung nach oben oder nach unten als völlig zufällig erscheinen lässt. Andere meinen, dass sich bei sehr langfristigen Anlagen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen langfristig gemessenen Durchschnittskurs herausstellen lässt – allerdings weniger im Sinne einer konkreten Einzelbewertung als vielmehr einer generell statistischen Aussage52. Vor diesem Hintergrund kann man den Eindruck gewinnen, dass man die „voraussichtliche Dauerhaftigkeit“ einer Börsenbewertung danach einschätzen muss, welcher der vertretenen ökonomischen Thesen man folgt.

__________ 51 Hommel/Berndt, FR 2000, 1305 ff., 1309 f.; auch die Auffassung von Tiedchen a. a. O. (Fn. 27), § 253 HGB Rz. 68), dass man mit Hilfe einer „Marktbeobachtung“ Aussagen über die Dauerhaftigkeit von Wertminderungen treffen könne, begründet nicht, welche „Beobachtung“ die im Marktpreis reflektierte Kapitalmarktinformation modifizieren soll. 52 Ausführlich Albrecht, Zeitschrift für die ges. Versicherungswissenschaft, 2003, 389 ff.

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(4) Der Vergleich zwischen Anschaffungskosten und Teilwert Ein Blick auf die gesetzlichen Grundlagen zeigt jedoch, dass es bei der Anwendung von § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2, Nr. 2 S. 2 EStG oder §§ 253 Abs. 2, 3, 279 Abs. 1 HGB nicht auf die allgemeine Frage ankommt, ob der aktuelle Börsenwert eine abschließende und verlässliche Aussage über jeden künftigen Börsenkurs abgibt. Vielmehr bleibt zu beachten, dass der Ansatz des „niedrigeren beizulegenden Wertes“ im Handelsrecht oder des „niedrigeren Teilwerts“ im Steuerrecht in erster Linie auf einer vergleichenden Betrachtung beruht. Es wird nicht freihändig ein „objektiver“ Wert kreiert, sondern es wird zwischen dem Ansatz des bisherigen Wertes (regelmäßig der Anschaffungs- oder Herstellungskosten) und dem Ansatz des aktuellen Gemeinen oder Teilwertes eine Vergleichsbetrachtung angestellt53. Bei dieser Betrachtungsweise wird deutlich, dass die Frage nach der „voraussichtlich dauernden Wertminderung“ nicht darauf gerichtet ist, ob der am Stichtag erreichte Börsenwert „voraussichtlich“ stationär verharrt oder jedenfalls nicht mehr überschritten wird. Vielmehr geht es um einen Vergleich der ursprünglichen Anschaffungskosten und des aktuellen Börsenwertes. Wenn und soweit der aktuelle Börsenwert eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweist, die künftige Kursentwicklung zu prognostizieren, als dies bei den historischen Anschaffungskosten der Wertpapiere der Fall ist, wird man den aktuellen Kurswert zum Ausgangspunkt der weiteren Bewertungen machen müssen. Eben dies ist der Fall. Bei Wertpapieren spiegeln die früheren Anschaffungskosten den früheren Börsenwert der Papiere wieder und damit eine Markteinschätzung, die auf den damals verfügbaren Informationen beruhte. Demgegenüber spiegelt der aktuelle Kurswert eine Markteinschätzung wieder, welche die nach der Anschaffung eingetretenen Entwicklungen und Marktinformationen zusätzlich verarbeitet. Daher ist der aktuelle Kurswert im theoretischen und praktischen Ansatz immer dem früheren Buchwert überlegen. Er verarbeitet sämtliche bei der Anschaffung verfügbaren Informationen und darüber hinaus sämtliche zwischenzeitlich eingetretenen Entwicklungen. Wenn es darum geht, ob „voraussichtlich“ auf Dauer der frühere Buchwert oder der jetzige Stichtagswert die künftige Kursentwicklung abbilden, kann mit Eindeutigkeit dem jetzigen Börsenwert der Vorzug gegeben werden54. An diesem Vergleich wird auch die inhaltliche Inkonsistenz der von der Finanzverwaltung formulierten Ansicht deutlich. Sie behandelt die ursprünglichen Anschaffungskosten der Wertpapiere als präsumtiv „richtigen“, auf Dauer angelegten Wert, während nach dem Erwerb eintretende Kursveränderungen von vornherein als „vorübergehend“ qualifiziert werden. Demgegenüber muss erkannt werden, dass bei

__________ 53 Kleindiek a. a. O. (Fn. 28), § 253 HGB Rz. 62; Berger/Ring a. a. O. (Fn. 28), § 253 HGB Rz. 286. 54 Siehe auch Hommel/Berndt a. a. O. (Fn. 35), S. 1751.

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dem Erwerb von Wertpapieren am Kapitalmarkt auch der Anschaffungswert letztlich nicht einen dauerhaften „inneren“ Wert der Kapitalanlage widerspiegelt, sondern als früherer Börsenwert ebenfalls von einer Vielzahl von vorläufigen Faktoren in der Beteiligungsgesellschaft oder in ihrem wirtschaftlichen und politischen Umfeld bestimmt wird. Es kann daher keine Vermutung für die „Dauerhaftigkeit“ der zu einem beliebigen früheren Zeitpunkt getroffenen Kaufentscheidung geben. Im konkreten Vergleich zwischen dem punktuellen historischen Anschaffungswert und dem aktuellen Stichtagswert muss der aktuelle Wert als strukturell überlegen eingeschätzt werden. Im Vergleich zu diesen früheren Notierungen kann daher der aktuelle Kurswert als „voraussichtlich dauerhaft“ eingeordnet werden. cc) „Vermutung“ und „Abweichungen“ im Rahmen von § 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 4, Nr. 2 S. 3 EStG Der Vergleich zwischen der Aussagekraft der historischen Anschaffungskosten einerseits und der Relevanz des aktuellen Kurswerts andererseits führt zu der Frage, ob die Finanzverwaltung oder der Steuerpflichtige bei der Prüfung der „voraussichtlichen Dauerhaftigkeit“ der Wertminderung die Feststellungslast trägt. Wer sich auf den Standpunkt stellt, dass einerseits eine Aussage über die künftige Kursentwicklung ohnehin nicht sinnvoll getroffen werden kann und andererseits die Feststellungslast für alle Voraussetzungen der Teilwertabschreibung bei dem Steuerpflichtigen ansetzt, wird dann eine steuerrelevante Teilwertminderung so gut wie nie anerkennen55. Der Meinungsstand zu dieser Frage ist unübersichtlich. Einerseits war für die handelsrechtliche Bilanzierung von jeher unbestritten, dass das Vorsichtsprinzip „im Zweifel“ für die Annahme einer dauernden Wertminderung eintreten würde. Es müssten „eindeutige Anhaltspunkte“ für den vorläufigen Charakter einer Wertminderung gegeben sein, um von einer Abschreibung abzusehen56. Das Begründungserfordernis für eine lediglich „vorübergehende“ Wertminderung wurde gerade bei nicht abnutzbaren Gegenständen hoch angesetzt, da bei abnutzbaren Gegenständen eine Korrektur ohnehin im Zeitablauf der planmäßigen Abschreibung erfolgt57. Demgegenüber ist im steuerlichen Schrifttum darauf hingewiesen worden, dass nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 4, Nr. 2 S. 3 EStG, der Steuerpflichtige jeweils „nachweisen“ muss, „dass ein niedrigerer Teilwert nach S. 2 angesetzt werden kann“.

__________ 55 Dies kritisieren Hommel/Berndt a. a. O. (Fn. 51), S. 1308 f. 56 Ballwieser a. a. O. (Fn. 27), § 253 HGB Rz. 55; Berger/Ring a. a. O. (Fn. 28), § 253 HGB Rz. 296; Karrenbauer/Döring/Buchholz a. a. O. (Fn. 28), § 253 HGB Rz. 165; Kleindiek a. a. O. (Fn. 28), § 253 HGB Rz. 64; Baetge/Brockmeyer a. a. O. (Fn. 38), S. 386; für Versicherungsunternehmen IDW a. a. O. (Fn. 31), VFA 2, Rz. 16; so auch noch BFH v. 9. 9. 1985 VIII 20/85 BFH/NV 1987, 442. 57 Wohlgemuth a. a. O. (Fn. 28), § 253 HGB Rz. 281.

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Damit scheint sich im Steuerrecht die Feststellungslast gegen den Steuerpflichtigen zu richten58. Folgt man dieser Sichtweise, so bedeutet dies zunächst, dass der Steuerpflichtige nachweisen muss, dass der Teilwert gegenüber den ursprünglichen Anschaffungskosten gesunken ist. Dies lässt sich durch den Rekurs auf einen öffentlich notierten Börsenpreis belegen. Im Weiteren muss geprüft werden, ob diese Wertminderung „voraussichtlich dauerhaften“ Charakter hat. Hier kann man bereits zweifeln, ob sich die Beweislast des Steuerpflichtigen auch auf dieses Tatbestandselement bezieht, da der Gesetzgeber sich an die Vorgaben des Handelsrechts anlehnen die in § 253 Abs. 2, 3 HGB enthaltenen Regelungen aufgreifen wollte59. Auch dann, wenn man dem Steuerpflichtigen die volle Feststellungslast für die „voraussichtliche Dauerhaftigkeit“ der Wertminderung aufbürdet, wird man nach den oben stehenden Ausführungen jedoch eine „Vermutung“ des Inhalts akzeptieren können, dass der aktuelle Börsenwert zum Stichtag (im Vergleich zu den früheren Anschaffungskosten) eine voraussichtlich dauerhafte Wertminderung abbildet. Denn es muss methodisch akzeptiert werden, dass der aktuelle Börsenkurs die im Markt vorhandenen Informationen über die künftige Entwicklung des Unternehmens vollständiger verarbeitet als der frühere Anschaffungswert. Eine solche Vermutung würde nicht hindern, dass noch weitere Gesichtspunkte bei der Entscheidung über den „dauerhaften“ Charakter der Wertminderung herangezogen werden können, z. B. festgestellte Marktmanipulationen, welche die angemessene Informationsverarbeitung durch den Kapitalmarkt außer Kraft gesetzt haben, oder fehlende Marktliquidität, die eine breite Grundlage für die Preisbildung verhindert60. Auch kann man die vom Bundesministerium der Finanzen eingeführten Gesichtspunkte wirtschaftlicher Notlagen der betroffenen Beteiligungsgesellschaften heranziehen, um im Einzelfall, die vom Börsenkurs ausgehende Vermutungswirkung zu überspielen. In diese Richtung weisen auch Überlegungen, des Instituts der Wirtschaftsprüfer, „Substanzverluste des Emittenten“, „Verschlechterungen der Zukunftsaussichten des Unternehmens bzw. der Branche, in der das Unternehmen tätig ist, erhebliche finanzielle Schwierigkeiten des Emittenten, die hohe Wahrscheinlichkeit der Insolvenz oder sonstigen Sanierungsbedarf“ zu

__________ 58 Glanegger a. a. O. (Fn. 19), § 6 EStG Rz. 217; Fischer a. a. O. (Fn. 19), § 6 EStG Rz. 108; Ehmcke a. a. O. (Fn. 15), § 6 EStG Rz. 545; Winkeljohann a. a. O. (Fn. 13), § 6 EStG Anm. 558; Stuhrmann, NJW 1999, 1657 ff., 1657; Kessler, DB 1999, 2577 ff., 2579; Wendt a. a. O. (Fn. 33), § 6 EStG Anm. R 42; Loitz/Winnacker, DB 2000, 2229 ff., 2230. 59 So jüngst FG Münster v. 14. 1. 2005 a. a. O. (Fn. 39); Korn/Strahl, KÖSDI 2003, 13689 f.; dies. in Korn (Hrsg.), EStG, § 6 EStG Rz. 202. 60 Großfeld a. a. O. (Fn. 46), S. 188; Ruhnke/Schmidt a. a. O. (Fn. 29), S. 1050; Fey/ Mujkanovic a. a. O. (Fn. 49), S. 213.

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berücksichtigen61. Dabei geht das IDW davon aus, dass der Stichtagskurs den regelmäßig richtigen Ansatz für den „niedrigen beizulegenden Wert“ bzw. den „Teilwert“ bildet und Abweichungen von diesem Ansatz auf der Grundlage von besonderen Analysen, Bewertungsgutachten etc. begründet werden müssen. Dabei können auch Prognoseverfahren, z. B. das DCF-Verfahren oder ein Ertragswertverfahren, herangezogen werden. Schließlich können fundierte Finanzanalysen eine Rolle spielen62. Dem ist zuzustimmen. Der Steuerpflichtige kann den Nachweis der voraussichtlich dauerhaften Wertminderung durch den Verweis auf den niedrigeren Stichtagswert am Kapitalmarkt erbringen. Auch handelsrechtlich resultiert daraus im ersten Schritt eine Verpflichtung zur Abschreibung auf den niedrigeren Wert. In einem zweiten Schritt folgt, dass die mit diesem Börsenwert verbundene Vermutung – vom Steuerpflichtigen oder von der Finanzverwaltung – mit konkreten zusätzlichen Argumenten widerlegt werden kann. dd) Die Berücksichtigung „üblicher Kursschwankungen“ Im handels- und steuerrechtlichen Schrifttum findet sich häufig die Aussage, dass „übliche Kursschwankungen“ nicht zu „voraussichtlich dauernden“, sondern nur zu „vorübergehenden“ Wertminderungen führen und daher sowohl im Handelsrecht als auch im Steuerrecht nicht zur zwingenden Abschreibung führen63. Dies ruft die Frage hervor, wie man „übliche“ Kursveränderungen von solchen Abweichungen unterscheiden kann, in denen sich längerfristig preisbeeinflussende Faktoren niederschlagen. Derartige „übliche“ Kursschwankungen können im Rohstoffbereich auftauchen, wenn z. B. einzelne Produkte saisonal (Heizöl) oder nach Konjunkturzyklen (Stahl) nachgefragt werden. Bei Aktien und vergleichbaren Wertpapieren sind jedoch solche „Regelschwankungen“ nur schwer festzustellen. Man weiß nicht von vornherein, ob eine leichte Absenkung des Kurses schon bald wieder eingeholt wird oder den Beginn einer langfristigen Abwärtsbewegung kennzeichnet64. Eine sinnvolle Abgrenzung zwischen „Zufallskursen“ und „zutreffenden Kursen“ ist bei Annahme (teilweise) informationseffizienter Märkte nicht möglich65.

__________ 61 IDW a. a. O. (Fn. 31), VFA 2, Rz. 19. 62 IDW Aktuell – VFA zur Bewertung von Kapitalanlagen bei Versicherungsunternehmen. 63 Berger/Ring a. a. O. (Fn. 28), § 253 HGB Rz. 295; Karrenbauer/Döring/Buchholz a. a. O. (Fn. 28), § 253 HGB Rz. 166; Wiedmann a. a. O. (Fn. 36), § 253 HGB Rz. 86; Mayer-Wegelin a. a. O. (Fn. 38), § 6 EStG Rz. 144c; Teilwerterlass a. a. O. (Fn. 1), Rz. 11; Wendt a. a. O. (Fn. 33), § 6 EStG Anm. R 44; Kessler a. a. O. (Fn. 31), S. 2585; Dietrich a. a. O. (Fn. 38), S. 1632. 64 Fey/Mujkanovic a. a. O. (Fn. 49), S. 214. 65 Ballwieser a. a. O. (Fn. 27), § 253 HGB Rz. 59.

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Daher sprechen gute Gründe dafür, den Ausschluss von „üblichen Kursschwankungen“ von dem Ansatz des niedrigeren Teilwerts auf solche Vermögensgegenstände zu beschränken, bei denen sich statistisch derartige Regelschwankungen und Regelerholungen nachweisen lassen. Dies muss jedoch nicht daran hindern, dass Kursschwankungen nach einer „de minimis“-Regel als zu geringfügig und daher unbeachtlich erscheinen können, wenn sie eine bestimmte Größenordnung nicht überschreiten. Zutreffend hat daher das IDW darauf hingewiesen, dass eine nur geringe Differenz zwischen dem Ausgangswert und dem aktuellen Stichtagswert gegen eine dauernde Wertminderung angeführt werden kann66. ee) Die Berücksichtigung der bisherigen Dauer der Wertminderung Schließlich wird überlegt, ob die bis zum Bilanzstichtag bereits eingetretene „Dauer“ der Wertminderung herangezogen werden kann, um deren künftige „Dauerhaftigkeit“ festzustellen67. So wird in Anlehnung die US-Aufsichtspraxis vom IDW verlangt, dass der Wert innerhalb von 6 Monaten um mehr als 20 % unter dem Buchwert lag oder innerhalb von 12 Monaten um mehr als 10 % dahinter zurückblieb68. Es ist indessen oben bereits ausgeführt worden, dass der aktuelle Börsenwert im Zweifel den früheren Bewertungen überlegen ist und daher eher als voraus gegangenen Werte geeignet ist, Aussagen über die künftige Marktentwicklung zu treffen. Daher sollte man die Vermutungswirkung des aktuellen Börsenkurses nicht von einem dauerhaften Vorliegen dieses Kurses in der Vergangenheit abhängig machen. ff) Wertaufhellung Schließlich muss gefragt werden, ob und in welchem Umfang Werterholungen der Aktien, die zwischen dem Abschlussstichtag und der Aufstellung des Jahresabschlusses eintreten, zu Lasten des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen sind. Ausgangspunkt ist hierfür § 252 Abs. 1 HGB, der einerseits die Bewertung „zum Abschlussstichtag“ vorschreibt (Nr. 3), andererseits verlangt, „alle vorhersehbaren Risiken und Verluste, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, zu berücksichtigen, selbst wenn diese erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses bekannt geworden sind“ (Nr. 4). Dies bedeutet, dass in einem ersten Schritt die Verhältnisse am Bilanzstichtag zugrunde zu legen sind69. Der an diesem Tag gegebene Börsenkurs spiegelt die Erwartungen der Marktteilnehmer und damit auch den „voraus-

__________ 66 67 68 69

IDW a. a. O. (Fn. 31), VFA 2, Rz. 19; s. auch Küting a. a. O. (Fn. 38), S. 1126. In diese Richtung IDW a. a. O. (Fn. 31), VFA 2, Rz. 19. IDW-Aktuell a. a. O. (Fn. 62), S. 1 f. BFH v. 19. 10. 1972 I R 244/70 BStBl II 1973, 54 ff.; Groh a. a. O. (Fn. 35), S. 981.

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sichtlich dauernden“ Charakter einer Wertminderung wieder70. § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB erlaubt für „Risiken und Verluste“ eine Berücksichtigung späterer „wertaufhellender“ Tatsachen. Dabei können auch werterhöhende Umstände und Chancen verwertet werden71. Vor diesem Hintergrund findet sich häufig die Annahme, dass Wertsteigerungen von Aktien zwischen dem Bilanzstichtag und dem Abschluss der Aufstellungsarbeiten als „Indiz“ für den vorübergehenden Charakter einer Wertminderung herangezogen werden können72. Hier ist indessen eine Differenzierung geboten. Zunächst ist festzustellen, dass eine Werterholung vor Abschluss der Aufstellung des Jahresabschlusses zwar die „Dauerhaftigkeit“ der Wertminderung beseitigt, aber noch keine abschließende Auskunft darüber gibt, ob diese Werterholung „voraussehbar“ war73. Wenn diese Werterholung am Bilanzstichtag nicht als „voraussichtlich“ berücksichtigt werden konnte, kommt es lediglich zu einer späteren Zuschreibung ex nunc nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 4, Nr. 2 S. 3 EStG. Lediglich dann, wenn die später bekannt gewordenen Informationen verdeutlichen, dass bereits am Bilanzstichtag mit einer Werterholung zu rechnen war, weil die Börsenkurse relevante Informationen noch nicht verarbeitet hatten, ist „wertaufhellend“ die frühere Prognose zu korrigieren74. Dies bedeutet: Wenn der Börsenkurs nach dem Stichtag ansteigt, weil ein vermutetes Produkthaftungsrisiko sich als nicht existent herausgestellt hat, fehlt es aus der „aufgeklärten“ Sicht bei Aufstellung der Bilanz bereits am Stichtag an einer „dauernden“ Wertminderung. Wenn hingegen der Börsenkurs nach dem Stichtag ansteigt, weil das Unternehmen unerwartete Großaufträge erhalten hat, lässt dies keine veränderte Beurteilung der „voraussichtlichen“ Dauerhaftigkeit der Wertminderung am Bilanzstichtag zu. Vielmehr ändert sich an der damaligen Prognose nichts; es muss lediglich geprüft werden, ob und in welchem Umfang die neuen Ereignisse im Folgejahr eine „Wertaufholung“ rechtfertigen. Dabei lässt sich mit Rücksicht auf die Informationsverarbeitung durch den Kapitalmarkt noch nicht einmal sagen, dass mit der späteren Werterholung der „Anscheinsbeweis“ für den vorübergehenden Charakter der Wertminderung erbracht werden kann75. Vielmehr muss als Regelfall davon ausgegangen werden, dass nachträgliche Erholungen des Börsenkurses auf nachträgliche Ereignisse zurückgeführt werden

__________ 70 Ehmcke a. a. O. (Fn. 15), § 6 EStG Rz. 550, 564. 71 Kleindiek a. a. O. (Fn. 28), § 252 HGB Rz. 16; für den Tatbestand der „dauernden Wertminderung“ s. BFH v. 27. 11. 1974 I R 123/73 BStBl II 1975, 294 f. 72 Thiele/Breithaupt a. a. O. (Fn. 28), § 253 HGB Rz. 315; Fey/Mujkanovic a. a. O. (Fn. 49, S. 214; Winden/Herzogenrath a. a. O. (Fn. 1), S. 881. 73 Dies verkennt Kusterer a. a. O. (Fn. 1), S. 1084 f. 74 Hommel/Berndt a. a. O. (Fn. 51)1307 f.; Wendt a. a. O. (Fn. 33), § 6 EStG Anm. R 41; Korn/Strahl a. a. O. (Fn. 59), S. 13689 f.; dies. in Korn a. a. O. (Fn. 59), § 6 EStG Rz. 208; Mayer-Wegelin a. a. O. (Fn. 38), § 6 EStG Rz. 144d. 75 So wohl Kessler a. a. O. (Fn. 31), 2580 f.

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müssen und nur im Ausnahmefall früher vorhandene Informationen erst nach dem Stichtag bekannt werden und den Börsenkurs beeinflussen. 4. Ergebnis a) Der Börsenkurs von Wertpapieren entspricht in der Regel ihrem steuerlichen Teilwert. Dies ist einerseits in der Objektivität der Marktpreisbildung begründet und entspricht andererseits der Bedeutung der Wiederbeschaffungskosten und des Einzelveräußerungspreises für den Teilwertbegriff. b) Eine dauerhafte Wertminderung ist bei Wertpapieren im Anlagevermögen anzunehmen, wenn eine Werterholung innerhalb eines überschaubaren Zeitraums (ca. 3 Jahre) nicht eintritt. Bei Wertpapieren im Umlaufvermögen, die auf kurzfristige Veräußerung angelegt sind, kann eine solche Werterholung im Regelfall ganz ausgeschlossen werden. c) Das Verbot der Teilwertabschreibung bei nicht „voraussichtlich dauernden“ Wertminerungen ist von den Fällen nachträglicher Wertaufholung abzugrenzen. Die Unterscheidung ist danach zu treffen, ob nach den am Bilanzstichtag verfügbaren Informationen mit einer Rückkehr zum früheren Wert zu rechnen ist. d) Bei einer Minderung des Börsenkurses von Wertpapieren ist von einer voraussichtlich dauernden Wertminderung auszugehen. Dies entspricht der Funktion des Kapitalmarkts, die verfügbaren Informationen über die künftige Entwicklung des Vermögensgegenstandes zu verarbeiten. Dafür ist nicht erforderlich, dass mit weiteren Bewegungen des Börsenkurses nicht zu rechnen ist. Es reicht aus, dass der zum Bilanzstichtag erreichte Wert eine höhere Wahrscheinlichkeit besitzt als der Buchwert. Dabei ist festzuhalten, dass der Buchwert (Anschaffungswert) der Wertpapiere in aller Regel keinen überlegenen „inneren Wert“ verkörpert, sondern einen früheren Börsenwert, der einen veralteten Informationsstand widerspiegelt. e) Für die Relevanz des aktuellen Börsenkurses spricht eine Vermutung. Diese kann widerlegt werden, etwa durch Hinweise auf Marktmanipulationen, fehlende Marktliquidität oder durch weitergehende Informationen (Analysen, Gutachten) über den Beteiligungswert. Im Grundsatz hat der Steuerpflichtige jedoch mit dem Hinweis auf den aktuell geringen Börsenwert seiner Nachweispflicht Genüge getan. f) Ein Grundsatz der Nichtberücksichtigung „üblicher Kursschwankungen“ lässt sich jedenfalls bei Aktien und vergleichbaren Finanztiteln nicht durchführen. Auch kommt es nicht auf die Dauer der dem Bilanzstichtag vorausgehenden Wertminderungen an. Lediglich bei geringfügigen Schwankungen kann „de minimis“ auf eine Wertkorrektur verzichtet werden.

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g) Der Grundsatz der Wertaufhellung ermöglicht es, zwischen Bilanzstichtag und Bilanzaufstellung erkennbare Informationen über die Vermögenslage zum Bilanzstichtag zu verwerten. Nachträgliche Entwicklungen (wertbeeinflussende) Tatsachen stellen die „voraussichtliche Wertminderung“ hingegen nicht in Frage. Auch begründet eine spätere Wertsteigerung nicht einen Beweis des ersten Anscheins für einen von vornherein „vorübergehenden“ Charakter der vorherigen Wertminderung.

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Überlegungen zum steuerrechtlichen Eigenkapitalersatz Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Gesellschaftsrechtliche Grundlagen III. Steuerrechtliche Grundlagen IV. Kapitalersatz auf Gesellschaftsebene 1. Laufende Besteuerung

2. Verzicht 3. Rangrücktritt V. Kapitalersatz auf Anteilseignerebene 1. Privatvermögen 2. Betriebsvermögen

I. Einleitung Nachfolgend soll es um die steuerrechtlichen Konsequenzen eines im Grunde einfachen Sachverhalts gehen: Der Gesellschafter A der B-GmbH reicht der GmbH ein Darlehen aus. Sowohl gesellschaftsrechtlich als auch steuerrechtlich war eine derartige Konstellation früher grundsätzlich einfach zu lösen. Der Gesellschafter hatte seiner GmbH neben dem (festen) Eigenkapital Fremdkapital in Form des Darlehens gewährt. Dieses Darlehen konnte – wie ein Darlehen unter fremden Dritten – gekündigt und abgezogen werden, und es konnte im Konkurs/in der Insolvenz vom Gesellschafter als Fremdgläubiger geltend gemacht werden. Dies wurde auch steuerrechtlich so gesehen. Auf der Ebene der GmbH liegt Fremdkapital vor, und die gezahlten Zinsen sind als Betriebsausgaben abzugsfähig. Was die Anteilseignerebene angeht, so führen die Zinsen zu Einkünften aus Kapitalvermögen bei einem privat beteiligten Gesellschafter, bei einem Anteilseigner mit Betriebsvermögen zu gewerblichen Einkünften (vgl. § 20 Abs. 3 EStG). Das Darlehen als solches stellt für den Anteilseigner mit Betriebsvermögen ein weiteres Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens dar, beim Anteilseigner mit Privatvermögen ist die sog. Vermögensebene betroffen, so dass ein eventueller Ausfall des Darlehens zu einem nicht erheblichen Vermögensverlust führt. All dies ist durch die gesellschaftsrechtlichen und steuerrechtlichen Entwicklungen seit längerer Zeit problematisch geworden. Im Einzelnen: In Anknüpfung an eine insbesondere vom II. Zivilsenat des BGH entwickelte Rechtsprechung kennt das Gesellschaftsrecht (nunmehr) die Figur des kapitalersetzenden Darlehens, der kapitalersetzenden Gesellschafterleistung (§§ 32a, 32b GmbHG, 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 InsO). Obwohl das Darlehen eines GmbH-Gesellschafters formal Fremdkapital darstellt, wird es in gewissen Situationen, in der Krisenlage und in der Insolvenz, materiell umqualifiziert. Dass dies auch zu steuerrechtlichen Konfliktlagen führen kann, liegt auf der Hand. Für das Steuerrecht ist zu entscheiden, ob das Darlehen des Gesell327

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schafters, welches als Eigenkapitalersatz zu qualifizieren ist, a limine als Eigenkapital zu behandeln bzw. ob jedenfalls in der Krisen- und Insolvenzsituation die zivilrechtliche Wertung auch steuerrechtlich nachzuvollziehen ist, und zwar in der Art und Weise, dass auf Steuerrechtsfolgen rekurriert wird, die sich aus der Hingabe von Eigenkapital durch einen Gesellschafter ergeben. Die sich daraus ergebenden Fragen sind steuerrechtlich „eigentlich“ weitestgehend ausdiskutiert, doch ist es das Anliegen der nachfolgenden Ausführungen, noch einmal in grundsätzlicher Weise zu fragen, wie das Steuerrecht auf den zivilrechtlichen Eigenkapitalersatz bei der GmbH bzw. beim Anteilseigner einer GmbH reagieren soll.

II. Gesellschaftsrechtliche Grundlagen Angesichts des außerordentlich niedrigen Mindesthaftkapitals der GmbH (§ 5 Abs. 1 GmbHG) ist es in der Praxis seit jeher üblich, dass GmbH mit Gesellschafterdarlehen ausgestattet werden. Zunächst entspricht dies der Finanzierungsfreiheit eines Kapitalgesellschafters. Er kann die Gesellschaft, an welcher er beteiligt ist, mit Festkapital versehen, er kann Leistungen in die Kapitalrücklage geben, er kann aber auch Fremdkapital (als Darlehen) ausreichen. Dieser Grundsatz existiert weiterhin, insbesondere auch vor dem Hintergrund der §§ 32a, 32b GmbHG. Einem GmbH-Gesellschafter ist es nicht verboten, der Gesellschaft Darlehen statt Eigenkapital zu geben, noch ersetzt jedes Gesellschafterdarlehen haftendes Eigenkapital1. Den GmbH-Gesellschafter trifft also kein Gebot zur Zuführung weiteren Eigenkapitals oder Fremdkapitals. Diese grundsätzliche Finanzierungsfreiheit des Gesellschafters wird letztlich schon durch den Wortlaut des § 32a Abs. 1 GmbHG bestätigt, denn wenn der ersatzweise Kapitalschutz im Kern darauf beruht, dass funktionales Eigenkapital, welches der Gesellschafter in Form von Fremdkapital zur Verfügung stellt, in einer gewissen Situation in Eigenkapitalersatz umqualifiziert wird, dann bedeutet das zunächst, dass die Hingabe von Fremdkapital durch den Gesellschafter akzeptiert wird. Dies verdeutlicht auch schon die ältere Rechtsprechung des BGH, die dem Gesellschafter, der zugleich ein Darlehen gegeben hat, den Einwand widersprüchlichen Verhaltens vorgehalten hatte2, die aber materiell schon auf der Überlegung beruht, dass ein Gesellschafterdarlehen in der Krisen- und Insolvenzsituation als das zu behandeln ist, als was es eingesetzt worden ist, nämlich als materiell haftendes Kapital. Die heutige Dogmatik in der Rechtsprechung des BGH geht vom Grundsatz der Finanzierungsfreiheit aus, formuliert dann aber eine Finanzierungsfolgenverantwortung, mit welcher die Eigenkapitalersatzregeln den Gesellschafter

__________ 1 2

BGHZ 75, 324; Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatzrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2005, Rz. 2; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 9. Aufl. 2000, §§ 32a, 32b Rz. 2. BGHZ 31, 258; näher Goette, Die GmbH, 2. Aufl. 2002, § 4 Rz. 5 f.

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Überlegungen zum steuerrechtlichen Eigenkapitalersatz

allein an den Folgen einer von ihm tatsächlich vollzogenen Finanzierungsentscheidung festhalten wollen3. Im Ergebnis heißt das, dass der GmbHGesellschafter zwar in der Entscheidung frei ist, ob er Eigenkapital oder Fremdkapital zuführt, dass der Gesellschafter aber das von ihm übernommene Finanzierungsrisiko nicht durch die gewählte Rechtsform, die Finanzierungstechnik, auf die Gläubiger der Gesellschaft verlagern kann. Geht es somit um den Gläubigerschutz, letztlich also doch um die Mitverantwortung des Gesellschafters für eine ordnungsgemäße Unternehmensfinanzierung4, dann muss er sich eine von seiner vertraglichen Beziehung mit der Gesellschaft abweichende Behandlung der (Gesellschafter-)Leistung gefallen lassen, weil er sich in der Krise der Gesellschaft in bestimmter Weise verhalten hat. Dass es sich beim gesellschaftsrechtlichen Eigenkapitalersatz um spezifisch insolvenzrechtliche und gesellschaftsrechtliche Schutzmechanismen handelt, zeigt insbesondere das sog. zweistufige Schutzsystem, welches auf der Grundüberlegung des BGH5 beruht, das die Regelungen der §§ 32a, 32b GmbH-Gesetz in der Fassung der GmbH-Novelle 1980 hinter der Dogmatik der Rechtsprechung zurückgeblieben sind, so dass es aus Gläubigerschutzgesichtspunkten gerechtfertigt erscheine, Sachverhalte, die sich nicht dem Normstatut subsumieren lassen, nach den (früheren) Rechtsprechungsregeln zu behandeln. Da aber diese Rechtsprechungsregeln auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG beruhen, wird (nochmals) der innere Sinn des zivilrechtlichen Eigenkapitalersatzes deutlich: Es findet eine Umqualifizierung formalen Fremdkapitals in materielles Eigenkapital statt, um Gläubiger zu schützen. Anders formuliert: Dem Gesellschafter steht es frei, auch Fremdkapital hinzugeben, doch trägt er dann die Folgeverantwortung, dass in Krise und Insolvenz das Fremd- wie Eigenkapital behandelt wird.

III. Steuerrechtliche Grundlagen Nach dem reinen Wortlaut der Steuergesetze würden sich aus einem Gesellschafterdarlehen folgende Konsequenzen ergeben: Auf der Ebene der GmbH ist das Darlehen Fremdkapital, so dass die an den Darlehensgeber/Gesellschafter gezahlten Zinsen als Betriebsausgaben (§§ 8 Abs. 1 KStG, 4 Abs. 4 EStG) zu qualifizieren sind. Der mögliche, zivilrechtliche und funktionale Eigenkapitalcharakter würde sich also nicht so auswirken, dass die Zinszahlungen in verdeckte Gewinnausschüttungen nach § 8 Abs. 3 S. 2 KStG umqualifiziert werden.

__________ 3 4 5

BGHZ 127, 17; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, §§ 32a/b Rz. 4; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, §§ 32a, 32b Rz. 4; vgl. auch Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 32a Rz. 18. Lutter/Hommelhoff, GmbHG, §§ 32a/b Rz. 3; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, §§ 32a, 32b Rz. 5. BGHZ 90, 370.

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Für einen Anteilseigner mit Privatvermögen sind die gezahlten Zinsen Einkünfte aus Kapitalvermögen. Das Darlehen als solches ist von der Beteiligung, von dem GmbH-Geschäftsanteil zu trennen, so dass es selbst dann, wenn die privat gehaltene Beteiligung an der GmbH nach §§ 17, 23 EStG, 21 UmwStG steuerverstrickt ist, nicht in die Gewinn- oder Verlustberechnung einzubeziehen ist. Liegt die GmbH-Beteiligung in einem einkommensteuerrechtlichen Betriebsvermögen, dann rechnet zwar auch das Gesellschafterdarlehen zum Betriebsvermögen, doch handelt es sich dabei um ein isoliert zu betrachtendes Wirtschaftsgut, welches nicht in den Anwendungsbereich des Halbeinkünfteverfahrens des § 3 Nr. 40 S. 1 EStG bzw. des Halbabzugsverfahrens nach § 3c Abs. 2 EStG fällt. Entsprechendes würde für die Konstellation gelten, in der die GmbH-Beteiligung von einer Kapitalgesellschaft gehalten wird. Für die Beteiligung als solche befindet man sich im Regelungsbereich des § 8b KStG, demgegenüber das Darlehen als „normales“ Betriebsvermögen anzusehen ist, so dass bei einer Wertminderung bzw. bei einem Ausfall des Gesellschafterdarlehens § 8b Abs. 3 S. 3 KStG nicht zum Zuge kommt. Die vorstehende Betrachtungsweise setzt allerdings voraus, dass es tatsächlich zu einer strikten Trennung von Beteiligung einerseits und Gesellschafterdarlehen andererseits kommt, es also nicht so liegt, dass die eventuelle materielle Eigenkapitalfunktion eines Gesellschafterdarlehens in die steuerrechtliche Betrachtungsweise in der Art und Weise durchschlägt, dass die Beteiligung und das Gesellschafterdarlehen gleichsam „zusammengefasst“ werden, so dass sich dann alle diejenigen Konsequenzen ergeben würden, die eintreten, wenn es sich um die Hingabe von Eigenkapital handelt. Dies ist das Grundproblem, welches das Steuerrecht zu lösen hat.

IV. Kapitalersatz auf Gesellschaftsebene 1. Laufende Besteuerung Da das Steuerrecht keine Sonderregeln für Gesellschafterdarlehen kennt, kommt es für die Besteuerungssituation auf der Ebene der GmbH grundsätzlich auf die handelsbilanzrechtliche Situation an (§§ 8 Abs. 1 KStG, 5 Abs. 1 S. 1 EStG). Dies ist auch die Auffassung des BFH, der darauf abstellt, dass das Steuerrecht keine Regelungen darüber enthält, ob die Nutzungsüberlassung eines einlagefähigen Wirtschaftsguts Eigenkapital oder Fremdkapital bei der die Nutzung empfangenden Gesellschaft auslöst6. Ausgehend von der maßgeblichen handelsbilanzrechtlichen Lage liegt es nach ganz herrschender Auffassung so, dass Gesellschafterdarlehen, die in den Anwendungsbereich der §§ 32a, 32b GmbHG fallen oder entsprechend §§ 30, 31 GmbHG behandelt werden, als Fremdkapital bei der Gesellschaft zu bilanzieren sind. Das

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BFH v. 30. 5. 1990, BStBl. II 1990, 875; BFH v. 5. 2. 1992, BStBl. II 1992, 532.

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Überlegungen zum steuerrechtlichen Eigenkapitalersatz

(potentiell) kapitalersetzende Gesellschafterdarlehen ist also weder in der Handelsbilanz noch in der Steuerbilanz Eigenkapital und auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 42 Abs. 1 AO wie Eigenkapital zu behandeln7. Daher sind die an den Gesellschafter gezahlten Darlehenszinsen prinzipiell8 Betriebsausgaben und keine verdeckten Gewinnausschüttungen nach § 8 Abs. 3 S. 2 KStG. All dies entspricht auch der zivilrechtlichen Sichtweise, wie sie sich insbesondere aus der Auffassung des BGH ergibt, dass Forderungen eines Gesellschafters aus der Gewährung eigenkapitalersetzender Leistungen selbst in der Überschuldungsbilanz der GmbH als Fremdkapital zu passivieren sind, soweit für sie keine Rangrücktrittserklärung abgegeben worden ist9. Letztlich liegt dieser Betrachtung die dogmatisch zutreffende Auffassung zugrunde, dass das Recht des zivilrechtlichen Eigenkapitals auf eine bestimmte, nämlich die Krisen- und Insolvenzlage abgestellt ist, so dass das Steuerrecht – jedenfalls für die laufende Besteuerung – aus dieser (zukünftigen) zivilrechtlichen Konfliktlage keine Konsequenzen ziehen darf. Wenn die zivilrechtliche Folge des Eigenkapitalersatzes darin liegt, in der Krise der Gesellschaft die Forderung der Gesellschafter im Rang den Forderungen anderer Gläubiger nachzuordnen, dann hat diese spezifisch zivilrechtliche Interessenlage mit der Ermittlung des steuerrechtlichen Ergebnisses der GmbH nichts zu tun. 2. Verzicht Wird auf ein Gesellschafterdarlehen verzichtet, dann bereitet der Erlass keine Schwierigkeiten, wenn das Darlehen im Zeitpunkt des Erlöschens voll werthaltig gewesen ist. Handelsbilanzrechtlich geht es dann um § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB (Kapitalrücklage), steuerrechtlich handelt es sich um eine nicht steuerbare verdeckte Einlage, wenn der Forderungserlass gesellschaftsrechtlich veranlasst war. Liegt es demgegenüber so, dass (in einer Krisensituation) das Darlehen nicht mehr voll werthaltig ist, dann ist heute die Sichtweise der Entscheidung des Großen Senats des BFH v. 9. 6. 199710 maßgebend. Danach führt ein auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhender Verzicht eines Gesellschafters auf die nicht mehr vollwertige Forderung gegenüber der Gesellschaft bei der Gesellschaft zu einer Einlage in Höhe des Teilwerts der Forderung. Der Unter-

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7 BFH v. 5. 2. 1992, BStBl. II 1992, 532; Buciek, Stbg. 2000, 109, 110; Gosch, KStG, 2005, § 8 Rz. 925; Wassermeyer in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz. C 78; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 5 Rz. 550 „Gesellschafterfinanzierung“. 8 Zu Ausnahmen Gosch, a.a.O. (Fn. 7); Wassermeyer, a.a.O. (Fn. 7). 9 BGHZ 146, 264 = ZIP 2001, 235 m. Anm. Altmeppen; Goette, Die GmbH, § 4 Rz. 34 ff. 10 BStBl. II 1998, 307; zu anderen Meinungen vgl. die Nachweise bei Crezelius in Handbuch des Kapitalersatzrechts (Hrsg. v. Gerkan/Hommelhoff), 2. Aufl. 2002, Rz. 13.27; Gosch/Roser, KStG, § 8 Rz. 118 ff.

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schiedsbetrag zwischen Teilwert und Nominalbetrag der Verbindlichkeit, des Darlehens, ist grundsätzlich steuerbarer Gewinn. Im Ergebnis geht also allein der werthaltige Teil der Forderung in das Einlagekonto des § 27 KStG ein, der Unterschiedsbetrag zum Nominalbetrag ist steuerbares Einkommen, welches nach Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG auch nicht als steuerfreier Sanierungsgewinn begünstigt werden kann11. Im Ergebnis ist die sich aus der Auffassung des Großen Senats des BFH ergebende Dogmatik eine konsequente Fortsetzung des Grundsatzes, dass der zivilrechtliche Eigenkapitalersatz für die laufende Besteuerung zunächst irrelevant ist. Erst dann, wenn der Anteilseigner (dinglich) in den Bestand der Verbindlichkeit eingreift, wird das formale Fremdkapital in Eigenkapital umqualifiziert, allerdings entsprechend dem Grundsatz, dass nur werthaltige Forderungen einlagefähig sind12, nur in Höhe des Betrages, der noch werthaltig ist. Dieses Ergebnis entspricht sowohl der gesellschaftsrechtlichen als auch der steuerrechtlichen Interessenlage. Vor der Verzichtsvereinbarung ist das Darlehen bei der GmbH Fremdkapital. Kommt es zum Verzicht, dann wird der potentielle Eigenkapitalcharakter des Gesellschafterdarlehens in der Weise berücksichtigt, dass bei der Prüfung, in welcher Höhe das Darlehen werthaltig ist, die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft maßgebend ist. Die daraus resultierende Eigenkapitalverstärkung (Rücklage) wird aus Gläubigerschutzgesichtspunkten nur in Höhe der Werthaltigkeit der ehemaligen Verbindlichkeit angenommen. 3. Rangrücktritt Für die steuerrechtliche Behandlung eines Rangrücktritts ist die zivilrechtliche bzw. die handelsbilanzrechtliche Sichtweise maßgebend13. Aufgrund dessen ist eine Rangrücktrittsvereinbarung, die nur schuldrechtlich in die Darlehensabrede „eingreift“ und bei der es im Wesentlichen darum geht, den Ausweis einer Überschuldung im Überschuldungsstatus zu vermeiden, weiterhin als Verbindlichkeit zu passivieren, also nicht gewinnerhöhend aufzulösen. Zwar ist schon relativ früh vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BGH14 vertreten worden, dass der vom BGH für die Nichtberücksichtigung im Überschuldungsstatus erforderliche „qualifizierte Rangrücktritt“ (vgl. § 199 InsO) steuerrechtliche Konsequenzen habe15, doch ist der BFH dabei geblieben, dass eigenkapitalersetzende Darlehen steuerrechtlich

__________ 11 Vgl. aber zu Billigkeitsmaßnahmen BMF v. 27. 3. 2003, BStBl. I 2003, 240. 12 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 56 Rz. 5. 13 Vgl. BGHZ 146, 264; BFH v. 5. 2. 1992, BStBl. II 1992, 532; v. 30. 3. 1993, BStBl. II 1993, 502; v. 16. 5. 2001, BStBl. II 2002, 436; Lang in Ernst & Young, KStG, § 8 Rz. 548.7; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, § 5 Rz. 550 „Gesellschafterfinanzierung“. 14 BGHZ 146, 264. 15 Vogt, DStR 2001, 1881.

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Überlegungen zum steuerrechtlichen Eigenkapitalersatz

Fremdkapital sind16. Zu berücksichtigen ist, dass die zitierte Entscheidung des BFH zeitlich nach derjenigen des BGH liegt, so dass davon auszugehen ist, dass der BFH in Kenntnis der Rechtsprechung des BGH zum qualifizierten Rangrücktritt bei seiner Auffassung geblieben ist, dass Gesellschafterdarlehen steuerrechtlich Fremdkapital darstellen, auch wenn sie mit einer Rangrücktrittserklärung versehen sind. Entscheidend ist, dass die Rangrücktrittsvereinbarung den Bestand der Forderung rechtlich unangetastet lässt, so dass sowohl für den handelsrechtlichen Jahresabschluss als auch für die steuerrechtliche Gewinnermittlung eine Passivierungspflicht als Fremdkapital besteht17. Neuerdings gibt es Bestrebungen der Finanzverwaltung, die Folgen eines Rangrücktritts anders zu sehen, als dies von der BFH-Rechtsprechung vertreten wird. Das BMF-Schreiben v. 18. 8. 200418 knüpft zwar an die Rechtsprechung des BFH an und akzeptiert die Bilanzierung des Gesellschafterdarlehens als Fremdkapital trotz Rangrücktrittsvereinbarung. Wenn aber bei einer solchen Vereinbarung eine Bezugnahme auf die Möglichkeit einer Tilgung auch aus sonstigem freien Vermögen fehle, soll eine aus künftigen Gewinnen zu erfüllende Verbindlichkeit vorliegen, die nach § 5 Abs. 2a EStG auszubuchen sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass § 5 Abs. 2a EStG nach seinem Sinn und Zweck und seiner Entstehungsgeschichte nur Verbindlichkeiten erfasst, die von Beginn an aus künftigen Einnahmen oder Gewinnen zu erfüllen sind19. Im Übrigen bleibt offen, welche Konsequenzen sich aus der Auffassung der Finanzverwaltung ergeben sollen. Es könnte zu den gleichen Rechtsfolgen kommen, wie bei einem Forderungsverzicht gegen Besserungsschein, also (zunächst) zu einer Gewinnrealisierung in Höhe des nicht werthaltigen Teils des Darlehens20. Es ist sowohl zivilrechtlich als auch steuersystematisch unzutreffend, bei einem qualifizierten Rangrücktritt von einer (teilweisen) Umwandlung in Eigenkapital auszugehen. Ein Verzicht bzw. ein Verzicht mit Besserungsabrede einerseits und der lediglich schuldrechtlich wirkende Rangrücktritt andererseits sind dogmatisch und wirtschaftlich nicht vergleichbar und können daher steuerbilanzrechtlich nicht identisch behandelt werden. Das nur mit einem Rangrücktritt versehene Darlehen bleibt existent und letztlich in seiner wirtschaftlichen Verursachung unverändert bestehen. Dem muss das Steuerbilanzrecht Rechnung tragen.

__________ 16 17 18 19

BFH v. 16. 5. 2001, BStBl. II 2002, 436. Näher m. w. N. Hölzle, GmbHR 2005, 852 (854). BMF v. 18. 8. 2004, BStBl. I 2004, 850. Vgl. Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 5 Rz. 315; Watermeyer, GmbHStB 2004, 369; neuerdings auch BFH v. 10. 11. 2005, BFH/NV 2006, 409. 20 Zum Erlass mit Besserungsabrede Crezelius in Handbuch des Kapitalersatzrechts (Hrsg. v. Gerkan/Hommelhoff), Rz. 13.34 ff.; Weber-Grellet in Schmidt, § 5 Rz. 550 „Gesellschafterfinanzierung“.

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V. Kapitalersatz auf Anteilseignerebene 1. Privatvermögen Handelt es sich um ein Steuersubjekt, welches die kapitalgesellschaftsrechtliche Beteiligung (an der GmbH) in seinem Privatvermögen hält, dann kommt es zu einer Steuerverstrickung, mithin zu einer Erheblichkeit von Veräußerungsgewinnen und Veräußerungsverlusten, nur dann, wenn die Voraussetzungen der §§ 17, 23 EStG, 21 UmwStG vorliegen. Wenn der Kapitalgesellschafter zusätzlich zu seinem Festkapital einen Betrag in die Kapitalrücklage geleistet hat, dann handelt es sich zweifelsfrei um nachträgliche Anschaffungskosten. Entscheidet sich der Anteilseigner für die Ausreichung eines Darlehens, welches aus der Sicht der Gesellschaft Fremdkapital sein soll, dann geht es nicht mehr um die gesellschaftsrechtliche Ebene, sondern – jedenfalls zunächst – um eine allgemein-schuldrechtliche Beziehung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter. Damit ist die Gewährung eines Gesellschafterdarlehens grundsätzlich der sog. privaten Vermögenssphäre des Darlehensgebers zuzuordnen, so dass die Darlehensvaluta weder bei der Berechnung eines Veräußerungsgewinns noch eines Veräußerungsverlusts beachtlich ist21. Zwar mag man darüber streiten, ob das Argumentationsmuster der „privaten Vermögensebene“ in jeder Hinsicht überzeugend ist, doch ist zu berücksichtigen, dass nach der gegenwärtigen Rechtslage private Veräußerungsgewinne und -verluste nur erheblich sind, wenn die Voraussetzungen der §§ 17, 23 EStG, 21 UmwStG gegeben sind. Dabei wird immer vorausgesetzt, dass es im konkreten Sachverhalt zu Anschaffungskosten kommt, die nach der Steuersystematik aber zu verneinen sind, weil das Gesellschafterdarlehen (Fremdkapital) mit den Erwerbskosten des GmbH-Geschäftsanteils nichts zu tun hat. Gleichwohl hat sich die Rechtsprechung des VIII. Senats des BFH, der sich dann die Finanzverwaltung und das Schrifttum weitgehend angeschlossen haben, für ein Sonderrecht im Bereich der Gesellschafterdarlehen ausgesprochen22. Aufgrund des sog. normspezifischen Anschaffungskostenbegriffs der Rechtsprechung des VIII. Senats des BFH gehören zu den Anschaffungskosten einer (privaten) kapitalgesellschaftsrechtlichen Beteiligung auch nachträgliche Aufwendungen, wenn sie durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und weder Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch Veräußerungskosten sind. In Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH bzw. an die Normierung in §§ 32a, 32b GmbHG wird diese gesellschaftsrechtliche Veranlassung bejaht und mit nachträglichen Anschaffungs-

__________

21 BFH v. 16. 4. 1991, BStBl. II 1992, 234; Schulte in Erle/Sauter, KStG, 2003, § 17 EStG Rz. 108; Gschwendtner, DStR 1999, Beihefter 32 S. 3. 22 Z. B. BFH v. 24. 4. 1997, BStBl. II 1999, 339; v. 4. 11. 1997, BStBl. II 1999, 344; v. 10. 11. 1998, BStBl. II 1999, 348; BMF, BStBl. I 1999, 545; Schulte in Erle/Sauter, KStG, § 17 EStG, Rz. 108 ff.; Gosch in Kirchhof, EStG, 5. Aufl. 2005, § 17 Rz. 220 ff.; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, § 17 Rz. 170 ff.

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Überlegungen zum steuerrechtlichen Eigenkapitalersatz

kosten kurzgeschlossen. Der VIII. Senat des BFH löst sich mit dem Anschaffungskostenbegriff des § 17 EStG von dem in § 255 Abs. 1 HGB formulierten und meint, dass das die Einkommensbesteuerung beherrschende Nettoprinzip im Anwendungsbereich dieser Norm zu berücksichtigen sei23. Bei der Besteuerung einer steuerverstrickten Beteiligung sei der durch sie veranlasste Aufwand gegenüberzustellen, zu dem auch die „Verluste“ aus eigenkapitalersetzenden Gesellschafterleistungen zählen müssten. Dabei hat der VIII. Senat des BFH in einer neueren Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sein extensives Verständnis des Anschaffungskostenbegriffs des § 17 EStG nur für diese Norm gelte, also nicht in dem Sinne verallgemeinert werden dürfe, dass er auch außerhalb des Anwendungsbereichs privater steuerverstrickter Beteiligungen Geltung beanspruche24. Wenn die Rechtsprechung des VIII. Senats des BFH an das zivilrechtliche Eigenkapitalersatzrecht anknüpft, um auf diese Art und Weise insbesondere nach § 17 Abs. 1 S. 1 EStG beteiligten Gesellschaftern „zu helfen“, so ist das aus der Sicht der Steuerpflichtigen sicherlich mehr als sympathisch. Trotzdem ist der Hinweis auf das steuerrechtliche Nettoprinzip dogmatisch gesehen wenig überzeugend. Jedenfalls de lege lata liegt es so, dass immer dann, wenn es sich um einen Vermögensgegenstand/ein Wirtschaftsgut handelt, welches nicht steuerverstrickt ist, Veräußerungsgewinne und -verluste unerheblich sind. Der Kunstgriff des VIII. Senats des BFH besteht darin, dass er das (eigenkapitalersetzende) Gesellschafterdarlehen des GmbH-Gesellschafters mit dem Argument der Maßgeblichkeit des Gesellschaftsrechts und vor dem Hintergrund des Nettoprinzips in den GmbH-Geschäftsanteil hineinrechnet, obwohl nicht bestritten werden kann, dass es sich um zwei unterschiedliche Vermögensgegenstände/Wirtschaftsgüter handelt. Im Schrifttum ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, dass sich die Ideen der Geltendmachung von Anschaffungskosten und des zivilrechtlichen Eigenkapitalersatzes nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen25. Der zivilrechtliche Eigenkapitalersatz dient dem Gläubigerschutz, indem er den formalen Fremdkapitalgeber in eine gesellschaftsrechtliche Verantwortung nimmt, demgegenüber das Anschaffungskostenprinzip bzw. das Nettoprinzip die Aufgabe haben, die Privatsphäre von der steuerrechtlich erheblichen Einkunftssphäre zu separieren. Das wird durch die steuersystematische Überlegung bestätigt, dass § 2 Abs. 2 EStG einen Dualismus der Einkunftsarten formuliert, und zwar mit der Folge, dass im Bereich der Überschusseinkünfte grundsätzlich ein quellentheoretisches Konzept besteht, welches nur ausnahmsweise mit §§ 17, 23 EStG durchbrochen wird, aber

__________ 23 BFH v. 10. 11. 1998, BStBl. II 1999, 348, 349; v. 18. 12. 2001, BStBl. II 2002, 733 (736). 24 BFH v. 18. 12. 2001, BStBl. II 2002, 733, 736. 25 Z. B. Gosch in Kirchhof, EStG, § 17 Rz. 220, 222; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, § 17 Rz. 173 m. w. N.

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dann auch nur, wenn es zu Anschaffungskosten kommt, wenn es sich also um Aufwendungen handelt, die für oder auf eine Beteiligung geleistet werden. Das ist bei der Hingabe eines Gesellschafterdarlehens (Fremdkapital) nicht der Fall. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass es sich bei Anschaffungskosten um zeitanteilig verteilte Betriebsausgaben oder Werbungskosten handelt, bei der Hingabe eines Gesellschafterdarlehens jedoch der Werbungskostenbegriff nicht gegeben ist. Eine ganz andere Frage ist es allerdings, ob unabhängig vom Werbungskostenbegriff und vom Anschaffungskostenbegriff jedenfalls bei Ausfall des Gesellschafterdarlehens Überlegungen dahingehend angestellt werden können, ob es sich nicht um einen Vermögensverlust handelt, der nicht privat veranlasst ist, so dass insoweit eine Geltendmachung möglich sein müsste26. Auch eine derartige Ansicht ist mit der Systematik des gegenwärtigen EStG schwer vereinbar, weil es kaum möglich erscheint, ein privat gegebenes Darlehen unter gewissen Voraussetzungen der Einkunftserzielungssphäre zuzuordnen, obwohl sich der Gesellschafter privatautonom für die Hingabe von Fremdkapital entschieden hat, welches nicht zu seiner Beteiligung gehört. Wer demgegenüber einwendet, das formale Fremdkapital (Gesellschafterdarlehen) werde in bestimmten zivilrechtlichen Konfliktlagen wie Eigenkapital behandelt, der übersieht, dass es dort um ganz andere Regelungsideen, nämlich um den Gläubigerschutz geht. Als Ergebnis sollte daher festgehalten werden, dass sowohl zivilrechtlich als auch steuerrechtlich eine Finanzierungsfreiheit des GmbH-Gesellschafters besteht, dass aber in den Fällen, in denen die Finanzierungsfreiheit im Hinblick auf Hingabe von Fremdkapital ausgeübt wird, der Anteilseigner auch die „negative Finanzierungsfolgenverantwortung“ tragen muss, dass das Kapital nicht zu den Anschaffungskosten rechnet, also nicht im Wege des steuerrechtlichen Verlustverrechnungssystems geltend gemacht werden kann. 2. Betriebsvermögen Geht es darum, ob ein betrieblich beteiligter Gesellschafter (Einzelunternehmer, Mitunternehmerschaft, Körperschaft) eine Gewinnminderung aus dem Ausfall bzw. aufgrund einer Wertminderung des Gesellschafterdarlehens geltend machen kann, dann ist zu entscheiden, ob es zur nur hälftigen Verlustberücksichtigung nach § 3c Abs. 2 S. 1 EStG bzw. zum Ausschluss der Gewinnminderung nach § 8b Abs. 3 S. 3 KStG kommt. In den Vorentwürfen des Erlasses der Finanzverwaltung zu § 8b KStG ist die Frage der Qualifizierung wertgeminderter eigenkapitalersetzender Darlehen im Zusammenhang mit der Beteiligung zwar diskutiert worden, doch ist in der Endfassung die einschlägige Passage nicht mehr erwähnt27. Letztlich ist die

__________ 26 Zur Frage sog. Beteiligungskosten Weber-Grellet in Schmidt, EStG, § 17 Rz. 132. 27 Vgl. BMF v. 28. 4. 2003, BStBl. I 2003, 292.

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Überlegungen zum steuerrechtlichen Eigenkapitalersatz

Frage für die Praxis derzeit ungeklärt, und sie wird insbesondere auch vor dem Hintergrund behandelt, dass bei einer notleidenden Kapitalgesellschaft nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung von §§ 3c Abs. 2 S. 1 EStG, 8b Abs. 3 S. 3 KStG erfasst werden, dass dies aber unter Umständen durch die Hingabe eines Darlehens ersetzt werden kann, um dann später eine Gewinnminderung bezüglich der Darlehensforderung in voller Höhe geltend machen zu können28. Den Befürwortern einer Einbeziehung eigenkapitalersetzender Darlehen in den Anwendungsbereich der §§ 3c Abs. 2 S. 1 EStG, 8b Abs. 3 S. 3 KStG29 wird entgegengehalten, dass im Bereich des Betriebsvermögens kein Anlass bestehe, eine mit der Rechtsprechung bei § 17 EStG vergleichbare extensive Auslegung vorzunehmen; dies widerspreche auch der Vermögensorientierung des § 8b Abs. 3 S. 3 KStG30. Dies könne auch nicht mit der Überlegung überspielt werden, dass eigenkapitalersetzende Darlehen zivilrechtlich funktionales Eigenkapital darstellten, welches eine entscheidende Wirkung auf die Substanz der Kapitalgesellschaft habe. Auszugehen ist bei der Lösung des Problems zunächst davon, dass – unabhängig davon, ob man dieser Rechtsprechung folgt – der normspezifische Anschaffungskostenbegriff des § 17 Abs. 2 EStG bei bilanzierenden Steuersubjekten keine Rolle spielt31. Darlehensforderungen eines Gesellschafters bleiben auch dann, wenn sie nach gesellschaftsrechtlicher Rechtslage als funktionales Eigenkapital einzustufen sind, Fremdkapital. Erst wenn der Gesellschafter auf das Darlehen verzichtet, ist zu klären, ob es zu einer Einlage nur in Höhe des Teilwerts kommt, so dass auch nur dieser Betrag in den Anwendungsbereich der §§ 3c Abs. 2 S. 1 EStG, 8b Abs. 3 S. 3 KStG fällt, oder ob es nicht vielmehr so liegt, dass der nominelle Betrag der Forderung, auf die verzichtet wird, zu nachträglichen Anschaffungskosten führt32. Das hängt damit zusammen, ob man den Gedanken, dass in der Bilanz eines an einer Kapitalgesellschaft betrieblich Beteiligten die Beteiligung einerseits und das Gesellschafterdarlehen andererseits zwei separate Wirtschaftsgüter darstellen33, konsequent weiterführt. Dies ist zu bejahen, da die Rechtsprechung des BFH zu § 17 EStG nicht auf Bilanzierungssachverhalte übertragen werden kann. Wenn man dies anders sehen möchte, weil das eigenkapitalersetzende Darlehen zivilrechtlich einem besonderen Regelungsregime unterliegt, dann wird übersehen, dass es sich im Anwendungsbereich der zivilrechtlichen Eigenkapitalersatzregeln um ein besonderes Schutzsystem zu-

__________ 28 Vgl. Gosch, KStG, § 8b Rz. 277; Dötsch/Eversberg/Jost/Pung/Witt, KStG, § 8b Rz. 49 m. w. N. 29 Zuletzt Buchna/Sombroswki, DB 2005, 1539. 30 Rödder/Stangl, DStR 2005, 354, 357. 31 BFH v. 18. 12. 2001, BStBl. II 2002, 733; v. 31. 5. 2005, BFH/NV 2005, 1697. 32 Vgl. Dötsch/Pung in Dötsch/Eversberg/Jost/Pung/Witt, KStG, § 8b nF Rz. 49; Roser in Gosch, KStG, § 8 Rz. 125. 33 BFH v. 16. 5. 2001, BStBl. II 2002, 436; Roser in Gosch, KStG, § 8 Rz. 123 ff., Gosch, § 8b Rz. 276.

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gunsten der Gläubiger der GmbH handelt, demgegenüber steuerrechtlich das (eigenkapitalersetzende) Gesellschafterdarlehen Fremdkapital bleibt, so dass für die Anwendung der §§ 3c Abs. 2 S. 1 EStG, 8b Abs. 3 S. 3 KStG kein Raum bleiben kann. Und weiterhin: Steuersystematisch gesehen sind §§ 3c Abs. 2 S. 1 EStG, 8b Abs. 3 S. 3 KStG schon für sich gesehen nicht stimmig. Die Normen sollen das Pendant zum Halbeinkünfteverfahren des § 3 Nr. 40 S. 1 EStG und zu § 8b Abs. 1, 2 KStG darstellen, übersehen aber, dass das Halbeinkünfteverfahren und § 8b Abs. 1, 2 KStG die Zielsetzung haben, Mehrfachbelastungen abzumildern. Damit hat der hälftige oder vollständige Ausschluss von Gewinnminderungen im betrieblichen Bereich nichts zu tun, so dass es schon von daher gerechtfertigt ist, den Anwendungsbereich der §§ 3c Abs. 2 S. 1 EStG, 8b Abs. 3 S. 3 KStG restriktiv zu halten.

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Überlegungen zum sog. Durchgriff im Zivil- und Steuerrecht Inhaltsübersicht I. Arndt Raupach und der „Durchgriff im Steuerrecht“ 1. Das Durchgriffsproblem als methodologische Herausforderung 2. „Durchgriff ist jede Aufgabe des Trennungsprinzips“ 3. Anwendungsfälle des Durchgriffs II. Aktueller Stand der zivilrechtlichen Lehre vom Durchgriff 1. Verlust des Haftungsprivilegs mittels teleologischer Reduktion des § 13 GmbHG? 2. Zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen 3. Der „Durchgriff“ – eine optische Täuschung? Zur Haftung von Gesellschaftern gegenüber ihrer eigenen GmbH III. Kapitalgesellschaft und Gesellschafter als selbständige Zurechnungssubjekte des Steuerschuldrechts 1. Vorüberlegung

2. Annäherung an das Problem: der Bericht der OECD „Harmful Tax Competition“ 3. Rechtssubjektivität und Zuordnung von Vermögen 4. Folgerungen für das Steuerrecht: Zuordnung des steuerlichen Erfolgstatbestands 5. „Zuordnung nach der wirtschaftlichen Substanz“ 6. Der Zurechnungsgrundsatz gilt gleichermaßen für natürliche und juristische Personen … 7. … wie für inländische und ausländische Körperschaften 8. Keine steuerschuldrechtliche Bedeutung des EuGH-Urteils in der Rechtssache Inspire Art 9. Weitere steuerschuldrechtliche Anknüpfungsmerkmale IV. Perspektiven eines modernen Steuerschuldrechts

I. Arndt Raupach und der „Durchgriff im Steuerrecht“ 1. Das Durchgriffsproblem als methodologische Herausforderung „Bei der Beschäftigung mit der Durchgriffslehre ergibt sich, dass häufig – wenn auch ungewollt und oft unbemerkt – etwas aus dem Begriff und Wesen des Durchgriffs bzw. der juristischen Person herausgelesen wird, was im Grunde zuvor stillschweigend per definitionem hineingelegt worden ist.“ Diesen programmatischen Hinweis auf eine unzulässige Inversionsmethode stellt Arndt Raupach an den Beginn seiner im Jahre 1968 veröffentlichten Dissertation1. Er sah sich, wie er im Vorwort vermerkt, herausgefordert durch die Bemerkung von J. Bärmann2, der Ausdruck „Durchgriff“ sei ein „Slogan“,

__________ 1 2

Arndt Raupach, Der Durchgriff im Steuerrecht, 1968. J. Bärmann, Rezension zu U. Drobnig, Haftungsdurchgriff bei Kapitalgesellschaften (1959), AcP 159 S. 365 (366).

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der zur Irreführung und zur fahrlässigen Benutzung durch eilfertige oberflächliche Juristen verführen müsse. Nicht zuletzt deswegen sah er es als lohnend an, sich mit der durch diesen Begriff gekennzeichneten steuerrechtlichen Sachfrage zu befassen. Recht bald erkennt Raupach, dass sich eine Beschränkung auf das Steuerrecht verbieten würde, weil die Kenntnis von der – noch keineswegs gefestigten – zivilrechtlichen Durchgriffslehre nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden konnte „und es außerdem nicht geraten schien, Ergebnisse aus anderen Rechtsgebieten ungeprüft zu übernehmen“. Es sei daher das Zivil- und Verfassungsrecht in die Betrachtung einzubeziehen. Die solcherart motivierte, methodisch eingestimmte und perspektivisch geweitete Unternehmung verarbeitet – dies ist heute für Dissertationen leider kein Mengenmaß – auf gut 200 Druckseiten die zivilrechtliche Lehre vom Durchgriff, die Rechtsprechung des BVerfG und des BFH zur Zulässigkeit des Durchgriffs im Steuerrecht, die Relativität der Rechtsfähigkeit, die steuerliche Rechtsfähigkeit, das Verhältnis von Steuerrecht und Zivilrecht unter besonderer Berücksichtigung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise, der Steuerumgehung und der Treuhand. Ein Exkurs in das Verfassungsrecht legt dar, dass Schranke für gesetzliche Durchgriffsfälle das Gleichheitsgebot des Art. 3 GG ist, wobei nicht die „Willkürtheorie“, sondern nur die Systemgerechtigkeit und die Sachgesetzlichkeit rechtlich verwertbare Maßstäbe sind3. Den Leser seiner Schrift fasziniert noch heute die tour d’horizon durch Grundfragen der Steuerrechtsordnung. Es stellt sich die Frage, ob sich der Horizont in den letzten 40 Jahren geweitet hat. Zeitlich vor Raupach hatte O. Wilser4 versucht, die Fälle einer „Missachtung der juristischen Person“ systematisierend zu erfassen. 2. „Durchgriff ist jede Aufgabe des Trennungsprinzips“ „Durchgriff“ – so Raupach5 – „ist jede Aufgabe des Trennungsprinzips“. Der Durchgriff könne „in der völligen ‚Missachtung’ der selbständigen Rechtsfähigkeit juristischer Personen bestehen“, der Ausnahme von der zivilrechtlichen Trennung zwischen der juristischen Person und ihren Mitgliedern, aber auch von der handelsrechtlichen Verselbständigung der Personengesellschaft. Von Durchgriff sei aber auch zu sprechen, wenn Rechtsfolgen für die juristische Person aus Tatbeständen im Kreis ihrer Mitglieder abgeleitet würden oder wenn der Gesellschafter im Hinblick auf seine Gesellschafterstellung anders behandelt werde als ein Dritter. Unter Bezugnahme auf Müller-Freienfels6 stellt Raupach fest, es gehe beim Durchgriffsproblem

__________ 3 4 5 6

Raupach, (Fn. 1) S. 92 ff. O. Wilser, Der Durchgriff bei Kapitalgesellschaften im Steuerrecht, 1960. Raupach, (Fn. 1) S. 20 ff., 29 ff., 45 f., 129, 192. Müller-Freienfels, Zur Lehre vom sogenannten „Durchgriff“ bei juristischen Personen im Privatrecht, AcP 156 (1957) S. 522 ff., 529 f. (zugleich Besprechung zu Serick, Rechtsform und Realität juristischer Personen).

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Überlegungen zum sog. Durchgriff im Zivil- und Steuerrecht

immer um die Frage, „ob und inwieweit eine bestimmte Norm in einem konkreten Fall auf diese oder jene juristische Person ihrem Sinn und Zweck nach im Zuge richtiger Gestaltung der sozialen Ordnung anwendbar ist“7. Gegenüber dem Zivilrecht enthalte das steuerrechtliche Durchgriffsproblem einen zusätzlichen Aspekt, der sich aus dem Verhältnis des Steuerrechts zum Zivilrecht ergebe. Die Übernahme des im Zivilrecht vor allem von Serick8 herausgearbeiteten „Wesens des Durchgriffs“ als Ausnahme vom Trennungsprinzip sieht Raupach nur dann als sinnvoll an, wenn auch das Steuerrecht eine rechtliche Trennung zwischen der juristischen Person und ihren Mitgliedern kennt9. Das Trennungsprinzip zeige je nach Steuerart ein sehr differenziertes Bild10: „Seine besondere Ausprägung erhält es … stets durch die Eigenart der jeweiligen Steuer.“ Mithin geht Raupach für die Frage nach der Zulässigkeit des Durchgriffs nicht vom „Wesen der juristischen Person“ aus, vielmehr stellt er auf die im Einzelfall anzuwendende Norm ab11. „Der Hinweis auf zivilrechtliche Durchgriffe ist daher nie geeignet, einen speziellen steuerlichen Durchgriff zu rechtfertigen, er kann nur Grundlage für die allgemeine Erkenntnis sein, dass es vielmehr wesentlich auf die im Einzelfall anzuwendenden Normen – hier also die Normen des Einzelsteuergesetzes – ankommt“12. Die Stringenz, mit der das Trennungsprinzip im System des einzelnen Steuergesetzes ausgebildet ist, kann aber als Richtschnur für die Prüfung dienen, wieweit im Einzelfall bei der betreffenden Steuer Durchgriffe zugelassen sind13. Und: „Ein Durchgriff im Körperschaftsteuerrecht verletzt die Sachgesetzlichkeit des KStG nicht allein, weil das Körperschaftsteuerrecht an das Zivilrecht anknüpft und weil im Zivilrecht das Trennungsprinzip gilt, sondern besonders deshalb, weil das Körperschaftsteuerrecht von der Vorstellung getragen wird, dass Kapitalgesellschaft und Gesellschafter stets getrennte Subjekte sind.“ „Die ‚Undurchdringlichkeit’ (der Körperschaft) ergibt sich … aus der Systematik des Körperschaftsteuerrechts.“

__________ 7 8 9 10 11

Raupach, (Fn. 1) S. 47 f.; 193 f. Serick, Rechtsform und Realität juristischer Personen, 1955. Raupach, (Fn. 1) S. 39. Raupach, (Fn. 1) S. 72 ff., 87, 135 und passim. Raupach, (Fn. 1) S. 46 ff., 88 f., 194: „Die Grenzen des Trennungsprinzips lassen sich nicht aus dem Wesen der juristischen Person, sondern nur auf Grund der anzuwendenden Normen und unter Berücksichtigung der Ausgestaltung der juristischen Person bestimmen.“ (S. 135). 12 Raupach, (Fn. 1) S. 46 ff., 88 f. 13 Raupach, (Fn. 1) S. 87 ff., 90.

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3. Anwendungsfälle des Durchgriffs Raupach unterscheidet binnenstaatlich vier Fallgruppen: –

Normierte Durchgriffsfälle wie etwa die körperschaftsteuerliche Organschaft;



Durchgriffe aufgrund der Normauslegung;



Durchgriffe mittels Sachverhaltswürdigung (§ 1 Abs. 3 StAnpG)14. Eine wirtschaftliche Betrachtungsweise, nach welcher die Kapitalgesellschaft mit ihrem einzigen Gesellschafter zu identifizieren sei, sei indes unzulässig15;



Durchgriffe auf Grund des Verbots, Steuern zu umgehen (§ 6 StAnpG).

In letzterer Hinsicht sei maßgebend, dass – so Serick – eine Körperschaft als solche nur Anerkennung verdiene, „wenn sie sich innerhalb der Zwecke bewege, für die sie geschaffen sei“; geschaffen sei sie aber für den redlichen Rechtsverkehr. Ein Durchgriff auf der Rechtsgrundlage des § 6 StAnpG – der Vorläufervorschrift des § 42 AO – sei möglich, soweit nicht bereits ein Spezialtatbestand den Durchgriff erlaube16. Im Internationalen Steuerrecht gewinne das Durchgriffsproblem besondere Bedeutung bei der Bekämpfung der Steuerflucht17. Insbesondere bei Basisgesellschaften stelle sich die Frage, ob und ggfs. unter welchen Voraussetzungen „ihre steuerliche Rechtsfähigkeit missachtet werden darf“18. Freilich sei vor Anwendung des § 6 StAnpG stets zu prüfen, ob nicht schon die allgemeinen Auslegungsmethoden oder die wirtschaftliche Sachverhaltswürdigung nach § 1 Abs. 3 StAnpG zum Ziele führten. Teichmann19 habe darauf hingewiesen, dass man nicht mit dem Umgehungsbegriff arbeiten müsse, wenn bereits die „richtige“ Auslegung des Gesetzes oder eine Würdigung des Sachverhalts erfolgreich sei. Von einem Durchgriff im Internationalen Steuerrecht will Raupach sprechen, wenn man „von der durch ausländisches

__________ 14 Raupach, (Fn. 1) S. 119 ff. 15 Raupach, (Fn. 1) S. 121, unter Bezugnahme auf RFH v. 8. 9. 1931, RStBl 1931, S. 741. 16 Raupach, (Fn. 1) S. 126 ff., 129; s. auch Raupach, Die Frage der Zurechnung im Steuerrecht als Problem der Tatbestandsverwirklichung, in Festschrift für H. Beisse, 1997, S. 405 ff., 423 ff. Freilich hat sich ein auf diese Vorschriften gestützter „Durchgriff“ als „nicht sehr scharfe Waffe zur Bekämpfung der Steuerflucht“ erwiesen; s. nur Schulze-Osterloh, Der Durchgriff bei Basisgesellschaften und anderen Kapitalgesellschaften zum Zwecke der Besteuerung, ZHR 140 (1976), 46 ff.; von Beckerath, Der Durchgriff im deutschen Außensteuerrecht, 1978, S. 237 ff. 269 ff. 17 Raupach, (Fn. 1) S. 148 ff. 18 Raupach, (Fn. 1) S. 150 ff. 19 A. Teichmann, Die Gesetzesumgehung, 1962, S. 69: „Denn die Gesetzesumgehung ist eine Frage der Rechtsanwendung, die an die Rechtsgeltung und die Durchsetzbarkeit einer Norm aus eigener Kraft anknüpft.“

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Recht verliehenen Rechtsfähigkeit ausländischer juristischer Personen oder der handelsrechtlichen Verselbständigung von Personengesellschaften absieht und auf deren Substrat ‚durchgreift’“. Unter dieser Prämisse widmet er sich der – auch verfassungs- und völkerrechtlichen – Zulässigkeit von Durchgriffen im Internationalen Steuerrecht insbesondere vor dem Hintergrund der Bekämpfung der internationalen Steuerflucht mit den folgenden rechtlichen Instrumenten: –

Generelle Nichtanerkennung ausländischer Personen;



Generelle Nichtanerkennung aufgrund „wirtschaftlicher Betrachtungsweise“ (§ 1 Abs. 3 StAnpG);



Unterwerfung ausländischer juristischer Personen unter die unbeschränkte Steuerpflicht.

Die Nichtanerkennung ausländischer juristischer Personen, so Raupach, werde sich freilich nur ausnahmsweise auf § 6 StAnpG stützen lassen, weil der Gründungsakt für sich genommen zur Steuerumgehung kaum geeignet sei. Vielmehr seien die einzelnen Rechtsbeziehungen, die die juristische Person anknüpft, auf Steuerumgehungen hin zu untersuchen20.

II. Aktueller Stand der zivilrechtlichen Lehre vom Durchgriff Viele der nur kursorisch dargestellten – vor allem methodischen – Prämissen, auf denen die Arbeit von Raupach fußt, sind nach wie vor gültig. Damals noch visionäre Aussagen – z. B. zum Gleichheitssatz – haben sich zwischenzeitlich als (hoffentlich) allgemeine Erkenntnis etabliert. Die Frage, ob eine Generalklausel gegen die Steuerumgehung überflüssig ist, ist Gegenstand des aktuellen Streits zwischen „Außen- und Innentheorie“21. Fortentwickelt wurden – über die Lehren von Serick und Müller-Freienfels hinausgehend – die zivilrechtlichen Prämissen. Die Markteinkommenstheorie ist zumindest als normleitendes Prinzip für die Zurechnung von Einkünften anerkannt. Es erscheint daher reizvoll, der Frage nachzugehen, ob sich aus zwischenzeitlich verfestigten Erkenntnissen oder Arbeitshypothesen neue rechtliche Gesichtspunkte für die Bewältigung des „Durchgriffs im Steuerrecht“ ergeben.

__________ 20 Raupach, (Fn. 1) S. 158 f. 21 S. hierzu H. Loukota, Einschaltung ausländischer Basisgesellschaften, SWI 2005, 205 ff.; P. Fischer, Zum Streit zwischen „Außentheorie“ und „Innentheorie“, FR 2005, 585 ff.

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1. Verlust des Haftungsprivilegs mittels teleologischer Reduktion des § 13 GmbHG? Die Dogmengeschichte des „Durchgriffs“ – im angloamerikanischen Recht diskutiert als „piercing“ bzw. „lifting the corporate veil“22, 23 oder „disregard of legal entity“ – ist lang und vielfältig verzweigt. Die Konzeption der Durchgriffshaftung ist umstritten24. Diskutiert wird über einzelne „Durchgriffslagen“ wie vor allem die – in der Literatur kontrovers erörterte2526, von der Rechtsprechung als Haftungsfall nicht anerkannte – materielle Unterkapitalisierung27; ferner die Vermögens- und die Sphärenvermischung28 i. S. einer Verschleierung der Trennung von Gesellschaft und Gesellschafter in organisatorischer Hinsicht („Waschkorblage“). Hiervon zu trennen ist der Anwendungsbereich des Zurechnungsdurchgriffs29: Bei diesem geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen bestimmte Eigenschaften, Kenntnisse oder Verhaltensweisen des Gesellschafters seiner Gesellschaft zugerechnet werden können – und vice versa. Der sog. Haftungsdurchgriff gehört immer noch zu den schwierigsten und umstrittensten Problemkreisen des Gesellschaftsrechts30. Nach der von Serick31 begründeten, von der „Fiktionstheorie“ abstammenden32 Missbrauchslehre sollte der „Durchgriff durch die juristische Person auf die hinter ihr stehenden Personen“ geboten sein, wenn die Hintermänner die Figur der juristischen Person zum Zwecke der Umgehung oder Verletzung von Gesetzen oder von Rechten Dritter subjektiv missbrauchen. Das Trennungsprinzip als das in § 13 Abs. 1 und 2 GmbHG positiv normierte Ordnungsprinzip vor allem der vermögensrechtlichen Selbständigkeit der juristischen Person gegenüber ihren Mitgliedern tritt hiernach insofern zurück („… lex

__________

22 S. nur Spellenberg, Lifting the Corporate Veil in England, Gedächtnisschrift für Jürgen Sonnenschein, 2003, S. 719 ff.; Fleischer, Legal Transplants im deutschen Aktienrecht, NGZ 2004, 1129 ff., 1133. 23 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 9 I. 1. a. 24 Ehricke, Zur Begründbarkeit der Durchgriffshaftung, AcP Bd. 1999 (1999), S. 257 ff., 267 ff.; K. Schmidt, (Fn. 23) § 9 II 3 b. 25 Scholz/Emmerich, Kommentar zum GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 13 Rz. 57.; Nachweise bei Ehricke, (Fn. 24) S. 263 ff. 26 K. Schmidt, Zur Durchgriffsfestigkeit der GmbH, ZIP 1994, 837 ff.; Ehricke, (Fn. 24). Zum Durchgriff im Zivilrecht aus österreichischer Sicht Kofler, Die steuerliche Abschirmwirkung ausländischer Finanzierungsgesellschaften, 2002, S. 80 ff. 27 Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, Kommentar, § 13 Rz. 116 ff.; Lutter/ Trölitzsch in Lutter (Hrsg.), Holding-Handbuch, 4. Aufl. 2004, Haftungsfragen in der Holding, § 7 Rz. 62 ff., m. w. N.; Chr. Möller, Die materiell unterkapitalisierte GmbH, 2005. 28 Lutter/Trölitzsch, (Fn. 28) § 7 Rz. 66. 29 K. Schmidt, (Fn. 23) § 9 I, III und IV. 30 K. Schmidt, (Fn. 23) § 9 I 2. 31 Serick, (Fn. 8). Zu diesem K. Schmidt, (Fn. 23) § 9 II 1.a. 32 Altmeppen, Zur Entwicklung eines neuen Gläubigerschutzkonzepts, ZIP 2002, 1553 ff., 1555 ff., 1560.

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cessat“), als alle oder bestimmte Gesellschafter den Gläubigern der Gesellschaft mit ihrem Privatvermögen haften. Diese Begründung lässt sich z. B. im Autokran-Urteil des BGH33 nachvollziehen. Die von Müller-Freienfels34 begründete „Normanwendungslehre“ gestattet einen Durchgriff, wenn nach Sinn und Zweck des einschlägigen Gesetzes eine Trennung zwischen der juristischen Person und den dahinter stehenden – zumeist natürlichen – Personen ausnahmsweise nicht in Betracht kommt. Fallen Gläubiger einer Kapitalgesellschaft mit ihren Forderungen aus, so haben sie – als ultima ratio wird das Trennungsprinzip aufgegeben – unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eines „Durchgriffs auf deren Gesellschafter“. 2. Zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen Unzweifelhaft können gegen Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft Ansprüche auf der Rechtsgrundlage der §§ 826, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263, 266, 268 StGB35 erhoben werden. Vorrangig ist stets die Haftung wegen Einlagenrückgewähr nach §§ 30, 31, 43 Abs. 3 GmbHG. Im Zentrum der zivilrechtlichen Diskussion steht heute der Teilaspekt der Durchgriffshaftung. Jeder Gesellschafter soll den Gläubigern für Ausfälle „unter dem Gesichtspunkt des sog. existenzvernichtenden Eingriffs“ haften36, wenn er „durch sein Einverständnis mit dem Abzug von Vermögen an der Existenzvernichtung der Gesellschaft mitgewirkt“ hat. Hierbei ist der

__________ 33 BGH v. 16. 9. 1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 332 – „Autokran“: „Wenn ein Ausnahmetatbestand vorliegt, dessentwegen sich die GmbH-Gesellschafter auf die rechtliche Selbständigkeit der GmbH als juristische Person nicht berufen dürfen, so heißt das, dass sie zu behandeln sind, als hätten sie das von der GmbH betriebene Handelsgeschäft selbst ohne Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen (§ 13 Abs. 2 GmbHG) geführt. In entsprechender Anwendung der §§ 105, 128 ff. HGB haften sie daher persönlich; entsprechend § 129 Abs. 1 HGB können sie ferner Einwendungen, die der Gesellschaft nicht zustehen, ebenfalls den Gesellschaftsgläubigern gegenüber nicht geltend machen.“ 34 Müller-Freienfels, (Fn. 6); zu diesem K. Schmidt, (Fn. 23), § 9 II 1 b; gegen MüllerFreienfels nachdrücklich Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981, S. 330 ff.; Ehricke, (Fn. 24) S. 257. 35 Nachweise bei Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2005, Rz. 483 m. w. N.; Maurer, Untreue bei der juristischen Person unter besonderer Berücksichtigung des Eigenkapital(ersatz)rechts, GmbHR 2004, 1549. 36 BGH v. 17. 9. 2001 – II R 178/99, BGHZ 149, 10 – „Bremer Vulkan“; BGH v. 24. 6. 2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181, zum „Haftungsdurchgriff bei rechtsmissbräuchlichen Eingriffen der Gesellschaft in das Gesellschaftsvermögen; BGH v. 13. 12. 2004 – II ZR 256/02, ZIP 2005, 250; hierzu Wilhelm, Zurück zur Durchgriffshaftung – das „KBV“-Urteil des II. Senats des BGH v. 24. 6. 2002, NJW 2003, 175; Altmeppen, Existenzvernichtungshaftung und Scheinauslandsgesellschaften, Festschrift für Röhricht, 2005, S. 3 ff.; ders. in Roth/Altmeppen, § 13 Rz. 72 ff.; Lutter/Trölitzsch, (Fn. 28) § 7 Rz. 67 ff.; Schön, Zur „Existenzvernichtung“ der juristischen Person, ZHR 168 (2004), S. 268.

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Haftungsgrund der Vermögensvermischung37, der nach Auffassung von Emmerich38 und Altmeppen39 allein als „echter“ Durchgriffsfall übrig bleibt, einigermaßen klar konturiert. Kein „Durchgriff“ ist die persönliche Haftung eines Gesellschafters, der den Anschein einer persönlichen Haftung erweckt40. Der zum Verlust des Haftungsprivilegs führende „Missbrauch der Rechtsform der GmbH“ ist auch in der jüngsten Rechtsprechung des BGH noch haftungsbegründend, soweit nicht der der GmbH durch den Eingriff insgesamt zugefügte Nachteil schon nach §§ 30, 31 GmbHG vollständig ausgeglichen werden kann oder kein ausreichender Ausgleich in das Gesellschaftsvermögen erfolgt41. Die einschlägige Rechtsprechung42 und Literatur43 sind kaum noch zu überschauen. Die Rechtsentwicklung ist gekennzeichnet durch trial and error. Das „von qualvollen Entwicklungen geprägte“ Thema44 hat Jahrzehnte lang – bis heute – das Gesellschaftsrecht vor allem unter den rechtlichen Gesichtspunkten von Treu und Glauben, der unzulässigen Rechtsausübung und des Rechtsformen-45 bzw. des Institutsmissbrauchs dominiert46. Aufwallun-

__________ 37 Vgl. BGH v. 13. 4. 1994 (Fn. 46), 368; Scholz/Emmerich, (Fn. 25) § 13 Rz. 91 ff.; Lutter/Trölitzsch, (Fn. 28) § 7 Rz. 64 f.: Die Abgrenzung zwischen Gesellschaftsund Gesellschaftervermögen wird durch eine nicht nachvollziehbare Buchführung oder auf andere Weise verschleiert. 38 Scholz/Emmerich, (Fn. 25) § 13 Rz. 86 m. w. N. 39 Altmeppen, (Fn. 32) S. 1557 ff.; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, Rz. 19. 40 BGH v. 4. 5. 1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 315; BGH v. 8. 7. 1996 – II ZR 258/95, ZIP 1996, 1511; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 13 Rz. 71. 41 BGH v 24. 6. 2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181, unter Bezugnahme auf BGH v. 29. 3. 1993 – II ZR 265/91, BGHZ 122, 123 – „TBB“; kritisch hierzu Altmeppen, (Fn. 32) S. 1560; zur „allgemeinen Durchgriffshaftung“ Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 13 Rz. 107 ff. 42 Zur „Durchgriffslehre“ im Wandel der Rechtsprechung Altmeppen, (Fn. 32) S. 1553 ff., 1555 ff. 43 Eingehend Wilhelm, (Fn. 34) S. 8 ff. 44 Altmeppen, (Fn. 32) S. 1553 ff. 45 Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 13 Rz. 107; Roth in Münchener Kommentar BGB, 4. Aufl. 2001, § 242 Rz. 338 ff., 380 ff. 46 BFH v. 18. 3. 2004 – III R 25/02, BStBl II 2004, 787: „Zivilrechtlich kann ausnahmsweise ein Gläubiger der juristischen Person berechtigt sein, deren Mitglieder im Wege des sog. Durchgriffs in Anspruch zu nehmen. Die Rechtsprechung lässt den Durchgriff zu, wenn die Rechtsform der juristischen Person missbräuchlich verwendet wird … oder die Berufung auf die rechtliche Selbständigkeit der juristischen Person gegen Treu und Glauben verstieße (BGH v. 8. 7. 1970 – VIII ZR 28/69, BGHZ 54, 222, 224; v. 5. 11. 1980 – VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318, 333, zur Beherrschung der Einmann-GmbH durch den Alleingesellschafter; v. 13. 4. 1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, m. w. N.; v. 17. 9. 2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10. Ausführlich auch K. Schmidt, (Fn. 23) § 9, mit kritischer Stellungnahme unter II. 3. Lutter/Trölitzsch, (Fn. 28) § 7 Rz. 72 f.: Eine solcher Fall liegt vor, wenn die Haftungsfreistellung bewusst zum Nachteil der Gläubiger eingesetzt wird und keiner der vorgenannten Fälle vorliegt.

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gen von Gefühlsjurisprudenz und eine trotzige Missbrauchsrhetorik lassen dogmatische und rechtspraktische Ratlosigkeit erahnen: Es dürfe „über die Rechtsfigur einer juristischen Person … nicht leichtfertig und schrankenlos hinweggegangen werden“47. Regelmäßig sei daher sowohl eine Haftung des hinter einer juristischen Person stehenden Berechtigten (Gesellschafters) für die Schulden der juristischen Person als auch umgekehrt die Haftung der juristischen Person für die Verbindlichkeiten des hinter ihr stehenden Berechtigten (Gesellschafters) ausgeschlossen. Eine Ausnahme müsse jedoch dann gelten, wenn die Anwendung dieses Grundsatzes zu Ergebnissen führen würde, die mit Treu und Glauben nicht in Einklang stünden, und wenn die Ausnutzung der rechtlichen Verschiedenheit zwischen der juristischen Person und den hinter ihr stehenden natürlichen Personen einen Rechtsmissbrauch bedeute. Es sei Aufgabe des Richters, einem treuwidrigen Verhalten der hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen entgegenzutreten und die juristische Konstruktion hintanzusetzen, „wenn die Wirklichkeit des Lebens, die wirtschaftlichen Bedürfnisse und die Macht der Tatsachen eine solche Handhabung gebieten“48. Es ist die Rede von dem Gesellschafter, der eine auf die Einlage beschränkte Haftung in Anspruch nimmt, „den Gläubigern jedoch das unternehmerische Risiko in einer vom Zweck der Rechtsform des Unternehmensträgers nicht mehr gedeckten Weise überbürdet“49. Karsten Schmidt50 bemerkt zu Recht, dass es sich schlecht mit einer technisch ausgereiften und auf Rechtssicherheit bedachten Privatrechtsordnung vertrage, wenn die Rechtsfigur der juristischen Person „gerade da zur Disposition gestellt (werde), wo es besonders auf sie (ankomme)“ und wenn man aus rechtspolitischen Gründen die Selbständigkeit einer juristischen Person nicht hinzunehmen bereit sei. 3. Der „Durchgriff“ – eine optische Täuschung? Zur Haftung von Gesellschaftern gegenüber ihrer eigenen GmbH Die „Durchgriffslehren“ werden rechtsgrundsätzlich mit der Begründung abgelehnt, es gehe letztlich um die Haftung von Gesellschaftern/Geschäfts-

__________ 47 Z. B. BGH v. 13. 11. 1973 – VI ZR 53/72, BGHZ 61, 380; weitere Nachweise bei K. Schmidt, (Fn. 9) § 9 I 1. 48 BGH v. 5. 11. 1980 – VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 333; BSG v. 1. 2. 1996 – 2 RU 7/95, NJW-RR 1997, 94. 49 Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 13 Rz. 75. 50 K. Schmidt, (Fn. 23) § 9 I. S. auch ders., § 9 IV 1 c: „Und nicht nur das Ob einer Haftungsverschärfung ‚bei Durchgriffslagen’ zwingt uns, das Recht unter Kontrolle zu behalten, sondern auch das Wie muss sich einem Gesellschaftsrecht einfügen, das noch den an die Rechts-‚Ordnung’ zu stellenden Anforderungen genügt. Das nötigt zur Wachsamkeit und spricht für einen Vorrang spezieller Haftungsnormen, bevor wirklich einmal regelrecht ‚durchgegriffen’ wird.“

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führern gegenüber ihrer eigenen GmbH51. Grund und Voraussetzung der Haftung sei die dem Gesellschafter zurechenbare Verletzung der Pflicht, die Kontrolle über die Einhaltung der Vorschriften über die Kapitalerhaltung zu gewährleisten, statt undurchsichtige oder unübersichtliche Vermögensverhältnisse zu schaffen52. In dieser Hinsicht wird eine Beweislastumkehr zu Lasten des Gesellschafters angenommen. Altmeppen53 kritisiert die dogmatische Deutung der Existenzvernichtungshaftung als Durchgriffshaftung als einen „Rückfall auf einen seit mehreren Jahrzehnten überwunden geglaubten Entwicklungsstand“. Demgegenüber sei „klassischer“ und über alle Zweifel erhabener Tatbestand die Haftung gegenüber der Gesellschaft wegen pflichtwidriger Geschäftsführung auf Schadensersatz („wrongful trading“)54. Dieser Anspruch der Gesellschaft gegen den Gesellschafter wird im Insolvenzverfahren vom Insolvenzverwalter geltend gemacht. Der Schadensersatzanspruch der Gesellschaft wegen gröblich sorgfaltswidriger Kapitalvernichtung zu Lasten unbefriedigter Gläubiger hat nach Auffassung von Jan Wilhelm55 mit einem „Durchgriff“ unter Missachtung der Kapitalgesellschaft nichts zu tun. Er führt das Denken in Durchgriffskategorien auf die Grundannahme zurück, dass die Gesellschafter der Kapitalgesellschaft die Miteigentümer des Unternehmens sind und die Rechtsform der juristischen Person nur ein Mittel zur Beschränkung ihrer Haftung ist56. In diesem Sinne ist der „Durchgriff“ das Geltendmachen einer unbeschränkten Haftung der Gesellschafter als Miteigentümer aufgrund teleologischer Reduktion der Haftungsbeschränkung nach § 13 II GmbHG im Falle des Missbrauchs. Hierzu führt Jan Wilhelm57 aus: „Gegenüber dieser tief verwurzelten Sicht waren die Grundsätze des allgemeinen Zivil- und Gesellschaftsrechts durchzusetzen: Nach der rechtlichen Regelung sind die Gesellschafter keineswegs Miteigentümer des Unternehmens der Kapitalgesellschaft, und die juristische Person ist keineswegs bloße Rechtsform zur Haftungsbeschränkung. Die juristische Person ist Rechtssubjekt und als solches Inhaberin des Unternehmens. Die Gründung der juristischen Person als eigenständiger und wie jede Person grundsätzlich unbeschränkt haftender Rechtsperson ist nicht vereinbar mit der Annahme einer Haftung ‚hinter ihr’ stehender natürlicher Personen. Anders als die Lehre von der Durchgriffshaftung es schon ihrer Bezeichnung nach unterstellt, geht es also

__________ 51 Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 13 Rz. 108, mit weiteren Nachweisen. 52 Bereits BGH v 9. 10. 1986 – I ZR 138/84 BGHZ 98, 330, 334 – „Autokran“. 53 Altmeppen, (Fn. 32), 1561: „… kein subsumtionsfähiger Tatbestand und auch keine daraus folgende tragfähige Begründung der Haftung. Die mangelnde Präzision des Haftungsgrundes wird zu Rechtsunsicherheit und letztlich zu einem kasuistischen Sumpf führen, weil die Gerichte mit Sachvortrag ‚überflutet’ werden, ohne dass Klarheit über den allein relevanten Sachverhaltskomplex bestehen könnte.“ S. auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 13 Rz. 83 ff. 54 Nachdrücklich Wilhelm, (Fn. 35) Rz. 506 ff. 55 Wilhelm, (Fn. 35) Rz. 512. 56 Wilhelm, (Fn. 35) Rz. 503 ff. 57 Wilhelm, (Fn. 35) Rz. 504.

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Überlegungen zum sog. Durchgriff im Zivil- und Steuerrecht nicht um die teleologische Reduktion einer Nichthaftung, sondern umgekehrt um die Installation einer Person (des Gesellschafters) anstelle einer anderen Person (der juristischen Person). Dafür kann nicht auf den Wegfall von Voraussetzungen einer Haftungsbeschränkung verwiesen werden, sondern es müssen positive Argumente für eine Haftung erbracht werden. Mit einem ‚Missbrauchsgedanken’ ist hier jedenfalls nicht auszukommen.“

Die auf den „Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten“ abhebende façon de parler lenkt den Blick – oder wohl eher das Rechtsgefühl – auf das Institut des als institutionelle Zweckverfehlung gekennzeichneten Rechtsmissbrauchs und insinuiert die Negation der juristischen Person und damit auch der ihr „eigentlich“ zurechenbaren Rechtsbeziehungen. Diese Sichtweise trifft indes nicht zu. Karsten Schmidt58 schreibt zu Recht: „Auch in sog. Durchgriffsfällen bleibt die Rechtssubjektivität der juristischen Person unberührt: Sie bleibt Eigentümerin, Vertragspartnerin, (Insolvenz-)Schuldnerin und Prozesspartei.“ Und: „Das Nebeneinander des Verbandes und seiner Mitglieder ist nur mehr der Anlass für Zurechnungs-, Auslegungs- und Normanwendungsprobleme“59.

III. Kapitalgesellschaft und Gesellschafter als selbständige Zurechnungssubjekte des Steuerschuldrechts 1. Vorüberlegung Das Sprachbild des „Durchgriffs“, das auf ein „Beiseiteschieben“ der rechtlichen Selbständigkeit einer Rechtsperson abhebt,60 ist wie dargelegt zivilrechtlich wenig erhellend. Es kann hier nicht der Ort sein und es wäre auch vermessen, zum Jahrhundertstreit des „Durchgriffs“ schiedsrichterlich Stellung zu nehmen. Ich will freilich meine Sympathie nicht verhehlen für ein modernes Konzept, das die Rechtssubjektivität einer somit „unberührt“ bleibenden juristischen Person nicht nur nicht in Frage stellt, sondern als Bezugspunkt von Schuldverhältnissen nimmt. Ist die zivilrechtliche Arbeitshypothese einer societas intacta wenn schon nicht überzeugend, sondern zumindest vertretbar, ermutigt dies zu dem Versuch, steuerschuldrechtliche Zurechnungskrititerien zu entwickeln, mit denen – markteinkommenstheoretisch fundiert – einerseits eine „Nichtanerkennung“ der – vor allem ausländischen – Gesellschaft nicht in Frage gestellt wird und andererseits der Gesellschafter als Zurechnungssubjekt eines Steueranspruchs identifiziert wird, ohne dass in dieser Hinsicht eine „Durchleitung“ durch eine als missbraucht anzusehende Gesellschaft erforderlich wäre.

__________ 58 K. Schmidt, (Fn. 23) § 9 I 3. 59 Vgl. K. Schmidt, (Fn. 23) § 9 II 2, zu „Zurechnungs-, Auslegungs- und echten Normzweckmethoden“. 60 Zum Gegenstand der Diskussion K. Schmidt, (Fn. 9) § 9 I 1.

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Diese Arbeitshypothese erscheint auf der Grundlage der folgenden Prämissen erfolgversprechend. Ist der einkommensteuerbare Tatbestand, wie Arndt Raupach zutreffend annimmt, ein „erfolgsqualifizierter Handlungstatbestand“61, setzt die Entstehung eines Steueranspruchs (§ 38 AO) voraus, dass sowohl der Handlungstatbestand als auch der Erfolgstatbestand demjenigen Rechtssubjekt – natürliche oder juristische Person – zugerechnet werden, das die Einkünfte erzielt. Beide Tatbestandselemente stehen in einer unaufhebbaren Beziehung zueinander: Die erwirtschaftete Mehrung steuerlicher Leistungsfähigkeit ist zwingend demjenigen zuzurechnen, der die steuerbare Leistung erbracht hat. Überlässt dieser den wirtschaftlichen Erfolg einer anderen Person, verfügt er damit über bezogene Einkünfte. Das Trennungsprinzip als grundlegendes zivil- wie steuerrechtliches Systemelement wird, wie auch in einer späteren Arbeit von Raupach62 anklingt, nicht berührt. 2. Annäherung an das Problem: der Bericht der OECD „Harmful Tax Competition“ Ein praktisches Beispiel soll die Problemlage erläutern. In dem Bericht der OECD „Harmful Tax Competition – An Emerging Global Issue“ (Paris 1998)63 heißt es zum Risiko einer unberechtigten Inanspruchnahme von DBA-Vorteilen (Hervorhebung vom Verf.): „Various approaches have been used by countries to reduce that risk. In some cases, countries have been able to determine that the place of effective management of subsidiary lies in the State of the parent company so as to make it a resident of that country either for domestic tax or treaty purposes. In other cases, it has been possible to argue, on the basis of the facts and circumstances of the cases, that a subsidiary was managed by the parent company in such a way that the subsidiary had a permanent establishment in the country of residence of the parent company so as be able to attribute profits of the subsidiary to that latter country. Another example involves denying companies with no real economic function treaty benefits because the companies are not considered as beneficial owner of certain income formally attributed to them. The Committee intends to continue to examine these and other approaches to the

__________ 61 Raupach, Die Frage der Zurechnung im Steuerrecht als Problem der Tatbestandsverwirklichung, in Festschrift für Heinrich Beisse, 1997, S. 409 ff. m. w. N.; Kirchhof in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 2 Rz. A 7. 62 Raupach, Die Frage der Zurechnung (Fn. 61), S. 423 ff.: Bei der Anwendung des § 42 AO auf sog. Basisgesellschaften werde die ausländische Gesellschaft zwar „nicht generell als Steuersubjekt negiert, „sie wird aber für die Transaktion, in die sie unter Verstoß gegen § 42 AO eingeschaltet ist, nicht als Einkünfte-Erzielungssubjekt anerkannt. Vielmehr wird die Tatbestandsverwirklichung den hinter der Basisgesellschaft stehenden inländischen Gesellschaftern zugerechnet.“ 63 Publiziert in französischer Sprache unter dem Titel „Concurrence Fiscale Dommageable“. Zum unlauteren Steuerwettbewerb s. auch J. Hey, Tax Competition in Europe – The German Perspektive, Deutscher Landesbericht für den Kongress der Europäischen Vereinigung der Steuerrechtslehrer – EATLP Conference 2002 Lausanne, publiziert unter www.eatlp.nl.

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Überlegungen zum sog. Durchgriff im Zivil- und Steuerrecht application of the existing provisions of the Model Tax Convention, with a view to recommending appropriate clarification to the Model Tax Convention.“

Die hier verwendete Arbeitsmethode ist überraschend einfach: Gesellschaften ohne tatsächliche wirtschaftliche Funktion wird nicht die Rechtsfähigkeit aberkannt; ihre rechtliche Existenz bleibt fraglos erhalten. Vielmehr wird die lediglich formale Zuschreibung eines Steueranspruchs steuerschuldrechtlich nicht akzeptiert. Der Steueranspruch entsteht von vornherein in der Person des „wahren“ Steuerschuldners. Das Beiseiteschieben des Vorschlags einer nur formalen „Zuschreibung“ ist hier keine Frage eines Durchgriffs, sondern das Ergebnis einer als sachgerecht verstandenen alternativen Zurechnung von Einkünften zu einem von zwei Rechtsträgern, von denen nur einer den steuerlichen Handlungstatbestand verwirklicht: Dies nicht deswegen, weil er als wirtschaftlicher master mind die Gesellschaft „beherrscht“, sondern weil er selbst die steuerbare Leistung erbringt64. Dieser Schluss ist lediglich ein Anwendungsfall des Grundsatzes, dass Einkünfte demjenigen zuzurechnen sind, der den konkreten Tatbestand der Einkünfteerzielung erfüllt65. Das „Formale“ des zuweisenden Subsumtionsvorschlags ist darin zu sehen, dass die Gesellschaft mangels wirtschaftlicher Substanz den steuerbaren Handlungstatbestand nicht verwirklichen kann66. Dies hat zur Folge, dass dieser Tatbestand der oder den hinter der Gesellschaft stehenden Personen zuzurechnen ist. Diese Zurechung des steuerlichen Handlungs- und Erfolgstatbestands ist auch dann zwingend, wenn die Gesellschaft über den steuerlichen Erfolgstatbestand verfügt. Hierzu das folgende Beispiel: Bei den Beratungen der deutschen RAO 1919 hat sich die Nationalversammlung67 mit dem Fall befasst, dass ein Schriftsteller auf Honorare „verzichtet“ und „einen entsprechenden Betrag an die

__________ 64 So bereits ansatzweise P. Fischer, Zurechnung, Zugriff, Durchgriff – Aspekte einer Grundfrage des Steuerrechts FR 2001, 1; s. ferner Gassner, Grundfragen der Einkünftezurechnung, in: Verhandlungen des 15. Österreichischen Juristentages 2003, 2004, Bd. III/2, Steuerrecht, S. 67 ff., 93 ff., unter Bezugnahme auf Lechner und Kofler: „Einkünftezurechnung und Abschirmwirkung ausländischer Kapitalgesellschaften“: „Eine Gesellschaft, die keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet, kann selbstverständlich nicht als Zurechnungssubjekt von Einkünften in Frage kommen. Eine funktionslose Gesellschaft ist bloß vorgeschoben; die ihr ‚am Papier’ zugerechneten Einkünften können nur einem anderen zugerechnet werden, und zwar demjenigen, der die zu den Einkünften führende Betätigung (die Funktion) tatsächlich ausgeübt hat.“ S. auch den Diskussionsbeitrag von Gassner S. 202 f. 65 Kirchhof in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, Kommentar, § 2 Rz. A 77 ff.; Raupach/Schencking in Herrmann/Heuer/Raupach, § 2 EStG Anm. 100 ff.; P. Fischer, Einkünftezurechnung im Einkommen- und Körperschaftsteuerrecht, Verhandlungen des fünfzehnten österreichischen Juristentages Innsbruck 2003 (Band III/2 Steuerrecht) 2004, 7 ff. 66 Allgemein Niedrig, Substanzerfordernisse bei ausländischen Gesellschaften, IStR 2003, 474. 67 Begründung zum Entwurf einer RAO 1919 Nationalversammlung 1919, Drucks. Nr. 759, S. 94.

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Kinder zahlen lässt, die auf ihn angewiesen sind und vielleicht im Ausland leben“. Man ging damals davon aus, dass hier einerseits zivilrechtlich kein Scheingeschäft vorliege, dass aber andererseits „eine solche Parteiwillkür für die Frage der Besteuerung nicht ausschlaggebend sein dürfe“. Zur Bewältigung gerade solcher und ähnlicher Fälle wurden die Vorläuferbestimmungen zu § 42 AO normiert68. Für eine moderne Dogmatik des Steuerschuldrechts ist dies unproblematisch: Zum freiberuflichen „Betrieb“, wie er gerade durch die typologische Verweisung auf ein vorrechtliches „Bild des Schriftstellers“ konturiert wird, gehört die „schriftstellerische Tätigkeit“ (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG) einschließlich der Vermarktung des Produkts und der „im Rahmen dieser Tätigkeit“ (Handlungstatbestand) zufließenden Honorare (Erfolgstatbestand). „Der Rahmen“ des mit Erfolg umgesetzten freiberuflich-unternehmerischen Konzepts „Schriftstellerei“ verklammert diese Elemente einschließlich der hierbei verdienten Einnahmen und führt notwendigerweise zu einer Zurechnung auf dessen Urheber. Handlungs- und Erfolgstatbestand des Unternehmens können nicht willentlich getrennt und intersubjektiv aufgeteilt werden. Die Leistungserstellung, deren Vermarktung und das marktmäßig erzielte Entgelt stehen sowohl dem Grunde wie auch der Höhe nach in einer unaufhebbaren Kausalitäts- wie auch (im Regelfall) Wertrelation. Der durch die Leistung generierte Erfolg ist zwingend der Unternehmenstätigkeit als seinem wirtschaftlichen Ursprung und dem Urheber der Tätigkeit zuzuordnen. Dies scheint mir der selbsterklärende Grund für die von Albert Hensel 69 so bezeichnete „fast unbemerkte“ subjektive Zurechnung des Tatbestands der Einkünfteerzielung zu sein. Ersetzt man „die Tochter“ durch die Rechtsperson einer Tochtergesellschaft, wird deutlich, dass die Rechtssubjektivität des jeweiligen Zuwendungsempfängers nicht in Frage gestellt ist. 3. Rechtssubjektivität und Zuordnung von Vermögen Die verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG, so der Große Senat des BFH in seinem Beschluss v. 25. 6. 1984,70 „gebietet es, (die) Ordnungsstruktur des Zivilrechts durchgehend zu wahren … Fehlt einer Personenvereinigung die zivilrechtliche Rechtsform einer Kapitalgesellschaft, dann besteht auch keine Körperschaftsteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG. Es widerspräche der im Körperschaftsteuerrecht getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung, an die zivilrechtliche Rechtsform anzuknüpfen, wenn bei den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG aufgezählten juristischen Personen durch die Rechtsform hindurch auf den wirtschaftlichen Gehalt des Rechtsgebildes abgestellt und diese als natürliche Person oder als nichtrechtsfähige Personenvereinigung zur Einkommensteuer herangezogen würde.“

__________ 68 Ausführlich P. Fischer, (Fn. 64). 69 Hensel, Steuerrecht, 3. Aufl. 1933, S. 59. 70 BFH v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82, BStBl II 1984, 751.

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Überlegungen zum sog. Durchgriff im Zivil- und Steuerrecht

Die Unterschiede zwischen Gesamthand und juristischer Person liegen in der Zuordnung dinglicher und schuldrechtlicher Rechtsbeziehungen begründet71. Die juristische Person ist im Verhältnis zu ihren Mitgliedern eine „andere Person“ und unter keinem Aspekt mit ihren Mitgliedern oder deren Gesamtheit identisch. Trägerin der zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Rechte ist die Gesellschaft selbst. Diese können auch nicht insgesamt über das Aktivvermögen der juristischen Person verfügen und diese nicht vertreten; dies auch dann nicht, wenn sie alle zusammenwirken. Die „Wertrechte“ aus der Mitgliedschaft an der juristischen Person sind Rechte an einem Vermögen, das nicht ihnen, sondern „ihrer“ Gesellschaft gehört72. Die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen wird den Gesellschaftern durch ihre Mitgliedschaft an der Gesellschaft vermittelt. Der gesetzliche Vertreter der juristischen Person hat kraft seiner – organschaftlichen – Rechtsstellung niemals die Befugnis, die Mitglieder der juristischen Person als solche zu vertreten. Die Rechtssubjektivität der Kapitalgesellschaft wird nicht berührt, wenn die zivilrechtliche Vermögenszuordnung unangetastet bleibt. 4. Folgerungen für das Steuerrecht: Zuordnung des steuerlichen Erfolgstatbestands Das KStG knüpft die Körperschaftsteuerpflicht an die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit73. Die zivilrechtliche Trennung der Vermögenssphären und ihre Respektierung durch das Steuerrecht sind tragende Ordnungsprinzipien. Die zivilrechtliche Rechtssubjektivität der juristischen Person ist steuerrechtlich zu beachten74. Ein Transparenzprinzip würde zu einer Betriebssteuer führen, die nicht geltendes Recht ist. Die „Impermeabilität“75 sogar der früher dubiosen, heute EU-rechtlich nobilitierten Einpersonen-Kapitalgesellschaft76, welche ausschließlich die Interessen ihres Anteilseigners verfolgt, ist normativer Ausgangspunkt vor allem des Halbeinkünfteverfahrens und der offenen wie verdeckten Gewinnausschüttung. Der thesaurierte Gewinn steht dem Anteilseigner weder rechtlich zu, noch kann er wirtschaftlich

__________ 71 Zum Nachfolgenden s. Ulrich Huber, Rechtsfähigkeit, juristische Person und Gesamthand, in Festschrift für Lutter, 2000, S. 107 ff., 125 ff. 72 K. Schmidt, (Fn. 23) § 9 I. 73 J. Hey in Herrmann/Heuer/Raupach, (Fn. 65) § 1 KStG Anm. 20. 74 Grundlegend BVerfG v. 24. 2. 1991 – 1 BvR 845/58, BVerfGE 13, 331: dies ist eine vom Gesetzgeber selbst statuierte Sachgesetzlichkeit. 75 Vgl. Flume, Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu § 8 Ziff. 6 GewStG, DB 1962, 381 ff., 382: Das BVerfG geht von der „wesensmäßigen Undurchdringlichkeit“ der juristischen Person aus. 76 Vgl. K. Schmidt, (Fn. 23) § 40 I., III. 3., zur Einpersonen-GmbH: „Die Durchgriffsmethode ist als Rechtsanwendungstechnik dubios.“ Die Durchgriffsprobleme seien unter Wahrung der rechtlichen Selbständigkeit der GmbH als Rechtssubjekt zu lösen. Es gelte freilich, verkehrschützende Sicherungsmechanismen, vor allem zugunsten der Gläubiger der Gesellschaft, zu installieren.

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über diesen verfügen77. Ein Durchgriff in Gestalt einer Zurechnung auf den Gesellschafter kann vor allem nicht auf eine schlichte „wirtschaftliche Betrachtungsweise“ gestützt werden. Eine – verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftige – Ausnahme von diesem Grundsatz würde diese Zurechnungsordnung verletzen. Solches wäre – grundsätzlich (unten 8.) – der Fall, wollte man die von der Kapitalgesellschaft erwirtschaftete Mehrung steuerlicher Leistungsfähigkeit dem Gesellschafter zurechnen, der über diese wie dargelegt nicht verfügen kann. Auch die Ertragsteuern, soweit sie eine Mehrung steuerlicher Leistungsfähigkeit erfassen, können nur auf die Werte zugreifen, welche die Rechtsordnung – namentlich das Zivilrecht – dem Steuerpflichtigen selbst endgültig zuweist. In dieser Hinsicht ist – ungeachtet der normativen Reichweite des § 39 AO78 – auch der Ertragsteueranspruch „aus der Herrschaft über Wirtschaftsgüter abgeleitet“79. Hierzu ein Beispiel aus der Rechtsprechung. Die Entscheidung der Frage, ob ein Handelsmakler oder aber dessen Sohn Einkünfte erzielt hat, hängt nach Auffassung des BFH80 nicht von der im Innenverhältnis getroffenen Vereinbarung der beiden ab, „sondern davon wer von den beiden als Unternehmer des Maklerauftrages den Tatbestand tatsächlich verwirklicht, der zur Entstehung der Provisionseinkünfte führt“.

Es sei daher ohne Bedeutung, wenn der originäre Bezieher von Einkünften vor oder nach dem Zufluss der Erträge durch Abtretung oder in sonstiger Weise zugunsten eines Dritten darüber verfügt; dies ist Einkommensverwendung, die dessen steuerpflichtige Einkünfte nicht zu mindern vermag. Weiter heißt es (Hervorhebung vom Verf.): „Stammen die Einkünfte aus einer Vermittlungsprovision, so kann Einkunftsquelle nur die Vermittlungstätigkeit sein, durch die der Tatbestand verwirklicht wurde, der zivilrechtlich zur Entstehung des Provisionsanspruches geführt hat. … Die objektiven Merkmale, die die Einkunftsquelle ‚Maklertätigkeit’ begründen, sind somit die Beauftragung des betreffenden Maklers einerseits und seine erfolgreiche unternehmerische Tätigkeit als Vermittler andererseits. Diese Grundsätze erleiden nur scheinbar eine Ausnahme, wenn ein Steuerpflichtiger als Stellvertreter desjenigen, der mit der Vermittlung eines Geschäftes beauftragt ist, die Vermittlungstätigkeit praktisch ausübt. Das Tätigwerden des Stellvertreters gilt dann als Vermittlungstätigkeit des beauf-

__________ 77 Der Gewinn der Kapitalgesellschaft ist – anders als bei der Personengesellschaft – nicht unmittelbar den Anteilseignern zurechnen, wie dies bei der Personengesellschaft möglich ist; J. Hey in Herrmann/Heuer/Raupach, (Fn. 65) Einf. KSt Anm. 17. 78 § 39 Abs. 2 AO hat für die Zurechnung von Einkünften jedenfalls keine unmittelbare Bedeutung; P. Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, FGO, § 39 AO Rz. 9 ff. 79 Vgl. BVerfG v. 16. 12. 1970 – 1 BvR 210/68, BVerfGE 30, 54, 63 = BStBl. II 1971, 381 = StRK BewG 1934 § 76 R. 3; Becker, RAO7, § 4 Anm. 21: Da das Steuerrecht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit treffen will, darf es nicht an „leere Rechtsformen“ anknüpfen. 80 BFH v. 24. 6. 1976 – IV R 173/74, BStBl II 1976, 643, unter Bezugnahme auf BFH v. 26. 3. 1971 – VI R 131-135/68, BStBl II 1971, 478.

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Überlegungen zum sog. Durchgriff im Zivil- und Steuerrecht tragten Vermittlers selbst, wenn dieser nach den allgemeinen Kriterien als der Unternehmer des Vermittlungs- bzw. Maklergeschäfts anzusehen ist. In seiner Person entsteht der Provisionsanspruch, da die Arbeit seines Vertreters als seine Tätigkeit gilt und nur er der zu der Vermittlungstätigkeit bevollmächtigte Makler ist, auf dem auch das Risiko des Maklergeschäftes lastet.“

5. „Zuordnung nach der wirtschaftlichen Substanz“ Die vorstehenden Überlegungen verweisen zurück auf die Zurechnungsregeln der Markteinkommenstheorie81. Aus dem Grundsatz der Individualbesteuerung folgt zwingend, dass Einkünfte bei demjenigen zu erfassen sind, der sie für eigene Rechnung erwirtschaftet hat. Für einen zentralen Bereich der unternehmerisch erwirtschafteten Einkünfte gibt § 5 Abs. 1 Sätze 1 und 2 GewStG einen wichtigen Hinweis: „Steuerschuldner ist der Unternehmer. Als Unternehmer gilt der, für dessen Rechnung das Gewerbe betrieben wird.“ „Das Unternehmen“ bzw. „der Betrieb“ hat notwendigerweise Bezug zur Beschreibung des Unternehmens als realtypische Wirkeinheit: Diese ist gekennzeichnet durch die unternehmerische Konzeption, die Organisation durch Bündelung von Produktionsfaktoren, den Erwerb und das Einbringen und Ansammeln von Know-how, die Ausnutzung von Marktchancen, die Umsetzung der konzeptionellen Vorgaben – von der Geschäftsidee bis zum Unternehmenszweck – im laufenden Geschäftsbetrieb durch die Geschäftsleitung als die für die Willensbildung und die Um- und Durchsetzung des Willens zuständige Instanz. „Mitgedacht“ ist in den Realtypen „Unternehmen“ bzw. „Betrieb“ der Verursacher als „der Unternehmer“ bzw. „der Betreiber“. Dies vorausgesetzt muss die Markteinkommenstheorie ergänzt werden durch eine Theorie der wirtschaftlichen Substanz, die anknüpft an eine tatsächliche Wirtschaftstätigkeit und substantielle wirtschaftliche Präsenz der Körperschaft: Zurechnungssubjekt des steuerlichen Handlungstatbestands kann nur derjenige sein, der über eine rechtlich und organisatorisch verfasste unternehmerische Substanz sowie über unternehmenbezogenes Know-how verfügt, mit denen die fraglichen Leistungen erbracht werden können und auch erbracht werden. Es soll hier nur angedeutet werden, dass es normative Querverbindungen gibt zu dem in § 10 AO verwendeten Anknüpfungsmerkmal „Ort der Geschäftsleitung“82. Hiernach ist die Antwort darauf, was eine Briefkastenfirma bzw. Domizilgesellschaft ist83, einfach: Es handelt sich

__________ 81 Zu diesem Raupach, Die Frage der Zurechnung (Fn. 61), S. 403 ff., 407 ff.: „Versuch einer Systematisierung der Zurechnungstatbestände“. 82 S. aber BFH v. v. 19. 3. 2002 – I R 15/01, BFH/NV 2002, 1411. 83 Kempermann, FR 2000, 457, kritisch zu BFH v. 19. 1. 2000 – I R 94/97 (Fn. 82).

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um einen Rechtsträger, der nicht über die für „ihre“ Aufgaben erforderlichen persönlichen und sachlichen Ressourcen verfügt84. 6. Der Zurechnungsgrundsatz gilt gleichermaßen für natürliche und juristische Personen … Dieser Grundsatz gilt für natürliche Personen wie auch für juristische Personen gleichermaßen. Mit Bezug auf letztere möchte ich meine Arbeitshypothese wie folgt zusammenfassen: Maßgebend ist eine rechtlich verfasste Zurechnung „des Betriebs“ bzw. „des Unternehmens“ als Real- und Rechtstypus zu der rechtlich verfassten Körperschaft. Als Zurechnungskriterium ist – schon wegen § 36 GmbHG und vergleichbarer Vorschriften – nicht primär und schon gar nicht ausschließlich der Abschluss von Verträgen über zu erbringende Leistungen ausdrücklich in ihrem Namen maßgebend. Voraussetzung für ein Organhandeln der Körperschaft ist die Kongruenz der rechtlichen Verfassung – insbesondere dem Gegenstand des Unternehmens laut Gesellschaftsvertrag – und der unternehmerischen Substanz, die als solche rechtlich organisiert der juristischen Person zugeordnet sein muss. Die unternehmerischen Wirk-, Leistungs- und Produktionsfaktoren – insbesondere erarbeitete Erwerbs- und Geschäftschancen, Geschäftsbeziehungen, Eigenund Fremdkapital, selbständig und nichtselbständig erbrachte Leistungen Dritter, die Arbeitsleistung für das organschaftlich zurechenbare Tätigwerden des angestellten Geschäftsführers (§§ 35 ff. GmbHG) – müssen rechtlich verfasst auf die juristische Person zentriert werden85. Die juristische Person muss mit ihrer „eigenen“ unternehmerischen Substanz – „mit eigenen Bordmitteln“ – die Leistungen, die ihr zugerechnet werden sollen, am Markt erbringen können. Der Betrieb/das Unternehmen als Real- und Rechtstypus muss durch das Gravitationsfeld der rechtlich verfassten Organisationseinheit dem Rechtsträger „juristische Person“ zugeordnet sein.

__________ 84 Zutreffend Niedrig, (Fn. 66), S. 471 ff., 482; Kapferer, Einkünftezurechnung im internationalen Konzern, SWI 2004, 387 ff., 390: „Mittel zur tatsächlichen Funktionserfüllung“. Überhaupt scheint die österreichische Doktrin mit dem Problem auf der Grundlage einer allgemeinen Zurechnungslehre „entspannter“ umzugehen; s. nur Mühlener, Probleme der Zurechnung von Einkünften bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, in Festschrift für H. Loukota, 2005, S. 36 ff.; Margreiter, Zur Zwischenschaltung von Körperschaften, in Festschrift für H. Loukota, 2005, S. 285 ff. 85 Vgl. auch Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 4. Aufl. 2006, § 6 Rz. 8 ff.: Das Unternehmen lässt sich definieren als eine „auf der organisatorischen Verbindung von Personen und sachlichen Mitteln beruhende rechtliche Einheit, die nach ökonomischen Methoden arbeitet und wirtschaftliche Güter oder Dienstleistungen hervorbringt …“

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7. … wie für inländische und ausländische Körperschaften Daher ist dem „treaty-shopping-Urteil“ des BFH v. 20. 10. 199786 zuzustimmen, wenn es darauf abhebt, „ob die Kapitalgesellschaft im Rahmen der im Inland eingegangenen Verpflichtungen tatsächlich eine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet, d. h. unternehmerisches Risiko trägt. Dies setzt grundsätzlich unternehmerische, insbesondere über bloße Verwaltungs- oder Rechtshandlungen hinausgehende Aktivitäten voraus.“

Dies war die zutreffende Frage nach der Unternehmertätigkeit der GmbH und der Verwirklichung des die Zurechnung begründenden Handlungstatbestandes. Die Teilzeitkräfte der GmbH waren nach eigenen Angaben der Klägerin nur mit den im Rahmen der Veranstaltungen notwendigen technischen Aufgaben befasst. Die Weiterleitung des größten Teils der Einnahmen könne, so der BFH, im Streitfall Indiz für eine fehlende eigene unternehmerische Tätigkeit sein. Hätte die Klägerin selbst das notwendige Know-how bzw. die notwendigen Verbindungen besessen, so wäre ihr auch – abgesehen von den Vergütungen der Teilnehmer – der größte Teil der Einnahmen verblieben. Das FG müsse, so abschließend der BFH, im zweiten Rechtszug der Frage nachgehen, ob der Vergütungsanspruch der Klägerin im Zusammenhang stehe mit einer „ihr selbst zuzurechnenden unternehmerischen Tätigkeit“ oder nur mit einer „bloßen Inkassofunktion“. Hinzuzufügen ist: Belässt der „Hintermann“ seiner GmbH die Honorare, verfügt er damit über die „im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit zugeflossenen“ Einnahmen. Auch der IV. Senat des BFH87 rechnet steuerbare Tätigkeiten einer zwischengeschalteten Kapitalgesellschaft unter der Voraussetzung zu, dass diese „über den Firmen- und Verwaltungssitz hinaus einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb unterhält, der sachlich und personell so ausgestattet ist, dass er die angeblich wahrgenommenen Aufgaben erfüllen kann“. Das dargestellte steuerschuldrechtliche Prinzip der Zuordnung nach der wirtschaftlichen Substanz beansprucht für im Ausland domizilierende „eigenwirtschaftlich funktionslose (Basis-)Gesellschaften“88 in gleicher Weise – und damit europarechtlich unbedenklich – Gültigkeit wie für zwischengeschaltete Rechtsträger im Inland („Norderfriedrichskoog“). Auch im Inland können vielfältige steuerliche Interessenlagen – etwa die Nutzung des

__________ 86 BFH v. 29. 10. 1997 – I R 35/96, BStBl II 1998, 235 – Antragsberechtigung nach § 50d EStG für den Steuerschuldner, Änderung der Rechtsprechung (MonacoUrteil). 87 BFH v. 10. 5. 2005 – IV B 114/03 – zum Rechtsbegriff „nennenswerte wirtschaftliche Betätigung“, unter Bezugnahme auf BFH v. 10. 11. 1998 – I R 108/97, BStBl II 1999, 121, unter II.3. i. V. m. 2.b. 88 Zutreffend BFH v. 23. 10. 2002 – I R 39/01, BFH/NV 2003, 289.

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bei einer Schwestergesellschaft angesiedelten Verlustvortrags89 – ein Motiv für den Versuch abgeben, Einkünfte auf diesen anderen Rechtsträger zu „verlagern“. Entgegen der vom BFH in seinem Urt. v. 20. 1. 200290 vertretenen Auffassung ist es nur schwer vorstellbar, dass eine im US-Staat Delaware domizilierende Gesellschaft, die einen Lohnaufwand von 1500 bis 3000 $ jährlich verbucht, mit rechtlich eigener wirtschaftlicher Substanz ein Finanzierungsgeschäft mit einem Volumen von 250 Mio US-$ abwickeln, vor allem die Valuta nach Baufortschritt auszahlen und über die Zwischenanlage von Geld entscheiden könnte. Selbst wenn sie ihrerseits hierfür fremdes Know-how in Anspruch nimmt91, wird keiner ihrer geringfügig entlohnten Arbeitskräfte einen diesbezüglichen Auftrag definieren, vergeben und dessen Durchführung überwachen und ihn schlussendlich abrechnen können. Man wird danach unterscheiden müssen, ob z. B. eine Finanzierungsgesellschaft tatsächlich Kontakte zu Banken herstellt, Kreditbedingungen aushandelt, Kreditverträge verwaltet und Anleihen platziert und verwaltet oder ob in dieser Hinsicht der beherrschende Gesellschafter das „Sagen“ hat und über die zur Durchführung erforderliche wirtschaftliche Substanz verfügt92. 8. Keine steuerschuldrechtliche Bedeutung des EuGH-Urteils in der Rechtssache Inspire Art Der BFH93 unterscheidet jüngst zwar im rechtlichen Ausgangspunkt zwischen einer funktionslosen Basisgesellschaft und einer eigenwirtschaftlich tätigen Kapitalanlagegesellschaft. Letztere soll jedenfalls dann nicht ohne jede steuerlich anzuerkennende Funktion sein, „wenn sie auf eine gewisse Dauer angelegt ist und über ein Mindestmaß an personeller und sachlicher Ausstattung verfügt, die die unternehmerische Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit sicher stellt“. Er weist darauf hin, die Rechtsprechung habe letztlich „noch nie eine auf Dauer angelegte Zwischenschaltung inländischer Kapitalgesellschaften als Rechtsmissbrauch qualifiziert, wenn ein Steuerpflichtiger – aus welchen Gründen auch immer – zwischen sich und eine Einkunftsquelle eine inländische Kapitalgesellschaft schaltet und alle

__________ 89 Instruktiv BFH v. 7. 8. 2002 – I R 64/01, BFH/NV 2003, 205. Der I. Senat des BFH hätte an den Fall in dieser Hinsicht kritischer herangehen sollen. 90 BFH v. 20. 1. 2002 – I R 63/99, BFHE 198, 506 = DStR 2002, 1368. 91 Kritisch zu den vom BFH akzeptieren „Dublin-Dock-Gestaltungen“ Kempermann (Fn. 83). 92 Auch in letzterem Fall soll dies nach Auffassung des BFH den Ort der geschäftlichen Oberleitung nicht beeinflussen; BFH v. 7. 12. 1994 – I R 1/93, BStBl II 1995, 175. Zum „Ort der Geschäftsleitung bei Finanzierungsgesellschaften Kofler, (Fn. 26) S. 156 ff. 93 BFH v. 25. 2. 2004 – I R 42/02, BStBl II 2005, 14.

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Überlegungen zum sog. Durchgriff im Zivil- und Steuerrecht

sich daraus ergebenden Konsequenzen zieht“94. Es liege in der Konsequenz des EuGH-Urteils95 in der Rechtssache Inspire Art, eine Zwischenschaltung ausländischer Kapitalgesellschaften innerhalb der EG nicht als Missbrauch i. S. des § 42 Abs. 1 AO zu behandeln. Die „Abschirmwirkung einer solchen Gesellschaft“ sei vielmehr grundsätzlich auch dann zu akzeptieren, wenn damit steuerliche Vorteile verbunden seien. „Missbräuchlich kann eine solche Zwischenschaltung einer ausländischen Gesellschaft allenfalls dann sein, wenn sie lediglich vorübergehend erfolgt und nur zu dem Zweck bestimmt ist, anderweitig drohenden steuerlichen Belastungen zu entgehen.“ Im Urt. vom 31. 5. 2005 I R 74, 88/0496 lässt es der BFH ausreichen, dass „die ausgegliederten Kapitalgesellschaften ihre jeweiligen Unternehmenszwecke – das Halten der Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften – auf eigene Rechnung und funktional eigenwirtschaftlich erfüllten“. Damit hätten für die Einschaltung der Zwischengesellschaften also wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe i. S. von § 50d Abs. 1a EStG bestanden. Es sei davon auszugehen, dass die ausgegliederten Kapitalgesellschaften ihre jeweiligen Unternehmenszwecke – das Halten der Beteiligungen an ausländischen Kapitalgesellschaften – auf eigene Rechnung und funktional eigenwirtschaftlich erfüllten. 9. Weitere steuerschuldrechtliche Anknüpfungsmerkmale Die kautelarjuristische Beratungspraxis sollte in ihr Kalkül einbeziehen, dass eine nur formelle Zwischenschaltung von Kapitalgesellschaften steuerrechtlich riskant war und bleibt. Die Finanzverwaltung wird auch künftighin – mit Recht – substanzlosen Holdingkonstruktionen entgegentreten97. Die Rechtsprechung des BFH ist in dieser Hinsicht nicht einheitlich. Auf der „großzügigen“ Praxis des I. Senats des BFH sollten langfristige Gestaltungen nicht gegründet werden, zumal seine Annahme nicht zutrifft, dass der BFH generell eine auf Dauer angelegte Zwischenschaltung von Kapitalgesellschaften voraussetzungslos als steuerlich legitimierend anerkannt hätte. Vielmehr zeigt die Rechtsprechung insoweit kein einheitliches Bild.

__________

94 Bezugnahme auf BFH v. 23. 10. 1996 – I R 55/95, BStBl II 1998, 90; vgl. auch BFH v. 15. 10. 1998 – III R 75/97, BStBl II 1999, 119. 95 EuGH v. 30. 9. 2003 – Rs. C-167/01 – Inspire Art, EuGHE I 2003, 10155. 96 BFH v. 31. 5. 2005 – I R 74, 88/04, BFH/NV 2005, 1902; hierzu Ritzer/Stangl, Aktuelle Entwicklungen bei den steuerlichen Anforderungen an die Zwischenschaltung ausländischer Kapitalgesellschaften, FR 2005, 1063. 97 BMF v. 30. 1. 2006 – IV B 1–5 2411-4/06 – Nichtanwendungserlass. S. auch Rosenbach in Holding-Handbuch (Fn. 27) § 16 Rz. 13: Für die steuerliche Anerkennung ist die Ausstattung einer Holding mit eigenem Personal, eigenen, abgegrenzten Büroräumen, eigener visueller Identität sowie mit klar abgegrenzten Funktionen und eigenen Aktivitäten erforderlich. „Die Geschäftsleitung muss tatsächlich am Sitz der Holding ausgeübt werden“. S. ferner Schaumburg/Jesse, Die internationale Holding aus steuerrechtlicher Sicht, in Lutter (Hrsg.), Holding-Handbuch, 2004, § 14 Rz. 155.

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Der Kapitalgesellschaft wird die Eigenschaft als Rechtssubjekt wohl nur in den seltenen Ausnahmefällen aberkannt werden können, in denen ein Scheingeschäft nachgewiesen ist. Dessen ungeachtet ist vorrangig zu klären98, ob –

die Kapitalgesellschaft ihren Sitz im Ausland hat99. Die in diesem Zusammenhang gestellte Frage, ob eine im Ausland ansässige Gesellschaft über Büroräume und Personal verfügt, dürfte heutzutage ein wenig naiv sein. Raupach100 hat bereits im Jahre 1994 darauf hingewiesen, dass bei polyzentrisch geführten Unternehmen die Lokalisierung problematisch sein kann;101



bei grundsätzlicher Anerkennung der rechtlichen Existenz einer – auch ausländischen – Kapitalgesellschaft die Geschäftsabwicklung über diese als Scheingeschäft einzustufen ist;



eine Zurechnung von Einkünften auf den oder die Gesellschafter als beneficial owner102 bzw. Treuhänder103 in Betracht kommt.

__________ 98 S. auch Gassner, (Fn. 64) S. 227 ff., 229: Es genüge, das allgemeine Abgabenrecht zur Anwendung zu bringen: „Vielfach werden diese Gesellschaften im Sitzstaat nicht den Ort der Geschäftsleitung haben, sondern im Wohnsitzstaat der Gesellschaft. Das lässt sich m. E. schon aus der Kostenstruktur der Verwaltung der Gesellschaft ableiten. … Die Geschäftsbeziehungen dieser Gesellschaften werden sich „vielfach über Scheingeschäfte und Scheinhandlungen lösen lassen. Auch die Zurechnung von Einkünften wird, unter Anwendung der Markteinkommenstheorie, der Zurechnung von Wirtschaftsgütern nach wirtschaftlichem Eigentum und der Veranlassung der Einkünfte vielfach zur Lösung führen. Diese drei Säulen bewährten sich gerade bei internationalen Geschäften bestens.“ 99 BFH v 19. 3. 2002 – I R 15/01, BFH/NV 2002, 1411. 100 Raupach, JbFÄStR 1994/95, S. 307 ff., 419 ff. 101 Schaumburg/Jesse, (Fn. 97) § 14 Rz. 157; Breuninger/Krüger, Die abnehmende Lokalisierung von Unternehmen als Rechtsproblem im internationalen Steuerund Gesellschaftsrecht – gibt es mehrere Orte der Geschäftsleitung?, in Festschrift für Rädler, 1999, S. 79 ff.; Kessler/Müller, Ort der Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft nach nationalem und DBA-Recht – Bestandsaufnahme und aktuelle Entwicklungen IStR 2003, 361 ff.; Prinz, Rechtsfragen virtueller Unternehmensorganisationen: Ertragsteuerliche Fragen moderner Organisationskonzepte, in Noack/Spindler (Hrsg.), Unternehmensrecht und Internet, 2001, S. 233 ff., 236 ff.: Problemzone „Lokalisierung des Orts der Geschäftsleitung“; Staringer, Besteuerung doppelt ansässiger Kapitalgesellschaften, 1999, S. 130 ff., 139 ff., weist zutreffend darauf hin, dass zwei Fragenkomplexe in ihrer logischen Abfolge getrennt zu betrachten sind: Welche Tätigkeiten, Handlung oder Maßnahme erfüllen den Tatbestand „geschäftliche Oberleitung“? Welche Personen kommen dafür in Betracht, diese relevanten Leitungsmaßnahmen zu setzen? Erst wenn feststeht, welche Personen als Geschäftsleiter die entscheidenden Leitungsmaßnahmen setzen, kann schließlich der Frage nachgegangen werden, an welchem Ort diese Personen tätig werden. 102 P. Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, FGO, § 39 AO Rz. 180 ff. 103 P. Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, FGO, § 30 AO Rz. 9 ff., 172 ff., 194 ff.: Die Kapitalgesellschaft als Treuhänderin.

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Überlegungen zum sog. Durchgriff im Zivil- und Steuerrecht

IV. Perspektiven eines modernen Steuerschuldrechts Die unter dem Stichwort „Durchgriff“ abgehandelten Probleme sind nach wie vor eine Herausforderung für ein rechtsstaatliches und europarechtskonformes Steuerrecht. Das moderne Steuerschuldrecht muss sich von wenig hilfreichen Bildern und von einer die Dogmatik irreleitenden Missbrauchs-Rhetorik lösen. Sie muss sich besinnen auf die verhältnismäßig schlichten, aber grundlegenden materiellen Zurechnungsfragen, für deren Beantwortung Form und Substanz zu einem gerechten Ausgleich geführt werden. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Grundfragen, die im Mittelpunkt des Rechtsdenkens von Arndt Raupach als Steueranwalt, Wissenschaftler und Rechtslehrer gestanden haben: Tatbestandsmäßigkeit des Steuergesetzes, Legitimität des Steueranspruchs, Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und Herstellung eines gerechten internationalen Ordnungsrahmens.

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Verdeckte Gewinnausschüttung und Grundsatz der Kapitalerhaltung Inhaltsübersicht I. Problemstellung II. Unzulässige Kapitalrückzahlung als verdeckte Gewinnausschüttung 1. Darlehensgewährung als verdeckte Gewinnausschüttung 2. Darlehensgewährung als „Vermögensminderung“ 3. Zum Schutzobjekt des Instituts der verdeckten Gewinnausschüttung

4. Zur Frage der „gesellschaftsrechtlichen Veranlassung“ 5. Sonstige Fälle der unzulässigen Kapitalrückzahlung III. Folgerungen für das Verhältnis des Steuerrechts zum Gesellschaftsrecht IV. Ergebnis

I. Problemstellung Das steuerrechtliche Institut der verdeckten Gewinnausschüttung ist, historisch gesehen, in engem Zusammenhang mit gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen entwickelt worden. Die Rechtsprechung des BFH hat immer wieder auf zivil- und gesellschaftsrechtliche Institute zurückgegriffen, um den im Gesetz nicht definierten Tatbestand der verdeckten Gewinnausschüttung fassbarer zu machen. Beispiele sind etwa das Erfordernis einer zivilrechtlich bindenden Vereinbarung zwischen Gesellschaft und beherrschendem Gesellschafter einschließlich der Regeln über das Selbstkontrahieren, § 181 BGB1, der Maßstab des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters, § 93 Abs. 1 S. 1 AktG, § 43 GmbHG2 und die inzwischen aufgegebene Rechtsprechung zum Wettbewerbsverbot des Geschäftsführers bzw. Gesellschafters3. Umgekehrt haben zivilrechtliche Rechtsprechung4 und Literatur5 zur Aus-

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St. Rspr.; vgl. etwa BFH v. 23. 10. 1985, BStBl II 1986, 195; BFH v. 2. 12. 1992, BStBl II 1993, 311; BFH v. 12. 10. 1995, BFH/NV 1996, 266; BFH v. 23. 10. 1996, BStBl II 1999, 35, jeweils m. w. N. BFH v. 28. 11. 1991, BStBl II 1992, 359; BFH v. 24. 4. 2002, BStBl II 2002, 670. BFH v. 11. 2. 1987, BStBl II 1987, 461; BFH v. 14. 3. 1989, BStBl II 1989, 633; BFH v. 12. 4. 1989, BStBl II 1989, 636; BFH v. 26. 4. 1989, I R 172/87, BStBl II 1989, 673; BFH v. 28. 6. 1989, BStBl II 1989, 854. Z. B. BGH v. 5. 6. 1975, NJW 1976, 191; BGH v. 1. 12. 1986, BB 1987, 433; BGH v. 13. 11. 1995, BB 1996, 128. Z. B. Geßler, AktG, zu § 57 Rz. 6; Bayer, in: Münchner Kommentar zum AktG, zu § 57 Rz. 2; Baumbach/Hueck, GmbHG, zu § 30 Rz. 15; Scholz, GmbHG, zu § 29 Rz. 170 ff.; Holtemann, BB 1988, 1538; Zacher, DStR 1994, 138; Wagner/ Herrmann, BB 1999, 608; dagegen jedoch bereits Müller in Wassermeyer, Grundfragen der Unternehmensbesteuerung, DStJG Bd. 17, 289.

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legung der Vorschriften über die Kapitalerhaltung, § 57 AktG, § 30 GmbHG, in erheblichem Umfang auf die steuerrechtliche Rechtsprechung zur verdeckten Gewinnausschüttung zurückgegriffen. Aus dieser Entwicklung, die wenigstens tendenziell zu einem gewissen Gleichklang des steuerlichen Tatbestandes der verdeckten Gewinnausschüttung mit dem handelsrechtlichen der verbotenen Einlagenrückgewähr geführt hat, wird gefolgert, dass eine handelsrechtlich gegen § 57 AktG, § 30 GmbHG verstoßende Vermögensübertragung von der Gesellschaft auf den Gesellschafter steuerlich zwingend zu einer verdeckten Gewinnausschüttung führe6. Die Diskussion um das Verhältnis der gesellschaftsrechtlichen Regeln über die Kapitalerhaltung zu dem steuerrechtlichen Institut der verdeckten Gewinnausschüttung hat neue Nahrung erhalten durch ein Urteil des BGH v. 24. 11. 20037. In dem vom BGH zu entscheidenden Fall hatte eine GmbH liquide Mittel als Darlehen an den Gesellschafter gegeben. Die Darlehenssumme war nicht durch Gewinnvortrag oder Rücklagen gedeckt, die Darlehenshingabe erfolgte also zu Lasten des nach § 30 GmbHG geschützten Vermögens. Der BGH a. a. O. sah hierin einen Verstoß gegen § 30 GmbHG, und zwar unabhängig davon, ob der Darlehensanspruch gegen den Gesellschafter vollwertig war8. Nach dieser Rechtsprechung kann also eine unzulässige Einlagenrückgewähr auch in einem „Aktivtausch“ unter Einbeziehung des Gesellschafters liegen, wenn liquide Mittel in eine vollwertige Darlehensforderung gegen den Gesellschafter (und, so wird man hinzufügen können, gegen mit dem Gesellschafter verbundene, also nahe stehende Personen) „getauscht“ wird9. Diese Rechtsprechung hat die Frage aufgeworfen, ob in einer solchen Darlehenshingabe steuerlich eine verdeckte Gewinnausschüttung liegen kann.

__________ 6 7 8

9

Vgl. Berg/Schmich, FR 2005, 190. BGH v. 24. 11. 2003, DStR 2004, 427; vgl. Bähr, GmbHR 2004, 304; Vetter, BB 2004, 1509; Schilmer, DB 2004, 1411; Engert, BB 2005, 1951; zu den Folgerungen Bender, BB 2005, 1492; kritisch hierzu Reiner/Brakemeier, BB 2005, 1458. Ob das Urteil auch auf die Kapitalerhaltung bei der AG anwendbar ist, ist zweifelhaft. Dafür würde sprechen, dass die Kapitalerhaltungsvorschriften bei der AG, § 57 AktG, strenger sind als bei der GmbH, also der Schutz des Kapitals bei der AG nicht hinter dem bei der GmbH zurückbleiben kann. Zweifel ergeben sich jedoch aus der „anonymen“ Struktur der AG. So würde die unbesehene Übertragung des BGH-Urteils auf die AG bedeuten, dass beispielsweise die Darlehensgewährung einer Publikumsgesellschaft (Kreditinstitut) an einen Kunden allein deshalb gegen § 57 AktG verstoßen würde, weil der Kreditnehmer einige Aktien der Bank besitzt. Wegen der Zweifel der Anwendbarkeit des Urteils auf die AG wird im Folgenden nur die GmbH behandelt. In der Literatur wird das Urteil überwiegend unter dem Aspekt diskutiert, inwieweit es auf „Cash-Pooling-Systeme“ anwendbar ist; vgl. hierzu z. B. Seidel, DStR 2004, 1130; Schilmar, DB 2004, 1411; Engert, BB 2005, 1951, 1956; Schäfer, GmbHR 2005, 133, Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317; Langner, GmbHR 2005, 1017, jeweils m. w. N. Dieser Aspekt bleibt im Folgenden außer Betracht.

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II. Unzulässige Kapitalrückzahlung als verdeckte Gewinnausschüttung 1. Darlehensgewährung als verdeckte Gewinnausschüttung Für die folgende Darstellung soll von der Rechtsprechung des BGH a. a. O. ausgegangen werden, d. h. es wird angenommen, dass die Darlehensgewährung an den Gesellschafter, die aus dem nach § 30 GmbHG gebundenen Vermögen finanziert wird, unabhängig von der Bonität des Gesellschafters und der Vollwertigkeit des Anspruchs auf Rückzahlung des Darlehens gegen das gesellschaftsrechtliche Verbot der Einlagenrückgewähr verstößt. Steuerlich könnte dann die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung in doppelter Weise begründet werden. Nimmt man an, dass bei einem Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften sowohl das schuldrechtliche als auch das dingliche Geschäft nach § 134 BGB nichtig sind10, fehlt es an der steuerlichen Voraussetzung der „vorherigen, zivilrechtlich wirksamen Vereinbarung“ für die Darlehenshingabe (wobei unterstellt wird, dass der Gesellschafter die Voraussetzungen eines beherrschenden Gesellschafters erfüllt11). Außerdem könnte argumentiert werden, dass ein „ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter“12 keine Handlungen vornehmen würde, die gegen das handelsrechtliche Verbot der Einlagenrückgewähr verstoßen. Die Darlehensgewährung entspricht also nicht diesem Maßstab und indiziert daher eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung13. Geht man in Übereinstimmung mit diesen Argumenten von dem tatbestandlichen Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung aus, ist die Frage des Bestehens eines Rückgewähranspruches (entweder aus dem Darlehensvertrag oder auf Grund der Nichtigkeit von schuldrechtlichem und dinglichem Rechtsgeschäft) steuerlich unbeachtlich. Wenn die Darlehensgewährung eine verdeckte Gewinnausschüttung ist, stellt der Rückgewähranspruch, unabhängig von seinem zivilrechtlichen Rechtsgrund, steuerlich eine Rückabwicklung der verdeckten Gewinnausschüttung dar. Diese „Rückabwicklung“, d. h. die Rückgewähr des Darlehensbetrages an die Kapitalgesellschaft, ist ebenso wie die Darlehenshingabe als verdeckte Gewinnausschüttung, als gesellschaftsrechtlich veranlasst und damit als Einlage einzuordnen. Eine Rückgewähr des durch die verdeckte Gewinnausschüttung erhaltenen Vorteils in Form einer (verdeckten) Einlage kann die einmal erfolgte verdeckte Gewinnausschüttung nicht ungeschehen machen14.

__________ 10 Dazu unten Ziff. 2. 11 Zu diesen Voraussetzungen Gosch, KStG, zu § 8 Rz. 220 ff.; Frotscher/Maas, KStG, UmwStG, Anh. zu § 8 Rz. 128 ff. 12 Vgl. hierzu Frotscher/Maas, KStG, UmwStG, Anh. zu § 8 Rz. 174 ff. 13 So Berg/Schmich, FR 2005, 190; a.A. Wienands/Teufel, GmbHR 2004, 1301. 14 So die st. Rspr.; BFH v. 25. 5. 1999, BStBl II 2001, 226; vgl. hierzu Frotscher/Maas, KStG, UmwStG, Anh. zu § 8 Rz. 295.

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2. Darlehensgewährung als „Vermögensminderung“ Die unter Ziff. 1 referierte Ansicht, die in der Darlehenshingabe eine verdeckte Gewinnausschüttung sieht, leidet an einem grundlegenden systematischen Fehler. Bevor die steuerliche Systematik jedoch erörtert werden kann, muss ein Blick auf die zivilrechtlichen Folgen der verbotenen Einlagerückgewähr geworfen werden. Für das GmbH-Recht geht die h. M. davon aus, dass jedenfalls im Regelfall weder das schuldrechtliche noch das dingliche Geschäft, das als Einlagerückgewähr qualifiziert wird, nichtig ist. Da bei der GmbH nicht jede Zuwendung an den Gesellschafter unter § 30 GmbHG fällt, sondern nur eine solche, die aus dem garantierten Kapital zu finanzieren ist, steht häufig erst im nachhinein, und u. U. nach langjährigen Auseinandersetzungen, fest, ob eine verbotene Einlagerückgewähr vorliegt. Mit dieser langdauernden Unsicherheit wäre eine Nichtigkeitsfolge nicht zu vereinbaren. Deshalb wird die Folge der verbotenen Einlagerückgewähr allein aus § 31 GmbHG abgeleitet. Daneben ist für die Anwendung des § 134 BGB kein Raum. Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft sind also wirksam15. Das schließt auch einen Rückgewähranspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung, § 812 BGB, aus. Folge für den hier behandelten „Darlehensfall“ ist, dass der GmbH zwei Ansprüche zustehen, der fortbestehende (aber noch nicht fällige) Rückzahlungsanspruch aus der Darlehensvereinbarung und der Rückzahlungsanspruch aus § 31 GmbHG. Für die AG wird bei einem Verstoß gegen § 57 AktG regelmäßig Nichtigkeit sowohl des Verpflichtungs- als auch des Erfüllungsgeschäfts angenommen. Dies ist möglich, da bei der AG jede Vorteilszuwendung an den Gesellschafter unter § 57 AktG fällt, auch wenn das Nennkapital dadurch nicht angegriffen wird. Aber auch für die AG werden Zweifel an dieser Folge der Nichtigkeit von Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft geäußert, wenn ein Fall der „verdeckten Zuwendung“ vorliegt, also gerade für diejenigen Fälle, die eine verdeckte Gewinnausschüttung begründen können16 Ausgehend von dieser Grundlage kann die steuerliche Systematik der Ansicht, ein Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften sei gesellschaftsrechtlich veranlasst und daher eine verdeckte Gewinnausschüttung, näher untersucht werden. Diese Ansicht schließt unvermittelt von der gesellschaftsrechtlichen Unzulässigkeit der Maßnahme auf die steuerrechtlich zu beurteilende gesellschaftsrechtliche Veranlassung. Damit wird ein notwendiger Zwischenschritt über-

__________ 15 BGH v. 23. 6. 1997, BB 1997, 1807; Götte, DStR 1997, 1495; Michalski, GmbHG, zu § 30 Rz. 86 f.; Scholz, GmbHG, zu § 30 Rz. 11, 12. 16 Vgl. Hüffer, AktG, zu § 57 Rz. 23; Bayer, Münchner Kommentar zum AktG, zu § 57 Rz. 137, 140; Henze, in: Großkommentar zum AktG, zu § 57 Rz. 203, 210 m. w. N.

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sprungen, und damit eine korrekte Subsumtion des Falles unter den Tatbestand der verdeckten Gewinnausschüttung versäumt. Eine verdeckte Gewinnausschüttung ist, nach der jüngsten Rechtsprechung des BFH17 eine „Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung), die durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sich auf die Höhe des Unterschiedsbetrags gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG i. V. m. § 8 Abs. 1 KStG auswirkt und in keinem Zusammenhang mit einer offenen Ausschüttung steht“.

Der Tatbestand der verdeckte Gewinnausschüttung besteht danach (soweit es hier interessiert) aus mehreren Elementen, nämlich der „Vermögensminderung bzw. verhinderten Vermögensmehrung“ (erste Stufe der Prüfung), die sich auf den Unterschiedsbetrag nach § 4 Abs. 1 EStG auswirkt und durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist (zweite Stufe der Prüfung)18. Es ist also auf der „ersten Stufe“, d. h. bei einem bilanzierenden Steuerpflichtigen an Hand der Steuerbilanz, zu prüfen, ob die Maßnahme der Kapitalgesellschaft zu einer „Vermögensminderung oder verhinderten Vermögensmehrung“ geführt hat. Erst, wenn das bejaht wird, stellt sich auf der zweiten Stufe die Frage nach der gesellschaftsrechtlichen Veranlassung dieser Vermögensminderung oder verhinderten Vermögensmehrung (bzw. des „Unterschiedsbetrags“ nach § 4 Abs. 1 EStG). Es muss also erst eine Vermögensminderung (verhinderte Vermögensmehrung) bzw. ein Unterschiedsbetrag nach § 4 Abs. 1 EStG vorliegen und festgestellt sein, bevor nach dessen Veranlassung gefragt werden kann. Die unter Ziff. 1 referierte Ansicht verkennt diese systematischen Zusammenhänge, indem sie aus der gesellschaftsrechtlichen Unzulässigkeit der Maßnahme sofort auf die gesellschaftsrechtliche Veranlassung schließt. Dabei wird versäumt, festzustellen, worin denn die Vermögensminderung bzw. verhinderte Vermögensmehrung liegt. Dadurch wird die Frage nach der gesellschaftsrechtlichen Veranlassung systematisch aber sinnlos, denn es ist nicht festgestellt, welche Vermögensminderung denn veranlasst sein soll. Es wird also nach der Veranlassung von etwas gefragt, dessen Vorhandensein noch gar nicht festgestellt worden ist.

__________ 17 seit BFH v. 7. 8. 2002, I R 2/02, BStBl II 2004, 131 st. Rspr. 18 Zu der „zweistufigen Prüfung“ vgl. Wassermeyer, DB 2002, 2668. Es ist nach der Definition des BFH a. a. O. nicht ganz klar, ob der „Unterschiedsbetrag“ zu der ersten oder der zweiten Stufe der Prüfung gehört; vgl. hierzu Frotscher, in: Tagungsband, Sächsische Steuertagung 2005, S. 75, 78; Frotscher/Maas, KStG, UmwStG, Anh. zu § 8 Rz. 35b; vgl. auch Gosch, KStG, zu § 8 Rz. 169; Wassermeyer, IStR 2001, 633. Unzweifelhaft dürfte aber sein, dass die „Vermögensminderung bzw. verhinderte Vermögensmehrung“ zu der ersten Stufe, die „gesellschaftsrechtlich Veranlassung“ zu der zweiten Stufe gehört. Nur hierauf kommt es für die Beurteilung der hier diskutierten Frage aber an.

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Es ist daher zuerst nach der „Vermögensminderung“ zu fragen19. Dabei ist die Frage dahin zu konkretisieren, ob die Darlehensgewährung an den Gesellschafter auf der ersten, der bilanziellen Stufe, zu einer Vermögensminderung der Kapitalgesellschaft geführt hat, ob also ihr in der Steuerbilanz ausgewiesenes Vermögen verringert worden ist. Diese Frage ist offensichtlich zu verneinen. Im Zeitpunkt der Hingabe des Darlehens ist ein Rückzahlungsanspruch der Kapitalgesellschaft gegen den Gesellschafter einzubuchen und in der Bilanz auszuweisen. Von Bedeutung ist dabei lediglich, dass dieser Rückzahlungsanspruch zivilrechtlich besteht und dass er angesichts der Bonität des Gesellschafters vollwertig ist20. Es kommt dabei nicht darauf an, welchen zivilrechtlichen Rechtsgrund dieser Rückzahlungsanspruch hat, ob es sich also um einen (noch nicht sofort fälligen) Rückzahlungsanspruch aus der Darlehensabrede oder um einen sofort fälligen Rückzahlungsanspruch aus § 31 GmbHG bzw. § 62 AktG handelt21. Steuerlich maßgebend ist nur, dass die Darlehensvaluta dem Gesellschafter nicht als endgültig, sondern nur auf Zeit überlassen wurde und daher ein vollwertiger Rückzahlungsanspruch bestand. Ob zivilrechtlich der Rechtsgrund des Rückzahlungsanspruch aus dem Darlehensvertrag gegen den Rechtsgrund aus § 31 GmbHG ausgetauscht wurde oder ob beide Rückzahlungsansprüche in Anspruchskonkurrenz nebeneinander bestehen, ist steuerlich ohne Bedeutung22. Durch die Aktivierung des Rückzahlungsanspruchs ist das Vermögen der Kapitalgesellschaft nicht gemindert worden, es fehlt also an dem Tatbestandsmerkmal der „Vermögensminderung“23. Dies entspricht der Recht-

__________ 19 Bei dem hier besprochenen Fall kommt eine „verhinderte Vermögensmehrung“ nicht in Betracht. 20 Was nach dem Sachverhalt zu unterstellen ist. Ist der Rückforderungsanspruch nicht vollwertig, hat eine Wertberichtigung der Forderung zu erfolgen. In dieser Wertberichtigung liegt eine steuerbilanzielle Vermögensminderung, für die die Frage nach der gesellschaftsrechtlichen Veranlassung gestellt werden kann. Vgl. hierzu BFH v. 14. 7. 2004, BStBl II 2004, 1010. Dieser Fall wird hier aber nicht diskutiert. 21 Geht man mit der h. M. (Fn. 15) von der Wirksamkeit des Verpflichtungs- und des Erfüllungsgeschäfts aus, also von der Wirksamkeit des Darlehensvertrages, stehen der GmbH zwei Rückzahlungsansprüche zu, nämlich der aus § 31 GmbHG und der aus dem Darlehensvertrag. Dabei kann mangels einer „Identität des Leistungsinteresses“ aus der Erfüllung des einen Anspruchs nicht unbedingt auf das Erlöschen auch des anderen Anspruchs geschlossen werden. Vgl hierzu Reiner/ Brakemeier, BB 2005, 1458, 1461. Für die steuerliche Behandlung ist die zivilrechtliche Anspruchsgrundlage jedoch unbeachtlich; wichtig ist nur, dass eindeutig ein solcher Rückforderungsanspruch besteht, der vollwertig ist. 22 Anders wäre es nur, wenn der Vermögensgegenstand dem Gesellschafter endgültig übertragen werden sollte und dann ein Rückforderungsanspruch aus § 31 GmbHG entsteht. Dann liegt ein neuer Anspruch vor, der unabhängig von der ursprünglichen Hingabe des Vermögensgegenstandes ist, nicht nur ein „Austausch“ des Rechtsgrundes des Rückzahlungsanspruchs. 23 So im Ergebnis auch Wienands/Teufel, GmbHR 2004, 1301.

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sprechung des BFH24, wonach die Aktivierung einer vollwertigen Forderung Vorrang vor dem Tatbestand der verdeckten Gewinnausschüttung hat. Da somit das in der Steuerbilanz ausgewiesene Vermögen der Kapitalgesellschaft durch die Darlehensgewährung nicht gemindert ist, liegt schon auf der „ersten Stufe“ der Prüfung der Tatbestand der verdeckten Gewinnausschüttung nicht vor. Damit entfällt die Frage nach der Veranlassung auf der zweiten Stufe. Das bedeutet, dass es ohne Bedeutung ist, ob der Vorgang gesellschaftsrechtlich veranlasst ist, oder ob er einen anderen Veranlassungszusammenhang aufweist. Die Frage nach dem Veranlassungszusammenhang kann sich nicht stellen. Da auf der „ersten Stufe“ bereits keine Vermögensminderung vorliegt, ist auch die Frage nach dem Charakter eines etwaigen Rückwähranspruchs gegenstandslos. Diese Frage würde sich nur stellen, wenn auf der ersten Stufe eine Vermögensminderung und auf der zweiten Stufe eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung vorläge, also der Tatbestand der verdeckten Gewinnausschüttung verwirklicht worden wäre. Dies ist jedoch, wie dargestellt, nicht der Fall. 3. Zum Schutzobjekt des Instituts der verdeckten Gewinnausschüttung Das Ergebnis der Ausführungen unter Ziff. 2, dass bei der Darlehensgewährung trotz handelsrechtlicher Unzulässigkeit keine „Vermögensminderung“ und damit keine verdeckte Gewinnausschüttung vorliegen, ergibt sich aus der begrifflichen Auslegung des Begriffs der „Vermögensminderung“. Diese „begriffliche“ Argumentation bedarf der Absicherung durch teleologische Überlegungen. Ob das Handeln des Geschäftsleiters steuerlich als verdeckte Gewinnausschüttung zu werten ist, richtet sich nach dem Zweck, den dieses Institut im Steuerrecht zu erfüllen hat. Allgemein gesprochen, soll das Institut der verdeckten Gewinnausschüttung verhindern, dass die steuerlich zu erfassende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kapitalgesellschaft dadurch vermindert wird, dass Vermögen der Kapitalgesellschaft auf den Gesellschafter übertragen wird. Regelungsziel der verdeckten Gewinnausschüttung ist also die Verhinderung einer nicht der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechende und daher gleichheitswidrige Besteuerung der Kapitalgesellschaft25. Nur wenn das Verhalten des Geschäftsleiters diesem Regelungsziel widerspricht, liegt eine verdeckte Gewinnausschüttung vor. Die handelsrechtlichen Vorschriften über die Kapitalerhaltung, §§ 30, 31 GmbHG, haben demgegenüber ein anderes Regelungsziel; die zutreffende steuerliche Erfassung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Kapitalge-

__________

24 BFH v. 14. 9. 1994, BStBl II 1997, 89; BFH v. 30. 7. 1997, BStBl II 1998, 402; ebenso für die Aktivierung eines vollwertigen Rückforderungsanspruchs aus einer Darlehensvereinbarung BFH v. 20. 10. 2004, BFH/NV 2005, 916. 25 Vgl. hierzu Frotscher/Maas, KStG, UmwStG, Anh. zu § 8 Rz. 7 ff.

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sellschaft ist kein gesellschaftsrechtliches Regelungsprinzip, das im Rahmen einer teleologischen Auslegung der betreffenden Vorschriften herangezogen werden könnte. Die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften sollen das Nennkapital und damit die den Gläubigern zur Verfügung stehende, durch die Eintragung im Handelsregister garantierte Haftungsmasse sichern. Dieser Zweck ist bei der teleologischen Auslegung zugrunde zu legen und daher jede Handlung als gegen § 30 GmbHG verstoßend einzuordnen, die diese Haftungsmasse gefährdet. Besonders deutlich wird dies in der Argumentation des BGH26. Der BGH hat ausdrücklich entschieden, dass hinsichtlich des Grundsatzes der Kapitalerhaltung „eine bilanzrechtliche Betrachtungsweise zu kurz greife“. Mit dem Ziel der Erhaltung einer das Stammkapital deckenden Haftungsmasse sei es nicht vereinbar, wenn der Gesellschafter der GmbH zu Lasten des gebundenen Gesellschaftsvermögens Kapital im Austausch für zeitlich hinausgeschobene schuldrechtliche Rückzahlungsansprüche entziehen könnte. Dieser Argumentation entspricht es, dass nach § 30 GmbHG die „Auszahlung“ nicht zulässig ist27, nicht etwa eine Vermögensminderung. An dieser Argumentation werden die wesentlichen Unterschiede einer gesellschaftsrechtlichen zu einer steuerlichen Betrachtungsweise deutlich. Der BGH a. a. O. argumentiert, in Übereinstimmung mit der teleologischen Auslegungsmethode, aus dem Telos der Kapitalerhaltungsvorschriften heraus. Dabei kommt es auf jede Gefährdung des gebundenen Kapitals an, gleichgültig, ob sich diese in der Bilanz niederschlägt oder nicht. Schädlich ist auch eine bloße Gefährdung der Liquidität (Austausch sofort verfügbarer Mittel gegen eine nicht fällige Darlehensforderung). Für das steuerliche Regelungsziel des Instituts der verdeckte Gewinnausschüttung, nämlich die Sicherstellung der steuerlichen Erfassung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Kapitalgesellschaft, sind alle diese handelsrechtlichen Regelungsziele ohne Bedeutung und dürfen bei einer auf das Telos der steuerrechtlichen Regelung zielenden Auslegung nicht verwendet werden. Steuerlich ist es ohne Bedeutung, ob die den Gläubigern zur Verfügung stehende Haftungsmasse gefährdet oder vermindert wird; solange sich dies nicht auf die steuerlich zu erfassende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (den steuerlichen Gewinn) auswirkt, ist dies irrelevant. Auch die Liquidität ist kein steuerlicher Beurteilungsparameter; steuerlich begründen liquide Mittel keine höhere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als ein erst in ferner Zukunft fällig werdender vollwertiger Darlehensanspruch. Schließlich kommt es für die Feststellung einer verdeckten Gewinnausschüttung im Steuerrecht gerade auf die bilanzielle Behandlung an; die Definition der verdeckten Gewinnausschüttung bezieht sich ausdrücklich auf den „Unterschiedsbetrag nach § 4 Abs. 1 EStG“ (vgl. hierzu oben Abschn. 2), und damit

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26 Vgl. BGH v. 24. 11. 2003, II ZR 171/01, DStR 2004, 427. 27 Diesen Aspekt betont Engert, BB 2005, 1951, 1954.

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auf die (Steuer-)Bilanz28. Steuerlich maßgebend ist also die bilanzielle Vermögensminderung, nicht aber eine „Auszahlung“ i. S. d. § 30 GmbHG. Das Schutzobjekt der Regelungen über die verdeckte Gewinnausschüttung ist daher im Steuerecht ein anderes als das der Kapitalerhaltungsvorschriften im Gesellschaftsrecht29. Aus der gesellschaftsrechtlichen Unzulässigkeit einer Maßnahme können also für das Vorliegen einer verdeckte Gewinnausschüttung keinerlei Schlüsse gezogen werden. 4. Zur Frage der „gesellschaftsrechtlichen Veranlassung“ Aber auch, wenn man annehmen würde, dass das Merkmal der „Vermögensminderung oder verhinderten Vermögensmehrung“ vorläge, wäre aus den oben in Abschn. 3 genannten Gründen der einfache Schluss von der „gesellschaftsrechtlich unzulässigen Einlagenrückgewähr“ auf die „gesellschaftsrechtliche Veranlassung“ i. S. des Instituts der verdeckten Gewinnausschüttung unzulässig und würde in die Irre führen. Der steuerliche Maßstab des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters, der die gesellschaftsrechtliche Veranlassung indiziert, ist aus dem Gesellschaftsrecht, nämlich den §§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG, § 43 Abs. 1 GmbHG, entnommen. Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter hat die Aufgabe, die eigenbetrieblichen Zwecke der Kapitalgesellschaft zu verfolgen; es ist nicht seine Aufgabe, die Gesellschafter zu begünstigen. Die Gesellschafter erhalten die Vorteile aus der Tätigkeit der Kapitalgesellschaft nach der Wertung des Gesetzes nur durch eine ordnungsgemäße Gewinnausschüttung; dies ist aber Aufgabe der Gesellschafterversammlung, nicht des Geschäftsführers. Insoweit führt ein durch die Aufgabenstellung nicht gedecktes Verhalten des Geschäftsleiters zu einer steuerlichen verdeckten Gewinnausschüttung. Daraus folgt aber nicht, dass jedes Handeln des Geschäftsleiters, das handelsrechtlich als nicht ordnungsgemäß einzustufen ist, auch zu einer verdeckten Gewinnausschüttung führt. Im „Darlehensfall“ ist das Handeln des Geschäftsführers bei der Darlehenshingabe aus handelsrechtlicher Sicht deshalb nicht ordnungsgemäß, weil er damit gegen die Vorschriften zur Kapitalerhaltung verstößt. Da die Kapitalerhaltung kein steuerliches Beurteilungskriterium ist, folgt aus der handelsrechtlichen Wertung nicht, dass sein Verhalten auch aus steuerlicher Sicht nicht ordnungsgemäß ist, dass er also das steuerliche Verbot, verdeckte Gewinnausschüttungen vorzunehmen, verletzt hat. Somit könnte aus einem handelsrechtlich unzulässigen Verhalten eines Geschäftsleiters nur dann auf einen Verstoß gegen den steuerlichen Maßstab

__________ 28 Zuletzt bestätigt von BFH v. 14. 7. 2004, BStBl II 2004, 1010. 29 Hierzu Pezzer, FR 1996, 379; Frotscher, GmbHR 1998, 23.

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des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters geschlossen werden, wenn dieses Verhalten ohne die entsprechende Korrektur zu einer Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Kapitalgesellschaft, und damit zu einer unrichtigen Besteuerung führen würde. In den hier besprochenen Fällen der Darlehensgewährung an den Gesellschafter unter Verstoß gegen § 30 GmbHG ist das aber nicht der Fall. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kapitalgesellschaft wird durch die Darlehensgewährung (den Marktverhältnissen entsprechende Verzinsung vorausgesetzt) nicht gemindert. Die steuerliche Belastung entspricht auch bei Berücksichtigung des Darlehensverhältnisses den steuergesetzlichen Regelungen, so dass eine Korrektur durch die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung nicht erforderlich ist. Eine solche Korrektur würde umgekehrt zu einer gleichheitswidrigen Überbesteuerung führen. Der Schluss von einer gesellschaftsrechtlich unzulässigen Kapitalrückgewähr auf eine steuerliche verdeckte Gewinnausschüttung verkennt diese Zusammenhänge und führt daher zu falschen Ergebnissen. Entsprechendes gilt, wenn aus der zivilrechtlichen Nichtigkeit des Darlehensverhältnisses30 bei einem beherrschenden Gesellschafter auf die gesellschaftsrechtliche Veranlassung geschlossen wird. Auch das Merkmal der „vorherigen, zivilrechtlich wirksamen, klaren und eindeutigen Vereinbarung“ kann nur dann eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung i. S. der Regelungen zur verdeckten Gewinnausschüttung indizieren, wenn andernfalls die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kapitalgesellschaft unterschätzt und daher eine gleichheitswidrige Besteuerung eintreten würde. Das ist aber, wie dargelegt, nicht der Fall. Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die Darlehensgewährung nur auf Grund des steuerlichen Tatbestandes der verdeckten Gewinnausschüttung daraufhin zu beurteilen ist, ob eine Korrektur des steuerpflichtigen Gewinns erforderlich ist oder nicht. Der Umstand, dass die Darlehensgewährung gesellschaftsrechtlich wegen Verstoßes gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften unzulässig war, spielt bei der steuerlichen Beurteilung keine Rolle. Diese Beurteilung, die die Ebene der Kapitalgesellschaft betrifft, findet ihre Entsprechung, wenn man die Ebene des Gesellschafters untersucht, der das Darlehen erhalten hat. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG gehört die verdeckte Gewinnausschüttung zu den „sonstigen Bezügen“ i. S. d. Einkünfte aus Kapitalvermögen. Dem Gesellschafter sind aber keine „sonstigen Bezüge“ aus der Beteiligung zugeflossen. Er hat vielmehr eine Darlehenssumme erhalten, die nach übereinstimmender Ansicht der Vertragsparteien bei Eintritt der vertraglichen Fälligkeit zurückzuzahlen war. „Bezüge aus der Beteiligung“

__________ 30 Z. B. bei einer AG; vgl. hierzu Fn. 16.

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Verdeckte Gewinnausschüttung und Grundsatz der Kapitalerhaltung

haben das Ziel, dem Gesellschafter auf Dauer zu verbleiben; eine Darlehenssumme wird dagegen von vornherein nur auf Zeit gewährt, und ist daher kein „Bezug“ i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. 5. Sonstige Fälle der unzulässigen Kapitalrückzahlung Das gefundene Ergebnis, dass eine unzulässige Kapitalrückzahlung nicht notwendig zu einer verdeckten Gewinnausschüttung führt, gilt auch für andere Fälle. Solche Fälle sind etwa gegeben, wenn gegen das Verbot der Unterpari-Emission (§ 9 Abs. 1 AktG), des Erlasses von ausstehenden Einlagen (§ 66 Abs. 1 S. 1 AktG, § 19 Abs. 2 S. 1 GmbHG), des unzulässigen Erwerbs eigener Aktien (§§ 71 ff. AktG) oder das Verbot der Ausschüttung, wenn kein ausschüttbarer Gewinn ausgewiesen wird (§ 57 Abs. 3 AktG, § 29 Abs. 1 GmbHG), verstoßen wird. In allen diesen Fällen ist der „Unterschiedsbetrag i. S. d. § 4 Abs. 1 EStG“, d. h. der steuerpflichtige Gewinn, nicht gemindert. Diese Vorgänge haben, da sie nur die Eigenkapitalebene betreffen, schon von Natur aus keinen Einfluss auf die Höhe des Gewinns. Damit ist auch die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung ausgeschlossen, mag auch den Geschäftsleiter der Vorwurf des nicht ordnungsgemäßen Verhaltens treffen. Andererseits kann eine gesellschaftsrechtlich unzulässige Einlagenrückgewähr durchaus mit einer steuerlichen verdeckten Gewinnausschüttung zusammentreffen. Das ist etwa der Fall, wenn eine GmbH aus gesellschaftsrechtlichen Gründen für eine Leistung des Gesellschafters eine zu hohe Vergütung zahlt, und diese Vergütung mangels anderer Mittel aus dem gebundenen Kapital gezahlt werden muss. Gerade dieses letzte Beispiel zeigt aber den Unterschied zwischen gesellschaftsrechtlicher und steuerrechtlicher Regelung. Für die steuerliche Beurteilung ist es in dem genannten Fall ohne jede Bedeutung, ob die (überhöhte) Vergütung aus dem gesellschaftsrechtlich gebundenen Kapital (Nennkapital) oder aus freiem Kapital (Gewinnrücklagen, Gewinnvortrag) entrichtet wird. Es handelt sich in allen Fällen um eine steuerlich zu korrigierende verdeckte Gewinnausschüttung. Gesellschaftsrechtlich ist der Vorgang aber nur dann unzulässig, wenn das gebundene Kapital angegriffen wird. Ist dies nicht der Fall, kann die Vergütung also aus freien Rücklagen oder Gewinnvortrag entrichtet werden, ist der Vorgang zulässig31.

__________ 31 Jedenfalls bei dem Gesellschafter einer Ein-Mann-GmbH. Wenn für eine mehrgliedrige GmbH aus Gründen des Schutzes der anderen Gesellschafter Abweichendes gelten sollte, hängt dies mit dem Schutzziel der entsprechenden Regelungen zusammen, nicht aber damit, dass steuerlich eine verdeckte Gewinnausschüttung vorliegt.

373

Gerrit Frotscher

III. Folgerungen für das Verhältnis des Steuerrechts zum Gesellschaftsrecht Aus den bisherigen Ausführungen lassen sich allgemeine Grundsätze für die Verwendung zivilrechtlicher Begriffe im Steuerrecht ableiten. Das Steuerrecht ist ein eigenständiges Rechtsgebiet, das eigene Zwecke verfolgt und hierzu eigenständige Begriffe entwickelt. Dementsprechend sind die steuerrechtlichen Begriffe nur nach dem Telos des Steuerrechts auszulegen. Im Fall der Ertragsteuern besteht dieses Telos in der Sicherstellung der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Das gilt auch, wenn das Steuerrecht Begriffe aus dem Zivilrecht entlehnt. Auch dann sind diese Begriffe, sind sie erst einmal in das Steuerrecht übertragen, nach dem Zweck auszulegen, den sie im Rahmen des Steuerrechts verfolgen. Dieser jeweilige steuerrechtliche Zweck wird regelmäßig von demjenigen, dem der gleichlautende Begriff im Zivilrecht dient, verschieden sein. Das Ergebnis einer teleologischen Auslegung des Begriffs muss daher in dem jeweiligen Rechtsgebiet verschieden von dem Auslegungsergebnis in dem anderen Rechtsgebiet ausfallen. Ein Gleichklang der Auslegungsergebnisse ist möglich, aber mehr Zufall als systematische Notwendigkeit.

IV. Ergebnis Die vorstehenden Ausführungen haben ergeben, dass aus einem gesellschaftsrechtlich unzulässigen Handeln nicht ohne weiteres auf das Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung geschlossen werden kann. Vielmehr ist dieses Handeln, unabhängig von der zivilrechtlichen Wertung, daraufhin zu untersuchen, ob es einen steuerlichen Tatbestand erfüllt. Dabei sind die Begriffe des jeweiligen Steuertatbestandes nach ihrem steuerlichen Telos auszulegen, und zwar auch dann, wenn diese Begriffe ursprünglich aus dem Zivilrecht übernommen wurden. Eine Übertragung der zivilrechtlichen Wertungen in das Steuerrecht ist systematisch falsch und führt regelmäßig zu unrichtigen Ergebnissen32.

__________ 32 Ein Musterbeispiel hierfür ist die (wieder aufgegebene) Rechtsprechung zum Wettbewerbsverbot des Geschäftsführers bzw. Gesellschafters; vgl. Fn. 3.

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Dirk Pohl

Die „deutsche Limited“ Inhaltsübersicht I. Wettbewerb der Gesellschaftsrechte in der EU II. Vergleich GmbH – „deutsche Limited“ 1. Gründung 2. Akzeptanz im Geschäftsverkehr 3. Laufende Geschäftsführung a) Publizität b) Rechnungslegung c) Besteuerung 4. Strukturelle Fragen a) Kapitalerhöhung, Anteilsübertragung

b) Umstrukturierung c) Mitbestimmung 5. Krise und Insolvenz a) Insolvenzeröffnung in UK oder Deutschland? b) Insolvenzantragspflicht c) Eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen III. Besondere Steuerrechtsfragen 1. Gesellschafter-Darlehen 2. Limited als Organgesellschaft? IV. Schlussbemerkung

Mit Arndt Raupach verbindet mich mittlerweile im zehnten Jahr eine enge berufliche Zusammenarbeit. Als junger Rechtsanwalt fing ich Anfang 1997 in seinem Arbeitsbereich an. Nach zwei gemeinsamen beruflichen Wechseln sitzen wir noch heute täglich Zimmer an Zimmer. Auch führen wir noch manches Mandat gemeinsam und ergänzen uns dabei aus meiner Sicht (und hoffentlich auch aus derjenigen unserer Mandanten) ganz hervorragend. Dabei habe ich Arndt Raupach als einen herausragenden Steuerrechtler kennen gelernt, der Wissenschaft und Praxis vereint, aber in erster Linie mit „Leib und Seele“ Anwalt ist. Aus unserer gemeinsamen Praxis sind auch gemeinsame Vorträge, Tagungen und Veröffentlichungen entstanden. Neben der Tagung Praxis des Internationalen Steuerrechts des Deutschen Anwaltsinstituts, die Arndt Raupach 1972 ins Leben rief, sind hier insbesondere die Steuerrechtlichen Jahresarbeitstagungen der Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht e.V. zu nennen. Auf der letztgenannten Tagung leitet Arndt Raupach stets ein Thema, das Gesellschafts-, Bilanz-, Europa- und Steuerrecht miteinander verzahnt. Dieser hohe Anspruch spiegelt sich auch in seiner praktischen Arbeit wider. Geprägt hat Arndt Raupach den Begriff der „steuerzentrierten Rechtsberatung“. In einer früheren Kanzleibroschüre gab er als einen Tätigkeitsschwerpunkt die integrierte Rechts-, Steuer- und Organisationsberatung von Unternehmen an. Es lag daher für mich nahe, für diesen Beitrag dem neuen Phänomen der Nutzung ausländischer Rechtsformen im Inland nachzugehen. Dies soll hier am Beispiel der mittlerweile weit verbreiteten Limited englischen Rechts 375

Dirk Pohl

erfolgen, die zunehmend die GmbH verdrängt. Eine Limited, die lediglich im Inland tätig ist, hat der Jubilar prägnant als „deutsche Limited“ bezeichnet.

I. Wettbewerb der Gesellschaftsrechte in der EU Die EuGH-Entscheidungen in den Rechtssachen Centros1, Überseering2 und Inspire Art3 führen zum Wettbewerb der Gesellschaftsrechte innerhalb der EU. Wenn ein anderer EU-Staat einer Gesellschaft auch dann ihr „Rechtskleid“ verleiht, wenn diese nur ihren satzungsmäßigen Sitz, aber nicht ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in diesem Staat hat (sog. „Gründungstheorie“), ist dies auch im Zuzugsstaat anzuerkennen. Die ausländische Kapitalgesellschaft genießt insoweit den Schutz durch die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 und 48 EGV. Nicht entschieden ist damit, ob die sog. „Sitztheorie“ im Fall des Wegzugs einer deutschen GmbH oder AG gegen EG-Grundfreiheiten verstößt. Nach der EuGH-Rechtsprechung Inspire Art4 genießen dabei auch „Scheinauslandsgesellschaften“, die von vornherein nur ihren statuarischen Sitz im Ausland haben, aber ausschließlich im Inland tätig werden, den Schutz der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 EGV. Auch wenn die ausländische Rechtsform allein mit dem Zweck gegründet wird, das günstigere ausländische Gesellschaftsrecht für die inländische Betätigung auszunutzen, liegt darin kein Missbrauch der Niederlassungsfreiheit. Denn es geht nicht um die Niederlassungsfreiheit des Gesellschafters, sondern diejenige der Gesellschaft. Zumindest die Gesellschaft als solche missbraucht nicht, sondern gebraucht ihre Niederlassungsfreiheit. Je nach Interessenlage mag man dies begrüßen oder beklagen: –

Für den Unternehmensgründer erweitern sich die Optionen bei der Rechtsformwahl.



Für den deutschen Gesetzgeber mag Handlungsdruck im Hinblick auf die Schwächen des nationalen Gesellschaftsrechts oder zur Verteidigung von dessen Stärken und Schutzfunktionen entstehen.



Für Berater, die das ausländische Recht bei der Beratung mit abdecken können, eröffnen sich Chancen, während andere (einschließlich Notare) Einbußen befürchten.

Allein im Jahre 2004 sollen sich 17 400 Deutsche als Direktoren einer Limited in das britische Zentralregister „Companies House“ in Cardiff eintragen

__________ 1 2 3 4

EuGH v. 9. 3. 1999, Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459. EuGH v. 5. 11. 2002, Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919. EuGH v. 30. 9. 2003, Rs. C-167/01, NJW 2003, 3331. Fn. 3, Tz. 136 ff.

376

Die „deutsche Limited“

lassen haben.5 Dagegen ist bei der Gründung von GmbHs ein rückläufiger Trend zu verzeichnen. Von ca. 55 400 Gründungen in 1999 sank die Anzahl der Gründungen bis 2004 kontinuierlich auf nur noch ca. 38 000 pro Jahr.6

II. Vergleich GmbH – „deutsche Limited“ Ein Unternehmensgründer wird von seinem Berater erwarten, dass er ihm nicht nur die Unterschiede zwischen Kapital- und Personengesellschaft, sondern auch die Vor- und Nachteile zwischen einer GmbH und einer „deutschen Limited“ oder anderen ausländischen Rechtsformen (in Betracht kommt insbesondere auch eine niederländische „besloten vennotschap met beperkte aansprakelijkheid“ = B.V.) bzw. zwischen einer GmbH & Co. KG und einer Ltd. & Co. KG aufzeigt.7 Die wesentlichen Aspekte lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Gründung Vor allem Existenzgründer scheinen durch die schnelle und kostengünstige Errichtung einer Ltd. angezogen zu werden:8 Limited

GmbH

Dauer

5–7 Tage gegen Aufpreis „über Nacht“

ca. 1 Monat

Kosten

ab 200 Euro im Internet bis ca. 2000 Euro

ca. 1500 Euro

Haftungskapital

mindestens 1 £

mindestens 25 000 Euro

Die Gründung der Ltd. ist unkompliziert. Für sämtliche Gesellschaften in England und Wales ist das Companies House in Cardiff zuständig. Die Gründung kann im „Do-it-your-self-Verfahren“ erfolgen (www.companies house.org.uk) oder unter Heranziehung eines der verschiedenen Dienstleister (sog. „formation agents“), die die Rechtsform der Limited auch in Deutschland „anpreisen“. Der Firmenname ist frei wählbar. Auch deutsche Namen sind möglich. Der Rechtsformzusatz Limited oder Ltd. ist zwingend. Die Fallstricke bei der Kapitalaufbringung im Gründungsrecht der GmbH werden vermieden.9

__________ 5 6 7 8 9

Kessler/Eicke, DStR 2005, 2101. Handelsblatt v. 6. 4. 2005, 3. Werner, GmbHR 2005, 288 ff. Luke, Die U.K. Limited, 2005, 110. Kallmeyer, DB 2004, 636.

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Dirk Pohl

Allerdings ist noch das Prozedere für die Eintragung einer Zweigniederlassung im Inland zu durchlaufen (§§ 13d–13g HGB), da diese Vorschriften u. E. erst recht gelten, wenn es sich nicht um eine Zweigniederlassung im herkömmlichen Sinn handelt.10 Diese Prozedur ist umständlicher als die Eintragung einer GmbH in das deutsche Handelsregister.11 Nach dem BGH-Urteil v. 14. 3. 200512 steht die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43 EGV einer analogen Anwendung von § 11 Abs. 2 GmbHG wegen Nichteintragung einer „Zweigniederlassung“ entgegen. Die Haftung richtet sich nach dem am Ort der Gründung geltenden Recht.13 Die Eintragung einer Befreiung des Geschäftsführers von den Beschränkungen des § 181 BGB ist bei der Zweigniederlassung einer Limited grundsätzlich unzulässig, da es nach englischem Recht kein allgemeines Verbot von „Insich-Geschäften“ gibt, wobei sich Beschränkungen aber aus Treuepflichten ergeben können14; siehe auch Vorlage des LG Berlin v. 31. 8. 200415 zur Zahlung eines Vorschusses in Höhe der zu erwartenden Kosten für die Veröffentlichung des Geschäftsgegenstandes der Zweigniederlassung einer Limited; siehe zu den Anforderungen an die Konkretisierung des Unternehmensgegenstandes bei Eintragung der Zweigniederlassung einer Limited OLG Hamm, Beschluss v. 28. 6. 2005.16 2. Akzeptanz im Geschäftsverkehr Jedenfalls der Einwand, dass Geschäftspartner einer derartigen, unterkapitalisierten „Billig-GmbH“ mit Misstrauen begegnen könnten, scheint von der Gründung einer Ltd. nicht abzuhalten. Dies mag bei seriösen Gründern an der Erfahrung liegen, dass auch ein GmbH-Gesellschafter in der Gründungsphase (bspw. gegenüber einer finanzierenden Bank) kaum daran vorbei kommen wird, persönliche Haftungsrisiken (wie bspw. die Absicherung eines Darlehens durch eine Bürgschaft) einzugehen. Ebenso dürfte auch die zunehmende Verbreitung der Ltd. in Deutschland deren Akzeptanz im Geschäftsleben erhöhen, so dass nicht allein die Skepsis vor einer ausländischen Rechtsform hinderlich wirkt.

__________ 10 Mankowski, in Hirte/Bücker, Grenzüberschreitende Gesellschaften, 2005, § 12; Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 2005, 4 ff.; Klose/ Mokroß, DStR 2005, 971; a. A. Ebert/Levedag, GmbHR 2003, 1337 (1338). 11 Kallmeyer, Fn. 9, 637. 12 II Z R 5/03, DB 2005, 1047. 13 Siehe dazu auch die Urteilsanmerkung von Ressos, DB 2005, 1048 f. 14 OLG München, Beschluss v. 17. 8. 2005, DB 2005, 1955. 15 GmbHR 2005, 686. 16 DB 2005, 2292.

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Die „deutsche Limited“

Es dürfte aber auch eine Vielzahl von unseriösen Ltd.-Gründungen erfolgt sein: –

Der Hinweis, dass es sich um eine billige Möglichkeit zur Vermeidung der deutschen Sozialversicherung handeln kann (nach § 2 Nr. 8 SGB V unterliegen auch selbständige Handwerker der Rentenversicherung), ist im Grundsatz zutreffend, aber kaum geeignet, das Vertrauen in die Rechtsform zu fördern.



Angebliche Vorteile, wie die Vermeidung einer IHK-Mitgliedschaft oder die Eintragung in die Handwerksrolle, erweisen sich jedenfalls dann als nicht realisierbar, wenn auf Grund der Zweigniederlassung im Inland nicht die Dienstleistungs-, sondern die Niederlassungsfreiheit betroffen ist.17



Manche Möglichkeiten der Ltd. könnten auch in den Bereich der Strafbarkeit führen: So wird z. B. darauf verwiesen, dass man mittels eines Treuhänders die Identität des „wahren Gründers“ der Ltd. verschleiern könne und so den Ablauf der Wohlverhaltensperiode nach einer Privatinsolvenz im Hinblick auf die Restschuldbefreiung aussitzen könne.18 Auch ein Steuersparmodell ist die „deutsche Limited“ entgegen allen Gerüchten nicht.



Wenig vertrauenerweckend erscheint auch der Hinweis, dass nach §§ 130, 253 ZPO für die Zustellung einer Klage die gesetzlichen Vertreter einer beklagten Ltd. anzugeben sind und sich häufig hinter dem Direktor der Ltd. eine weitere Gesellschaft verbirgt, so dass Klagen faktisch unzustellbar sein können.19

Angesichts der Vielzahl von Ltd.-Gründungen sah das Bundesjustizministerium Handlungsbedarf für das GmbH-Recht. Am 1. 6. 2005 verabschiedete die alte Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Neuregelung des Mindestkapitals im GmbH-Recht, der u. a. eine Herabsetzung des Mindestkapitals für die Gründung einer GmbH von bisher 25 000 Euro auf nur noch 10 000 Euro zum 1. 1. 2006 vorsah. Die Maßnahme sollte ein erster Schritt hin zu einer umfassenden Reform des GmbH-Rechts sein. Die damalige Opposition verhinderte eine Verabschiedung des Regierungsentwurfs im Bundestag. Laut dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD v. 11. 11. 2005 sollen nunmehr Unternehmensgründungen mit einer Novellierung des GmbH-Gesetzes nachhaltig erleichtert und beschleunigt, die Attraktivität der GmbH als Unternehmensform auch im Wettbewerb mit ausländischen Rechtsformen gesteigert sowie Missbräuche bei Insolvenzen bekämpft werden.

__________ 17 Rehberg, in Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 7 Rz. 35 ff., Rz. 43 ff.; Wachter, GmbHR 2003, 1254 (1256). 18 Luke, Fn. 8, 15. 19 Luke, Fn. 8, 26.

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Dirk Pohl

3. Laufende Geschäftsführung Gewarnt wird immer wieder davor, dass der Umgang mit der Ltd. nach der Gründung kompliziert sei, da inländisches und ausländisches Recht zu beachten seien. Auch entstünde dadurch ein erhöhter Beratungsbedarf.20 a) Publizität Wie bei der GmbH ist auch bei der Ltd. die Haftung der Gesellschafter ausgeschlossen (GmbH nach § 13 Abs. 2 GmbHG; Ltd. durch entsprechende Erklärung im memorandum of association, siehe sec. 2 [3] des Companies Act 1985). Der dadurch erforderliche Gläubigerschutz erfolgt bei der Ltd. aber nicht durch ein bestimmtes Mindestkapital und Grundsätze zu dessen Aufbringung und Erhaltung, sondern durch eine weitgehende Publizität. Daneben gibt es in UK auch eine Staatsaufsicht, die insbesondere dem Gläubigerschutz dient.21 Aus den Sec. 442 ff. des Companies Act 1985 ergeben sich unter den dort bestimmten Voraussetzungen „staatsanwaltliche Befugnisse“ des secretary of state. Bestimmte Dokumente müssen dem Registrator am Companies House in Cardiff übermittelt werden, wobei Verstößen unnachgiebig nachgegangen wird und diese auch strafbewehrt sind. Zu diesen Unterlagen zählt auch der Jahresabschluss nach dem Companies Act 1985 (in Umsetzung der Vorschriften der betreffenden EG-Richtlinien) und der Geschäftsbericht (sec. 241, sec. 242 des Companies Act 1985).22 Hier gibt es aber verschiedene Erleichterungen für kleine Unternehmen; wobei kleinen Ltd. (Umsatz max. 1 Mio. £; Bilanzsumme max. 1,5 Mio. £) u. a. freigestellt ist, ob sie einen Wirtschaftsprüfer (auditor) bestellen. Darüber hinaus muss die Gesellschaft weitere Dokumente an ihrem Sitz (registered office), der sich in Großbritannien befinden muss, aufbewahren und Interessenten kostenlos Einsicht gewähren. Dazu zählen insbesondere die Anstellungsverträge der Geschäftsführer (directors) und die Protokolle der Gesellschafterversammlungen. Für die Erfüllung dieser formalen Voraussetzungen ist neben den Geschäftsführern (directors, board of directors) auch der company secretary verantwortlich, über den jede Ltd. verfügen muss. Im „Paket“ eines formation agents ist häufig auch eine Person enthalten, die entsprechende Dienstleistungen als company secretary anbietet.

__________ 20 Siehe z. B. IHK Frankfurt/Oder, Handelsblatt v. 9. 2. 2005, 36, Dierksmeier, BB 2005, 1516. 21 Rehm, in Eidenmüller, Fn. 17, § 10 Rz. 72 ff. 22 Kasolowsky, in Hirte/Bücker, Fn. 10, § 4 Rz. 121 ff.

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Die „deutsche Limited“

b) Rechnungslegung UK: Auch für die „deutsche Ltd.“ bestehen in UK die Rechnungslegungsvorschriften nach dem Companies Act von 1985.23 Zwar wurde die Rechnungslegung innerhalb der EU durch die 4., 7. und 8. EG-Richtlinie harmonisiert, jedoch bestanden bei der Umsetzung teilweise weitreichende Wahlrechte, die in den einzelnen Mitgliedsstaaten höchst unterschiedlich umgesetzt wurden.24 Deutschland: Der Umfang der Rechnungslegung der „deutschen Ltd.“ in Deutschland ist umstritten: –

Nach einer Auffassung ist das Rechnungslegungsrecht primär eine öffentlich-rechtliche Pflicht. Die §§ 238 ff. HGB, aber auch die ergänzenden Vorschriften für inländische Kapitalgesellschaften in §§ 264 ff. HGB, und die Prüfungspflichten in §§ 316 ff. HGB kommen zusätzlich zur Anwendung.25



Es gelten bei der deutschen Ltd. die Regelungen, die auch ansonsten für die Zweigniederlassung einer ausländischen Gesellschaft zur Anwendung kommen. D. h., die allgemeinen Rechnungslegungsvorschriften für Kaufleute nach §§ 238 ff. HGB greifen, wie bei jeder inländischen Zweigniederlassung einer ausländischen Kapitalgesellschaft, entsprechend § 13d Abs. 3 HGB.26 Es gelten jedoch nicht die besonderen Vorschriften für Kapitalgesellschaften deutschen Rechts nach §§ 264 ff. HGB.27 Hinsichtlich der Publizität würde dann § 325a HGB gelten, d. h. Offenlegung der Bilanz nach UK-Recht in Deutschland.



Die „deutsche Ltd.“ trifft aus EG-rechtlicher Sicht im Inland keine handelsrechtliche Rechnungslegungspflicht.28

Nach hier vertretener Auffassung gelten die Regelungen für eine Zweigniederlassung in §§ 13d–13g, 325a HGB auch, wenn im Ausland nur ein Registersitz, aber keine Hauptniederlassung besteht.29 Dies gilt dann nicht nur für die Eintragung einer Zweigniederlassung in das deutsche Handelsregister, sondern auch für die Rechnungslegung.

__________ 23 24 25 26

Westhoff, in Hirte/Bücker, Fn. 10, § 17 Rz. 88 ff. Westhoff, Fn. 23, Rz. 107. So u. a. Ebert/Levedag, Fn. 10, 1339. Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, § 238 HGB Rz. 16. 27 Hense/Schellkorn, in Beck’scher Bilanzkommentar, 6. Auflage 2006, § 264 HGB Rz. 1, die auf die abschließende Aufzählung der Kapitalgesellschaften in der Überschrift zum 2. Abschnitt „Ergänzende Vorschriften für Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaft auf Aktien und Gesellschaft für beschränkte Haftung)“ verweisen. 28 Rehberg, Fn. 17, § 5 Rz. 109; Westhoff, Fn. 23, § 17 Rz. 46. 29 So auch Lutter, Fn. 10, 8 m. w. N.

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c) Besteuerung Die Gesellschaft ist sowohl in UK als auch in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig (wobei hier offen gelassen werden kann, ob § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 4 KStG einschlägig ist).30 Soweit die Limited in UK nur ihr registered office hat, aber keine Geschäftstätigkeit entfaltet, kann dort eine „Nullerklärung“ abgegeben werden bzw. auf eine Steuererklärung ganz verzichtet werden.31 Denn nach dem DBA Deutschland Großbritannien, Art. II 1) h) (iii), Art. III (1), kann UK in diesem Fall nicht besteuern, da in UK keine gewerbliche Tätigkeit durch eine dort belegene Betriebsstätte ausgeübt wird. Der erzielte Gewinn unterliegt in Deutschland der Körperschaft- und Gewerbesteuer, wobei sich die Ltd. gegenüber Drittstaaten sowohl auf die von diesen Staaten mit Deutschland als auch mit UK abgeschlossenen DBA berufen kann. 4. Strukturelle Fragen a) Kapitalerhöhung, Anteilsübertragung Für die Ltd. wird angeführt, dass man für Satzungsänderungen, insbesondere auch Kapitalerhöhungen, und auch für Anteilsübertragungen keinen Notar benötigt und insoweit Kosten sparen kann. Es wird allerdings gern verschwiegen, dass bei einer Anteilsübertragung in UK eine stamp duty reserve tax von 0,5 % anfällt, die der Erwerber zu tragen hat. b) Umstrukturierung Zur Frage, ob grenzüberschreitende Umstrukturierungen (bspw. eine Verschmelzung einer GmbH auf eine Ltd.) möglich sind, herrscht bislang große Rechtsunsicherheit.32 Hier besteht noch eine generelle Differenz zwischen dem, was das EG-Recht erfordert und dem, was das nationale Recht leistet. M.a.W., eine zugezogene Gesellschaft hat keinen Sitz im Inland im Sinne von § 1 Abs. 1 UmwG und auf jeden beteiligten Rechtsträger ist die für ihn geltende Umwandlungs-Rechtsordnung anzuwenden. Deren (fehlendes) Zusammenspiel darf aber grenzüberschreitende Umwandlungen angesichts der im EG-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten nicht unmöglich machen.33 Dies hat nun auch der EuGH in seinem Urteil vom 13. 12. 2005 in der Rs. SEVIC Systems AG entschieden.34 Außerdem ist am 15. 12. 2005 die Richtlinie über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen

__________ 30 Schießl, in Hirte/Bücker, Fn. 10, § 18, Rz. 4 ff. 31 Luke, Fn. 8, 14; Korts/Korts, BB 2005, 1474. 32 Kallmeyer, Fn. 9, 638; Engert, in Eidenmüller, Fn. 17, § 4 Rz. 55 ff. und § 8 Rz. 14 ff. 33 Lutter/Drygala, in Lutter, UmwG, Band I, 3. Aufl. 2004, § 1 Rz. 15 ff. 34 C 446/03, DStR 2005, 2168.

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Die „deutsche Limited“

Mitgliedstaaten35 in Kraft getreten. Danach müssen die EU-Mitgliedstaaten bis Dezember 2007 Rechtsvorschriften erlassen, die die grenzüberschreitende Verschmelzung zulassen. c) Mitbestimmung Attraktiv mag die Ltd. manchen deshalb erscheinen, weil die unternehmerische Mitbestimmung wohl vermieden werden kann.36 Denn maßgebend ist das UK-Gesellschaftsrecht, das überhaupt keine Trennung zwischen Geschäftsführung und Aufsichtsrat kennt. Angesichts der Grenzen von mehr als 500 Arbeitnehmern (Betriebsverfassungsgesetz 1952 – 1/3 Beteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat) bzw. 2000 Arbeitnehmern (paritätische Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz) ist dies kein Vorteil, der einen Existenzgründer beschäftigt. Für einen ausländischen Konzern kann dies aber ein interessanter Aspekt der „deutschen Ltd.“ sein. 5. Krise und Insolvenz Angesichts der verschiedenen Gläubigerschutzkonzepte in UK und Deutschland sind auch die Rechtsfolgen bei Krise und Insolvenz heftigst umstritten.37 Folgende Grundlinien lassen sich ausmachen: a) Insolvenzeröffnung in UK oder Deutschland? Eine Insolvenzeröffnung in UK ist möglich. Zwar sieht Art. 3 Abs. 1 Satz 1 der EUInsVO vor, dass die Gerichte des Landes zuständig sind, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Tätigkeit hat, bis zum Beweis des Gegenteils wird aber unterstellt, dass der Mittelpunkt am Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EUInsVO). Ohne diesen Beweis kann in Deutschland nur ein Partikularinsolvenzverfahren nach § 354 InsO durchgeführt werden. Falls der Beweis geführt wird, ist in Deutschland eine Primärinsolvenz durchzuführen. Nur dann gelten die (deutschen) Insolvenzgründe: Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung (§§ 17 ff. InsO). b) Insolvenzantragspflicht Dies bedeutet dann aber nicht, dass sich bei einer deutschen Primärinsolvenz auch die Insolvenzantragspflichten nach deutschem Recht richten. Denn

__________ 35 RL 2001/86/EG. 36 Wichert, in Heidel, Aktienrecht, 2003, § 1 MitbestG Rz. 18. 37 Altmeppen, NJW 2004, 97 ff.; Ulmer, NJW 2004, 1201 ff.; Mock/Schildt, in Hirte/ Bücker, Fn. 10, § 16.

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nach Art. 4 Abs. 2 EUInsVO wird durch diese Verordnung nur geregelt, wann das Verfahren eröffnet wird und nicht, wer zu einem Antrag verpflichtet ist. Vielmehr sind die Antragspflichten nach h. M. nicht insolvenzrechtlich, sondern gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren, da sie rechtsformspezifisch eingreifen (z. B. § 64 GmbHG).38 Dementsprechend kann den director einer Ltd. auch keine Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 64 GmbHG treffen. Eine Schutzlücke entsteht dadurch nicht, da dem director nach Sec. 214 (4) des Insolvency Act 1986 eine Haftungspflicht für sog. „wrongful trading“ trifft, wenn er trotz Kenntnis der Unvermeidbarkeit der Zahlungsunfähigkeit Geschäfte abschließt. Es handelt sich um eine Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft.39 Im Außenverhältnis haftet der director ggf. nach § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB einem geschädigten Gläubiger. c) Eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen Es wird überwiegend davon ausgegangen, dass die Regelungen zu eigenkapitalersetzenden Darlehen die Ltd. nicht treffen, da sie dem Gesellschaftsstatut unterstehen.40 Das gilt sowohl für die Regelungen in § 32a, § 32b GmbHG als auch für die Rechtsprechungsgrundsätze analog § 30, § 31 GmbHG.41 Vielmehr ist das englische Recht maßgebend, wonach es kein Sonderrecht für kapitalersetzende Gesellschafterdarlehen gibt.42

III. Besondere Steuerrechtsfragen Für das Steuerrecht soll nachfolgend davon ausgegangen werden, dass die Ltd. nur ihren Sitz in Großbritannien hat. Ihr Ort der Geschäftsleitung soll dagegen im Inland liegen. Den steuerrechtlichen Folgen soll unter zwei Aspekten nachgegangen werden. Zum einen dürften entsprechende Gründungen „deutscher“ Limiteds häufig auf Grund Unterkapitalisierung etc. scheitern. Im ersten Teil soll untersucht werden, ob entsprechende Gesellschafter-Darlehen im Rahmen der Einkünftebesteuerung des Gesellschafters berücksichtigt werden können.

__________

38 Kallmeyer, Fn. 9, 639; Meilicke, GmbHR 2003, 1271 (1272); a. A. Altmeppen, Fn. 37, 97 ff. 39 Amtsgericht Bad Segeberg, GmbHR 2005, 884, nicht rechtskräftig. 40 Mock/Schildt, Fn. 37, § 16 Rz. 62 ff.; Kallmeyer, Fn. 9, 639, str. 41 Zur Haftung wegen existenzvernichtendem Eingriff im Umfeld des § 31 GmbHG: Eidenmüller, Fn. 17, § 4 Rz. 18 ff. und Ulmer, Fn. 37, 1207. 42 Fleischer, DStR 2000, 1015 (1017) unter Verweis auf die „Jahrhundertentscheidung“ des House of Lords in Sachen Salomon v. A. Salomon & Co. Ltd. aus dem Jahr 1897; siehe dort auch zu den Möglichkeiten, wie sich Gläubiger vertraglich absichern können; siehe auch Amtsgericht Bad Segeberg, Fn. 39, 884.

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Im zweiten Teil soll der Frage nachgegangen werden, ob eine Ltd. auch Organgesellschaft im Rahmen einer körperschaft- und gewerbesteuerlichen Organschaft sein kann. 1. Gesellschafter-Darlehen Verluste aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft sind nach § 17 Abs. 4, § 3c Abs. 2 EStG zur Hälfte zu berücksichtigen. Die – ohnehin EG-rechtswidrige – Beschränkung des § 2a Abs. 1 Nr. 4 EStG greift nicht, soweit eine Ltd. ihre Geschäftsleitung (§ 10 AO) im Inland hat. Zeitpunkt der Verlustberücksichtigung ist im Regelfall erst der Abschluss der Liquidation, soweit nicht bereits vorher feststeht, dass kein Vermögen zur Verteilung an die Gesellschafter kommen wird. Gesellschafter-Darlehen an eine GmbH führen im Rahmen des § 17 EStG zu nachträglichen Anschaffungskosten und damit zu einer Erhöhung des Verlustes. Dabei gilt jedenfalls bei Darlehensvergabe in der Krise und im Fall eines sog. „Finanzplandarlehens“, dass der volle Nennwert des Darlehens als nachträgliche Anschaffungskosten bei Ausfall des Darlehens zu berücksichtigen ist. Ein Finanzplandarlehen an eine GmbH liegt nach dem Urteil des BFH v. 4. 11. 199743 vor, wenn das Darlehen von vornherein in die Finanzplanung der Gesellschaft in der Weise einbezogen wurde, dass die zur Aufnahme der Geschäfte erforderliche Kapitalausstattung der Gesellschaft nur durch eine Kombination von Eigen- und Fremdkapital erreicht werden konnte. Indizien dafür sind die Unentbehrlichkeit des Darlehens für die Verwirklichung des Gesellschaftszwecks, fehlende Sicherheiten, Erkennbarkeit, dass das Darlehen nicht nur einen vorübergehenden Geldbedarf ausgleicht sowie marktunübliche Bedingungen für das Darlehen. Ausnahme?: Keine Berücksichtigung des Darlehensausfalls soll möglich sein, wenn die Eigenkapitalersatzregeln – bei einer GmbH nach § 32a Abs. 3 Satz 2 und 3 GmbHG oder bei Aktionären mit Beteiligung unter 25 % – nicht anwendbar sind.44 Zu Recht wird dagegen von Weber-Grellet darauf verwiesen, dass die Funktionen des § 17 EStG (Nettoprinzip) und des Kapitalersatzrechts (Gläubigerschutz) grundverschieden sind.45 Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat es mit rechtskräftigem Urteil v. 22. 6. 200446 abgelehnt, das an eine Ltd. gewährte Gesellschafterdarlehen im Rahmen der Ermittlung eines Auflösungsverlustes nach § 17 Abs. 4 EStG als nachträgliche Anschaffungskosten für die Beteiligung an der Ltd. zu berück-

__________ 43 BStBl. II 1998, 344; siehe auch BFH v. 13. 7. 1999, BStBl. II 1999, 724. 44 OFD Kiel, FR 2000, 161 (168); OFD Düsseldorf, GmbHR 2002, 1262; Dötsch, in Dötsch/Eversberg/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 17 EStG Rz. 151a. 45 Weber-Grellet, in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 17 Rz. 173. 46 2 K 2455/02, EFG 2005, 38 f.

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sichtigen. Denn die normspezifische, extensive Auslegung des Begriffs der Anschaffungskosten im Rahmen des § 17 EStG als Aufwendungen, die durch das Geschäftsverhältnis veranlasst seien und weder Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen noch Veräußerungskosten darstellten, werde daraus abgeleitet, dass das Kapital von Anfang an wie Eigenkapital der Gesellschaft gebunden sei. Eine derartiges Sonderrecht kenne das englische Recht für die Ltd. jedoch nicht. Es gebe keine Sonderbehandlung von Gesellschafterdarlehen in Krise und Insolvenz. Das Urteil überzeugt nicht. Dabei geht es nicht darum, sich aus verschiedenen Rechtsordnungen die „Rosinen“ herauszupicken47, sondern um die Klärung der Frage, ob die Darlehen auch ohne die Gesellschafterstellung gegeben worden wären.48 D. h., es ist allein an die tatsächliche Veranlassung bereits der Hingabe des Darlehens durch das Gesellschaftsverhältnis anzuknüpfen. Darüber hinaus liegt im Fall der Ltd. auch ein Verstoß gegen Grundfreiheiten nach dem EG-Vertrag vor. Dafür ist vorrangig die Niederlassungsfreiheit des Gesellschafters (und nicht die Kapitalverkehrsfreiheit) heranzuziehen, wenn die Beteiligung einen „gewissen Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft“ verleiht.49 Angesichts des Satzungssitzes in UK kann man nicht von einem rein nationalen Fall ausgehen.50 In Betracht kommt aber auch eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft (Erschwerung der Aufnahme von Gesellschafterdarlehen). Die unterschiedlichen Gläubigerschutzkonzepte von GmbH und Ltd. erscheinen mir kein taugliches Differenzierungskriterium. Der Gesellschafter befindet sich in einer vergleichbaren Situation. Die Gesellschaft konnte nur durch dessen Fremdfinanzierungsbeitrag das Unternehmen betreiben. Nach derzeitigem Stand liegt aber in der Behandlung von Gesellschafterdarlehen ein wesentlicher Nachteil der Ltd. gegenüber der GmbH, will man kein Verfahren bis zum EuGH führen. Zu einer vorausschauenden Planung gehört es auch, die Möglichkeit eines Scheiterns zu berücksichtigen. Ggf. sollte bereits in dem Darlehensvertrag mit der Ltd. ein qualifizierter Rangrücktritt ausgesprochen werden, um bei einem unternehmerischen Scheitern die Berücksichtigung der Darlehensverluste zu sichern.51

__________ 47 So aber Wachter, GmbHR 2004, 1412 (1413). 48 Dazu näher Pohl, in Heidel/Pauly, Steuerrecht in der anwaltlichen Praxis, 3. Aufl. 2002, § 17 Rz. 99, zum Fall der schleichenden Entwertung eines Darlehens bis zum Zeitpunkt des endgültigen Eintritts der Krise. 49 EuGH v. 13. 4. 2000, Rs. C-251/98, Slg. 2000, I-2787, Rz. 21 und 22 – Baars. 50 EuGH v. 5. 11. 2002, Fn. 2, Tz. 77. 51 Siehe aber Wachter, Fn. 47, 1413, der darauf hinweist, dass das FG Rheinland-Pfalz den im Urteilsfall erklärten Rangrücktritt nicht gewürdigt habe.

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Die „deutsche Limited“

2. Limited als Organgesellschaft? Doppelter Inlandsbezug: Nach dem eindeutigem Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 und des § 17 Satz 1 KStG ist erforderlich, dass eine Organgesellschaft Geschäftsleitung (§ 10 AO) und satzungsmäßigen Sitz (§ 11 AO) im Inland hat. Durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz v. 20. 12. 200152 wurde – „um der zunehmenden internationalen Verflechtung der deutschen Wirtschaft Rechnung zu tragen“ – nur der „doppelte Inlandsbezug“ für den Organträger, aber nicht für eine Organgesellschaft aufgegeben. Eine Verlegung des statuatorischen Sitzes einer Ltd. in das Inland ist aber nicht möglich. Der „doppelte Inlandsbezug“ für die Organgesellschaft ist EG-rechtswidrig.53 Es bedarf aber wohl eines Prozesses bis zum EuGH, um dies durchzusetzen. Ergebnisabführungsvertrag: Darüber hinaus würde sich auch die Frage stellen, wie man mit einer Ltd. den für das Bestehen einer Organschaft erforderlichem Ergebnisabführungsvertrag abschließt. In der Praxis kann man nur empfehlen, eine vertragliche Ausgangssituation zu schaffen, die den Rechtswirkungen eines Ergebnisabführungsvertrages nach § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG weitgehend nahe kommt. Dabei ist das UK-Recht maßgebend.54 Danach kann die Ltd. während ihrer Lebensdauer nur erwirtschaftete Gewinne nach Verrechnung mit Verlustvorträgen „ausschütten“, aber nicht „abführen“.55 Umwandlung der Ltd. in die GmbH: Als Ausweichreaktion könnte es sich in entsprechenden Fällen anbieten, eine Ltd. steuerneutral in eine GmbH umzuwandeln. Mit Urteil ebenfalls v. 13. 12. 2005 in der Rs. SEVIC Systems AG56 hat der EuGH entschieden, dass grenzüberschreitende Verschmelzungen unter Beteiligung deutscher Rechtsträger bereits vor Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie kraft europäischer Niederlassungsfreiheit möglich sind. Die Grundsätze des Urteils dürften auch auf identitätswahrende Formwechsel innerhalb der EU dem Grunde nach anwendbar sein.57 Die praktische Umsetzung erscheint aber äußerst unklar. Einbringung der Wirtschaftsgüter der Ltd. in eine GmbH: Es bietet sich ggf. an, stattdessen sämtliche Wirtschaftsgüter der Ltd. unter Buchwertfortführung nach § 20 UmwStG im Wege der Einzelrechtsnachfolge in eine GmbH einzubringen und dann mit dieser GmbH als Organgesellschaft „um die Ltd. herum“ einen Ergebnisabführungsvertrag zu schließen.

__________ 52 BStBl. I 2002, 35. 53 Meilicke, DB 2002, 911 (912). 54 Emmerich, in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 2. Aufl. 2001, § 291 AktG Rz. 34. 55 Fleischer, Fn. 42, 1015. 56 C-411/03, DStR 2006, 49. 57 Geyrhalter/Weber, DStR 2006, 146 (150).

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Dirk Pohl

Organträger

deutsche Ltd.

EAV

Organgesellschaft

Eine finanzielle Eingliederung aufgrund mittelbarer Beteiligung kann auch über eine Gesellschaft ausländischen Rechts erfolgen. Der anders lautende Erlass des FinMin. NRW v. 26. 6. 197858 ist zumindest aufgrund des Wortlauts des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 KStG überholt.59 Allerdings könnte man in der Zustimmung der Ltd. zu einem solchen EAV einen Verzicht auf deren Gewinnanspruch gegenüber der Organgesellschaft sehen. Dieser Verzicht könnte als vGA eingestuft werden.60 D. h., auf Ebene der Organgesellschaft ergäbe sich eine Einkommenserhöhung nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, wenn anstelle einer Dividendenzahlung der Gewinn der Organgesellschaft an den Organträger abgeführt wird. Die vGA wäre zwar nach § 8b Abs. 1 KStG steuerfrei, würde aber zu einer Einkommenserhöhung nach § 8b Abs. 5 KStG führen. Entsprechendes würde dann auf Ebene des Organträgers im Hinblick auf eine von der deutschen Ltd. durch den Verzicht empfangene vGA gelten (mit erneuter Anwendung des § 8b Abs. 5 KStG auf dieser Ebene). Dagegen ist einzuwenden, dass es widersprüchlich ist, bei einer Gesellschaft (der deutschen Ltd.) eine Erhöhung des Einkommens wegen der Zustimmung zum EAV vorzunehmen, obwohl erst diese Gesellschaft die finanzielle Eingliederung und damit die Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft an die Organträger nach § 17 Satz 1, § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG bewirkt.61 Wie Walter62 ausführt: „Selbst dem willigsten Steuerzahler sträuben sich die Haare“.

IV. Schlussbemerkung Die Untersuchung hat gezeigt, dass der frühere „Exportschlager GmbH“ durch das Auftauchen der „deutschen Limited“ unter erheblichem Reformdruck steht. Dieser Befund gilt auch generell für den Standort Deutschland.

__________ 58 BB 1978, 999. 59 Neumann, in Gosch, KStG, 2005, § 14 Rz. 150 m. w. N. 60 So wohl Witt, in Dötsch/Eversberg/Jost/Pung/Witt, Fn. 44, § 14 KStG n. F. Rz. 5; Walter, in Ernst & Young, KStG, § 14 Rz. 581. 61 Olbing, in Streck, KStG, 6. Aufl. 2003, § 14 Rz. 58; Brezing, ZGR 1978, 91. 62 Fn. 60.

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Wenn dabei der Historiker Paul Nolte (geb. 1963) in seinem viel beachteten Buch „Generation Reform“63 davon spricht, wie sich eine neue Generation sammelt, um den allgemein beklagten Reformstau in der Zukunft aufzulösen, so erscheint es mir bei einem Rückblick auf die Veränderungen im Steuerrecht in den beinahe zehn Jahren der Zusammenarbeit mit Arndt Raupach so, als wenn wir gemeinsam bereits in der „Generation Steuerreform“ gelebt und gearbeitet hätten. Abgesehen von der beeindruckenden Erfahrung Arndt Raupachs, von der ich in diesen Jahren vielfältig profitiert habe, war dabei aus meiner Sicht aber kein Generationenunterschied feststellbar. Arndt Raupach war und ist neugierig und interessiert an der Entwicklung des Steuerrechts und insbesondere daran, Mandanten durch den „Dschungel des Unternehmenssteuerrechts“ zu führen. Wenn man Arndt Raupach täglich aus der Nähe erlebt, dann weiß man, dass der Satz: „Man ist nur so alt, wie man sich fühlt“ Gültigkeit besitzt. In diesem Sinne wünsche ich dem „jungen“ Jubilar auch, aber nicht nur für sein weiteres berufliches Schaffen noch viele gute Jahre.

__________ 63 Paul Nolte, Generation Reform, Jenseits der blockierten Republik, 5. Aufl. 2005, 8.

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Zusammentreffen von Gewinnabführungsvertrag und stiller Gesellschaft – Dissonanz oder Konkordanz? Inhaltsübersicht I. Ausgangspunkt 1. Umfeld 2. Problematik II. Abhängige Aktiengesellschaft 1. Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages bei bestehendem stillen Gesellschaftsverhältnis a) Abführung des „ganzen“ Gewinns b) Vorabbeteiligung des stillen Gesellschafters

2. Begründung einer stillen Gesellschaft bei bestehendem Gewinnabführungsvertrag a) Fehlender Gewinn? b) Beeinträchtigung des Gewinnabführungsvertrages? c) Mitwirkungserfordernisse III. Abhängige GmbH 1. Ausstrahlungen des Aktienrechts 2. Behandlung der stillen Gesellschaft IV. Steuerrecht 1. Stellenwert des Problems 2. Maßgeblichkeit des Handelsrechts V. Ergebnisthesen

I. Ausgangspunkt 1. Umfeld Gewinnabführungsverträge sind bisher aus dem deutschen Konzernrecht nicht wegzudenken. Sie können eine Remedur gegenüber den Unwägbarkeiten faktischer Konzernierung darstellen. Vor allem aber bilden sie den dezidierenden Schlussstein zur Begründung der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft. Bei der Aktiengesellschaft mussten sie lange Zeit durch Beherrschungsverträge flankiert werden. Mit der Änderung des § 14 KStG im Jahre 20001 ist dieses Erfordernis entfallen. Seither werden auch isolierte Gewinnabführungsverträge geschlossen. Ihre Zulässigkeit wurde zwar im Aktienrecht früher einmal problematisiert,2 entsprechende Bedenken haben sich aber nicht

__________ 1 2

Durch das Steuersenkungsgesetz v. 23. 10. 2000, BGBl. I, 1433, 1453 wurden die Organschaftsvoraussetzungen der wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung aufgehoben. van Venrooy, BB 1986, 612.

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Hans-Joachim Priester

durchgesetzt.3 Bei der GmbH hat man – zu Recht oder zu Unrecht – reine Gewinnabführungsverträge schon lange abgeschlossen.4 Welche Praxisrelevanz den Gewinnabführungsverträgen in Zukunft beschieden sein wird, lässt sich derzeit schwer beurteilen. Nachdem es im Vorfeld der Marks & Spencer-Entscheidung so ausgesehen hatte, als sei für die Organschaft und den sie konstituierenden Gewinnabführungsvertrag das faktische Ende in Sicht,5 erscheint dies aufgrund des nunmehr vorliegenden Urteils6 nicht mehr so sicher.7 Außerdem ist keineswegs ausgeschlossen, dass der Gewinnabführungsvertrag angesichts der mit ihm verbundenen Verlustübernahmepflicht als konzernrechtliches Schutzinstrument erhalten bleibt.8 Unsere zweite Titelfigur, die stille Gesellschaft, hat sich zumindest vom Anwendungsbereich her kräftig entwickelt. Wurde ihre praktische Relevanz seinerzeit vor allem im Bereich der AG in Zweifel gezogen,9 sieht das Bild heute anders aus. Zu nennen ist einmal die AG & Still als Parallele zur GmbH & Still,10 die nicht selten als „Innen-Kommanditgesellschaft“ konstruiert ist.11 Auch abseiten eines solchen KG-Ersatzes eignet sich die stille Gesellschaft bei entsprechender – „atypischer“ – Ausgestaltung zur flexiblen Zufuhr von bilanzmäßigem Eigenkapital.12 Eine große Rolle hat die stille Beteiligung schließlich seit geraumer Zeit auf dem Sektor der Finanzanlagen

__________ 3 Für eine Zulässigkeit etwa: OLG Karlsruhe v. 12. 4. 2001, AG 2001, 536, 537; Altmeppen, MünchKommAktG, 2. Aufl., 2000, § 291 Rz. 148; Hüffer, AktG, 6. Aufl., 2004, § 291 Rz. 24; Krieger, MünchHdbGesR IV – AG, 2. Aufl., 1999, § 91 Rz. 1 – jeweils m. w. Nachw. 4 Vom Steuerrecht wurden Beherrschungsverträge bei der GmbH schon früher nicht verlangt und auch gesellschaftsrechtlich hielt man das Weisungsrecht aus § 37 GmbHG für überflüssig, Hachenburg/Barz, GmbHG, 7. Aufl., 1975, § 13 Anh. II Rz. 30; Flume, DB 1989, 665, 666. 5 Etwa: Herzig/Wagner, DB 2005, 1 ff. 6 EuGH v. 13. 12. 2005, GmbHR 2006, 153. 7 Dazu Hey, GmbHR 2006, 113, 118 ff. 8 Zu diesem Aspekt Schön, ZHR 168 (2004), 629 ff. 9 So Schulze-Osterloh, ZGR 1974, 427, 430. 10 Dazu etwa Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG, 10. Aufl., 2005, § 24 S. 512 ff.; Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch der GmbH & Co. KG, 19. Aufl., 2005, S. 79 ff. 11 Karsten Schmidt, FS Bezzenberger, 2000, S. 401, 405 ff. spricht insoweit von „virtueller KG“; Manfred Groh, FS Kruse, 2001, S. 417 ff. von „fiktiver Gesamthandsgemeinschaft“. 12 Zum Ausweis stiller Beteiligungen als Eigenkapital etwa Winnefeld, Bilanzhandbuch, 3. Aufl., 2002, L 232 m. w. Nachw.

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Zusammentreffen von Gewinnabführungsvertrag und stiller Gesellschaft

gespielt.13 Hier haben allerdings unseriöse Praktiken eine Reihe rechtlicher Schwierigkeiten bereitet.14 2. Problematik Zu einem Zusammentreffen beider Vertragstypen kann es nun in unterschiedlicher Form, genauer: in unterschiedlicher zeitlicher Abfolge kommen. In der ersten Konstellation besteht eine stille Beteiligung an einer Aktiengesellschaft oder einer GmbH als Geschäftsinhaberin, sei es mit einem Dritten, sei es mit einem Aktionär bzw. Gesellschafter. In dieser Situation will der Mehrheitsgesellschafter mit der Gesellschaft einen Gewinnabführungsvertrag abschließen. Im zweiten Falle besteht ein Gewinnabführungsvertrag, es soll jedoch eine stille Beteiligung begründet werden. Stiller Gesellschafter kann auch hier ein Dritter oder ein Aktionär/Gesellschafter, selbst der andere Vertragsteil des Gewinnabführungsvertrages sein.15 Das Problem eines solchen Zusammentreffens von Gewinnabführungsvertrag und stiller Gesellschaft resultiert nicht zuletzt daraus, dass die stille Beteiligung an einer Aktiengesellschaft – wie noch zu zeigen ist – als Teilgewinnabführungsvertrag behandelt wird, während der Gewinnabführungsvertrag die Abführung des ganzen Gewinns verlangt. Daraus ließe sich folgern, die beiden Verträge müßten miteinander kollidieren, denn eine Gesellschaft könne ihren Gewinn nicht zugleich ganz und teilweise abführen. Erstaunlicherweise ist diese Frage bisher kaum erörtert worden,16 kommt ihr doch angesichts der großen Verbreitung beider Vertragstypen durchaus praktisches Interesse zu. Ihr soll deshalb im Folgenden nachgegangen werden. Wenn die Überlegungen Arndt Raupach gewidmet werden, so geschieht das, weil ihn neben vielem anderen das Zusammentreffen von Konzernrecht und Konzernsteuerrecht beschäftigt hat,17 mag er dem Ergebnisabführungsvertrag als steuerrechtlichem Instrument inzwischen auch eher skeptisch gegenüberstehen.18

__________ 13 Die zahlenmäßige Reichweite zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der Gesetzgeber mit dem ERJuKoG v. 10. 12. 2001, BGBl I, 3422 im neugefassten § 294 Abs. 1 Satz 1 AktG für den gleichzeitigen Abschluss einer Vielzahl solcher Verträge registerverfahrensmäßige Erleichterungen schaffen musste; dazu Schulte/Waechter, GmbHR 2002, 189 ff. 14 Vgl. BGH v. 29. 11. 2004, ZIP 2005, 254 ff.; BGH v. 21. 5. 2005, ZIP 2005, 753 ff.; dazu etwa: Kiethe, DStR 2005, 924 ff. – „Göttinger Gruppe“. 15 Auch verbundene Unternehmen können sich untereinander still beteiligen, vgl. Schneider/Reusch, DB 1989, 713, 716. 16 Eine Ausnahme macht nur der Beitrag von Berninger, DB 2004, 297 ff. 17 Vgl. nur Raupach/Klotz, Die Mehrmütterorganschaft zwischen Konzernrecht und Konzernsteuerrecht, WiB 1994, 137 ff. 18 Raupach/Pohl, NZG 2005, 489, 492.

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II. Abhängige Aktiengesellschaft 1. Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages bei bestehendem stillen Gesellschaftsverhältnis a) Abführung des „ganzen“ Gewinns Die Vorschrift des § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG definiert den Gewinnabführungsvertrag als einen Vertrag, durch den eine Aktiengesellschaft sich verpflichtet, ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen abzuführen. Die Abführung des ganzen Gewinns ist also Konstitutivum des Gewinnabführungsvertrages. Die für unser Thema entscheidende Frage geht nun dahin, was unter diesem ganzen Gewinn zu verstehen ist. Die Antwort heißt nach allgemeiner Ansicht: der Bilanzgewinn.19 Gemeint ist der Bilanzgewinn, wie er sich ohne Gewinnabführungsvertrag ergeben würde. Er wird unter Berücksichtigung einer Rücklagenbildung gemäß § 300 Nr. 1 AktG, etwaiger Parteivereinbarungen zur Gewinnberechnung20 und der Höchstabführungsbestimmung des § 301 AktG aus dem Jahresüberschuss (§ 275 Abs. 2 Nr. 20 HGB) in einer Vorbilanz entwickelt.21 Im endgültigen Jahresabschluss der abhängigen Gesellschaft erscheint der Gewinn als solcher nicht mehr, sondern wird in der Bilanz als Verbindlichkeit gegenüber verbundenen Unternehmen (§ 266 Abs. 3 C 6. HGB) und in der Gewinn- und Verlustrechnung unter der Bezeichnung „aufgrund eines Gewinnabführungsvertrages abgeführter Gewinn“ (§ 277 Abs. 3 Satz 2 HGB) als Aufwand ausgewiesen. Sachlich bedeutet das: abzuführender Gewinn i. S. v. § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG ist der nach Abzug aller Aufwendungen verbleibende Gewinn, also der Residualgewinn. Dieser Befund zeigt zugleich, dass das Ergebnis der abhängigen Gesellschaft in das Ergebnis des anderen Vertragsteils eingeht. Nimmt man dessen Verlustausgleichspflicht (§ 302 AktG) hinzu, erweist sich: Die abhängige Gesellschaft wird quasi für Rechnung des anderen Vertragsteils geführt.22 Man kann geradezu sagen, der Gewinnabführungsvertrag bewirke wirtschaftlich eine Fusion der Vertragspartner.23

__________ 19 Koppensteiner, KölnerKommAktG, 3. Aufl., 2004, § 291 Rz. 76 f.; Altmeppen (Fn. 3), § 291 Rz. 145; Emmerich, in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbHKonzernrecht, 4. Aufl., 2005, § 291 Rz. 64; Krieger (Fn. 3), § 71 Rz. 4. 20 Zu ihrer Zulässigkeit und Ausgestaltung eingehend H.-P. Müller, FS Goerdeler, 1987, S. 375 ff. 21 Emmerich (Fn. 19), § 291 Rz. 64; Koppensteiner (Fn. 19), § 291 Rz. 77. 22 Altmeppen (Fn. 3), § 291 Rz. 143. 23 Altmeppen (Fn. 3), § 291 Rz. 154.

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Zusammentreffen von Gewinnabführungsvertrag und stiller Gesellschaft

Darin liegt freilich auch das Ziel des Gewinnabführungsvertrages. Er ist ein Kind des Steuerrechts, nämlich die eine „Hälfte“ des Organschaftsvertrages, den das Aktiengesetz 1965 in Gestalt des Beherrschungs- und des Gewinnabführungsvertrages in zwei selbständige Vertragsarten quasi zerlegt hat.24 Das auf die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts zurückgehende und zwischen den Weltkriegen vom Reichsfinanzhof ausgebaute Institut der Organschaft25 war durch den zentralen Organschaftsvertrag gekennzeichnet. Mit ihm sollte angesichts der eigenen Steuersubjektivität der Konzernglieder im Ergebnis eine Konzernbesteuerung erreicht werden.26 Ist der Gewinnabführungsvertrag solchermaßen durch die Abführung des ganzen Gewinns gekennzeichnet, könnte bei Bestehen eines stillen Gesellschaftsverhältnisses mit der Aktiengesellschaft sein Abschluss nicht möglich sein. Die stille Gesellschaft beinhaltet notwendig eine Beteiligung am Gewinn des Geschäftsinhabers.27 Sei das aber so, könne eben nicht mehr der „ganze“ Gewinn an den anderen Vertragsteil abgeführt werden. b) Vorabbeteiligung des stillen Gesellschafters Die Antwort hängt davon ab, ob die Gewinnbeteiligung des stillen Gesellschafters der Gewinnabführung aufgrund eines Gewinnabführungsvertrages vor- oder gleichrangig ist. Alle Aufwendungen im handelsrechtlichen bzw. Betriebsausgaben im steuerrechtlichen Sinne sind dem Gewinn i. S. v. § 291 Abs. 1 AktG – unstreitig – dergestalt vorrangig, dass sie diesen schmälern, denn der Gewinn ist eben Residualgröße. Aber: Gilt das auch für die Gewinnanteile des stillen Gesellschafters? Dagegen wäre anzuführen, dass § 292 Abs. 2 Nr. 2 AktG den Teilgewinnabführungsvertrag als Unternehmensvertrag behandelt und die heute ganz herrschende Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum im stillen Gesellschaftsvertrag mit einer Aktiengesellschaft als Geschäftsinhaberin einen sol-

__________ 24 Vgl. Altmeppen (Fn. 3), § 291 Rz. 142. 25 Die Entwicklung der Rechtsprechung zur körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft wird eingehend nachgezeichnet bei Kolbe in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und KStG, § 14 KStG Anm. 2 ff. 26 Dazu Altmeppen (Fn. 3), Einl. §§ 291 ff. Rz. 10 ff. 27 Ausdrücklich § 231 Abs. 2 HGB. Die Gewinnbeteiligung des Stillen kann vertraglich eingeschränkt, aber nicht ganz ausgeschlossen werden; allg. Ans., etwa: Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl., 2006, § 231 Rz. 2; fehlt es an einer Gewinnbeteiligung, liegt eine stille Gesellschaft nicht vor, Karsten Schmidt, MünchKommHGB, 2002, § 231 Rz. 3.

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chen Teilgewinnabführungsvertrag sieht.28 Hinzu kommt, dass der Gewinnbegriff in § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG mit demjenigen in § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG übereinstimmt.29 Haben aber beide Verträge die Abführung des gleichen Gewinns zum Gegenstand, entstünde ein Widerstreit zwischen ihnen. Eine Einschränkung könnte sich aus § 292 Abs. 2 AktG ergeben. Er erklärt, Gewinnbeteiligungen von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern sowie von Arbeitnehmern, ferner Gewinnbeteiligungen im Rahmen von Verträgen des laufenden Geschäftsverkehrs oder Lizenzverträgen seien keine Teilgewinnabführungsverträge. Die Vorschrift enthält eine praktische Erleichterung für bestimmte „gewöhnliche“ Verträge. Zu ihrer Begründung diente das Argument, die Hauptversammlung solle nicht mit allen im Wirtschaftsleben üblichen Formen der Gewinnbeteiligung befasst werden; unbedeutende Gewinnabführungen müssten zustimmungsfrei bleiben.30 Daraus ließe sich folgern, kleinere stille Beteiligungen seien nicht als Teilgewinnabführungsverträge zu behandeln und könnten deshalb mit Gewinnabführungsverträgen nicht kollidieren. Nach allgemeiner Ansicht soll § 292 Abs. 2 AktG aber nicht Bagatellfälle ausnehmen, sondern als numerus clausus zu verstehen sein.31 Es bleibt deshalb dabei: Stille Beteiligungen an einer Aktiengesellschaft sind stets Teilgewinnabführungsverträge und unterliegen damit dem Regime der §§ 293, 294 AktG. Damit ist die Frage aber noch nicht entschieden. Die Unterstellung der Verträge gemäß § 292 Abs. 1 AktG und damit der stillen Gesellschaften unter die Kautelen des Unternehmensvertragsrechts hat verfahrensrechtliche, genauer: kompetenzrechtliche Gründe. Es geht um die Mitwirkung der Hauptversammlung. Die Verweisung auf die §§ 293 ff. AktG soll das Gewinnverwendungsrecht der Aktionäre schützen und sicherstellen, dass solche Verträge nicht in die – alleinige – Kompetenz des Vorstandes fallen.32 Das erschien erforderlich, da man zuvor der Meinung war, der Abschluss stiller Gesellschaftsverträge sei von der Vertretungsmacht des Vorstandes gedeckt.33 Die Einordnung als Teilgewinnabführungsvertrag ändert jedoch nichts an der wirtschaftlichen Beurteilung dieser Verträge. Teilgewinnabführungsverträge sind kein „Ausschnitt“ aus einem Gewinnabführungsvertrag, sondern

__________ 28 Aus der Rechtsprechung BGH v. 21. 7. 2003, BGHZ 156, 38, 43 – Deutsche Hypothekenbank; BGH v. 29. 11. 2004, ZIP 2005, 254, 255; KG v. 17. 1. 2002, ZIP 2002, 890, 891; OLG Celle v. 22. 9. 1999, AG 2000, 280 f.; aus dem Schrifttum grundlegend: Schulze-Osterloh, ZGR 1974, 427, 431 ff.; Hüffer (Fn. 3), § 292 Rz. 15; Koppensteiner (Fn. 19), § 292 Rz. 61 ff. – je m. w. Nachw. 29 Karsten Schmidt, ZGR 1984, 295, 300 m. w. Nachw. 30 Begr. RegE, abgedr. b. Kropff, Aktiengesetz, 1965, S. 379. 31 Karsten Schmidt, ZGR 1984, 295, 302; Koppensteiner (Fn. 19), § 292 Rz. 56, 60; Hüffer (Fn. 3), § 292 Rz. 26; Altmeppen (Fn. 3), § 292 Rz. 81, 83. 32 Emmerich (Fn. 19), § 292 Rz. 23a; Karsten Schmidt, ZGR 1984, 295, 305 ff. 33 Eingehende Darstellung der einschlägigen Rechtsentwicklung bei Karsten Schmidt, ZGR 1984, 295, 296 ff.

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etwas qualitativ anderes, nämlich schuldrechtliche Austauschverträge. So hat es der Gesetzgeber gesehen34 und so ergibt es sich aus der Entgeltlichkeit der Teilgewinnabführungsverträge. Es entspricht herrschender Auffassung, dass Teilgewinnabführungsverträge eine angemessene Gegenleistung des Gewinnempfängers vorsehen müssen. Ist dieser Aktionär, soll der Vertrag anderenfalls gemäß § 57 AktG nichtig sein.35 Bei einem Dritten werden die haftungsbewehrten Sorgfaltspflichten von Vorstand und Aufsichtsrat (§§ 93, 116 AktG) regelmäßig für entsprechende Vereinbarungen sorgen,36 auch kann gegebenenfalls § 117 AktG eingreifen. Ob es sich bei der stillen Gesellschaft um eine sog. typische oder eine sog. atypische handelt, spielt in unserem Zusammenhang keine Rolle.37 Letztere Variante unterscheidet sich von der ersteren durch eine rechnerische Vermögensteilhabe bzw. gesteigerte Mitwirkungsrechte.38 Das hier relevante Merkmal der Gewinnbeteiligung haben beide dagegen gemeinsam. Aus alledem folgt: Die Gewinnbeteiligung des stillen Gesellschafters ist Gegenleistung im Rahmen einer entgeltlichen Austauschbeziehung. Sie schmälert den gemäß § 291 Abs. 1 AktG abzuführenden Gewinn ebenso wie die übrigen Aufwendungen der Gesellschaft. Anders ausgedrückt: Sie betrifft die vorgelagerte Ebene der Gewinnermittlung. Eine den Gewinnabführungsvertrag hindernde „Gewinn-Teilung“ zwischen dem stillen Gesellschafter und dem anderen Vertragsteil findet nicht statt. Das Bestehen einer stillen Beteiligung stellt kein Hindernis für den Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages dar. 2. Begründung einer stillen Gesellschaft bei bestehendem Gewinnabführungsvertrag a) Fehlender Gewinn? Gegen die Möglichkeit, bei bestehendem Gewinnabführungsvertrag eine stille Gesellschaft zu begründen, ist eingewandt worden, einem solchen Vertrag

__________ 34 Kropff (Fn. 30), S. 378. 35 OLG Düsseldorf v. 12. 7. 1996, AG 1996, 473, 474; Emmerich (Fn. 19), § 292 Rz. 27a; Veil, Unternehmensverträge, 2003, S. 151; abw. Altmeppen (Fn. 3), § 292 Rz. 87 – jeweils m. w. Nachw. 36 Koppensteiner (Fn. 19), § 292 Rz. 71; Altmeppen (Fn. 3), § 292 Rz. 88. 37 Ganz überwiegende Ansicht: Altmeppen (Fn. 3), § 292 Rz. 66 f.; Emmerich (Fn. 19), § 292 Rz. 29; Berninger, DB 2004, 297, 299; abweichend allerdings SchulzeOsterloh, ZGR 1974, 427, 450 ff. der atypische stille Beteiligungen an einer AG als Betriebsüberlassung i. S. v. § 292 Abs. 1 Nr. 3 AktG ansieht. 38 Zu den atypischen Formen stiller Gesellschaften etwa Karsten Schmidt (Fn. 27), § 230 Rz. 77 f., 81.

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stehe das Fehlen von Gewinn im Wege, da dieser allein dem anderen Vertragsteil gebühre.39 Eine solche Argumentation greift jedoch zu kurz. Der „ganze“ Gewinn des § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG hat sich als Residualgewinn erwiesen. Die dem stillen Gesellschafter zu gewährenden Gewinnanteile stellen eine Vorabbeteiligung dar. Die auf der Grundlage des stillen Gesellschaftsvertrages geleisteten Gewinnzahlungen gehen als Aufwendungen dem Gewinnabführungsvertrag vor. Das bedeutet: an einem fehlenden, weil an den anderen Vertragsteil abzuführenden Gewinn scheitert die Vereinbarung einer stillen Beteiligung nicht. b) Beeinträchtigung des Gewinnabführungsvertrages? Die dem stillen Gesellschafter zustehende Vorabbeteiligung am Gewinn des Geschäftsinhabers40 schmälert den abzuführenden Gewinn und berührt damit den Gewinnabführungsvertrag.41 Bei ihm handelt es sich zwar um einen Organisationsvertrag.42 Er hat aber auch schuldrechtliche Elemente. Bei seiner Verletzung kommen daher Schadensersatzansprüche in Betracht.43 Im Hinblick darauf, dass Teilgewinnabführungsverträge und damit auch stille Beteiligungen – wie dargestellt – eine Gegenleistung des Vertragspartners voraussetzen, kommt es für die Frage einer Verletzung des Gewinnabführungsvertrages darauf an, ob die Leistung des Vertragspartners, hier also des stillen Gesellschafters, angemessen ist. Vor diesem Hintergrund wird der Vorstand bei bestehendem Gewinnabführungsvertrag eine stille Beteiligung nur einräumen dürfen, wenn er im Rahmen des ihm insoweit eingeräumten kaufmännischen Ermessens nach sorgfältiger Prüfung zu dem Ergebnis kommt, dass die dem Stillen gewährte Gewinnbeteiligung ein zutreffendes Äquivalent für die Zuverfügungstellung des Kapitals darstellt. c) Mitwirkungserfordernisse Aufgrund von 292 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 293 Abs. 1 AktG setzt die Wirksamkeit des als Teilgewinnabführungsvertrag einzustufenden stillen Gesellschaftsvertrages voraus, dass die Hauptversammlung der abhängigen Gesellschaft ihm mit drei Viertel Kapitalmehrheit zustimmt.

__________ 39 40 41 42 43

Berninger, DB 2004, 297, 299. Oben II.1.b). Berninger, DB 2004, 297, 299. Heute unstr., vgl. nur Hüffer (Fn. 3), § 291 Rz. 17 m. w. Nachw. Emmerich (Fn. 19), § 291 Rz. 53.

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Zusammentreffen von Gewinnabführungsvertrag und stiller Gesellschaft

Darüber hinaus wird man die Zustimmung des anderen Vertragsteils verlangen müssen, da die Gewinnabführung an ihn durch eine unangemessen hohe Gewinnbeteiligung des stillen Gesellschafters beeinträchtigt sein kann. Die Angemessenheit ist schwer kalkulierbar. Die Zustimmung hat jedoch nur Innenwirkung gegenüber dem Vorstand der AG. Sie ist nicht Wirksamkeitsvoraussetzung des stillen Gesellschaftsvertrages. Die Erteilung dieser Zustimmung dürfte freilich im Regelfall kein Problem darstellen, da der andere Vertragsteil üblicherweise Haupt- oder gar AlleinAktionär der abhängigen Gesellschaft ist, so dass im Zustimmungsbeschluss gemäß § 293 Abs. 1 AktG zugleich sein Einverständnis liegt. Das gilt natürlich insbesondere dann, wenn das stille Gesellschaftsverhältnis – neben dem Gewinnabführungsvertrag – mit dem anderen Vertragsteil abgeschlossen wird, aber auch dann, wenn der Vertrag mit einem Dritten zustandekommen soll. Eine Mitwirkung der Anteilseigner des stillen Gesellschafters ist dagegen nicht notwendig. Das Zustimmungserfordernis des § 293 Abs. 2 AktG betrifft nach dessen ausdrücklicher Anordnung nur die Unternehmensverträge des § 291 Abs. 1 AktG, also die Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge, nicht dagegen die unter § 292 Abs. 1 AktG fallenden Teilgewinnabführungsverträge. Zu klären ist noch, ob die Vereinbarung eines stillen Gesellschaftsverhältnisses bei bestehendem Gewinnabführungsvertrag dessen Änderung zur Folge hat.44 Träfe das zu, würde auch die Zustimmung der Anteilseigner des anderen Vertragsteils einzuholen sein, da § 295 Abs. 1 Satz 2 AktG die Vorschriften der §§ 293, 294 AktG für den Abschluss des Vertrages und damit auch den § 293 Abs. 2 AktG als entsprechend anwendbar erklärt. Diese Zustimmungsnotwendigkeit greift nach feststehender Rechtsprechung entgegen dem Wortlaut des § 293 Abs. 2 AktG ebenso ein, wenn der andere Vertragsteil eine GmbH oder eine KG ist.45 Zugunsten einer Änderung könnte man daran denken, das Hinzutreten der Gewinnbeteiligung des stillen Gesellschafters mache aus dem Gewinnabführungsvertrag einen Teilgewinnabführungsvertrag.46 Dem ist jedoch nach dem Vorangehenden deutlich zu widersprechen: Der aufgrund des Gewinnabführungsvertrages abzuführende Gewinn stellt – wie zu wiederholen ist – eine Residualgröße dar. Richtig ist zwar, dass sich dieser Residualgewinn bei zu hoher Dotierung des stillen Gesellschafters vermindert, so dass die Anteilseigner des anderen Vertragsteils angesichts der unveränderten Verlustübernahmepflicht aus § 302 AktG möglicherweise schlechter stehen. Daraus resultiert aber keine Ände-

__________ 44 Wie Berninger, DB 2004, 297, 299 meint. 45 Für die GmbH: BGH v. 30. 1. 1992, DB 1992, 828; für die KG: LG Mannheim v. 9. 12. 1993, AG 1995, 143. 46 So Berninger, DB 2004, 297, 299.

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rung des Gewinnabführungsvertrages. Er hat nach wie vor den „ganzen“ Gewinn zum Gegenstand. Die Situation ist nicht anders als bei sich verschlechternder Geschäftslage der abhängigen Gesellschaft.

III. Abhängige GmbH 1. Ausstrahlungen des Aktienrechts Das Konzernrecht der GmbH ist, wie man weiß, nicht kodifiziert. GmbHVertragskonzerne nach aktienrechtlichem Vorbild begegnen indessen als selbstverständliche Praxis. Nicht geklärt sind allerdings ihre rechtlichen Grundlagen. Insoweit geht es vor allem darum, ob die aktienrechtlichen Vorschriften analog anzuwenden sind oder ob eigene Regeln aus dem GmbHRecht entwickelt werden müssen. Für den Abschluss des Beherrschungs- wie des Gewinnabführungsvertrages hat der BGH den letzteren Weg beschritten und in seiner „Supermarkt“-Entscheidung auf den satzungsändernden oder -überlagernden Charakter dieser Verträge abgestellt.47 Was das Vertragsende angeht, zeichnet sich dagegen im Schrifttum und auch in der Judikatur eine Tendenz in gegenteiliger Richtung ab, nämlich zur analogen Anwendbarkeit des § 296 AktG.48 Richtig erscheint, die Behandlung der Unternehmensverträge mit einer GmbH eigenständig aus der Natur solcher Verträge und den Regeln des GmbHRechts abzuleiten. Es erweist sich deshalb als segensreich, dass die schematische Transplantation des Aktienkonzerns auf die GmbH, wie sie seinerzeit mit der GmbH-Reform 1971/7349 geplant war, nicht stattgefunden hat.50 Das ist hier nicht erneut zu erörtern.51 Immerhin wird sich diese Position nachstehend an den stillen Gesellschaften bestätigen. 2. Behandlung der stillen Gesellschaft Sehr streitig ist, ob die aktienrechtlichen Formanforderungen der §§ 292 Abs. 1 Nr. 2, 293, 294 AktG analog oder zumindest im Ergebnis auf stille Gesellschaften mit einer GmbH als Geschäftsinhaberin anzuwenden sind. Eine Ansicht verlangt einen Zustimmungsbeschluss der GmbH-Gesellschafter, dem Außenwirkung beizulegen sei und der erst mit Eintragung im Han-

__________ 47 BGH v. 24. 10. 1988, BGHZ 105, 324, 330 ff.; die ganz überwiegende Mehrheit im Schrifttum ist ihm darin gefolgt; vgl. dazu die Nachweise bei Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl., 2005, Anh. § 13 Rz. 29 auch zu Gegenansichten. 48 Wegen des Streitstandes wird wiederum auf Darstellung und Nachweise bei Altmeppen (Fn. 3), Anh. § 13 Rz. 96 f. verwiesen. 49 §§ 230 ff. RegE GmbHG 1971/73, BT-Drucks. VI/3088 S. 63 ff. 50 Karsten Schmidt, ZGR 1984, 295, 307 hat insoweit von einem „Glücksfall“ gesprochen. 51 Dazu Priester, ZGR 1996, 201 ff.

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delsregister wirksam werde.52 Zur Begründung heißt es, Teilgewinnabführungsverträge seien für eine abhängige GmbH „kaum weniger gefährlich als Gewinnabführungsverträge“.53 Die überwiegende Gegenansicht lehnt eine Anwendung der Verfahrensanforderungen des „Supermarkt“-Beschlusses auf stille Beteiligungen an einer GmbH ab.54 Das erscheint zutreffend, denn stille Gesellschaften sind keine Organisationsverträge,55 sondern – wie sich im Aktienrecht schon gezeigt hat – schuldrechtliche Austauschverträge. Sie greifen in das Satzungsgefüge der Gesellschaft nicht ein. Die §§ 53, 54 GmbHG kommen bei ihnen deshalb nicht zum Zuge. Hinzu kommt: Sinn des § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG ist die Gewährleistung einer Hauptversammlungskompetenz.56 Diese Notwendigkeit besteht im GmbH-Recht allenfalls in eingeschränktem Umfange. Stille Gesellschaftsverträge stellen nämlich regelmäßig außergewöhnliche Geschäfte dar,57 für die nach heutiger Ansicht bei der GmbH per se eine Gesellschafterzuständigkeit gegeben ist.58 Festzuhalten ist zwar, dass solche Beschlüsse nur einer einfachen und nicht wie bei § 293 Abs. 1 AktG einer qualifizierten Mehrheit bedürfen. Der Unterschied ist aber angesichts des schuldrechtlichen Charakters solcher Verträge nicht ausschlaggebend. Diese vom Aktienrecht abweichenden Verfahrensanforderungen an stille Gesellschaftsverträge einer GmbH ändern nichts daran, dass ein Zusammentreffen mit einem Gewinnabführungsvertrag bei ihr in gleicher Weise zu beurteilen ist wie bei einer abhängigen Aktiengesellschaft. Sie machen im Gegenteil deutlich: Stille Beteiligungen sind auf anderer Ebene angesiedelt als Gewinnabführungsverträge.

IV. Steuerrecht 1. Stellenwert des Problems Wegen der eminenten Bedeutung des Gewinnabführungsvertrages für das Steuerrecht, genauer: die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft, darf die-

__________ 52 Emmerich (Fn. 19), § 292 Rz. 37; Weigl, DStR 1999, 1568, 1572 f.; ders., GmbHR 2002, 778 ff. 53 Scholz/Emmerich, GmbHG, 9. Aufl., 2000, Anhang Konzernrecht Rz. 218. 54 BayObLG v. 18. 2. 2003, GmbHR 2003, 534 f.; LG Darmstadt v. 24. 8. 2004, ZIP 2005, 402, 404; Scholz/Priester, GmbHG, 9. Aufl., 2002, § 53 Rz. 164; Uwe H. Schneider/Reusch, DB 1989, 713, 716; Jebens, BB 1996, 701, 703; Schmidt-Ott, GmbHR 2001, 182 ff.; differenzierend K. Mertens, AG 2000, 33 ff. 55 Abw. Emmerich (Fn. 19), § 292 Rz. 37. 56 Oben II.1.b). 57 Stille Gesellschaftsverträge gehören zu den ungewöhnlichen Geschäften i. S. v. § 116 HGB, Jickeli, MünchKommHGB, 2004, § 116 Rz. 34; Hüffer (Fn. 3), § 292 Rz. 28; Krieger (Fn. 3), § 72 Rz. 18. 58 Vgl. nur Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl., 2004, § 37 Rz. 10 f. m. w. Nachw.

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ser Aspekt unseres Themas nicht unberücksichtigt bleiben. Aus der Sicht der Praxis hätte der vorliegende Beitrag vielleicht sogar mit der steuerrechtlichen Beurteilung des Zusammentreffens von Gewinnabführungsvertrag und stiller Gesellschaft beginnen müssen. Da sich aber zeigen wird, dass das Steuerrecht hier an das Zivilrecht anknüpft, kann es bei der gewählten Reihenfolge bleiben. Ziel der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft ist – worauf oben schon hingewiesen wurde59 – die Zurechnung des Ergebnisses der abhängigen Gesellschaft, des Organs, beim anderen Vertragsteil, dem Organträger. Dazu bedarf es der Abführung des gesamten Gewinns oder gegebenenfalls der Übernahme des gesamten Verlustes des Organs an bzw. durch den Organträger. Die Abführung des „ganzen“ Gewinns steht damit steuerrechtlich im Mittelpunkt. Sie muss gegeben sein, anderenfalls scheitert die Anerkennung der Organschaft.60 Den Hintergrund bildet das Bestreben des Steuerrechts, Manipulationen zu verhindern. Deshalb ist die Abführung von Sondergewinnen an einen anderen Rechtsträger außerhalb des Gewinnabführungsvertrages nicht zulässig. Fälle wären etwa die Abführung von Gewinnen an die Muttergesellschaft des Organträgers.61 Geschähe das, wäre die von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KStG geforderte tatsächliche Durchführung des Vertrags beeinträchtigt. 2. Maßgeblichkeit des Handelsrechts Das Verbot der Abführung von Sondergewinnen steht jedoch Zahlungen auf schuldrechtlicher Grundlage nicht entgegen, die handels- und steuerrechtlich Betriebsausgaben bilden. Aus dem Blickwinkel der Abführung des „ganzen“ Gewinns sind sie unschädllich. Zu derartigen unschädlichen Zahlungen rechnen vor allem solche aufgrund stiller Beteiligungen, partiarischer Darlehen und Genussrechte ohne Beteiligung am Liquidationserlös.62 Für stille Beteiligungen soll die Unschädlichkeit auch dann gelten, wenn sie atypisch sind, also eine Mitunternehmerschaft zwischen der Kapitalgesellschaft und dem still Beteiligten vorliegt. Letzteres wird aus einem Vorrang des Handelsrechts abgeleitet. Der Umstand, dass die stille Beteiligung an einer AG aufgrund von § 292 AktG als Teilgewinnabführungsvertrag behandelt werde, führe nicht zu einer abweichenden Beurteilung.63

__________ 59 Unter II.1.b). 60 Vgl. nur Olbing, in: Steck, KStG, 6. Aufl., 2003, § 14 Anm. 59. 61 Frotscher, in: Frotscher/Maas, § 14 KStG Rz. 162a; Witt, in: Dötsch/Eversberg/ Jost/Pung/Witt, § 14 KStG Rz. 96. 62 Witt (Fn. 61), § 14 KStG Rz. 96. 63 Eingehend Walter, in: Ernst & Young (Hrsg.), KStG, Erg.-Lfg. Mai 2005, § 14 KStG Rz. 586.

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Zusammentreffen von Gewinnabführungsvertrag und stiller Gesellschaft

Diese Einordnung ist aus doppeltem Grunde wichtig. Einmal zeigt sie, dass einem Zusammentreffen von Gewinnabführungsvertrag und stiller Gesellschaft auch steuerlich keine Einwendungen entgegenstehen. Zum zweiten bestätigt sie die Vorrangigkeit der stillen Beteiligung vor der Gewinnabführung.

V. Ergebnisthesen 1. Ein stilles Gesellschaftsverhältnis schließt den Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages nicht aus. 2. Auch bei bestehendem Gewinnabführungsvertrag kann eine stille Gesellschaft eingegangen werden. Eine Änderung des Gewinnabführungsvertrages ist dazu nicht erforderlich. 3. Trotz verfahrensmäßiger Unterschiede gilt für die GmbH das Gleiche wie für die AG. 4. Eine handelsrechtlich wirksame Regelung ist auch für die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft anzuerkennen. 5. Das Zusammentreffen von Gewinnabführungsvertrag und stiller Gesellschaft ist damit durch Konkordanz gekennzeichnet, nicht durch Dissonanz.

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Sanierender Rangrücktritt bei Gesellschafterdarlehen: Irrungen, Wirrungen! – Eine Skizze zu § 5 Abs. 2a EStG, §§ 19, 39, 199 InsO* – Inhaltsübersicht I. Das Problem 1. Das Gesellschafts- und Insolvenzrecht: eine unerwünschte Quelle des Steuerrechts? 2. Buchgewinne durch Sanierungsmaßnahmen als Steuerfallen? 3. Vermeidung von Erlassfolgen durch Rangrücktrittserklärungen? II. Die Rangrücktrittsvereinbarung 1. Rechtsgeschäftliche Einordnung 2. Freiheit der Rangwahl 3. Forderungsumgestaltung oder pactum de non petendo? III. Insolvenzrechtliche Notwendigkeit eines Rangrücktritts 1. Diskussion vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung 2. Die Diskussion unter der Insolvenzordnung 3. Die wesentlichen Standpunkte vor dem BGH-Urteil vom 8. Januar 2001 4. Das BGH-Urteil vom 8. Januar 2001

IV. Der Streit um die „Tiefe“ des Rangrücktritts 1. Die „Tiefenschärfe“: ein Problem für die Praxis? 2. Der Standpunkt des Bundesgerichtshofs 3. Vier zivilrechtliche Lösungsvarianten 4. Was ist gewollt? Was muss gewollt sein? V. Die steuerrechtliche Folgediskussion 1. Das BGH-Urteil vom 8. Januar 2001 als Quelle der Besorgnis 2. Neue Besorgnisse seit dem BMFSchreiben vom 18. August 2004 3. Die erste gute Nachricht: Der „qualifizierte Rangrücktritt“ ist nicht steuerschädlich 4. Die zweite gute Nachricht: Ein unspezifizierter Rangrücktritt ist nicht steuerschädlich VI. Konsequenzen 1. Eine lehrreiche Diskussion 2. Plädoyer für die Zulassung eines unspezifischen Rangrücktritts

*

I. Das Problem 1. Das Gesellschafts- und Insolvenzrecht: eine unerwünschte Quelle des Steuerrechts? Erinnert man sich noch an den polemisch geführten Streit um das Steuerrecht als „unerwünschte Rechtsquelle des Gesellschaftsrechts“1? Da ging es

__________ * 1

Auf umfassende Literaturhinweise wurde verzichtet; bei der Fahnenkorrektur konnten Beiträge bis Februar/März 2006 nachgetragen werden. Vgl. Knobbe-Keuk, Das Steuerrecht – eine unerwünschte Rechtsquelle des Gesellschaftsrechts?, 1986; Groh, BB 1984, 304 ff.; über „Das Steuerrecht als unerwünschte Rechtsquelle des Bilanzrechts“ vgl. Raupach, FS Moxter, 1994, S. 101 ff.

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im Wesentlichen nicht um die – durchaus ja notwendige – Abstimmung zweier wichtiger Rechtsgebiete und ihre Zusammenführung in der Praxis, sondern es ging um die Störung des einen Gebiets durch Fehlentwicklungen bei dem anderen. Im Folgenden wird zu zeigen sein, dass solche Störungen auch bei eigentlich einfachen Sachverhalten unterlaufen können. Es wird um eine Diskussion gehen, die im Zivil- und Gesellschaftsrecht ihren Ausgang nahm, um dann im Gefolge insolvenzrechtlicher und steuerrechtlicher Fragestellungen für unnötige Verwirrung zu sorgen. Gemeint sind die um die Sanierung durch Rangrücktritt entstandenen Rechtsfragen, insbesondere bei Gesellschafterdarlehen. Der Ausgangspunkt ist, wie schon angedeutet, überaus einfach. Klassische liquiditätsbezogene Sanierungsbeiträge der Gesellschafter einer Handelsgesellschaft – wir wollen hier exemplarisch von einer GmbH ausgehen – sind – – –

Gesellschafterdarlehen, Forderungsverzichte, Rangrücktrittsvereinbarungen.

Die natürliche Absicht der Beteiligten bei diesen Maßnahmen wird sein, der Gesellschaft als Schuldnerin Erleichterung zu verschaffen, sie insbesondere auch aus der Zone der Insolvenzantragspflicht (§ 64 GmbHG) herauszunehmen, ohne sie im Gegenzug mit Steuerverbindlichkeiten zu belasten. Bekanntlich kann aber die Vereinbarkeit dieser Ziele Kopfschmerzen bereiten, und diese sind nur teilweise steuerinduziert. Insbesondere im Zusammenspiel von Gesellschafterdarlehen und Rangrücktritten musste die Schwierigkeit auftreten, wie man mit der Zahlungsunfähigkeit (Darlehensgewährung) auch die Überschuldung vermeidet (Rangrücktritt), ohne dass dies zu steuerschädlichen Gewinnen der Gesellschaft führt. 2. Buchgewinne durch Sanierungsmaßnahmen als Steuerfallen? Ihren Ausgang nahm die Verunsicherung mit der Abschaffung des vormals in § 3 Nr. 66 EStG a. F. enthaltenen Sanierungsprivilegs2. Seither droht der mit Sanierungsabsicht erklärte Forderungsverzicht zur Steuerfalle für die zu sanierende Gesellschaft zu werden und der Rangrücktritt drohte, wie zu zeigen sein wird, in den Augen vieler in dieselbe Falle zu laufen. Nach der Grundsatzentscheidung des Großen Senats vom 9. Juni 19973 führt ein auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhender Forderungsverzicht in Höhe des Forderungswerts – im Sanierungsfall: ihres Teilwerts – zu einer Einlage, während die Differenz zwischen Nominalwert und Teilwert ein steuerbarer, nach Aufhebung des Sanierungsprivilegs in § 3 Nr. 66 EStG a. F. nicht mehr

__________ 2 3

Dazu Gesetz v. 19. 12. 1997, BGBl. I, 3121. BFH v. 9. 6. 1997, BFHE 183, 187 = BStBl. II 1998, 307.

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Sanierender Rangrücktritt bei Gesellschafterdarlehen: Irrungen, Wirrungen!

begünstigter Gewinn ist4. Für Besserungsvereinbarungen, die im Zweifel nicht als auflösend bedingtes pactum de non petendo5, sondern als Forderungserlass mit Besserungsvorbehalt ausgelegt werden6, gilt, bezogen auf den Erlasszeitpunkt, nach der herrschenden Ansicht dasselbe7. Es besteht ein strenges Passivierungsverbot. Die Besserungsvereinbarung generiert, weil nach herrschender Meinung auf einem Forderungserlass beruhend, steuerschädliche Buchgewinne. 3. Vermeidung von Erlassfolgen durch Rangrücktrittserklärungen? Die Hauptsorge der steuerrechtlichen Diskussion der vergangenen Jahre war deshalb: Ist – und unter welchen Voraussetzungen ist – eine mit Sanierungsabsicht erfolgte Rangrücktrittsvereinbarung vom Passivierungsverbot ausgenommen? Der gesunde Menschenverstand sagt: „Ja!“, denn ein Rangrücktritt führt nicht zum Erlöschen der Schuld8. Aber die Fachdiskussion musste verschlungene Wege gehen, um zu diesem Ziel zu gelangen. In den Mittelpunkt der Betrachtung geriet auf der einen Seite das lange erwartete Grundsatzurteil des BGH vom 8. Januar 2001 über den überschuldungsvermeidenden Rangrücktritt9, auf der anderen Seite der durch das Steuerbereinigungsgesetz 199910 neu eingeführte § 5 Abs. 2a EStG sowie das dazu ergangene BMF-Schreiben vom 18. August 2004 zur Anwendung dieser Vorschrift im Zusammenhang mit Rangrücktrittsvereinbarungen11. Gemäß § 5 Abs. 2a EStG i. d. F. des Steuerbereinigungsgesetzes darf weder eine Verbindlichkeit angesetzt noch eine Rückstellung gebildet werden, wenn die Verpflichtung nur zu erfüllen ist, soweit künftig Einnahmen oder Gewinne anfallen. Eine solche Verbindlichkeit oder Rückstellung darf erst angesetzt werden, wenn die Einnahmen oder Gewinne angefallen sind. Dazu heißt es in dem BMFSchreiben wörtlich: „Vereinbart ein Schuldner mit dem Gläubiger, dass eine Rückzahlung der Verbindlichkeit nur dann zu erfolgen habe, wenn der Schuldner dazu aus zukünftigen Gewinnen, aus einem Liquidationsüberschuss oder aus anderem – freien – Vermögen künftig in der Lage ist und der Gläubiger mit seiner Forderung im Rang hinter allen anderen

__________

4 Eingehend Crezelius in Karsten Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 3. Aufl. 2003, Rz. 661 ff. 5 So aber mit guten Argumenten Schrader, Die Besserungsabrede, 1995, S. 13 ff. 6 BFH v. 9. 6. 1997 aaO (Fn. 3); Nachweise bei Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 6. Aufl. 2002, Rz. 1.1010, 1.1014; Wittig in Karsten Schmidt/Uhlenbruck (Fn. 4), Rz. 514. 7 Crezelius in Karsten Schmidt/Uhlenbruck (Fn. 4), Rz. 671 ff. 8 BFH v. 20. 10. 2004, BFHE 207, 295 (299) = BStBl. II 2005, 581. 9 BGH v. 8. 1. 2001, BGHZ 146, 264 = GmbHR 2001, 190 m. Anm. Felleisen = JZ 2001, 1188 m. Anm. Fleischer = ZIP 2001, 235 m. Anm. Altmeppen. 10 Gesetz zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften (Steuerbereinigungsgesetz 1999 – StBereinG 1999) v. 22. 12. 1999, BGBl. I 1999, 2601; dazu Bericht des Finanzausschusses, BT-Dr. 14/2070, 17 f. 11 IV A 6 – S 2133 – 2/04, BStBl. I 2004, 850 = DStR 2004, 1525.

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Karsten Schmidt Gläubigern zurücktritt, bewirkt diese Rangrücktrittsvereinbarung anders als z. B. ein Forderungsverzicht nicht eine Minderung oder das Erlöschen der Schuld, sondern führt lediglich zu einer veränderten Rangordnung bei den Verbindlichkeiten und wirkt sich damit lediglich auf die Fälligkeit der Verbindlichkeit aus. … Haben Schuldner und Gläubiger eine (solche) Vereinbarung … geschlossen, besteht die (für eine Anwendbarkeit des § 5 Abs. 2a EStG) erforderliche Abhängigkeit zwischen Verbindlichkeit und Einnahmen oder Gewinnen nicht, so dass der Tatbestand des § 5 Abs. 2a EStG nicht erfüllt ist; die Verbindlichkeit ist zu passivieren. Fehlt dagegen eine Bezugnahme auf die Möglichkeit einer Tilgung auch aus sonstigem freien Vermögen, ist der Ansatz von Verbindlichkeiten oder Rückstellungen bei derartigen Vereinbarungen ausgeschlossen.“

Das Ministerium geht erkennbar davon aus, dass Rangrücktrittsvereinbarungen jedenfalls unter § 5 Abs. 2a EStG fallen können12. Die Lektüre dieses Schreibens ließ auf den ersten Blick eine dreifache Folgerung zu, und die lautete: –

Wer eine Rangrücktrittsvereinbarung des Inhalts trifft, dass die Gesellschaftsschuld nur aus freiem Vermögen und mit Nachrang gegenüber den Gläubigern bedient werde, hat alles richtig gemacht.



Gefährlich ist dagegen ein unspezifizierter Rangrücktritt, weil dann die „Bezugnahme auf die Möglichkeit einer Tilgung auch aus sonstigem freien Vermögen“ fehlt.



Schlechterdings fehlerhaft ist ein Rangrücktritt des Inhalts, dass die Rückzahlung nur aus künftigen Gewinnen erfolgen soll, denn dann wird der Rangrücktritt einem Forderungsverzicht mit Besserungsabrede gleichgestellt.

Die Diskussion ließ dann aber die erste Annahme als trügerisch erscheinen, bis sich die entstandenen Besorgnisse beruhigten. Am Ende erwies sich sogar die zweite Annahme als falscher Alarm. Bestand hatte dagegen die dritte. Aber der Weg zu diesen Ergebnissen war dornenreich.

II. Die Rangrücktrittsvereinbarung 1. Rechtsgeschäftliche Einordnung Der Rangrücktritt wird als ein Vertrag verstanden13: ein Vertrag zwischen dem Gläubiger der im Rang zurücktretenden Forderung und ihrem Schuld-

__________ 12 Auf die umstrittene Frage, ob § 5 Abs. 2a EStG auf den nachträglichen Rangrücktritt bei der Gesellschafterfremdfinanzierung überhaupt anwendbar ist, wird hier nicht eingegangen (dazu etwa Heerma, BB 2005, 537 [543]; Klein, GmbHR 2005, 663 [669]; Taraschka, DStR 2006, 109 [111]). 13 Teller/Steffan, Rangrücktrittserklärungen zur Vermeidung der Überschuldung bei der GmbH, 3. Aufl. 2003, Rz. 250 ff.; Wittig, NZI 2001, 169 (170); Heerma, BB 2005, 537 (538); Klein, GmbHR 2005, 663; Taraschka, DStR 2006, 109.

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Sanierender Rangrücktritt bei Gesellschafterdarlehen: Irrungen, Wirrungen!

ner, in der Mehrzahl der Fälle einer GmbH oder GmbH & Co. KG. Statt von einem Vertrag wird zwar auch von einer bloßen Rangrücktrittserklärung gesprochen14. Aber diese Formulierung steht nicht für eine rechtsdogmatische Einordnung des Vorgangs, ist vielmehr nur eine Beschreibung und Akzentsetzung: Alles hängt hier vom Gläubiger ab, und wenn der Geschäftsführer der Schuldnerin dessen Erklärung zufrieden zu den Akten nimmt, ist der Vertrag eben geschlossen (§ 151 BGB)15. Einfach gesprochen: Wenn die Rangrücktrittserklärung des Gläubigers vorliegt, haben wir auch den Rangrücktritt selbst. Mehr soll nicht gesagt sein. 2. Freiheit der Rangwahl Die Parteien einer Rangrücktrittsabrede können den Rang, mit dem die zurücktretende Forderung zu bedienen ist, grundsätzlich frei bestimmen16. Der Grundsatz der Privatautonomie gestattet es ihnen ohne weiteres, der Forderung –

einen beliebigen Rang im Rahmen des § 39 Abs. 1 InsO,



einen Rang hinter den kraft Gesetzes nachrangigen Forderungen (§ 39 Abs. 2 InsO),



einen Rang zwischen den nachrangigen Forderungen und dem Eigenkapital oder



einen eigenkapitalgleichen Rang (vgl. § 199 Satz 2 InsO)

zu geben17. Die Insolvenzordnung stellt für den Fall, dass sich mit dem Rangrücktritt keine gezielte Rangwahl verbindet, eine Vermutung für die zweite dieser Lösungen auf: Nach § 39 Abs. 2 InsO wird eine Forderung, für die der Nachrang im Insolvenzverfahren vereinbart worden ist, im Zweifel nach den in § 39 Abs. 1 InsO genannten Forderungen berichtigt, also auch nach den kraft Gesetzes als Eigenkapitalersatz qualifizierten Forderungen (vgl. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO), aber vor dem Eigenkapital (vgl. § 199 Satz 2 InsO). Das gilt jedoch nur im Zweifel. 3. Forderungsumgestaltung oder pactum de non petendo? Wenig klar ist die rechtliche Wirkung des Rangrücktritts. Nach der wohl überwiegenden Auffassung gestaltet der Rangrücktritt das Forderungsrecht um und unterwirft das im Rang zurücktretende Kapital einer Ausschüt-

__________ 14 Vgl. BGH v. 8. 1. 2001, BGHZ 146, 264 (271) = GmbHR 2001, 190 (192) m. Anm. Felleisen = JZ 2001, 1188 (1190) m. Anm. Fleischer = ZIP 2001, 235 m. Anm. Altmeppen. 15 Vgl. Heerma, BB 2005, 537; Taraschka, DStR 2006, 109. 16 Begr. RegE InsO zu § 46 InsO in Balz/Landfermann, Die neuen Insolvenzgesetze, 1995, S. 121: „mit dem vereinbarten Rang berücksichtigt“. 17 Vgl. statt vieler Ehricke in Münchener Kommentar zur InsO, 2001, § 39 Rz. 45 f.

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tungssperre18. Das ist, heißt es, mehr als ein bloßes pactum de non petendo19. Der Verfasser sieht dagegen den Rangrücktritt nur als eine Variante des pactum de non petendo an20: Der Rangrücktritt erschöpft sich in dem Versprechen des Gläubigers, sich auf die vielleicht nicht-kapitalersetzende Qualität des Kredits nicht zu berufen, ihn also nicht zurückzufordern und die Summe nicht entgegenzunehmen und sie im Insolvenzfall nur als nachrangige Forderung anzumelden (§ 174 Abs. 3 InsO). Mehr – insbesondere eine vertragliche Verpflichtung auch des Geschäftsführers, keine Rückzahlung vorzunehmen – ist nicht zu verlangen. Insbesondere ist die Nachrangigkeit der Forderung im Insolvenzfall keine eines Verfügungsgeschäfts bedürftige Umgestaltung des Gläubigerrechts21. Es genügt, um es einfach zu sagen, eine Vereinbarung über die im Umgang mit der Forderung einzuhaltenden Spielregeln. Mehr soll, ja: mehr kann der Rangrücktritt nicht bewirken. Solange sich der Geschäftsführer an diese Spielregeln hält – und das tut er erfahrungsgemäß! –, ist auf der Rechtsfolgenseite nichts zu vermissen. Wollte er den im Rang zurückgetretenen Gläubiger ungeachtet des Nachrangs bedienen, so hülfe dagegen ohnedies nur eine gesetzliche Rückzahlungssperre (nämlich der analog anzuwendende § 30 GmbHG)22, denn auch der von der herrschenden Meinung verlangte forderungsändernde Rangrücktritt ist jederzeit aufhebbar, ist also nicht gegen ein einvernehmliches Zuwiderhandeln gefeit.

III. Insolvenzrechtliche Notwendigkeit eines Rangrücktritts 1. Diskussion vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung Bis zum Jahr 2001 war die Behandlung von Eigenkapitalersatz im Überschuldungsstatus außerordentlich umstritten. Damals besagte § 32a Abs. 1 Satz 1 GmbHG, eine eigenkapitalersetzende Forderung könne im Konkurs der Gesellschaft „nicht geltend gemacht werden“23. Demgemäß gab es namhafte Stimmen in Praxis und Literatur, die eine Passivierung von Eigenkapital-

__________ 18 Habersack, ZGR 2000, 384 (403) m. w. N. 19 Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 42 Rz. 49; Habersack, ZGR 2000, 384 (403); Wittig, NZI 2001, 169 (170). 20 Karsten Schmidt in Scholz, GmbHG, 9. Aufl. 2000, §§ 32a, 32b Rz. 99. 21 So aber Obermüller (Fn. 6), Rz. 1.1015; Altmeppen in Roth/Altmeppen (Fn. 19), § 42 Rz. 50; Habersack, ZGR 2000, 384 (403); Wittig, NZI 2001, 169 (170 f.). 22 Ähnliche Überlegungen bei Heerma, BB 2005, 537 (538). 23 § 32a Abs. 1 GmbHG a. F.: „Hat ein Gesellschafter der Gesellschaft in einem Zeitpunkt, in dem ihr die Gesellschafter als ordentliche Kaufleute Eigenkapital zugeführt hätten, statt dessen ein Darlehen gewährt, so kann er den Anspruch auf Rückgewähr des Darlehens im Konkurs über das Vermögen der Gesellschaft oder im Vergleichsverfahren zur Abwendung des Konkurses nicht geltend machen. Ein Zwangsvergleich oder ein im Vergleichsverfahren geschlossener Vergleich wirkt für und gegen die Forderung des Gesellschafters.“

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ersatz kraft Gesetzes für überflüssig hielten24. Andere – darunter der Verfasser – lehnten diese Folgerung ab, weil sich zu seinen Gunsten auf § 32a GmbHG nur berufen dürfe, wer die im Einzelfall schwer zu entscheidende Anwendbarkeit der Bestimmung durch Rangrücktrittsvereinbarung klargestellt habe25. Über den Rang der subordinierten Forderung wurde wenig nachgedacht. Da auch Eigenkapitalersatz im Konkurs nicht geltend gemacht werden konnte (§ 32a GmbHG a. F.), konnte für sie nichts anderes gelten. 2. Die Diskussion unter der Insolvenzordnung Die Insolvenzordnung mitsamt ihrer Begründung hat die Frage nicht einfacher gemacht. Nach der auf ihr beruhenden Neufassung des § 32a Abs. 1 GmbHG stellen Forderungen aus Eigenkapitalersatz nachrangige Insolvenzforderungen dar. Sie erscheinen demgemäß im Katalog des § 39 Abs. 1 InsO unter der Nr. 5. Mit einer materialen Besserstellung der Eigenkapitalersatzgläubiger gegenüber dem alten Konkursrecht hat das naturgemäß nichts zu tun. Die Konkursordnung erfasste eigenkapitalersetzende Forderungen selbst im theoretischen Fall einer für sie ausreichenden Masse einfach deshalb nicht, weil der Konkursverwalter nach der damals h.M. nur Fremdkapital bediente (§ 149 KO) und im Fall einer verbleibenden Masse die Restausschüttung den Gesellschaftsorganen überließ26. Das Insolvenzverfahren neuer Art ist ein Vollabwicklungsverfahren, das bis hin zum – nochmals: naturgemäß theoretischen! – Fall einer Restausschüttung an die Gesellschafter (§ 199 Satz 2 InsO) jedem Liquidationsbeteiligten einen Rang bei der Berücksichtigung seiner Rechte zubilligt, folgerichtig auch dem Eigenkapitalersatzgläubiger27. Erst wenn man sich über die eigentlich nur rechtstechnische Abweichung

__________ 24 OLG München v. 17. 2. 1966, NJW 1996, 2366; v. 8. 7. 1994, NJW 1994, 3112 = GmbHR 1995, 458 L; OLG Düsseldorf v. 18. 4. 1997, WiB 1997, 1087 = WM 1997, 1866 = GmbHR 1997, 699; OLG Köln v. 23. 5. 2000, NZG 2001, 32 = DB 2000, 2264; LG Waldshut-Tiengen v. 28. 7. 1995, GmbHR 1995, 899 (900); SchulzeOsterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG, 16. Aufl. 1996, § 63 Rz. 15; Ulmer in Hachenburg, GmbHG, 8. Aufl. 1991, § 63 Rz. 46; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 14. Aufl. 1995, § 63 Rz. 7; Hommelhoff in FS Döllerer, 1988, S. 256; Teller, Rangrücktrittsvereinbarungen zur Vermeidung der Überschuldung bei der GmbH, 2. Aufl. 1995, S. 85 ff.; Noack in FS Claussen, 1997, S. 313 ff.; Fleischer, ZIP 1996, 773 ff. mit umfassenden Nachweisen. 25 Für dieses Erfordernis etwa OLG Hamburg v. 18. 7. 1986, GmbHR 1987, 97, (98 f.); OLG Düsseldorf v. 19. 1. 1995, DB 1996, 1126; Kilger/Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl. 1997, § 32a KO Anm. 3d; Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl. 1994, § 102 Rz. 17; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 3. Aufl. 1997, § 63 Rz. 17; Rowedder, GmbHG, 3. Aufl. 1997, § 63 Rz. 14 (gegen Vorauflage); Karsten Schmidt in Scholz, GmbHG, 8. Aufl. 1993/95, §§ 32a, 32b Rz. 60, § 63 Rz. 27; Priester, ZIP 1994, 416; nur mit der Unterbilanzhaftung beschäftigt sich BGH v. 6. 12. 1993, BGHZ 124, 282 = GmbHR 1994, 176. 26 Hiergegen freilich bereits Kilger/Karsten Schmidt (Fn. 25), § 207 KO Anm. 7. 27 Vgl. Karsten Schmidt in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2000, S. 1208 f.

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gegenüber dem unter der Konkursordnung geltenden Rechtszustand klar ist, kann man das Richtige und das Bedenkliche an der folgenden, im Regierungsentwurf zur Insolvenzordnung enthaltenen „Klarstellung“ einschätzen28: „Auf der Passivseite des Überschuldungsstatus sind auch die nachrangigen Verbindlichkeiten […] zu berücksichtigen. Dem Bedürfnis der Praxis, durch den Rangrücktritt eines Gläubigers den Eintritt der Überschuldung zu vermeiden oder eine bereits eingetretene Überschuldung wieder zu beseitigen, kann in der Weise Rechnung getragen werden, dass die Forderung des Gläubigers für den Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erlassen wird.“

Die Gesetzesbegründung verlangte also an Stelle des bloßen Rangrücktritts einen zum Wegfall der Forderung führenden Verzicht oder Erlass des Gläubigers. Der Verfasser hat damals in folgenden Worten vor Fehleinschätzungen gewarnt, gewarnt vor der Folgerung, dass die Passivierungspflicht nunmehr positivrechtlich festgelegt und nur durch einen Forderungsverzicht abwendbar sei29: „Die sich angeblich aus der Insolvenzordnung ergebenden Konsequenzen wären folgenreich. Sie müssten dazu führen, dass alle bisherigen Rangrücktritte als unzulänglich angesehen werden müssten … Die Umorientierung vom Rangrücktritt auf den Forderungsverzicht hätte womöglich auch steuerrechtliche Folgen, denn ein bloßer Rangrücktritt ändert auch in der Jahres- und Steuerbilanz nichts an der Passivierung der Darlehensforderung, während ein Forderungsverzicht dazu führen kann, dass in Höhe des Unterschieds zwischen dem Wert und dem Nennbetrag der Forderung ein der Körperschaftsteuer unterliegender Gewinn der Kapitalgesellschaft ausgewiesen wird … Aber auch zivilrechtlich ist der Unterschied groß. Es braucht nur daran erinnert zu werden, dass ein Rangrücktritt den Zinslauf nicht hindert (nämlich nur die Auszahlung der Zinsen sperrt) und dass ein Forderungsverzicht, selbst wenn auflösend bedingt, etwa gegebene Sicherheiten im Sanierungsfall in Gefahr bringt. Der Forderungsverzicht könnte also, wenn er denn nötig wäre, Konsequenzen haben, die durch den praktischen Sinn dieser Maßnahme nicht gerechtfertigt wären.“

3. Die wesentlichen Standpunkte vor dem BGH-Urteil vom 8. Januar 2001 Bemerkenswerterweise wurden dann unter der Geltung der Insolvenzordnung zunächst nicht zwei Meinungen über den notwendigen Rangrücktritt (Erlasswirkung notwendig oder überflüssig?) vertreten, vielmehr hielt sich auch noch die Auffassung, eine Anwendbarkeit des § 32a Abs. 1 GmbHG gestatte ipso iure die Nicht-Passivierung der Verbindlichkeit im Insolvenzstatus. Bevor der BGH über die Frage entschied, war also von drei Grundpositionen die Rede:

__________ 28 Begr. zu § 23 RegE InsO in Balz/Landfermann (Fn. 16), S. 93. 29 Karsten Schmidt, GmbHR 1999, 9 (11); dort weitere Nachweise.

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– – –

(1) Eigenkapitalersatz sei ipso iure von der Passivierungspflicht frei30. (2) Es bedürfe hierfür eines Rangrücktritts i. S. von § 39 InsO31. (3) Notwendig sei ein Rangrücktritt mit Erlasswirkungen32.

4. Das BGH-Urteil vom 8. Januar 2001 Das Grundlagenurteil des Bundesgerichtshofs vom 8. Januar 2001 hat diese Frage in einem prinzipiell begrüßenswerten Sinne geklärt33: „Forderungen eines Gesellschafters aus der Gewährung eigenkapitalersetzender Leistungen sind, soweit für sie keine Rangrücktrittserklärung abgegeben worden ist, in der Überschuldungsbilanz der Gesellschaft zu passivieren.“

Aber diese in ihrem Kern begrüßenswerte und klärende Entscheidung hat, indem sie die Notwendigkeit eines Rangrücktritts unterstrich, das Steuerproblem nur umso dringlicher gemacht.

IV. Der Streit um die „Tiefe“ des Rangrücktritts 1. Die „Tiefenschärfe“: ein Problem für die Praxis? Man hätte erwarten können, dass die Diskussion mit dem begrüßenswerten Urteil vom 8. Januar 200134 im Wesentlichen beendet gewesen wäre, denn nun war ja bekannt: Um dem Passivierungsgebot im Insolvenzstatus zu entgehen, braucht der Geschäftsführer keinen Verzicht des Gläubigers auf die Forderung herbeizuführen, aber ohne einen Rangrücktritt geht es nicht. Jede weitere Präzisierung schien zunächst allenfalls akademisch von Belang. Denn wenn der Gläubiger im Rang auch nur hinter die einfachen Insolvenzgläubiger zurücktritt und damit im Insolvenzfall jede realistische Befriedigungschance einbüßt, könnte doch, scheint es, die präzise Bestimmung des Forderungsrangs dem Spieltrieb von Professoren und Doktoranden überlassen bleiben. Aber die Diskussion nahm einen anderen Gang. Sie ließ das wirtschaftlich Gewollte mehr und mehr außer Betracht und konzentrierte sich auf die Pflicht der Beteiligten zu juristisch präziser Formulierung des

__________ 30 Vgl. nur OLG Köln v. 23. 5. 2000, NZG 2001, 32 = DB 2000, 2264; Noack in Insolvenzrecht 1996, 1997, S. 209 f.; Fleischer, ZIP 1996, 773 ff.; Lutter, ZIP 1999, 641, insbesondere S. 646 mit überaus starken Worten zur Ansicht des Verf. 31 So beispielsweise Karsten Schmidt in Scholz (Fn. 20), §§ 32a, 32b Rz. 108 f., vor § 64 Rz. 32. 32 Ehlers, DStR 1998, 1756 (1758 m. Nachtrag, 1841); Hess/Weiss, InVO 1999, 34 ff.; Reck, GmbHR 1999, 274; die Kommentare haben ab 2001 großenteils die Seite gewechselt; ältere Angaben bei Heerma, BB 2005, 537 (538). 33 BGH v. 8. 1. 2001, BGHZ 146, 264 = GmbHR 2001, 190 m. Anm. Felleisen = JZ 2001, 1188 m. Anm. Fleischer = ZIP 2001, 235 m. Anm. Altmeppen; jetzt h. M., Nachweise bei Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2006, § 64 Rz. 24. 34 Fn. 33.

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Rangrücktritts: Die Kunst wird seither darin gesehen, den vom BGH formulierten Anforderungen an die Überschuldungsvermeidung ohne steuerrechtlichen Kunstfehler zu genügen. 2. Der Standpunkt des Bundesgerichtshofs Das im Ausgangspunkt begrüßenswerte Urteil vom 8. Januar 200135 warf damit ein entscheidendes Licht auf die Frage, welcher Art der Rangrücktritt zu sein habe, um die von der Insolvenzantragspflicht befreienden Rechtsfolgen zu äußern. In diesem Punkt hat der II. Zivilsenat mit Recht und sehr eindeutig dem Erfordernis eines bedingten Forderungsverzichts oder Forderungserlasses eine Absage erteilt. Nach dem Urteil bedarf es „eines Verzichts auf die Forderung (vgl. hierzu BT-Drucks. 12/2443, S. 115 re. Sp.) … nicht. Denn durch ihn würden – den allerdings nicht nahe liegenden Fall der Überwindung der Krise oder des Vorhandenseins eines Liquidationsüberschusses unterstellt – ausschließlich die Mitgesellschafter begünstigt, während die Interessen der außenstehenden Gläubiger durch die beschriebene Rangrücktrittserklärung ebenso gewahrt worden sind, wie dem Wunsch der Gesellschafter, die GmbH erhalten zu können, Rechnung getragen worden ist.“

Auch dies überzeugt36. Gleichwohl genügt dem Senat nicht ein „einfacher“, sondern nur ein „qualifizierter“ Rangrücktritt: Der Senat schließt an sein die Vorbelastungs- und Jahresbilanz betreffendes Urteil vom 6. Dezember 199337 an und liest daraus ab38, „dass sich die Frage der Passivierung von Gesellschafterforderungen mit eigenkapitalersetzendem Charakter auch beim Überschuldungsstatus dann nicht stellt, wenn der betreffende Gesellschafter seinen Rangrücktritt, also sinngemäß erklärt hat, er wolle wegen der genannten Forderungen erst nach der Befriedigung sämtlicher Gesellschaftsgläubiger und – bis zur Abwendung der Krise – auch nicht vor, sondern nur zugleich mit den Einlagerückgewähransprüchen seiner Mitgesellschafter berücksichtigt, also so behandelt werden, als handele es sich bei seiner Gesellschafterleistung um statutarisches Kapital … Stellt sich der Gesellschafter in dieser Weise wegen seiner Ansprüche aus einer in funktionales Eigenkapital umqualifizierten Drittleistung auf dieselbe Stufe, auf der er selbst und seine Mitgesellschafter hinsichtlich ihrer Einlagen stehen, besteht keine Notwendigkeit, diese Forderungen in den Schuldenstatus der Gesellschaft aufzunehmen.“

Hieraus leitet die herrschende Auffassung ab, dass ein „qualifizierter“, d. h. über § 39 Abs. 2 InsO hinausgehender Rangrücktritt erforderlich, ein die bloße Nachrangigkeit der Forderung begründender Rangrücktritt also nicht

__________ 35 36 37 38

Vgl. Fn. 33. Vgl. Uhlenbruck in Karsten Schmidt/Uhlenbruck (Fn. 4), Rz. 918. BGH v. 9. 3. 1981, BGHZ 124, 282 = NJW 1994, 724 = ZIP 1994, 295. BGH v. 8. 1. 2001, BGHZ 146, 264 (273) = GmbHR 2001, 190 (192) m. Anm. Felleisen = JZ 2001, 1188 (1190) m. Anm. Fleischer = ZIP 2001, 235 (237) m. Anm. Altmeppen.

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ausreichend sei39. Der einfache, in § 39 InsO geregelte Rangrücktritt, so war jüngst zu lesen, spiele deshalb in der Praxis sanierungsbedürftiger Gesellschaften keine Rolle mehr40. Das ist, wenn dies zutrifft, ein schönes Beispiel für den Einfluss der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf die Vertragsgestaltungspraxis, es ist aber zugleich auch ein Beispiel für die Bedenklichkeit einer vorschnellen Festlegung der revisionsgerichtlichen Judikatur. Denn die Kunst der Vertragsgestaltung besteht ja darin, dem Passivierungsgebot beim Überschuldungsstatus zu entgehen, ohne in die Zone des steuerrechtlichen Passivierungsverbots zu geraten. 3. Vier zivilrechtliche Lösungsvarianten Welchen Rang hat also die im Rang zurückgetretene Forderung nach dem System der Insolvenzordnung? Prinzipiell lassen sich vier Lösungen unterscheiden: –

Nach der im Urteil des Bundesgerichtshofs vorgeprägten Lösung muss der Rangrücktritt, um vor der Überschuldung zu schützen, die Kreditforderung auf eine Stufe mit dem Eigenkapital, also auf die Stufe des § 199 Satz 2 InsO, stellen41.



Nach einer weniger einschneidenden Gegenansicht bleibt es bei der Grundregel des § 39 Abs. 2 InsO, so dass die im Rang subordinierte Forderung hinter den kraft Gesetzes nachrangigen Forderungen (§ 39 Abs. 1 InsO), aber vor dem Eigenkapital rangiert42.



Eine vermittelnde Lösung deutet den vom BGH verlangten Maßstab dahin, dass der im Rang zurücktretende Gläubiger vor dem Eigenkapital (§ 199 Satz 2 InsO) rangieren dürfe, aber hinter allen, auch allen nach § 39 InsO nachrangigen Gläubigern rangieren müsse43.



Ein vierter, vom Verfasser dieses Beitrags begründeter Vorschlag geht dahin, dass ein dem § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO entsprechender Rang ausreicht und auch im Zweifel gewollt ist44.

__________ 39 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 16. Aufl. 2004, § 42 Rz. 47. 40 Kahlert, ZIP 2006, 254 mit Hinweis auf Pannen/Deuchler/Kahlert/Undritz, Sanierungsberatung, 2005, Rz. 595 f. 41 Vgl. BGH v. 8. 1. 2001, BGHZ 146, 264 (271) = ZIP 2001, 235 (237) m. Anm. Altmeppen; wohl auch OLG Dresden v. 25. 2. 2002, DZWiR 2004, 476; OLG Frankfurt v. 20. 2. 2003, GmbHR, 2004, 53 f.; nicht zwingend ergibt sich dies aus dem BGH-Urteil nach Wittig, NZI 2001, 169 (173). 42 So etwa Roth in Roth/Altmeppen (Fn. 19), vor § 64 Rz. 28; Altmeppen, ZHR 164 (2000), 349 (367 ff.); Felleisen, GmbHR 2001, 195 (196); Klein, GmbHR 2005, 663 (665). 43 Goette in Hommelhoff/Goette/Kleindiek, Eigenkapitalersatz in der Praxis, 3. Aufl. 2003, Rz. 31c; Teller/Steffan (Fn. 13), Rz. 286; Heerma, BB 2005, 537 (544). 44 Vgl. Fn. 29; ebenso m. w. N. Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG, 18. Aufl. 2005, § 64 Rz. 24; Uhlenbruck in Karsten Schmidt/Uhlenbruck (Fn. 4), Rz. 919.

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4. Was ist gewollt? Was muss gewollt sein? Das Wesentliche am Rangrücktritt ist, dass er einerseits privatautonom gestaltet, auf der anderen Seite unter dem Druck zwingenden Rechts vereinbart wird, weil ja die Überschuldung vermieden werden soll. Zwei Fragen sind deshalb zu stellen: Die erste geht dahin, welcher Rang im Zweifel gewollt ist, die zweite zielt darauf, welche Art Rangrücktritt erforderlich ist, um das Passivierungsgebot bei der Überschuldungsprüfung zu überwinden. Aus der Nähe besehen hängen beide Fragen eng miteinander zusammen. Selbstverständlich will der im Rang zurücktretende Gläubiger nicht weniger tun als für die Überwindung des insolvenzrechtlichen Passivierungsgebots erforderlich ist (dazu sogleich). Im Übrigen beantwortet sich die Frage nach dem gewollten Verhältnis des zurücktretenden Gläubigers zu den Drittgläubigern auf der einen, dem Eigenkapital auf der anderen Seite und mitten drin zu etwa vorhandenen Mitgesellschaftern, die eigenkapitalersetzende Darlehen ohne Rangrücktritt gegeben haben, nach den wechselseitigen Interessen. So gesehen kann mit einem auf § 32a Abs. 2 GmbHG bezogenen BGH-Urteil gesagt werden: Der Rangrücktritt „stellt … entweder … klar, was ohnehin schon gilt, dass nämlich wegen des kapitalersetzenden Charakters seiner Leistung seine Ansprüche gegen die Gesellschaft jetzt und in Zukunft denen der anderen Gläubiger im Range nachgehen, oder er verschafft seinen … Ansprüchen erstmals diesen Rang mit der Folge, dass seine bis dahin freie Leistung nunmehr zu Kapitalersatz wird“45.

Das bedeutet, in der Terminologie des bei Erlass dieses Urteils noch nicht geltenden § 39 InsO gesagt: Der im Rang zurückgetretene Kreditgeber will mit den Eigenkapitalersatzgläubigern den Rang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO teilen46. Er will nicht schlechter stehen als etwa vorhandene Mitgesellschafter, die einen freiwilligen Rücktritt ihrer Eigenkapitalersatzforderungen ablehnen, will insbesondere gleichrangig mit ihnen vor dem Eigenkapital (§ 199 Satz 2 InsO) bedient werden. Da dieser Wille feststellbar ist, kommt auch die Auslegungsregel des § 39 Abs. 2 InsO nicht zum Zuge. Es bleibt aber noch die Frage, ob zwingendes Recht dem Gesellschafter-Gläubiger einen tieferen Rangrücktritt abverlangt. Die Antwort hängt davon ab, ob die Insolvenzantragspflicht (§ 64 GmbHG) alle – auch die nachrangigen – oder nur die gegenüber den Rangrücktrittsgläubigern (§ 39 Abs. 2 InsO) oder sogar nur die gegenüber dem Eigenkapitalersatz (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) vorrangigen Insolvenzgläubiger schützen soll. Der Verfasser steht, wie an anderer Stelle ausgeführt, auf dem letzteren Standpunkt47. Wer für den Fall eines Insolvenzverfahrens den Rangrücktritt erklärt hat, stellt sich außerhalb des für außenstehende Gläubiger bestehenden, auf sanktionsbewehrte Insolvenzantragspflichten gestützten Gesamtgläubigerschutzes.

__________

45 BGH v. 9. 2. 1987, LM § 130a HGB Nr. 1 = NJW 1987, 1697 (1698). 46 Angaben bei Uhlenbruck in Karsten Schmidt/Uhlenbruck (Fn. 4), Rz. 919. 47 Vgl. Fn. 44

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V. Die steuerrechtliche Folgediskussion 1. Das BGH-Urteil vom 8. Januar 2001 als Quelle der Besorgnis Das Urteil des BGH über den qualifizierten Rangrücktritt hat eine Diskussion darüber ausgelöst, ob dieser gleichzeitig mit der Befreiung vom insolvenzrechtlichen Passivierungsgebot steuerrechtlich ein Passivierungsverbot und damit Buchgewinne auslöse, weil der Kredit wie statutarisches Eigenkapital behandelt werden müsse48. Dieser Ansicht wurde mit Recht entgegengehalten, sie führe zu einer mit dem Parteiwillen und auch mit dem wirtschaftlichen Sinn des Rangrücktritts nicht zu vereinbarenden Konsequenz49. Gleichwohl hielten die Befürchtungen an, die Finanzbehörden würden dem qualifizierten Rangrücktritt ähnliche steuerschädliche Wirkungen beimessen wie einem Forderungsverzicht50. 2. Neue Besorgnisse seit dem BMF-Schreiben vom 18. August 2004 Das eingangs zitierte BMF-Schreiben51 hätte seiner Intention nach die Beratungspraxis beschwichtigen sollen. Es hat aber die entstandenen Besorgnisse nicht verringert, sondern vermehrt52. Zwei Varianten des Rangrücktritts standen im Mittelpunkt der Befürchtungen: –

erstens der durch das BGH-Urteil vom 8. Januar 2001 geforderte – nach manchen nur vermeintlich geforderte – qualifizierte Rangrücktritt auf der Ebene des § 199 InsO53,



zweitens der unspezifizierte, d. h. auslegungsbedürftige, Rangrücktritt54.

Der Bundesfinanzhof hat nunmehr durch Urteil vom 10. November 200555 die Rechtslage geklärt. Da machten die beiden Gesellschafter einer BesitzGbR sowie diese selbst eine Teilwertabschreibung bezüglich zinsloser Darlehen geltend, die die Gesellschafter im Rahmen einer Betriebsaufspaltung

__________ 48 So Lang in Dötsch/Eversberg/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, 2003, § 8 Abs. 3 KStG n. F. Rz. 1126. 49 Vgl. nur Crezelius in Karsten Schmidt/Uhlenbruck (Fn. 4), Rz. 659; Obermüller (Fn. 6), Rz. 5.36b; Pannen/Deuchler/Kahlert/Undritz, Sanierungsberatung 2005, Rz. 609 f.; Weber-Grellet in Ludwig Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 5 Rz. 315; Hölzle, FR 2004, 1193 (1197); ders., GmbHR 2005, 852. 50 Hölzle, GmbHR 2005, 852 (854 f.). 51 Vgl. Fn. 11. 52 Heerma, BB 2005, 537; Neu/Watermeyer, DStR 2004, 2128 (2130 f.); Schildknecht, DStR 2005, 181 (182 ff.). 53 Vgl. nur Heerma, BB 2005, 537; Hölzle, GmbHR 2005, 852 (854); Schildknecht, DStR 2005, 181. 54 Schildknecht, DStR 2005, 181 (182 f.). 55 BFH v. 10. 11. 2005, BB 2006, 207 m. Anm. Hierl = GmbHR 2006, 158 m. Anm. Hoffmann = DStR 2006, 75 = ZIP 2006, 249 m. Anm. Kahlert; dazu nach Manuskriptabschluss Watermeyer, GmbHR 2006, 240 ff.; Westerburg/Schwenn, BB 2006, 501 ff.

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der Betriebs-GmbH zur Verfügung gestellt hatten. Hinsichtlich der streitigen Darlehenssumme von 600000 DM (Kläger zu 1) bzw. 1,2 Mio. DM (Kläger zu 2) hatten die klagenden Gesellschafter mit der GmbH unspezifische Rangrücktrittsvereinbarungen getroffen. In den Sonderbilanzen für die Kläger zu 1 und 2 hatte die Besitz-Gesellschaft Teilwertabschreibungen vorgenommen, deren Anerkennung das Finanzamt abgelehnt hatte. Einspruch und Klage waren erfolglos geblieben. Aber die Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht, weil noch der ForderungsTeilwert festzustellen sei. Als Vorfrage hatte der BFH zu prüfen, ob § 5 Abs. 2a EStG auf die mit Rangrücktritt versehenen Kreditverbindlichkeiten der GmbH anzuwenden sei. Denn dies hätte im Fall der Wertlosigkeit der Kredite dazu geführt, dass sie bei der GmbH erfolgswirksam aufzulösen und bei den Klägern als Aufwand zu berücksichtigen gewesen wären. Im Fall ihrer Werthaltigkeit hätte der Rangrücktritt das Eigenkapital der Gesellschaft erhöht und bei den Klägern zu nachträglichen Anschaffungskosten der Beteiligung an der Betriebs-GmbH geführt, womit für das Veranlassungsjahr kein Abschreibungsvolumen mehr vorhanden gewesen wäre. 3. Die erste gute Nachricht: Der „qualifizierte Rangrücktritt“ ist nicht steuerschädlich Die Befürchtung, ein qualifizierter Rangrücktritt führe zum Passivierungsverbot, war schon nach dem Wortlaut des BMF-Schreibens schwerlich gerechtfertigt. Der Rücktritt auf die Ebene des Eigenkapitals bezieht sich naturgemäß nur auf den Rang der zurücktretenden Forderung im Insolvenzverfahren und ändert nichts daran, dass der Kredit ohne ein Kapitalherabsetzungsritual nach § 58 GmbHG rückzahlbar ist, „wenn der Schuldner dazu aus zukünftigen Gewinnen, aus einem Liquidationsüberschuss oder aus anderem – freiem – Vermögen zukünftig in der Lage ist“. Der Bundesfinanzhof hat dazu nunmehr in seinem Urteil vom 10. November 2005 klarstellend ausgeführt56: „(2) (a) … Auch die mit einer solchen sog. qualifizierten Rangrücktrittsvereinbarung versehenen eigenkapitalersetzenden Darlehen sind im Rahmen des Jahresabschlusses der Besitzgesellschaft als Forderungen und bei der Betriebskapitalgesellschaft als Verbindlichkeiten zu bilanzieren (Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl., § 246 HGB Rz. 132 ff., 140; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, aaO, § 42 Rz. 42; Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG, 17. Aufl., § 42 Rz. 226; a. A. Lang in Dötsch/Eversberg/Jost/Pung/Witt, KStG/EStG, § 8 Abs. 3 KStG n. F. Rz. 1126). (b) Ein solcher qualifizierter Rangrücktritt stellt auch keinen Verzicht auf die Forderung dar (Tiedchen in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 5 EStG Anm. 485; Strahl in Korn, § 5 EStG Rz 550.2), denn die Forderung tritt nur bis zur Überwindung der Krise im Rang zurück. An der bilanziellen Behandlung von eigenkapitalersetzen-

__________ 56 Fn. 55.

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Sanierender Rangrücktritt bei Gesellschafterdarlehen: Irrungen, Wirrungen! den Forderungen ändert sich auch nichts dadurch, dass sie ggf. im Überschuldungsstatus der Kapitalgesellschaft nach der Rechtsprechung des BGH nicht zu erfassen sind (vgl. BGH-Urteil in BGHZ 146, 264 = NJW 2001, 1280), denn die zur Überschuldungsbilanz aufgestellten Grundsätze sind nicht auf den Jahresabschluss übertragbar (so auch Hölzle, FR 2004, 1193, 1196 f.; Schildknecht, DStR 2005, 181, 183 f.; Wittig, NZI 2001, 169, 176). Dies folgt aus dem Zweck der Überschuldungsbilanz, der sich in der Feststellung erschöpft, ob die Gläubiger der Gesellschaft (noch) aus dem am Stichtag vorhandenen verwertbaren Gesellschaftsvermögen befriedigt werden können oder ob zur Vermeidung einer weiteren Verschlechterung ihrer Befriedigungsaussichten umgehend die Durchführung eines Insolvenzverfahrens beantragt werden muss (BGH, Urt. v. 6. 12. 1993 – II ZR 102/93, BGHZ 124, 282 = NJW 1994, 724; ebenso Klein, GmbHR 2005, 663, 666 ff.; Suchanek, FR 2004, 1129, 1130).“

4. Die zweite gute Nachricht: Ein unspezifizierter Rangrücktritt ist nicht steuerschädlich Noch bemerkenswerter und sehr überzeugend sind die Ausführungen des BFH über den unspezifischen Rangrücktritt, der eine „Bezugnahme auf die Möglichkeit einer Tilgung auch aus sonstigem freien Vermögen“ vermissen lässt. Dazu lesen wir57: „Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil in BFHE 170, 449 = BStBl. II 1993, 502 (unter 1 b dd der Gründe) entschieden hat, führt eine Rangrücktrittsvereinbarung, nach der eine Darlehensverbindlichkeit nur zu Lasten von Gewinnen, aus dem Liquidationsüberschuss oder aus dem die sonstigen Verbindlichkeiten des Darlehensnehmers übersteigenden Vermögen bedient zu werden braucht, nicht zur gewinnerhöhenden Auflösung der Verbindlichkeit. … Hiervon geht im Grundsatz auch das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 18. August 2004 – IV A 6 – S 2133 – 2/04 (BStBl. I 2004, 850) aus. Soweit in diesem BMF-Schreiben jedoch die Meinung vertreten werden sollte, dass aufgrund von § 5 Abs. 2a EStG der Ansatz einer Verbindlichkeit ausgeschlossen sei, wenn eine ausdrückliche Bezugnahme der Rangrücktrittsvereinbarung auf die Möglichkeit der Tilgung auch aus einem Liquidationsüberschuss oder aus sonstigem freien Vermögen fehle, könnte der Senat dem nicht folgen. Vielmehr vertritt der Senat die Auffassung, dass ein von den Vertragsparteien nicht näher präzisierter Rangrücktritt nicht dahin gehend auszulegen ist, dass der Gläubiger für den Fall der Besserung auf die Rückzahlung des Darlehens aus einem Liquidationsüberschuss oder aus dem die sonstigen Verbindlichkeiten übersteigenden Vermögen des Schuldners verzichtet.“

VI. Konsequenzen 1. Eine lehrreiche Diskussion Der Bundesfinanzhof hat eine unnötigerweise entstandene Verunsicherung der Beratungs- und Gestaltungspraxis behoben. Das verdient Anerkennung. Nachdenklich macht aber die Art und Weise, in der diese Verunsicherung

__________ 57 Vgl. Fn. 55.

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entstanden war. Ein vom Bundesgerichtshof verlangtes Übermaß an Rangrücktritt hat die im Einklang mit seinem Urteil formulierten Rangrücktrittserklärungen so weit in die Nähe eines Forderungsverzichts gebracht, dass die Befreiung vom insolvenzrechtlichen Passivierungsgebot in einem steuerschädlichen Passivierungsverbot zu münden drohte. Die sich hieran anschließende Folgediskussion lässt erkennen, was der Gestaltungspraxis zugemutet wird, wenn man ihr punktgenau diejenige Formulierung abverlangt, die der zivilgerichtlichen Rechtsprechung gerecht wird, ohne in steuerrechtlicher Hinsicht zu weit zu gehen. In der Literatur häufen sich ausführliche Formulierungsempfehlungen, die aber der Rechtsprechung abgelauscht sind58. Als Quintessenz der Judikatur wird z. B. empfohlen, einen Rücktritt in den Rang des § 199 Satz 2 InsO zu vereinbaren, um dem BGH Genüge zu tun, dabei aber nur ja den § 5 Abs. 2a EStG nicht aus den Augen zu verlieren59. Gegenwärtig dürfte es sich empfehlen, den Wortlaut des BMF-Schreibens zu wiederholen, um wenigstens steuerrechtlich auf der sicheren Seite zu sein. Doch ist auch ein unspezifischer Rangrücktritt unschädlich, solange Erlasswirkungen vermieden werden. Schädlich ist dagegen eine auf eine Besserungsabrede hindeutende Formulierung, nach der die Verbindlichkeit nur aus Gewinnen und nicht aus freiem Vermögen bedient werden darf60. 2. Plädoyer für die Zulassung eines unspezifischen Rangrücktritts Die hier angestellten Beobachtungen lassen daran erinnern, dass schon seit Jahren gute Gründe für die Zulassung eines unspezifischen Rangrücktritts sprechen61. Dass eine solche Vereinbarung, wenn nicht etwa ein Forderungserlass gemeint sein sollte, steuerrechtlichen Anforderungen genügt, hat der BFH klargestellt62. Dass sie zivilrechtlichen Anforderungen nicht genügte, ist zu bestreiten. Der Zweck der Überschuldungsvermeidung hat nicht die präzise Bestimmung der Rückzahlungsmodalitäten zur Voraussetzung, sondern er ersetzt diese präzise Bestimmung. Nicht eine verklausulierte, ängstlich vor jedem Zuviel und Zuwenig zurückscheuende Formularpraxis sollte das Ziel sein. Entscheidend ist vielmehr, dass der Rangrücktritt als solcher gewollt – also ernst gemeint und nicht mit Erlasswirkung versehen – ist und dass er beachtet wird. Ausreichend muss also z. B. ein auf einer außerordentlichen (Krisen-)Gesellschafterversammlung niedergelegtes, von den Gesellschaftern unterschriebenes Protokoll mit dem Wortlaut: „Die (ggf. namentlich benannten) Gesellschafter erklärten den Rangrücktritt mit ihren (hinreichend genau bezeichneten) Forderungen.“

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58 Vgl. statt vieler Heerma, BB 2005, 537 (544); Kußmaul, DB 2002, 2258 (2259); Westerburg/Schwenn, BB 2006, 501 (503). 59 Westerburg/Schwenn, BB 2006, 501 (503); die überschießende Wirkung dieses Rangrücktritts wird von den Autoren selbst treffend gesehen; vgl. ebd., S. 502. 60 Vgl. Taraschka, DStR 2006, 109 (110). 61 Karsten Schmidt in Scholz (Fn. 20), Rz. 99. 62 Fn. 55.

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V. Unternehmenssteuerrecht

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Arbeitnehmerrabatte im Konzern – Neue Überlegungen zu einem alten Thema – Inhaltsübersicht I. Sachbezüge als Einnahmen und deren Bewertung 1. Grundregel: Bewertung mit den üblichen Endpreisen am Abgabeort 2. Arbeitnehmerrabatte 3. Begünstigung sog. Belegschaftsrabatte II. Die finanzgerichtliche Rechtsprechung zu den sog. Konzernrabatten 1. Arbeitgeber muss am Markt anbieten 2. Kein überbetrieblicher Belegschaftshandel

3. Keine Rechtsprechung zum Arbeitgeberbegriff III. Rabatte im arbeitsrechtlichen Gemeinschaftsbetrieb 1. Gemeinschaftsbetrieb als wirtschaftlicher Arbeitgeber im arbeitsrechtlichen Sinne 2. Wirtschaftlicher Arbeitgeberbegriff im Steuerrecht 3. Der Gemeinschaftsbetrieb als Arbeitgeber i. S. d. § 8 Abs. 3 EStG

Es war Anfang der 80er Jahre, als mich Arndt Raupach gebeten hatte, die Kommentierung des § 8 EStG im Herrmann/Heuer/Raupach zu übernehmen. Wir haben damals und auch später viel über diese facettenreiche Vorschrift diskutiert. Als durch das Steuerreformgesetz 1990 eine Neuregelung der Belegschaftsrabatte eingeführt wurde, waren wir uns einig, dass die Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer, die in einem Konzern tätig sind, nicht zu rechtfertigen ist. Die Rechtsprechung hat sie bedauerlicherweise passieren lassen, so dass die Problematik der Konzernrabatte ausdiskutiert zu sein scheint. Der nachfolgende Beitrag versucht, die Diskussion wieder zu beleben, indem er die Frage aufwirft, ob nicht in bestimmten Konstellationen der Konzern als ein Arbeitgeber i. S. d. § 8 Abs. 3 EStG angesehen werden kann.

I. Sachbezüge als Einnahmen und deren Bewertung Güter in Geldeswert, die im Rahmen einer Einkunftsart zufließen, zählt das EStG grundsätzlich zu den steuerpflichtigen Einnahmen (§ 8 Abs. 1 EStG). Das Gesetz nennt in § 8 Abs. 2 beispielhaft Wohnung, Kost, Waren, Dienstleistungen und sonstige Sachbezüge. Der Begriff der geldwerten Güter ist aber nicht auf den Wirtschaftsgutbegriff beschränkt, sondern umfasst auch Nutzungsvorteile1. Bei der Definition der Einnahmen aus nichtselbständiger

__________ 1

BFH v. 26. 10. 1987, BStBl. II 1998, 348 (352).

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Arbeit bringt das Gesetz dies in § 19 Abs. 1 Nr. 1 durch die Formulierung „andere Bezüge und Vorteile“ zum Ausdruck. Einnahmen sind danach auch ersparte Aufwendungen (z. B. Nutzung des arbeitgebereigenen Hallenbads oder des Telefons zu Privatzwecken2), wenn diese auf Leistungen des Arbeitgebers oder – auf dessen Veranlassung – eines Dritten beruhen3. 1. Grundregel: Bewertung mit den üblichen Endpreisen am Abgabeort Geldwerte Güter „sind mit den um übliche Preisnachlässe geminderten üblichen Endpreisen am Abgabeort anzusetzen“ (§ 8 Abs. 2 Satz 1 EStG). Der anzusetzende Wert ist also mittels eines objektiven Maßstabs zu ermitteln, der sich an den Gegebenheiten am Markt für den üblichen Leistungsaustausch orientiert. Der übliche Endpreis ist der Preis, der im allgemeinen Geschäftsverkehr von Letztverbrauchern in der Mehrzahl der Verkaufsfälle am Abgabeort für gleichartige Waren oder Dienstleistungen tatsächlich gezahlt wird4. Er kann in der Regel Preislisten, Katalogen, Preisauszeichnungen auf den Verpackungen usw. entnommen werden5. Der übliche Endpreis i. S. d. § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG ist also der Preis, zu dem die häufigsten Umsätze am Markt getätigt werden6. 2. Arbeitnehmerrabatte Der Hauptanwendungsfall der Besteuerung geldwerter Güter sind Zuwendungen im Rahmen von Arbeitsverhältnissen. Ob unentgeltliche oder verbilligte Sachzuwendungen steuerbaren Arbeitslohn darstellen, richtet sich nach §§ 8 Abs. 1, 19 Abs. 1 EStG. Nur die Bewertung, also die Bestimmung des Geldwerts, richtet sich nach § 8 Abs. 2 und 3 EStG7. Auch für Arbeitnehmerrabatte gilt zunächst die Bewertungsregel des § 8 Abs. 2 EStG, es ist also nach dem üblichen Endpreis am Abgabeort zu fragen. Bietet der Arbeitgeber die dem Arbeitnehmer gewährten Sachbezüge auch fremden Letztverbrauchern an, so gilt eine Vermutung der „Üblichkeit“ für die von ihm gewählten Marktpreise. Der Arbeitgeber kann also grundsätzlich diesen Preis zugrunde legen, gleichgültig ob er unterhalb oder oberhalb anderer am Markt vorhandener Preises liegt8. Er ist nicht verpflichtet, „Marktforschung“ zu betreiben, um den tatsächlich üblichen Preis festzustellen.

__________ 2 3 4 5 6 7 8

BFH v. 26. 7. 1974, BStBl. II 1974, 777. BFH v. 27. 9. 1996, BStBl. II 1997, 146. R. 31 Abs. 2 Satz 2 LStR 2005. Birk in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 8 Anm. 60 (Januar 1998); Kirchhof, EStG, 5. Aufl., 2005, § 8 Rz. 47. BFH v. 17. 6. 2005, BFH/NV2005, 1931. Drenseck in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 8 Rz. 32. Birk in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 8 Anm. 61 (Januar 1998).

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Eine derartige Verpflichtung ließe sich mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbaren. Bietet der Arbeitgeber die Leistungen nicht am Markt an, so ist die Bewertung schwierig, da es keine „eigenen“ Preise gibt9. Regelmäßig wird der Arbeitgeber einen „typischen“ Unternehmer am Abgabeort auswählen und dessen Endpreise am Markt zugrunde legen10. Erhält beispielsweise der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber verbilligt einen Gebrauchtwagen, so ist bei der Bestimmung des maßgeblichen üblichen Endpreises darauf abzustellen, welcher Erlös sich am Gebrauchtwagenmarkt für das Fahrzeug unter Berücksichtigung der vereinbarten Nebenleistungen tatsächlich erzielen lassen würde11. Lässt sich ein tatsächlicher fremder Endpreis am Abgabeort nicht oder nicht mit vernünftigem Aufwand ermitteln (z. B. kostenloses oder verbilligtes Mittagessen in einer Bürokantine), so sind als Anhaltspunkt die eigenen Kosten zu nehmen12. 3. Begünstigung sog. Belegschaftsrabatte § 8 Abs. 3 EStG enthält eine Sonderregelung für die Bewertung einer bestimmten Kategorie von Personalrabatten. Erhält ein Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses Waren oder Dienstleistungen, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden, so ist gem. § 8 Abs. 3 EStG nach Abzug des Freibetrags in Höhe von 1080 Euro ein um einen Bewertungsabschlag geminderter Wert anzusetzen. Diese Bewertungsvergünstigung findet also nur Anwendung, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern Rabatte auf Waren und Dienstleistungen gewährt, die er auch am Markt anbietet und nicht nur (oder überwiegend) seinen Arbeitnehmern zur Verfügung stellt. Damit fällt zum Beispiel weder das verbilligte Arbeitgeberdarlehen13 noch das Kantinenessen des Arbeitgebers unter § 8 Abs. 3 EStG, da weder das Darlehen noch das Essen fremden Dritten am Markt angeboten wird.14 Dies wirkt unter dem Gesichtspunkt des Prinzips der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit befremdlich, da die unterschiedliche Einnahmenbewertung des Arbeitnehmers und damit dessen Steuerlast von der Betätigung des Arbeitgebers am Markt abhängig gemacht wird. In den beiden genannten Beispielen (Arbeitgeberdarlehen und verbilligtes Mittagessen) kommt die Bewertungsvergünstigung jedoch zur Anwendung, wenn es sich um Arbeitnehmer von Kreditinstituten bzw. Gaststätten han-

__________ 9 10 11 12 13 14

Drenseck in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 8 Rz. 35. Birk in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 8 Anm. 61 (Januar 1998). BFH v. 17. 6. 2005, BFH/NV 2005, 1931. Drenseck in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 8 Rz. 35. BFH v. 18. 9. 2002, BStBl. II 2003, 371. Birk, Steuerrecht, 8. Aufl. 2005, § 6 Rz. 907.

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delt, denn dann werden die Leistungen, die der Arbeitnehmer vergünstigt erhält, überwiegend am Markt angeboten. Warum Arbeitnehmer mit gleichem Lohn und gleichen Sachbezügen, aber unterschiedlichen Arbeitgebern unterschiedlich besteuert werden, ist zumindest rechtfertigungsbedürftig. M. E. ist eine solche Rechtfertigung nicht ersichtlich15. Denn die Frage, ob und in welcher Weise der Arbeitgeber am Markt auftritt, kann für die Bestimmung der steuerlichen Leistungsfähigkeit (Zahlungsfähigkeit) des Arbeitnehmers keine Rolle spielen. Generell werden durch den sachlich begrenzten Anwendungsbereich der Norm Arbeitnehmer begünstigt, die in einer „verbraucherorientierten“ Branche arbeiten (Automobilhersteller, Kaufhäuser, Supermärkte), während Arbeitnehmer, die in hochspezialisierten Dienstleistungssektoren (z. B. Anwaltskanzleien, Beratungsfirmen) oder im öffentlichen Dienst tätig sind, benachteiligt werden16. Der Vereinfachungsgedanke kann für die unterschiedliche Behandlung der gleichen geldwerten Zuwendungen nicht herangezogen werden17. Diese Differenzierung wirkt sich im Gegenteil verkomplizierend aus. Wenn z. B. ein Krankenhaus verbilligt Medikamente an seine Arbeitnehmer ausgibt, so soll die Anwendung der Bewertungsvergünstigung davon abhängen, ob das betreffende Medikament in mindestens gleichem Umfang auch an Patienten abgeben wird18. Wenn ein Reisebüro sowohl als Veranstalter als auch als Vermittler von Reisen tätig wird, so soll die Anwendung der Bewertungsvergünstigung des § 8 Abs. 3 EStG davon abhängen, ob die Gewährung der verbilligten Reise an den Arbeitnehmer in die Veranstaltungskategorie oder in die Vermittlungskategorie fällt19. Dies alles muss im Streitfall aufwändig ermittelt werden. Zu einer „Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens“ – wie in der Regierungsbegründung behauptet20 – trägt diese Norm sicher nicht bei. Eine Vereinfachung wäre nur erreicht worden, wenn die Norm die Einschränkung, wonach der Arbeitgeber die Waren oder Dienstleistungen nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer zur Verfügung stellen darf, nicht enthielte.

II. Die finanzgerichtliche Rechtsprechung zu den sog. Konzernrabatten Über den Wortlaut des § 8 Abs. 3 EStG hinaus wendet die Rechtsprechung die Vorschrift dann nicht an, wenn der Arbeitnehmer die Rabatte nicht un-

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15 Birk in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 8 Anm. 147 (Januar 1998); Birk, FR 1990, 237, 240. 16 Dazu Birk in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 8 Anm. 147 (Januar 1998). 17 Kirchhof, EStG, 5. Aufl. 2005, § 8 Rz. 64. 18 BFH v. 27. 8. 2002, BStBl. II 2003, 95. 19 BFH v. 20. 8. 1997, BFH/NV 1998, 163; dazu Birk in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 8 Anm. 160 (Januar 1998). 20 BT-Drucks. 11/2157, S. 142.

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mittelbar von seinem Arbeitgeber erhält. Der Wortlaut ist insoweit offen, er begrenzt den Anwendungsbereich persönlich auf die Arbeitnehmer und sachlich auf die durch das Dienstverhältnis veranlassten Zuwendungen von Waren und Dienstleistungen, verlangt jedoch nicht, dass der Arbeitgeber sie selbst herstellt, vertreibt oder erbringt21. Die Rechtsprechung beruft sich jedoch auf die Entstehungsgeschichte der Norm: Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften nicht begünstigt werden und auch ein überbetrieblicher Belegschaftshandel von der Begünstigung ausgeschlossen sein22. Damit fallen – so die Rechtsprechung – sog. Konzernrabatte dann nicht unter die Bewertungsvergünstigung, wenn der Arbeitnehmer Rabatte auf Waren oder Dienstleistungen einer Konzerngesellschaft erhält, die dienstrechtlich nicht die Arbeitgeberstellung einnimmt23. Dies führt in Konzernstrukturen zu schwer nachvollziehbaren Ergebnissen, da es häufig von organisatorischen Überlegungen abhängt, in welcher Konzernabteilung der Arbeitnehmer tätig wird. War der Arbeitnehmer beispielsweise zunächst bei der rabattgebenden Gesellschaft angestellt, ist aber sein Arbeitsverhältnis nach einer Umstrukturierungsmaßnahme im Konzern auf eine nicht produzierende und nicht vertreibende Konzerngesellschaft übergegangen (§ 613a BGB) und wird der Rabatt nun weitergewährt, so scheidet die Anwendung des § 8 Abs. 3 EStG nach Auffassung der Finanzverwaltung und Rechtsprechung aus24. Der Arbeitnehmer wird höher besteuert, obwohl sich an seinen wirtschaftlichen Verhältnissen gar nichts geändert hat und insbesondere seine Leistungsfähigkeit nicht gestiegen ist. Umstrukturierungsmaßnahmen des Arbeitgebers machen den Arbeitnehmer nicht leistungsfähiger. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der bloße Wechsel des Arbeitsplatzes innerhalb der Konzerngesellschaft zu einer höheren Besteuerung führen kann. Die gleichheitsrechtlichen Bedenken liegen auf der Hand25. 1. Arbeitgeber muss am Markt anbieten Der Arbeitgeber darf die Waren nicht überwiegend für den Arbeitnehmerbedarf produzieren oder erwerben, Dienstleistungen nicht überwiegend für den Arbeitnehmerbedarf erbringen, wenn die Begünstigung des § 8 Abs. 3 EStG

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21 Birk in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 8 Anm. 161 (Januar 1998). 22 Begr. zum RegE BT-Drucks. 11/2157, S. 142. 23 BFH v. 15. 1. 1993, BStBl. II 1993, 356 (357); v. 8. 11. 1996, BStBl. 1997, 330 (331); v. 7. 2. 1997, BStBl. II 1997, 363 (364); FG Münster v. 26. 4. 1999, EFG 1999, 692 (693); FG Baden-Württemberg v. 21. 5. 1992, EFG 1992, 525 (527); FG Bremen v. 29. 9. 1994, EFG 1995 484 (485). 24 BFH v. 8. 11. 1996, BStBl. II 1997, 330 (331); kritisch und ablehnend Gast-de Haan, DStR 1997, 1114; a.A. auch die Vorinstanz FG Rheinland-Pfalz v. 25. 10. 1995, EFG 1996, 219 (220). 25 Birk in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 8 Anm. 161 (Januar 1998); ders., StuW 1990, 300 (307); ders., FR 1990, 237 (239).

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zur Anwendung kommen soll. Insoweit ist der Wortlaut eindeutig. Die Rechtsprechung interpretiert diese Einschränkung jedoch in der Weise, dass der Arbeitgeber selbst am Markt anbieten muss. Neben den genannten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Rechtsprechung können auch aus systematischer Sicht Einwände erhoben werden. Die Bewertungsvorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG steht in systematischen Zusammenhang nicht nur mit § 8 Abs. 1 EStG, sondern auch mit § 19 EStG. Nach diesen Vorschriften werden dienstlich veranlasste Preisnachlässe, die von einem Dritten (also etwa einem Konzernunternehmen) gewährt werden, ebenso als steuerpflichtige Einkünfte qualifiziert wie unmittelbar durch den Arbeitgeber gewährte Rabatte. Es kommt nur darauf an, dass die Vorteilszuwendungen durch das Dienstverhältnis veranlasst worden sind26. Da sich eine ähnliche Formulierung als positive Tatbestandsvoraussetzung in § 8 Abs. 3 Satz 1 findet („… auf Grund seines Dienstverhältnisses …“) und die negative Tatbestandsvoraussetzung wesentlich enger formuliert ist („… die vom Arbeitgeber nicht überwiegend …“), wäre es systematisch folgerichtig, das Anbieten am Markt durch den Arbeitgeber selbst nicht als zusätzliches Tatbestandsmerkmal anzunehmen. 2. Kein überbetrieblicher Belegschaftshandel Wie schon ausgeführt, hat die Rechtsprechung nur ein Argument vorzubringen, nämlich die Entstehungsgeschichte. In der Begründung zum Regierungsentwurf heißt es: „Die Regelung soll nicht gelten für Waren und Dienstleistungen, die nicht im Unternehmen des Arbeitgebers hergestellt, vertrieben oder erbracht werden. Es sollen weder Arbeitnehmer von Konzerngesellschaften noch ein überbetrieblicher Belegschaftshandel steuerlich begünstigt werden“27.

Der Gesetzgeber befürchtete offenbar eine Besserstellung von Arbeitnehmern, die in Konzerngesellschaften arbeiten, da diese von einer großen Produktpalette profitieren können. Überzeugend ist dies nicht, da die Begünstigung des § 8 Abs. 3 EStG durch die Einschränkung nicht gleichheitskonformer wird. Vielmehr führt sie stets zu Verwerfungen, die mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip nicht im Einklang stehen. Denn wie immer man sie auch konzipiert, sie wird stets nur einen relativ geringen Teil der Arbeitnehmer begünstigen. Nicht profitieren können von dieser Regelung alle Arbeitnehmer, die keine Sachbezüge erhalten, sei es, dass sie im öffentlichen Dienst arbeiten, sei es, dass sie in einer nicht verbraucherorientierten Branche tätig sind. Das gesetzgeberische Ziel bei der Schaffung des § 8 Abs. 3 EStG („Ziel dieser Neuregelung ist die Verbesserung der steuerlichen

__________ 26 BFH v. 23. 10. 1992, BStBl. II 1993, 117 (118); Birk in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 8 Anm. 46 (Januar 1998). 27 BT-Drucks. 11/2157, S. 142.

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Gerechtigkeit …“28) wird somit schon im Ansatz verfehlt. Wenn gleiche Arbeit und gleicher Lohn für Arbeitnehmer in unterschiedlichen „Abteilungen“ des gleichen Konzernunternehmens unterschiedliche Steuer auslösen29, so erweisen sich die vom Gesetzgeber vorgetragenen Überlegungen als nicht tragfähig. 3. Keine Rechtsprechung zum Arbeitgeberbegriff Die Versuche im Schrifttum, auch fremde Waren und Dienstleistungen über eine verfassungskonforme Auslegung des § 8 Abs. 3 EStG in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift einzubeziehen30, haben den BFH nicht überzeugt31. Das Bundesverfassungsgericht hat eine entsprechende Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen32. Die gleichheitsrechtliche Problematik der Konzernrabatte scheint damit zwar nicht ausdiskutiert, aber jedenfalls nicht mehr diskussionswürdig, da folgenlos zu sein. Jedoch ist ein anderer Aspekt der Problematik bislang immer zu kurz gekommen bzw. gar nicht aufgegriffen worden. Von welchem Arbeitgeberbegriff geht § 8 Abs. 3 EStG aus? Lassen sich gleichheitswidrige Folgen nicht – wenigstens teilweise – über die Auslegung des Arbeitgeberbegriffs vermeiden33? Die Rechtsprechung zu den Konzernrabatten hat sich nie ausdrücklich mit dem Arbeitgeberbegriff auseinander gesetzt, der dem § 8 Abs. 3 EStG zugrunde liegt. Vielmehr orientiert sie sich bei Konzerngesellschaften schlicht an der zivilrechtlichen Struktur, nämlich daran, wer in zivilrechtlicher Hinsicht gegenüber dem Arbeitnehmer die Arbeitgeberstellung innehat. Die Rechtsprechung verlangt, dass der Arbeitgeber die Waren bzw. Dienstleistungen selbst herstellen, vertreiben oder erbringen muss. Der Arbeitnehmer erhält keinen Rabattfreibetrag, wenn er die verbilligten Zuwendungen auf Veranlassung seines Arbeitgebers von einem Dritten erhält. Und als Dritten sieht die Rechtsprechung grundsätzlich auch die im Konzernverbund stehende andere rabattgewährende Gesellschaft an, ohne dies näher zu problematisieren34. Ob eine Konzerngesellschaft, die zivilrechtlich keinen Arbeitsvertrag mit dem Arbeitnehmer hat, aber stets „Dritter“ ist, oder ob sie unter bestimmten Voraussetzungen wirtschaftlich die Arbeitgeberstellung einnehmen und damit Arbeitgeber i. S. d. § 8 Abs. 3 EStG werden kann, hat die Rechtsprechung bisher noch nicht geklärt. Denkbar ist, dass die Verbindung zwischen beiden Konzerngesellschaften (also der rabattgewährenden und der formal-zivilrechtlichen Arbeitgeberge-

__________ 28 29 30 31 32 33 34

BT-Drucks. 11/2157, S. 142. Glenk in Blümich, EStG § 8 Rz. 171. Birk, StuW 1990, 300, 307; ders., FR 1990, 237 (240). BFH v. 15. 1. 1993, BStBl. II 1993, 356; v. 8. 11. 1996, BStBl. II 1997, 330. BVerfG v. 12. 12. 1993, DB 1994, Beil. 11 S. 34. Dies schlägt auch Glenk vor, s. Glenk in Blümich, § 8 EStG Rz. 173. BFH v. 8. 11. 1996, BFH/NV 1997, 471.

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sellschaft) so eng ist, dass von einem Arbeitgeber ausgegangen werden muss. Solche Fälle unterscheiden sich von bloßen Konzerngesellschaften dadurch, dass zwischen den Gesellschaften eine so enge organisatorische Verbindung besteht, dass der Arbeitnehmer die Konzerngesellschaften als einen Arbeitgeber wahrnimmt. Man spricht vom arbeitsrechtlichen Gemeinschaftsbetrieb. Der arbeitsrechtliche Gemeinschaftsbetrieb geht über den bloßen Zusammenschluss einer Konzerngesellschaft hinaus, indem die Arbeitgeberfunktionen gebündelt werden, d. h. insbesondere in sozialen und personellen Angelegenheiten von ein und derselben Leitung ausgeübt werden. Auch wenn man der Rechtsprechung in dem Punkt folgte, dass Konzernrabatte von der Begünstigung des § 8 Abs. 3 EStG ausgeschlossen sind, so heißt das noch nicht, dass auch in arbeitsrechtlichen Gemeinschaftsbetrieben innerhalb eines Konzerns § 8 Abs. 3 EStG nicht zur Anwendung kommt. Folgt man auch bei der Auslegung des § 8 Abs. 3 EStG dem wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriff, erkennt man also an, dass unter bestimmten Voraussetzungen – insbesondere in den Fällen des arbeitsrechtlichen Gemeinschaftsbetriebs – in Konzernen von einem Arbeitgeber auszugehen ist, so kämen auch die Arbeitnehmer in Konzerngesellschaften in solchen Fällen in den Genuss der Bewertungsvergünstigung des § 8 Abs. 3 EStG.

III. Rabatte im arbeitsrechtlichen Gemeinschaftsbetrieb Sieht man im arbeitsrechtlichen Gemeinschaftsbetrieb einen einheitlichen Arbeitgeber, so fallen – jedenfalls in diesem engen Rahmen – auch Konzernrabatte unter § 8 Abs. 3 EStG. Denn in diesem Fall hätte der Arbeitnehmer die verbilligten Waren oder Dienstleistungen von seinem Arbeitgeber erhalten, selbst wenn der Arbeitnehmer in einer Abteilung arbeitet, die diese Leistungen nicht am Markt anbietet. Der Gemeinschaftsbetrieb als solcher stellt nämlich die Waren oder Dienstleistungen nicht überwiegend seinen Arbeitnehmern zur Verfügung. 1. Gemeinschaftsbetrieb als wirtschaftlicher Arbeitgeber im arbeitsrechtlichen Sinne Der arbeitsrechtliche Gemeinschaftsbetrieb ist ein einheitlicher Betrieb mit einer Arbeitgebereigenschaft. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geht von einem einheitlichen Betrieb aus, wenn zwar formalrechtlich getrennte Arbeitgeber vorliegen, tatsächlich aber die Arbeitgeberfunktionen in sozialen und personellen Angelegenheiten von ein und derselben institutionellen Leitung ausgeübt werden35. Kennzeichnend für einen Gemeinschaftsbetrieb sind also gemeinsame Leitung der beteiligten Unternehmen, gemein-

__________ 35 BAG v. 11. 2. 2004, 7 ABR 27/03, DB 2004, 1213; v. 24. 1. 1996, 7 ABR 10/95, DB 1996, 2131; v. 29. 1. 1987, 6 ABR 23/85, DB 1987, 1539.

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samer Betriebsrat, räumliche Verbundenheit, gemeinsame Nutzung technischer und räumlicher Betriebsmittel, einheitliche Personalabteilung, die an einer Stelle geführt wird und für alle Arbeitsverträge und den gesamten personalbezogenen Schriftverkehr zuständig ist. Die Arbeitnehmer sind an die Weisungen der Leitung des Gemeinschaftsbetriebs gebunden und können innerhalb der Betriebe, die zwar formalrechtlich selbständig, organisatorisch aber nur Betriebsabteilungen sind, versetzt werden. Dazu kommt in der Regel, dass die sozialen Angelegenheiten (Kantinen, medizinischer Dienst usw.) von den Gesellschaften zusammen wahrgenommen werden. Wird der arbeitsrechtliche Gemeinschaftsbetrieb im Rahmen eines Konzerns gebildet, so wird der konzernrechtliche Zusammenschluss in arbeitsrechtlicher Hinsicht verstärkt. Als Konzern bezeichnet man den Zusammenschluss von einem herrschenden und einem oder mehreren abhängigen Unternehmen unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens (Unterordnungskonzern, § 18 Abs. 1 AktG). Beim arbeitsrechtlichen Gemeinschaftsbetrieb werden zusätzlich die Arbeitgeberfunktionen gebündelt, d. h. insbesondere die sozialen und personellen Angelegenheiten von ein und derselben Leitung ausgeübt. In der Rechtsordnung findet sich der Gemeinschaftsbetrieb als einheitlicher Betrieb an verschiedenen Stellen: § 322 Abs. 2 UmwG schreibt vor, dass beteiligte Rechtsträger, die nach einer Spaltung oder Teilübertragung den Betrieb gemeinsam fortführen, einen Betrieb im Sinne des Kündigungsschutzrechts haben. § 1 Abs. 2 BetrVG spricht von einem gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen, wenn u. a. zur Verfolgung arbeitstechnischer Zwecke die Betriebsmittel sowie die Arbeitnehmer von den Unternehmen gemeinsam eingesetzt werden. Liegt ein Gemeinschaftsbetrieb vor, so hat dies also sowohl betriebsverfassungsrechtliche als auch kündigungsschutzrechtliche Folgen. Betriebsverfassungsrechtlich wird für sämtliche Unternehmen nur ein Betriebsrat gewählt, kündigungsschutzrechtlich gilt das Kündigungsschutzrecht einheitlich für alle Unternehmen im Gemeinschaftsbetrieb, so dass Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im gesamten Gemeinschaftsbetrieb geprüft werden müssen. Auch die Sozialauswahl ist nicht auf den kündigenden Betrieb beschränkt, sondern findet unternehmensübergreifend im Gemeinschaftsbetrieb statt. Das Landesarbeitsgericht Köln hat beispielsweise der Kündigungsschutzklage eines Arbeitnehmers stattgegeben, der sich im Rahmen einer Kündigung aus betriebsbedingten Gründen auf die fehlerhafte Sozialauswahl berief36. Diese habe nämlich in einem Gemeinschaftsbetrieb „betriebsübergreifend“ stattzufinden. Die Organisation als Gemeinschaftsbetrieb führt also dazu, dass jedenfalls in arbeitsrechtlicher Hinsicht von einem Betrieb und damit auch von einem Arbeitgeber auszugehen ist.

__________ 36 LAG Köln v. 25. 4. 2001, NZA-RR 2002, 422 unter Verweis auf BAG NZA 1994, 1023.

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2. Wirtschaftlicher Arbeitgeberbegriff im Steuerrecht Den Begriff des Arbeitgebers definiert das Einkommensteuergesetz nicht; aus § 1 Abs. 2 LStDV lässt sich aber entnehmen, dass Arbeitgeber die Person ist, welcher der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung zu erbringen hat, unter dessen Leitung er tätig wird und dessen Weisungen er nachkommen muss37. Schon der Wortlaut dieser Vorschrift stellt in erster Linie auf die faktischen Verhältnisse ab. Es ist nicht zwingend der zivilrechtliche Vertragspartner aus dem Dienstvertrag, dessen Weisungen der Arbeitnehmer zu folgen hat und demgegenüber er seine Leistungen erbringt. Deshalb betont auch der BFH, dass es beim Arbeitgeberbegriff wesentlich auf die tatsächlichen Merkmale der Weisungsbefugnis und der organisatorischen Eingliederung ankomme: „So wie der steuerrechtliche Begriff des Arbeitnehmers gemäß § 1 Abs. 2 LStDV nicht an den zivilrechtlichen Dienstvertrag, sondern an die tatsächlichen Merkmale der Weisungsgebundenheit und der organisatorischen Eingliederung anknüpft und sich deshalb nicht völlig mit den in anderen Rechtsgebieten verwendeten wortgleichen Begriff deckt, hat auch der Arbeitgeberbegriff einen für das Steuerrecht eigenständigen Inhalt38. Wie auch sonst im Steuerrecht ist also die zivilrechtliche Begriffsbestimmung des Arbeitgebers, die der formal-rechtlichen Stellung des Vertragspartners im Dienstvertrag folgt, nicht entscheidend. Dem Steuerrecht ist der wirtschaftliche Arbeitgeberbegriff auch an anderen Stellen nicht fremd. So geht der BFH im Abkommensrecht von einem wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriff aus und nimmt an, dass bei Einschaltung eines ausländischen Arbeitnehmerverleihers grundsätzlich der Verleiher des ausländischen Arbeitnehmers und nicht der inländische Entleiher Arbeitgeber ist39. Dementsprechend definiert in den Fällen der Arbeitnehmerentsendung § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG als Arbeitgeber auch das in Deutschland ansässige aufnehmende Unternehmen, das den Arbeitslohn für die ihm geleistete Arbeit wirtschaftlich trägt. Durch diese Regelung soll vermieden werden, dass durch entsprechende zivilrechtliche Vertragsgestaltung der wirtschaftliche Arbeitgeber seine lohnsteuerlichen Pflichten vermeiden kann40. In den Grundsätzen für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung zwischen international verbundenen Unternehmen in Fällen der Arbeitnehmerentsendung geht die Verwaltung ebenfalls von einem wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriff aus41.

__________ 37 BFH v. 17. 2. 1995, BStBl. II 1995, 390; Drenseck in Schmidt/EStG, 24. Aufl. 2005, § 8 Rz. 12; Eisgruber in Kirchhof, EStG, 5. Aufl. 2005, § 19 Rz. 63. 38 BFH v. 17. 2. 1995, BStBl. II 1995, 390 (392). 39 BFH v. 18. 12. 2002, BFH/NV 2003, 1152. 40 Dazu Hofmann/Schubert, BB 2004, 1477. 41 BMF v. 9. 11. 2001, BStBl. I 2001, 796.

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Auch bei der Frage, ob Abfindungen anlässlich einer Auflösung des Dienstverhältnisses gemäß § 3 Nr. 9 Satz 1 EStG42 steuerfrei sind, hat die Rechtsprechung auf den wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriff abgestellt. Eine rein formale Betrachtung, die ausschließlich auf den Wechsel des Arbeitgebers abstelle, werde der Zielsetzung des § 3 Nr. 9 EStG nicht gerecht43. Die Vorschrift spricht von „Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten […] Auflösung des Dienstverhältnisses“. Der BFH wandte § 3 Nr. 9 EStG auch dann an, wenn der Arbeitnehmer auf Grund eines nach der Beendigung des alten Dienstverhältnisses beim selben Arbeitgeber zu anderen Bedingungen oder in einer anderen Eigenschaft (z. B. als freier Mitarbeiter) weiterbeschäftigt wird44. Andererseits hat der BFH bei einer bloßen Umsetzung im Konzern angenommen, dass das Dienstverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber fortgesetzt werde. Eine rein formale Betrachtung, die ausschließlich auf den Wechsel der Arbeitgeber abstellt, werde der Vorschrift des § 3 Nr. 9 EStG nicht gerecht. Bei der Beurteilung, ob das Dienstverhältnis mit demselben Arbeitgeber fortgesetzt werde, könne nicht auf die rechtliche Selbständigkeit des Arbeitgebers abgestellt werden45. Das FG Brandenburg ist schließlich in einem kürzlich entschiedenen Fall, in dem die Anteile der A-GmbH von der B-GmbH gekauft wurden und der Geschäftsführer der A-GmbH (der die B-GmbH gegründet hatte) von der B-GmbH übernommen wurde, davon ausgegangen, dass bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise kein Wechsel des Arbeitgebers stattgefunden habe. Wirtschaftlich gesehen handele es sich bei der B-GmbH um das gleiche Unternehmen wie bei der A-GmbH, „so dass die Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen eines Management-buy-out bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht anders behandelt werden kann als die Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Rahmen einer Versetzung innerhalb eines Konzerns“46. Die entscheidende Frage, die sich stellt und die auch unter Zugrundelegung der Rechtsprechung zu § 8 Abs. 3 EStG noch unbeantwortet ist, lautet also, ob Arbeitnehmer in einem arbeitsrechtlichen Gemeinschaftsbetrieb nicht auch im steuerrechtlichen Sinne einen Arbeitgeber haben, so dass sie in den Genuss der Bewertungsvergünstigung und des Rabattfreibetrags kommen, wenn dieser Arbeitgeber (der Gemeinschaftsbetrieb) Waren oder Dienstleistungen am Markt anbietet.

__________ 42 Die Vorschrift wurde zum 1. 1. 2006 durch das Gesetz zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm v. 22.12.2005 (BGBl. I 2005, 3682) abgeschafft. 43 v. Beckerath in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 3 Nr. 9 Rz. B 9/42 m. w. N.; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 3 Nr. 9 Anm. 13 (September 1999). 44 BFH v. 10. 10. 1986, BStBl. II 1987, 186. 45 BFH v. 21. 6. 1990, BStBl. II 1990, 1021. 46 FG Brandenburg v. 24. 8. 2005, EFG 2005, 1667 mit Anm. Wüllenkemper – Revision eingelegt, Az. des BFH XI R 52/05.

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3. Der Gemeinschaftsbetrieb als Arbeitgeber i. S. d. § 8 Abs. 3 EStG Es ist kein Grund ersichtlich, warum nicht der wirtschaftliche Arbeitgeberbegriff auch für die Auslegung des § 8 Abs. 3 EStG maßgeblich sein sollte. Selbst wenn man – wie die Rechtsprechung – bei Konzerngesellschaften noch nicht zu einer wirtschaftlichen Arbeitgeberstellung kommt, so muss dies doch anders sein, wenn zu der gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit noch eine arbeitsrechtliche „Funktionenbündelung“ hinzukommt. In solchen Fällen ergibt sich die Arbeitgeberstellung gegenüber dem formal-zivilrechtlich nicht angestellten Arbeitnehmer aus den faktischen Verhältnissen, nämlich daraus, dass der Gemeinschaftsbetrieb die Arbeitgeberfunktionen gegenüber dem Arbeitnehmer ausübt, dieser also ein und derselben institutionellen Leitung unterliegt. Den Arbeitgeberbegriff des § 8 Abs. 3 EStG rein zivilrechtlich zu interpretieren, führt nicht nur zur Ungleichbehandlung wirtschaftlich gleichgelagerter Sachverhalte, sondern widerspricht auch der finanzgerichtlichen Rechtsprechung zum Arbeitgeberbegriff im übrigen Einkommensteuerrecht. Steuerliche Tatbestände, welche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Einzelnen erfassen, sind nicht an die zivilrechtlichen Begriffe gebunden47, sondern müssen sich am wirtschaftlichen Sachverhalt orientieren, der dem gewählten Begriff zugrunde liegt. Der Gesetzgeber hat im Zuge der Steuerreform 1990 die noch in den achtziger Jahren umstrittene Frage, ob und inwieweit Belegschaftsrabatte zum Arbeitslohn gehören, durch die Einfügung der Bewertungsvorschrift (mittelbar) bejaht48. § 8 Abs. 3 EStG dient der Bewertung des Vorteils, der in der Gewährung des Personalrabatts liegt. Die Vorschrift dient damit der Erfassung des Zuwachses an Leistungsfähigkeit, die durch Zuwendungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer im Rahmen des Dienstverhältnisses eingetreten ist. Arbeitnehmer, die in einem Gemeinschaftsbetrieb tätig sind, der sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er als einheitlicher Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern auftritt, verwirklichen die gleichen steuerlichen Sachverhalte. Es kann nicht entscheidend sein, in welcher Abteilung oder Betriebsstätte des Gemeinschaftsbetriebs der Arbeitnehmer tätig ist. Eine Differenzierung innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer eines arbeitsrechtlichen Gemeinschaftsbetriebs nach dem jeweiligen zivilrechtlichen Arbeitgeber würde ohne sachlichen Grund einen Teil dieser Gruppe schlechter behandeln. Es ist nicht erkennbar, dass zwischen beiden Teilgruppen der Arbeitnehmer eines Gemeinschaftsbetriebs Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten49.

__________

47 BVerfG v. 27. 12. 1992, StuW 1992, 186 (187). 48 Dazu Birk, FR 1990, 237. 49 Zur sog. „Neuen Formel“ im Rahmen der Gleichheitsprüfung BVerfG v. 3. 7. 1985, E 70, 230 (239 f.); v. 6. 11. 1985, E 71, 146 (154 f.); v. 18.11.1986, E 74, 9 (24).

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Dies hat die Rechtsprechung bei einer am wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriff orientierten Auslegung des § 3 Nr. 9 EStG stets so gesehen und ausdrücklich eine formale Betrachtungsweise abgelehnt. Hier soll eine am zivilrechtlichen Arbeitgeberbegriff orientierte Auslegung der Zielsetzung der Vorschrift nicht gerecht werden50. Genauso lässt sich sagen, dass eine formal-zivilrechtliche Festlegung des Arbeitgeberbegriffs in § 8 Abs. 3 EStG der Zielrichtung der Vorschrift widerspricht, den Zuwachs an Leistungsfähigkeit gleichmäßig zu erfassen. Wenn im Rahmen des § 3 Nr. 9 EStG argumentiert wird, dass eine formale Betrachtungsweise „den wirtschaftlichen Gegebenheit nicht gerecht“ werde51, dann muss dies auch für § 8 Abs. 3 gelten. Es ist widersprüchlich und im Hinblick auf den Gleichheitssatz nicht hinnehmbar, wenn bei der Auslegung des § 8 Abs. 3 EStG der Begriff des Arbeitgebers ausschließlich nach dienstvertraglichen Kriterien bestimmt wird.

__________ 50 Dazu näher oben III. 2. 51 Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 3 Nr. 9 Anm. 13 (September 1999).

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Debt-Push-Down-Gestaltungen und § 8a Abs. 6 KStG Inhaltsübersicht I. Problemstellung II. Gestaltungsmöglichkeiten zur Erreichung eines Debt-Push-Down III. § 8a Abs. 6 KStG als Vorschrift zur Beschränkung des Debt-Push-Down 1. Die Neuregelung des § 8a Abs. 6 KStG 2. Die Gesetzestechnik IV. Tatbestand der Vorschrift § 8a Abs. 6 KStG 1. Die Einschränkung des Tatbestandes im Erlass-Entwurf 2. Der Erwerb einer Kapitalbeteiligung

3. Zweckbindung des Fremdkapitals a) Begründung des Veranlassungszusammenhangs b) Veranlassungszusammenhang und mittelbarer Erwerb einer Beteiligung c) Beendigung des Veranlassungszusammenhangs 4. Beteiligte Personen a) Problemstellung b) „Hineinwachsen“ der beteiligten Personen c) Postakquisitorische Umstrukturierungen V. Rechtsfolgen des § 8a Abs. 6 KStG VI. Resümee

I. Problemstellung Beim Unternehmenskauf ist die Gestaltung der Kaufpreisfinanzierung von entscheidender Bedeutung. Es gilt zwar der „hehre“ Grundsatz der Finanzierungsfreiheit,1 jedoch ist bei der Gestaltung der Finanzierung eine Vielzahl unterschiedlicher Parameter zu berücksichtigen.2 Dazu zählen insbesondere neben bilanzrechtlichen auch gesellschaftsrechtliche, kapitalmarktrechtliche und unternehmerische Erwägungen und Vorgaben. Daneben sind auch steuerrechtliche Gestaltungsparameter oftmals von zentraler Bedeutung.3 Das Gestaltungsziel ist dabei in den meisten Fällen, den Fremdfinanzierungsaufwand mit dem operativen Gewinn des erworbenen Unternehmens (Target) verrechnen zu können, um dadurch eine Reduzierung der Steuerquote des Unternehmens zu erreichen.

__________ 1

2 3

Vgl. BFH v. 5. 2. 1992 – I R 127/90, BStBl. II 1992, 533 (536); BFH v. 5. 2. 1992 – I R 79/89, BFH/NV 1992, 629; BFH v. 4. 3. 1998 – XI R 19/95, BFH/NV 1998, 1342; BFH v. 4. 3. 1998 – IX R 34/93, BFH/NV 1998, 1090; BFH v. 6. 11. 2003 – IV R 10/01, BFH/NV 2004, 697. Vgl. hierzu Breuninger, StbJb. 2002/2003, 336 ff. Vgl. die vielen steuerlichen Beschränkungen der Finanzierungsfreiheit, wie z. B. § 8a KStG, dazu Breuninger, aaO (Fn. 2).

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Eine solche Verrechnungsmöglichkeit ist nicht selbstverständlich. Stellt man sich ein so genanntes Akquisitionsvehikel vor, welches die Kaufpreisfinanzierung (in Form von Eigenkapital, Fremdkapital und ggf. hybrider Finanzierung wie z. B. Mezzanine etc.) sicherstellen muss, so kann im Regelfall das operative Einkommen des Targets nicht mit dem Fremdfinanzierungsaufwand auf der Ebene des Akquisitionsvehikels verrechnet werden. Mit Hilfe sog. Debt-Push-Down-Gestaltungen wird deshalb versucht, eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Verrechnung des Zinsaufwands aus dem Akquisitionsdarlehen mit dem operativen Gewinn des Targets zu erreichen. In diesem Zusammenhang stellen sich nicht nur steuer-, sondern insbesondere auch gesellschafts- und bilanzrechtliche Fragen. Es handelt sich also um einen typischen Fall integrierter Beratung, welche dem Jubilar immer besonders am Herzen gelegen ist.

II. Gestaltungsmöglichkeiten zur Erreichung eines Debt-Push-Down Zur Erreichung eines Debt-Push-Down bestehen verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten, die nachfolgend kurz dargestellt werden sollen:4 Organschaft: Eine mit der Debt-Push-Down-Gestaltung beabsichtigte Konsolidierung kann durch die Begründung einer körperschaft- und gewerbesteuerlichen Organschaft zwischen dem Akquisitionsvehikel und dem Target erreicht werden. Hierzu ist der Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrages notwendig. Die Bündelung verschiedener Gesellschaften unter einer Organträgerin (in Form einer Landesholding für den deutschen Teilkonzern5) erfolgt oftmals auch im Rahmen einer post-akquisitorischen Umstrukturierung dergestalt, dass z. B. die deutschen Beteiligungen durch konzerninterne Veräußerungen aus dem Ausland in der Landesholding gebündelt werden. Der Erwerb der Organgesellschaften wird dabei auf Ebene der Landesholding durch ein Konzerndarlehen refinanziert. Durch die Begründung der Organschaft kann dann die beabsichtigte betriebswirtschaftlich sinnvolle Konsolidierung von Refinanzierungszinsen (Akquisitionskosten für die deutschen Beteiligungen) und operativen Ergebnissen der Organgesellschaften erreicht werden (Debt-Push-Down in den deutschen Teilkonzern). Möglicherweise ist aber die aus dem Ergebnisabführungsvertrag folgende Verpflichtung des Akquisitionsvehikels zur Übernahme von Verlusten des Targets nicht gewünscht oder es wurde ein Target erworben, an dem weiterhin Minderheitsgesellschafter beteiligt sind, so dass der zur Begründung einer Organschaft notwendige Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrages mit einem Abfindungsangebot und einer Garantiedividende verbunden wäre. Derartige Überlegungen sowie das erhebliche Anfechtungsrisiko im Verfah-

__________ 4 5

Vgl. dazu auch Diem, Akquisitionsfinanzierungen, 2005, § 49 Rz. 1 ff. Vgl. hierzu grundlegend Raupach, IStR 1993, 194 ff.

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ren nach den §§ 293a ff. AktG lassen oftmals die Begründung einer Organschaft als nicht sehr erstrebenswert erscheinen. Außerdem ist, z. B. in Fällen der früheren steuerbefreiten Wohnungsbaugesellschaften, zu berücksichtigen, dass durch die Neuregelung des § 14 Abs. 3 KStG idF des EURLUmsG6 die Begründung einer Organschaft nunmehr regelmäßig prohibitiv ist, da durch die Mehrabführungen eine Körperschaftsteuererhöhung ausgelöst wird (§ 38 KStG).7 Es müssen dann Alternativen gesucht werden. Verschmelzung: Als weitere Gestaltungsmöglichkeit kommt die Verschmelzung des Akquisitionsvehikels mit dem Target in Betracht. Zu berücksichtigen sind dabei eine möglicherweise entstehende Grunderwerbsteuer, der Verlust von Verlustvorträgen sowie das Entstehen eines Verschmelzungsverlustes. Von entscheidender Bedeutung ist die Verschmelzungsrichtung, da sich je nachdem, ob es sich um einen Upstream- oder Downstream-Merger handelt, unterschiedliche Rechtsfragen stellen. In diesem Zusammenhang wurde gerade in letzter Zeit die Frage diskutiert, ob die Verschmelzung einer Mutter-Kapitalgesellschaft auf ihre Tochter-Kapitalgesellschaft (Downstream-Merger) zu einer verdeckten Gewinnausschüttung führen kann, wenn die zu übertragende Muttergesellschaft überwiegend mit Fremdkapital finanziert ist und in erster Linie die Beteiligung an ihrer Tochtergesellschaft in ihrem Vermögen hält8. Nach zutreffender Auffassung ist in einer solchen Verschmelzung keine verdeckte Gewinnausschüttung im Sinne des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG zu sehen. Denn gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG bleibt ein möglicher Unterschiedsbetrag zwischen dem Buchwert der untergehenden Anteile und dem Wert, mit dem die übergegangen Wirtschaftsgüter zu übernehmen sind, außer Ansatz. Folgerichtig hat auch der BFH im Urteil v. 15. 12. 20049 eine Unterschiedsbetragsminderung abgelehnt. Gesellschaftsrechtlich ist grundsätzlich von der Zulässigkeit eines Downstream-Mergers auszugehen. Allerdings können sich im Einzelfall gesellschaftsrechtliche Beschränkungen ergeben.10 Nach herrschender Ansicht in der Literatur stellt der Übergang der Akquisitionsverbindlichkeit auf die aufnehmende GmbH eine nach § 30 GmbHG unzulässige Einlagenrückgewähr dar, wenn durch den Downstream-Merger ein Verschmelzungsverlust

__________ 6 Richtlinien-Umsetzungsgesetz (EURLUmsG) v. 9. 12. 2004, BGBl. I 2004, 3310. 7 Vgl. hierzu Dettmeier/Dörr, BB 2004, 2832; Dötsch/Pung, Der Konzern 2005, 37; Dötsch/Pung, DB 2005, 10; Flutgraf/Fuchs/Stifter, DB 2004, 2012; Gosch, StBp. 2003, 155; Grube/Behrendt, GmbHR 2005, 1172; Hahn, BB 2005, 521; Hohenlohe/ Heurung/Oblau, RIW 2005, 433; Korn/Strahl, KöSDI 2005, 14510; Ley/Strahl, DStR 2004, 2073; Melchior, DStR 2004, 2121; Merker, StuB 2005, 14; Rödder, DStR 2005, 217; Sedemund, BB 2005, 1144; Semmler, NWB Fach 4, 4941; Stellungnahme FinMin. NRW, DB 2004 2660; Suchanek, INF 2005, 21. 8 Vgl. hierzu Wassermeyer, Der Konzern 2005, 424 ff.; Füger/Rieger in: FS Widmann, 287 ff.; Rödder/Wochinger, FR 1999, 1 (4). 9 BFH v. 15. 12. 2004 – I R 6/04, BFH/NV 2005, 796. 10 Dies gilt insbesondere im Hinblick auf § 57 Abs. 3 AktG bei der AG.

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entsteht und dadurch das Eigenkapital der aufnehmenden GmbH unter das Stammkapital sinkt.11 Zu beachten ist außerdem, dass ein DownstreamMerger, der nur die Akquisitionsverbindlichkeiten vom Akquisitionsvehikel auf das Target transferiert, gegebenenfalls die Voraussetzungen eines existenzvernichtenden Eingriffs erfüllen kann.12 Handelt es sich bei der aufnehmenden Gesellschaft hingegen um eine Aktiengesellschaft, so wird in Teilen der Literatur vertreten, dass jeder Verschmelzungsverlust bei der aufnehmenden Gesellschaft gegen die Kapitalerhaltungsvorschrift des § 57 Abs. 3 AktG verstößt.13 Buy-Back-Scheme: Eine weitere Möglichkeit zur Erzielung eines Debt-PushDown ist der Erwerb eigener Anteile durch die Target-Gesellschaft (so genanntes Buy-Back-Scheme).14 Hierbei erwirbt das Target einen Teil seiner eigenen Anteile von dem Akquisitionsvehikel. Üblicherweise wird der Erwerb eigener Anteile in diesem Fall durch ein Darlehen finanziert. Mit Mitteln aus dem Veräußerungserlös kann das Akquisitionsvehikel dann sein Akquisitionsdarlehen ganz oder teilweise zurückführen. Allerdings sind hier die gesellschaftsrechtlichen Restriktionen für den Erwerb eigener Anteile zu beachten. Gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG darf bei einer Aktiengesellschaft der Anteil eigener Aktien maximal 10 % des Grundkapitals betragen. Für die GmbH kann ein höherer Anteil von eigenen Anteilen erworben werden, sofern die gem. § 33 Abs. 2 GmbHG i. V. m. § 272 Abs. 4 HGB vorgeschriebene Rücklage für eigene Anteile gebildet werden kann. Das bedeutet, dass der Erwerb eigener Anteile insoweit zulässig ist, wie der Kaufpreis aus den das Stammkapital übersteigenden eigenen Mitteln (Gewinnrücklagen oder Kapitalrücklagen) finanziert werden kann. Fremdfinanzierte Gewinn-/Rücklagenausschüttung: Denkbar ist auch die fremdfinanzierte Rücklagen- oder Dividendenausschüttung aus dem Target an das Akquisitionsvehikel, die sozusagen den klassischen Fall des Debt-Push-

__________ 11 Müller in: Kallmeyer, UmwG, 3. Auflage 2006, § 24 Rz. 40; Mertens, AG 2005, 785 (786); Priester in: Lutter/Winter, UmwG, 3. Auflage 2004, § 24 Rz. 62; Mayer in: Widmann/Mayer, UmwG/UmwStG, § 5 Rz. 40.1; Haritz in: Semler/Stengel, UmwG, 2003, § 24 Rz. 48; gesellschaftsrechtlich ist diese Frage womöglich noch nicht abschließend geklärt, vgl. Wassermeyer, Der Konzern 2005, 424 ff.; Bock, GmbHR 2005, 1023. 12 Müller in: Kallmeyer, UmwG, 3. Auflage 2006, § 24 Rz. 40. 13 Förschle/Hoffmann in: Budde/Förschle, Sonderbilanzen, I Rz. 68; Hörtnagl in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG/UmwStG, 6. Aufl. 2006, § 24 Rz. 52; weitere Besonderheiten ergeben sich, wenn noch Minderheitsaktionäre an der aufnehmenden AG beteiligt sind. 14 Zur steuerrechtlichen Behandlung des Erwerbs eigener Anteile siehe BMF v. 2. 12. 1998 – IV C 6 – S 2741 - 12/98, StEK KStG 1977 § 8 Nr. 166; Breuninger, DStZ 1991, 420; Wiese, DStR 1999, 187; Neumayer, EStB 2002, 249.

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Down darstellt. Entscheidend ist hier natürlich, dass die Refinanzierungszinsen steuerlich abzugsfähig sind.15 Upstream-Darlehen: Ein Debt-Push-Down kann auch durch die Aufnahme eines Darlehens auf Ebene der operativen Gesellschaft, die auch die meisten Sicherheiten haben wird, erfolgen. Die operative Gesellschaft gewährt dann dem Akquisitionsvehikel aus der Darlehensvaluta oder aus eigenen liquiden Mitteln ein Darlehen. Mit der erhaltenen Darlehensvaluta oder vorhandenen liquiden Mitteln kann dann das Akquisitionsvehikel z. B. sein Akquisitionsdarlehen ganz oder teilweise zurückzahlen. Die Struktur stellt sich wie folgt dar:

Akquisitionsvehikel

Akquisitionsdarlehen

Darlehen Target Darlehen

Bei der Gewährung eines Upstream-Darlehens sind jedoch erhebliche gesellschaftsrechtliche und steuerrechtliche Beschränkungen zu beachten: zunächst muss der Rückzahlungsanspruch gegen die Muttergesellschaft als Darlehensnehmerin werthaltig sein. Das Erfordernis der Werthaltigkeit ist sowohl für Zwecke des Gesellschaftsrechts16 als auch für Zwecke des Steuerrechts erforderlich.17 Dies wird oftmals die Gestellung entsprechender Sicherheiten durch die Muttergesellschaft oder eine andere Konzerngesellschaft erforderlich machen. Darüber hinaus sind in gesellschaftsrechtlicher Hinsicht die

__________ 15 Vgl. zu dieser Frage OFD Kiel v. 25. 9. 2000 – S 2742 A - St 261, StEK KStG 1977 § 8 Nr. 188; OFD Koblenz v. 30. 10. 2000 – S 2742 A - St 34 1, KStK, § 8 KStG Karte B 21; Meilicke/Sangen-Emden, FR 1998, 938. 16 Möglicher Verstoß gegen § 30 GmbH, § 57 AktG. 17 Andernfalls wäre schon die Auszahlung des Darlehens eine vGA, vgl. hierzu BFH v. 20. 10. 2004 – I R 7/04, BFH/NV 2005, 916 gegen die Vorinstanz FG Sachsen v. 8. 12. 2003 – 3 K 1318/99, EFG 2004, 1084, die neben der Werthaltigkeit auch noch entsprechende Sicherheiten gefordert hatte.

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Grundsätze des BGH-Urteils v. 24. 11. 200318 zu beachten, wonach – auch bei voller Werthaltigkeit des Rückzahlungsanspruches – die Darlehensgewährung an die Muttergesellschaft nur dann zulässig ist, wenn die Auszahlung des Darlehens aus freien Mitteln der Gesellschaft – also aus Mitteln einer Kapital- oder Gewinnrücklage – gedeckt ist.19 Offen ist, ob eine ggf. auf der Grundlage des Urteils des BGH unzulässige Darlehensausreichung auch zu einer vGA führt.20 Aus der Entscheidung des BFH v. 20. 10. 2004,21 die auf den tatsächlichen Mittelabfluss (in Bezug auf die Auszahlung im Fall der Wertlosigkeit des Darlehensrückzahlungsanspruches) abstellt, folgt eine vGA bei bloßem Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsgrundsätze wohl nicht zwingend.22 Im Hinblick auf die Beschränkungen durch die Rechtsprechung des BGH23 und das mögliche Haftungsexposure für die Geschäftsführung dürfte diese Gestaltung nicht in sehr vielen Fällen relevant sein. Formwechsel: Als weitere Möglichkeit ist denkbar, das erworbene Target in eine Personengesellschaft formwechselnd umzuwandeln. Hierdurch ergeben sich folgende Steuerwirkungen: –

Der Abzug des Finanzierungsaufwandes als Sonderbetriebsausgaben ist bei der formgewechselten Personengesellschaft möglich (es entsteht die Wirkung eines Debt-Push-Down).



Kein Step-Up mehr möglich, sondern ggf. sogar Step-Down.



Die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 15a EStG ist zu beachten (ggf. kann dies im Hinblick auf die Mindestbesteuerung sogar ein Vorteil sein24).

__________ 18 BGH v. 24. 11. 2003 – II ZR 171/01, GmbHR 2004, 302 mit Komm. Bähr/Hoos; siehe dazu auch die nachfolgende Literatur: Schäfer, GmbHR 2005, 133; Bayer/ Lieder, ZGR 2005, 133; Berg/Schmich, FR 2005, 190; Weitnauer, ZIP 2005, 790; Horath/Kauter, StuB 2005, 437; Herbst/Suchanek, FR 2005, 665; Langner, GmbHR 2005, 1017; Bloching/Kettinger, GmbHR 2005, 1098; Engert, BB 2005, 1951; Grothaus, Halberkamp, GmbHR 2005, 1317; Lux, MDR 2004, 342; Koch/Saenger, NZG 2004, 271; Helmreich, GmbHR 2004, 457; Wessels, ZIP 2004, 793; Cahn, Der Konzern 2004, 235; Binz, DB 2004, 1273; Schilmar, DB 2004, 1411; Fuhrmann, NZG 2004, 552; Seidel, DStR 2004, 1130; Servatius, DStR 2004, 1176; Reidenbach, WM 2004, 1421; Habersack/Schürnbrand, NZG 2004, 689; Langer/Mentgen, GmbHR 2004, 1121; Hahn, Der Konzern 2004, 641. 19 Festzustellen ist, dass es in vielen Konzernen – oftmals unerkannt – über Jahre hinaus bestehende Upstream-Darlehen gibt, die nach der Entscheidung des BGH unzulässig sind und nun durch den Abschlussprüfer aufgegriffen werden. Häufig stellt die Abwicklung eines solchen Darlehens ein großes Problem dar. 20 Vgl. Wienands/Teufel, GmbHR 2004, 1301; Berg/Schmich, FR 2005, 190. 21 BFH v. 20. 10. 2004 – I R 7/04, aaO. 22 Der BFH hat diese Frage aber bisher nicht entschieden. 23 BGH v. 24. 11. 2003 – II ZR 171/01, aaO. 24 Vgl. hierzu Brandenberg, NWB F. 3, 12757.

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Debt-Push-Down-Gestaltungen und § 8a Abs. 6 KStG

Die Strukturierung der formgewechselten Personengesellschaft als bloße steuerliche Betriebsstätte des Akquisitionsvehikels wird von der Finanzverwaltung für gewerbesteuerliche Zwecke zu Unrecht nicht mehr anerkannt.25

III. § 8a Abs. 6 KStG als Vorschrift zur Beschränkung des Debt-Push-Down 1. Die Neuregelung des § 8a Abs. 6 KStG Die Implementierung der vorstehend dargestellten Gestaltungen erfordert oftmals zunächst eine konzerninterne Übertragung der Beteiligung am Target.26 Im Zuge der durch das „Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz“ („Korb II-Gesetz“)“ v. 22. 12. 200327 erfolgten Neukonzeption des § 8a KStG – als Folge der EuGH Entscheidung „Lankhorst Hohorst“28 – wurde auch ein neuer § 8a Abs. 6 KStG eingefügt.29 Dieser soll den Zinsabzug in den Fällen fremdfinanzierter konzerninterner Anteilsveräußerungen maßgeblich einschränken. Die Vorschrift lautet: „1Abweichend von Absatz 1 sind Vergütungen für die Überlassung von Fremdkapital, das eine Kapitalgesellschaft erhalten hat, verdeckte Gewinnausschüttung, wenn 1. das Fremdkapital zum Zwecke des Erwerbs einer Beteiligung am Grund- oder Stammkapital an einer Kapitalgesellschaft aufgenommen wurde und 2. der Veräußerer der Beteiligung sowie der Geber des Fremdkapitals der Anteilseigner, der zu einem Zeitpunkt im Wirtschaftsjahr wesentlich am Grund- oder Stammkapital beteiligt war, eine dem Anteilseigner nahe stehende Person im Sinne des

__________

25 OFD Münster v. 16. 3. 2005 – Kurzinformation Gewerbesteuer Nr. 01/2004, DStR 2005, 744; OFD Hannover v. 22. 3. 2005 – 1400-430-StO 254, DB 2005, 858; OFD Magdeburg v. 4. 4. 2005 – G 1400-13-St 213, DStR 2005, 867; vgl. hierzu Rödder, DStR 2005, 955 ff. 26 So z. B. im Fall der Etablierung einer Landesholdingstruktur durch Organschaft, aber auch vor einer Verschmelzung kann eine Umhängung angebracht sein. Auch bei dem Erwerb eigener Anteile stellt sich grundsätzlich die Frage der Anwendung der Vorschrift. 27 BGBl. I 2003, 2840. 28 EuGH v. 12. 12. 2002 – Rs. C-324/00, DB 2002, 2690. 29 Siehe zu § 8a Abs. 6 KStG: Kessler, DB 2005, 2766 ff.; Grotherr, DStR 2004, 390; Köster-Böckenförde, StB 2004, 289 ff.; Pung, Der Konzern 2004, 93; Dörr/Geibel/ Gemmel/Geißelmeier/Krauß/Schreiber, NWB Beilage 11/2004, 79 ff.; Bindl, DStR 2005, 1673 ff.; Gosch, KStG, 2005, § 8a Rz. 331 ff.; Kröner in: Ernst & Young, KStG, § 8a Rz. 311 ff.; Holzaepfel/Köplin in: Erle/Sauter, Gesellschafterfremdfinanzierung, 2004, § 8a KStG Rz. 787 ff.; Pung/Dötsch in: Dötsch/Eversberg/ Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8a KStG n. F. Rz. 497 ff.; Prinz in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8a KStG Anm. J 03-35 ff.; Frotscher in: Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 8a KStG Rz. 194 ff.; Menck in: Blümich, EStG/KStG, § 8a KStG Rz. 161 ff.

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Gottfried E. Breuninger § 1 Abs. 2 des Außensteuergesetzes oder ein Dritter im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 ist. …“

Betroffen ist danach folgende Gestaltung:

M BV NL BRD

Akquisitionsdarlehen A GmbH

B GmbH

Anteilsübertragung C GmbH

Die Rechtsfolge (Umqualifizierung als verdeckte Gewinnausschüttung) betrifft hierbei die Zinsen, welche die B GmbH an die M BV zahlt. In der Gesetzesbegründung30 zu § 8a Abs. 6 KStG heißt es: „Dieser Absatz enthält eine Missbrauchsregelung für fremdfinanzierte Anteilsverkäufe innerhalb eines Konzerns. Diese Regelung soll die in der jüngeren Praxis vermehrt auftretenden Modelle verhindern, in denen im Rahmen von Holdingkonstruktionen die Verbesserung des Eigenkapitals durch nach § 8b Abs. 2 KStG steuerfreie Anteilsverkäufe erfolgt.“

Allerdings lassen sich die in der Gesetzesbegründung angeführten Merkmale „Verbesserung des Eigenkapitals“ und „nach § 8b Abs. 2 KStG steuerfreie Anteilsverkäufe“ – als möglicherweise einschränkende Tatbestandsmerkmale – im Gesetzeswortlaut nicht mehr finden. Der Norm ist daher die Gefahr einer überschießenden Tendenz immanent. Das Abstellen auf eine steuerfreie Anteilsveräußerung ist darüber hinaus aber auch deshalb problematisch, weil damit auf die steuerliche Behandlung beim Veräußerer und nicht beim Erwerber (bei dem der Zinsabzug beschränkt werden soll) Bezug genommen wird. Zwar kann auch durch eine steuerfreie Veräußerung und die damit verbundene Eigenkapitalerhöhung

__________ 30 BT-Drucks. 15/1518, 15.

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Debt-Push-Down-Gestaltungen und § 8a Abs. 6 KStG

beim Veräußerer (infolge des Wegfalls der Buchwertkürzung, § 8a Abs. 2 Satz 2 KStG) eine Erhöhung des Safe Havens erreicht werden. Diese Erhöhung des Eigenkapitals beim Veräußerer ist aber für die Frage des Zinsabzugs beim Erwerber ohne Relevanz und kann eigentlich nicht für eine Versagung des Fremdfinanzierungsaufwandsabzugs beim Erwerber (um die es bei § 8a Abs. 6 KStG geht) herangezogen werden. Gemeint war in der Gesetzesbegründung möglicherweise der Umstand, dass der Erwerber Anschaffungskosten refinanzieren kann, ohne dass dies im Konzern zu Steuerkosten führt. Dies ist aber genau die Konstellation, die sich bei jeder normalen Akquisition stellt. Würde man die Anwendung des § 8a Abs. 6 KStG von einer steuerfreien Veräußerung an den Erwerber abhängig machen, so wäre diese Regelung mit der weggefallenen Vorschrift des § 50c EStG vergleichbar, bei der die Rechtsfolgen (Verbot der Teilwertabschreibung) auf der Ebene des Erwerbers Anwendung fanden, aber der Tatbestand auf den nicht anrechnungsberechtigten Veräußerer abstellte. Der wahre Sinn und Zweck der Vorschrift bleibt aufgrund dieser Ungereimtheiten in Begründung und Wortlaut etwas im Dunkeln. Ist es etwa missbräuchlich, Zinsen für die Finanzierung der Akquisition einer Beteiligung von deren operativem Gewinn steuerlich abzusetzen? Das entspricht doch lediglich dem Nettoprinzip.31 Letztlich stellt sich hier das generelle Problem eines Hochsteuerlandes, dass ein Zinsabzug zu einer Reduzierung des Besteuerungssubstrats führen kann und sich deshalb die Frage stellen kann, wann ein solcher Zinsabzug „übermäßig“ wird und durch Missbrauchsregelungen eingeschränkt werden muss.32 2. Die Gesetzestechnik Von zentraler Bedeutung für das Verständnis der Vorschrift ist der Umstand, dass es sich um eine eigenständige Vorschrift mit eigenem Tatbestand und eigener Rechtsfolge handelt (Gesetzesformulierung „Abweichend von Absatz 1“). Das bedeutet, dass die Rechtsfolge unabhängig von dem in § 8a Abs. 1 KStG geregelten Safe-Haven-Konzept, einem eventuellen Drittvergleich, der Beschränkung auf nicht nur kurzfristige Fremdkapitalüberlassungen sowie der Freigrenze in § 8a Abs. 1 Satz 1 KStG bei Erfüllung des Tatbestandes der Vorschrift Anwendung findet. Hinzu kommt, dass der oben dargestellte Gesetzeszweck im Tatbestand der Vorschrift keinen Niederschlag gefunden hat, das heißt, dass die Rechtsfolgen unabhängig davon eintreten,

__________ 31 Siehe dazu Schön, FR 2001, 381 (382). 32 Es stellt sich die die Problematik der über Jahrzehnte in Deutschland geführten Diskussion in Bezug auf die Einführung einer Begrenzung der Gesellschafterfremdfinanzierung; vgl. dazu Blumenberg, Die Besteuerung der Gesellschafter-Fremdfinanzierung: unter besonderer Berücksichtigung der Unternehmensverhältnisse in den USA, 1997; Pöllath/Rädler, DB 1980, Beilage 8.

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Gottfried E. Breuninger

ob die Anteilsübertragung steuerfrei oder steuerpflichtig war. Es ist damit grundsätzlich jede konzerninterne Anteilsübertragung betroffen. Hieran wird deutlich, dass die Vorschrift eine klar überschießende Wirkung hat. Geradezu paradigmatisch zeigt sich die problematische Tendenz, vermeintliche Missbrauchsfälle33 quasi „flächendeckend“ zu regeln, mit der Folge, dass nunmehr jede konzerninterne Anteilsveräußerung potenziell von der neuen Vorschrift erfasst wird. Aufgrund der Neuregelung ist in der Praxis eine große Anwendungsunsicherheit entstanden. Die Finanzverwaltung hat erstmalig Ende 2005 den Entwurf eines Erlasses zu § 8a Abs. 6 KStG („Erlass-Entwurf“) veröffentlicht,34 welcher in einigen Fällen begrüßenswerte Einschränkungen des Anwendungsbereichs der Vorschrift vornimmt, aber weiterhin eine Vielzahl offener Fragen unbeantwortet lässt.

IV. Tatbestand der Vorschrift § 8a Abs. 6 KStG 1. Die Einschränkung des Tatbestandes im Erlass-Entwurf Im Hinblick auf den oben dargelegten Zweck der Vorschrift, die „Verbesserung des Eigenkapitals durch steuerbegünstigte Anteilsverkäufe“ zu verhindern, soll die Vorschrift nur auf solche Anteilserwerbe Anwendung finden, bei denen –

der Veräußerer (unmittelbar oder mittelbar) eine Kapitalgesellschaft ist oder



der Anteilserwerb beim Erwerber zu einer Verbesserung seines Safe Havens nach § 8a Abs. 2, 4 KStG führt (Entwurf Tz. 1).

Darüber hinaus sollen nur solche fremdfinanzierten Anteilserwerbe erfasst werden, „bei denen das obligatorische Rechtsgeschäft (Verpflichtungsgeschäft) oder die Überlassung des dem Erwerb dienenden Fremdkapitals nach dem 31. Dezember 2001 liegt.“35 Die in dem Erlass-Entwurf erwähnte zweite Alternative, wonach der „Anteilserwerb beim Erwerber zu einer Verbesserung seines Safe Havens nach § 8a Abs. 2, 4 KStG führt“, kann eigentlich nur den Fall meinen, dass natürliche Personen oder Körperschaften des öffentlichen Rechts eine Beteiligung veräußern und durch den Erwerb der Beteiligung beim Erwerber die Voraussetzungen einer Holding gemäß § 8a Abs. 4 KStG begründet werden.36 Denn der Erwerb einer fremdfinanzierten Beteiligung führt grundsätzlich nicht zu

__________ 33 Vgl. die Gesetzesbegründung in Bezug auf „Holdingkonstruktionen“. 34 Der Entwurf wurde den Wirtschaftsverbänden zum Zwecke der Stellungnahme zugeleitet. 35 Tz. 33 Erlass-Entwurf. 36 So auch Kessler, aaO (Fn. 29), 2767.

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Debt-Push-Down-Gestaltungen und § 8a Abs. 6 KStG

einer Erhöhung des Safe Havens beim Erwerber, sondern im Gegenteil aufgrund der Buchwertkürzung zu einer Verringerung.37 Zu einer Verbesserung des Safe Havens beim Erwerber kommt es nur dann, wenn der Erwerb der Beteiligung zur Erfüllung der Holding-Voraussetzungen gem. § 8a Abs. 4 KStG (insbesondere Halten von mindestens zwei Beteiligungen) führt, weil in diesem Fall die ansonsten anzuwendende Buchwertkürzung gem. § 8a Abs. 2 KStG nicht zur Anwendung kommt. Nach Tz. 83 f. des ursprünglichen BMF-Schreibens zu § 8a KStG v. 15. 12. 199438 ist allerdings insoweit – unter Bezugnahme auf § 271 Abs. 1 HGB – Voraussetzung, dass eine zweite Beteiligung in Höhe von regelmäßig mehr als 20 % des Nennbetrags der Gesellschaft erworben wird. Das bedeutet, dass auf Grundlage der 2. Alternative des Erlass-Entwurfs regelmäßig nur der Erwerb einer Beteiligung in Höhe von mehr als 20 % des Kapitals an einer anderen Kapitalgesellschaft den Anwendungsbereich von § 8a Abs. 6 KStG eröffnen kann.39 Dem Wortlaut des Erlass-Entwurfs nach setzt eine Anwendung des § 8a Abs. 6 KStG eine Erhöhung des Safe Havens beim Erwerber nur dann voraus, wenn der Veräußerer keine Kapitalgesellschaft ist. Das bedeutet, dass im Falle der Beteiligungsveräußerung durch eine Kapitalgesellschaft eine Anwendung des § 8a Abs. 6 KStG unabhängig davon zu erfolgen hätte, ob es beim Erwerber infolge des Beteiligungserwerbs tatsächlich zu einer Erhöhung seines Safe Havens kommen würde. Grundsätzlich ist eine einschränkende Auslegung der Norm zu begrüßen. Insbesondere eine Beschränkung der Norm auf diejenigen Fälle, in denen es beim Erwerber zu einer Erhöhung seines Save Havens kommt, entspricht dem Sinn und Zweck der Norm. Unverständlich ist jedoch, weshalb der Erlass-Entwurf die Erhöhung des Safe Havens beim Erwerber als einschränkendes Tatbestandsmerkmal nur in denjenigen Fällen statuiert, in denen der Veräußerer keine Kapitalgesellschaft ist. Eine Differenzierung zwischen Kapitalgesellschaften und natürlichen Personen bzw. Körperschaften des öffentlichen Rechts macht keinen Sinn und findet weder im Gesetzeswortlaut noch in der Gesetzesbegründung einen Anhaltspunkt. M. E. sollte daher eine einschränkende Auslegung dahingehend erfolgen, dass der Anwendungsbereich von § 8a Abs. 6 KStG unabhängig von der Person des Veräußerers nur dann eröffnet ist, wenn es beim Erwerber infolge des Beteiligungserwerbs tatsächlich zu einer Erhöhung seines Safe Havens kommt.

__________ 37 Der Erwerb einer Beteiligung im Wege einer verdeckten Einlage (Einstellung in die Kapitalrücklage gem. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB) führt bei einer Holding im Sinne von § 8a Abs. 4 Satz 1 KStG zwar zu einer Erhöhung eines möglichen Safe Haven, stellt aber mangels Fremdfinanzierung keinen Fall des § 8a Abs. 6 KStG dar, so auch Bindl, aaO (Fn. 29), 1676; Kessler, aaO (Fn. 29), 2768; Pung/Dötsch, aaO (Fn. 29), Rz. 507; Grotherr, aaO (Fn. 29), 393. 38 BMF-Schreiben v. 15. 12. 1994 – IV B 7 - S-2742a - 63/94, BStBl. I 1995, 25, ber. 176. 39 So auch Kessler, aaO (Fn. 29), 2768.

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Doch selbst dann stellt sich die Frage, ob eine im Rahmen eines BMF-Schreibens erfolgende Einschränkung der geeignete Weg ist, die für den Steuerpflichtigen notwendige Rechtssicherheit zu schaffen. In einer Betriebsprüfung kann es leicht zu unterschiedlichen Auffassungen bzgl. der Anwendung des BMF-Schreibens kommen. Es entstünde dann die Situation, dass bei einer finanzgerichtlichen Überprüfung des betreffenden Sachverhaltes der Steuerpflichtige regelmäßig unterliegen würde, da die einschränkende Auslegung des BMF-Schreibens grundsätzlich keine Grundlage im Gesetz hat. Vielmehr könnte der BFH § 8a Abs. 6 KStG – wie jüngst in einer Entscheidung40 zu § 15 Abs. 3 Satz 4 UmwStG geschehen – als eine typisierende Missbrauchsvermeidungsvorschrift begreifen. Eine Typisierung steht aber einer einschränkenden Auslegung entgegen, so dass einer solchen Regelung grundsätzlich die Gefahr einer überschießenden Tendenz immanent ist. Es besteht insoweit eine Konstellation, wie sie derzeit in den Fällen der Finanzierung durch rückgriffsberechtigte Dritte im Sinne von § 8a Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 KStG gegeben ist.41 Die Einschränkung der Vorschrift auf Erwerbe ab dem 1. 1. 2002 soll offenbar die Einführung des Halb-Einkünfteverfahrens berücksichtigen und den in der Gesetzesbegründung („durch nach § 8b Abs. 2 KStG steuerfreie Anteilsverkäufe“) artikulierten Gesetzeszweck, nur steuerfreie Anteilsveräußerungen als schädlich zu berücksichtigen, entsprechend aufgreifen. Allerdings können auch Anteilsverkäufe nach dem 31. 12. 2001 steuerpflichtig sein. Hier wäre ebenfalls eine teleologische Reduktion angezeigt. 2. Der Erwerb einer Kapitalbeteiligung Der Tatbestand setzt den Erwerb einer Beteiligung am Grund- oder Stammkapital einer Kapitalgesellschaft voraus. Fraglich ist, ob die Vorschrift eine entsprechende Mindestbeteiligung erfordert, wie es die Finanzverwaltung für § 8a Abs. 4 Satz 1 KStG unter Hinweis auf § 271 Abs. 1 HGB gemäß Tz. 83 des ursprünglichen BMF-Schreibens zu § 8a KStG v. 15. 12. 199442 verlangt („Haupttätigkeit darin besteht, Beteiligungen an Kapitalgesellschaften zu erhalten“). Danach gelten als Beteiligungen regelmäßig Anteile an einer Kapitalgesellschaft, deren Nennbetrag mehr als 20 % des Nennkapitals dieser Gesellschaft umfassen. M. E. wäre eine solche einschränkende Auslegung mit Blick auf das Gesamtkonzept des § 8a KStG sinnvoll.43 Es ist allerdings zuzugeben, dass der Wort-

__________ 40 41 42 43

BFH v. 3. 8. 2005 – I R 62/04, GmbHR 2006, 218 mit Komm. Breuninger/Schade. Vgl. hierzu BMF-Schreiben v. 22. 7. 2005, BStBl. I 2005, 829. BMF-Schreiben v. 15. 12. 1994 – IV B 7 - S-2742a - 63/94, BStBl. I 1995, 25, ber. 176. So auch Prinz, aaO (Fn. 29), Anm. J 03-38; Grotherr, aaO (Fn. 29), 393; KösterBöckenförde, aaO (Fn. 29), 291. Dörr u. a., aaO (Fn. 29), 82; a. A. Pung/Dötsch, aaO (Fn. 29), Rz. 501; Kröner, aaO (Fn. 29), Rz. 327; Neu/Tombers, GmbH-StB 2004, 75 (84).

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Debt-Push-Down-Gestaltungen und § 8a Abs. 6 KStG

laut von § 8a Abs. 6 Nr. 1 KStG eine solche Einschränkung nicht unmittelbar enthält.44 Hieran zeigt sich deutlich die überschießende Tendenz dieser Vorschrift. Die Finanzverwaltung führt im Erlass-Entwurf ausdrücklich aus, dass es auf keine bestimmte Mindestbeteiligungsquote ankommt.45 Allerdings steht diese Auffassung teilweise im Widerspruch zu der einschränkenden Auslegung in Tz. 1 des Erlass-Entwurfs, wonach dann – wenn die Beteiligung nicht durch eine Kapitalgesellschaft veräußert wird – nur solche Anteilserwerbe zur Anwendung des § 8a Abs. 6 KStG führen, die beim Erwerber eine Verbesserung seines Safe Havens nach § 8a Abs. 2, 4 KStG bewirken. Da diese Alternative – wie oben dargelegt – aber nur den Fall der Begründung einer Holding im Sinne von § 8a Abs. 4 KStG durch den Beteiligungserwerb erfasst, dürften insoweit nach Ansicht der Finanzverwaltung in dieser Alternative von § 8a Abs. 6 KStG nur Beteiligungserwerbe von mehr als 20 % an einer Kapitalgesellschaft erfasst werden. Eine solche Differenzierung danach, ob der Veräußerer eine Kapitalgesellschaft oder eine natürliche Person bzw. Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, macht jedoch keinen Sinn und ergibt sich ebenfalls weder aus dem Wortlaut des Gesetzes noch der Gesetzesbegründung, so dass m. E. die Mindestbeteiligungsquote nach oben genanntem BMF-Schreiben unabhängig von der Person des Veräußerers stets gelten sollte.46 Des Weiteren soll auch der Erwerb eigener Anteile des Veräußerers oder Erwerbers schädlich sein,47 so dass grundsätzlich auch das Debt-Push-DownGestaltungsinstrument „Buy-Back-Scheme“ von § 8a Abs. 6 KStG betroffen sein dürfte. Allerdings wird auf der Grundlage des Erlass-Entwurfs – zumindest im Fall des Erwerbs von einer natürlichen Person bzw. von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts48 – regelmäßig keine Anwendung von § 8a Abs. 6 KStG erfolgen können, wenn man davon ausgeht, dass eigene Anteile nicht zu einer Verbesserung des Safe Havens führen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die entscheidende Frage, wie sich der Erwerb eigener Anteile auf den Safe Haven auswirkt. Hier werden grundsätzlich zwei Lösungen vertreten: –

Die erste Meinung geht davon aus, dass die Rücklage für eigene Anteile in § 272 Abs. 4 HGB zum Eigenkapital im Sinne von § 8a Abs. 2 Satz 2 KStG gehört.49 Allerdings ist nach dem Erwerb der eigenen Anteile das

__________ 44 45 46 47 48 49

So auch Gosch, § 8a KStG Rz. 337. Siehe Erlass-Entwurf Tz. 3. So auch Kessler, aaO (Fn. 29), 2768. Erlass-Entwurf Tz. 4. Nach der hier vertretenen Ansicht auch beim Erwerb von einer Kapitalgesellschaft. Vgl. Kröner, aaO (Fn. 29), Rz. 190; Pung/Dötsch, aaO (Fn. 29), Rz. 330; Prinz, aaO (Fn. 29), Anm. 152.

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anteilige Eigenkapital auf der Grundlage der nunmehr verminderten außen stehenden Anteile zu berechnen.50 –

Die andere Auffassung geht davon aus, dass die Rücklage für eigene Anteile nicht zum Eigenkapital gehört51 und somit der Erwerb eigener Anteile wie eine Ausschüttung zu behandeln ist.

Richtigerweise ist der Erwerb eigener Anteile bei der Kapitalgesellschaft als Erwerb eines Wirtschaftsguts anzusehen, sofern die eigenen Anteile nicht zur Einziehung erworben werden.52 Daher ist m. E. davon auszugehen, dass für die Bestimmung des Safe Havens das Eigenkapital unverändert bleibt und nur für die Bestimmung des anteiligen Safe Havens eine entsprechende Korrektur erfolgt. Zu Recht geht der Erlass-Entwurf auch davon aus,53 dass die Erlangung einer Kapitalbeteiligung durch Kapitalerhöhung oder im Rahmen einer Neugründung einer Kapitalgesellschaft keinen Anteilserwerb im Sinne von § 8a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 KStG darstellt.54 3. Zweckbindung des Fremdkapitals a) Begründung des Veranlassungszusammenhangs Nach dem Wortlaut von § 8a Abs. 6 KStG muss das Fremdkapital „zum Zwecke“ des Erwerbs einer Beteiligung aufgenommen worden sein. Die Darlehensaufnahme muss danach durch den Erwerb der Beteiligung ausgelöst, also veranlasst worden sein.55 Es stellt sich die Frage, wann der erforderliche Veranlassungszusammenhang gegeben ist.56 Die Formulierung „zum Zwecke des Erwerbs einer Kapitalbeteiligung“ intendiert einen unmittelbaren Veranlassungszusammenhang, es genügt nicht ein Zusammenhang „anlässlich“ des Erwerbs.57 Es besteht somit eine vergleichbare Problematik wie bei der Bestimmung des unmittelbaren wirtschaftlichen Veranlassungszusam-

__________ 50 Vgl. Pung/Dötsch, aaO (Fn. 29), Rz. 312; Kröner, aaO (Fn. 29), Rz. 180. 51 Vgl. Gosch, aaO (Fn. 29), Rz. 202; Wassermeyer in: WP-Handbuch der Unternehmensbesteuerung, 3. Aufl. 2000, Kapitel G Rz. 566; Frotscher in: Frotscher/Maas, aaO (Fn. 29), Rz. 128. 52 Vgl. dazu BMF-Schreiben v. 2. 12. 1998 – IV C 6 – S 2741 – 12/98, BStBl. I 1998, 1509; BFH v. 6. 12. 1995 – I R 51/95, BStBl. II 1998, 781. 53 Erlass-Entwurf Tz. 6. 54 So auch Gosch, aaO (Fn. 29), Rz. 337; Pung/Dötsch, aaO (Fn. 29), Rz. 507; Kessler, aaO (Fn. 29), 2768; Prinz, aaO (Fn. 29), Anm. J 03-37; Grotherr, DStR 2004, 390 (393). 55 Prinz, aaO (Fn. 29), Anm. J 03-37; Tz. 8 Erlass-Entwurf; Gosch, aaO (Fn. 29), Rz 335: „Abzustellen ist auf den konkreten Verwendungszweck im Zeitpunkt der Mittelaufnahme“. 56 Vgl. zu § 4 Abs. 4 EStG zur betrieblichen Veranlassung: Heinicke in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 4 Rz. 27 ff.; Prinz, StuW 1996, 267. 57 A. A. Kröner, aaO (Fn. 29), Rz. 321.

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menhangs im Sinne von § 3c Abs. 1 EStG.58 So hat der BFH in einem Urteil v. 29. 5. 199659 – betreffend einen Fall, in dem die Kläger zwar die erforderlichen Mittel für den Erwerb einer Beteiligung in Form von Festgeld auf der Bank, den Kaufpreis aber mit einem neu aufgenommenen Darlehen finanziert hatten – wie folgt argumentiert: „In entsprechender Anwendung des Beschlusses des Großen Senates des BFH vom 4. Juli 1990 – GrS 2–3/88, BStBl. II 1990, 817 ist ein unmittelbarer wirtschaftlicher Veranlassungszusammenhang zwischen Darlehenszinsen und steuerfreien Schachteldividenden anzunehmen, wenn das Darlehen, das die Zinsen auslöst, zur Finanzierung des Erwerbs der Beteiligung verwendet wurde, durch die die steuerfreie Schachteldividende veranlasst ist. Der Veranlassungszusammenhang bestimmt sich allein nach der tatsächlichen Darlehensverwendung und nicht nach einer wirtschaftlich wertenden Betrachtungsweise, wie sie das FG angestellt hat. Das Steuerrecht anerkennt eine Fremdfinanzierung von Anschaffungen auch dann, wenn der Steuerpflichtige dieselbe mit Eigenkapital hätte finanzieren können. Die Klägerin hatte die freie Entscheidung, ob sie den Erwerb der hier interessierenden Beteiligung an der US-amerikanischen Körperschaft durch Kreditaufnahme oder nach Kündigung der Festgeldanlage durch Eigenkapital finanzierte. Sie hat sich für erstere Möglichkeit entschieden. Dann muss diese aber auch der Besteuerung zugrunde gelegt werden.“

Das bedeutet, dass der BFH gerade nicht darauf abgestellt hat, dass sehr kurzfristig nach dem Erwerb (nämlich nach Rückzahlung des Darlehens mit Mitteln aus dem fällig gewordenen Festgeld) der Erwerb quasi wirtschaftlich mit Eigenkapital hätte finanziert werden können. Entscheidend ist die tatsächliche Verwendung des betreffenden Darlehens. Im Umkehrschluss lässt sich aus dieser Entscheidung des BFH für den Fall des § 8a Abs. 6 KStG folgern, dass es neben dem konkreten Verwendungszweck im Zeitpunkt der Darlehensaufnahme auf die tatsächliche Verwendung des Darlehens ankommt. Eine nachträgliche Umwidmung der Mittel ist daher für Zwecke des § 8a Abs. 6 KStG grundsätzlich nicht möglich.60 Daher ist es m. E. unzutreffend, wenn es in dem Erlass-Entwurf zum Veranlassungszusammenhang heißt:61 „Gleiches gilt, wenn zunächst die Kapitalbeteiligung erworben wird und anschließend das der Finanzierung des Anteilserwerbs dienende Fremdkapital aufgenommen wird. Ein Zusammenhang zwischen der Überlassung des Fremdkapitals und dem Erwerb der Kapitalbeteiligung ist in der Regel anzunehmen, wenn zwischen der Fremdkapitalüberlassung und dem Beteiligungserwerb ein Zeitraum von weniger als einem Jahr liegt.“

__________ 58 Vgl. auch Gosch, aaO (Fn. 29), Rz. 335, der von einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zweckzusammenhang ausgeht; a. A. wohl Holzaepfel/Köplin, aaO (Fn. 29), Rz. 835 ff. 59 BFH v. 29. 5. 1996 – I R 15/94, BStBl. II 1997, 57 (59). 60 So auch Kessler, aaO (Fn. 29), 2767; Gosch, aaO (Fn. 29), Rz. 335; Holzaepfel/ Köplin, aaO (Fn. 29), Rz. 845; Kröner, aaO (Fn. 29), Rz. 321. 61 Erlass-Entwurf Tz. 9.

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Nach dem vorstehend Gesagten kann daher kein Veranlassungszusammenhang zwischen einem Darlehen und einem Beteiligungserwerb bestehen, wenn die Kapitalbeteiligung zum Zeitpunkt der Darlehensaufnahme bereits erworben und der Kaufpreis (nicht mit Mitteln aus der Darlehensaufnahme) bereits gezahlt wurde. Ein Veranlassungszusammenhang kann allenfalls dann entstehen, wenn der Veräußerer den Kaufpreis im Rahmen des Anteilsübertragungsvertrags stundet oder zinslos stellt und die Kaufpreiszahlung zu einem späteren Zeitpunkt durch ein im Konzern aufgenommenes Darlehen erfolgt.62 Hat das Unternehmen ausreichende Liquidität zum Erwerb einer Kapitalbeteiligung und wurde diese Liquidität sowohl durch Eigen- als auch Fremdkapital finanziert, ist es im Regelfall aber äußerst schwierig, eine entsprechende Verwendung für Zwecke des § 8a Abs. 6 KStG nachzuweisen. Das bedeutet, dass grundsätzlich nur dann von einer für § 8a Abs. 6 KStG schädlichen Finanzierung auszugehen ist, wenn die Darlehensmittel zum Zwecke der Finanzierung des Beteiligungserwerbs aufgenommen worden sind und dann auch tatsächlich zur Bezahlung des Kaufpreises für die Beteiligung verwendet wurden. Werden also die Mittel zum Zwecke der Finanzierung des Beteiligungserwerbs aufgenommen, aber dann z. B. für die Bezahlung von Löhnen verwendet, fehlt es am erforderlichen unmittelbaren Zusammenhang. Gleiches gilt, wenn die Mittel zum Zwecke des Erwerbs eines Grundstückes aufgenommen werden, aber dann zur Bezahlung des Kaufpreises für die Beteiligung tatsächlich verwendet werden. Auch hier fehlt es am erforderlichen unmittelbaren Veranlassungs- (Zweck)Zusammenhang i. S. der Vorschrift.63 Oftmals ist es auch nicht in vollem Umfang nachweisbar, ob genau diese Mittel aus einer Darlehensaufnahme verwendet worden sind. Es stellt sich – wie so häufig – auch hier die Frage des „angestrichenen Geldes“. Der ErlassEntwurf geht zwar in Tz. 10 davon aus, dass eine gemischt veranlasste Fremdkapitalüberlassung die Voraussetzungen des § 8a Abs. 6 KStG erfüllt, „soweit sie durch den Erwerb einer Kapitalbeteiligung veranlasst ist“. Hier liegt aber – wie grundsätzlich bei dieser Vorschrift – die Feststellungslast bei der Finanzbehörde und nicht beim Steuerpflichtigen. Der Nachweis dürfte im Einzelnen sehr schwierig sein. b) Veranlassungszusammenhang und mittelbarer Erwerb einer Beteiligung Nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 8a Abs. 6 KStG ist der erforderliche unmittelbare Veranlassungszusammenhang (Aufnahme des Fremdkapitals zum Zwecke des Erwerbs einer Beteiligung) nur in den Fällen eines unmit-

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62 So auch Gosch, aaO (Fn. 29), Rz. 335. 63 So auch Gosch, aaO (Fn. 29), Rz. 335; anders wäre dies allenfalls nur bei einer Novation der Kreditkonditionen.

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Debt-Push-Down-Gestaltungen und § 8a Abs. 6 KStG

telbaren Beteiligungserwerbs gegeben.64 Nur ein solcher unmittelbarer Beteiligungserwerb erfüllt die erforderliche unmittelbare Veranlassung. Demgegenüber geht der Erlass-Entwurf davon aus, dass ein schädlicher Veranlassungszusammenhang auch dann vorliegt, wenn die Überlassung des Fremdkapitals nach dem erkennbaren Willen mit dem Ziel des mittelbaren Erwerbs einer Kapitalbeteiligung erfolgte („Gesamtplan“).65 Das Darlehen wird danach einer Tochtergesellschaft als Eigen- oder Fremdkapital66 gewährt, die Tochtergesellschaft erwirbt dann mit diesen Mitteln die Beteiligung. Dies soll an folgendem Chart verdeutlicht werden:

GM Darlehen M1

M2 Einlage

T1

T2

Anteilsübertragung

Eine typisierende Missbrauchsvermeidungsvorschrift wie § 8a Abs. 6 KStG kann nicht unter Hinweis auf das „Zauberwort“ Gesamtplan ausgedehnt werden. So wurde auch der vergleichbare § 50c EStG durch Anfügung eines Absatzes 7 im Hinblick auf die Regelung von mittelbaren Beteiligungserwerben geändert. Der BFH hat zur Anwendung des § 50c Abs. 1 EStG i. d. F. vor Änderung durch das Standortsicherungsgesetz67 ausgeführt:

__________ 64 So auch Prinz, aaO (Fn. 29), Anm. J 03-37; Kessler, aaO (Fn. 29), 2769; Holzaepfel/ Köplin, aaO (Fn. 29), Rz. 848; a. A. Kröner, aaO (Fn. 29), Rz. 324. 65 Erlass-Entwurf Tz. 11. 66 Nach Erlass-Entwurf Tz. 11 ist es unerheblich, ob Fremd- oder Eigenkapital gewährt wird. 67 Gesetz zur Verbesserung der steuerlichen Bedingungen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland im Europäischen Binnenmarkt (Standortsicherungsgesetz – StandOG) v. 13. 9. 1993, BGBl I 1993, 1569, BStBl. I 1993, 774.

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Gottfried E. Breuninger „Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung und Wirkungsweise stellt § 50c EStG sonach eine Ausnahmevorschrift dar. Es ist aber Sache des Gesetzgebers, die tatbestandlichen Voraussetzungen einer solchen Ausnahmevorschrift derart klar und eindeutig zu fassen, dass sich die beteiligten Verkehrskreise darauf einstellen können. Etwaige Unklarheiten und Rechtsfolgelücken können im Rahmen der Gesetzesauslegung zwar geschlossen werden, immer aber nur in den Grenzen des möglichen Wortsinns. Eine Ausdehnung der – dem Körperschaftsteuer-Anrechnungssystem letztlich widersprechenden – Ausnahmevoraussetzung auf weitere missbrauchsverdächtige Sachverhaltskonstellationen durch Auslegung oder durch Analogie verbietet hingegen der Gesetzesvorbehalt. Dies muss deswegen dem Gesetzgeber überlassen bleiben und ist denn auch zwischenzeitlich wiederholt geschehen.“68

Die seitens der Finanzverwaltung im Entwurf vertretene Auffassung ist daher abzulehnen.69 c) Beendigung des Veranlassungszusammenhangs In Bezug auf die Beendigung des Veranlassungszusammenhangs stellt sich die Frage, ob der bestehende Veranlassungszusammenhang entfällt, wenn die darlehensfinanzierte Beteiligung veräußert oder umgewandelt wird. Nach dem Gesetzeswortlaut hindert eine solche Veräußerung oder Umwandlung wohl grundsätzlich nicht die Tatbestandserfüllung („Vergütungen für die Überlassung von Fremdkapital“), obwohl nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift eine Beendigung des Veranlassungszusammenhangs angezeigt wäre, da keine Refinanzierung einer durch eine steuerfreie Veräußerung erworbe-

__________ 68 BFH v. 17. 5. 2000 – I R 19/98, BStBl. II 2000, 619 zur Frage, ob die Änderung des § 50c Abs. 1 EStG bzgl. des Zeitpunktes der unbeschränkten Steuerpflicht nur eine „Klarstellung“ oder eine „richtige“ Änderung des Gesetzes war. 69 Eine ähnliche Problematik kann sich auch in Bezug auf § 8a Abs. 6 Satz 2 KStG stellen. Danach gilt Satz 1 entsprechend, „wenn die Beteiligung durch eine Personengesellschaft erworben wurde, während der die Kapitalgesellschaft alleine oder zusammen mit ihr nahe stehenden Personen … unmittelbar oder mittelbar zu mehr als einem Viertel beteiligt ist“. Tz. 13 Erlass-Entwurf geht aber auch hier davon aus, dass der fremdfinanzierte Erwerb eines Mitunternehmer-Anteils an einer Personengesellschaft die Voraussetzung eines mittelbaren Anteilserwerbs erfüllt, soweit das Vermögen der Personengesellschaft aus Kapitalbeteiligungen besteht. Wie schon oben zur Frage der mittelbaren Finanzierung einer Kapitalgesellschaftsbeteiligung ausgeführt, gibt es für eine solche über den Wortlaut hinausgehende Auslegung der Vorschrift keine Grundlage. Wenn man sich eine Personengesellschaft vorstellt, die als Stammhauskonzern organisiert ist und gleichzeitig die Finanzierung des Erwerbs der Personengesellschaft sowohl durch Eigen- als auch Fremdkapital erfolgt, liegt klar auf der Hand, dass eine Zuordnung von Fremdkapital zu der mittelbar erworbenen Kapitalgesellschaftsbeteiligung schon rein praktisch nicht möglich ist. M. E. wird hier schon gar nicht das Fremdkapital „zum Zwecke des Erwerbs einer Beteiligung am Grund- oder Stammkapital an einer Kapitalgesellschaft aufgenommen“.

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nen Beteiligung mehr besteht.70 Auch der Erlass-Entwurf geht in Tz. 12 davon aus, dass der bestehende Veranlassungszusammenhang nicht beendet wird. Dagegen kann eine spätere Umfinanzierung zum Entfallen des Veranlassungszusammenhangs führen. Zunächst entfällt die Anwendung von § 8a Abs. 6 KStG, sofern die Darlehensfinanzierung nach der Umfinanzierung nicht mehr die Voraussetzungen des § 8a Abs. 6 KStG im Hinblick auf die Finanzierung erfüllt (z. B. Bankfinanzierung ohne Rückgriffsmöglichkeit).71 Sofern das bisher bestehende Konzerndarlehen durch ein anderes Konzerndarlehen umgeschuldet wird, kann m. E. auch der Veranlassungszusammenhang entfallen, da diese Finanzierung nicht mehr zum Erwerb einer Beteiligung aufgenommen wurde. Allerdings geht die Finanzverwaltung im ErlassEntwurf davon aus, dass der Veranlassungszusammenhang nur beendet wird, „soweit die mit dem ursprünglichen Fremdkapital erworbenen Anteile nicht mehr zum Vermögen der Kapitalgesellschaft gehören. War die spätere Umfinanzierung dagegen von Beginn an vorgesehen, besteht der ursprüngliche Veranlassungszusammenhang fort. Gleiches gilt, wenn das durch die Umfinanzierung abgelöste Fremdkapital nach dem Gesamtbild der Umstände nur den Zweck einer Zwischenfinanzierung haben konnte“.72

Diese Auffassung erscheint viel zu eng, da damit der Veranlassungszusammenhang quasi perpetuiert wird. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der bisherige Veranlassungszusammenhang und damit die Anwendung der Vorschrift entfällt, wenn tatsächlich eine Umfinanzierung in dem Sinne erfolgt, dass ein gänzlich neues Darlehen mit anderen Konditionen und ggf. durch einen anderen Darlehensgeber gewährt wird oder eine entsprechende Novation des bisherigen Darlehens erfolgt. Wenn z. B. das Darlehen mit eigenen liquiden Mitteln zurückgeführt werden kann und kurz danach ein neues Konzerndarlehen zur Finanzierung von Umlaufvermögen aufgenommen wird, führt dies zu einem Entfallen des bisher schädlichen Veranlassungszusammenhangs.73 4. Beteiligte Personen a) Problemstellung Nach dem Gesetzeswortlaut können sowohl der Anteilseigner, eine diesem nahestehende Person oder ein rückgriffsberechtigter Dritter Veräußerer und

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70 Gosch, aaO (Fn. 29), Rz. 339; Kessler, aaO (Fn. 29), 2769; Prinz, aaO (Fn. 29), Anm. J 03-35; Kröner, aaO (Fn. 29), Rz. 323; Holzaepfel/Köplin, aaO (Fn. 29), Rz. 843; Pung/Dötsch, aaO (Fn. 29), Rz. 512; Köster-Böckenförde, aaO (Fn. 29), 291; a. A. Grotherr, aaO (Fn. 29), 397; Bindl, aaO (Fn. 29), 1677. 71 Gosch, aaO (Fn. 29), Rz. 339; Grotherr, aaO (Fn. 29), 397. 72 Tz. 13 Erlass-Entwurf. 73 So auch Kessler, aaO (Fn. 29), 2769 unter Hinweis auf das Zwei-Konten-Modell; Holzaepfel/Köplin, aaO (Fn. 29), Rz. 844 ff. Prinz, aaO (Fn. 29), Anm. J 03-35.

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Darlehensgeber sein. Eine Einbeziehung des Beteiligungserwerbs von konzernfremden Dritten macht im Hinblick auf die Gesetzesbegründung allerdings keinen Sinn.74 Zu Recht nimmt daher der Erlass-Entwurf in Tz. 14 den rückgriffsberechtigten Dritten als Veräußerer einer Kapitalgesellschaftsbeteiligung aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift aus. Das bedeutet, dass der Erwerb einer Beteiligung von einer Bank, die gleichzeitig den Erwerb durch ein Darlehen finanziert, nicht schädlich sein kann. Gleiches gilt für eine verzinsliche Kaufpreisstundung im Fall eines Unternehmenskaufs. Ist ein rückgriffsberechtigter Dritter (§ 8a Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 KStG) der Fremdkapitalgeber, so stellt sich die Frage, ob die seitens der Finanzverwaltung vorgenommene Begrenzung der Rückgriffsfälle auf solche einer sog. echten Back-to-Back-Finanzierung75 auch im Rahmen von § 8a Abs. 6 KStG Anwendung findet. Diese Frage stellt sich deshalb, da § 8a Abs. 6 KStG einen eigenständigen Tatbestand darstellt. Der Erlass-Entwurf nimmt dazu keine Stellung. Allerdings wäre es eine weitere nicht nachvollziehbare Besonderheit von § 8a Abs. 6 KStG, wenn man den rückgriffsberechtigten Dritten für Zwecke des § 8a Abs. 6 KStG anders als für Zwecke des § 8a Abs. 1 KStG behandeln würde. Die Beschränkung auf Back-to-Back-Finanzierungen sollte daher auch auf § 8a Abs. 6 KStG Anwendung finden.76 b) „Hineinwachsen“ der beteiligten Personen Des Weiteren stellt sich die Frage, ob es (a) für die Anwendung des § 8a Abs. 6 KStG genügt, wenn ein zunächst konzernfremder Darlehensgeber in die Stellung des Anteilseigners der fremdfinanzierten Kapitalgesellschaft oder eine diesem nahe stehende Person hineinwächst und ob es (b) schädlich ist, wenn der Veräußerer der Kapitalbeteiligung zu einem späteren Zeitpunkt Anteilseigner der fremdfinanzierten Kapitalgesellschaft oder eine dem Anteilseigner nahe stehende Person wird. Dem Wortlaut nach genügt es für den erstgenannten Fall (a), dass der Darlehensgeber zu irgendeinem Zeitpunkt im betreffenden Wirtschaftjahr Anteilseigner der fremdfinanzierten Gesellschaft, eine diesem nahe stehende Person oder ein rückgriffberechtigter Dritter ist.77 Auch die Finanzverwaltung kommt im Erlass-Entwurf zu dem Ergebnis, dass es insoweit unbeachtlich ist, dass das Darlehen bereits zu einem Zeitpunkt gewährt wurde, als der Darlehensgeber noch nicht Anteilseigner der fremdfinanzierten Gesellschaft oder eine diesem nahe stehende Person war. Relevant kann dies m. E.

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74 Prinz, aaO (Fn. 29), Anm. J 03-35; Holzaepfel/Köplin, aaO (Fn. 29), 808; Bindl, aaO (Fn. 29), 1674; Frotscher, aaO (Fn. 29), Rz. 197; a. A. Gosch, aaO (Fn. 29), Rz. 335. 75 Vgl. hierzu BMF-Schreiben v. 22. 7. 2005, BStBl. I 2005, 829 und v. 15. 7. 2004, BStBl. I 2004, 593. 76 So auch Bindl, aaO (Fn. 29), 1677. 77 Holzaepfel/Köplin, aaO (Fn. 29), Rz. 833 fordern deshalb eine teleologische Reduktion.

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eigentlich nur in dem Fall sein, dass der Darlehensgeber mittlerweile zum Konzern gehört. Ansonsten würde sich die oben diskutierte Frage der Umfinanzierung stellen. Fraglich ist, ob auch für den letztgenannten Fall (Erwerb von einem Dritten, Dritter gehört später zum Konzern) ausschließlich die Verhältnisse des betreffenden Wirtschaftsjahres maßgeblich sind. Zwar spricht der Wortlaut des § 8a Abs. 6 Nr. 2 KStG auch in Bezug auf den Veräußerer der Beteiligung im Präsens.78 Konsequenterweise79 geht aber auch der Erlass davon aus, dass die Qualifikation des Veräußerers der Kapitalbeteiligung als Anteilseigner der erwerbenden Kapitalgesellschaft oder eine dem Anteilseigner nahe stehende Person im Zeitpunkt des schädlichen Anteilserwerbs vorliegen muss.80 c) Postakquisitorische Umstrukturierungen Ein weiteres sehr relevantes Problemfeld ist die Anwendung von § 8a Abs. 6 KStG bei M&A-Transaktionen. In vielen Fällen wird erst relativ spät entschieden, welche Gesellschaft des betreffenden Konzerns das Target erwirbt. Deshalb befinden sich auch in Anteilsverkaufsverträgen üblicherweise sog. „Assignment Clauses“, die den Erwerber berechtigen, die Vertragsposition aus dem Unternehmenskaufvertrag an eine andere Konzerngesellschaft zu übertragen. Im Hinblick auf die optimale Finanzierung des Unternehmenskaufs erfolgt dann oftmals eine Übertragung der Vertragsposition schon vor dem Erwerb (z. B. zwischen Signing und Closing). Häufig wird die Beteiligung aber auch erst nach dem Vollzug des Erwerbs durch den erwerbenden Vertragspartner konzernintern an die Gesellschaft veräußert, welche die Beteiligung auf Dauer halten soll (z. B. eine Landesgesellschaft). Es stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Finanzierung einer solchen postakquisitorischen Umstrukturierung in den Anwendungsbereich des § 8a Abs. 6 KStG fällt. Geht man davon aus, dass Erwerb einer Beteiligung iSv. § 8a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 KStG den Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums meint, so ist nach dem Wortlaut der Vorschrift dann von einer schädlichen postakquisitorischen Umstrukturierung auszugehen, wenn das wirtschaftliche Eigentum an der betreffenden Beteiligung nicht von dem veräußernden Dritten, sondern schon von einer anderen Konzerngesellschaft erworben wird. Das bedeutet gleichzeitig, dass eine Abtretung der Vertragsposition zwischen Signing und Closing (also vor dem Erwerb des wirtschaft-

__________ 78 Der Verwendung des Wortes „ist“ im Sinn und Zweck der Vorschrift würde dies aber in keiner Weise entsprechen. 79 So auch Holzaepfel/Köplin, aaO (Fn. 29), Rz. 831 ff.; Pung/Dötsch, aaO (Fn. 29), Rz. 504; Grotherr, DStZ 2004, 291 (299). 80 Nach dem Erlass gilt nur im Falle eines Gesamtplans etwas anderes. Andere Ansicht: Gosch, aaO (Fn. 29), Rz. 332, der auch dann von einer Anwendung des § 8a Abs. 6 KStG ausgeht, wenn der Veräußerer erst später zum Konzern gehört; ebenso Kröner, aaO (Fn. 29), Rz. 337.

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lichen Eigentums) unschädlich wäre. Aber auch die Anwendung von § 8a Abs. 6 KStG auf den Fall der Veräußerung nach Closing stößt auf erhebliche Bedenken im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Vorschrift. Es liegt hier ja gerade nicht die vom Gesetzgeber in Bezug genommene schädliche Konstellation vor, sondern es wird der Unternehmenskauf von einem Dritten wirtschaftlich zu Ende geführt. Der Anwendungsbereich der Vorschrift sollte daher auch im Fall der postakquisitorischen Umstrukturierung im Wege einer teleologischen Reduktion eingeschränkt werden.81 Es zeigt sich hieran einmal mehr die überschießende Tendenz von § 8a Abs. 6 KStG.

V. Rechtsfolgen des § 8a Abs. 6 KStG Rechtsfolge von § 8a Abs. 6 KStG ist, dass die für das Akquisitionsdarlehen gezahlten Fremdkapitalvergütungen in dem betreffenden Wirtschaftsjahr in verdeckte Gewinnausschüttungen der fremdfinanzierten Kapitalgesellschaft umqualifiziert werden.82 Wie oben dargelegt, gilt dies durch die Formulierung „abweichend von Abs. 1“ ohne Berücksichtigung eines Safe Havens, einer Freigrenze und eines möglichen Drittvergleichs. Sogar dann, wenn der Beteiligungserwerb erst ein Jahr nach der Darlehensaufnahme vollzogen wurde, sollen diejenigen Zinszahlungen, die vor dem Vollzug des Beteilungserwerbs für das Akquisitionsdarlehen geleistet wurden, nach dem ErlassEntwurf in verdeckte Gewinnausschüttungen umqualifiziert werden: „Der Abschluss eines entsprechenden Verpflichtungsgeschäfts reicht aus, wenn das überlassene Fremdkapital später erkennbar der Abwicklung dieses Geschäfts dient und der Anteilserwerb tatsächlich erfolgt.“83

Hier dürfte es für das Vorliegen einer schädlichen Darlehensaufnahme üblicherweise auf die tatsächlichen Umstände ankommen. Die Anwendung der Rechtsfolge des § 8a Abs. 6 KStG ohne die Möglichkeit eines Fremdvergleichs verstößt insbesondere gegen Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. Denn die Vorschrift stellt nicht darauf ab, ob die Darlehensgewährung fremdüblich ist oder nicht.84 Art. 9 OECD-MA beschränkt insoweit § 8a Abs. 6 KStG als innerstaatliches Recht im Wege einer Schrankenwirkung.85

__________ 81 So auch Prinz, aaO (Fn. 29), Anm. J 03-38. 82 Vgl. zur umfangreichen Rechtsfolgendiskussion, insbes. zur Reichweite der vGA Gosch, aaO (Fn. 29), Rz. 150 ff.; Wassermeyer in: Gedächtnisschrift Trzaskalik, 2005, 331 ff.; Frotscher, DStR 2004, 754 ff.; Rödder/Schumacher, DStR 2004, 758 ff. 83 Erlass-Entwurf Tz. 24. 84 Vgl. hierzu Prinz, aaO (Fn. 29), Anm. J 03-39; vgl. zum Fremdvergleich in Art. 9 OECD-MA Eigelshofen in: Vogel/Lehner, DBA, 4. Auflage 2003, Art. 9 Rz. 59 ff. 85 Vgl. hierzu Prinz, aaO (Fn. 29); Kessler, DB 2003, 2507 (2514).

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VI. Resümee Für den steuerlichen Zinsabzug bei den oben86 dargestellten Debt-Push-DownGestaltungen hat § 8a Abs. 6 KStG fundamentale Einschränkungen gebracht. Die Vorschrift wirkt potenziell auf jede konzerninterne Finanzierung im Zusammenhang mit der Veräußerung einer Beteiligung ein. Sie verstößt eklatant gegen die Finanzierungsfreiheit und hat vollkommen überschießende Tendenz. Die von der Finanzverwaltung auf der Grundlage des ErlassEntwurfs zu erwartende Einschränkung des Anwendungsbereichs ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, aber doch sehr problematisch. Denn bei jedem Fall, in dem über die Anwendung des Erlasses gestritten werden wird, besteht das Risiko, dass der BFH letztendlich die einschränkende Anwendung nicht teilen wird, da es hierfür keine gesetzliche Grundlage gibt. Es wäre daher vorzugswürdig, § 8a Abs. 6 KStG ganz abzuschaffen oder durch eine substantiell geänderte Vorschrift zu ersetzen. Für eine Abschaffung spricht insbesondere der Umstand, dass die Neureglung von § 8a Abs. 1 mit den dort geltenden Safe-Haven-Grenzen im Vergleich zu der ursprünglich geltenden Regelung bei der Einführung des § 8a KStG im Jahre 1993 schon entscheidend eingeschränkt wurde. Im Übrigen ist nochmals festzuhalten, dass DebtPush-Down-Gestaltungen ein betriebswirtschaftlich sinnvolles Instrument sind, welches steuerrechtlich im Rahmen der immer noch geltenden Finanzierungsfreiheit nicht unnötig eingeschränkt werden sollte.

__________ 86 S. o. II.

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Die Personengesellschaft als Organträgerin Inhaltsübersicht I. Vorbemerkungen II. Ausgangslage: Der Organschaftserlaß vom 10. 11. 2005 III. Eigene gewerbliche Tätigkeit (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG) 1. Zeitfragen 2. Geringfügigkeitsausschluß 3. Holdingpersonengesellschaft 4. Beteiligung an einer gewerblich ‚infizierten’ Personengesellschaft 5. Besitzpersonengesellschaft 6. Exkurs: KGaA und Organträger

IV. Finanzielle Eingliederung (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 i. V. m. Nr. 1 KStG) 1. Organschaft und Sonderbetriebsvermögen 2. Atypisch stille Gesellschaft ohne Gesamthandsvermögen V. Ein weiteres Problem auf der Rechtsfolgenebene: Der Verlustabzugsausschluß gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG VI. Nachbemerkungen

I. Vorbemerkungen Gegenstand der vielfältigen steuerlichen Interessen und Verlautbarungen von Arndt Raupach1 waren auch und gerade immer wieder Fragen der steuerlichen Organschaft. Daß ihm diese nachhaltig am Herzen lagen (und liegen), zeigt sich insbesondere an seinem intensiven ‚Kampf’ um den Verlustabzug bei der Mehrmütterorganschaft2. (Der hier zunächst vor dem BFH errungene Erfolg3 wurde vom Gesetzgeber allerdings alsbald – und in zumin-

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2

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Der erste persönliche Kontakt des Verfassers mit dem Jubilar war dienstlicher Art: Im Rahmen der Wahrnehmung eines Erörterungstermins in einer ‚gewichtigen’ Rechtssache, welchen der Verfasser als junger Finanzrichter des FG Hamburg Mitte der 80ger Jahre durchführte und in welcher Arndt Raupach als Prozeßvertreter auftrat. Dieser erste Kontakt ist seitdem niemals abgerissen. Raupach/Klotz, Die Mehrmütterorganschaft – Rechtsinstitut zwischen Konzernrecht und Konzernsteuerrecht, WiB 1994, 137; Kirchhof/Raupach, Die Unzulässigkeit einer rückwirkenden gesetzlichen Änderung der Mehrmütterorganschaft, DBBeilage 2001, 1; Raupach, Was hat die Gepräge-Theorie mit der Mehrmütterorganschaft zu tun?, Ein Beitrag zum Vertrauensschutz bei Änderung langjähriger Rechtsprechung mit nachfolgendem ‚Nichtanwendungsgesetz’, DStR 2001, 1325; Vom Nichtanwendungs- zum Untätigkeitserlaß, Dargestellt am Beispiel des Untätigkeitserlasses zur Mehrmütterorganschaft, Festschrift für H.W.Kruse, 2001, 253; Raupach, Vergangenheit und Zukunft der Mehrmütterorganschaft (Nichtanwendungsgesetz)?, JbFStR 2001/2002, 381; Raupach/Burwitz, Gestaltungsüberlegungen nach Abschaffung der Mehrmütterorganschaft, DStR 2003, 1901. BFH-Urteile v. 9. 6. 1999 I R 43/97, BStBl II 2000, 695; I R 37/98, BFH/NV 2000, 347; bestätigt durch BFH-Urteil v. 26. 4. 2001 IV R 75/99, FR 2001, 852.

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dest „stilistisch“ nicht ganz zweifelsfreier Weise –4 durch gänzliche legislatorische Abschaffung jenes Rechtsinstituts konterkariert5.) Die Favoritenstellung von Organschaftsfragen in der wissenschaftlichen ‚Hinterlassenschaft’ von Arndt Raupach zeigt sich aber auch andernorts6, namentlich in den Jahresbänden zu den Tagungen der Fachanwälte für Steuerrecht in Wiesbaden7. Das ist Grund und Rechtfertigung genug, sich zur Geburtstagsehrung von Arndt Raupach eines Teilbereichs jener Thematik anzunehmen, nämlich der Problematik der Organträgereigenschaft von Personengesellschaften8. Diese ist durch die Neuregelungen infolge des Steuervergünstigungsabbaugesetzes (StVergAbG) vom 16. 5. 20039 und des dazu jüngst ergangenen BMF-Schreibens vom 10. 11. 200510 in den aktuellen Fokus geraten: Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG können auch Personengesellschaften im Sinne von § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG mit Geschäftsleitung im Inland Organträger sein. Voraussetzung ist vom Veranlagungszeitraum 2003 an allerdings, daß die Gesellschaft einer originär gewerblichen Aktivität im Sinne von § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG nachgeht. Eine bloß zivilrechtlich existente Personengesellschaft genügt also nicht; es muß sich steuerlich um eine Mitunternehmerschaft handeln. Die durch das StVergAbG ab 2003 geschaffene Neuregelung weicht damit von der früheren Regelungslage ab, die Organträger ohne weiteres auch Personengesellschaften sein ließ, welche nur gewerblich geprägt waren (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG). Außerdem reicht es nicht mehr aus, wenn die Eingliederungsvoraussetzungen in bezug auf die Gesellschafter gegeben sind; sie müssen vielmehr „im Verhältnis zur Personengesellschaft“ erfüllt werden, § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 i. V. m. Nr. 1 KStG. Sinn und Zweck der Einschränkungen war es erkennbar, die Abschaffung der sog. Mehrmütterorganschaft (ebenfalls durch das StVergAbG) zu flankieren und etwaige Ersatzgestaltungen, die bereits Gegenstand vielfältiger literari-

__________ 4 Nämlich nach Ergehen eines vorgreiflichen und die spätere Regelungsänderung gewissermaßen vorwegnehmenden Nichtanwendungserlasses, vgl. BMF-Schreiben v. 4. 12. 2000, BStBl I 2000, 1571; bestätigt durch BMF-Schreiben v. 26. 8. 2003, BStBl I 2003, 437. 5 Durch das StVergAbG v. 16. 5. 2003 (BGBl I 2003, 660), nachdem erst kurz zuvor (durch das UntStFG v. 20. 12. 2001, BGBl I 2001, 3858 i. V. m. dem StVBG v. 19. 12. 2001, BGBl I 2001, 3922) und mit Wirkung vom Veranlagungszeitraum 2003 an eine entsprechenden Rechtsgrundlage für die Mehrmütterorganschaft in Gestalt des § 14 Abs. 2 (später Abs. 3) KStG geschaffen worden war. 6 Z. B. Raupach, Einfluß der Unternehmensorganisation auf die Besteuerung, in Handelsrecht und Steuerrecht, Festschrift für G. Döllerer, 1988, 495; ders., Die Frage der Zurechnung im Steuerrecht als Problem der Tatbestandsverwirklichung, in Handelsbilanzen und Steuerbilanzen, Festschrift für H. Beisse, 1997, 403. 7 So z. B. JbFStR 1987/1988, 251; 1988/1989, 211; 1994/1995, 391; 1995/1996, 436. 8 S. dazu Raupach, JbFStR 1995/1996, 436. 9 BGBl I 2003, 660. 10 BStBl I 2005, 1038.

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scher Kreativität waren11, zu verhindern. So gesehen erweist sich § 14 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 KStG als „Mißbrauchsabwehr und Spezialnorm zu § 42 AO“12. Die Regelungsfassung löst sich jedenfalls umfänglich von diesem Regelungstelos. Infolge ihrer tatbestandlichen Ausweitung läßt sich deswegen konstatieren: Um ein Scheitern der Organschaft zu vermeiden, muß dafür Sorge getragen werden, eine originäre Gewerblichkeit der Gesellschaft herbeizuführen.

II. Ausgangslage: Der Organschaftserlaß vom 10. 11. 2005 Davon ausgehend entwickelt sich eine Reihe von Folgefragen. Diskutiert wird im jüngeren Schrifttum vor allem, wann denn nun von einer originären gewerblichen Tätigkeit ausgegangen werden kann. Als problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang namentlich die Behandlung mehrstöckiger Strukturen, bei denen eine Personengesellschaft sich auf das mitunternehmerische Halten einer Beteiligung an einer originär gewerblichen anderen Personengesellschaft beschränkt. Das strahlt in gewisser Weise auf Grundsatzfragen der Besteuerung von Personengesellschaften aus und kann sich in Einzelfällen als schwierig erweisen. Nahrung erhält die Argumentationstiefe vor allem aber durch das nunmehr13 vorliegende Schreiben des BMF vom 10. 11. 2005. Denn dieses schlägt, ohne dies näher zu erläutern, im Grundsatz einen eher restriktiven Kurs ein: –

In Tz. 17 geht der Erlaß zunächst davon aus, die eigene gewerbliche Tätigkeit der Organträger-Personengesellschaft dürfe nicht eine nur geringfügige sein. Andernfalls schlage die Regelungsabsicht fehl, Umgehungsgestaltungen entgegenzuwirken.



In Tz. 18 wird das Halten von Beteiligungen sowie eine (bloße) Geschäftsführungstätigkeit beiderseits als unzulänglich abqualifiziert.



Nach Tz. 19 des Erlasses soll es hingegen unschädlich sein, wenn eine Gesellschaft Dienstleistungen nur an einen Auftraggeber und damit nur an eine Konzerngesellschaft erbringt, beispielsweise das Erstellen einer Buchführung, die Gewährung einer EDV-Unterstützung o. ä. Voraussetzung ist allerdings die Entgeltlichkeit der Leistungserbringung sowie die fremdvergleichsgerechte Abrechnung.



In Tz. 20 bricht der Erlaß schließlich den Stab über Gesellschaften, welche sich nur an gewerblich gefärbten anderen Gesellschaften beteiligen

__________ 11 Rödder/Schumacher, DStR 2003, 805. 12 So Löwenstein/Maier/Lohrmann, DStR-Beih. 4/2005, 1 ff., 3. 13 Nach fast einjähriger ‚Besinnungszeit’ und rund drei Jahre nach Wirksamwerden des StVergAbG (krit. insofern zu Recht Walter, GmbHR 2005, 1585): Der ursprüngliche Entwurf datiert unter dem 25. 1. 2005; substantiell wesentliche Änderungen enthält die jetzige Endfassung dazu nicht.

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und aufgrund dessen gewerbliche Einkünfte nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG erzielen. Das soll nicht genügen, um eine eigene originäre gewerbliche Aktivität im Steuersinn zu begründen. Darauf und einiges mehr, insbesondere zur Frage der finanziellen Eingliederung in die Organträger-Personengesellschaft, ist im folgenden näher einzugehen.

III. Eigene gewerbliche Tätigkeit (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG) 1. Zeitfragen Vorangestellt werden soll zunächst ein Zeitaspekt: Das Gesetz regelt nicht ausdrücklich, ob das Erfordernis der „Tätigkeit i. S. von § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG“ ab dem Beginn desjenigen Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft erfüllt sein muß, für das erstmalig die Rechtsfolgen der Organschaft eintreten sollen. M. E. läßt sich derartiges dem Regelungswortlaut nicht ohne weiteres unterstellen. Eher ist das Gegenteil plausibel: In § 14 Abs. 1 Nr. 1 KStG verlangt das Gesetz die ganzjährige finanzielle Eingliederung, was durchaus den Umkehrschluß zuläßt, daß auch die unterjährige Gewerblichkeit eine tatbestandsmäßige ist14. Die Finanzverwaltung vertritt in Tz. 21 des BMF-Schreibens vom 10. 11. 2005 das Gegenteil: Zur steuerlichen Anerkennung einer Organschaft müßten alle gesetzlichen Voraussetzungen grundsätzlich und unterschiedslos vom Beginn des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft an erfüllt sein15. Jedenfalls verbleibt hier eine Ungewißheit. Orth empfiehlt angesichts dessen im Zweifel eine formwechselnde Umwandlung der Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft, die innerhalb der ersten acht Monate auf den Beginn des Wirtschaftsjahres zurückbezogen werden kann (§ 2 Abs. 1 UmwStG, § 25 UmwStG)16. 2. Geringfügigkeitsausschluß Auf diesem Hintergrund fragt sich, ob der in Tz. 17 des Organschaftserlasses manifestierte Ausschluß geringfügiger eigengewerblicher Tätigkeiten regelungsfest ist. Um es vorwegzunehmen: Er ist dies nicht. Der Geringfügigkeitssauschluß wurzelt ersichtlich in der Rechtsprechung des BFH, wonach – so der XI. Senat – „jedenfalls bei einem Anteil von 1,25 v. H. der originär gewerblichen Tätigkeit … die umqualifizierende Wirkung des

__________ 14 Haase, DB 2004, 1580 (1583); Löwenstein/Maier/Lohrmann, DStR-Beih. 4/2003, 1 ff., 11; a.A. Neumann in Gosch, KStG, § 14 Rz. 79. 15 Ebenso Blumers/Goerg, DStR 2005, 397, 402; Füger, BB 2003, 1755, 1758. 16 Orth, Der Konzern 2005, 79, 91.

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§ 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht ein(greift)“17. Daran anknüpfend und in ähnlicher Weise setzt nach Ansicht des VIII. Senats „eine unschädliche Hilfstätigkeit im Dienste der (‚ausschließlichen’) Grundbesitzverwaltung gemäß § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG (…) voraus, daß diese Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist“18. Auf beide Urteile nahm der ursprünglich geplante Verwaltungserlaß – allerdings erst in Tz. 20 im Hinblick auf die Beteiligung an einer gewerblich ‚infizierten’ Personengesellschaft – Bezug. Auf diese Querverweise wird in der endgültigen Erlaßfassung zwar verzichtet. Gleichwohl und ersichtlich will der Erlaßgeber aus jener Rechtsprechung aber Nektar saugen. Hilfreich ist dies nicht. Zum einen sind beide Urteile in gänzlich anderen Zusammenhängen ergangen. Zum anderen sind sie höchst angreifbar. Sie rekurrieren auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, in dem ersten Fall, um mittels eines verfassungskonformen Verständnisses (praeter legem?) einer andernfalls notwendig werdenden Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG an das BVerfG zur Normenkontrolle des Prägeparagrafen vorzubeugen, im zweiten Fall, um vorgebliche Regelungshärten quasi-tatbestandlich „auszubügeln“. In beiden Fällen fällt es schwer, eine belastbare Handhabe zu akzeptieren, um den klaren Gesetzeswortlaut zu überspielen, der insofern keine Ausnahmen zuläßt, im Fall des § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG mit dem (verfassungsrechtlich unbedenklichen)19 Erfordernis der Ausschließlichkeit sogar das glatte Gegenteil anordnet20. Bei § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG verhält es sich nicht anders; Einschränkungen zu Lasten einer nur geringfügigen gewerblichen Tätigkeit werden hier nicht gemacht. Auch die nur geringfügige gewerbliche Tätigkeit ist eine gewerbliche Tätigkeit, unabhängig davon, ob sie gewerblich infizierend wirkt oder nicht21. Überdies – und vor allem – ist zu gewärtigen, daß dem Begehren der Steuerpflichtigen bei jenen Normen – § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG und § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG – mittels des Proportionalgebots contra legem entsprochen, also die Infektion ausgeschlossen und die erweiterte Gewinnkürzung bei der Ermittlung des Gewerbeertrages gewährt wird. Im Fall des § 14 KStG ist der Effekt ein genau umgekehrter: Dem Steuerpflichtigen, der Organträger sein will, wird dies versagt; das Proportionalitätsprinzip als Abwehrrecht gegenüber staatlich übermäßigen Einforderungen wirkt damit im Ergebnis nicht ent-, son-

__________ 17 Urteil v. 11. 8. 1999 XI R 12/98, BStBl II 2000, 229; krit. Gosch, StBp 2000, 57. 18 Urteil v. 18. 4. 2000, BStBl II 2001, 359, 364; krit. Gosch, StBp 2000, 341. 19 Schon deswegen, weil es sich um eine steuerliche Begünstigungsnorm als Ausnahmeregelung handelt. 20 BFH-Beschluß v. 17. 10. 2002, BStBl II 2003, 355: Keine erweiterte Kürzung des Gewerbeertrages auch bei nur unwesentlicher Komplementärbeteiligung; a.A. Niedersächsisches FG, Urteil v. 20. 4. 2005, EFG 2005, 1289 (Rev. VIII R 39/05). 21 Löwenstein/Maier/Lohrmann, DStR-Beih. 4/2003, 1 ff., 3 f.; a.A. Neumann in Gosch, KStG, § 14 Rz. 80.

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dern belastend. Dafür ist dieses Abwehrrecht mit Gewißheit aber nicht geschaffen. Ergebnis: Auch eine geringfügige gewerbliche Tätigkeit der Gesellschaft reicht aus, um die Organträger-Eigenschaft zu begründen22. 3. Holdingpersonengesellschaft Sodann zu den Holdingpersonengesellschaften. Die avisierte Verwaltungspraxis schließt es aus, daß solche Gesellschaften eine Eigengewerblichkeit i. S. von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG begründen und damit Organträger sein können, im Ergebnis selbst dann, wenn sie in geschäftsleitender Weise tätig werden; die Grundsätze zum früheren Erfordernis der wirtschaftlichen Eingliederung (vgl. Abschn. 50 Abs. 2 Nr. 2 KStR) sollen insoweit unbeachtlich bleiben. Es läßt sich bezweifeln, ob dem uneingeschränkt beigepflichtet werden kann. Das wird zwar der Fall sein für rein vermögensverwaltende Gesellschaften, schwerlich jedoch bei solchen mit geschäftsführender Funktion. Es wird in ständiger Rechtsprechung durchgängig und seit jeher anerkannt, daß zumindest die geschäftsleitende Holdinggesellschaft, die die einheitliche Leitung über mehrere Gesellschaften ausübt und diese damit zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammenfaßt, i. S. von § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG eigengewerblich tätig wird. Im Grundsatz wurde dies bislang auch von Seiten der Finanzverwaltung so gesehen, beispielsweise in R 138 Abs. 5 Satz 4 EStR und auch im BMF-Schreiben vom 16. 12. 200323 zur einkommensteuerlichen Behandlung von Venture-Capital- und Private-Equity-Fonds. Genährt werden könnte dies durch den Umstand, daß der BFH erst soeben – im Urteil vom 10. 3. 200524 – Geschäftsführungsleistungen eines GmbH-Geschäftsführers unbeschadet dessen gesellschaftlicher Organstellung nach Maßgabe der jeweiligen Einzelfallumstände als selbständig i. S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG beurteilt hat. Nun dürfen hier sicher nicht Äpfel und Birnen vermengt werden. Die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung ist eine eigenständige. Überdies ging es dort spezifisch um die Tätigkeitsseinschätzung des Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft. Die grundsätzlichen Abgrenzungen zwischen nichtselbständiger und selbständiger, unternehmerischer Funktion, welche der BFH vornimmt, sind hier wie dort jedoch deckungsgleich25. Der BFH betont dementsprechend, daß die Frage der Selbständigkeit natürlicher Personen grundsätzlich für die Umsatzsteuer einerseits und die Ertragsteuern andererseits übereinstimmend zu beantworten sei. Das alles recht-

__________ 22 23 24 25

Ebenso z. B. Rautenstrauch/Adrian, DB 2005, 1018 (1020). BStBl I 2004, 40. DStR 2005, 919. zutreffend Korn, BeSt 2005, 30 m. w. N.

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fertigt es jedenfalls, auch der geschäftsleitenden Tätigkeit einer Holdinggesellschaft gewerbliche Tätigkeitsqualität zuzusprechen26. Offen ist vor diesem Hintergrund die weitergehende Frage danach, ob die Holdingeigenschaft zwingend die Beteiligung an mindestens zwei abhängigen Gesellschaftern erfordert. Berücksichtigt man, daß dieses Erfordernis ein Merkmal der früheren wirtschaftlichen Eingliederung war, erscheint es fürderhin als verzichtbar27. Es sollte danach genügen, wenn die Gesellschaft geschäftsleitend tätig wird, gleichviel, ob sie an einer oder aber an mehreren Untergesellschaften beteiligt ist; eine Mindestanzahl geführter Unternehmen läßt sich dem Gesetz nicht entnehmen28. Im übrigen verweist Neumann zutreffend darauf hin, daß sich die Erkennbarkeit der geschäftsleitenden Funktion an allgemein üblichen Merkmalen zur Abgrenzung von bloßer Vermögensverwaltung bestimmt, so beispielsweise die Ausübung der einheitlichen Leitung und Willensbildung, die Richtlinienkompetenz, die auf Gesamtplanung ausgerichtete Unternehmenspolitik; das Auftreten nach außen usw.29. 4. Beteiligung an einer gewerblich ‚infizierten’ Personengesellschaft Schwieriger einzuschätzen ist die Rechtslage, was die Beteiligung an einer gewerblich ‚infizierten’ Gesellschaft anbelangt. Auch dazu vermeldet der Erlaß, wie schon erwähnt, Negatives. Nach seiner Tz. 20 soll eine vermögensverwaltende Personengesellschaft nicht allein deshalb gewerblich i. S. von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG tätig sein, weil sie an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft beteiligt und aufgrund dieser Beteiligung gewerbliche Einkünfte erzielt. Der Erlaß unterscheidet damit zwischen der (originär) gewerblichen Tätigkeit gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG einerseits und der Erzielung gewerblicher Einkünfte i. S. von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG andererseits. Nahrung erhielt diese Unterscheidung jüngst durch ein Urteil des IX. Senats des BFH vom 6. 10. 200430, wonach die gewerblichen Einkünfte einer Unter-Personengesellschaft nicht gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG auf die vermögensverwaltenden Einkünfte einer Ober-Personengesellschaft abfärben. Die Obergesellschaft sei zwar selbst Mitunternehmerin der Untergesellschaft i. S. von § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG und erziele daraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb, sie übe selbst aber keine originär gewerbliche Tätigkeit i. S. von § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG aus. Der IX. Senat ist

__________ 26 Ebenso Orth, DB 2005, 741; Walter, GmbHR 2005, 456 (458); s. auch BFH-Urteil v. 17. 9. 2003 I R 95, 98/01, GmbHR 2004, 595 (dort allerdings zur Frage der wirtschaftlichen Eingliederung). 27 Z. B. Sauter/Heurung/Klübenspies, BB 2005, 1304, 1307. 28 Ebenso Neumann in Gosch, KStG, § 14 Rz. 113; Walter in Ernst & Young, KStG, § 14 Rz. 225; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 14 Rz. 54. 29 In Gosch, KStG, § 14 Rz. 112. 30 IX R 53/01, BStBl II 2005, 383.

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damit von der gegensätzlichen Judikatur des IV. Senats zu einer land- und forstwirtschaftlich tätigen Obergesellschaft abgewichen. Der IV. Senat31 hat der Rechtsprechungsänderung jedoch zugestimmt, dies allerdings unter dem Vorbehalt, daß es sich anders verhalte, wenn die Obergesellschaft betrieblich tätig sei. Dagegen ist bereits beträchtliches Geschütz aufgefahren worden. Insbesondere ist es Hageböke, der sich hier mit seinen Co-Autoren, zunächst mit Schmidt und zuletzt mit Heinz, um Abgrenzung bemüht32. Das Halten der Beteiligung sei originär gewerblich. Das werde durch den IV. Senat des BFH bestätigt, wenn dieser die Infektionswirkung für den Fall aufrechterhalte, daß die Obergesellschaft neben dem Halten der Beteiligung lediglich landund forstwirtschaftlich tätig sei. Das Halten von Anteilen erweise sich damit als originär gewerblich. Das scheint mir zu kurz gegriffen. Auch die land- und forstwirtschaftliche Aktivität ist eine betriebliche, nur daß sie infolge besonderer Umstände eben unter § 13 EStG, nicht unter § 15 EStG zu subsumieren ist. Genau so und zutreffend werden die Zusammenhänge denn auch von Blumers und Goerg interpretiert33. Das Ergebnis mag man mit den beiden letzteren kritisieren. Nach gegenwärtigem Stand der Dinge wird man aber eben davon ausgehen müssen, daß der bloße Beteiligungsbesitz keine Eigengewerblichkeit auslöst34. Die strikte Unterscheidung zwischen gewerblicher Tätigkeit und gewerblichen Einkünften muß vielmehr auch im Rahmen der Organschaftsvoraussetzungen gesehen werden35. 5. Besitzpersonengesellschaft Das gibt Veranlassung, ein Wort zu der Besitz-Personengesellschaft im Rahmen einer Betriebsaufspaltung zu verlieren. Eine solche Gesellschaft ist ‚per se’ rein vermögensverwaltend tätig. Gewerblich wird sie gemeinhin nur kraft gewohnheitsrechtlicher Fiktion angesehen. Die Frage nach ihrer Eigengewerblichkeit wird angesichts dessen kontrovers diskutiert36. Wohl vor-

__________ 31 Beschluß v. 6. 11. 2003 IV ER, S 3/03, DStR 2004, 2047. 32 Schmidt/Hageböke, Der Konzern 2003, 601; Hageböke/Heinz, Der Konzern 2005, 228; offenbar auch Sauter/Heurung/Kübenspies, BB 2005, 1304, 1308 Fn. 37, das Urteil des BFH aber offenbar mißverstehend. 33 Blumers/Goerg, DStR 2005, 397: Walter, GmbHR 2005, 456, 458 mahnt eine großzügige Behandlung aus Gründen der Gleichbehandlung mit Betriebsaufspaltungssachverhalten an. 34 Dötsch, DB 2005, 2541: „Gewerblichkeit als eine solche verschärfter Art“. 35 H. M., vgl. z. B. Löwenstein/Maier/Lohrmann, DStR-Beih. 4/2003, 1 ff., 10 f.; a.A. z. B. Förster, DB 2003, 899 (903); Neu/Lührn, DStR 2003, 61 (63); zweifelnd Ley/ Strahl, DStR 2002, 2057 (2061); offen Rödder/Schumacher, DStR 2003, 805 (809). 36 Förster, DB 2003, 899 (903); Löwenstein/Maier/Lohrmann, DStR-Beih. 4/2003, 1 ff., 8; Dötsch/Pung, DB 2003, 1970 (1971) einerseits; Neumann in Gosch, KStG, § 14 Rz. 80; Walter in Ernst & Young, KStG, § 14 Rz. 153.2; ders., GmbHR 2005, 456 (458) andererseits.

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herrschender Meinung nach wird einer derartigen Gesellschaft deshalb die Eigenschaft, Organträger sein zu können, abgesprochen37. Die Finanzverwaltung hat sich im Organschaftserlaß auf den gegenteiligen Standpunkt gestellt und will der Besitzgesellschaft die Gewerblichkeit der Betriebsgesellschaft zurechnen. Das kann nur im Ergebnis überzeugen, steht das Institut der Betriebsaufspaltung doch auf recht schwankendem Rechtsboden38. Legt man es aber zugrunde, dann muss beantwortet werden, ob die ‚originäre’ Tätigkeit der Besitzgesellschaft nicht gerade infolge der Betriebsaufspaltung eine ‚originär’ gewerbliche ist. So gesehen handelt es sich eben nicht nur um eine Zurechnungsfrage, sondern um eine Frage der Merkmalsübertragung. Möglicherweise wird hierüber im Zusammenhang mit der Frage nach dem „Hochstrahlen“ einer Steuerfreiheit der Betriebsgesellschaft auf die Besitzgesellschaft zu diskutieren sein. Diese Frage liegt39 derzeit dem Großen Senat des BFH vor40. 6. Exkurs: KGaA und Organträger Im Zusammenhang mit der erforderlichen Eigengewerblichkeit stellt sich überdies die Frage danach, wie es sich bei Beteiligungsstrukturen außerhalb von Personengesellschaften verhält. Im Fokus steht hier namentlich der persönlich haftende Gesellschafter einer KGaA, deren Relevanz als Organträgerin und Organgesellschafterin zugenommen haben dürfte, nachdem die steuerlichen Querverrechnungen in sog. Mehrmütterorganschaften gesetzlich exkludiert sind. Dazu findet sich vor allem die These Frotschers41, das Erfordernis der originär gewerblichen Tätigkeit sei nicht nur ein solches der beherrschenden Personengesellschaft, vielmehr ebenso eines persönlich haftenden Gesellschafters. Die These hat bei erstem Anschein schon deswegen etwas für sich, weil sich kaum erschließt, daß hier nur eine originäre Gewerblichkeit erforderlich sein, dort aber auch eine abgeleitete Gewerblichkeit genügen soll. Allerdings: Aus dem Gesetz ergibt sich solches unmittelbar nicht. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG verlangt die originäre Gewerblichkeit nur für die Personengesellschaft. Frotscher konzediert dies, hält dem jedoch den Wortlaut des § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG entgegen, wonach der persönlich haftende Gesellschafter als „Quasi-Mitunternehmer“ entsprechend einem Mitunternehmer zu behandeln ist. Dann – so wird geschlußfolgert – werde man aber, dieser gesetzlichen Regelung entsprechend, auch § 14 Abs. 1

__________

37 Insbesondere der Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Urteile v. 18. 4. 1973 I R 120/70, BStBl II 1973, 740; v. 14. 10. 1987 I R 26/84, BFH/NV 1989, 192; v. 21. 1. 1988 IV R 100/85, BStBl II 1988, 456; Neumann in Gosch, KStG, § 14 Rz. 80; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 14 Rz. 64. 38 A.A. indes das BVerfG; zuletzt z. B. Beschlüsse v. 25. 3. 2004 2 BvR 944/00, HFR 2004, 691; v. 26. 10. 2004 2 BvR 246/98, FR 2005, 139. 39 Auf Vorlagebeschluß BFH v. 12. 5. 2004 X R 59/00, BStBl II 2004, 607. 40 Az. GrS 1/04. 41 Der Konzern 2005, 139 (143).

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Nr. 2 Satz 2 KStG auf ihn anzuwenden haben, so daß er nur Organträger sein könne, wenn er, außerhalb seiner Beteiligung an der KGaA, einen gewerblichen Betrieb nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG unterhalte. Ich bin nicht sicher, ob ich mich dem ohne weiteres anschließen möchte. Der Regelungswortlaut mag unvollkommen sein. Es fragt sich aber, welchen Sinn die explizite Einschränkung in Satz 2 des § 14 Abs. 1 Nr. 2 KStG machen soll, wenn sie ohnehin gleichsam regelungsimmanent wäre. Ein ausdrücklicher Querverweis auf § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG läßt sich den Organschaftsregeln jedenfalls nicht entnehmen. Sonach könnte es bei Licht betrachtet auch nur darauf ankommen, daß die Organgesellschaft ihren ganzen Gewinn nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG an ein gewerbliches Unternehmen als Organträger abführt, gleichviel, woraus sich diese Gewerblichkeit ergibt.

IV. Finanzielle Eingliederung (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 i. V. m. Nr. 1 KStG) 1. Organschaft und Sonderbetriebsvermögen a) Als problematisch kann es sich herausstellen, wenn die Beteiligung an einer Personengesellschaft sich im Sonderbetriebsvermögen eines Gesellschafters befindet. Denn abweichend von der früheren Gesetzeslage (und abermals in Konsequenz der Abschaffung der Mehrmütterorganschaft) müssen die Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung sich auf die Gesellschaft als solche beziehen, § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 i. V. m. Nr. 1 KStG. Die mehrheitsvermittelnden Anteile müssen sich also im Grundsatz – und so auch, allerdings ohne jede Ausnahme, die Finanzverwaltung – im Gesamthandsvermögen der Gesellschaft befinden42, – nach Äußerung in der Gesetzesbegründung übrigens, um die „Ernsthaftigkeit des gemeinsamen Engagements in der Organschaft“ zu verdeutlichen43. Eine Zusammenrechnung solcher Anteile, welche die Personengesellschaft hält, und solcher, die sich im jeweiligen Privat- oder Sonderbetriebsvermögen gehalten werden, ist danach ausgeschlossen. Das kann Transaktionserfordernisse bedingen, die gemeinhin zu Buchwerten steuerneutral gestaltet werden können, § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 EStG. Ist an der Gesellschaft indes eine Kapitalgesellschaft beteiligt, droht Ungemach in Gestalt von § 6 Abs. 5 Satz 5 EStG, der den Teilwertansatz erzwingt44.

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42 BMF-Schreiben v. 10. 11. 2005, BStBl I 2005, 1038, Tz. 13. 43 BT-Drucks. 15/119, S. 43. 44 BMF-Schreiben v. 10. 11. 2005, BStBl I 2005, 1038, Tz. 14; s. aber Rödder/ Schumacher, DStR 2003, 805, 807 f., die eine teleologische Reduktion des § 6 Abs. 5 Satz 5 EStG befürworten, da in der in Rede stehenden Konstellation kein Anteil begründet oder erhöht wird; zustimmend Richter, StuW 2004, 51, 53. (Der überdies zu Recht darauf hinweist, daß der strukturelle „Gesamthandszwang“ grenzüberschreitenden Organschaften tendenziell erschweren kann, wenn Anteile der Gesellschaft von Ausländern gehalten werden.)

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b) Im Vorwege erfordert das einen genaueren Blick darauf, wann denn nun von Sonderbetriebsvermögen auszugehen ist. Dazu hat sich erst jüngst wieder der IV. Senat des BFH geäußert, nämlich im Urteil vom 28. 8. 2003 IV R 46/0245. Er hat sich dort zu dem prinzipiellen Vorrang des Sonderbetriebsvermögens II bekannt. Er hat das jüngst in dem Urteil vom 24. 2. 2005 IV R 12/0346 bekräftigt, das allerdings eine abweichende Konstellation betraf. aa) Zunächst zu dem ersten dieser beiden Urteile, jenem vom 28. 8. 2003 IV R 46/0247: Hier klagten die Gesellschafter einer KG, die Anteile an einer Organschafts-AG hielten. aaa) Der BFH äußert sich dazu wie folgt: Die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen einer Organgesellschaft und der Organträger-Personengesellschaft können mit derjenigen zwischen Betriebs-Kapitalgesellschaft und Besitz-Personengesellschaft vergleichbar sein, dann nämlich, wenn die Organgesellschaft nahezu ausschließlich für die Organträgerin tätig ist. Die Organgesellschaft dient dann in besonderer Weise dem Betrieb der Organträgerin, weil sie das Unternehmen der Organträgerin fördert und ergänzt. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob die Organgesellschaft neben ihrer finanziellen sowie – wie früher ja erforderlich – wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung in die Organträgerin auch noch durch einen Gewinnabführungsvertrag an die Organträgerin gebunden ist. bbb) Selbst wenn die Organgesellschaft nicht nahezu ausschließlich für die Organträgerin tätig ist, könnten die von einem Mitunternehmer der Organträgerin gehaltenen Anteile an der Organgesellschaft notwendiges Sonderbetriebsvermögen II sein, vorausgesetzt, die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft stärkt zugleich die Stellung des Mitunternehmers in der Personengesellschaft. Diese Voraussetzung soll indes bei einer nicht mehrheitsvermittelnden geringfügigen Beteiligung an der Kapitalgesellschaft nicht erfüllt sein. Die insofern maßgebliche Beteiligungsgrenze ist nach Ansicht des BFH jedenfalls nicht überschritten, wenn die Anteile des einzelnen Mitunternehmers weniger als 1 v. H. des Kapitals der Organgesellschaft ausmachten. ccc) Der Rechtsprechung wird im Grundsatz beizupflichten sein. Nur sollte man sich vor Augen halten, daß nicht jedwelche Organschaftsstruktur schon Sonderbetriebsvermögen schaffen kann. Organträger und Organgesellschaften stehen als solche (auch steuerlich) unverbunden nebeneinander; die Attraktionskraft der Obergesellschaft kann nicht automatisch zu Sonderbetriebsvermögen (II) führen. Sie kommt namentlich dann in Betracht, wenn eine besonders enge wirtschaftliche Verflechtung und damit eine Stärkung der Mitunternehmerschaft besteht. Andernfalls muß es bei dem Grundsatz

__________ 45 BStBl II 2004, 216; dazu Gosch, StBp 2005, 51. 46 DStR 2005, 1090; Breuninger, GmbHR 2005, 1001. 47 BStBl II 2004, 216; dazu Gosch, StBp 2005, 51.

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bleiben, welchen der BFH im Urteil vom 7. 3. 1996 IV R 12/9548 formuliert hat: „Eine Tochter-Kapitalgesellschaft erfüllt eine wesentliche wirtschaftliche Funktion der Mutter-Personengesellschaft (…) nicht bereits dadurch, daß sie der Muttergesellschaft allein aufgrund deren finanzieller Beteiligung die Teilhabe an der von ihr erzielten Vermögensmehrungen ermöglicht. Die Kapitalgesellschaft wird in derartigen Fällen ausschließlich im eigenen Interesse tätig. Daß diese Tätigkeit mittelbar auch im Interesse der Kapitalgesellschaft liegt, ist offenkundig, sagt aber noch nichts darüber aus, ob die Anteile bei den Anteilseignern im Betriebs- oder im Privatvermögen gehalten werden“. Gleiches wird, wie zu ergänzen ist, für anderweitige schuldrechtliche Beziehungen zwischen den Gesellschaften zu gelten haben, etwa aus Darlehensausleihungen. Abzugrenzen sind schließlich Situationen, wie sie sich nach früherer Rechtslage bei der bei Zwischenschaltung einer Beherrschungs-GbR im Rahmen einer sog. Mehrmütterorganschaft ergeben. Handelt es sich bei einer derartigen Gesellschaft um eine bloße Innenkonstruktion, die lediglich der Sicherung eines einheitlichen Beherrschungswillens dient und die auch sonst keine eigenen unternehmerischen Ziele verfolgt, so stellen die Anteile der Mutterunternehmen an der Organgesellschaft bei der GbR regelmäßig kein Sonderbetriebsvermögen dar, weder solches der Kategorie I noch solches der Kategorie II. Das wurde vom BFH im Urteil vom 26. 4. 2001 IV R 75/9949 klar und deutlich entschieden. bb) Das zu den Grundlegungen. In seinem jüngsten Urteil vom 24. 2. 2005 IV R 12/0350 hatte der IV. Senat des BFH nun zu einer besonderen Sachverhaltskonstellation zu befinden. Es ging hier um den Sonderfall einer Dreiecks- (genaugenommen einer Vierecks-) Beziehung unter Teilhabe von zwei KG und zwei Kapitalgesellschaften: Konkret ging es um die geschäftsleitende Holding in Gestalt einer GmbH & Co. KG, der KG I. Diese war zur Hälfte an einer GmbH beteiligt. Die andere Anteilshälfte dieser GmbH hielt eine AG, die sich überdies zusammen mit der KG I über eine Willensbildungs-GbR zu einer sog. Mehrmütterorganschaft zu der GmbH verbunden hatten. Die KG I und die AG waren außerdem auch noch je hälftig an einer weiteren KG II beteiligt. Als präakquisitorische Maßnahme wurden nun die Anteile an der GmbH in die KG II sowohl von der KG I als auch der AG eingebracht. Kurz darauf veräußerte die KG I ihre KG II-Beteiligung. Da die Einbringungen nach Maßgabe des alten Mitunternehmerlasses zu Buchwerten erfolgte, witterte die Finanzverwaltung Gestaltungsmißbrauch. Es erkannte die Buchwerteinbringung nicht an.

__________ 48 BFH/NV 1996, 736. 49 DStR 2001, 1212; Gosch, StBp 2001, 242. 50 DStR 2005, 1090; Breuninger, GmbHR 2005, 1001.

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Der BFH stellte diesen Mißbrauchsverdacht in die zweite Argumentationslinie. Zuvörderst widmete er sich dem Verhältnis des Sonderbetriebsvermögens zur Organschaft. Das Gericht läßt sich hierzu auf eine differenzierte Sichtweise ein. Sonderbetriebsvermögen II und Organschaft widersprächen sich im Grundsatz in ihren Rechtsfolgen: Einerseits muß die Organgesellschaft ihren Gewinn an die Obergesellschaft abführen, andererseits ist jener Gewinn wegen des Sonderbetriebsvermögens bei der KG II als weitere Untergesellschaft zu erfassen. Dieser Konflikt könnte zugunsten des Sonderbetriebsvermögens aufzulösen sein. Der BFH hält es jedoch für „näher liegend’, für die Zeit des Bestehens der Organschaft die Erfassung der aus der Beteiligung herrührenden Einnahmen bei der Untergesellschaft auszusetzen. Die Eigenschaft des Anteils an der Organgesellschaft als Sonderbetriebsvermögen der Obergesellschaft bei der Untergesellschaft kommt erst dann wieder zum Tragen, wenn die Organschaft beendet wird. Mit anderen Worten: Die Organschaft bleibt auch nach gegenwärtiger Regelungslage ungefährdet. Denn die Rechtsfolgen der Zuordnung zum Sonderbetriebsvermögen II werden vorübergehend als suspendiert behandelt, das aber wohl nur insoweit, als diese Rechtsfolgen mit dem Organschaftskonzept nicht kompatibel sind. Es muß also im einzelnen geprüft werden, ob die Pflicht zur Ergebnisabführung bestimmte Einnahme- und Ausgabepositionen verdrängt. Bei laufenden Betriebsergebnissen der Organgesellschaft wird das der Fall sein, bei dem Gewinn aus der Veräußerung der Organgesellschaft oder bei etwaigen Refinanzierungsaufwendungen des Organträgers jedoch regelmäßig nicht. 2. Atypisch stille Gesellschaft ohne Gesamthandsvermögen Diskutiert wird im Zusammenhang mit der Zivilrechtsstruktur der Personengesellschaft als Organträgerin und dem Vorhandensein von Gesamthandsvermögen noch eine weitere Frage, nämlich jene nach der Organträgereigenschaft der atypisch stillen Gesellschaft. Diese ist zweifelhaft, weil es sich bei der atypisch stillen Gesellschaft zivilrechtlich – nur – um eine Innengesellschaft handelt, bei der kein (dingliches) Gesamthandsvermögen gebildet wird. Allein berechtigt und verpflichtet ist im Außenverhältnis der Inhaber des Handelsgewerbes, § 231 Abs. 2 HGB. Folglich existiert auch keine Tätigkeit der stillen Gesellschaft. Aus dieser Gesellschaftsstruktur wird allseits geschlossen, daß die atypisch stille Gesellschaft kein tauglicher Organträger sein kann, dies teilweise auch deswegen, weil sich hier die notwendige finanzielle Eingliederung nicht bewerkstelligen lasse. Es gibt allerdings auch Gegenstimmen. Koths51 vertritt die Ansicht, die erforderliche Mehrheitsbeteiligung könne über den nach außen hin tätigen

__________ 51 In Herzig (Hrsg.), Organschaft, 2003, S. 66 f.

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Inhaber des Handelsgewerbes vermittelt werden. Schmidt und Hageböke52 greifen auf die einschlägige Rechtsprechung des BFH53 zurück, wonach die stille Gesellschaft als Subjekt der Gewinnerzielung, Gewinnermittlung und Einkünftequalifikation fungiere. So gesehen widerspreche das Verlangen nach einem Gesamthandsvermögen der hier gebotenen steuerlichen Zurechnung. Allein eine solche werde in § 14 Satz 1 Nr. 1 KStG mit der Verhältnisnahme „zur Personengesellschaft selbst“ verlangt. Insoweit liege – anders als beispielsweise in § 14 Abs. 1 Satz 2 KStG – kein Anwendungsfall einer „Maßgeblichkeit des Zivilrechts“ i. S. von § 41 Abs. 1 Satz 2 AO vor. Ausschlaggebend sei allein, daß der Inhaber des Handelsgewerbes einer originär gewerblichen Tätigkeit nachgehe. Ich habe für diese Auffassung Sympathie. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG bezieht die organträgertaugliche Personengesellschaft ausdrücklich auf § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG; Organträger kann danach eben auch eine Personengesellschaft im Sinne dieser Vorschrift sein. Personengesellschaft in diesem Sinne ist aber – der Regelungszusammenhang zwischen Satz 1 und 2 des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG beläßt darüber keinen Zweifel – nicht nur die oHG und KG, sondern jegliche andere Gesellschaft, bei der der Gesellschafter als Unternehmer (Mitunternehmer) des Betriebs anzusehen ist. Anders gewendet: Es trifft zu, daß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG den Begriff der Personengesellschaft nicht zivilrechtlich, sondern kraft Querverweises eigenständig steuerrechtlich definiert und bestimmt. „Andere Gesellschaft“ i. S. von § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist aber, daran kann ebenfalls kein Zweifel bestehen, auch die atypisch stille Gesellschaft. Ein uneingeschränktes Gesamthandserfordernis existiert insoweit nicht. Der Begriff des Gesamthandsvermögens ist steuerlich nicht näher bestimmt. Es genügt deswegen strenggenommen die Zugehörigkeit zum steuerlichen Betriebsvermögen. Sollte der Gesetzgeber Gegenteiliges im Auge gehabt haben – was zu mutmaßen ist –, dann hätte dies im Regelungstext jedenfalls keinen unmißverständlichen Niederschlag gefunden54. Ist man zunächst einmal bereit, diesen (wagemutigen?) Gedankenpfad miteinzuschlagen, bleibt allerdings ein weiteres Stück Wegstrecke zurückzulegen. Es muß geklärt werden, ob die finanziellen Eingliederungserfordernisse sich auch bei einer atypisch Stillen verwirklichen lassen. Ich meine auch hier: ja. Denn legt man das genuin steuerliche Gesellschaftsverständnis zugrunde, dann bleibt es dabei, daß die atypisch stille Gesellschaft selbst Sub-

__________ 52 DStR 2005, 761. 53 Z. B. BFH v. 26. 11. 1996 VIII R 42/94, BStBl II 1998, 328; v. 5. 2. 2002 VIII R 31/01, BStBl II 2002, 464. 54 S. auch Olbing in Streck, KStG, § 14 Rz. 41 m. w. N.; a.A, Neumann in Gosch, KStG, § 14 Rz. 85 unter Hinweis auf die anderweitig klare Gesetzesformulierung in § 18 KStG für die Zweigniederlassung als Organträger; Frotscher in Frotscher/ Maas, KStG/UmwStG, § 14 Rz. 70 f.; Dötsch, DB 2005, 2541 (2543).

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jekt der Gewinnerzielung, der Gewinnermittlung und der Einkünftequalifikation ist. Ihr ist steuerlich ein Betriebsvermögen zuzurechnen. Folglich läßt sich auch eine finanzielle Eingliederung in diese Gesellschaft annehmen. Das Vermögen des Inhabers des Handelsgewerbes wird insoweit steuerlich wie Gesamthandsvermögen der atypisch stillen Gesellschaft angesehen, gleichviel, ob man dies mit Schmidt und Hageböke als „Als-obGesamthandsvermögen“, als „virtuelles Gesamthandsvermögen“ oder als „fiktive Gesamthandsgemeinschaft“ bezeichnen will. Die steuerliche Zurechnung der mehrheitsvermittelnden Anteile an der Organgesellschaft findet ihr Pendant darin, daß der Inhaber des Handelsgewerbes die Stimmrechte für die atypisch Stille wahrnimmt und ausübt – eine Erkenntnis, die sich erst soeben wieder in zwei Urteilen der BFH zur vergleichbaren Situation der atypisch stillen Unterbeteiligung an einer GmbH wiederfindet55. Gleichermaßen wird der Ergebnisabführungsvertrag mit dem Handelsgewerbetreibenden abgeschlossen und intern der Gesellschaft zugerechnet. Als solche wird diese dann auch originär gewerblich tätig. Auch hier gibt es, das sei nicht verschwiegen, aber wieder einiges an Widerspruch. So bestreitet beispielsweise Dötsch56 die Eingliederungsfähigkeit der atypisch stillen Gesellschaft und knüpft dabei an die frühere Rechtslage an, der allerdings, wie bekannt, eine abweichende gesetzliche Regelung zugrunde lag. Wie dem auch sei: Dötsch verweist zu Recht auf die nur eingeschränkte Verlustnutzung bei stillen Gesellschaften gemäß § 15 Abs. 4 Satz 6 sowie § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG.

V. Ein weiteres Problem auf der Rechtsfolgenebene: Der Verlustabzugsausschluß gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG Es sei noch eine weitere Fragestellung angesprochen, welche allerdings (unbeschadet der mißglückten Stellung im Gesetz in der Katalognorm des § 14 Abs. 1 KStG über die Organschaftsvoraussetzungen) die Rechtsfolgenseite der steuerlichen Organschaftsbeziehung betrifft und welche (deswegen) nicht Gegenstand des Organschaftserlasses vom 10. 11. 2005 ist, der aus Sicht der Finanzverwaltung die tatbestandlichen Grundlegungen des § 14 Abs. 1 KStG zu regeln versucht. Es ist dies die Frage danach, ob der recht mystisch formulierte Verlustabzugsausschluß des § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG bei Inanspruchnahme eines Verlust-Double-Dip die Organträger-Personengesellschaft aus seinem persönlichen Anwendungsbereich ausnimmt. Ganz überwiegend wird das bejaht. Begründet wird dies zumeist einigermaßen apodiktisch damit, daß Persongesellschaften als solche nicht selbst der deutschen Besteuerung unterliegen. Und genau dessen bedarf es nach § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG aber:

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55 BFH v. 18. 5. 2005 VIII R 34/01, BStBl II 2005, 857 = GmbHR 2005, 1633 mit Anm. Heinz/Hageböke; v. 8. 11. 2005 VIII R 11/02, BFH/NV 2006, 392. 56 In Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht, § 5 Rz. 32.

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Ein negatives Einkommen des Organträgers bleibt hiernach bei der inländischen Besteuerung unberücksichtigt, soweit es in einem ausländischen Staat im Rahmen einer der deutschen Besteuerung des Organträgers entsprechenden Besteuerung berücksichtigt wird57. Er ist einmal mehr vor allem Frotscher, der dagegen argumentiert58: Die unscharfe Regelungsformulierung dürfe sozusagen nicht beim Wort genommen werden. Immerhin sei in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG auch von der „Zurechnung des Einkommens bei dem Organträger“ die Rede, und über ein eigenes Einkommen verfüge die Personengesellschaft nun einmal nicht. Es bedürfe deshalb des sinngemäßen Verständnisses. Auch eine doppelte Verlustnutzung sei bei der Personengesellschaft durchaus vorstellbar, nämlich bei den Gesellschaftern im Rahmen der unbeschränkten und beschränkten Steuerpflicht. Und schließlich: Die Einbeziehung der Personengesellschaft sei nicht zuletzt verfassungsrechtlich geboten, andernfalls drohe eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber Kapitalgesellschaften und natürlichen Personen. Es ist zu fragen, ob diese Argumente sich als ‚robust’ erweisen. Zunächst: Es wird zwar vertreten, daß § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG Organträgergesellschaften mit Sitz und Geschäftsleitung im Inland nicht einbeziehe. Der Regelungswortlaut macht hierzu jedoch keinerlei Einschränkungen und gibt hierfür nichts her. Er besagt damit das Gegenteil. Der Gesetzgeber mag an den doppelt ansässigen Organträger gedacht haben. Zum Ausdruck gekommen ist sein Wille nicht. Deshalb erfaßt § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG auch Organträger mit Sitz und Geschäftsleitung in Deutschland, also auch die Persongesellschaft. Auch das Problem der Einkommenbesteuerung hat Frotscher meiner Einschätzung nach richtig beantwortet. Man muß hier sinngemäß vorgehen. Ein Erfordernis der Personenidentität läßt sich, abweichenden Stimmen zum Trotze, der Vorschrift nicht mit der im Eingriffsverwaltungsrecht nötigen Eindringlichkeit entnehmen. Allerdings: Damit ist noch keine Antwort darauf gegeben, ob die Gesellschaft im Ausland einer entsprechenden Besteuerung unterlegen hat. Als Gesellschaft kann sie dies nur sein, wenn sie in einen ausländischen Konsolidierungskreis einbezogen werden kann. Daran wird es gemeinhin jedoch fehlen; Personengesellschaften können infolge ihrer Transparenz regelmäßig keine Organgesellschaft sein. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG kann aber nur greifen, wenn der deutsche Organträger im Ausland die vergleichbare Stellung einer Organgesellschaft einnimmt. Der Durchgriff auf die Gesellschaf-

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57 Zweifel daran, daß diese Einschränkung ‚europarechtsfest’ ist, sind nach Lage der Dinge möglicherweise unberechtigt, nachdem der EuGH sich am 13. 12. 2005 in der Rechtssache C-446/03 ‚Marks and Spencer’ (DB 2005, 2788 mit etwas euphemistischen Anm. von Kleinert und Nagler) prinzipiell gegen ein grenzüberschreitendes ‚loss-shopping’ in Konzernzusammenhängen ausgesprochen hat. 58 Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 14 Rz. 239 f.

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ter und deren Besteuerung kann hier kaum genügen. Es mag zwar vielleicht sein, daß ein solcher Gesellschafter seinerseits einer Organschaftsbesteuerung unterfällt. Dann käme es auch zu einer Organschaftsbesteuerung im Ausland. Dann fehlt es aber gleichwohl an der kausalen Verlustzurechnung aufgrund einer der Organschaftsbesteuerung vergleichbaren Rechtslage. Der Verlust der Organträger-Gesellschaft wird deren Gesellschafter vielmehr nach den hierfür geltenden allgemeinen Zurechnungsregeln zugerechnet. Das Problem wird damit sozusagen auf einer anderen Stufe abgehandelt. Zu anderen Ergebnissen gelangt man nur, wenn die Gesellschaft im Ausland Organgesellschaft sein kann, regelmäßig also nur in Fällen des steuerlich optionalen Rechtskleidwechsels. Von Letzterem abgesehen und summa summarum: Ich meine, die herrschende Auffassung hat Recht. Eine Anwendung des § 14 Abs. 1 Nr. 5 KStG auf Organträger-Personengesellschaften scheidet im Regelfall aus. Unbeschadet dessen bleibt es natürlich bei der Verlustausgleichsbeschränkung des § 15a EStG. Das Einkommen ist der Organträger-Personengesellschaft zuzurechnen, geht dort in den Gewinnanteil des Gesellschafters gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 EStG ein und wird in der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung erfaßt. Es kann also auch ein negatives Kapitalkonto entstehen lassen oder dieses erhöhen und dann gemäß § 15a Abs. 1 EStG nicht zum Verlustausgleich zur Verfügung stehen. Das ist eigentlich einhellige Auffassung. Soweit ersichtlich, will lediglich Autenrieth § 14 KStG insoweit spezielleren Charakter beimessen, der § 15a EStG verdränge59. Ich folge dieser Einschätzung nicht. Ein derartiger Regelungsvorrang läßt sich § 14 KStG nicht entnehmen.

VI. Nachbemerkungen Der kleine Streifzug hat gezeigt: Die „Konsolidierung“ des § 14 KStG hat die Koordinaten für Personengesellschaften als Organträger verändert. Das hat sicherlich die eine oder die andere Erleichterung gebracht. Insbesondere sind Erschwernisse entfallen, die sich bis 2003 infolge der quotalen Organträgerfähigkeit des einzelnen Gesellschafters solcher Gesellschaften ergaben. An die Stelle dieser Erleichterungen sind indes neue Probleme getreten. Vermutlich wird Arndt Raupach wie schon bisher tatkräftig und unermüdlich dazu beitragen, diese zu lösen. Der steuerlichen Fachwelt wäre schwerlich Besseres zu wünschen.

__________ 59 Autenrieth in Steuerrecht und Gesellschaftsrecht als Gestaltungsaufgabe, Freundesgabe für F.J. Haas, 1996, 7 ff.

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Unternehmenssteuerreform: Integration von Personenunternehmen in die niedrige Besteuerung thesaurierter Gewinne Die Reformvorschläge im Vergleich

Inhaltsübersicht I. Der internationale Steuerwettbewerb als Motor der Unternehmenssteuerreformdiskussion II. Zielsetzungen und Rahmenbedingungen 1. Rechtsformneutralität: Vermeidung der Diskriminierung von Personenunternehmen 2. Finanzierungsneutralität 3. Praktikabilität 4. Vereinbarkeit mit Europa- und Doppelbesteuerungsrecht 5. Vermeidung von Verschlechterungen gegenüber dem Status Quo?

III. Die Reformvorschläge 1. Flat Tax 2. Duale Einkommensteuer 3. Allgemeine Unternehmensteuer 4. Tarifoptionen 5. Option zur Körperschaftsteuer 6. Erweiterung der Körperschaftsteuerpflicht auf einzelne Personengesellschaften IV. Keine Unternehmenssteuerreform ohne Gewerbesteuerreform!

I. Der internationale Steuerwettbewerb als Motor der Unternehmenssteuerreformdiskussion Spätestens seit dem 33. Juristentag 1924 wird über die Reform des Unternehmenssteuerrechts gestritten1. Die Diskussion bewegt sich in einem Dreieck zwischen der Beibehaltung des dualen Systems der Unternehmensbesteuerung2, der transparenten Besteuerung der Kapitalgesellschaft (Teilhabersteuer)3 und der separaten Besteuerung des Personenunternehmens (Betriebsteuer)4. Lange Zeit eine eher akademische Debatte, hat der Druck des internationalen Steuerwettbewerbs auf die Belastung der Kapitalgesell-

__________ 1 2 3 4

E. Becker u. M. Lion, 33. DJT (1924), S. 429 ff. Prononciert Homburg/Bolik, BB 2005, 2330 (2335). Insb. Engels/Stützel, Teilhabersteuer, Frankfurt 1968 und aus neuerer Zeit A. Wamsler, Körperschaftsteuerliche Integration statt Anrechnung?, Lohmar/Köln 1998. Insb. G. Heidinger, Betriebsteuer und vollsynthetische ESt, Wien 1983; B. KnobbeKeuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., Köln 1993, S. 368 f.

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schaft die Suche nach einer adäquaten Form der Einbeziehung der Personenunternehmen inzwischen zu einem politischen Thema gemacht5. Dabei bedeutet der Versuch, das deutsche Ertragsteuerrecht wettbewerbsfähig zu machen, nicht, einem ungebremsten Steuerwettbewerb das Wort zu reden. Im Gegenteil, so positiv in der Theorie die an den Steuerwettbewerb geknüpften Erwartungen sind, so problematisch sind die Auswirkungen des realen Steuerwettbewerbs auf unsere Steuersysteme. Die Verlagerung des Steuereingriffs von den direkten zu den indirekten Steuern6, vom mobilen Faktor Kapital hin zu den weniger mobilen Faktoren Arbeit und Konsum, stellt die traditionelle Steuertheorie vor große Herausforderungen, zwingt zur Neubewertung des Ideals einer starken synthetischen Einkommensteuer7. Doch ungeachtet der Gefahren des Steuerwettbewerbs handelt es sich um ein externes Datum, dem man sich stellen muss. Denn dass dem Steuerwettbewerb auf europäischer Ebene durch Festlegung eines europaweiten Mindestkörperschaftsteuersatzes Einhalt geboten wird, ist aufgrund der Notwendigkeit einstimmiger Entscheidung (Art. 94 EG-Vertrag) derzeit nicht realistisch.

II. Zielsetzungen und Rahmenbedingungen 1. Rechtsformneutralität: Vermeidung der Diskriminierung von Personenunternehmen Einer der Gründe dafür, dass der deutsche Gesetzgeber bisher keine adäquate Antwort auf den sich in erster Linie im Körperschaftsteuersatz abspielenden internationalen Steuerwettbewerb gefunden hat, ist die von ihm – im Interesse annähernder Rechtsformneutralität – verfolgte Politik der Koppelung der Belastung von Kapitalgesellschaften an den Einkommensteuerspitzensatz. Um eine Schlechterstellung der großen Gruppe der Personenunternehmen zu vermeiden, ist man bisher vor einer deutlicheren einseitigen Absenkung der Kapitalgesellschaftsbelastung zurückgeschreckt.

__________ 5

6 7

So schon Arbeitsauftrag des damaligen Finanzministers Oskar Lafontaine vom 16. 12. 1998 an die Kommission zur Reform der Unternehmensteuerreform, vgl. Brühler Empfehlungen, BMF-Schriftenreihe Heft 66 (1999), S. 11; erneut Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vom 11. 11. 2005, S. 69. Zu Recht kritisch zu deren wenig systemhafter Ausgestaltung K.-H. Hansmeyer, in Festschrift H. O. Solms, Berlin 2005, S. 45 ff. So auch – trotz einer grundsätzlich positiven Bewertung des Steuerwettbewerbs – C. Esser, Internationaler Steuerwettbewerb – Vorteile und Gefahren, IFSt-Schrift Nr. 422, Bonn 2004, S. 42 f.

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Unabhängig davon, ob man die Gleichbehandlung unterschiedlicher Unternehmensformen als ein Gebot des allgemeinen Gleichheitssatzes versteht8, steht das Postulat der Entscheidungsneutralität einer Diskriminierung einzelner Rechtsformen entgegen. Zudem hängt die politische Durchsetzbarkeit einer Niedrigbesteuerung thesaurierter Gewinne von Kapitalgesellschaften davon ab, ob Personenunternehmen eine äquivalente Begünstigung offeriert wird. Die Unternehmenssteuerreform 2000 hat belegt, dass eine stärkere Absenkung der Kapitalgesellschaftsbelastung ohne flankierende Maßnahmen am massiven Protest der Personenunternehmen scheitert, und dies selbst dann, wenn sich bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Thesaurierungs- und Ausschüttungsbelastung herausstellt, dass der Thesaurierungsvorteil der Kapitalgesellschaft sich in einen Ausschüttungsnachteil verkehrt. Im derzeitigen Tarifgefüge mit einer Thesaurierungsbelastung von 38,6 %9 und einer Ausschüttungsbelastung von 50,63 % gegenüber einer Belastung von 45,6 % für Personenunternehmen (jeweils unter Zugrundelegung des Einkommensteuerspitzensatzes) bedarf es langfristiger Thesaurierung, um diesen Ausschüttungsnachteil zu kompensieren10. Indes darf die Frage nach einer Diskriminierung des Personenunternehmens nicht am Status quo beantwortet werden, sondern muss eine wettbewerbsfähige Kapitalgesellschaftsbelastung zum Vergleichspunkt nehmen, die für thesaurierte Gewinne bei 25 bis 30 % liegen dürfte und bei anhaltendem oder sich gar noch weiter verschärfendem11 Steuerwettbewerb schnell nach unten zu korrigieren sein kann. Dann aber würde – vor allem wenn der Einkommensteuerspitzensatz wieder steigt12 – der Kapitalgesellschaft ein sehr viel deutlicherer Wettbewerbsvorteil erwachsen, als dies heute der Fall ist, weil der Zinsvorteil schon nach kurzfristiger Thesaurierung auch einen etwaigen Ausschüttungsnachteil überkompensieren würde. Damit ist das Ziel einer erneuten Unternehmenssteuerreform klar umrissen: Personenunternehmen sollen am niedrigen Thesaurierungssteuersatz partizipieren, um steuerinduzierte Verzerrungen der Rechtsformentscheidung und Wettbewerbsnachteile für Personenunternehmen zu verhindern. Zwar wird gelegentlich angezweifelt, ob die deutsche „Kultur“ des Personenunternehmens den Aufwand einer grundlegenden Änderung der Unternehmens-

__________ 8 Bejahend J. Lang, StuW 1990, 107 (115 f.); M. Jachmann, DStJG 23 (2000), S. 9 (41 f.); J. Hey, DStJG 24 (2001), S. 155 (166 ff., 180); F. Balmes, DStJG Sonderband Unternehmensbesteuerung 2001, S. 25 (33 ff.) Ableitung aus den Freiheitsrechten P. Kirchhof, StuW 2002, 3 (11, 18); ders., StbJb. 2002/2003, S. 7; ablehnend Homburg/Bolik, BB 2005, 2330 (2335). 9 Gewerbesteuerhebesatz: 400 %. 10 S. die Berechnungen bei F. Tischer, FR 2000, 1009 ff. 11 Entwicklung der Körperschaftsteuersätze seit 1980 im EU-Durchschnitt: 1980: 46 %, 1985: 46,9 %, 1991: 40,1 %, 1999: 33,7 %, 2002: 31,4 %, 2003: 29,9 %, 2004: 25,96 %, 2005: 25,36 %. 12 S. die Pläne zur Einführung einer „Reichensteuer“, die aber nicht für gewerbliche Einkünfte gelten soll, Koalitionsvertrag v. 11. 11. 2005, S. 68.

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steuerstruktur rechtfertige13. Dieses Argument hat eine gewisse Berechtigung, soweit die Rechtsform der Personengesellschaft lediglich zur Steueroptimierung und nicht aus gesellschaftsrechtlichen Gründen genutzt wird. Namentlich die typische GmbH & Co. KG ist haftungs-, handels- und gesellschaftsrechtlich einer kapitalistisch verfassten Gesellschaft so stark angenähert14, dass man sie auf die Umwandlung verweisen kann, um in den Genuss der steuerlichen Vorteile niedriger Thesaurierungsbelastung zu gelangen. Dass damit erbschaftsteuerrechtliche Nachteile einhergehen, sollte Anlass geben, die Rechtsformabhängigkeit des Erbschaftsteuerrechts zu beseitigen, ist aber gerade nicht geeignet, die Erhaltungswürdigkeit dieser Rechtsform zu erklären. Dies gilt ebenso für die aus § 20 Abs. 3 UmwStG resultierenden Schwierigkeiten steuerneutraler Umwandlung bei Beteiligung ausländischer Gesellschafter. Der Fehler liegt im Umwandlungssteuerrecht und wäre dort zu beheben. Dennoch ist es zu kurz gesprungen, eine einseitige Absenkung der Kapitalgesellschaftsbelastung allein mit dem Hinweis auf die Möglichkeit steuerneutraler Umwandlung zu verbinden. Denn das Steuerrecht sollte jenseits zivilrechtlicher Gestaltungen zum Zwecke steuerlicher Optimierung die Entscheidung zwischen unterschiedlichen Organisationsformen so wenig wie möglich beeinflussen. 2. Finanzierungsneutralität Nicht nur Rechtsformabhängigkeit, sondern auch fehlende Finanzierungsneutralität des Steuerrechts birgt die Gefahr ökonomisch verfehlter Gestaltungsanreize. Im Idealfall differenziert das Steuerrecht nicht zwischen Fremdund Eigenkapital, indem (betriebliche und private) Zinseinkünfte, Dividenden und Veräußerungsgewinne gleich belastet werden. Optimal lässt sich dieses Ziel nur erreichen in einer Flat Tax oder einer Dualen Einkommensteuer15 mit einem einheitlichen proportionalem Steuersatz für sämtliche Kapitalentgelte, der zugleich dem Körperschaftsteuersatz für thesaurierte Gewinne entspricht.

__________ 13 Diese Frage drängt sich insb. vor dem Hintergrund der Verbreitung der GmbH & Co KG auf, hierzu J. Meyer, GmbHR 2004, 1417 (1419); Binz/Sorg, Die GmbH &. Co. KG, München 2005, S. 10 f. 14 Z. B. durch Angleichung der Rechnungslegungs- und Publizitätspflichten (§ 264a Abs. 1 HGB). Ein zentraler Unterschied besteht jedoch hinsichtlich der Mitbestimmung, dazu Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG, München 2005, S. 288 ff. 15 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2003/04: „Staatsfinanzen konsolidieren – Steuersystem reformieren“, Berlin 2005, Tz. 388, der dem Gebot der Finanzierungsneutralität gegenüber der Rechtsformneutralität den Vorrang einräumt (Tz. 393).

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3. Praktikabilität Die aktuelle Steuerreformdiskussion ist stark vom Vereinfachungsanliegen dominiert16. Vereinfachung lässt sich zum einen erreichen durch den Abbau von abgrenzungsintensiven Diskriminierungen. Gerade dort, wo das Steuerrecht verzerrt, indem es gleiche wirtschaftliche Sachverhalte ungleich oder ungleiche gleich behandelt, ist es streitanfällig. Zum anderen versprechen Vergröberungen durch Pauschalierungen und Typisierungen Vereinfachung. Im ersten Fall ergibt sich ein Gleichlauf zwischen den Zielen einer gleichmäßigen, neutralen und einfachen Besteuerung, im zweiten Fall stehen Gleichmäßigkeit und Neutralität in einem Spannungsverhältnis zum Vereinfachungsziel. Das Vereinfachungsziel sollte indes gerade im Unternehmenssteuerrecht nicht überbetont werden. Einerseits ist „Vereinfachung“ als Gestaltungsparameter inhaltsleer17. Andererseits lässt sich der Grad der erzielten Vereinfachung in einem komplexen Reformszenario kaum exakt messen. Entscheidend ist vielmehr zum einen die Praktikabilität und Vollzugseffizienz, zum anderen die Stringenz und Plausibilität der Reformvorschläge. 4. Vereinbarkeit mit Europa- und Doppelbesteuerungsrecht Empfindliche Restriktionen folgen für jedes Reformmodell aus den doppelbesteuerungsrechtlichen Bindungen. Zum einen lassen sich die Neutralitätspostulate im grenzüberschreitenden Sachverhalt nur eingeschränkt verwirklichen. So ist die auf dem OECD-MA basierende Aufkommenszuweisung per se nicht finanzierungsneutral, weil je nach Finanzierungsart entweder das Besteuerungsniveau des Ansässigkeitsstaates (Fremdfinanzierung) oder das des Quellenstaates (Eigenkapitalfinanzierung) maßgeblich ist. Zum anderen sind – mangels realistischer Neuverhandlungsperspektive der bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen – Strukturveränderungen problematisch, die nicht mit den tradierten zwischenstaatlichen Aufkommenszuweisungen abgestimmt sind. Sie bergen die Gefahr des Aufkommensverlusts im Inland. Diese Gefahr ist umso größer, wenn auch der andere Staat sein Besteuerungsrecht nicht ausübt, da die auf diese Weise zu generierenden weißen Einkünfte einen erheblichen Gestaltungsanreiz setzen. Soweit durch treaty overrides18 entgegengewirkt wird, kann es wiederum zu Doppelbesteuerungen kommen.

__________ 16 Sehr deutlich bei P. Kirchhof, Einkommensteuer Gesetzbuch. Ein Vorschlag zur Reform der Einkommen- und Körperschaftsteuer, Tübingen 2003, S. VII; s. auch M. Roses „Einfachsteuer“, Vom Steuerchaos zur Einfachsteuer, Stuttgart 2003. 17 Zutreffend Sachverständigenrat (Fn. 15), Tz. 367: „Keine eigenständige Zielkategorie“. 18 Zur Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht K. Vogel, IStR 2005, 29 f.

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5. Vermeidung von Verschlechterungen gegenüber dem Status Quo? Von erheblicher Brisanz ist die Frage, inwieweit eine Unternehmenssteuerreform, durch die Personenunternehmen Zugang zum niedrigen Thesaurierungssteuersatz eingeräumt wird, im Übrigen den heutigen Status quo wahren soll19. Dies betrifft insbesondere die Verlustverrechnung, aber auch Fragen wie § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG oder die erbschaftsteuerrechtlichen Begünstigungen. Der Status quo-Vergleich und die Forderung, niemand dürfe nach der Reform schlechter stehen also zuvor, führt Reformbemühungen ad absurdum. Methodisch richtig muss die Frage lauten, ob die bestehenden Besteuerungsunterschiede Ausdruck unterschiedlicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit sind, denen auch in einem neuen System Rechnung getragen werden muss. Nur so können neue Verzerrungen vermieden werden. Dabei ist der Anpassungsbedarf nicht allein im Steuerrecht der Personengesellschaft, sondern auch im Körperschaftsteuerrecht zu suchen. So ist etwa einerseits auch Personengesellschaften steuerlich die Bildung von Pensionsrückstellungen zu ermöglichen, andererseits sollte die Bildung von Pensionsrückstellungen (und zwar auch bei Kapitalgesellschaften) mit den allgemeinen Regeln der nachgelagerten Besteuerung abgestimmt, d. h. also durch gesetzliche Obergrenzen limitiert werden. So wäre in diesem Bereich zugleich auch das Problem der verdeckten Gewinnausschüttung gelöst. 20

III. Die Reformvorschläge 1. Flat Tax

Die Hauptschwierigkeit jeder Unternehmenssteuerreform liegt im Nebeneinander von (niedrigem) Proportionalsatz in der Körperschaftsteuer und progressivem Einkommensteuertarif. Jedes Ertragsteuersystem, das Unternehmensgewinne – sei es nun dauerhaft oder nur während der Thesaurierung – einem Proportionalsteuersatz unterwirft, ansonsten aber am progressiven Tarif festhält, handelt sich den berechtigten Vorwurf der Abkehr vom Prinzip der synthetischen Einkommensteuer ein. Im Ausschüttungsfall wie im Veräußerungsfall ist zudem das Verhältnis zwischen unternehmenssteuerrechtlicher Vorbelastung und progressiver Einkommensteuer zu klären. Diese Probleme vermeidet eine Flat Tax mit einheitlichem Proportionalsteuersatz für unternehmerische und sonstige Einkünfte21. Auch die wirt-

__________ 19 So jetzt Sachverständigenrat (Fn. 15), Tz. 395; ferner Ausgangspunkt der Rücklagenmodelle. 20 Umfassend zu den gegenwärtigen Reformvorschlägen zur Neuordnung des Ertragsteuerrechts Kußmaul/Zabel, ZSteu 2005, 274 ff., 292 ff., 310 ff. 21 Grundlegend Hall/Rabrushka, The Flat Tax, 2. Aufl., Stanfort 1995; im Wesentlichen auch der Vorschlag von P. Kirchhof (Fn. 16), der aber insoweit keine reine Flat Tax darstellt, als er durch Abzüge in der Bemessungsgrundlage bis 24 000 Euro ebenfalls eine Progressionszone vorsieht.

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schaftliche Doppelbelastung beim Transfer von Gewinnen von der Unternehmens- auf die Unternehmerebene lässt sich in einer Flat Tax durch Freistellung auf einfache Weise vermeiden. So kann ohne größere Schwierigkeiten sowohl Rechtsform-, Finanzierungs- als auch Allokationsneutralität verwirklicht werden. Schedulär wirkt allerdings auch eine Flat Tax, soweit es keine Sonderregeln der Verlustverrechnung zwischen Unternehmens- und Unternehmerebene gibt22. Zudem vermeidet die Freistellung ausgeschütteter Gewinne zwar eine wirtschaftliche Doppelbelastung, ist aber nicht in der Lage, die verfassungsrechtlich garantierte Steuerfreiheit des Existenzminimums zu verwirklichen. Auch insoweit bedarf es Sonderregeln23. Ungeachtet ihrer unbestreitbaren Vorzüge besteht der Nachteil der Flat Tax darin, dass sie gerade keine Antwort auf das Flexibilitätsbedürfnis des im Wettbewerb stehenden Steuergesetzgebers bietet. Im Gegenteil, die Flat Tax institutionalisiert die bisherige Koppelung von Körperschaftsteuersatz und Einkommensteuertarif. Die Flat Rate müsste so niedrig angesetzt sein, dass sie gemessen am internationalen bzw. europäischen Körperschaftsteuerniveau Wettbewerbsfähigkeit gewährleistet; also derzeit zwischen 25 und 30 %. Weitere Absenkungen infolge eines sich noch weiter verschärfenden Steuerwettbewerbs würden zwangsläufig mit einen Aufkommensverlust über die gesamte Breite der Bemessungsgrundlage einhergehen. Dies spricht jenseits der Schwierigkeit politischer Durchsetzbarkeit gegen eine Flat Tax. 2. Duale Einkommensteuer Speziell auf die Anforderungen des internationalen Steuerwettbewerbs zugeschnitten ist die Duale Einkommensteuer. Sie ist „kostengünstiger“ als die Flat Tax, indem sie nur Kapitaleinkommen einer Flat Rate unterwirft, im Übrigen aber am progressiven Einkommensteuertarifverlauf festhält. Die Duale Einkommensteuer ist in erster Linie finanzierungsneutral. Sie kann rechtsformneutral ausgestaltet werden, wenn das Kapitaleinkommen von Personenunternehmen nach denselben Regeln ermittelt wird wie bei Kapitalgesellschaften.

__________ 22 Vgl. die diesbezügliche Kritik von Homburg/Bolik, BB 2005, 2330 (2333 f.) an P. Kirchhofs, Einkommensteuergesetzbuch-Entwurf, Heidelberg 2003, die allerdings in erster Linie auf dem quellentheoretischen Ansatz der Unterscheidung zwischen einzelnen Erwerbsgrundlagen basiert. 23 Vgl. § 6 EStGB i. V. m. § 17 Abs. 2 des Vorschlags von P. Kirchhof (Fn. 16), S. 31 f.

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Für die Einführung einer dualen Einkommensteuer setzt sich insbesondere der Sachverständigenrat ein24. Während im Jahresgutachten 2003/200425 noch dafür plädiert wurde, Kapitaleinkommen insgesamt niedrig-proportional mit 30 % und Arbeitseinkommen mit bis zu 35 % progressiv zu belasten, enthält das Jahresgutachten 2005/06 einen modifizierten Vorschlag einer zinsbereinigten Unternehmensbesteuerung26. Kapitaleinkünfte werden im Rahmen der Einkommensteuer einem Sondersteuersatz von 25 % unterworfen, der dem Körperschaftsteuersatz von ebenfalls 25 % entspricht. Der Sondersteuersatz wird allerdings nur auf den Normalgewinn in Höhe einer 6 %igen Eigenkapitalverzinsung angewendet, die sich nach den Anschaffungskosten des Gesellschafters und nicht nach dem bilanzierten Eigenkapital der Gesellschaft bemisst27. Für Kapitalgesellschaften wird die Unterscheidung zwischen Normal- und Übergewinn erst bei Ausschüttung vorgenommen28, indem thesaurierte Gewinne ausschließlich mit 25 % besteuert werden und bei Ausschüttung, Dividenden aus Normalgewinnen steuerfrei gestellt werden, während Gewinne aus Übergewinnen konstant mit 25 % nachbelastet werden, also insgesamt mit 43,75 % versteuert sind. Bei Personenunternehmen wird dagegen aufgrund des Festhaltens am Transparenzprinzip der Gewinn unmittelbar in Normal- und Übergewinn aufgeteilt. Der Normalgewinn wird sodann dem Sondersteuersatz von 25 % unterworfen, der Übergewinn (anders als die Ausschüttung des Übergewinns einer Kapitalgesellschaft) dem regulären Einkommensteuertarif. Damit unterscheidet sich die Besteuerung von Kapitalgesellschaft und Personenunternehmen zum einen dadurch, dass Übergewinne im Jahr der Gewinnentstehung unabhängig von einer etwaigen Reinvestition der (höheren) progressiven Einkommensteuer unterworfen werden, zum anderen dadurch, dass sie dem regulären Einkommensteuertarif einschließlich Solidaritätszuschlag mit Steuersätzen zwischen 0 % und 44,31 % (bzw. 47,31 %29) unterliegen.

__________ 24 Auch beim Berliner Entwurf der FDP (H. O. Solms [Hrsg.], Liberale Reform der direkten Steuern, Berlin 2005) handelt es sich letztlich um eine Duale Einkommensteuer, indem unternehmerische Einkünfte nur auf Ebene der Körperschaft mit 25 % versteuert und beim Anteilseigner steuerfrei gestellt werden (§ 9 Abs. 2 des ESt-Entwurfs) und Kapitaleinkünfte einer 25 %igen Abgeltungssteuer unterliegen, während der Einkommensteuertarif für sonstige Einkünfte in der Spitze 35 % beträgt. 25 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2003/04: „Staatsfinanzen konsolidieren – Steuersystem reformieren“, Berlin 2003, S. 333 ff. 26 Sachverständigenrat (Fn. 15) Tz. 358 ff. 27 Dies würde es unter Neutralitätsgesichtspunkten erfordern, nicht ausgeschüttete Normalgewinne der Kapitalgesellschaft den Anschaffungskosten, und damit der Bemessungsgrundlage der zukünftigen Eigenkapitalverzinsung, hinzuzurechnen. 28 Anders das hessische Modell der Kapitalrenditesteuer, das bereits auf Kapitalgesellschaftsebene aufteilt, vgl. Hess. Ministerium der Finanzen, Eine neue Kapitalsteuer für Deutschland, 2005, S. 20 f. 29 Bei Anwendung des geplanten Zuschlags für Einkünfte ab 250 000/500 000 Euro sog. „Reichensteuer“, s. Fn. 12.

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Die Fortentwicklung reflektiert, dass einerseits der abermals verschärfte Steuerwettbewerb eine größere Spreizung erfordert und dass andererseits die Haushaltslage eine Begrenzung des Niedrigsteuerbereichs notwendig macht30. Mit der Begrenzung der Niedrigbesteuerung auf den Normalgewinn sollen die Gestaltungsanreize der Tarifspreizung ebenso wie die Aufkommenseinbußen begrenzt werden. Überdies sollen – wohl um die Umsetzungschancen zu erhöhen – die Abweichungen zum geltenden Steuerrecht so gering wie möglich gehalten werden. Hierfür werden Abstriche bei der Verwirklichung der Neutralitätspostulate in Kauf genommen. Eine Annäherung der Belastung von Personenunternehmen und Kapitalgesellschaft findet nur hinsichtlich der Niedrigbesteuerung der Normalverzinsung des Eigenkapitals statt. Und auch hier hängt das Ausmaß der Rechtsformneutralität davon ab, wie profitabel ein Unternehmen ist. Je höher die Eigenkapitalverzinsung, desto günstiger wird die Rechtsform der Kapitalgesellschaft, weil die Nachversteuerung erst bei tatsächlicher Auszahlung einsetzt31. Alle übrigen Unterschiede sollen beibehalten werden32. Dies betrifft insbesondere die Verlustverrechnung, aber auch Vorschriften wie § 6 Abs. 5 EStG und – bei deren Βeibehaltung – Rechtsformunterschiede durch die Gewerbesteuer. Da das Ausmaß der Begünstigung vom ausgewiesenen Eigenkapital abhängt, wird es zur Bestimmung dieser Größe komplexer Regeln bedürfen. Dabei ist dem Sachverständigenrat beizupflichten, dass sich eine Reform der Unternehmensbesteuerung nicht in erster Linie am Vereinfachungsanliegen orientieren kann, da sich diesem keine inhaltlichen Gestaltungsvorgaben entnehmen lassen. Es völlig außer Acht zu lassen und der bereits existierenden Kompliziertheit, neue komplexe – gewichtiger noch: streitanfällige – Normen hinzuzufügen, muss allerdings wohlüberlegt sein und durch die Effizienzgewinne aufgewogen werden. Ein großer Vorteil des Sachverständigenratsvorschlags ist die Verwirklichung von Finanzierungsneutralität durch weitgehende Gleichbehandlung von privaten und betrieblichen Zinsen, Fremd- und Eigenkapitalverszinsung, Dividenden und Veräußerungsgewinnen. In einer Dualen Einkommensteuer ist eine Abgeltungssteuer auf Zinsen und Veräußerungsgewinne, wie sie vor allem von Politik und Banken mit Hinweis auf die internationale Verbreitung abgeltender Zinsbesteuerung gewünscht wird33, kein Fremdkörper

__________ 30 Sachverständigenrat (Fn. 15), Tz. 386. 31 Allgemein zu den Belastungswirkungen der Zinsbereinigung bei überrentierlicher Investition C. Dorenkamp, Nachgelagerte Besteuerung von Einkommen, Berlin 2004, S. 79 ff. 32 Insofern dürfte die Einschätzung des Sachverständigenrats, sein Modell sei finanzierungs- und „weitgehend“ rechtsformneutral (Fn. 15), Tz. 387, recht optimistisch sein. 33 Vgl. das hessische Modell einer Kapitalabgeltungs- und Kapitalrenditesteuer in Höhe von 17 %, dazu Schenk/Brusch, Eine neue Kapitalsteuer für Deutschland, DStR 2005, 1254.

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Dabei müsste es sich allerdings um eine relative Abgeltungssteuer mit Veranlagungswahlrecht handeln34, wenn eine Mehrbelastung von Sparern mit geringen Einkünften gegenüber der heutigen Rechtslage vermieden werden soll. Dies geht zu Lasten der mit der Abgeltungssteuer angestrebten Vereinfachungswirkung35. Zudem hängt das Ausmaß an Finanzierungsneutralität im Sachverständigenratsmodell entscheidend davon ab, ob und wie weit der Standardzins vom Marktzins abweicht. 3. Allgemeine Unternehmensteuer Von der Dualen Einkommensteuer und der Zinsbereinigung des Sachverständigenrats unterscheidet sich die von der Kommission Steuergesetzbuch der Stiftung Marktwirtschaft36 vorgeschlagene Allgemeine Unternehmensteuer vor allem in folgenden Punkten: Erstens wird die Abgrenzung zwischen Niedrigbesteuerung und progressiver Normalbesteuerung am Begriff der unternehmerischen Einkünfte festgemacht. Auf diese Weise werden auch die auf den Arbeitseinsatz des Unternehmers entfallenden Einkünfte, solange sie im Unternehmen thesauriert werden, begünstigt. Zweitens werden Personenunternehmen grundsätzlich denselben Besteuerungsregeln unterworfen wie Kapitalgesellschaften. Drittens werden Unternehmensgewinne nicht dauerhaft niedrig besteuert, sondern bei Ausschüttung ermäßigt nachbelastet, wobei sich die aus niedriger Unternehmensteuer und ermäßigter einkommensteuerrechtlicher Nachbelastung zusammengesetzte Gesamtbelastung am Einkommensteuerspitzensatz als Obergrenze orientiert. Besteuerungstheoretisches Ideal bleibt die synthetische Einkommensteuer gleicher Belastung aller Einkunftsarten. Die niedrige Besteuerung thesaurierter Unternehmensgewinne ist eine nicht von der Hand zu weisende Durchbrechung dieses Prinzips. Sie ist dem internationalen Wettbewerb geschuldet. Durch die Nachbelastung bei konsumtiver Verwendung unternehmerischer Gewinne soll aber zumindest eine Annäherung an die Belastung anderer Einkunftsarten stattfinden. Im Einzelnen ist vorgesehen, die Körperschaftsteuer zu einer Allgemeinen Unternehmensteuer fortzuentwickeln, der neben den heute in § 1 Abs. 1 KStG aufgeführten Körperschaftsteuersubjekten auch Personengesellschaften und Einzelunternehmen unterliegen, soweit sie unternehmerische Ein-

__________ 34 So z. B. – aber begrenzt auf Kleinsparer – M. Jachmann, in G. Schick (Hrsg.), Veranlagung – Abgeltung – Steuerfreiheit, Berlin 2003, S. 21. 35 Noch stärker würde das mit einer Abgeltungssteuer angestrebte Vereinfachungsziel gefährdet, wenn auch hier zwischen Normal- und Übergewinnen unterschieden würde, was aber wohl nicht vorgesehen ist, zumal bei „normalen“ Bankzinsen auch kein Bedürfnis für eine Aufteilung in Kapital- und Arbeitseinkommen über das Instrument der Normalverzinsung besteht. 36 S. die ausführliche Beschreibung des Modells der Stiftung Marktwirtschaft bei N. Herzig, in Festschrift H. O. Solms, Berlin 2005, S. 115 ff.

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künfte haben. Zugleich soll die Gewerbesteuer zu einer kommunalen Unternehmensteuer umgebaut werden, deren Bemessungsgrundlage mit der Bemessungsgrundlage der staatlichen Allgemeinen Unternehmensteuer übereinstimmt. Es gilt ein weiter, an § 2 Abs. 1 UStG orientierter Unternehmensbegriff. Die heutigen Gewinneinkunftsarten (§§ 13, 15 und 18 EStG) werden als unternehmerische Einkünfte zusammengefasst. Auf Unternehmensebene wird der unternehmerische Gewinn rechtsformunabhängig nach einheitlichen Grundsätzen ermittelt; zur Vermeidung von Doppelbelastungen auf Unternehmensebene insbesondere unter Beibehaltung von § 8b Abs. 1 und 2 KStG. Auf den so ermittelten Gewinn wird der Thesaurierungssteuersatz von z. B. 25 % angewandt, der sich aus staatlicher und kommunaler Unternehmensteuer zusammensetzt. Ausgeschüttete Gewinne unterliegen beim Empfänger einer ermäßigten Nachbelastung, indem lediglich 34/63 der Dividende der Einkommensteuer unterworfen wurden, so dass die Gesamtbelastung maximal den Einkommensteuerspitzensatz erreicht37. Um Mehrbelastungen gegenüber der geltenden Rechtslage zu vermeiden, gelten daneben Sonderregeln für Personenunternehmen. Zum einen können Entnahmen des laufenden Gewinns von der unternehmensteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage abgezogen werden, um eine Mehrbelastung im Bereich der Progressionszone zu vermeiden. Auf diese Weise soll zudem eine Ausweitung der vGA-Problematik auf Personenunternehmen weitgehend vermieden werden. Zum anderen erhalten Unternehmen mit niedrigen Gewinnen38 und geringem Thesaurierungsbedarf die Möglichkeit, in der Einkommensteuer zu verbleiben. Auf diese Weise wird der administrative Aufwand einer Zwei-Ebenen-Besteuerung auf Unternehmens- und Unternehmerebene vermieden. Im Hinblick auf diese Sonderregeln wird der Allgemeinen Unternehmensteuer vorgeworfen, sie sei weder rechtsform- noch finanzierungsneutral39. In der Tat ist die Allgemeine Unternehmensteuer unter dem Gesichtspunkt der Finanzierungsneutralität nicht optimal, da sie die Eigenkapitalfinanzierung (jedenfalls in der Thesaurierungsphase) gegenüber der Fremdfinanzierung begünstigt. Diese Begünstigung gleicht sich durch die Nachbelastung

__________ 37 Dabei wird im Unterschied zum heutigen Recht in die Ermittlung der Nachbelastungsquote auch die kommunale Unternehmensteuer, die die heutige Gewerbesteuer ersetzen soll, einbezogen. 38 Über weitere Parameter (insb. Gesellschafterzahl, Umsatz) kann die Gruppe der „kleinen Unternehmen“ zusätzlich eingegrenzt werden. 39 Sachverständigenrat (Fn. 15) Tz. 390 ff.; S. Homburg, BB 2005, 2382 (2386). Ob die Allgemeine Unternehmensteuer einen Einsperreffekt entfaltet (so der Vorwurf von S. Homburg, a. a. O., 2385), hängt nicht allein vom Ausmaß der Spreizung zwischen Unternehmensteuersatz und Einkommensteuerspitzensatz ab, sondern vielmehr davon, ob es gelingt, die Nachbelastung auf die Fälle konsumtiver Verwendung zu begrenzen. Solange die Nachbelastung bei Reinvestition aufgeschoben wird, ist die Allokationsneutralität zwischen bestehenden und neuen Unternehmen nicht gefährdet.

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bei Ausschüttung zwar zum Teil wieder aus, allerdings bei zu hoher Nachbelastung mit der Gefahr der erneuten Verzerrung nunmehr zu Lasten der Eigenkapitalfinanzierung. Die Abstriche in der Erreichung von Finanzierungsneutralität sind der Preis für die Beschränkung der Niedrigbesteuerung auf den einbehaltenen unternehmerischen Gewinn. Das Urteil mangelnder Rechtsformneutralität hängt davon ab, wie man dieses Ziel definiert. Auch die Kommission Steuergesetzbuch hat sich zum Ziel gesetzt, Personenunternehmen nicht grundsätzlich höher zu belasten, als dies derzeit der Fall ist. Rechtsformneutralität wird nicht als Selbstzweck verstanden, sondern nur insofern angestrebt, als eine Gleichbehandlung mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowohl der in Wettbewerb stehenden Unternehmen als auch der hinter dem Unternehmen stehenden natürlichen Personen vereinbar ist. Dies erklärt sowohl das Instrument der transparenten Entnahme, nach der Entnahmen des laufenden Gewinns zur Berücksichtigung der einkommensteuerrechtlichen Progressionszone von der unternehmensteuerrechtlichen Bemessungsgrundlage abgezogen werden können, als auch die Kleinunternehmerregelung, die es Unternehmern, deren individueller Einkommensteuersatz unter dem Unternehmensteuersatz liegt, ermöglicht, in der Einkommensteuer zu bleiben. Wünschenswert wäre es im Zeichen der angestrebten Rechtsformneutralität, diese Regeln sowohl für Personenunternehmen als auch für Kapitalgesellschaften (jedenfalls für personenbezogene Kapitalgesellschaften, insb. die GmbH) zur Anwendung zu bringen. Eine transparente, auch teiltransparente Besteuerung der GmbH kollidiert aber mit der derzeitigen Konzeption der Doppelbesteuerungsabkommen, die als externes Datum den Reformüberlegungen Grenzen ziehen. 4. Tarifoptionen Wie das Sachverständigenratsmodell zielen Rücklagemodelle – auch als Tarifoption oder T-Modell bezeichnet40 – darauf, Personenunternehmen innerhalb des geltenden Dualismus der Unternehmensbesteuerung am niedrigen Thesaurierungssatz partizipieren zu lassen, indem Gewinne in eine ermäßigt besteuerte Rücklage eingestellt werden können. Wird die Rücklage aufgelöst, soll ermäßigt nachversteuert werden. Ein wesentlicher Fortschritt der Rücklagenmodelle der „zweiten Generation“ gegenüber dem noch in den Brühler Empfehlungen vorgeschlagenen Rücklagenmodell41 ist, dass die Entscheidung über die Einstellung in die ermäßigt besteuerte Rücklage nunmehr beim einzelnen Gesellschafter angesiedelt ist, so dass Konflikte auf Gesellschaftsebene vermieden werden. Der Charme dieser Modelle liegt aus

__________ 40 Wiss. Beirat Ernst & Young, BB-Forum, BB 2005, 1653 ff. 41 Brühler Empfehlungen zur Reform der Unternehmensbesteuerung, BMF-Schriftenreihe Heft 66 (1999), S. 82 ff.; ferner Planspiele, BMF-Schriftenreihe Heft 67 (1999), S. 44 ff.

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Sicht ihrer Befürworter ferner darin, Vorzüge des Personengesellschaftsrechts, wie insbesondere die Verlustverrechnung zwischen der ermäßigt besteuerten Unternehmensebene und der voll besteuerten Unternehmerebene, mit der Begünstigung thesaurierter Gewinne kombinieren zu können. Je flexibler zudem die Zuführung zu der ermäßigt besteuerten Rücklage geregelt wird, desto mehr Gestaltungsmöglichkeiten bieten sich. Eine weitere Triebfeder einer einkommensteuerrechtlichen Lösung dürfte darin liegen, die erbschaftsteuerrechtlichen Vorteile des Personenunternehmens nicht durch eine Gleichstellung mit der Kapitalgesellschaft zu gefährden. Rücklagemodelle fügen – allerdings auch ohne dass sie den Anspruch nach Vereinfachung erheben42 – dem bereits heute komplexen Steuerrecht der Personengesellschaft eine weitere Komplizierung hinzu. Sie sind durchaus geeignet, eine Diskriminierung von Personenunternehmen zu verhindern, verwirklichen aber keine Rechtsformneutralität, da es beim Dualismus der Unternehmensbesteuerung bleibt und nunmehr Personenunternehmen in nicht unerheblichem Maße gegenüber Kapitalgesellschaften privilegiert werden. Dies ist gerade für die Rechtsform der GmbH & Co. KG nicht einzusehen, da sie sich wirtschaftlich nur unwesentlich von der Kapitalgesellschaft unterscheidet43. 5. Option zur Körperschaftsteuer Auch der umgekehrte Weg optionaler Integration durch ein Wahlrecht für Personenunternehmen zur Körperschaftsteuer hält am geltenden Dualismus fest. Optionsrechte für Personenunternehmen zur Körperschaftsteuer sind im Zuge der Diskussion des Entwurfs eines Steuersenkungsgesetzes44 in Misskredit geraten45. Der damalige § 4a KStG-E enthielt vermeidbare Fehler (insb. die Körperschaftsteuerschuld der Gesellschafter unabhängig von der zivilrechtlichen Haftung46) sowie Fehler, die nicht im Optionsrecht selbst, sondern in den sonstigen Rahmenbedingungen, begründet sind (insb. Aufdeckung der stillen Reserven des Sonderbetriebsvermögens bei Optionsausübung sowie erbschaftsteuerrechtliche Nachteile aufgrund der Gleichstellung mit der Kapitalgesellschaft). Diese Fehler lassen sich vermeiden47. Problematisch bleibt ein bloßes Optionsrecht, weil es Personenunternehmen, ohne auf steuerlich relevante Unterschiede Rücksicht zu nehmen, demselben Regime unterwirft, wie es für Kapitalgesellschaften gilt. Die hier-

__________ 42 43 44 45

Wiss. Beirat Ernst & Young, BB 2005, 1653 (1659): „geringste Verkomplizierung“. S. oben II.5. BT Drucks. 14/2683, 77. S. etwa J. Sigloch, StuW 2000, 160 (171); Hellio/Rädler, IStR 2000, 401 (403, 405); W. Schön, Stbg. 2000, 1 (5). 46 § 1 Abs. 1a S. 2 KStGE i. d. Fassung des StSenkG-E, BT Drucks. 14/2683. 47 S. dazu auch C. Dorenkamp, in DStJG-Sonderband, Unternehmenssteuerreform, Köln 2001, S. 61 (81 f.).

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durch verursachten Friktionen werden ganz besonders deutlich beim Einzelunternehmer, der zivilrechtlich nicht zur Vereinbarung von Leistungsvergütungen in der Lage ist, so dass insoweit nur mit fiktiven Leistungsbeziehungen gearbeitet werden kann. Zwar kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass es, solange die Körperschaftsteuerpflicht optional ist, keiner Sonderregeln bedarf, da der Unternehmer sich nur dann für die Körperschaftsteuerpflicht entscheiden wird, wenn diese nach sorgfältiger Abwägung der Vor- und Nachteile insgesamt für ihn günstig ist. Indes raubt die Notwendigkeit komplexer Vor- und Nachteilsanalysen der Option ihrer Effizienz. Im Zweifel wird nicht optiert werden. Darüber hinaus zieht der optionsbedingte Wechsel zwischen den Regimen ähnlich komplexe Rechtsfolgen nach sich wie im Fall der Umwandlung und eröffnet Gestaltungsmöglichkeiten. Vor allem die Komplexität macht die Körperschaftsteueroption zur second best Lösung48. 6. Erweiterung der Körperschaftsteuerpflicht auf einzelne Personengesellschaften Arndt Raupach hat darauf hingewiesen, dass das Transparenzprinzip gerade für kapitalistisch organisierte Personengesellschaften nicht passe49. Soweit Entnahmen gesellschaftsrechtlich begrenzt sind, ist die sofortige und unmittelbare Zurechnung mit der Folge der persönlichen Einkommensteuerpflicht auf den Gewinnanteil der Gesellschafter gerade nicht Ausdruck der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dies gilt mit umgekehrten Vorzeichen in gleicher Weise für die sofortige und ummittelbare Verlustzurechnung ohne entsprechende persönliche Inanspruchnahme des Gesellschafters. Daraus lässt sich – wie dies etwa in Frankreich der Fall ist50 – folgern, jedenfalls den Kommanditisten zwingend der Körperschaftsteuer zu unterwerfen. Resultat wäre allerdings eine ähnlich hybride Besteuerungsstruktur wie bei der KGaA (§ 9 Abs. Nr. 1 KStG) mit einiger Kompliziertheit und Qualifikationskonflikten sowie Gestaltungspotential im Auslandssachverhalt. Deshalb sollte man noch einen Schritt weitergehen und GmbH & Co. KG, welche die Voraussetzungen des § 264a HGB erfüllen, insgesamt zwingend der Körperschaft unterwerfen. Zwar ließe sich die Körperschaftsteuerpflicht durch Aufnahme einer natürlichen Person als weiterer voll haftender Gesellschafter umgehen, der typische Fall der GmbH & Co. KG wäre aber erfasst.

__________ 48 Für ein auf große Personengesellschaften beschränktes Optionsrecht S. Homburg, BB 2005, 2382 (2386). 49 Z. B. A. Raupach, Perspektiven für den Steuerstandort Deutschland, StuW 2000, 341 (358 f.). 50 Dazu E. Bippus, DStZ 1998, 749 ff.; dies., DStZ 2000, 541 ff.; Hellio/Rädler, IStR 2000, 401 ff.; kritisch bzgl. der Übertragbarkeit auf Deutschland H. Hahn, DStR 1999, 833 ff.

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Für die Anknüpfung der zwingenden Anwendung des Trennungsprinzips an die Haftung51 spricht, das in den Fällen beschränkter Haftung eine sofortige Zurechnung der Verluste nicht geboten ist und es insofern trotz § 15a EStG, der – wenngleich er nicht obsolet würde, so doch erheblich an Bedeutung verlöre – derzeit zu einer unberechtigten Begünstigung der Personengesellschaft gegenüber der Kapitalgesellschaft kommt. Unabhängig von weitergehenden Reformüberlegungen spricht damit vieles dafür, jedenfalls die GmbH & Co. KG zwingend in die Körperschaftsteuer einzubeziehen.

IV. Keine Unternehmenssteuerreform ohne Gewerbesteuerreform! Die wohl größte Hürde auf dem Weg hin zu einer wettbewerbsfähigen und gleichzeitig effizienteren und neutraleren Unternehmensbesteuerung stellt die Gewerbesteuer dar, über deren verzerrende Wirkungen ebenso Einigkeit besteht wie über die Reformnotwendigkeit. Unabhängig von den Neutralitätsdefiziten ist eine wettbewerbsfähige Unternehmenssteuerbelastung unter Beibehaltung der Gewerbesteuer bereits wegen des Ausmaßes der kommunalen Belastung unrealistisch. Um bei unveränderter Belastung mit Gewerbesteuer eine Gesamtbelastung (Gewerbesteuer, Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag) von rund 25 % zu erreichen, müsste der Körperschaftsteuersatz auf 10 % gesenkt werden52. Mit dem Viersäulenmodell einer Kommunalfinanzreform der Stiftung Marktwirtschaft53 liegt ein Reformvorschlag vor, der außer bei den kommunalen Spitzenverbänden54 auf breite Zustimmung stößt55. Dennoch wird angesichts der Reformresistenz56 der Gewerbesteuer erörtert, inwieweit sich die einzelnen Unternehmenssteuerreformvorschläge ohne gleichzeitige Reform der Gewerbesteuer verwirklichen lassen. Sowohl die Advokaten der Tarifoption als auch der Sachverständigenrat nehmen für sich in Anspruch, notfalls auch ohne Reform der Gewerbesteuer auszukommen. Damit wird

__________ 51 Dazu J. Hennrichs, Dualismus der Unternehmensbesteuerung aus gesellschaftsrechtlicher und steuersystematischer Sicht, StuW 2002, 201 (210 f.), der aber zu Recht die Anknüpfung an das formale Kriterium der Haftungsbeschränkung noch für zu eng hält, da auch der unbeschränkt haftende Gesellschafter eher eine Bürgenstellung innehat und in der Regel erst dann in Anspruch genommen wird, wenn das Gesellschaftsvermögen zur Begleichung der Schulden nicht mehr ausreicht. Dies spricht auch hier gegen eine sofortige Verlustzurechnung. 52 Bei 400 % Hebesatz Gesamtbelastung von 25,46 % (100 Gewinn ./. 16,66 GewSt = 83,33 ./. 8,33 Körperschaftsteuer (10 %) = 75 ./. 0,46 Solidaritätszuschlag). 53 Modellbeschreibung im Gemeindefinanzbericht 2005, Der Städtetag 5/2005, 30 f. 54 M. Kuban, Der Städtetag 5/2005, 1; Gemeindefinanzbericht 2005, Der Städtetag 5/2005, 31 ff. 55 Ausdrücklich unterstützt vom Sachverständigenrat (Fn. 15), Tz. 376. 56 Zum Scheitern der Gewerbesteuerreformbemühungen der Jahre 2002/2003 s. H. Karrenberg, Gemeindefinanzbericht 2003 – Gemeindefinanzreform vor dem Scheitern?, KStZ 2003, 161.

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jedoch ein falscher Eindruck vermittelt. Theoretisch lässt sich jedes Reformmodell, wenn es allein um die Senkung der Belastung unternehmerischer Gewinne unter Einbeziehung von Personenunternehmen geht, unter Beibehaltung bzw. bei nur geringfügiger Modifikation der Gewerbesteuer verwirklichen. Doch wäre allein mit der Senkung der Belastung nicht viel gewonnen57. Im Gegenteil, eine auf Neutralität bedachte Reform von Körperschaft- und Einkommensteuer wirkt sich, wenn nur das staatliche Belastungsniveau reduziert wird, kaum noch aus, weil die Gewerbesteuerbelastung dann die staatliche Belastung deutlich überwiegt58. Damit wird der Erfolg jeder Unternehmenssteuerreform in Frage gestellt. Ohne Gewerbesteuerreform lassen sich die Ineffizienzen des geltenden Unternehmenssteuerrechts nicht überwinden. Möglicherweise verhilft gerade diese Erkenntnis auch der Politik zu dem nötigen Mut, die Auseinandersetzung mit den kommunalen Spitzenverbänden aufzunehmen und diese davon zu überzeugen, die volatile Gewerbesteuer durch eine stetige und verlässliche Einnahmequelle in Form einer breiten kommunalen Unternehmensteuer sowie zur weiteren Einnahmestabilisierung einer Beteiligung am Lohnsteueraufkommen einzutauschen.

__________ 57 Verharmlosend Sachverständigenrat (Fn. 15), Tz. 378 „Abstriche beim Ausmaß der Zielerreichung“. 58 Ebenso N. Herzig, in Festschrift für H. O. Solms, Berlin 2005, S. 115 (116).

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Liebhaberei bei Kapitalgesellschaften Inhaltsübersicht I. Problemstellung II. Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte des § 8 Abs. 2 KStG III. Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz IV. Wertungswidersprüche zu § 2 Abs. 2 GewStG V. Fehlen einer dem § 12 EStG vergleichbaren Regelung im KStG

VII. Zum Verhältnis von Liebhaberei und verdeckter Gewinnausschüttung VIII. Zur Prüfung einer Gewinnerzielungsabsicht bei Kapitalgesellschaften IX. Die „reine“ Liebhabereigesellschaft X. Die „gemischte“ Kapitalgesellschaft mit außerbetrieblicher Sphäre XI. Ergebnis

VI. Anwendbarkeit der Liebhabereigrundsätze bei Kapitalgesellschaften

I. Problemstellung Im Einkommensteuerrecht ist seit langem anerkannt, dass der Tatbestand der Einkünfteerzielung nach § 2 Abs. 1 EStG eine Gewinn- bzw. Einkünfteerzielungsabsicht voraussetzt. In seinem Grundsatzbeschluss vom 25. 6. 1984 hat der Große Senat des BFH dies wie folgt begründet1: „Bei der Ermittlung des Einkommens für die Einkommensteuer sind nur solche positiven oder negativen Einkünfte anzusetzen, die unter die Einkünfte des § 2 Abs. 3 Nrn. 1 bis 7 EStG fallen. Kennzeichnend für diese Einkunftsarten ist, daß die ihnen zugrunde liegenden Tätigkeiten oder Vermögensnutzungen auf eine größere Zahl von Jahren gesehen der Erzielung positiver Einkünfte oder Überschüsse dienen. Fehlt es an dieser Voraussetzung, so fallen die wirtschaftlichen Ergebnisse auch dann nicht unter eine Einkunftsart, wenn sie sich ihrer Art nach unter § 2 Abs. 3 EStG einordnen ließen. Verluste, die dem Steuerpflichtigen durch ein solches unter keine Einkunftsart fallendes Verhalten – auch als Liebhaberei bezeichnet – entstehen, wirken sich ebenso wenig einkommensmindernd aus, wie etwaige Gewinne oder Überschüsse daraus das steuerpflichtige Einkommen erhöhen. Dies folgt aus dem Zweck des EStG, Mittel für die öffentliche Hand zu beschaffen und dabei den Steuerpflichtigen entsprechend seiner Leistungsfähigkeit heranzuziehen. Dieser Zweck ist nur zu erreichen, wenn auf Dauer gesehen positive Einkünfte für die Besteuerung erfasst werden können.“

Da auch die Körperschaftsteuer als Einkommensteuer der juristischen Personen dem Zweck der staatlichen Einnahmenerzielung dient und das Körper-

__________ 1

Beschluss v. 25. 6. 1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751 (766).

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schaftsteuergesetz in den §§ 7 Abs. 2, 8 Abs. 1 für die Einkommensermittlung auf die Vorschriften des Einkommensteuergesetzes verweist, müssten diese Grundsätze eigentlich auch bei der Einkommensbesteuerung von juristischen Personen gelten. In der Tat wird im steuerlichen Schrifttum allgemein angenommen, dass z. B. rechtsfähige Vereine eine körperschaftsteuerrechtlich irrelevante außerbetriebliche Sphäre, also eine „Liebhabereisphäre“ haben können2. Grundsätzlich anders entscheidet hingegen der I. Senat des BFH für Kapitalgesellschaften. Seit dem grundlegenden „Segelyacht“-Urteil vom 4. 12. 19963 geht er – in Abweichung von seiner früheren Judikatur4 – in ständiger Rechtsprechung unter Hinweis auf § 8 Abs. 2 KStG davon aus, dass eine unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige5 Kapitalgesellschaft „steuerlich gesehen“ keine außerbetriebliche Sphäre haben könne6. Diese Auffassung hat zunächst zur Folge, dass bei Kapitalgesellschaften alle Erträge und Aufwendungen – also auch solche aus Tätigkeiten ohne Gewinnerzielungsabsicht – im Grundsatz körperschaftsteuerrechtlich beachtlich sind. Betreibt also eine Kapitalgesellschaft z. B. ein Gestüt als steuerliche Liebhaberei, dann sind nach Ansicht des I. Senats die Aufwendungen für den Betrieb des Gestüts auf der ersten Stufe der steuerlichen Gewinnermittlung immer als Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Es ist nicht zu übersehen, dass diese Rechtsprechung die Gewinnermittlung bei Kapitalgesellschaften einerseits zunächst erheblich vereinfacht, weil sie streitanfällige Abgrenzungsfragen bei verlustbringenden Engagements in Hinsicht auf den Betriebsausgabenabzug von vornherein ausschließt. Andererseits will auch der I. Senat bei verlustbringenden Tätigkeiten nicht ganz auf eine Einkommenskorrektur verzichten. Diese soll aber erst auf der zweiten Stufe, bei der Abgrenzung zwischen Gesellschafts- und Gesellschaftersphäre mittels des Rechtsinstituts der verdeckten Gewinnausschüttung erfolgen: Hält die Kapitalgesellschaft ein Wirtschaftsgut im Interesse eines oder mehrerer Gesellschafter und entstehen ihr nur aus diesem Anlass Verluste, ohne dass sich der oder die Gesellschafter zu einem Verlustausgleich zuzüglich der Zahlung eines angemessenen Gewinnaufschlags verpflichtet haben, so liegt nach Ansicht des I. Senats in dem Verzicht auf die Vereinbarung eines Aufwendungsersatzanspruchs in Höhe des im jeweiligen Veranlagungszeitraum angefalle-

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Statt vieler Geiger in Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, Kommentar zum KStG, § 8 Abs. 2 n. F. Rz. 39; Schulte in Erle/Sauter, KStG, 2003, § 8 Rz. 50a; vgl. auch Herzig/Dötsch, FS 40 Jahre Der Betrieb, 1988, S. 115, 145 ff. BFH v. 4. 12. 1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123. Vgl. BFH v. 4. 3. 1970 – I R 123/68, BStBl. II 1970, 470. Zur Anerkennung einer Liebhabereisphäre bei beschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaften mangels Anwendbarkeit des § 8 Abs. 2 KStG vgl. BFH v. 7. 11. 2001 – I R 14/01, BStBl. II 2002, 861mit BMF-Schreiben v. 11. 12. 2002, BStBl. I 2002, 1394 und Kommentaren von Gosch und Lüdicke, DStR 2002, 671. Vgl. auch BFH v. 8. 7. 1998 – I R 123/97, BFHE 186, 540; BFH v. 6. 7. 2000 – I B 34/00, BStBl. II 2002, 490; BFH v. 8. 8. 2001 – I R 106/99, FR 2002, 79; BFH v. 15. 5. 2002 – I R 92/00, FR 2002, 1175 mit Kommentar von Pezzer, FR 2002, 1177 f.

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nen Verlustes zuzüglich eines angemessenen Gewinnaufschlags eine verdeckte Gewinnausschüttung im Sinne des § 8 Abs. 3 S. 2 KStG. Für die Abgrenzung zwischen „echten“ betrieblich veranlassten Verlusten und einer verlustbringenden Tätigkeit im Interesse der Gesellschafter sollen nach Ansicht des I. Senats wiederum die allgemeinen ertragsteuerlichen Grundsätze über Liebhabereibetriebe entsprechend gelten7. Eine Gewinnkorrektur nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG setzt allerdings immer voraus, dass die Minderung des Unterschiedsbetrages nicht nur durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, sondern auch die Eignung besitzt, beim Gesellschafter einen Vorteil in Gestalt eines sonstigen Bezugs nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 KStG auszulösen8. Fehlt es daran, z. B. weil die Kapitalgesellschaft eine (verlustträchtige) „öffentliche Aufgabe“ übernimmt, bleiben die entsprechenden Aufwendungen körperschaftsteuerrechtlich relevant9. Ist – wie in den meisten Fällen – eine „Vorteilsgeneigtheit“ dagegen zu bejahen, beschränkt sich die Einkommenskorrektur nach Ansicht des I. Senats – anders als bei Anwendung von Liebhabereigrundsätzen – nicht auf eine Hinzurechnung der betreffenden Aufwendungen, sondern umfasst auch einen angemessenen Gewinnaufschlag für die Übernahme der verlustbringenden Tätigkeit, wie ihn ein „ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter“ verlangt hätte10. Regelmäßig sind dann auch in dieser Höhe (Fremdvergleichspreis) bei den Gesellschaftern einkommensteuerpflichtige Vorteile nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG anzunehmen, die bei diesen der Besteuerung nach dem Halbeinkünfteverfahren unterliegen. Die neuere Rechtsprechung des I. Senats hat im Schrifttum nicht nur Zustimmung erfahren11, sondern ist auch auf deutliche Kritik gestoßen12. So ist der Einwand erhoben worden, die Sonderbehandlung von Kapitalgesellschaf-

__________ 7 So ausdrücklich nunmehr BFH v. 15. 5. 2002, FR 2002, 1175. 8 Ständige Rechtsprechung seit BFH v. 7. 8. 2002 – I R 2/02, BStBl. II 2004, 131. 9 Vgl. zu dieser Fallkonstellation die Entscheidung des BFH v. 17. 11. 1999 – I R 4/99, BFH/NV 2000, 1502; siehe auch Streck, FS Wassermeyer, 2005, 103, 108 ff. 10 Vgl. BFH v. 4. 12. 1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123. 11 Vgl. aus dem neueren Schrifttum zustimmend Gosch, KStG, 2005, § 8 Rz. 955; Frotscher, KStG, Anhang zu § 8 Stichwort „Liebhaberei“; Oppenländer, Verdeckte Gewinnausschüttung, 2004, S. 62 ff., 94 ff.; Seeger, FS Wassermeyer, 2005, S. 81 ff.; Stolterfoht, FS Kruse, 2001, S. 485 ff.; Geiger (Fn. 2), § 8 Abs. 2 nF Rz. 31 ff.; Rengers in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 8 Rz. 63; Herzig, DStJG 28 (2005), 185, 189 f.; aus der Zeit vor dem Segelyacht-Urteil grundlegend Wassermeyer, FS Haas, 1996, S. 401 ff.; siehe auch Thiel/Eversberg, DStR 1993, 1881; Rüd, DStR 1994, 1874; Flies, StBP 1997, 121; Schuck, FR 1992, 537; Lohaus, StuW 1989, 358; Herzig/Dötsch (Fn. 2), S. 148 f. 12 Ablehnend Weber-Grellet, DStR 1994, 12; ders., DStR 1998, 873; Pezzer, StuW 1998, 76; Schön in Festgabe Flume, 1998, S. 265, 269 ff.; Hey in Tipke/Lang, 18. Aufl. 2005, S. 401; Schwedhelm in Streck, KStG, 6. Aufl. 2003, § 8 Rz. 29 und 150 Stichwort: „Liebhaberei“; Schulte (Fn. 2), § 8 Rz. 43 ff.; Reiß, StuW 2003, 21, 30 f.; kritisch aus österreichischer Perspektive auch Stangl, Die außerbetriebliche Sphäre von Kapitalgesellschaften, 2004, S. 101 ff.

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ten führe zu einer „Spaltung des Steuerobjekts der Körperschaftsteuer“13 und könne unerwünschte Konsequenzen für andere Fragen, z. B. die Gewährung von Investitionszulagen, haben14. Ferner ist dem BFH vorgehalten worden, seine Rechtsprechung unterstelle einer Kapitalgesellschaft zu Unrecht eine Gewinnerzielungsabsicht und führe letztlich zu einer Soll-Ertrags-Besteuerung15. Darüber hinaus ist zu fragen, weshalb der Tatbestand der Liebhaberei bei Kapitalgesellschaften zu anderen Rechtsfolgen führen soll als z. B. bei natürlichen Personen und Personengesellschaften16. Bemerkenswert ist schließlich, dass der österreichische VwGH trotz einer ähnlichen Rechtslage die Liebhaberei bei Kapitalgesellschaften anerkannt hat17. Der nachfolgende Beitrag zu Ehren von Arndt Raupach geht der Frage nach, ob der neueren Rechtsprechung des I. Senats zu folgen ist oder ob auch Kapitalgesellschaften eine steuerliche Liebhabereisphäre haben können.

II. Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte des § 8 Abs. 2 KStG Der I. Senat des BFH sieht die gesetzliche Grundlage seiner Auffassung in einer weiten Auslegung des § 8 Abs. 2 KStG. Dies ist insoweit zutreffend, als sich eine Sonderbehandlung der Liebhaberei bei Kapitalgesellschaften allein auf diese besondere Gewinnermittlungsvorschrift stützen lässt18, da für andere Körperschaften die Trennung zwischen betrieblicher und außerbetrieblicher Sphäre allgemein anerkannt ist19. Nach § 8 Abs. 2 KStG sind bei buchführungspflichtigen Steuerpflichtigen „alle Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln“. Dem Wortlaut der Regelung selbst lässt sich zur Frage der „außerbetrieblichen Sphäre“ von Kapitalgesellschaften nichts entnehmen20. So kann man den Begriff „alle Einkünfte“ weit verstehen und ihn mit dem I. Senat auf jedwede Tätigkeit von Kapitalgesellschaften beziehen. Die Gesetzessystematik, insbesondere die Verweisung in § 8 Abs. 1 KStG auf die Vorschriften des EStG, spricht dagegen eher für eine einschränkendes Verständnis des Begriffs „alle Einkünfte“ als „Einkünfte im Sinne von § 2 Abs. 1 EStG“. Bei einer solchen Interpretation würde die Regelung des § 8 Abs. 2 KStG folglich nur die Einkünftequalifikation und die Einkünfteermittlung bei Kapitalgesellschaften betreffen und die äußere Grenze der sachlichen Körperschaftsteuerpflicht nicht über den von § 8 Abs. 1

__________ 13 14 15 16 17

So der Vorwurf von Hey (Fn. 12), S. 401. Dazu Weber-Grellet, DStR 1998, 873, 877. In dieser Richtung vor allem Schön (Fn. 12), S. 269. Vgl. dazu Pezzer, FR 2002, 1177, 1178. Vgl. öVwGH v. 20. 6. 2000 (98/15/0169, 0170-7), vgl. dazu Bruckner, ÖStZ 2003, 110; ferner ausführlich Stangl (Fn. 12), passim. 18 So bereits Wassermeyer (Fn. 11), S. 401. 19 Vgl. Nachweise in Fn. 2. 20 Ebenso Wassermeyer (Fn. 11), S. 401.

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KStG, § 2 Abs. 1 EStG gezogenen Rahmen hinaus erweitern. Bei allen Schwierigkeiten, die mit einer solchen „Umqualifikation“ verbunden sind21, wären jedenfalls Tätigkeiten ohne Einkünfteerzielungsabsicht auch bei Kapitalgesellschaften nicht steuerbar. Diese Interpretation hätte den – auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten wichtigen – Vorzug, dass der sachliche Umfang der Körperschaftsbesteuerung nicht von der Art des Steuersubjekts (Kapitalgesellschaft oder Verein) abhängt. Schließlich ist anzumerken, dass nur diese Auslegung dem Standpunkt des historischen Gesetzgebers entspricht, der sich im Regierungsentwurf zum KStG 1977 ausdrücklich der damaligen Rechtsprechung des BFH angeschlossen hatte22. Nach alledem sprechen somit Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der § 8 Abs. 1 und 2 KStG eher für als gegen eine außerbetriebliche Sphäre bei Kapitalgesellschaften23. Folglich bedürfte es schon gewichtiger weiterer Argumente, um die gesamte Tätigkeit von Kapitalgesellschaften als betrieblich zu qualifizieren24.

III. Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz Der I. Senat begründet seinen Standpunkt zunächst mit der in § 5 Abs. 1 EStG angeordneten Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz25. Nach § 238 Abs. 1 HGB erstrecke sich die Buchführungspflicht einer Kapitalgesellschaft als Formkaufmann nach § 6 HGB auf deren gesamtes Vermögen, d. h. es seien gemäß § 246 Abs. 1 HGB im Jahresabschluss sämtliche Vermögensgegenstände und Schulden zu erfassen, also auch solche, die einer potentiellen außerbetrieblichen Sphäre zuzuordnen wären. Folglich habe eine Kapitalgesellschaft auch steuerrechtlich nur „Betriebsvermögen“26. Dem BFH ist darin zuzustimmen, dass die Anerkennung einer außerbetrieblichen Sphäre bei Kapitalgesellschaften auch auf vermögensmäßiger Ebene nachvollzogen werden müsste und nicht – wie im Schrifttum vorgeschlagen worden ist27 – auf die Korrektur von Einnahmen und Ausgaben beschränkt

__________ 21 Vgl. noch BFH v. 4. 3. 1970 – I R 123/68, BStBl. II 1970, 470; kritisch zur „Umqualifikation“ allerdings Rüd, DStR 1994, 1874 ff. 22 BT-Drucks. 7/1470, S. 341: „Einnahmen und Ausgaben, die im Rahmen einer als Liebhaberei ausgeübten Tätigkeit anfallen, bleiben danach unberücksichtigt, weil sie keiner der im Einkommensteuergesetz bezeichneten Einkunftsarten zuzuordnen sind (vgl. BFH v. 4. 3. 1970 – I R 123/68, BStBl. II, 470).“ 23 Ebenso Reiß, StuW 2003, 21, 31, nach dessen Ansicht der Schluss des I. Senats aus § 8 Abs. 2 KStG „angesichts des Wortlauts zumindest mutig“ ist. 24 Im Ausgangspunkt auch Oppenländer (Fn. 11), S. 67. 25 Vgl. BFH v. 4. 12. 1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123. 26 Ebenso Wassermeyer (Fn. 11), S. 402 f.; Seeger (Fn. 11), S. 83; Frotscher (Fn. 11), § 8 Rz. 24; gegen eine vermögensmäßige Liebhabereisphäre auch Pezzer, StuW 1998, 76, 78 f. 27 Vgl. Pezzer, StuW 1998, 76, 78 f.

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werden kann28. Vielmehr ergibt die Annahme einer Liebhabereisphäre nur dann einen Sinn, wenn auch positive und negative Wertveränderungen im „Liebhabereivermögen“ steuerlich irrelevant sind. Dies lässt sich aber nur dadurch erreichen, wenn solches Vermögen nicht in die Steuerbilanz der Kapitalgesellschaften aufgenommen wird, was auf den ersten Blick dem Maßgeblichkeitsgrundsatz zu widersprechen scheint. Dieser Widerspruch löst sich aber auf, wenn man erkennt, dass handels- und steuerrechtliche Gewinnermittlung insoweit unterschiedlichen Zwecken dienen29. Eine natürliche Person, die einen größeren Getränkehandel trotz anhaltender Verluste aus privaten Gründen fortführt30, verliert nicht schon deshalb ihre Kaufmannseigenschaft nach § 1 HGB, weil ihre Tätigkeit steuerlich als Liebhaberei qualifiziert wird31. Sie muss richtigerweise ungeachtet ihrer privaten Motive für die Unternehmensfortführung im Rechtsverkehr die Vorschriften über den Handelskauf gegen sich gelten lassen und bleibt – schon aus Gründen des Gläubigerschutzes durch Eigeninformation und zu Dokumentationszwecken – nach § 238 HGB zur Führung von Büchern verpflichtet. Denn das Schutzbedürfnis des handelsrechtlichen Rechtsverkehrs und die Belange des Gläubigerschutzes werden nicht dadurch aufgehoben, dass der Unternehmensträger keinen Totalgewinn anstrebt. Diese handelsrechtliche Beurteilung ändert aber nichts daran, dass eine solche Betätigung einkommensteuerrechtlich irrelevant wäre und dieser Einzelkaufmann mangels gewerblicher Einkünfte nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 EStG auch eine Steuerbilanz nicht aufzustellen hat. Das unternehmerische Vermögen würde – ungeachtet des Maßgeblichkeitsgrundsatzes – der steuerlichen Privatsphäre zugeordnet. Für das Körperschaftsteuerrecht kann ungeachtet der Regelung über die Kaufmannseigenschaft einer GmbH (§ 6 Abs. 2 HGB, § 11 Abs. 3 GmbHG) nichts anderes gelten. Die gesellschaftsrechtlich zutreffende Feststellung, dass jede GmbH als Formkaufmann ungeachtet ihres Gesellschaftszwecks und Unternehmensgegenstandes im Interesse des Gläubigerschutzes und einer hinreichenden Kontrolle der Geschäftsführung durch die Gesellschafter mit ihrem gesamten Vermögen (einschließlich einer steuerlichen Liebhaberei) der handelsrechtlichen Rechnungslegungspflicht nach den §§ 238, 264 HGB unterliegt, kann für den Umfang der Körperschaftsbesteuerung nicht ausschlaggebend sein. Vielmehr ist die Frage nach der steuerlichen Gewinnermittlung (§§ 4, 5 EStG) gegenüber der Frage nach der Steuerbarkeit der Betätigung der GmbH nachrangig. Der Maßgeblichkeitsgrundsatz be-

__________ 28 So auch Schön (Fn. 12), S. 269. 29 Zutreffend Schön (Fn. 12), S. 269; vgl. bereits v. Wallis, StbJb 1970/71, S. 113, 124 ff. 30 Steuerliche Liebhaberei bejaht durch BFH v. 19. 11. 1985 – VIII R 4/83, BStBl. II 1986, 289. 31 Zur – umstrittenen – Entbehrlichkeit einer Gewinnerzielungsabsicht für den Kaufmannsbegriff nach § 1 HGB statt vieler K. Schmidt, Handelsrecht, 5. Aufl. 2002, § 9 IV 2 b, d; Baumbach/Hopt, § 1 Rz. 16 mit weiteren Nachweisen.

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gründet folglich noch nicht, weshalb es Liebhaberei bei Kapitalgesellschaften nicht geben kann.

IV. Wertungswidersprüche zu § 2 Abs. 2 GewStG Nicht überzeugend ist auch der Hinweis des I. Senats auf mögliche Wertungswidersprüche zwischen § 8 Abs. 2 KStG und der Gewerbebetriebsfiktion des § 2 Abs. 2 GewStG, die sich bei Anerkennung einer außerbetrieblichen Sphäre von Kapitalgesellschaften ergeben könnten. Gewerbesteuerrechtliche Vorschriften sind kaum geeignet, Grundfragen des Einkommen- und Körperschaftsteuerrechts zu präjudizieren32. Vor allem könnten solche Wertungswidersprüche auch einfach dadurch vermieden werden, dass die Rechtsprechung ihre bisherige Auslegung des § 2 Abs. 2 GewStG überdenkt.

V. Fehlen einer dem § 12 EStG vergleichbaren Regelung im KStG Nach Ansicht des I. Senat soll ferner das Fehlen einer dem § 12 Nr. 1 EStG vergleichbaren Regelung im KStG dafür sprechen, dass der Gesetzgeber das Vorhandensein einer außerbetrieblichen Sphäre bei Kapitalgesellschaften verneint hat33. Dieses Argument ist schon deshalb wenig überzeugend, weil der historische Gesetzgeber des KStG 1977 – wie oben bereits dargelegt – ausdrücklich von einem gegenteiligen Standpunkt ausgegangen ist34. Wenn der I. Senat zudem feststellt, der Gesetzgeber des KStG 1977 habe nur den Regelungsgehalt des § 12 Nr. 3 und 4 EStG in § 10 Nr. 2 und 3 KStG übernommen, so bleibt die Vorschrift des § 10 Nr. 1 KStG unberücksichtigt, die nach Ansicht des BFH eine dem § 12 Nr. 1 EStG entsprechende Funktion hat und auf alle Körperschaften anzuwenden ist35. Daher müsste man, wenn das Argument des BFH zuträfe, auch bei anderen Körperschaften (Stiftungen, Vereine) eine außerbetriebliche Sphäre ablehnen, was aber so bislang von niemandem vertreten wird. Dem I. Senat ist auch darin zu widersprechen, dass die Annahme einer „Privatsphäre“ bei natürlichen Personen und Personengesellschaften erst konstitutiv durch § 12 Nr. 1 EStG begründet wird36. Für die Frage, ob eine einkommensteuerbare Tätigkeit vorliegt, kommt es ausschließlich darauf an, ob der Steuerpflichtige die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 EStG verwirklicht. § 12 Nr. 1 EStG betrifft nur die Abgrenzung der Erwerbssphäre von der Privatsphäre und enthält in Satz 2 – je nach

__________ 32 33 34 35 36

Ablehnend auch Oppenländer aaO (Fn. 11), S. 67. Vgl. BFH v. 4. 12. 1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123. Vgl. Gesetzesbegründung zum KStG 1977 (Fn. 22). Dazu BFH v. 24. 3. 1993 – I R 27/92, BStBl. II 1993, 637. Siehe auch die Kritik bei Weber-Grellet, DStR 1994, 12, 16 und Schön (Fn. 12), S. 269.

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Auslegung dieser Regelung37 – konstitutive oder deklaratorische Regelungen über die Behandlung gemischter Aufwendungen. Einer solchen Abgrenzungsregelung bedarf es bei Kapitalgesellschaften deshalb nicht, weil Kapitalgesellschaften und andere juristische Personen im Unterschied zu natürlichen Personen weder Kleidung benötigen noch Reisen unternehmen, also keine private Lebensführung im Sinne von § 12 Nr. 1 EStG haben. Zudem beruht die steuerliche Irrelevanz von Liebhabereiaufwendungen bei Personenunternehmen nicht auf § 12 Nr. 1 EStG, sondern – wie die Argumentation des Großen Senats zeigt38 – vorrangig auf einer Auslegung des § 2 Abs. 1 EStG.

VI. Anwendbarkeit der Liebhabereigrundsätze bei Kapitalgesellschaften Hinter dem Hinweis des I. Senats auf § 12 Nr. 1 EStG versteckt sich aber möglicherweise ein anderer Gedanke, der auch im Schrifttum wiederholt gegen die Möglichkeit einer außerbetrieblichen Sphäre bei Kapitalgesellschaften angeführt worden ist. So ist eingewandt worden, dass die Grundsätze über die steuerliche Liebhaberei auf Kapitalgesellschaften nicht anwendbar seien, da Kapitalgesellschaften als juristische Personen weder Triebe noch Sinne hätten und folglich auch keine persönlichen Neigungen durch Konsum befriedigen könnten39. Dieser Auffassung hat – zum österreichischen Recht40 – bereits der öVwGH in seinem Erkenntnis vom 22. 9. 1987 widersprochen41. Danach treffe es zwar vielfach zu, dass es sich bei Liebhaberei um Aufwendungen für die Lebensführung handele und es bei der Liebhaberei auch um die Abgrenzung von Einkunftsquellen von der Privatsphäre gehen könne. Dies sei jedoch nicht der für die Annahme einer steuerlich unbeachtlichen Liebhaberei tragende Gedanke. Tragend und entscheidend sei vielmehr die Überlegung, dass der Einkunftsbegriff positive Ergebnisse voraussetzt und dass deshalb eine Tätigkeit, die auf Dauer gesehen objektiv ungeeignet ist, solche Ergebnisse zu erbringen, nicht zu einkommenswirksamen Einkünften führen kann.

__________ 37 Vgl. dazu die Übersicht zum Meinungsstand bei Drenseck in L. Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 12 Rz. 11 ff. 38 BFH v. 25. 6. 1984 – Grs 4/82, BStBl. II 1984, 751. 39 So etwa Schuck, FR 1992, 537, 540: Die juristische Person habe „kein Gewissen, keine Konfession, keine Passion und keine Neigung“. 40 Zur Liebhaberei und zum Liebhabereibegriff im österreichischen Steuerrecht eingehend Stoll, Verluste und Verlustquellen im Steuerrecht, 1989. 41 ÖVwGH v. 22. 9. 1987 – 86/14/0196, ÖStZB 1988, 152; dazu Stangl (Fn. 12), S. 28; Stoll (Fn. 40), 231 ff.; zur Anwendung der Liebhabereigrundsätze auf Kapitalgesellschaften vgl. § 5 der österreichischen Liebhabereiverordnung, der nur bestimmte Körperschaften (z. B. Betriebe gewerblicher Art) von der Anwendung ausnimmt.

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Für das deutsche Steuerrecht gilt nichts anderes. Zwar kann nach der Rechtsprechung des BFH zum Einkommensteuerrecht aus einer objektiv negativen Gewinnprognose nur dann auf das Fehlen der Gewinnerzielungsabsicht geschlossen werden, wenn die „verlustbringende Tätigkeit typischerweise dazu bestimmt und geeignet ist, der Befriedigung persönlicher Neigungen oder der Erlangung wirtschaftlicher Vorteile außerhalb der Einkunftssphäre zu dienen“42. Dies bedeutet aber nicht, dass Kapitalgesellschaften keine steuerliche Liebhaberei haben können. Die Einsicht, dass eine Körperschaft selbst „keiner Liebhaberei im Sinne eines Hobbys nachgehen kann“43, steht der Anwendung der Liebhabereigrundsätze nicht entgegen. Es ist selbstverständlich, dass – wie auch der I. Senat im Segelyacht-Urteil44 ausführt – eine „Kapitalgesellschaft als juristische Personen keine eigenen Interessen verfolgt“, sondern „ihre“ Interessen von den hinter ihr stehenden Gesellschaftern vorgegeben erhält. Daher sind es immer die „Neigungen“ der Gesellschafter, die über die Festlegung der Satzung und den Einfluss auf die Geschäftsführung den Zweck und die Tätigkeit einer Kapitalgesellschaft bestimmen. Dies gilt ganz unabhängig davon, ob eine Kapitalgesellschaft zu erwerbswirtschaftlichen, gemeinnützigen oder eigennützigen Konsumzwecken der Gesellschafter errichtet wird. Da eine GmbH nach § 1 GmbHG „zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck“ errichtet werden kann, gehört ein Gewinnstreben – wie schon der Fall der gemeinnützigen GmbH zeigt – auch keineswegs „zum Wesen einer Kapitalgesellschaft“45. Auch der Satz, „die Tätigkeit einer GmbH sei üblicherweise auf die Erzielung eines Gewinns gerichtet“46, vermag als rechtstatsächliche Beobachtung für den Regelfall zutreffend sein, hilft aber für die steuerrechtliche Würdigung andersartiger Sachverhalte nicht weiter. Eine unmittelbare Anwendung der Liebhabereigrundsätze auf Kapitalgesellschaften ist auch deshalb geboten, weil – wie der I. Senat in seiner früheren Rechtsprechung erkannt hat47 – nur auf diese Weise eine rechtsformneutrale Beurteilung gleichartiger Sachverhalte bei Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften erreicht werden kann:48 Verlagert eine Privatperson ihre steuerlich irrelevante Liebhaberei (z. B. eine Pferdezucht) auf eine GmbH, so kann sich die steuerliche Beurteilung der Tätigkeit als Liebhaberei nicht allein durch den Rechtsträgerwechsel ändern49. Es ist nicht erkennbar, war-

__________ 42 Vgl. BFH v. 31. 5. 2001 – IV R 81/99, BStBl. II 2002, 276; BFH v. 26. 2. 2004 – IV 43/02, BStBl. II 2004, 455. 43 So BFH v. 2. 11. 1965 – I 221/62 S, BStBl. III 1966, 255. 44 BFH v. 4. 12. 1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123 (129). 45 So Gosch (Fn. 11), § 8 Rz. 1036. 46 Vgl. BFH v. 15. 8. 1968 – I R 83/65, BStBl. II 1969, 14. 47 BFH v. 7. 11. 1963 – IV 117/60 S, BStBl. III 1964, 181; BFH v. 2. 11. 1965 – I 221/62 S, BStBl. III 1966, 255. 48 Ebenso Schön (Fn. 12), S. 269; Stoll (Fn. 40), S. 238. 49 Richtig Schön (Fn. 12), S. 269.

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um ein und dieselbe Betätigung, die bei einer Privatperson eine steuerlich unbeachtliche Liebhaberei darstellt, nach ihrer Einbringung in eine GmbH zu einer steuerbaren gewinnträchtigen Aktivität mutiert. Diese unterschiedliche Betrachtung ist solange nicht begründbar, wie der Gesetzgeber über die Verweisung in § 8 Abs. 1 und 2 KStG für die Einkommen- und Körperschaftsteuer einen einheitlichen Gewinnbegriff statuiert.

VII. Zum Verhältnis von Liebhaberei und verdeckter Gewinnausschüttung Fraglich ist allerdings, ob eine unmittelbare Anwendung der Liebhabereigrundsätze auf Kapitalgesellschaften deshalb verzichtbar ist, weil Minderungen des Unterschiedsbetrages iSv. § 4 Abs. 1 EStG, die auf verlustbringenden Tätigkeiten beruhen, über den Tatbestand der verdeckten Gewinnausschüttung korrigiert werden können. Dies ist der Standpunkt des I. Senats, der erst bei der Prüfung einer verdeckten Gewinnausschüttung auf die einkommensteuerrechtlichen Liebhabereigrundsätze zurückgreifen will50. Der Ansatz bei § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG überzeugt aber nicht: Denn die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung setzt nach der Definition des BFH voraus, dass die verlustbringende Tätigkeit geeignet ist, beim Gesellschafter einen Vorteil nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auszulösen51. Ein solcher Vorteil kann aber bei verlustbringenden Tätigkeiten fehlen, wenn z. B. eine Kapitalgesellschaft rein öffentliche Aufgaben übernimmt52. Der Ansatz bei § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG birgt daher einerseits die Gefahr, dass man dem Begriff des Vorteils jede Kontur nimmt und – mit Blick auf die gewünschte Rechtsfolge – die Unterhaltung verlustbringender Engagements auf Veranlassung der Gesellschafter kurzerhand zum „Vorteil“ erklärt53. Zum anderen hat der Umweg über § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG zwangsläufig zur Folge, dass Liebhabereitätigkeiten ohne Vorteilsgewährung an die Gesellschafter stets der betrieblichen Sphäre zugerechnet werden und daher das Einkommen der Kapitalgesellschaft beeinflussen, obwohl es nach allgemeinen Grundsätzen an einer objektiven Steuerbarkeit fehlt. Gegen den Lösungsweg des I. Senats spricht ferner, dass die Frage nach der Gewinnerzielungsabsicht auf Gesellschaftsebene gegenüber der Anwendung der Korrekturvorschrift des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG vorrangig ist54. Denn eine Minderung des Unterschiedsbetrags iSv. § 4 Abs. 1 EStG ist nur dort mög-

__________

50 Vgl. BFH v. 15. 5. 2002 – I R 92/00, FR 2002, 1175; ebenso BFH v. 17. 11. 2004 – I R 56/03, GmbHR 2005, 637. 51 Siehe BFH v. 7. 8. 2002 – I R 2/02, BStBl. II 2004, 131. 52 Vgl. den Sachverhalt der Entscheidung BFH v. 17. 11. 1999 – I R 4/99, BFH/NV 2000, 1502. 53 Auf die Gefahr einer durch § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG nicht gedeckten „Sollgewinnbesteuerung“ weist auch Gosch (Fn. 11), § 8 Rz. 1036 hin. 54 So im Grundsatz auch Stangl (Fn. 12), S. 74 f.

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lich, wo die Gesellschaft überhaupt eine steuerlich relevante Tätigkeit entfaltet. Auf die Feststellung des „korrekten“ steuerlichen Gewinns und eine Einkommenskorrektur nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG kann daher immer dann verzichtet werden, wenn feststeht, dass die betreffenden Erträge und Aufwendungen mangels Gewinnerzielungsabsicht nicht der Körperschaftsbesteuerung unterliegen. Hält man eine außerbetriebliche Sphäre für möglich, setzt eine Anwendung nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG also vorrangig die Feststellung einer steuerlich relevanten betrieblichen Sphäre voraus, deren Gewinn durch gesellschaftlich veranlasste Minderungen oder verhinderte Vermögensmehrungen verkürzt werden kann55. Vor allem ist dem I. Senat darin zu widersprechen, dass eine Kapitalgesellschaft gegenüber ihren Gesellschaftern nur mit Gewinnerzielungsabsicht tätig werden darf. Unterhält die Gesellschaft verlustbringende Tätigkeiten im Interesse ihres Gesellschafters und verzichtet sie auf einen Aufwendungsersatz einschließlich eines angemessenen Gewinnaufschlags, so soll darin stets eine verdeckte Gewinnausschüttung an den Gesellschafter liegen56. Die Annahme einer solchen „verhinderten Vermögensmehrung“ ist aber letztlich eine bloße Fiktion und führt zu einer Sollertragsbesteuerung57. Denn weder das Trennungsprinzip noch die Unterscheidung zwischen Gewinnerzielungs- und Gewinnverwendungsebene können begründen, weshalb eine Kapitalgesellschaft gegenüber ihren Gesellschaftern selbst dann mit Gewinnerzielungsabsicht tätig werden muss, wenn sie mit der betreffenden Tätigkeit überhaupt keine Erwerbszwecke verfolgt. Aus § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG lässt sich lediglich entnehmen, dass eine Kapitalgesellschaft, soweit sie in einem bestimmten Bereich mit Gewinnerzielungsabsicht tätig wird, auch gegenüber ihren Gesellschaftern nur gegen ein angemessenes Entgelt (also einschließlich Gewinnaufschlag) tätig werden darf, sich also nicht mit einer bloßen Kostendeckung zufrieden geben darf. In der außerbetrieblichen Sphäre bedarf es einer solchen Gewinnkorrektur auf Gesellschaftsebene dagegen schon deshalb nicht, weil das dort „erzielte“ oder „verhinderte“ Einkommen ohnehin steuerlich irrelevant ist. Die Rechtsprechung des I. Senats lässt sich auch nicht mit dem Hinweis rechtfertigen, „dass ein unbeschränktes Wahlrecht der Gesellschafter für oder gegen eine Gewinnerzielungsabsicht der Gesellschaft dazu führen würde, dass im Falle des Fehlens einer Gewinnerzielungsabsicht zwangsläufig eine unterschiedliche Behandlung der Fälle einer verdeckten Gewinnausschüttung in Form der Vermögensminderung einerseits und in Form der ver-

__________ 55 A. A. Stangl (Fn. 12), S. 79, der – ähnlich dem BFH – bei gesellschaftlich veranlassten nicht-ertragfähigen Betätigungen vorrangig eine Einkommenskorrektur über eine vGA vornehmen will und damit das Liebhabereiproblem auf „wenige verbleibende Fälle“ verkürzt. 56 BFH v. 4. 12. 1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123. 57 Zutreffende Kritik bei Schön aaO (Fn. 12), S. 269.

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hinderten Vermögensmehrung andererseits zu erfolgen hätte“58. Dieser Einwand übersieht, dass es in der außerbetrieblichen Sphäre überhaupt keiner Einkommenskorrektur auf der Ebene der Gesellschaft gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG bedarf, weil Tätigkeiten ohne Gewinnerzielungsabsicht ohnehin steuerlich irrelevant sind. Die Tatsache einer Vorteilsgewährung an den Gesellschafter allein erlaubt noch nicht den Rückschluss auf eine „verhinderte Vermögensmehrung“ bei der Gesellschaft. Vielmehr ist die Frage nach der Einkommenskorrektur auf Gesellschaftsebene von der – noch gesondert zu behandelnden – Besteuerung einer Vorteilsgewährung an die Gesellschafter zu trennen.

VIII. Zur Prüfung einer Gewinnerzielungsabsicht bei Kapitalgesellschaften Gegen die Anwendung von Liebhabereigrundsätzen bei Kapitalgesellschaften ist schließlich der Einwand denkbar, ein „unbeschränktes Wahlrecht“ der Gesellschafter für oder gegen eine Gewinnerzielungsabsicht der Gesellschaft würde zu unangemessenen Steuerfolgen führen. So ist zu überlegen, ob die Gesellschafter, wenn man eine Gewinnerzielungsabsicht für erforderlich hält, eine Körperschaftsteuerbelastung einfach dadurch vermeiden können, dass sie in der Satzung der Kapitalgesellschaft das Kostendeckungsprinzip festschreiben oder die Entstehung eines Gewinns auf Gesellschaftsebene durch Unterpreislieferungen und -leistungen der Gesellschaft an die Gesellschafter verhindern. Es liegt auf der Hand, dass das Steuerrecht solche Gestaltungen nicht einschränkungslos akzeptieren kann. Zur Lösung dieses Problems bedarf es aber – entgegen der Ansicht des I. Senats – keiner Fiktion der Gewinnerzielung bei Leistungen an die Gesellschafter, sondern nur einer sachrichtigen Feststellung der Gewinnerzielungsabsicht unter Erforschung der Motive, auf denen die Ertraglosigkeit beruht59. Dabei sind ungeachtet der zivilrechtlichen Trennung von Gesellschaft und Gesellschafter vor allem die Motive der Gesellschafter maßgebend, da eine Kapitalgesellschaft – wie der I. Senat zutreffend feststellt60 – als juristische Person „ihre Interessen von den hinter ihr stehenden Gesellschaftern vorgegeben bekommt“. Eine steuerliche Liebhaberei liegt folglich nur dann vor, wenn die Ertraglosigkeit der Kapitalgesellschaft auf „privaten“, d. h. steuerlich irrelevanten Neigungen der Gesellschafter beruht. Eine solche Betrachtungsweise führt auch zu einer rechtsformneutralen einheitlichen Beurteilung von Liebhabereisachverhalten: Wäre eine bestimmte Tätigkeit beim Gesellschafter als steuerlich

__________ 58 Mit diesem Argument verteidigt Oppenländer (Fn. 11), S. 100 f. den I. Senat. 59 Zum Folgenden grundlegend Schön (Fn. 12), S. 269 f. Zur Berücksichtigung von Rechtsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern bei der Feststellung einer Gewinnerzielungsabsicht auch Stangl (Fn. 12), S. 74 ff. 60 BFH v. 4. 12. 1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123.

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Liebhaberei bei Kapitalgesellschaften

irrelevante Liebhaberei anzusehen, ändert sich an der Beurteilung nichts, wenn der Gesellschafter diese Tätigkeit (z. B. aus Gründen der Haftungssegmentierung) in eine Kapitalgesellschaft einbringt61. Zugleich wird auf diese Weise verhindert, dass durch Verlagerung von Teilfunktionen aus der Erwerbssphäre auf eine Kapitalgesellschaft Gewinnverlagerungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter erzielt werden. Gliedert – um ein Beispiel von Schön zu verwenden62 – eine Konzernmuttergesellschaft ihre Forschungsaktivitäten auf eine selbständige Tochterkapitalgesellschaft aus, kann diese ihre objektive Steuerbarkeit also nicht mit dem Hinweis widerlegen, ihr fehle die Gewinnerzielungsabsicht, weil sie nur kostendeckend für die Muttergesellschaft tätig ist. Die ertragsteuerliche Relevanz ergibt sich hier daraus, dass die Forschungstätigkeit auf die Förderung der betrieblichen Tätigkeit der Konzernmutter ausgerichtet ist und deshalb bei der Mutter der steuerbaren betrieblichen Sphäre zuzuordnen ist. Daher handelt die Tochtergesellschaft grundsätzlich mit Gewinnerzielungsabsicht und gesellschaftlich veranlasste Minderungen des Unterschiedsbetrags (z. B. infolge einer verbilligten Überlassung von Know How) sind über § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG zu erfassen und zu korrigieren. Eine körperschaftsteuerrechtlich irrelevante Liebhabereisphäre ist folglich nur unter der Voraussetzung anzuerkennen, dass erstens die Gewinnprognose für die gesamte Tätigkeit der Gesellschaft oder einen sachlich abgrenzbaren Bereich negativ ist und zweitens die betreffende verlustbringende Tätigkeit auf privaten, d. h. steuerlich irrelevanten Neigungen der Gesellschafter beruht63. Geht man davon aus, dass Gesellschafter mit einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft „üblicherweise“ Gewinnausschüttungen und Wertsteigerungen ihrer Beteiligung anstreben, wird die Liebhaberei bei Kapitalgesellschaften nach dieser Abgrenzung eher eine Ausnahmeerscheinung bleiben. Insbesondere kann, wie auch der I. Senat zutreffend festgestellt hat, allein aus der Tatsache, dass eine Kapitalgesellschaft verlustbringende Tätigkeiten durchführt, noch nicht auf eine außerbetriebliche Sphäre geschlossen werden64. Denn im Regelfall werden solche „Verlustsparten“ (z. B. eine Forschungstätigkeit) der Förderung der betrieblichen Sphäre der Gesellschaft dienen oder auf verdeckten Gewinnverlagerungen in die Einkunftssphäre der Gesellschafter beruhen. Eine Liebhaberei kommt somit erst dann in Betracht, wo es an beidem fehlt, die Kapitalgesellschaft also – wie z. B. im Fall der gemeinnützigen GmbH – entweder ganz oder teilweise altruistische, gemeinnützige bzw. öffentliche Zwecke verfolgt oder – wie im Fall der Unterhaltung eines Gestüts oder einer Segelyacht zur Nutzung

__________ 61 So auch Schön (Fn. 12), S. 270. 62 Schön (Fn. 12), S. 270. 63 So auch Schön (Fn. 12), S. 270; Weber-Grellet DStR 1994, 12, 16; ebenso bereits die frühere Rechtsprechung des I. Senats, vgl. BFH v. 7. 11. 1963 – IV 117/60 S, BStBl. III 1964, 181; BFH v. 2. 11. 1965 – I 221/62 S, BStBl. III 1966, 255. 64 Vgl. BFH v. 15. 5. 2002 – I R 92/00, FR 2002, 1175.

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durch die Gesellschafter – den Konsumzwecken der Gesellschafter außerhalb ihrer Einkunftssphäre dient. Je nachdem, ob die Kapitalgesellschaft neben der außerbetrieblichen Sphäre noch über eine betriebliche Sphäre verfügt, lassen sich daher zwei Fälle unterscheiden, die „reine“ Liebhabereigesellschaft und die „gemischte“ Kapitalgesellschaft, die einerseits steuerbare Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 EStG erzielt, aber davon sachlich getrennt auch eine außerbetriebliche Sphäre hat. Für beide Fälle ist im Weiteren zu untersuchen, welche Besteuerungsfolgen sich auf der Ebene von Gesellschaft und Gesellschafter bei einer Anwendung von Liebhabereigrundsätzen ergeben.

IX. Die „reine“ Liebhabereigesellschaft Der I. Senat hat sich bislang zu den Rechtsfolgen einer „reinen“ Liebhabereigesellschaft nicht äußern müssen. Auch im steuerlichen Schrifttum wird der Fall, dass eine Gesellschaft ausschließlich ein Verlustunternehmen betreibt, kaum behandelt65. Vom Standpunkt des I. Senats aus müsste man, wenn die verlustbringende Tätigkeit „im Interesse der Gesellschafter“ liegt, eine verdeckte Gewinnausschüttung in Höhe der übernommenen Aufwendungen zuzüglich eines angemessenen Gewinnaufschlags annehmen und in gleicher Höhe auch einkommensteuerpflichtige Bezüge der Gesellschafter bejahen. Hält man dagegen eine außerbetriebliche Sphäre für möglich und überträgt die einkommensteuerrechtlichen Liebhabereigrundsätze auf Kapitalgesellschaften, gelangt man zu anderen Besteuerungsfolgen: Übt eine GmbH ausschließlich nicht steuerbare Tätigkeiten aus, so ist sie zwar persönlich, aber nicht sachlich körperschaftsteuerpflichtig. Sie hat kein steuerpflichtiges Einkommen nach § 8 Abs. 1 und 2 KStG und kann folglich z. B. auch keine Investitionszulagen in Anspruch nehmen66. Mangels Steuerbarkeit ihrer Tätigkeit gibt es auf Gesellschaftsebene auch keine verdeckten Gewinnausschüttungen gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG. Die Nichtsteuerbarkeit der Gesellschaftstätigkeit hat darüber hinaus auch Konsequenzen für die Besteuerung der Anteilseigner67. Offene und verdeckte Ausschüttungen einer reinen Liebhabereigesellschaft an ihre Gesellschafter unterliegen bei diesen nicht der Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 und 2 EStG. Denn es handelt sich insoweit nicht um „Gewinnanteile“ iSv. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG, da eine Liebhabereigesellschaft im steuerlichen Sinne keinen Gewinn erzielt, sondern nur Einlagen oder nicht steuerbare Vermögensmehrungen an ihre Gesellschafter auskehren kann. Ferner spricht gegen eine Besteuerung beim Anteilseigner, dass der Tatbestand des § 20 EStG auf der Ebene des Kapitalanlegers eine Einkünfteerzielungsabsicht

__________ 65 Siehe aber Pott, StuW 1979, 321 (325 f.). 66 Konsequent Weber-Grellet, DStR 1998, 873 (877). 67 Zutreffend Schön (Fn. 12), S. 270.

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Liebhaberei bei Kapitalgesellschaften

voraussetzt68, die bei einer Beteiligung an einer reinen Liebhabereigesellschaft schon deshalb fehlt, weil die Gesellschaft keine Gewinne anstrebt. Mangels steuerpflichtiger Gewinnausschüttungen bedarf es bei der reinen Liebhabereigesellschaft auch keiner Abgrenzung zur steuerfreien Einlagenrückgewähr, so dass die Führung eines Einlagekontos nach § 27 KStG nicht notwendig ist. Darüber hinaus ist auf der Ebene des Gesellschafters auch § 17 EStG nicht anwendbar, weil mangels einer Steuerpflicht der Dividenden auch die Veräußerung der Beteiligung nicht unter diesen Steuertatbestand fällt69. Da die Beteiligung an einer reinen Liebhabereigesellschaft stets der Privatsphäre des Gesellschafters zuzuordnen ist, kann dieser schließlich auch Wertminderungen der Beteiligung nicht über Teilwertabschreibungen geltend machen.

X. Die „gemischte“ Kapitalgesellschaft mit außerbetrieblicher Sphäre Die „gemischte“ Kapitalgesellschaft unterscheidet sich von der „reinen“ Liebhabereigesellschaft insoweit, als hier neben dem steuerbaren betrieblichen Bereich eine – davon selbständige – nicht steuerbare Liebhabereisphäre unterhalten wird. Sie dürfte im Vergleich zur „reinen“ Liebhabereigesellschaft der praktisch bedeutsamere Fall sein70. Hier ergeben sich aus dem Nebeneinander von betrieblicher und außerbetrieblicher Sphäre zusätzliche Besteuerungsfragen. Sie waren aus der Sicht des I. Senats das wesentliche Argument gegen die Anerkennung einer außerbetrieblichen Sphäre71. So heißt es in der Segelyacht-Entscheidung v. 4. 12. 199672: „Die Annahme einer außerbetrieblichen Sphäre der Kapitalgesellschaft verbietet sich nicht zuletzt deshalb, weil es im KStG an Vorschriften fehlt, die die Überführung von Wirtschaftsgütern aus dem Betriebsvermögen in das außerbetriebliche Vermögen der Kapitalgesellschaft und umgekehrt wie eine Ausschüttung bzw. eine Einlage erfassen. § 13 KStG ist auf derartige Sachverhalte nicht anwendbar. Die §§ 27 ff. KStG belegen, dass die Annahme eines in der Steuerbilanz nicht auszuweisenden ‚Privatvermögens’ der Kapitalgesellschaft, das auch innerhalb des verwendbaren Eigenkapitals (vEK) nicht auszuweisen wäre, zu einer Gesetzeslücke führen würde. Es würde dann weder

__________ 68 Vgl. nur BFH v. 8. 7. 2003 – VIII R 43/01, BStBl. II 2003, 937, 938; v. Beckerath in Kirchhof, EStG, 5. Aufl. 2005, § 20 Rz. 3. 69 Zur ratio legis des § 17 EStG nach Absenkung der Beteiligungsquote (Absicherung der Steuerpflicht nach § 20 EStG) vgl. statt vieler Gosch in Kirchhof (Fn. 68), § 17 Rz. 1; Weber-Grellet in L. Schmidt (Fn. 37), § 17 Rz. 3. 70 Vgl. etwa die Fallkonstellation aus der Entscheidung des BFH v. 4. 3. 1970 – I R 123/68, BStBl. II 1970, 470: Erwerb eines Gestüts durch eine profitable Kapitalgesellschaft; zu dieser Entscheidung vgl. auch v. Wallis (Fn. 30), S. 125; Rose, StbJb 1971/72, S. 181, 190 ff. 71 Ebenso im Schrifttum Wassermeyer (Fn. 11), 404: „gewichtigstes Argument“; Oppenländer aaO (Fn. 11), S. 69 ff. 72 BFH v. 4. 12. 1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123.

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Rainer Hüttemann die Überführung von Eigenkapital aus dem ‚Betriebs-‘ in das ‚Privatvermögen’ der Gesellschaft noch seine Ausschüttung aus dem ‚Privatvermögen’ die Herstellung der Ausschüttungsbelastung auslösen, obwohl es für den Beteiligungsertrag des Gesellschafters gleichgültig sein muss, ob er aus dem ‚Betriebs-‘ oder aus dem ‚Privatvermögen’ der Kapitalgesellschaft stammt. Umgekehrt hätte ein Anteilseigner Anspruch auf Anrechnung der Körperschaftsteuer auch dann, wenn ihm ein Beteiligungsertrag aus dem Privatvermögen seiner Kapitalgesellschaft ohne Herstellung der Ausschüttungsbelastung zufließen würde. Diese Gesetzeslücke spricht dafür, das gesamte Vermögen einer Kapitalgesellschaft in der Steuerbilanz anzusetzen …. Damit erübrigt sich auch jede gliederungstechnische Sonderbehandlung von Liebhabereiverlusten.“

Die Argumentation des I. Senats bezog sich auf die Rechtslage unter der Geltung des KStG 1977 und dort insbesondere auf die Herstellung der Ausschüttungsbelastung und die Gliederungsrechnung73. Beide Probleme haben sich durch den Systemwechsel bei der Körperschaftsteuer und die Einführung einer Definitivbelastung erledigt74. Gleichwohl ist auch zum neuen Recht zu prüfen, ob die Annahme einer außerbetrieblichen Sphäre bei Kapitalgesellschaften im Rahmen des Halbeinkünfteverfahrens zu einer sachgerechten Besteuerung führt75. Dazu sollen im Weiteren drei Bereiche näher betrachtet werden: Die Überführung von Wirtschaftsgütern zwischen den Sphären, die Behandlung von Gewinnausschüttungen beim Gesellschafter und die Behandlung von Veräußerungsgewinnen bzw. Wertverlusten aus der Beteiligung. Hinsichtlich der Überführung von Wirtschaftsgütern in die außerbetriebliche Sphäre ist zunächst davon auszugehen, dass die Anerkennung einer außerbetrieblichen Sphäre von Kapitalgesellschaften nicht dazu führen darf, dass stille Reserven der Besteuerung entzogen werden. Diese Konsequenz tritt aber nicht ein, wenn man – wie bei anderen Körperschaften – die Verweisung des § 8 Abs. 1 KStG auf die Regelungen des Einkommensteuergesetzes konsequent durchhält. Mit dem Ersatzrealisationstatbestand der Entnahme (§ 4 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG) enthält das Einkommensteuerrecht eine passende Regelung, um stille Reserven bei der Überführung von Wirtschaftsgütern in die außerbetriebliche Sphäre zu erfassen76. Die Rechtsfolge des Teilwertansatzes ist auch angemessen, weil die Überführung von

__________

73 Kritisch zu dieser Argumentation Schön aaO (Fn. 12), S. 272: „die materielle Frage der Steuerbarkeit tritt in den Hintergrund, das Anrechnungsverfahren in den Vordergrund!“ Vgl. zur Behandlung von Liebhabereivermögen in der Gliederungsrechnung nach dem KStG a. F. auch Weber-Grellet, DStR 1994, 12, 16 mit weiteren Nachweisen zu den verschiedenen Lösungsansätzen in Fn. 44. 74 Statt vieler Schulte (Fn. 2), § 8 Rz. 44. 75 Vgl. zum neuen Recht Oppenländer (Fn. 11), S. 69 ff. 76 Ebenso Stangl (Fn. 12), S. 86 ff.: „gesellschaftsinterne Einkommensverwendung“; Schwedhelm (Fn. 12), § 8 Rz. 29; vgl. auch v. Wallis (Fn. 30), S. 126. Ablehnend Wassermeyer (Fn. 11), 404 mit Verweis auf die abweichende Rechtsprechungspraxis; Oppenländer (Fn. 11), S. 71 unter Hinweis auf unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe von Entnahmen und vGA. Für Erfassung solcher „Entnahmen“ als vGA Schön (Fn. 12), S. 270.

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Liebhaberei bei Kapitalgesellschaften

Wirtschaftsgütern in den „außerbetrieblichen“ Bereich durchaus mit der Entnahme bei Personenunternehmen vergleichbar ist77, da ein Rechtsträgerwechsel nicht eintritt. Damit umgekehrt Wertsteigerungen in der außerbetrieblichen Sphäre nicht zu einer Erhöhung des steuerlichen Gewinns der Gesellschaft führen, ist die Überführung von Wirtschaftsgütern von der außerbetrieblichen Sphäre in den betrieblichen Bereich der Kapitalgesellschaft als Einlage zu behandeln (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG). Wandelt sich eine betriebliche Tätigkeit durch Aufgabe der Gewinnerzielungsabsicht in eine außerbetriebliche Sphäre, werden die stillen Reserven – entsprechend den Grundsätzen zu Personenunternehmen78 – „eingefroren“ und von der Gesellschaft erst bei einer späteren Veräußerung der Wirtschaftsgüter versteuert79. Anders als bei der „reinen Liebhabereigesellschaft“ kann bei der gemischten Kapitalgesellschaft auf eine steuerliche Erfassung von Ausschüttungen bei den Anteilseignern nicht verzichtet werden (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 EStG). Denn soweit steuerbare Gewinne, die in der betrieblichen Sphäre erzielt worden sind, an die Gesellschafter ausgeschüttet werden, müssen sie nach der Logik des Halbeinkünfteverfahrens einer hälftigen Nachsteuer bei den Gesellschaftern unterworfen werden. Dagegen bleibt eine Einlagenrückgewähr steuerfrei (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Für verdeckte Gewinnausschüttungen aus der betrieblichen Sphäre einer gemischten Kapitalgesellschaft bleibt es bei den allgemeinen Grundsätzen. Sie mindern nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG das Einkommen der Gesellschaft nicht und sind im Zeitpunkt ihres Zuflusses beim Gesellschafter als steuerpflichtiger Beteiligungsertrag nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zu versteuern. Da die gemischte Kapitalgesellschaft in der betrieblichen Sphäre mit Gewinnerzielungsabsicht tätig ist, bestimmt sich der Umfang der verdeckten Gewinnausschüttung auf Gesellschaftsebene nach Fremdvergleichsmaßstäben (also einschließlich eines Gewinnaufschlags). Insoweit ergeben sich also keine Abweichungen zu „reinen“ Erwerbsgesellschaften. Hinsichtlich der Regelung über das steuerliche Einlagekonto ist bei der gemischten Kapitalgesellschaft zu beachten, dass sich der ausschüttbare Gewinn iSv. § 27 Abs. 1 KStG nach dem Eigenkapital laut Steuerbilanz richtet. Für den Fall der gemischten Kapitalgesellschaft ergibt sich daraus, dass nur das Eigenkapital der betrieblichen Sphäre erfasst wird. Deshalb sind auch nur diejenigen Teile des gezeichneten Kapitals und der sonstigen Gesellschaftereinlagen bei der Berechnung des ausschüttbaren Gewinns nach § 27 Abs. 1 Satz 4 KStG zu berücksichtigen, die bei Gründung der Gesellschaft oder später in die betriebliche Sphäre der Gesellschaft geleistet worden sind. Werden Vermögenswerte der außerbetrieblichen Sphäre in die betriebliche Sphäre überführt, so sind diese „Einlagen“ als Zugang auf dem steuerlichen

__________ 77 Zum Teilwertansatz bei Entnahmen näher Oppenländer (Fn. 11), S. 240 ff. 78 Vgl. dazu nur Weber-Grellet (Fn. 37), § 15 Rz. 37. 79 Ebenso Schwedhelm (Fn. 12), § 8 Rz. 29.

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Einlagekonto zu erfassen, damit ihre spätere Ausschüttung an die Anteilseigner keine Besteuerung auslöst. Ausschüttungen aus der betrieblichen Sphäre mindern das steuerliche Eigenkapital. Sie sind entsprechend der Verwendungsfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG zu behandeln und führen bei den Anteilseignern entweder zu steuerpflichtigen Beteiligungserträgen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 EStG) oder zu einer steuerfreien Einlagenrückgewähr (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Fraglich ist, wie bei offenen oder verdeckten Ausschüttungen aus dem nicht steuerbaren außerbetrieblichen Bereich zu verfahren ist, die das steuerliche Eigenkapital laut Steuerbilanz (d. h. des betrieblichen Bereichs) nicht berühren. Im Gegensatz zur „reinen“ Liebhabereigesellschaft kann bei gemischten Kapitalgesellschaften auf eine steuerliche Erfassung solcher Ausschüttungen beim Gesellschafter nicht ganz verzichtet werden. Zwar gilt auch hier, dass nicht alle von der Gesellschaft gewährten Vorteile, sondern nur „Gewinnanteile“ gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG beim Gesellschafter steuerpflichtig sind. An der Ausschüttung eines „Gewinnanteils“ fehlt es deshalb, wenn den Gesellschaftern ihre Einlagen, die sie in die außerbetriebliche Sphäre geleistet haben, zurückgewährt werden, oder wenn steuerfreie Vermögensmehrungen der außerbetrieblichen Sphäre (z. B. eine unentgeltliche Zuwendung Dritter oder realisierte Wertsteigerungen aus der steuerfreien Veräußerung von Wirtschaftsgütern der außerbetrieblichen Sphäre) an die Gesellschafter ausgekehrt werden. Gleichwohl kann nicht vollständig auf eine steuerliche Erfassung von Ausschüttungen aus der außerbetrieblichen Sphäre verzichtet werden. Denn damit würde eine „Besteuerungslücke“ geschaffen, wenn Vermögenswerte des betrieblichen Bereichs in die außerbetriebliche Sphäre verlagert werden80. Man denke z. B. an den Fall, dass ein Wirtschaftsgut zunächst aus der betrieblichen Sphäre entnommen wird und dann an den Gesellschafter unentgeltlich oder gegen ein geringes Entgelt abgegeben wird. Die gleiche Problematik ergibt sich, wenn Aufwendungen der Liebhabereisphäre (z. B. der Lohnaufwand des Reitlehrers) aus Mitteln der betrieblichen Sphäre getragen werden, die (z. B. durch Gewährung kostenlosen Reitunterrichts) zu materiellen Vorteilen bei den Gesellschaftern führen, weil diese eigene Aufwendungen ersparen. In beiden Fällen ist eine Besteuerung der Vorteilsgewährung an die Gesellschafter nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG geboten, weil sie letztlich aus steuerbaren Gewinnen des betrieblichen Bereichs finanziert wird. Gegen die Besteuerung von verdeckten Zuwendungen aus der außerbetrieblichen Sphäre ist im Schrifttum der Einwand erhoben worden, es fehle inso-

__________ 80 Solche „Entnahmen“ hatte auch der I. Senat bei seiner Entscheidung v. 4. 12. 1996 – I R 54/95, BFHE 182, 123 im Blick; s. dazu auch Schön (Fn. 12), S. 169 f.; Oppenländer (Fn. 11), S. 69 ff.

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Liebhaberei bei Kapitalgesellschaften

weit an einer Rechtsgrundlage81. In der Tat handelt es sich nach der Definition des I. Senats bei solchen Zuwendungen nicht um verdeckte Gewinnausschüttungen iSv. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, weil sie den Unterschiedsbetrag nach § 4 Abs. 1 EStG nicht gemindert haben. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es sich bei verdeckten Gewinnausschüttungen iSv. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG um unterschiedliche Lebensvorgänge handelt, die sich begrifflich unterscheiden. Während die vGA aus dem betrieblichen Bereich zu einer Einkommenskorrektur führt, hat die verdeckte Zuwendung aus der außerbetrieblichen Sphäre – z. B. durch Erwerb eines Wirtschaftsguts vom Gesellschafter zu einem überhöhten Preis – nur eine steuerliche Erfassung der gesellschaftsrechtlich veranlassten Zuwendung beim Gesellschafter zur Folge. Wie sich aus § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG („sonstige Bezüge“) ergibt, kann es aber aus der Perspektive der Gesellschafter keinen Unterschied machen, ob steuerbare Vermögensmehrungen der Gesellschaft offen aus dem betrieblichen Bereich oder verdeckt über den außerbetrieblichen Bereich ausgeschüttet werden. Schließlich ist gerade nach der Logik des Halbeinkünfteverfahrens eine hälftige Nachbelastung immer dann geboten, wenn steuerbare Vermögensmehrungen der Gesellschaft an die Gesellschafter ausgekehrt werden, weil die definitive Belastung mit Körperschaftsteuer nicht hinreichend ist, um eine im Vergleich zu Personenunternehmen angemessene Steuerbelastung zu erreichen. Zur Umsetzung dieser Vorgaben bedarf es folglich einer Unterscheidung zwischen steuerpflichtigen und nicht steuerpflichtigen Ausschüttungen aus der außerbetrieblichen Sphäre. Diese Unterscheidung kann nur auf Gesellschaftsebene erfolgen, weil sie an den Umfang der Entnahmen aus dem betrieblichen Bereich anknüpft. Sie mindern zwar das steuerliche Eigenkapital gemäß § 27 Abs. 1 Satz 4 KStG, so dass bei späteren Ausschüttungen aus der betrieblichen Sphäre früher als sonst das steuerliche Einlagenkonto als verwendet gilt. Gleichzeitig führen solche Entnahmen aber nach den vorstehenden Überlegungen bei späteren – offenen oder verdeckten – gesellschaftsrechtlich veranlassten Zuwendungen an die Gesellschafter aus dem außerbetrieblichen Bereich zu einer Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 EStG. Ausschüttungen aus dem außerbetrieblichen Bereich sind folglich nur dann steuerfrei, wenn überhaupt keine Entnahmen aus dem betrieblichen Bereich erfolgt sind oder die Ausschüttungen die Höhe früherer Entnahmen übersteigen. Die Steuerfreiheit ergibt sich dann daraus, dass die Ausschüttungen entweder auf früheren Gesellschaftereinlagen in den Liebhabereibereich oder steuerfreien Vermögensmehrungen der außerbetrieblichen Sphäre beruhen. Durch eine solche „Verwendungsfiktion“ wird gewährleistet, dass keine Besteuerungslücken durch Vermögensverlagerungen in den außerbetrieblichen Bereich entstehen. Auf Gesellschafterebene ist die Unterscheidung zwischen steuerpflichtigen Beteiligungserträgen nach § 20

__________ 81 So Oppenländer (Fn. 11), S. 69 ff.

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Abs. 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 EStG und steuerfreien Ausschüttungen dadurch zu verwirklichen, dass die Gesellschaft ihren Anteilseignern analog § 27 Abs. 3 KStG eine Bescheinigung über solche Leistungen ausstellt, für die Einlagen in den außerbetrieblichen Bereich oder nicht steuerbare Vermögensmehrungen als verwendet gelten. Auch in Hinsicht auf die steuerliche Behandlung von Anteilen an gemischten Kapitalgesellschaften beim Gesellschafter muss schließlich der Grundsatz gelten, dass nur solche Wertsteigerungen und -minderungen der Beteiligung steuerlich beachtlich sind, die aus der steuerbaren betrieblichen Sphäre der Gesellschaft herrühren. Daher ist einerseits § 17 EStG teleologisch insoweit zu reduzieren, als ein Veräußerungsgewinn (ausnahmsweise) auf steuerfreien Vermögensmehrungen der außerbetrieblichen Sphäre beruht. Umgekehrt rechtfertigen nur solche dauernden Wertminderungen der Beteiligung eine Teilwertabschreibung beim Gesellschafter, die auf Verlusten in der betrieblichen Sphäre beruhen.

XI. Ergebnis Die vorstehenden Überlegungen führen zu dem Ergebnis, dass Kapitalgesellschaften abweichend von der Auffassung des I. Senats des BFH über eine außerbetriebliche Sphäre verfügen können. Auch für die Körperschaftsbesteuerung von Kapitalgesellschaften gilt somit das Prinzip, dass nur Einkünfte aus solchen Tätigkeiten steuerbar sind, die mit Gewinnerzielungsabsicht unternommen werden. Dem steht weder die Vorschrift des § 8 Abs. 2 KStG entgegen, noch führt die Anerkennung eines nicht steuerbaren Bereichs zu unangemessenen steuerlichen Folgen. Vielmehr ermöglicht die Anerkennung einer außerbetrieblichen Sphäre bei Kapitalgesellschaften eine Annäherung der Rechtsfolgen nicht steuerbarer Tätigkeiten bei Personenunternehmen und Kapitalgesellschaften und ist daher zugleich ein Beitrag zur Rechtsformneutralität der Unternehmensbesteuerung.

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Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden, eine Zebragesellschaft? Inhaltsübersicht I. Personengesellschaft aus Freiberuflern 1. Einkommen als Summe verschiedenartiger Einkünfte 2. Freiberufliche oder gewerbliche Einkünfte a) Schwierige Unterscheidung b) Besonderheiten beim Zusammenschluss von Freiberuflern II. Berufsfremde Gesellschafter III. Zusammenschluss von Freiberuflern mit Berufsfremden 1. Die ständige Rechtsprechung 2. Zweifel an der Rechtsprechung a) Nachrang der Gewerblichkeit b) Kein Eingreifen der Abfärberegelung c) Eingreifen der Geprägeregelung nur im Ausnahmefall d) Kein Grundsatz der Einheitlichkeit freiberuflichen Handelns einer Personengesellschaft e) Selbst gezogene Grenzen der Rechtsprechung

3. Keine Zebragesellschaft im engeren Sinne 4. Personengesellschaft mit mehreren Betrieben unterschiedlicher Art 5. Keine erweiterte Auslegung der Abfärberegelung a) Gründe für eine erweiterte Auslegung aa) Kein Verstoß gegen den Wortlaut der Vorschrift bb) Kein Wertungswiderspruch zwischen Abfärbe- und Geprägeregelung b) Gründe gegen eine erweiterte Auslegung aa) Widerspruch zur Geprägeregelung bb) Keiner Verallgemeinerung zugänglich cc) Verfassungsrechtliche Zweifel IV. Zusammenfassung

Prototyp des Freiberuflers ist der Rechtsanwalt, der unermüdlich für die Interessen seiner Mandanten kämpft mit Eloquenz und einem Kosmos von Ideen. Darum sei dem hoch verehrten Jubilar ein Steuerthema aus diesem Bereich gewidmet. Es betrifft den § 15 EStG, der in dem Großkommentar, den der Jubilar herausgibt, einen besonderen Stellenwert hat.

I. Personengesellschaft aus Freiberuflern Sind mehrere Freiberufler gemeinsam tätig, so organisieren sie sich im Allgemeinen auch heute noch als Personengesellschaft. Bei einer solchen Verabredung spielt unter Anderem die Frage nach der gewerbesteuerlichen Beurteilung eines derartigen Zusammenschlusses eine Rolle; diese hängt wiederum von der einkommensteuerlichen Bewertung ab. 515

Viktor Sarrazin

1. Einkommen als Summe verschiedenartiger Einkünfte Das deutsche Einkommensteuerrecht kennt – anders als beispielsweise das deutsche Umsatzsteuerrecht – keinen allgemeinen Steuertatbestand, aus dem die Steuerfolgen abzuleiten wären, sondern konfrontiert uns mit der Aufzählung verschiedener Einkunftsarten, die erst in ihrer Summe nach Abzug besonderer Privatausgaben das zu versteuernde Einkommen ergeben. Dabei trennt das deutsche Einkommensteuerrecht grundlegend zwischen den Einkünften, die aus einem Betrieb fließen, auf der einen und den Einkünften von Arbeitnehmern sowie Besitzern von Privatvermögen auf der anderen Seite. Betrachtet man die Aufzählung der sieben Einkunftsarten unter gesellschaftspolitischen Gesichtspunkten, so erscheint sie einem wie die Konservierung eines Ständestaats im Steuerrecht. Bei den betrieblichen Einkünften tritt an erster Stelle der Bauernstand auf; der zweite Platz gehört der Zunft der Kaufleute und im dritten Rang findet sich schließlich die Klasse der Freiberufler. Das EStG hält zwar in seinem § 15 Abs. 2 für diese ersten drei Einkunftsarten einen einheitlichen Betriebsbegriff bereit. Der Tatbestand betrieblicher Tätigkeit wird darin übergreifend durch die Merkmale der Selbständigkeit, Nachhaltigkeit, Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr und Gewinnabsicht bestimmt und enthält damit bereits gewisse Ansätze für eine allgemeine Umschreibung des Einkommensteuertatbestands. Dennoch unterscheidet das EStG auch bei den betrieblichen Einkünften noch zusätzlich zwischen Gewerbetreibenden auf der einen und Land- und Forstwirten sowie Freiberuflern auf der anderen Seite. Die weitere Unterteilung hat weniger einkommensteuerliche als gewerbesteuerliche Gründe; die Notwendigkeit einer Abgrenzung des Gewerbes folgt schon aus der Erhebung einer gemeindlichen Sondersteuer auf den Ertrag gewerblicher Unternehmen, die Land- und Forstwirte sowie Freiberufler großzügig verschont (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG, der auf § 15 EStG verweist). Der Gewerbebetrieb muss als Gegenstand der Gewerbesteuer mithin nicht nur vom Bereich der Land- und Forstwirtschaft, sondern auch von der Tätigkeit der sonst selbständig Arbeitenden, vor allem der Freiberufler, abgegrenzt werden. Da das Gewerbesteuerrecht hierzu auf das Einkommensteuerrecht verweist, entscheidet dessen Terminologie über Gewerbesteuerfreiheit oder -pflicht des Freiberuflers. Die gewerbesteuerlichen Folgen werden für ihn allerdings dadurch etwas abgemildert, dass eine etwaige Gewerbesteuer neuerdings nach § 35 EStG auf seine Einkommensteuer teilweise angerechnet wird. 2. Freiberufliche oder gewerbliche Einkünfte Während § 15 Abs. 2 EStG die Voraussetzungen für betriebliche Einkünfte ganz allgemein und für den Gewerbebetrieb auch ausreichend umschreibt, stellt § 18 Abs. 1 EStG für Einkünfte aus selbständiger Arbeit, insbesondere 516

Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden, eine Zebragesellschaft?

aus freiberuflicher Tätigkeit, zusätzliche Vorbedingungen auf. Werden diese nicht erfüllt, wird der Freiberufler der Gewerbesteuer unterworfen. a) Schwierige Unterscheidung Die Abgrenzung des Gewerbes von der freiberuflichen Tätigkeit ist ein Tummelplatz gerichtlicher Auseinandersetzungen und dies mit höchst merkwürdigen Erkenntnissen. Die Unterscheidung soll zwar – nach den Worten der Rechtsprechung – nicht einem Ausbildungsprivileg dienen oder Standesunterschiede betonen, bezweckt aber letzten Endes immerhin die Ausnahme der freien Berufe von der Gewerbesteuer, macht sie also zu gewerbesteuerfreien Berufen. In diesem Zusammenhang geht es um eine Fülle seltsamer Fragen, beispielsweise darum, unter welchen Bedingungen ein Autodidakt dem staatlich Examinierten gleichgestellt werden darf, oder darum, was die Kunst dem Kunstgewerbe voraushat. Solche Probleme beschäftigen die Stufenleiter der Gerichtsbarkeit bis zum BVerfG und ermutigen die Gerichte auch schon einmal zu kühnen Aussagen etwa über das Wesen der Kunst. Die mitunter kauzige Kasuistik der Urteile hat ihren Grund in der unübersichtlichen Gesetzeslage, die keinen Allgemeinbegriff des Freiberuflers angibt, sondern sich stattdessen mit einer ellenlangen Aufzählung freiberuflicher Tätigkeiten und Berufe begnügt, deren Aufnahme in den erlauchten Kreis der gewerbesteuerlich Privilegierten sich oft historischen Zufälligkeiten verdankt. Darüber hinaus verlangt der einschlägige § 18 Abs. 1 EStG in jedem Fall die eigenverantwortliche Leitung aufgrund eigener Fachkenntnisse, so dass dies zum einheitlichen Merkmal aller freien Berufe gegenüber dem Gewerbe hochstilisiert wird. Daraus folgert die Rechtsprechung, die Leistung der Hilfskraft des Freiberuflers müsse seinen persönlichen Stempel tragen, was immer das im Einzelfall bedeuten mag. Kurz gesagt, sorgt der Gesetzgeber mit seinem geschriebenen Recht – wie leider so oft – statt für Rechtsklarheit und daraus erwachsenden Rechtsfrieden für rechtliche Unsicherheit und damit für ständigen Streitstoff. Die Unterscheidung zwischen Freiberuflern und Gewerbetreibenden wird jedoch auch deshalb in jüngster Zeit schwieriger, weil sich die beiden Gruppen immer mehr angleichen. Im Vordergrund steht bei den Freiberuflern zwar die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Dienstleistung höherer Art. Das schließt aber bei manchen Freiberuflern, z. B. Ärzten, den Einsatz von Apparaten nicht aus, was ebenso wie bei Gewerbetreibenden eine hohe Kapitalausstattung erfordert. Hinzukommt: Weder schafft der Freiberufler stets allein noch braucht der gewerbliche Unternehmer immer Hilfskräfte. Es gibt durchaus auch gewerblich Tätige, z. B. Handelsvertreter, die ohne die Hilfe 517

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von Arbeitnehmern auskommen, und es gibt Freiberufler wie z. B. Laborärzte, die massenhaft Personal beschäftigen. Selbst die Bindungen, die das Gesetz für die Ausübung der freien Berufe und ihre Preisgestaltung (Gebührenordnungen) vorsieht, sind keine Besonderheiten der freien Berufe mehr, sondern finden sich mitunter auch im Gewerbe z. B. bei Schornsteinfegern (Kaminkehrern) oder Apothekern. Schließlich verliert das Standesrecht, das bei den klassischen Kammerberufen noch eine Rolle spielt, zunehmend an Bedeutung. So werden beispielsweise die Werbeverbote für Freiberufler immer mehr gelockert. b) Besonderheiten beim Zusammenschluss von Freiberuflern Schließen sich mehrere Freiberufler zur gemeinsamen Berufsausübung zusammen, ergeben sich zusätzliche Streitpunkte bei der Abgrenzung von einem gewerblichen Unternehmen. Dabei haben die selbständig Tätigen die Wahl zwischen verschiedenen Formen der Zusammenarbeit und danach richten sich auch die steuerlichen Folgen. Die Verbindung kann mehr oder weniger intensiv sein. Sie kann sich auf Nebenbereiche beschränken (Büro- oder Apparategemeinschaft) oder den Kernbereich ihrer Tätigkeit betreffen (Sozietät oder Praxisgemeinschaft). Der Zusammenschluss kann sich zudem in unterschiedlichen Rechtsformen vollziehen. Zur Auswahl stehen die Kapitalgesellschaft als AG oder GmbH und die Personengesellschaft als Partnerschaftsgesellschaft, Gesellschaft des bürgerlichen Rechts oder Handelsgesellschaft (OHG oder KG). Die Kapitalgesellschaft hat wegen ihrer Eigenart als juristische Person im Ertragsteuerecht eine Sonderstellung. Sie unterliegt nicht der Einkommen-, sondern der Körperschaftsteuer, bezieht stets gewerbliche Einkünfte (§ 8 Abs. 2 KStG) und gilt für die Gewerbesteuer als Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG). Daran ändert sich auch nichts, wenn ihre Gesellschafter und sogar ihre Geschäftsführer sämtlich Freiberufler sind1. Bei der Personengesellschaft bestimmen hingegen Tätigkeit und Eigenschaft ihrer Gesellschafter darüber, ob sie ein freiberufliches oder gewerbliches Unternehmen betreibt und daraus freiberufliche oder gewerbliche Einkünfte bezieht. Eine Büro- oder Apparategemeinschaft wird gar keine eigene Gewinnabsicht verfolgen, sondern lediglich die Kosten unter den Mitgliedern umlegen und deshalb auch keinerlei Einkünfte beziehen. Bei der Sozietät oder Praxisgemeinschaft sieht es bereits anders aus. Sie ist die berufliche Existenzgrundlage ihrer Mitglieder und deshalb das Mittel zur Erzielung ihrer Einkommen. Sind die Gesellschafter der Personengesellschaft Freiberufler und hält sich ihre Tätigkeit auch im Rahmen der Freiberuflichkeit, so gibt es an dem frei-

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BFH v. 17. 1. 1980 – IV R 115/76, BStBl. II 1980, 336.

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beruflichen Charakter ihrer Einkünfte keinen Zweifel. Erfüllt aber ein Gesellschafter diese Voraussetzungen nicht, so wirkt dies auf die Art seiner in der Gesellschaft bezogenen Einkünfte zurück. Dieser Gesellschafter wird berufsfremd genannt und bezieht gewerbliche Einkünfte.

II. Berufsfremde Gesellschafter Berufsfremd ist eine Person nach der Rspr. stets dann, wenn sie nicht alle Voraussetzungen der freiberuflichen Tätigkeit erfüllt. Ein eindeutiges Beispiel ist der gewerbliche Unternehmer, auch wenn er sich als Handwerker ebenso wie ein Architekt am Bau von Häusern beteiligt2. Berufsfremd ist aber auch eine freiberufliche Tätigkeit, falls sie ohne die erforderliche staatliche Zulassung ausgeübt wird3. Ein Beispiel ist der nur im Ausland zugelassene Freiberufler, der sich in Deutschland betätigt; er wird in Deutschland für seine inländische Tätigkeit als berufsfremd angesehen, weil er bei uns nicht als Freiberufler zugelassen ist. Betätigt sich der ausländische Freiberufler dagegen nur im Ausland, wird dies als ähnliche freiberufliche Tätigkeit beurteilt, weil die berufliche Zulassung im Ausland dafür ausreicht. Es fragt sich allerdings, ob die Folge der Gewerbesteuerpflicht wegen der Nichtzulassung im Inland bei einem Freiberufler, der EU-Ausländer und in seinem Heimatstaat in seinem Beruf zugelassen ist, überhaupt EG-rechtlich haltbar ist (Verletzung der Grundfreiheiten „Niederlassungsfreiheit“ und „Freizügigkeit“). Berufsfremd ist außerdem ein Freiberufler, der Hilfskräfte beschäftigt und dabei selbst nicht mehr leitend und eigenverantwortlich in Erscheinung tritt. Diese Abgrenzung ist in hohem Maße von den Umständen des Einzelfalles abhängig und daher häufig Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten. Berufsfremd ist schließlich, wer sich an einer Freiberufler-Kommanditgesellschaft lediglich kapitalmäßig als Kommanditist beteiligt, ohne selbst freiberuflich tätig zu sein. Ein solcher Gesellschafter wird als gewerblicher Mitunternehmer angesehen. Eine juristische Person ist stets berufsfremd, da sie ausschließlich durch ihre Organe handeln und deshalb als solche nie freiberuflich tätig sein kann. Freiberufler kann nur eine natürliche Person sein, da nur sie in der Lage ist, die besonderen Anforderungen der Freiberuflichkeit zu erfüllen.

III. Zusammenschluss von Freiberuflern mit Berufsfremden Arbeitet ein Berufsfremder mit Freiberuflern in einer Personengesellschaft zusammen, so stellt sich die Frage, ob die steuerliche Beurteilung seiner

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FG BW v. 9. 4. 1997 – 2 K 553/94, rkr., EFG 1997, 1229. BFH v. 9. 10. 1986 – IV R 235/84, BStBl. II 1987, 124.

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Mitgesellschafter dadurch beeinflusst wird, mit anderen Worten, was mit den Einkünften seiner Mitgesellschafter geschieht, ob sie dennoch freiberuflich bleiben oder ob sie sich in gewerbliche Einkünfte umwandeln. 1. Die ständige Rechtsprechung Die Rechtsprechung hat sich seit jeher auf den Standpunkt gestellt, dass die Freiberufler-Personengesellschaft mit einem Berufsfremden einen einheitlichen Gewerbebetrieb unterhält und daher insgesamt gewerbliche Einkünfte bezieht. Ist an einer Personengesellschaft aus freiberuflich Tätigen auch nur eine berufsfremde Person als Mitunternehmer beteiligt, so macht deren gewerbliche Tätigkeit die Personengesellschaft insgesamt zum Gewerbebetrieb4. Bei der Freiberufler-Personengesellschaft mit einem berufsfremden Gesellschafter hat zwar eigentlich nur der Berufsfremde gewerbliche Einkünfte; die Freiberufler sind nach wie vor nichtgewerblich tätig. Durch die Beteiligung von berufsfremden Gesellschaftern soll dennoch die gesamte Tätigkeit der Freiberufler-Personengesellschaft zu einem einheitlichen Gewerbebetrieb werden, so dass auch die freiberuflich Tätigen als gewerbliche Mitunternehmer zu behandeln sind. Eine Freiberufler-Personengesellschaft ist danach nur dann kein Gewerbebetrieb, wenn in ihr ausschließlich Freiberufler im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG tätig sind. Die Streitfälle, die dem RFH in seinem Urt. v. 26. 2. 1941 und dem BFH in seinem Urt. v. 14. 2. 1956 vorlagen, betrafen beide die Problematik der Fortführung des Betriebs eines Freiberuflers nach seinem Tod, wenn nicht alle seine Erben die notwendige berufliche Qualifikation aufweisen. Es handelte sich somit jeweils um eine für freie Berufe ganz typische Konstellation. Die Abfärbung der gewerblichen Tätigkeit des Berufsfremden auf die Tätigkeit der Freiberufler wird vom BFH in der Entscheidung v. 14. 2. 1956 dennoch damit begründet, es widerspreche dem Wesen des freien Berufs, wenn sich Freiberufler mit berufsfremden Personen in Form einer Gesellschaft zum gemeinsamen Betrieb der Praxis verbänden. Der Freiberufler könne, wenn er mit Berufsfremden eine Gesellschaft eingehe, in einen Interessenkonflikt geraten zwischen seinem standesrechtlichen Berufsethos und der Pflicht zum Gewinnstreben als Mitgesellschafter des Berufsfremden. Der BFH betreibt hier also Standespolitik mit den Mitteln des Steuerrechts, und zwar merkwürdigerweise gerade für den Fall der Unternehmensnachfolge, obwohl er in den Entscheidungsgründen ausdrücklich hervorhebt, die Altersund Hinterbliebenenversorgung der Angehörigen der freien Berufe sei ein so-

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Ständige Rechtsprechung seit RFH v. 26. 2. 1941 – VI 45/41, RStBl 1941, 300 = Kartei GewStG 1936 § 2 Abs. 2 Ziff.1 R.16 und BFH v. 14. 2. 1956 – I 84/55 U, BStBl III 1956, 103.

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ziales Problem, dessen Lösung nicht durch allzu enge Auslegung der steuerlichen Bestimmungen erschwert werden solle. 2. Zweifel an der Rechtsprechung Die Rechtsprechung zur Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden stellt mittlerweile ein gewerbesteuerliches Risiko für jeden Zusammenschluss von Freiberuflern dar, denn selbst ein Freiberufler kann unter Umständen zum Berufsfremden werden. Es genügt, dass bei ihm irgendeine der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgestellten Voraussetzungen in dem betreffenden Veranlagungs- bzw. Erhebungszeitraum nicht vorliegt. Deshalb erhebt sich die Frage, ob diese altehrwürdige und bis heute fortgeführte Rechtsprechung5 überhaupt noch mit der Gesetzeslage übereinstimmt. a) Nachrang der Gewerblichkeit Die langjährige Rechtsprechung des RFH und BFH widersprach eigentlich immer schon dem Grundsatz der Nachrangigkeit gewerblicher Einkünfte, wie er nunmehr in der grundlegenden Vorschrift über den Gewerbebetrieb, in § 15 Abs. 2 EStG, zum Ausdruck kommt. Erfüllt jemand mit seiner Tätigkeit die Voraussetzungen eines Betriebs, betätigt er sich dementsprechend selbständig, nachhaltig und unter Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr mit der Absicht, Gewinne zu erzielen, so tritt nach Satz 1 dieser Vorschrift die Annahme eines Gewerbes nicht allein hinter einer Land- und Forstwirtschaft, sondern auch hinter einer selbständigen, insbesondere freiberuflichen Arbeit zurück. Liegen die besonderen Voraussetzungen einer freiberuflichen Tätigkeit vor, kommt somit eine gewerbliche Tätigkeit gar nicht mehr in Betracht. Sind bei den Mitgesellschaftern des Berufsfremden die Voraussetzungen des § 18 EStG gegeben; scheidet bei ihnen eine gewerbliche Betätigung an und für sich von vorneherein aus. Die Rechtsprechung wäre deshalb nur zu rechtfertigen, wenn ein eigener gesetzlicher Tatbestand dieses Regel-Ausnahmeverhältnis umkehren würde. In Betracht käme hier entweder eine Abfärbung der gewerblichen Tätigkeit des Berufsfremden im Rahmen der Freiberufler-Personengesellschaft aufgrund von § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG oder, wenn der Berufsfremde eine Kapitalgesellschaft ist, eine gewerbliche Prägung der Personengesellschaft nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG. Beide Tatbestände setzen eine Personengesellschaft voraus. Auf Erbengemeinschaften sind sie nicht anzuwenden.

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BFH v. 26. 8. 1958 – I 116/58 U, BStBl. III 1958, 445; v. 22. 8. 1961 – I 12/61, HFR 1961, 274; v. 11. 6. 1985 – VIII R 254/80, BStBl. II 1985, 584; v. 9. 10. 1986 – IV R 235/84, BStBl. II 1987, 124.

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b) Kein Eingreifen der Abfärberegelung Die gewerbliche Abfärbung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG wird nur durch eine teilweise gewerbliche Tätigkeit der Gesellschafter ausgelöst. Die Gesellschafter der Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden müssten sich danach nicht allein freiberuflich, sondern daneben noch gewerblich betätigen wie etwa ein Steuerberater, der nebenher noch Immobilien vermittelt. Bei der Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden liegt der Fall jedoch anders. Hier sind die berufsfremden Gesellschafter voll gewerblich und die Freiberufler allesamt in vollem Umfang nichtgewerblich tätig. Eine Personengesellschaft, die Freiberufler und Gewerbetreibende vereint, ist darum als Gesellschaft zu charakterisieren, in der einige Gesellschafter keine (gewerblichen) Mitunternehmer sind, sondern Einkünfte anderer Art (z. B. Vermögenseinkünfte) beziehen; in derartigen Fällen beschränkt sich der Gewerbebetrieb anerkanntermaßen auf die Tätigkeit der (gewerblichen) Mitunternehmer. Eine Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden ist deshalb nicht unter § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG zu subsumieren. c) Eingreifen der Geprägeregelung nur im Ausnahmefall Es leuchtet zwar zunächst ein, dass eine Kapitalgesellschaft, die sich an einem freiberuflichen Bündnis beteiligt, schon wegen ihrer Eigenschaft als juristische Person als berufsfremd anzusehen ist. Die Rechtsprechung hält die Kapitalgesellschaft aber aufgrund ihrer Rechtsform selbst dann für berufsfremd, wenn sie der Art nach freiberuflich tätig ist und außerdem ihre sämtlichen Geschäftsführer bzw. Vorstandsmitglieder Freiberufler sind. Das ist schon nicht mehr so unmittelbar einleuchtend und lässt sich nur mit dem Hinweis auf die Rechtsform erklären. Während nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG ein kapitalistischer Gesellschafter eigentlich nur dann den Gewerbebetrieb seiner Personengesellschaft herbeiführt, wenn er sie prägt, d. h. wenn sämtliche Voraussetzungen der Gesetzesvorschrift erfüllt sind, sieht die Rechtsprechung das anders. Ihr ist die Beteiligung einer Kapitalgesellschaft in jedem Fall Grund genug, die Freiberufler-Personengesellschaft zum Gewerbebetrieb zu machen; ihr genügt auch hier das Stichwort „berufsfremde Beteiligung“. Demgegenüber setzt zwar die gewerbliche Prägung der Personengesellschaft eine Kapitalgesellschaft als Gesellschafter voraus, findet aber nicht in jedem Fall der Beteiligung einer Kapitalgesellschaft statt, sondern nur, wenn die Kapitalgesellschaft alleiniger persönlich haftender und geschäftsführender Gesellschafter ist. Nicht jede Beteiligung einer Kapitalgesellschaft an einer Freiberufler-Personengesellschaft fällt somit unter § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG.

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d) Kein Grundsatz der Einheitlichkeit freiberuflichen Handelns einer Personengesellschaft Die Rechtsprechung beruft sich für ihre Ansicht auch nicht auf die genannten gesetzlichen Vorschriften, sondern demgegenüber auf den angeblichen Rechtsgrundsatz, eine Freiberuflichkeit der Personengesellschaft setze nun einmal die freiberufliche Tätigkeit der Gesamt-Gesellschaft voraus. Es komme auf das Handeln der Gesellschaft und nicht ihrer Gesellschafter an. Dieser von der Rspr. aufgestellte Grundsatz ist höchst zweifelhaft. Wegen des höchstpersönlichen Charakters der freiberuflichen Tätigkeit ist eine freiberufliche Betätigung der Gesellschaft als solche überhaupt nicht denkbar. Auf ihr Vorliegen kann es deshalb gar nicht ankommen. Entscheidend ist vielmehr allein die Tätigkeit des einzelnen Gesellschafters als Freiberufler, die der Gesellschaft jeweils nach § 18 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zugerechnet wird. Das Vorliegen der freiberuflichen Merkmale wird also nicht bei der Gesellschaft, sondern bei dem einzelnen Gesellschafter festgestellt. Das ist auch gar nicht anders möglich. Die Frage, ob beispielsweise die notwendige staatliche Zulassung oder die erforderliche leitende und eigenverantwortliche Tätigkeit gegeben ist, lässt sich nur für den einzelnen Gesellschafter beantworten. Auch dies spricht gegen die überkommene Vorstellung, der Berufsfremde stecke die mit ihm zusammen arbeitenden Freiberufler sozusagen mit seiner Gewerblichkeit an und mache sie damit ebenfalls zu Gewerbetreibenden. e) Selbst gezogene Grenzen der Rechtsprechung Das Unbehagen des BFH an seiner eigenen Rechtsprechung wird an seinen diversen Hinweisen auf ihre Grenzen deutlich. So nimmt der BFH6 von seinem Grundsatz, dass eine Personengesellschaft zwischen Freiberuflern und gewerblich Tätigen einen umfassenden Gewerbebetrieb unterhält, den Fall aus, in dem die Beteiligung des gewerblich Tätigen die Folge eines Erbfalls ist und nur für eine kurze Übergangszeit besteht. In den Urteilen v. 3. 9. 19577 und v. 8. 2. 19668 lenkt der BFH zudem das Augenmerk in Erbfällen auf die Bedingung, wonach die gewerblich tätigen Hinterbliebenen Mitunternehmer sein müssen, um die gewerbliche Abfärbung auszulösen. Hierfür ist nicht nur ihre entsprechende Einflussmöglichkeit in der Gesellschaft, sondern auch ihre Verlustbeteiligung unbedingt erforderlich.

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BFH v. 22. 1. 1963 – I 242/62 U, BStBl. III 1963, 189. BFH v. 3. 9. 1957 – I 47/57 U, BStBl. III 1957, 375. BFH v. 8. 2. 1966 – VI 204/64, BStBl III 1966, 246.

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Diese von der Rechtsprechung selbst gemachten Einschränkungen reichen aber nicht aus, um das Risiko einer gewerblichen Umqualifizierung freiberuflicher Tätigkeit, die in einer Personengesellschaft mit Berufsfremden geleistet wird, wesentlich zu verringern. Es bleiben die bereits genannten Fälle ungelöst, in denen ein an der Gesellschaft beteiligter Freiberufler nur deshalb zum Gewerbetreibenden wird, weil er eine der vielen Voraussetzungen für die Freiberuflichkeit nicht erfüllt hat. Keiner der übrigen beteiligten Freiberufler hat hierauf irgendeinen Einfluss. 3. Keine Zebragesellschaft im engeren Sinne Wird die bisherige Rechtsprechung verworfen und ein freiberuflicher neben dem gewerblichen Betrieb der Personengesellschaft angenommen, liegt es nahe, danach zu fragen, ob die Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden in Wahrheit eine Zebragesellschaft ist, weil ein Teil ihrer Gesellschafter gewerbliche und ein anderer Teil nichtgewerbliche Einkünfte bezieht. Die Bezeichnung „Zebragesellschaft“ verbildlicht die Vorstellung, dass einige Gesellschafter gewerbliche Einkünfte beziehen, die übrigen hingegen Einkünfte anderer Art. Diese Konstellation kann sich nur dann ergeben, wenn es für die Gewerblichkeit bzw. Nicht-Gewerblichkeit der Einkünfte der Gesellschafter auf deren persönliche Eigenschaften ankommt, und zwar als Ausnahme von dem Grundsatz, dass bei einer Personengesellschaft über die Verwirklichung des Tatbestands der Einkünfteerzielung allein das gemeinsame Handeln ihrer Gesellschafter entscheidet. Individuelle Merkmale können bei dem einen Gesellschafter vorliegen und bei dem anderen fehlen. Eine solche personenbezogene Ursache gewerblicher Einkünfte ist zunächst einmal der Umstand, dass die Beteiligung an der Personengesellschaft in einem gewerblichen Betrieb gehalten wird. Wo die Beteiligung bei dem Gesellschafter angesiedelt ist, lässt sich ausschließlich bei ihm feststellen und kann von Gesellschafter zu Gesellschafter verschieden sein. Nur für die einzelne Person kann aber auch die Frage beantwortet werden, ob die Voraussetzungen einer freiberuflichen Tätigkeit gegeben sind und deshalb die Annahme gewerblicher Einkünften bei ihr ausscheidet. Die Rechtsprechung hat sich zu diesen beiden Fallgruppen unterschiedlich verhalten. Im Fall der Personengesellschaft ohne eigenen Gewerbebetrieb werden die Einkünfte zunächst bei ihr als nichtgewerblich festgestellt und dann den beteiligten Gesellschaftern in der Einkunftsart zugewiesen, in der sie ihnen zufließen. Im Fall der Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden lässt die Rspr. dagegen, wie wir gesehen haben, das gewerbliche Handeln des Berufsfremden auf die freiberufliche Tätigkeit der übrigen Gesellschafter durchschlagen; die Folge davon ist ein einheitlicher Gewerbebetrieb der Freiberufler-Personengesellschaft wegen des Berufsfremden. Hält 524

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man nun diese letztere Rechtsauffassung für falsch, gelangt man dann ohne weiteres zur Zebragesellschaft? Die Antwort hängt davon ab, wie man diesen Begriff versteht. Lässt man es für das Vorliegen einer Zebragesellschaft genügen, dass die Gesellschaft gewerbliche und nichtgewerbliche Einkünfte nebeneinander bezieht, so haben wir es auch bei der Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden mit einer Zebragesellschaft zu tun. Verlangt man jedoch darüber hinaus, dass die Gesellschaft selbst keinen Gewerbebetrieb unterhält, so ist nur eine Personengesellschaft, die selbst ausschließlich nichtgewerbliche Einkünfte bezieht, bei der aber einige Gesellschafter ihre Beteiligung in einem Gewerbebetrieb halten, als Zebragesellschaft zu bezeichnen. Die Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden hat nach jeder der vertretenen Ansichten einen eigenen Gewerbebetrieb, entweder umfassend, wie die Rechtsprechung es sieht, oder teilweise neben einem freiberuflichen Betrieb, wie es hier gesehen wird. In diesem engeren Sinne ist die Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden deshalb in keinem Fall eine Zebragesellschaft. Diese Bezeichnung verdient dann nur die Personengesellschaft, die selbst ausschließlich nichtgewerblich tätig ist, deren Anteile aber von einigen Gesellschaftern in einem Gewerbebetrieb gehalten werden. 4. Personengesellschaft mit mehreren Betrieben unterschiedlicher Art Die Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden ist meines Erachtens eine Personengesellschaft mit zwei Betrieben unterschiedlicher Art, einem gewerblichen wegen ihrer berufsfremden Gesellschafter und einem freiberuflichen wegen ihrer nach wie vor freiberuflich tätigen Gesellschafter. Das gilt erst recht für die Freiberufler-Erbengemeinschaft mit Berufsfremden. Nur wenn der Berufsfremde eine Kapitalgesellschaft ist, welche die Personengesellschaft gewerblich prägt, liegt insgesamt ein Gewerbebetrieb vor. Dieses aus reiner Gesetzesanwendung abgeleitete Ergebnis erscheint wegen seiner Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung auf den ersten Blick ungewohnt, vielleicht sogar überraschend. Eine Personengesellschaft mit zwei Betrieben, einem gewerblichen und einem andersartigen Betrieb, widerspricht das nicht dem Rechtsgedanken der gewerblichen Abfärbung? 5. Keine erweiterte Auslegung der Abfärberegelung Es ist daher zu fragen, ob die Abfärberegelung auch auf die Fälle zu erstrecken ist, in denen nur einige Gesellschafter gewerbliche Mitunternehmer sind, die anderen dagegen nicht. Wäre eine solche Auslegung mit den sonstigen Wertungen des § 15 EStG, insbesondere mit der Geprägeregelung des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG, zu vereinbaren?

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a) Gründe für eine erweiterte Auslegung Es gibt durchaus Gesichtspunkte, die eine erweiterte Auslegung der Geprägeregelung als möglich erscheinen lassen. Anzuführen ist zum einen der Wortlaut der Vorschrift und zum anderen das Verhältnis von Abfärbe- und Geprägeregelung. aa) Kein Verstoß gegen den Wortlaut der Vorschrift Der Wortlaut des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG spricht von der Tätigkeit der Personengesellschaft, nicht der Gesellschafter. Danach ist auch eine Personengesellschaft, bei der sich einzelne Gesellschafter in vollem Umfang gewerblich betätigen und andere Gesellschafter überhaupt nicht gewerblich, sondern freiberuflich arbeiten, teilweise gewerblich tätig. Mit dem Wortlaut der Abfärberegelung wäre eine erweiterte Auslegung also zu vereinbaren. bb) Kein Wertungswiderspruch zwischen Abfärbe- und Geprägeregelung Ist eine Kapitalgesellschaft an einer nichtgewerblich tätigen Personengesellschaft beteiligt, so sind die von ihr aus der Personengesellschaft bezogenen Einkünfte wegen ihrer Rechtsform als Kapitalgesellschaft zwar gewerblicher Natur. Die Kapitalgesellschaft ist dennoch nach allgemeinen Grundsätzen nicht als Mitunternehmerin eines Gewerbebetriebs der Personengesellschaft anzusehen, da diese allein aufgrund der Beteiligung einer Kapitalgesellschaft noch keinen Gewerbebetrieb unterhält. Eine Ausnahme ergibt sich nur im Falle einer gewerblichen Prägung. Lediglich dann, wenn die Personengesellschaft durch die Kapitalgesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG gewerblich geprägt wird, ist ihre Tätigkeit als Gewerbebetrieb zu beurteilen. Die kapitalistische Beteiligung an einer Personengesellschaft erfüllt demnach ohne weiteres weder den Tatbestand der Abfärbe- noch der Geprägeregelung. Abfärbe- und Geprägeregelung stehen vielmehr selbständig nebeneinander. Beschränkt sich die Kapitalgesellschaft in der Freiberufler-Personengesellschaft nicht auf das Halten ihrer Beteiligung, sondern betätigt sie sich darüber hinaus noch gewerblich in ihr, so kommt eine erweiterte Auslegung der Abfärberegelung in Betracht, wonach ihre gewerbliche Tätigkeit auf die freiberufliche Arbeit der übrigen Gesellschafter abfärbt. Eine solche Ausdehnung der Abfärberegelung stünde nicht in Gegensatz zur Geprägeregelung, weil für diese noch der Anwendungsfall des ausschließlichen Haltens der kapitalistischen Beteiligung verbliebe, der nur bei zusätzlicher gewerblicher Prägung zum Gewerbebetrieb der Personengesellschaft führt.

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b) Gründe gegen eine erweiterte Auslegung Gegen eine erweiterte Auslegung der Geprägeregelung sprechen aber die gewichtigeren Gründe. Sie ergeben sich aus der Systematik des § 15 EStG, in Sonderheit aus den allgemeinen Grundsätzen der Abgrenzung zwischen den gewerblichen Einkünften und den übrigen Einkunftsarten. aa) Widerspruch zur Geprägeregelung Die Rechtsprechung zur Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden verstößt gegen die Geprägeregelung des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG. Denn nach dieser Rechtsprechung unterhält die Freiberufler-Personengesellschaft, an der sich eine Kapitalgesellschaft beteiligt, schon aufgrund dieser Beteiligung eines Berufsfremden stets einen Gewerbebetrieb, gleichgültig, ob sich die Kapitalgesellschaft in der Personengesellschaft überhaupt – der Art nach freiberuflich – betätigt oder ob sie sich auf das Halten ihrer Beteiligung beschränkt und ob sie dabei die Voraussetzungen der gewerblichen Prägung erfüllt oder nicht. Ginge man nun dazu über, diese Rechtsprechung mit einer erweiterten Auslegung der Abfärbregelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG zu rechtfertigen, würde die Geprägeregelung des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG dadurch vollkommen überflüssig. Die Rechtsfolge eines Gewerbebetriebs der Personengesellschaft ergäbe sich für den Fall der kapitalistischen Beteiligung stets aus der gewerblichen Abfärbung. Das zeigt: Eine derart erweiterte Auslegung der Abfärberegelung widerspricht mit Sicherheit der Systematik des § 15 Abs. 3 EStG. Aber auch für eine Kapitalgesellschaft, die sich als Gesellschafterin in ihrer Freiberufler-Personengesellschaft gewerblich betätigt, kommt eine erweiterte gewerbliche Abfärbung auf ihre freiberuflich tätigen Mitgesellschafter nicht in Betracht. Das zeigt ein Vergleich mit dem Gebiet der Land- und Forstwirtschaft. Schließen sich Land- und Forstwirte mit einer tätigen Kapitalgesellschaft zur Erzielung eines gemeinsamen Erfolgs in einer Personengesellschaft zusammen, so wird dadurch deren land- und forstwirtschaftliche Tätigkeit noch nicht zu einer gewerblichen. Hier gilt der Nachrang des § 15 gegenüber dem § 13 EStG, der das Gewerbe hinter der Land- und Forstwirtschaft zurücktreten lässt. Der Gewerbebetrieb der Personengesellschaft beschränkt sich demnach auf die Tätigkeit der Kapitalgesellschaft als gewerbliche Mitunternehmerin. Daneben besteht ein landwirtschaftlicher Betrieb der landwirtschaftlich tätigen Gesellschafter. Eine Personengesellschaft kann zwar nicht mehrere Gewerbebetriebe wohl aber verschiedenartige Betriebe nebeneinander haben.

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bb) Keiner Verallgemeinerung zugänglich Hinzukommt: Eine erweiterte Auslegung der Abfärberegelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG würde sich nicht auf den Fall der Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden begrenzen lassen, auch nicht auf den Fall unterschiedlicher betrieblicher Einkünfte. Sie müsste vielmehr allgemein gelten, d. h. auch für die Fälle, in denen sich einige Gesellschafter in der Personengesellschaft gewerblich betätigen, also Mitunternehmer eines Gewerbebetriebs der Personengesellschaft sind, andere dagegen nichtbetriebliche Einkünfte beziehen, d. h. überhaupt keine Mitunternehmer eines Betriebs der Personengesellschaft sind, weil sie entweder keine Mitunternehmerinitiative entfalten können oder kein Mitunternehmerrisiko tragen. Denn im Fall der teilweisen gewerblichen Tätigkeit sämtlicher Gesellschafter färbt die Gewerblichkeit auch auf eine vermögensverwaltende, d. h. nichtbetriebliche Tätigkeit dieser Gesellschafter in der Gesellschaft ab. Die gewerbliche Abfärbung setzt also keine betrieblichen Einkünfte voraus. Dies hätte bei einer erweiterten Auslegung zur Folge, dass aufgrund des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG ganz allgemein Gesellschafter, die nicht Mitunternehmer sind, zu Mitunternehmern würden. Eine solche allgemeine Ausdehnung der gewerblichen Abfärbung widerspräche aber der bisherigen Rechtsprechung zur Mitunternehmerstellung. Wenn nur ein Gesellschafter der Personengesellschaft gewerblicher Mitunternehmer ist, wären es die anderen aufgrund der gewerblichen Abfärbung auch. Eine derartige Bedeutung kann der Ausnahmevorschrift des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG nicht zugebilligt werden. Kann die gewerbliche Abfärbung nicht auf derartige Fälle ausgedehnt werden, ist aber auch das Sonderrecht aufgrund der Rechtsprechung für Freiberufler-Personengesellschaften mit Berufsfremden nicht zu halten. cc) Verfassungsrechtliche Zweifel Eine Ausweitung der Abfärberegelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG im Wege der Auslegung brächte schließlich verfassungsrechtliche Probleme mit sich. Die nichtgewerblich tätigen Mitgesellschafter des gewerblich tätigen Mitgesellschafters hätten gar keine Möglichkeit zur Vermeidung ihrer Gewerblichkeit. Die Begründung einer Schwestergesellschaft wie im Fall der teilweise gewerblich tätigen Gesellschafter wäre nicht möglich, weil damit das gemeinsame Ziel nicht erreicht werden könnte. Schon die gegenwärtige Rechtsprechung zur Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden begegnet deshalb verfassungsrechtlichen Bedenken. Auf die Erfüllung der Voraussetzungen der Freiberuflichkeit bei den Mitgesellschaftern besteht kein Einfluss. Dennoch soll davon die eigene Freiberuflichkeit abhängen. Hinzukommt, dass die Rechtsprechung sogar für Erbengemeinschaften gilt, die völlig unerwartet entstehen. 528

Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden, eine Zebragesellschaft?

IV. Zusammenfassung Die Rechtsprechung zu Freiberufler-Personengesellschaften mit Berufsfremden ist nicht haltbar. Sie widerspricht dem Nachrang der Gewerblichkeit gemäß § 15 Abs. 2 EStG und den davon zugelassenen eng begrenzten Ausnahmen in § 15 Abs. 3 EStG. Für Erbengemeinschaften kann sie schon deshalb nicht akzeptiert werden, weil § 15 Abs. 3 EStG nur auf Personengesellschaften anzuwenden ist. Aber auch bei Personengesellschaften sind die Voraussetzungen der Ausnahmevorschriften des § 15 Abs. 3 EStG nicht erfüllt. Weder kommt es zu einer gewerblichen Abfärbung noch – bei Beteiligung einer Kapitalgesellschaft – in jedem Fall zu einer gewerblichen Prägung. Schließlich ist die Abfärberegelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG auch keiner erweiterten Auslegung zugänglich, denn diese müsste allgemein, d. h. über den Bereich der Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden hinaus gelten. Dann würde sie aber mit der Systematik des § 15 EStG kollidieren. Aus allen diesen Gründen ist die Tätigkeit einer Freiberufler-Personengesellschaft mit Berufsfremden nur gewerblich, soweit die Tätigkeit des Berufsfremden reicht; im Übrigen bleibt sie freiberuflich. Einheitlicher Gewerbetrieb ist nur die Freiberufler-Personengesellschaft, bei der ausschließlich eine oder mehrere Kapitalgesellschaften persönlich haftende Gesellschafter sind und nur diese oder Nichtgesellschafter zur Geschäftsführung befugt sind, und zwar wegen ihrer gewerblichen Prägung.

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Das Bundesverfassungsgericht und die Unternehmensbesteuerung Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Unternehmensbesteuerung 1. Das objektive Nettoprinzip 2. Tatbestandsbestimmtheit im Unternehmenssteuerrecht 3. Gleichheitssatz und Unternehmensbesteuerung

III. Ein Beispiel aus dem Jahre 2004 1. Kammerbeschluß des Zweiten Senats 2. Ermittlungs- und Zuordnungsschwierigkeiten 3. Rechtfertigung durch Ausweichmöglichkeiten 4. Würdigung IV. Resümee

I. Einleitung Arndt Raupach dürfte in seiner steuerrechtlichen Beratungstätigkeit oftmals mit der Frage von Mandanten konfrontiert werden, ob denn eine anzuwendenden Regelung des Unternehmenssteuerrechts mit dem Grundgesetz vereinbar sei und ob die Chance bestehe, das Bundesverfassungsgericht von ihrer Verfassungswidrigkeit zu überzeugen. In einem solchen Gespräch wird er zwar die Möglichkeit einräumen, daß eine einschlägige Vorschrift als verfassungswidrig angesehen werden könne, er wird aber vermutlich abraten, den Weg bis zum Bundesverfassungsgericht zu gehen. Für diese Zurückhaltung mag schon die Sorge um das Kostenrisiko sprechen, auch dürften die mit einem solchen Verfahren verbundenen Unwägbarkeiten dem verständlichen unternehmerischen Bestreben nach Planungssicherheit entgegenstehen. Ein weiterer Grund, der bei der Beratung des Mandanten gegen die Geltendmachung der Verfassungswidrigkeit unternehmenssteuerrechtlicher Normen mitschwingen dürfte, ist die bisherige Praxis des Bundesverfassungsgerichts, das gegenüber der verfassungsrechtlichen Prüfung unternehmenssteuerrechtlicher Normen eine auffallende Zurückhaltung an den Tag legt. Arndt Raupach wird daher den Mandanten darlegen, in der Regel sei damit zu rechnen, daß eine Verfassungsbeschwerde zu Fragen der Unternehmensbesteuerung gar nicht zur Entscheidung angenommen werde. Dementsprechend ist die Zahl der beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahren zum Unternehmenssteuerrecht verglichen mit Verfahren zu anderen steuerrechtlichen Fragen sehr gering. Das ergibt sich aus der vom Bundesministerium der Finanzen veröffentlichten Liste anhängiger Verfah531

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ren in Steuersachen1. Dort werden insgesamt 36 Verfahren dieser Art genannt. Von diesen betreffen nur sechs das Unternehmenssteuerrecht.

II. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Unternehmensbesteuerung Die Rechtsprechung des BVerfG zum Steuerrecht ist dadurch gekennzeichnet, daß zahlreiche Entscheidungen zu allgemeinen Fragen ergangen sind, während die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, insbesondere bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, weitgehend den Fachgerichten überlassen wird2. Diese Zurückhaltung wirkt sich vor allem auf dem Gebiet der Unternehmensbesteuerung aus. Hier harren grundsätzliche Fragen einer verfassungsgerichtlichen Klärung. Dazu gehören: –

verfassungsrechtliche Grundlegung und Reichweite des objektiven Nettoprinzips3;



Anforderungen an die Tatbestandsbestimmtheit im Bereich des Unternehmenssteuerrechts4;



Konkretisierung des Gleichheitssatzes für die Unternehmensbesteuerung5.

Insofern bestehen in der Rechtsprechung des BVerfG erhebliche Defizite: 1. Das objektive Nettoprinzip Für die Einkommensteuer und ihr folgend die Körperschaftsteuer sind Steuertatbestand Einkünfte, also die Differenz zwischen Erträgen und Aufwendungen oder zwischen Einnahmen und Ausgaben. Eine Besteuerung nur der Erträge oder nur der Einnahmen entspräche nicht der im Grundgesetz angelegten Struktur der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Insofern hat das objektive Nettoprinzip Verfassungsrang6. Dennoch hat sich das BVerfG bisher nicht dazu durchringen können, diese verfassungsrechtliche Bedeutung des Nettoprinzips eindeutig anzuerkennen7. Teilweise hat es diese Fra-

__________ 1 2 3 4 5 6 7

Beilage Nr. 3/2005 zum BStBl. II Nr. 16/2005 v. 19. 10. 2005. Überblick nach dem Stande des Jahres 1996 bei Schulze-Osterloh, FS Friauf (1996), 833. Dazu Schulze-Osterloh, DStJG 23 (2000), 67, 69 ff. Allgemein zum Bestimmtheitsgrundsatz im Steuerrecht Papier, DStJG 12 (1989), 61 ff. Dazu Jachmann, DStJG 23 (2000), 9 ff. Schlotter, Teilwertabschreibung und Wertaufholung zwischen Steuerbilanz und Verfassungsrecht, 2005, S. 223; Schön, FR 2001, 381, 382 f.; Schulze-Osterloh, DStJG 23 (2000), 67, 69. Schlotter (Fn. 6), S. 219 f.

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Das Bundesverfassungsgericht und die Unternehmensbesteuerung

ge ausdrücklich offengelassen8, teilweise hat es das Nettoprinzip zwar betont, sich aber zu seiner verfassungsrechtlichen Bedeutung nicht geäußert9. 2. Tatbestandsbestimmtheit im Unternehmenssteuerrecht Im Jahre 1988 hat das BVerfG10 ausgesprochen: „Die einkommensteuerrechtlichen Gewinnermittlungsvorschriften genügen den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Bestimmtheit eines Steuergesetzes.“ Diese Feststellung bezog sich auf die Ermittlung des Steuerbilanzgewinns und konkret auf die Auslegung des Realisationsprinzips. In dieser gegenständlichen Eingrenzung mag man ihr zustimmen können, in ihrer allgemein gefaßten Formulierung geht sie jedoch für das gegenwärtige Unternehmenssteuerrecht zu weit. So wird man z. B. die Vorschrift des § 8a KStG über die Folgen der Gesellschafter-Fremdfinanzierung kaum als ausreichend bestimmt ansehen können, wenn es zur Anwendung dieser Vorschrift zweier aufeinander aufbauender umfangreicher Erlasse des Bundesfinanzministeriums11 bedarf, wobei der neuere dieser Erlasse seinerseits durch einen weiteren Anwendungserlaß12 erläutert wird. Ähnlich wird das Umwandlungssteuergesetz, das der Gewinnermittlung in Umwandlungsfällen dient, durch einen umfangreichen Erlaß des Bundesministeriums der Finanzen13 begleitet. Desgleichen bedurfte die Neufassung der Bestimmung des § 4 Abs. 4a EStG14, mit dem der Schuldzinsenabzug bei sog. Überentnahmen versagt wird, eines längeren Erlasses des Bundesministeriums der Finanzen15. Demgemäß wird auch insoweit die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots bezweifelt16. Nun dienen allerdings Erläuterungsschreiben des Bundesministeriums der Finanzen der einheitlichen Anwendung der Steuergesetze durch die Finanzämter. Je ausführlicher sie aber sind, um so mehr sind sie ein Indiz für die

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8 Für Abzugsfähigkeit von Betriebsausgaben: BVerfG 1 BvL 4, 5, 6, 7/87 v. 23. 1. 1990, BVerfGE 81, 228, 237 = BStBl. II 1990, 483, 486; für Abzugsfähigkeit der Kosten eines häuslichen Arbeitszimmers BVerfG 2 BvR 301/96 v. 7. 12. 1999, BVerfGE 101, 297, 310; für Kosten doppelter Haushaltsführung BVerfG 2 BvR 400/98, 1735/00 v. 4. 12. 2002, BVerfGE 107, 27, 48. 9 Für sonstige Einkünfte: BVerfG 2 BvR 1818/91 v. 30. 9. 1998, BVerfGE 99, 88, 96 f.; für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit: BVerfG 2 BvL 10/95 v. 11. 11. 1998, BVerfGE 99, 280, 290 f. = BStBl. II 1999, 502, 505. 10 BVerfG 1 BvR 273/88 v. 20. 5. 1988, BB 1988, 1716. 11 BMF IV A 2 – S 2742a – 20/04 v. 15. 7. 2004, BStBl. I 2004, 593 ff. unter Bezugnahme auf BMF IV B 7 – S 2742a – 63/94 v. 15. 12. 1994, BStBl. I 1995, 25 ff. 12 BMF IV B 7 – S 2742a – 31/05 v. 22. 7. 2005, BStBl. I 2005, 829 f. 13 BMF IV B 7 – S 1978 – 21/98/IV B 2 – S 1909 – 33/98 v. 25. 3. 1998, BStBl. I 1998, 268 ff. 14 Art. 1 Nr. 3 Buchst. b StBereinG 1999, BGBl. I 1999, 2601, 2602, geändert durch Art. 1 Nr. 4 Buchst. a StÄndG 2001, BGBl. I 2001, 3794, 3795. 15 BMF IV C 2 – S 2144 – 60/00 v. 22. 5. 2000, BStBl. I 2000, 588 ff. mit Änderung BMF IV A 6 – S 2144 – 34/01 v. 28. 3. 2001, BStBl. I 2001, 245. 16 FG Düsseldorf 15 V 1887/01 A (G, F) v. 16. 7. 2001, EFG 2001, 1269 f.; a. M. Wacker in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 4 EStG Rz. 168e (EL 74, März 2002).

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Unbestimmtheit der erläuterten Vorschriften. Es ist daher an der Zeit, die verfassungsrechtlichen Grenzen der Unbestimmtheit steuerrechtlicher Regelungen zu ziehen. Dabei wird zu berücksichtigen sein, daß die Vorgänge, die für das Unternehmenssteuerrecht relevant sind, häufig kompliziert sind. Dieser ökonomische Befund prägt notwendigerweise auch das hierauf bezogene Steuerrecht. 3. Gleichheitssatz und Unternehmensbesteuerung Im Unternehmenssteuerrecht neigt der Gesetzgeber in besonderer Weise dazu, mit Hilfe von Einzelregelungen Steuerpolitik zu betreiben. Damit ist die Gefahr verbunden, den Gleichheitssatz zu verletzen, der bereichsspezifisch17 zu bestimmen ist. Beispiele dafür sind die Einschränkungen, welche die Rückstellungen für Schutzrechtsverletzungen und für Jubiläumszuwendungen durch § 5 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 EStG erfahren haben18. Allerdings wird dem BVerfG zum Teil die Möglichkeit genommen, die Übereinstimmung von Vorschriften mit dem Gleichheitssatz zu prüfen, wenn die Fachgerichte versuchen, anstatt die Sache nach Art. 100 GG vorzulegen, mit gewagten Konstruktionen Verstöße gegen den Gleichheitssatz zu beseitigen. So hat sich der BFH19 genötigt gesehen, die in § 15a EStG angelegte ungleiche Behandlung von Einlagen eines Kommanditisten in einem Verlustjahr und in einem Jahr davor durch Bildung eines nicht im Gesetz vorgesehenen Korrekturpostens außerhalb der Bilanz zu verhindern20. Da der BFH in dieser Entscheidung die gesetzliche Regelung für gleichheitswidrig hielt, war die Vorlage nach Art. 100 GG geboten. Besonders problematisch unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes ist die Erhebung der Gewerbesteuer. Sie hat sich nach der Beseitigung der Lohnsummensteuer und der Gewerbekapitalsteuer von einer Objekt- oder Realsteuer in eine Ertragsteuer zu Lasten gewerblicher Gewinne gewandelt, so daß diese zusätzliche Belastung gewerblicher Einkünfte besonderer Rechtfertigung bedarf21. Aus diesem Grunde ist es besonders zu beklagen, daß das

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17 BVerfG 2 BvR 1483/89 v. 27. 6. 1991, BVerfGE 84, 239, 268 = BStBl. II 1991, 654, 664. 18 Schulze-Osterloh, FS Friauf (1996), 833 ff. 19 BFH VIII R 32/01 v. 14. 10. 2003, BFHE 203, 462, 465 ff. = BStBl. II 2004, 359, 361 f. = FR 2004, 150, 151 ff. mit Anm. Kempermann, 158 f. 20 Zustimmend Niehus/Wilke, FR 2004, 677 ff.; Wacker, DB 2004, 11 ff.; kritisch zu dieser Entscheidung Brandenberg, DB 2004, 1632, 1635; Claudy/Steger, DStR 2004, 1504 ff.; HG, DStR 2004, 28. Nichtanwendungserlaß BMF IV A 6 – S 2241a – 10/04, BStBl. I 2004, 463. 21 FG Niedersachsen 4 K 317/91 v. 24. 6. 1998, FR 1998, 1041, 1047 ff.; v. 21. 4. 2004, EFG 2004, 1065, 1069 ff. = FR 2004, 907, 909 ff. mit Ergänzungsbeschluß v. 14. 5. 2005, FR 2005, 690 ff.; FG Baden-Württemberg 9 K 208/92 v. 16. 10. 1998, EFG 1999, 133 f.; Montag in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, § 12 Rz. 1, 2, S. 423 ff.; Gosch DStZ 1998, 327, 328 f.; Hey FR 2004, 876 ff.; sinngemäß ebenso Seer, FR 1998, 1022 ff.

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BVerfG diesbezügliche Vorlagen der Finanzgerichte Niedersachsen22 und Baden-Württemberg23 durch Kammerbeschlüsse24 als unzulässig verworfen hat. Dasselbe ist gegenüber Verfassungsbeschwerden geschehen25. Immerhin gibt der wiederholte Beschluß des FG Niedersachsen26 dem BVerfG Gelegenheit, demnächst eine Sachentscheidung zu treffen27, haben sich doch die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse seit den ausdrücklichen Entscheidungen zur Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuer erheblich geändert28. In dem Beschluß vom 21. 12. 196629 ging es um die Zulässigkeit der Lohnsummensteuer im Jahre 1962, in dem vom 13. 5. 196930 um die Hinzurechnung der Dauerschulden und Dauerschuldzinsen im Jahre 195831 und in dem vom 25. 10. 197732 um die Gewerbesteuerpflicht selbständiger Handelsvertreter im Jahre 1966. Der Vorlagebeschluß des FG Niedersachsen betrifft immerhin das Jahr 198833, in dem noch die Gewerbekapitalsteuer erhoben wurde. Wünschenswert ist es allerdings, daß dem BVerfG, sei es im Weg der Richtervorlage, sei es als Verfassungsbeschwerde Gelegenheit gegeben wird, die Verfassungsmäßigkeit einer Gewerbesteuer, die ausschließlich an den Gewerbeertrag anknüpft, zu prüfen.

III. Ein Beispiel aus dem Jahre 2004 Die sich aus den vorangegangenen Ausführungen ergebende Zurückhaltung des BVerfG in Fragen der Unternehmensbesteuerung läßt sich exemplarisch an einer im Jahre 2004 ergangenen Entscheidung zeigen.

__________ 22 FG Niedersachsen 4 K 317/91 v. 24. 6. 1998, FR 1998, 1041, 1047 ff. 23 FG Baden-Württemberg 9 K 208/92 v. 16. 10. 1998, EFG 1999, 133 f. 24 Zu FG Niedersachsen BVerfG 1 BvL 10/98 v. 17. 11. 1998, BStBl. II 1999, 509 ff. = FR 1999, 528 ff. mit Kommentaren Tipke und Paus; zu FG Baden-Württemberg BVerfG 1 BvL v. 17. 12. 1998. 25 BVerfG 2 BvR 460/93 v. 14. 2. 2001, NJW 2001, 1853 f.; 2 BvR 1488/93 v. 14. 2. 2001, NJW 2001, 1854. 26 FG Niedersachsen 4 K 317/91 v. 21. 4. 2004, DStRE 2004, 1161, 1164 ff. = EFG 2004, 1065, 1068 ff. = FR 2004, 907, 909 ff. mit Ergänzungsbeschluß v. 14. 4. 2005, EFG 2005, 1417 ff. = FR 2005, 690 ff. (dort mit unrichtiger Angabe des Datums). 27 Hey, FR 2004, 876 ff.; angesichts der bisherigen Praxis des BVerfG verständlicherweise skeptisch Kanzler, FR 2005, 140, 141; ebenso BFH IV B 91/04 v. 15. 3. 2005, DStR 2005, 1052, 1053, BFH IV R 34/03 v. 7. 4. 2005, DStR 2005, 1054, 1055. 28 Jachmann, NJW 2001, 1840. 29 1 BvR 33/64, BVerfGE 21, 54, 63 ff. = BStBl. III 1967, 743, 745 ff. 30 1 BvR 25/65, BVerfGE 26, 1, 8 f. = BStBl. II 1969, 424, 425 ff. 31 So das FG Niedersachsen in seinem erneuten Vorlagebeschluß 4 K 317/91 v. 21. 4. 2004, EFG 2004, 1065, 1069 = FR 2004, 907, 910. Dem Beschluß des BVerfG ist nicht deutlich zu entnehmen, um welches Jahr es sich handelte. Immerhin ging es um das Gewerbesteuergesetz i. d. F. v. 18. 11. 1958, und die angefochtene Entscheidung des BFH ist nach dem Aktenzeichen zu urteilen bei diesem Gericht im Jahre 1962 eingegangen. 32 1 BvR 15/75, BVerfGE 46, 224, 233 ff. = BStBl. II 1978, 125, 127 ff. 33 FR 1998, 1041, 1043.

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1. Kammerbeschluß des Zweiten Senats Im Jahre 1997 hat der BFH34 die Einkünfte von Ehegatten aus einer als Gesellschaft bürgerlichen Rechts betriebenen kieferorthopädischen Praxis als gewerbliche qualifiziert, weil zwischen dieser und einer GmbH, die Labortätigkeiten ausführte, eine Betriebsaufspaltung festgestellt wurde, wobei die Gewerblichkeit nicht nur für die Vermietung der der GmbH überlassenen Räume angenommen, sondern auf Grund der Abfärbewirkung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG auch auf die kieferorthopädischen Leistungen erstreckt wurde. Die hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG35 sechs Jahre später unter Berufung auf § 93a Abs. 2 Nr. 1 BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen. Das BVerfG bringt einleitend zum Ausdruck, daß die in der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen hinreichend geklärt seien. Dafür stellt es die Anforderungen dar, die sich nach seiner Rechtsprechung aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben, und entwickelt sodann deren bereichsspezifische Konkretisierung für das Steuerrecht unter Hervorhebung des Prinzips der steuerlichen Leistungsfähigkeit und der Folgerichtigkeit. In diesem Zusammenhang wird angesichts der steuerlichen Massenverfahren die Befugnis des Gesetzgebers zum Erlaß generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen betont. Schließlich wird der Satz aufgestellt, daß für die gleichheitsrechtliche Abwägung auch ins Gewicht falle, „wieweit dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eröffnet ist, zwischen verschiedenen Begünstigungs- oder Belastungsalternativen zu wählen“. Auf dieser Grundlage wird § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG näher betrachtet. Das BVerfG erkennt zutreffend, daß trennbare unterschiedliche Tätigkeiten eines Einzelunternehmers jeweils den ihnen entsprechenden Einkunftsarten zugeordnet werden. Die hierin angelegte voneinander abweichende Besteuerung des Einzelunternehmers einerseits und der Gesellschafter einer Personengesellschaft andererseits mit gemischten Tätigkeiten wird mit zwei Argumenten gerechtfertigt: Zum einen bestehe infolge der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Besteuerungsgrundlagen nach den §§ 179 Abs. 2 Satz 1, 180 Abs. 1 Nr. 2 lit. a AO das praktische Bedürfnis, die Einkünfte einer einzigen Einkunftsart zuzuordnen. Zum anderen gebe es bei gemischter Tätigkeit einer Personengesellschaft besondere Ermittlungs- und Zuordnungsschwierigkeiten, die ohne eine Betriebsprüfung nicht geklärt werden könnten, wenn die Bereiche wirtschaftlich nicht eindeutig voneinander abgegrenzt seien. Schließlich wird es als „wesentlich“ bezeichnet, daß die

__________ 34 BFH IV R 67/96 v. 13. 11. 1997, BFHE 184, 512, 513 ff. = BStBl. II 1998, 255, 256 ff. = FR 1998, 316 ff. 35 BVerfG 2 BvR 246/98 v. 26. 10. 2004, BFH/NV Beilage 2005, 259 f. = DStRE 2005, 877 ff. = FR 2005, 139 ff. mit Komm. Kanzler = HFR 2005, 56 f. = NZG 2005, 92 ff.

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Steuerpflichtigen in der Lage seien, durch entsprechende Gestaltungen die Erfüllung des Tatbestandes des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG zu vermeiden. 2. Ermittlungs- und Zuordnungsschwierigkeiten Erzielt ein Steuerpflichtiger Einkünfte aus verschiedenen Einkunftsarten, besteht die Notwendigkeit, je nach der Einkunftsart die Erträge und Aufwendungen oder die Einnahmen und Ausgaben einer der in Betracht kommenden Einkunftsarten zuzuordnen. Es kommt darauf an, auf welche Einkunftsart sich diese Vorgänge jeweils beziehen. Dafür sind entsprechend den steuerlichen Tatbeständen die wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhänge zu ermitteln. Und der Steuerpflichtige ist genötigt, organisatorische Vorkehrungen zu treffen, mit deren Hilfe die Einkünfte der unterschiedlichen Tätigkeitsbestandteile getrennt ermittelt werden können. Die hiernach erforderliche Subsumtion von Ergebnisbestandteilen zu einzelnen Einkunftsarten ist bei einer Personengesellschaft keine andere als bei einem einzelnen Steuerpflichtigen. Gerade die vom BVerfG hervorgehobene gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gibt die Möglichkeit, die Einkünfteermittlung auf die Ebene der Gesellschaft vorzunehmen, ohne zunächst auf die Beteiligung der Gesellschafter Bedacht nehmen zu müssen. Insofern wird der Zusammenschluß der Gesellschafter wie ein einzelner Steuerpflichtiger behandelt. Die weiterhin erwähnten besonderen Ermittlungs- und Zuordnungsschwierigkeiten können sich daher nicht aus der Ermittlung der Einkünfte auf der Ebene der Gesellschaft ergeben36. Sie beruhen entgegen einer Äußerung des BFH37 auch nicht darauf, daß bei einer Personenhandelsgesellschaft ein einheitliches Gesellschaftsvermögen gebildet werde, das nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG Grundlage der steuerlichen Gewinnermittlung sei. Mit dieser Argumentation wird vorausgesetzt, daß ein von einer Personengesellschaft betriebenes Handelsgewerbe stets auch Gewerbe im steuerrechtlichen Sinne sei. Beide Begriffe des Gewerbebetriebs sind jedoch nicht deckungsgleich38. Die schon immer bestehenden Unterschiede sind noch dadurch verstärkt worden, daß seit dem Handelsrechtsreformgesetz aus dem Jahre 1998 auch die vermögensverwaltende Personengesellschaft Handelsgesellschaft sein kann39. Wie bei einem einzelnen Steuerpflichtigen kann und muß daher auch bei einer Personengesellschaft jeweils geprüft werden, inwieweit das Vermögen zur Erzielung gewerblicher oder anderer Einkünfte eingesetzt wird.

__________ 36 Ähnlich FG Niedersachsen 4 K 317/91 v. 14. 4. 2005, EFG 2005, 1417, 1422 ff. = FR 2005, 690, 695 ff. 37 BFH IV R 86/80 v. 10. 11. 1983, BFHE 140, 44, 47 f. = BStBl. II 1984, 152, 154 = FR 1984, 261, 262. 38 Schulze-Osterloh, GS Knobbe-Keuk, 1997, 531, 535 f. 39 Dazu Drüen, FR 2000, 177, 184.

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Es kommt hinzu, daß diese angeblichen Ermittlungs- und Zuordnungsschwierigkeiten mangels entsprechender Regelung offenbar in Kauf genommen werden, wenn es nicht um die Konkurrenz mit gewerblichen Einkünften geht, sondern wenn sich die Tätigkeit der Gesellschaft auf andere Gewinneinkünfte, also solche aus Land- und Forstwirtschaft oder aus selbständiger Arbeit, und zugleich auf Vermögensverwaltung erstreckt40. Es geht also gar nicht um die Aufteilungsschwierigkeiten, sondern um die Sicherung des Gewerbesteueraufkommens41. Besonderheiten ergeben sich allenfalls, wenn bei der Feststellung der Einkünfte der Gesellschafter Tätigkeits- und Überlassungsvergütungen zu berücksichtigen sind. Ihre Umqualifizierung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG i.V.m. mit § 13 Abs. 7 und § 18 Abs. 4 Satz 2 EStG findet nur im Bereich der Gewinneinkünfte statt. Ist der Gesellschafter einer vermögensverwaltenden Gesellschaft für diese entgeltlich tätig, gewährt er ihr ein Darlehen oder überläßt er ihr einen Gegenstand zur Nutzung, so führen die sich daraus ergebenden Vergütungen zu den diesem wirtschaftlichen Vorgang entsprechenden Einkünften. Bei einer Gesellschaft, die eine gemischte Tätigkeit erbringt, ist also jeweils zu prüfen, auf welchen Bereich sich die Tätigkeit, die Darlehensgewährung oder Nutzungsüberlassung des Gesellschafters bezieht. Entgegen einer schon von Strutz42 im Jahre 1929 für Tätigkeitsvergütungen begründeten Auffassung ist die damit verbundene Zuordnungsentscheidung nun aber keine andere als die entsprechende Entscheidung, die bei einer gemischten Tätigkeit eines einzelnen Steuerpflichtigen zu treffen ist. Hier wie dort ist jeweils festzustellen, welchen Tätigkeitsbereich ein Vorgang betrifft. Dabei kann es sich im Falle eines einzelnen Steuerpflichtigen auch um Vorgänge handeln, die zwischen seiner Privatsphäre und seiner betrieblichen oder beruflichen Sphäre stattfinden. So ist eine Sachentnahme aus einem Betriebsvermögen anders zu beurteilen als eine Sachentnahme aus einem Bereich der Vermögensverwaltung. Entsprechendes gilt für Sacheinlagen. Daß in diese Fällen Ermittlungs- und Zuordnungsschwierigkeiten, die über die normalen Probleme der Erfassung steuerrechtlich relevanter Sachverhalte hinausgehen, nicht bestehen, zeigt auch die Praxis des BFH. Nach seinem Urteil vom 10. 8. 199443 war es möglich, für eine Steuerberaterkanzlei mit gewerblicher Treuhandtätigkeit die prozentualen Anteile der jeweiligen Gewinne für fünf Jahre auf zwei Stellen hinter dem Komma genau zu ermitteln.

__________ 40 FG Niedersachsen 4 K 317/91 v. 24. 6. 1998, FR 1998, 1041, 1052; Stuhrmann in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 15 EStG Rz. 229 (EL 86, Mai 2005); Wacker in Schmidt, EStG, 24. Aufl. 2005, § 15 Rz. 191; Drüen, FR 2000, 177, 183. 41 Drüen, FR 2000, 177, 185 f. 42 Strutz, Kommentar zum EStG v. 10. 8. 1925, Zweiter Band, 1929, § 29 EStG Anm. 30 a. E. 43 BFH I R 133/93, BFHE 175, 357 ff. = BStBl. II 1995, 171 ff. = FR 1995, 20 ff. mit Anm. Kempermann.

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Das Bundesverfassungsgericht und die Unternehmensbesteuerung

Und in seinem Urteil vom 11. 8. 199944 hat der BFH die Abfärbewirkung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG nicht für gegeben erachtet, wenn der Anteil der originär gewerblichen Tätigkeit nur 1,25 % an der Gesamttätigkeit beträgt. Allerdings ergibt sich aus dem Gründen, nicht aus dem Tenor, daß dieser Prozentsatz nicht auf den Gewinn, sondern auf den leichter zu ermittelnden Umsatz bezogen wird, doch ist nicht auszuschließen, daß das Gericht die Aussage im Tenor auch auf einen entsprechenden Bruchteil des Gewinns beziehen würde45. Hinsichtlich der als entscheidungserheblich eingestuften Ermittlungs- und Zuordnungsschwierigkeiten ist das Bundesverfassungsgericht also einer Mär aufgesessen, die allerdings auch der BFH46 verbreitet hat. Entgegen einem von ihm verwendeten Zitat47 kann sich das BVerfG dafür auch nicht auf eine Äußerung in der Begründung zum Regierungsentwurf des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG stützen. Dort werden nur rechtssystematische Gründe (Übernahme einer Regelung im Gewerbesteuergesetz in das Einkommensteuergesetz) angeführt. Im übrigen bestehen die Ermittlungs- und Zuordnungsschwierigkeiten auch dann, wenn entsprechend dem nun auch vom BVerfG erteilten Ratschlag48 eine weitere personenidentische Personengesellschaft gegründet wird, mit deren Hilfe die gewerbliche Tätigkeit ausgeübt wird49. Ein enger organisatorischer Zusammenhang beider Gesellschaften läßt sich nicht vermeiden. Es ist also auch in diesen Fällen zu prüfen, welcher Gesellschaft die Erträge oder Einnahmen und die Aufwendungen oder Ausgaben zuzuordnen sind50. Dabei läßt das BMF großzügige Schätzungsverfahren zu51. 3. Rechtfertigung durch Ausweichmöglichkeiten Die vom BVerfG als „wesentlich“ bezeichnete Ausweichmöglichkeit der Steuerpflichtigen besteht darin, daß die gewerbliche Tätigkeit in eine gesondert zu gründende Personengesellschaft verlagert wird. Daraus soll sich ergeben, daß die Vorschrift des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Eine solche Empfehlung hat bereits in der Zeit vor dem

__________ 44 BFH XI R 12/98, BFHE 189, 419 ff. = BStBl. II 2000, 229 f. = FR 1999, 1182 f. mit Komm. Wendt. 45 In diesem Sinne Wendt, FR 1999, 1183, 1184. 46 BFH IV R 43/00 v. 30. 8. 2001, BFHE 196, 511, 514 = BStBl. II 2002, 152, 153 = FR 2002, 282, 283. 47 BT-Drucks. 10/3663, S. 8. 48 Dazu unten III. 3. 49 Zutr. FG Niedersachsen 4 K 317/91 v. 14. 4. 2005, EFG 2005, 1417, 1430 = FR 2005, 690, 704. 50 Korn, DStR 1995, 1249, 1255. 51 BMF IV B 44 – S 2246 – 23/97 v. 14. 5. 1997, BStBl. I 1997, 566 unter 5.

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Grundgesetz der RFH52 gegeben. Unter dem Eindruck der Verfassungslage haben sich gleichermaßen der BMF53 und der BFH54 geäußert. Auch im Schrifttum wird ein solches Ausweichen empfohlen55 oder wenigstens für möglich gehalten56. Ob Ausweichmöglichkeiten, die sich dem Steuerpflichtigen nur bei qualifizierter Beratung erschließen können, die Verfassungswidrigkeit einer Norm beseitigen, ist eine Frage, der grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung i. S. d. § 93a Abs. 2 Buchst a BVerfGG zukommt. Sie wird im Schrifttum weitgehend verneint57, so daß es mindestens aus diesem Grunde angezeigt gewesen wäre, die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen. Allerdings verknüpft das BVerfG bei der einleitenden Darstellung der verfassungsrechtlichen Rechtslage seinen Hinweis auf das Gewicht von Wahlmöglichkeiten des Steuerpflichtigen58 mit einem Zitat eines Beschlusses des 1. Senats aus dem Jahre 199159. Diese Entscheidung trägt jedoch die Argumentation mit den Ausweichmöglichkeiten nicht. In ihr ging es um die im Jahre 1984 geltenden Bestimmungen über die Absetzungen für Abnutzungen auf Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Gebäuden. Die Steuerpflichtigen konnten im Falle von Ein- und Zweifamilienhäusern wählen zwischen der allgemeinen Abschreibung nach § 7 Abs. 5 EStG und den erhöhten Absetzungen nach § 7b EStG. Beide Regelungen hielt das BVerfG für in sich verfassungsmäßig und erkannte, daß der Steuerpflichtige keinen Anspruch habe, sich für die jeweils ihm günstigen Elemente aus beiden Regelungen zu entscheiden. Das Gericht verglich also zwei verfassungsmäßige Regelungen miteinander. Der Fall des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG liegt jedoch anders: Hier wird eine Wahlmöglichkeit eingeräumt zwischen der Anwendung einer als verfassungswidrig anzusehenden und einer verfassungsmäßigen Regelung. Ob eine solche Wahlmöglichkeit die Verfassungswidrigkeit einer der beiden Regelungen

__________ 52 Vorbescheid RFH VI A 449/37 v. 25. 8. 1937, RStBl. 1937, 1129, 1130; Urteil v. 24. 11. 1937, RStBl. 1938, 107, 108. 53 Für Augenärzte und Tierärzte in Gemeinschaftspraxen BMF IV B 44 – S 2246 – 23/97 v. 14. 5. 1997, BStBl. I 1997, 566. 54 BFH IV R 86/80 v. 10. 11. 1983, BFHE 140, 44, 48 = BStBl. II 1984, 152, 154 = FR 1984, 261, 262; BFH I R 133/93 v. 10. 8. 1994, BFHE 175, 357, 360 = BStBl. II 1995, 171, 172 f. = FR 1995, 20, 21; BFH IV R 7/92 v. 8. 12. 1994, BFHE 176, 555, 560 = BStBl. II 1996, 264, 266 = FR 1995, 380, 381 mit Anm. Söffing; BFH IV R 67/96 v. 13. 11. 1997, BFHE 184, 512, 517 = BStBl. II 1998, 255, 256. = FR 1998, 317 f. 55 Wacker (Fn. 40), § 15 EStG Rz. 193 f. 56 Reiß in Kirchhof, EStG KompaktKommentar Einkommensteuergesetz, 5. Aufl. 2005, § 15 EStG Rz. 146; Stuhrmann (Fn. 40), § 15 EStG Rz. 231. 57 Gosch, StBp 1998, 81, 82; Habscheidt, BB 1998, 1184, 1186; Korn, DStR 1995, 1249, 1254; Schulze-Osterloh, GS Knobbe-Keuk, 1997, 531, 537 f.; Schwendy, INF 1995, 75, 76; Stadie, FR 1989, 93, 94. 58 Oben III. 1. 59 BVerfG 1 BvL 509/86 v. 8. 10. 1991, BVerfGE 84, 348, 360 f. = NJW 1992, 423, 424.

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beseitigt, hat das Gericht in dem Beschluß aus dem Jahre 1991 nicht zu entscheiden gehabt und nicht entschieden. Es fällt auf, daß damals die Verfassungsmäßigkeit beider Regelungen ausdrücklich betont wurde60, so daß eher ein Gegenschluß gerechtfertigt ist, der zusätzlich die grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung i. S. d. § 93a Abs. 2 Buchst. a BVerfGG unterstreicht. 4. Würdigung Der Kammerbeschluß des Zweiten Senats ist also außerordentlich unbefriedigend. Er geht hinsichtlich der Ermittlungs- und Zuordnungsschwierigkeiten von unrichtigen tatsächlichen Vorstellungen über die Praxis der Rechnungslegung aus und berücksichtigt nicht die grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung der Frage, ob die Verfassungswidrigkeit einer Norm dadurch geheilt wird, daß der Betroffene durch entsprechende Gestaltungen den Wirkungen dieser Norm ausweichen kann. Darüber hinaus geht die Kammer erstaunlicherweise61 mit keinem Wort darauf ein, daß die angegriffene Vorschrift des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG der Sicherung des Gewerbesteueraufkommens dient, sie also u. U. anders zu beurteilen sein müßte, wenn die Gewerbesteuer, wie vielfach angenommen62, in ihrer gegenwärtigen Form gegen den Gleichheitssatz verstößt.

IV. Resümee Die Rechtsprechung des BVerfG zur Unternehmensbesteuerung zeigt eine Zurückhaltung, die der Bedeutung dieser Materie in keiner Weise angemessen ist. Es bleibt daher nur der Appell an Arndt Raupach, die anderen Berater der Steuerpflichtigen sowie die Finanzgerichtsbarkeit, nicht zu resignieren und dem Gericht immer wieder verfassungsrechtlich zweifelhafte Vorschriften aus dem Gebiet der Unternehmensbesteuerung zur Prüfung vorzulegen. Auf diese Weise könnte ihm umfassender, als daß bisher offenbar geschehen ist, die verfassungsrechtliche Relevanz der unternehmenssteuerrechtlichen Regelungen vor Augen geführt werden.

__________ 60 „Es reicht aus, daß keine von ihnen [die Wahlmöglichkeiten] eine in sich verfassungswidrige Regelung enthält und daß die Vorteile bei generalisierender Betrachtung annähernd gleichwertig sind.“ (BVerfGE 84, 348, 361 = NJW 1992, 423, 424). 61 Kanzler, FR 2005, 140, 141. 62 Oben II. 3.

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Probleme beim Übergang vom Halbeinkünfteverfahren zur Organschaft – Mehr- und Minderabführungen nach § 14 Abs. 3 KStG Inhaltsübersicht I. Problemstellung II. Ziel der gesetzlichen Regelung III. Rechtslage vor der gesetzlichen Regelung IV. Der Regelungsbedarf V. Die Tatbestandsmerkmale des § 14 Abs. 3 KStG 1. Mehr- und Minderabführungen 2. Vororganschaftliche Veranlassung der Mehr- oder Minderabführungen VI. Die Rechtsfolgen 1. Rechtliche Grundlagen 2. Mehrabführungen a) Die Steuerpflicht des Organträgers b) Körperschaftsteuerminderung und -erhöhung bei der Organgesellschaft

3. Minderabführungen a) Die Einlagenfiktion und ihre Rechtsfolgen b) Ausgleich vororganschaftlicher Verluste VII. Exkurs: Vororganschaftliche und organschaftliche Mehr- und Minderabführungen im Vergleich 1. Minderabführungen 2. Mehrabführungen VIII. Zweifelsfragen 1. Mehr- und Minderabführungen bei Verlustübernahme 2. Geschäftsvorfallbezogene Betrachtung 3. Mehrstufige Organschaftsverhältnisse IX. Kapitalertragsteuerpflicht X. Zusammenfassung

I. Problemstellung Nach dem Subjekt- oder Individualprinzip muss jedes Einkommen- oder Körperschaftsteuersubjekt sein eigenes Einkommen versteuern. Als Maßgröße steuerlicher Leistungsfähigkeit dient das realisierte disponible Einkommen. Ausgaben zum Verbrauch (Konsum) oder zur anderweitigen Verwendung des Einkommens mindern die Steuerbemessungsgrundlage nicht. Wendet eine Kapitalgesellschaft ihr Einkommen durch offene oder verdeckte Gewinnausschüttung dem Gesellschafter zu, erzielt dieser seinerseits Einkünfte, die sein steuerbares Einkommen erhöhen. Das Subjektprinzip führt deshalb im Bereich der Kapitaleinkünfte prinzipiell zur Mehrfachbelastung der ausgeschütteten Gewinne. Es bedarf besonderer Regelungen, um die Mehrfachbelastung zu vermeiden oder zu mildern. Als Instrumente dafür sind nach Abschaffung des Anrechnungsverfahrens die Dividendenfreistellung (§§ 8b Abs. 1, 5 KStG, 3 Nr. 40 Buchst. d, 3c Abs. 2 EStG) und die Organschaft (§ 14 KStG) verblieben. Aus gestalterischer Sicht ist die Organschaft der Dividendenfreistellung überlegen, weil sie den Verlustausgleich 543

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zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft ermöglicht. Denn während im Halbeinkünfteverfahren die Tochtergesellschaft ihr Einkommen selbst versteuern muss und Verluste daher nur im eigenen Unternehmen verwerten kann, wird ihr Einkommen im Rahmen der Organschaft der Muttergesellschaft zugerechnet. Dies macht den Übergang vom Halbeinkünfteverfahren zur Organschaft für verbundene Unternehmen attraktiv. Dabei treten allerdings besondere Probleme hinsichtlich der Besteuerung von Geschäftsvorfällen aus vororganschaftlicher Zeit auf, die in organschaftlicher Zeit erfolgswirksam werden. Die Lösung dieser schwierigen Fragen hatte der Gesetzgeber bislang der Verwaltung überlassen. Jedoch hat der BFH1 entschieden, dass die einschlägige Verwaltungsregelung2 keine gesetzliche Grundlage hat. Der Gesetzgeber hat deshalb Anfang dieses Jahres die Rechtsfolgen der vororganschaftlichen Mehr- und Minderabführungen im Richtlinien-Umsetzungsgesetz (EURLUmsG)3 geregelt. Mehrabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben, gelten als Gewinnausschüttungen der Organgesellschaft an den Organträger, Minderabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben, sind als Einlagen durch den Organträger in die Organgesellschaft zu behandeln (§ 14 Abs. 3 Sätze 1, 2 KStG). Die Neuregelung ist erstmals für Mehrabführungen von Organgesellschaften anzuwenden, deren Wirtschaftsjahr nach dem 31. 12. 2003 endet (§ 34 Abs. 9 Nr. 4 KStG)4, 5. Die Minderabführungen werden in den Übergangsregelungen nicht erwähnt, so dass für sie die Neuregelung erst ab dem Veranlagungszeitraum 2005 gilt (§ 34 Abs. 1 KStG).

II. Ziel der gesetzlichen Regelung Die Bundesregierung hat in der Gesetzesbegründung6 den Zweck der Neuregelung skizziert. Danach grenzt § 14 Abs. 3 KStG die Sonderbestimmungen der Organschaft von den allgemeinen Bestimmungen des Halbeinkünfteverfahrens im Sinne der Verwaltungsauffassung ab, die vor den Urteilen des BFH vom 18. 12. 2002 gegolten hat: Die steuerliche Organschaft solle nur die Ergebnisse erfassen, die in organschaftlicher Zeit entstanden sind. Sachverhalte, die vor Beginn der Organ-

__________ 1

2 3 4 5 6

Hinweis auf die Urteile v. 18. 12. 2002 – I R 50/01, BStBl II 2005, 49 (Vorinstanz: FG Düsseldorf v. 6. 3. 2001 – 6 K 332/98, EFG 2001 S. 919); v. 18. 12. 2002 – I R 51 R 51/01 (Vorinstanz: FG Düsseldorf v. 20. 3. 2001 – 6 K 5206/98, EFG 2001, 917); v. 18. 12. 2002 – I 68/01 (Vorinstanz: FG Münster v. 4. 4. 2001 – 9 K 4668/98 K, F, EFG 2001, 1319). Abschn. 59 Abs. 4 KStR 1995. BGBl I 2004, 3310. Zur verfassungsrechtlichen Rückwirkungsproblematik vgl. Flutgraf/Fuchs/Stifter, DB 2004, 2012. Für die Jahre 1995 bis 2003 hat die Finanzverwaltung eine Übergangsregelung getroffen, BMF v. 22. 12. 2004, BStBl I 2005, 65 u. v.28. 6. 2005, BStBl I 2005, 813. BT-Drucks. 15/3677, 36.

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Probleme beim Übergang vom Halbeinkünfteverfahren zur Organschaft

schaft steuerlich wirksam geworden sind, aber erst in organschaftlicher Zeit den nach der Handelsbilanz abzuführenden Gewinn beeinflussen, sollen dagegen nach den allgemeinen Bestimmungen behandelt werden. Dementsprechend sind Mehrabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben, auf der Ebene der Organgesellschaft und des Organträgers wie Gewinnausschüttungen zu besteuern. Als Mehrabführung gilt nach der Gesetzesbegründung der Betrag, um den „die handelsrechtliche Gewinnabführung höher ist als das steuerlich dem Organträger zuzurechnende Ergebnis.“ Der Differenzbetrag wird als Gewinnausschüttung angesehen, die nicht auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluss beruht.

III. Rechtslage vor der gesetzlichen Regelung Die Ausgangslage, auf der § 14 Abs. 3 KStG aufbaut, ergibt sich aus der eingangs zitierten BFH-Rechtsprechung. Dem im Bundessteuerblatt veröffentlichten BFH-Urteil vom 18. 12. 20027 liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Organgesellschaft bildete vor Beginn der Organschaft in ihrer Handelsbilanz Rückstellungen für Gnadengehälter und Jubiläumsgelder. In der Steuerbilanz war ein niedriger Ansatz geboten. In organschaftlicher Zeit verringerten sich die Rückstellungen. Infolge der Auflösung ergab sich in der Handelsbilanz ein höherer Gewinn als in der Steuerbilanz, so dass es in Höhe des Unterschieds zu einer Mehrabführung kam. Das Finanzamt behandelte diese – unter der Herrschaft des Anrechnungsverfahrens – als andere Ausschüttung im Sinne des § 27 Abs. 3 KStG 1996 und stellte die Ausschüttungsbelastung her. Da die Finanzierung der Ausschüttung aus dem sog. EK 02 erfolgte, ergab sich eine entsprechende Körperschaftsteuererhöhung. Der BFH hat der Klage der Organgesellschaft stattgegeben und die Körperschaftsteuer auf 0 Euro festgesetzt. Er hat entschieden, dass weder die Gewinnabführung noch die Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft beim Organträger eine Ausschüttung sei. Die Gewinnabführung sei handelsrechtlich Betriebsausgabe. Steuerrechtlich sei sie eine Gewinnverwendung eigener Art, die das Einkommen der Organgesellschaft nicht mindere. Sie löse beim Organträger keine Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 EStG aus. Insofern gingen die Regelungen der Organschaft (§ 14 KStG 1996) den Vorschriften über das Anrechnungsverfahren (§§ 27 ff. KStG 1996) vor. Bei einer Gewinnabführung kann nach dem BFH-Urteil nicht danach differenziert werden, ob Teilbeträge steuerlich gesehen ihre Veranlassung in vororganschaftlicher Zeit haben. Maßgeblich für den Umfang der Abführungspflicht ist allein der handelsbilanzielle Jahresüberschuss. Seine Abführung

__________ 7

BStBl II 2005, 49.

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hat ihre Veranlassung insgesamt allein in dem abgeschlossenen Gewinnabführungsvertrag. Es gab im Streitjahr nach Auffassung des BFH keine Rechtsgrundlage dafür, den Betrag der Gewinnabführung in das zuzurechnende Einkommen und sog. Mehrabführungen aufzuteilen und nur letztere als Gewinnausschüttungen zu behandeln. Eine solche Aufteilung sah allerdings § 37 Abs. 2 Satz 2 KStG 1996 vor. Während der abgeführte Gewinn in der Gliederung des verwendbaren Eigenkapitals der Organgesellschaft grundsätzlich nicht erfasst wurde (§ 37 Abs. 1 KStG 1996), bestimmte § 37 Abs. 2 Satz 2 KStG 1996, dass die Mehrabführungen bei der Organgesellschaft wie bei einer Ausschüttung gliederungsmäßig in einer bestimmten Reihenfolge als verwendet galten. Die Gliederungsvorschrift reichte dem BFH aber nicht, die Gewinnabführung auch innerhalb des § 27 KStG 1996 teilweise als Ausschüttung zu behandeln. Er sah in der Existenz des § 37 Abs. 2 Satz 2 KStG 1996 nur den Beleg, dass eine entsprechende Regelung auch für den Bereich des § 27 KStG 1996 erforderlich gewesen wäre, um aus der Gewinnabführung partiell eine Ausschüttung zu machen. Die vom BFH vermisste Vorschrift ist mit der Einfügung des § 14 Abs. 3 KStG nunmehr nachträglich geschaffen worden.

IV. Der Regelungsbedarf Unter der Herrschaft des Anrechnungsverfahrens war für Gewinnausschüttungen der Organgesellschaft die Ausschüttungsbelastung herzustellen. Der Organträger hatte einen steuerpflichtigen betrieblichen Dividendenertrag und konnte das Körperschaftsteuerguthaben auf seine Steuerschuld anrechnen8. Dagegen löste die Gewinnabführung weder bei der Organgesellschaft noch beim Organträger eine Besteuerung aus. Dieser prinzipielle Unterschied zwischen Gewinnausschüttungen und Gewinnabführungen war ausschlaggebend für die Umqualifizierung der Mehrabführungen in Gewinnausschüttungen. Denn nur so konnte durch Herstellung der Ausschüttungsbelastung bei der Mehrabführung belasteter Vermögensteile das Körperschaftsteuerguthaben mobilisiert oder bei der Mehrabführung unbelasteter Vermögensteile die Körperschaftsteuer erhoben werden. Dieser systembedingte Unterschied zwischen den Rechtsfolgen der Gewinnausschüttung und der Gewinnabführung ist mit dem Übergang zum Halbeinkünfteverfahren weitgehend entfallen. Gewinnausschüttungen lösen auf der Ebene der Organgesellschaft prinzipiell keine Steuerfolgen mehr aus. Etwas anderes gilt nur nach den Sondervorschriften für den Übergang vom Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren. Danach mindern ordentliche Gewinnausschüttungen ein noch vorhandenes Körperschaftsteuerguthaben und damit die Körperschaftsteuerschuld (§ 37 Abs. 2 KStG). Sind noch

__________ 8

Vgl. BMF v. 28. 10. 1997, BStBl I 1997, 939.

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Bestände von unbelastetem EK 02 vorhanden, können ordentliche und verdeckte Gewinnausschüttungen umgekehrt zu einer Körperschaftsteuererhöhung führen (§ 38 Abs. 2 KStG). Auch auf der Ebene des Organträgers sind mit dem Übergang zum Halbeinkünfteverfahren die Unterschiede zwischen Gewinnausschüttungen und Gewinnabführungen eingeebnet worden. Ist Organträger eine Kapitalgesellschaft, so bleiben die Gewinnausschüttungen wie die Gewinnabführungen bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz. Allerdings gelten 5 % der Gewinnausschüttungen, nicht aber der Gewinnabführungen, als Ausgaben, die nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen (§ 8b Abs. 1, 5 KStG). Ein markanter Unterschied zwischen Gewinnausschüttung und Gewinnabführung ergibt sich nur dann, wenn Organträger eine natürliche Person oder eine Personengesellschaft ist, deren Gesellschafter natürliche Personen sind. Dann unterliegen die Gewinnausschüttungen zur Hälfte der Einkommensteuer, während die Gewinnabführungen auch hier außer Ansatz bleiben (§§ 3 Nr. 40 Buchst. d, 3c Abs. 2 EStG). Danach bleiben für die Fortführung der bisherigen Verwaltungsauffassung und somit für die Gesetzesänderung unter der Herrschaft des Halbeinkünfteverfahrens zwei Gründe: –

natürliche Personen und Personengesellschaften mit natürlichen Personen sollen als Organträger die Mehrabführungen nicht steuerfrei vereinnahmen,



das ehemalige EK 02 soll auch dann nach den einschlägigen Sonderregelungen steuerpflichtig werden, wenn es nicht ausgeschüttet, sondern abgeführt wird.

In diesem Zusammenhang ist wegen der Kumulation der Effekte besonders der Fall brisant, dass eine Personengesellschaft, deren Gesellschafter natürliche Personen sind, Organträgerin eines ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmens ist. Der Gesetzgeber befürchtete insbesondere durch die Abführung des ehemaligen EK 02 gewaltige Steuerausfälle9. Er hat deshalb die ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen in § 14 Abs. 3 Satz 4 KStG besonders erwähnt10 und festgelegt, dass der Teilwertansatz nach § 13 Abs. 3 Satz 1 KStG der vororganschaftlichen Zeit zuzurechnen ist11.

__________ 9 Nach dem Finanztableau zum Richtlinien-Umsetzungsgesetz, BT.-Drucks. 15/3677 sichert der neue § 14 Abs. 3 KStG folgende Mehreinnahmen: 2006 315 Mio. Euro, 2007 1.265 Mio. Euro, 2008 1.795 Mio. Euro, 2009 1.265 Mio. Euro. 10 Es ist bezeichnend für das deutsche Steuerrecht, dass eine 1990 abgeschaffte Steuersubvention 15 Jahre später Anlass für eine Komplizierung des Gesetzes ist, die alle Organschaftsfälle belastet. 11 Kritisch zur Nachversteuerung des EK 02 bei den ehm. gemeinnützigen Wohnungsunternehmen im Rahmen der Organschaft Frotscher in Frotscher/Maas, KStG § 14, Rz. 399n.

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Von den hier skizzierten Problemen sind allerdings nur wenige Organschaftsfälle betroffen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es zutrifft, dass die ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen ihre Organschaften durchgängig beendet haben12. Es hätte deshalb nahe gelegen, auf die große Lösung – wie sie die Festschreibung der unter der Herrschaft des Anrechnungsverfahrens entwickelten Verwaltungsauffassung darstellt – zu verzichten und für Organträger in der Rechtsform des Personenunternehmens und das EK 02 spezielle Regelungen zu treffen. Danach hätten sich manche der komplizierten Auslegungsprobleme erübrigt, mit denen die Praxis jetzt zu kämpfen hat.

V. Die Tatbestandsmerkmale des § 14 Abs. 3 KStG 1. Mehr- und Minderabführungen § 14 Abs. 3 KStG setzt die Begriffe der Mehr- und Minderabführung voraus. Nach § 27 Abs. 6 Satz 2 KStG liegt eine (organschaftliche) Minderabführung insbesondere vor, wenn Beträge aus dem Jahresüberschuss in die Rücklagen eingestellt werden. Die Auflösung dieser Rücklagen führt zu einer (organschaftlichen) Mehrabführung (§ 27 Abs. 6 Satz 3 KStG). Diese Minderungen oder Erhöhungen des Jahresüberschusses sind in § 14 Abs. 3 KStG nur am Rande betroffen. Denn Rücklagen, die in vororganschaftlicher Zeit gebildet worden sind, können in organschaftlicher Zeit bereits nach Handelsrecht grundsätzlich nicht abgeführt, sondern nur ausgeschüttet werden (§ 301 AktG)13. § 14 Abs. 3 KStG betrifft vorrangig andere Mehr- und Minderabführungen wie sie in § 27 Abs. 6 Satz 4 KStG angesprochen, aber auch dort nicht definiert worden sind. Es handelt sich – anders als der Begriff nahe legt – nicht um Veränderungen der Abführungsverpflichtung selbst, sondern um Abweichungen zwischen der Abführungsverpflichtung der Organgesellschaft laut Handelsbilanz einerseits und dem Ergebnis, das dem Organträger steuerlich zugerechnet wird14. Der untechnische Begriff „Ergebnis“ stammt aus der Gesetzesbegründung. Er lässt offen, welcher steuerliche Wert bei der Bestimmung der Mehr- oder Minderabführung mit der Abführungsverpflichtung als Bezugsgröße zu vergleichen ist. Der steuerliche Wert muss – damit nicht Äpfel mit Birnen verglichen werden – von der gleichen wirtschaftlichen Qualität wie die Abführungsverpflichtung sein. Durch die Gewinnab-

__________

12 Rödder, DStR 2005, 217, Fn. 5. 13 Vgl. Gosch/Neumann, KStG § 14, Rz. 313, van Lishaut in Herzig, Organschaft, S. 220 ff. Das Abführungsverbot gilt nicht für nach §§ 319 bis 327 AktG eingegliederte Gesellschaften. 14 Auch hier zeigt sich, dass der Begriff „Mehr- und Minderabführungen“ ungenau ist. Denn es werden nicht handelsrechtliche und steuerrechtliche Abführung, sondern handelsrechtliche Abführung und steuerrechtliche Zurechnung miteinander verglichen.

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führung wird Vermögen von der Organgesellschaft auf den Organträger transferiert. Mithin kommt als steuerliche Vergleichsgröße nur die Vermögensmehrung bei der Organgesellschaft in Betracht, die in ihrem Einkommen, das dem Organträger zugerechnet wird, enthalten ist15. Das ist der in der Steuerbilanz ohne Berücksichtigung der Abführungsverpflichtung ermittelte Unterschiedsbetrag im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG16. Er bildet die in dem zuzurechnenden Einkommen enthaltene Vermögensmehrung (steuerliche Vermögensmehrung). Die Hinzurechnungen und Kürzungen in der zweiten Stufe der Gewinnermittlung, z. B. nicht abziehbare Ausgaben oder steuerfreie Einnahmen, die keinen Bezug zum Vermögen der Organgesellschaft am Bilanzstichtag haben, bleiben unberücksichtigt. Die nicht abziehbaren Ausgaben haben das Vermögen der Organgesellschaft bereits gemindert, die Steuerfreiheit der Einnahmen wirkt sich auf den Bestand ihres Vermögens nicht aus. Eine Besonderheit bilden die verdeckten Gewinnausschüttungen an den Organträger. Sie werden im allgemeinen als vorweggenommene Gewinnabführungen und nicht als Ausschüttungen behandelt17. Dies gilt aber nur steuerlich. In dem abzuführenden Gewinn laut Handelsbilanz sind die verdeckten Gewinnausschüttungen nicht enthalten. Sie dürfen deshalb bei Bestimmung der Mehr- und Minderabführungen auch die Vergleichsgröße, die steuerliche Vermögensmehrung, nicht erhöhen. Zur Ermittlung der Mehr- oder Minderabführungen ist die steuerliche Vermögensmehrung am Bilanzstichtag mit der Abführungsverpflichtung zu vergleichen. Ist die Abführungsverpflichtung höher als steuerliche Vermögensmehrung liegt eine Mehrabführung vor. Ist die steuerliche Vermögensmehrung höher als die Abführungsverpflichtung liegt eine Minderabführung vor. Auf das Einkommen der Organgesellschaft kommt es nicht an. Sind Abführungsverpflichtung und steuerliche Vermögensmehrung der Organgesellschaft gleich hoch, liegt auch dann keine Mehr- oder Minderabführung vor, wenn das Einkommen der Organgesellschaft von der Abführungsverpflichtung abweicht, weil im Rahmen der Einkommensermittlung auf der zweiten Stufe der Unterschiedsbetrag im Sinne des § 4 Abs. 1 EStG um steuerfreie Einnahmen gemindert oder um nicht abzugsfähige Betriebsausgaben erhöht worden ist. 2. Vororganschaftliche Veranlassung der Mehr- oder Minderabführungen Der BFH hat zutreffend entschieden, dass die organschaftliche Gewinnabführung auf dem Gewinnabführungsvertrag beruht und deshalb keine vor-

__________ 15 Vgl. Frotscher in Frotscher/Maas, KStG § 14, Rz. 304 ff., 309, Erle in Erle/Sauter, KStG § 14, Rz. 150. 16 Wassermeyer in Herzig, Organschaft, S. 208, 210 f. 17 R 61 Abs. 4 KStR 2004.

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organschaftliche Veranlassung haben kann. In der Literatur18 wird deshalb bezweifelt, ob es Mehrabführungen mit Ursache in vororganschaftlicher Zeit überhaupt geben kann. Dies würde bedeuten, dass § 14 Abs. 3 KStG leer läuft, der Gesetzgeber also eine „Nonsens-Vorschrift“ geschaffen hätte19. Für die Entscheidung der Frage, wann die Mehr- und Minderabführungen veranlasst sind, genügt es allerdings nicht, die Abführungsverpflichtung als Bezugsgröße in den Blick zu nehmen. Für die vororganschaftliche Veranlassung der Mehr- und Minderabführungen reicht es aus, dass die Abweichungen in der Steuerbilanz vororganschaftlich veranlasst sind. Zwar ergeben sich auch diese aus einer Gewinnermittlung in organschaftlicher Zeit. Jedoch wirken sich in dieser nicht nur Geschäftsvorfälle des Wirtschaftsjahres aus, für das die Bilanz erstellt wird. In sie fließen als Folgewirkungen auch die Ergebnisse von Geschäftsvorfällen vorangegangener Wirtschaftsjahre ein, z. B. gewinnmindernd in Form von Abschreibungen oder gewinnerhöhend durch Auflösung von Rückstellungen. Auch wenn diese Gewinnminderungen oder Gewinnerhöhungen erst in organschaftlicher Zeit realisiert werden, sind sie vororganschaftlich veranlasst, wenn die entsprechenden Aktivierungen und Passivierungen in vororganschaftlicher Zeit vorgenommen worden sind20. Lösen vororganschaftliche Bilanzansätze Mehr- oder Minderabführungen aus, so sind diese vororganschaftlich veranlasst. Ob es zu Mehr- oder Minderabführungen kommt, hängt natürlich nicht nur von der Behandlung des jeweiligen Geschäftsvorfalls in der Steuerbilanz ab. Mehr- oder Minderabführungen kann es nur geben, wenn in der Steuerbilanz Wirtschaftsgüter oder Schulden abweichend von der Handelsbilanz bilanziert oder bewertet werden. Folgende Fälle sind zu unterscheiden:21 Vorganschaftliche Zeit

Organschaftliche Zeit

Ergebnis

HB

StB

HB

StB

1



Aktivierung



Abschreibung

Mehrabführung

2

Passivierung



Auflösung Passivum



Mehrabführung

3

Aktivierung



Abschreibung



Minderabführung

4



Passivierung



Auflösung Passivum

Minderabführung

__________ 18 Rödder, DStR 2005, S. 217, 220. 19 Rödder, a. a. O. 20 Vgl. Frotscher in Frotscher/Maas, KStG § 14, Rz. 399k, der zwischen direkter Ursache in organschaftlicher Zeit und erster Ursache in vororganschaftlicher Zeit unterscheidet. 21 Da die Steuerbilanz aktivierungsfreundlicher und passivierungsfeindlicher ist als die Handelsbilanz, werden Minderabführungen – Zeile 3 und 4 – nur selten vorkommen, vgl. Frotscher in Frotscher/Maas, KStG § 14, Rz. 399b.

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Damit vororganschaftlich verursachte Mehr- oder Minderabführungen entstehen, müssen mithin Bilanzierungs- oder Bewertungsdifferenzen zwischen Handels- und Steuerbilanz aus der vororganschaftlichen Zeit in organschaftlicher Zeit entweder in der Handels- oder in der Steuerbilanz erfolgswirksam werden. Dies hat der Gesetzgeber mit dem Hinweis, dass der Teilwertansatz nach § 13 Abs. 3 Satz 1 KStG bei den ehemals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen der vororganschaftlichen Zeit zuzurechnen ist, exemplarisch verdeutlicht. Der Teilwertansatz in vororganschaftlicher Zeit bei den Gebäuden nur in der Steuerbilanz führt dort in organschaftlicher Zeit zu erhöhten Abschreibungen. Daraus resultieren Mehrabführungen, weil die steuerliche Vermögensmehrung kleiner ist als die maßgebliche Bezugsgröße, die Gewinnabführung lt. Handelsbilanz22. Beispiel 1: Die T-GmbH, ist seit 2004 Organgesellschaft der M-GmbH. Die BP aktiviert bei ihr 2003 in der StB zusätzliche Anschaffungskosten von 1000. Die HB der T-GmbH bleibt unverändert. Aus der Nachaktivierung ergeben sich in 2004 und in den Folgejahren in der StB zusätzliche Abschreibungen von 100. In 2004 führt der Mindergewinn von 100 – bei einer Gewinnabführung von z. B. 300 und einer steuerlichen Vermögensmehrung von 200 – zu einer Mehrabführung von 100.

VI. Die Rechtsfolgen 1. Rechtliche Grundlagen Nach der Gesetzesbegründung zu § 14 Abs. 3 KStG23 sollen die körperschaftsteuerlichen Regelungen zur Organschaft „die Zurechnung der Ergebnisse der Organgesellschaft an den Organträger erfassen, die in organschaftlicher Zeit entstanden sind.“ Dieser Satz ist sprachlich missglückt und missverständlich. Er vermittelt die Vorstellung, dass Mehr- oder Minderergebnisse in der Steuerbilanz, die in vororganschaftlicher Zeit verursacht worden sind24, aus der Einkommensermittlung eliminiert werden müssen. Dies trifft nicht zu. Die Rechtsfolge der körperschaftsteuerlichen Organschaft besteht darin, dass dem Organträger das steuerliche Einkommen der Organgesellschaft zugerechnet wird (§ 14 Abs. 1 KStG). Dieses wird ohne Berücksichtigung des an den Organträger abgeführten Gewinns ermittelt. Korrespondierend dazu bleibt der abgeführte Gewinn bei der Ermittlung des eigenen Einkommens des Organträgers außer Ansatz25.

__________ 22 23 24 25

Hinweis auf Zeile 1 der Übersicht. BT-Drucks. 15/3677, 36. Zeile 1 und 2 der Übersicht. R 61 Abs. 1 KStR 2004.

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Bei der Begründung der Organschaft setzt die Organgesellschaft ihre bisherige Bilanzierung in der Steuerbilanz unter Wahrung des Bilanzzusammenhangs fort. Eine besondere Perioden- oder Reservenabgrenzung zwischen vor- und nachorganschaftlicher Zeit findet nicht statt. Das hat zur Folge, dass in der Vergangenheit gebildete stille Reserven der Steuerbilanz infolge der Einkommenszurechnung vom Organträger zu versteuern sind, wenn sie während des Bestehens der Organschaft realisiert werden. Bestehen die stillen Reserven nur in der Handelsbilanz der Organgesellschaft gehen sie bei ihrer Realisierung nicht in das Einkommen der Organgesellschaft ein und können im Rahmen der Organschaft beim Organträger nicht besteuert werden. Die gesetzliche Regelung der Mehr- und Minderabführungen in § 14 Abs. 3 KStG ändert hieran nichts. In die Ermittlung des dem Organträger zuzurechnenden Einkommens fließt stets der in der Steuerbilanz in organschaftlicher Zeit realisierte Gewinn der Organgesellschaft ein. Die vororganschaftliche Verursachung der Mehr- oder Minderabführung ist nur für die Besteuerung des abgeführten Gewinns von Bedeutung. Es geht mithin um das Vermögen, das auf den Organträger transferiert (Mehrabführung) oder von der Organgesellschaft zurückbehalten wird (Minderabführung), nicht aber um das dem Organträger zuzurechnende Einkommen. 2. Mehrabführungen Mehrabführungen gelten als Gewinnausschüttungen (§ 14 Abs. 3 Satz 1 KStG). Sie gelten in dem Zeitpunkt als erfolgt, in dem das Wirtschaftsjahr der Organgesellschaft endet (§ 14 Abs. 3 Satz 3 KStG). Die Rechtsfolgen dieser Fiktionen sind den steuerlichen Vorschriften über die Gewinnausschüttungen zu entnehmen: a) Die Steuerpflicht des Organträgers Gewinnausschüttungen haben Steuerfolgen primär für den Gesellschafter. Der Organträger muss die Gewinnausschüttungen außerhalb der Organschaft als Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 EStG versteuern. Ist der Organträger eine Kapitalgesellschaft bleiben die Bezüge bei der Ermittlung seines (eigenen) Einkommens außer Ansatz (§ 8b Abs. 1 Satz 1 KStG). Jedoch gelten 5 % als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben (§ 8b Abs. 5 KStG). Ist der Organträger eine natürliche Person oder eine Personengesellschaft, deren Gesellschafter natürliche Personen sind, müssen die natürlichen Personen die Bezüge zur Hälfte versteuern (§ 3 Nr. 40 Buchst. d EStG). Dementsprechend sind auch die Betriebsausgaben, die mit den Bezügen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, nur zur Hälfte abzugsfähig (§ 3c Abs. 2 EStG).

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Ob die genannten Rechtsfolgen beim Organträger eintreten, ist allerdings in der Literatur umstritten26. Denn der Gesetzgeber hat die Ausschüttungsfiktion in § 14 Abs. 3 KStG und nicht parallel dazu in § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG geregelt. Jedoch kommt es für die Auslegung nicht auf den Standort einer Regelung an. Der Grundsatz der Normenklarheit verlangt nur, dass aus dem möglichen Wortsinn der Regelung auf die vom Gesetzgeber beabsichtigte Rechtsfolge geschlossen werden kann27. Die Aufnahme der Ausschüttungsfiktion in § 14 KStG ist sachgerecht, weil die Vorschrift die grundlegenden Rechtsfolgen der Organschaft bestimmt. § 14 Abs. 1 KStG trifft mit der Zurechnung des Einkommens Regelungen sowohl für die Organgesellschaft als auch für den Organträger. Zudem wird aus der Vorschrift und ihrem Regelungszweck geschlossen, dass die Gewinnabführung beim Organträger außer Ansatz bleiben muss, da sonst sowohl die Einkommenszurechnung als auch durch die Gewinnabführung das Einkommen des Organträgers erhöhen würde28. Wenn der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang Mehrabführungen „der Organgesellschaft an den Organträger“ in Gewinnausschüttungen umqualifiziert, den Organträger also ausdrücklich anspricht, kann nicht ernstlich zweifelhaft sein, dass die Fiktion auf der unteren und auf der oberen Ebene gleichermaßen gelten soll. Sollten noch letzte Bedenken bestehe, werden diese durch die neuen Regelungen zur Kapitalertragsteuerpflicht der Mehrabführungen ausgeräumt. In den Fällen des § 14 Abs. 3 KStG entsteht die Kapitalertragsteuer in dem Zeitpunkt der Feststellung der Handelsbilanz, spätestens acht Monate nach Ablauf des Wirtschaftsjahres (§ 44 Abs. 7 EStG). Damit wird eindeutig klargestellt, dass der Organträger aufgrund der fiktiven Ausschüttungen nach § 14 Abs. 3 KStG zum Gläubiger von Kapitalerträgen wird, die – wie oben skizziert – der Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften unterliegen. b) Körperschaftsteuerminderung und -erhöhung bei der Organgesellschaft Gewinnausschüttungen der Organgesellschaft führen nach den Sondervorschriften für den Übergang vom Anrechnungsverfahren zum Halbeinkünfteverfahren bei ihr zur Körperschaftsteuerminderung (§ 37 Abs. 2, 2a KStG) und Körperschaftsteuererhöhung (§ 38 Abs. 2 KStG). Allerdings setzt die Körperschaftsteuerminderung – anders als die Körperschaftsteuererhöhung – eine ordentliche Gewinnausschüttung voraus. Da die Mehrabführung nicht auf einem Ausschüttungsbeschluss beruht und deshalb keine ordentliche Gewinnausschüttung ist, konnte sie bislang nur zu einer Körperschaftsteuer-

__________ 26 Vgl. Rödder, DStR 2005, S. 217, 218: Mehrabführung beim Organträger als steuerliches Nullum. A. A. Dötsch in D/E/J/P/W, KStG § 14, Rz. 13, Frotscher in Frotscher/Maas, KStG § 14, Rz. 399i a. E. 27 Tipke/Kruse, AO § 4, Tz. 237. 28 Gosch/Neumann, KStG § 14, Rz. 426.

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erhöhung führen. Nach dem zeitgleich mit § 14 Abs. 3 KStG neu eingefügten § 37 Abs. 2 Satz 2 KStG werden im Rahmen der Vorschrift die fiktiven Ausschüttungen in Form der Mehrabführungen den ordentlichen Ausschüttungen gleichgestellt. Mehrabführungen können daher jetzt sowohl Körperschaftsteuererhöhungen als auch -minderungen auslösen. 3. Minderabführungen a) Die Einlagenfiktion und ihre Rechtsfolgen Minderabführungen sind als Einlage durch den Organträger in die Organgesellschaft zu behandeln (§ 14 Abs. 3 Satz 2 KStG). Damit wird für steuerliche Zwecke ein Vermögenstransfer des Organträgers an die Organgesellschaft fingiert. Tatsächlich hat aber mit der Gewinnabführung nur ein Vermögenstransfer von der Organgesellschaft an den Organträger stattgefunden. Damit geht die Fiktion in § 14 Abs. 3 Satz 2 KStG weiter als die Fiktion in § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG. Während bei den Mehrabführungen nur die Form des Vermögenstransfers umqualifiziert wird, d. h. aus Gewinnabführungen der Organgesellschaft werden Gewinnausschüttungen, betrifft die Fiktion bei den Minderabführungen den Vermögenstransfer selbst. Die fiktive Einlage setzt einen fiktiven Vermögenserwerb des Organträgers voraus. Man muss sich deshalb vorstellen, die Organgesellschaft habe im ersten Schritt den Differenzbetrag zwischen der (höheren) steuerlichen Vermögensmehrung und der Abführungsverpflichtung (Minderabführung) an den Organträger abgeführt29. Dieser habe sodann im zweiten Schritt den Betrag der Minderabführung im Wege der Einlage an die Organgesellschaft zurückgewährt. Dieser zweite Schritt, die Einlage, löst folgende Rechtsfolgen aus: –

die Organgesellschaft hat die Einlage auf dem steuerlichen Einlagenkonto auszuweisen (§ 27 Abs. 1 Satz 1 KStG),



der Organträger hat die Einlage in seiner Steuerbilanz als zusätzliche Anschaffungskosten der Beteiligung an der Organgesellschaft zu aktivieren.

Dadurch wird gewährleistet, dass spätere Leistungen der Organgesellschaft an den Organträger in Höhe der Minderabführung als Einlagenrückgewähr steuerfrei bleiben. Hinter der Minderabführung verbergen sich in organschaftlicher Zeit versteuerte stille Reserven der Handelsbilanz30. Diese werden für den Fall ihrer späteren Realisierung und Ausschüttung an den Organträger steuerfrei gestellt.

__________ 29 Rechtsfolgen sind aus diesem ersten Schritt, der Abführung, nicht abzuleiten; er dient nur dem Verständnis der gesetzlichen Einlagefiktion, vgl. Frotscher in Frotscher/Maas, KStG § 14, Rz. 399j. 30 Hinweis auf Zeile 3 und 4 der Übersicht in Abschnitt V.

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Beispiel 2: Die T-GmbH, ist seit 2004 Organgesellschaft der M-GmbH. Sie aktiviert 2003 in der HB Ingangsetzungskosten von 200 (§ 269 HGB) und schreibt den Betrag 2004 wieder ab. Die StB der T-GmbH bleibt unverändert. Aus der Aktivierung ergeben sich in 2004 in der HB zusätzliche Abschreibungen von 200. Der Mindergewinn von 200 führt – bei einer Gewinnabführung von z. B. 300 und einer steuerlichen Vermögensmehrung von 500 – zu einer Minderabführung von 200. Die Organgesellschaft hat das steuerliche Einlagekonto um 200 zu erhöhen, der Organträger zusätzliche Anschaffungskosten der Organbeteiligung von 200 zu aktivieren31. b) Ausgleich vororganschaftlicher Verluste Vororganschaftliche Verluste mindern den abzuführenden Gewinn (§ 301 Satz 1 AktG). Ein Verlustabzug im Sinne des § 10d EStG ist insoweit jedoch nicht zulässig (§ 15 Satz 1 Nr. 1 EStG). Infolge der Minderabführung bildet sich bei der Organgesellschaft versteuertes Vermögen. Auch in diesem Fall ist aufgrund der gesetzlichen Einlagefiktion (§ 14 Abs. 3 KStG) das Einlagekonto der Organgesellschaft zu erhöhen und beim Organträger die Einlage auf dem Beteiligungskonto zu aktivieren. Dadurch erübrigt sich der nach bisheriger Auffassung32 favorisierte besondere aktive Ausgleichsposten.

VII. Exkurs: Vororganschaftliche und organschaftliche Mehr- und Minderabführungen im Vergleich 1. Minderabführungen Vororganschaftliche und organschaftliche Minderabführungen lösen die gleichen Rechtsfolgen aus. Sie werden im Ergebnis als Einlagen des Organträgers behandelt. Das Gesetz regelt die beiden Sachverhalte jedoch an unterschiedlicher Stelle und formuliert die Tatbestände auch noch unterschiedlich: In § 14 Abs. 3 KStG heißt es klar und eindeutig: „Minderabführungen, die ihre Ursache in vororganschaftlicher Zeit haben, sind als Einlage durch den Organträger in die Organgesellschaft zu behandeln.“ Daraus folgt, dass bei der Organgesellschaft das Einlagekonto und bei dem Organträger der Beteiligungsansatz zu erhöhen ist. Dagegen formuliert § 27 Abs. 6 KStG den Tatbestand rechtstechnisch nur in Bezug auf das Einlagekonto: „Minderabführungen erhöhen das Einlagekonto.“ Damit bleibt offen, was beim Organträger zu geschehen hat33. Die Einlagenfiktion soll

__________ 31 Vgl. demgegenüber die abweichende Lösung nach bisherigem Recht bei Gosch/ Neumann, KStG § 14, Rz. 452. 32 BMF v. 26. 8. 2003, BStBl I 2003, 437, Rz. 40, Gosch/Neumann, KStG § 14 Rz. 421. 33 Vgl. D/E/J/P/W; KStG § 14, Rz. 171 ff.

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verhindern, dass die versteuerten offenen oder stillen Rücklagen bei einer späteren Ausschüttung auf der Gesellschafterebene versteuert werden müssen, oder dort ein steuerpflichtiger Gewinn aus der Veräußerung der Beteiligung an der Organgesellschaft entsteht. Dazu muss nicht nur das Einlagekonto bei der Organgesellschaft, sondern auch das Beteiligungskonto beim Organträger erhöht werden34. Hätte der Gesetzgeber wie in § 14 Abs. 3 KStG formuliert, dass die organschaftlichen Minderabführungen als Einlagen des Organträgers zu behandeln sind, wäre die Rechtsfolge klar. 2. Mehrabführungen Organschaftliche Mehrabführungen werden anders als vororganschaftliche Mehrabführungen nicht in Gewinnausschüttungen umqualifiziert. Sie mindern das Einlagenkonto (§ 27 Abs. 6 Satz 1 KStG), das auch negativ werden kann35. Die Behandlung beim Organträger ist gesetzlich nicht geregelt. Die Verwaltungsregelungen sehen die Auflösung des zuvor gebildeten aktiven Ausgleichspostens36 oder die Bildung eines besonderen passiven Ausgleichspostens37 vor. Der Sache nach handelt es sich bei der organschaftlichen Mehrabführung um die Rückzahlung von Einlagen. Sie müsste daher wie auch in anderen Fällen der Einlagenrückgewähr38 beim Organträger folgerichtig mit dem Buchwert der Beteiligung verrechnet werden.

VIII. Zweifelsfragen 1. Mehr- und Minderabführungen bei Verlustübernahme Die Finanzverwaltung verstand vor der gesetzlichen Regelung im Anwendungszeitraum des Abschn. 59 Abs. 4 KStR 1995 die Mehr- und Minderabführungen als rechnerische Differenz zwischen dem Ergebnis der Handelsbilanz und dem Steuerbilanzgewinn39. Dementsprechend wurde eine Mehroder Minderabführung auch in Verlustfällen angenommen, wenn die Organgesellschaft keinen Gewinn abführen konnte, sondern der Organträger ihren Verlust übernehmen musste. War die steuerliche Vermögensminderung größer als der übernommene Verlust lag eine Mehrabführung vor, war die

__________ 34 R 63 Abs. 1 Satz 2, 3 KStR 2004 sehen die Bildung besonderer Ausgleichsposten vor. Ihre Rechtsnatur ist strittig, D/E/J/W a. a. O. Sie wurden vor 45 Jahren von meinem Vater zu einer Zeit erfunden, als es noch keine gesetzliche Regelung der organschaftlichen Mehr- und Minderabführungen gab, vgl. R. Thiel, BB 1960, 735, ders., StbJb 1961/62, S. 181 ff., 201 ff., ders., BB 1965, 743. 35 BMF v. 4. 6. 2003, BStBl I 2003, 366, Rz. 28. 36 R 63 Abs. 1 Satz 4 KStR 2004. 37 R 63 Abs. 2 KStR 2004. 38 H 32a EStR 2003. Vgl. Lornsen-Veit/Odenbach in Erle/Sauter, KStG § 27, Rz. 3, 4. 39 Wischmann, H/H/R, KStG § 14, Anm. J 04-7; Dötsch in D/E/J/P/W, KStG Vor § 14 nF, Rz. 12.

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steuerliche Vermögensminderung kleiner als der übernommene Verlust ergab sich eine Minderabführung. Im Ergebnis wurde die Minderverlustübernahme der Mehrabführung und die Mehrverlustübernahme der Minderabführung gleichgesetzt. Dadurch war gewährleistet, dass die Regelungen zu den Mehr- und Minderabführungen bei einem positiven Jahresabschluss der Organgesellschaft spiegelbildlich auch in Verlustjahren Anwendung fanden. Diese logisch deduktive Ableitung war akzeptabel, solange eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehlte, mit der das Auslegungsergebnis vereinbar sein musste. Der Hinweis des Gesetzgebers in der Gesetzesbegründung, dass er an einer bestimmten Verwaltungspraxis festhalten möchte, entbindet den Rechtsanwender nicht davon, diese an der neuen gesetzlichen Regelung zu messen. § 14 Abs. 3 KStG verlangt seinem Wortlaut nach eine Gewinnabführung der Organgesellschaft. Nur dann ist es möglich, durch Vergleich mit den Ansätzen in der Steuerbilanz Abweichungen festzustellen, die die Bezeichnung „Mehr- oder Minderabführung“ verdienen. Natürlich ist es technisch möglich, die Abweichungen in der Steuerbilanz auch in Beziehung zu dem vom Organträger übernommenen Verlust zu setzen. Dann fragt sich aber, ob die Gleichsetzung von Minderverlustübernahme und Mehrabführung bzw. von Mehrverlustübernahme und Minderabführung eine Rechtsgrundlage hat. Den Steuergesetzen ist die stillschweigende Gleichsetzung unterschiedlicher Begriffe, die die positive und negative Ausprägung eines Tatbestandes kennzeichnen, nicht fremd. So umfasst der Begriff „Gewinn“ in § 4 Abs. 1 EStG auch den „Verlust“. Das leuchtet ohne weiteres ein, weil Gewinn und Verlust qualitativ gleichwertige Änderungen des Betriebsvermögens bezeichnen, die sich nur durch das Vorzeichen unterscheiden und deshalb bei der Einkommensermittlung als positive und negative Größe berücksichtigt werden müssen. Demgegenüber sind Minderverlustübernahme und Mehrabführung von unterschiedlicher Qualität. Bei der Mehrabführung wird Vermögen als Ausschüttung besteuert, das die Organgesellschaft tatsächlich auf den Organträger übertragen hat. Bei der Minderverlustübernahme wird eine fingierte Vermögensübertragung als Ausschüttung behandelt. Es wird so getan, als habe der Organträger einen höheren Verlust übernommen und die Organgesellschaft anschließend die fiktive Vermögenszuführung an den Organträger zurück übertragen. Die Berechtigung, diesen fiktiven Vermögenstransfer als Ausschüttung zu besteuern, lässt sich nicht aus § 14 Abs. 3 Satz 1 KStG herleiten. Sein Regelungsgehalt beschränkt sich darauf, das als Mehrabführung tatsächlich auf den Organträger übertragene Vermögen in eine Gewinnausschüttung umzuqualifizieren40. Bereits der BFH41 konnte bei negativen Ergebnissen der Organgesellschaft in einem bloß rech-

__________ 40 So auch Flutgraf/Fuchs/Stifter, DB 2004, 2012, 2013, Fn. 6; Krinninger/Helm, BB 2005, 1191, vgl. auch Rödder, DStR 2005, 217 (220). 41 Urt. v. 18. 12. 2002, BStBl II 2005, 49 unter II.3.b.aa.

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nerischen Differenzbetrag keine Ausschüttung erkennen. Die Mehrabführungen eines Jahres nach § 14 Abs. 3 KStG können daher nicht größer sein als der nach Handelsrecht abzuführende Jahresüberschuss. Eher wäre es möglich, die Mehrverlustübernahme der Minderabführung gleichzusetzen und als Einlage zu behandeln. Denn der dafür notwendige Vermögenstransfer vom Organträger auf die Organgesellschaft findet tatsächlich statt. Da es aber offensichtlich nicht dem Gesetzesplan entspricht, in den Fällen der Verlustübernahme nur Einlagen, nicht aber auch Gewinnausschüttungen zu kreieren, scheidet auch diese Möglichkeit aus. 2. Geschäftsvorfallbezogene Betrachtung Die Finanzverwaltung stellt bei der Beurteilung der Frage, ob vororganschaftliche Mehr- oder Minderabführungen vorliegen, auf die einzelnen Geschäftsvorfälle ab. Soweit ihre Auswirkungen in einem Veranlagungszeitraum zusammentreffen, sind sie jeweils getrennt als Gewinnausschüttung oder als Einlage zu behandeln. Eine Saldierung findet nicht statt42. Das ist konsequent, weil nur der einzelne Geschäftsvorfall die Feststellung erlaubt, ob er vor oder nach Begründung der Organschaft stattgefunden hat43. Für einen Saldo aus den Auswirkungen mehrerer Geschäftsvorfälle lässt sich eine solche Feststellung nicht treffen. Daraus folgt, dass die Auswirkungen von Geschäftsvorfällen aus vororganschaftlicher Zeit nicht mit den Auswirkungen von Geschäftsvorfällen aus organschaftlicher Zeit verrechnet werden dürfen. Beispiel 3: Die T-GmbH, die seit 2004 Organgesellschaft der M-GmbH ist, hat 2003 nur in ihrer HB eine Drohverlustrückstellung von 100 gebildet. Die Rückstellung wird in 2004 aufgelöst. Gleichzeitig wird nur in der StB eine Jubiläumsrückstellung um 100 gekürzt. Aufgrund der gegenläufigen Auswirkungen der beiden Geschäftsvorfälle stimmen die Ergebnisse der HB und der StB betragsmäßig überein. Die getrennte Beurteilung der beiden Geschäftsvorfälle führt zu dem Ergebnis, dass eine Mehrabführung aus vororganschaftlicher Zeit und eine Minderabführung aus organschaftlicher Zeit von jeweils 100 vorliegen. Darüber hinaus müssen aber auch die Geschäftsvorfälle aus vororganschaftlicher Zeit jeweils getrennt darauf untersucht werden, ob sie Mehr- oder Minderabführungen ausgelöst haben. Das verlangt § 14 Abs. 3 KStG, der für Mehr- und Minderabführungen unterschiedliche Rechtsfolgen vorsieht. Soweit ein Geschäftsvorfall mehrere Bilanzpositionen der Steuerbilanz berührt, können sich daraus gegenläufige Abweichungen gegenüber der Ab-

__________

42 BMF v. 28. 10. 1997, BStBl I 1997, 939 unter III. 43 Vgl. Frotscher in Frotscher/Maas, KStG § 14 Rz. 399l.

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führungsverpflichtung ergeben. Diese Ergebnisse sind zu saldieren, da es für die Frage, ob und in welcher Höhe Mehr- oder Minderabführungen vorliegen, auf den Geschäftsvorfall und nicht auf die Auswirkungen bei den einzelnen Bilanzpositionen ankommt. Beispiel 4:44 Nach einer Betriebsprüfung bei der T-GmbH, die seit 2004 Organgesellschaft der M-GmbH ist, wird für das Jahr 2002 eine Rückstellung von 100 nicht anerkannt. In der Prüferbilanz werden die darauf entfallenden Steuern von 39 zurückgestellt. In 2005 wird in der HB die Rückstellung aufgelöst; gleichzeitig werden die Steuern lt. Betriebsprüfung passiviert. Dadurch ergibt sich ein saldierter steuerlicher Mindergewinn von 61. Da Gewinn und Verlust auf dem gleichen vororganschaftlichen Geschäftsvorfall beruhen, ist der Saldo maßgeblich. Es kommt in 2005 zu einer vororganschaftlich verursachten Mehrabführung von 61 und nicht zu einer Mehrabführung von 100 und zu einer Minderabführung von 39. Rödder45 behandelt den Fall, dass sich aus der Übernahme einer KG in vororganschaftlicher Zeit bei einer Vielzahl von Bilanzpositionen Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz ergeben. Diese sind bei der Würdigung, ob Mehr- oder Minderabführungen vorliegen, insgesamt zu saldieren, da sie auf einem Geschäftsvorfall in vororganschaftlicher Zeit beruhen46. Die Abgrenzung, ob ein oder mehrere Geschäftsvorfälle vorliegen, ist nach den Umständen des Falles nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu treffen. Dabei können auch die steuerlichen Auswirkungen zu berücksichtigen sein. Durch eine flexible Handhabung wird sich ein unverhältnismäßiger Aufwand bei der Ermittlung der Mehr- oder Minderabführungen vermeiden lassen. 3. Mehrstufige Organschaftsverhältnisse Die Regelungen zu den vororganschaftlichen Mehr- und Minderabführungen sind auf einen zweistufigen Konzernaufbau zugeschnitten. Dies kann bei einem drei- und mehrstufigen Konzernaufbau zu komplexen Fragestellungen führen47.

__________ 44 Nach Wischmann, HHR, KStG § 14 Anm. J 04-8. 45 DStR 2005, 217, 221, Beispiel 5, Sachverhalt 2. 46 In dem Beispiel ergeben sich in den Jahren 02 bis 05 erhebliche steuerliche Mehrgewinne (vororganschaftliche Minderabführungen), die zu entsprechenden Einlagen führen. Ab 06 ergeben sich steuerliche Mindergewinne (vororganschaftliche Mehrabführungen), die jährliche Gewinnausschüttungen von 144.483 Euro zur Folge haben. Soweit diese nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG das vorher aufgebaute Einlagekonto mindern, liegen Kapitalrückzahlungen vor. 47 Vgl. Rödder, DStR 2005, 217, 223, Wischmann, HHR, KStG § 14, Anm. J 04-8.

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Beispiel 5: Die T-GmbH ist seit 2003 Organgesellschaft der M-GmbH. Seit 2004 ist die E-GmbH Organgesellschaft der T-GmbH. Die E-GmbH hat 2003 nur in ihrer HB eine Drohverlustrückstellung von 100 gebildet. Die Rückstellung wird in 2004 aufgelöst. Bei der E-GmbH kommt es in 2004 zu einer vororganschaftlichen Mehrabführung von 100 und damit zu einer Gewinnausschüttung von 100 an die T-GmbH (§ 14 Abs. 3 Satz 1 KStG). Da die T-GmbH Organgesellschaft der M-GmbH ist, findet § 8b Abs. 1 bis 6 KStG bei ihr keine Anwendung (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 KStG). Die Gewinnausschüttung erhöht das Einkommen der T-GmbH und wird damit der M-GmbH zugerechnet (Bruttomethode). Über die Steuerbefreiung der in dem zugerechneten Einkommen enthaltenen Bezüge ist nach den Verhältnissen der M-GmbH zu entscheiden (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 KStG). Da der Organträger eine Kapitalgesellschaft ist, bleibt die Ausschüttung bei ihr steuerfrei. Wäre der Organträger eine Personengesellschaft, deren Gesellschafter natürliche Personen sind, müssten diese die Ausschüttung zur Hälfte versteuern. Bestand das Organschaftsverhältnis zwischen Tochter- und Enkelgesellschaft vor dem Organschaftsverhältnis zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft kann sich die Frage stellen, ob eine organschaftliche Mehrabführung der Enkelgesellschaft zu einer vororganschaftlichen Mehrabführung der Tochtergesellschaft werden kann. Beispiel 6: Wie Beispiel 5. Die T-GmbH ist seit 2004 Organgesellschaft der M-GmbH. Seit 2003 ist die E-GmbH Organgesellschaft der T-GmbH Bei der E-GmbH liegt 2003 eine organschaftliche Minderabführung von 100 vor. Diese erhöht ihr Einlagenkonto (§ 27 Abs. 6 Satz 1 KStG) und führt bei der T-GmbH zur Bildung eines passiven Ausgleichspostens48. 2004 kommt es bei der E-GmbH zu einer entsprechenden Mehrabführung, die bei der E-GmbH das Einlagekonto mindert und bei der T-GmbH den Wegfall des passiven Ausgleichspostens zur Folge hat. Der von der E-GmbH abgeführte Gewinn erhöht das Handelsbilanzergebnis der T-GmbH. Parallel dazu erhöht das Einkommen der E-GmbH im Wege der Zurechnung das Einkommen der T-GmbH. Damit besteht die durch einen Geschäftsvorfall bei der E-GmbH in organschaftlicher Zeit ausgelöste Differenz zwischen ihrer steuerlichen Vermögensmehrung und ihrer Abführungsverpflichtung (Mehrabführung der E-GmbH) auf der Ebene der T-GmbH fort. Infolge der Organschaft zwischen M-GmbH und T-GmbH wird aus der Mehrabführung der E-GmbH eine Mehrabführung der T-GmbH.

__________ 48 R 63 Abs. 2 KStR 2004.

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Probleme beim Übergang vom Halbeinkünfteverfahren zur Organschaft

Wird in einem dreistufigen Konzern aus der organschaftlichen Mehrabführung der Enkelgesellschaft eine Mehrabführung der Tochtergesellschaft, so ist die Frage nach dem Ursachenzusammenhang auf der höheren Ebene neu zu stellen. Drei Antworten kommen in Betracht: –

die auf der unteren Ebene vorgenommene Einordnung als organschaftliche Mehrabführung bleibt bestehen, da die Mehrabführung auf einem Geschäftsvorfall der Enkelgesellschaft in organschaftlicher Zeit beruht,



die Einordnung der Mehrabführung muss auf der oberen Ebene neu vorgenommen werden; es handelt sich um eine vororganschaftliche Mehrabführung, weil der Geschäftsvorfall auf der unteren Ebene vor Begründung der Organschaft auf der oberen Ebene stattgefunden hat,



es handelt sich schon deshalb um eine organschaftliche Mehrabführung, weil maßgebliche Ursache für die „Weiterleitung“ der Mehrabführung auf der oberen Ebene der neu abgeschlossene Gewinnabführungsvertrag ist49.

Das Gesetz lässt den Rechtsanwender bei der Entscheidung im Stich. § 14 Abs. 3 KStG ermöglicht nur die Lösung der Fälle, in denen die Mehr- oder Minderabführung auf einem eigenen Geschäftsvorfall der Organgesellschaft beruht. Das spricht dafür, die Vorschrift ihrem Wortlaut nach auf diese Fälle zu beschränken und nicht auf die „Weiterleitung“ einer Mehrabführung durch den Organträger anzuwenden.

IX. Kapitalertragsteuerpflicht Mehrabführungen im Sinne des § 14 Abs. 3 KStG unterliegen der Kapitalertragsteuer. Diese entsteht in dem Zeitpunkt der Feststellung der Handelsbilanz, spätestens acht Monate nach Ablauf des Wirtschaftsjahres der Organgesellschaft; sie ist an dem auf den Entstehungszeitpunkt nachfolgenden Werktag an das Finanzamt abzuführen (§ 44 Abs. 7 EStG). Die Regelung ist auf große und mittlere Kapitalgesellschaften zugeschnitten, bei denen der Jahresabschluss innerhalb der ersten acht Monate festgestellt werden muss (§ 42a Abs. 1 GmbHG). Bei kleinen Kapitalgesellschaften braucht die Feststellung allerdings erst innerhalb der ersten elf Monate zu erfolgen (§ 42a Abs. 1 GmbHG), so dass ihnen eine entsprechend längere Frist eingeräumt werden muss. Offensichtlich liegt insoweit ein Versehen des Gesetzgebers vor. Dieses lässt sich angesichts der Eindeutigkeit der Regelung nicht im Auslegungswege beheben. Die Finanzverwaltung ist allerdings gehalten, den Fehler im Billigkeitswege zu korrigieren, weil die zu kurze Frist dem gesetzlichen Regelungszweck widerspricht50.

__________ 49 Rödder, DStR 2005, 217 (224). 50 Vgl. Tipke/Kruse, AO § 227, Tz. 42.

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Noch ein anderer Punkt ist im Gesetzgebungsverfahren nicht hinreichend bedacht worden. Zur Ermittlung der Mehr- oder Minderabführungen ist neben der Handelsbilanz auch die Steuerbilanz des Unternehmens erforderlich. Zwar ist nach dem Gesetz die Körperschaftsteuererklärung spätestens fünf Monate nach Ablauf des Veranlagungszeitraums bis Ende Mai abzugeben (§ 149 Abs. 2 AO), so dass bis dahin auch die Steuerbilanz aufgestellt werden muss. Jedoch hat die Finanzverwaltung die Frist für die Abgabe der Steuererklärungen allgemein bis zum 30. September verlängert, wenn sich das Unternehmen eines Steuerberaters bedient51. Auch Organgesellschaften dürfen die ihnen von den Finanzbehörden allgemein oder im Einzelfall für die Abgabe der Steuererklärung eingeräumte Frist ausschöpfen. Andererseits müssen sie die Kapitalertragsteuer auf die Mehrabführung fristgerecht einbehalten (§ 44 Abs. 7 EStG) und die einbehaltene Kapitalertragsteuer an dem auf den Entstehungszeitpunkt folgenden Werktag bei dem zuständigen Finanzamt anmelden (§ 45a Abs. 1 EStG). Wird die Steueranmeldung nicht fristgerecht eingereicht, kann das Finanzamt insoweit Verspätungszuschläge festsetzen (§§ 150 Abs. 1 Satz 3 AO, 152 Abs. 1 Satz 1 AO)52. Davon muss aber abgesehen werden, wenn die Versäumnis entschuldbar erscheint (§ 152 Abs. 1 Satz 2 AO). Das ist der Fall, wenn die Finanzverwaltung dem Unternehmen für die Abgabe der Steuererklärung Fristverlängerung gewährt hat und die Mehrabführung deshalb nicht bestimmt werden kann. Es ist nicht auszuschließen, dass die Finanzverwaltung den Anträgen der Organgesellschaften auf Fristverlängerung für die Abgabe der jährlichen Steuererklärungen zurückhaltender als bisher begegnet53. Es wäre aber ermessenswidrig, die Organgesellschaften von der allgemeinen Fristverlängerung auszuschließen, die durch gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden bundesweit allen Steuerpflichtigen gewährt wird. In der Praxis werden vororganschaftliche Mehrabführungen häufig erst durch die Betriebsprüfung festgestellt oder resultieren sogar erst aus den Feststellungen der Betriebsprüfung. Nach dem Grundsatz des Vorrangs des Veranlagungsverfahrens vor dem Abzugsverfahren54 verzichtet die Finanzverwaltung bei nachträglich aufgedeckten Mehrabführungen ausnahmsweise auf die Einbehaltung von Kapitalertragsteuer55. Der Verzicht erstreckt sich nach der zu Abschn. 59 Abs. 4 Sätze 3 und 5 KStR 1995 ergangenen Verwaltungsregelung auf die Einbehaltung der Kapitalertragsteuer auf alle Mehrabführungen, die im Zeitpunkt der Aufdeckung dem Organträger bereits zugeflossen waren56. Nach dem neuen § 14 Abs. 3 Satz 3 KStG gelten die Mehrabführun-

__________ 51 52 53 54 55 56

Gleichlautende Erlasse der obersten FinBeh. der Länder, BStBl 2005 I, S. 305. Vgl. Dötsch, D/E/J/P/W, Vor § 14 KStG n. F., Rz. 5 a. E. Vgl. Krinninger/Helm, BB 2005, 1191 (1193). BFH v. 28. 11. 1961, BStBl III 1962, 107; v. 3. 7. 1968, BStBl 1969 II, S. 4. BMF v. 28. 10. 1997, BStBl I, 939. BMF v. 28. 10. 1997, BStBl I 1997, 939 (940). Die Geltungsdauer des noch zum alten Recht ergangenen BMF-Schreibens ist nicht eingeschränkt worden.

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Probleme beim Übergang vom Halbeinkünfteverfahren zur Organschaft

gen in dem Zeitpunkt als erfolgt, in dem das Wirtschaftsjahr der Organgesellschaft endet. Dementsprechend ist der Verzicht auf die Erhebung von Kapitalertragsteuer auf alle Mehrabführungen zu erstrecken, die im Zeitpunkt der Aufdeckung bereits als erfolgt gelten. Wird mithin bei einer Betriebsprüfung, die den Zeitraum 01 bis 03 umfasst, im Jahre 05 ein Sachverhalt festgestellt, der auch in den Folgejahren zu Mehrabführungen führt, so gilt der Vorrang des Veranlagungsverfahrens vor dem Abzugsverfahren nicht nur für den Prüfungszeitraum 01 bis 03, sondern auch für den Veranlagungszeitraum 04, weil die Mehrabführung insoweit bereits mit dem Ende des Jahres 04 bewirkt worden ist, so dass die darauf entfallende Steuer in der Veranlagung für 04 erhoben werden kann57. Kapitalertragsteuer muss folglich erstmals für die Mehrabführung in 05 entrichtet werden. Sie entsteht in dem Zeitpunkt der Feststellung der Handelsbilanz für 05 in 06, spätestens mit Ablauf des 31.8.06 (§ 44 Abs. 7 EStG).

X. Zusammenfassung Die Abgrenzung zwischen Gewinnabführung und Gewinnausschüttung in organschaftlicher Zeit hat mit dem Übergang zum Halbeinkünfteverfahren an Bedeutung verloren. Dennoch hat der Gesetzgeber nach der Devise „altes Recht, gutes Recht“ versucht, mit dem neuen § 14 Abs. 3 KStG die bisherige Verwaltungsauffassung zu den Mehr- und Minderabführungen festzuschreiben. Das ist nur teilweise gelungen. Zwar hebt die Gesetzesbegründung hervor, dass die Neuregelung im Sinne der Verwaltungsauffassung zu verstehen sei, die vor den Urteilen des BFH vom 18. 12. 2002 gegolten hat. Dieser Hinweis entbindet den Rechtsanwender aber nicht davon, die in der Gesetzesbegründung favorisierte Auffassung an der neuen gesetzlichen Regelung zu messen. Dabei erweist sich die Hoffnung – bei gegenläufiger Interessenlage: Befürchtung – es gebe keine vororganschaftlichen Mehr- oder Minderabführungen, so dass § 14 Abs. 3 KStG leer läuft, als unbegründet. Andererseits ist der von § 14 Abs. 3 KStG erfasste Bereich der Mehr- und Minderabführungen enger als nach der bisherigen Verwaltungsauffassung. So kommt § 14 Abs. 3 KStG in den Fällen der Verlustübernahme und bei mehrstufigen Organschaftsverhältnissen hinsichtlich des abgeführten Gewinns beim Organträger nicht zur Anwendung. Wegen des knappen Wortlauts der neuen Regelung sind allerdings alle Auslegungsergebnisse mehr oder weniger unsicher. Die Praxis ist daher dringend auf ein klärendes BMF-Schreiben zu § 14 Abs. 3 KStG angewiesen.

__________ 57 Zweifelnd Dötsch, D/E/J/P/W, Vor § 14 KStG n. F., Rz. 5.

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Das System der zweistufigen Gewinnermittlung in der Rechtsprechung des BFH Inhaltsübersicht I. Einführung II. Wo liegt das Problem? III. Vier Grundfälle – zwei Grundkonstellationen IV. Was ist die verdeckte Gewinnausschüttung?

VI. Was bedeutet die Hinzurechnung außerhalb der Steuerbilanz? VII. Konkurrenzprobleme VIII. Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 und § 13 EStG IX. Schlusswort

V. Der mögliche Ansatz der verdeckten Gewinnausschüttung in der Handelsoder Steuerbilanz

I. Einführung Der BFH vertritt in seiner Rechtsprechung zur steuerlichen Gewinnermittlung seit mindestens 10 Jahren die Auffassung, dass der steuerliche Gewinn in zwei Stufen zu ermitteln sei1. Genau gesagt formuliert der I. Senat des BFH in seinen Entscheidungen entsprechend. Die Formulierung wurde inzwischen von Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach2 sowie von Gosch3 in seinem KSt-Kommentar übernommen. Auch Rengers liebäugelt in ihrer Kommentierung des § 8 KStG im Blümich mit dieser Auffassung4. Dagegen scheint die Erkenntnis bei den übrigen Senaten des BFH noch nicht so richtig angekommen zu sein. Dies gilt auch für einige bekannte Kommentare zum EStG. Symptomatisch ist insoweit die Kommentierung von Heinicke im Schmidt-Kommentar5, der die Zweistufigkeit nicht einmal erwähnt. Allerdings stehen die Ausführungen von Heinicke zum steuerlichen Gewinnbegriff des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG in keinerlei Widerspruch zu der Rechtsprechung des I. Senats. Letztere bleibt lediglich unzitiert. Immerhin

__________ 1

2 3 4 5

BFH, Urteile v. 29. 6. 1994 I R 137/93, BFHE 175, 347, BStBl II 2002, 366; v. 21. 12. 1994 I R 65/94, BFHE 176, 571; v. 13. 8. 1997 I R 85/96, BFHE 184, 311, BStBl II 1998, 161; v. 17. 10. 2001 I R 103/00, BFHE 197, 68, BStBl II 2004, 171; v. 7. 8. 2002 I R 2/02, BStBl II 2004, 131; Wassermeyer, DStR 1998, 484 ff.; ders., GmbHR 1998, 158; ders., StbJb 1998/99, 157, ders., IStR 2001, 633, ders., GmbHR 2002, 617, ders. in Festschrift Offerhaus, Köln 1999, S. 405 ff. Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 4 EStG Anm. 20. Gosch, KStG, § 8 Rz. 169, 247. Blümich/Renger, EStG/KStG/GewStG, § 8 KStG Rz. 234, 241, 421. Schmidt/Heinicke, EStG, 24. Aufl., 2005, § 4 Rz. 41.

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hat die Finanzverwaltung die Auffassung des BFH in einem umfangreichen BMF-Schreiben6 übernommen. Neuerdings wird allerdings an der Rechtsprechung des I. Senats zur zweistufigen Gewinnermittlung auch deutliche Kritik geübt. Bareis7 spricht von unklarem Denken und von einer Besteuerung nach Gutdünken. Briese8 hält die infolge der zweistufigen Gewinnermittlung vom I. Senat des BFH vertretene These, dass eine gesellschaftliche Veranlassung eine betriebliche voraussetze und verdeckte Gewinnausschüttungen (in vielen Fällen) Betriebsausgaben sind, für gekünstelt, widersprüchlich und letztlich unhaltbar. Das sind harte Vorwürfe, denen ich mich in diesem Beitrag stellen möchte. Insgesamt spricht der Beitrag eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung an, die das Verständnis des steuerlichen Gewinns und seiner Ermittlungsweise betrifft. Es handelt sich um eine Frage, von der der Verfasser mit Gewissheit annimmt, dass sie den zu ehrenden Jubilar interessiert. Zuletzt hat der Jubilar auf der Tagung des DAI über Internationales Steuerrecht am 4. und 5. November 2005 in Frankfurt mit dem Verfasser über diese Fragen diskutiert. Einige seiner damals geäußerten Überlegungen sind in den Beitrag eingegangen. Der Verfasser dankt dem Jubilar gleichzeitig für eine äußerst langjährige und ebenso fruchtbare wie persönliche Zusammenarbeit, die stets angenehm war.

II. Wo liegt das Problem? Das Problem liegt bei der Frage, an welcher Stelle der Gewinnermittlung der Gesetzesbefehl des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG zu berücksichtigen ist. Anders ausgedrückt geht es um die Frage, ob die Rechtsfolge der verdeckten Gewinnausschüttung innerhalb der Handelsbilanz oder außerhalb der Handelsbilanz, aber innerhalb der Steuerbilanz oder aber außerhalb von Handelsund Steuerbilanz ansetzt. Dazu wird auf den Wortlaut der steuerrechtlichen Gewinndefinition in § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG verwiesen. Danach ist der Gewinn der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen. Der I. Senat versteht diese Definition dahin, dass auf einer 1. Stufe der Gewinnermittlung der sog. Unterschiedsbetrag zu ermitteln ist. Der Unterschiedsbetrag ist zumindest im Regelfall durch Betriebsvermögensvergleich zu ermitteln. Auf die Frage, wie bei einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG oder nach § 13 EStG oder nach § 16 Abs. 2 EStG zu verfahren ist, wird später einzugehen sein. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht zunächst die Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich. Insoweit sind auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung Bilan-

__________ 6 7 8

BMF-Schreiben v. 28. 5. 2002 – IV A 2 – S 2742 – 32/02, BStBl I 2002, 603. Bareis, BB 2005, 354. Briese, GmbHR 2005, 597.

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zierungsgrundsätze zu beachten. Es gilt der Maßgeblichkeitsgrundsatz des § 5 Abs. 1 EStG mit seinen Durchbrechungen in § 5 Abs. 2 bis 6 EStG. Bei der Ermittlung des Unterschiedsbetrages kommt es auf die betriebliche Veranlassung von Erlösen und Aufwendungen an. Auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung erfährt der ermittelte Unterschiedsbetrag Mehrungen und Minderungen. Man kann diese Mehrungen und Minderungen rechtssystematisch mit den Hinzurechnungen und Kürzungen in §§ 8 und 9 GewStG vergleichen, auch wenn die §§ 8 und 9 GewStG außerhalb der Gewinnermittlung ansetzen. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG nennt als Mehrung nur die Entnahme und als Minderung nur die Einlage. Die eigentlich spannende Frage geht dahin, ob die Aufzählung in § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG eine vollständige bzw. abschließende ist. Der I. Senat des BFH versteht die Aufzählung in § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht als eine vollständige. Er meint, dass noch weitere Mehrungen und Minderungen auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung anzusetzen seien. Er nennt die 2. Stufe der Gewinnermittlung eine Korrekturebene, womit er zum Ausdruck bringen will, dass sich die dort anzusetzenden Mehrungen und Minderungen als Korrekturbeträge zu dem zuvor ermittelten Unterschiedsbetrag darstellen. Wichtig ist, dass die genannten Korrekturen nach der Auffassung des BFH außerhalb von Handels- und Steuerbilanz ansetzen. Im Einzelnen sind außer der Entnahme und der Einlage vor allem sämtliche nicht abziehbaren Betriebsausgaben z. B. i. S. des § 4 Abs. 5 EStG oder aber i. S. des § 3c EStG, ferner verdeckte Gewinnausschüttungen i. S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, Zurechnungsbeträge nach § 1 AStG, Hinzurechnungsbeträge nach § 10 Abs. 2 AStG und schließlich alle steuerfreien Einkünfte bzw. Einnahmen zu nennen. Damit ist die 2. Stufe der Gewinnermittlung immer noch nicht vollständig umschrieben. Man denke nur an die Organschaft und die dort beim Organträger potenziell erforderliche Bildung oder Auflösung sog. Ausgleichsposten (Abschn. 59 KStR). Diese Ausgleichsposten sind letztlich nichts anderes als Korrekturbeträge, die auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung anzusetzen sind. Man denke ferner an die Zurechnung des Einkommens einer Organgesellschaft beim Organträger9. Gleichzeitig müssen die auf Grund des Ergebnisabführungsvertrages handelsrechtlich abgeführten Gewinne wieder aus dem Gewinn des Organträgers herausgenommen werden. Es sei deshalb hier festgehalten, dass die steuerrechtliche Einkünfteermittlung in großem Umfang mit sog. Korrekturbeträgen arbeitet, die auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung anzusiedeln sind, soweit im Einzelfall der steuerrechtliche Gewinn zu ermitteln ist.

__________ 9

Vgl. Wassermeyer, Widersprüchlichkeiten bei der Organschaft, DStR 2004, 214; v. Groll, Irrungen und Wirrungen um die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht – mit Folgen auch im formellen Recht, DStR 2004, 1193; Kempf/Zipfel, Offene Fragen der Einkommenszurechnung bei abweichendem Wirtschaftsjahr im Organkreis, DStR 2005, 1301.

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III. Vier Grundfälle – zwei Grundkonstellationen Wendet man sich nunmehr speziell der verdeckten Gewinnausschüttung i. S. des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG zu, so gibt es bekanntlich vier Grundfälle der verdeckten Gewinnausschüttung10, die sich jedoch auf zwei unterschiedliche Grundkonstellationen zurückführen lassen. In der ersten Grundkonstellation erbringt ein Gesellschafter bzw. eine ihm nahe stehende Person eine Leistung an die Kapitalgesellschaft, die dafür ein unangemessen hohes Entgelt zahlt. Bei der Leistung, die der Gesellschafter bzw. eine ihm nahe stehende Person erbringt, kann es sich im Kern um die Übertragung eines Wirtschaftsgutes, um eine Dienstleistung oder um eine Nutzungsüberlassung handeln. Kennzeichen dieser 1. Grundkonstellation ist, dass sowohl der Gesellschafter bzw. die ihm nahe stehende Person als auch die Kapitalgesellschaft reale Leistungen erbringen, deren Veranlassung durch den Betrieb bzw. durch das Gesellschaftsverhältnis hinterfragt werden kann. In der zweiten Grundkonstellation erbringt dagegen die Kapitalgesellschaft an ihren Gesellschafter bzw. an eine ihm nahe stehende Person eine konkrete Leistung und erhält dafür ein unangemessen niedriges Entgelt. Auch in dieser Grundkonstellation kann die Leistung der Kapitalgesellschaft aus der Übertragung eines Wirtschaftsgutes, aus einer Dienstleistung oder aus einer Nutzungsüberlassung bestehen. Kennzeichen der 2. Grundkonstellation ist, dass zwar die Kapitalgesellschaft eine reale Leistung erbringt, dass aber weder zivilrechtlich noch wirtschaftlich ein Anspruch auf ein angemessenes Entgelt entsteht. Der Leistungsempfänger erbringt keine angemessene Gegenleistung. Während man in der 1. Grundkonstellation das unangemessen hohe Entgelt ohne Schwierigkeiten in eine Ausschüttung umqualifizieren könnte, fehlt es in der 2. Grundkonstellation an dem angemessenen Entgelt, das umqualifiziert werden könnte. Es entsteht weder eine Forderung in Höhe des angemessenen Entgeltes noch wird das angemessene Entgelt in anderer Form bzw. unter einer anderen Bezeichnung bezahlt. Die Bezahlung des angemessenen Entgelts könnte allenfalls fingiert werden. Tatsächlich hat der I. Senat vor vielen Jahren die hier wiedergegebene Erkenntnis zum Anlass genommen, bei der verdeckten Gewinnausschüttung mit der sog. Fiktionstheorie zu arbeiten. Er fingierte als Sachverhalt11, dass die Kapitalgesellschaft für ihre Leistung ein angemessenes Entgelt erhalten und die Differenz zwischen dem angemessenem und dem tatsächlich bezahlten Entgelt anschließend an den Gesellschafter wieder ausgeschüttet habe. Später hat sich indes die Erkenntnis durchgesetzt, dass jede Fiktion einer Rechtsgrundlage bedarf und dass § 6 Abs. 1 Satz 2 KStG 1969 eine solche Rechtsgrundlage nicht ent-

__________ 10 Vgl. Wassermeyer, Streitfragen bei der Bilanzierung verdeckter Gewinnausschüttung, Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, Köln 1997, S. 541 ff. 11 Vgl. BFH, Urteile v. 15. 11. 1960 I 189/59 S, BFHE 72, 210, BStBl III 1961, 80; v. 9. 3. 1962 I 203/61 S, BFHE 75, 193, BStBl III 1962, 338; v. 25. 9. 1970 VI R 122/67, BFHE 100, 301, BStBl II 1971, 53.

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hielt12. Der BFH gab die Fiktionstheorie bei der verdeckten Gewinnausschüttung wieder auf13. Im Jahre 199414 musste er die Konsequenzen aus der Aufgabe der Fiktionstheorie ziehen. Er stand damals vor der Frage, ob die Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG 1977 außerhalb oder innerhalb der Handels- oder Steuerbilanz ansetzt. Er hat sich am 29. 6. 1994 für den Ansatz außerhalb von Handels- und Steuerbilanz entschieden. Die Finanzverwaltung hat knapp 8 Jahre über die Veröffentlichung des Urteils in BStBl II nachgedacht. Ursprünglich war das Urteil innerhalb der Finanzverwaltung erheblicher Kritik ausgesetzt. Nach und nach setzte sich jedoch die Erkenntnis durch, dass die Entscheidung richtig sei. Die Finanzverwaltung hat sie deshalb in dem BMF-Schreiben vom 28. 5. 200215 übernommen. Es kann also keiner behaupten, es sei über die Rechtsfrage nicht lange genug nachgedacht worden. Andererseits ist natürlich die Länge des Nachdenkens keine Garantie für die Richtigkeit des Ergebnisses. Deshalb sollen hier die entscheidenden Gesichtspunkte noch einmal genannt werden.

IV. Was ist die verdeckte Gewinnausschüttung? Briese will sogar Buchwerte ausschütten16. Dies wirft die Frage, was die verdeckte Gewinnausschüttung eigentlich ist. In der 1. Grundkonstellation ist die Frage eindeutig im Sinne des unangemessenen Teils der Leistung der Kapitalgesellschaft zu beantworten, der dem Gesellschafter zugewendet wird. Die verdeckte Gewinnausschüttung besteht also aus Geld bzw. Kapital. In der 2. Grundkonstellation kann man die verdeckte Gewinnausschüttung alternativ in dem unentgeltlichen Teil der Leistung der Kapitalgesellschaft oder aber in dem Nichteinfordern einer angemessenen Gegenleistung durch die Kapitalgesellschaft sehen. Beide Alternativen zielen auf eine potenziell unterschiedliche Behandlung zumindest in der Steuerbilanz. Besteht die verdeckte Gewinnausschüttung in einer unentgeltlichen Leistung der Kapitalgesellschaft, so darf der Wegfall des Buchwertes im Vermögen der Kapitalgesellschaft nicht als Betriebsausgabe behandelt werden. Der BFH sieht indes die verdeckte Gewinnausschüttung in dem Verzicht der Kapitalgesellschaft auf ein angemessenes Entgelt. Dies ermöglicht es ihm, auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung den Wegfall des Buchwertes als betrieblichen Aufwand zu berücksichtigen. Insoweit besteht also kein Unterschied in der Behandlung zu dem anderen Fall, in dem der Gesellschafter ein angemessenes Entgelt zahlt. Auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung wird sodann das

__________ 12 Vgl. BFH-GS, Beschluss v. 26. 10. 1987 GrS 2/86, BFHE 151, 523, 537, BStBl II 1988, 348, 354 unter C.I.3.c. 13 Vgl. Meßmer, Die Fiktion im Steuerrecht – Bräuche und Mißbräuche, StbJb 1977/78, 65 ff., 121. 14 BFH, Urteil v. 29 6.1994 I R 137/93, BFHE 175, 347, BStBl II 2002, 366. 15 BMF-Schreiben v. 28. 5. 2002 – IV A 2 – S 2742 – 32/02, BStBl I 2002, 603. 16 Briese, Fn 7, S. 601.

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fehlende Entgelt dem Unterschiedsbetrag hinzugerechnet. Dies verdeutlicht noch einmal, dass Buchwerte nicht ausgeschüttet werden. Die Betrachtungsweise des BFH hat Bezug zu der Tatsache, dass die verdeckte Gewinnausschüttung mit dem gemeinen Wert (Fremdvergleichspreis), die Entnahme dagegen wegen § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG mit dem Teilwert zu bewerten ist. Während der Teilwert sich gewissermaßen am Beschaffungsmarkt orientiert und deshalb die Wiederbeschaffungskosten als seine Obergrenze behandelt, hat die verdeckte Gewinnausschüttung den Absatzmarkt im Auge. Sie fragt danach, welche Aufwendungen bzw. welche Erlöse bei fremdvergleichsgerechten Vereinbarungen angefallen wären. Damit ist auch der Bezug zu dem Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) hergestellt. Hier sieht der vorliegende Referentenentwurf eine Entstrickungsbesteuerung in § 4 Abs. 1 EStG-E und § 12 KStG-E vor. Während in § 4 Abs. 1 i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG-E eine Entnahme zum gemeinen Wert fingiert wird, wird in § 12 KStG-E eine Veräußerung zum gemeinen Wert fingiert. Es soll hier die Frage nicht vertieft werden, ob nicht alles, was § 12 KStG-E regelt, bereits unter § 4 Abs. 1 EStG-E i. V. m. § 8 Abs. 1 KStG fällt. Bezogen auf die Formulierung des § 12 KStG-E ist die Frage von Interesse, ob die Fiktion einer Veräußerung zu deren Erfassung innerhalb der Steuerbilanz zwingt. Insoweit kann man an eine Zuschreibung zu dem Buchwert des entstrickten Wirtschaftsgutes denken. Dies wäre jedoch für eine Veräußerung untypisch. Die Veräußerung lässt den Buchwert des veräußerten Wirtschaftsgutes entfallen. Er ist als Aufwand zu behandeln. Die Gewinnrealisation setzt bei der Gegenleistung an, die bilanziell erfasst wird. Daran fehlt es in allen Entstrickungsfällen. Auch im Falle einer Zuschreibung müsste das Wirtschaftsgut erfolgsneutral in die ausländische Betriebsstättenbilanz überführt werden. Was stellt jedoch die Überführung dar, wenn sie keine Entnahme ist, worauf die unterschiedliche Formulierung von § 4 Abs. 1 EStG-E einerseits und § 12 KStG-E andererseits hindeutet? Woraus ergibt sich, dass das überführte Wirtschaftsgut nach Zuschreibung erfolgsneutral aus dem Stammhausvermögen auszubuchen ist? Man müsste wohl in der Stammhausbilanz eine Art von Beteiligung an der Betriebsstätte einrichten. Jedenfalls kann eine solche Aktivierung allenfalls in der Steuerbilanz und nicht auch in der Handelsbilanz vorgenommen werden. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber sich nicht doch noch zu einem Ansatz außerhalb der Steuerbilanz entschließt. Er würde damit die Rechtsprechung des I. Senats des BFH als richtig bestätigen. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass Wirtschaftsgüter eingelegt und entnommen werden können. Die Entnahme kann auch aus einer Dienstleistung oder aus einer Nutzung bestehen. Gegenstand einer verdeckten Gewinnausschüttung sind dagegen entweder unangemessen hohe Aufwendungen oder nicht erzielte Einnahmen. Damit steht auch fest, dass Buchwerte nicht ausgeschüttet werden können. 570

Zweistufige Gewinnermittlung in der Rechtsprechung des BFH

V. Der mögliche Ansatz der verdeckten Gewinnausschüttung in der Handels- oder Steuerbilanz Der eigentliche Ansatzpunkt für die inzwischen aufgekommenen Meinungsverschiedenheiten ist in der Tatsache suchen, dass in allen Fällen, die der ersten Grundkonstellation zuzuordnen sind, die Rechtsfolge der verdeckten Gewinnausschüttung in der Steuerbilanz zumindest dargestellt werden könnte17. Zahlt die Kapitalgesellschaft für eine Leistung ihres Gesellschafters (z. B. Darlehensgewährung) ein unangemessen hohes Entgelt (Zinsen), so kann man den unangemessen hohen Teil des Entgeltes als Ausschüttung verbuchen. Man kann allerdings ebenso mit Blick auf den Maßgeblichkeitsgrundsatz des § 5 Abs. 1 EStG, der insoweit in § 5 Abs. 6 EStG keine Durchbrechung erfährt, eine Bindung der Steuerbilanz an die Behandlung in der Handelsbilanz befürworten und deshalb die Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG im Sinne einer Hinzurechnung außerhalb der Steuerbilanz verstehen. Das eigentliche Problem stellt sich in allen Fällen der zweiten Grundkonstellation. Gewährt die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter ein zinsloses Darlehen, so besteht die verdeckte Gewinnausschüttung nicht in der Darlehensgewährung als solcher, sondern in dem Verzicht auf eine Entgeltsvereinbarung in Höhe angemessener Zinsen. Bilanziell lässt sich diese verdeckte Gewinnausschüttung nur mit Hilfe einer Sachverhaltsfiktion darstellen, indem man die Vereinbarung angemessener Zinsen, die Zahlung derselben durch den Gesellschafter und schließlich die Ausschüttung eines gleichen hohen Betrages durch die Kapitalgesellschaft an ihren Gesellschafter sachverhaltsmäßig unterstellt. Handelsrechtlich begründet jedoch die zinslose Darlehensgewährung durch die Kapitalgesellschaft an ihren Gesellschafter selbst dann keine aktivierungsfähige Zinsforderung bzw. keine den Jahresüberschuss erhöhende Zinserlöse, wenn der Vorgang auch gesellschaftsrechtlich als verdeckte Gewinnausschüttung zu beurteilen sein sollte. Bekanntlich führt nicht jede verdeckte Gewinnausschüttung gesellschaftsrechtlich zu einem Rückgewähranspruch gegenüber dem begünstigten Gesellschafter. Dabei sei nur am Rande darauf hingewiesen, dass sich die gesellschaftsrechtlichen und die steuerrechtlichen Begriffe der verdeckten Gewinnausschüttung keineswegs decken und ggf. unterschiedliche Behandlungsweisen geboten sein könnten je nachdem, ob die Begriffe im Einzelfall auseinander fallen oder nicht. Der BFH stand jedenfalls im Jahre 1994 vor der Erkenntnis, dass die erste der beiden Gruppen von verdeckten Gewinnausschüttungen sich in der Steuerbilanz darstellen lässt, während für die zweite Gruppe eine entsprechende Darstellung ausgeschlossen ist. Damit ging es um die Frage, ob die Rechtsfolgen der beiden Gruppen verdeckter Gewinnausschüttungen einheitlich zu verstehen waren oder ob § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG die Rechtsgrundlage für eine unterschiedliche Behandlung bietet. Wer sogar den Ansatz

__________ 17 So Wassermeyer in Gedächtnisschrift Knobbe-Keuk, Köln 1997, S. 541 ff., 544.

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verdeckter Gewinnausschüttungen innerhalb der Handelsbilanz befürwortet, muss sich Gedanken darüber machen, wie verfahren werden soll, wenn im Einzelfall eine verdeckte Gewinnausschüttung nur im steuerrechtlichen Sinne anzunehmen ist. Dies ist z. B. der Fall, wenn alle Gesellschafter der Vereinbarung eines unangemessen hohen Entgeltes an den die Leistung erbringenden Gesellschafter zugestimmt haben sollten und die Vereinbarung den Erhalt des Stammkapitals nicht tangiert. Der BFH hat jedenfalls im Jahre 1994 entschieden, dass § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG keine unterschiedliche Handhabung verschiedener verdeckter Gewinnausschüttungen rechtfertige. Er hat sich damals für die Korrektur außerhalb der Steuerbilanz entschieden, weil nur auf diese Weise eine einheitliche Handhabung gewährleistet war. Wenn Bareis18 dieses Ergebnis kritisiert, so muss ihm entgegengehalten werden, dass er ausschließlich mit der 1. Grundkonstellation verdeckter Gewinnausschüttungen argumentiert. Er erkennt leider nicht, dass für die 2. Grundkonstellation verdeckter Gewinnausschüttungen andere Grundsätze gelten. Damit hat er das Problem nicht in seiner vollen Breite erkannt. Im Gegensatz zu Bareis sieht Briese19 das Problem der verhinderten Vermögensmehrung. Er glaubt, den Preisnachlass, den die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter gewährt, über ein Ertragskonto im Haben (jahresüberschusserhöhende Ertragsrealisierung) und über ein Eigenkapitalkonto im Soll (Gewinnverteilung) in der Handelsbilanz verbuchen zu können. Zugleich komme es zum Abfluss der verdeckten Gewinnausschüttung, weshalb keine Forderung auf die Entgeltdifferenz und keine entsprechende Ausschüttungsverbindlichkeit zu bilanzieren sei. Die verdeckte Gewinnausschüttung stelle eine Gewinnverteilung dar, weshalb der entsprechende Betrag für eine (weitere) Gewinnverteilung nicht mehr zur Verfügung stünde. Die Buchungssätze sollen dem Prinzip der doppelten Buchführung entsprechen. Briese verdeckt damit nur notdürftig die tatsächliche Grundlage seiner Vorgehensweise. Tatsächlich arbeitet er mit Fiktionen. Die Erhöhung des Eigenkapitals im Soll ist eine fiktive. Tatsächlich erhöht sich das Eigenkapital der Kapitalgesellschaft nicht. Aus der Sicht der doppelten Buchführung „fließt“ nur der Buchwert des übertragenen Wirtschaftsgutes in den Aufwand. Ein Abfluss der fiktiven Erhöhung des Eigenkapitals ist nicht feststellbar. Briese anerkennt, dass die Rechtsfolge des § 1 AStG eine Fiktion darstellt und deshalb außerhalb der Steuerbilanz ansetzt. Er will nicht wahrhaben, dass in der hier interessierenden Grundkonstellation zwischen § 1 AStG und der verdeckten Gewinnausschüttung kein Unterschied besteht. Tatsächlich kehrt Briese zurück zur Fiktionstheorie, ohne sich auch nur andeutungsweise mit den Voraussetzungen einer Fiktion auseinander zu setzen. Es ist erstaunlich, wie hemmungslos Betriebswirte mit Fiktionen ohne Rechtsgrundlage zu arbeiten bereit sind, wenn nur das Ergebnis in die eigene Rechtsauffassung passt.

__________ 18 Bareis, Fn 6. 19 Briese, Fn 7, S. 599.

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Briese versteigt sich sogar zu der These, es gebe keine Einlage oder Entnahme, die außerhalb der Steuerbilanz berücksichtigt werden könne(!). Man fragt sich dann, warum § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG vom Gesetzgeber so formuliert wurde, wie er formuliert ist. Jede Hinzurechnung von Entnahmen und jede Minderung um Einlagen auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung muss dann ins Leere laufen. Die Formulierung von § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG spricht jedenfalls dafür, dass der Gesetzgeber von einer anderen Auffassung ausgegangen ist. Brieses Argumentationen bestehen leider in erster Linie aus Rechtsbehauptungen und kaum aus Begründungen. Die Rechtsauffassung des I. Senats des BFH bedeutet, dass Betriebsausgaben und verdeckte Gewinnausschüttungen sich steuersystematisch nicht ausschließen. Das, was auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung Betriebsausgabe ist, kann auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und deshalb verdeckte Gewinnausschüttung sein. Viele Autoren20 halten diesen Ansatzpunkt für unzutreffend. Sie gehen davon aus, dass sich Betriebsausgaben und verdeckte Gewinnausschüttungen wechselseitig ausschließen. Der Blick auf § 12 EStG sollte indes das Gegenteil belegen, auch wenn deshalb zwischen der verdeckten Gewinnausschüttung und dem § 12 EStG keine Deckungsgleichheit besteht. Betrachtet man den Fall eines Arbeitnehmers, der für seine Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte seinen Pkw nutzt, der dem Privatvermögen zuzuordnen sein soll. In diesem Fall entstehen die Pkw-Kosten zum einen, weil der Arbeitnehmer seine Privatwohnung an einem bestimmten Ort genommen hat. Diese Entscheidung ist in aller Regel der privaten Lebensführung des Arbeitnehmers zuzuordnen. Die Pkw-Kosten entstehen allerdings auch deshalb, weil der Arbeitnehmer an einem bestimmten anderen Ort seiner täglichen Arbeit nachgehen soll. Insoweit besteht eine Veranlassung durch das Arbeitsverhältnis. Die Veranlassung der Pkw-Kosten ist also eine „gemischte“. Die These, der Veranlassungszusammenhang sei ein einheitliches Merkmal21, welches nicht künstlich aufgespalten werden könne, ist deshalb ein Schlagwort ohne Wert. Gemischt veranlasste Aufwendungen stellen regelmäßig gleichermaßen Betriebsausgaben/Werbungskosten und private Lebensführungskosten dar. Der Gesetzgeber hat in § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG entschieden, dass die Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in pauschalierter Höhe als Werbungskosten abziehbar sind. Er hätte die Kosten ebenso nach den Grundsätzen des § 12 EStG für nicht abziehbar erklären können. Wichtig ist hier jedoch nur die Erkenntnis, dass es die Aufgabe des § 12 EStG ist, für die Masse der Fälle gemischt veranlasster Aufwendungen eine Nichtabziehbarkeit der Werbungskosten zu begründen. Für die Körperschaftsteuer gilt in gleicher Weise, dass die Begriffe „Betriebsausgaben“ und verdeckte

__________ 20 Vgl. Prinz, StuW 1996, 269; Pezzer, Die verdeckte Gewinnausschüttung im Körperschaftsteuerrecht, Köln 1986, S. 65; ders., StuW 1998, 79 ff.; Briese, Fn. 7. 21 So Briese, Fn. 7.

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Gewinnausschüttung sich nicht ausschließen. Hat die Kapitalgesellschaft keine Privatsphäre, so bilden alle nicht zu aktivierenden Aufwendungen Betriebsausgaben. Dies schließt nicht aus, dass die Betriebsausgabe insgesamt oder zu einem Teil auch durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und insoweit verdeckte Gewinnausschüttung ist.

VI. Was bedeutet die Hinzurechnung außerhalb der Steuerbilanz? Stellt man sich eine Kapitalgesellschaft vor, die ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer eine unangemessen hohe Pension zusagt, so bedeutet die Auffassung des BFH, dass die ungewisse Verbindlichkeit als Pensionszusage zu passivieren ist. Die Tatsache, dass die ungewisse Verbindlichkeit auch durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, ist für die bilanzielle Behandlung auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung ohne jede Bedeutung22. Sollte der Pensionsfall eintreten und die Kapitalgesellschaft die Pensionszahlungen verweigern, so wird der Gesellschafter-Geschäftsführer vor dem zuständigen Zivilgericht Ansprüche aus der Pensionszusage und keine Ansprüche aus einer Ausschüttung einklagen. Für die Ermittlung des Unterschiedsbetrages ist wegen des Maßgeblichkeitsgrundsatzes die Zivilrechtslage maßgebend. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG enthält keine Durchbrechung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes. Dies belegt auch § 5 Abs. 6 EStG. Die Hinzurechnung außerhalb der Steuerbilanz ist allerdings als Korrektiv zu der Ermittlung des Unterschiedsbetrages zu verstehen. Es muss nur das korrigierend auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung wieder hinzugerechnet werden, was den Unterschiedsbetrag auf der 1. Stufe der Gewinnermittlung gemindert hat, jedoch kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung den Gewinn nicht mindern soll. Entsprechendes gilt spiegelbildlich für „Kürzungen“.

VII. Konkurrenzprobleme Zwischen Korrekturen innerhalb und außerhalb der Steuerbilanz gibt es Konkurrenzprobleme in dem Sinne, dass die Korrektur innerhalb der Steuerbilanz logisch vorrangig vor der außerhalb der Bilanz ist. Deutlich wird dies an Hand einer Regelung wie die des § 5 Abs. 4a EStG, die Rückstellungen für drohende Verluste verbietet. Die Vorschrift setzt innerhalb der Steuerbilanz an, was im Ergebnis bedeutet, dass spätere Zahlungen zum Ausgleich der Verluste abzugsfähige Betriebsausgaben darstellen. Wollte man die Rechtsfolge außerhalb der Bilanz ansetzen, so müssten tatsächliche Aufwendungen mit den in der Steuerbilanz gebildeten Drohverlustrückstellungen erfolgsneutral verrechnet werden. Einschlägig ist auch § 6a EStG. Die Vorschrift

__________ 22 Soweit der Verfasser in DStR 1987, 484, 487, noch eine andere Auffassung vertreten hat, gibt er dies ausdrücklich auf. Sie ist durch die spätere Rechtsentwicklung überholt.

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verbietet die Bildung von Pensionsrückstellungen. Da Pensionsrückstellungen nur innerhalb der Steuerbilanz gebildet werden können, spricht der Wortlaut der Vorschrift dafür, dass die Rechtsfolge ebenfalls innerhalb der Steuerbilanz ansetzt23. Dies bedeutet, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 6a EStG logisch vorrangig vor denen einer verdeckten Gewinnausschüttung zu prüfen sind. Fehlt es z. B. an einer schriftlichen Pensionszusage, so darf die Pensionsrückstellung insgesamt nicht gebildet werden, ohne dass es zu einer Angemessenheitsprüfung in der Anwartschaftsphase kommen könnte. Das Problem der verdeckten Gewinnausschüttung stellt sich allerdings in der Leistungsphase nach Eintritt des Pensionsfalls. Die dann getätigten Aufwendungen stellen Betriebsausgaben dar, für die sich die Frage stellt, ob sie als verdeckte Gewinnausschüttungen auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung dem Unterschiedsbetrag wieder hinzugerechnet werden müssen. Kritisch ist die Abgrenzung in den Fällen einer „Nur-Pension“, d. h. in dem Fall, in dem dem Gesellschafter-Geschäftsführer als Entgelt für seine Tätigkeit nur eine Pension zugesagt wird. Man könnte die „Nur-Pension“ als eine Überversorgung i. S. des § 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Satz 4 EStG mit der Folge verstehen, dass eine Rückstellung in der Steuerbilanz nicht gebildet werden darf. In diesem Fall käme es zumindest in der Anwartschaftsphase auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG nicht an. In seinem Urteil vom 17. 5. 199524 ist der BFH diesen Weg nicht gegangen. Er hat die „Nur-Pension“ im konkreten Urteilsfall gewissermaßen der Höhe nach für angemessen gehalten. Seine Bedenken haben bei der Zusage dem Grunde nach angesetzt. Deshalb wurde die Bildung der Pensionsrückstellung aus der Sicht des § 6a EStG für zulässig erachtet. Die Pensionsrückstellung führte steuerbilanziell zur Bildung von Fremdkapital und insoweit zu einer Minderung des Unterschiedsbetrages. Die Minderung war auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung durch eine Hinzurechnung des Betrages der Zuführung zur Rückstellung als verdeckte Gewinnausschüttung zu neutralisieren. Dieser Auffassung ist auch die Finanzverwaltung beigetreten25. Möglicherweise hätte man die „Nur-Pension“ auch unter § 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Satz 4 EStG mit der Folge subsumieren können, dass eine Pensionsrückstellung in der Steuerbilanz nicht gebildet werden durfte. Der Unterschied zwischen den beiden Vorgehensweisen liegt in den Berichtigungsmöglichkeiten. Eine unter Verletzung von § 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Satz 4 EStG im Jahr 01 gebildete Pensionsrückstellung kann erforderlichenfalls auch in den Folgejahren noch erfolgswirksam korrigiert werden. Eine verdeckte Gewinnausschüttung im Jahr 01 kann dagegen in den Folgejahren nicht „nachgeholt“ werden. In sich widersprüchlich wäre es, einerseits die Bildung einer Pen-

__________ 23 Vgl. BFH, Urteile v. 31. 3. 2004 I R 79/03, BFHE 206, 52, BStBl II 2004, 940; v. 31. 3. 2004 I R 70/03, BFHE 206, 37, BStBl II 2004, 937; v. 15. 9. 2004 I R 62/03, BFHE 207, 443, BStBl II 2005, 176. 24 BFH, Urteil v. 17. 5. 1995 I R 147/93, BFHE 178, 203, BStBl II 1996, 204. 25 Vgl. BMF-Schreiben v. 28. 1. 2005 IV B 7 – S 2742 – 9/05, BStBl I 2005, 387.

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sionsrückstellung aus Gründen des § 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Satz 4 EStG zu verneinen und gleichzeitig die Bildung einer erfolgsneutralen Ausschüttungsrückstellung zu bejahen.

VIII. Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 und § 13 EStG Ein Gewinn kann auch nach § 4 Abs. 3 EStG, nach § 5a EStG (Tonnagesteuer) oder nach § 13a EStG zu ermitteln sein. Die Einnahme-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG sollte dem System der zweistufigen Gewinnermittlung in gleicher Weise wie die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG zugänglich sein. Es muss dann lediglich die Ermittlung des Unterschiedsbetrages durch die Einnahme-Überschussrechnung ersetzt werden. Die Gewinnermittlungen nach § 5a EStG bzw. nach § 13a EStG sind dem System der zweistufigen Gewinnermittlung ebenfalls zugänglich, auch wenn nicht alle Korrekturposten zur Anwendung kommen müssen. Der Grund für die Einschränkung liegt in der Tatsache, dass beide Gewinnermittlungsarten nicht bei einzelnen Geschäftsvorfällen, sondern bei Durchschnittswerten ansetzen, für die eine gesetzliche Angemessenheitsvermutung gilt26. Deshalb scheiden Entnahmen einerseits und verdeckte Gewinnausschüttungen andererseits weitgehend aus. Dies heißt nicht, dass der Gewinn i. S. des § 5a EStG bzw. des § 13a EStG dem des § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG bereits entspreche. Der Gewinn i. S. des § 5a EStG bzw. des § 13a EStG kann z. B. steuerfreie Teile enthalten, die auf der 2. Stufe der Gewinnermittlung auszuklammern sind. Ein Gewinn kann im Übrigen auch in den Fällen des § 16 Abs. 2 EStG oder § 11 KStG zu ermitteln sein. Auch insoweit kommt das System der zweistufigen Gewinnermittlung grundsätzlich zur Anwendung.

IX. Schlusswort Die Rechtsprechung zur zweistufigen Gewinnermittlung hat sich durchaus bewährt. Sie führt für die Unterscheidung zwischen der Ermittlung des Unterschiedsbetrages und der Anwendung von Korrekturrechnungen zu sehr viel mehr Klarheit und Transparenz. Die Ausführungen von Bareis und Briese belegen dies letztlich, weil sie nicht das gesamte Instrumentarium von Gewinnkorrekturnormen berücksichtigen. Für den BFH sollte kein Anlass bestehen, von dem eingeschlagenen Weg abzuweichen.

__________ 26 Vgl. BFH, Urteil v. 5. 12. 2002 IV R 28/02, BFHE 201, 175, BStBl II 2003, 345.

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Gewinnabgrenzung bei internen Leistungen zwischen deutschen und ausländischen Betriebsstätten Inhaltsübersicht I. Vom Jubilar zur Betriebsstätte II. Problemstellung III. Rechtsgrundlagen 1. Notwendigkeit eines nationalen Steueranspruchs 2. Unbeschränkt Steuerpflichtiger mit Auslandsbetriebsstätte a) Fehlende Gewinnabgrenzungsvorschriften im nationalen deutschen Steuerrecht b) Abrechnung interner Leistungen zwischen inländischem Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte zu Buchwerten im NichtDBA-Fall c) Partielle Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei Geltung eines DBA aa) Einfluss eines anzuwendenden DBA bb) Betriebsstätten mit Steuerfreistellung cc) Betriebsstätten mit Steueranrechnung nach DBA d) Zwischenergebnis 3. Beschränkt Steuerpflichtiger mit Inlandsbetriebsstätte a) Isolierte Ermittlung des Betriebsstättengewinns b) Anwendung der Entnahme- bzw. Einlagegrundsätze c) Partielle Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei Anwendung eines DBA d) Zwischenergebnis

IV. Kritische Analyse ausgewählter Regelungen der BetriebsstättenVerwaltungsgrundsätze 1. Unterschiedliche Abgrenzung je nach Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung 2. Überführung von Wirtschaftsgütern a) Aufgeschobene Gewinnverwirklichung b) Rückführung von Wirtschaftsgütern ins Inland c) Praktische Durchführung 3. Nutzung von Wirtschaftsgütern a) Zuordnung von Wirtschaftsgütern b) Leistungsabrechnung 4. Dienstleistungen als Haupttätigkeit der Betriebsstätte a) Regelung der BetriebsstättenVerwaltungsgrundsätze b) Dienstleistungen als Haupttätigkeit der Betriebsstätte c) Geschäftsführungsaufwand V. Ungeregelte Einzelfragen 1. Gewinnabgrenzung bei Vertretertätigkeit 2. Betriebsstätte und Kostenumlage 3. Betriebsstätte und verdeckte Gewinnausschüttung VI. Zusammenfassung

I. Vom Jubilar zur Betriebsstätte In diesem Jahr feiert der Jubilar nicht nur seinen 70. Geburtstag, zu dem die Verfasser ihm herzlich gratulieren, sondern auch sein grundlegendes, mit Albert Rädler verfasstes Werk „Deutsche Steuern bei Auslandsbeziehun579

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gen“1 wird 40 Jahre alt. Schon 1966 wurde dort der Betriebsstätte breiter Raum gewidmet2. Und obwohl in der umfassenden Sammlung der Verfasser zur Betriebsstättenliteratur kein einziger Artikel des Jubilars vertreten ist, so war er es doch, der in „seiner“ jährlichen Frankfurter Tagung „Praxis des Internationalen Steuerrechts“3 immer auch die Betriebsstätte ausführlich in seinen Fällen berücksichtigte und so die Grundlage für zwei unter seiner Herausgeberschaft erschienene Bände zur Betriebsstätte schaffte4. Seit fast 30 Jahren stehen die Autoren mit dem Jubilar im beruflichen, wissenschaftlichen und schriftstellerischen Betriebsstättendialog. Deshalb widmen sie ihm diesen Beitrag zu dem seit langem diskutierten, jedoch soweit ersichtlich noch nicht endgültig gelösten Problem der Gewinnabgrenzung zwischen Betriebsstätten. Vielmehr gilt auch heute noch die allgemeine Aussage von 1966: „Leider ist es bei der Änderung von Steuergesetzen immer noch nicht selbstverständlich, dass die Auswirkungen auf Auslandsbeziehungen bedacht werden. Darauf mag die relativ große Rechtsunsicherheit auf dem Gebiete des Internationalen Steuerrechts zurückzuführen sein, deren Überwindung durch die Rechtsprechung sich erst tastend anbahnt“5.

II. Problemstellung Regelmäßig stehen Stammhaus (Hauptbetriebsstätte) und Betriebsstätte(n) eines Unternehmens in lebhaftem Leistungsaustausch, sei es, dass die im Stammhaus hergestellten Produkte durch unselbständige Vertriebsniederlassungen vertrieben werden, sei es, dass die in einer Betriebsstätte hergestellten Waren durch das Stammhaus vertrieben werden oder dass Anlagen, die im Stammhaus geplant worden sind, in einer Bau- bzw. Montagebetriebsstätte errichtet werden. Neben solchen Lieferungen von Wirtschaftsgütern kann die gesamte Palette sonstiger Leistungen stehen. Die Abrechnung solcher interner Leistungen zwischen Betriebsstätte und Stammhaus hat für die steuerliche Beurteilung unmittelbare Bedeutung, und zwar nicht nur in den Fällen, in denen die Besteuerung auf den inländischen Unternehmensteil begrenzt ist, also etwa bei Anwendung der Freistellungsmethode, sondern auch dann, wenn die ausländische Steuer auf die ausländi-

__________ 1 2 3 4

5

Rädler/Raupach, Deutsche Steuern bei Auslandsbeziehungen, 1966. Vgl. Rädler/Raupach (Fn. 1), S. 89 ff., 348 ff., 379 ff. Die Tagung wird seit 1972 vom Deutschen Anwaltsinstitut im November veranstaltet. Schieber, Die Besteuerung von Auslandsbetriebsstätten, 1979 sowie Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten von Steuerausländern, 1982. Als Besonderheit in der steuerlichen Literatur zeigen beide Veröffentlichungen ihren Praxisbezug – auf Anregung des Jubilars – auch durch ein Foto des Untersuchungsgegenstandes auf dem Titelblatt. Rädler/Raupach (Fn. 1), S. VIII.

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schen Gewinnanteile lediglich auf die inländische Steuer angerechnet wird. Die Steueranrechnung wirkt nämlich wie eine (partielle) Freistellung6. Obwohl im Abkommensrecht, von wenigen Ausnahmen abgesehen7, für die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte der Fremdvergleichsgrundsatz gilt, und auch die deutsche Finanzverwaltung sich diesen Standpunkt zu eigen gemacht hat8, ist seine Anwendung nach der derzeit geltenden Rechtslage in Deutschland zumindest nicht zweifelsfrei.

III. Rechtsgrundlagen 1. Notwendigkeit eines nationalen Steueranspruchs Ausgangspunkt der folgenden Analyse ist das derzeit geltende deutsche Steuerrecht. Da nach der herrschenden Meinung das Abkommensrecht Steueransprüche nach autonomem innerstaatlichem Steuerrecht lediglich einschränken, nicht jedoch begründen kann9, muss ein Steueranspruch zunächst nach innerstaatlichem Recht gegeben sein. Mögliche Fallgestaltungen werden im Folgenden jeweils einzeln untersucht. 2. Unbeschränkt Steuerpflichtiger mit Auslandsbetriebsstätte a) Fehlende Gewinnabgrenzungsvorschriften im nationalen deutschen Steuerrecht Unterhält ein unbeschränkt Steuerpflichtiger im Ausland eine Betriebsstätte, so hat er den Gesamtgewinn seines Unternehmens einschließlich des Betriebsstättengewinns zu ermitteln. Weder die handelsrechtlichen noch die steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften sehen eine gesonderte Ermittlung des Gewinns der ausländischen Betriebsstätte vor. Gleichwohl ist wegen der nach § 34c EStG vorgesehenen Möglichkeit der Steueranrechnung für steuerliche Zwecke eine Abgrenzung der ausländischen Einkünfte vorzunehmen. Allerdings enthält das EStG hierfür keine spezielle Gewinnabgrenzungsvorschrift. Insbesondere kann in der Überführung eines Wirtschaftsguts bzw. in der internen Leistung des Stammhauses an die Betriebsstätte keine Entnahme gesehen werden, denn diese setzt die Verwendung zu betriebsfremden

__________ 6 7 8 9

Vgl. Roth, Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte eines internationalen Einheitsunternehmens, Oestreicher (Hrsg.), Internationale Verrechnungspreise, 2003 S. 163 (166). Vgl. Art. 7 Tz. 17.5 ff., 18 OECD-MK. Vgl. Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze v. 24. 12. 1999 (BS-VG), BStBl. I, 1076, Tz. 3.1.2. Vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl. 1998, Rz. 16.40; Vogel/ Lehner, DBA 4. Aufl. 2003 Einl. Rz. 69 f.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 5. Aufl. 2002 S. 82.

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Zwecken voraus. Dies ist aber regelmäßig nicht gegeben, denn das Wirtschaftsgut verlässt durch die Verbringung ja nicht den steuerlich relevanten betrieblichen Bereich des unbeschränkt Steuerpflichtigen, der auch mit seinen ausländischen Betriebsstätten in Deutschland steuerlich verhaftet bleibt. Eine anders lautende Auffassung der Rechtsprechung, die sogenannte „finale Entnahmetheorie“10, kann als überholt angesehen werden. Auch die Vorschrift des § 6 Abs. 5 EStG ist nach h. M. auf die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte nicht anwendbar11. Zuordnungsregeln für die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte können, entgegen der Auffassung von Schaumburg12, auch nicht im Rahmen des allgemeinen Veranlassungsprinzips vorausgesetzt werden. Es gilt mithin insbesondere das Realisationsprinzip, wonach Gewinne erst dann auszuweisen sind, wenn sie durch eine Markttransaktion realisiert wurden. Maßgeblich ist dabei der Blickwinkel des Gesamtunternehmens. Die Überführung von Wirtschaftsgütern vom Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte stellt ebenso wenig eine gewinnrealisierende Markttransaktion dar, wie die Erbringung sonstiger interner Leistungen. Entsprechendes gilt auch für den Fall, dass umgekehrt interne Überführungen von Wirtschaftsgütern oder Leistungen von der Betriebsstätte an das Stammhaus erbracht werden. b) Abrechnung interner Leistungen zwischen inländischem Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte zu Buchwerten im Nicht-DBA-Fall Mangels ausdrücklicher Zuordnungsregeln sind die tatsächlich entstandenen Betriebsausgaben und Betriebseinnahmen der jeweiligen verursachenden Unternehmenseinheit veranlassungsgerecht zuzuordnen. Dies bedeutet aber, dass Wirtschaftsgüter vom inländischen Stammhaus in die ausländische Betriebsstätte zwingend mit dem Buchwert zu überführen und sonstige Leistungen mit dem tatsächlichen Aufwand abzurechnen sind. Zum gleichen Ergebnis kommt auch die Finanzverwaltung, zumindest für die Überführung von Wirtschaftsgütern13. Die Überführung mit dem Buchwert gilt auch für den umgekehrten Fall, dass die ausländische Betriebsstätte Leistungen an das inländische Stammhaus

__________ 10 Vgl. z. B. BFH v. 16. 7. 1969 – I 266/65, BStBl. II 1970, 175; BFH v. 30. 5. 1972 – VIII R 111/69, BStBl. II 1972, 760; BFH v. 7. 10. 1974 – GrS 1/73, BStBl. II 1975, 168; BFH v. 18. 5. 1883 – I R 5/82, BStBl. II 1983, 771. 11 Vgl. Kempka, Gewinnrealisierung bei der Überführung von Wirtschaftsgütern zwischen Stammhaus und Betriebsstätte, 1995 S. 66 ff., 103 ff., 125 f.; Schaumburg (Fn. 9), Rz. 18.44; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 7 Rz. 243. 12 Vgl. Schaumburg (Fn. 9), Rz. 18.14 f. m. w. H. 13 Vgl. BS-VG (Fn. 8), Tz. 2.6.1 Allerdings verlangt sie an anderer Stelle (Tz. 2.2) die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes unabhängig davon, ob ein DBA zur Anwendung kommt oder nicht.

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erbringt bzw. Wirtschaftsgüter überführt. Dies entspricht wohl auch der Auffassung der Finanzverwaltung in Tz. 2.6.2 des Betriebsstättenerlasses, wenngleich die Formulierung missglückt ist14. Damit werden zum Nachteil des Steuerpflichtigen ggf. im Ausland geschaffene stille Reserven der inländischen Besteuerung unterworfen, was zu Doppelbesteuerungen führen kann. c) Partielle Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei Geltung eines DBA aa) Einfluss eines anzuwendenden DBA Kommt ein DBA zur Anwendung, dann können die dargestellten Grundsätze überlagert werden durch spezielle Vorschriften des anzuwendenden DBA. Infrage kommt insbesondere der Fremdvergleichsgrundsatz des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA für die Gewinnabgrenzung zwischen Betriebsstätte und Stammhaus. Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden: die Betriebsstätte mit Freistellung und diejenige mit Steueranrechnung. Letztere ist in zahlreichen DBA bzw. Protokollen für sogenannte passive Betriebsstätten vorgesehen. bb) Betriebsstätten mit Steuerfreistellung Kommt nach einem DBA die Freistellungsmethode für die Betriebsstätteneinkünfte zur Anwendung, dann greift der Fremdvergleichsgrundsatz mittelbar über den Methodenartikel des DBA. Die Steuerfreistellung ist nämlich regelmäßig auf den in Übereinstimmung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz ermittelten Betriebsstättengewinn beschränkt. Beispiel 1: A–GmbH bezieht ausländische Einkünfte i. S. d. § 34d Nr. 2 Buchst. a EStG aus einer in Frankreich gelegenen Betriebsstätte, deren Einkünfte nach Art. 4 Abs. 2 DBA Frankreich 500 (Fremdvergleichsgrundsatz), jedoch nach deutschem EStG 850 (Buchwert) betragen. Art. 21 Abs. 1 Buchst. a DBA Frankreich stellt die Einkünfte von der deutschen Besteuerung frei, die aus Frankreich stammen und nach dem Abkommen dort besteuert werden können. Das sind die nach Art. 4 Abs. 2 DBA Frankreich ermittelten Betriebsstätteneinkünfte, also 500. Eine Freistellung der darüber hinausgehenden nach deutschem Recht als ausländisch zu quali-

__________ 14 Nach BS-VG (Fn. 8), Tz. 2.6.2 „ergeben sich keine Besonderheiten (Vgl. Tz. 2.6.1 Abs. 1 Satz 1).“ Bezieht man diese Aussage auf den unmittelbar vorausgehenden Satz, wonach bei Anwendung der Freistellungsmethode die Überführung zum Fremdvergleichspreis zu erfolgen hat, so scheint dies auch für den Fall der Anrechnungsmethode zu gelten. Dem widerspricht allerdings der Klammerverweis, der sich auf die Regelung bei der Überführung in eine Nicht-DBA-Betriebsstätte und damit auf die Überführung zum Buchwert bezieht.

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fizierenden Einkünfte kommt dagegen nicht in Betracht. Auch eine Anrechnung der ggf. über den entsprechenden deutschen Steuern liegenden französischen Steuer ist nicht möglich, da § 34c Abs. 6 Satz 1 EStG die Anrechnung nach § 34 Abs. 1 EStG für diese Fällen ausdrücklich ausschließt. Gleiches gilt im Ergebnis auch für die Überführung eines Wirtschaftsguts von der ausländischen Betriebsstätte in das inländische Stammhaus. Eine Überführung zum Buchwert würde dazu führen, dass die freigestellten Einkünfte nicht den nach dem Abkommen dem Betriebsstättenstaat zur Besteuerung überlassenen Betriebsstätteneinkünften entsprächen, sondern geringer wären. Der Steuerpflichtige hat aber einen Anspruch auf Freistellung der nach dem Abkommen sich ergebenden Betriebsstätteneinkünfte. cc) Betriebsstätten mit Steueranrechnung nach DBA Demgegenüber greift der Fremdvergleichsgrundsatz im Ergebnis dann nicht ein, wenn das DBA statt der Freistellung die Steueranrechnung vorsieht Beispiel 2: Wie Beispiel 1, jedoch bezieht A–GmbH die ausländischen Einkünfte aus einer in Ägypten belegenen Betriebsstätte, die passiven Charakter i. S. d. Art. 24 Abs. 1 Buchst. d Doppelbuchst. aa DBA Ägypten hat. Nach dem DBA ist die ägyptische ESt. auf die nach Art. 7 Abs. 2 DBA Ägypten ermittelten Betriebsstätteneinkünfte begrenzt. Der ägyptische Steuersatz ist mit 42 % um 17 Punkte höher als die entsprechende deutsche KSt., was im Beispielsfall zu einer Steuer von 210 führt. Wendet man für die Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrages ebenfalls den Fremdvergleichsgrundsatz an, dann ergibt sich ein Steuerüberhang von 85. Ermittelt man dagegen die ausländischen Einkünfte nach deutschem Steuerrecht in Höhe von 850, dann ergibt sich kein Steuerüberhang und die ausländische Steuer ist in voller Höhe anrechenbar. U. E. ist nach geltendem Recht die zweite Lösung zutreffend, was zu einer um 85 geringeren Gesamtsteuerlast im Vergleich zur ersten Lösung führt. Denn § 34c Abs. 6 Satz 2 EStG bestimmt in diesen Fällen zur technischen Durchführung die entsprechende Anwendung des Abs. 1. Damit ist die Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags nach den Grundsätzen des EStG, d. h. unter Berücksichtigung tatsächlicher Aufwendungen und Erträge, durchzuführen. Der durch das StVergAbG eingefügte Satz 3, wonach Einkünfte, die im ausländischen Staat nicht besteuert werden, nicht bei der Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags zu berücksichtigen sind, ändert u. E. daran nichts, denn er setzt voraus, dass eine Besteuerung dem Grunde nach entfällt und ist nicht dazu gedacht, unterschiedliche Einkünfteermittlung im In- und Ausland zu „bestrafen“. 584

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Dieses Ergebnis trifft in gleicher Weise für den Inbound-Fall zu, da das Abkommen die Durchführung der Steueranrechnung dem Steuerrecht des Anwenderstaates überlässt15. Damit ergeben sich für den Steuerpflichtigen die gleichen nachteiligen Folgen einer möglichen Doppelbesteuerung wie im Nicht-DBA-Fall. d) Zwischenergebnis Der Betriebsstättenerlass sieht in Tz. 2.6.1 Abs. 1 eine unterschiedliche Behandlung der internen Überführung von Wirtschaftsgütern vom inländischen Stammhaus in die ausländische Betriebsstätte abhängig davon vor, ob nach einem DBA die Freistellungsmethode anzuwenden ist oder nicht. Dies entspricht zwar, wie dargestellt, im Ergebnis der aktuellen Rechtslage, führt jedoch zu unerwünschten steuerlichen Verwerfungen. Bei Outbound-Fällen kann es dann, wenn der Fremdvergleichsgrundsatz nicht zur Anwendung kommt, zu einer ungerechtfertigten Begünstigung der nicht freigestellten Betriebsstättengewinne führen; was mit dem Sinn und Zweck der Freistellungsmethode nur schwer vereinbar ist. Im Inbound-Fall drohen dagegen systemwidrige Doppelbesteuerungen. 3. Beschränkt Steuerpflichtiger mit Inlandsbetriebsstätte a) Isolierte Ermittlung des Betriebsstättengewinns Im Fall eines beschränkt Steuerpflichtigen mit inländischer Betriebsstätte treten die Folgen unterschiedlicher Bewertung von der inländischen Betriebsstätte in das Ausland überführter Wirtschaftsgüter noch schärfer vor Augen. Nach § 1 Abs. 4 EStG bzw. § 2 Nr. 1 KStG bestimmt sich die subjektive beschränkte Steuerpflicht nach dem Umfang der inländischen Einkünfte gemäß § 49 EStG. Andere Einkünfte sind von vornherein nicht steuerbar16. Somit sind die inländischen Einkünfte originär zu ermitteln, während es bei der unbeschränkten Steuerpflicht um die Abgrenzung der ausländischen Einkünfte aus den nach deutschen steuerlichen Grundsätzen ermittelten weltweiten Einkünften, d. h. Aufteilung eines Gewinns geht. Da bei der beschränkten Steuerpflicht ausschließlich der Gewinn der inländischen Betriebsstätte steuerbar ist, sind die Vorschriften zur Gewinnermittlung isoliert auf die inländischen Betriebsstätteneinkünfte anzuwenden17.

__________ 15 Vgl. z. B. Art. 24 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 DBA Ägypten für Beispiel 2. 16 Vgl. BFH v. 24.2 1988 – I R 95/84, BStBl. II 1988, 663. 17 Vgl. BFH v. 17. 12. 1997 – I R 95/96, BStBl. II 1998, 260 hinsichtlich der Voraussetzungen für die Anwendung von § 13a EStG bei einem beschränkt steuerpflichtigen Landwirt; vgl. ferner Anm. FW, IStR 1998, S. 213; a. A. Schröder/Strunk in Mössner u. a. (Hrsg.), Steuerrecht international tätiger Unternehmen, 3. Aufl. 2005, Rz. C 18, S. 292.

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b) Anwendung der Entnahme- bzw. Einlagegrundsätze Die inländische Betriebsstätte als Gegenstand der Gewinnermittlung ist u. E. damit auch gleichzeitig Betrieb i. S. d. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG. Wird nun ein Wirtschaftsgut aus der inländischen Betriebsstätte in das ausländische Stammhaus überführt, so wird es zu betriebsfremden Zwecken entnommen und ist nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG mit dem Teilwert anzusetzen. Insoweit können ausnahmsweise auch bei einem Körperschaftsteuerpflichtigen Entnahmen gegeben sein18. Der Teilwert unterscheidet sich jedoch als betriebsbezogener Wert regelmäßig vom Fremdvergleichspreis, wie er nach dem Abkommensrecht bzw. im Betriebsstättenerlass gefordert wird. Dies wird besonders deutlich bei Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens, wie folgendes Beispiel zeigt. Beispiel 3: Ein beschränkt steuerpflichtiger Unternehmer stellt Erzeugnisse in einer im Inland belegenen Betriebsstätte her, die er an sein ausländisches Stammhaus überführt und von dort vertreibt. Die Überführung der Wirtschaftsgüter stellt eine Entnahme dar. Sie erfolgt zum Teilwert, d. h. regelmäßig zu Wiederbeschaffungskosten oder einem ggf. geringeren Veräußerungspreis19. Bei zeitnaher Überführung und geringen Preisschwankungen entsprechen diese den Herstellungs- bzw. Selbstkosten der Erzeugnisse. Damit verbleibt aber praktisch kein Produktionsgewinn zur inländischen Besteuerung. Der gesamte Gewinn aus der Tätigkeit wird dem ausländischen Stammhaus zugeordnet. Der Ansatz des Fremdvergleichspreises würde demgegenüber der Betriebsstätte einen angemessenen Produktionsgewinn belassen. Zum gleichen Ergebnis kommt man auch, wenn man die Vorschrift des § 6 Abs. 5 Satz 1 EStG für anwendbar hält. Im Gegensatz zur Überführung vom inländischen Stammhaus zur ausländischen Betriebsstätte liegt es durchaus nahe, bei der Überführung aus der inländischen Betriebsstätte in das ausländische Stammhaus von einer Verbringung in ein anderes Betriebsvermögen auszugehen, da das steuerlich relevante Betriebsvermögen des beschränkt Steuerpflichtigen auf die inländische Betriebsstätte beschränkt ist. Folgt man dem, dann ist für das überführte Wirtschaftsgut mangels anderweitiger Bestimmung ebenfalls der Teilwert anzusetzen. Werden Wirtschaftsgüter von dem ausländischen Stammhaus in die inländische Betriebsstätte eines beschränkt Steuerpflichtigen überführt, so erfolgt dies als Einlage (§ 4 Abs. 1 Satz 5 EStG), die nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 mit dem

__________ 18 Zu weiteren Beispielen, in denen bei KSt-Pflichtigen Entnahmen und keine vGA vorliegen können vgl. Dötsch/Eversberg/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8 Abs. 3 KStG nF Rz. 38 ff. 19 Vgl. R 36 Abs. 2 EStR, H 35a „Teilwertvermutungen“ EStH.

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Teilwert bzw. mit den (fortgeführten) Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten anzusetzen ist. Ein Unterschied gegenüber dem Outbound-Fall besteht allenfalls im Umfang der als Einlage zu behandelnden internen Transaktionen, da nach der Rechtsprechung eine Leistungseinlage nicht möglich ist, wohl aber eine Leistungsentnahme20. An diesem Ergebnis ändert sich auch durch § 50 Abs. 1 EStG nichts. Danach ist der Abzug von Betriebsausgaben nur insoweit zulässig, als sie in wirtschaftlichen Zusammenhang mit inländischen Einkünften stehen. Für die Ermittlung der Einkünfte gibt die Vorschrift nichts her. Auch § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG über verdeckte Gewinnausschüttungen führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar sind nach h. M. verdeckte Gewinnausschüttungen in ihrer Höhe nach dem Grundsatz des Fremdvergleichs zu ermitteln21, jedoch liegen u. E. die Voraussetzungen für eine vGA nicht vor. Voraussetzung für eine vGA ist eine durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasste Vermögensminderung bzw. verhinderte Vermögensmehrung bei der Körperschaft. Aus Sicht der beschränkt steuerpflichtigen Körperschaft tritt durch die Überführung eines Wirtschaftsguts von der inländischen Betriebsstätte in das ausländische Stammhaus keine Vermögensminderung bzw. verhinderte Vermögensmehrung ein, solange das Wirtschaftsgut nicht unter Preis an einen Gesellschafter oder eine ihm nahe stehende Person überlassen wird. Selbst wenn man die Vermögensminderung bzw. verhinderte Vermögensmehrung isoliert aus Sicht der inländischen Betriebsstätte beurteilen wollte, fehlte es an der Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis. Das Wirtschaftsgut wird auch nicht im Rahmen einer Geschäftsbeziehung mit dem Ausland i. S. d. § 1 AStG aus der inländischen Betriebsstätte in das ausländische Stammhaus überführt. Dies setzt nach § 1 Abs. 4 AStG nämlich eine Beziehung von zwei nahestehenden Personen voraus. Stammhaus und Betriebsstätte sind aber unselbständige Teile ein und derselben natürlichen bzw. juristischen Person. c) Partielle Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes bei Anwendung eines DBA Fällt ein beschränkt Steuerpflichtiger mit seinen inländischen Betriebsstätteneinkünften unter den Schutz eines DBA, dann sind der Outbound-Fall und der Inbound-Fall gesondert zu betrachten. Da, wie oben dargelegt, die Gewinnermittlung nach deutschem Steuerrecht keine Gewinnrealisation über die Grundsätze der Entnahme hinaus zulassen,

__________ 20 Vgl. BFH, Beschluss v. 26. 10. 1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348. 21 Die Rechtsprechung orientiert sich hierbei an der Figur des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters, vgl. z. B. BFH v. 5. 9. 1994 – I R50/94, BStBl. II 1995, 549; Wrede in Herrmann/Heuer/Raupach, KStG § 8 Anm. 42.

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kann auch ein ggf. anzuwendendes DBA hieran nichts zu Gunsten des deutschen Fiskus bzw. zu Lasten des Steuerpflichtigen ändern. Der Fremdvergleichsgrundsatz des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA gewährt lediglich den Rahmen für einen möglichen Steueranspruch des Betriebsstättenstaates. Ausfüllen muss dieser ihn jedoch durch sein nationales Steuerrecht. Für den Outbound-Fall bedeutet dies, dass die Überführung von Wirtschaftsgütern aus der inländischen Betriebsstätte in das ausländische Stammhaus auch im DBA-Fall zum Teilwert zu erfolgen hat. Für den Fremdvergleichspreis ist kein Raum. Im Inbound-Fall dagegen entfaltet das DBA seine Schrankenwirkung gegenüber dem inländischen Steueranspruch. D. h. bei der Überführung eines Wirtschaftsguts vom ausländischen Stammhaus in die inländische Betriebsstätte ist der Fremdvergleichsgrundsatz gemäß Art. 7 Abs. 2 OECD-MA zu Gunsten des beschränkt Steuerpflichtigen anzuwenden. d) Zwischenergebnis Das Fehlen einer spezifischen Gewinnermittlungsvorschrift für beschränkt steuerpflichtige inländische Betriebsstätten wirkt sich insbesondere in den Fällen, in denen in inländischen Produktionsbetriebsstätten hergestellte Erzeugnisse über das ausländische Stammhaus oder andere ausländische Betriebsstätten vertrieben werden, zu Lasten des deutschen Fiskus aus. In diesen Fällen fällt praktisch der gesamte Produktionsgewinn im Ausland an. Der inländischen Betriebsstätte verbleibt im Wesentlichen nur die Deckung ihrer Aufwendungen. Demgegenüber dürfen im Ausland hergestellte Erzeugnisse, die über eine inländische Betriebsstätte vertrieben werden, nicht mit dem Teilwert, sondern sie müssen mit dem regelmäßig höheren Fremdvergleichspreis überführt werden. Damit erhält der deutsche Fiskus keinen „Ausgleich“ und die Symmetrie des DBA ist verletzt. Als Ergebnis erscheint eine spezifische gesetzliche Regelung für die Abrechnung des Innenverkehrs zwischen Stammhaus und Betriebsstätte, wie sie etwa in Österreich22 existiert, dringend notwendig23. Dabei bereiten allerdings insbesondere EU-rechtliche Vorgaben erhebliche Probleme24.

__________ 22 Vgl. § 6 Ziff.6 ö-EStG. 23 So sah bereits der RegE v. 26. 10. 1973 zum EStRG 1975 (BT-Drucks. 7/1470) eine gesetzliche Regelung der Überführung von Wirtschaftsgütern in eine ausländische Betriebsstätte vor, die allerdings keinen Eingang in das Gesetz gefunden hat, vgl. Raupach, Außensteuerrechtliche Wirkungen der Steuerreformgesetze, JbFfSt 1977/78 S. 424 (439 f.). 24 Dem Vernehmen nach bereitet das BMF einen entsprechenden Gesetzesvorschlag bzgl. § 4 Abs. 1 Satz 2, § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz1 EStG sowie § 12 KStG vor, wonach die grenzüberschreitende Überführung von Wirtschaftsgütern von einer Betriebsstätte in eine andere mit dem Fremdvergleichspreis zu bewerten ist, wenn die spätere Besteuerung der stillen Reserven aufgrund eines DBA nicht mehr möglich ist. Die aufgeschobene Gewinnverwirklichung soll in diesen Fällen nicht mehr

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IV. Kritische Analyse ausgewählter Regelungen der BetriebsstättenVerwaltungsgrundsätze 1. Unterschiedliche Abgrenzung je nach Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung Nach Ansicht der Finanzverwaltung soll die Überführung von Wirtschaftsgütern des Anlage- und Umlaufvermögens in eine Betriebsstätte, die entweder in einem Nicht-DBA-Staat unterhalten wird oder für die nach einem DBA die Anrechnungsmethode gilt, keine Besteuerung auslösen, wenn die Erfassung der stillen Reserven gewährleistet ist25, d. h. sie erfolgt ohne Aufdeckung der stillen Reserven, also zum Buchwert. Demgegenüber „[erfolgt] bei der Überführung von Wirtschaftsgütern des inländischen Stammhauses in dessen ausländische Betriebsstätte, deren Einkünfte durch ein DBA freigestellt sind, […] die Aufdeckung der stillen Reserven grundsätzlich mit dem Fremdvergleichspreis im Zeitpunkt der Überführung“26.

Für die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer entspricht die im Betriebsstättenerlass vorgenommene Differenzierung zwischen Freistellungs- und Anrechnungsmethode der aktuellen Rechtslage27. Fraglich ist jedoch, ob und ggf. wie dies auch für die Gewerbesteuer anzuwenden ist. Insbesondere könnte daran zu denken sein, dass auch im Falle der Anrechnungsmethode für gewerbesteuerliche Zwecke gleichwohl der Fremdvergleichspreis heranzuziehen ist, da die ausländische Betriebsstätte nicht der Gewerbesteuer unterliegt und somit die Erfassung der stillen Reserven anders nicht sichergestellt wäre. In der Konsequenz müsste dann in diesen Fällen eine doppelte Gewinnabgrenzung, nämlich zum einen nach Buchwerten für Zwecke der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und zum anderen nach Fremdvergleichspreisen für Zwecke der Gewerbesteuer, durchgeführt werden. U. E. trifft dies jedoch nicht zu, denn die Ermittlung des Gewerbeertrags bezieht sich auf das Gesamtunternehmen und richtet sich nach deutschem Steuerrecht. Soweit der Gewerbeertrag auf ausländische Betriebsstätten entfällt, ist er nach § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG um den auf die ausländischen Betriebsstätten entfallende Gewerbeertrag zu kürzen. Dieser ist dabei mangels spezieller Vorschriften nach den dargestellten allgemeinen Grundsätzen des deutschen Steuerrechts abzugrenzen. Das heißt, bei der Überführung von Wirtschaftsgütern aus dem inländischen Stammhaus in die ausländische Betriebsstätte sind die Buchwerte und keine Fremdvergleichswerte anzusetzen, und zwar unabhängig davon, ob die Betriebsstättengewinne nach

__________ gewährt werden.; vgl. Kunde, Gesetzentwurf über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG), IWB, Aktuell (2005), S. 1001. 25 Vgl. BS-VG (Fn. 8), Tz. 2.6.1 Abs. 1. 26 Vgl. BS-VG (Fn. 8), Tz. 2.6.1 Abs. 2. 27 Vgl. vorstehend III 2. b) und c).

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einem DBA freigestellt werden oder nicht. Die gewerbesteuerliche Freistellung ergibt sich nämlich unabhängig von der Anwendung eines DBA allein nach deutschem Gewerbesteuerrecht. Die in Tz. 2.6.1 Satz 1 des Betriebsstättenerlasses gemachte Einschränkung, wonach die Überführung zu Buchwerten nur dann zulässig sein soll, „wenn die Erfassung der stillen Reserven gewährleistet ist“, entbehrt mangels einer allgemeinen Entstrickungsvorschrift der Rechtsgrundlage. Bei der Überführung vom Ausland in eine inländische Betriebsstätte entfaltet der Fremdvergleichsgrundsatz des Art. 7 Abs. 2 OECD-MA dagegen auch für den Bereich der Gewerbesteuer Schutzwirkung zu Lasten des inländischen Fiskus, wenn und soweit ein DBA anzuwenden ist. 2. Überführung von Wirtschaftsgütern a) Aufgeschobene Gewinnverwirklichung Soweit bei der Überführung von Wirtschaftsgütern der Fremdvergleichsgrundsatz anzuwenden ist, stellt sich die Frage nach dem Zeitpunkt der steuerlichen Gewinnrealisierung. Aus der rechtlichen Einheit von Stammhaus und Betriebsstätte ergibt sich zwingend, dass reine interne Leistungsvorgänge keine Gewinnrealisierung zur Folge haben können. Erst in dem Zeitpunkt, in dem am Markt eine Leistung erbracht wird, kann ein Gewinn ausgewiesen und mithin besteuert werden28. Dies wird für die Überführung von Wirtschaftsgütern durch die sogenannte „aufgeschobene Gewinnverwirklichung“ erreicht29. Der Betriebsstättenerlass sieht die Möglichkeit der aufgeschobenen Gewinnverwirklichung für die Fälle vor, in denen das Wirtschaftsgut vom inländischen Stammhaus in die ausländische Betriebsstätte verbracht wird. Allerdings sieht die Finanzverwaltung hierin lediglich eine Billigkeitsmaßnahme und verlangt die erfolgswirksame Auflösung eines Merkpostens spätestens nach zehn Jahren, unabhängig davon, ob die stillen Reserven durch einen Außenumsatz realisiert wurden oder nicht30. Diese Auffassung berücksichtigt nicht, dass sich der Aufschub der Gewinnverwirklichung systematisch zwingend aus der Einheit des Unternehmens ergibt.

__________

28 So schon Raupach (Fn. 23) S. 440 in Anlehnung an Neubauer und heute die herrschende Meinung. Vgl. z. B. Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten von Steuerausländern, 1982, S. 123; Debatin, Die sogenannte Steuerentstrickung und ihre Folgen, BB 1990, 826 ff.; Schaumburg (Fn. 9), Rz. 18.46 m. w. H.; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 7 Rz. 246a; Kumpf/Roth, Einzelfragen der Ergebniszurechnung nach den neuen Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätzen, DB 2000, 787 ff.; Jacobs (Fn. 9), S. 629 f. 29 Vgl. hierzu im Einzelnen Roth, Die aufgeschobene Gewinnverwirklichung bei der grenzüberschreitenden Überführung von Wirtschaftsgütern in eine Betriebsstätte unter steuerplanerischen Gesichtspunkten, in Grotherr (Hrsg.), Handbuch der internationalen Steuerplanung, 2. Aufl. 2002, S. 73 ff. 30 Vgl.BS-VG (Fn. 8), Tz. 2.6.1 Buchst. a.

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Bei der Überführung von Wirtschaftsgütern von der inländischen Betriebsstätte eines beschränkt Steuerpflichtigen in sein ausländisches Stammhaus lässt der Betriebsstättenerlass die aufgeschobene Gewinnverwirklichung nicht zu31. Dies ist von den Verfassern an anderer Stelle bereits kritisiert worden32. Wenngleich die aufgeschobene Gewinnverwirklichung wegen der Besonderheiten bei der beschränkten Steuerpflicht33 systematisch nicht zwingend ist, so ist doch die sofortige Besteuerung eines Überführungsgewinns insbesondere unter dem europarechtlichen Gesichtspunkt der Niederlassungsfreiheit eine problematische Ungleichbehandlung beschränkt Steuerpflichtiger34. Das Argument der Aufkommenssicherung hat in anderen Fällen35 nicht zur Rechtfertigung getaugt, zumal sie hier durch entsprechende Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen erreicht werden kann. Allerdings relativiert sich die Problematik, wenn man nach unserem Verständnis der derzeitigen Rechtslage36 die Überführung in das ausländische Stammhaus mit dem Teilwert ansetzt. Die rechtliche Einheit des Unternehmens hat auch Auswirkungen auf die Frage, wie mit Wertänderungen bei in die ausländische Betriebsstätte überführten Wirtschaftsgütern zu verfahren ist. Grundsätzlich können bei dem überführenden Unternehmensteil stille Reserven nur insoweit besteuert werden, als diese sich tatsächlich durch Markttransaktionen realisieren. Dies bedeutet, dass letztlich der Fremdvergleichspreis nicht im Zeitpunkt der Überführung, sondern im Zeitpunkt der Marktrealisation maßgeblich ist37, es sei denn, die empfangende Einheit ist für die nachträgliche Wertänderung verantwortlich38. Dies spielt hauptsächlich bei der Überführung von Anlagegütern eine Rolle. Soweit Teilwertabschreibungen nach der Überführung vorgenommen werden, ist ggf. der außerbilanzielle Korrekturposten beim abgebenden Unternehmensteil erfolgsneutral aufzulösen. b) Rückführung von Wirtschaftsgütern ins Inland Erfolgt die Rücküberführung aus einer ausländischen Betriebsstätte mit Freistellungsmethode, muss gewährleistet sein, dass die im Ausland entstande-

__________

31 Vgl. BS-VG (Fn. 8), Tz. 2.6.3. 32 Vgl. z. B Roth, StbJb 1997/98 S. 427 ff., 441; Kumpf/Roth (Fn. 28), DB 2000, 789 m. w. N. 33 Insbesondere wegen des hier vertretenen Entnahmekonzepts, s. vorstehend III 3. b). 34 Art. 43 EG-Vertrag; vgl. hierzu auch EuGH v. 11. 3. 2004 – C-9/02 (de Lastyrie du Saillant), BFH/NV 2004, 211; FR 2004, 659. 35 Vgl. EuGH v. 12. 12. 2003 – C-324/00 (Lankhorst-Hohorst), FR 2003, 182 mit Hinweis auf die ständige Rspr. des EuGH. 36 S. vorstehend III 3. b). 37 Vgl. bereits Ritter, Grenzüberschreitende Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten. Ein systematischer Versuch, JbFSt 1976/77 S. 288 (302); Debatin (Fn. 28), BB 1990, 826 (828); Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 7 Rz. 255. 38 Vgl. Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 7 Rz. 255; Jacobs (Fn. 9), S. 633.

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nen stillen Reserven bei der Betriebsstätte verbleiben und weiterhin im Inland freigestellt bleiben. Wird das Wirtschaftsgut dagegen aus einer ausländischen Betriebsstätte, für die das Anrechnungsverfahren gilt, zurückgeführt, dann muss die Rückführung zum Buchwert erfolgen, weil auch die ursprüngliche Überführung ins Ausland zu Buchwerten bewertet worden war. Die Regelung des Betriebsstättenerlasses zur Rücküberführung von Wirtschaftsgütern trägt dem nicht Rechnung. Sie ist verunglückt und praktisch nicht durchführbar. Tz. 2.6.2 Abs. 3 des Betriebsstättenerlasses sieht in der Rücküberführung ein nachträgliches Ereignis i. S. v. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, das auf den Veranlagungszeitraum der ursprünglichen Überführung ins Ausland zurück wirkt. Im Ergebnis wird dadurch die Gewinnabgrenzung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz bei der ursprüngliche Überführung nachträglich zurückgedreht mit der Folge, dass nunmehr die gesamten stillen Reserven – auch soweit sie während der Zeit im Ausland entstanden sind – im Inland steuerpflichtig werden. Dies entbehrt der Rechtsgrundlage, da es sich bei der Rücküberführung tatsächlich nicht um ein nachträgliches Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, sondern um ein neues, getrennt zu beurteilendes handelt39. Darüber hinaus enthält die Vorschrift auch noch redaktionelle Mängel, die aus der Änderung ggü. dem Vorentwurf stammen und zu Widersprüchen führen40. c) Praktische Durchführung Die für die aufgeschobene Gewinnverwirklichung notwendigen Aufzeichnungen sind außerhalb der Buchführung in einer Nebenrechnung zu erstellen41. Die Aufzeichnung erfolgt durch Merkposten, in denen der Unterschiedsbetrag zwischen Buchwert und Fremdvergleichspreis festgehalten und verfolgt wird. Die Durchführung der aufgeschobenen Gewinnverwirklichung stellt den Praktiker vor erhebliche Probleme, da sie eine zusätzliche Ebene der Aufzeichnung erfordert. Insbesondere bei zahlreichen Transaktionen im Umlaufvermögen sind Annahmen über die Verbrauchsfolge und umfangreiche Aufzeichnungen zu machen, die regelmäßig ein EDV-unterstütztes Rechnungswesen erfordern42. Im Übrigen werden multinationale Unternehmen, die einen umfangreichen Warenverkehr nicht nur zwischen Stammhaus und Betriebsstätte, sondern auch mit anderen verbundenen Unternehmen betreiben, vor erhebliche praktische Probleme bei der Umsetzung der aufgeschobenen Gewinnverwirk-

__________ 39 Vgl. Kumpf/Roth, Rückführung von Wirtschaftsgütern von der ausländischen Betriebsstätte in einem DBA-Staat mit Freistellung in das inländische Stammhaus, DB 2000, 2192. 40 Vgl. im Einzelnen Kumpf/Roth (Fn. 39), S. 2192. 41 Vgl. BS-VG (Fn. 8), Tz. 2.6.1 Abs. 3 Buchst. a Satz 4 und Buchst. b Satz 3. 42 Vgl. im Einzelnen Roth (Fn. 29), S. 74 ff.

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lichung gestellt. Hier kann es insbesondere für das Vorratsvermögen sinnvoll sein, Überführungsgewinne sofort im Rahmen der allgemeinen Verrechnungspreisstellung zu erfassen. 3. Nutzung von Wirtschaftsgütern a) Zuordnung von Wirtschaftsgütern Wirtschaftsgüter sind demjenigen Betriebsteil zuzuordnen, der sie tatsächlich nutzt. Grundsätzlich ist bei einem Wechsel des Nutzenden die Zuordnung des Wirtschaftsguts entsprechend zu ändern, also das Wirtschaftsgut vom bisher auf den nunmehr nutzenden Betriebsteil nach den oben dargestellten Regeln zu überführen. Wird ein Wirtschaftsgut vom einem Betriebsteil (z. B. Stammhaus) nur vorübergehend an einen anderen Betriebsteil (z. B. Betriebsstätte) überlassen, so kann im Einzelfall auf eine Zuordnungsänderung verzichtet werden, wenn die Überlassung auch zwischen Fremden Dritten im Rahmen eines Miet- oder Pachtverhältnisses vereinbart worden wäre43. Wird ein Wirtschaftsgut gleichzeitig von mehreren Betriebsteilen genutzt, etwa im Fall eines Patents oder von Know-how, ist ebenfalls eine Zuordnungsentscheidung notwendig, da das Wirtschaftsgut u. E. nur einheitlich entweder dem Stammhaus oder der Betriebsstätte zugeordnet werden kann44. b) Leistungsabrechnung Nach Auffassung der Finanzverwaltung dürfen fremdübliche Nutzungsentgelte für zeitlich befristet überlassene Wirtschaftsgüter nicht abgerechnet werden, wenn sie „einer funktionsgerechten Gewinnabgrenzung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz widersprechen“45. Stattdessen verlangt der Betriebsstättenerlass die verursachungsgerechte Aufteilung aller durch das überlassene Wirtschaftsgut erwirtschafteten Erträge und verursachten Aufwendungen entsprechend der tatsächlichen Nutzung. Dies soll auch beim Ausscheiden des Wirtschaftsguts aus dem Unternehmen gelten46, was bedeutet, dass auch die Veräußerungserlöse aufzuteilen sind. Wenn die Leis-

__________ 43 Vgl. BS-VG (Fn. 8), Tz. 2.4 Abs. 6 Buchst. a. 44 Vgl. BS-VG (Fn. 8), Tz. 2.4 Abs. 1. Die weitere in Tz. 2.4 Abs. 6 Buchst. b genannte Voraussetzung, dass die Aufwendungen und Erträge des Wirtschaftsguts „durch ein Aufteilungsverfahren innerhalb des Unternehmens umgelegt werden“, ist eher eine Folge der Zuordnung, als eine Voraussetzung. Vgl. ferner Roth in Lüdicke (Hrsg.), Zurechnung von Wirtschaftsgütern im internationalen Steuerrecht, 2000, S. 87 (93 f.) m. w. N.; Kumpf/Roth in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG § 49 Anm. 260, Hruschka/Lüdemann, IStR 2005, 74 (80); a. A. z. B. Halfar, IWB F. 3 Deutschland Gr. 1 S. 1409 f.; Wassermeyer, IStR 2005, 84 (86). 45 Vgl. BS-VG (Fn. 8), Tz. 2.2 Abs. 3. 46 Vgl. BS-VG (Fn. 8), Tz.2.4 Abs. 3.

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tungen allerdings Gegenstand der „ordentlichen Geschäftstätigkeit der leistenden Unternehmenseinheit“ sind, dann ist zu fremdüblichen Preisen abzurechnen, was im Ergebnis auch der Auffassung der OECD entspricht47. Wenn diese Regelung auch aus praktischen Erwägungen akzeptabel sein mag, so widerspricht sie doch der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte. Warum sollte die Abrechnung von fremdüblichen Nutzungsentgelten einer funktionsgerechten Gewinnabgrenzung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz widersprechen, die Abrechnung eines fremdüblichen Entgelts bei Überführung des gleichen Wirtschaftsguts jedoch nicht? Es scheint, dass hier Überlegungen aus der Gedankenwelt des (überholten) Erwirtschaftungsgrundsatzes nachwirken, wonach für die sächliche Ausstattung der Betriebsstätte von dieser kein fremdübliches Entgelt zu entrichten sei48. 4. Dienstleistungen als Haupttätigkeit der Betriebsstätte a) Regelung der Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze Dienstleistungen, die zwischen Stammhaus und Betriebsstätte erbracht werden, sollen dann zu fremdüblichen Entgelten abgerechnet werden, wenn –

es sich um gewerbliche Dienstleistungen handelt,



die Erbringung von Dienstleistungen die Haupttätigkeit der Betriebsstätte ist und



diese nicht explizit ausgenommen sind49.

b) Dienstleistungen als Haupttätigkeit der Betriebsstätte Die Beschränkung der Verrechnung fremdüblicher Entgelte auf den Fall, dass die Erbringung von Dienstleistungen die Haupttätigkeit der Betriebsstätte darstellt, wirft zunächst die Frage auf, was unter der Haupttätigkeit der Betriebsstätte zu verstehen ist. Muss es sich um eine Hauptleistung im umsatzsteuerlichen Sinne handeln oder ist die Abgrenzung zur Hilfstätigkeit i. S. d. Art 5 Abs. 4 OECD-MA gemeint50? Ist damit gemeint, dass die Betriebsstätte im Außenverhältnis gegenüber Dritten in erster Linie Dienstleistungen erbringt, oder reicht es aus, dass die Betriebsstätte ausschließlich im Innenverhältnis gegenüber dem Stammhaus und/oder anderen Betriebsstätten tätig wird? Tz.17.6 OECD-MK, dem die Regelung des Betriebsstättenerlasses offenbar nachgebildet wurde, bezieht sich auf den letzteren Fall, d. h. auf unternehmensinterne Dienstleistungen als Haupttätigkeit der Be-

__________ 47 Vgl. Art. 7 Tz. 17.1 und 17.4 OECD-MK. 48 Vgl. Debatin, Das Betriebsstättenprinzip der deutschen Doppelbesteuerungsabkommen (Teil 2), DB 1989, 1739 (1741). 49 Vgl. BS-VG (Fn. 8), Tz. 3.1.2. 50 Vgl. hierzu Löwenstein/Looks, Betriebsstättenbesteuerung, 2003, S. 291 ff.

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triebsstätte. U. E. kann es auf die Unterscheidung zwischen internen und externen Dienstleistungen jedoch nicht ankommen. Ansonsten würde dies zu unverständlichen und willkürlichen Folgen für die Leistungsabrechnung führen. Darüber hinaus ist die Beschränkung auf die Haupttätigkeit der Betriebsstätte auch insoweit problematisch, als die daraus sich ergebenden Rechtsfolgen nach Belieben gestaltet werden können, indem der Betriebsstätte weitere Funktionen „angefüttert“ oder abgeschichtet werden51. Damit aber wird die Gewinnabgrenzung bei Dienstleistungen letztlich willkürlich. c) Geschäftsführungsaufwand Zu den Ausnahmen von der fremdüblichen Vergütung gehören nach dem Betriebsstättenerlass neben der Werbung52, Markterschließung53 und dem allgemeinen Verwaltungsaufwand und ähnlichen Aufwand (besser wohl als Verwaltungsleistungen zu bezeichnen) auch Geschäftsführungsaufwendungen54. Die diesbezüglichen Regelungen im Betriebsstättenerlass sind widersprüchlich. So wird die Geschäftsleitungsfunktion in Tz. 3.4 ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Aufwandsverteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte gesehen. Wenn sich jedoch die Tätigkeit des Stammhauses auf die geschäftliche Oberleitung der Betriebsstätten beschränkt, soll der Geschäftsleitungsfunktion ein „angemessener Anteil am Gesamtgewinn“ zugeordnet werden55. Unklar bleibt, was den Unterschied zum „normalen“ Stammhaus ausmacht. Trägt hier die Geschäftsleitung nichts zum Erfolg des Gesamtunternehmens bei? Dadurch, dass der Erlass auf die Beschränkung der Tätigkeit auf die geschäftliche Oberleitung abhebt, lädt er zu Gestaltungen je nach gewünschtem Ergebnis ein56. Ein weiterer Bereich, in dem neben der Geschäftsleitungsfunktion zusätzlich Verwaltungsdienstleistungen ein Gewinn zuzuordnen sein soll, sind sogenannte Kontroll- und Koordinierungsstellen, d. h. Betriebsstätten, in denen für die Konzernspitze Funktionen einer geschäftsleitenden Holding übernommen werden57. Diese Regelung begegnet den gleichen Bedenken wie die zur geschäftlichen Oberleitung.

__________ 51 52 53 54 55 56 57

Vgl. Strunk/Kaminski, IStR 2000, 33 (39). Vgl. BS-VG (Fn. 8), Tz. 3.2.1. Vgl. BS-VG (Fn. 8), Tz. 3.2.2. Vgl. BS-VG (Fn. 8), Tz. 3.4. Vgl. BS-VG (Fn. 8), Tz. 3.1.4. Vgl. Kumpf/Roth (Fn. 28), DB 2000, 787 (792). Vgl. BS-VG (Fn. 8), Tz. 4.4.1; vgl Kumpf/Roth, Behandelte und nicht behandelte „Sonderfälle“ im neuen Betriebsstättenerlass, FR 2000, 500 (504).

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V. Ungeregelte Einzelfragen 1. Gewinnabgrenzung bei Vertretertätigkeit Vertreterbetriebsstätten spielen in Zeiten zunehmender internationaler Arbeitsteilung, die sich nicht mehr an gesellschaftsrechtlichen Einheiten orientiert, eine immer wichtigere Rolle. Insbesondere internationale Personalentsendungen können eine Vielzahl von Betriebsstätten nach sich ziehen. Beispiel 4: Zum Konzern der U.S. Corp., die Baumaschinen herstellt und u. a. in Russland vertreibt, gehört eine Tochtergesellschaft Export Inc., die Exportfinanzierungen für die durch den Konzern vertriebenen Produkte bereitstellt und hierfür Garantien bei der U.S.-Exim-Bank und anderen Institutionen einholt. Aus betrieblichen Gründen soll ein Mitarbeiter der Export Inc. ein Büro bei der für den Vertrieb nach Russland zuständigen und in Deutschland ansässigen D GmbH erhalten, von wo aus Verhandlungen geführt und Kreditverträge für die Export Inc. abgeschlossen werden. Dabei werden den Kunden neben den Kreditzinsen eine einmalige, fremdübliche „Arrangement Fee“ beim Abschluss der Kreditvertrags in Rechnung gestellt. Durch sein Büro bei der D GmbH begründet der Mitarbeiter eine Betriebsstätte für die Export Inc. im Inland. Es handelt sich nicht um eine Hilfstätigkeit, sondern um ein Agenturgeschäft für die Export Inc. Dabei ist nicht von einem ständigen Vertreter i. S. d. § 13 AO bzw. von einer Vertreterbetriebsstätte i. S. d. Art. 5 Abs. 5 OECD-MA auszugehen, sondern, da die Export Inc. über eine feste Geschäftseinrichtung verfügt, von einer Betriebsstätte i. S. d. § 12 AO bzw. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA. Dieser Betriebsstätte sind die Arrangement Fees als Einnahmen zuzurechnen. Davon sind die durch die Tätigkeit des Mitarbeiters angefallenen Aufwendungen abzusetzen. Dabei stellt sich in der Praxis häufig die Frage, wie zu verfahren ist, wenn die Aufwendungen die Erträge nachhaltig übersteigen. Hier wird man nach den Grundsätzen des BMF-Schreibens zu den Arbeitnehmerentsendungen58 einen Teil der Personalaufwendungen dem Stammhaus zuordnen müssen, soweit sie die Aufwendungen für einen vergleichbaren lokalen Arbeitnehmer übersteigen. Darüber hinaus ist eine Gewinnkorrektur u. E. nicht möglich, weil mangels entsprechender innerstaatlicher Gewinnabgrenzungsvorschrift für den Bereich der Betriebsstätte die Grundsätze des BFH-Urteils vom 17. 10. 200159 nicht anwendbar sind. Komplizierter wird die Gewinnabgrenzung, wenn der Arbeitnehmer des Beispiels 4 die Verträge nicht in seinem Büro, sondern regelmäßig beim jeweiligen Kunden abschließt. Insoweit liegt dann eine echte Vertretertätigkeit im

__________ 58 Vgl. BMF-Schreiben v. 9. 11. 2001 – IV B 4 – S 1341 – 20/01, BStBl. I 2001, 796. 59 BFH v. 17. 10. 2001 – I R 103/00, BStBl. II 2004, 171.

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jeweiligen Staat vor. Gleichwohl ist der inländischen Geschäftseinrichtung der Gewinn aus der Vertretertätigkeit zuzurechnen, es sei denn es ist ein DBA anzuwenden und in dem inländischen Büro werden nur noch administrative Tätigkeiten durchgeführt, so dass ggf. eine Hilfstätigkeit i. S. d. Art. 5 Abs. 4 OECD-MA gegeben ist, die eine Gewinnzuordnung zur inländischen Geschäftseinrichtung ausschließt. Wenn der inländischen Geschäftseinrichtung ein Gewinn zuzuordnen ist, dann schließt dieser auch die Vertriebstätigkeit der im Ausland tätigen Vertreter ein. Allerdings kann die im Ausland auf die Vertretergewinne erhobene Steuer auf die inländische Steuer der Betriebsstätte angerechnet oder von deren Bemessungsgrundlage abgezogen werden60. Eine Freistellung kommt aber mangels eigenständiger Abkommensberechtigung der inländischen Betriebsstätte nicht in Betracht. Bei der Abgrenzung der anrechenbaren bzw. abziehbaren Vertretergewinne ist u. E. der gesamte Gewinn aus den jeweiligen Geschäften einzubeziehen61. 2. Betriebsstätte und Kostenumlage Völlig ungeklärt ist das Verhältnis der Betriebsstättengewinnabgrenzung zu den Regelungen zur Kostenumlage62. In der Regel werden Kostenumlagen für Leistungen zwischen Nahestehenden vereinbart, die im gemeinsamen Interesse der Beteiligten erbracht werden. Dabei darf es sich nur um Hilfsfunktionen in bezug auf die Tätigkeit der Beteiligten handeln63. Werden solche Leistungen im Rahmen eines Kostenumlagevertrages von einem Beteiligten durch eine Betriebsstätte erbracht, die nach den Regelungen des Betriebsstättenerlasses zu fremdüblichen Entgelten abzurechnen hat, so stellt sich die Frage, welche Regelung vorrangig anzuwenden ist, die Kostenumlage oder die Leistungsabrechnung. Beispiel 5: Die in Frankreich ansässige F S.A. stellt pharmazeutische Produkte her. Für ihr Entwicklungszentrum unterhält sie im Inland eine Zweigniederlassung mit mehreren hundert Mitarbeitern. Es stellt seine Ergebnisse für die in Frankreich und Deutschland unterhaltenen Fabrikationsstätten der F zur

__________ 60 § 50 Abs. 6 i. V. m. § 34c Abs. 1 bis 3 EStG. 61 Vgl. Kumpf/Roth in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Anm. 400 „Vertreter“ für den spiegelbildlichen Fall eines ständigen Vertreters im Inland. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mangels Anwendbarkeit eines DBA im Verhältnis zum Vertreterstaat die innerstaatliche Gewinnabgrenzungsregel eingreift. Zur Gewinnabgrenzung bei Vertreterbetriebsstätten vgl. aktuell Griemla, Welcher Gewinn ist einer Vertreterbetriebsstätte zuzuordnen?, IStR 2005, 857, der sich mit Äußerungen des Jubilars (Raupach in Raupach (Hrsg.), Verrechnungspreissysteme multinationaler Unternehmen, 1999, S. 505 (527) und Raupach, Diskussionsbeitrag JbFSt 1996/97, S. 436) zur Gewinnabgrenzung bei Vertreterbetriebsstätten auseinander setzt. 62 Vgl. BMF-Schreiben v. 30. 12. 1999 – IV B 4 – S 1341 – 14/99, BStBl I 1999, 1122. 63 Vgl. BMF-Schreiben (Fn. 62), Tz. 1.1.

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Verfügung. Daneben hat F einen Kostenumlagevertrag für Forschung und Entwicklung mit weiteren Konzernunternehmen abgeschlossen, in dessen Rahmen das inländische Entwicklungszentrum zugunsten anderer Konzernunternehmen tätig wird. Qualifiziert das Entwicklungszentrum nach dem anzuwendenden DBA als Hilfstätigkeit i. S. d. Art. 5 Abs. 4 OECD-MA, dann dürfte dies auch für Zwecke der Kostenumlage unproblematisch sein. Anders jedoch, wenn nach dem DBA eine Betriebsstätte gegeben ist, weil das Entwicklungszentrum im Rahmen des Kostenumlagevertrags zusätzlich Leistungen gegenüber fremden Dritten abrechnet bzw. Entwicklungsergebnisse an Dritte verwertet. In diesen Fällen stellt sich die Frage, ob das Entwicklungszentrum gegenüber den Produktionsstätten des eigenen Unternehmens nach Tz. 3.1.2 des Betriebsstättenerlasses zum Fremdvergleichspreis abrechnen muss, während gegenüber anderen Konzerngesellschaften im Rahmen des Kostenumlagevertrags lediglich tatsächliche Aufwendungen verrechnet werden dürfen. Denn aus Sicht des Gesamtunternehmens sind gleiche Interessen, wie sie der Kostenumlageerlass fordert64, gegeben. U. E. ist das Problem so zu lösen, dass, wenn die Voraussetzungen für eine Kostenumlage aus Sicht des Unternehmens gegeben sind, dies auch für die interne Abrechnung der Leistungen der Entwicklungsbetriebsstätte gegenüber den übrigen Fabrikations-Betriebsstätten gilt. Denn nach der Konzeption des Umlagepools sind die im Rahmen eines Umlagevertrags verteilten Aufwendungen als originäre Aufwendungen der jeweiligen Poolmitglieder anzusehen. Es wäre hiermit nicht vereinbar, wenn die Fabrikations-Betriebsstätten für die Leistungen des eigenen Entwicklungszentrums mit Gewinnaufschlägen belastet würden, von den anderen Unternehmen jedoch ggf. Leistungen auf Kostenbasis umgelegt würden. Umgekehrt könnte das Entwicklungszentrum gegenüber anderen an der Kostenumlage teilnehmenden nahestehenden Unternehmen lediglich angefallene Kosten umlegen, während es gegenüber Produktions-Betriebsstätten des eigenen Unternehmens Leistungen mit Gewinnaufschlag abrechnen müsste. 3. Betriebsstätte und verdeckte Gewinnausschüttung Verdeckte Gewinnausschüttungen können auch im Zusammenhang mit der Gewinnabgrenzung von Betriebsstätten eine Rolle spielen. Beispiel 6: Der Gesellschafter einer in Frankreich ansässigen S.a.r.l. überlässt dieser eine Fabrikationsanlage gegen ein unangemessen hohes Nutzungsentgelt. Die Gesellschaft nutzt die Anlage im Rahmen ihrer inländischen Produktionsbetriebsstätte.

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64 Vgl. BMF-Schreiben (Fn. 62), Tz. 1.2.

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Liegen im Übrigen die Voraussetzungen vor, scheitert die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung nicht daran, dass eine beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft betroffen ist. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ist als Einkommensermittlungsvorschrift gleichermaßen auf unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtige anzuwenden65. Da die verdeckte Gewinnausschüttung den Gewinn der inländischen Betriebsstätte betrifft, ist die Korrektur auch dort zu berücksichtigen. In diesem Fall ist das tatsächliche Nutzungsentgelt außerhalb der Bilanz66 um den über das Fremdübliche hinausgehenden Teil zu kürzen. Beispiel 7: Die in Österreich ansässige Ges. m.b.H. mit inländischer Betriebsstätte gewährt ihrem in Österreich wohnhaften und im Wesentlichen am Unternehmenssitz tätigen beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer ein unangemessen hohes Gehalt. Auch in diesem Fall ist dem Grunde nach eine verdeckte Gewinnausschüttung der beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaft an ihren Gesellschafter gegeben. Im Unterschied zum vorhergehenden Fall betrifft sie jedoch auf den ersten Blick nicht die inländische Betriebsstätte, weshalb eine Korrektur des Betriebsstättengewinns zunächst nicht geboten erscheint. Bei näherem Hinsehen jedoch wird der Betriebsstätte auch ein Teil der allgemeinen Verwaltungs- und Geschäftsführungskosten zugerechnet, soweit sie durch deren Tätigkeit veranlasst sind67. Soweit also unangemessen hohe Geschäftsführervergütungen der inländischen Betriebsstätte zugerechnet worden sind, ist eine Korrektur außerhalb der Betriebsstättenbilanz geboten. Beispiel 8: Die im Inland ansässige GmbH erhält sowohl von ihrem inländischen als auch von ihrem ausländischen Gesellschafter ein unter § 8a KStG fallendes Darlehen für Zwecke ihrer ausländischen Betriebsstätte. Nach § 8a KStG handelt es sich bei den Zinszahlungen ausdrücklich um eine verdeckte Gewinnausschüttung. Diese ist nach dem vorliegenden Sachverhalt bei der ausländischen Betriebsstätte zu berücksichtigen. Dabei kommt es entscheidend auf die systematische Einordnung der verdeckten Gewinnausschüttung im Rahmen der Einkommensermittlung an. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass die verdeckte Gewinnausschüttung entgegen der Gesetzesüberschrift zu § 8 KStG im Rahmen der Einkünfteermittlung zu berücksichtigen ist. Damit erhöhen sich auf der Ebene der GmbH die aus-

__________

65 Vgl. Balmes in Herrmann/Heuer/Raupach, § 8 KStG Anm. 9. Etwas anderes gilt lediglich für § 8 Abs. 2, der ggf. von der spezielleren Vorschrift des § 49 Abs. 2 EStG verdrängt wird. 66 Vgl. BFH v. 29. 6. 1994 – I R 137/93, BStBl II 2002, 366. 67 Vgl. Art. 7 Abs. 3 OECD-MA sowie BS-VG (Fn. 8), Tz. 3.4.

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ländischen Einkünfte und damit im Falle eines DBA der freizustellende Betrag der Einkünfte entsprechend. Ist die ausländische Steuer anzurechnen, dann wirkt sich die verdeckte Gewinnausschüttung in der Erhöhung des Anrechnungshöchstbetrags aus. Auf Ebene des unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschafters unterliegt die verdeckte Gewinnausschüttung ggf. dem Halbeinkünfteverfahren, bzw. sie ist mit der Einschränkung des § 8b Abs. 5 KStG steuerfrei. Die Erhebung der Kapitalertragsteuer bleibt unberührt. Auf Ebene des beschränkt steuerpflichtigen Anteilseigners bleibt es bei dem Steuerabzug nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 EStG in Höhe von 20 %, es sei denn, ein ggf. anzuwendendes DBA sieht einen niedrigeren Steuersatz vor.

VI. Zusammenfassung Bei der Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte sind auch heute noch viele Fragen offen. Grund hierfür ist in erster Linie die Tatsache, dass das deutsche innerstaatliche Steuerrecht, anders als etwa das österreichische, keine spezifische Abgrenzungsnorm enthält. Dieser Umstand führt zum Teil zu sachlich ungerechtfertigten Steuerfolgen. Es wird vorgeschlagen, de lege ferenda eine Abrechnungsnorm im EStG zu schaffen, die als angemessenen Abgrenzungsmaßstab den auch im Abkommensrecht allgemein anerkannten Fremdvergleichsgrundsatz sowohl für die unbeschränkte als auch beschränkte Steuerpflicht verankert. Der Einheit des Unternehmens und auch gemeinschaftsrechtlichen Bedenken ist durch die aufgeschobene Gewinnverwirklichung Rechnung zu tragen. Verbleibende Ungereimtheiten bei Nutzungsüberlassungen und Dienstleistungen sind zu beseitigen.

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Betriebsstättenvorbehalt und Ansässigkeitsstaat Inhaltsübersicht I. Die durch das Urteil des BFH v. 7. 8. 2002 ausgelösten Diskussionen II. Die für die Anwendbarkeit des Betriebsstättenvorbehalts bloß im Quellenstaat sprechenden Argumente

III. Die gegen die Anwendbarkeit des Betriebsstättenvorbehalts bloß im Quellenstaat sprechenden Argumente IV. Die für die traditionelle Auffassung sprechenden Gründe V. Zusammenfassung

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I. Die durch das Urteil des BFH v. 7. 8. 2002 ausgelösten Diskussionen Im Urteil v. 7. 8. 2002 hat sich der BFH – anhand des DBA Deutschland – Schweiz – mit der Bedeutung des Betriebsstättenvorbehalts auseinandergesetzt1. Dieses Urteil und – vor allem – seine Erläuterung durch Wassermeyer haben in Praxis und Schrifttum große Aufmerksamkeit gefunden2, die bis

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1

2

Univ.-Prof. Dr. Michael Lang ist Vorstand des Instituts für Österreichisches und Internationales Steuerrecht der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und Wissenschaftlicher Leiter des LL.M.-Studiums International Tax Law der WU. – Herrn Mag. Patrick Plansky danke ich herzlichst für die Unterstützung bei der Literaturrecherche und der Fahnenkorrektur. BFH 7. 8. 2002, I R 10/01, BStBl 2002 II, 848; vgl dazu Lang, Ist der Betriebsstättenvorbehalt bloß im Quellenstaat anwendbar?, SWI 2003, 319 (320); Strunk/ Kaminski, Aktuelle Entwicklungen bei der Besteuerung von ausländischen Betriebsstätten und Personengesellschaften in Abkommensfällen, IStR 2003, 181 (184 f.); Kleineidam, Die abkommensrechtliche Behandlung von Erträgen aus Beteiligungen im ausländischen Betriebsstättenvermögen oder: Ist der Betriebsstättenvorbehalt gerechtfertigt?, IStR 2004, 1 (1 ff.); Gosch, Anderes und Neues, Bekanntes und weniger Bekanntes zur sog. isolierenden Betrachtungsweise, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg) Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS für Franz Wassermeyer (2005) 263 (276 ff.); Kluge, Betriebsstättenvorbehalt und Methodenartikel – Ein Beitrag zur autonomen Abkommensauslegung, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.) FS Wassermeyer 663 (667 ff.); vgl weiter auch die Diskussionsbeiträge von B. Fischer, Nagel, Piltz und Wassermeyer, Grenzüberschreitende Sondervergünstigungen und Betriebsstätteneinkünfte (Podiumsdiskussion), in Lüdicke (Hrsg.) Besteuerungspraxis bei grenzüberschreitender Tätigkeit (2003) 207 (207 ff.). Vgl Wassermeyer, in Debatin/Wassermeyer (Hrsg.) Doppelbesteuerung, MA Art. 7 Rz 160 ff. (88. EL, Dez 2002); vgl. weiter die Diskussionsbeiträge von Wassermeyer, in Lüdicke (Hrsg.) Besteuerungspraxis 208 f.

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heute angehalten hat3. Während das Urteil selbst sehr knapp gehalten war und nicht über Andeutungen hinaus gegangen ist4, hat Wassermeyer klar gemacht, dass Hintergrund dieses Urteils eine nicht abgeschlossene Diskussion zwischen den maßgebenden Richtern des BFH ist, ob der in den Art. 10 Abs. 4, 11 Abs. 4 und 12 Abs. 3 OECD-MA enthaltene Betriebsstättenvorbehalt – wie bis dahin übereinstimmend angenommen – sowohl für den Quellen- als auch für den Ansässigkeitsstaat maßgebend ist oder ob er sich nur an den Quellenstaat richtet. Die zuletzt erwähnte Auffassung wurde von Wassermeyer näher ausgeführt und begründet5, stieß aber im Schrifttum und auch bei den Verwaltungen – wie Stellungnahmen der damaligen Abkommensverhandler Großbritanniens, Deutschlands, der Schweiz und Österreichs zeigen6 – überwiegend auf Ablehnung7. Gosch, der sich im Ergebnis selbst nicht festgelegt hat, hat die von Wassermeyer bezogene Position verteidigt und sich mit der dagegen – unter anderem auch von mir8 – vorgebrachten Kritik auseinandergesetzt9. Dies möchte ich zum Anlass nehmen, mich nochmals an der Diskussion zu beteiligen. Ich hoffe, mit der Wahl dieses Themas dem Jubilar Freude zu bereiten: Die von Wassermeyer angestoßene Diskussion betrifft ein Thema, das dogmatisch höchst interessant ist. Die unterschiedlichen Auffassungen haben zudem gravierende praktische Auswirkungen. Aus diesem Grund erscheinen Überlegungen zu diesem Thema bestens geeignet, dem Jubilar gewidmet zu werden: Arndt Raupach versteht es wie nur wenige, Theorie und Praxis auf höchstem Niveau miteinander zu verbinden.

__________ 3

4 5 6 7

8 9

Vgl Lang, SWI 2003, 319 ff.; Diskussionsbeiträge von Lüdicke, in Lüdicke (Hrsg.) Besteuerungspraxis 209 ff.; Strunk/Kaminski, IStR 2003, 181 ff.; Wagner, Die Anwendung des Methodenartikels eines DBA auf Dividenden-, Zins- und Lizenzeinkünfte einer ausländischen Betriebsstätte, IWB Fach 3, Gruppe 2, 1067 (1067 ff.); Kleineidam, IStR 2004, 1 ff.; Kluge, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.) FS Wassermeyer 664 ff.; ders., Das Internationale Steuerrecht (2000) 855 f. Zur Kritik an der Kürze der Urteilsbegründung Lüdicke, in Lüdicke (Hrsg.) Besteuerungspraxis 216; Kleineidam, IStR 2004, 1. Vgl Wassermeyer, in Debatin/Wassermeyer (Hrsg.) MA Art. 7 Rz. 160 c; weiter Wassermeyer, in Lüdicke (Hrsg.) Besteuerungspraxis 208 ff. Vgl Lang/Loukota/Waldburger/Waters/Wolff, Triangular Situation: Permanent Establishment With Third Country Interest Income, SWI 2003, 544 (544 ff.). Vgl Strunk/Kaminski, IStR 2003, 185 ff.; Kleineidam, IStR 2004, 2, der allerdings ausführt, „dass die Meinung des BFH im Ergebnis richtig ist, die Begründung aber nicht überzeugt“; vgl aber Kluge, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.) FS Wassermeyer 678 f. Vgl Lang, SWI 2003, 319 ff. Vgl Gosch, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.) FS Wassermeyer 279 ff.

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II. Die für die Anwendbarkeit des Betriebsstättenvorbehalts bloß im Quellenstaat sprechenden Argumente Im Mittelpunkt der Diskussion stehen die Vorschriften der Art. 10 Abs. 4, 11 Abs. 4 und 12 Abs. 3 OECD-MA, die im Schrifttum üblicherweise als Betriebsstättenvorbehalte bezeichnet werden. Diese Vorschriften nehmen Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren vom Anwendungsbereich des Art. 10 Abs. 1 und 2, des Art. 11 Abs. 1 und 2 und des Art. 12 Abs. 1 OECD-MA aus, wenn die entsprechende Beteiligung, die Forderung oder die Rechte oder Vermögenswerte tatsächlich zu einer Betriebsstätte in dem Vertragsstaat gehören, der nicht der Ansässigkeitsstaat ist. Derartige Einkünfte werden dem Art. 7 OECD-MA unterworfen. Somit stellen sich die Art. 10, 11 und 12 OECD-MA zwar als Spezialregelungen im Verhältnis zu Art. 7 OECD-MA dar. Die Vorschriften über die Betriebsstättenvorbehalte verweisen jedoch in ihrem Anwendungsbereich wieder auf Art. 7 OECD-MA zurück. Bezieht man die Regelungen über den Betriebsstättenvorbehalt bloß auf den Quellenstaat, ist der Ansässigkeitsstaat frei, auch bei tatsächlicher Zugehörigkeit der Beteiligung, der Forderung, des Rechts oder des Vermögenswerts die Art. 10, 11 oder 12 OECD-MA anzuwenden und dementsprechend auch dann die Anrechnungsmethode für diese Einkünfte anzuwenden, wenn für Unternehmensgewinne nach Art. 7 OECD-MA die Freistellungsmethode vorgesehen ist. Hauptargument der von Wassermeyer begründeten Auffassung ist der Wortlaut der Regelungen der Betriebsstättenvorbehalte: Art 10 Abs. 4 OECD-MA sieht vor, dass die „Absätze 1 und 2 […] nicht anzuwenden sind“, schließt hingegen nicht die Anwendung der Dividenden-Definition des Art. 10 Abs. 3 OECD-MA aus10. Ähnlich schließen Art. 11 Abs. 4 und Art. 12 Abs. 3 OECD-MA bloß die Anwendung der Vorschriften des Art. 11 Abs. 1 und 2 sowie des Art. 12 Abs. 1 OECD-MA, nicht aber die der Definitionen des Art. 11 Abs. 3 und Art. 12 Abs. 2 OECD-MA aus. Dies eröffne die Möglichkeit, dass diese Definitionen weiterhin maßgebend sein können und der Ansässigkeitsstaat daher auch die Regelungen für Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren anwenden könne. Die von Wassermeyer vertretene Auffassung führt dazu, dass der Ansässigkeitsstaat und der Quellenstaat auf denselben Sachverhalt unterschiedliche Verteilungsnormen anwenden. Dies ist ungewöhnlich, so dass erwartet werden hätte können, dass der OECD-Kommentar die Fallkonstellation, in der ein „Qualifikationskonflikt“ intendiert ist, ausdrücklich anspricht und erläutert11. Dies ist zwar nicht erfolgt. Alleine dies widerlegt allerdings die von

__________ 10 In diesem Zusammenhang führt Wassermeyer aus, „Sind die Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 4 erfüllt, so bleibt die Dividende begrifflich dennoch eine solche“. Vgl Wassermeyer, in Debatin/Wassermeyer (Hrsg.) MA Art. 10 (84. EL, Jun 2001). 11 Vgl auch Kluge, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.) FS Wassermeyer 678.

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Wassermeyer vertretene Auffassung noch nicht. Das erzielte Ergebnis ist nämlich durchaus mit Ziel und Zweck der Abkommen vereinbar: Bei Sachverhalten, die vom persönlichen und vom sachlichen Anwendungsbereich des Abkommens erfasst sind, wird die Doppelbesteuerung letztlich vermieden. Der „Qualifikationskonflikt“ entsteht nicht durch Anwendung unterschiedlicher nationaler Rechtsbegriffe auf Abkommensebene, sondern ist – folgt man dieser Auffassung – bereits im Abkommen grundgelegt. Aus denselben Gründen kann der Auffassung auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie dem vom OECD-Kommentar seit 2000 propagierten Grundsatz, bei Anwendung unterschiedlicher Vorschriften in beiden Vertragsstaaten eine Bindung der Beurteilung im Ansässigkeitsstaat an die Beurteilung im Quellenstaat vorzunehmen12, widerspricht13. Die dogmatische Begründung dieses Postulats ist ohnehin in mehrfacher Hinsicht höchst zweifelhaft14. Vor allem aber führt auch die OECD diesen Grundsatz nur ins Treffen, um „unerwünschte“ Doppelbesteuerung und Nichtbesteuerung im Auslegungsweg zu vermeiden. Folgt man aber der Auslegung von Wassermeyer, ist in diesem Fall die Einfachbesteuerung auch im Falle dieses Qualifikationskonfliktes im Regelfall gesichert und der Qualifikationskonflikt sogar intendiert. Die von Wassermeyer favorisierte Auslegung stützt sich darauf, dass Art. 23 A Abs. 2 OECD-MA für jene Einkünfte die Anrechnung vorsieht, „die nach den Artikeln 10 und 11 im anderen Vertragsstaat besteuert werden können“15. Ich habe darauf hingewiesen, dass die Besteuerung im Quellenstaat im Anwendungsbereich des Betriebsstättenvorbehalts nicht nach den Artikeln 10 und 11 OECD-MA erfolgt, da Art. 10 Abs. 4 OECD-MA ebenso wie Art. 11 Abs. 4 OECD-MA jene Absätze dieser beiden Artikel für nicht anwendbar erklärt, die Rechtsfolgen vorsehen16. Art. 10 und 11 OECD-MA entfalten im Quellenstaat im Falle der Anwendung eines Betriebsstättenvorbehalts überhaupt keine Rechtsfolgen und können daher auch nicht die Möglichkeit zur Besteuerung eröffnen oder bestätigen. Im Quellenstaat ergeben sich die Rechtsfolgen unbestrittenermaßen aus Art. 7 OECD-MA17.

__________ 12 Kommentar des Steuerausschusses zum OECD-MA (2005) Art. 23 A und B, Rz. 32.3 ff.; vgl. dazu auch OECD, The Application of the OECD Model Tax Convention to Partnerships, in Issues in International Taxation, No 6 (1999) Rz. 107; Vogel, in Vogel/Lehner (Hrsg.) DBA Kommentar4 (2003) Einl. Rz. 156 und 160 ff. 13 Zutreffend Kluge, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.) FS Wassermeyer 670 f.; a. A. Wagner, IWB Fach 3, Gruppe 2, 1071; Kleineidam, IStR 2004, 3. 14 Ausführlich Lang, Qualifikationskonflikte im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, in Kirchhof/Lehner/Raupach/Rodi (Hrsg.) Staaten und Steuern, FS für Klaus Vogel (2000) 907 (916). 15 Vgl Wassermeyer, in Debatin/Wassermeyer (Hrsg.) MA Art. 23 A Rz. 87 ff. (87. EL, Okt 2002). 16 Vgl Lang, SWI 2003, 321 f. 17 Vgl Lang, SWI 2003, 322; weiters Kluge, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.) FS Wassermeyer 666.

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Betriebsstättenvorbehalt und Ansässigkeitsstaat

Gosch hat dem entgegengehalten, dass die Einkünfte für den Ansässigkeitsstaat Dividenden und Zinsen bleiben, „die dem Quellenstaat ‚nach den Art. 10 und 11’, nämlich nach Art. 10 Abs. 3 und 11 Abs. 3, (wenn auch) jeweils in Verbindung mit Art. 7 OECD-MA, nicht aber unmittelbar nach Art. 7 OECD-MA, den Besteuerungszugriff ermöglichen. So gesehen greift dann im Ansässigkeitsstaat aber nicht die Freistellungs-, sondern die Anrechnungsmethode; Art. 23A Abs. 2 und nicht Art. 23A Abs. 1 OECD-MA ist einschlägig“18. Um zu diesem Ergebnis zu kommen, bedarf es der Annahme, dass zwischen unmittelbar und bloß mittelbar unter Art. 7 OECDMA fallenden Einkünfte zu unterscheiden wäre, wobei die Subsumtion unter Art. 7 OECD-MA auf Grund eines Verweises in einer anderen Verteilungsnorm offenbar bloß dazu führen kann, dass der Besteuerungszugriff mittelbar nach Art. 7 OECD-MA ermöglicht ist. Obwohl Art. 10 und 11 OECD-MA auf Grund des Betriebsstättenvorbehalts selbst keine Regelung darüber treffen, welcher Staat besteuern kann, geht Gosch davon aus, dass im Anwendungsbereich des Betriebsstättenvorbehalts die Einkünfte „nach den Artikeln 10 und 11 im anderen Vertragsstaat besteuert werden können“. Für sich alleine könnte dieses – um die von Gosch selbst gewählte Formulierung aufzugreifen19 – „feinsinnige Argumentationsgespinst“ wohl nicht überzeugen. Einzuräumen ist allerdings, dass auf dieser Grundlage dem Wortlaut des Art. 23 A Abs. 2 OECD-MA ein Verständnis beigemessen werden könnte, das die von Wassermeyer vertretene Auffassung zu tragen geeignet sein könnte, wenn andere, überzeugungskräftigere Argumente in diese Richtung deuten würden.

III. Die gegen die Anwendbarkeit des Betriebsstättenvorbehalts bloß im Quellenstaat sprechenden Argumente Den bisher vorgetragenen Argumenten ist gemeinsam, dass sie in erster Linie dazu herangezogen werden können, um darzulegen, warum die von Wassermeyer vorgetragene Auffassung gerade noch vom Wortlaut der Abkommensvorschriften gedeckt sein könnte. Überzeugende Argumente, die dafür sprechen, diese Auffassung zu wählen, konnten nicht nachgewiesen werden. Demgegenüber existieren aber eine Reihe von Gründen, die gegen die von Wassermeyer vertretene Position ins Treffen geführt werden können: Gegen die Auffassung, der Betriebsstättenvorbehalt würde bloß im Quellenstaat, nicht aber im Ansässigkeitsstaat wirken, spricht der Umstand, dass Art. 10 Abs. 4 und Art. 11 Abs. 4 OECD-MA nicht nur von der Anwendung des Art. 10 Abs. 2 und des Art. 11 Abs. 2 OECD-MA ausnehmen, sondern

__________ 18 Vgl Gosch, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.) FS Wassermeyer 282. 19 Vgl Gosch, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.) FS Wassermeyer 284.

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auch von der Anwendung der Art. 10 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 1 OECD-MA20. Unterstellt man nämlich, dass der von den Abkommensverfassern getroffenen Entscheidung, in Art. 10 Abs. 4 und Art. 11 Abs. 4 OECD-MA nicht die Anwendung der Art. 10 Abs. 3 und Art. 11 Abs. 3 OECD-MA auszuschließen, die Zielsetzung zugrunde liegt, die Anwendung dieser Vorschriften im Ansässigkeitsstaat weiterhin sicherzustellen, lässt sich keine Erklärung dafür finden, warum denn die Abkommensverfasser in Art. 10 Abs. 4 und Art. 11 Abs. 4 OECD-MA auch die Anwendung des Art. 10 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 1 OECD-MA ausgeschlossen haben: Beide Vorschriften richten sich nicht an den Quellenstaat, sondern ausschließlich an den Ansässigkeitsstaat. Sie bestätigen das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaates. Wollten die Abkommensverfasser die Anwendung der Art. 10 und 11 OECD-MA im Ansässigkeitsstaat sicherstellen, hätten sie doch nicht die Anwendung gerade dieser Vorschriften ausgeschlossen. Wenn aber der in Art. 10 Abs. 4 und Art. 11 Abs. 4 OECD-MA enthaltenen Bezugnahme auf Art. 10 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 1 OECD-MA offenbar kein so klares Konzept zugrunde liegt, fällt es schwer, aus dem Fehlen der Bezugnahme auf Art. 10 Abs. 3 und Art. 11 Abs. 3 OECD-MA weitreichende Schlussfolgerungen zu ziehen. Unterstellt man aber, dass auch der Ausschluss der Anwendung der Art. 10 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 1 OECD-MA in Art. 10 Abs. 4 und Art. 11 Abs. 4 OECD-MA nicht überflüssigerweise angeordnet wurde, kann dem nur der Sinn zugrunde liegen, die Anwendung des Art. 10 Abs. 1 und des Art. 11 Abs. 1 OECD-MA im Ansässigkeitsstaat – denn nur an den richten sich diese Vorschriften – auszuschließen. Dann hat aber der Betriebsstättenvorbehalt der Art. 10 Abs. 4 und 11 Abs. 4 OECD-MA sowohl im Quellen- als auch im Ansässigkeitsstaat Bedeutung21. Von Bedeutung ist auch, wie Dividenden und Zinsen abkommensrechtlich zu behandeln sind, wenn Empfänger und Schuldner im selben Vertragsstaat ansässig sind, oder wenn der Schuldner in einem dritten Staat ansässig ist, die Einkünfte aber einer Betriebsstätte zuzurechnen sind, die der Empfänger im anderen Vertragsstaat hat. In diesem Fall sind die Art. 10 Abs. 1 und 2 sowie Art. 11. Abs. 1 und 2 OECD-MA von Vorneherein nicht anwendbar. Diese Vorschriften setzen nämlich voraus, dass die Dividenden oder Zinsen aus einem Vertragsstaat stammen und an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person gezahlt werden. Stammen die Dividenden oder Zinsen entweder aus dem Ansässigkeitsstaat oder aus einem dritten Staat, ist diese in Art. 10 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 1 OECD-MA aufgestellte Voraussetzung nicht gegeben. Dennoch lässt der Wortlaut die Annahme zu, dass es sich aber um Dividenden und Zinsen nach den Definitionen der Art. 10 Abs. 3 und Art. 11 Abs. 3 OECD-MA handelt. Die Voraussetzung, dass die Ein-

__________ 20 Vgl Lang, SWI 2003, 321 f.; anders Gosch, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.) FS Wassermeyer 282 Fn 67. 21 Vgl Lang, SWI 2003, 322.

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künfte aus einem Vertragsstaat stammen und an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person gezahlt werden, ist nämlich nicht Bestandteil der Definitionen der Art. 10 Abs. 3 und Art. 11 Abs. 3 OECD-MA. Art. 10 Abs. 3 OECD-MA bezieht sich zwar auf das „Recht des Staates, in dem die ausschüttende Gesellschaft ansässig ist“. Die Formulierung lässt aber zu, darunter auch das Recht des Ansässigkeitsstaat oder gar eines dritten Staates zu verstehen, wenngleich die Bestimmung des Ansässigkeitsstaates der ausschüttenden Gesellschaft dann gerade im Verhältnis zum Drittstaat nicht ohne Weiteres möglich ist und entweder der zusätzlichen Anwendung des DBA mit diesem Drittstaat oder der sinngemäßen Anwendung der Art. 4 OECD-MA nachgebildeten Abkommensvorschrift im DBA zwischen den beiden Vertragsstaaten bedarf. Der Umstand, dass von den Definitionen der Art. 10 Abs. 3 und Art. 11 Abs. 3 OECD-MA auch Dividenden und Zinsen erfasst sein könnten, die aus dem Ansässigkeitsstaat oder aus einem Drittstaat stammen, wirft die Frage auf, ob diese Dividenden und Zinsen auch dann unter Art. 7 OECD-MA fallen, wenn sie zu den Gewinnen eines Unternehmens gehören. Art. 7 Abs. 7 OECD-MA spricht zwar bloß davon, dass „die Bestimmungen jener Artikel durch die Bestimmungen dieses Artikels nicht berührt“ werden. Wenn Art. 10 und Art. 11 OECD-MA – mangels Anwendbarkeit der Absätze 1 und 2 – gar keine Rechtsfolgen vorsehen, sprechen gute Gründe dafür, dass Art. 10 und Art. 11 OECD-MA die Bestimmungen des Art. 7 OECD-MA ohnehin nicht „berühren“. Die Formulierung des Art. 7 Abs. 7 OECD-MA wird aber gelegentlich als generelle Anordnung des Vorrangs der anderen Verteilungsnormen gegenüber Art. 7 OECD-MA verstanden, wenn zu den Gewinnen Einkünfte gehören, „die in anderen Artikeln dieses Abkommens behandelt werden“22. Ob die Dividenden und Zinsen aus dem Ansässigkeitsstaat oder dritten Staaten, die zu den Unternehmensgewinnen gehören, in Art. 10 und Art. 11 OECD-MA „behandelt werden“, könnte aber ebenfalls bezweifelt werden: Diese Einkünfte fallen zwar unter Art. 10 Abs. 3 und Art. 11 Abs. 3 OECD-MA, jedoch enthalten diese Absätze bloß Definitionen, sehen eben aber keine Rechtsfolgen vor. Geht man hingegen davon aus, dass die zu den Unternehmensgewinnen gehörenden Dividenden und Zinsen aus dem Ansässigkeitsstaat und dritten Staaten in Art. 10 und 11 OECD-MA „behandelt werden“, fehlt es in diesen Vorschriften an einer Rechtsfolge. Dies könnte zum Ergebnis führen, dass die Anwendung des Art. 7 OECDMA ausscheidet und die Anwendung der Art. 10 und 11 OECD-MA mangels Rechtsfolgenanordnung auch keine Lösung bringt. Dies könnte wiederum die Anwendung des Art. 21 Abs. 1 OECD-MA nahe legen, was aber auch dann das ausschließliche Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaates be-

__________ 22 Vgl Hemmelrath, in Vogel/Lehner (Hrsg.) DBA4 Art. 7 Rz. 167 ff.; Wassermeyer, in Debatin/Wassermeyer (Hrsg.) MA Art. 7 Rz. 395 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht2 (1998) Rz. 126, 372.

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wirken könnte, wenn die Dividenden und Zinsen einer im anderen Vertragsstaat gelegenen Betriebsstätte zuzurechnen sind. Diese Konsequenz ist zwar – angesichts der aufgezeigten Zweifelsfragen – alles andere als zwingend. Die Sorge, dass diese Konsequenz aber dennoch eintritt, könnte die Verfasser des OECD-MA 1977 veranlasst haben, Art. 21 OECD-MA um einen zweiten Absatz zu ergänzen. Danach ist Art. 21 Abs. 1 OECD-MA auf andere Einkünfte als solche aus unbeweglichem Vermögen im Sinne des Art. 6 Abs. 2 OECD-MA nicht anzuwenden, wenn der in einem Vertragsstaat ansässige Empfänger im anderen Vertragsstaat durch eine dort gelegene Betriebsstätte ausübt und die Rechte oder Vermögenswerte, die für die Einkünfte gezahlt werden, tatsächlich zu dieser Betriebsstätte gehören: „In diesem Fall ist Art. 7 […] anzuwenden.“ Vor dem Hintergrund der geschilderten Zweifelsfragen stellt Art. 21 Abs. 2 OECD-MA offenbar sicher, dass Art. 21 Abs. 1 OECD-MA nicht auf Dividenden und Zinsen, aus dem Ansässigkeitsstaat oder aus einem Drittstaat angewendet wird, die einer Betriebsstätte im anderen Vertragsstaat zugerechnet werden23. Statt dessen garantiert die Vorschrift, dass die Dividenden und Zinsen nach Art. 7 OECD-MA im Betriebstättenstaat besteuert werden können. Die hier angestellten Überlegungen schließen nicht aus, den Abkommenswortlaut so zu deuten, dass Dividenden und Zinsen aus dem Ansässigkeitsstaat und aus Drittstaaten, die einer im anderen Vertragsstaat gelegenen Betriebsstätte zuzurechnen sind, dennoch im Ansässigkeitsstaat besteuert werden können: Den Definitionen der Art. 10 Abs. 3 und Art. 11 Abs. 3 OECDMA nach ist es denkbar, diese Einkünfte als Dividenden und Zinsen zu betrachten, obwohl die anderen Absätze beider Artikel nicht anwendbar sind. Im Anwendungsbereich der Art. 23 A Abs. 2 OECD-MA nachgebildeten Abkommensnorm könnte dies zur Anwendung der Anrechnungsmethode führen, die für Einkünfte vorgesehen ist, „die nach den Artikeln 10 und 11 im anderen Vertragsstaat besteuert werden können“. Zwar ergibt sich das Besteuerungsrecht des anderen Vertragsstaats jedenfalls nicht primär aus Art. 10 und 11 OECD-MA, aber immerhin ist argumentierbar, dass die in beiden Vorschriften enthaltenen Definitionen maßgebend sind. Der Kommentar des OECD-Steuerausschusses steht jedoch dieser nach dem Wortlaut der Regelungen des OECD-MA möglicherweise gerade noch vertretbaren Auffassung entgegen. Zu Art. 21 Abs. 2 OECD-MA 1977 finden sich dort folgende Erläuterungen24: „Der Absatz erfasst auch den Fall, in dem der Empfänger und der Schuldner in demselben Staat ansässig sind und die Einkünfte einer Betriebsstätte oder festen Einrichtung zugerechnet werden, die der Empfänger im anderen Vertragstaat hat. In diesem

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23 Zur klarstellenden Funktion von Art. 21 Abs. 2 OECD-MA vgl. die Diskussionsbeiträge von Wolff und Waldburger (Lang/Loukota/Waldburger/Waters/Wolff, SWI 2003, 545). 24 Kommentar des Steuerausschusses zum OECD-MA 1977, Art. 21 Rz. 5.

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Betriebsstättenvorbehalt und Ansässigkeitsstaat Fall steht das Besteuerungsrecht dem Vertragsstaat zu, in dem die Betriebstätte oder feste Einrichtung liegt. Eine etwaige Doppelbesteuerung hat der Wohnsitzstaat nach Art. 23 A oder 23 B zu beseitigen. Bei der Besteuerung von Dividenden und Zinsen kann sich ein Problem ergeben, wenn der Wohnsitzstaat auch Quellenstaat ist: Das Zusammenwirken der Artikel 7 und 23 A hindert diesen Staat daran, diese Einkünfte zu besteuern, obwohl er, würden die Einkünfte an eine im anderen Staat ansässige Person gezahlt, als Quellenstaat die Dividenden oder Zinsen zu den in den Absätzen 2 der Artikel 10 und 11 vorgesehenen Sätzen besteuern könnte. Die Vertragsstaaten, für die dies unannehmbar ist, können in ihre Abkommen eine Bestimmung aufnehmen, wonach der Wohnsitzstaat als Quellenstaat der Dividenden oder Zinsen diese Einkünfte zu den in Absätzen 2 der Artikel 10 und 11 vorgesehenen Sätzen besteuern kann.“

Der Kommentar des OECD-Steuerausschusses bringt eindeutig zum Ausdruck, dass bei Anwendung der Freistellungsmethode in diesen Konstellationen das gesamte Besteuerungsrecht – mit Ausnahme des Progressionsvorbehalts – ausschließlich beim Betriebsstättenstaat liegt. Vertragsstaaten, die dies als „unannehmbar“ erachten, wird empfohlen, in ihre Abkommen eine Vorschrift aufzunehmen, die die Quellenbesteuerung im Ansässigkeitsstaat ermöglicht, begrenzt mit den Steuersätzen der Art. 10 Abs. 2 und Art. 11 Abs. 2 OECD-MA. Nicht einmal in rechtspolitischer Hinsicht wird vom Kommentar des OECD-Steuerausschusses eine uneingeschränkte Besteuerung der Dividenden und Zinsen im Ansässigkeitsstaat in Erwägung gezogen25. Vielmehr geht der OECD-Kommentar davon aus, dass auch der Ansässigkeitsstaat die Zuordnung der Einkünfte zur im anderen Staat gelegenen Betriebsstätte zu akzeptieren hat. Diese Aussage hat für den Interpretationsvorgang dominierende Bedeutung, zumal der Wortlaut der Regelungen keineswegs die gegenteilige Auffassung erzwingt. Selbst dann, wenn man andere Möglichkeiten – als die hier vorgeschlagene – der Deutung des Verhältnisses zwischen Art. 7 und Art. 21 Abs. 2 OECD-MA bevorzugt26, kann nicht geleugnet werden, dass der Kommentar des OECD-Steuerausschusses davon ausgeht, dass aus dem Ansässigkeitsstaat stammende Dividenden und Zinsen, die der Betriebsstätte des anderen Vertragsstaates zugerechnet werden, auch im Ansässigkeitsstaat nach den für Unternehmensgewinne vorgesehenen Regelungen zu behandeln sind. Wenn aber im Falle der Anwendung der Freistellungsmethode auf Betriebsstätteneinkünfte der Ansässigkeitsstaat auf dem Boden des OECD-Musterabkommens sogar für aus dem Ansässigkeitsstaat stammende Dividenden und Zinsen, die einer im anderen Vertragsstaat gelegenen Betriebsstätte zu-

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25 Lang, SWI 2003, 323. 26 Zum Stand der Diskussion vgl Hemmelrath, in Vogel/Lehner (Hrsg.) DBA4 Art. 7 Rz. 175; Lehner, in Vogel/Lehner (Hrsg.) DBA4 Art. 21 Rz. 44 ff.; Wassermeyer, in Debatin/Wassermeyer (Hrsg.) MA Art. 21 Rz. 66 ff. (91. EL, Okt 2003); Reimer, Der Ort des Unterlassens (2004) 306 f.; Helde, Dreiecksverhältnisse im Internationalen Steuerrecht unter Beteiligung einer Betriebsstätte (2000) 208 ff.; Ribbrock, Dreieckssachverhalte im Internationalen Steuerrecht (2004) 52 ff.

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zuordnen sind, – mit Ausnahme des Progressionsvorbehalts – überhaupt kein Besteuerungsrecht hat, wäre nicht einzusehen, wenn das OECD-Musterabkommen dem Ansässigkeitsstaat das uneingeschränkte Besteuerungsrecht unter bloßer Verpflichtung der Anrechnung der ausländischen Steuer dann ließe, wenn die Dividenden und Zinsen aus dem anderen Vertragsstaat stammen und einer dort gelegenen Betriebsstätte zuzuordnen sind, deren Einkünfte ebenfalls im Ansässigkeitsstaat freizustellen sind. Ein derartiger Wertungswiderspruch wäre nicht erklärbar und kann den Verfassern des OECDMusterabkommens nicht unterstellt werden27. Dies spricht letztlich dafür, Dividenden und Zinsen, die aus dem anderen Vertragsstaat stammen und einer dort gelegenen Betriebstätte zuzurechnen sind, auch im Ansässigkeitsstaat nach Art 7 OECD-MA zu behandeln und zu befreien, wenn für Unternehmensgewinne die Freistellungsmethode vorgesehen ist.

IV. Die für die traditionelle Auffassung sprechenden Gründe Das für die gegenteilige Auffassung ins Treffen geführte Hauptargument kann jedenfalls ohne jede Mühe mit der hier vertretenen Position in Einklang gebracht werden: Der Umstand, dass Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4 und Art. 12 Abs. 3 OECD-MA nicht die Definition der Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren von der Anwendung ausschließt, lässt sich überzeugend dadurch erklären, dass bloße Definitionen eben keine Rechtsfolgen entfalten28. Die Verfasser des OECD-MA haben sich in den Regelungen über die Betriebsstättenvorbehalte offenbar darauf beschränkt, bloß jene Regelungen für nicht anwendbar zu erklären, die auch Rechtsfolgen anordnen. Aus dem Blickwinkel macht es Sinn, lediglich jene Absätze der Art. 10, 11 und 12 OECD-MA von der Anwendung auszuschließen, die im Quellenstaat oder im Ansässigkeitsstaat entweder Besteuerungsrechte bestätigen oder beschränken29. Dies reicht aus, um die in den Art. 10, 11 und 12 OECD-MA sonst vorgesehenen Rechtsfolgen nicht zum Tragen kommen zu lassen und statt dessen die Einkünfte dem Regime des Art. 7 OECD-MA zu unterwerfen. Die Annahme, dass die Verfasser des OECD-MA generell bei Regelungen, die über den Vorrang zwischen zwei Verteilungsnormen im Falle der überschneidenden Anwendung entscheiden, die Regelungstechnik wählen, bloß die Anwendung oder Nicht-Anwendung von Vorschriften auszusprechen, die eigenständig Rechtsfolgen herbeiführen, findet seine eindrucksvolle Bestätigung in Art. 6 Abs. 4 OECD-MA. Diese Regelung ordnet den Vorrang von Art. 6 OECD-MA gegenüber Art. 7 OECD-MA an. Dies erfolgt durch die Anordnung, dass die „Absätze 1 und 3 […] auch für Einkünfte aus unbeweg-

__________ 27 Lang, SWI 2003, 323; dagegen Gosch, in Gocke/Gosch/Lang (Hrsg.) FS Wassermeyer 283. 28 Vgl Lang, SWI 2003, 321. 29 Vgl Lang, SWI 2003, 321 f.

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lichem Vermögen eines Unternehmens“ gelten. Art. 6 Abs. 4 OECD-MA erwähnt bloß die Absätze 1 und 3: Art. 6 Abs. 1 regelt das Besteuerungsrecht des Belegenheitsstaates und Art. 6 Abs. 3 erweitert dies für darüber hinaus gehende Einkünfte. Die Regelung des Art. 6 Abs. 2 OECD-MA, die die Definition des unbeweglichen Vermögens enthält, wird hingegen nicht eigens auch dann für anwendbar erklärt, wenn es sich um Unternehmensgewinne handelt. Dies ist nur vor dem Hintergrund verständlich, dass dies nicht notwendig ist, da diese Definition ohnehin nur dann Bedeutung hat, wenn in einer anderen Norm auf sie Bezug genommen wird. Daher genügt es, die Anwendung der Art. 6 Abs. 1 und 3 OECD-MA, die beide den Ausdruck unbewegliches Vermögen verwenden, für anwendbar zu erklären. Aus denselben Gründen besteht keine Veranlassung, dass Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4 und Art. 12 Abs. 3 OECD-MA die Anwendung der Definitionen von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren ausdrücklich ausschließen: Die Definitionen haben ohnehin nur Bedeutung, soweit in Regelungen, die Rechtsfolgen normieren, darauf verwiesen wird. Die Anwendung dieser die Begriffe der Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren verwendenden Regelungen ist aber zweifelsfrei in den Betriebsstättenvorbehalten ausgeschlossen.

V. Zusammenfassung Die von Wassermeyer vertretene These, nach der der Betriebsstättenvorbehalt nur im Quellenstaat zum Tragen kommt, während der Ansässigkeitsstaat weiterhin von der Existenz von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren ausgeht, ist auf den ersten Blick bestechend: Sie misst dem Wortlaut der Regelungen des OECD-MA einen durchaus vertretbaren Sinn bei. Die durch diese These angestoßene Diskussion zeigt letztlich zwar, dass eine Reihe von maßgebenden Gegenargumenten bestehen und die überzeugenderen Gründe für die traditionelle Auffassung sprechen. Die Diskussion darüber hat jedenfalls den Blick für die Systematik und die Teleologie der einzelnen Abkommensbestimmungen geschärft und auf diese Weise Erkenntnisgewinn auf dem Gebiet des DBA-Rechts gebracht.

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25 Jahre Rechtsentwicklung zum Treaty Shopping in Deutschland Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Treaty Shopping und Doppelbesteuerungsabkommen III. Treaty Shopping und § 42 AO IV. „Monaco“-Entscheidung des BFH V. Reaktion des Gesetzgebers VI. Abkehr von Monaco

VII. Rechtsprechung zu § 50d Abs. 1a EStG a. F. und § 42 AO 1. BFH-Urteil vom 20. 3. 2002 I R 38/00 2. BFH-Urteil vom 17. 11. 2004 I R 55/03 3. BFH-Urteil vom 31. 5. 2005 I R 74-78/04 VIII. Verhältnis § 50d Abs. 3 EStG und DBA IX. § 50d Abs. 3 und EG-Recht X. Ergebnis

I. Einleitung Mit der Entscheidung des BFH vom 31. 5. 2005 I R 74,88/041 hat eine Rechtsentwicklung zum sog. Treaty Shopping ihren Abschluss gefunden, die in der sog. Monaco-Entscheidung des BFH vom 29. 10. 1981 I R 89/802 ihren Ursprung hatte und in deren Verlauf der Gesetzgeber mit der Einführung von § 50d Abs. 1a EStG a. F. (nunmehr: § 50d Abs. 3 EStG) reagierte. Dabei ging es im Kern um die Frage, ob das Treaty Shopping auch für beschränkt Steuerpflichtige am Maßstab von § 42 AO zu beurteilen ist. Da der BFH zunächst davon ausging, dass § 42 AO in Fällen des Treaty Shopping durch beschränkt Steuerpflichtige nicht anzuwenden ist, hat der Gesetzgeber diese Lücke im Anwendungsbereich von § 42 AO mit § 50d Abs. 1a EStG a. F. (§ 50d Abs. 3 EStG) zu schließen versucht. Spätestens seit der Entscheidung vom 29. 10. 1997 I R 35/963 zu Sport-Vermarktungs-Gesellschaften ist die Begründung für die Einführung von § 50d Abs. 1a EStG a. F. (§ 50d Abs. 3 EStG) entfallen. Im Ergebnis war diese Rechtsentwicklung bei verständiger Auslegung von § 42 AO vermeidbar, insbesondere die Einführung von § 50d Abs. 1a EStG a. F. (§ 50d Abs. 3 EStG) entbehrlich. Vor allem europarechtlich weckt diese Vorschrift nach wie vor erhebliche Zweifel.

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IStR 2005, 710. BStBl II 1982, 150. BStBl II 1998, 235.

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II. Treaty Shopping und Doppelbesteuerungsabkommen Nach dem Sinn und Zweck der Abkommen sollen diese durch die Vermeidung der Doppelbesteuerung den Austausch von Gütern sowie den Kapitalund Personenverkehr fördern, nicht jedoch der Steuerumgehung oder Steuerhinterziehung Vorschub leisten4. Sofern eine Gestaltung gewählt wird, die nur darauf abzielt, durch Zwischenschaltung einer natürlichen oder juristischen Person Abkommensvorteile (Steuerbefreiungen bzw. Steuervergünstigen) zu erlangen (Treaty Shopping), stellt sich die Frage, inwiefern diese Gestaltung als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist. Wann eine Inanspruchnahme des Abkommens missbräuchlich ist, kann durch das Abkommen selbst oder innerstaatliche Normen geregelt werden. Wegen des nach § 2 AO bestehenden Vorrangs der Doppelbesteuerungsabkommen vor dem nationalen Recht und des eigenständigen Regelungsbereichs der Abkommen ist der Missbrauch primär anhand der DBA zu beurteilen5. Enthält das Abkommen allgemeine Missbrauchsklauseln, geht deren Anwendung § 42 AO vor6. Eine allgemeine Missbrauchsregelung ist in den meisten von Deutschland abgeschlossenen DBA jedoch nicht enthalten. In einigen Abkommen findet sich ein Verweis auf nationale Missbrauchsvorschriften7. In Art. 23 DBA Schweiz ist ein Missbrauch nur für den Bereich der Quellensteuern und der Veräußerungsgewinnbesteuerung vorgesehen. Auch die OECD hat bisher keine Vorschläge zu konkreten Missbrauchsregelungen unterbreitet. Vor diesem Hintergrund kann nicht von einer allgemein gültigen Definition eines abkommensrechtlichen Missbrauchbegriffs ausgegangen werden. Der abkommensrechtliche Missbrauchbegriff soll deshalb eng ausgelegt werden8. Speziell gegen den Missbrauch im Rahmen eines Treaty Shopping schränken einige DBA die Abkommensberechtigung ein9, wie dies beispielsweise in Art. 4 Abs. 6 und Art. 23 DBA-Schweiz, Art 28 DBA-USA und Art. 26 DBANiederlande der Fall ist. Nach diesen Vorschriften wird der Kreis der an sich abkommensberechtigten Personen eingeschränkt, die das DBA entweder insgesamt oder aber einzelne Vorschriften desselben nicht in Anspruch nehmen können. Auch wenn sich in den Doppelbesteuerungsabkommen keine ausdrückliche Regelung eines Missbrauchsvorbehalts findet, wird angenommen, dass sie

__________ 4 5 6 7 8 9

Wassermeyer, in: Debatin/Wassermeyer MA Art. 1 Rz. 56. Wassermeyer, in: Debatin/Wassermeyer MA Art. 1 Rz. 56. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2. Auflage 1998, Rz. 16.129. Z. B. Nr. 17 Prot. DBA Belgien, Nr. 7c Prot. DBA Neuseeland, Nr. 6 Prot. DBA Finnland. Wassermeyer, in: Debatin/Wassermeyer MA Art. 1 Rz. 56. Wassermeyer, in: Debatin/Wassermeyer MA Art. 4 Rz. 75.

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stillschweigend unter einem allgemeinen Missbrauchsvorbehalt stehen10. Zur Begründung wird teilweise auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze der zivilisierten Nationen abgestellt, wie sie in Art. 38 Abs. 1 Buchst. c des Statuts des Internationalen Gerichtshofs formuliert sind11. Allerdings kann aufgrund der fehlenden Definition eines Missbrauchsvorbehalts nicht von einer hinreichenden Konkretisierung des Vorbehalts ausgegangen werden12. Unter Missbrauch im abkommensrechtlichen Sinne soll daher verstanden werden, was die Vertragsstaaten in Übereinstimmung mit ihrem innerstaatlichen Recht als Missbrauch ansehen. Dies würde allerdings voraussetzen, dass den Vertragsstaaten das jeweilige Missbrauchsverständnis des anderen Vertragstaates bekannt ist. Auch hierbei sind jedoch Auslegungsund Subsumtionskonflikte nicht ausgeschlossen. Der allgemeine Missbrauchsvorbehalt wird daher in der Praxis zur Begründung einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung aufgrund der aufgezeigten Probleme nur selten herangezogen.

III. Treaty Shopping und § 42 AO Sofern die Abkommen keine speziellen Missbrauchsvorschriften enthalten, wenden die Gerichte üblicherweise nationale Missbrauchsvorschriften an13. Aus diesem Grund wird ein möglicher Missbrauch in diesen Fällen regelmäßig anhand von § 42 AO untersucht. § 42 AO findet auch auf Normen der Doppelbesteuerungsabkommen Anwendung, sofern in dem Doppelbesteuerungsabkommen keine Bestimmungen enthalten sind, die den Missbrauch gesondert regeln und damit als lex specialis § 42 AO vorgehen14. Nach anderer Auffassung ist § 42 AO in DBAFällen überhaupt nicht anwendbar15. Erfüllt der Tatbestand sowohl abkommensrechtliche Missbrauchsklauseln als auch § 42 AO, so tritt § 42 AO zurück. Reicht der Regelungsbereicht von § 42 AO über den einer abkommensrechtlichen Missbrauchsklausel hinaus, ist umstritten, ob § 42 AO als Auffangnorm anwendbar bleibt16.

__________ 10 11 12 13

Wassermeyer, in: Debatin/Wassermeyer MA Art. 1 Rz. 57. Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1, Rz. 54 ff. Wassermeyer, in: Debatin/Wassermeyer, Art. 1, Rz. 57. BFH v. 29. 7. 1976 VIII R 116/72, BStBl II 1977, 260; v. 28. 1. 1992 VIII R 7/88, BStBl II 1993, 84. 14 Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 16.129; Füger/Rieger, IStR 1998, 353, 361. 15 Becker, in: Becker/Höppner/Grotherr/Kroppen, DBA, Grundlagen, Abschn. 5 Rz. 233. 16 Bejahend: Tipke/Kruse, AO, § 42 Tz. 42; verneinend: Wassermeyer, in: Debatin/ Wassermeyer, MA Art. 1 Rz. 57.

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IV. „Monaco“-Entscheidung des BFH In seiner Entscheidung vom 29. 10. 1981 I R 89/8017 hat der BFH angenommen, dass § 42 AO auf beschränkt Steuerpflichtige nicht anwendbar sei. Im entschiedenen Fall war der Anteilseigner einer inländischen Kapitalgesellschaft in Monaco ansässig und gründete eine AG schweizerischen Rechts, in der er seine Beteiligung an einer deutschen Kapitalgesellschaft einbrachte. Nach Art. 6 Abs. 3 des im Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblichen DBA war der Quellensteuersatz auf 15 v. H. ermäßigt. Mit dem Fürstentum Monaco bestand kein DBA, so dass ohne Zwischenschaltung der schweizerischen Kapitalgesellschaft eine Steuerbelastung von 25 v. H. bestanden hätte. Die Nichtanwendbarkeit von § 42 AO begründete der BFH damit, dass jegliche Beziehung zum Inland und damit zu den inländischen Steuergesetzen fehle. Bei gleicher Rechtsgestaltung durch einen unbeschränkt steuerpflichtigen Inländer sei die Beziehung zum Inland durch dessen Person gegeben. Daher sei die Gründung einer Kapitalgesellschaft im Ausland durch einen beschränkt Steuerpflichtigen nicht am Maßstab von § 42 AO zu messen, denn das inländische Steuerrecht sei durch die Gründung der Gesellschaft nicht berührt. Ein Gestaltungsmissbrauch sei erst dann zu prüfen, sobald ein Inlandsbezug hergestellt werde. Ein Inlandsbezug könne jedoch erst dann gegeben sein, wenn die im Ausland errichtete Kapitalgesellschaft in bestehende oder neu gegründete Rechtsbeziehungen des Ausländers im Inland eingeschaltet werde.

V. Reaktion des Gesetzgebers In der Folge der Rechtsprechung wurde die Frage, ob Treaty Shopping einen Verstoß gegen § 42 AO darstellt, kontrovers diskutiert18. Auf der Grundlage der Mutter-Tochter-Richtlinie19 hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1. 1. 1994 auf die „Monaco“-Rechtsprechung des BFH mit der Einfügung einer speziellen Missbrauchsvorschrift in § 50d Abs. 1a EStG a. F. (§ 50d Abs. 3 EStG) reagiert20. Mit dieser Vorschrift bezweckte der Gesetzgeber eine wirksame Bekämpfung der Missbrauchsfälle ohne Rücksicht darauf, ob Inlandsbeziehungen gegeben sind oder nicht21. Nach § 50d Abs. 3 EStG ist die Steuerentlastung nach § 44b EStG oder DBA völlig oder teilweise zu versagen, sofern an einer ausländischen Gesellschaft Personen beteiligt sind, denen die Steuerentlastungen nicht zuständen bei unmittelbarer Einkünfteerzielung und wirtschaftliche oder sonst beachtliche

__________ 17 18 19 20 21

A. a. O., Fn. 2. S. die Nachweise bei Kraft, IStR 1994, 370, Fn. 24 und Fn. 26, 27 und 28. 90/435 EWG v. 23. 7. 1996. Klein, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 50d Anm. 71. BT-Drs. 12/5630 S. 65.

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Gründe für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft fehlen und die ausländische Gesellschaft keine eigene Wirtschafstätigkeit entfaltet. Mit dieser Vorschrift wurde die Rechtsprechung des BFH zu ausländischen Basisgesellschaften aufgegriffen22. Die Vorschrift erscheint seit ihre Einführung „missglückt“, wenn nicht verfehlt23 und diente entgegen der gesetzgeberischen Intention keineswegs der Klarstellung. Die Regelung wirft bist heute zahlreiche Zweifelsfragen auf, die nur zu einem Teil durch das BFH-Urteil vom 31. 5. 2005 I R 74,88/0424 geklärt wurden. Mit dieser jüngsten Entscheidung hat der BFH die praktische Bedeutung dieser Vorschrift sehr stark eingeschränkt25.

VI. Abkehr von Monaco Der BFH hatte in drei Entscheidungen in den Jahren 1994 und 1997 die Gelegenheit zu überprüfen, ob § 42 AO auf Gestaltungen beschränkt Steuerpflichtiger anwendbar ist. In der ersten Entscheidung des BFH zur Niederländischen Stiftung vom 21. 12. 1994 – I R 65/9426 zeichnete sich bereits ab, dass der BFH an seiner ursprünglichen Auffassung der Nichtanwendbarkeit von § 42 AO auf beschränkt Steuerpflichtige nicht mehr festhalten will. Die Frage der Rechtsmissbräuchlichkeit der Zwischenschaltung von beschränkt steuerpflichtigen ausländischen Kapitalgesellschaften sollte das Finanzgericht nach Zurückweisung an dieses anhand von § 42 AO überprüfen. Eine Abweichung von seiner bisherigen Rechtsprechung in der Monaco-Entscheidung sah der BFH jedoch nicht, weil es sich in dem zugrunde liegenden Fall nicht um TreatyShopping handelte. In der zweiten Entscheidung zur Niederländischen Stiftung vom 27. 8. 1997 – I R 8/9727 hatte sich der BFH erneut mit dem Sachverhalt des Urteils vom 21. 12. 1994 – I R 65/9428 auseinanderzusetzen und festgestellt, dass die Vermietungstätigkeit der zwischengeschalteten ausländischen Kapitalgesellschaft der Stiftung als Alleingesellschafterin gemäß § 42 S. 2 AO zuzurechnen sei. Die ursprüngliche Rechtfertigung für die Einfügung der Missbrauchsvorschriften § 50d Abs. 1 EStG a. F. (§ 50d Abs. 3 EStG) ist mit Urteil des BFH vom 29. 10. 1997 – I R 35/9629 endgültig entfallen. Es ging um die Frage, ob

__________

22 23 24 25 26 27 28 29

Klein, in: H/H/R, § 50d, Anm. 72 m. w. N. Klein, in: H/H/R, § 50d, Anm. 72 a. E. A. a. O., Fn. 1. Haarmann, Anm. zum BFH, Urt. v. 31. 5. 2005 I R 74,88/04, IStR 2005, 713. DStR, 1995, 330. DStR 1998, 116. A. a. O., Fn. 26. BStBl II 1998, 235.

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einer zwischengeschalteten niederländischen Kapitalgesellschaft die Abkommensberechtigung zu versagen ist (Sportler-Vermarktungsgesellschaften). Der BFH hat seine Auffassung, wonach § 42 AO auf eine in einem Drittland ansässige Person nicht anwendbar sei, damit ausdrücklich aufgegeben. Sofern Steuerpflicht im Inland bestehe, sei auch Raum zur Steuervermeidung gegeben. § 42 AO sei auch auf beschränkt Steuerpflichtige anwendbar. Eine Differenzierung zwischen beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtigen sei weder aufgrund des Wortlauts von § 42 AO noch im Rahmen einer teleologischen Auslegung geboten. Für Streitfälle mit Auslandsbezug gelte in Anbetracht der generell abstrakten Regelung des § 42 AO 1977 im Prinzip nichts besonderes, mithin sei nach den auch für das Inland aufgestellten Grundsätzen zu beurteilen, ob ein Rechtsmissbrauch vorliege. Ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i. S. des § 42 AO 1977 liege auch für beschränkt Steuerpflichtige vor, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die zur Erreichung des angestrebten wirtschaftlichen Ziels unangemessen sei, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche außersteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen sei30. Bei der Einschaltung einer ausländischen Kapitalgesellschaft sei die eigene wirtschaftliche Tätigkeit bzw. deren Fehlen als gewichtiges Indiz anzusehen, das für oder gegen eine ungewöhnliche Gestaltung bzw. für oder gegen wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe spreche31. Ein Gestaltungsmissbrauch sei allerdings auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die zwischengeschaltete Kapitalgesellschaft eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübe. Entscheidend sei, ob die ausländische Kapitalgesellschaft unternehmerisches Risiko trage32. Dabei sei Voraussetzung, dass unternehmerische, insbesondere über bloße Verwaltungs- und Rechtshandlungen hinausgehende Aktivitäten entfaltet werden33.

VII. Rechtsprechung zu § 50d Abs. 1a EStG a. F. und § 42 AO 1. BFH-Urteil vom 20. 3. 2002 I R 38/00 Nach Einführung des § 50d Abs. 1a EStG hatte der BFH in einer weiteren Entscheidung vom 20. 3. 2002 I R 38/00 zum Treaty Shopping nunmehr den Anwendungsbereich von § 42 AO und § 50d Abs. 1a EStG bei Zwischenschaltung von ausländischen Kapitalgesellschaften innerhalb einer Konzern-

__________ 30 BFH v. 3. 2. 1993 I B 90/92, BStBl II 1993, 426; BFH v. 17. 1. 1991 IV R 132/85, BStBl II 1991; v. 25. 1. 1994 IX R 97, 98/90, BStBl II 1994, 738. 31 Vgl. z. B. BFH v. 10. 6. 1992 I R 105/89, BStBl II 1992, 1029; s. auch BFH v. 15. 4. 1986 VIII R 285/81, BFH/NV 1986, 509. 32 BFH-Urt. v. 31. 5. 1972 I R 94/69, BStBl II 1972, 697. 33 BFH v. 9. 12. 1980 VIII R 11/77, BStBl II 1981, 339; v. 2. 6. 1992 VIII R 8/89, BFH/NV 1993, 416.

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struktur zu beurteilen34. Unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung in der Monaco-Entscheidung hat der BFH bestätigt, dass § 42 AO auch auf beschränkt Steuerpflichtige Anwendung findet. Unter Zugrundelegung der Rechtsfigur der „funktionslosen sog. Basisgesellschaften“ sei der Tatbestand des Rechtsmissbrauchs erfüllt, sofern es für die Zwischenschaltung der ausländischen Kapitalgesellschaft keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe gebe. Bei einer ausländischen Gesellschaft, die kein eigenes Personal beschäftige, keine eigenen Geschäftsräume unterhalte, nicht über eine eigene Geschäftsausstattung verfüge und die Geschäftsführung einem Mehrfachgeschäftsführer obliege, sei zu vermuten, dass die Zwischenschaltung lediglich formaler Natur sei. Unter diesen Voraussetzungen obliege es dem Steuerpflichtigen nachzuweisen, dass diese Vermutung aufgrund bestehender wirtschaftlicher Gründe unrichtig ist. Das bloße Halten der Beteiligung an einer inländischen GmbH reiche hierfür nicht aus. Der Nachweis, dass bei Zwischenschaltung einer funktionslosen ausländischen Kapitalgesellschaft die Absicht einer inländischen Steuerersparnis oder Steuerumgehung vorliege, sei nicht erforderlich. Zum Anwendungsbereich von § 50d Abs. 1a und dem Konkurrenzverhältnis zu § 42 AO fasst sich der BFH in dieser Entscheidung kurz und stellt fest, dass im Streitfall die Voraussetzungen beider Vorschriften erfüllt seien und eine abschließende Beantwortung des Konkurrenzverhältnisses nicht erforderlich sei. Der I. Senat des BFH folgte damit der Argumentation der Vorinstanz35 und im Ergebnis der Finanzverwaltung. 2. BFH-Urteil vom 17. 11. 2004 I R 55/03 In einer weiteren Entscheidung zu einer niederländischen Stiftung36 hatte der BFH erneut zu entscheiden, ob die Zwischenschaltung einer ausländischen Kapitalgesellschaft durch einen beschränkt Steuerpflichtigen missbräuchlich gemäß § 42 AO sei. Abweichend von seinem Urteil vom 29. 10. 1997 I R 35/9637 entschied der BFH für den vorliegenden Sachverhalt, dass die Zwischenschaltung einer niederländischen Kapitalgesellschaft, die innerhalb eines Konzerns als Projektgesellschaft ausgegliedert wird und durch die Vermietung von Grundbesitz eine eigene wirtschaftliche Funktion innehat, nicht als rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 42 AO zu werten sei. Der BFH hat organisatorische und haftungsrechtliche Gründe für die Einschaltung der Vermietungsund Projektgesellschaften als wirtschaftliche und außersteuerliche Gründe

__________ 34 35 36 37

IStR 2002, 597. FG Köln, Urt. v. 11. 12. 2003, EFG 2004, 1540. I R 55/03, DStRE 2005, 580. A. a. O., Fn. 29.

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anerkannt. Dies gelte selbst dann, wenn sie von ihrer Gesellschafterin fast ausschließlich mit Fremdkapital ausgestattet sei. Gegen eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung im Sinne von § 42 AO sprach in dem entschiedenen Fall die generelle strukturelle Ausgliederung von Immobiliengesellschaften in eigenständige Projektgesellschaften innerhalb des Konzerns und des Konzernaufbaus. Daneben spreche das Tätigwerden bereits in der Errichtungsphase der vermieteten Gebäude und nicht erst ab Beginn der Vermietung gegen eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung. Die aktive Vermietungstätigkeit stelle eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit dar. Die zwischengeschaltete Kapitalgesellschaft sei daher nicht als wirtschaftlich funktionslos anzusehen. An dieser Beurteilung ändere sich auch dadurch nichts, dass die Kapitalgesellschaft abgesehen von ihrer Geschäftsführung über kein Personal und auch über keine Büroräume verfügte. Maßgeblich sei der Umstand, dass die Kapitalgesellschaft in der Lage gewesen sei, die Vermietungsgeschäfte durch ihre Geschäftsführung durchzuführen. 3. BFH-Urteil vom 31. 5. 2005 I R 74-78/04 In seiner Entscheidung vom 31. 5. 2005 I R 74-78/0438 hat der BFH zu dem gleichen Sachverhalt die noch im Urteil vom 20. 3. 2002 I R 38/0039 vertretene Auffassung ausdrücklich aufgegeben. Aufbauend auf die im Urteil vom 17. 11. 2004 I R 55/0340 vertretene Rechtsauffassung bestätigt der BFH, dass die Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft dann nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen sei, wenn die als solche passiven Beteiligungsaktivitäten konzernintern durchgängig in selbständige Kapitalgesellschaften ausgegliedert wurden (Holdinggesellschaften) und die konzernstrategischen Ausgliederungen langfristig erfolgten. Auf der Linie des Urteils vom 17. 11. 2004 I R 55/0341 erkannte der BFH organisatorische und haftungsrechtliche Gründe für selbständige Projektgesellschaften als wirtschaftliche und beachtliche außersteuerliche Gründe an. Daher sei auch nicht davon auszugehen, dass mit der Ausgliederung nur die Erlangung von abkommensrechtlichen Erstattungsvorteilen nach Maßgabe von § 50d Abs. 1a a. F. EStG (§ 50d Abs. 3 EStG) bezweckt wurde. Entgegen der Entscheidung vom 20. 3. 2002 I R 38/00 sah es der BFH als maßgeblich an, dass die im Jahr 1981 und 1987 gegründeten Klägerinnen in einem Staat (Niederlande) ansässig waren, in dem die Konzerngesellschaften auch ihr aktives europäisches Kerngeschäft konzentriert hatten, nicht aber in einem Drittstaat. Die parallel errichteten Holdinggesellschaften, die auf eigene Rechnung tätig waren, können unter diesen Umständen als funktional eigenwirtschaftlich angesehen werden.

__________ 38 39 40 41

A. a. O., Fn. 1. A. a. O., Fn. 34. A. a. O., Fn. 36. A. a. O., Fn. 36.

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25 Jahre Rechtsentwicklung zum Treaty Shopping in Deutschland

Abweichend von der vorhergehenden Entscheidung vom 20. 3. 2002 I R 38/00 stellte der BFH fest, dass § 50d Abs. 1a EStG a. F. den tatbestandlichen Rahmen auch für den daneben anzuwendenden § 42 AO abschließend vorgebe. Die enger gefasste Spezialvorschrift müsse auf die allgemeinere Vorschrift durchschlagen, um Wertungswidersprüche auszuschließen. § 50d Abs. 1a EStG a. F. schließe unter vergleichbaren Voraussetzungen und vergleichbarer Zielsetzung wie § 42 AO den Anspruch einer ausländischen auf Steuerbefreiung oder -ermäßigung nach § 44d EStG 1990/1994 oder nach einem DBA aus. Der ursprüngliche Zweck des § 50d Abs. 1 EStG a. F., die Missbrauchsnorm des § 42 AO wegen möglicher Unvollständigkeit zu ergänzen, ohne den Geltungsbereich von § 42 AO einzuschränken, wurde damit nicht erfüllt. Die in § 50d Abs. 3 EStG geregelten Fälle werden bereits von § 42 AO erfasst. § 50d Abs. 3 EStG ist daher als ein Fall der Überregulierung des speziellen Mißbrauchstatbestands des Treaty Shopping anzusehen. Insbesondere die unterschiedliche Beurteilung von gleichen Sachverhalten durch den BFH zeigt, welche Interpretationsschwierigkeiten sich im Rahmen von § 50d Abs. 3 EStG ergeben. Es erscheint daher ausreichend, den Normgehalt von § 50d Abs. 3 EStG in einer Verwaltungsanweisung umzusetzen, um die praktische Handhabung dieser Fälle im Rahmen des § 42 AO zu gewährleisten. Insbesondere vor dem Hintergrund der nach wie vor bestehenden erheblichen europarechtlichen Bedenken (s. dazu unter IX.) und der aufgezeigten Entbehrlichkeit der Vorschrift ist dem Gesetzgeber anzuraten, ganz auf § 50d Abs. 3 EStG zu verzichten.

VIII. Verhältnis § 50d Abs. 3 EStG und DBA Nach Auffassung des BFH geht die Anwendung von § 50d Abs. 1a EStG a. F. dem Abkommensrecht vor und verstößt nicht gegen DBA-Recht42. Der nationale Gesetzgeber sei nicht daran gehindert, eine Änderung oder Aufhebung des Zustimmungsgesetzes vorzunehmen, sofern der vom Gesetzgeber gewollte Vorrang vor dem Abkommen in dem ändernden Gesetz deutlich zu Ausdruck komme. Dies sei bei § 50d Abs. 1a EStG a. F. der Fall. In der Literatur wird § 50a Abs. 3 EStG überwiegend nicht als Treaty Override angesehen43. Dagegen verstößt nach Auffassung einiger Autoren die Vorschrift gegen DBA44.

__________ 42 A. a. O., Fn 34. 43 Klein, in: H/H/R, § 50d, Anm. 70 m. w. N; Gosch, in: Kirchhof, EStG, 5. Aufl. 2005, Rz. 41. 44 Küssel, RIW 1998, 217 (224); Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 16153; Methan, RIW 1992, 927 (928).

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Elisabeth Strobl-Haarmann

Neuerdings wird unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14. 10. 2004 – 2 BVR 1481/0445 die Auffassung vertreten46, § 50d Abs. 3 EStG stelle dann einen Verstoß gegen DBA dar, sofern in den DBA kein allgemeiner Hinweis auf nationale Missbrauchsbestimmungen enthalten sei. Dies führe in diesen Fällen zur Unanwendbarkeit der Vorschrift. Zur Begründung wird ausgeführt, dass das BVerfG in seiner Entscheidung vom 14. 10. 2004 – 2 BVR 1481/0447 die Verletzung von Art. 20 Abs. 3 GG im Falle einer unzureichenden Berücksichtigung der Europäischen Konventionen für Menschenrechte (EMRK) festgestellt habe. Gleiches müsse auch für die Verletzung von DBA gelten. Die Negierung eines bestehenden abkommensrechtlichen Erstattungsanspruchs einer anerkannten ausländischen Gesellschaft sei nicht mehr von dem allgemeinen Missbrauchsvorbehalt der DBA gedeckt und stelle einen „treaty override“ dar48. In Anbetracht der Tatsache, dass § 50d Abs. 3 EStG in Anlehnung an § 42 AO konzipiert wurde und nunmehr nach der jüngsten Entscheidung des BFH49als Spezialvorschrift zu § 42 AO angesehen wird, erhebt sich die Frage, ob für § 50d Abs. 3 EStG als sondergesetzliche Konkretisierung noch Raum ist50.

IX. § 50d Abs. 3 und EG-Recht In seinem Urteil vom 20. 3. 2002 I R 38/0051 hat der BFH auch entschieden, dass § 50d Abs. 1a EStG a. F. nicht gegen EU-Recht und insbesondere nicht gegen die Mutter-Tochter Richtlinie52 verstoße. Die Frage, ob der Missbrauchsvorbehalt autonom gemeinschaftsrechtlich ausgelegt werden soll, brauche nicht beantwortet werden, weil in dem entschiedenen Fall „ein Missbrauch offensichtlich und nach jedem denkbaren Verständnis gegeben“ sei. In der Folgeentscheidung vom 31. 5. 200553 musste der BFH nicht mehr auf diese europarechtliche Problemstellung eingehen, weil er die Frage des Rechtsmissbrauchs unter Aufgabe seiner bisherigen Auffassung im Urteil vom 20. 3. 2002 I R 38/0054 völlig anders beantwortete. Offen bleibt, ob der Missbrauchsvorbehalt in Art. 1 Abs. 2 der MutterTochter- Richtlinie autonom gemeinschaftsrechtlich auszulegen ist und der Begriff des Missbrauchs einschränkend ausgelegt werden muss.

__________ 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54

IStR 2005, 31. Vogel, IStR 2005, 29; dem folgend: Menhorn, IStR 2005, 325. A. a. O., Fn. 45. Menhorn, a. a. O., Fn. 46, 328. Urt. v. 31. 5. 2005 I R 74-78/03, a. a. O., Fn. 1. Vgl. hierzu: Thömmes, JbFStR 1998/1999, 97. A. a. O., Fn. 1. 90/435 EWG v. 23. 7. 1996. Urt. v. 31. 5. 2005 I R 74-78/03, a. a. O., Fn. 1. A. a. O., Fn. 34.

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Nach Auffassung des EuGH in seiner Entscheidung vom 18. 9. 200355 (Bosal) muss jede Richtlinienanwendung EU-vertragskonform erfolgen. Dies gilt auch für die Anwendung nationaler Missbrauchsvorschriften. Nach der Entscheidung des EuGH vom 18. 9. 200356 muss auch die in einer Richtlinie vorgesehene Ermächtigung der Vertragsstaaten zum Erlass von innerstaatlichen Vorschriften am Maßstab der EU-Grundfreiheiten, insbesondere der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43 EG, überprüft werden. Der EuGH hatte in dieser Entscheidung über eine niederländische Vorschrift zu entscheiden, die aufgrund des Regelungsvorbehalts für die Mitgliedstaaten in Art. 4 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie erlassen wurde. Inhalt dieser Vorschrift war die Begrenzung der Abzugsfähigkeit von Finanzierungsaufwand für ausländische Tochtergesellschaften auf bestimmte Fälle. Dabei kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass eine solche Regelung zwar grundsätzlich von dem Wortlaut der Mutter-Tochter-Richtlinie gedeckt sei, aber die Auslegung der Ermächtigungsvorschrift im Lichte von Art. 52 EGV (jetzt Art. 43 EG) zu erfolgen habe. In dem entscheidenden Fall ging der EuGH unter Berücksichtigung der Niederlassungsfreiheit von einem Verstoß gegen die Mutter-TochterRichtlinie aus. Aus dieser Entscheidung folgt, dass auch die aufgrund von Art. 1 Abs. 2 Mutter-Tochterrichtlinie vorgesehene Ermächtigung der nationalen Gesetzgeber zum Erlass von Missbrauchsvorschriften nur im Zusammenhang mit den EU-Grundfreiheiten zu sehen ist. Ein Missbrauch nach § 50d Abs. 3 EStG liegt dann nicht vor, wenn der Steuerpflichtige bei Zwischenschaltung einer Gesellschaft im EU-Ausland von der EU-rechtlich geschützten Niederlassungsfreiheit Gebrauch macht. Um dieses Spannungsfeld zwischen EU-Grundfreiheiten und Missbrauchsvorschrift zu lösen, wird teilweise vorgeschlagen, den Anwendungsbereich nationaler Missbrauchsvorschriften teleologisch zu reduzieren57. Nach der These von Schön58 sind die Begriffe der Steuerhinterziehung und des Steuermissbrauchs durch ihre Verwendung in der Mutter-Tochter-Richtlinie als gemeinschaftsrechtliche Begriffe anzusehen, für deren Auslegung der EuGH nach Art. 177 EGV zuständig ist. Anhaltspunkte für diese Auffassung finden sich in der jüngeren Rechtsprechung des EUGH59. Nach den Rechtssätzen des EuGH in den Entscheidungen Leur/Bloem60 und Denkavit61 muss ein individueller Missbrauch für jeden Einzelfall nachgewiesen werden, jegliche Form der Typisierung ist europarechtlich unzulässig.

__________ 55 56 57 58 59

IStR, 2003, 666. A. a. O., Fn. 55. Eilers, in: Festschrift Wassermeyer, 323 (331). IStR 1996, Beihefter zu Heft 2,, 13 ff. Urt. v. 17. 10. 1996 (Denkavit), FR 1996, 821 und v. 17. 7. 1997, Slg I-4161 (Leur/ Bloem). 60 A. a. O., Fn. 59.

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Elisabeth Strobl-Haarmann

Soweit § 50d Abs. 3 EStG eine Typisierung enthält62, wann die Einschaltung einer ausländischen Gesellschaft missbräuchlich erfolgt, ist die Vorschrift nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH als europarechtswidrig anzusehen. In der Rechtssache Cadburry Schweppes C-196/04 zeichnet sich jedoch ab, dass der EuGH auf Druck der Mitgliedstaaten eine typisierende Missbrauchsvorschrift nicht mehr generell für gemeinschaftsrechtswidrig hält63. Es bleibt abzuwarten, ob und unter welchen Voraussetzungen der EuGH zukünftig typisierende Missbrauchsvorschriften für zulässig erachtet. Wenn andererseits § 50d Abs. 3 EStG eine europarechtskonforme Auslegung erfordert, d. h. der individuelle Missbrauch nachgewiesen werden muss, ist die Vorschrift aber auch entbehrlich. Denn § 42 AO enthält keine Typisierung und erfordert stets eine Einzelfallbetrachtung und den individuellen Nachweis des Missbrauchs. Der europarechtlich geprägte Missbrauchsbegriff ist danach gemeinschaftsrechtlich auszulegen und auf die eklatanten Steuerumgehungs- bzw. Vermeidungsfälle zu beschränken.

X. Ergebnis Ausgangspunkt der Rechtsentwicklung ist der vom BFH in seiner sog. Monaco-Entscheidung ursprünglich zu eng gezogene Rahmen des Anwendungsbereichs von § 42 AO. Erst dieser machte die Einfügung der Missbrauchsvorschrift gemäß § 50d Abs. 1a EStG a. F. notwendig. Nachdem der BFH seine ursprüngliche Auffassung aufgeben hatte und die Anwendbarkeit von § 42 AO auf beschränkt Steuerpflichtige bejahte, war der ursprüngliche Zweck für die Einfügung der gesonderten Missbrauchsvorschrift entfallen. Gleichzeitig hat sich der BFH von seiner noch in dem Urteil vom 28. 3. 2002 I R 38/0064 vertretenen Auffassung gelöst, die konzerninterne Ausgliederung von Beteiligungsgesellschaften als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Bereits mit Urteil vom 17. 11. 200465 hatte der BFH festgestellt, dass die Zwischenschaltung konzernabhängiger niederländischer Kapitalgesellschaften nicht rechtsmissbräuchlich sei, sofern hierfür organisatorische und haftungsrechtliche Gründe bestehen. Folgerichtig hat der BFH ebenfalls als wirtschaftlichen Grund bzw. sonstigen Grund i. S. von § 42 AO bzw. § 50d Abs. 1a EStG a. F. für die Ausgliederung in Kapitalgesellschaften langfristige konzernstrategische Überlegungen anerkannt.

__________ 61 62 63 64 65

A. a. O., Fn. 59. Klein, in: H/H/R, § 50d, Anm. 81. Rödder/Schönfeld, IStR 2006, 49. A. a. O., Fn. 38. A. a. O., Fn. 1.

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25 Jahre Rechtsentwicklung zum Treaty Shopping in Deutschland

Die unter anderen Voraussetzungen vom Gesetzgeber eingeführte Missbrauchsvorschrift des § 50d Abs. 3 EStG ist vor dem Hintergrund der Rechtsprechungsentwicklung überflüssig geworden. Die ursprünglich gewollte Schließung von Lücken im Anwendungsbereich des § 42 AO war durch die Rechtsprechungsänderung entbehrlich geworden. Daneben ist festzustellen, dass die Anforderungen, unter denen der BFH von dem Vorliegen von wirtschaftlichen bzw. sonstigen beachtliche Gründen im Sinne von § 50d Abs. 3 EStG bzw. § 42 AO ausgeht, sich zugunsten von international tätigen Unternehmen geändert haben. Der Anwendungsbereich von § 50d Abs. 3 EStG ist für internationale Unternehmen stark eingeschränkt worden. Eine Vermutung für die Zwischenschaltung einer funktionslosen Gesellschaft, wenn diese kein eigenes Personal, keine eigenen Geschäftsräume oder keine eigene Geschäftsausstattung besitzt, gilt dann nicht mehr, wenn die Einschaltung der Gesellschaft aus konzernstrategischen Überlegungen erfolgte. Ein eigenwirtschaftliches Tätigwerden wird bereits dann anerkannt, wenn eine Gesellschaft mehrere Beteiligungen an Kapitalgesellschaften in verschiedenen ausländischen Staaten hält. Die Europarechtstauglichkeit von § 50d Abs. 3 EStG ist insbesondere vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit stark eingeschränkt. Solange das Tätigwerden des Steuerpflichtigen von der Niederlassungsfreiheit gedeckt ist, er sich also wirtschaftlich betätigt, schlägt sich diese Bewertung auf den Anwendungsbereich der Norm nieder. Soweit § 50d Abs. 3 EStG eine Typisierung eines Missbrauchstatbestandes enthält, ist die Vorschrift zumindest nach bisheriger Auffassung66 EG-rechtswidrig. Auch wegen dieser durchgreifenden europarechtlichen Bedenken stellt sich die Frage, ob die Vorschrift, nachdem ihre ursprüngliche Berechtigung durch die Rechtsprechungsänderung entfallen war, nicht ganz abgeschafft werden sollte.

__________ 66 Zur möglichen Änderung der Rechtsprechung des EuGH vgl. Fn. 63.

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Klaus Vogel

Der Unternehmensbegriff im OECD-Musterabkommen Inhaltsübersicht I. Die Abkommensdefinition aus dem Jahre 2000 II. Rückgriff auf den englischen und französischen Text?

III. Auslegung nach den Regeln des Wiener Übereinkommens IV. Insbesondere: Auslegung von „Geschäftstätigkeit“

I. Die Abkommensdefinition aus dem Jahre 2000 Zu den ältesten Begriffen des Doppelbesteuerungsrechts gehört der des „Unternehmens“. Bereits das erste zwischen unabhängigen Staaten geschlossene DBA, der „Staatsvertrag vom 21. Juni 1899 zwischen ÖsterreichUngarn und Preußen zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen“, verwendet ihn für einen Gewerbebetrieb, der in beiden Vertragsstaaten Betriebstätten unterhält1. Seine genaue Abgrenzung hat jedoch stets Fragen aufgeworfen. Das OECD-Musterabkommen von 1963 enthielt zwar eine Aussage darüber, wann ein Unternehmen einem Vertragsstaat zuzurechnen sei2, der Begriff „Unternehmen“ selber wurde jedoch nicht definiert. Erst im Jahre 2000 wurde eine ausdrückliche Definition samt einer Ergänzung zu dieser in das Musterabkommen aufgenommen. Beide haben jedoch keine Abhilfe gebracht, die Unklarheiten bestehen fort. Die neuen Definitionen in Art. 3 Abs. 1 Buchst. c und h des Musterabkommens lauten in ihrer amtlichen deutschen Übersetzung3 wie folgt: „Im Sinne dieses Abkommens, wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert, … c) bezieht sich der Ausdruck »Unternehmen« auf die Ausübung einer Geschäftstätigkeit; … h) schließt der Ausdruck »Geschäftstätigkeit« auch die Ausübung einer freiberuflichen oder sonstigen selbständigen Tätigkeit ein.“

__________ 1 2

3

In Art. 2 Abs. 2. In der amtlichen deutschen Übersetzung Buchst. d: „… bedeuten die Ausdrücke ‚Unternehmen eines Vertragsstaates’ und ‚Unternehmen des anderen Vertragsstaates’, je nachdem ein Unternehmen, das von einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person betrieben wird, oder ein Unternehmen, das von einer in dem anderen Vertragsstaat ansässigen Person betrieben wird; …“. S. Art. 3 Buchst. d und e des DBA Deutschland/Tadschikistan v. 27. 3. 2003, BGBl. II 2004, 1035.

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Klaus Vogel

Diese Gleichsetzung von „Unternehmen“ mit „Geschäftstätigkeit“ bringt aber mehr Verwirrung als Klarheit. Nehmen wir von den Bestimmungen des Musterabkommens, die den Ausdruck „Unternehmen“ verwenden, die wichtigste, die die Besteuerung von Unternehmenseinkünften betrifft, Art. 7 Abs. 1: „Gewinne eines Unternehmens eines Vertragsstaats können nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, das Unternehmen übt seine Geschäftstätigkeit im anderen Vertragsstaat durch eine dort gelegene Betriebstätte aus. Übt das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit auf diese Weise aus, so können die Gewinne des Unternehmens im anderen Staat besteuert werden, jedoch nur insoweit, als sie dieser Betriebstätte zugerechnet werden können.“

Ersetzt man hier „Unternehmen“, der Abkommensdefinition entsprechend, durch „Geschäftstätigkeit“ und „Unternehmen eines Vertragsstaats“ gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. d durch „Geschäftstätigkeit, die von einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person betrieben wird“, so erhält man folgende Aussage: „Gewinne einer Geschäftstätigkeit, die von einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person betrieben wird, können nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Geschäftstätigkeit übt ihre Geschäftstätigkeit im anderen Vertragsstaat durch eine dort gelegene Betriebstätte aus. Übt die Geschäftstätigkeit ihre Geschäftstätigkeit auf diese Weise aus, so können die Gewinne der Geschäftstätigkeit im anderen Staat besteuert werden, jedoch nur insoweit, als sie dieser Betriebstätte zugerechnet werden können.“

Das ist offenbar Unsinn. Er beruht darauf, daß „Unternehmen“ in Art. 7 entweder eine Person bezeichnet oder, was der Vorschrift nicht klar zu entnehmen ist, einen Geschäftsbetrieb, aber jedenfalls keine Tätigkeit, wie es in der Definition des „Unternehmens“ in Art. 3 Abs. 1 Buchst. c vorausgesetzt wird. Ähnlich unannehmbare Ergebnisse erhalten wir bei fast allen anderen Bestimmungen des Musterabkommens, die den Ausdruck „Unternehmen“ verwenden: Art. 3: Allgemeine Begriffsbestimmungen 1. Im Sinne dieses Abkommens, wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert, … e) bedeutet der Ausdruck „internationaler Verkehr“ jede Beförderung mit einem Seeschiff oder Luftfahrzeug, das von einer Geschäftstätigkeit mit tatsächlicher Geschäftsleitung in einem Vertragsstaat betrieben wird, es sei denn, das Seeschiff oder Luftfahrzeug wird ausschließlich zwischen Orten im anderen Vertragsstaat betrieben; Art. 5 Betriebstätte 1. Im Sinne dieses Abkommens bedeutet der Ausdruck »Betriebstätte« eine feste Geschäftseinrichtung, durch die die Geschäftstätigkeit einer Geschäftstätigkeit ganz oder teilweise ausgeübt wird.

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Der Unternehmensbegriff im OECD-Musterabkommen … 4. Ungeachtet der vorstehenden Bestimmungen dieses Artikels gelten nicht als Betriebstätten: a) Einrichtungen, die ausschließlich zur Lagerung, Ausstellung oder Auslieferung von Gütern oder Waren der Geschäftstätigkeit benutzt werden; b) Bestände von Gütern oder Waren der Geschäftstätigkeit, die ausschließlich zur Lagerung, Ausstellung oder Auslieferung unterhalten werden; c) Bestände von Gütern oder Waren der Geschäftstätigkeit, die ausschließlich zu dem Zweck unterhalten werden, durch eine andere Geschäftstätigkeit bearbeitet oder verarbeitet zu werden; d) eine feste Geschäftseinrichtung, die ausschließlich zu dem Zweck unterhalten wird, für die Geschäftstätigkeit Güter oder Waren einzukaufen oder Informationen zu beschaffen; e) eine feste Geschäftseinrichtung, die ausschließlich zu dem Zweck unterhalten wird, für die Geschäftstätigkeit andere Tätigkeiten auszuüben, die vorbereitender Art sind oder eine Hilfstätigkeit darstellen; … 5. Ist eine Person – mit Ausnahme eines unabhängigen Vertreters im Sinne des Absatzes 6 – für eine Geschäftstätigkeit tätig und besitzt sie in einem Vertragsstaat die Vollmacht, im Namen der Geschäftstätigkeit Verträge abzuschließen, und übt sie die Vollmacht dort gewöhnlich aus, so wird die Geschäftstätigkeit ungeachtet der Absätze 1 und 2 so behandelt, als habe sie in diesem Staat für alle von der Person für die Geschäftstätigkeit ausgeübten Tätigkeiten eine Betriebstätte, es sei denn, diese Tätigkeiten beschränken sich auf die in Absatz 4 genannten Tätigkeiten, die, würden sie durch eine feste Geschäftseinrichtung ausgeübt, diese Einrichtung nach dem genannten Absatz nicht zu einer Betriebstätte machten. 6. Eine Geschäftstätigkeit wird nicht schon deshalb so behandelt, als habe sie eine Betriebstätte in einem Vertragsstaat, weil sie dort ihre Geschäftstätigkeit durch einen Makler, Kommissionär oder einen anderen unabhängigen Vertreter ausübt, sofern diese Personen im Rahmen ihrer ordentlichen Geschäftstätigkeit handeln. Art. 6: Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen … 4. Die Absätze 1 und 3 gelten auch für Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen einer Geschäftstätigkeit. Art. 7 Gewinne aus Geschäftstätigkeit 1. [s. o.] 2. Übt eine Geschäftstätigkeit eines Vertragsstaats ihre Geschäftstätigkeit im anderen Vertragsstaat durch eine dort gelegene Betriebstätte aus, so werden vorbehaltlich des Absatzes 3 in jedem Vertragsstaat dieser Betriebstätte die Gewinne zugerechnet, die sie hätte erzielen können, wenn sie eine gleiche oder ähnliche Geschäftstätigkeit unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen als selbständige Geschäftstätigkeit ausgeübt hätte und im Verkehr mit der Geschäftstätigkeit, deren Betriebstätte sie ist, völlig unabhängig gewesen wäre.

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Klaus Vogel … 4. Soweit es in einem Vertragsstaat üblich ist, die einer Betriebstätte zuzurechnenden Gewinne durch Aufteilung der Gesamtgewinne der Geschäftstätigkeit auf seine einzelnen Teile zu ermitteln, schließt Absatz 2 nicht aus, dass dieser Vertragsstaat die zu besteuernden Gewinne nach der üblichen Aufteilung ermittelt; die gewählte Gewinnaufteilung muss jedoch derart sein, dass das Ergebnis mit den Grundsätzen dieses Artikels übereinstimmt. 5. Auf Grund des bloßen Einkaufs von Gütern oder Waren für die Geschäftstätigkeit wird einer Betriebstätte kein Gewinn zugerechnet. … Art. 8: Seeschifffahrt, Binnenschifffahrt und Luftfahrt 1. Gewinne aus dem Betrieb von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen im internationalen Verkehr können nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung der Geschäftstätigkeit befindet. 2. Gewinne aus dem Betrieb von Schiffen, die der Binnenschifffahrt dienen, können nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung der Geschäftstätigkeit befindet. 3. Befindet sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung einer Geschäftstätigkeit der See- oder Binnenschifffahrt an Bord eines Schiffes, so gilt er als in dem Vertragsstaat gelegen, in dem der Heimathafen des Schiffes liegt, oder, wenn kein Heimathafen vorhanden ist, in dem Vertragsstaat, in dem die Person ansässig ist, die das Schiff betreibt. … Art. 9: Verbundene Geschäftstätigkeiten 1. Wenn a) eine Geschäftstätigkeit eines Vertragsstaats unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsleitung, der Kontrolle oder dem Kapital einer Geschäftstätigkeit des anderen Vertragsstaats beteiligt ist, oder b) dieselben Personen unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsleitung, der Kontrolle oder dem Kapital einer Geschäftstätigkeit eines Vertragsstaats und einer Geschäftstätigkeit des anderen Vertragsstaats beteiligt sind und in diesen Fällen die beiden Geschäftstätigkeiten in ihren kaufmännischen oder finanziellen Beziehungen an vereinbarte oder auferlegte Bedingungen gebunden sind, die von denen abweichen, die unabhängige Geschäftstätigkeiten miteinander vereinbaren würden, so dürfen die Gewinne, die eine der Geschäftstätigkeiten ohne diese Bedingungen erzielt hätte, wegen dieser Bedingungen aber nicht erzielt hat, den Gewinnen dieser Geschäftstätigkeit zugerechnet und entsprechend besteuert werden. 2. Werden in einem Vertragsstaat den Gewinnen einer Geschäftstätigkeit dieses Staates Gewinne zugerechnet – und entsprechend besteuert –, mit denen eine Geschäftstätigkeit des anderen Vertragsstaats in diesem Staat besteuert worden ist, und handelt es sich bei den zugerechneten Gewinnen um solche, die die Geschäftstätigkeit des erstgenannten Staates erzielt hätte, wenn die zwischen den beiden Geschäftstätigkeiten vereinbarten Bedingungen die gleichen gewesen wären, die unabhängige

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Der Unternehmensbegriff im OECD-Musterabkommen Geschäftstätigkeiten miteinander vereinbaren würden, so nimmt der andere Staat eine entsprechende Änderung der dort von diesen Gewinnen erhobenen Steuer vor. Bei dieser Änderung sind die übrigen Bestimmungen dieses Abkommens zu berücksichtigen; erforderlichenfalls werden die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten einander konsultieren. Art. 24: Gleichbehandlung … 3. Die Besteuerung einer Betriebstätte, die eine Geschäftstätigkeit eines Vertragsstaats im anderen Vertragsstaat hat, darf in dem anderen Staat nicht ungünstiger sein als die Besteuerung von Geschäftstätigkeiten des anderen Staates, die die gleiche Tätigkeit ausüben. Diese Bestimmung ist nicht so auszulegen, als verpflichte sie einen Vertragsstaat, den in dem anderen Vertragsstaat ansässigen Personen Steuerfreibeträge, -vergünstigungen und -ermäßigungen auf Grund des Personenstandes oder der Familienlasten zu gewähren, die er seinen ansässigen Personen gewährt. 4. Sofern nicht Artikel 9 Absatz 1, Artikel 11 Absatz 6 oder Artikel 12 Absatz 4 anzuwenden ist, sind Zinsen, Lizenzgebühren und andere Entgelte, die eine Geschäftstätigkeit eines Vertragsstaats an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person zahlt, bei der Ermittlung der steuerpflichtigen Gewinne dieser Geschäftstätigkeit unter den gleichen Bedingungen wie Zahlungen an eine im erstgenannten Staat ansässige Person zum Abzug zuzulassen. Dementsprechend sind Schulden, die eine Geschäftstätigkeit eines Vertragsstaats gegenüber einer im anderen Vertragsstaat ansässigen Person hat, bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Vermögens dieser Geschäftstätigkeit unter den gleichen Bedingungen wie Schulden gegenüber einer im erstgenannten Staat ansässigen Person zum Abzug zuzulassen. 5. Geschäftstätigkeiten eines Vertragsstaats, deren Kapital ganz oder teilweise unmittelbar oder mittelbar einer im anderen Vertragsstaat ansässigen Person oder mehreren solchen Personen gehört oder ihrer Kontrolle unterliegt, dürfen im erstgenannten Staat keiner Besteuerung oder damit zusammenhängenden Verpflichtung unterworfen werden, die anders oder belastender ist als die Besteuerung und die damit zusammenhängenden Verpflichtungen, denen andere ähnliche Geschäftstätigkeiten des erstgenannten Staates unterworfen sind oder unterworfen werden können. …

Man kann verstehen, was hier jeweils mit „Geschäftstätigkeit“ gemeint ist, aber um eine sprachlich gelungene Definition handelt es sich jedenfalls nicht.

II. Rückgriff auf den englischen und französischen Text? Die merkwürdigen Ergebnisse, zu denen die Abkommensdefinition von „Unternehmen“ im deutschen Text des Musterabkommens führt, sind allerdings nicht – jedenfalls nicht allein – den Übersetzungen der beiden Originaltexte ins Deutsche anzulasten. Sie sind zum Teil schon in jenen Originaltexten angelegt. Bereits 1993 hat Kees van Raad aufgezeigt, dass das Wort „enterprise“ im englischen Text des Musters unterschiedliche Bedeutungen haben kann: 631

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es kann eine natürliche oder juristische Person bezeichnen (Art. 5 Abs. 5, Art. 9 Abs. 1 und 2, Art. 24 Abs. 5 und 6, damals auch Art. 2 Abs. 2),



eine Betriebseinheit, die nicht notwendig juristische Person zu sein braucht (Art. 3 Abs. 1 Buchst. e, Art. 7 Abs. 1 und 2, Art. 9),



es kann zwischen beiden Bedeutungen oszillieren (Art. 5 Abs. 1, Abs. 4 Buchst. a bis d und Abs. 5, Art. 6 Abs. 4, Art. 7 Abs. 1 und 4, Art. 9 Abs. 2, Art. 24 Abs. 5),



es kann eine geschäftliche Tätigkeit bezeichnen (Art. 7 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1 bis 3, Art. 13 Abs. 3, Art. 15 Abs. 3 und Art. 22 Abs. 3),



schließlich kann es sowohl eine Person wie eine Tätigkeit meinen (Art. 5 Abs. 4 Buchst. e, Abs. 5 und 6, Art. 7 Abs. 2, Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und b, Art. 13 Abs. 2, Art. 22 Abs. 2 und Art. 24 Abs. 4)4.

Van Raad hat damals Vorschläge gemacht, wie das Wort „enterprise“ im Text des Musters ohne inhaltliche Veränderung seiner Regelungen vermieden werden könne. Stattdessen haben die Gremien der OECD die oben in deutscher Übersetzung wiedergegebene Definition von „enterprise“ bzw. „entreprise“ in das Musterabkommen eingefügt: „1. For the purposes of this Convention, unless the context otherwise requires: … c) the term „enterprise“ applies to the carrying on of any business;“

Oder in der französischen Fassung des Musterabkommens: „1. Au sens de la présente Convention, à moins que le contexte n’exige une interprétation différente: … c) le terme «entreprise» s’applique à l’exercice de toute activité ou affaire;“

Das führt indes zu ähnlichen Unstimmigkeiten wie sie am deutschen Text demonstriert wurden. Ich wähle als Beispiel wieder Art. 7 Abs. 1. Bei Einfügung der Definition würde er englisch lauten: „The profits of carrying on business by a resident of a Contracting State shall be taxable only in that State unless the carrying on business carries on business in the other Contracting State through a permanent establishment situated therein. If the carrying on business carries on business as aforesaid, the profits of the carrying on business may be taxed in the other State but only so much of them as is attributable to that permanent establishment.“

Entsprechend in der französischen Fassung: „Les bénéfices d’une activité ou affaire exploitées d’un résident d’un État contractant ne sont imposables que dans cet État, a moins que l’activité ou affaire n’exerce son

__________ 4

Van Raad in Alpert und van Raad, Essays on International Taxation, To Sydney I. Roberts, 1993, S. 318 f.

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Der Unternehmensbegriff im OECD-Musterabkommen activité dans l’autre État contractant par l’intermédiaire d’un établissement stable qui y est situé. Si l’activité ou affaire exerce son activité d’une telle façon, les bénéfices de l’activité ou affaire sont imposables dans l’autre État mais uniquement dans la mesure où ils sont imputables à cet établissement stable.“

Die Unstimmigkeiten, die die deutsche Übersetzung hervorruft, sind allerdings größer an Zahl. In den beiden Originalfassungen ergeben sie sich nur daraus, dass die Definitionen von „enterprise“ und „entreprise“ Worte verwenden, die zugleich auch in den Verteilungsnormen gebraucht werden, in denen die zu definierenden Ausdrücke enthalten sind. Dadurch entstehen zwar sinnstörende Verdopplungen: „the carrying on business carries on business“, „l’activité … exerce son activité“. Sie lassen sich aber relativ leicht ausräumen: „the business is carried on“, „l’activité est exercé“. In der übersetzten deutschen Fassung kommt demgegenüber hinzu, dass die deutsche Definition sich auf Tätigkeiten beschränkt und dadurch nicht für diejenigen Verteilungsnormen geeignet ist, in denen das Wort „Unternehmen“, wie von van Raad aufgezeigt, Personen, natürliche oder juristische, oder Betriebseinheiten bezeichnet. Demgegenüber können „business“ und „affaire“ sowohl auf Tätigkeiten wie auf Betriebseinheiten bezogen werden. Die deutsche Abkommensdefinition von „Unternehmen“ bedarf daher ihrerseits der Auslegung.

III. Auslegung nach den Regeln des Wiener Übereinkommens Frankreichs Conseil d’État hat in einer Entscheidung von 1975, in der es um die Anwendung des DBA zwischen Frankreich und Kanada auf Gewinne einer kanadischen Gesellschaft aus dem Verkauf von Grundstücken in Frankreich ging, den Ausdruck „les revenus des entreprises … commerciales“ in Anwendung von Art. 2 Nr. XI des Abkommens, der im Wesentlichen Art. 3 Abs. 2 des OECD-Musterabkommens entspricht, nach Maßgabe des französischen Rechts ausgelegt5. In DBA, die dem Musterabkommen 2000 oder einer späteren Fassung, denen von 2003 oder 2005, folgen, kommt für den Ausdruck „Unternehmen“ („enterprise“, entreprise“) eine Verweisung nach Art. 3 Abs. 2 jedoch nicht mehr in Betracht, weil die Vorschrift sich nur auf im Abkommen nicht definierte Ausdrücke bezieht und „Unternehmen“ nunmehr in Art. 3 Abs. 1 Buchst. c definiert ist. Auszulegen ist allerdings die Definition, also in der deutschen Fassung der Ausdruck „Geschäftstätigkeit“. Dieser Ausdruck kommt im innerdeutschen Recht nicht vor, so dass eine Anwendung von Art. 3 Abs. 2 ausscheidet6. Maßgebend sind daher nach Art. 31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der

__________ 5 6

Concl. 26 nov. 1975, req. N. 93.187, Droit fiscal 1976 comm. 733 concl. Latournerie. Anders offenbar Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer (Hrsg.), Doppelbesteuerung, Stand Mai 2005, MA Art. 7 Rz. 16 a.

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Verträge vor allem die „gewöhnliche Bedeutung“ des Ausdrucks oder eine von den Vertragsparteien beabsichtigte „besondere Bedeutung“, ferner der Zusammenhang, in den das Abkommen den Ausdruck stellt, und, unter den einschränkenden Voraussetzungen in Art 32 des Wiener Übereinkommens, gegebenenfalls ergänzende Auslegungsmittel. Nicht anders war die Rechtslage vor Einfügung der Abkommensdefinition für „enterprise“ in den Common-law-Staaten. Ihr internes Recht kannte den Ausdruck nicht7, er war daher „autonom“ auszulegen. Ein Beispiel gibt die Rechtsprechung der australischen Gerichte im Fall „Thiel“, in dem es um die Frage ging, ob ein einziges gewinnbringendes Geschäft ein „enterprise“ sei8. Ein Geschäftsmann mit Wohnsitz in der Schweiz hatte Anteile an einem australischen Trust erworben, diese später gegen Aktien an einer von dem Trust gehaltenen „corporation“ eingetauscht und die Aktien mit erheblichem Gewinn verkauft. Nach dem DBA zwischen Australien und der Schweiz, das im Wesentlichen dem OECD-Musterabkommen entsprach, kam es darauf an, ob der Gewinn ein Unternehmensgewinn i. S. des Art. 7 war; in Ermangelung einer Betriebstätte in Australien konnte er dann nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 des Abkommens nicht besteuert werden. Die „gewöhnliche Bedeutung“ von „enterprise“, zu deren Ermittlung die Gerichte angesehene Wörterbücher heranzogen9, half hier nicht weiter10. Der Supreme Court of Western Australia als erste mit dem Rechtsstreit befasste Instanz verneinte die Anwendbarkeit der Vorschrift mit der Begründung, dass das Geschäft nicht Teil einer auf Dauer angelegten Tätigkeit – und daher kein „enterprise“ – gewesen sei. Der hiergegen angerufenen Federal Court of Australia (als „Full Federal Court“) bestätigte mehrheitlich die Entscheidung, weil sich nach Auffassung von zweien seiner drei Richter, begründet in ausführlichen Voten, aus dem Zusammenhang von „enterprise“ und „carried on“ ergebe, dass „enterprise“ nur eine fortgesetzte Tätigkeit sein könne. Demgegenüber entschied als Revisionsgericht der High Court of Australia mit fünf Richtern, der Ausdruck „carried on“ könne zur Auslegung von „enterprise“ nicht herangezogen werden, weil er im Abkommen, außer in dessen Art. 3 Abs. 1 Buchst. f (entsprechend Buchst. d des Musterabkommens 2005), durchweg nur in Verbindung mit „business“ verwendet werde und er in jenem einzigen Ausnahmefall lediglich „a linking expression used to explain the connection between an enterprise and a Contracting State“

__________ 7 House of Lords, Ostime v. Australian Mutual Provident Society, 38 Tax Cases 492, 517 (Lord Radcliffe); Avery Jones u. a. in 57 Bulletin for International Fiscal Documentation, 2003, 237. 8 Federal Court of Australia in Thiel v. FCT 21 (1990) Australian Tax Report 531, 537; High Court of Australia deciding on appeal in that case, (1990) HCA 37 = 171 CLR 338. 9 Judge Northrop in Federal Court aaO Nr. 19, Judge Sheppard aaO Nr. 39, 40. 10 „[A] rather broad ambiguous word of uncertain meaning“: Judge Sheppard aaO Nr. 41.

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Der Unternehmensbegriff im OECD-Musterabkommen

sei11. Als ergänzendes Auslegungsmittel zogen die Richter Ziff. 4 des OECDKommentars zu Art. 3 heran, wo es heißt „[t]he question whether an activity is performed within the framework of an enterprise or is deemed to constitute in itself an enterprise …“ (usw.); hieraus folgerten sie, dass nach Auffassung des Kommentars auch eine einzelne Tätigkeit ein „enterprise“ darstellen könne. Die Entscheidung ist ein Beispiel für die Erwägungen, die nach den Art. 31 f. des Wiener Übereinkommens zur Auslegung eines im Abkommen nicht definierten und auch im innerstaatlichen Recht nicht gebräuchlichen Ausdrucks erforderlich werden können12.

IV. Insbesondere: Auslegung von „Geschäftstätigkeit“ Man braucht kein Wörterbuch, um zu belegen, dass unter „Geschäft“ im Deutschen nach „gewöhnlichem Sprachgebrauch“ eine auf die Erzielung von Einkünften in Geld oder Geldeswert gerichtete Tätigkeit oder eine Einrichtung zum Betrieb einer solchen Tätigkeit verstanden wird. Bestimmte derartige Tätigkeiten werden im Musterabkommen als „Unternehmen“ oder unmittelbar als „Geschäftstätigkeit“ bezeichnet. Andere Tätigkeiten bezeichnet das Musterabkommen abweichend; für die durch sie bezogenen Einkünfte gelten besonderen Regeln. Zu diesen gehören: –

Tätigkeiten zur Erzielung von Einkünften aus unbeweglichem Vermögen (Art. 6), auch wenn das unbewegliche Vermögen zu einem Unternehmen gehört (Abs. 4 des Art. 6),



der Bezug von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren (Art. 10 bis 12), außer durch eine Betriebstätte im Staat des Schuldners bzw. der zahlenden Gesellschaft, wenn der Bezugsberechtigte (Nutzungsberechtigte) in diesem Staat nicht ansässig ist (Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4, Art. 12 Abs. 3),



die Veräußerung von Vermögen (Art. 13),



die entgeltliche Ausübung von unselbständiger Arbeit (Art. 15, 18, 19),



die entgeltliche Tätigkeit als Mitglied eines Aufsichtsrats oder Verwaltungsrats (Art. 16),



die entgeltliche Ausübung künstlerischer und sportlicher Tätigkeit (Art. 17).

Nach dem Zusammenhang des Musterabkommens fallen diese Tätigkeiten nicht unter den Begriff der „Geschäftstätigkeit“. (Doch ist das letztlich

__________ 11 Chief Judge Mason und die Richter Brennan und Gaudron in Tz. 8 ihres gemeinsamen Votums. 12 Die Probleme bei Verwendung eines im innerstaatlichen Recht gebräuchlichen Ausdrucks („wenn der Zusammenhang …“) können hier beiseitegelassen werden.

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gleichgültig, da jedenfalls die Regeln für Geschäftstätigkeiten nicht für sie gelten.) Für die Auslegung des Begriffs „Geschäftstätigkeit“ gelten also die gleichen Grundsätze wie vor der Aufnahme der Definition des Art. 3 Abs. 1 Buchst. c in das Musterabkommen für die Abgrenzung des Begriffs „Unternehmen“13. Jedoch scheidet eine auf Art. 3 Abs. 2 gestützte Verweisung auf Ergänzungen durch das innerstaatliche Recht aus. Dies nicht nur deswegen, weil „der Zusammenhang“, nämlich das traditionell einheitliche Verständnis des Unternehmensbegriffs in den Staaten der OECD14, „anderes erfordert“ – so unter der früheren Fassung des Musterabkommens –, sondern schon deshalb, weil nicht „Unternehmen“, sondern „Geschäftstätigkeit“ zu definieren ist und dieser Ausdruck im deutschen innerstaatlichen Recht nicht verwendet wird. Fragen wie die, ob ein Lotse oder ein EDV-Berater unter Art. 7 oder unter Art. 14 zu subsumieren sei, stellen sich seit der Einfügung des Art. 3 Abs. 1 Buchst. c in das Musterabkommen ohnehin nicht mehr15, weil Art. 14 zur gleichen Zeit gestrichen wurde. Folgt man dem Steuerausschuss der OECD, so hatten diese Fragen schon vorher keine praktische Bedeutung, weil beide Artikel zu denselben Ergebnissen führten16. Nicht einzusehen ist auch, warum die Rechtsprechung des BFH, dass die Veräußerung von Grundstücken erst dann zu Einkünften aus Gewerbebetrieb führe, wenn mehr als drei „Objekte“ veräußert werden, für die Auslegung des Begriffs „Geschäftstätigkeit“ mehr als vielleicht eine Anregung geben sollte. Die Entscheidung des High Court of Australia im Falle Thiel zeigt, dass auch die Veräußerung eines einzelnen Objekts durchaus „geschäftlich“ sein kann. Unerfindlich ist schließlich, inwiefern „[a]us dem Zusammenwirken von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c und g“ zu folgern sein soll, „dass unter einer Geschäftstätigkeit eine Tätigkeit zu verstehen ist, die die gemeinsamen Voraussetzungen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und der Einkünfte aus selbständiger Arbeit (offenbar: i. S. des deutschen Rechts, K. V.) erfüllt“17. Dies gilt um so mehr wenn man bedenkt, dass es sich bei den beiden Bestimmungen um Übersetzungen eines in seinen Originalsprachen englischen und französischen Textes handelt.

__________ 13 Hemmelrath in Vogel/Lehner (Hrsg.), DBA, 4. Aufl. 2003, Art. 7 Rz. 32; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl. 1998, § 16 Rz. 230, S. 883; Wassermeyer (Fn. 6) Art. 7 Rz. 15 („mittelbare Teildefinition“). 14 Genauer: des Völkerbunds und der OEEC, insofern „gemeineuropäisches Verständnis“, s. Hemmelrath (Fn. 13); Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl. 1993, S. 545. 15 Anders offenbar Wassermeyer (Fn. 6) Rz. 16. 16 OECD, Issues Related to Article 14 of the Model Tax Convention, Report adopted by the OECD Committee on Fiscal Affairs on 27 January 2000 (Issues in International Taxation No. 7). 17 Wassermeyer (Fn. 6) Art. 7 MA Rz. 15.

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Der Unternehmensbegriff im OECD-Musterabkommen

Zu erörtern bleibt noch, ob die Definition von „Unternehmen“ als „Ausübung einer Geschäftstätigkeit“ es ausschließt, unter diesen Begriff Personen und Einrichtungen (Betriebe) zu subsumieren. Es wurde schon eingangs am Beispiel des Art. 7 Abs. 1 dargelegt, dass jene Vorschrift nur dann einen Sinn ergibt, wenn die Definition des Begriffs „Unternehmen“ auch Personen und Einrichtungen (und eben nicht nur Tätigkeiten) umfasst. Ferner wurden die Untersuchungen van Raads über die Verwendung des Begriffs im Musterabkommen zitiert, aus denen sich ergab, dass der Begriff in den Verteilungsnormen des Musters je nachdem eine Person, einen Betrieb oder eine Tätigkeit bezeichnen kann. Schließlich wurde erwähnt, dass die in den englischen und französischen Originalfassungen der Definition („the carrying on of any business“, „l’exercice de toute activité ou affaire“) verwendeten Ausdrücke „business“ und „affaire“ sich in ihrer Bedeutung eben gerade nicht auf Tätigkeiten beschränken, sondern sich auch auf ein „Geschäft“ im Sinne eines Geschäftsbetriebs beziehen können. Die Originalfassungen können auch dort zur ergänzenden Auslegung der deutschen Übersetzung herangezogen werden, wo diese in ein konkretes Doppelbesteuerungsabkommen Eingang gefunden haben. Es kommt hierfür nicht darauf an, ob sie noch zum „Zusammenhang“ der Vorschrift i. S. von Art. 31 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens gerechnet werden können. Denn auch als „ergänzende Auslegungsmittel“ wären sie nach Art. 32 des Übereinkommens zulässig, weil eine Auslegung, die die Definition des „Unternehmens“ auf Tätigkeiten beschränkt, „zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis“ führen würde. Das macht es möglich, in einer über den Wortlaut der unvollkommenen deutschen Übersetzung hinausgehenden Auslegung auch geschäftliche Betriebe und deren Inhaber in den Abkommensbegriff „Unternehmen“ einzubeziehen.

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Verzeichnis der Schriften von Arndt Raupach

I. Bücher (Selbständige Werke, einschl. Hrsg.-, Co-Autor- und Mitarbeiter-Tätigkeit) Rädler/Raupach, Deutsche Steuern bei Auslandsbeziehungen, Verlag C. H. Beck, München und Berlin 1966 Bühler/Paulick, Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Beck’sche Steuerkommentare (Loseblatt), Fortführung des Körperschaftsteuerteils zusammen mit Rädler, 7.–9. Ergänzungslieferung, 1967–1969 Raupach, Der Durchgriff im Steuerrecht, zugleich ein Beitrag zum Verhältnis des Deutschen und Internationalen Steuerrechts zum Zivil-, Verfassungs- und Völkerrecht, Verlag C. H. Beck, München 1968 Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln: Mitarbeit seit 1969/70, Gesamtverantwortung für den Einkommensteuerteil seit 1974, Gesamtverantwortung seit 1984 Rädler/Raupach, Handbuch der steuerbegünstigten Kapitalanlagen, Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln 1973 Raupach (Hrsg. im Auftrag der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft), Das negative Kapitalkonto des Kommanditisten, Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln 1978 „Steuerentstrickung“, Handwörterbuch des Steuerrechts (HWStR), 2. Aufl. 1981 Raupach (Hrsg. im Auftrag des Deutschen Anwaltsinstituts), Schriftenreihe „Praxis des Internationalen Steuerrechts“: Bd. 1: Schieber, Die Besteuerung von Auslandsbetriebstätten, Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln 1979, Bd. 2: Kumpf, Besteuerung inländischer Betriebsstätten von Steuerausländern, Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln 1982 Raupach, Körperschaftsteuer-Praktikum (Herrmann/Heuer-Seminar: Köln 22.–23.9.1980), Fallsammlung mit Erläuterungen, Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln 1980 Die Kapitalgesellschaft und ihre Gesellschafter in der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 1980/81, 263 Die Vierte EG-Richtlinie und das deutsche Steuerrecht, Schwerpunktdiskussion, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 1981/82, 389 639

Verzeichnis der Schriften von Arndt Raupach

Raupach (Hrsg. im Auftrag der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft), Werte und Wertermittlung im Steuerrecht, Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln 1984 Rädler/Raupach (Hrsg.), Ottmar Bühler zum 100. Geburtstag, Gedenkreden, gehalten aus Anlass des Empfangs der Sozietät Rädler, Raupach & Partner am 25.5.1984 in München, Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln 1984 Raupach/Tipke/Uelner, Niedergang oder Neuordnung des deutschen Einkommensteuerrechts?, Münsteraner Symposion, Band I, Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln 1985 Deutsche Steuern bei Auslandsbeziehungen, Beck-Verlag, München 1966 (zusammen mit Albert J. Rädler), Der Durchgriff im Steuerrecht, Verlag C. H. Beck, München 1968 Niedergang oder Neuordnung des deutschen Einkommensteuerrechts?, Dieter Birk (Hrsg.): Münsteraner Symposion 1984, Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln 1985, Bd. I (zusammen mit Klaus Tipke und Adalbert Uelner) Aktivierung und Passivierung bei wichtigen Rechtsverhältnissen, Herausgeber und Autor der Einleitung, Sonderdruck aus Herrmann/Heuer/Raupach: Einkommen- und Körperschaftsteuer; Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln 1986 Die Situation der Finanzgerichtsbarkeit, Überbelastung, verfahrensrechtliche Entlastungsmöglichkeiten, Reformvorschläge, Dieter Birk (Hrsg.): Münsteraner Symposion 1988, Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln 1989 (zusammen mit Paul Kirchhof, Franz Klein und Hartmut Reim) Steuergestaltung durch doppelt ansässige Gesellschaften?, Verlag C. H. Beck, München 1988 (zusammen mit Rainer Hausmann, Kees van Raad und Winfried Veelken) Einführung zum EStG – Herausgeber und Verfasser des Vorworts –, Sonderdruck aus Herrmann/Heuer/Raupach: Einkommen- und Körperschaftsteuer, Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln 1990 Kommentierung des § 2 EStG, Sonderdruck aus Herrmann/Heuer/Raupach: Einkommen- und Körperschaftsteuer, Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln 1990 (zusammen mit Margret Schencking) Verrechnungspreissysteme multinationaler Unternehmen in betriebswirtschaftlicher, gesellschafts- und steuerrechtlicher Sicht (Hrsg.), Verlag Neue Wirtschafts-Briefe, Herne/Berlin 1999

II. Aufsätze Das Durchgriffsproblem, die wirtschaftliche Betrachtungsweise und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Deutsches Steuerrecht 1963, 352 640

Verzeichnis der Schriften von Arndt Raupach

Streitfragen zum Durchgriff im deutschen Steuerrecht (Ottmar Bühler zum 80. Geburtstag), Steuer und Wirtschaft 1964, Sp. 557 Kritische Anmerkungen zum Beschluss des BVerfG über Pensionsrückstellungen für beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften, Deutsches Steuerrecht 1965, 292 Neue Gesichtspunkte bei der Besteuerung der Kommanditgesellschaft auf Aktien, Deutsche Steuerzeitung 1965, 25 Diskriminierungsverbote und Gleichbehandlungsklauseln im Doppelbesteuerungsabkommen. Systematik, Geltungsbereich und Bedeutung für die deutsche Gesellschaftsteuer, Außenwirtschaftsdienst 1966, 85 Kostenerstattung für Bevollmächtigte im Vorverfahren, Betriebs-Berater 1966, 1302 Steuerliche Diskriminierungsverbote in internationalen Abkommen. Die Bedeutung der deutschen Rechtsprechung für Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland (zusammen mit Albert Rädler), De Naamlooze Venootschap, Amsterdam, Mai 1966, 41 Missachtung der Rechtspersönlichkeit bei Scheingründungen, Steuerumgehungen und auf Grund der wirtschaftlichen Betrachtungsweise auf dem Gebiet des deutschen Außensteuerrechts, Europäische Steuerzeitung, Deutsche Sonderausgabe Juni 1967, 20 Beruht der Oasenerlass auf einer zutreffenden Auslegung gesetzlicher Vorschriften? (zusammen mit Albert Rädler), Deutsche Steuerzeitung 1968, 249 Zu den Gesetzgebungsplänen auf dem Gebiet der Unternehmensbesteuerung in Deutschland, Europäische Steuerzeitung 1968, 127 und 1969, 14 BFH-Entscheidung zur steuerrechtlichen Beurteilung von Basisgesellschaften, Finanz-Rundschau 1969, 72 Neuere deutsche Rechtsprechung zu zwischenstaatlichen Steuerfällen, Deutsche Steuerzeitung 1969, 219 Stand der Diskussion um die Körperschaftsteuerreform, Deutsches Steuerrecht 1969, 389 Zur Behandlung von Basisgesellschaften im deutschen Steuerrecht, Information der Internationalen Treuhand AG, Basel 1969, Nr. 32, 35 Die Einspruchsentscheidung als alleiniger Klagegegenstand, Deutsches Steuerrecht 1970, 170 Steuerbegünstigtes Immobilieneigentum, Deutsches Steuerrecht 1973, 336 Grundprobleme der Gewinnverwirklichung im Steuerrecht, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 1973/74, 112 641

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Rückstellungen für drohende Verluste aus Gewinnabführungsverträgen. Zugleich ein Beitrag zur Auslegung des § 7a KStG (zusammen mit Uwe Clausen), Betriebs-Berater 1974, 689 Umsatzsteuerliche Behandlung von Gutschriften für Garantiearbeiten durch sog. Dritthändler, Umsatzsteuer-Rundschau 1974, 233 Rückstellungen für drohende Verluste aus Gewinnabführungsverträgen, Betriebs-Berater 1974, 1238 Internationales Steuerrecht in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (Modernes Steuerrecht und freiheitliche Rechtsordnung – 25 Jahre Bundesfinanzhof), Deutsche Steuerzeitung 1975, 388 Probleme der Gewinnverwirklichung bei Mitunternehmern, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 1975/76, 222 Die Personengesellschaft im Einkommensteuerrecht; Einheit der Gesellschaft oder Vielheit von Gesellschaftern?, Finanz-Rundschau 1976, 233 Die Tragweite des Beitragsgedankens bei der Auslegung des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 1977/78, 177 Außensteuerrechtliche Wirkungen der Steuerreformgesetze, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 1977/78, 424 Die Systematik der Grundvorschriften des Körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens (§§ 20, 36 EStG, §§ 27, 41, 43 KStG), Finanz-Rundschau 1978, 570 Prof. Dr. Heinrich List, Neuer Präsident des BFH, Neue Juristische Wochenschrift 1978, 1964 Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 1978/79, 354 Einschlägige Prinzipienfragen der Gewinnrealisierung, in: Kruse (Hrsg.), Die Grundprobleme der Personengesellschaft im Steuerrecht, Köln 1979, 87 Problematik des verwendbaren Eigenkapitals, Regelungsinhalte und Regelungslücken der Eigenkapitalvorschriften des KStG 1977, SteuerberaterJahrbuch 1979/80, 423 Die GmbH-Satzung nach der Körperschaftsteuerreform, in: „Pro GmbH“, Festschrift aus Anlass des 75-jährigen Jubiläums der Centrale für GmbH, Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln 1980, 205 Neue Einkommensteuer-Richtlinien, Impulse Heft 2/1982, 44 Resümee, in Raupach (Hrsg.), Werte und Wertermittlung im Steuerrecht, Köln 1984, 439 Erlass von Aussetzungszinsen wegen überlanger Prozessdauer, Steuer und Wirtschaft 1984, 379 und Berichtigung, Steuer und Wirtschaft 1985, 75

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Die verdeckte Nutzungseinlage in Kapitalgesellschaften, ein unbewältigtes Problem bei der Besteuerung nationaler und internationaler Konzerne?, in Festschrift für Hugo von Wallis, Klein/Vogel (Hrsg.), Der Bundesfinanzhof und seine Rechtsprechung, Grundfragen-Grundlagen, Bonn 1985, 309 Werbungskosten-Abzug für Aufwendungen der allgemeinen Verwaltung privater Kapitalvermögen (zusammen mit Reinhard Pöllath), Der Betrieb 1985, 616 Niedergang des deutschen Einkommensteuerrechts, Möglichkeiten der Neubesinnung, in: Raupach/Tipke/Uelner (Hrsg.), Niedergang oder Neuordnung des deutschen Einkommensteuerrechts?, Münsteraner Symposium 1986, Bd. I, Verlag Dr. O. Schmidt, Köln 1985, 15 Werbungskosten-Abzug für Aufwendungen der allgemeinen Verwaltung privater Kapitalvermögen, DB 1985, 616 (zusammen mit Reinhard Pöllath) Die verdeckte Nutzungseinlage in Kapitalgesellschaften, in: Klein, Franz Vogel, Klaus (Hrsg.), Festschrift für Hugo von Wallis, Stollfuß-Verlag, Bonn 1985, 309 Neuregelung der Besteuerung des selbstgenutzten Wohneigentums (WohneigFG), in: Harzburger Protokoll 1986, 25. Fachtagung Bad Harzburg vom 23. bis 26. Sept. 1986 des Steuerberaterverbandes Niedersachsen e.V., 77–103 Stellungnahme zum Entwurf eines Steuerreformgesetzes 1990 der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft, in: BB 1988, 1089 (zusammen mit J. Schulze-Osterloh) Die typographische Gestaltung von Gesetzestexten als Kriterium der Auslegung? (Beitrag zum 80. Geburtstag von Werner Flume), StuW 1988, 239 Einfluss der Unternehmensorganisation auf die Besteuerung in Handelsrecht und Steuerrecht in: Festschrift für Georg Döllerer, Düsseldorf, 1988, 495 Sitz und Geschäftsleitung – das Spannungsverhältnis zwischen Körperschaftsteuerrecht und Internationalem Privatrecht, in: Hausmann/Raupach u. a., Steuergestaltung durch doppelt ansässige Gesellschaften?, München 1988, 63 Von der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die steuerliche Gewinnermittlung zur Prädominanz des Steuerrechts in der Handelsbilanz, BFuP 1990, 515 Die Bemessung von Konzernumlagen mit oder ohne Gewinnaufschlag im Hinblick auf die Organisation multinationaler Konzerne, Klaus Vogel zum 60. Geburtstag, StuW 1990, 397 Die DDR im Internationalen Steuerrecht, EWS 1990, 169 Gewinnanteil und Sondervergütungen der Gesellschafter von Personengesellschaften – Zur Entscheidung des Großen Senats v. 25.2.1991 – GrS 7/89 643

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über die Besteuerung der doppelstöckigen KG, Heinrich Wilhelm Kruse zum 60. Geburtstag, StuW 1991, 278 Beiträge zum Bilanz-, Gesellschafts- und Steuerrecht, Festheft für Georg Döllerer zum 70. Geburtstag, DStZ 1991, 417 (Herausgeber und Autor der Einleitung) Konsolidierte oder strukturierte Gesamtbilanz der Mitunternehmerschaft oder additive Ermittlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Mitunternehmer mit oder ohne korrespondierende Bilanzierung?, Festheft für Adalbert Uelner, DStZ 1992, 692 Der international tätige Spartenkonzern, Organisation – Recht – Steuern, Festheft zum 60. Geburtstag von Albert Rädler, IStR 1993, 194 Das Pferd im Steuerrecht, in: Raupach, Arndt und Uelner Adalbert (Hrsg.), Festschrift für Ludwig Schmidt zum 65. Geburtstag, Verlag C. H. Beck, 1993, 885 Steuergerichtsbarkeit – quo vadis?, in: Festschrift 75 Jahre Reichsfinanzhof – Bundesfinanzhof, Stollfuß-Verlag, Bonn 1993, 163 Zum Gedenken an Georg Döllerer, dem Vermittler zwischen Zivilrecht, Steuerrecht und Betriebswirtschaft, Nachruf zum Tode von Georg Döllerer am 11.9.1993, FR 1993, 621 Anforderungen an die Reform des Umwandlungssteuerrechts, IDW-Umwandlungs-Symposion, 8./9.10.1992 Klostergut Jacobsberg, in: IDW (Hrsg.), Reform des Umwandlungsrechts, Düsseldorf 1993, 259 Das Problem der verdeckten Gewinnausschüttung bei unentgeltlichen Übertragungen im Rahmen des Umstrukturierungsauftrags der Treuhandanstalt, DB 1993, Beilage Nr. 11/93 vom 29.10.1993 (zusammen mit Georg Döllerer) Die Mehrmütterorganschaft, Rechtsinstitut zwischen Konzernrecht und Konzernsteuerrecht, WiB 1994, 137 (zusammen mit Simone Klotz) Wege aus dem Chaos, in: Festschrift für Franz Klein, Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln 1994, 309 Das Steuerrecht als unerwünschte Rechtsquelle der Handelsbilanz, in: Festschrift für Adolf Moxter, IDW-Verlag, München, 1994, 1373 Zum Verhältnis von Autor und Verleger, in: Festgabe für Hans Martin Schmidt zum 65. Geburtstag, Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln 1994 Darf das Steuerrecht andere Teile der Rechtsordnung stören?, Zur Eigenständigkeit des Steuerrechts und deren Grenzen, in: Festschrift für Klaus Tipke, Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln 1995, 105 Steuerliche Folgen der Doppelansässigkeit, in: Haarmann (Hrsg.), Unternehmensstrukturen und Rechtsformen im Internationalen Steuerrecht, Band 7 644

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der Reihe „Forum der Internationalen Besteuerung“, Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln 1995, 28 „Structure follows Strategy“, Grundfragen der Organisation, des Zivil- und des Steuerrechts im Sport–dargestellt am Thema „Profigesellschafen“, in: SpuRt 1995, 241 (Teil 1), 1996, 2 (Teil 2) Structure follows Strategy, Grundfragen der Organisation, des Zivil- und Steuerrechts im Sport–dargestellt am Thema „Verwertungs- und Profigesellschaften“, in: Führungs- und Verwaltungsakademie Berlin des Deutschen Sportbundes, Willi Weyer Akademie (Hrsg.), Akademieschrift 44 (1996): Profigesellschaften–Patentrezept für alle Ligen?, Beiträge von Rechtsexperten zur organisatorischen Verankerung des Spitzensports, 5 Die Anwaltschaft auf dem Weg vom „Organ der Rechtspflege“ zum „Anwalt 2000“?, in: Freundesgabe für Franz Josef Haas, Verlag Neue WirtschaftsBriefe, Herne/Berlin 1996, 252 Das Pferd im Steuerrecht, Grundsätze für Reit- und Zuchtbetriebe, in: Pferde, Zucht und Haltung, Heft 2.1997, 96 Das körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahren – Bestandsaufnahme und Kritik –, in: Widmann (Hrsg.), Besteuerung der GmbH und ihrer Gesellschafter, Grundfragen des Körperschaftsteuerrechts, DStJG 20 (1997), Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln, 21 Die Frage der Zurechnung im Steuerrecht als Problem der Tatbestandsverwirklichung, in: Festschrift für Heinrich Beisse, IDW-Verlag, Düsseldorf 1997, 403 Unternehmensbesteuerung in Deutschland und Italien–Harmonisierung im Rahmen der EU in: Jahrbuch für italienisches Recht, Band 10, Verlag C. F. Müller, Heidelberg 1997, 109 „Gemeinschaftsweite Unternehmensbesteuerung, die den Anforderungen des Binnenmarktes gerecht wird“ – Flucht aus dem Chaos in eine Utopie?, in: Gedächtnisschrift für Brigitte Knobbe-Keuk, Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln 1997, 675 Rezension der Habilitationsschrift von Roman Seer, Verständigungen im Steuerverfahren, StuW 1997, 188 „Verewigung“ von Festsetzungsfristen durch Untätigkeit der Finanzverwaltung? – Zu den Verjährungshemmungsregeln des § 171 AO, Der Betrieb 1997, 2560 ff. (zusammen mit Dr. Martin Böckstiegel) Wechselwirkungen zwischen der Organisationsstruktur und der Besteuerung multinationaler Konzernunternehmungen, in: Manuel R. Theisen (Hrsg.), Der Konzern im Umbruch – Organisation, Besteuerung, Finanzierung, Überwachung –, Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 1998, 59 645

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Betriebsaufspaltung im Sport, in: Raupach (Hrsg.), Steuerfragen im Sport, Sponsoring – Betriebsaufspaltung – Ausländische Sportler, Veröffentlichung der Vorträge auf der Herbsttagung 1996 des Konstanzer Arbeitskreises für Sportrecht e.V. am 4./5.10.1996 in Wiesbaden, Band 23 der Reihe „Recht und Sport“, Richard Boorberg Verlag, Stuttgart 1998, 29 Steuervereinfachung durch die Rechtsprechung?, in: Fischer (Hrsg.), Steuervereinfachung, DStJG 21 (1998), Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln 1998, 175 Das Schließen von „Steuerschlupflöchern“ und „die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage“ als rechtspolitische Ziele, in: Festschrift 50 Jahre Süddeutsche Baurevision, München 1998, 19 Kommentierung zur Zurechnung von Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 EStG) sowie den Ergänzungstatbeständen zu § 20 Abs. 1 Satz 1 EStG (KAGG, AuslInvestmG, AStG), in: Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum EStG und KStG (Lieferung 191) Quo vadis Steuerrecht?, Gastkommentar, Der Betrieb 1998, Heft 20 vom 15.5.1998 „Globalisierung, Full Service-Concept und Multi-Disciplinary Practices“ auf dem Beratungsmarkt – Anwaltssozietäten auf dem Weg zur Internationalisierung, internationale Wirtschaftsprüfungsgesellschaften auf dem Weg zum Global Legal-Service, in: Festschrift 50 Jahre Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht e.V., „Der Fachanwalt im Rechtswesen“, Verlag Neue Wirtschafts-Briefe, Düsseldorf 1999, 13 Erfahrungen aus der Steuergesetzgebung für die Steuerreform, in: Steuerberaterjahrbuch 1998/99, Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln 1999, 7 The Consulting Business in a Globalizing Market, Intertax, Volume 27, Issue 3, 126 (zusammen mit Helmut Becker) Die Verlustregelungen des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002, in: FR 1999, 487 (Teil I), 557 (Teil II), 617 (Teil III) (zusammen mit Martin Böckstiegel) Investoren brauchen Vertrauensschutz nicht erst in Karlsruhe, in: Handelsblatt vom 17.2.1999 Managementverträge als missbräuchliche Gestaltung bei Finanzierungsgesellschaften? – dargestellt am Beispiel irischer IFSC-Gesellschaften in den Dublin Docks, in: Festschrift für Albert Rädler, Verlag C. H. Beck, München 1999, 539 (zusammen mit Dr. Gero Burwitz) Steuerliche Risiken bei Auslandsstiftungen, in: Stiftung und Sponsoring 1999, 38–41 (zusammen mit Dirk Pohl) „Umwandlungen“ bei der Rechtsformwahl gemeinnütziger Organisationen, in: Festschrift für Siegfried Widmann, Stollfuß Verlag, Bonn/Berlin 2000, 459–493 (zusammen mit Dr. Martin Böckstiegel) 646

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Die Versagung des Schachtelprivilegs für Beteiligungen an irischen unlimited companies durch die Urteile des BFH, IStR 2000, 385 (zusammen mit Gero Burwitz) Schuldvertragliche Verpflichtungen anstelle beteiligungsgestützter Beherrschung , in: Festschrift für Gerold Bezzenberger, Walter de Gruyter Verlag, Berlin März 2000 Perspektiven für den Steuerstandort Deutschland, in: Festheft für Prof. Lang, StuW 2000, 341 Unternehmen und Unternehmer im Recht der DBA-Zugleich ein Beitrag zu den Problemen rechtsformabhängiger Besteuerung , in: Festschrift für Klaus Vogel, C. F. Müller Verlag, Heidelberg 2000, 1067 Vom Nichtanwendungs- zum Untätigkeitserlass – dargestellt am Beispiel des Untätigkeitserlasses zur Mehrmütterorganschaft, in: Festschrift für Heinrich Wilhelm Kruse, Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln 2001 Die Unzulässigkeit einer rückwirkenden gesetzlichen Änderung der Mehrmütterorganschaft in: DB 2001, Beilage Nr. 3/2001 zu Heft 22/2001 (zusammen mit Paul Kirchhof) Wandel von Bilanzierungszwecken?, in: Festschrift für Welf Müller, Verlag C. H. Beck, München 2001, 793 Was hat die Gepräge-Theorie mit der Mehrmütterorganschaft zu tun?, DStR 2001, 1325 Zivilrechtliche und steuerliche Fragen des Sponsoring, in: Non Profit Law Yearbook 2001, Carl Heymanns Verlag KG, Köln, 169–196 Die Neuordnung des Körperschaftsteuersystems, in: Seeger (Hrsg.), Perspektiven der Unternehmensbesteuerung, DStJG 25 (2002), Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln 2002, 9 Gestaltungsüberlegungen nach Abschaffung der Mehrmütterorganschaft, DStR 2003, 1901–1907 (zusammen mit Gero Burwitz) Einwirkung des Europarechts auf das Internationale Steuerrecht, in: Festschrift 50 Jahre Deutsches Anwaltsinstitut e.V., 2003, 489 (zusammen mit Dirk Pohl) Einführung in die Möglichkeiten der Rechtsformwahl, Umwandlung und Kooperation anhand einer Fallstudie, – Umgestaltung der „Aktion Sonnenschein“ – Hilfe für das mehrfach behinderte Kind –, in: Non Profit Law Yearbook 2003, Carl Heymanns Verlag KG, Köln, 195 Überreglementierung der Besteuerung des Inlandsfalls – Ausweg aus der EGRechtswidrigkeit oder Irrweg?, in: Festschrift für Franz Wassermeyer, 2005, 179 (zusammen mit Dirk Pohl) 647

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Das Verhältnis zwischen Gesellschaftsrecht und Bilanzrecht unter dem Einfluss international anerkannter Rechnungslegungsgrundsätze, in: Festschrift für Volker Röhricht, 2005, 1033 Die Rechtssache Marks & Spencer, in: NZG 2005, Heft 12, 489–492 (zusammen mit Dirk Pohl)

III. Vorträge und Buchbesprechungen Vorträge Möglichkeiten steuerbegünstigter Kapitalanlagen im Ausland nach dem 2. StÄndG 1971, Die Anlagegesellschaft im Konkurs, Steuerseminar München (vermutlich 1971) Die Auswirkungen des 2. Steueränderungsgesetzes auf die Möglichkeiten steuerbegünstigter Beteiligungen, Steuerberater-Tagung der Dr. Jung KG am 23.10.1971 in Frankfurt (zusammen mit Wüst) Internationales Steuerrecht anhand von praktischen Fällen unter Berücksichtigung des Außensteuerreformgesetzes und aktueller Fragen der DBA, Steuerseminar Peat, Marwick, Mitchell & Co., 14.–16.12.1971 in Berlin Diskussionskreis: Fragen der internationalen Konzernbesteuerung, 19./20.1.1973, veranstaltet von der Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht e.V., Bochum (zusammen mit Albert Rädler) Kapitalanlagen mit Steuervorteilen im Ausland, Veranstaltung der ARGENTA Internationale Anlagegesellschaft mbH, München, 18.–20.5.1973 in München Internationales Steuerseminar Zürich, 22./23.6.1973 in Freiburg i. Br. (zusammen mit Becker/Heining/Kormann/Lempenau) Zur Bilanzierung schwebender Geschäfte, Fachausschusssitzung des Instituts der Steuerberater in Bayern, 29.10.1973 in München Probleme steuerbegünstigter Kapitalanlagen, Institut der Steuerberater in Hessen e.V., 25.10.1974 in Frankfurt Diskussionskreis: Bilanzierung von Nutzungsrechten, 17./18.1.1975, veranstaltet von der Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht e.V., Bochum Praxis des Internationalen Steuerrechts, veranstaltet von Peat, Marwick, Mitchell & Co., Frankfurt, 16./17.12.1977 Die Besteuerung der Auslandsbeziehungen, Information & Kontakt – Veranstaltungen der KLUWER-Verlagsgruppe zur Unternehmensführung, 1.6.1978 in Düsseldorf (zusammen mit Albert Rädler) Internes Seminar über Außensteuerrecht für Peat, Marwick, Mitchell & Co., Frankfurt, 1.12.1978 648

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Ausgewählte Fragen bei deutschen Auslandsinvestitionen, Information & Kontakt – Veranstaltungen der KLUWER-Verlagsgruppe zur Unternehmensführung, 15.3.1979 in Frankfurt (zusammen mit Albert Rädler) Bilanzierungsprobleme bei Personengesellschaften, Steuerberatertag 19./20.11.1979 in München (Deutscher Steuerberaterverband e.V., Bonn) Bilanzierungsprobleme bei Personengesellschaften, Münchner Steuerfachtagung 1980 (26./27.3.1980) Vorbereiteter Diskussionsbeitrag zum 53. Deutschen Juristentag zum Mitunternehmerbegriff, Berlin 1980 Zum Verhältnis von Autor und Verleger, Ansprache zum Jubiläums-Abend mit Autoren und Buchhändlern aus Anlass des 75-jährigen Bestehens des Verlages Dr. Otto Schmidt KG, Köln, gehalten am 26.10.1980 Steuerliche Probleme bei Geschäftsbeziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung des Doppelbesteuerungsabkommens Deutschland-Österreich, Seminar der Österreichischen Akademie für Führungskräfte, 19./20.2.1981 in Wien (zusammen mit Philipp) Rädler/Raupach (Hrsg.), Beiträge zum Bilanz- und Steuerrecht, Vier Vorträge, gehalten aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums der Sozietät Rädler, Raupach & Partner am 6.11.1981 in der Stuck-Villa, München, Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln 1982 Grundfragen des internationalen Steuerrechts, dargestellt anhand von Fällen (zusammen mit Baranowski und Hundertmark), Steuerberaterkammer Hamburg: Fachvortragsveranstaltung 8./9.2.1982 Körperschaftsteueranrechnung bei Beteiligungen, die im Betriebsvermögen gehalten werden, Münchner Steuerfachtagung 1982 (24./25.3.1982) Gestaltungsmöglichkeiten bei Auslandsbeziehungen, Steuerberaterkammer Hamburg: Fachvortragsveranstaltung am 7./8. 2.1983 Die Behandlung von Auslandsverlusten unter besonderer Berücksichtigung des § 2a EStG, Vortrag im steuerrechtlichen Seminar von Dieter Birk, Universität Münster, 28.6.1983 Grundstücke im Steuerrecht, Deutscher Steuerberatertag 1983 in Berlin (7.–9.11.1983): Teilnahme an der Podiumsdiskussion Verluste bei Nicht-Verlustzuweisungs-Kommanditgesellschaften. Zur Problematik des § 15a EStG, Münchner Steuerfachtagung 1984 (21./22.3.1984) Die kapitalistische KG, Steuerberaterverband Hamburg, Hamburger Steuerfachtage 13./14.4.1984 Neuorientierung bei der Besteuerung der Personengesellschaften – Geprägerechtsprechung, Gewinnerzielungsabsicht und Mitunternehmereigenschaft nach dem Grundsatzbeschluss des BFH vom 25.6.1984 –, Düsseldorf, 649

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13.12.1984: Leitung der Podiumsdiskussion (veröffentlicht im IdW-Verlag GmbH Düsseldorf) Anerkennung von Gewinnverteilungsabsprachen bei Personengesellschaften, Kurzreferat im Seminar Probleme der Einkünftezurechnung von Prof. Dr. Biergans, Universität München, 11.2.1985 Nutzungswertbesteuerung im Umbruch, Steuerberaterverband Hessen, Herbstfachveranstaltung 1985 (5.12.1985) in Kassel Gesetz zur Neuregelung der steuerrechtlichen Förderung selbstgenutzten Wohnungseigentums, Herbstfachveranstaltung des Steuerberaterverbandes in Hessen e.V., Kassel, 12.12.1985 Neuorientierung bei der Besteuerung der Personengesellschaften, Teilnahme an Podiumsdiskussion des IDW-Seminars, Düsseldorf, 1985 Neue Entwicklungen auf dem Gebiet der verdeckten Gewinnausschüttungen und verdeckten Einlagen, Münchner Steuerfachtagung 1986 (19./20.3.1986) Neuregelung der Besteuerung des selbstgenutzten Wohnungseigentums (WohneigFG), 25. Fachtagung des Steuerberaterverbandes Niedersachsen e.V., Bad Harzburg, 23.–26.9.1986 Änderungen durch das Bilanzrichtlinien-Gesetz: Umgekehrte Maßgeblichkeit – Abschreibungen des Firmenwerts–Praxiswerts und firmenwertähnlicher Wirtschaftsgüter, Koreferat zum Referat Sarrazin: Probleme der Rückstellungsbildung, insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen, Institut der Steuerberater in Bayern, Wochenendseminar, Regensburg, 18./19.10.1986 Außergerichtliche Einigung im Finanzrechtsstreit, Offenes Seminar Prof. Dr. K. Vogel, Einführung und Diskussionsleitung, München, 9.12.1986 Handelsbilanz und Steuerbilanz, Maßgeblichkeit und umgekehrte Maßgeblichkeit, Seminarveranstaltung der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt, 9.2.1988, veröffentlicht in: FAZ, Blick durch die Wirtschaft, 24.3.1988 Sitz und Geschäftsleitung – das Spannungsverhältnis zwischen Körperschaftsteuerrecht und Internationalem Privatrecht; Doppelt ansässige Gesellschaften als Instrument der Steuergestaltung in Deutschland?, Siebentes Münchener Symposium zum Internationalen Steuerrecht, München, 25.3.1988 Besteuerung von Gesellschaften mit Doppelwohnsitz, Hamburger Seminar zur Internationalen Besteuerung, Universität Hamburg, Hamburg, 3.6.1988 Handelsbilanz und Steuerbilanz, Maßgeblichkeit und umgekehrte Maßgeblichkeit, Gastvortrag Universität Passau, Passau, 22.7.1988 Diskussionsbeitrag zur Neuordnung des Einkommensteuerrechts, Steuerrechtliche Abteilung des 57. Deutschen Juristentags in Mainz, Mainz, 27.–30.9.1988 650

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Dreistufigkeit oder Zweistufigkeit – Argumente für oder gegen einen weiteren Gerichtsausbau, Symposium zur Situation der Finanzgerichtsbarkeit an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Münster, 28.10.1988 Internationale Konzernorganisation und Besteuerung, 2. Hamburger Seminar zur Internationalen Besteuerung, Universität Hamburg, Institut für ausländisches und internationales Finanz- und Steuerwesen, Hamburg, 22.5.1989 Die Schrift und das Gesetz, Vortrag Typographische Gesellschaft München, München, 20.11.1990 Umweltabgaben, Jahrestagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft, Leitung der Podiumsdiskussion, Bonn, 3./4.9.1992 Die Zukunft der Umweltabgaben, Podiumsdiskussion im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft, Diskussionsleitung, Bonn, 4.9.1992 in: StuW 1994, Heft 1, 62 Anforderungen an die Reform des Umwandlungssteuerrechts, IDW-Umwandlungssymposion, Klostergut Jakobsberg, 8./9.10.1992 Rechtsform und Struktur der Familienpersonengesellschaften in der Herausforderung, Vortragsveranstaltung des Instituts für Finanz- und Steuerrecht der Universität Osnabrück, Osnabrück, 24.6.1993 Ist das Treuhandmodell für geschlossene Immobilien-Fonds am Ende? Auswirkungen des BFH-Urteils vom 27.1.1993, BOTAG-Forum „Herbst 1993“, Berlin, 5.11.1993 Steuerliche Folgen der Doppelansässigkeit, Vortrag vor dem Münchener Forum der Internationalen Besteuerung, Unternehmensstrukturen und Rechtsformen im Internationalen Steuerrecht, München, 17.6.1994 Sport und Recht, Seminar in Absprache mit dem Deutschen Sportbund, Tagungsleitung, Frankfurt/Main, 25.10.1994 Konzernorganisation und Konzernbesteuerung, Gastvortrag Universität Mannheim, Mannheim, 24.1.1995 Structure follows Strategy, Grundfragen der Organisation, des Zivil- und Steuerrechts bei Profigesellschaften im Sport, Vortrag auf dem Seminar „Sportgesellschaften – Patentrezept für alle Ligen?“ der Führungs- und Verwaltungsakademie Berlin des Deutschen Sportbundes, Willi Weyer Akademie, Berlin, 29./30.5.1995 Das Pferd im Steuerrecht – Grundsätze des Ertragsteuerrechts für Reit- und Zuchtbetriebe, Vortrag auf dem SVK-Hippologen-Seminar 1996 für Pferdehaltung, -zucht und -sport, Bad Godesberg, 23./24.1.1996 Rechtsanwaltschaft und Steuerrecht, Vortrag zur Eröffnung des Instituts für Anwaltsrecht an der Juristischen Fakultät der Universität München, München, 28.2.1996

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Rechtliche Gestaltung im Profibereich in der Strukturdiskussion; Grundsatzüberlegungen mit Darstellung wirtschaftlicher Konsequenzen, Vortrag auf dem Seminar „Profigesellschaften – Patentrezept für alle Ligen?“ der Führungs- und Verwaltungsakademie Berlin des Deutschen Sportbundes, Willi Weyer Akademie, Berlin, 13./14.5.1996 Das körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahren – Bestandsaufnahme und Kritik, Vortrag vor der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft, Berlin, 23./24.9.1996 Betriebsaufspaltung im Sport, Vortrag vor dem Konstanzer Arbeitskreis für Sportrecht e.V., Wiesbaden, 4./5.10.1996 Unternehmensbesteuerung in Deutschland und Italien – Harmonisierung im Rahmen der EU?, Vortrag vor dem 16. Kongress der Vereinigung für den Gedankenaustausch zwischen Deutschen und Italienischen Juristen e.V., Bremen, 10.–13.10.1996 Wechselwirkungen zwischen der Organisationsstruktur und der Besteuerung multinationaler Konzernunternehmungen, Vortrag vor dem 4. Mannheimer Konzern-Workshop „Besteuerung multinationaler Konzernunternehmungen“, Mannheim, 23.10.1996 Statement auf dem 4. Münsteraner Symposion zum Steuerrecht „Kooperatives Verwaltungshandeln im Besteuerungsverfahren“, Münster, 8.11.1996 Moderne Einsatzformen von Lizenzverträgen und ihre steuerliche Behandlung, Vortrag vor der Licensing Executives Society, München, 20.6.1997 Steuervereinfachung durch die Rechtsprechung?, Vortrag vor der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft, Wien, 25./26.9.1997 Teilnahme an einer Podiumsdiskussion des Berliner Steuerforums zur steuerlichen Rückwirkung und verschiedenen steuerlichen Einzelfragen, Berlin, 3.11.1997 Kölner GmbH-Tage, GmbH-Finanzierung, Steuerrecht, Gesellschaftsrecht, Tagungsleitung zus. mit Prof. Dr. Karsten Schmidt, Vorträge zu den Themen Belastungsvergleich der Besteuerung von Dividendeneinkünften und Darlehenszinsen, Schütt-Aus-Hol-Zurück-Verfahren, Leg-ein-Hol-Zurück-Verfahren, Einbringung von Betrieben und Teilbetrieben in die GmbH, steuerliche Behandlung der Betriebsaufspaltung und disproportionale Gewinnausschüttungen, Köln, 13./14.2.1998 Steuerliche Risiken bei Auslandsstiftungen, 1. Baden-Badener Stiftungsforum des Forums Institut für Management, Heidelberg, Baden-Baden, 12.–13.3.1998 Moderne Einsatzformen von Lizenzverträgen und ihre steuerliche Behandlung, Vortrag vor den Licensing Executives Societies in Europe, Wien, 22.6.1998

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Das Schließen von „Steuerschlupflöchern“ und „die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage“ als rechtspolitische Ziele, Vortrag vor der Jubiläumsveranstaltung aus Anlass des 50-jährigen Bestehens der Süddeutschen Baurevision, München, 15.7.1998 Erfahrungen aus der Steuergesetzgebung für die Steuerreform, 14. Kölner Steuerkonferenz des Fachinstituts der Steuerberater, Köln, 13.10.1998 Steuerreform-Kongress, veranstaltet vom Herrmann/Heuer/Raupach, Leitung, Frankfurt, 4.–5.3.1999 Rechtsformwahl und Satzungsgestaltung für gemeinnützige Unternehmer, 2. Baden-Badener Stiftungsforum, Baden-Baden, 17.–19.3.1999 Die Verlustregelungen des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002, 22. Deutscher Steuerberatertag 1999, Dresden, 25.–27.10.1999 Perspektiven für den Steuerstandort Deutschland, 16. Hamburger Tagung zur Internationalen Besteuerung des Instituts für Ausländisches und Internationales Finanz- und Steuerwesen der Universität Hamburg und der deutschen Vereinigung für Internationales Steuerrecht, Hamburg, 3.12.1999 Verwertung in wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben oder selbständigen Verwertungsgesellschaften, 3. Baden-Badener Stiftungs-Forum, Baden-Baden, 29.–31.3.2000 Personengesellschaften in der Unternehmenssteuerreform, Vortrag vor dem Gesprächskreis Rhein-Ruhr, Internationales Steuerrecht, Bochum, 14.4.2000 Stand und Entwicklung der steuerrechtsberatenden Anwaltschaft – ein Beispiel für den Wettbewerb auf dem Beratungsmarkt, Festreferat aus Anlass des 50. Lehrgangs „Steuern und Betrieb“, Detmold, 8.7.2000 Kongress zur Unternehmenssteuerreform, veranstaltet vom Herrmann/ Heuer/Raupach, Leitung, Frankfurt am Main, 26./27.10.2000 Mutter-Tochter-Richtlinie aus deutscher Sicht, Vortrag „Gruppi di societa’e imposizione sui redditi“, Universität Bologna 29./30.9.2000 Einführung in die Möglichkeit der Rechtsformwahl, Umwandlung und Kooperation an Hand einer Fallstudie, Hamburger Tage des Stiftungs- und Non-Profit-Rechts, 7./8.11.2003 Der Wettbewerb auf dem Beratermarkt „Lohnt es sich, Rechtsanwalt zu werden, wenn ja, welcher Kanzleityp ist der richtige für mich?“, Ringvorlesung „Anwaltliche Berufsfelder“ im Sommersemester 2004, Ludwig-Maximilians-Universität München Vom Vertragskonzern zum faktischen Konzern? – Folgen einer Europarechtswidrigkeit der körperschaftsteuerlichen Organschaft für das Konzernrecht –, 3. Gesellschaftsrechtliche Jahresarbeitstagung, 4./5.3.2005, Hamburg 653

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Gemeinnützige Unternehmensstiftungen, Spenden, Sponsoring; Autorentagung zum Projekt „Dotations- und Spendenrecht in Europa“, Bucerius Law School, 15. und 16.12.2005 Fußball – das Spiel zwischen Idealismus und Kommerz, Vortrag im Rahmen des Studiums generale der Bucerius Law School, 17.5.2006 Buchbesprechungen Lutter, Die GmbH in Belgien, Gesellschaftsrecht und Steuerrecht, Deutsches Steuerrecht 1967, 472 Wirtschaftsprüfer-Handbuch 1968, Steuer und Wirtschaft 1969, 190 Brockhoff/Lenski/Zastrau, Rechtsprechungskommentar Körperschaftsteuer, Deutsches Steuerrecht 1970, 409 Becker, Zur Gewinnermittlung internationaler Unternehmen, BetriebsBerater 1974, 1448 Tipke, Steuerrecht, 3. Aufl., Neue Juristische Wochenschrift 1976, 1347

IV. Tagungen Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung Wiesbaden (Deutsches Anwaltsinstitut) 1984 4. Generalthema: Verluste, Diskussionsleitung, 35. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung, 14.–16.5.1984, JbFStR 1984/85, 265–394 1985 4. Generalthema: Folgen aus dem Beschluss des Großen Senats des BGH vom 25.6.1984, Kapitalistische KG, Geprägerechtsprechung, Gewinnerzielungsabsicht und Mitunternehmereigenschaft, Diskussionsleitung, 36. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung, 13.–15.5.1985, JbFStR 1985/1986, 229–314 1986 4. Generalthema: Personengesellschaften im Umbruch, 37. Steuerrechtliche Arbeitstagung, 28.–30.4.1986, JbFStR 1986/87, 219–304 1987 4. Generalthema: Unternehmensorganisation/Unternehmensverträge, 38. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung 1987, 4./6.5.1987, JbFStR 1987/88, 251–334 1988 4. Generalthema: Das Gemeinschaftsunternehmen, Gestaltung und Besteuerung, 39. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung 1988, 2.–4.5.1988, JbFStR 1988/89, 211–300 1989 4. Generalthema: Umstrukturierung von Unternehmen, 40. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung 1989, 29.–31.5.1989, JbFStR 1989/90, 261–346 654

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1990 4. Generalthema: Die Beendigung des Unternehmen (außer Konkurs), 41. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung 1990, 7.–9.5.1990, JbFStR 1990/91, 275–354 1991 5. Generalthema: Die BGB-Gesellschaft im Wirtschaftsverkehr, 42. Steuerrechtlichen Jahresarbeitstagung 1991, 13.–15.5.1991, JbFStR 1991/92, 235–358 1992 5. Generalthema: Holdinggesellschaften Organisation–Recht–Steuern, 43. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung 1992, 25.–27.5.1992, JbFStR 1992/93, 261–386 1993 5. Generalthema: Vereine, Stiftungen, Trusts und verwandte Rechtsformen als Instrumente des Wirtschaftsverkehrs, 44. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung 1993, 24.–26.5.1993, JbFStR 1993/94, 341–484 1994 4. Generalthema: Personengesellschaften im Spannungsfeld von Zivilrecht und Steuerrecht, 45. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung 1994, 30.5.–1.6.1994, JbFStR 1994/95, 251–306 1995 5. Generalthema: Gestaltungsfragen bei Holdingstrukturen im nationalen und grenzüberschreitenden Bereich unter Berücksichtigung des neuen Umwandlungsrechts und Umwandlungssteuerrechts, 46. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung 1995, 22.–24.5.1995, JbFStR 1995/96, 343–466 1996 5. Generalthema: Umstrukturierung von national und international tätigen Unternehmen, 47. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung 1996, 20.–22.5.1996, JbFStR 1996/97, 339–460. 1997 6. Generalthema: „Steuermanagement“ zwischen „Globalisierung“ und „Regionalisierung“, Auswirkungen auf die Organisation des internationalen Geschäfts unter Berücksichtigung unternehmensrechtlicher Bezüge, 48. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung 1997, 26.–28.5.1997, JbFStR 1997/98, 325–463 1998 6. Generalthema: „Unternehmensrechtliche Gestaltungen im Grenzbereich zwischen Schuld- und Gesellschaftsrecht – einschließlich der steuerrechtlichen Ursachen und Folgen“, 49. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung 1998, 25.–27.5.1998, JbFStR 1998/99, 327–457 1999 6. Generalthema: „Workshop zum Unternehmenssteuerrecht und zur Unternehmenssteuerreform“, 50. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung 1999, 10.–12.5.1999, JbFStR 1999/2000, 405–551 2000 6. Generalthema: „Gestaltungsfragen nach der Unternehmensteuerreform“, 51. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung 2000, 22.–24.5.2000, JbFStR 2000/2001 2001 6. Generalthema: „Konzernsteuerrecht nach der Unternehmenssteuerreform“, 52. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung 2001, 21.–23.5.2001, JbFStR 2001/2002, 343–472 655

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2002 6. Generalthema: „Freiberufliche Kooperationsformen im Spannungsfeld von Gesellschafts-, Berufs-, Steuer-, Verfassungs- und Europarecht“, 53. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung 2002, 6.–8.5.2002, JbFStR 2001/2002, 271–342 2003 6. Generalthema: „Einfluss der (geplanten) Steuerrechtsänderungen auf die Unternehmensorganisation“, 54. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung 2003, 19.–21.5.2003, JbFStR 2003/2004, 393–509 2004 6. Generalthema: „Verlustnutzung in der Krise – Steuerrecht, Gesellschaftsrecht, Bilanzrecht“, 55. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung 2004, 17.–21.5.2004 2005 6. Generalthema: „Rechtsformen und unternehmerische Strukturen im (internationalen) Wettbewerb – Steuerrecht, Gesellschaftsrecht, Bilanzrecht, Europarecht –“, 56. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung, 2005, 23.–25.5.2005 2006 6. Generalthema: „Brennpunkte und neue Wege der Unternehmensfinanzierung“, 57. Steuerrechtliche Jahresarbeitstagung, 2006, 8.–10.5.2006 Praxis des Internationalen Steuerrechts (jährliche Tagung des Deutschen Anwaltsinstituts in Franfurt/Main) Seit 1972 Leiter der Tagung „Praxis des Internationalen Steuerrechts“, jährliche Veranstaltung des Deutschen Anwaltsinstituts, Bochum, jeweils mit von ihm zusammengestellten und herausgegebenen Arbeitsunterlagen: 1972 Bearbeitung internationaler Steuerfälle, systematisch dargestellt anhand von praktischen Fällen 1973 Teil I: Systematische Darstellung anhand von Fällen Teil II: Ausgewählte Fälle zur Besteuerung internationaler Gesellschaften und Konzerne 1974 Die Gestaltung von Auslandsbeziehungen und ihre Besteuerung, darstellt anhand von Fällen 1975 Die Unternehmertätigkeit im Brennpunkt der Praxis des Internationalen Steuerrechts 1976 Neue Entwicklungen in der Unternehmensbesteuerung bei Auslandbeziehungen, systematisch dargestellt anhand von Fällen – insbesondere Körperschaftsteuergesetz von 1977, AO 1977, neue DBA – 1977 Die Besteuerung von. Unternehmen bei Auslandsbeziehungen und deren Umgestaltung 1978 Schwerpunkte des Außensteuer- und Abkommensrechts 656

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1979 Schwerpunkte des Internationalen Steuerrechts einschließlich Umsatzsteuer (6.–8. EG-Richtlinie; UStG 1980) 1980 Teil I: Tochterkapitalgesellschaften, Betriebsstätten, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht Teil II: Umsatzsteuer bei Auslandsbeziehungen (UStG 1980) 1981 Teil I: Die Bearbeitung internationaler Steuerfälle – Systematische Darstellung des deutschen Außensteuerrechts und des Rechts der Doppelbesteuerungsabkommen anhand praktischer Fälle Teil II: 1972–1981 10 Jahre Außensteuergesetz – 10 Jahre „Praxis des Internationalen Steuerrechts“ mit Fallbesprechungen 1982 Private Investitionen in der Schweiz, Kanada und den USA (verglichen mit anderen Ländern) sowie Probleme der Wohnsitzverlegung, betriebliche Investitionen in der Schweiz, Kanada und den USA (verglichen mit anderen Ländern) sowie Einschaltung von Holding-Gesellschaften in der Schweiz, Frankreich, den Niederlanden und den Niederländischen Antillen, 8.–10.11.1982 1983 Auslandsverluste – grenzüberschreitende Zinsprobleme – Anteilsveräußerung, Gründung – Liquidation – Umwandlung – Verschmelzung und Spaltung von Gesellschaften in Deutschland, Österreich, Frankreich und den USA, 14./15.11.1983 1984 In Kraft getretene oder bevorstehende Änderungen im deutschen Außensteuerrecht, ausgewählte Probleme der Besteuerung international tätiger Unternehmen, Ausdehnung der Steuerhoheit über die Grenze, 19./20.11.1984 1985 Gesetzgebungspläne und Außensteuerrecht, neue Rechtsprechung des BFH zum Internationalen Steuerrecht, internationale Krisenvorsorge, Besteuerung Deutschland/Schweiz, Treaty Shopping, 11./12.11.1985 1986 Neuere Rechtsprechung zum Internationalen Steuerrecht, Bilanzierung von Fremdwährungsgeschäften, Einfluss der Unternehmens- und Konzernorganisation auf die internationale Besteuerung, 17./18.11.1986 1987 Private Investitionen in der Schweiz, Kanada und den USA, Probleme der Wohnsitzverlegung, Steuerreform in USA und Kanada, 11./12.11.1987 1988 Schwerpunktfragen bei Auslandsbeziehungen, Steuerreformgesetz 1990, Doppelbesteuerungsverhandlungen, Neue Rechtsprechung zum IStR, „im Ausland wohnen – im In- und Ausland arbeiten“, Internationale Kooperation, Verfahrensrechtliche Probleme, 14./15.11.1988 1989 Wirtschaftliche und finanzielle Gestaltung in der Besteuerungspraxis, insbesondere im Hinblick auf den Europäischen Binnenmarkt, neues zum Thema Verrechnungspreise, 13./14.11.1989 657

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1990 Die DDR im Internationalen Steuerrecht, Teil II, 13./14.11.1990 1991 Auslandsbeziehungen in der Außenprüfung, 11./12.11.1991 1992 Neuere Rechtsprechung des BFH zum Internationalen Steuerrecht, das mittelständische Unternehmen auf dem Weg nach Europa, internationale steuerrechtliche Regelungen im Steueränderungsgesetz 1992, 9./10.11.1992 1993 Steuerstandort Deutschland – Einführung (Steuersystem, Steuerarten, Bemessungsgrundlage, Steuersätze, Steuerklima), Unternehmensbesteuerung, Besteuerung „privater Investoren“ und „Grenzgänger“, 8./9.11.1993 1994 Internationale steuerliche Aspekte der Unternehmensfinanzierung, Verrechnungspreise im internationalen Konzern, Probleme der Unternehmensgestaltung bei Auslandsbeteiligungen, 7./8.11.1994 1995 Steuerliche Wettbewerbsnachteile für deutsche Kapitalgesellschaften – Internationalisierung der Körperschaftbesteuerung, OECD-Verrechnungspreis-Bericht, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Grenzüberschreitende Sozietäten, Besteuerung bei MitarbeiterEntsendung zwischen In- und Ausland (expatriates) einschließlich Grenzpendlern, Derivate, Genussscheine und Optionsanleihen, 6./7.11.1995 1996 I. Im 25. Jahr: Das Außensteuergesetz auf dem Prüfstand: EuropaUSA-Standort Deutschland II. Der europäische (Teil-)Konzern mit Euroholding und Spartengliederung: Entstehung-Standortprobleme-Finanzierung-Ausschüttungen-Verrechnungspreise III. Internationale Erbschaftsteuerfälle: Deutschland-USA-Schweiz, 11./12.11.1996 1997 Verrechnungspreissysteme multinationaler Unternehmen in betriebswirtschaftlicher, steuerund gesellschaftsrechtlicher Sicht, 10.–12.11.1997 1998 I. Neue Entwicklungen bei der Betriebsstättenbesteuerung II. Innerkonzernliche Produktions- und Vertriebssysteme III. Beteiligungen an ausländischen Kapitalanlagegesellschaften IV. „Verluststrategien“ bei Auslandsbeziehungen V. Cost-Sharing, 9./10.11.1998 1999 I. Internationale Erbfälle II. Der neue Betriebsstättenerlass: Betriebsstättenbegriff und Gewinnermittlung III. Holding-Standort Deutschland im internationalen Steuerwettbewerb (insbesondere § 8b Abs. 2 und 7 KStG) 658

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IV. Doppelansässigkeit – Aufgabe der Sitztheorie durch den EuGH V. Probleme der Unternehmenssteuerreform in Fällen grenzüberschreitender Beteiligungen, 8./9.11.1999 2000 A. Probleme der Unternehmenssteuerreform bei Auslandsbeziehungen B. Anwendungen des OECD-Musterabkommens auf Personengesellschaften C. Renaissance der Betriebsstätten nach der Unternehmenssteuerreform – unter Berücksichtigung der Betriebsstätten –Verwaltungsgrundsätze v. 24.12.1999 D. Verwaltungsgrundsätze für die Prüfung der Einkunftsabgrenzung durch Umlagevertrag zwischen international verbundenen Unternehmen vom 30.12.1999, 6./7.11.2000 2001 I. Neuerungen im deutschen Außensteuerrecht unter besonderer Berücksichtigung des Gesetzesentwurfs zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts (UntStFG) II. Dokumentationserfordernisse im Internationalen Steuerrecht III. Gesellschafterfremdfinanzierung über die Grenze (§ 8a KStG) IV. Fragen internationaler Umstrukturierungen 2002 I. Organschaft im internationalen Steuerrecht – Gestaltungen und Praxisprobleme II. Funktionsverlagerung über die Grenze: BMF-Schreiben in Vorbereitung III. Neuere Entwicklungen auf dem Gebiet der beschränkten Steuerpflicht IV. Grenzüberschreitende Personalentsendung (BMF-Schreiben v. 9.11.2001) V. Finanzinnovationen 2003 I. Aktuelle und bevorstehende Gesetzesänderungen auf dem Gebiet des Außensteuerrechts (§ 8a, § 8b Abs. 5 KStG, AStG) II. Brennpunkte des Transfer Pricing III. Aktuelles zum Abkommensrecht IV. Zuzug und Wegzug, Sitzverlegung 2004 A. Aktuelle Brennpunkte des Internationalen Steuerrechts B. Konzernbesteuerung in der EU: Bestandsaufnahme und Perspektiven, Standortwahl; Finanzierung, Auslandsverluste; Gestaltung im Ländervergleich; Osterweiterung der EU, Gruppenbesteuerung in Österreich C. Harmonisierung der Gewinnermittlung 659

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2005 I. Aktuelles aus dem BMF II. Update – Aktuelle Streitfragen (insbes. EuGH-Rechtsprechung) III. Outbound-Investitionen (Osteuropa, China) IV. Neue Entwicklung der Betriebsstättenbesteuerung V. Brennpunkte – Verrechnungspreise (insbes. VerwaltungsgrundsätzeVerfahren) VI. Grenzüberschreitende Ent- und Verstrickung VII. Ausländische Rechtsformen Grundzüge des Internationalen Steuerrechts (jährliche Tagung des Deutschen Anwaltsinstituts in Köln) 1987, 1989, 1991, 1993, 1995, 1997, 1999: Systematische Darstellung des deutschen Außensteuerrechts- und des Rechts der Doppelbesteuerungsabkommen anhand praktischer Fälle 1988, 1990, 1992, 1996, 1998: Betriebsstätten, Personengesellschaften, Tochtergesellschaften Einführung in das Internationale Steuerrecht 2000 I. Die Begriffe Internationales Steuerrecht, Außensteuerrecht, Abkommensrecht II. Deutsches Außensteuerrecht III. Das Recht der Doppelbesteuerung anhand des OECD-Musterabkommens 2001/2002/2003 A. Einführung: Die Begriffe „Internationales Steuerrecht“, „Außensteuerrecht“ und „Abkommensrecht“ B. Deutsches Außensteuerrecht C. Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), dargestellt anhand des OECD-MA 2004 A. Einführung in das deutsche Außensteuerrecht der Ertragssteuern B. Einführung in das Recht der ertragsteuerlichen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) C. Abgrenzung von deutschem Außensteuer- und Abkommensrecht auf grenzüberschreitende Ertragssteuerfälle D. Internationale Steuerfragen bei anderen Steuerarten

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Grundfragen der Internationalen Steuerplanung 2000 Inbound- und Outboundgeschäft im Rahmen der Unternehmensbesteuerung anhand der Investitionsformen – Betriebsstätte – Personengesellschaft – Tochterkapitalgesellschaft 2001/2002/2003 Doppelbesteuerung und ihre Vermeidung bei Inbound- und Outboundgeschäften von – Betriebsstätten – Personengesellschaften – Tochterkapitalgesellschaften 2004 A. Auslandsgeschäft von Steuerinländern B. Das Inlandsgeschäft von Steuerausländern Grundlagen des Internationalen Steuerrechts 2005 Teil I:

Einführung in das Internationale Steuerrecht

Teil II: Das Zusammenspiel von Außensteuerrecht und Abkommensrecht in Inbound- und Outbound-Fällen Teil III: Grundfragen Internationaler Unternehmenssteuerplanung dargestellt nach Organisationsformen: Betriebsstätte, Personengesellschaft, Tochterkapitalgesellschaft Teil IV: Internationale Erbschaftsteuerfälle

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Autorenverzeichnis Autoren und Herausgeber der Festschrift Raupach BIRK, Dieter Dr. iur., Universitätsprofessor an der Westfälischen Wilhelm-Universität Münster, Direktor am Institut für Steuerrecht BOETIUS, Jan Dr. iur., Vorsitzender des Vorstands a. D. der DKV Deutsche Krankenversicherung AG, Köln BREUNINGER, Gottfried E. Dr. iur., Rechtsanwalt, Shearman & Sterling, München CREZELIUS, Georg Dr. iur., Universitätsprofessor an der Universität Bamberg FISCHER, Peter Dr. iur., Vors. Richter am Bundesfinanzhof, München/Düsseldorf, Honorarprofessor an der Universität Bielefeld FROTSCHER, Gerrit Dr. iur., Universitätsprofessor für internationales Steuerrecht an der Universität Hamburg, geschäftsführender Direktor des International Tax Institute GOSCH, Dietmar Dr. iur., Vors. Richter am Bundesfinanzhof, Honorarprofessor an der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel, Hamburg VON GROLL,

Rüdiger Richter am Bundesfinanzhof a. D., Honorarprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität, München HAARMANN, Wilhelm Dr. iur., Honorarprofessor an der Universität Bamberg, Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Frankfurt HAAS, Franz Josef Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Notar a. D., Ehrenvorsitzender des Deutschen Anwaltsinstituts e.V., Bochum, Ehrenvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Fachanwälte für Steuerrecht e.V., Bochum HEY, Johanna Dr. iur., Universitätsprofessorin, Lehrstuhl für Unternehmenssteuerrecht, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 663

Autorenverzeichnis

HÜTTEMANN, Rainer Dr. iur., Dipl.-Volksw., Professor, Direktor des Instituts für Steuerrecht der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn JACHMANN, Monika Prof. Dr. iur., Richterin am Bundesfinanzhof, München JANSEN, Rudolf Dr. iur., Richter am Bundesfinanzhof a. D., Rechtsanwalt, Rechtsanwälte Martin Jansen V & Dr. Rudolf Jansen, Köln KANZLER, Hans-Joachim Dr. iur., Richter am Bundesfinanzhof, München, Honorarprofessor am Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Hannover KIRCHHOF, Paul Dr. iur., Richter des Bundesverfassungsgerichts a. D., Universitätsprofessor, Ruprecht-Karls-Universität, Institut für Finanz- und Steuerrecht, Heidelberg KRUSE, Heinrich Wilhelm Dr. iur., Hamburg, em. Universitätsprofessor an der Ruhr-Universität Bochum KUMPF, Wolfgang Dr. rer. pol., Dipl.-Kaufmann, Manager Finance, Accounting and International Tax Planning, Deere & Company European Office, Mannheim LANG, Michael Dr. iur., Universitätsprofessor, Vorstand des Instituts für Österreichisches und Internationales Steuerrecht der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien, Wissenschaftlicher Leiter des LL.M.-Studiums International Tax Law der WU, Wien LEHNER, Moris Dr. iur., Universitätsprofessor, Ludwig-Maximilians-Universität München, Lehrstuhl für öffentliches Wirtschafts- und Steuerrecht, Leiter der Forschungsstelle für Internationales und europäisches Steuerrecht MÜLLER, Welf Dr. iur., Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Kelkheim/Ts.; Linklaters, Frankfurt am Main MÜLLER-GATERMANN, Gert Ministerialdirigent, Koblenz POHL, Dirk Dr. iur., Rechtsanwalt, Steuerberater, McDermott Will & Emery, Rechtsanwälte/Steuerberater LLP, München 664

Autorenverzeichnis

PÖLLATH, Reinhard Rechtsanwalt, München, P+P Pöllath + Partner Berlin/Frankfurt/München PRIESTER, Hans-Joachim Dr. iur., Notar, Hamburg, Honorarprofessor an der Universität Hamburg PRINZ, Ulrich Dr. rer. pol., Dipl.-Kaufmann, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Partner bei Flick Gocke Schaumburg, Bonn, Honorarprofessor an der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf RÄDLER, Albert Dr. oec. publ. Dipl.-Kfm., Steuerberater, Universitätsprofessor für betriebliche internationale Steuerlehre i. R. des Instituts für Ausländisches und Internationales Finanz- und Steuerwesen der Universität Hamburg, Senior Tax Partner, Linklaters, München ROTH, Andreas Dr. rer. pol., Dipl.-Kaufmann, Director Taxes & Customs, Deere & Company European Office, Mannheim SARRAZIN, Viktor Ministerialdirigent a. D., Alfter SCHMIDT, Karsten Dr. Dres. h.c., em. Universitätsprofessor der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn (Institut für Handels- und Wirtschaftsrecht), Präsident der Bucerius Law School, Hamburg SCHÖN, Wolfgang Dr. iur., Direktor am Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht, München; Honorarprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München SCHULZE-OSTERLOH, Joachim Dr. iur., Universitätsprofessor (em.) an der Freien Universität Berlin SEER, Roman Dr., Universitätsprofessor an der Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Steuerrecht STROBL-HAARMANN, Elisabeth Dr. rer. pol., Wirtschaftsprüferin, Steuerberaterin, ESTHA GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Kronberg i.Ts. THIEL, Jochen Dr. iur., Rechtsanwalt, Kaarst, Ministerialdirigent a. D., Honorarprofessor an der Universität zu Köln 665

Autorenverzeichnis

TIPKE, Klaus Dr. iur., em. Universitätsprofessor an der Universität zu Köln, ehemals Direktor des Instituts für Steuerrecht, Bonn VOGEL, Klaus Dr. Dr. h. c., em. o. Universitätsprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität München, ehemals Leiter der Forschungsstelle für ausländisches und internationales Steuerrecht, München WASSERMEYER, Franz, Dr., Vors. Richter am Bundesfinanzhof a. D., Honorarprofessor an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Rechtsanwalt und Steuerberater, Kanzlei Flick Gocke Schaumburg, Bonn WENDT, Michael Richter am Bundesfinanzhof, München

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